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Vermächtnis. Dialektisches Denken ist der Versuch, den Zwangscharakter der Logik mit deren eigenen Mitteln zu durchbrechen. Aber indem es dieser Mittel sich bedienen muß, steht es in jedem Augenblick in Gefahr, dem Zwangscharakter selber zu verfallen: die List der Vernunft möchte noch gegen die Dialektik sich durchsetzen. Nicht anders läßt das Bestehende sich überschreiten als vermöge des Allgemeinen, das dem Bestehenden selbst entlehnt ist. Das Allgemeine triumphiert übers Bestehende durch dessen eigenen Begriff, und darum droht in solchem Triumph die Macht des bloß Seienden stets sich wied
Vermächtnis. Dialektisches Denken ist der Versuch, den Zwangscharakter der Logik mit deren eigenen Mitteln zu durchbrechen. Aber indem es dieser Mittel sich bedienen muß, steht es in jedem Augenblick in Gefahr, dem Zwangscharakter selber zu verfallen: die List der Vernunft möchte noch gegen die Dialektik sich durchsetzen. Nicht anders läßt das Bestehende sich überschreiten als vermöge des Allgemeinen, das dem Bestehenden selbst entlehnt ist. Das Allgemeine triumphiert übers Bestehende durch dessen eigenen Begriff, und darum droht in solchem Triumph die Macht des bloß Seienden stets sich wied
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Vermächtnis. Dialektisches Denken ist der Versuch, den Zwangscharakter der Logik mit deren eigenen Mitteln zu durchbrechen. Aber indem es dieser Mittel sich bedienen muß, steht es in jedem Augenblick in Gefahr, dem Zwangscharakter selber zu verfallen: die List der Vernunft möchte noch gegen die Dialektik sich durchsetzen. Nicht anders läßt das Bestehende sich überschreiten als vermöge des Allgemeinen, das dem Bestehenden selbst entlehnt ist. Das Allgemeine triumphiert übers Bestehende durch dessen eigenen Begriff, und darum droht in solchem Triumph die Macht des bloß Seienden stets sich wied
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Zwangscharakter der Logik mit deren eigenen Mitteln zu durch- brechen. Aber indem es dieser Mittel sich bedienen muß, steht es in jedem Augenblick in Gefahr, dem Zwangscharakter selber zu verfallen: die List der Vernunft möchte noch gegen die Dialektik sich durchsetzen. Nicht anders läßt das Bestehende sich überschreiten als vermöge des Allgemeinen, das dem Beste- henden selbst entlehnt ist. Das Allgemeine triumphiert übers Bestehende durch dessen eigenen Begriff, und darum droht in solchem Triumph die Macht des bloß Seienden stets sich wieder- herzustellen aus der gleichen Gewalt, die sie brach. Durch die Alleinherrschaft der Negation wird nach dem Schema des imma- nenten Gegensatzes die Bewegung des Gedankens wie der Ge- schichte eindeutig, ausschließlich, mit unerbittlicher Positivität geführt. Alles wird unter die in der gesamten Gesellschaft histo- risch je maßgebenden wirtschaftlichen Hauptphasen und ihre Entfaltung subsumiert: das ganze Denken hat etwas von dem, was Pariser Künstler le genre chef-d' oeuvre nennen. Daß das Unheil gerade von der Stringenz solcher Entfaltung bewirkt wird; daß jene geradezu mit der Herrschaft zusammenhängt, ist in der kritischen Theorie zumindest nicht explizit, welche wie die traditionelle vom Stufengang auch das Heil erwartet. Strin- genz und Totalität, die bürgerlichen Denkideale von Notwen- digkeit und Allgemeinheit, umschreiben in der Tat die Formel der Geschichte, aber eben darum schlägt in den festgehaltenen herrschaftlich großen Begriffen die Verfassung der Gesellschaft sich nieder, gegen welche dialektische Kritik und Praxis sich richten. Wenn Benjamin davon sprach, die Geschichte sei bislang vom Standpunkt des Siegers geschrieben worden und müsse von dem der Besiegten aus geschrieben werden, so wäre dem hin- zuzufügen, daß zwar Erkenntnis die unselige Geradlinigkeit der Folge von Sieg und Niederlage darzustellen hat, zugleich aber dem sich zuwenden muß, was in solche Dynamik ·nicht einging, am Wege liegen blieb - gewissermaßen den· Abfallstoffen und blinden Stellen, die der Dialektik entronnen sind. Es ist das Wesen des Besiegten, in seiner Ohnmacht unwesentlich, abseitig, skurril zu scheinen. Was die herrschende Gesellschaft transzen- diert, ist nicht nur die von dieser entwickelte Potentialität, sondern ebensowohl das, was nicht recht in die historischen Bewegungsgesetze hineinpaßte. Die Theorie sieht sich aufs Que- re, Undurchsichtige, Unerfaßte verwiesen, das als solches zwar vorweg ein Anachronistisches an sich trägt, aber nicht aufgeht im Veralteten, weil es der historischen Dynamik ein Schnippchen schlug. An der Kunst läßt sich das am ehesten einsehen. Kinder- bücher wie Alice in Wonderland oder der Struwwelpeter, vor denen die Frage nach Fortschritt und Reaktion lächerlich wäre, enthalten unvergleichlich beredtere Chiffren selbst der Ge- schichte als die mit der offiziellen Thematik von tragischer Schuld, Wende der Zeiten, Weltlauf und Individuum befaßte Großdramatik Hebbels, und in den schnöden und albernen Klavierstücken Saties blitzen Erfahrungen auf, von denen die Konsequenz der Schönbergschule, hinter der alles Pathos der musikalischen Entwicklung steht, nichts sich träumen läßt. Ge- rade die Großartigkeit der Folgerungen mag unversehens den Charakter des Provinziellen annehmen. Benjamins Schriften sind der Versuch, in immer erneutem Ansatz das von den großen Intentionen nicht bereits Determinierte philosophisch fruchtbar zu machen. Sein Vermächtnis besteht in der Aufgabe, solchen Versuch nicht den verfremdenden Rätselbildern des Gedankens einzig zu überlassen, sondern das Intentionslose durch den Be- griff einzuholen: der Nötigung, dialektisch zugleich und undia- lektisch zu denken.