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Politik
CASH hat nachrecherchiert: Am Anfang der Welle von «Enthüllungen» über jüdische
Guthaben, Nazi-Gelder und Nazi-Goldtransaktionen, die der Schweiz fast
wöchentlich neue internationale Negativ-Schlagzeilen beschert, stand die fahrlässig
in die Welt gesetzte Zeitungsente eines israelischen Journalisten. Seine durch nichts
gestützte Behauptung, auf Schweizer Banken lagerten für «7,7 Milliarden Franken»
Holocaust-Gelder, weckte die jüdischen Organisationen auf. Seither läuft die
Kampagne eigendynamisch auf Hochtouren.
Shraga Elam*
Angefangen hat alles ganz harmlos mit einer Einfachen Anfrage des damaligen
Freiburger SP-Ständerats Otto Piller: Am 6. Dezember 1994 bezog er sich auf
deutsche Pressemeldungen, wonach einige Schweizer Banken einen unerklärlichen
Zuwachs im Eigenkapital vorwiesen. Es sei der Verdacht entstanden, dass diese
Banken Schwarzgelder, aber auch nachrichtenlose Vermögen in ihr Eigentum
überführen würden.
Piller, der dabei weder die Begriffe «jüdisch» noch «Nazi» verwendete, wollte
wissen, ob der Bundesrat und die Eidgenössische Bankenkommission (EBK) über
solche Vorgänge informiert seien; falls ja, warum denn nicht die Staatskasse solche
gewissermassen «herrenlos» gewordenen Vermögenswerte übernehme.
Am 15. Februar 1995 kam die Antwort des Bundesrats. Die EBK hatte die Sache
geklärt: Die Anschuldigungen seien gegenstandslos. Im Übrigen war der Bundesrat
der Auffassung, dass «im Interesse des Bankenplatzes Schweiz die Nachforschung
Berechtigter nach Guthaben bei Schweizer Banken erleichtert werden könnte».
Beat Balzli, Wirtschaftsjournalist bei der «Sonntags-Zeitung», griff das Thema, das
bisher während Jahren geschlummert hatte, auf. Er recherchierte im ETH-Archiv für
Zeitgeschichte und stiess dort auf eine nicht zur Veröffentlichung bestimmte Studie
des Berner Historikers Jacques Picard zur Frage der jüdischen «herrenlosen»
Vermögen.
Mit dieser Studie hatte es folgende Bewandtnis: In Israel kämpfte der ausgewanderte
Schweizer und ehemalige Kassierer der Jewish Agency, Akiva Lewinsky, seit Jahren
vergeblich in der Angelegenheit der Vermögen jüdischer Nazi-Opfer in der Schweiz.
Anfang der neunziger Jahre erteilte er dem jüdischen Historiker Picard den Auftrag,
im Schweizerischen Bundesarchiv abzuklären, was für Möglichkeiten bestünden, in
dieser Sache ein biss chen weiter zu kommen.
Das Resultat der Arbeit Picards stand im Januar 1993 zur Verfügung, brachte aber
eigentlich nichts Neues - weder ein «knackiges» Dokument noch Hinweise auf
weitere Recherchemöglichkeiten in diesem Archiv. (Dabei ist es erstaunlich, dass
Picard so relevante und viel versprechende Bestände wie die Akten der
Schweizerischen Verrechnungsstelle unerwähnt liess.)
Die Jewish Agency setzte jetzt den Journalisten Itamar Levin von der israelischen
Wirtschaftstageszeitung «Globes» an - mit viel mehr Erfolg, wie sich bald zeigen
sollte: Im April machte er in «Globes» mit der Behauptung weltweit Schlagzeilen, er
habe im Zionistischen Archiv in Jerusalem ein «offizielles Dokument» ausgegraben,
wonach sich die Schweizer Behörden 1946 verpflichtet hätten, eine globale
Entschädigung für die jüdischen «herrenlosen» Vermögen in der Höhe von (damals)
300 Millionen Schweizer Franken zu bezahlen.
Niemand bestand darauf, dass Levin sein sensationelles Dokument offen lege. Eine
Ausnahme machte das Schweizer Nachrichtenmagazin «Facts», welches das
Angebot erhielt, gleichzeitig mit «Globes» die Recherche Levins zu veröffentlichen.
Levin musste «Facts» eine Kopie dieses Dokuments faxen. CASH veröffentlicht es
hier zum erstenmal: Die «Sensation» ist nur eine lächerliche Luftblase.
Erstens ist das Papier in keiner Weise «offiziell», sondern nur ein harmloses internes
Informationsblatt der Schweizerischen Zentralstelle für Flüchtlingshilfe. Zweitens hat
es mit der Frage der jüdischen Guthaben überhaupt nichts zu tun: Das Blatt enthält
eine knappe, sachliche Zusammenfassung der Bestimmungen des sogenannten
«Washingtoner Abkommens», das die Schweiz und die Westalliierten im Mai 1946
geschlossen hatten.
Darin verpflichtete sich die Schweiz, 250 Millionen Franken zur Regelung der
Nazigold-Frage an die Alliierten zu zahlen; ferner sofort 50 Millionen an Vorschüssen
auf die ebenfalls beschlossene Liquidation der deutschen Guthaben in der Schweiz;
diese Vorschusszahlungen waren für Organisationen zur Wiederansiedlung von -
mehrheitlich jüdischen - Flüchtlingen bestimmt.
Levins «Glück» war, dass er kein Deutsch kann. Auf das Blatt stiess er, weil er es in
einem Sammeldossier abgelegt fand, dass tatsächlich die jüdischen Guthaben zum
Thema hatte. Sein fantastischer Betrag beruht auf einer - fahr lässigen - Verkettung
von Miss verständnissen und Fehlinterpretationen. Statt diese ziemlich
ungeheuerliche Ente zu entlarven, beschloss «Facts», die ganze Geschichte einfach
fallen zu lassen. Als Übersetzer des Textes machte ich Levin auf seinen Fehler
aufmerksam und riet ihm, diesen richtig zu stellen. Levin rückte jedoch nicht von
seiner zentralen Behauptung ab. Im Übrigen erntet Levin von seinen israelischen
Berufskollegen für seine «Leistung» bis heute nur Beifall und Lob.
Der Einsatz des WJC war zuerst zaghaft; man liess sich zunächst sogar auf die
Beruhigungsversuche der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) vom
September 1995 ein. Damals veröffentlichte die SBVg gerade die Resultate ihrer
Umfrage, die sie bei der Hälfte der in den vierziger Jahren tätigen Schweizer Banken
durchgeführt hatte; sie behauptete, die «nachrichtenlosen» Vermögen beliefen sich
auf 38,7 Millionen Franken. Das Thema verschwand vorübergehend wieder aus den
Zeitungen.
Am 7. Februar 1996 verkündete die SBVg einseitig, es bleibe bei der Erhebung der
38,7 Millionen. Das erzürnte die WJC-Führung, die sich an den befreundeten US-
Senator Alfonse D'Amato wandte. Jetzt erst ging die Hölle los: Die Geschichte
gewann Eigendynamik und scheint nicht mehr zu bremsen zu sein.
Der Schweiz bleibt als einziger Weg die Flucht nach vorn, nämlich die konsequente
Offenlegung allen vorhandenen Materials.
*Shraga Elam ist ein in Zürich lebender israelischer Pressedokumentalist und freier
Journalist. Er befasst sich seit Jahren mit Recherchen im Umfeld der Kriegs- und
Nachkriegszeit.
Das «hochbrisante offizielle Dokument» entpuppte sich als blosse Notiz zum
Washingtoner Abkommen.