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Koshkin und die Kommunisten aus dem Kosmos
Koshkin und die Kommunisten aus dem Kosmos
Koshkin und die Kommunisten aus dem Kosmos
Ebook347 pages4 hours

Koshkin und die Kommunisten aus dem Kosmos

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About this ebook

Januar 1958: Um der Abschiebung in seine kommunistische Heimat zu entgehen, gibt der emigrierte, russische Wissenschaftler Boris Koshkin vor, in seinem Vorgarten ein Raumschiff für das vom Sputnik-Schock gebeutelte Amerika zu bauen.
Damit weckt er nicht nur unfreiwillig die Aufmerksamkeit von KGB und CIA, sondern auch die zweier außerirdischer Supermächte, die in Koshkins angeblichem Sternenantrieb eine Bedrohung sehen. Der Professor wird – mitsamt dem selbst gebastelten Raumschiff, seiner Tochter Natasha und seinem künftigen Schwiegersohn, dem Ingenieur Geoffrey – ins All entführt. Dort werden die Menschen in einen interstellaren Kalten Krieg verwickelt – in dessen Verlauf unvermittelt die Zukunft der gesamten Menschheit auf dem Spiel steht.
LanguageDeutsch
Release dateSep 15, 2018
ISBN9783864026317
Koshkin und die Kommunisten aus dem Kosmos

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    Koshkin und die Kommunisten aus dem Kosmos - Ben Calvin Hary

    flog.

    Eins

       

    Der Schmuse-Nazi

    11. Oktober 1957

    19:48 Uhr

    Pasadena, Kalifornien

    Diese, blöde, piepende Blechdose! Professor Koshkin schloss die Finger um die Taschenuhr in seiner Jackentasche. Nervös strich er mit dem Daumen über den Deckel, blinzelte in das grelle Licht der Studioscheinwerfer. Es stach ihm genau ins Gesicht.

    »Sputnik«, murmelte er kehlig, drehte das Wort im Mund herum wie ein Bonbon. Niemand hörte ihn. Seine Stimme ging im hektischen Gemurmel der Fernsehcrew unter.

    Mit einem missmutigen Grunzen betrat er das Bühnenpodest und ließ seinen rundlichen Körper in den schmalen Ledersessel fallen, den man ihm zugewiesen hatte.

    »Sputnik«, sagte er wieder, kopfschüttelnd. Wie hatten sie das Ding nur ohne ihn bauen können? Was zum Teufel sollte er der Welt über diesen Blechapparat erzählen, wenn gleich die Kameras liefen? Und, das Wichtigste von allem, was machte überhaupt der hier?

    Grimmig linste Koshkin zu seinem Erzfeind, der ihm mit überschlagenen Beinen gegenübersaß und ihn angrinste: Wernher von Braun, der Schmuse-Nazi! Disneys Schoßhund, wie ihn die Amerikaner liebten und vergötterten. Bloß, wofür eigentlich? Was hatte der schon geleistet?

    Koshkin schnaufte. Irgendwann würde er diesem Angeber schon noch beweisen, wer der genialere Wissenschaftler war! Der Professor rückte sich die zerknitterte Krawatte zurecht, wischte sich mit dem Handrücken dicke Schweißperlen von der Stirn. Ihm war heiß.

    »Noch eine Minute«, drang die Stimme des Regisseurs aus der Schwärze jenseits der Scheinwerfer. Koshkin war zu geblendet, um ihn auszumachen.

    Eine Maskenbildnerin tauchte neben ihm auf, blond, die Puderquaste in der Hand. Unaufgefordert machte sie sich daran, seine Wangen abzutupfen.

    Mit wilden, hektischen Gesten versuchte er, das Mädchen zu verscheuchen. Sie ignorierte seinen Ausbruch. Unbeirrt tupfte sie weiter.

    »Frau! Geh weg!«, rief der Russe zornig, in seinem akzentreichen, kaum zu verstehenden Englisch, und wischte sich den Puder wieder ab.

    »Janine, was ist da los?«, rief der Regisseur in drohendem Tonfall.

    Das Mädchen machte ein beleidigtes Gesicht, streckte beide Handflächen von sich.

    »Er ist rot wie ein Apfel«, rechtfertigte sie sich in Richtung der Scheinwerfer. »Und kämmen lässt er sich auch nicht. Seine Haare stehen in alle Richtungen.«

    Ein genervtes Stöhnen drang aus der Schwärze. Es folgte ein Patschen, als hätte sich jemand mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen.

    In diesem Moment begann von Braun zu kichern.

    Koshkin fuhr herum und senkte den runden, großen Kopf, wie ein Stier, der jemanden auf die Hörner nehmen wollte.

    Von Braun ließ sich nicht beirren. Er lächelte, tat unschuldig.

    Dieser falsche Hund! Koshkin klammerte sich an seine Taschenuhr. Dieses Grinsen machte ihn nervös, mehr noch als die Scheinwerfer und die Kameras. Von Braun wollte ihn wieder vorführen, kein Zweifel. Genau wie damals, vor zwei Jahren, als sie sich zuletzt bei diesem Symposium begegnet waren! Koshkins schlechte Laune wuchs. Er wischte die Erinnerung beiseite.

    »Lass ihn, Janine«, rief der Regisseur schließlich.

    Die Blondine zuckte mit den Schultern und steckte die Puderdose ein. Dann stakste sie brüsk von der Bühne, ihre Absätze klapperten über das Linoleum. Sie machte eine beleidigte Miene, als sie zwischen den Scheinwerfern verschwand. Koshkin achtete nicht weiter auf sie. Gut, dass die weg war!

    »John, noch vierzig«, hallte die Stimme des Regisseurs durch das Studio.

    John, das war niemand Geringeres als der Journalist John Weinstein – Moderator jener Fernsehsendung, in der Koshkin und der Deutsche gleich auftreten würden.

    Im selben Moment trat dieser zwischen zwei Kameras hindurch in den Lichtkegel. Er bestieg das Podest schwungvoll, einen Stapel gelber Karteikarten in der Hand. Mit einem knappen Nicken begrüßte er seine beiden Gäste.

    »Nehmen Sie die Hand aus der Jackentasche«, zischte er Koshkin im Vorübergehen durch die zusammengebissenen Zähne zu. »Das sieht blöd aus.« Er setzte sich auf den freien Platz in der Mitte.

    Koshkin blinzelte ihn fragend an, bevor er begriff. Die Taschenuhr! Er hatte sie noch immer umfasst und spielte damit. Wie immer, wenn er kribbelig wurde. Inzwischen merkte er das schon gar nicht mehr.

    Er zwang sich zu einem Lächeln, zog die Hand aus der Tasche seines goldbeknöpften Zweireihers und kratzte sich am Kopf. Bloß nichts anmerken lassen.

    »Noch zwanzig«, rief der Regisseur.

    Weinstein rückte die Brille auf der schmalen Nase zurecht und legte sich die Kärtchen auf den Schoß. In aller Seelenruhe begann er, sie zu sortieren – ganz der Profi, der er war.

    »Sie kennen den Ablauf«, sagte der Journalist in geschäftsmäßigem Tonfall, ohne von seinen Kärtchen aufzusehen »Erst von Braun mit dem Stand unserer Raketenforschung, dann Sie, Koshkin, mit dem Insiderwissen zum Sputnik. So wie abgesprochen.«

    Koshkin schluckte. An seinem Hals spürte er eine Ader pochen. Insiderwissen, dachte er. Klar. Ausgerechnet von ihm, der Russland schon vor fünfzehn Jahren verlassen hatte. Woher sollte er da noch irgendwelches Insiderwissen nehmen? Alles Idioten, diese Amerikaner!

    »Wissen über Sputnik. Natürlich«, brachte er trotzdem hervor. Wieder grinste er, breit und mit gebleckten Zähnen. Hoffentlich kaufte man ihm die Zuversicht ab!

    »Und Professor …« Weinstein drehte sich zu ihm um und blickte ihn über den Rand der Brille hinweg ernst an. »Langsam sprechen. Deutlich sprechen. Achten Sie auf Ihren Akzent. Denken Sie an Tante Martha aus Kentucky, die Sie auch verstehen möchte.«

    »Sprech ist gut und zu verstehen«, versprach der Professor artig und bemühte sich, die R weniger stark zu rollen als sonst. Unruhig rutschte er in seinem Sessel hin und her, wie ein Schuljunge, der dringend zur Toilette musste. Vergeblich versuchte er, sein hoffnungslos zerknautschtes Jackett zu glätten. Vielleicht wäre es gar nicht schlecht, überlegte er, wenn Weinsteins hypothetische Martha ihn nicht verstand. Dann würde wenigstens die seine Blamage nicht bemerken.

    »Noch fünf«, rief wieder der Regisseur und begann im Sekundentakt herunterzuzählen: »Vier. Drei. Zwei.« Die Eins war stumm.

    Bei Null setzte Koshkins Herz einen Schlag aus. Jetzt galt es, es gab kein Zurück mehr. Gleich würde ganz Amerika bemerken, dass sein Wissen erschöpft war, dass er dem Land nichts mehr zu geben hatte. Ob man ihn gegen irgendeinen gefangenen CIA-Spion austauschen würde?

    Koshkins Finger verkrampften sich um die Armlehnen des Sessels, seine Knöchel traten weiß hervor. Er ärgerte sich, über das Schicksal und über sich selbst. Warum nur hatte er sich auf diesen dämlichen Termin eingelassen? Seine verdammte Eitelkeit war schuld, wieder mal. Er würde es nie lernen.

    Die Titelmelodie der Sendung wurde über Lautsprecher eingespielt.

    »Sie sehen das Thema des Tages«, erklang die Stimme eines Ansagers. »Ihr Gastgeber ist John Weinstein.«

    Eine Kamera rollte auf die Sitzgruppe und auf Weinstein zu. Der Journalist blickte mit ernstem Gesicht ins Objektiv. Die Karteikärtchen hielt er unauffällig in den Händen.

    »Guten Abend!«, begrüßte er sein Publikum. »Ganz Amerika ist schockiert über den künstlichen Mond, den die Sowjetunion vergangene Woche in eine Umlaufbahn um unseren Planeten gebracht hat. Wir fragen uns: Wird 1957 das Jahr, in dem die Russen das Wettrennen zu den Sternen für sich entscheiden? Was haben Amerikas Forscher ihren kommunistischen Kollegen und dem Sputnik entgegenzusetzen?«

    Er machte eine Kunstpause, ließ seine sonore Stimme nachwirken und setzte einen betroffenen Blick dabei auf. Man musste es ihm lassen, Weinstein war ein Meister der Inszenierung. Koshkin verachtete ihn dafür.

    »Bei mir im Studio sind als Experten heute Abend der Wissenschaftler und Raketenforscher Wernher von Braun, den sicher jeder kennen dürfte.«

    Wieder folgte eine kurze Pause, die der Deutsche nutzte, um selbstgefällig in die Kamera zu lächeln.

    Koshkin kämpfte den Drang nieder, aufzuspringen und den Moderator zu schütteln. Wissenschaftler, echote es in ihm. Galt jetzt etwa jeder, der bessere Feuerwerkskörper zusammenschrauben konnte, schon als Forscher? Wie deprimierend!

    »Und zu meiner Linken«, fuhr Weinstein fort, »Professor Boris Koshkin, neunundfünfzig Jahre alt, ehemals Moskaus führender Astrophysiker. 1942 nach Amerika emigriert und seither wissenschaftlicher Berater des Pentagon und der CIA. Zu ihm kommen wir später.«

    Eine zweite Kamera richtete sich auf den Professor. Das Objektiv bohrte sich förmlich in sein Gesicht.

    Koshkin lächelte hilflos. Seine Hand fuhr in die Jackentasche, als hätte sie einen eigenen Willen, und fasste nach der Uhr.

    Natasha, dachte er unwillkürlich. Mein Mädchen. Das Kind war alles, was ihm geblieben war. Nun würde er sich gleich um Kopf und Kragen reden und er würde schließlich auch sie verlieren. Es war ein Jammer.

    Weinstein wandte sich dem Raketenforscher zu, legte in Denkerpose die Hand ans Kinn. »Doktor von Braun, Sie werfen der US-Regierung Zögerlichkeit vor und verurteilen das Vanguard-Programm der Navy als Irrweg.«

    »Das ist richtig«, antwortete von Braun. Er richtete den Oberkörper auf und zeigte sein gewinnendes Lächeln. »Mein Team und ich hätten bereits vor einem Jahr mit unserer Jupiter-C-Trägerrakete einen Satelliten ins All schießen können. Man verweigerte uns die Zusage.«

    Angespannt lauschte Koshkin dem Gespräch, hielt den Blick gesenkt. Unbewusst zog er die Uhr aus der Tasche, klappte den Deckel auf und wieder zu, steckte sie wieder weg und spielte mit der Kette, an der sie befestigt war. Die Ader an seinem Hals pochte.

    Der Raketenbastler sprach zwar mit deutschem Akzent, doch in klarem Englisch. Besser jedenfalls als das seine. Es machte Koshkin wütend. Wie immer, wenn jemand etwas besser konnte als er.

    »Aus informierten Kreisen wurde uns zugetragen, Sie hätten Verteidigungsminister McElroy versprochen, den Satelliten in sechzig Tagen starten zu können. Ist da etwas dran?«

    Von Braun schmunzelte. Es wirkte bescheiden und charmant, aber Koshkin kaufte ihm die Geste nicht ab. Sie galt nur den Kameras, war genauso einstudiert wie seine »Ich war kein Nazi«-Show.

    Seine Gedanken wanderten in die Vergangenheit. Zurück ins Jahr 1942, als Albert Speer ihm ein verlockendes Angebot gemacht hatte. Wenn er damals nur so skrupellos gewesen wäre, es anzunehmen, anstatt nach Amerika zu gehen – die Deutschen hätten den Krieg womöglich gewonnen und niemand würde heute über diesen unsäglichen von Braun sprechen.

    Auf jeden Fall hätten sie besser bezahlt als die Kapitalisten, überlegte er.

    »Das ist korrekt, Mr. Weinstein«, entgegnete von Braun, riss Koshkin wieder ins Hier und Jetzt. »Wir haben die Technologie praktisch auf Lager, wir müssen sie nur einsetzen.«

    »Professor von Braun …«

    Da platzte Boris Koshkin der Kragen. Hatte er richtig gehört?

    »Professor?«, schrie er fassungslos. »Von Braun ist nix Professor!«

    Was für ein Affront, dachte er.

    Sofort ruckte eine Kamera zu ihm herum. Auch Weinstein wandte sich ihm zu, einen Augenblick lang offenbar unfähig, etwas zu sagen. Dann fing der Journalist sich wieder.

    »Sie meinten, Professor Koshkin?«, fragte er ohne Vorwurf in der Stimme.

    Koshkin krallte die Finger in die Luft. »Ich Professor. Er nur Doktor.«

    Für Sekunden herrschte eisiges Schweigen. Koshkin hörte sein eigenes Blut in den Ohren rauschen.

    Von Braun entgegnete heiter: »Mein Kollege möchte darauf hinweisen, dass ich lediglich promoviert habe, während er in Moskau Astrophysik unterrichtet hat.«

    »Das richtig!«, rief Koshkin und ballte die Hand zur Faust. Seine Rechte fasste wieder nach der Uhr.

    »Aber ist es nicht so, werter Kollege«, legte der Deutsche nach, »dass Ihre Professur im Augenblick Ihres Überlaufens erloschen ist? Sind Sie streng betrachtet seit 1942 nicht auch ›nur Doktor‹?«

    Einen Moment lang fühlte Koshkin sich überrumpelt. Dann klappte er den Mund zu und schüttelte heftig den Kopf. Das war natürlich blanker Unsinn, so funktionierte das nicht und von Braun war das sicher auch klar. Sein Gegner versuchte, ihn lächerlich zu machen. Aber so einfach würde er es diesem Ex-Nazi nicht machen!

    »Einmal Professor, immer Professor«, stellte er richtig und schickte gleich hinterher: »Besserer Wissenschaftler bin ich auch.«

    Von Braun hob die Augenbrauen, beugte sich zu ihm vor. Er gab sich interessiert. »Besser als ich?«, fragte er mit liebenswerter Freundlichkeit.

    Koshkin nickte brummend. Innerlich verfluchte er sich. Er ahnte, welche Worte als Nächstes aus dem Mund seines Erzfeindes kommen würden, hoffte klammheimlich, dass Weinstein sich einmischen und den Streit unterbinden würde.

    Die Hoffnung erfüllte sich nicht: Der Moderator verschränkte die Arme und hielt sich zurück, um dem Drama seinen Lauf zu lassen. Vermutlich freute er sich über das quotenträchtige Spektakel, das Koshkins Ausbruch darstellte.

    »Helfen Sie mir auf die Sprünge«, lachte von Braun. »Welche fundamentalen Entdeckungen oder wissenschaftlichen Erkenntnisse gingen in den letzten fünfzehn Jahren auf ihr Konto, Professor Koshkin?«

    »Ich …«

    »Soweit ich informiert bin, haben Sie nicht mehr geforscht, seit Sie in Amerika sind. Ein kritischer Beobachter könnte sagen, Ihre Karriere sei vorbei.«

    Koshkin schwieg verbittert, kniff die Lippen zusammen. Das war er, der befürchtete Angriff. Mal wieder führte von Braun ihn vor, demütigte ihn. Im Fernsehen diesmal sogar!

    Und das Schlimmste war: Eigentlich hatte er recht. Mit allem. Was hatte er schon geleistet, außer russische Forschungsgeheimnisse auszuplaudern und sich die Rückkehr nach Hause für alle Zeiten zu verbauen?

    Wieder fasste er nach seiner Uhr, zum hundertsten Mal, diesmal jedoch ganz bewusst. Amanda hatte sie ihm geschenkt, als er ihretwegen nach Amerika gekommen war. Ein halbes Jahr später war sie tot gewesen und er alleine in einem fremden Land, mit einer Tochter, die kein Wort Russisch sprach. Und heute war er immer noch hier. Es war eine von vielen, vielen Fehlentscheidungen in seinem Leben. Ein metallischer Geschmack machte sich auf seiner Zunge breit.

    »Ich verhinderte Drittes Weltkrieg mit Beraterjob«, machte er einen schwachen Rettungsversuch, während er den Deckel der Uhr auf- und wieder zuschnappen ließ. »Mein Wissen über Sowjetforschung sicherte Gleichgewicht der Kräfte«.

    Von Braun lehnte sich zurück und verschränkte ebenfalls die Arme. Sein Blick war mitleidig. Das Gefühl mochte sogar echt sein.

    »Das mag sein«, sagte er bedächtig. »Wenigstens haben Sie sich den Richtigen verkauft. Aber wie viel können Sie über den Sputnik schon noch wissen, so lange, wie Sie schon hier sind?«

    Ihre Blicke trafen sich. Eine gefühlte Ewigkeit lang starrten sie einander in die Augen.

    Der Deutsche hatte ins Schwarze getroffen und sie beide wussten es. Koshkin hatte seine Nützlichkeit verloren. Er konnte seinen Teil der Vereinbarung mit dem Pentagon nicht mehr einhalten.

    Der Professor schluckte. Ein Bild der Zukunft zwang sich ihm auf. Sie würden ihn ausliefern, keine Frage. Und zu Hause würde er leiden. Dieser Bauer Chruschtschow mochte persönlich dafür sorgen. Im Kreml nahm man Verrat nicht auf die leichte Schulter.

    Koshkin ließ die Schultern sinken. Er fuchtelte in der Luft herum, rang nach Worten. Vor seinem geistigen Auge sah er sich bereits in einem sibirischen Arbeitslager schuften, mit erfrorenen Gliedern, wenn Serows KGB-Schergen erst mit ihm durch waren. Er sah Natasha, sich selbst überlassen mit ihrem Verlobten Geoffrey. Diesem Bezdelnik, diesem Nichtsnutz, den sie heiraten wollte. Heiraten würde, wenn er nicht da war, um es zu verhindern.

    Ausgerechnet einen Ingenieur hatte sein Mädchen sich ausgesucht. Einen Schrauber, genau wie von Braun! Von Koshkins persönlichen Niederlagen war das diejenige, die am schwersten wog.

    Es musste einen Weg geben, sich wieder ins Spiel zu bringen. Zu beweisen, dass er immer noch das größte Genie der Welt war. Dass die Amerikaner nicht auf ihn verzichten konnten.

    »Rakete kann jeder bauen«, wehrte er sich. Seine Hand schnitt durch die Luft. »Rakete ist nicht Sternenantrieb. Ist nur für Mond, nicht für andere Planeten gemacht.«

    Von Braun lachte amüsiert. Diesmal war es bestimmt nicht gespielt. »Nein, das ganz sicher nicht. Aber solange Sie keinen solchen … Sternenantrieb erfunden haben, glaube ich nicht, dass das meine Leistung schmälert. Sie etwa?«

    Koshkin zögerte. Plötzlich kam ihm eine Idee. Sollte er vielleicht einfach …

    Warum nicht?

    Was hatte er noch zu verlieren? Er musste ja nur lange genug in Amerika bleiben, um zu verhindern, dass seine Tochter diesen Ingenieur heiratete. Länger nicht. Wenn sie ihm danach auf die Schliche kamen und ihn abschoben – das sollte ihm recht sein.

    Seine Idee war schäbig, das war ihm klar. Ein Mittel zum Zweck. Aber sie konnte sein rettender Strohhalm sein.

    Er ergriff ihn.

    »Ich habe nicht erfunden«, sagte er und setzte sich gerade hin. Er legte die Hand auf die Hüfte, spürte die Uhr durch den Stoff. »Aber bin kurz davor.«

    »Sie stehen davor, ein interplanetares Triebwerk zu erfinden?«, prustete von Braun und zeigte dem Russen ungeniert den Vogel. »Das ist lächerlich, das ist …«

    Weinstein, der bislang schweigend zugehört hatte, riss unvermittelt den Zeigefinger nach oben. Er räusperte sich.

    »Einen Augenblick, Doktor von Braun«, brachte er den Deutschen zum Schweigen. »Der Professor galt einst als mutmaßlich klügster Kopf der Erde. Ich möchte das gerne hören, Professor Koshkin. Erzählen sie uns von diesem … Sternentriebwerk.«

    Koshkin rang noch einmal mit sich selbst. Dies war die letzte Chance, es sich noch einmal anders zu überlegen: Sollte er die Nummer durchziehen? Von Braun, Weinstein, ja die ganze Welt belügen? Noch konnte er alles als Missverständnis abtun, es auf sein schlechtes Englisch schieben.

    Tu es!, sagte seine innere Stimme.

    Rasch versuchte er, sich eine plausible Gleichung einfallen zu lassen, die er auf die Schnelle als Funktionsprinzip verkaufen könnte. Sein Gehirn ließ ihn im Stich. Ja, er hatte mal an so einer Hypothese gearbeitet, war aber nie zu einem befriedigenden Ergebnis gelangt. Einsteins Theorien waren ihm im Weg gewesen, diese dämliche Masse-Energie-Äquivalenz. Jetzt und hier würde er dieses Problem auch nicht lösen. Nicht, wenn man ihm derart die Pistole auf die Brust setzte. Er würde improvisieren müssen.

    »Jupiter und zurück in 48 Stunden«, hörte er sich sagen. »Lichtgeschwindigkeit in drei Tagen.« Er tippte sich gegen die Schläfe. »Ich habe theoretisches Grundlage in Kopf. Muss nur noch Raumschiff dazu bauen.«

    »Sie sind ein Lügner!«, rief von Braun, jetzt gänzlich entrüstet, und sprang aus dem Sessel. Er baute sich vor dem Professor auf. Jeder Charme war aus seinem Gebaren gewichen.

    Weinstein legte ihm die Hand auf den Ärmel, drückte ihn sanft in den Sitz zurück. »Doktor von Braun, mäßigen Sie sich!«

    Koshkin hatte sich mittlerweile wieder in der Gewalt. Mit stolzer Brust saß er da und setzte sein breitestes Lächeln auf. »So sieht man, wie Sie sind, von Braun«, dozierte er triumphierend. »Sie sich sonnen in eigenes Erfolg, niemals gönnen Erfolg von anderen.« Tadelnd schüttelte er den Kopf.

    Dabei konnte er dem Deutschen seinen Zorn gar nicht verübeln. Was er da gerade behauptet hatte, war ein Ding der Unmöglichkeit. Ein solches Triebwerk konnte man nicht bauen und von Braun wusste das. Aber wie er zufrieden feststellte – Weinstein wusste es nicht. Und bestimmt auch nicht die meisten Amerikaner.

    »Sicher würde das Publikum gerne erfahren, wie der Koshkin-Sternenantrieb funktioniert. Können sie das kurz erläutern?«

    Koshkin winkte ab. Irgendwie süß, fand er, dass der Journalist ihm diese Erfindung tatsächlich zutraute.

    »Zu kompliziert für Tante Martha aus Kentucky«, entgegnete er jovial. Er wies auf den Deutschen, lachte dabei. »Und Wernher könnte klauen.«

    Von Braun fiel die Kinnlade herunter. Fassungslos schüttelte er den Kopf. Das Gespräch hatte wohl eine Wendung genommen, mit der er nicht gerechnet hatte.

    Professor Koshkin genoss das ungewohnte Gefühl. Endlich, ein Sieg. Eine gewonnene Runde in ihrem endlosen Schlagabtausch.

    »Das ist sensationell!«, plapperte Weinstein aufgeregt. Anscheinend glaubte er, einer großen Sache auf der Spur zu sein. »Nur um es klarzustellen: Bedeutet das, genug Geld und Personal vorausgesetzt, das amerikanische Volk könnte mit Ihrer Hilfe bald den Mars oder die Venus besiedeln?«

    »Ja, das bedeutet es. Zwölf Monate, und Raumschiff fliegt.«

    Er hatte es noch nicht ausgesprochen, da dämmerte Koshkin der Denkfehler in seinem Plan. Was er da gerade von sich gegeben hatte, war ein Versprechen. Vor laufenden Kameras, vor der ganzen Welt. Wenn er Pech hatte, trat er damit ein Medienereignis los. Das wäre übel. Er würde dieses Raumschiff bauen müssen, während die Menschheit zusah. Aber weit schlimmer: Sein angeblicher Sternenantrieb musste am Ende funktionieren. Wie auch immer. Sonst flog sein Schwindel auf.

    Ich bin so ein verdammter Idiot!, dachte er, während er voller Zuversicht in die Kamera lachte.

    Zwei

       

    Sputnik-Schock

    11. Oktober 1957

    20:08 Uhr

    Irgendwo im Asteroidengürtel

    Piep, piep, piep, piep.

    Ein dünnes, regelmäßiges Pfeifen drang aus den Schallfeldern. Pokollon’Mi-Rotticam raschelte verwirrt mit den Blütenblättern. Er riss sämtliche Fünfaugen auf und lugte in das Halbrund seines unfreiwilligen Gefängnisses. Das Geräusch hatte ihn aus dem Dreijahresschlaf geweckt.

    Was ist das nun wieder für eine Teufelei?, dachte er schlaftrunken und hangelte sich näher an die Armaturen heran.

    Sein Adjutant wuselte aufgeregt vor dem Zentralbildschirm herum. »Heiliger Mutterbusch, du heiliger Mutterbusch!«, summte er hastig und schlug einen Salto unter der Decke. »So hören Sie doch, Pokollon’Mi-Rotticam!«

    »Ich höre es, Mitbürger«, antwortete der Wissenschaftler streng und zwang sich zur Ruhe. Seine Müdigkeit verflog schlagartig. Bloß nicht von der Aufregung anstecken lassen!, befahl er sich. Gefasster fuhr er fort: »Es piept. Aber was bedeutet es?«

    »Das fragen Sie noch, fragen Sie noch?« Tebo’Le-Pittgom hangelte zu seinen Vorgesetzten hinüber, übersprang in einem Satz mehrere Haltestreben, dann ließ er sich an zweien seiner vier Krallen von der Decke baumeln. Seine Blütenblätter zitterten wild. »Unser Ticket nach Hause, Pokollon’Mi-Rotticam, zurück zu den Gärten von Mokkossh.«

    »Sie meinen …?« Er ließ den Satz unvollendet; gespannt und fassungslos lauschte er dem stetigen Piepen. Nach Hause, dachte er, mit wilder, plötzlich aufkeimender Hoffnung. Raus aus diesem strauchverlassenen Sonnensystem, nach all der Zeit.

    Die Rückkehr aus dem unfreiwilligen Exil und das Ende der Beobachtungsmission, zu welcher der General sie verdonnert hatte – plötzlich schienen sie greifbar.

    Nervös wiegte Pokollon’Mi-Rotticam sich hin und her. Sein Same würde doch im Boden der Heimat keimen, anstatt hier auf diesem Asteroiden, in dieser Gesteinswüste zu vertrocknen. Wie tröstlich!

    »Sie haben es geschafft, diese widerlichen, abstoßenden Tierkreaturen«, sirrte Tebo’Le-Pittgom aufgeregt, das jugendliche Gelb seiner Schale nahm einen leichten Orangestich an. »Sie haben endlich die Technologie entwickelt. Bald werden sie ihren Planeten aus eigener Kraft verlassen.«

    Ein säuerlicher Duft entströmte Pokollon’Mi-Rotticams Blütenstempel. Er war gerührt wie lange nicht mehr. Dreihundert Planetenumläufe der Verbannung, endlich vorbei.

    Der Forscher hatte nicht mehr damit gerechnet. Zweimal hatten die Fauniden schon versucht, sich in sinnlosen Kriegen auszulöschen, zuletzt mit der Kraft des entfesselten Atoms. Zum Glück war es nicht so weit gekommen. Pokollon’Mi-Rotticam hatte sie recht lieb gewonnen, diese Menschen. Und nun, endlich, lieferten sie ihm sein Ticket nach Hause.

    Selig ließ er den Blick durch die Zentrale streifen: kastenförmige Aggregate vor grauen Wänden und unter silbrigen Deckenstreben. Braungrüner Belag bedeckte den Untergrund. Kurz, der langweiligste Raum des Sonnensystems. Bald würde er das alles hinter sich lassen.

    Mit dem Handlungsarm deutete der Wissenschaftler zum Schallfeld. »Was ist das für ein Piepen?«, fragte

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