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Kriegszeit: Kunst im Dienst von Krieg und Propaganda
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Kriegszeit: Kunst im Dienst von Krieg und Propaganda

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About this ebook

Von August 1914 bis März 1916 erschien im Verlag Paul Cassirers in Berlin die Künstlerzeitschrift „Kriegszeit“. In ihr publizierten Künstler wie Max Liebermann, Ernst Barlach, Käthe Kollwitz, Max Beckmann oder Hans Baluschek Lithographien zu Themen des Krieges mit mehrheitlich propagandistischem Unterton. Die Ausstellung thematisiert die Kunst im Dienste des Krieges und dokumentiert ihren Wandel weg von patriotischer Begeisterung hin zu Pazifismus und Friedenssehnsucht. Das Buch thematisiert erstmals umfassend die Künstlerzeitschrift "Kriegszeit" und bietet Einblick in ihre Verortung im Geflecht von Burgfrieden und künstlerischer Selbstbesinnung.
LanguageDeutsch
Release dateNov 12, 2014
ISBN9783738663372
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    Book preview

    Kriegszeit - Books on Demand

    340 Seiten Text mit 414 Abbildungen

    Dieser Katalog erscheint anlässlich der Ausstellung Kriegzeit Kunst im Dienst von Krieg und Propaganda 1914–1916 in den Thermen am Viehmarkt, Trier, vom 19. Oktober – 21. Dezember 2014.

    Katalog

    Herausgeber

    Stephan Brakensiek

    unter redaktioneller Mitarbeit von Nina

    Christine Dusartz de Vigneulle, Claudia

    Stefanie Klein, Claas Dennis Mark und

    Selina Wernstedt

    Kataloggestaltung

    Stephan Brakensiek

    Autoren

    Claas Dennis Mark

    Claudia Stefanie Klein

    Daria Kramskaja

    Franziska Scheer

    Hannah Völker

    Lena Kräuter

    Nina Christine Dusartz de Vigneulle

    Rainer Vitz

    Selina Wernstedt

    Fotos

    Andreas Thull

    Umschlagabbildung

    Detail aus Kat. 64.

    Abb. Schmutztitel

    Detail aus Kat. 228.

    Ausstellung

    Claas Dennis Mark

    Daria Kramskaja

    Franziska Scheer

    Hannah Völker

    Kathrin Wagner

    Lena Kräuter

    Nils Motzkus

    Nina Christine Dusartz de Vigneulle

    Rainer Vitz

    Selina Wernstedt

    Stephan Brakensiek

    Tabellarische Auswertung

    Nils Motzkus

    Selina Wernstedt

    Projektpartner

    Inhalt

    Michael Jäckel

    Grußwort

    Angela Kaiser-Lahme

    Grußwort

    Claudia Stefanie Klein

    Paul Cassirer und die Kriegszeit – Fundstücke zur Publikationsgeschichte einer Künstlerzeitschrift

    Raymond Keller

    Die Berliner Secessionen – Zur Situation der Kunstszene in der Reichshauptstadt vor 1914

    Lena Kräuter

    Von grimmiger Begeisterung zur müden Flucht – Die Entwicklung von der Kriegszeit zum eskapistischen Pazifismus im Bildermann

    Selina Wernstedt

    Kriegszeit und Wachtfeuer – Kunstartikel für den intellektuellen Genießer vs. illustrierte Heftchen für den einfachen Bürger?

    Claas Dennis Mark

    Ein letztes Hurra – Max Liebermann und die Kunst im Krieg

    Rainer Vitz

    „Ich kenne keine Parteien mehr …" – Die politische und künstlerische Opposition und ihr Verhalten zu Beginn des Ersten Weltkriegs

    Nina Christine Dusartz de Vigneulle

    Fury im Menschenschlachthaus – Zur künstlerischen Darstellung des Pferdes in der Kriegszeit

    Daria Kramskaja

    Der Tod in der Kriegszeit – Das Bild des Soldatentodes an der Grenze zwischen patriotischem Ideal und künstlerischer Authentizität

    Hannah Völker

    Unsichtbar hinter dem Vorhang des Welttheaters – Das Heer hinter dem Heer: Frauen in der Kriegszeit

    Franziska Scheer

    Blickfang Titelblatt – Beobachtungen an den Titelblättern der Kriegszeit

    Katalog

    Anhänge

    Grußwort

    Erst vor wenigen Jahren hat es der Wissenschaftsrat überaus deutlich formuliert: „Wissenschaftliche Sammlungen sind eine wesentliche Infrastruktur für die Forschung." (Empfehlungen zu wissenschaftlichen Sammlungen als Forschungsinfrastrukturen, 28. Januar 2011)

    Auch an der Universität Trier hat sich in den letzten Jahren sehr deutlich gezeigt, dass Sammlungen als Infrastruktur für Forschung und Lehre eine wichtige Rolle spielen. Dabei sind es vor allem die am Fach Kunstgeschichte beheimatete Graphische Sammlung sowie die Original- und Abgusssammlung der Archäologie, die dies unter Beweis gestellt haben. Dazu kommt die Sammlung der Papyrologie, die eher im Stillen wirkt, aber dennoch vor kurzem mit einem fulminanten Auftritt an die Öffentlichkeitswirksamkeit der beiden anderen Sammlungen anschließen konnte.

    Abb. 01: Willy Jaeckel, Zerschossener Wald, 1916, Lithographie, Kat. 243.

    Ich denke, wir sind mit Ausstellungsprojekten wie dem zur Künstlerzeitschrift Kriegszeit auf dem richtigen Weg, die Forderungen des Wissenschaftsrats in vielen Feldern einzulösen. Denn während des Studiums schon forschend über und zu „Dingen" zu arbeiten, an einzelnen Artefakten neue Theorien zu entwickeln und griffige Thesen zu bilden, ist ein Angebot, dass gerade die Graphische Sammlung des Fachs Kunstgeschichte der Universität Trier in den letzten Jahren verstetigt hat. Hier sind solche Angebote in die universitäre Lehre in BA- wie MA-Studium erfolgreich implementiert.

    Die stets mit einem wissenschaftlichen Katalog begleiteten Ausstellungsprojekte der Kunstgeschichte – erinnert sei nur an die beiden zur Reproduktionsgraphik 2008 und 2009, an das zu Christian Wilhelm Ernst Dietrich (1712–1774) 2010 sowie das zu Johann Friedrich Bause (1738–1814) 2014 zeigen zudem sehr deutlich, zu welchen positiven Ergebnissen richtig ein- und umgesetzte Lehre an und mit dem Objekt fähig ist. Dass die Archäologie nunmehr in diesen Reigen einstimmt, macht doppelt froh und der vorliegende Katalog ist der zweite Band einer neuen, in Kooperation zwischen den Sammlungen beider Fächer herausgegebenen Reihe. Kooperationen dieser Qualität sind nicht allzu oft und sollten nicht nur seitens der Universität unterstützt werden. Daher gehört im konkreten Fall mein besonderer Dank neben dem überaus engagierten studentischen Team um den Kustos unserer Graphischen Sammlung, Dr. Stephan Brakensiek, auch und vor allem der Generaldirektion Kulturelles Erbe – Burgen, Schlösser, Altertümer, namentlich deren Direktorin, Frau Dr. Angela Kaiser-Lahme, dafür, dass Sie diesem Projekt der Universität Trier – wie schon in der Vergangenheit bewährt – die Thermen am Viehmarkt überlässt und die Ausstellung logistisch unterstützt. Allen Beteiligten sei herzlich gedankt dafür, dass die forschende Lehre an unserer Universität eine solche, auch die Öffentlichkeit ansprechende Form gefunden hat.

    Prof. Dr. Michael Jäckel

    Präsident der Universität Trier

    Grußwort

    2014 ist der Ausbruch des Ersten Weltkriegs das beherrschende Thema auch in der Erinnerungskultur des Landes Rheinland-Pfalz. Eine ganze Reihe von Veranstaltungen und Ausstellungen beleuchtet hundert Jahre danach die vielfältigen Facetten dieses epochalen Ereignisses. Sie tun dies auf lokaler, regionaler, nationaler aber auch internationaler Ebene.

    Daran beteiligt sind sowohl staatliche Institutionen, aber auch Vereine und private Träger. In Trier war es dabei die dezidierte Absicht der Universität, die Diskussion über diesen welthistorischen Umbruch nicht allein im universitären Raum zu betreiben, sondern möglichst nahe an die Bürger heranzukommen und diese in die Verbreitung neuer Forschungserkenntnisse einzubeziehen.

    Da sich dieses Vorgehen mit den Intentionen der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz deckt, waren wir nur zu gerne bereit, dem Wunsch der Universität Trier zu entsprechen, die Ausstellung Die Kriegszeit – Künstlerflugblätter 1914-1916 in den Thermen am Viehmarkt zu zeigen. Dies ist bereits das zweite Mal, dass die Direktion Burgen, Schlösser, Altertümer mit der Graphischen Sammlung des Fachs Kunstgeschichte dort kooperiert.

    Ein Novum ist die Kombination mit einer weiteren Ausstellung, die sich ebenfalls einem besonderen Aspekt dieses Krieges zuwendet: Alle Menschen werden Brüder – Deutsche Kriegsgefangene in Japan 1914–1920, die von der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Trier e.V. ausgerichtet wird.

    Auf erstaunliche Art und Weise ergänzen sich beide Ausstellungen. Zum einen rücken sie die grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Krieg durch die Künstler in den Fokus der Betrachtungen und zum anderen erinnern sie an ein überseeisches Kapitel dieses Krieges, das bei der mitunter zu beobachtenden Konzentration auf die Kriegsereignisse in Europa – zumindest in Deutschland – oft in Vergessenheit gerät. Die Universität Trier hat in ihrer Ringvorlesung zum Ersten Weltkrieg bewusst auch die globale Bedeutung dieses Konflikts in den Mittelpunkt gestellt. Ein weiteres verbindendes Glied zwischen beiden Ausstellungen ist die Kunst. Denn auch die deutschen Kriegsgefangenen entwickelten ein ausgesprochen aktives kulturelles Leben in den Lagern in Japan, organisierten Theater- und Musikaufführungen. Doch während die Deutschen in Japan keinen Kontakt zum Kriegsgeschehen in Europa hatten, war für viele deutsche Künstler die Auseinandersetzung mit diesem elementaren Ereignis ganz nah. Ihre Haltung gegenüber dem Krieg war durchaus ambivalent, vielfältig und unterlag auch großen Veränderungen. Während die einen den Krieg glorifizierten und die neuen Helden und Schlachten auf Leinwand oder Papier bannten, waren andere schon bald ernüchtert und vom Grauen des Krieges erschüttert. Viele fanden in der Künstlerzeitschrift Kriegszeit eine Plattform, um ihre Werke zu publizieren. Es ist ein Glücksfall, dass ein großer Teil dieser Zeitschrift in der Graphischen Sammlung des Fachs Kunstgeschichte der Universität Trier überliefert ist und nun zusammen mit weiteren Werken aus einer Trierer Privatsammlung der nahezu komplette Bestand der Zeitschrift in den Thermen am Viehmarkt ausgestellt werden kann. Mitten in der ältesten Stadt Deutschlands kann so das Interesse für die Arbeit der Universität und ihre Bestände geweckt werden.

    Ich möchte der Universität Trier, namentlich Herrn Dr. Stephan Brakensiek, für seine Initiative und sein Engagement und die wiederum sehr gute Zusammenarbeit ganz herzlich danken, sowie für die sowohl von der Universität, als auch von der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Trier e.V. gezeigte Bereitschaft, miteinander zu kooperieren und so zumindest für die Thermen am Viehmarkt einen neuen Weg einzuschlagen.

    Dr. Angela Kaiser-Lahme

    Direktorin Burgen Schlösser Altertümer

    Claudia Stefanie Klein

    Paul Cassirer und die Kriegszeit

    Fundstücke zur Publikationsgeschichte einer Künstlerzeitschrift

    „ […] über den Wassern der deutschen Kunsthändler schwebt Gott-Vater Cassirer. Seine Majestät unter den deutschen Kunsthändlern, der Mann mit der größten Erfahrung und nicht mit dem schlechtesten Geschäftssinn […]. Für das Publikum ist er der ,Arbiter‘ [!], für die Künstler – der Traum, für den Kunsthändler – die gefürchtete, despotische Konkurrenz."¹ So beschrieb Romauld (Rom) Landau (1899–1974) in seinem Werk Der unbestechliche Minos. Kritik an der Zeitkunst im Jahr 1925 Paul Cassirer auf einem der Höhepunkte seiner Karriere. Auch heute ist nichts von seinem Ruhm verblasst. Als 2011 ein mehrbändiges Werk zu den Ausstellungen im Kunstsalon Cassirer veröffentlicht wurde, fanden sich ähnliche Charakterisierungen zur Person Cassirers und seines Unternehmens in der deutschen Tagespresse. Im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war beispielsweise die Rede von einem „stil- und geschmacksbildenden Unternehmen, das „in einer Zeit, als noch Kaiser Wilhelm II. dem Volk seinen deutschtümelnden konservativen Geschmack [zu] oktroyieren versuchte, „voller Tatendrang als „Vorreiter in der Vermittlung der internationalen Moderne, vor allem der französischen Kunst agierte.² Wie kam es nun dazu, dass ein international vernetzter Freund und Förderer der modernen Kunst auf die Linie des „deutschtümelnden konservativen" Kaisers einschwenkte und eine patriotische, nationale Zeitschrift wie die Kriegszeit herausgab?

    Die Anfänge

    Cassirer wurde 1871 als drittes von fünf Kindern in Breslau³ geboren. Die Familie siedelte 1886 nach Berlin über. In den 1890er Jahren ging er vermeintlich zum Studium nach München. Allerdings war er an der dortigen Universität nie eingeschrieben.⁴ Für eine kurze Weile arbeitete er in der Redaktion der Satirezeitschrift Simplicissimus. Die dort gemachten Erfahrungen waren wohl für seine spätere verlegerische Tätigkeit nicht unbedeutend.⁵ Hier kam er u.a. mit Frank Wedekind (1864–1918), Lovis Corinth (1858–1925), Max Slevogt (1868–1932), Arthur Holitscher (1869–1941) und vermutlich auch mit Alfred Gold⁶ (1874–1958) in Kontakt. Aus diesen Jahren stammen auch einige eigene literarische Versuche.⁷ Aufgrund seines wohlhabenden Elternhauses konnte er sich ein Leben im gehobenen Standard leisten. So berichtet Arthur Holitscher, der später Lektor im Verlag Cassirers werden sollte, in seiner Autobiographie: „Cassirer lebte in München, im Gegensatz zu uns anderen Schriftstellern um Langen [⁸] herum, in äußerst günstigen materiellen Umständen, ja in ausgesprochenem Luxus. Sprach man über ihn, vergaß man nicht zu erwähnen, daß in seiner Wohnung ein Billard stand. Und daß bei ihm Maler der Münchner Sezession verkehrten, Corinth, Slevogt, von deren Bildern man eben zu sprechen begann; diese Bilder schmückten bereits die Wände der Cassirerischen Wohnung."⁹ Hier zeigt sich, dass Cassirer schon früh ein Gespür für künstlerische Qualität hatte. Im Herbst 1897 verlegte der mittlerweile verheiratete Cassirer seinen Wohnsitz nach Berlin. Im darauffolgenden Jahr gründete er gemeinsam mit seinem Cousin Bruno Cassirer die Kunst- und Verlagsanstalt Bruno und Paul Cassirer. Das Ladenlokal befand sich in einem im Jahr 1839 erbauten Wohnhaus in der Victoriastraße 35, „an der vornehmsten Seite des Tiergartens¹⁰, wie Rainer Maria Rilke schreibt (Abb. 03). Der Umbau der Räume erfolgte durch keinen geringeren als Henry van de Velde (1863–1957). Van de Velde schuf „drei kleine Stuben mit seltsam wandelbaren Wänden¹¹ sowie einen vierten Raum, der als Lesekabinett diente. In den nächsten Jahrzehnten fanden einige Erweiterungsund Umbauten statt, die, bis auf den letzten Umbau, ebenfalls nach Plänen van de Veldes umgesetzt wurden.¹² Die Räumlichkeiten kamen sowohl beim Publikum als auch bei den Kritikern gut an, was u.a. ein Artikel aus dem Berliner Börsen-Courier verdeutlicht: „In keinem Berliner Kunstsalon herrscht eine so intime und isolierte Stimmung. Alles fordert zur Beschaulichkeit auf […]. Hier fühlt man sich, als ob man in einem Atelier zu Gast wäre."¹³ In den Ausstellungen des Kunstsalons waren Werke international anerkannter Künstler, wie beispielsweise Edgar Degas (1834–1917), Constantin Meunier (1831–1905) und Max Liebermann (1847–1935), vertreten.

    Abb. 02: Porträt Paul Cassirers, um 1920, Photographie.

    Abb. 03: Lesezimmer des Kunstsalons von Bruno und Paul Cassirer in Berlin, Victoriastraße 35, Einrichtung von Henry van de Velde, um 1900, Photographie.

    Wie dem Börsenblatt vom 20. September 1898 zu entnehmen ist, eröffneten die beiden Vettern eine an ihre Kunst- und Verlagsanstalt angeschlossene Verlagsbuchhandlung. In diesem „vornehmen Kunstverlag"¹⁴ publizierten die beiden beispielsweise kunsttheoretische Werke von Henry van de Velde, Alfred Lichtwark (1852–1914) und Wilhelm von Bode (1845–1929), aber auch literarische Werke von Maxim Gorki (1868–1936) oder Hans Ostwald (1873–1940). Von Max Liebermann, der das Verlagssignet Schreitender Bauer mit Kiepe (Abb. 04) entworfen hatte, erschien eine Studie über Edgar Degas.¹⁵ Nach nur drei erfolgreichen gemeinsamen Jahren trennten sich Bruno und Paul Cassirer am 30. August 1901 einvernehmlich. In einem Rundschreiben erklärten sie, „daß die Ausdehnung, die unser Unternehmen genommen hat, uns veranlaßt, die Kunstausstellung und den Buch-Verlag von einander zu trennen. Herr Bruno Cassirer wird den Buch-Verlag unter der Firma Bruno Cassirer in der Derfflingerstrasse 16 weiterführen. Herr Paul Cassirer die Kunsthandlung unter der Firma Paul Cassirer in den bisherigen Räumen Victoriastrasse 35."¹⁶ Sie beschränkten ihre Arbeitsfelder bis ins Jahr 1908. So übernahm Bruno Cassirer den Verlag und Paul Cassirer die Kunsthandlung sowie den Kunstverlag. Letzteres ermöglichte auch weiterhin das Verlegen von Graphiken. Kataloge zu den Ausstellungen des Kunstsalons Cassirer sowie der Berliner Secession erschienen ebenfalls weiterhin im Kunstverlag Paul Cassirers.

    Abb. 04: Max Liebermann, Schreitender Bauer mit Kiepe, Signet für den Bruno und Paul Cassirer-Verlag (1898-1901), danach für den Bruno Cassirer-Verlag, nach 1894, Lithographie.

    Die Panpresse

    Nachdem im Februar 1908 die Sperrfrist ausgelaufen war, publizierte der neu gegründete Paul Cassirer Verlag das Handbuch Das Erlernen der Malerei von Lovis Corinth. Das neue Verlagssignet, ein auf einem Baumstrunk ruhender Panther (Abb. 05), wurde von Max Slevogt entworfen. Bereits ein Jahr zuvor stellte Cassirer Arthur Holitscher als Lektor ein. Von Holitscher, der selbst Schriftsteller war, erhoffte er sich die Entdeckung neuer Autoren. Holitscher notierte hierzu in seinen Lebenserinnerungen: „Jetzt hatte sich sein Weg [hier ist Paul Cassirer gemeint, Anm. d. Verf.] von dem Bruno Cassirers getrennt, und so überredete mich der ,Alte Kamerad‘ zum Eintritt in seinen neu zu gründenden Verlag."¹⁷ Im Folgenden konnten beispielsweise Frank Wedekind (1864–1918), dessen Einakter Der Stein der Weisen 1909 erschien, sowie Heinrich Mann (1871–1950), dessen gesamtes vor 1913 entstandenes Werk hier publiziert wurde, für den Verlag gewonnen werden. Neben diesen ,einfachen‘ Büchern¹⁸ erschienen auch reich mit Künstlerillustrationen ausgestattete Bücher und Mappenwerke, die in der 1908 ins Leben gerufenen Panpresse unter der Leitung des Xylographen Reinhold Hoberg (*1859) und des Druckers Georg Schwarz (Lebensdaten unbekannt) produziert wurden.¹⁹ Der hohe Anspruch, den Cassirer bei der Umsetzung dieser Produkte verfolgte, wird im ersten Prospekt der Panpresse deutlich.²⁰ Der Verleger wirft hier einen kleinen Blick in die nähere Geschichte der Buchgestaltung, insbesondere die des Arts-and-Crafts-Movement um William Morris (1834–1894), von dem er sich – wenn auch zum Teil bewundernd – abgrenzt.²¹ „Das wichtigste Kriterium seiner Buchkunst ist der […] individuelle bildkünstlerische Zugriff auf ein literarisch vorgegebenes Thema […] die authentische künstlerische Empfindung."²² Diese Arbeiten zeichnen sich jedoch nicht nur durch ihren hohen künstlerischen Anspruch aus. Vielmehr ist es das Zusammenwirken der künstlerischen sowie der materiellen Qualität. So warb Cassirer in besagtem Prospekt für die Qualität des Drucks, der durch Handpressen von Künstlerhand besorgt wurde. Auch die verwendeten Materialien, wie Papiere unterschiedlicher Qualitäten, trugen zur Wirkung im Gesamten bei. Zum Teil gab es verschiedene Ausgaben, die sich in der Verwendung unterschiedlicher Papiere oder durch Beigaben sowie den Preis unterschieden. 1914 entstand beispielsweise als 13. Werk der Panpresse Das Erdbeben in Chili von Heinrich von Kleist (1777–1811) mit Illustrationen von Otto Hettner (1875–1931), das in zwei Ausgaben produziert wurde. (Abb. 06) Ausgabe A, auf Japanpapier gedruckt, umfasste lediglich 15 Exemplare und wurde durch eine „andere Fassung eines Vollbildes als Beilage"²³ ergänzt. Hinzu kam ein schwarzer Kalbslederband mit goldgeprägtem Titel auf dem Vorderdeckel sowie dem Rücken. Ergänzt wurde die Ausgabe durch einen Schutzumschlag. Ausgabe B enthielt bis auf die Beigabe die gleichen Lithographien, war aber auf Büttenpapier gedruckt und mit einem Halbpergamenteinband versehen. Insgesamt wurden hiervon 74 Exemplare angefertigt. Auch wenn in Heft 13 der Kriegszeit vom 18. November 1914 ein Prospekt mit der Titelseite des Werkes erschien, wurde es erst zu Weihnachten 1916 ausgeliefert.²⁴ Interessant ist in diesem Zusammenhang der Text des Werbeprospekts: „Als unser großer Krieg begann, lag dieses Werk fertig zum Erscheinen bereit. Wenn wir – nach einigem Zaudern – es jetzt erscheinen lassen, geschieht das nicht trotz der Zeitereignisse, sondern weil wir daran denken, daß Heinrich von Kleist, der strenge Warner und herrliche Wahrsager, uns heute höher steht als je; und weil die starken Worte des deutschen Dichters, auch wenn sein Gegenstand hier nicht ein vaterländischer ist, niemals mehr gehört zu werden verdienen, als in der ernsten Weihnachtszeit dieses Jahres. […]"²⁵ Denn der hier als strenger Warner und herrlicher Wahrsager bezeichnete Kleist, erscheint auch an anderer Stelle in der Kriegszeit.²⁶ Die den Text begleitende Illustration stammt ebenfalls von Hettner. Unter den bildenden Künstlern, die an den Projekten der Panpresse beteiligt waren, sind neben Otto Hettner zahlreiche weitere Namen zu finden, die auch später für die von Paul Cassirer und Alfred Gold herausgegebene Zeitschrift Kriegszeit – Künstlerflugblätter Lithographien beisteuerten.²⁷

    Abb. 05: Max Slevogt, Signet für den Paul Cassirer-Verlag, 1908, Lithographie.

    Abb. 06: Otto Hettner, Werbeanzeige für Heinrich von Kleist‘, Das Erdbeben von Chili, 1914, Lithographie.

    Kriegszeit. Künstlerflugblätter

    Im Berliner Börsen-Courier vom 04. September 1914 findet sich ein Aufruf Julius Meier-Graefes (1867–1935), der das Vorhaben einiger Künstler, eine graphische Zeitung unter dem Titel Kriegsblätter herauszubringen, publik macht. Schon Anfang August war die Idee zu diesem Vorhaben bei einem Treffen verschiedener Künstler, unter ihnen Max Liebermann, Arthur Kampf (1864–1950), Wilhelm Trübner (1851–1917), August Gaul (1869–1922), Max Slevogt und Georg Kolbe (1877–1947), gereift.²⁸ Bereits am 31. August kam das erste Heft heraus, allerdings mit dem veränderten Titel Kriegszeit. Künstlerflugblätter. Zwischen Ende August 1914 und Ende März 1916 erschien die von Paul Cassirer und Alfred Gold (Abb. 07) herausgegebene Kriegszeit, zunächst wöchentlich, danach zwei Mal im Monat. Insgesamt 65 Hefte sowie eine Beigabe und eine Sonderausgabe mit insgesamt ca. 260 Originallithographien entstanden.²⁹ Die Zeitschrift besteht aus einem gefalteten, beidseitig bedruckten Bogen mit vier Seiten, der 480 x 320 mm misst. Bis auf einige Ausnahmen sind zumeist vier Lithographien sowie Textbeiträge verschiedener Autoren in einem Heft abgedruckt. Dass die Herausgeber nicht nur Verlagswerbung im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel haben veröffentlichen lassen, zeigt die folgende Annonce aus selbiger Zeitung: „Diese neue Wochenschrift bringt Original-Lithographien von Max Liebermann (Szene vor dem Berliner Schloss bei der Ansprache des Kaisers), Arthur Kampf, Wilhelm Trübner, Max Slevogt, Leopold von Kalckreuth u.a. Künstlern. Hinweise auf die hohe Bedeutung dieser Zeitschrift, deren Reinertrag dem Kriegsfonds des Wirtschaftlichen Verbandes bildender Künstler zugeführt wird, sind in der ganzen deutschen Presse erschienen."³⁰ Weiterhin wird hier, wie auch im angefügten Untertitel der Zeitschrift, der gemeinnützige Zweck betont. Zunächst betrug der Preis eines Heftes im Einzelverkauf 15 Pfennig³¹, von Heft Nummer 21 bis 51 sodann 20 Pfennig und von da an wieder 15 Pfennig. Bei Postzustellung kostete das Heft 25 Pfennig. Jeweils auf der letzten Seite der Zeitschrift findet sich der Vermerk zu Preis und Bezugsmöglichkeiten, aber auch andere Hinweise, die sich bei Bedarf änderten. Es erschienen drei verschiedene Ausgaben: die Normalausgabe oder auch Volksausgabe, auf einfachem Werkdruckpapier, ab Heft Nummer 21 auf Velin, die Büttenausgabe, die allerdings nur von Heft eins bis Heft 20 erschien auf handgeschöpftem Büttenpapier, sowie eine Vorzugsausgabe, die auf Maschinenbütten gedruckt wurde. Die ersten fünf Nummern der Normal- und Büttenausgabe wurden bei der Druckerei M. W. Lassally in Berlin gedruckt, alle weiteren Nummern ebenfalls in Berlin bei H. S. Hermann. Die Abzüge der Vorzugsausgabe wurden von der Panpresse auf deren Handpresse besorgt. Die Auflage betrug hier 50 nummerierte Exemplare sowie von einzelnen Graphiken 20 bis 30 Exemplare, bei denen jedoch die typographische Unterschrift sowie die Signaturen fehlen. Bezüglich der Auflagenstärke von Normal- bzw. Volksausgabe kann nur spekuliert werden. Hinweise gibt die Zeitschrift an einer Stelle selbst: „In vielen Tausenden von Exemplaren wird sie verlangt und ausgegeben […].³² Diese Angabe wird durch einen Brief von Max Liebermann an Max Lehrs vom 11. September 1914 gestützt, dass ihre „kühnsten Erwartungen übertroffen worden seien, da von der ersten Nummer bereits eine dritte Auflage gedruckt worden sei, ist dort zu lesen.³³ Bemerkenswert ist der Sammelcharakter, der den Künstlerflugblättern von den Machern zugedacht worden ist, konnte man doch ab Heft vier eine Sammelmappe erwerben. Auch hier gab es unterschiedliche Varianten. So wurden zunächst Sammelmappen mit Titelaufdruck und Leinenrücken zum Preis von 1,25 Mark (Abb. 08), ab Heft Nummer elf zusätzlich Mappen mit Titelaufdruck und einem imitierten Lederrücken für 1,50 Mark, sowie ab Heft Nummer 37 sogenannte Patentmappen mit Titelaufdruck aus Kunstleder zum Einklemmen der Blätter, die jeweils fünf Mark kosteten, herausgegeben.³⁴ Aufgrund der unterschiedlichen Ausgaben und ihrer zum Teil recht günstigen Preise kann davon ausgegangen werden, dass nicht nur eine gehobene Käuferschaft angesprochen werden sollte. Vielmehr ist anzunehmen, dass auch weniger wohlhabende Bürger zum Erwerb animiert werden sollten, da das Thema schließlich alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen anging. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass es gerade in den Kriegsjahren zu einer Fülle an Publikationen im Bereich der Druckgraphik kam. So war in der Kunstzeitschrift Cicerone im Juni 1915 zu lesen, dass die Graphik „in Deutschland ja neuerdings einen geradezu phänomenalen Aufschwung errungen" habe.³⁵

    Abb. 07: Moritz Coschell (1872-1943), Porträtzeichnung Alfred Golds im Alter von 30 Jahren, 1904.

    Abb. 08: Sammelmappe mit Leinenrücken zur Kriegszeit, 1914.

    Die redaktionelle Arbeit Alfred Golds und Paul Cassirers

    Paul Cassirer, mitgerissen von der Kriegsbegeisterung, meldete sich im August 1914 als Freiwilliger. Im September wurde er sodann Meldefahrer in der Nähe von Ypern. Infolge dessen kümmerte sich Alfred Gold, der bereits seit April 1912 im Verlag angestellt und mit dem Ausbau der graphischen Produktion betraut war,³⁶ um die redaktionelle Betreuung der Kriegszeit. Der Großteil der anfallenden Arbeit, insbesondere die Korrespondenz mit bildenden Künstlern und Autoren, wurde wohl von Gold besorgt.³⁷ Cassirer war sicher trotz seines Einsatzes an der Auswahl der beteiligten Künstler und Schriftsteller beteiligt, wie das folgende Zitat des Journalisten und Schriftstellers Stefan Großmann (1875–1935) 1926 in der politischen Wochenschrift Das Tage-Buch belegt: „Im Krieg sah ich Paul Cassirer 1914 in feldgrauer Tracht […] war Feuer und Flamme für die blutige Balgerei. Er ordnete schnell

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