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PETER SLOTERDIJK

Peter Sloterdijk
und die
Ökonomie
Sloterdijk: „Die Philosophen haben
den Gesellschaften nur verschieden
geschmeichelt; es kommt darauf an, sie zu
provozieren.“1)

Von Simon Bichlmaier

Angesichts der Ratlosigkeit Die Provokation


selbst der Experten in der erst Wird Sloterdijk seinem eigenen Anspruch zur Gänze
gerecht? In vielen Bereichen eindeutig: ja. Medien, Poli-
am Beginn stehenden Finanz- tik, Zeitgeist, etc., seine Bücher sind in vielerlei Sicht inte-
markt- und Wirtschaftskrise ressant, entlarvend, tiefere Beweggründe, Motivationen
sticht ein Mann mit seiner Dar- und plausible Erklärungen aufzeigend. Aus diesen Grün-
den habe ich sie gelesen, mich durch all die anspruchs-
stellung des Erkennbaren und voll-sprachkünstlerischen Formulierungen gearbeitet, die ja
den dahinter stehenden Wir- auch einen gewissen Reiz ausmachen.
kungskräften besonders hervor. Doch gerade im Bereich Geld und Ökonomie fällt die
Der Philosoph Peter Sloterdijk sloterdijksche Entgegnung zur plakativen Schulmeinung,
der entlarvend-logische Fingerzeig, teilweise etwas zag-
bricht Tabus und zeigt Zusam- haft aus oder fehlt auch in m.E. nach eminent-wichtigen
menhänge auf, die in den all- Bereichen gänzlich. Der, stets als ausweglos suggerierte,
täglichen Medienberichten so Kapitalismus wird zwar bis in so mache – anderorts kon-
sequent tabuisierte – Bereiche offengelegt, doch bzgl. der
nicht zu vernehmen sind. Zur Globalisierung bleibt seine Betrachtung konsequent im
Bewältigung der Krise lohnt „System-ungefährlich“-Unkonkreten.
es sich seine Gedanken auf-
zugreifen und weiter zu füh- Doch zunächst: Sloterdijk und der Kapitalismus
Nehmen wir Peter Sloterdijk beim Wort und lassen uns in
ren, was jedoch nicht kritik- Bezug auf die Ökonomie von diesem herausragenden Philo-
los geschehen darf, denn auch sophen provozieren und konfrontieren ihn selbst mit Fakten
die Philosophie beweist in der und Inhalten, denen er sich bisher noch nicht gewidmet hat.
Folgendes ist anerkennend vorauszuschicken: Nur weil
Stunde, in der es wie selten Sloterdijk wesentliche Kapitalismus-Wahrheiten überhaupt
auf das „Denken“ ankommt, so ausspricht, kann er hierin auch sinnvoll weitergedacht
manche Schwäche. werden.

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Er benennt immer wieder auch die tieferliegenden spektakulär anzusehen wären) muss eine vorherige Thema-
Mechanismen und systemischen Zwänge unseres heutigen tisierung wohl zwingend vorausgegangen sein.
kapitalistischen Wirtschaftens: Zinsproblematiken, wie Ich will im Folgenden die Aussagen Sloterdijks zu den
durch diesen bedingter Mindest-Wachstumszwang, Schul- in unserem Zusammenhang relevanten Themen aufzeigen
denkollaps-Gewissheiten, Krisenausweglosigkeit – und und kritisch-konstruktiv weiterdenken.
richtet, wie zu zeigen sein wird, den Blick sogar auch auf
ziemlich flächendeckend unausgesprochene Wahrheiten,
beschreibt mit all dem immerhin auch Zusammenhänge und Allgemeines zur
Fakten, die bis heute nicht aus der Lehr- und Fachliteratur Ökonomie-Betrachtung Sloterdijks:
der Ökonomie herauszulesen sind und teilt uns Geld-Wahr- Sloterdijk blickt prinzipiell mit denselben kategorischen
heiten mit, die wir z.B. von unseren Verantwortlichen bei der Grundannahmen auf das kapitalistische Geschehen, wie
Deutschen Bundesbank oder der EZB so nicht erfahren. nahezu alle seine Fachkollegen. Diese Sicht der Dinge
Kurz: Den schönstmöglichen Schein erhalten wir zuver- beschreibt auch die per se-Darstellung der Mainstream-
lässig vom Verantwortlichen- und Institutionen-Mainstream, Ökonomie, wie auch jene der Mainstream-Medien. Der kate-
viele bemerkenswerte kritische Wahrheiten auch von Slo- gorische Kernsatz der Intellektuellen-Ökonomie-Betrach-
terdijk – nur scheint auch er keine ursächlichen Lösungen tung lautet: Es gibt entweder Kapitalismus oder Kommunis-
für all die so deutlich anwachsenden Probleme zu kennen. mus – Punkt.
Für einen aufwendig-reflektierenden Ökonomiebetrachter, Diese Aussage soll heute – nach dem offenkundigen
der auch die Erkenntnisse der Freiwirtschaftslehre kennt, Scheitern des Kommunismus – einen gewissermaßen natur-
ist dies so natürlich nicht widerspruchslos zu akzeptieren. gegebenen Kapitalismus suggerieren. Es gibt kein „Drittes“,
Wobei ich diese Kritik präzisieren möchte: Ich bean- den kapitalistischen Problemen sei möglichst optimal zu
stande natürlich nicht, dass Sloterdijk kein Befürworter der begegnen, besser ginge es nicht.
Freiwirtschaftslehre Silvio Gesells ist, sondern – zunächst –
lediglich, dass er diese nicht einmal thematisiert. An man- Die „Problemzonen“ des
chen Stellen seines Werkes kann man als Informierter kapitalistischen Wirtschaftens:
zwar überraschend naheliegend vermuten, dass er mit so Sloterdijk zeigt an vielen Stellen seines Werkes auf, dass die
manchen Formulierungen die Freiwirtschaftslehre meinen Mehrheit der Menschen mit dem Kapitalismus tendenziell
könnte, mit Gewissheit sagen lässt sich dies aber nie. Die auf härtere Zeiten zusteuert, dass er ein System mit zwangs-
Existenz einer Lösung, die den Kapitalismus in Richtung läufig wachsenden Verteilungs-Asymmetrien darstellt.
einer wahren, da dauerhaft leistungsgerechten Marktwirt- Die Kunst der verantwortlichen Akteure zeige sich im
schaft hinter sich lässt – ist seinem Gesamtwerk bislang gekonnten Jonglieren mit dem Unvermeidlichen, der maxi-
nicht zu entnehmen. malen Verschiebung des Absturzes. Sloterdijk spricht von
Dies ist eine fatale Lücke im Werk Sloterdijks (wie auch „Kollapsverzögerung in gierdynamischen Systemen“,2) ver-
aller anderen Philosophen?), da die Lösungsansätze der weist auf die Parallele des kapitalistischen Wirtschaftens zu
Freiwirtschaftslehre nichts weniger, als die plausibel-pas- Pyramidenspielen, thematisiert einen „Anspruch“ der „alt-
senden Werkzeuge zur Behandlung der kapitalistischen gedienten Mitspieler“ auf immer weitere leistungslose Ein-
Probleme darstellen würden. Was natürlich – trotz aller kommen – spricht gar aus, was gewöhnlich in der logischen
ermutigenden geschichtlichen Erfahrungen und aller Logik Konsequenz ungesagt bleibt:
– noch letztendlich im Großen und Ganzen zu beweisen Das kreditbasierte Wachstumssystem ist „auf Gedeih
wäre. Mit dem realen Funktionieren der freiwirtschaftlichen und Verderb von erweiterter Reproduktion abhängig“, der
Ideen steht und fällt natürlich auch diese Argumentation. eine „Zusammenbruchstendenz inhärent“ ist.3)
Doch damit dieser Beweis überhaupt eines Tages möglich Der deutliche Hinweis auf diese prinzipiell sichere
werden kann, ist auch von der Philosophie eine angemes- Crash-Zukunft wird gewöhnlich von allen Medien-protegier-
sene Behandlung des Themas zu fordern – Undenkbares ten Intellektuellen konsequent vermieden. Sloterdijk ist
in der Philosophie? Undenkbar! In der argumentativen Aus- hier eine positive Ausnahmeerscheinung, was die Medien
einandersetzung reifen die Gedanken zur wahrschein- wiederum höflich-ignorant zu tolerieren scheinen. In Buch-
lichsten Wirklichkeit – und vor Allem: der Verifizierung des rezensionen und Interviews werden gerade jene Aussa-
Ansatzes (dessen Chancen für die Menschheit durchaus als gen, in denen der Philosoph vielleicht allzu deutlich wurde, >

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Weitblick ...

Also soll der rasende Zug weiter bestmöglich auf den


Gleisen gehalten werden – wissend, dass irgendwann die
letzten Streckenmeter erreicht sein werden:
Das kapitalistische System soll durch die Künste der
Zentralbanken möglichst lange am Funktionieren gehal-
ten werden. Über Zentralbanken sagt Sloterdijk, dass sie
ein Verfahren seien, um Unseriöses seriös zu machen, eine
„Technik der Zusammenbruchsverlangsamung.“10) Slot-
erdijk benennt deutlich den „vom Zins erzeugten Stress“
und sieht in der Zentralbankkunst das gelungene Austarie-
ren der Konjunkturbedürfnisse mit den Schuldenlastproble-
men. Immer mehr neue Schuldner müssten gefunden wer-
den, dass „Spiel“ ginge erst seinem Ende zu, wenn ihm
schon alle beigetreten seien.11)
Die Zukunft muss uns also bekanntermaßen zwangs-
gewöhnlich ignoriert oder schnell übergangen. Und Sloter- läufig „amerikanische Verhältnisse“ bringen. Dort (wie
dijk wird oftmals ziemlich deutlich: auch in England, Spanien, …) sind in letzter Zeit offenkun-
Der Kausal-Zusammenhang Zins/Wirtschaftswachstum dig schon viel zu viele Spieler integriert worden, das kapi-
(der ja bis heute keinem Lehrbuch der Ökonomie zitierfä- talistische Spielende-Szenario wird uns derzeit denkwürdig
hig entnehmbar ist) ist für ihn ein Offensichtlicher: Im kapi- vorgeführt. Sloterdijk nennt dies einen „Methusalem-Kapi-
talistischen Wirtschaften, wird versucht, dem „Zinsdruck talismus kalifornischen Typs“. Dieser erzwinge erhöhte Risi-
mit wirtschaftlichem Wachstum zu antworten.“4) Sloterdijk kobereitschaften immer größerer Bevölkerungsteile, eine
sieht dies als bisher relativ gut gelungen an, die letzten 500 immer generalisiertere schuldenbasierte Konsumgesell-
Jahre wären insgesamt zufriedenstellend verlaufen (was schaft, die immer größere Teile ihrer „Lebenszeit mit Til-
natürlich auch konträr diskutiert werden könnte). Die wei- gungsgeschäften zuzubringen“ hätten.12)
tere Zukunft dessen betrachtet er aber durchaus skeptisch. Hier wird von den sicheren Krisen von Morgen gespro-
Eine Möglichkeit den Kapitalismus zu verlassen, sieht er chen. Diese für prinzipiell – „naturgegeben“ – unvermeid-
nicht. Bestenfalls könne er eines Tages sich selbst überwin- bar zu halten, scheint allerdings weiterhin oberste Intel-
den, „seine eigene Steigerung in einen Postkapitalismus“ lektuellen-Pflicht zu sein. Nicht ursächlich hinterfragen
vollziehen, diese Verwandlung könne dann allerdings nur oder gar zur Inspiration „Überwindung des Zinssystems“
eine Form von Systemvermischung zwischen Kapitalismus in Internet-Suchmaschinen eintippen, nur beobachten und
und Sozialismus hervorbringen. Hierdurch wird ein wirk- beschreiben.
licher „Dritter Weg“ wieder als bisher „unbekannt“ sugge- So spricht Sloterdijk von der Gruppe der ca. 10 Millionen
riert: „Also nichts Neues unter der Sonne?“5) globalen Millionäre als eine neue Art Adel. Sie redeten vor-
Der Zins wird also auch bei Sloterdijk wie ein Naturge- wiegend Genealogisches, verstünden sich als eine neue „ver-
setz der Geldwirtschaften behandelt, die „ständige Flucht wandschaftsähnliche“ Gruppierung, die sich mit sich selbst
nach vorn“ als ehernes Paradigma zur Krisenverzögerung.6) am besten vertrage. Der neue Geld-Feudalismus wäre am
Er sagte zwar schon einmal, dass jene, die das immer- liebsten unter sich, in der Welt der unbegrenzten Möglich-
forte Wirtschaftswachstum in Frage stellten, nichts weniger keiten das Leben mit anderen Privilegierten genießend.13)
ins Spiel brächten, als das Problem, ob und wie man die- Eine Gesellschaftsgruppe, die nur auf eines achten
sen, seit Jahrhunderten ins Ungewisse rasenden, „Nacht- müsse, um dauerhaft im Spiel zu bleiben: Dass sie ihr Geld
zug zum Stehen bringen kann – oder ob es wenigstens eine nicht schneller ausgibt, als es sich vermehrt. Doch aus wel-
Umleitung für ihn gibt“7), doch konkrete „Bremsvorschläge“ chen Gründen herrschen die heutigen Rahmenbedingen
könnten in den Universitäten selbst nicht mehr erdacht wer- des unauffällig-automatischen Nehmens und Gebens?
den, da diese sich der immer schnelleren Weiterfahrt schon
längst voll verschrieben hätten.8) Zur Frage, ob es über- Die kategorisch-behauptete Ungestaltbarkeit des kapitali-
haupt Alternativen hierzu geben könne, stellt er allerdings stischen Ökonomie-Geschehens – national wie global – wie
selbst nur suchende Fragen – denen er leider auch keiner- auch das beharrliche Ignorieren der grundlegenden Unter-
lei potentielle Antworten zuzuordnen weiß.9) Im großen Fun- schiede zwischen Marktwirtschaft und Kapitalismus, wie
dus der ihm bekannten „Alternativbewegungen“ fand sich sie v.a. von Silvio Gesell erörtert wurden, sind meine Kritik-
die Freiwirtschaftslehre Gesells bislang leider noch nie. punkte an den Ökonomie-Betrachtungen Peter Sloterdijks.

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In vielen anderen Darstellungen folge ich seinen Aus- Mit der Nennung dieser nichtmarxistischen Systemthe-
führungen interessiert Wort für Wort, sehe auch an vielen orien erklärt er zwar, dass es etwas anderes gäbe, erläutert
Stellen das Leid und Unrecht auf dieser Erde deutlich the- dies aber nicht näher. Was außer der Freiwirtschaftslehre
matisiert. Potentielle Auswege sollten hierzu aber offen dis- Silvio Gesells könnte mit einer „nichtmarxistischen Sys-
kutiert werden können. Würden diese auch nicht als rich- temtheorie“ gemeint sein? Sloterdijk sagte selbst einmal,
tig oder umsetzbar erachtet, so könnten die Vorschläge dass er an einer „nichtmarxistischen Revolutionstheorie“
dennoch – kritisch bewertet – in die Werke der Philosophie arbeite,19) doch was anderes, außer die ursächliche Verhin-
integriert werden. So ließe sich auf neuem Terrain weiter- derung beständig-umverteilender leistungsloser Besitzein-
denken. Ich hoffe unbeirrt, eines Tages auf Zeilen zu sto- kommen könnte hier als angestrebtes Revolutions-Ziel
ßen, die erkennen lassen, dass auch Sloterdijk von den gemeint sein? Welche sich zuspitzenden Systemprobleme
meisten Büchern, die z.B. meine Erkenntnissuche begleitet könnte es noch geben, die „nichtmarxistisch“ gelöst wer-
haben, schon gehört hat. Er bekundete ja bereits, dass er den sollten? Warum gerade hier immer so unpräzise?
wüsste, dass man sich durch „alternative Buchläden“ aus Die Mechanismen bleiben im Dunkeln. Auf welchen
anderen Quellen informieren lassen könnte, „die den Leser system-kaschierten Wegen landet der Obolus der Arbeiter
mit den ganz anderen Informationen aufladen“ würden.14) bei den – hierzu zumeist wohl unreflektierten – zugewin-
Dies trifft m.E. nach gerade auch in Bezug auf die Ökonomie nenden Vermögensbesitzern und gäbe es gar Mittel und
zu. Damit wäre er dann wohl – wie man auch aus allen15) Ideen, diese langfristig desaströsen Umverteilungen wirk-
anderen Philosophen-Bücher-Literaturverzeichnissen erse- sam zu stoppen – für Kundige: dem Geld mittels Geldhalte-
hen kann – seinen Fach-Kollegen weit voraus. gebühren auch ohne den Zins „Beine“ zu machen?
Die Integration der heutigen Un- und Tabuthemen in Die plausible Untauglichkeit der herkömmlichen „Um-
die zeitgenössische Philosophie: Die modernen Denker, laufsicherer“ Zins und Inflation benennt Sloterdijk nicht. Die
des antiken Diogenes von Sinope wieder würdig: „Auf der Vermögen würden heute nicht mehr als träge Vorräte akku-
Suche nach der verlorenen Frechheit“.16) muliert, die Gelder kehrten immer wieder in die Zirkulations-
Sloterdijk scheint nahe dran zu sein, könnte wohl mit sphäre zurück, um sich Runde für Runde zu vermehren.20)
Leichtigkeit den „Ausguck“ des schon wieder mächtig stot- Dass unser heutiges Geld aber erst mithilfe der Inflation
ternden und bedenklich schlagseitigen Kapitalismus-Kahns in die Banken gelockt wird, um dieser mithilfe des Zinses
„Unsinkbar-XVII(?)“ verlassen, um auch im „Maschinen- entgehen zu können, bleibt außen vor. Die Vermögen sind
raum“ kundig nach dem Rechten zu sehen: „Wer kollektiven leider nach wie vor träge, können nur gegen Bezahlung zum
Reichtum wünscht, muss dem Reichseinkönnen überhaupt Umlauf motiviert werden. Runde für Runde weitet sich die
ökonomiekritisch an die Wurzel gegangen sein“,17) oder – in Arm-Reich-Schere, wachsen die Vermögen und ihre zwangs-
meinen Worten – ausführlicher: Wer dauerhaft möglichst parallel-ansteigenden Schuldenlasten. Offen negative Zin-
homogene Vermögensverteilungen aufrechterhalten will sen (wie vermutlich einzig durch ein umlaufgesichertes
und wenig von gewaltsamen Aufständen und Revolten hält, Geld erreichbar) würden das Geld von selbst umlaufen las-
der muss die Kapitalismus-immanenten Umverteilungs- sen oder zum reinen Werterhalt in die Banken zwingen, um
Mechanismen konsequent und ursächlich hinterfragen. dann zinsfrei weitergegeben werden zu können.

Beobachtende Philosophie und Chancen durch Thematisierung


„nichtmarxistische“ Revolutionsgedanken Was, wenn der Philosoph offen über all dies spräche? Die
Trotz aller vagen und offenkundig scheinenden Andeutungen Phantasie ist überfordert. Wie klänge eine ausführliche
bleibt Sloterdijk weiter und weiter nur ein vermeintlich-kun- Auseinandersetzung Sloterdijks mit der „Natürlichen Wirt-
diger Beobachter: Der Kapitalist verstehe den Kapitalprozess schaftsordnung“ Silvio Gesells? Titelvorschlag: „Marktwirt-
selbst nicht, was offenkundig so bleiben solle: Das „not- schaft vs. Kapitalismus?“.
wendige falsche Bewußtsein“ (Marx) entlaste den moralisch Die Überwindung des Kapitalismus, dieses „Undenk-
Empfindsamen – „Reflexionsstopp und feste Werte.“ Die bare“ der Philosophie, wurde am 14. Juli 2005 zur Diskus-
„Wahrheit“ würde in soziologischen Systemtheorien „funkti- sion gestellt. Sloterdijk saß im „Lichthof“ der Staatlichen
onalistisch behandelt“, was wohl auch mit „kaschiert“ oder Hochschule für Gestaltung/Karlsruhe mit anderen Den-
„verschwiegen“ treffend umschrieben werden könnte. Der kern auf dem Podium, als der Gesprächsführer, Marc Jon-
Marxismus habe dies noch ein Stück weit ermöglicht, wäh- gen, nach vielen hochgeistigen Ausführungen der Beteili-
rend nichtmarxistische Systemtheorien der Gesellschaft aber gten, die folgenden Worte aussprach, die das „Unsägliche“
noch die letzte Empfindsamkeit fallen lassen würden.18) in den Raum stellten – eben dass ein Verlassen des Kapi- >

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Systemkonforme Ignoranz
Die Überwindung des Kapitalismus wäre die Beendigung
der systemkaschierten Dienste der Arbeiter für die Besitzen-
den von Kapital und Boden. Diese privilegierte Abschöpfung
eines Teils des Arbeitsertrages war nur solange als halb-
wegs legitim zu akzeptieren, wie keine plausiblen Auswege
aufgezeigt wurden. Wenn die „Natürliche Wirtschaftsord-
nung“ Silvio Gesells eines Tages ihr Funktionieren bewei-
sen konnte (wovon ich ausgehe), so wird zu sagen sein,
dass die Philosophie diese von 1916 bis … systemkonform
ignoriert habe. Man wird erkennen müssen, wie wertlos all
die vielen schönen Bücher für den ökonomischen Fortschritt
waren. Was wäre geschehen, wenn seit 1916 jeder umfäng-
licher denkende Philosoph diese Gedanken einer ursäch-
lich-orientierten Kapitalismusüberwindung in seine Arbei-
ten integriert hätte. Hätte sich die Ökonomie der bestän-
digen Kritik der Philosophie so lange verweigern können?
Wohl kaum.
talismus nicht per se mit dem Kommunismus zu tun haben Die Nicht-Thematisierung der Freiwirtschaftslehre
müsse, die deutlich sagten, dass der Intellektuellen-Leit- geschieht bewusst – anderes ist unvorstellbar. Die freiwirt-
satz – „Es gibt entweder Kapitalismus oder Kommunismus“ schaftliche Bewegung ist zu groß, um vom Kollektiv der phi-
– so vielleicht nicht ganz stimme. Die klar aufzeigten, dass losophisch Denkenden dauerhaft übersehen werden zu
nicht das Privateigentum der Produktionsmittel das kapita- können. Hierzu sind offenkundig nicht unwesentliche Lese-
listische Kernproblem ist, sondern das Zinssystem, denn: verweigerungen durchzuhalten oder ist zumindest über
„Was würde es bedeuten, den Kapitalismus als Ganzen allzu Mainstream-„Unpassendes“ konsequent Stillschwei-
zu verlassen? Taucht irgendwo ein theoretischer Horizont gen zu wahren. Der „Intellektuelle“ (der den „Weisen“
auf, der so etwas in den Bereich des Denkbaren rückt? Es ersetzt hat?24)) ist heute der schulwissenschaftlich Gebil-
müsste ja beispielsweise das gesamte Zinssystem abge- dete, der systemkonform Belesene. Sloterdijk kratzt schon
schafft werden, und damit würde eine völlig andere lange „bedenklich“ an der schönen Fassade des Kapitalis-
Zeitstruktur in Kultur und Gesellschaft Einzug halten.“21) mus, nur die freiwirtschaftlichen Vorschläge zur Problem-
Jongen bat, eine realistische Alternative einmal gedank- Überwindung bringt er leider noch nicht – zustimmend oder
lich für möglich zu halten. Er selbst kenne aber „kein phi- ablehnend – in die Diskussion ein.
losophisches oder ökonomisches Theorieangebot, das Es wäre wohl überaus spannend und vielfach entlar-
so etwas anders als in allervagsten Umrissen zu denken vend, wie die Resonanz darauf ausfiele. Sloterdijk wäre
erlaubte.“22) schon längst nicht mehr zu ignorieren, die argumentative
Sloterdijk, immerhin der Rektor der Hochschule, Auseinandersetzung mit der Thematik würde unumgäng-
äußerte sich nicht mehr. Prof. Thomas Macho wusste nicht, lich. Wenn er gar im Sinne der Freiwirtschaftslehre argu-
ob er dergleichen nun zu denken wagen sollte und half sich mentiere (was leider nur mit sehr viel Phantasie vorstell-
und seinen Kollegen mit dem Hinweis auf die aufkommende bar wird) … der philosophische Diskurs wäre gezwungen,
Müdigkeit aus der vermeintlich unwohligen Szenerie. Die sich mit den kapitalistischen Kern-Problemen zu befassen
weiteren Wortmeldungen der anderen Mitdiskutanten waren … vielleicht führte dies sogar zu einen neuen Disput mit Jür-
ausweichend oder aber bestätigten wirklich, dass die Dis- gen Habermas … .25)
kutanten solches wirklich noch niemals gedacht hatten.
Einer auf dem Podium hätte die Gelegenheit aber mit
Sicherheit ergreifen können: Jochen Hörisch, Professor für Der „wissenschaftliche“ Umgang
neuere Germanistik und Medienanalyse an der Universität mit dem wesentlich Anderen:
Mannheim, hat 2004 in seinem Buch „Gott, Geld, Medien“ Folgendes geschieht gewöhnlich (wenn dies aufgrund eines
erklärt, dass er „Schwundgeld“ für ein „plausibles Gegen- geringeren Bekanntheitsgrades des „Querulanten“ mög-
mittel zum deflationären Lähmungsgift“ (unserem heutigen lich ist), wenn allzu System-Entlarvendes („Gefährliches“?)
Geld!) hält. Dieses sei aber „hochgradig tabubesetzt“.23) Er gedacht wird – dies mag nun drastisch klingen, entspricht
meldete sich aber leider ebenfalls nicht mehr zu Wort. aber nachweislich der vielfach aufzeigbaren Wahrheit:

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Wer vom Mainstream abweicht, landet gewöhnlich in Peter Sloterdijk beispielsweise gilt als bekannt für seine
vorgefertigten Schubladen. Die Griffe dieser Schubladen wissenschaftskritische Haltung. Den Fragwürdigkeiten der
sind zumeist dick verstaubt, da nur hin und wieder etwas Ökonomie geht er aber leider auch nicht vollends auf den
hineingelegt, aber so gut wie nie wieder herausgeholt wird. Grund. Er sagt zwar, dass so manche Talare noch nicht ent-
In diesen Schubladen landen selbst amtierende Profes- mottet seien,30) will aber dieses wichtige Werk bzgl. der Öko-
soren, die auf die Frage hin, ob sie „Intellektuelle“ wären, nomie ebenfalls nicht entscheidend weiterführen. Dabei
wohl antworten müssten, dass sie vom Mainstream wohl wäre gerade die Wissenschaft der Ökonomie schon auf-
leider unter anderem Titel einsortiert würden. Ist ein bril- grund der natürlichen Selbsterhaltungsreflexe genauestens
lanter Kopf nicht mehr aus der Geschichte heraus zu retu- zu beobachten und zu hinterfragen, wirkt sie sich doch wie
schieren, seine Intellektualität zu unbestreitbar, so vermei- keine andere Wissenschafts-Disziplin auf unser aller Wohl-
det man jeglichen Hinweis auf dessen allzu „bedenkliche“ ergehen aus. Vor allem in der langfristigen Perspektive!
Textstellen und hofft, dass diese unbequemen Passagen Doch die allgemein-bekannte intellektuelle Elite hin-
mit den alten Büchern vergilben oder – noch besser – von terfragt den Kapitalismus nicht wirklich. Sie redet nur über
bibliothekarischem Ungeziefer zerfressen werden: ihn, sieht ihn weiterhin beharrlich als derzeit einzig mög-
Wird beispielsweise vom Mainstream über John May- liche Option, die kategorisch allein dem Kommunismus
nard Keynes oder Irving Fisher – zwei anerkannte „Jahr- gegenüber stehe. Vorsichtige Hoffnungsvisionen gibt es nur
hundert-Ökonomen“ des 20. Jahrhunderts – gesprochen, in unkonkreten Gedanken an die unbekannte Postmoderne
so wird (neben vielem anderen!) deren Zustimmung zu Sil- – der unbeirrte Idealist wird auf das „Ende der Geschichte“
vio Gesells Ansatz zumeist unerwähnt gelassen. Aus der vertröstet.31)
Mainstream-wissenschaftlichen Sekundärliteratur, die ja Allein schon die Tatsache, dass Sloterdijk z.B. in der
in erster Linie das Denken unserer Ökonomie-Studenten Zeitschrift CICERO, einem sog. „Intellektuellenblatt“, zum
formt, sind diese vermeintlich „gefährlichen Gedanken“ Interview geladen wird, sollte ihn skeptisch machen kön-
dann gewöhnlich schon nicht mehr herauszulesen.26) nen. Bei diesem Blatt könnte man immerhin relativ gefahr-
Den Mainstream-Erforschern des Wirtschaftswachstums los eine größere Wette abschließen, dass folgende Namen
z.B. scheinen die plausibel erklärenden Bücher des Schwei- in ihm auch künftig nicht zu finden sein werden: Helmut
zer Ökonomie-Professors Hans Christoph Binswanger bis Creutz, Günther Moewes, Johannes Heinrichs, Bernd Senf,
heute völlig unbekannt zu sein. Die Lektüre von „Geld & Wolfgang Berger, Margrit Kennedy … .32)
Wachstum“ oder „Die Wachstumsspirale“ könnte der Öko- Kurz: Der CICERO-Interviewte oder -Leser läuft
nomie den Weg weisen. Sie zeigen deutlich auf, wie die nicht Gefahr, mit wesentlich Anderem konfrontiert zu
monetäre Zusatzbelastung „Zins“ den Wachstumszwang werden – die Langeweile der stets gleichförmigen,
entscheidend mit antreibt.27) Doch diese blieben in den wohlig-unkritisierten Gewohnheits-Gedanken des
Werken der universitären Ökonomie ausgeblendet, ledig- Mainstream-Intellektuellen-Kollektivs.
lich – nicht näher benannte – „erste Versuche“ zur Inte- Sloterdijks Argumentationen stechen hier teilweise
gration des Geldes in die Wachstumstheorie werden vage eklatant heraus, was offenkundig nicht bemerkt werden
angedeutet.28) soll: Er beschreibt z.B., dass die derzeitige Finanzmarkt-
Folgendes anzunehmen scheint daher nicht allzu krise ihren Ursprung eben nicht in der so viel kritisierten
gewagt zu sein: Das fatale Wirken unseres heutigen Geldes Gier hat, sondern vollends auf das Konto der Zentralbanken
soll den Mainstream nicht beschäftigen und die Studenten ginge („Zwänge des Billigkreditsystems“), da es für die Glo-
der Volkswirtschaftslehre nicht nach adäquaten Lösungen bal Player ruinös wäre, dieses Gratis-Geld nicht zu nehmen,
fragen lassen – denn wenn ihnen dann noch jemand z.B. während ihre Konkurrenten es aber verwerten würden.33)
Artikel wie „Am Gelde hängt doch alles“29) aus unserer Bun- All die anderen Kapazitäten lassen die Zentralbanken
destagszeitung „Das Parlament“ zuspielt … nicht auszuden- in ihrer letztlich exklusiven Verursacherrolle aus dem Spiel,
ken: Der Campus, erfüllt von Geldreformgedanken, die Stu- denn nur so lässt sich weiterhin plausibel vertreten, dass
denten, beseelt von der Chance einer realiter umsetzbaren es nur ein paar Regulierungen und einer vernünftigeren
dauerhaften Gleichgewichtsökonomie. Mentalität bedürfe, um dem System wieder Stabilität geben
Lehrbuchschreiber tragen eine große Verantwortung für zu können.
den weiteren Fortbestand der kapitalistischen Kollapswirt- Wer aber die Zentralbanken als die letztlich Verantwort-
schaft … oder wissen tatsächlich nichts anderes. Für letz- lichen benennt, rückt unser heutiges Geldwesen und seine
tere Annahme müsste aber für plausibel erachtet werden, Zwänge selbst in den Fokus der kritischen Betrachtungen,
dass diese selbst allesamt ebenfalls ausschließlich nur aus provoziert systemisch-grundsätzliche „Warum-Fragen“,
der Sekundärliteratur informiert wären. Absurd! die in ihrer logischen Fortführung (die Sloterdijk allerdings >

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ten“36) ihren Finanziers (den Steuerzahlern) gegenüber unge-


nannt lassen. Die Mainstream-Medienwelt lässt ihnen das
nachweislich in vielen Belangen einfach freundlich durch-
gehen, unsere Geld-Verantwortlichen werden mit wirklich
schwierig zu konternden Fakten gewöhnlich nicht behelligt.
Als Interessierter, der auch die wichtigsten Werke der
Lehrbuch-Ökonomie, wie auch die Originaltexte bekannter
Ökonomen, wie Keynes oder Fisher, gesichtet hat, muss ich
sagen, dass die Ökonomie-Philosophie des Peter Sloterdijk
erst mit der Integration der freiwirtschaftlichen Erkenntnisse
eine rundum wirklich alles ursächlich Erklärende werden
kann. Erst wenn er die Befreiung der Marktwirtschaft vom
Kapitalismus durch eine verbotsfreie (konstruktive) Über-
windung des Zinssystems zu denken wagt, lassen sich die
monetären und bodenrechtlichen Grundbedingungen einer
selbst noch nicht zur Gänze vornimmt) zielsicher zu den dauerhaften Gleichgewichts-Ökonomie offen thematisieren.
zwangsläufigen Langzeitproblemen des Zinsgeld-Systems Erst wenn diese realisiert werden konnte, kann es mög-
führen würden, da ohne den Zins (bei umlaufgesicherter lich werden, dass jenen, die in die Zukunft blicken, nicht
Währung) kein Wachstumszwang, keine übermäßigen Ver- mehr zumute sein muss, „als blätterten sie in einem Katalog
mögens- und Schuldenwachstums-Probleme, keine unum- angekündigter Miseren.“37)
gänglichen periodischen Zusammenbrüche der Schulden- Solange nicht noch überraschend ein „Vierter Weg“
berge, etc. … kurz: die Finanzmarktkrise liefe „Gefahr“, auftaucht, sollte die Philosophie zunächst einmal den vor-
schon bald als eine Krise unseres heutigen Geldwesens dis- liegenden „Dritten Weg“ diskutierten. Nur so könnte sich
kutiert zu werden. der Wohlstand auch wieder nachhaltig bei der Allgemein-
Auf die Frage, warum vor der Krise kaum jemand gewarnt heit mehren; anstelle des Reichtums bei einigen Wenigen,
hatte, antwortete Sloterdijk u.a., dass die Journalisten „ein- der ohnehin schon als akkumulierter „Balast und Spiel-
gebettet“ wären, sie schrieben gemäß dem Tagesbefehl masse“ treffend tituliert wurde38) – und das schöne Leben
und zögen mit ihrer Truppe ins Feld. „Für sie wären Argu- genießt sich ohnehin besser in Ländern mit geringen
mente gegen den Mainstream beruflicher Selbstmord.“34) Ungleichheiten.
Dies erklärt vieles ... und der Rest der besagten CICERO- Das edle Cabrio lenkt sich vermutlich wesentlich ent-
Ausgabe belegt eindrucksvoll, dass auch künftig weiter so spannter im oberbayerischen Chiemgau, als in Mexico-City,
verfahren werden soll. Der Mainstream bleibt unbeirrbar – Manila, Jakarta ... .
bis zur nächsten „alle überraschenden“ Krise. Extrem denkwürdig: Eine elitäre „Reichenpartei“ müsste
vermutlich sofort eine vollumfängliche Umsetzung der Vor-
schläge Silvio Gesells fordern, so es ihr gelänge, realistisch-
Sloterdijk wird also immer wieder sehr deutlich, was klug und voller froher Lebensart auch in die fernere Zukunft
dann doch wieder seine exquisite Sonderrolle im deut- zu blicken.
schen Intellektuellen-Mainstream aufzeigt und meine Hoff-
nung auf eine sloterdijksche Thematisierung der Freiwirt-
schaftslehre weiter aufrechterhält: Doch wenden wir uns nun dem
Er beschreibt den derzeitigen Versuch, die kapitali- globalen Wirtschaften zu:
stische „Endkrise“ durch die „permanente Krise“ außer- In seinen Betrachtungen zur Globalisierung bleibt Sloterdijk
kraftsetzen zu wollen, thematisiert den schon lange über- leider sehr unpräzise. Hier beschreibt er zwar was geschieht
groß gewordenen Geldmantel (den unsere Verantwortlichen und beobachtet werden kann, benennt aber nicht die dahin-
der EZB nicht als solchen erkennen wollen?) und verdeut- terstehenden Macht-Akteure und deren konkrete Methoden:
licht gar die derzeit auch von unserer Regierung so „ener- In der „ZEIT“ beschrieb Sloterdijk am 26.04.2007 seine
gisch kaschierte Inflationsstrategie“, verweist sogar auf die Sicht der „Fern-Nachbarschaft“,39) erklärte vor dem G8-Gipfel,
– als extrem medienkritisch auffassbare – Erkenntnis, dass warum wir eine „Globalisierung des Mitgefühls brauchen“.
die Inflation derzeit doch auffällig ungenannt bliebe.35) Hier sagte er, dass das Geld in seinem Vermehrungsdrang
Sloterdijk spricht die Wahrheiten aus, die nahezu alle vor keinen Hindernissen halt mache und sich mit der „Aus-
unsere hierfür eigentlich zuständigen „leitenden Angestell- weitung der Profitzone“ auch die moralische Einmischungs-

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zone ausweite – auch ein „Global-Warming-Effekt“ in mora- Ein „Axiom“ ist ein „ohne Beweis einleuchtender,
lischer Hinsicht wäre angesichts der Protestintensität nicht grundlegender Lehrsatz“. Als solcher kann er aber gar nicht
überraschend. Diese Sympathie-Bekundungen an die sog. für jenes, was gewöhnlich mit dem Begriff „Globalisierung“
„Globalisierungsgegner“ lassen neue – vielleicht konkretere gemeint wird, anwendbar sein. Da die Globalisierung ein
– Töne in künftigen Büchern Sloterdijks erhoffen. Dies wäre Vorgang ist, der unzweifelhaft von mitdenkenden Menschen
zu begrüßen, wurde die bisher in seinen Werken veröffent- besetzten Gremien gestaltet wird, ihm also von Menschen
lichte Globalisierungs-Beschreibung doch schon von vielen gemachte Regeln zugrunde liegen, es also nicht die „unbe-
Betrachtern heftig kritisiert. Zu Recht: Mit Blick auf das viel- dingt unbeeinflussbar naturgesetzlich geschehende Globa-
fältige Leid und Unrecht in der Welt, klangen die Schilde- lisierung“ gibt, kann diese auch nicht als „ohne Beweis ein-
rungen Sloterdijks zumeist allzu „Davos“-kompatibel: leuchtend“ betrachtet werden. Der demokratische Grund-
gedanke einer Lenkung der Politik durch die wählenden
Bevölkerungen würde dadurch restlos ausgelöscht.
So „erkannte“ Sloterdijk Dies würde immerhin die Kernthese der vieldiffamierten
einst zur Globalisierung: „Verschwörungstheoretiker“ bestätigen, scheint aber auch
„Durch ihre alten und neuen Medien lässt die „Globalisie- Anderen so plausibel zu sein: Der argentinische Schrift-
rung“ permanent mitteilen, dass sie geschieht und fort- steller, lt. Quelle43) einer der bedeutsamsten Intellektuellen
geht, unter Missachtung jeglicher Alternative. Daher die Südamerikas, Juan Gelman, z.B. sagte, dass in Argentinien,
eigentümliche Unabhängigkeit von Philosophie und sons- wie auch überall sonst, die Regierung gar nicht die eigent-
tigen Ausprägungen reflektierender Theorie. Sie führt nur liche Macht wäre. Diese sei die Wirtschaft. Er hoffe auch,
noch Selbstgespräche, in denen sie sich als dominierendes dass es Barack Obama weiterhin gut gehe, denn Barack
Thema feiert. Die Lagebesprechung ist an die Stelle der Kri- Obama sei auch nicht die eigentliche Macht.
tik getreten.“40) Dies würde so manches erklären. Sollte dies, wie mei-
Doch auch er selbst schien nicht bereit zu sein, einen ner Erfahrung nach ohnehin alle glauben, der Wahrheit ent-
Versuch zu wagen um dieses Manko zu beheben, indem er sprechen, so wären die eigentlichen Gestalter des natio-
zu erkennen meinte: „Die weltweite Bewegung der soge- nalen wie globalen Miteinanders den allermeisten Wählern
nannten Globalisierungsgegner bietet durch ihr bloßes gar nicht als solche bekannt. Die Demokratie wäre dann
Bestehen den Beweis für die Unhintergehbarkeit des neuen realiter eine reine Fassaden-Veranstaltung, die den Wählern
status quo. Indem die Kritiker auf Dysfunktionen41) des Welt- nur aufzuzeigen vermag, wer die jeweiligen Legislaturperio-
systems hinweisen, bezeugen sie sein Funktionieren. Eben- dischen Marionetten der wirklichen Mächte sein dürfen.
sowenig könnten Gegner der Erdrotation sich dem Schick- Der Grund für die seltsame Machtlosigkeit der Politik
sal entziehen, den täglichen Umlauf des Bodens unter ihren vor globalen „Zwängen“, offenbar selbst der Regierungs-
Füßen mitzumachen. Deshalb ist die terrestrische Globa- chefs der G8, wäre dann logisch aufgezeigt. Sitzt die Poli-
lisierung einem Axiom vergleichbar, die erste und einzige tik also noch an den entscheidenden Reglern und Hebeln
Voraussetzung von der eine Theorie des gegenwärtigen oder lenken die Global-Player schon längst – z.B. mit ihrer
Zeitalters auszugehen hat.“42) latent im Raume stehenden Drohung der Standortverlage-
Diese Argumentation ist bemerkenswert, man wird das rung – das politische Geschehen?
Gefühl nie los, vielleicht doch irgendetwas falsch verstan- Ausräumbar wäre dieser Verdacht tatsächlich nur durch
den zu haben. Doch die Worte scheinen eindeutig: Die sog. eine erwiesene Handlungsfähigkeit der Politik. Der Beweis
„Globalisierungsgegner“ seien von vorneherein vergeblich einer funktionstüchtigen Demokratie, wäre erst glaubwür-
Engagierte, ihre Kritik würde in den „Lagebesprechungen“ dig dargelegt, wenn die Politik Rahmenbedingungen durch-
der Globalisierung ohnehin nicht wirksam werden. Die Glo- setzte, die z.B. auch die Gewinnmargen der sog. Global-Pla-
balisierung geschehe – gleich einer Naturgewalt – mit einer yer zugunsten der global arbeitenden Menschen und deren
alle Kritik belanglos machenden Übermacht. Hiervon sei Umwelten beschneiden würden. Dieser glaubwürdig ein-
„auszugehen“. Die Philosophie empfiehlt bzgl. der Globa- geschlagene Weg in Richtung globale Fair-Trade-Economy
lisierungs-Ungerechtigkeiten die Resignation der ohnehin wäre der notwendig zu erbringende Beweis. Erst dann hätte
chancenlosen Weltverbesserer? die Politik glaubwürdig gezeigt, dass sie noch im Auftrag
Allein der Gedanke an ein so formuliertes – und vor der Mehrheit ihrer Wähler agieren will und kann.
allem der weltweiten Bewegung der sog. „Globalisierungs- Doch zurück zur obigen Textpassage: Meinte Sloterdijk
gegner“ entgegengestelltes – Globalisierungs-Axiom, mit seinem Naturgewalten-Vergeich des Globalisierungs-
welches nun in Zukunft anerkannt werden müsste, hat prozesses vielleicht lediglich das unserer heutigen Tech-
schon eine gewisse Skurrilität: nik geschuldete Voranschreiten des globalen Austausches >

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Hier lohnt es sich über die geläufigen Titulierungen


nachzudenken: „Globalisierungsgegner“ wären nur Men-
schen, die möglichst ausschließlich regionale Wirtschafts-
kreisläufe fordern. Globalisierungsgestalter aber wären Men-
schen, die das beobachtbare global-ökonomische „Wie“
und „Warum“ hinterfragen und andere Wege unterstützen.
Bei dieser Betrachtung wird sofort klar, dass die überwie-
gende Mehrheit der sog. „Globalisierungsgegner“ eindeutig
richtiger als Globalisierungsgestalter zu bezeichnen wäre.
Die Wortverwendung Sloterdijks fordert auch anderorts
die Kritik heraus: „Dysfunktionen“ belegen gewöhnlich kein
„Funktionieren“, sondern sollten ein Nichtfunktionieren,
ungerechte oder unzureichende Regelungen vermuten las-
sen. In Bezug auf die Globalisierung haben wir es eindeutig
mit einem gestaltbaren Geschehen zu tun. Deren „Dysfunk-
durch die beständig ansteigende globale Mobilität, da die tionen“ müssen daher prinzipiell als reversibel betrachtet
Erde dadurch – im übertragenen Sinne – „kleiner“, „ver- bleiben. Wäre dies nicht der Fall, so müsste deutlich gesagt
dichteter“ geworden sei? werden, wer den positiven Fortschritt so fatal blockiert.
Dann wäre allerdings die Bewegung der sog. „Globalisie- Die letzten Jahrzehnte wurde die Globalisierung nachweis-
rungsgegner“ hier nicht zu nennen gewesen, da diese ziem- lich vom IWF, der Weltbank, also den USA und auch der EU
lich generell nur die Art und Weise des Geschehens kritisie- gestaltet und vorwiegend zum Vorteil ihrer Global-Player
ren, nicht aber den globalen Austausch selbst ablehnen. eingerichtet. In Zukunft aber sollte sie sich – zum Wohle
Dies will ich – auch medienkritisch – näher betrachten: aller arbeitenden Bevölkerungen – immer mehr in eine glo-
bale Fair-Trade-Economy wandeln.
Die vermeintliche Übergröße der Aufgabe besagt nicht,
Globalisierungsgestalter dass deren Verfechter im Unrecht wären oder aufgeben
Mit der unkritischen Verwendung der Formulierung „Glo- sollten, sie zeigt in diesem Falle wohl eher, wie sehr auch
balisierungsgegner“ (der alleinige Zusatz „sogenannte“ konkrete inhaltliche Unterstützung benötigt wird.
genügt hier m.E. nicht) unterstützt Sloterdijk die geläufige
Kritik-diffamierende Medienberichterstattung, welche jene,
die das heutige Weltgeschehen – so wie es vielerorts beo- Marktversagen
bachtet werden muss – nicht akzeptieren wollen, zumeist Globales Wirtschaften braucht global-akzeptable und für
als „Prinzip-Querulanten“ oder „utopistische Weltverbesse- alle verbindliche Rahmenbedingungen. Der Markt agiert
rer“ darstellt, ohne aber auf deren Inhalte gebührend einzu- nun schon seit Jahrzehnten in einer fatalen Mischung aus
gehen. Mit der Nennung der sog. „Globalisierungsgegner“ machtgelenkter Vorteilsnahme und fataler Unreguliertheit.
sollten aber automatisch deren allseits bekannte Inhalte Er hat es bislang nicht geschafft, die Slums dieser Welt zu
und Forderungen als mitgenannt betrachtet werden. Dieses verringern, gerechtere Löhne durchzusetzen, die Umwelt zu
für-Inhalte-eintreten der sog. „Globalisierungsgegner“ wird schonen oder Kriege um Rohstoffe oder Machtinteressen44)
für gewöhnlich ignoriert. Dies ist nicht hinnehmbar. Wenn zu verhindern. Die genannten „Dysfunktionen“ sind die
jemand Adam Smith sagt, so wurde auch sein marktli- Symptome des Marktversagens, der fehlenden Regularien,
berales Denken mitgenannt, wenn jemand Gandhi sagt, denn ob in der Ökonomie etwas funktioniert oder nicht,
ist auch der gewaltlose Widerstand genannt, wer Marxist kann nicht an den Profiten der globalen Konzerne abgele-
sagt, der hat auch die Gegnerschaft zum privaten Produk- sen werden, sondern zeigt sich vorrangig am Wohlergehen
tionseigentum genannt – die Namen und Bezeichnungen der globalen Bevölkerungen und dem Erhalt ihrer nativen
sind allesamt unweigerlich mit den geläufigsten Inhalten Lebensräume.
verbunden. Durch die Anerkennung des „Axioms“ des Peter Slo-
Die wesentlichen Inhalte der sog. Bewegung der „Glo- terdijk, würde sich die Philosophie – ohne eine konkrete
balisierungsgegner“ sind aber nachweislich kein katego- Analyse der sich seit Jahrzehnten so fatal globalisierenden
risches Dagegensein sondern zumeist ziemlich konkrete Inhalte – aus der Globalisierungskritik eloquent heraushal-
Forderungen nach einer besseren Gestaltung des ökono- ten. Indem sie diese als die „erste und einzige Vorausset-
mischen Weltgeschehens! zung“ anerkennt, von der ihre zukünftigen Theoriegebäude

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auszugehen hätten, beschließt sie, die konkrete Art und Geschick oder gute Arbeit erzielter Gewinn! Ohne eine dif-
Weise des Globalisierungsgeschehens reflexiv unangeta- ferenzierte Betrachtung der bezahlten oder nicht bezahlten
stet zu lassen. Kosten, kann ein unternehmerischer Gewinn auch gleich-
Die Sympathie-Bekundung für die Engagierten genügt zeitig ein gesamtwirtschaftlicher Verlust sein. Zu niedrige
nicht. Wer sich als Denker zum Thema äußert, muss auch Löhne und Raubbau an der Umwelt z.B. sind solche nicht-
in der Sache konkret werden: Wenn z.B. ein Expertenbe- bezahlten Kosten.47) Aufgrund dieser logischen Tatsachen
richt bekanntlich „so ziemlich alle Vorschläge, die man zur darf es die Philosophie auf keinen Fall versäumen, die
Bekämpfung der Ernährungskrise umsetzen müsste“ ent- Begriffe Gewinn und Vernunft einzelwirtschaftlich und glo-
hält, dann aber – nachdem er „von fast 90 Regierungen bal zu definieren!
abgesegnet wurde“ – umgehend wieder in Vergessen- Indem die Philosophie sich weigert, die Art und Weise
heit geriet,45) so zeigt dies deutlich auf, dass gewisse Inte- der Profitmaximierung an konkreten Beispielen kritisch zu
ressensgruppen und Nationen deutlich in Frage zu stellen hinterfragen, macht sie sich selbst – im derzeit wohl wich-
wären. Diese, wie auch die konkreten Forderungen der so tigsten globalen Prozess – unnötig klein, und: die Gedan-
diffamierten „Naturgewalt-Unzufriedenen“ finden sich aber kengebäude der Philosophie müssen auf dem soliden Fun-
leider nicht in den Werken Sloterdijks. dament global-akzeptabler Werte begründet sein! Ist diese
Er betrachtet die Globalisierung so, als könnten die Grundvoraussetzung nicht erfüllt, so gelangt die Philo-
Mächtigen der G8-Staaten keine gerechteren Regelungen sophie eines Tages zu regionalen „Wahrheiten“ und den
unterzeichnen, da die rasante Erdrotation das Schönschrei- jeweiligen Zielgruppen genehmen Welterklärungen.
ben so fatal erschwere – wobei wohl die eigentlichen Draht- Dann gibt es eines Tages eine Philosophie der Dritten
zieher der Menschenrechtsverhöhnenden Geldmacht- Welt und eine der Ersten, eine der Müllberge und eine der
Sphäre die machtbewahrende Drehung weiter und weiter Wall Street – und ausschließlich von jener „Philosophie der
vorantrieben. In der geläufigen Globalisierungs-Betrach- Wall Street“ werden unsere Mainstream-Medien ihre aus-
tung – „Davos-schmeichelnd und Wirtschaftsmedien- gewählten Philosophen, Politiker und Wirtschaftswissen-
Mainstream-getreu“ – wurde das Gewinnstreben an sich schaftler ihrem Publikum erzählen lassen.
zum neuen Ideal: „Durch die Rückkehr des schwimmenden Ohne universelle Werte kann es keine globale „uni-
Kapitals von der Fernreise wird der Expansionswahnsinn zur verselle“ Philosophie geben. Die schöne Vorderseite jeder
Profitvernunft.“46) Profit-Medaille ist – im Zweifel – auch kritisch-interessiert
Dem wäre deutlicher zu entgegnen, als Sloterdijk dies umzudrehen. Es ist zu diskutieren, ob sich eine zeitgenös-
bislang tat: Wenn der „Expansionswahnsinn“ auch die Aus- sische, auf universell-akzeptablen Werten basierende, Phi-
beutung von Mensch und Natur beinhaltet, so kann und losophie wirklich von der oft behaupteten Utopie eines glo-
konnte aus ihm niemals eine zu akzeptierende „Profitver- bal-fairen und konsequent-umweltschonenden Wirtschaf-
nunft“ resultieren! Beobachtbare Ausbeutungen belegen tens entfernen kann. Vielleicht sollte ein Werte-orientierter
immer mangelhafte oder fehlende menschen- und umwelt- Utopismus gar heutige und künftige Philosophen-Pflichtkür
freundliche Rahmenbedingungen oder ungenügende Sank- sein, denn: die Zukunft ist zu unbekannt, um sie pessimi-
tionierung von Fehlverhalten. Der „Expansionswahnsinn“ stisch-prophylaktisch mit dem heute Beobachtbaren zu ver-
muss robust reguliert werden, sonst verläuft die Weltöko- wechseln. Und: Die Ziele müssen gedacht und so oft es geht
nomie zwangsläufig in Richtung „Run to the Bottom“, bleibt formuliert werden, damit sie nicht in Vergessenheit geraten.
der globale Profit allzu oft durch vielfältige Ausbeutungen Die Philosophie sollte auch einen Entwurf einer idealen
verbrecherisch überdimensioniert. Globalisierungs-Gestaltung versuchen. Im Zweifel könnte
Die Erstellung einer Profit-Theorie der „Vernunft der auch schonungslos formuliert werden, aus welchen kon-
Ausbeutung“ dürfte schwerlich gelingen, da im Wortsinne kreten Gründen die jeweiligen Dysfunktionen bis heute
der Ausbeutung schon das letztlich Endliche des Vorganges nicht abgestellt werden konnten.
enthalten ist – etwas „Ausgebeutetes“ ist irgendwann ver- Das globale Geschehen muss als ein – zugegeben
braucht, zerstört, vernichtet. extrem schwerfälliger und teils wohl gewollt störrischer
Will sie den Wirtschaftskräften nicht einen exklusiven – Wandel betrachtet werden. Indem die Philosophie den
Freibrief zur privilegierten Geldmacht-Anarchie ausstellen, heute beobachtbaren Prozess der Globalisierung mit der
so muss es der Philosophie auch um eine konkret-wertende Naturgewalt der Erdrotation vergleicht, bezichtigt sie jeden
Beurteilung der eingesetzten Mittel und Wege gehen. Der ihrer Kritiker des naiven Schwachsinns, anstatt die Bereit-
Profit durch einen die Menschenwürde- und die Umwelt ver- schaft aufzubringen, sich inhaltlich mit deren Argumenten
achtenden Betrug, sprich „Ausbeutung“, hat eine andere auseinanderzusetzen. Bestünde die Welt nur aus ein paar
moralische Wertigkeit, als ein durch unternehmerisches wenigen, insgesamt gut zu überblickenden, vor Glücksee- >

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ligkeit strotzenden Individuen oder wäre auf diesem Pla- vung“ eine „zunehmende Belastbarkeit“ gefordert werden
neten tatsächlich alles offenkundig in bester Ordnung, so müsse? Durch all dies lasse sich zwar eine Epidemie des
wäre es womöglich angemessen. Dass dem aber augen- Menschenhasses ohne Beispiel (also schlimmer als weit-
scheinlich nicht so ist, bleibt aber wohl leider noch lange hin bekannte Beispiele wie Erster und Zweiter Weltkrieg)
eine traurige Tatsache. vorhersehen, aber der Philosoph hat angesichts dieser
Zukunftsperspektiven nichts über einzufordernde univer-
selle Werte und seit langem diskutierte konkrete Gestal-
Katastrophe voraus! tungsvorschläge der Globalisierung von sich zu geben,
Dabei beschrieb Sloterdijk sogar überdeutlich, wohin die da er um das Axiom dieses „naturgesetzlich-unabänder-
Dinge führen können. Fraglich bleibt, aus welchen Grün- lichen“ Vorganges weiß, welches er – so er kompetent
den er wieder und wieder eine anzunehmende Ungestalt- genug ist, dieses zu begreifen – in seine Theorien einzu-
barkeit suggeriert. Amerika hat 2008 einen Afroamerikaner bauen hat?
zum Präsidenten gewählt. Wer kann also heute mit Gewiss- Hier wurden immerhin gigantische Menschheits-Kata-
heit sagen, dass die großen Nachfrager-Staaten dieser Erde strophen formuliert! Sollte dies nicht nur rhetorisch-über-
nicht im Jahre 2050 die Erfüllung von Fair-Trade-Regularien drehter Fatalismus sondern eine ernstzunehmende Befürch-
als Bedingung an ihre Importe stellen und jene Länder, die tung sein, so gelte es wohl allmählich „umzudenken“ und
weiterhin unter Ausbeutung von Mensch und/oder Natur auch die heutige philosophische Herangehensweise kri-
produzierte Waren akzeptieren von der Staatengemein- tisch zu hinterfragen.
schaft ausschließen? Ein gerechtes globales Konkurrieren Die Philosophie muss sich bezüglich der Globalisierung
würde immerhin auch den Abstieg der heute reichen Nati- wie folgt verhalten, nur so kann sie den oben genannten
onen aufhaltbar machen, da auch viele heimische Produ- moralischen „Global-Warming-Effekt“ philosophisch-den-
zenten dadurch wieder wettbewerbsfähig würden. kend unterstützen: „Wir stehen in einem Prozess, nehmen
Sloterdijk aber scheint die Hoffnungslosigkeit kate- einige seiner bisherigen Resultate wahr, stellen das Auftau-
gorisch festzurren zu wollen: Die terrestrische Globalisie- chen neuer Konflikte und Verhaltensformen, neuer Akteure
rung spiegele kein „Moralgesetz wider, nach welchem alle und Institutionen fest und versuchen, all das zu werten und
Menschen möglichst zuvorkommend und anteilnehmend an zu beurteilen.“50)
sämtliche übrigen Artgenossen denken sollten. Die naive Hier müssen konkrete Vorgänge analysiert und hinter-
Annahme einer potentiellen Offenheit aller für alle wird fragt werden. Hier sind auch Verantwortliche namentlich
von den Globalisierungstatsachen ad absurdum geführt. zu nennen und deren Tun moralisch zu bewerten. Für Axi-
Im Gegenteil, die unvermeidliche Endlichkeit des Interes- ome und ideologisch suggerierte Naturgesetzlichkeiten ist
ses von Menschen für Menschen wird im Gang der Welt- hier kein Raum. Das die Globalisierung geschieht ist klar,
vernetzung immer offenkundiger – es verändert sich nur dass „Wie“ und „Warum“ des Geschehens sollte die Philo-
der moralische Akzent, und zwar in Richtung auf die Forde- sophie aber immer wieder aufs Neue beschäftigen. Die öko-
rung nach zunehmender Belastbarkeit trotz steigender Ent- nomische Globalisierung – und um diese geht es, wenn die
nervung. Man sollte nicht überrascht sein, wenn sich zeigt, sog. „Globalisierungsgegner“ genannt werden – ist daher
wie mit fortschreitender Weltvernetzung die Symptome der immer vor allem im Sinne einer großen Reflexions- und
Misanthropie48) anwachsen. Wenn Menschenfurcht eine Gestaltungsaufgabe zu betrachten.
naturwüchsige Antwort auf unwillkommene Nachbarschaft Der Diogenes von Sinope der Moderne würde sich – so
bedeutet, lässt sich angesichts der erzwungenen Fernnach- eine schöne Phantasie – wohl vor den heutigen Tempeln
barschaften der meisten mit den meisten eine misanthro- der Macht in die Sonne legen … und damit jedem, der es
pische Epidemie ohne Beispiel vorhersehen.“49) wissen will oder nicht, schon durch seinen spektakulären
Das gibt wirklich zu denken. Sollten diese Zeilen eine Standort erklären, wer auf dieser Welt Dreck am Stecken
realistische Berechtigung haben, so wäre doch bitte sofort hat. Zu beobachten wäre, ob er sich vor den immer so viel
– z.B. mittels wirksam hoher Wege-Steuern – eine mas- beachteten Regierungssitzen postierte oder aber vor den
sive „Globalisierungs-Vollbremsung“, ein Zurückzwingen Hochglanz-Dependancen der vielleicht wirklich entschei-
der Akteure in ein möglichst regionales Wirtschaften ein- denden Global-Marodeure.
zuleiten: Die „Globalisierungstatsachen“, welche – der
Erdrotation vergleichbar – nicht veränderbar seien, füh-
ren die „naive Annahme“ menschlichen Mitgefühls „ad Fazit:
absurdum“? Sie enthielten eben kein „Moralgesetz“ des Während Sloterdijk also den Kapitalismus selbst gründ-
Denkens der einen Menschen an die anderen? Der „mora- lich durchleuchtet, dabei eigentlich „nur“ die Existenz der
lische Akzent“ ändere sich, da trotz „steigender Entner- freiwirtschaftlichen Lösungsvorschläge unerwähnt lässt,

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PETER SLOTERDIJK

beschreibt er das ökonomische Globalisierungsgeschehen Anmerkungen:


in vielfach fragwürdiger Weise.
1) Sloterdijk, „Die Verachtung der Massen“, S. 62/63
Dort die brillante System-Analyse, hier nur die große 2) Sloterdijk, „Zorn und Zeit“, S. 302 ff.
Global-Erzählung. Das „Warum“ dieser Diskrepanz scheint 3) Sloterdijk, „Zorn und Zeit“, S. 303
4) Sloterdijk, „Zorn und Zeit“, S. 304
klar: Wo seit Jahrzehnten erfolgreich eine kategorische 5)vgl. Sloterdijk, „Kritik der zynischen Vernunft“, S. 454 − 458
Unabänderlichkeit suggeriert wurde, können – solange die 6) siehe u. vgl. Sloterdijk, „Zorn und Zeit“, S. 305
7) siehe u. vgl. Sloterdijk, „Eurotaosimus“, S. 72
nichtmarxistische Alternative, die Freiwirtschaftslehre unge- 8) so interpretiert nach Sloterdijk, „Eurotaosimus“, S. 73
9) vgl. Sloterdijk, „Eurotaoismus“, S. 94
nannt bleibt – die fatalen Mechanismen und Zwänge offen- 10) siehe u. vgl. Sloterdijk, „Zorn und Zeit“, S. 305
kundig genannt werden. Erst in Verbindung mit der plau- 11) vgl. Sloterdijk, „Zorn und Zeit“, S. 307
12) siehe u. vgl. Sloterdijk, „Zorn und Zeit“, S. 308/309
siblen Problemlösung würde dies systemgefährdend. 13) so im „vis a vis“ Talk mit Frank A. Meyer, am 27.10.2008, 3Sat
Bei der Globalisierung aber liegt der Fall ganz anders: 14) siehe u. vgl. Sloterdijk, „Sphären II Globen“, S. 537 (hier im Bezug auf theo-
logische Diskurse)
Dort werden die menschen- und umweltfreundlichen Alter- 15)Ich kenne leider keine Ausnahme. Sollte jemand eine kennen, bitte kontakten.
nativen seit Jahrzehnten von vielerlei Seiten konkret 16) so der Titel von Kapitel 5. im 1. Teil von Sloterdijks „Kritik der zynischen
Vernunft“
benannt und gefordert – hier kann die Philosophie die wah- 17) Sloterdijk, „Sphären III, Schäume“, S. 774 (In Bezug auf Ernst Bloch)
ren Mittel und Wege der Macht sowie die wahren Gestalter 18) siehe u. vgl. Sloterdijk, „Kritik der zynischen Vernunft“, S. 62/63
19) Sloterdijk, „Selbstversuch − Ein Gespräch mit Carlos Oliveira“, S. 54
des Geschehens nicht deutlich aufzeigen, ohne sich auch 20) siehe u. vgl. Sloterdijk, „Zorn und Zeit“, S. 215
21) Jongen (Hrsg.), „Der göttliche Kapitalismus“, S. 53
mit den bekannten Argumenten der Globalisierungsgestal- 22) Jongen (Hrsg.), „Der göttliche Kapitalismus“, S. 53
ter inhaltlich-konkret solidarisch oder begründet-ableh- 23) Hörisch, „Gott, Geld, Medien“, S. 138
24) vgl. Sloterdijk, „Die Verachtung der Massen“, S. 80
nend zeigen zu müssen. 25) der mit seinem despektierlichen Verweis auf irrlichternde Philosophy Enter-
Solange die Philosophie über die Globalisierung tainer, „die sich mit funkelnden Formulierungen beim anspruchsvoll zerstreuten
Medienpublikum Ansehen erwerben“ wohl ziemlich sicher auf Peter Sloterdijk
schreibt, als habe sie von all den skandalösen Macht- abzielte (siehe u. vgl. Habermas, „Ach Europa“, S. 19). Sloterdijk kritisiert Haber-
Asymmetrie-Fakten und offenkundigen imperialistischen mas ebenfalls teilweise sehr spitz (siehe z.B. Sloterdijk/Heinrichs, „Die Sonne und
der Tod“, S. 66).
Raubzügen, die z.B. in den Büchern von Jean Ziegler, Joseph 26) bestes Beispiel zum Beleg dieser Aussage für Keynes: Willke, „John Maynard
Stieglitz, John Perkins u.v.m. beschrieben sind, noch nichts Keynes“. Irving Fisher wird in den wirtschaftswissenschaftlichen Schriften besten-
falls zur Umlaufgeschwindigkeit des Geldes erwähnt.
Genaueres gehört, können ihre Werke zwar z.B. mit dem 27) Hierzu zu lesen empfohlen: v. Heusinger, „Verdammt zum Wachsen“, DIE
ZEIT/Archiv, 48/2004
Wirtschaftsbuchpreis 2005 – in der Kategorie „Zukunft des 28) Vgl. z.B. Rose, „Grundlagen der Wachstumstheorie“, S. 193 ff.
Kapitalismus“ prämiert werden (wie Sloterdijks „Im Welt- 29) „Das Parlament“, bpp: Bundeszentrale f. polit. Bildung, Nr. 01
02/03.01.2005, „Am Gelde hängt doch alles“, O.W. Schwarzmann, Buchbespre-
innenraum des Kapitals“) – für die Bemühungen um eine chung zu H. Creutz, „Die 29 Irrtümer rund ums Geld“
globale Fair-Trade-Economy bleiben sie leider verloren. 30) siehe Interview, CICERO, Nov. 2006, http://www.cicero.de
31) siehe u. vgl. Sloterdijk, „Sphären III, Schäume“, S. 774/775
Wenn aber die Globalisierung tatsächlich jenes „Ver- 32) … hier nur zur Ökonomie. In anderen Wissenschafts-Bereichen ließen sich
brechen“ sein sollte, „das nur einmal begangen werden ebenfalls viele Namen nennen.
33) siehe u. vgl. CICERO, 1/2009, Sloterdijk-Interview mit Frank A. Meyer.
kann“,51) so wäre festzustellen, dass diese – in vielem – 34) siehe u. vgl. CICERO, 1/2009, S. 116
mindestens als ein bis heute andauerndes und vermut- 35) Süddeutsche Zeitung, Interwiew, 03.01.2009 (http://www.sueddeutsche.de/
kultur/332/453028/text/print.html)
lich weiter bestehendes imperialistisches Dauerverbre- 36) Helmut Schmidt bezeichnete sich seinerzeit als Kanzler so.
37) vgl. Sloterdijk, „Falls Europa erwacht“, S. 60
chen erkannt werden könnte, das nicht nur beobachtet und 38) vgl. Sloterdijk, „Tau von den Bermudas“, S. 52
beschrieben werden darf, sondern im Detail aufzuzeigen 39) DIE ZEIT, 26.4.2007 ( http://images.zeit.de/text/2007/18/G8 Konferenz )
40) Sloterdijk, „Im Weltinnenraum des Kapitals“, S. 218
und zu kritisieren wäre. 41) Sloterdijk meint dabei sicherlich auch z.B. die von J. Ziegler angegebenen
Solange sich die machtvoll-agierenden Vormächte 10 Millionen jährlich sterbenden Kinder von 0-5 Jahren, oder die chancenlosen
Baumwollbauern Nordafrikas, denen die Subventionen der USA die Konkurrenz-
demokratisch nennen, sollte es auch optimistisch für mög- fähigkeit rauben, oder die Bauern der Dritten Welt, die mithilfe unserer Über-
lich gehalten werden können, dass sich eine entscheidend schüsse aus ihren heimatlichen Märkten gedrängt werden, so dass sie ihre frucht-
baren Böden brachliegen lassen müssen, …)
große kritische Öffentlichkeit positiv auswirken könnte 42) Sloterdijk, „Im Weltinnenraum des Kapitals“, S. 218/219 (Dieses „Axiom“
… wirklich bedenklich ist, dass solche Worte immer so hat Sloterdijk bereits anno 1999 in „Sphären II – Globen“ (S. 979) formuliert. Er
hätte es also theoretisch ca. 6 Jahre lang reflektieren können.)
unsäglich utopisch nachhallen. 43) Juan Gelman, lt. „Kulturzeit“, 3sat, 4.12.2008
44) Bei fast jedem „komplizierten“ Konflikt lässt sich ein massiver ökonomischer
Hintergrund finden.
45) siehe u. vgl. DIE ZEIT, 23.10.2008, S. 3, (IAASTD Bericht, mehrere hundert
Zum Autor: Simon Bichlmaier, 38 Jahre, ver- Agrar- und Entwicklungsexperten, gefördert von der UN und der EU-Kommis-
heiratet, 2 Kinder, Bankkaufmann und Erzie- sion, die einen „Erhalt und Erneuerung natürlicher Ressourcen statt monokultu-
her. Hat vor ca. 10 Jahren begonnen, auf- rellem Intensivanbau, Förderung der Kleinbauern statt der Agrarkonzerne, lokal
kommende Fragen zur Ökonomie und zum zugeschnittene Hilfen anstelle von global einheitlichen Saatgutmitteln und Pesti-
ziden“ forderten.)
Weltgeschehen aufwendig recherchierend zu 46) Sloterdijk, „Im Weltinnenraum des Kapitals“, S. 134
beantworten. Arbeit an einem Buch, indem 47) Dieses Denken stammt v. Bernd Senf, „Der Tanz um den Gewinn“
Ökonomie, Politik, Philosophie uvm. kritisch 48) Misanthropie = Menschenhass
miteinander diskutieren. Es geht dabei vor 49) Sloterdijk, „Im Weltinnenraum des Kapitals“, S. 219/220
allem um das „Warum“ des Stillstandes. 50) F. M. Wimmer, „Interkulturelle Philosophie“, S. 13
51) vgl. Sloterdijk, „Sphären II, Globen“, S. 947

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