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Krähentisch
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Ebook120 pages1 hour

Krähentisch

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Im Oberpfälzer Jura geschehen seltsame Dinge. Ein junger Handwerker stürzt von einem Gerüst und wird von Amiereisen durchbohrt. Eine alte Bäuerin bricht sich beim Sturz von einer Stiege das Genick. Kriminalkommissar Frieser versucht die Hinweise zu deuten, die einige Frauen wahrzunehmen glauben.
Hoch über dem Felsplateau nahe der Burg Wolfstein ziehen Krähen ihre Kreise. Ihre kehligen Schreie verhallen im Tal…

Inspiriert von einer wahren Begebenheit
LanguageDeutsch
Release dateJul 21, 2015
ISBN9783954520701
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    Krähentisch - Hans Regensburger

    9

    1.

    Der Wetterbericht versprach, dass sich auch dieser Montagvormittag zu einem ähnlich heißen Sommertag entfalten würde wie die Tage zuvor – für Zimmerer am Bau tausendmal besser als Regen, Wind und Kälte. Zwei von ihnen setzten am Rande von Freystadt dem Neubau eines Wohnhauses den Dachstuhl auf.

    Es war unvermeidlich, dass deren Werkeln auch in die unmittelbare Umgebung dieser Baustelle drang. Jenseits dieses Zirkels lag im Westen die Straße nach Neumarkt, im Norden der Fohlenhof, im Osten die Marienvorstadt und im Süden die Wallfahrtskirche. Wenngleich das Hantieren dieser Handwerker von den Leuten in der Nähe kaum überhört worden sein konnte, dürften sie ihm keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben. Einerlei, ob das helltönende Hämmern ab und an im Takt erklang, eintönig eine Kreissäge kreischte oder eine Motorsäge knatterte oder heulte. Wer wollte wegen solcher Geräusche und Töne, die zweifelsohne in völliger Übereinstimmung mit dem Anblick dieser Arbeiten hoch auf einem werdenden Dach waren, vom Fahrrad absteigen, bei der Gartenarbeit aufschauen, auf dem Weg zum Einkaufen innehalten, einen Arzttermin absagen…?

    Das wäre an diesem Montagvormittag viel eher jenen Worten aus dem Mund der beiden Zimmerer zugekommen, die ihnen scharf und schneidend wie das Jaulen einer Peitsche entfuhren. Davon wären die meisten Leute sicherlich hellhörig geworden und einigen unter ihnen wäre gewiss der Schrecken unter die Haut gefahren. In ihrer blinden Wut mochten die beiden Zimmerer sich einen Dreck darum geschert haben, dass ihre Kraftausdrücke über die Baustelle hinausdrangen und nicht unter ihnen blieben wie das Surren des Baukrans, den Kevin führte. Dennoch war es unwahrscheinlich, dass zu dieser geschäftigen Tages- und Jahreszeit ihr lauthalsiger Schlagabtausch ins Ohr Dritter fand.

    Robert, der 50-Jährige, war bis aufs Blut gereizt. Immer wieder regte er sich über Kevin auf. Dieser blonde, langhaarige 20-Jährige war bereits seit dem frühen Morgen der Anlass und das Ziel seiner Wut. Noch war es zwischen ihnen nicht zum Streit gekommen; doch er lag längst in der Luft. Stundenlang hatte Kevin Roberts Nörgeln und Schimpfen ohne ein Wort der Entgegnung über sich ergehen lassen.

    Bereits in der Frühe, beim Beladen des Lasters in der Zimmerei in Niederstob, hatte Sepp, der Chef, ihn vor den Kopf gestoßen. Nicht wie gewohnt wurde ihm Rainer zugeteilt, sondern Kevin. Schon am Sonntag hätte er diesen erwürgen können und den Trainer ohrfeigen wollen. Dieser hatte nicht seinen Sohn in der ersten Mannschaft aufgestellt, sondern erneut diesen ballverliebten Dribbler. Doch nur, weil er vor einigen Monaten beim Auswärtsspiel in Freystadt einen 3:0 Pausenrückstand noch in einen 4:3 Sieg für den FC Oberstob verwandelt hatte. Es wurmte Robert, dass Kevin von solchen Einzelleistungen monatelang zehren konnte. Sein Sohn jedoch, der mannschaftsdienlich und gradlinig Fußball spielte wie kein Zweiter, wurde von diesem Trainer wie schon so oft in die Reservemannschaft verbannt, oder er ließ ihn als Auswechselspieler auf der Bank schmoren. Was müsse auf dem Fußballplatz noch alles geschehen, dass das auch einmal diesem Kevin widerfahre, hatte sich Robert nach dem Auswärtsspiel am Sonntag in Woffenbach nicht zum ersten Mal gefragt.

    Dreimal war Kevin mit dem Ball am Fuß alleine vors Tor gekommen und kein einziges Mal hatten auf dem Platz die Spieler des FC Oberstob und draußen dessen Fans jubeln können. Es kam, wie es kommen musste: Nach dem Schlusspfiff verließen die Woffenbacher als glückliche Sieger den Platz, mit einem 1:0, das ihnen indirekt Kevin gescheckt hatte.

    Mit diesem Versager, der beim Beladen des Lasters noch nach Alkohol roch, musste er auf die Baustelle. Noch schlimmer, er musste ans Steuer des Lasters. Wussten der Chef und jedermann in der Zimmerei nicht längst, dass er seit einiger Zeit lieber auf dem Beifahrersitz Platz nahm? So gerne er sich früher selbst ans Steuer eines LKWs gesetzt hatte, so ungern fuhr er seit einigen Jahren selbst.

    Bereits der erste Sparren, den am Laster stehend Kevin angegurtet, an den Haken des Krans gehängt hatte und den Robert oben am Bau ergreifen sollte, hätte diesen beinahe von dort heruntergefegt. »Wie nur hast du Depp das Holz anghängt? Ich glaub´s nicht! – Total aus der Waag und verdreht.« Robert hatte es gleich gewusst, dass mit solch einem Mann auf der Baustelle der Ärger vorprogrammiert war.

    »Hast das Holz am Blei?«, rief Robert zu Kevin hinunter, der am Schwellenholz stehend den Sparren erwartet und mit beiden Händen entgegengenommen hatte und ihn dort linksbündig an den dicken Bleistiftstrich drücken und dann festnageln sollte. Als Robert Kevins »Ja!«, vernahm, hämmerte er mit seinem Zimmermannsbeil den Sparren an der Pfette fest, und Kevin nagelte ihn ans Schwellenholz. Dann quälte sich der ruhige Typ, der technisch versierte Fußballer, den sie Bernd riefen – sein Aussehen, seine Statur und Spielweise erinnerten an den Blonden Engel, an den großen Bernd Schuster –, langsam die Leiter hinunter und übergab sich an der Ziegelmauer des Rohbaus. Wie einen Pullover hatte er sich der Funksteuerung des Baukrans entledigt, die vor seinem Bauch hing. Das an Hosenträgergurten befestigte Kästchen hatte er so im letzten Augenblick vor seinem Mageninhalt in Sicherheit bringen können. Nun kommentierte Robert oben auf einer Pfette stehend das, was seinen Blicken entzogen war: »Gscheit sollst dich rumhaun – gescheit! So hört sich also ein blonder Engel an, wenn er kotzt; von wegen Engel – Reiher.« Roberts spöttische Lacher erreichten Kevin nicht.

    Nachdem er mithilfe einer Schaufel das Gespiene mit Erde abgedeckt und sich die Funksteuerung wieder übergestreift hatte, stieg er auf den Laster und befestigte am Haken des Baukrans den nächsten Sparren. Erneut begann Robert zu schimpfen: »Hättst den Ball ins Tor reinghaut und nicht so viel gesoffen gestern, wenn du´s nicht verträgst, du Depp, du Idiot, du blöder Hund, du blöder! Wenn von deiner Kotzerei der Chef was spannt oder der Bauherr … O Gott? – Schon am Abend ist Richtfest …« Als Robert nach dem Balken griff, der am Kranhaken zu ihm herunterschwebte, hielt er inne. Kaum drei Minuten später hatte er auch diesen Sparren an der Pfette festgenagelt. Robert hörte und sah, dass Kevin unten an der Mauerschwelle noch immer hämmerte. Erst zur Hälfte hatte er den Nagel ins Holz getrieben. Sein nächster Schlag ging daneben und mit dem übernächsten schlug er den Nagel krumm. Es dauerte einige Minuten, bis er den langen, dicken Zimmermannsnagel herausgezogen und an seiner Stelle einen neuen im Holz versenkt hatte. »Wenn das in dem Tempo so weitergeht, dann können wir vom Chef was erleben…! Und wer ist schuld …?«, schrie Robert aus Leibeskräften und mit unerbittlichem Ernst in der Stimme. Nach einiger Zeit spürte Robert die Sonne im Rücken und blickte auf die Uhr. Es war zehn. Die Uhrzeit, die Robert nannte, war das erste und einzige Wort an diesem halben Vormittag, das er nicht im Zorn von sich gegeben hatte. Während die Glocke der Stadtpfarrkirche zehn Uhr schlug, schwebte am Haken des Krans jener Sparren, mit dem eine Seite des Dachstuhls vervollständigt werden sollte. Davon war er etwas später ein fester Bestandteil. Robert stieg auf diesen Sparren und ging zu Kevin hinunter.

    Gehalten und geführt von seinen Händen, die er auf die Sparren links und rechts neben sich setzte, ließ er sich dann wie ein Turner am Barren mit den Füßen voraus aufs Schutzgerüst gleiten. Von dort aus überprüfte er mit fachmännischen Blicken die Arbeit der vergangenen Stunden – aus mehreren Blickwinkeln die Front der Sparrenreihung. Er nickte mit mürrischem Blick. Es schien, er wollte dahinter seine Zufriedenheit verstecken. Nun kletterte er zurück auf den halbfertigen Dachstuhl, griff nach seinem Beil, das er dort nach dem Herabsteigen abgelegt hatte, und stieg von einem Sparren zum andern; dabei begutachtete er Kevins Arbeit. Sein Ziel war der Westgiebel. »Ich glaub, ich spinn!«, entrüstete er sich plötzlich auf der Hälfte seines Weges. »Du Depp, hast ab da immer wieder einmal einen Sparren fast einen Zentimeter daneben genagelt. Bist du noch zu retten?« Kevin brachte keinen Laut über die Lippen; er zuckte mit den Achseln. Robert musterte ihn und schrie: »Du bist genauso blöd wie deine Alten. Da kann ich von Glück reden, dass ich damals deiner Mutter den Laufpass gegeben hab!« Kevin hob seinen Blick und starrte Robert an. Er war den Tränen nahe, bewegte seinen Mund als ob er etwas sagen würde, doch er konnte sich nicht aus den Fängen seiner Verstummung befreien. Erst als seine Tränen flossen, flossen auch seine Worte. Mit ihnen bezichtigte er Robert der Lüge. Er bebte: »Meine Mama hätte einen wie dich nicht einmal mit der Beißzange angfasst. Du bist ein ganz hundsgemeiner Sprüchbeutel und ein Arschloch, sonst

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