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Renate Kreile Der Kampf um die Frauen. Politik, Islam und Gender im Vorderen Orient April 2007 gender...politik...

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Inhalt

Renate Kreile
Der Kampf um die Frauen. Politik, Islam und Gender im Vorderen Orient

1. Einleitung 2

2. Theoretische Überlegungen: Die Frauenfrage im Spannungsfeld von Staat und Gemeinschaften, 5


Globalisierung und Fragmentierung

3. Der Kampf um die Frauen in der Epoche des Kolonialismus 6

4. Transformationen der Geschlechterverhältnisse im Zuge von Staatsaufbau und 7


gesellschaftlichem Wandel
4.1. Nation-Building und Frauenrechte 7
4.2. Geschlechterpolitische Regulierung des Arbeitsmarktes 8

5. Islamistische Geschlechterpolitik als Krisenausdruck und Versuch der Krisenbewältigung 9


5.1. „Der Islam ist die Lösung“ 9
5.2. Die Ordnung der Geschlechter und die Krisenwahrnehmung der Islamisten 10
5.3. ‚Moralpolitik’ als Krisenantwort 10

6. Frauenbefreiung von außen? Über die Widersprüche externer Interventionen 12


6.1. Frauenrechte in Afghanistan – heute wie gestern Spielball politischer Auseinandersetzungen 13
6.2. Zwischen Besatzung, Staatszerfall und ‚islamischem Staat’– zur Lage der Frauen im ‚neuen’ Irak 15
6.2.1. Besatzungsmacht, Identitätspolitik und genderspezifische Gewalt 15
6.2.3. Die Verkehrtheit der Welt und die ‚Moral’ der Frauen 17

7. Vielfältig und kontrovers: die Strategien der Frauenbewegungen im Kampf um Empowerment 19


7.1. Islamische und islamistische Frauenrechtlerinnen 20
7.2. Säkular orientierte Fauenrechtlerinnen 21
7.3. Hand in Hand im Kampf um rechtliche Gleichstellung: Islamische und säkularorientierte 22
Frauenrechtlerinnen im Iran

8. Perspektiven der geschlechterpolitischen Dynamik im Vorderen Orient 23

9. Fragen zum Text: 25

10. Literatur 25

11. Links 31

12. Endnoten 31

1
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Renate Kreile
Der Kampf um die Frauen. Politik, Islam und Gender im Vorderen Orient

1. Einleitung

Mit dem Aufstieg des politischen Islam seit den


1970er Jahren ist im gesamten Vorderen Orient die
Geschlechterfrage ins Zentrum innergesellschaftlicher
wie internationaler politischer Auseinandersetzungen
gerückt.

Von Kairo bis Kabul, von Bagdad bis Istanbul prä-


gen Kontroversen über die Stellung und sog. ‘Moral’ der
Frauen fortdauernd gesellschaftliche Diskurse, definie-
ren politische Zugehörigkeiten und markieren ideolo-
gische Grenzlinien nach innen wie nach außen. Körper
und Sexualität der Frauen, symbolisch manifestiert in
der Schleierfrage, sind zu Metaphern geworden, über
die Themen wie Religion und Säkularismus, Fortschritt
und Rückständigkeit, Globalisierung und Selbstbehaup-
tung, Authentizität und Verwestlichung, Gemeinschaft Frauen im Iran. Foto: Hans Peter Hellermann 2004
und Individuum artikuliert und umkämpft werden. Nicht
selten liegen den politisch-kulturellen Auseinanderset- mittlerweile für den Gesichtsschleier entschieden haben
zungen soziale Konflikte zugrunde. (vgl. Frankfurter Rundschau vom 24. 10. 2006).

Zahllose Frauen engagieren sich in den islamisti- Historisch wie aktuell ist die Frauenfrage nicht nur
schen Bewegungen. Seinen sichtbaren Ausdruck findet ein leidenschaftlich umkämpftes und symbolträchtig
dieses Phänomen darin, dass in den vergangenen drei aufgeladenes Terrain innergesellschaftlicher politischer
Jahrzehnten Schleier und Kopftuch als Massenerschei- Auseinandersetzungen, sondern immer wieder auch An-
nungen in den urbanen Raum zurückgekehrt sind. Wäh- schlussstelle für externe Einflussbestrebungen. Bereits
rend viele ihrer Großmütter und Mütter den Schleier als vor über hundert Jahren diente die Frauenfrage für die
Zeichen weiblicher Unterordnung abgeworfen haben, Kolonialmächte als wichtiges ideologisches Instrument,
wird die neue ‚islamische Bedeckung’ heute vielfach ihre Unterwerfungspolitik als ‘zivilisatorische Mission’
selbstbewusst auch von jüngeren gebildeten Frauen, zu legitimieren, die angeblich ‘die orientalische Frau’
von Akademikerinnen und Studentinnen aus den mo- aus ihrem düsteren Gefängnis von Unterdrückung und
dernen Mittelschichten getragen. Rückständigkeit befreien sollte. In bemerkenswer-
ter Doppelzüngigkeit forderte damals bspw. der briti-
So demonstrierten bspw. im Oktober 2006 Hunderte sche Generalkonsul in Ägypten, Lord Cromer, der sich
von Studierenden an der Helwan Universität bei Kairo in seiner englischen Heimat als entschiedener Gegner
für das Recht von Studentinnen, den Gesichtsschleier der Frauenrechtsbewegung hervortat, die – wie er sag-
zu tragen. Zuvor hatte der Dekan der Universität, die te - „islamische Degradierung der Frauen zu beenden“
Verhüllung mit dem niqab zwar nicht auf dem Campus und den Schleier abzuschaffen, da er dem „Fortschritt“
und in den Hörsälen, aber - aus angeblichen Sicher- und der „Zivilisierung der muslimischen Gesellschaften“
heitsgründen - in den Wohnheimen der Studentinnen entgegenstünde (vgl. Kreile 1997, 232ff).
untersagt. Verbot wie Gegenreaktionen riefen hitzige
öffentliche Debatten in der ägyptischen Gesellschaft In jüngster Zeit erleben wir eine auffällige Wieder-
hervor, in der nach neuesten Umfragen ca. 80% der kehr einschlägiger kolonialer Legitimationsmuster. In
Frauen ihr Haar bedecken und zunehmend mehr Frauen, der normativen Zielsetzung, Frauen- und Menschenrechte
insbesondere aus den gebildeten Mittelschichten, sich weltweit durchzusetzen, finden militärische Interventionen
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im Interesse der hegemonialen Weltordnungspolitik der rung des Islam kommentiert Aziz Al-Azmeh derartige In-
US-Administration ihre ideologische Rechtfertigungs- terpretationsansätze kritisch: „Nicht zuletzt in Deutsch-
formel. Auf den Spuren Lord Cromers und der britischen land lässt sich eine Tendenz feststellen, muslimische
Kolonialpolitik stilisieren sich heute die Neokonserva- Völker und Einzelpersonen auf ein Wesen namens Islam
tiven in Washington, die für die US-Gesellschaft eine zu reduzieren und sie dadurch des historischen Charak-
durchaus konservative Frauenpolitik verfechten, iro- ters, Kennzeichen aller menschlichen Gemeinschaften
nischerweise zu Vorkämpfern für Frauenrechte in der zu berauben, sie also ohne Bezug auf die sozialen, nor-
islamischen Welt. So wurden etwa die Kriege in Afgha- mativen, ideologischen, ökologischen und sonstigen
nistan und Irak seitens der US-Regierung nicht zuletzt Unterschiede und Konflikte zu betrachten, von denen
mit der erklärten Absicht legitimiert, Rechte und Em- ihre Geschichte beherrscht wird“ (Al-Azmeh 1996, 7).
powerment von Frauen weltweit durchzusetzen. (vgl.
Ferguson 2005, 20ff). Wie unzulänglich das Konzept ‘des Islam’ als mono-
kausaler Erklärungskategorie auch für die Geschlechter-
Die innergesellschaftlichen und internationalen ordnungen in den ‚Welten des Islam’ ist, zeigt sich nicht
Auseinandersetzungen über die Geschlechterordnun- zuletzt daran, dass das Etikett ‘islamisch’ von Marokko
gen im Orient wie auch deren Repräsentationen und über Saudi Arabien und Iran bis Pakistan und Indone-
wissenschaftliche Reflexionen sind nicht losgelöst von sien dazu dient, durchaus uneinheitliche Reglementie-
historischen Traditionslinien und Erblasten angemes- rungen bezüglich der Geschlechterverhältnisse und der
sen zu verorten und zu begreifen. Sie sind mit Inter- Stellung der Frau zu legitimieren (vgl. Kandiyoti 1991;
aktionszusammenhängen verwoben, die historisch und Joseph 2000; Sariönder 1999).
aktuell durch die strukturellen Asymmetrien der kapita-
listischen Weltgesellschaft und direkte externe Inter- Die Entwicklungen in verschiedenen islamisch ge-
ventionen geprägt sind (vgl. Fuchs/Berg, 11ff). prägten Staaten wie etwa dem Iran oder dem Irak sowie
die Zunahme des islamistisch legitimierten Terrors seit
Anknüpfend an Edward Saids einflussreiche Ori- dem 11. September 2001 haben darüber hinaus das
entalismus-Studie1 (Said 1978) haben verschiedene Deutungsmuster eines angeblichen „Kampfes der Kul-
Forscherinnen und Forscher herausgearbeitet, wie über turen“, das von dem renommierten amerikanischen Po-
Imaginationen der ‘orientalischen Frau’, der ‘Orient’ - litologen Samuel Huntington entworfen wurde, weithin
je unterschiedlich bewertet – immer wieder als Gegen- im öffentlichen Bewusstsein verankert (vgl. Harders
bild zu ‘Europa’ und als ‘das konstituierende Andere’ 2005).
konstruiert wurde (vgl. Bronfen/ Marius 1997, 6; von
Braun/ Mathes 2007). Dabei konnte er je nach Bedarf Vor diesem Hintergrund erfreuen sich im Westen wie
– etwa in Belletristik oder Malerei2 - zum Ort erotischer im Orient spiegelbildliche Diskurse besonderer Popula-
Geheimnisse und Sinnenfreuden stilisiert oder auch als rität, die die „Frauenfrage“ als identitätsstiftende und
Schauplatz düsterer Frauenunterdrückung dämonisiert abgrenzende Marker zwischen ‚ihnen’ und ‚uns’ konstru-
werden. ieren. So konstatieren etwa die amerikanischen Poli-
tikwissenschaftler Inglehart und Norris einen „sexual
Bis heute erweist sich im öffentlichen Bewusstsein clash of civilizations“ und identifizieren unterschiedli-
die kulturalistische Vorstellung als äußerst lebendig, che Normen im Hinblick auf Geschlechterverhältnis und
ein über Zeit und Raum unwandelbarer, monolithischer Sexualität als die „wahre Bruchlinie zwischen dem Wes-
Islam, ‘der Islam’, sei für die Geschlechterverhältnisse ten und dem Islam“. Die Werte, die die beiden Kulturen
und die Stellung der Frauen im Orient verantwortlich. trennten, hätten mehr mit „Eros als mit Demos“ zu tun
Insbesondere nach dem 11. September 2001 avancier- (Inglehart/Norris 2003).
te der Koran als vermeintliches Erklärungshandbuch für
aktuelle soziopolitische Entwicklungen in den moder- Während in einschlägigen westlichen Diskursen die
nen islamischen Gesellschaften dementsprechend im ‚befreite Frau’ im Westen der ‚unterdrückten Orientalin’
Westen zum Bestseller (vgl. Roy 2004, 10). gegenüber gestellt wird, glorifizieren umgekehrt isla-
mistische Diskurse die Würde der ‚beschützten Musli-
In seiner brillanten Aufsatzsammlung Die Islamisie- min’ im Kontrast zu der zur Ware herabgewürdigten,
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sexuell ausgebeutete Frau im Westen. In ihrer spiegel- In jüngerer Zeit wird in der orientbezogenen Gen-
bildlichen Ahistorizität und kulturalistischen Perspekti- der-Forschung zunehmend von der Einschließung der
ve erweisen sich identitätspolitisch motivierte Diskur- Region in ein imaginiertes religiös-kulturelles Ghetto
se in westlichen wie in orientalischen Gesellschaften und eine damit einher gehende Aussperrung aus der
als theoretische Verwandte (vgl. Al-Azmeh 1996, 8ff; Geschichte Abschied genommen; die Region gleichsam
34ff). ‘normalisiert’. Dies bedeutet die Anwendung soziostruk-
tureller Kategorien auf die dortigen Geschlechterver-
In Abgrenzung von den skizzierten ahistorischen und hältnisse und die Wahrnehmung von ‘Islam’ und ‘Kultur’
kulturalistischen Sichtweisen liegt den folgenden Über- als historisch und sozial vermittelten und wandelbaren,
legungen die Perspektive des libanesischen Soziologen uneinheitlichen und plastischen Bestimmungsfaktoren
Barakat zugrunde, der bemerkt: „Nicht die Religion ist (vgl. Moghadam 1993, xiii; 7f).
der Schlüssel zum Verständnis der Gesellschaft, sondern
die Gesellschaft ist der Schlüssel zum Verständnis der Damit können unproduktive und erkenntnishem-
Religion“ (zit. nach Metzger 2002, 1). mende Diskursblockaden binärer Kategorisierungen und
dichotomisierender Zuschreibungen kritisch reflektiert
Die interessierende Frage ist demnach nicht, was und überwunden und die interne Komplexität, Vielfalt
steht im Koran etwa zur Verschleierung der Frau oder zur und Widersprüchlichkeit orientalischer Gesellschaften
Ehescheidung, sondern welche sozialen und politischen wahrgenommen werden (vgl. Kandiyoti 1996, 17).
Faktoren führen dazu, dass verschiedene gesellschaftli-
che Akteure den Koran in der einen oder anderen Weise Nach diesen selbstreflexiven Ausgangsüberlegun-
interpretieren (vgl. Roy 2004, 10). Religiöse Texte im gen möchte ich im Folgenden in historischer und ak-
Islam wie in anderen Religionen sind keine „statischen tueller Perspektive die herausragende Bedeutung der
Bedeutungsspeicher“; ihre Inhalte und Bedeutungen Geschlechterpolitik im Vorderen Orient analysieren.
werden zu einem großen Teil im Kontext von Macht- Beleuchtet werden dabei zunächst die Epoche des Ko-
strukturen kommunikativ ausgehandelt, indem aus dem lonialismus und die Ära von Staatsaufbau und Staats-
Textkorpus ausgewählt, interpretiert und gewichtet feminismus. Anschließend werden vor dem Hintergrund
wird. Diese Prozesse unterliegen einem historischen dramatischer gesellschaftlicher Krisenentwicklungen
Wandel und werden von soziopolitischen Rahmenbe- die gesellschaftlichen und politischen Auseinanderset-
dingungen und Interessenlagen, kulturellen Einflüssen, zungen um die Geschlechterordnung seit den 1970er
kollektiven Praxen, tradierten Wissensbeständen und Jahren und dem Aufstieg des politischen Islam un-
autobiographischen Erfahrungen beeinflusst (vgl. Da- tersucht, die bis heute fortdauern. Kaum überschätzt
mir-Geilsdorf 2005, 216f). Wie andere Religionen kann werden können die Auswirkungen der indirekten und
auch der Islam zur Legitimierung höchst unterschied- zunehmend auch direkten externen Einflussnahmen auf
licher sozialer, politischer oder auch psychologischer die Geschlechterpolitik in verschiedenen Staaten, die
Interessen oder Bedürfnisse genützt werden. Dies gilt exemplarisch am Beispiel Afghanistans und des Iraks
nicht zuletzt im Hinblick auf das Geschlechterverhält- aufgezeigt werden. Im letzten Teil werden verschie-
nis und die Stellung der Frau. dene Strömungen der Frauenbewegungen der Region
vorgestellt, die vielstimmig und kontrovers mit unter-
Verschiedene Forscherinnen haben herausgear- schiedlichen Strategien auf die gegenwärtigen internen
beitet, dass die islamischen Quellentexte auch ‘frau- und externen Herausforderungen reagieren und um Em-
enfreundlich oder modernistisch interpretiert werden powerment ringen.
können (vgl. Mernissi 1989; al-Hibri 1982). Dabei wird
bspw. Bezug genommen auf ein Zitat des Propheten Im Sinne einer theoretischen Verortung meiner Aus-
Mohammed, in dem es heißt: „Alle Menschen sind führungen skizziere ich vorab einige allgemeine Über-
gleich, gleich wie die Zähne eines Kammes. Es gibt legungen zur strukturellen Bedeutung der Geschlech-
keinen Überlegenheitsanspruch eines Arabers gegenü- terordnung im Orient im Spannungsfeld von Staat und
ber einem Nicht-Araber, einer weißen gegenüber einer Gemeinschaften, von Globalisierung und identitätspoli-
schwarzen Person oder eines Mannes gegenüber einer tischer Fragmentierung.
Frau“ (Hervorhebung durch al-Hibri 1982, 218).
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2. Theoretische Überlegungen: Die Frauenfrage im Mit der einheitlichen Reglementierung der Ge-
Spannungsfeld von Staat und Gemeinschaften, schlechterverhältnisse und der Stellung der Frau such-
Globalisierung und Fragmentierung te der Staat in Bereiche einzugreifen, die zuvor der
ausschließlichen Kontrolle durch die Gemeinschaften
Die strukturelle politische Entwicklungsdynamik in unterworfen waren, und deren Autonomie zu brechen.
Geschichte und Gegenwart des Vorderen Orients ist Für die Gemeinschaften hingegen vermochte die Kon-
weithin von einem spannungsvollen und konflikthaften trolle über ‚ihre’ Frauen, die Identität und Integrität
Verhältnis von zentralisierendem Staat einerseits und der Gemeinschaften symbolisierten, zum zentralen
den primären familiären, tribalen und religiösen Ge- Ausdruck des Widerstandes und der Selbstbehauptung
meinschaften andererseits geprägt. Die primären, ver- gegenüber der Zentralmacht zu werden. Nicht immer
tikalen Solidareinheiten agieren oftmals als soziopoli- erfolgte die staatliche Reglementierung der Geschlech-
tische Konkurrenzorganisationen bzw. als Schutz- und terverhältnisse in Konkurrenz zum Kontrollanspruch der
Widerstandsbastionen gegenüber einem als ‚fremd’ und Gemeinschaften; bisweilen kooperierten staatliche und
repressiv wahrgenommenen Staat; bisweilen ersetzen gemeinschaftliche Patriarchen bei der Kontrolle über
sie funktional einen als ‚abwesend’ erlebten Staat. Ihre die Frauen.
besondere Bedeutung wird durch die verbreitete Schwä-
che unabhängiger zivilgesellschaftlicher Institutionen Die Form und Reichweite der jeweiligen staatlichen
und horizontaler Solidargemeinschaften verstärkt. Strategie spiegelte die uneinheitlichen sozialen und
ökonomischen Ausgangsbedingungen wider und die
In den machtpolitischen Auseinandersetzungen zwi- von Land zu Land unterschiedlichen Kräfteverhältnisse
schen Staat und primären Gemeinschaften spielt das zwischen dem Staat und den partikularen Solidarein-
Geschlechterverhältnis eine zentrale Rolle. heiten und Machtpolen.

Die Gemeinschaften begreifen das Verhältnis der Ge- Im Zeitalter der Globalisierung und als Ausdruck
schlechter als zentrales Element der jeweiligen inneren und Ergebnis von Fragmentierungsprozessen haben der
Ordnung, das im kollektiven Bewusstsein die spezifische Rückbezug auf ‚imagined communities’ (Anderson 1983)
Identität der eigenen Gemeinschaft ausmacht und die- und die Politisierung ethnischer und religiöser Zugehö-
se gegenüber „den anderen“ abgrenzt. Der Prozess der rigkeiten im Vorderen Orient und weltweit enorm an
kollektiven Selbstdefinition beinhaltet immer auch eine Boden gewonnen. Die revitalisierten vorgefundenen
Klärung der Platz- und Rollenanweisung für Frauen, die bzw. neu erfundenen religiösen und ethnischen Ge-
in vielen Kulturen als Verkörperung kollektiver Identi- meinschaften werden angesichts der Zumutungen der
tätskonzepte gelten. Er vermittelt sich im Rahmen der Globalisierung sowie der Erosion staatlicher Ordnungen
symbolischen Ordnung und schließt einen Werte- und als Refugien und Gegenmodelle konstruiert und erlebt.
Moralkodex, eine Kleiderordnung, eine Körpersprache Sie werden genderpolitisch abgegrenzt und gesichert.
und eine Ordnung der Handlungs- und Bewegungsräu- Identitätspolitik mit ihrer Logik von Abgrenzung und
me ein (vgl. Wichterich 1992, 47f). Ausschluss wird dabei nicht selten zum bevorzugten In-
strument in innergesellschaftlichen Verteilungskämpfen
Die Nationalstaaten, die sich nach dem Zerfall des um knappe Ressourcen.
Osmanischen Reiches und dem Ende des Kolonialismus
im Vorderen Orient herausgebildet haben, haben mit- Nicht nur im Hinblick auf die wechselvolle Dynamik
tels unterschiedlicher Strategien versucht, die primä- zwischen Zentralmacht und Gemeinschaften, sondern auch
ren Gemeinschaften im Interesse von Modernisierung im Kontext der Einbindung des Orients in die internationa-
und Staatsaufbau zu schwächen, einzubinden oder zu le und transnationale Politik spielt der Gender-Faktor eine
funktionalisieren. Der „Kampf um die Frauen“ stellte herausragende Rolle. Ausländische Interventionen haben
dabei ein wichtiges Instrument dar. In unterschiedli- immer wieder historisch spezifische, aber strukturell analo-
chen Ausprägungen griffen auch die Frauen selbst als ge Dynamiken widerständiger Identitätspolitiken hervorge-
Akteurinnen in diese Auseinandersetzungen und Aus- rufen, die die Geschlechterfrage zum Schlüsselelement und
handlungsprozesse ein. Medium antikolonialen Widerstandes und identitätspoliti-
scher Selbstbehauptungsbestrebungen erhoben haben.
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So ruft heute -ähnlich wie in Zeiten des Kolonia- Als Reaktion hierauf übernahm der antikolonia-
lismus- die US-geführte „Globalisierung von oben“ le Widerstand in Algerien den Geschlechterdiskurs als
(Herring/Rangwala 2006, 258) religiös legitimierten zentrales Terrain der kulturell-ideologischen Ausein-
politischen Widerstand hervor, der die ‚eigenen’ Frauen andersetzungen und antwortete seinerseits mit einer
gegen den Angriff durch „die Ungläubigen“ zu schützen Politisierung der ‘traditionellen’ Geschlechterrollen. Die
beansprucht. Im Irak wie in Afghanistan wenden sich Frau in ihrer traditionellen Rolle wurde zur Hüterin und
islamistische Kräfte gegen die von westlicher Seite er- Garantin ‘arabo-islamischer Werte’ ernannt, zum Symbol
hobene Forderung nach Frauenrechten. Der Druck aus der autochthonen kulturellen und religiösen Identität
dem Westen vertieft die Überzeugung der afghanischen und Integrität, und die patriarchalische algerische Fa-
wie der irakischen Islamisten, dass die ‚Moral’ der Frau- milie wurde zur Antithese zum französischen Kulturim-
en und damit die Integrität der islamischen Gemein- perialismus erhoben. Während die Kolonialmacht den
schaft durch Angriffe ‚von außen’ bedroht sei (vgl. Du- Schleier als Metapher der traditionellen Sozial- und Fa-
pree 1998, 159; Al-Ali/Pratt 2006, 22). milienstrukturen abschaffen wollte, wurde der Schleier
im antikolonialen Diskurs zum Widerstandssymbol und
zum Inbegriff algerischer ‘Authentizität’. In einem sol-
3. Der Kampf um die Frauen in der Epoche chermaßen aufgeladenen Bedeutungskontext wurden
des Kolonialismus autonome Handlungsspielräume von Frauen zwangsläu-
fig enorm eingeengt. Etwaige Wünsche, den Schleier
Im 19. Jahrhundert führten Kolonialismus und Welt- abzulegen, wurden - so etwa von Frantz Fanon - als
marktintegration in den Gesellschaften des Vorderen Ausdruck des Verrats an der ‘authentischen’ Kultur und
Orients zu dramatischen Veränderungen und zu einer als Kapitulation gegenüber der europäischen Kolonial-
bis dahin nie gekannten Politisierung der Geschlechter- macht diskreditiert (vgl. Fanon 1980, 20). Viele algeri-
verhältnisse. Der Geschlechterdiskurs erhielt nicht nur sche Frauen trugen aktiv den antikolonialen Geschlech-
eine Schlüsselrolle in der direkten Konfrontation mit terdiskurs mit, dessen Problematik und Ambivalenz sie
dem Kolonialismus, sondern wurde auch zum zentralen noch heute hautnah erfahren (vgl. ausführlich Kreile
Medium in den sich entfaltenden innergesellschaftli- 1997a, 222ff).
chen Konflikten. Die in der damaligen Zeit vehement
geführten Auseinandersetzungen um die Geschlechter- Auch die innergesellschaftlichen Auseinanderset-
ordnung werfen ihre langen Schatten noch auf die ein- zungen am Ende des 19. Jahrhunderts wurden unter
schlägigen heutigen Diskurse. Bezugnahme auf das Koordinatensystem von Frauenfra-
ge und Authentizitätsdiskurs geführt, wie insbesondere
Die Kolonialmächte bedienten sich der Frauenfrage die ägyptische Entwicklungsdynamik deutlich macht.
in doppelter Hinsicht als eines strategischen Einfalls- Im Zuge der verstärkten Einbindung in den kapitalis-
tors in die Kolonialgesellschaften. Zum einem sollte tischen Weltmarkt in den Jahren der indirekten briti-
damit die Unterwerfungspolitik als angebliche ‘zivilisa- schen Kolonialherrschaft kam es zu Überlagerungen und
torische Mission’ legitimiert werden, die die ‘orientali- Verknüpfungen, zu Kongruenzen und Konflikten von
schen Frauen’ aus mittelalterlicher Dunkelheit und der Kolonialideologie, einheimischem modernistischen Dis-
Erniedrigung durch ihre Männer befreien sollte. Darüber kurs und traditionalistischem Gegendiskurs. Die unter-
hinaus zielte insbesondere die brutale Assimilierungs- schiedlichen Standpunkte in der Frauenfrage, wie sie in
strategie der französischen Kolonialpolitik in Algerien Ägypten etwa von Reformern um Qasim Amin und anti-
auch auf die Zerstörung der Struktur und des Zusammen- westlichen Nationalisten um Tal ‘at Harb vorgetragen
haltes der algerischen Familien und Verwandtschafts- wurden, spiegelten nicht zuletzt unterschiedliche sozi-
verbände ab. Mit einer Kampagne zur Entschleierung ale Interessenlagen wider. Zugespitzt formuliert wurde
und angeblichen ‘Emanzipation’ der algerischen Frau der Kampf um den Schleier zum ‘verschleierten Klassen-
erstrebte die französische die Kolonialmacht eine Ein- kampf’. Die den oberen Schichten zugehörigen Nutznie-
bindung der Frauen in ihr Assimilierungsprojekt, eine ßer der abhängigen kapitalistischen Entwicklung waren
Spaltung der patriarchalischen algerischen Familie und ökonomisch und kulturell in die westliche Einflusssphä-
somit einen entscheidenden Zugriff auf die algerische re integriert und orientierten sich in der Frauenfrage
Gesellschaft (vgl. Knauss 1987, 29ff). wie bei anderen politischen und ideologischen Themen
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vorrangig an westlichen Konzepten. Die Verlierer der derner Eliten in verschiedenen Staaten der Region den
Weltmarktintegration, die abstiegsbedrohten traditio- Frauen eine weitreichende rechtliche und soziale Bes-
nellen Mittelschichten, suchten ihren sozialen Abwehr- serstellung und eröffnete insbesondere für Frauen aus
kampf durch Rückgriff auf eine tatsächliche oder ‘erfun- den sich entfaltenden modernen Mittelschichten durch
dene’ Tradition und ‘kulturelle Authentizität’ zu legiti- den staatlich geförderten Zugang zu Bildung und Beruf
mieren, die sie insbesondere in der ‘althergebrachten’ neue Handlungsspielräume.
Stellung der Frau symbolisiert sahen (vgl. Cole 1981,
387-407; vgl. Kreile 1997a, 228ff). Tal ‘at Harb, der Am weitesten reichten die Veränderungen des recht-
später die ägyptische Nationalbank mitbegründete, lichen Status der Frau in dieser Ära des ‚Staatsfeminis-
wandte sich entschieden gegen Amins Forderung nach mus’ (Tekeli 1991, 40)in der Türkei. Hier hatte Mustafa
Abschaffung des Gesichtsschleiers und verteidigte die Kemal Atatürk 1924 in einem radikalen und beispiello-
Abschließung der Frauen als Mittel, um die weibliche sen Akt einer „Modernisierung von oben“ eine vollstän-
Tugend und die Ehre der Familie zu schützen. Der eu- dige Säkularisierung der politischen Institutionen des
ropäische Einfluss, von dem Amins aufsehenerregendes neuen türkischen Staates verfügt, der auf den Trüm-
Buch ‘Die Befreiung der Frau’ offenkundig inspiriert mern des Osmanischen Reiches geschaffen wurde.
war, habe die moralische Verfassung der Gesellschaft
verschlechtert und muslimische Verhaltensweisen kor- Einschneidend und von weitreichender Bedeutung
rumpiert. Angesichts einer Situation, in der die öko- für die Geschlechterverhältnisse und die Stellung der
nomische und politische Sphäre vom Westen dominiert Frau war die Neuregelung des Familienrechtes, das
war, erschien die Familie vielen depravierten Männern völlig mit den Bestimmungen des islamischen Rech-
als letztes Refugium, in dem sie Kontrolle ausüben tes brach und sich am Schweizer Zivilrecht orientierte.
und das sie vor dem Zugriff der ‘Ungläubigen’ schützen Diese Maßnahme diente als wichtiger Baustein bei der
konnten (vgl. Keddie 1991, 13). Ausschaltung der Macht der religiösen Institutionen
(vgl. Pawelka 1993, 64f). Die Polygynie wurde verbo-
ten, die Frauen erhielten gleiche Rechte bezüglich der
4. Transformationen der Geschlechterverhältnisse Scheidung und Vormundschaft für die Kinder. Unan-
im Zuge von Staatsaufbau und gesellschaftli- getastet blieb allerdings die Stellung des Mannes als
chem Wandel Oberhaupt der Familie (vgl. Tekeli 1991, 41). Das Tra-
gen des Schleiers wurde zwar nicht gesetzlich verboten,
4.1. Nation-Building und Frauenrechte aber propagandistisch bekämpft. 1930 und 1934 erhiel-
ten die Frauen das Wahlrecht auf lokaler bzw. nationa-
Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches und ler Ebene. Das Bild von der ‚neuen Frau’, die modern
der Erringung der Unabhängigkeit durch antikolonia- gekleidet, öffentlich sichtbar und als Staatsbürgerin
le Bewegungen stellte die Frauenfrage in verschiede- gleichberechtigt sein sollte, prägte Generationen von
nen Staaten der Region ein wichtiges Instrument für Frauen der Mittel- und Oberschichten, die über die öko-
den Prozess des nation-building dar. Dabei waren al- nomischen und familialen Bedingungen verfügten, die
lerdings die staatlichen Bemühungen, die Geschlech- neuen Handlungsspielräume wahrnehmen zu können
terverhältnisse im Interesse von Staatsaufbau und Mo- (vgl. Kandiyoti 1991b, 23; 42f).
dernisierung zu transformieren und so die staatliche
Hegemonie über die Gesellschaft durchzusetzen, in den Die kemalistische Frauenpolitik stellte einen Eck-
verschiedenen Gesellschaften nicht in gleicher Weise pfeiler dar beim Aufbau eines modernen laizistischen
erfolgreich. So kam es je unterschiedlich und ungleich- Nationalstaates. Sie zielte darauf ab, mittels Frauen-
zeitig zur Auflösung, Umgestaltung oder Selbstbehaup- und Familienpolitik die Kontrolle des Staates über die
tung der lokalen, religiösen und familiären Gemein- Gesellschaft auszuweiten, was sich nicht zuletzt darin
schaften. Die Folgen für die Frauen waren uneinheitlich zeigt, dass autonome politische Initiativen von Frauen zu-
und ambivalent. Einerseits wurden ihre traditionellen nehmend unterbunden wurden (vgl. Kreile 2004, 309).
Aktionsradien oftmals beschränkt und ihre bisherigen
informellen Einflussmöglichkeiten teilweise entwertet. Die türkische Frauenbewegung ließ sich freudig in
Andererseits brachte Herrschaft reformorientierter mo- das nationalistische Projekt einbinden. Mit der Begrün-
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dung, dass die türkischen Frauen vollständige Gleich- Männer etwa in die Golfstaaten und nach Saudi Arabien
berechtigung erreicht hätten, beschloss die Türkische bewirkte teilweise eine stärkere Einbeziehung von Frau-
Frauenföderation 1935 ihre Selbstauflösung (vgl. Kan- en in die weniger profitablen nationalen Arbeitsmärkte
diyoti 1991b, 39ff). etwa in Ägypten oder Jordanien. Nicht selten brachte
die neue geschlechtsspezifische Regulierung der regi-
4.2. Geschlechterpolitische Regulierung des onalen und nationalen Arbeitsmärkte die tradierten
Arbeitsmarktes patriarchalischen Geschlechterarrangements und die
Autorität der Männer ins Wanken, was nicht zuletzt so-
Seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhun- zialpsychologisch den Nährboden für geschlechterpoli-
derts kam es in verschiedenen Ländern der Region zu tische Backlash-Bewegungen schuf (vgl. Kreile 1997a,
einer massenhaften Einbeziehung von Frauen in den 283ff).
Arbeitsmarkt. Die Frauen erhielten größere soziale und
politische Rechte, wie etwa in Ägypten unter Nasser Seit den 1980er Jahren erfolgte eine deutliche ar-
das Recht, außerhalb des Hauses zu arbeiten und an beitsmarkt- und geschlechterpolitische Trendwende. Im
Wahlen teilzunehmen.3 Zuge der Krisenentwicklung, die wesentlich durch den
Verfall der Ölpreise und das Sinken der Staatseinnah-
In dieser Phase des ägyptischen „Staatsfeminis- men bedingt war und neoliberalen Strukturanpassungs-
mus“ wurde Frauen per Gesetz Anspruch auf gleichen maßnahmen die Tür öffnete, kam es zu wachsenden
Lohn für gleiche Arbeit zugestanden, an Arbeitsplätzen sozialpolitischen Auseinandersetzungen und Verdrän-
mit vielen weiblichen Beschäftigten wurden Kinderbe- gungswettbewerben auf dem Arbeitsmarkt. Die meisten
treuungszentren eingerichtet (vgl. MacLeod, 8; Hatem Regierungen waren weniger als bisher in der Lage, brei-
1992, 233). Frauen konnten wie Männer eine kosten- te Schichten der Bevölkerung materiell einzubinden.
lose Universitätsausbildung erhalten mit einer staat-
lichen Arbeitsplatzgarantie nach dem Abschluss (vgl. In Ägypten bspw. waren insbesondere die moder-
Badran 1991, 218). Die Zahl von Universitätsabsolven- nen Mittelschichten von der Sparpolitik betroffen. So
tinnen stieg dramatisch. 1980 waren bereits ein Viertel wurde etwa die staatliche Arbeitsplatzgarantie für Ab-
aller ägyptischen Universitätsabsolventen Frauen. In solventinnen und Absolventen der höheren Bildungs-
den qualifizierten Berufen im Bildungs- und Gesund- institutionen gestrichen. Hauptleidtragende der neuen
heitssektor, im technischen Bereich und in den Medi- arbeitsmarktpolitischen Orientierung und des Verdrän-
en stellten Frauen 26% der Beschäftigten (vgl. Ahmed gungswettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt wurden die
1992, 210f). Frauen, die gerade erst die Eintrittskarte erhalten oder
erkämpft hatten. Unter dem Deckmantel staatlich-pa-
Derartige geschlechtsegalitäre Reformen eröffneten triarchalischer Fürsorglichkeit ergriff die ägyptische Re-
vielen Frauen neue Rollen und Entfaltungsmöglichkei- gierung Maßnahmen, die Feminisierung des städtischen
ten und machten sie ökonomisch unabhängiger von ih- und ländlichen Arbeitsmarktes rückgängig zu machen,
ren Familien. um für die männlichen Arbeitsmigranten, die infolge
der Krise aus den Golfstaaten zurückkehrten, beschäf-
Jedoch ließen auch die progressiveren Modernisie- tigungspolitisch Platz zu schaffen. So bemühte sich
rungseliten die familienrechtliche Unterordnung der der Industrieminister 1987 darum, die Einstellung von
Frauen unangetastet und verzichteten darauf, diese Frauen in der Textilindustrie mit dem scheinheiligen
letzte Bastion der familiären und religiösen Patriarchen Argument zu beenden, die Gesundheit der Frauen sei
zu attackieren (vgl. Badran 1991, 211). gefährdet. Heftige Proteste zahlreicher Frauengruppen
zwangen das Ministerium dazu, auf diese Reglementie-
Seit den 1970er Jahren führte der tiefgreifende rung zu verzichten (vgl. Hatem 1992, 237).
wirtschaftliche und soziale Wandel in der Region im
Zuge des Öl-Booms zur Entfaltung eines regionalen Der nachhaltige Wandel der staatlichen Politik von
Arbeitsmarktes und zu einer von Land zu Land unter- der Einbeziehung der Frauen in den Arbeitsmarkt im In-
schiedlich akzentuierten, folgenreichen Veränderung teresse des Staatsaufbaus und während der Boom-Pha-
der Geschlechterverhältnisse. Die Arbeitsmigration der se zu ihrem Ausschluss in der Krise wurde durch eine
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Wiederbelebung traditioneller Weiblichkeitskonzepte auf den politischen Bühnen des Vorderen Orients prä-
ideologisch flankiert. Diese wurden im Zuge des An- sent.6 Zwar vermochten es die Islamisten nirgendwo,
wachsens der islamistischen Bewegungen zunehmend ihre Vision eines gerechten islamischen Staates im Inte-
religiös legitimiert. Da gerade auch in den höheren resse der mostazafin, der ‚Entrechteten und Enterbten’,
Bildungsinstitutionen vieler arabischer Länder der Stel- zu verwirklichen. Nicht zuletzt unter dem Druck staat-
lenanteil qualifizierter Frauen, etwa im Verhältnis zur licher Einbindungs- bzw. Repressionsstrategien kam es
Situation in Westeuropa, relativ groß ist4, verschärf- in verschiedenen Staaten der Region insbesondere seit
te sich in der Krise nicht zuletzt die Konkurrenzangst den 1990er Jahren zu einer bemerkenswerten Ausdif-
unter den gebildeten Männern der Mittelschichten und ferenzierung innerhalb der islamistischen Strömung.
machte sie anfällig für konservative und islamistische Während ein kleinerer Teil sich radikalisierte und durch
Geschlechterdiskurse, die die Frau vorrangig auf ihre die Hinwendung zu terroristischen Strategien zuneh-
Rolle als Ehefrau und Mutter festlegen wollen. Gleich- mend von breiten Bevölkerungsschichten entfremdete
zeitig sind zunehmend weniger Familien auch aus den und isolierte, kam es in verschiedenen Staaten zu einer
Mittelschichten in der Lage, für ihr Auskommen auf politischen Mäßigung der meisten islamistischen Bewe-
die außerhäusliche Arbeit der weiblichen Mitglieder gungen und zu ihrer Einbindung in das politische Sys-
zu verzichten. Um so wichtiger mag es unter solchen tem, wo sie aber weiterhin einen ernst zunehmenden
Umständen für viele Männer erscheinen, die gefährdete Faktor darstellen. In den meisten arabischen Ländern
patriarchalische Kontrolle über die Frauen, angepasst verfügen islamistische Parteien heute über ein Wäh-
an die neuen Verhältnisse, wiederherzustellen und neu lerpotential von mindestens 15 bis 30% (vgl. Perthes
zu festigen (vgl. MacLeod 1991, 70ff). 1999, 144).

Mit ihren Wohlfahrtsorganisationen füllen sie das


5. Islamistische Geschlechterpolitik als Krisenaus- sozialpolitische Vakuum, das die Regierungen unter
druck und Versuch der Krisenbewältigung dem Druck neoliberaler Globalisierung und Strukturan-
passung hinterlassen haben (vgl. Pawelka 2002, 443).
5.1. „Der Islam ist die Lösung“ Auf der Grundlage von Spenden und transnationalen
Finanzstrukturen zeigen sich die islamistischen Grup-
Die sozioökonomische Dynamik der vergangenen pierungen in der Lage, umfassende soziale Dienste
Jahrzehnte hat nicht nur die nationalen und regiona- anzubieten. Die islamistischen Organisationen bieten
len Arbeitsmärkten transformiert, sondern insgesamt zu bspw. Wohnungs- und Stellenvermittlung an, kostenlo-
tiefgreifenden sozialen Umbrüchen und Verwerfungen se ärztliche Versorgung für die Armen, Dienstleistungen
geführt. Angesichts wachsender sozialer Polarisierung für die Studierenden. Ob im irakischen Sadr City oder
und staatlicher Repression richteten sich seit Ende der den Geçekondus, den ‘über Nacht erbauten’ Vorstädten
1970er Jahre die Hoffnungen vieler Menschen auf die Istanbuls, den Armenvierteln in Kairo oder den Slums
islamistischen Bewegungen5, die unter der Parole ‚Der von Algier - überall spielen die Selbsthilfenetzwerke der
Islam ist die Lösung’ mit der angestrebten Schaffung islamistischen Organisationen eine wichtige Rolle bei
eines ‚islamischen Staates’ einen Ausweg aus Margina- der Betreuung jener Schichten der Bevölkerung, die sich
lisierung und Verelendung, Arbeitslosigkeit und kata- massenhaft gesellschaftlich und wohlfahrtspolitisch
strophaler Wohnungsnot versprachen. Die ersehnte ‚ge- ausgeschlossen und an den Rand gedrängt sehen.
rechte Ordnung’ sollte in einem wahrhaft ‚islamischen
Staat’ Wirklichkeit werden, in dem die Gottvergessen- Die fortdauernde Attraktivität der islamistischen Bewe-
heit als die vermeintlich eigentliche Wurzel aller Übel gungen mag schließlich nicht zuletzt in ihrer Fähigkeit be-
der Gesellschaftsordnung beseitigt sein sollte. gründet liegen, die ideologischen Begründungszusammen-
hänge und Mittel bereitzustellen, die die gesellschaftlichen
Ungeachtet der Einschätzung mancher Regionalex- Transformationsprozesse erklären und individuell gestalt-
perten, die den Islamismus im Niedergang begriffen se- bar erscheinen lassen und die symbolisch kompatibel mit
hen (vgl. Roy 1994, Kepel 2002), sind auch zu Beginn vorherrschenden gesellschaftlichen Deutungsmustern sind
des 21. Jahrhunderts die islamistischen Bewegungen (vgl. Seufert 1997, 486ff). Von konstitutiver Bedeutung in
und Parteien als höchst einflussreiche moderne Akteure diesem Zusammenhang ist der Geschlechterdiskurs.
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5.2. Die Ordnung der Geschlechter und die Krisenwahr- Nicht nur die Funktion, auch die Binnenstruktur der
nehmung der Islamisten Familie wird durch die sozialen Umbrüche allmählich
unterspült. Die traditionellen impliziten oder explizi-
Während strukturelle entwicklungspolitische Um- ten Geschlechter- und Generationenverträge werden
gestaltungsoptionen im Interesse der städtischen und zunehmend außer Kraft gesetzt. Die unübersehbare
ländlichen Armen angesichts interner und externer po- massenhafte Präsenz von Frauen im öffentlichen, tradi-
litischer Rahmenbedingungen sowie der sozialen He- tionell als ‘männlich’ definierten Raum signalisiert die
terogenität der islamistischen Bewegungen blockiert Auflösung der traditionellen patriarchalischen Ordnung
waren, wurde die Geschlechterfrage und die ‘Moral’ und wird zum augenfälligsten Ausdruck des rasanten
der Frauen schichtübergreifend und mehrfach codiert Wandels, der viele fundamental desorientiert. Im tra-
zum Schlüsselthema in den Diskursen und der Praxis ditionellen islamischen Geschlechterdiskurs wird das
des politischen Islam in allen seinen Facetten und Verhalten der Frau, die unverschleiert den öffentlichen
Ausprägungen. „Wir können daraus schließen, ob eine ‘männlichen’ Raum betritt, als sexuelle Versuchung und
Gesellschaft jahili (unwissend, heidnisch; R. K.) oder is- Aufforderung interpretiert, durch die die Selbstbeherr-
lamisch ist“ (Qutb 1981, 180), formulierte Sayyid Qutb, schung der Männer und die Sozialordnung in Gefahr ge-
der unter Nasser hingerichtete islamistische Theoreti- rät und Zwietracht und Chaos (fitna) verursacht werden.
ker und Leitfigur diverser Strömungen des modernen Um den Zusammenbruch der sozialen Ordnung zu ver-
politischen Islam. hindern und die Eintracht in der Gesellschaft zu wah-
ren, muss die potentiell als sozial zerstörerisch gedach-
Der schillernde und sozial mehrdeutige Begriff einer te weibliche Sexualität streng kontrolliert und durch
‘gerechten’ und ‘authentischen’ islamischen Ordnung, räumliche bzw. symbolische Geschlechtertrennung qua
wird inhaltlich gefüllt mit dem sozialmoralischen Kon- Verschleierung der Frau auf den privaten Bereich be-
zept einer ‘gottgewollten’ Geschlechterordnung und schränkt und somit ‘domestiziert’ werden (vgl. Mernissi
einer Re-Formulierung und Politisierung des traditio- 1987, 26ff; Werner 1996, 15).
nellen patriarchalischen Geschlechterdiskurses. Für die
Wiederherstellung der ersehnten ‘gottgewollten Ord- 5.3. ‚Moralpolitik’ als Krisenantwort
nung’ gewinnt die Ordnung der Geschlechter (vgl. Seng-
haas-Knobloch/Rumpf 1991, 125) zentrale Bedeutung; Die islamistischen Oppositionsgruppen begegnen der
diese ist in den Augen der Islamisten offenkundig aus Krise der Familien und der sozialmoralischen Desorien-
den Fugen geraten, gleichsam als Symbol und Indikator tierung mit einer Doppelstrategie. Zum einen werden
einer als chaotisch erlebten Gesellschafts- und Welt- die vielschichtigen Krisensymptome thematisiert und
ordnung. Die soziale Desintegration wird als moralische zur De-Legitimierung der herrschenden Regime verwen-
Desintegration wahrgenommen und bekämpft. det. Zum anderen präsentieren die Islamisten konkre-
te Alternativen, schaffen Strukturen gesellschaftlicher
Die Re-Formulierung und Politisierung des traditio- Gegenmacht und entwickeln Selbsthilfenetzwerke. An-
nellen Geschlechterdiskurses und der ‘Moral’ der Frau- gesichts der Erosion und des Funktionsverlustes der
en durch die Islamisten vermag an Erfahrungen, Kon- verwandtschaftlichen Bindungen bieten die Islamisten
flikte und Ängste anzuknüpfen, die durch den rapiden sich als ‘Supra- und Super-Familien’ an und fördern eine
sozialen Wandel und die Desintegration traditioneller Re-Organisation und Re-Integration der Gesellschaft
Lebenswelten ausgelöst worden sind. Die regionalen- jenseits traditioneller familiärer Bindungsmuster. Die
und Binnenmigrationsprozesse haben den lokalen Zu- Transformation von den verwandtschaftlich hin zu
sammenhalt der Großfamilien zerrissen. Für die in die den politisch-religiös begründeten islamistischen Ge-
Mega-Städte zugewanderten Massen, von denen der Staat meinschaften stellt somit eine Anpassung an moderne
wohlfahrtspolitisch keine Notiz nimmt, sind die sozialen krisenhafte soziale Verhältnisse dar, in denen der Staat
Netze der familiären Solidargemeinschaften, gleichzeitig wohlfahrtspolitisch abwesend ist. Die islamistischen Or-
existenziell notwendiger denn je. Jedoch können sie ihre ganisationen bieten nicht nur soziale Dienstleistungen
traditionelle Funktion, materielle Unterstützung und so- und vermitteln klare moralische Orientierung. Nicht
zialmoralische Orientierung ihrer Mitglieder zu gewähr- zuletzt versprechen sie auch, die durch die soziokul-
leisten, immer weniger erfüllen (vgl. Rugh 1993, 159). turellen Erosionsprozesse gefährdete patriarchalische
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Autorität von Vätern, Ehemännern, Brüdern und ande- Bedeutungskontext nicht nur das symbolische Kapital
ren männlichen Verwandten auf einer neuen Ebene zu weiblicher Tugendhaftigkeit anschaulich gemacht, son-
reformulieren und zu re-formieren, indem die Kontrolle dern auch die eigene moralische Überlegenheit gegen
über die Frauen nun durch alle Männer der umma, der die als aggressiv empfundene Einflussnahme des Wes-
‘Über-Familie’ der Gläubigen, garantiert wird. tens verteidigt.

Die Politisierung der Geschlechterordnung im isla- Die identitätspolitische Bezugnahme auf die ‘au-
mistischen Diskurs vermag zudem den einzelnen Män- thentische’ Kultur zielt nicht primär auf eine Wieder-
nern und Frauen das Gefühl vermitteln, durch eine ‘mo- belegung traditioneller kultureller Werte ab. Eher stellt
ralische’ Lebensführung einen Beitrag zur angestrebten sie ein kreatives kommunikatives Medium dar, über das
‚authentischen’ ‘wahrhaft islamischen Ordnung’ zu leis- die Parameter eines Dialogs mit „Außenstehenden“ defi-
ten und damit den alltäglichen Ohnmachtserfahrungen niert und die sozialen und politischen Verhältnisse im
eigene Einflussmöglichkeiten entgegenzusetzen. Sie Sinne spezifischer Interessenlagen gestaltet werden
wird umgesetzt in symbolisches Kapital, das die mora- sollen (vgl. Peteet 1993, 51f). Dabei werden Zugehörig-
lische Überlegenheit der islamistischen Gemeinschaft keiten zu soziopolitischen Gruppen definiert, Ab- und
gegenüber dem ökonomisch überlegenen, aber mora- Ausgrenzungen nach außen und innen markiert und
lisch als verkommen gewerteten Westen und der als Ansprüche in sich verschärfenden Verteilungskämp-
‚verwestlicht’ perzipierten einheimischen Schicht der fen legitimiert (vgl. Al-Azmeh 1996, 85, 99). Für die
sog. ‚fetten Katzen’ – wie man in Ägypten sagt - veran- ‘wahre’ islamische Gemeinschaft wird eine ursprüng-
schaulicht. Dies vermag die vielfach schmerzlich emp- liche innere Einheit und Harmonie postuliert. Somit
fundene materielle Deprivation erträglicher zu machen. können soziale Gegensätze, unterschiedliche kulturel-
Moral wird zum „Feld der symbolischen Auseinander- le Orientierungen und konfligierende Interessenlagen,
setzung um Anerkennung“ (Klein-Hessling et al. 1999, etwa im Geschlechterverhältnis, nur als Einwirkungen
26). von ‘außen’ konzeptuell erfasst werden. Mit anderen
Worten: Abweichung bedeutet Verrat. Frauen etwa, die
Zentral für den islamistischen Geschlechterdiskurs abweichende Vorstellungen artikulieren und bspw. pa-
ist nicht zuletzt die negative Bezugnahme auf den Wes- triarchalische Strukturen innerhalb der Gemeinschaft
ten, dessen Geschlechterverhältnisse als ‘das Andere’, kritisieren, werden in einer derartigen Logik leicht zu
als Gegenpol zur ‘islamischen Authentizität’ präsentiert ‘verwestlichten Verräterinnen’ an der ‘authentischen
werden (vgl. Kandiyoti 1991a, 7f). So bemerken Lübben Kultur’ und zu ‘inneren Feindinnen’ erklärt (vgl. Tezcan
und Fawzi: „Schon immer hat die Frauenfrage im isla- 1998, 124ff).
mistischen Diskurs die Angst vor dem Eindringen der
Wertesysteme der Anderen, des Westens, symbolisiert Während die Berufung auf vermeintlich ‚authenti-
(Lübben und Fawzi 2000, 260). In einer aufschluss- sche’ Traditionen einerseits als Selbstbehauptungsstre-
reichen ethnografischen Untersuchung über Motiva- ben gegenüber westlicher Dominanz gedeutet werden
tionsstrukturen islamistischer Studentinnen in Kairo kann, dient der Authentizitätsdiskurs andererseits
hat Karin Werner festgestellt, dass der Westen „als nicht selten auch als ideologische Waffe bei innerge-
kulturelle Negativfolie nahezu omnipräsent“ (Werner sellschaftlichen Auseinandersetzungen. Dies gilt nicht
1996, 14) war. In den Augen der jungen Islamistinnen zuletzt für Auseinandersetzungen zwischen verschie-
sei der Westen zwar technisch überlegen, aber mora- denen Strömungen der Frauenbewegung. Mittels Zu-
lisch korrupt und unterlegen. Einmal mehr wird auch schreibungen, was als ‚authentisch’ gelten darf und was
von den befragten islamistischen Aktivistinnen der nicht, werden oftmals Stimmen, die interne Strukturen
weibliche Körper identitätspolitisch instrumentalisiert und Entwicklungen kritisieren und Reformen fordern,
und zum symbolischen Austragungsort eines imaginier- als ‚verwestlicht’ und ‚unislamisch’ diskreditiert und
ten Kulturkampfes zwischen dem Westen und dem Ori- marginalisiert.
ent. So wurde betont, die westliche Kultur dringe in die
Kapillaren der islamischen Gesellschaften ein und grei- So gab es bspw. zeitweilig heftige Auseinander-
fe hier besonders den weiblichen Körper an (ebenda). setzungen in den Palästinensischen Autonomiege-
Durch das Tragen des Schleiers wird in einem derartigen bieten zwischen Repräsentantinnen der laizistischen
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Renate Kreile Der Kampf um die Frauen. Politik, Islam und Gender im Vorderen Orient April 2007 gender...politik...online

Frauenbewegung, die der PLO nahe steht und sich für politischen Wandels, der Frauenrechte befördern soll,
Gleichberechtigung im Familienrecht einsetzt und isla- seien im Folgenden anhand von zwei aktuellen Fall-
mistischen Männern und Frauen, die HAMAS naheste- beispielen skizziert. Dabei repräsentieren die beiden
hen, wie etwa der Al-Huda-Frauen-Vereinigung. Letz- Beispiele Afghanistan und Irak höchst unterschiedliche
tere attackierte in ihren Publikationen die laizistischen historisch-strukturelle Entwicklungsdynamiken im Hin-
Frauenrechtlerinnen als Agentinnen einer westlichen blick auf das Spannungsfeld von Staat, Gemeinschaften
Verschwörung und als unmoralisch (vgl. Jad/Johnson/ und Frauenrechten. Die gewaltsamen externen Inter-
Giacaman 2000, 149f). ventionen haben gleichwohl weder in Afghanistan noch
im Irak zu nachhaltigem Empowerment für eine Mehr-
Angesichts des dramatischen Vertrauensverlustes heit von Frauen geführt.
der herrschenden Eliten kann es wenig verwundern,
dass die geschlechterpolitische Re-Orientierung in die In der modernen Geschichte Afghanistans gelang
staatlichen Versuche des Krisenmanagements ebenfalls es der schwachen ressourcenarmen Zentralmacht zu
Eingang gefunden hat. keinem Zeitpunkt, die Autonomie der religiösen, tri-
balen und familialen Gemeinschaften zu brechen und
Die Regierungen versuchen damit den islamisti- die staatliche Hegemonie über die stark segmentierte
schen Oppositionsgruppen den Wind aus den Segeln Gesellschaft durchzusetzen. Zentralstaatliche Bemü-
zu nehmen und die gemäßigteren Strömungen einzu- hungen, die durch eine einheitliche Reglementierung
binden. Die ‘Frauenfrage’ eignet sich zu diesem Zweck der Geschlechterverhältnisse dieses Ziel zu erreichen
nicht zuletzt deshalb besonders, weil hier gesamtge- suchten, stießen immer wieder auf erbitterten, zumeist
sellschaftlich wenig Widerstand zu erwarten ist und am ‚islamisch’ legitimierten Widerstand. Die Patriarchen
ehesten Gemeinsamkeiten zwischen Traditionalisten der Gemeinschaften wollten sich die Kontrolle über
und Islamisten vorhanden sind (vgl. Stowasser 1993, ‚ihre Frauen’ nicht nehmen lassen (vgl. Kreile 1997b;
20f). In Ägypten bspw. treibt die Staatsführung un- Kreile 2002; vgl. Kreile 2005).
ter dem Banner des Islam den innergesellschaftlichen
‚Kulturkampf’ für ein extrem konservatives Moralver- Dem gegenüber konnte im Irak eine starke ressour-
ständnis voran, um sich religiös zu legitimieren und cenreiche Zentralmacht die Gemeinschaften im Inter-
die Islamisten politisch zu neutralisieren (vgl. Faath esse von Staatsaufbau und Modernisierung erfolgreich
2004, 483). Die neopatriarchalische Geschlechterpoli- schwächen. Im Rahmen einer Strategie, die die Loyali-
tik (vgl. Sharabi 1988) lässt sich seitens des Staates täten der Menschen von den Gemeinschaften weg und
multi-funktional als ‘Krisen-Joker’ ausspielen. So sollen hin auf den Staat lenken sollte, wurden den Frauen re-
die wachsenden Teile der Mittel- und Unterschichten, lativ weitreichende Rechte zugestanden (vgl. ausführ-
die vom sozialen Abstieg bedroht oder gesellschaftlich lich Kreile 1997a, 266ff). Damit sollten sie dem Zugriff
an den Rand gedrängt sind, von den eigentlichen sozi- der Gemeinschaften entzogen, für den Staatsaufbau
oökonomischen Krisenursachen und dem Versagen des mobilisiert und institutionell und ideologisch in Partei
Staates abgelenkt, sozialpsychologisch stabilisiert und und Staat eingebunden werden.
ideologisch re- integriert werden.
Die sehr ungleichen soziopolitischen Entwicklungs-
wege in den beiden Staaten wirkten sich auf die soziale
6. Frauenbefreiung von außen? Über die Stellung und die Rechte der Frauen höchst unterschied-
Widersprüche externer Interventionen lich aus. Während in Afghanistan die Unterordnung un-
ter die Patriarchen der Gemeinschaften und die recht-
Historische wie gegenwärtige Versuche externer liche Benachteiligung der Frauen ungebrochen blieb
Einflussnahmen auf die Geschlechterordnungen im Vor- und nur schmale Segmente der weiblichen Bevölkerung
deren Orient haben immer wieder je unterschiedlich Zugang zu Bildung und Beruf erhielten, profitierten die
politisch motivierte und sozial verankerte Gegenkräfte irakischen Frauen weithin von beachtlichen sozial-, ar-
und Widerstandsaktionen hervorgerufen. Die uneinheit- beits- und familienpolitischen Rechten; der Bildungs-
lichen Auswirkungen auf die Frauen, sowie die Proble- und Beschäftigungsgrad von Frauen lag unter der Herr-
matik und die Widersprüche eines extern erzwungenen schaft Saddam Husseins weit höher als in den meisten
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anderen arabischen Staaten. Allerdings mussten die Die jüngsten Entwicklungen im politischen und
irakischen Frauen die ‚von oben’ gewährten Handlungs- rechtlichen Bereich zeigen, dass auch nach dem Sturz
spielräume durch absolute Loyalität gegenüber der ex- des Taliban-Regimes die zutiefst patriarchalischen Ein-
trem repressiven Staatsmacht bezahlen. stellungen fortwirken, die in der afghanischen Gesell-
schaft vorherrschen. Eine katastrophale Rolle im Hin-
Wie hat sich nun das externe militärische Eingrei- blick auf Frauenrechte spielt die Justiz des Landes, die
fen in die jeweiligen Entwicklungsdynamiken auf die vollständig von islamistischen Hardlinern dominiert
Lebenssituation und die Gestaltungsspielräume der af- wird. So wurden mittlerweile koedukative Schulklas-
ghanischen und irakischen Frauen ausgewirkt? sen verboten, und im November 2003 wurde ein Gesetz
aus den 1970er Jahren re-installiert, das verheirate-
6.1. Frauenrechte in Afghanistan – heute wie gestern ten Frauen den Besuch der höheren Schule verbietet.
Spielball politischer Auseinandersetzungen Auch das aus der Taliban-Zeit berüchtigte Ministerium
„zur Förderung der Tugend und zur Verhinderung des
Der Krieg, den die „Internationale Allianz gegen den Lasters“ wurde als ‚Ministerium für Religiöse Angele-
Terrorismus“ gegen das Afghanistan der Taliban führte, genheiten’ wiederbelebt. Angestellte des Ministeriums
wurde in Politik und Medien weithin als Mission zur sprechen Frauen auf der Straße an und fordern sie auf,
Befreiung der afghanischen Frauen legitimiert.7 sich „korrekt“ zu kleiden, d. h. Kopftuch und dunkle
lange Mäntel oder Röcke zu tragen, die Handgelenke
Sechs Jahre nach dem Ende der Taliban-Herrschaft und Knöchel bedecken und die Form des Körpers nicht
stellt sich die Situation der afghanischen Frauen un- zeigen (vgl. Huber 2003, 15).
einheitlich und widersprüchlich dar. Zahlreiche Frauen,
vor allem in den großen Städten, erlebten die Aufhe- Während die Regierung Karsai sich zumindest vor-
bung der frauenpolitischen Zwangsmaßnahmen des dergründig bemüht zeigt, den Forderungen westlicher
Taliban-Regimes wie etwa des Burqa-Zwanges und des Geldgeber nach Gleichstellung der Frau nachzukommen,
Verbotes, die Schule zu besuchen oder außerhäuslich zu unternimmt sie gleichzeitig Schritte, die Handlungs-
arbeiten, sicherlich als befreiend. Gleichwohl werden spielräume von Frauen und ihre öffentliche Sichtbarkeit
nach wie vor die sozial tief verwurzelten Regeln der einzuschränken, um sich in der eigenen Gesellschaft
Geschlechtertrennung und der Verschleierung weithin nicht ‚moralpolitisch’ zu de-legitimieren.
praktiziert. Einmal mehr in der Geschichte Afghanistans erweist
sich die Frauenfrage als ein gesellschaftlich höchst
Durch die katastrophale Sicherheitslage, insbeson- brisantes und politisch leidenschaftlich umkämpftes
dere außerhalb der Hauptstadt Kabul, und die ständige Thema, in das die verschiedenen internen und exter-
Präsenz zahlreicher Bewaffneter auf den Straßen wird nen Akteure mit je spezifischen und heterogenen In-
die Teilnahme von Frauen am öffentlichen Leben enorm teressenlagen verwickelt sind (vgl. Kreile 2002, 40-43;
eingeschränkt. Vergewaltigungen sind an der Tagesord- 50ff).
nung und machen den Weg zu Schule, Universität und
Arbeitsplatz für Mädchen und Frauen zum angstbesetz- In der traditionalen Gesellschaft waren Status und
ten Dauerrisiko. Bewegungsspielräume der Frauen je nach regionaler,
tribaler und sozialer Zugehörigkeit unterschiedlich,
Die Verwüstungen und Zerstörungen des fortdauern- ungeachtet ihrer deutlich untergeordneten Rechtspo-
den Krieges treffen Frauen und Kinder in besonderem sition. Nomadenfrauen gingen häufig unverschleiert,
Maße und haben viele Frauen einmal mehr zu Flücht- während insbesondere Frauen der oberen Schichten in
lingen gemacht und ihres Heims beraubt (vgl. Khattak strikter purdah8 lebten. Insgesamt stellt die Geschlech-
2002, 22). „Bombardiert um befreit zu werden?“ fragt tertrennung und der weitgehende Ausschluss der Frauen
die pakistanische Sozialwissenschaftlerin Saba Gul aus dem öffentlichen Raum allerdings bis in die jüngs-
Khattak in einem Artikel zur Situation der afghanischen te Zeit ein zentrales Strukturprinzip der afghanischen
Frauen mit großer Bitterkeit (vgl. ebd.). Gesellschaft dar. Noch in den siebziger Jahren gingen
selbst in Kabul ca. 70 Prozent der Frauen in der Öffent-
lichkeit verschleiert.
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Jenseits ihres Ausschlusses aus dem öffentlichen zutiefst patriarchalischen Wertvorstellungen geprägt
Leben erfreuen sich die Frauen in den Binnenbeziehun- sind. Diese repräsentieren zumeist eine Mischung aus
gen von Familie, Clan, Stamm oder Dorf oftmals beacht- lokalem Stammesrecht, wie etwa dem Pashtunwali, dem
licher Entscheidungsbefugnisse. Als Repräsentantinnen Stammesrecht der Pashtunen, und extrem konservativen
der Ehre der Männer und Symbol für die Identität, In- islamischen Denkschulen (vgl. Kreile 1997b, 412ff).
tegrität und Kontinuität der Gemeinschaften genießen
Frauen, sofern sie ihre eigene Ehre zu wahren wissen, Die sozialen Verwerfungen durch jahrzehntelange
sprich die Regeln von purdah und sexueller ‘Tugend- Kriege, die gewaltsame Entwurzelung und die Erosion
haftigkeit’ befolgen und sich rollenkonform verhalten, der traditionalen gemeinschaftlichen Zusammenhänge
insbesondere als Mütter hohe Wertschätzung. haben die traditionalen Strukturen in den Geschlech-
terverhältnissen noch verfestigt. Der sozialpsychologi-
Bis in die Gegenwart verteidigen die Patriarchen der sche Hintergrund für die verstärkte Reglementierung
tribalen und religiösen Gemeinschaften immer wieder der Frauen mag wesentlich in der Verunsicherung der
erfolgreich die Kontrolle über ‚ihre Frauen’ gegen zen- Männer zu sehen sein, die geographisch und sozial aus
tralstaatliche Versuche, die Geschlechterverhältnisse ihren bisherigen Zusammenhängen gerissen worden
einheitlich zu regeln (vgl. Kreile 2005, 108ff). sind. Unzählige haben Besitz und Arbeit verloren und
sind fortdauernd abhängig von den Rationen auslän-
In der neuen Islamischen Republik Afghanistan lässt discher Hilfsorganisationen. Die Unfähigkeit, für sich
sich eine Fortdauer der strukturellen Widersprüche der und ihre Familien sorgen zu können, hat viele in ihrem
Vergangenheit in modifizierter Form beobachten. Auf Stolz tief verletzt. Nicht wenige von ihnen mögen ihren
der einen Seite steht eine schwache, extrem aussen- existenziellen Kontrollverlust mittels einer verschärften
abhängige Staatsmacht, die sich auf internationale Kontrolle über die ‚Ehre’ der Frauen zu kompensieren
Schutztruppen und externe Hilfsgelder stützen muss und und so ihre Selbstachtung symbolisch aufrecht zu erhal-
deren Durchsetzungspotentiale kaum weiter reichen als ten suchen. Verschärft wird die Entwertung des Selbst-
bis zur Stadtgrenze Kabuls. Von einem staatlichen Ge- wertgefühls zahlloser Afghanen durch die Dauerpräsenz
waltmonopol kann nicht die Rede sein. In den Provin- von ausländischen Militärs und Zivilpersonen, die eine
zen liegt die Macht in den Händen alter Stammes- und offenkundige Missachtung gegenüber tief verwurzelten
Clanführer und alter und neuer Warlords, die traditio- Werten der afghanischen Kultur an den Tag legen (vgl.
nalistische und islamistische Genderkonzepten vertre- Schetter 2006, 36f).
ten. Die in den großen Städten einstmals ansatzweise
vorhandene Zivilgesellschaft ist durch den jahrzehnte- Nicht nur Männer zeigen sich widerständig gegenü-
langen Krieg gleichsam pulverisiert worden. Angehö- ber den modernen Werten und Gender-Normen, die vie-
rige der modernen Mittelschichten, die die vergange- le ausländische Entwicklungsorganisationen verbreiten
nen Schreckensjahre innerhalb des Landes oder im Exil wollen. Auch viele Frauen halten an purdah fest. Für
überlebt haben, wetteifern heute um Anstellungen bei sie repräsentiert purdah den privaten unantastbaren
den zahllosen internationalen Nichtregierungsorgani- Schutzraum der Familie in einer fremden Welt, einen
sationen, deren Anwesenheit nicht nur überlebensnot- kulturell vertrauten Kernbereich in einem durch Zer-
wendige Hilfe bringt, sondern auch enorme strukturelle störung gezeichneten Kontext (vgl. Centlivres-Demont
Verzerrungen auf dem Wohn- und Arbeitsmarkt.9 1994, 358).

Das Überleben ist für viele Menschen sehr schwie- Trotz der äußerst restriktiven Rahmenbedingungen
rig. Zu den Ärmsten der Armen, die unter Hunger und engagiert sich eine Minderheit von Frauen insbesonde-
Gewalt leiden, gehören besonders viele Frauen (vgl. Ca- re aus den modernen urbanen Mittelschichten, die zu
ritas international vom 16. 2. 2004). Angesichts der den Hauptleidtragenden der Taliban-Ära gehörten, un-
allgemeinen Not, Armut und Unsicherheit und eines ab- erschrocken für die Rechte und die Besserstellung der
wesenden und teilweise auch abgelehnten Staates sind afghanischen Frauen. Die meisten von ihnen haben von
die meisten Menschen mehr denn je auf die traditio- den geschlechterpolitischen Reformen unter der Herr-
nellen gemeinschaftlichen Zusammenhänge familiärer, schaft der Modernisierungseliten in den 1970er Jahren
dörflicher und tribaler Solidarität angewiesen, die von profitiert und damals oder später im Exil eine Ausbil-
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dung erhalten, etwa als Psychologinnen, Lehrerinnen, Ziele und Wege ihrer Zukunft bestimmen können (vgl.
Ärztinnen und Anwältinnen. Mittlerweile sind in ganz Schetter 2006, 37).
Afghanistan auch wieder 40 – 45 Richterinnen tätig,
allerdings nur zwei oder drei außerhalb der Hauptstadt 6.2. Zwischen Besatzung, Staatszerfall und
(vgl. Huber 2003, 172). Frauen waren als Delegierte ‚islamischem Staat’– zur Lage der Frauen
in der verfassungsgebenden Loya Jirga präsent. Etliche im ‚neuen’ Irak
hochqualifizierte und schon seit Jahrzehnten aktive
Frauen sind heute in hohen Regierungsämtern tätig. In Einklang mit den Erklärungen der Bush-Admi-
nistration, wonach Frauen eine zentrale Rolle bei der
Frauen wie die Rechtsprofessorin Hoquqmal plädie- Herstellung demokratischer Verhältnisse im ‚neuen’ Irak
ren im Hinblick auf die Frauenfrage für einen allmähli- und im gesamten Vorderen Orient zukommen sollte, un-
chen und behutsamen Veränderungsprozesses. Derzeit ternahm die US-Übergangsverwaltung zunächst diverse
seien in Afghanistan keine größeren Veränderungen Schritte zur institutionellen Einbindung von Frauen in
möglich, die gegen die Tradition verstießen. Besonders den politischen Prozess. Gleichzeitig und zunehmend
schwierig sei es, das islamische Familienrecht zu ver- schuf und beförderte sie jedoch strukturelle politische
ändern: „Unsere Gesellschaft ist sehr konservativ und und soziale Bedingungen, die die Situation eines gro-
sehr religiös. ... Wenn wir es übereilen, gibt es eine ßen Teils der irakischen Frauen wie der Bevölkerung ins-
Gegenreaktion.“ (zit. nach Huber 2003, 186) gesamt dramatisch verschlechterten und zur rasanten
Erosion frauenrechtlicher Errungenschaften beitrugen
Im Vergleich zu den voran gegangenen zehn Jahren (Al-Ali/Pratt 2006, 19ff). Ein zentraler Bestimmungs-
der Herrschaft der Mujaheddin und der Taliban gibt es faktor in diesem Prozess war neben der weitgehenden
im heutigen Afghanistan sicherlich unübersehbare Fort- Auflösung staatlicher Institutionen, insbesondere der
schritte für die Rechte der Frauen. Neben das Recht, Armee und der Polizei, die Politisierung konfessionell-
zur Schule zu gehen und berufstätig zu sein, treten religiöser und ethnischer Zugehörigkeiten (vgl. Isma-
Errungenschaften mit symbolischem Wert wie der öf- el, T/ Ismael, J. 2005, 616f). Als fatal im Hinblick auf
fentlichen Präsenz von Frauen in politischen Entschei- Frauenrechte erwies sich zudem die nachdrückliche
dungsgremien. Insofern finden sich kleinere „Risse im politische Begünstigung islamistischer schiitischer Par-
Patriarchat“ (Huber 2003). Die meisten afghanischen teien wie al-Da’wa und SCIRI (Supreme Council for the
Frauen leben jedoch nach wie vor in bitterer Armut und Islamic Revolution in Iraq), die unter dem alten Regime
Unwissenheit und sind existenziell angewiesen auf den massiver Repression ausgesetzt waren und nun nach der
sozialen Schutz durch Familie und Clan. Eine nachhalti- Devise ‚Der Feind meines Feindes ist mein Freund’ von
ge Verbesserung der Stellung der Frauen kann deshalb der Besatzungsmacht quasi als natürliche Verbündete
nur unter Einbeziehung der patriarchalischen Gemein- wahrgenommen wurden.
schaften erfolgen, in denen sie leben (vgl. ICG 2003b,
23). 6.2.1. Besatzungsmacht, Identitätspolitik und
genderspezifische Gewalt
Aus der jüngeren afghanischen Geschichte lässt sich
die Lehre ableiten, dass‚von oben’ wie auch ‚von außen’ Als Novum in der irakischen Geschichte ging die
initiierte Reformen nur dann tiefgreifend und nach- amerikanische Zivilverwaltung daran, die neuen po-
haltig wirksam werden, sofern die Adressatinnen und litischen Institutionen auf der Basis ethnischer und
Adressaten in ihren je unterschiedlichen Lebenswelten konfessionell-religiöser Zugehörigkeiten zu bilden. Als
einen ‚sozialen Sinn’ (Bourdieu 1993) in ihnen zu er- Akteure im formellen politischen Prozess wurden ver-
kennen vermögen (vgl. Kreile 1997b). Perspektivisch meintliche Repräsentanten einer Gesellschaft ausge-
dürfte eine grundlegende Verbesserung der rechtlichen wählt, die in der vereinfachten und verzerrten Imagina-
und gesellschaftlichen Stellung der afghanischen Frau- tion der Besatzungsmacht im wesentlichen aus Arabern
en deshalb nur in einem langfristigen Prozess zu er- und Kurden, Sunniten und Schiiten bestand.10 Die In-
reichen sein, dessen strukturelle Dynamik insbesondere ternational Crisis Group sprach bereits im August 2003
von friedens- und entwicklungspolitischen Fortschrit- hellsichtig von „einem beunruhigenden Präzedenzfall“
ten abhängt, bei denen die betroffenen Akteure selbst (ICG 52/ 2006, 10, Anm. 66).und warnte davor, dass
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Renate Kreile Der Kampf um die Frauen. Politik, Islam und Gender im Vorderen Orient April 2007 gender...politik...online

diese Entscheidung ethnische und religiöse Konflikte Baath-Herrschaft keineswegs unvermeidlich. Mit tat-
verschärfen würde, da die Menschen sich nun zuneh- kräftiger Unterstützung der Besatzungsmacht konnte
mend entlang dieser Spaltungslinien organisieren wür- es jedoch schiitischen islamistischen Parteien wie SCI-
den (vgl. ebd.). RI und Dawa gelingen, politisch dominant zu werden
und „die säkulare Tradition des Irak zur Unkenntlich-
Die Politisierung der religiös-konfessionellen und keit“ zu transformieren (vgl. ICG 52/ 2006, 8). Die neue
ethnischen Zugehörigkeiten durch die Besatzungs- Machtverteilung zugunsten der bis dahin benachteilig-
macht beförderte eine verhängnisvolle identitätspoliti- ten Gemeinschaften und Gruppen marginalisierte die
sche Dynamik, die durch innergesellschaftliche Akteu- Sunniten als die „Herren von gestern“, von denen viele
re aus je spezifischen Eigeninteressen vorangetrieben ihren Ausschluss von der Macht nicht tatenlos hinneh-
wurde und in der die schwachen säkularen und zivilge- men wollten und sich aufständischen Gruppierungen
sellschaftlichen Kräfte vollends marginalisiert wurden anschlossen.
(vgl. Zubaida 2005, 11).
Von der Desintegration der Gesellschaft entlang reli-
Insbesondere islamistische schiitische Geistliche giös-konfessioneller Spaltungslinien und dem Albtraum
und Parteien machten sich zügig daran, das politische der alltäglichen Gewalt ist die Bevölkerung insgesamt
Vakuum nach dem Sturz des Baath-Regimes zu füllen. betroffen; darüber hinaus sind Frauen in spezifischer
Sie begriffen die neue Situation als historische Chance, Weise Leidtragende des Bürgerkriegs.
die bisherigen Machtverhältnisse, als deren Nutznießer
die Sunniten gesehen wurden, umzukehren und den So sind Vergewaltigungen als besonders brutale,
Schiiten endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen genderspezifische Strategie bei der Durchsetzung iden-
(vgl. Rosen 2006, 2).11 Lautstark wurde die Forderung titätspolitisch markierter Interessen zunehmend an
nach einem ‚islamischen Staat’ erhoben, die in der schi- der Tagesordnung.12 Vergewaltigung wird sowohl von
itischen Bevölkerungsmehrheit weithin auf Resonanz sunnitischen wie auch von schiitischen Milizionären als
stieß. Da der historische Gegensatz zwischen Sunniten Waffe eingesetzt, um Familien aus der jeweils ande-
und Schiiten weithin mit einer tief verwurzelten sozi- ren Gemeinschaft zu demütigen und zu vertreiben oder
oökonomischen Spaltung einhergeht, wurde mit dem „um Rechnungen zu begleichen“, wie Frauen aus Mosul,
Ruf nach einer ‚gerechten islamischen Ordnung’ nicht Karbala, Hilla, Basra und Nassariyah übereinstimmend
zuletzt die soziale Frage auf die Tagesordnung gesetzt. berichten (vgl. Oberserver vom 8. 10. 06). Auf Schutz
Wenngleich es durchaus immens reiche schiitische Fa- seitens der staatlichen Sicherheitsorgane können Frau-
milien und ein großes Segment bitterarmer Sunniten en kaum hoffen. „Wir beschuldigen die Milizen,“ erklärt
gibt, so sind doch die städtischen und ländlichen Ar- die frühere stellvertretende Ministerin für Menschen-
men in ihrer Mehrheit Schiiten, ebenso wie die ent- rechte, Aida Ussayaran. „Aber wenn wir über die Mi-
wurzelten Binnenmigranten ländlich-tribaler Herkunft, lizen sprechen, stellen wir fest, dass viele von ihnen
die in den Elendsvierteln Baghdads und anderer großer Mitglieder der Polizei sind“ (ebd.).
Städte ihr Dasein fristen (vgl. Batatu 2004, 44ff).
Die Vergewaltigung und Ermordung von Frauen, die
Wie Jahrzehnte zuvor Khomeini im Iran, vermoch- anderen konfessionellen oder ethnischen Gemeinschaf-
ten radikale schiitische Geistliche mit Appellen an die ten angehören, zielt darauf ab, diese Gemeinschaften
mustadafin, ‚die Entrechteten und Enterbten’, die schi- in ihrer Identität und Integrität zu zerstören, als deren
itischen Unterschichten zu mobilisieren (vgl. Rosen Symbol die Frau gilt. „Der quasi-militärische Sinn sol-
2006, 6). cher Gewalthandlungen liegt in der demonstrativen De-
mütigung und Entmännlichung des Gegners; ihm wird
Durch die Politik des alten Regimes, unter dem die … vor Augen geführt, dass er ‚seine’ Frauen nicht mehr
schiitische Bevölkerung Benachteiligung und Repres- schützen kann und es darum an der Zeit ist, mit ihnen
sion erlitten hatte, war zwar ein gewisses Potential zusammen das umkämpfte Gebiet für immer zu verlas-
für den Ausbruch konfessionell geprägter Gewalt ge- sen“ (Münkler 2003, 149).
geben. Gleichwohl war die sich entfaltende katastro-
phale identitätspolitische Dynamik nach dem Sturz der
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6.2.3. Die Verkehrtheit der Welt und die ‚Moral’ höchst konservativen Geschlechterordnung. In einigen
der Frauen Ministerien wurde bereits die Geschlechtertrennung am
Arbeitsplatz durchgesetzt; in manchen öffentlichen Ein-
Der politische Aufstieg islamistischer Bewegungen richtungen müssen weibliche Angestellte ein Kopftuch
und Parteien im ‚neuen Irak’ und ihr Kampf um die tragen (vgl. Oberserver vom 8. 10. 2006). Unter dem
Staatsmacht geht mit massiven Bemühungen einher, massiven Druck des schiitischen Machtblocks in Regie-
eine extrem konservative islamische Geschlechterord- rung und Parlament drohen den Frauen der Verlust ihrer
nung durchzusetzen. Zentrale Strukturprinzipien einer bisherigen Rechte und die Unterwerfung unter die fa-
derartigen „gottgegebenen“ Ordnung der Geschlechter milienrechtlichen Regelungen der Scharia im Sinne des
sind die Komplementarität der Rollen von Mann und Deutungsmonopols von konservativ-religiösen Patriar-
Frau, eine möglichst weitgehende soziale Trennung der chen und islamistischen Hardlinern. Die zunehmende
Geschlechter und der Ausschluss der Frauen aus dem sexuelle Gewalt gegen Frauen wird zum Anlass genom-
öffentlichen als ‚männlich’ definierten Raum. men, einen größeren Schutz für Frauen anzumahnen,
der darin bestehen soll, dass ihre Bewegungsspielräu-
Radikale sunnitische wie schiitische Akteure wettei- me eingeschränkt werden. So hat das Innenministerium
fern mit Gewalt und Terror darum, als augenfälliges Sym- Frauen davor gewarnt, alleine das Haus zu verlassen,
bol ihrer Kontrolle über ein bestimmtes Territorium das denn: „Dies ist ein muslimisches Land und jeder Angriff
Verhalten von Frauen und Männern im öffentlichen Raum auf die Sittsamkeit der Frauen ist auch ein Angriff auf
‚moralpolitisch’ zu reglementieren und eine ‚islamische unsere religiösen Überzeugungen.“ (IRINNews vom 14.
Kleiderordnung’ zu erzwingen. In den schiitischen Stadt- 6. 2006).
teilen Baghdads wie auch im mehrheitlich von Schiiten
bewohnten Süden des Irak sind vor allem die schiiti- Für viele islamistische Aktivisten gelten die Bemü-
schen Milizen der Sadr-Bewegung, die sog. ‚Mahdi-Ar- hungen um die Wiederherstellung einer vermeintlich
mee’ ‚moralpolitisch’ aktiv. Sie unterstehen der Autorität gottgewollten traditionellen Geschlechterordnung als
des nicht nur in den Straßen der Armenviertel, sondern Vorschein und Signal einer gerechten islamischen Ge-
auch in Parlament und Regierung politisch höchst ein- sellschaftsordnung. Das Chaos und die soziale Desinte-
flussreichen jungen Geistlichen Muqtada al-Sadr, der aus gration, in der das Land zu versinken droht, wird viel-
einer hochangesehenen Familie transnational bedeuten- fach als moralischer Verfall wahrgenommen, der in der
der schiitischer Theologen stammt 13 Muqtada al-Sadr öffentlichen Sichtbarkeit der Frauen und der sozialen
und seine Bewegung repräsentieren die schiitischen Vermischung der Geschlechter augenscheinlich wird. In
Unterschichten, die sich im politischen Nachkriegspro- apokalyptischer Diktion prangert Muqtada al-Sadr das
zess einmal mehr marginalisiert sehen. Sie artikulieren ‚unmoralische’ Verhalten der Frauen als Symbol einer
die Frustrationen und Forderungen eines beträchtlichen „Verkehrtheit der Welt“ an: „Dies ist die Zeit, in der das
Teils der Bevölkerung (vgl. ICG 55/2006, 1). In Bagh- Richtige zum Falschen wird, und das Falsche zum Rich-
dads Sadr City und in den anderen Gebieten, die von der tigen. … In der die Frauen moralisch verderbt werden.
Sadr-Bewegung dominiert und kontrolliert werden, hat Die Besatzung ist zur Befreiung und der Widerstand ist
die Bewegung bereits quasi-staatliche Strukturen, aufge- zum Terrorismus geworden“ (zit. nach Rosen 2006, 8).
baut. Neben ihren moralpolitischen Maßnahmen wie der
Durchsetzung der Geschlechtertrennung im öffentlichen Hauptleidtragende der weithin gewaltsam durch-
Raum, Schließung von Musik-Läden und Anti-Prostituti- gesetzten islamistischen Geschlechterpolitik sind ins-
onskampagnen bietet sie umfassende soziale Dienstleis- besondere Frauen aus den modernen Mittelschichten.
tungen, wie etwa medizinische Versorgung, und sorgt für Öffentlich aktive, hochqualifizierte berufstätige Frauen
Recht und Ordnung. Familienrechtliche Angelegenheiten wie Lehrerinnen, Ärztinnen, Anwältinnen und Richte-
werden außerhalb des staatlichen Rechtssystems von ‚is- rinnen werden zu bevorzugten Zielscheiben von gewalt-
lamischen Gerichten’ geregelt (vgl. ICG Briefing vom 9. samen Angriffen, Todesdrohungen und Morden durch
9. 2003, 17). Milizionäre, ebenso wie Frauen, die die diversen Fatwas
missachten, die den Frauen das Autofahren untersagen
Die von islamistischen Schiiten dominierte Regie- (vgl. Judd 2006).
rung bemüht sich ebenfalls um die Re-Etablierung einer
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Nicht wenige sozial entwurzelte und depravierte und durch die extrem restriktive patriarchalische Ge-
junge Männer aus den Elendsvierteln mögen sich für schlechterideologie der islamistischen Parteien und
die erfahrenen sozialen Demütigungen an den Frau- Bewegungen in ihren Bewegungsmöglichkeiten und
en der privilegierteren Schichten rächen und ihre be- ihrem rechtlichen Status bedroht.
schädigte Männlichkeit aufzuwerten suchen, indem
sie nicht nur die ‚eigenen’ Frauen strikter Kontrolle Mitgetragen und befördert wird dieser frauenpoli-
unterwerfen, sondern auch die Frauen der ‚happy few’ tische Rollback von zahlreichen konservativen schiiti-
in den Rahmen zwingen, der ihnen in der traditionel- schen Frauen, die ihre Rechte als Frauen im Rahmen
len vermeintlich ‚gottgewollten’ Geschlechterordnung der Scharia ausreichend gewährleistet glauben. Sie se-
zugedacht ist. Insofern lassen sich die Versuche, den hen die Moscheen und religiösen Gemeinschaften als
Schleier gewaltsam durchzusetzen, einmal mehr auch die einzigen sozialen Institutionen, die während und
als Formen eines ‚verschleierten Klassenkampfes’ in- seit dem Krieg eine gewisse Versorgung, Ordnung und
terpretieren (vgl. Kreile 1997, 228ff). Sinnstiftung geboten haben. Ihre vorrangige Sorge
gilt der Wiederherstellung des familiären und sozialen
Im Unterschied zu früheren Phasen der irakischen Zusammenhalts und Friedens und des durch Diktatur,
Geschichte kooperieren im Post-Saddam-Irak die staat- Krieg und Besatzung gedemütigten Selbstwertgefühls
lichen und die gemeinschaftlichen Eliten bei der Kon- der Männer, die dazu befähigt werden sollen, ihre
trolle über die Frauen, geeint durch denselben extrem traditionellen Rollen als Versorger und respektierte
patriarchalischen Geschlechterdiskurs. Die islamisch Familienoberhäupter wieder zu übernehmen. Dieses
legitimierte Geschlechterpolitik scheint konfessions- Projekt, das nicht zuletzt die extreme Kriminalität
übergreifend einen kleinsten gemeinsamen Nenner und Gewalt in der Gesellschaft beenden soll, lässt sich
einer möglichen konservativ-islamistischen Allianz ihrer Auffassung nach realistisch nur im Rahmen und
darzustellen, der nicht nur die islamistischen Partei- Geltungsbereich des religiösen Rechts verwirklichen
en, konservative Geistliche, traditionalistische Eliten (vgl. Goetz 2005).
und tribale Patriarchen sunnitischer wie schiitischer
Provenienz verbindet, sondern auch die unter dem Einen Gegenpol bilden die säkular orientierten und
Druck von Armut und Marginalisierung verzweifeln- professionalisierten Frauenrechtlerinnen, für die eine
den, entwurzelt in den städtischen Slums lebenden Gleichstellung auch im Familienrecht unverzichtbar
Unterschichten einbindet und ihnen für ihren sozialen ist. Sie stehen weithin mit dem Rücken zur Wand.
Unmut ein Ventil schafft. Viele sind bereits emigriert. Diejenigen, die im Land
bleiben, sind angesichts alltäglicher Morddrohungen
Der militärische Intervention der anglo-amerikani- seitens islamistischer Terrrorgruppen in ihrer persön-
schen Allianz hat zwar eine brutale Diktatur gestürzt, lichen Bewegungsfreiheit wie auch ihrer politischen
jedoch nicht zuletzt durch Maßnahmen der Besat- Partizipations- und Mobilisierungsfähigkeit extrem
zungspolitik eine Situation befördert, in der für die eingeschränkt. Zudem können sie im Hinblick auf ihre
irakische Bevölkerung das Leben zur Hölle geworden soziale Ausstrahlungskraft kaum mit den Kapazitäten
ist. der Frauen aus den konservativen religiösen Organisa-
tionen konkurrieren, die soziale Dienstleistungen ge-
Heute sind unzählige irakische Frauen und Männer währleisten und ein religiös fundiertes Gemeinschafts-
vom täglichen Kampf ums nackte Überleben absor- gefühl zu vermitteln vermögen (vgl. Goetz 2005).
biert. Sie leiden unter dem verheerenden Zustand von
Wasser- und Elektrizitätsversorgung, mangelhafter Ge- Die Dynamik, die dieses soziale und politische
sundheitsversorgung und fehlenden Verdienstmöglich- Trümmerfeld geschaffen und die Entscheidungs- und
keiten. Männer wie Frauen verzweifeln angesichts der Handlungsspielräume von Frauen minimiert hat, wur-
allgegenwärtigen Gefährdung und Gewalt durch Besat- de ironischerweise nicht zuletzt durch eine Politik
zungstruppen, terrorisierende Milizen, Selbstmordat- entfacht, die sich Demokratie und Frauenbefreiung
tentäter und kriminelle Gangs, die Entführungen zum auf die Fahnen ihrer Weltordnungsstrategie geschrie-
einträglichen geschäftlichen Unternehmen gemacht ben hat.
haben. Frauen sind zudem sexueller Gewalt ausgesetzt
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7. Vielfältig und kontrovers: die Strategien der in Frauen-Nichtregierungsorganisationen als Antwort


Frauenbewegungen im Kampf um Empowerment auf fortdauernde und sich verschärfende Probleme für
Frauen in den verschiedensten Bereichen, so etwa in
Im Kontext tiefgreifender sozialer Umbrüche, ge- wohlfahrtspolitischen Projekten, für Menschenrechte
sellschaftlicher Auseinandersetzungen, identitätspoli- und Frauenrechte, in frauenzentrierten Forschungs-
tischer Zuschreibungen und externer Einflussnahmen und Bildungsprojekten. Auch das Thema ‚ Gewalt gegen
suchen die Frauenbewegungen der Regionen nach Frauen’ im privaten Bereich wird zunehmend öffentlich
Wegen, ihre alltagspraktischen wie strategischen Gen- diskutiert.14
der-Interessen (Molyneux 1985) zu befördern. Neben
länderübergreifende Kooperationen treten dabei unein- Gleichzeitig sehen sich die Frauenbewegungen der
heitliche, teilweise widersprüchliche und konfligieren- Region mit einer extrem widersprüchlichen und un-
de Strategien. günstigen Situation konfrontiert: sie sind eingezwängt
zwischen den identitätspolitisch legitimierten restrikti-
Im Zuge der Globalisierungsdynamik finden zwischen ven Loyalitätsansprüchen religiöser, ethnischer und fa-
den verschiedenen nationalen Frauenbewegungen zu- milialer Gemeinschaften einerseits und dem repressiven
nehmend regionale Vernetzungs- und Austauschprozes- Staat (Sharabi 1988) andererseits, der die Zivilgesell-
se statt, nicht zuletzt mithilfe der neuen Informations- schaft einschließlich unabhängiger Frauenorganisatio-
und Kommunikationstechnologien. Prominente Bei- nen einer weitreichenden Kontrolle unterworfen hat. So
spiele sind das internationale Netzwerk „Women Living verbietet das ägyptische Vereinsgesetz von 1999 den
under Muslim Laws“, das Individuen und Gruppen von Nichtregierungsorganisationen bspw. gewerkschaftli-
Nord-Afrika bis Pakistan verbindet sowie der Zusam- che und politische Aktivitäten; der Regierung müssen
menschluss der „Femmes des Maghreb“ (vgl. Mogha- Mitgliederlisten und genaue Aufgabenbeschreibungen
dam 1998, 203). Die orientalischen Frauenbewegungen vorgelegt werden, ebenso Kandidatenlisten bei Vor-
sind heute eingebunden in die globalen Diskurse über standswahlen, für die die Regierung ein Vetorecht be-
Frauen- und Menschenrechte, Demokratisierung und ansprucht (vgl. Lübben/Fawzi 1999, 29ff; El Baz 1997,
Zivilgesellschaft und auf den Weltfrauenkonferenzen 160 und 164). Da alle Aktivitäten, die aus Regierungs-
(etwa Peking und Huairou) zahlreich und organisiert sicht „die nationale Einheit, die allgemeine Ordnung
vertreten. und die guten Sitten bedrohen“, verboten sind, ist es
bspw. auch undenkbar, dass sich eine Frauengruppe
Als bereichernd erlebten etwa ägyptische Aktivistin- etwa der Probleme von unehelichen Müttern oder lesbi-
nen in Peking die Erkenntnis, dass ‚der Westen’ keines- schen Frauen annimmt (vgl. Lübben/ Fawzi 1999, 31).
wegs so einheitlich ist wie bis dahin angenommen, dass
es bspw. Unterschiede gab zwischen Regierungen und Hinsichtlich ihrer demokratischen Rechte bleiben die
Frauenrechtlerinnen aus Nicht-Regierungsorganisatio- Frauen in den meisten Ländern der Region doppelt blo-
nen. Darüber hinaus wurde insbesondere der transna- ckiert. Sie sind nicht nur – wie auch die Männer - den
tionale Austausch mit Frauenbewegungen aus anderen allgemeinen staatlichen Beschränkungen hinsichtlich
Ländern des Südens als bestärkend erlebt. So bemerkte bürgerlicher Freiheitsrechte und politischer Partizipa-
eine ägyptische Aktivistin: „Frauenorganisationen aus tion unterworfen. Gleichzeitig ist ihnen auch das fun-
Südasien und Afrika, die mit Landfrauen arbeiten, sind damentale Recht versagt, in so wichtigen Fragen wie
mit ähnlichen Problemen konfrontiert wie wir. Für sie Eheschließung, Scheidung, Arbeit, Mobilität, Sorgerecht
stehen auch Themen wie Gewalt und reproduktive Rech- für die Kinder eigenständige Entscheidungen zu tref-
te auf der Tagesordnung, Themen, die fälschlicherweise fen, da sie im religiös verankerten Familienrecht den
von vielen Menschen in Ägypten als ‚westlich’ klassifi- männlichen Verwandten untergeordnet sind. Der Wider-
ziert werden“ (zit. nach Al-Ali 2000, 207). spruch zwischen der an Individuen gerichteten Gleich-
heitszusage in den meisten Verfassungen der Region,
Auf nationaler wie auf transnationaler Ebene haben und der fortdauernden Unterwerfung unter das durch
die Frauenbewegungen weithin an Mobilisierungsfähig- die verschiedenen religiösen Gemeinschaften kodifizier-
keit gewonnen. Tausende von Frauen mit Bildung und te Familienrecht macht die Frauen zu Staatsbürgerinnen
Erfahrungen in der Arbeitswelt engagieren sich heute zweiter Klasse (vgl. Joseph 2000a und Harders 1997).
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Angesichts der skizzierten vielfältigen Zwänge ver- und als überflüssig angesichts der Lehren des Islam. So
folgen die Frauenrechtlerinnen der Region uneinheitli- erklärte eine islamistische Aktivistin: „Wer braucht alle
che Strategien, die ideologisch kontrovers legitimiert diese Verträge, wo wir doch den Koran haben?“ (zit.
und sozial unterschiedlich verankert sind. nach Karam 1997, 27).

7.1. Islamische und islamistische Frauenrechtlerinnen Die islamistischen Frauenrechtlerinnen sind mit
ihren Konzepten und in ihrer Vielstimmigkeit augen-
Besonders einflussreich ist die breite, in sich viel- scheinlich in der Lage, ein breites soziales Spektrum
stimmige Strömung islamischer und islamistischer Frau- zu bedienen und so politisch Einfluss zu gewinnen. Die
enrechtlerinnen15. Für sie stehen zumeist weniger die ‘alte’ Rolle der Hausfrau und Mutter wird ideologisch
individuellen Rechte im Vordergrund, sondern sie sind aufgewertet, neue Rollen, die mit dem Betreten des
eher bestrebt, über die Einbindung in verwandtschaft- öffentlichen Raumes verbunden sind, etwa als Berufs-
liche und gemeinschaftliche Strukturen, die nicht nur tätige, Studentin, Wissenschaftlerin etc. werden eröff-
kontrollieren, sondern auch Fürsorge bieten, ihre Parti- net und durch das Tragen des Schleiers sozialmoralisch
zipations- und Gestaltungsmöglichkeiten auszuweiten abgesichert. Mit der ‘islamischen Bedeckung’ können
(vgl. Joseph 2000, 18ff). Viele wenden sich gegen die Frauen traditionelle Grenzen überschreiten und den
religiöse Deutungsmacht der männlichen Patriarchen öffentlichen Raum betreten, ohne die gängigen Nor-
und machen sich daran, auf der Basis einer Re-Interpre- men ‘tugendhafter Weiblichkeit’ zu durchbrechen und
tation der islamischen Tradition im Sinne einer ‘feminis- ihr soziales Ansehen zu verlieren (vgl. Najmabadi 1991,
tischen Theologie’ (vgl. Hassan 1997, 232; Mir-Hosseini 66). Die islamistischen Frauenrechtlerinnen grenzen
1999, 217ff) den traditionellen religiös legitimierten sich bewusst von westlichen Leitbildern und Rollenmo-
sozialen und rechtlichen Handlungsrahmen auszuwei- dellen ab; der Schleier symbolisiert für sie nicht Un-
ten. Gleichzeitig öffnen manche von ihnen damit die terdrückung, sondern Befreiung, etwa von dem Diktat
Tür zu Allianzen mit säkular orientierten Frauenrecht- der Modeindustrie, den Anforderungen des Schönheits-
lerinnen in den eigenen Gesellschaften16 wie auch zur mythos, den Zwängen der Konsumideologie, den Unan-
globalen Frauenbewegung. nehmlichkeiten und Risiken sexueller Belästigung (vgl.
Afshar 1996, 201; vgl. Göle 1997, 45f).
Als Rollenvorbilder werden selbstbewußte, eigen-
willige Frauen aus der islamischen Frühgeschichte wie Islamistische Intellektuelle verbinden mit dem
etwa Khadija oder ‘A’ischa (vgl. Spellberg 1994; Ahmed Schleier auch alternative Auffassungen über Körper,
1992, 42) propagiert, und vom Leitbild der gehorsa- Sexualität und Privatheit, die westlichen Konzepten
men, unterwürfigen Frau wird Abschied genommen bewusst entgegengesetzt wird (vgl. Göle 1995, 31f),
(vgl. Haeri 1993, 195). wie folgende Äußerungen türkischer Islamistinnen an-
satzweise illustrieren:
Allerdings vertreten die Frauenrechtlerinnen, die sich
unter Berufung auf den Islam legitimieren, durchaus „Im Westen demonstrieren die Frauen, indem sie
nicht einheitliche Konzepte (Al-Ali 2000, 82). Während sich schminken und Schmuck tragen, ihre Sexualität in
etliche von ihnen nachzuweisen versuchen, dass das größerem Ausmaß nach außen. Gleichzeitig aber wird
Prinzip der Gleichheit von Mann und Frau im Einklang die Sexualität dadurch geschwächt. Wir machen genau
mit dem Islam steht, beharren andere hingegen auf der das Gegenteil und behalten uns unsere Sexualität für
gottgegebenen wesensmäßigen Verschiedenheit und bestimmte Situationen vor. Draußen, in der Öffentlich-
Komplementarität der Geschlechter. Diese seien zwar keit, auf der Straße zeigen wir diese so wenig wie mög-
gleichwertig, hätten aber verschiedene Rollen auszu- lich“ (zit. nach Göle 1995, 118).
füllen. Die Erstgenannten unterstützen internationale
Frauenrechts-Konventionen wie CEDAW (Konvention zur Die Suche der islamistischen Frauenrechtlerinnen
Beseitigung jeglicher Diskriminierung von Frauen). Die nach eigenen ‘authentischen’ Emanzipationskonzep-
andere Strömung (etwa einige Mitglieder der Muslim- ten wird durch die Allgegenwart der Bilder und Zerr-
bruderschaft) betrachtet die genannte UN-Konvention bilder westlicher Geschlechterverhältnisse eher noch
als Ausdruck einer kulturellen Dominanz des Westens verstärkt. Die tausendfach aus Europa oder den USA
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importierten TV-Serien und -Seifenopern, die heute bis direkt und ohne patriarchalische Vermittlung zu Ver-
in die ärmsten Viertel der Großstädte und bis in das ab- tragspartnerinnen des Staates und zu Staatsbürgerin-
gelegenste Dorf gelangen, präsentieren nicht nur Frau- nen aus eigenem Recht machte, wäre aus der Perspekti-
enbilder, die von der Alltagswelt der Frauen aus den ve zahlreicher säkular orientierter Frauenrechtlerinnen
unteren Schichten Lichtjahre entfernt sind. Mit ihrer zumindest eine der zentralen Voraussetzungen nicht
Dominanz von Sexualität und Gewalt, als deren Objekte nur für mehr Gestaltungsspielräume für Frauen, sondern
die Frauen zumeist dargestellt werden, können sie auch auch für die Stärkung der Zivilgesellschaften und für
keine ansprechenden Rollenvorbilder bieten, die Frauen Demokratisierungsprozesse in der Region. Allerdings
in ihrem Bemühen um mehr Rechte und Gestaltungs- könnte eine derartige Entwicklung die Macht und den
möglichkeiten symbolisch unterstützen könnten (vgl. Zusammenhalt der Gemeinschaften empfindlich schwä-
Davis 1989, 14ff). chen.

7.2. Säkular orientierte Fauenrechtlerinnen Der Widerspruch zwischen identitätspolitischer Ori-


entierung bei den islamistischen Frauenrechtlerinnen
Während islamische und islamistische Frauenrecht- einerseits, bei der die Gemeinschaften zum normativen
lerinnen ihre Rechte durch eine ‚frauenfreundlichere’ Ausgangspunkt von Rechten und Verpflichtungen ge-
Re-Interpretation der religiösen Quellen und im Kon- macht werden, und zivilgesellschaftlicher Orientierung
text der familialen und religiösen GemeinschaftenRah- bei den säkular orientierten Frauenrechtlerinnen ande-
men auszuweiten suchen, fordern säkular orientierte rerseits, die auf der Anerkennung der Freiheitsrechte
Frauenrechtlerinnen unter Berufung auf Demokratie des Individuums basiert, behindert bzw. blockiert oft-
und Menschenrechte gleiche Rechte als Individuen ein. mals eine Kooperation der Frauenbewegungen.
Viele von ihnen betrachten die Einbindung in die Struk-
turen der patriarchalischen Gemeinschaften als Anti- Nicht selten führen weltanschaulichen und politi-
these zu eigenständigem Denken, Fühlen und Handeln schen Differenzen auch zu erbitterten Konflikten zwi-
(vgl. Kreile 1997, 272ff; Adnan 1988, 52ff). Mernissi schen den verschiedenen Frauengruppen, in denen die
zufolge sind es gerade die Frauen im Vorderen Orient, bereits erwähnte Argumentationsfigur des ‚kulturellen
„die am lautesten den Individualismus besingen, denn Verrats’ breite Verwendung findet. Im Hinblick auf die
sie waren mehr als die anderen durch das Gruppenge- ägyptische Situation notiert Al-Ali: „Meine eigenen
setz gefesselt“ (Mernissi 1992, 206f). Forschungsergebnisse zeigen eine weit verbreitete Pra-
xis innerhalb der heutigen Frauenbewegung, dass eine
Die säkular orientierten Frauen repräsentieren vor bestimmte Gruppe ... durch die Beschuldigung delegiti-
allem gebildete und qualifizierte Segmente der gehobe- miert wird, dass sie ‚dem Westen’ nach dem Mund rede“
nen Mittelschichten. Ihre Emanzipationskonzepte bie- (Al-Ali 1997, 186). Die verstärkte westliche, militärisch
ten am ehesten kleineren privilegierten Minderheiten flankierte Einflussnahme in der Region hat derartige
von Frauen eine Perspektive, die über die materiellen Tendenzen verstärkt.
und sozialen Ressourcen verfügen, um gegebenenfalls
auf die sozialen Sicherungssysteme der familiären oder Wo es eine außerordentlich starke politische Polari-
religiösen Gemeinschaften zugunsten ihrer individuel- sierung und gewaltförmig ausgetragene Konflikte gibt,
len Selbstbestimmung verzichten zu können. Wissen- ist - wie etwa die Entwicklungen in Algerien gezeigt
schaftlerinnen wie Fatima Mernissi in Marokko, Schrift- haben - ein Dialog zwischen Frauengruppen über die
stellerinnen wie Nawal el-Saadawi in Ägypten und po- Grenzen der politischen Lager hinweg kaum möglich
litische Aktivistinnen wie Khalida Messaoudi in Alge- (vgl. Slyomovics 1995).
rien gehören zu dieser Strömung, die zwar im Westen
positive Aufmerksamkeit findet, aber in den eigenen Die unterschiedlichen Strategien der verschiedenen
Gesellschaften deutlich marginalisiert wird. Strömungen der Frauenbewegung spiegeln nicht zuletzt
heterogene soziale Zugehörigkeiten und Interessenla-
Eine Gleichstellung im Familienrecht, die die Frau- gen wider. Funktionaler Ausgangspunkt ist dabei die
en aus der Vormundschaft der Väter, Ehemänner und Frage: Wer vermag in der globalisierten und fragmen-
jeweiligen religiösen Gemeinschaften entließe und sie tierten Risikogesellschaft oder unter den Bedingungen
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Renate Kreile Der Kampf um die Frauen. Politik, Islam und Gender im Vorderen Orient April 2007 gender...politik...online

von Bürgerkrieg und Staatszerfall existenziellen Schutz Mehr als die Hälfte aller Studierenden an iranischen
und Rückhalt zu bieten? Interessanterweise konstatiert Universitäten waren 2002 weiblich (vgl. Moruzzi/ Sa-
der Arab Human Development Report von 2002 bei al- deghi 2006, 22). Frauen arbeiten als Ärztinnen, In-
ler Kritik an den entwicklungspolitischen Defiziten in genieurinnen, Lehrerinnen und Professorinnen. Als
der arabischen Welt, dass dort krasseste Armut weniger Schriftstellerinnen und Malerinnen, Bildhauerinnen
verbreitet ist als in allen anderen Entwicklungsregio- und Musikerinnen, als Schauspielerinnen und nicht
nen (vgl. AHDR 2002, III). Dies mag nicht zuletzt in zuletzt als Regisseurinnen bestimmen sie heute we-
der fortdauernden besonderen Bedeutung verwandt- sentlich die Kultur- und Filmlandschaft des Iran (vgl.
schaftlicher und gemeinschaftlicher Strukturen in den Tohidi 2004). So ist bspw. die jüngste Filmregisseu-
orientalischen Gesellschaften begründet liegen, die rin der Welt, Samira Makhmalbaf, Iranerin. Sie hat mit
weithin die einzigen sozialen Netze und eine unver- 23 Jahren Auszeichnungen beim Filmfestival in Cannes
zichtbare Überlebensressource darstellen (vgl. Joseph gewonnen und feministisch orientierte Filme gedreht
2000, 18ff; Harders 2002). (vgl. Tohidi 2004). Auch auf der politischen Ebene sind
Frauen präsent, etwa als Parlamentsabgeordnete oder
7.3. Hand in Hand im Kampf um rechtliche als Bürgermeisterinnen.
Gleichstellung: Islamische und säkularorientierte
Frauenrechtlerinnen im Iran Im Zuge des stürmischen sozialen Wandels und des
Engagements von Frauenrechtlerinnen wurde auch das
Auf eindrucksvolle Weise haben Frauenrechtlerinnen orthodoxe Konzept von Weiblichkeit mittels einer Re-
im Iran in den vergangenen drei Jahrzehnten unter den Interpretation der religiösen Texte grundsätzlich the-
Bedingungen des ‘Islamismus an der Macht’ die herr- oretisch kritisiert. So wird etwa der Diskurs von der
schende patriarchalische Definitionsmacht über die Ge- angeblich ‘gottgegebenen’ Komplementarität der Ge-
schlechterverhältnisse und die Rolle der Frau im ‘Islam’ schlechter, der Männern und Frauen gleiche Würde,
in ihren ideologischen Grundfesten erschüttert, eine aber unterschiedliche Rechte zuweist, als Vorwand
Erweiterung ihrer Handlungsspielräume erkämpft und attackiert, der dazu diene, „Frauen ihre islamischen
eine breite Ausdifferenzierung und Pluralisierung des Rechte zu verweigern“ (zit. nach Mir-Hosseini 1996,
islamistischen Geschlechterdiskurses herbeigeführt. 305). Die an dieser Diskussion beteiligten Frauenrecht-
Zunächst hatte der Aufstieg der Islamisten zur Staats- lerinnen, die von einigen höheren Geistlichen publizis-
klasse im Iran nach 1979 zu massiven Rückschlägen für tisch unterstützt werden, betonen unter Berufung auf
die Frauen im rechtlichen und sozialen Bereich geführt, das Recht des ijtihad, der selbständigen Rechtsfindung
so etwa zu einer massiven Verschlechterung ihres zivil- (vgl. Halm 1994, 115ff; 133) aufgrund rationaler Erwä-
und strafrechtlichen Status (vgl. Pakzad 1994, 169ff.). gungen, dass der Islam den Frauen gleiche Rechte in
So wurden Frauen aufgrund ihrer angeblichen essenti- allen Bereichen garantiere (vgl. Samandi 1997, 321f),
ellen Verschiedenheit und emotionalen Sensibilität aus nicht zuletzt das Recht, religiöse und politische Füh-
bestimmten Berufen wie etwa dem Richteramt ausge- rungsämter einschließlich des Präsidentenamtes zu
schlossen (vgl. Afkhami 1994, 12) und gezwungen, den bekleiden und auch Richterinnen zu werden. Mehrere
Schleier zu tragen. einflussreiche Frauen-Zeitschriften, die sowohl gebil-
dete Frauen wie auch die politische und religiöse Elite
Knapp dreißig Jahre später haben die iranischen anzusprechen versuchen, spielen eine wichtige Rolle im
Frauen den offiziell propagierten traditionellen Ge- islamistisch - feministischen Diskurs. Ihre Herausgebe-
schlechterdiskurs durch ihre enormen Erfolge im Bil- rinnen vertreten die Auffassung, dass Vorstellungen
dungsbereich und ihren massenhaften Eintritt in den von der Unterordnung der Frauen sich mitnichten auf
Arbeitsmarkt vielfach praktisch unterlaufen. Unter der den Koran berufen könnten, sondern jahrhunderteal-
Oberfläche einer durch die klerikale politische Elite te patriarchalische Fehlinterpretationen des göttlichen
präsentierten Traditionalität haben dynamische sozia- Rechts durch die religiösen Autoritäten entlang männ-
le Modernisierungsprozesse stattgefunden, von denen licher Interessen widerspiegelten. Eine der bekanntes-
Frauen enorm profitiert haben. Frauen sind heute im ten islamischen Frauenzeitschriften ist Zanan (Frauen).
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben des Iran Sie ist stark von den Ideen des Philosophen Sorush
wesentlich aktiver als zu Zeiten des Schah-Regimes. beeinflusst, dessen Theorie davon ausgeht, dass zwar
22
Renate Kreile Der Kampf um die Frauen. Politik, Islam und Gender im Vorderen Orient April 2007 gender...politik...online

die Religion heilig und unveränderlich, die religiöse widersprüchliche, in sich gegenläufige und sozial unter-
Erkenntnis jedoch menschlich und wandelbar sei (vgl. schiedlich akzentuierte Tendenzen ab. Gleichzeitig und
Mir-Hosseini 2003, 75). In Zanan wurden bspw. das mit den innergesellschaftlichen Auseinandersetzungen
Scheidungs-, Ehe- und Erbrecht thematisiert, die Heirat über die Frauenfrage verwoben, sind die einschlägigen
von Minderjährigen, das ungleiche Blutgeld (diye) (vgl. Diskurse einmal mehr in der Geschichte der Region dra-
Amirpur 1998, 75). matisch durch externe Einflussnahmen geprägt.

Trotz unbestreitbarer Erfolge hat die Frauenbewe- In den Zeiten der Globalisierung wie zu Zeiten des
gung verstärkt nach der Wahl des islamistischen Hardli- Kolonialismus scheint dabei der ‚Kampf um die Frauen’,
ners Ahmadinedschad zum Staatspräsidenten einen un- der in kulturellen und moralischen Termini geführt wird,
gemein schweren Stand. Die Aktivistinnen sind immer eine „große kulturelle Trennlinie zwischen den Nutznie-
wieder massiven Repressalien bis hin zu Inhaftierungen ßern und Verlierern der sich wandelnden sozioökonomi-
ausgesetzt; die Forderungen der Frauenrechtlerinnen schen Ordnung“ (Kandiyoti 1991a, 8) zu markieren.
werden als ‚verwestlicht’ und ‚unislamisch’ gebrand-
markt. Die materiellen und sozialen Glücksversprechen der
Globalisierungsdynamik erfüllen sich heute – ähnlich
Seit Jahren arbeiten islamistische und säkular ori- wie in der Kolonialzeit – zumeist nur für die Eliten der
entierte Frauenrechtlerinnen eng zusammen (vgl. Kian Region. Für große Teile der Bevölkerung, die zu den
1997: 91). 2006 wurde die Idee einer „Kampagne eine sozialen Verlierern gehören, wird der Islam zum Symbol
Million Unterschriften für Gleichberechtigung“ geboren, von Zusammengehörigkeit und Selbstbehauptung, das
die von zahlreichen Frauenorganisationen über ideo- nicht zuletzt der als übermächtig empfundenen westli-
logische und religiöse Differenzen hinweg gemeinsam chen Durchdringung entgegengesetzt wird (vgl. Müller
getragen wird. Landesweit sind zahlreiche Frauen un- 2002, 25).
terwegs und sammeln von Haus zu Haus, in Bussen und
Sammeltaxis, am Arbeitsplatz, in Moscheen, bei Fami- In den Mittelschichten bringt der soziale Wandel
lienfeiern Unterschriften für eine Gleichstellung im Fa- eine Ausdifferenzierung und eine Pluralisierung von
milienrecht. Diese bislang erfolgreiche Kampagne zielt Lebensformen mit sich und schafft in den privilegier-
darauf ab, nicht nur ideologische Trennlinien, sondern ten Teilen das Potential für Individualisierungsschübe
auch soziale Schranken zu überschreiten und Frauen und Selbstverwirklichungsambitionen. Damit werden
aus den unteren Schichten aktiv einzubeziehen. Selbst auch für eine Minderheit von Frauen autonomere Ge-
wenn diese Kampagne nicht unmittelbar Gesetzesände- staltungsspielräume und alternative Rollenkonzepte er-
rungen zur Folge haben dürfte, mag sie Aufklärung und öffnet. Wer materiell abgesichert ist, kann am ehesten
Bewusstseinsbildung über Frauenrechte in der gesamten auf den Rückhalt der familiären oder religiösen Gemein-
Gesellschaft befördern helfen (vgl. Tohidi 2006). schaft verzichten, die Sicherheit gewährt, aber Anpas-
sung fordert.
Das Beispiel der Islamischen Republik Iran macht
schlaglichtartig deutlich, dass in strukturell ausdiffe- Die Forderung vieler Frauenrechtlerinnen nach glei-
renzierten Gesellschaften mit breiten gebildeten Mittel- chen Rechten, auch im ‘privaten’ Bereich und im Perso-
schichten, lebendigen Zivilgesellschaften und traditi- nenstandsrecht, mag diesen Prozess widerspiegeln. In
onsreichen Frauenbewegungen (vgl. Paidar 1996) auch Marokko, wo mittlerweile ein Drittel der Erwerbstätigen
auf ‚islamischem Boden’ ein Empowerment von Frauen Frauen sind, verkündete der marokkanische Monarch
möglich ist. Mohammed VI., der gleichzeitig Regierungschef, Ober-
befehlshaber der Armee, Führer der Gläubigen, oberster
Rechtsgelehrter und laut Verfassung heilig und unan-
8. Perspektiven der geschlechterpolitischen tastbar ist, im Jahr 2003 eine radikale Reform des Fa-
Dynamik im Vorderen Orient milienrechts. Darin wurde u. a. festgelegt, dass Ehe-
mann und Ehefrau gleichberechtigt und gemeinsam für
Im Hinblick auf die Perspektiven der geschlechter- Familie und Haushalt verantwortlich sind; die bisherige
politischen Dynamik im Vorderen Orient zeichnen sich Pflicht der Frau, dem Mann zu gehorchen, wurde abge-
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Renate Kreile Der Kampf um die Frauen. Politik, Islam und Gender im Vorderen Orient April 2007 gender...politik...online

schafft. Männer und Frauen können gleichberechtigt, Frauen in islamischen Gesellschaften, die sich mühsam
eine Ehe schließen; die Frau braucht keinen Vormund Freiheiten erkämpft haben, wird durch die Propagierung
mehr. Die Polygamie wird stark eingeschränkt, den der ‚tugendhaften islamischen Frau’ ein Gegenentwurf
Frauen wird die Scheidung erleichtert (vgl. Sabra 2004, präsentiert, der sie als weniger ‚moralisch’ oder als ‚un-
68). moralisch’ abzuwerten vermag und die patriarchalischen
Strukturen aufrecht erhält (vgl. Zaptcioglu 2002).
Solange sich jedoch soziale Polarisierungen und
existenzielle Gefährdungen weiter vertiefen, dürfte auch Der weithin dominante islamistische Geschlechter-
die Nachfrage in den ärmeren sozialen Schichten nach diskurses, der von einer ‚gottgegebenen’ und damit
Schutz, Absicherung und sozialmoralischer Orientierung unhinterfragbaren essentiellen Verschiedenheit von
durch die familiären und religiösen Gemeinschaften Frauen und Männern ausgeht, birgt die Gefahr, dass
ungebrochen bleiben. Sie bieten mangels Alternativen alternative Rollenkonzepte, Lebensformen und Leben-
und angesichts eines repressiven, sozialpolitisch abwe- sentwürfe ausgeschlossen und unterdrückt werden. Wo
senden Staates für viele Frauen und Männer existenziell der Schleier erzwungen und wo er verboten wird, wird er
notwendige Zufluchtsbastionen, deren Zusammenhalt einmal mehr zum Symbol und verweist auf eine ideolo-
durch die traditionellen patriarchalischen Verhältnisse gisch je unterschiedlich legitimierte „Kolonisierung des
aufrechterhalten und den Autonomieansprüchen der In- Subjekts“ (Göle 1995, 33).
dividuen übergeordnet wird.
Die Interventionen der US-Administration im Vorde-
Wo Verelendung und Verzweiflung um sich greifen, ren Orient seit dem 11. September 2001, die mit dem
treffen nicht zuletzt die ideologischen Deutungsmuster Ziel legitimiert wurden, die Region zu demokratisieren
und die sozialen Hilfsangebote der islamistischen Be- und den Frauen zu mehr Rechten zu verhelfen, haben
wegungen auf rege Nachfrage. Ismail bemerkt: „ ... das ironischerweise die Islamisten gestärkt. Die Minderheit
Ziel des gemäßigten Islamismus ist es, die Gesellschaft der Bildungselite, die für westliche Konzepte oder eine
zu erobern, nicht einfach den Staat. In dieser Hinsicht (liberale). Reform des religiösen Denkens eintritt, ist
war er erfolgreich“ (Ismail 2003, 169). gegenwärtig deutlich in die Defensive gedrängt, wie
eine empirische Studie des Deutschen Orient-Instituts
Ob in Kairo oder in Gaza, in Bagdad oder in Casab- eindrücklich belegt (vgl. Faath 2004, 499). Die zentrale
lanca – in weiten Teilen der Region üben gegenwärtig Debatte, deren Orientierung von den religiös Konser-
die Islamisten die kulturelle Hegemonie aus, bestimmen vativen und der islamistischen Bewegung vorgegeben
gesellschaftliche Diskurse und prägen normative Orien- wird, kreist heute um die Frage der Sicherung der reli-
tierungen über ‚moralisches’ Verhalten im öffentlichen giös-kulturellen Identität gegenüber der als Bedrohung
Raum. Die ‚Tugendhaftigkeit’ der Frauen im Sinne eines perzipierten westlichen Einflussnahme und Dominanz.
sehr konservativen Moralverständnisses wird dabei zum Dabei wird einmal mehr in der Geschichte der Region die
Signal und Symbol für die ersehnte gerechte ‚islamische ‚Moral’ der ‚eigenen’ Frauen zum Inbegriff islamischer
Ordnung’. Identität und Selbstbehauptung und zum abgrenzenden
Marker zwischen ‚ihnen’ und ‚uns’ stilisiert. Das Wieder-
Zwar zeigen die Aktivitäten, Äußerungen und Erfah- aufleben des Gesichtsschleiers in Staaten wie Ägypten
rungen vieler islamistischer Frauen deutlich, dass auch mag auf eine Radikalisierung dieses Diskurses im Kon-
im Rahmen islamischer und islamistischer Diskurse eine text des imaginierten kulturellen Abwehrkampfes des
Erweiterung der Handlungsspielräume von Frauen und Islam gegenüber dem Westen verweisen.
mehr Empowerment möglich ist. Im Hinblick auf mehr
Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten für alle Frauen hat Unter den Bedingungen der aktuellen identitätspo-
jedoch die Ausbreitung des islamistischen Geschlechter- litischen Mobilisierungsdynamik bleibt für kontroverse
diskurses ambivalente Auswirkungen. Für Tausende von innergesellschaftliche Debatten um Frauenrechte vor-
Frauen mag die ‚islamische Bedeckung’ als erfolgreiche läufig nicht allzu viel Spielraum. Nicht von ungefähr
Strategie fungieren, mit der sie unter patriarchalischen ist dementsprechend die Frauengleichstellungsdebatte
Bedingungen einen Zugang zu Bildung und zum öffentli- in den meisten Staaten der Region in den Hintergrund
chen Raum zu erringen können. Den säkular orientierten getreten.
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Renate Kreile Der Kampf um die Frauen. Politik, Islam und Gender im Vorderen Orient April 2007 gender...politik...online

9. Fragen zum Text: lassen sich Verbesserungen für die Mehrheit der Frauen
erreichen? Inwiefern hat die amerikanische Besat-
9.1. Welche Konstruktionen und Fehlwahrnehmungen zungsmacht im Irak zur Politisierung religiös-konfessi-
der Gender-Thematik im Vorderen Orient werden in der oneller Zugehörigkeiten und zur identitätspolitischen
Einleitung kritisiert; wie wird die Kritik begründet? Gewaltdynamik beigetragen? Welche strategische Funk-
Welche Prinzipien für eine angemessen reflektierte tion hat die verbreitete sexuelle Gewalt gegen Frauen
sozialwissenschaftliche Analyse werden dem gegenüber in den innergesellschaftlichen identitätspolitischen
formuliert? Machtkämpfen? Weshalb konnten die schiitischen isla-
mistischen Parteien und Bewegungen im ‚neuen’ Irak
9.2. Erklären Sie die zentrale strukturelle Rolle der politisch dominant werden? Welche genderpolitischen
Frauenfrage in den machtpolitischen Auseinanderset- Auswirkungen hat diese Entwicklung. Warum tragen
zungen zwischen Staat und primären Gemeinschaften. zahlreiche irakische Frauen die Forderung nach einem
Erklären Sie die Bedeutung des Geschlechterverhältnis- ‚islamischen Staat’ mit?
ses im Kontext von Globalisierung und identitätspoliti-
schen Selbstbehauptungsbestrebungen. 9.7. Mit welchen unterschiedlichen Konzepten und
Strategien ringen die verschiedenen Strömungen der
9.3. Welche Funktionen hatte die Frauenfrage für die Frauenbewegungen der Region um Empowerment, und
Kolonialpolitik? Welche Auswirkungen hatte der Ge- wie lassen sich die jeweiligen Strategien erklären?
schlechterdiskurs der Kolonialmächte jeweils auf die Weshalb gelingt es den islamistischen Frauenrechtle-
internen Geschlechterdiskurse in Algerien und Ägyp- rinnen weiter reichenden Einfluss zu gewinnen als den
ten? säkular orientierten Frauenrechtlerinnen? Welche Be-
stimmungsfaktoren haben dazu geführt, dass die irani-
9.4. Erläutern Sie die Bedeutung der kemalistischen schen Frauen trotz der politisch restriktiven Bedingun-
Frauenpolitik für das Staatsbildungsprojekt und die gen des ‚Islamismus an der Macht’ enorme Erfolge im
Stellung der Frauen. Warum wurden autonome politi- Kampf um Empowerment aufzuweisen haben.
sche Initiativen von Frauen zunehmend unterbunden?
Welche Auswirkungen hatten ‚Staatsfeminismus’, öko- 9.8. Welche Widersprüche und Ambivalenzen kenn-
nomische Boom-Phase und Krisenentwicklung auf die zeichnen die gegenwärtigen Auseinandersetzungen um
geschlechterpolitische Regulierung des Arbeitsmark- die Frauenfrage im Vorderen Orient? Wie beurteilen Sie
tes? Welchen Einfluss hatte die Arbeitsmarktentwick- Möglichkeiten, Probleme und Grenzen transnationaler
lung auf den Geschlechterdiskurs? Kooperation zwischen orientalischen und westlichen
Frauenbewegungen?
9.5. Warum wenden sich seit drei Jahrzehnten weite
Teile der Bevölkerung im Vorderen Orient islamisti-
schen Bewegungen zu? Welche Bedeutung hat die 10. Literatur
Geschlechterordnung für die Krisenwahrnehmung der
Islamisten? Welche Antworten auf die Krise bieten Adnan, Etel: Sitt Marie Rose. Eine libanesische Ge-
die Islamisten, und weshalb finden sie damit breiten schichte, Frankfurt/M. 1988
Anklang? Welche politische Funktion nach innen und
nach außen hat die Berufung auf vermeintlich ‚au- Afkhami, Mahnaz: Women in Post-Revolutionary
thentische’ Traditionen? Welche Funktion kann der Iran: a feminist perspective. In: Afkhami, Mahnaz und
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9.6. Wie lässt sich die Fortdauer zutiefst patriarcha- Afshar, Haleh: Islam and Feminism: An Analysis of
lischer Geschlechterverhältnisse in Afghanistan auch Political Strategies. In: Yamani, Mai (Hg.): Feminism
nach dem Sturz der Taliban erklären? Wie wirken sich and Islam. Legal and Literary Perspectives. Reading
die Verhältnisse im ‚neuen’ Afghanistan auf verschie- 1996, 197-216.
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11. Links sonders interessant darin im Hinblick auf die Genderthema-


tik die Aufsätze von Lynne Thornton und Karl-Heinz Kohl.
www.wluml.org 3
Eine weitergehende Binnendifferenzierung zwischen
den einzelnen Ländern der Region, die die unterschiedli-
www.amews.org chen Staatsbildungskonzepte und Legitimationsideologien
der jeweiligen Staatsklassen stärker einbeziehen müßte,
www.acttogether.org kann in diesem Rahmen nicht geleistet werden. ( (vgl. hier-
zu ausführlicher Kreile 1997a, 256ff.; 282ff).
www.hrw.org 4
Bspw. waren schon 1981 25% des Lehrpersonals an
ägyptischen Universitäten Frauen.(vgl. Mernissi 1988, 11).
5
www.madre.org Während der Islam in seinen unterschiedlichen Aus-
prägungen für Millionen von Menschen religiöse Überzeu-
www.WomenWarPeace.org gung und Praxis bzw. kulturelles Erbe ist, stellt der Islamis-
mus eine moderne politische Ideologie dar, die von sozialen
www.qantara.de Bewegungen getragen wird, die Antworten auf die umfas-
sende soziale und politische Krise suchen, in der sich große
www.merip.org Teile der ‚islamischen Welt’ seit Jahrzehnten befinden.
Dabei sind auf gedanklicher Ebene die Grenzen zwischen
www.isim.nl Anhängern der islamistischen Bewegungen und ‚normalen’
Muslimen, die sich als gläubig verstehen, jedoch nicht als
www.columbia.edu/cu/libraries/indiv/area/ islamistisch, nicht immer leicht zu ziehen. Die meisten Mus-
MiddleEast/women.html lime gehen davon aus, dass der Islam eine bestimmte Le-
bensführung fordert, in der als islamisch gedachte Werte in
www.arabinfo.org/arabwomen/main.html innerweltliches Handeln übersetzt werden. Islamisten gehen
an dieser Stelle jedoch weiter: Sie fordern eine „islamischen
http://ssgdoc.bibliothek.uni-halle.de/vlib/ Ordnung“, in der die göttlichen Gebote und Verbote öffent-
html/index.html lich wirksam durch den Staat durchgesetzt werden. ( (vgl.
Krämer 2005, 186).
www.giga-hamburg.de/index.php?file=nahosti Die Begriffe Islamismus und ‚politischer Islam’ werden
minternet.html&folder=imes in diesem Zusammenhang synonym verwendet. ( (vgl. zur
Begrifflichkeit auch Riesebrodt 2005).
www.mwlusa.org/welcome.html 6
In den vergangenen Jahren ist es zu einer weitrei-
chenden Ausdifferenzierung in Diskursen und Strategien der
www.library.cornell.edu/colldev/mideast/ islamistischen Bewegung gekommen. Die Frauenfrage ist
home.htm davon allerdings relativ wenig berührt worden. ( (vgl. bspw.
Lübben und Fawzi 2000, 229-281).
www.al-bab.com/arab/women.htm 7
So erklärte die amerikanische First Lady, Laura Bush,
unmittelbar nach dem Sturz des Taliban-Regimes: „Dank
unserer jüngsten militärischen Erfolge in einem großen Teil
12. Endnoten Afghanistans, sind die Frauen nicht länger in ihren Häu-
sern eingesperrt. Sie können Musik hören und ihre Töchter
1
Said hat die These formuliert, dass ‚der Orient’ inner- unterrichten, ohne Angst bestraft zu werden. ... Der Kampf
halb einer fortdauernden westlichen Wissenschaftstradition gegen den Terrorismus ist auch ein Kampf für die Rechte
zur Rechtfertigung und Durchsetzung des kulturellen und und die Würde der Frauen.“ (Bush, L. 2001).
politischen Dominanz-Anspruchs des Westens konstruiert, 8
Das Wort purdah heißt Vorhang, Schleier; purdah als
also gleichsam ‚erfunden’ wurde. Institution umfaßt das ganze System der Geschlechtertren-
2
Reiches illustratives Material hierzu findet sich in: nung. Purdah ist der Vorhang, der die weibliche Sphäre von
Sievernich, Gereon/ Budde, Hendrik (Hg.): Europa und der der öffentlichen männlichen Sphäre trennt, der Schleier, der
Orient 800-1900; München 1989 (Ausstellungskatalog); be- die Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit wahrt. Pur-

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Renate Kreile Der Kampf um die Frauen. Politik, Islam und Gender im Vorderen Orient April 2007 gender...politik...online

dah prägt die Architektur der Häuser wie auch Verhaltens-


weisen in Mimik und Gestik (vgl. Knabe 1977, 136).
9
Wer eine Anstellung als Dolmetscher oder Fahrer bei
einer NGO erhält, wird erheblich besser bezahlt als etwa ein
Universitätsdozent, und angesichts der vielen zahlungs-
kräftigen ausländischen Mieter sind Mieten in Kabul für
‚gewöhnliche’ Afghanen mittlerweile nahezu unbezahlbar. (
(vgl. Baraki 2003).
10
So wurde bspw. Hamid Majid Mousa, ein säkularer
Politiker und Vorsitzender der Irakischen kommunistischen
Partei als Repräsentant der Schiiten zum Mitglied im Regie-
rungsrat ernannt. ( (vgl. ICG 52/2006, 10, Anm. 64).
11
Obwohl Schiiten und Kurden in den führenden Macht-
positionen des Baath-Regimes unterrepräsentiert waren,
war das grundsätzliche Kriterium für politische Karrieren
nicht ethnischer oder religiöser Natur. Entscheidend neben
professionellen Fähigkeiten war die bedingungslose Loyali-
tät gegenüber dem Regime und dem Präsidenten. ( (vgl. ICG
52/ 2006, 7).
12
Zu zahlreichen Vergewaltigungen durch US-Soldaten
vgl. etwa: The Guardian vom 12. 5. 2004.
13
Muqtadas religiös-politische Legitimation leitet
sich wesentlich von seinem berühmten Vater, Ayatollah
Muhammad Sadiq al-Sadr, und einem Onkel, Ayatollah
Muhammad Baqir al-Sadr her, die transnational von vielen
Schiiten hoch verehrt werden.
14
zu den Aktivitäten formeller und informeller Frauen-
gruppen im Vorderen Orient, ihren Möglichkeiten und Pro-
blemen vgl. den informativen von Chatty/Rabo herausgege-
benen Sammelband (vgl. Chatty/ Rabo (ed.) ).1997)
15
Wenngleich sich die Weiblichkeitsdiskurse und frau-
enrechtlichen Forderungen islamischer und islamistischer
Frauenrechtlerinnen teilweise überschneiden, gibt es doch
auch Unterschiede in der jeweiligen politischen Orientie-
rung. Islamische Frauenrechtlerinnen bzw. Feminististin-
nen legitimieren ihre Konzepte und Forderungen auf dem
Boden islamischer Diskurse, ohne damit zwangsläufig eine
bestimmte Staatskonzeption zu verbinden. Islamistische
Frauenrechtlerinnen streben als politisches Projekt einen
‘islamischen Staat’ an.
16
So kommt es neuerdings bspw. in der Türkei und im
Iran über weltanschauliche Differenzen hinweg zu einer
Geschlechtssolidarität zwischen säkular orientierten und
islamistischen Frauenrechtlerinnen, die sich gemeinsam
für eine rechtliche Gleichstellung der Frauen einsetzen, die
auch das strikt patriarchalische Familienrecht einbezieht
(vgl. Göle 1995; Kreile 2000).
+

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