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Die studentische Zeitschrift


der Universität Erfurt campus:echo # 03

WÜST UND LEER

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Titel: Christoph Ruhland, Textmontage: Khesrau Behroz | Foto unten: U.S.-Army, öffentlicher Besitz

Impressum Redaktion
Thomas Schmelzer (Chefredaktion, Wir sind im fünften Jahrgang.
campus:echo ist das studentische Ma-
gazin der Universität Erfurt und erscheint
V.i.S.d.P.) Sebastian Bähr, Simon Beck,
Khesrau Behroz, Sarah Blanck, Johannes Dies ist Heft Nummer drei.
zweimal pro Semester. Alle Artikel Bluth, Sarah Buch, Lara Falkenberg, Den-
spiegeln die Meinung der einzelnen Au- nis Frieß, Philipp Hansen, Sören Musyal, Druck
toren wider und nicht die der gesamten Julia Orth, Rebecca Puchta, Fabian Raith, City Druck GmbH Erfurt
Redaktion. Linda Rustemeier, Thomas Schmelzer, Auflage: 1500
Sandra Schmidt, Patrick Stegemann, Jan
Kritik und Mitarbeit Steinhauer, Konstanze Zechendorf Redaktion campus:echo
Wir freuen uns jederzeit über Anregun- Anzeigen Nordhäuser Straße 63
gen, Kritik, Lob, eingereichte Fotos oder Bernhard Meier 99089 Erfurt
Artikel. Die Redaktion behält sich das Satz & Layout campusecho@uni-erfurt.de
Recht auf Änderungen eingesandter Arti- Khesrau Behroz
kel vor. Interessierte Schreiber, Layouter Fotos & Illustration Mit freundlicher Unterstützung des
oder Fotografen sind stets willkommen. Anne Bert, Jan Steinhauer Studierendenrates der Universität Erfurt

Über uns campus:echo ist das studentische Magazin der Uni-


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CHEFREDAKTION Thomas Schmelzer - V.i.S.d.P. 17.05.10 00:22
versität Erfurt und erscheint zweimal pro Semester. Alle REDAKTION Katharina Bartsch - Simon Beck - Khes-
„I was young enough,
I still believed in war“
Bright Eyes, Poison Oak

04 Schweigen remienwah
ü r die G len!
06 Kinderfresser Zei
t f A

m8
07 Unidemokratie

./9.
HEY, KUMPEL,

Juni im Vorraum de
08 Machtmissbrauch
09 Welke Orchidee GEH WÄHLEN!

rM
10 Rebell, jr.
ens
a. St !
oppt die Griechen

11 Weltverbesserer
12 Bolognese
13 Doppelt Dilemma
14 + / - / Hilgenfeld
15 heft:campus Ähh...ditorial!
19 Interview: Stadtschreiber Hören wir da ein Echo?

20 campus:menschen O
hh, ohh, oh. Wenn das ‘mal wieder
keinen Ärger gibt: Das Schweigen
gebrochen, Geläster über andere Medien

22 Lecker Wurst! und bodenlose Kritik an allem und jedem. Dazu


ein gefälschtes Interview im NEON-Stil und

24 Backstube
ein Hausbesetzungskommentar. Stoff aus dem
Leserbriefe gemacht sind.
Man kann uns das jetzt glauben oder nicht, aber

25 Hausbesetzung wir freuen uns tatsächlich über Kritik an unserer


Arbeit. Regt euch auf! Formuliert uns in den
Boden! Argumentiert, polemisiert und analysiert,
26 Tolstoi bis wir rotstichig anlaufen. Wir lesen das Zeug
wirklich. Wenn ihr dann Glück habt, setzen wir

28 Interview: Der Heilige Vater


die Kritik sogar um. Und in fast allen Fällen
machen wir uns zumindest Gedanken!
Wem das zu viel Stress ist – auch nicht

30 GLasshaus anfechten schlimm. Zurücklehnen, lesen, glücklich sein. Das


kennt man ja aus dem Studium.

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DER REST IST SCHWEIGEN
Vom Unvermögen, über eine schwierige Sache zu reden und ein
Schweigen, das jahrelang nicht gebrochen wurde - aus gutem Grund.
Nun aber ist es Zeit zu reden.

von Patrick Stegemann und Sören Musyal

Ü
ber Geld soll man nicht reden, Zudem wisse niemand, wie mit würde somit vor die Aufgabe gestellt,
weiß der Volksmund. Über zu Überschüssen aus Veranstaltungen diese regelmäßig auf Korrektheit zu
viel Geld jedoch reden eini- zu verfahren sei. Somit befinden sich prüfen. Mit dem normalen Arbeit-
ge Fachschaftsräte zu wenig. Woher Fachschaftsräte fast notwendig in ei- spensum des ehrenamtlichen Finanz-
kommt es, wohin geht es. In nicht ner Grauzone. Die Frage aber, warum referenten sei diese Herkulesaufgabe
wenigen Fällen bleibt die Bilanz der sich an dieser bedrückenden Lage seit nicht zu bewältigen, glaubt StuRa-
Fachschaftsräte im Dunkeln. Dass es Jahren nichts ändert, wird nur schul- Vorstand Martin Luckert. Hier ließe
überhaupt Finanzen gibt, will manch terzuckend zur Kenntnis genommen. sich jedoch sicher eine Lösung finden.
Vertreter in den Hochschulgremi- Dabei gibt es durchaus Gegenbeispie- Genau um diese Lösungen drehten
en gar gänzlich leugnen. „Der StuRa le auch in der Thüringer Hochschul- sich zahlreiche Diskussionen der ver-
hat keine Kenntnis von eigenen Kon- landschaft. Während in Erfurt der gangenen Wochen. Nachdem einige
ten der Fachschaftsräte“, versichert weit verbreitete Irrglaube besteht, StudentInnen - mehr hinter vorge-
Studierendenrat-Vorstandsmitglied das Thüringer Hochschulgesetz ver- haltener Hand - das aktuelle Finanz-
Martin Luckert. böte Fachschaftskonten, beweist die gebaren monierten, kam Bewegung
Die Fachschaftsräte wollen selbst- Universität Jena das Gegenteil. Zwar in die Sache. Auf dem Fachschaftsrä-
redend von eigenen Finanzen ebenso gehören die dort angelegten Unter- teplenum am 19. April diesen Jahres
nichts wissen - und schon gar nichts konten dem StuRa, doch können die forderte der Fachschaftsrat-KW mehr
preisgeben. Wo jedoch die teils hohen einzelnen Fachschaften qua Schlüs- Transparenz und beauftragte den Stu-
Einnahmen rauschender Studieren- selzuweisungen auf einen gewissen Ra mit der Suche nach einem Modell,
denfeste bleiben, ist nicht ersichtlich. Prozentsatz des Gesamtbudgets zu- das diesem Anspruch genügt. Derweil
Dass nach den übervollen Partys wirk- greifen. Je nach Fachschaftsgröße scheint sich jedoch abzuzeichnen,
lich eine schwarze Null in den Rech- erhalten sie so Zugang zu Geld, das dass der Studierendenrat kein wirk-
nungsbüchern stehen bleibt, können sie bei geringen Aufwendungen ohne liches Interesse an der Einführung
sich viele nur schwer vorstellen. vorhergegangene Anträge verwenden einer neuen Lösung hegt. „Mehrere
Vorwürfe kann man den engagier- können. Lediglich bei Ausgaben, die Fachschaften haben sich überrascht
ten StudentInnen indes nicht machen, 150 Euro übersteigen, bedarf es der gezeigt, ob dieser Haltung“, sagt Sa-
denn eigene Konten sind für sie laut Zustimmung des Studierendenrates. rah Buch, Mitglied des Fachschaftsra-
Finanzordnung nicht vorgesehen. Um Durch dieses System wird den Stu- tes-KW. So habe Martin Luckert noch
jedoch effektiver arbeiten zu können, dierenden nicht nur mehr Einblick in auf dem Plenum verkündet, dass der
wäre es durchaus sinnvoll, Rücklagen den Haushalt der jeweiligen Gremien StuRa sich mit dem Jenaer-Modell
bilden zu können. So werden beizei- gewährt, auch schnelles und effek- befassen und nach verschiedenen
ten mehrere hundert Euro bewegt - tives Arbeiten wird möglich. Sogar Lösungen suchen werde. Hinter ver-
abseits der Kontrolle der allgemeinen die Bildung von Rücklagen ist in ge- schlossenen Türen aber hat der StuRa
Studierendenschaft, denn offen legen wissem Rahmen legitim. Zudem müs- anscheinend befunden, dass die Ein-
wollen beziehungsweise können die sen nun auch die Fachschaften einen führung des Jenaer- oder eines an-
Fachschaftsräte die inoffiziellen Fi- Jahres- beziehungsweise Kassenab- deren Modells sehr aufwändig wäre.
nanzen nicht. Manche Frage besorg- schluss abliefern. „Wenn Studieren- Eine letzte Entscheidung sei jedoch
ter StudentInnen, wo das Geld denn de die Kostenaufstellungen unserer noch nicht gefallen, widerspricht
geblieben sei, muss so oft unbeant- Veranstaltungen einsehen wollten, Martin Luckert. Das Argument des zu
wortet bleiben. Doch leidet nicht nur würden wir sie zum StuRa schicken. großen Aufwands dürfe jedoch nicht
die Transparenz, auch die betroffenen Läge die Verantwortung der Buch- gelten, merkt Sarah Buch an, „der
Fachschaftsräte fühlen sich durch die führung bei uns, bedeutete dies mehr StuRa ist die Vertretung der gesamten
aktuellen Regelungen gegängelt: „Wir direkte Transparenz, aber eben auch Studierenden und diese wollen Trans-
arbeiten nicht sehr effizient, solange mehr Arbeit. Vor allem aber bliebe parenz, also liegt es in seiner Verant-
wir alles beim StuRa beantragen müs- uns viel Frustration erspart“, konsta- wortung, dies umzusetzen.“
sen“, klagt Anselme Champollion, tiert Champollion. Mehr Arbeit sieht Eine Novellierung der Finanzord-
Sprecher des StaWi-Fachschaftsrates. auch Martin Luckert auf die Stu- nung scheint nunmehr in weite Fer-
Es sei sehr schwierig, spontane Veran- dierendenvertretungen zukommen, ne gerückt und wie jede ermüdende
staltungen durchzuführen, da Anträ- sollte es zu einer Änderung hin zum Diskussion droht auch diese im Sand
ge ordnungsgemäß mindestens eine Jenaer-Modell kommen. Der FSRKW zu verlaufen, wenn die StudentInnen
Woche vor der Sturasitzung zu stellen würde den größeren Aufwand jedoch nicht weiter auf ihr Recht pochen:
seien, sagt er weiter. Auch KW-Fach- in Kauf nehmen. „Autonomie und Einblick in die Arbeit, der von ihnen
schaftsratsmitglied Marco Lünich Transparenz haben eben ihren Preis“, gewählten Vertreter. Es wird dem bald
zeigt sich zerknirscht angesichts der sagt Simon Wieland vom KW-Fach- neugewählten StuRa obliegen, den
herrschenden Praxis: „Die momenta- schaftsrat. größer werdende Wunsch nach einer
nen Antragsregelungen sind mitunter Fest steht, dass eine Änderung hin Neuordnung des Kontendschungels
sehr zeitaufwändig, sowohl für StuRa zu selbstverwalteten Konten von den umzusetzen. Nicht nur am Jenaer-
als auch für die Fachschaftsräte. Die Fachschaftsräten verlangen würde, Modell, sondern auch an der grund-
Unsicherheit bei der finanziellen Pla- penibel über das Semester Buch zu legenden Reform der StuRa-Finanzen
nung lähmt zusätzlich.“ führen. Der Finanzreferent des StuRa aus dem Jahre 2005 könnten sich die
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KORRIGIERT!

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zukünftig gewählten Studentinnen- dings entschieden, „Erträge rentabler her.“ Nach Risses Vermutung betrüge
vertreter dabei orientieren. Damals Projekte“ nicht zurück zu fordern, um die Steigerung des Arbeitsaufwandes
initiierte Sebastian Risse die funda- die durchführenden Fachschaftsrä- etwa 15 Prozent, die Kosten für ein
mentale Änderung der StuRa-Konten. te nicht zu demotivieren. „Das heißt Unterkonto lägen bei 6 Euro im Mo-
„In den Jahren vor 2005 wurden die auch, dass wir die Unterstützung der nat.
Finanzen chaotisch über verschie- Studierenden über eine weitergehen- Angesichts dieser Einschätzung und
dene Konten geführt. Ein Überblick de Transparenz stellten.“ Sollte heu- dem lauter werdenden Wunsch nach
war unmöglich, koordinierte Ab- te jedoch die Forderung nach mehr Transparenz, müssen sich sowohl
rechnungen aller Vorgänge fanden Transparenz überwiegen, gäbe es die StuRa als auch Fachschaftsräte die
nicht statt“, beschreibt Sebastian Ris- Möglichkeit eines entsprechenden Frage gefallen lassen, warum seit dem
se, Finanzreferent der Jahre 2006- Unterkontensystems, erklärt Risse über die untransparenten Finanz-
2008, die ehemalige Situation auf weiter, „so wäre maximale Transpa- praktiken so hartnäckig geschwiegen
Nachfrage des campus:echo. Zu die- renz für Alle gegeben, der Arbeits- wurde. Über Geld muss man eben
sem Zeitpunkt habe man sich aller- und Finanzaufwand aber kaum hö- doch manchmal reden.
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DIE REFORM FRISST IHRE KINDER
Die Universität rühmte sich einst als Reformhochschule. Doch was ist
vom Gründergeist geblieben? Nicht viel, findet Dennis Frieß.

I
n der Präambel der Grundord- Auf der anderen Seite erhöhte Anfor- gründen. Die Maxime war Qualität
nung der Universität Erfurt findet derungen an den gesellschaftlichen statt Quantität. Diese Idee ist unter
sich ein Satz, der scheinbar zuneh- Nutzen von Wissenschaft. Forschung den aktuellen politischen Rahmenbe-
mend in Vergessenheit gerät. Gleich und Lehre an den Universitäten müs- dingungen nicht mehr durchzuhalten
im ersten Abschnitt heißt es dort: „Die sen perspektivisch zu einem für die und wurde – kaum radikaler möglich
geisteswissenschaftliche Reformuni- Gesellschaft bemessbaren Mehrwert – ins Gegenteil verkehrt.
versität mit kultur- und gesellschafts- führen und können nicht mehr länger Die Suche nach den Schuldi-
wissenschaftlichem um ihrer selbst Willen erhalten wer- gen der Misere scheint nur auf
Profil schlägt […] neue Wege in den. den ersten Blick leicht. Die Politik!
Forschung und Lehre ein.“ Böse In der Idee des New Public Manage- Sicherlich könnte die Politik auch in
Zungen könnten behaupten, dass der ment meinte man einen Ausweg aus Zeiten finanzieller Knappheit quer
Universität Erfurt der aus der Grün- der Misere gefunden zu haben, in- durch alle Disziplinen mehr Geld in
derzeit herrührende Reformgeist dem man Universitäten - nun als zu die Hochschulen investieren. Auf der
verloren gegangen ist und sich nach managende Unternehmen gedacht - anderen Seite ist die Frage nach dem
mehr zehn Jahren Lehrbetrieb die anhand messbarer Indikatoren Mit- „Wofür“ ebenfalls berechtigt. Braucht
muffige Routine eingeschlichen hat. tel zuweist. Die Grundidee besteht Thüringen Geisteswissenschaften
Dem ist nicht so! Denn Tatsächlich darin, darauf zu vertrauen, dass und wenn ja, wie viele? Eine Frage die
läuft seit einigen Jahren das größte marktwirtschaftlicher Wettbewerb beantwortet werden muss und positiv
Reformprojekt, dass eine Universität zu mehr Effizienz führt. Mit Lubom beantwortet werden kann.
je gesehen hat: Die Low-Budget-Uni. erhielt 2007 eine Form des New Pu- Die positive und argumenta-
Obwohl sich sowohl Landes- als blic Management Einzug in Thü- tiv gut unterfütterte Beantwortung
auch Bundespolitik offensiv zur ringen und nun zeigen sich die of- dieser Frage wird über kurz oder
Wichtigkeit von Bildung bekennen, fensichtlichen Probleme. Obgleich lang die Zukunft der Geisteswissen-
bedeutet dies nicht eine angemes- geforderte Verbesserungen – in schaften ausmachen. Wenn klar ist,
sene Investition in universitäre Bil- jedem Fall keine Verschlechterun- dass sich ständig weiter spezialisie-
dung. Die Bildungsrepublik ist pleite gen – stattgefunden haben, klafft ein rende Fachbereiche nicht ins Unend-
und da kommt die Low-Budget-Uni Defizit im Etat der Universität, wel- liche wachsen können, dann muss an
gerade Recht. Maximaler Output ches durch unpopuläre Kürzungen einen gewissen Punkt gefragt wer-
bei minimalen Ressourceneinsatz – geschlossen werden muss. Da alle den, was sich eine Gesellschaft mit
so lautet das Kredo der Low-Budget Universitäten um einen gedeckelten ihren Steuergeldern leisten kann und
Universität. Geldtopf buhlen, gehen die Gewin- was notgedrungen wegfallen muss.
Mit einem Haushaltsdefizit von ne einer Universität automatisch zu Leider verwendet die Geisteswissen-
knapp zehn Prozent (rund 3.000.000 Lasten einer anderen Hochschule. schaft ihre Zeit meist darauf über
Euro) schickt sich die Reformuni- Auch wenn sich alle Einrichtungen finanzielle Benachteiligung und Ge-
versität Erfurt an, auch in Zukunft verbessern, muss das nicht bedeu- ringschätzung zu klagen, als ihre
mehr Studierende in BA- und MA- ten, dass alle mehr Geld erhalten. Wichtigkeit und damit letztlich ihre
Studiengänge zu immatrikulieren, Ein wirklicher leistungsorientierter Legitimität zu erklären.
mehr Absolventen zu graduieren, Wettbewerb ist das nicht – die Idee Die hochschulfinanziellen Spielre-
mehr Doktoranden zu promovieren des New Public Management scheint geln haben sich offensichtlich ver-
und mehr Drittmittel für die For- kläglich verfehlt. Soviel also zu den ändert. Den Geisteswissenschaften
schung einzuwerben. Misslingt das, strukturellen Voraussetzungen für die muss es gelingen, die neuen  Re-
werden die Mittel noch knapper, denn Low-Budget-Universität. geln in ihrer fundamentalen Logik
durch die leistungs- und belastungs- Das Paradoxe an der Low-Budget- zu verstehen, sie für sich zu nutzbar
orientierte Mittelvergabe (Lubom, Universität Erfurt ist jedoch, dass die zu machen und soweit wie mög-
campus:echo berichtete) bemisst sich ursprüngliche Gründungsidee der lich mitzuspielen. Es gilt den El-
der Etat an genau diesen Indikatoren. Universität Erfurt absolut konträr zur fenbeinturm zu verlassen und der
Die Low-Budget Universität ist da- aktuellen Reform liegt. Gründungs- Öffentlichkeit zu erklären, war-
bei das Ergebnis eines relativ globalen rektor Peter Glotz und seine Mitstrei- um Geisteswissenschaften wich-
Problems. Auf der einen Seite steht ter wollten vor nun mehr als zehn tig für unsere Gesellschaft sind,
eine Verknappung der staatlichen Jahren eine geisteswissenschaftlich woran sie sich messen lassen können
Finanzen für den Hochschulbereich. profilierte Universität im kleinen Stil und wollen.
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UNIDEMOKRATIE JETZT!
Wie passen ein undemokratisches Bildungssystem und ein demokra-
tischer Staat zusammen? Eigentlich gar nicht, meint Philipp Hansen.
Deswegen wird es höchste Zeit, Bildungseinrichtungen zu demokrati-
sieren. Doch wie könnte eine demokratische Hochschule aussehen?

Als Ausgangspunkt dient unsere windet eine Hochschuldemokratie Lernende sein, an einem Ort, der in
Staatsform: In der Bundesrepublik ist eine letztlich ständische und damit Bewegung ist. Die Universität als eine
das Volk der Souverän. „Demokratie“ undemokratische Gruppenuniversi- lernende Organisation, die von allen
kommt aus dem Griechischen und tät, indem die Kandidaten allen zur mitgestaltet wird. Hochschuldemo-
heißt so viel wie „das Volk herrscht“. Wahl stehen und als Vertreter der kratie ist eine soziale Innovation und
Das Volk wählt in einer allgemeinen ganzen Universitätsgemeinschaft gleichzeitig eine Rückbesinnung auf
und gleichen Wahl Vertreter, die im gewählt werden. Doch lässt sich die die Universität als Gemeinschaft der
Bundestag über alle wesentlichen parlamentarische Demokratie eines Lehrenden und Lernenden.
Fragen entscheiden. Dieser Bundes- Staates eins zu eins auf eine Uni über-
tag wählt dann den Regierungschef, tragen? Natürlich gibt es nach einer Demo-
der sein Kabinett zusammenstellt. Da die Uni deutlich kleiner ist als ein kratisierung immer noch Schwierig-
Übertragen auf eine Hochschule ist Staat, empfiehlt es sich, eine eigene keiten und Herausforderungen. Die
also die Universitätsgemeinschaft der demokratische Form zu entwickeln. Uni wird nicht automatisch reicher
Souverän. Zu dieser Gemeinschaft ge- Am Anfang des Demokratisierungs- oder hat plötzlich mehr Räumlich-
hören alle Lehrenden, Studierenden prozesses steht das Erarbeiten einer keiten zur Verfügung. Doch eine de-
und Mitarbeiter. Es gibt ein gleiches Verfassung. Zunächst wird eine Voll- mokratische Entscheidungsstruktur
Wahlrecht nach dem Prinzip eine versammlung aller Angehörigen der bietet eine gute Grundlage, um diese
Person – eine Stimme. Jeder kann Universität einberufen. Aus ihrer Mit- Herausforderungen anzugehen. Eine
wählen und jeder kann gewählt wer- te werden Menschen gewählt, die ei- lernende Organisation kann
den. So werden Kandidaten aus der nen Verfassungsentwurf ausarbeiten sich einer ständig ändernden Um-
Mitte der Universitätsgemeinschaft sollen. Bei dieser Wahl für den Ver- welt besser anpassen. Die gleichbe-
in ein Parlament gewählt, das eine fassungsrat gilt auch das Prinzip eine rechtigte Beteiligung am Entschei-
Regierung für die täglichen Geschäf- Person - eine Stimme. Der Rat arbei- dungsprozess ermöglicht kreative
te bestimmt. Angesprochen auf den tet dann eine Verfassung aus, in der Lösungen und motiviert noch mehr,
Vorschlag eines gleichen Wahlrechts die Organe und ihre Aufgaben festge- sich für die Uni einzusetzen. Wäre es
für Universitätsangehörige, hörte gibt halten sind. Vor allem wird geregelt, nicht grandios, an einer demokrati-
es auf dem Campus ganz unterschied- wie Entscheidungen, die die Gemein- schen Uni zu lehren, zu studieren und
liche Antworten. Die erste Reaktion schaft betreffen, gefällt werden. In ei- mitzuwirken? Mitzumachen bei der
eines Professors war die Vermutung, ner weiteren Vollversammlung wird weltweit ersten Unidemokratie?
dass in dem Parlament 50 Studieren- dann dieser Verfassungsentwurf be- Der erste Schritt ist getan, eine
de einem Professor gegenüber sitzen raten und ratifiziert. Verfassungsän- mögliche Alternative wurde skizziert.
würden. Doch das setzt voraus, dass derungen können danach immer Sie zeigt, dass etwas Anderes möglich
jeder nur Menschen aus seiner Grup- wieder durchgeführt werden, aller- ist als das Bestehende. Jetzt muss das
pe wählen würde. So meinte eine Stu- dings nur durch eine Abstimmung der Thema Hochschuldemokratie in die
dentin genau entgegengesetzt, dass Vollversammlung. Gespräche auf dem Campus und an
Studierende bei einem solchen Mo- Durch diesen hochschulspezifi- die Landesregierung getragen wer-
dell keine Chance hätten, weil die ge- schen Ablauf könnte sich die Univer- den. Denn diese muss den Demokra-
wählt würden, die bekannter sind und sitätsdemokratie dann von Standort tisierungsprozess ermöglichen. Da in
das seien ja die Professoren. Doch zu Standort unterscheiden. Es könn- Thüringen gerade das Hochschulge-
vielleicht ist es sogar ganz unwichtig, ten klassische Organe auf eine de- setz überarbeitet wird, könnte hieraus
ob nun mehr Professoren, Studieren- mokratische Grundlage gestellt oder eine gesetzliche Grundlage entste-
de oder Mitarbeiter in einem Parla- ganz neue Formen entwickelt werden. hen. Im weiteren Prozess hätte das
ment sitzen. Denn sind die Interessen Größere Universitäten Land Thüringen eine ähnliche Rolle,
und Ziele so unterschiedlich? Wollen könnten repräsentative Parlamente wie die Alliierten bei der Erarbeitung
nicht alle einen Ort mit guten Bedin- entwickeln und direkte Demokratie der westdeutschen Verfassung. Mit
gungen für Forschung und Lehre, an auf bestimmte Fragen beschränken. demokratischen Universitäten hat
dem man gern viel Zeit seines Lebens Kleinere Unis könnten an einem run- Thüringen die Chance, Lehrende und
verbringt? Kleine Seminare, schöne den Tisch Entscheidungen treffen. Es Studierende aus ganz Deutschland,
Räumlichkeiten und eine gute Biblio- könnten ideale Voraussetzungen für wenn nicht sogar darüber hinaus an-
thek? Das bedeutet keinen eine Diskursethik geschaffen werden, zuziehen. Den Anfang könnte ein Pi-
Konsens in allen Detailfragen, doch bei der die besten Argumente über- lotprojekt an der Universität Erfurt
es darf bezweifelt werden, dass es so zeugen. Dadurch können Lösungen machen. Als
unterschiedliche Gruppeninteressen gefunden werden, die für alle Betei- geisteswissenschaftliche Campus-
gibt, dass Professoren, Studierende, ligten akzeptabel sind. So kann eine Uni mit überschaubarer Größe bietet
Mittelbau und Mitarbeiter wie im jet- ganz andere Atmosphäre des Mitein- sie ideale Voraussetzungen. Und die
zigen System ihre jeweils eigenen Ver- anders von Lehrenden, Studierenden wissenschaftliche Begleitung ist mit
treter wählen müssen. Dieses Modell und Mitarbeitern entstehen. Denn der staatswissenschaftlichen Fakultät
der Gruppenuniversität stammt aus auch die Grenzen zwischen diesen gleich vor Ort.
den 60er Jahren und wurde in den Gruppen verschwimmen zunehmend. Die Uni Erfurt kann wieder Refor-
70er Jahren zum Regelfall an deut- Wer lehrt? Wer studiert? Und wer ar- muni werden – mit der Universitäts-
schen Universitäten. Dagegen über- beitet mit? Wir alle können demokratie.
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ARROGANZ DER MACHT
Man könnte folgende Geschichte vom guten Ende her erzählen. Oder
aber man berichtet von all dem Ärger, den bösen Worten, den deutli-
chen Drohungen, denen Studierende dieser Universität seitens eines
Dozenten ausgesetzt waren.

von Patrick Stegemann

A
ls Anne*, Studentin der LLTP ein ebenso betroffener Kommilito- Er werde, versichert er in einer Mail
am Ende des Semesters eine ne einschreitet und die Berechnung an die Studierenden, den Prüfungs-
E-Mail ihres Dozenten mit abseits des Täuschungsversuches ausschuss anrufen. Die möglichen
der Endnote einer Veranstaltung be- für fragwürdig erachtet. „Ich wuss- Konsequenzen seien nicht nur die
kommt, traut sie ihren Augen kaum. te, dass laut Prüfungsordnung die Streichung des Seminars, sondern gar
In dem Schreiben findet sie eine fast Vorprüfungsleistungen nicht in die „der Ausschluss von der Erbringung
um eine ganze Notenstufe schlechtere Gesamtnote mit eingehen darf“, erin- weiterer Leistungen an der Universi-
Bewertung als sie erwartet hatte. Der nert sich ihr Kommilitone Peter*. Die tät“. Als ob diese Drohgebärde nicht
Grund, so bescheinigt der Lehrende, Prüfungsordnung gibt Ihnen Recht: ausreicht, hebt er gar hervor, dass der
sei die Verrechnung der guten Haus- tatsächlich dürfen DozentInnen zwar Rechtsweg wegen Betrugsversuches
arbeit mit den Noten zweier Hausauf- Vorprüfungsleistungen als Zulas- beschritten werden könne. Eine mög-
gaben, von denen eine wegen eines sungsvoraussetzung verlangen, in die liche Verurteilung würde ausreichen,
unterstellten Täuschungsversuchs Note einberechnen jedoch nicht. Ihr „jedwede Betätigung im öffentlichen
mit 5.0 bewertet worden wäre. Anne Dozent tut es trotzdem und so beginnt Dienst und als Beamter“ zu verbau-
hatte mit einem Kommilitonen zu- eine Odyssee via E-Mail. en. Exmatrikulation, Anklage wegen
sammengearbeitet, in der Erwartung, Der Lehrende wird auf seinen Feh- Betruges, Verbauen einer möglichen
dass dies bei einer Textarbeit, bei der ler hingewiesen, die Prüfungsord- Karriere im öffentlich Dienst - har-
eine Gruppenarbeit zumindest nicht nung sollte, so denken die beiden, als ter Tobak für zwei Studierende, die
explizit ausgeschlossen wurde, mög- Beleg ausreichen. Denken sie. Denn eigentlich nur ihr Recht bekommen
lich sei. Sie irrte sich. Folglich bekom- statt auf die Argumente einzugehen, wollen. Doch Herr G. ist sich in seiner
men die beiden Studierenden, ebenso verharrt der Dozent nicht nur auf sei- Argumentation sehr sicher, das lässt
wie manch andere in ihrem Seminar, ner Ansicht - wie zum Beweis seiner er die beiden in mehreren, mal mehr,
eine 5.0 für jene Aufgabe. Eine wei- stärkeren Position mal weniger drohenden E-Mails spü-
tere Hausaufgabe wurde wesentlich droht er den Studierenden. Nicht ren.
besser bewertet, womit die Prüfungs- die monierte Notenberechnung steht Wer hier Kritik übt, könnte man
zulassung gewährt wurde. Die als Prü- nun im Fokus, vielmehr versteift sich überspitzt herauslesen, muss mit
fung verfasste Hausarbeit wurde spä- der Lehrende auf den Täuschungsver- dem Einsatz aller Mittel rechnen. Die
ter mit einer guten Note bewertet, die such, obwohl dieser nicht nur strittig, Sicherheit des Dozenten ob der frag-
schlechteren Hausaufgaben jedoch sondern vielmehr bei einer Neube- lichen Rechtslage wirkt alles zu über-
gingen ebenso in die Berechnung ein. rechnung der Note ohnehin ohne Be- strahlen. Einschüchterung und Dro-
Zunächst versucht Anne den stritti- deutung ist. Dieser Faktenlage zum hungen scheinen ihm adäquate Mittel
gen Vorwurf der Täuschung aus dem Trotz, droht Herr G. mit einem „Ver- des Dialogs. Die Studierenden rufen,
Weg zu räumen. „Wir waren uns kei- fahren wegen Täuschungsversuches“. wie es Ihr gutes Recht ist, den Prü-
ner Schuld bewusst und dachten, die Gegenüber Studierenden, die ebenso fungsausschuss an. Dieser entschei-
Zusammenarbeit sei legitim“, räumt des Betruges bezichtigt und mit einer det Anfang Mai einstimmig: die No-
sie ein. In noch versöhnlichem Ton 5.0 bewertet werden, sich aber nicht tengebung war widerrechtlich, neue
wird ihr jedoch mitgeteilt, dass der gegen die ungerechte Endnotenbe- Scheine müssen ausgestellt werden.
Täuschungsversuch nicht zur Debatte rechnung auflehnen, ist von einem Das ist das gute Ende der Geschich-
stünde und die Notengebung folglich derartigen Verfahren indes nicht die te. Der Ärger dazwischen bleibt mehr
nicht revidiert werden könne. Weni- Rede. Doch Herr G. scheint sich sei- als nur ein bitterer Beigeschmack.
ger gütlich entwickelt sich der Schrift- ner Position derart sicher, dass er
verkehr jedoch in der Folge, nachdem seine Drohkulisse weiter ausbaut. *Name von der Redaktion geändert
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DIE ORCHIDEE TROCKNET AUS
Warum kleine Fächer vom Aussterben bedroht sind –
und warum sich ein Studium trotzdem lohnt.

von Johannes Bluth

H
umanistik? Lehren vom anti- recht schnell untereinander – auch allein dafür muss man kein Prophet
ken Rom? Romanwissenschaf- für den Dozenten ist man kein Un- sein. Dabei sind die Studierendenzah-
ten? „Meist sind es dieselben bekannter. So gleicht das Studium len relativ konstant. Doch was sind
Missverständnisse, die einem Stu- dann auch beizeiten eher Schulun- die Gründe?
dierenden der Romanistik begegnen, terricht:   „morgendlicher Katerschlaf Wer beim Bildungsstreik im ver-
wenn er sein Studienfach anderen ist eher unangebracht, wenn man gangenen November hingehört hat,
gegenüber preisgibt“, sagt Jan Has- vom Dozenten mit Namen aufgerufen dem dürfte der Begriff LUBOM kein
sink, seit letztem Jahr Student der und um eine Antwort gebeten wird“, Fremdwort mehr sein. Die „Leistungs-
Romanistik im Nebenfach an der Uni merkt Jan lachend an. und belastungsorientierte Verteilung
Erfurt. „Das gehört für mich zum zwi- Ob dies mit oft propagierten Forde- und Zuweisung von Personalmitteln
schenmenschlichen Uni-Alltag dazu“, rungen nach studentischer Selbstbe- und Mitteln für Lehre und Forschung
schmunzelt er weiter. „Ich versuche stimmung und Freiheit in Einklang an die Hochschulen des Freistaats
oft anderen mein Studienfach näher gebracht werden kann? Doch die Mo- Thüringen“ sorgt in ihrer Neufassung
zu bringen, aber so wirklich scheint tivation und Mitarbeit jedes Studie- dafür, dass Studiengänge, die durch
sich niemand für das zu interessie- renden ist gerade bei Miniaturfächern ihre Forschung viele Drittmittel aus
ren, was die Meisten mit einem lapi- wichtig. Ohne sie geht es nicht. Aus der Privatwirtschaft einwerben kön-
daren :   „ach, Französisch habe ich diesem Grund wird jeder neue Stu- nen, finanziell besonders unterstützt
schon in der Schule gehasst“, abtun. dierende der Romanistik mit offenen werden. De facto bedeutet dies einen
Dabei lohnt sich gerade der Blick auf Armen auf- und ernst genommen. Die Geldsegen für vorwiegend technische
die Fächer, von deren Existenz viele oft zitierte Umschreibung des Orchi- Studiengänge, da die dortige For-
Studierende gar nichts wissen. Dieses deenfachs passt perfekt. Gleich einer schung ökonomisch am rentabelsten
Unwissen könnte allerdings bald Nor- Pflanze wird jeder sorgfältig behütet ist. Das ist für die Geisteswissenschaf-
malität werden, denn der Studien- und gewässert, man fühlt sich wie ten schlecht. Und für einen kleinen
gang ist von einem Einschreibestopp eine besonders seltene und vom Aus- Studiengang wie die Romanistik an
bedroht. Zunächst einmal besteht das sterben bedrohte Art. Im Moment einer kleinen Uni wie der unseren be-
Studium grob aus drei Bereichen: Li- sind die Gießkannen noch gefüllt und sonders.
teraturwissenschaft, Sprachwissen- die Schutzabkommen unterzeichnet, Vor dem gleichen Problem stehen
schaft und Sprachunterricht einher doch ein bedrohlicher Schädling wirft auch der Bachelorstudiengang Slawis-
gehend mit der Vermittlung kulturge- seine Schatten voraus. Sein Name: tik, sowie einige Masterstudiengän-
schichtlichen Wissens. In Erfurt liegt das liebe Geld. Oder besser, zu wenig ge. In der Praxis bedeutet dies, dass
der Schwerpunkt auf der literaturwis- davon. Denn werden die Geldwasser- vakante Personalstellen nicht mehr
senschaftlichen Ausbildung. hähne in Zukunft weiter zugedreht, neu besetzt werden.  So trocknet die
Wie fühlt es sich nun an, ein Fach zu droht die fragile Pflanze vollends aus- Pflanze an ihren Wurzeln aus. Dass
studieren, für das sich Jahr für Jahr zutrocknen. Nächstes Wintersemes- die Qualität der Lehre darunter leiden
nur etwa 20 bis 30 Erstsemester ent- ter wird es den Bachelorstudiengang muss, ist selbsterklärend. Zudem nagt
scheiden – das Gros unter ihnen im Romanistik noch geben, ob dies das die ungewisse Zukunft an den Nerven
Nebenfach? Zunächst einmal verzich- letzte Mal sein wird, ließ der Senat der sowohl der Mitarbeiter als auch der
tet man auf viele klassische Studien- Uni bei seiner Sitzung am 3. Februar Studierenden. Hier wären eindeutige
inhalte, denn: Vorlesungen beispiels- diesen Jahres offen. Der drohende Bekenntnisse seitens der Hochschul-
weise gibt es nicht. Genau so wenig Einschreibestop und somit die Ab- leitung und der Politik gefragt, die im
wie Anonymität; wer ausschließlich schaffung der Hauptstudienrichtung bisherigen Reform-Tohuwabohu bis-
Seminare belegt kennt sich nicht nur in Erfurt werfen ihre Schatten voraus, her leider ausgeblieben sind.
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WIR BLEIBEN BIS HALB 8
Die Besetzung der Aula eines Erfurter
Gymnasiums wurde schnell aufgelöst.

von Sarah Blanck

Foto: Sebastian Schütz / jugendmedien.de, CC-Lizenz

A
m Eingang des Königin-Lu- friedensbruch. „Die Schüler haben bezeichnet sich selbst als „leistungs-
ise-Gymnasiums wartet ein sich verschanzt“, zitiert die Thüringer starke Schülerin“, ist von der Gym-
Mädchen. Auf die Frage nach Allgemeine die Schulleitung. nasialklasse einer Gesamtschule auf
einer besetzten Aula schaut sie kurz Frances ist seit drei Jahren in der das Albert-Schweitzer-Gymnasium
auf und scheint verwirrt zu sein. Nein, linken Jugendgruppe „Aurora“ poli- mit elitärem Ruf gewechselt. Sie ist
davon habe sie nichts mitbekommen. tisch aktiv. Auch 2008 war sie schon wissensdurstig, will einfach lernen –
Sie wirkt eher, als wüsste sie gar nicht an der Organisation des Bildungs- das ginge auf der neuen Schule bes-
so genau, was „Besetzen“ bedeutet. streiks beteiligt. Als im November ser. Aber mit ihrem politischen En-
Rückblick: Am 22. April versammel- letzten Jahres das Audimax der Uni gagement ist sie in ihrem Alter eine
ten sich zehn Jugendliche verschie- Erfurt besetzt war, ist sie oft vorbei- von wenigen. „Den Leuten auf mei-
dener Erfurter Gymnasien um Viertel gekommen. Aber dort habe sich alles ner Schule geht es einfach zu gut“,
nach sechs im Brühler Garten, um nur um „Uni, Uni, Uni“ gedreht, sagt meint Frances. Deshalb würden sie
kurz darauf die Aula des Königin-Lu- sie. Dabei gehe es beim Bildungs- sich nicht für den Bildungsstreik in-
ise-Gymnasiums zu besetzen. Viertel streik doch auch und vor allem um teressieren. Auch die Besetzung am
nach sechs – das ist eindeutig keine die Schulbildung. Die Forderungen 22. April hat wohl nicht für viele neue
Uhrzeit für Studenten. Deshalb be- zählt sie klar auf, so als hätte sie die Mitstreiter gesorgt. Ein Erfolg sei es
ginnt diese Geschichte um halb acht schon oft wiederholen müssen: „Län- trotzdem gewesen, weil sie Aufmerk-
– und damit am Ende. geres gemeinsames Lernen, kleinere samkeit bekommen hätten, sagt Fran-
Einige Schülergrüppchen strö- Klassen, kostenlose Schulmaterialien, ces und verweist auf den Zeitungsarti-
men aus der Bahn. Es ist ein frischer demokratische Strukturen.“ Dass sich kel. Außerdem gehe es jetzt weiter mit
Frühlingsmorgen. Von Bildungsstreik keine Schüler von Regel- oder Haupt- der Organisation der Bildungsstreik-
nichts zu merken. Im Hof des Back- schulen in ihrer Gruppe engagieren, Woche. Dabei seien sie nicht mehr
steingebäudes genügt jedoch ein Blick sieht sie als Problem. Die Schüler hät- nur zu zehnt, sondern ihnen stehe ein
in die zweite Etage, um zu sehen, dass ten wenig miteinander zu tun. „Man breites Bündnis aus Parteien und Ge-
dieser Schultag anders beginnt als sagt ja sogar auf der Straße: Der sieht werkschaften zur Seite.
sonst. Zwei Lehrer ziehen ein grünes, aus wie ein Gymnasiast“, merkt Fran- Am Königin-Luise-Gymnasium
von Schülern gestaltetes Transparent ces an. Das zeige wie sehr Schüler geht der Unterricht ab der zweiten
wieder herein. „Wir wollten ein Zei- in Schubladen gesteckt würden. Sie Stunde ganz normal weiter. Ein paar
chen setzen, einen offenen Tag gestal- aber wolle Chancengleichheit durch Indie-Mädchen stehen vor der Ein-
ten, an dem verschiedene Workshops längeres gemeinsames Lernen. „Das gangstür. Zwei hatten sich an der
zum Thema Bildung stattfinden“, entspricht einfach meinem Gerechtig- Besetzung beteiligt. „Die Polizei hat
erzählt Frances, Schülerin der zehn- keitssinn“, sagt sie. auch unsere Personalien aufgenom-
ten Klasse des Albert-Schweitzer- Hinter Frances, die im Jugendclub men, obwohl wir doch hier zur Schu-
Gymnasiums und Organisatorin des „Redroxx“ der Linken sitzt, hängt ein le gehen“, sagen sie mit besorgtem
Bildungsstreiks. Doch soweit kam es blauer Pfeil mit der Aufschrift „Re- Blick. Aber ein bisschen revolutionäre
nicht. Der stellvertretende Schulleiter volution“. Aber wenn Frances im ge- Auseinandersetzung mit der Staatsge-
rief die Polizei und erstattete gegen blümten Sommerkleid spricht, klingt walt gehört ja auch irgendwie zu einer
einige Schüler Anzeige wegen Haus- das noch nicht nach Umbruch. Sie echten Besetzung dazu.
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WIE AUS WELTVERGESSERERN
WELTVERBESSERER WERDEN
Öko-Kaffee oder Milka-Schokolade? In der vorletzten Ausgabe war
von der Doppelmoral der Erfurter „Weltvergesserer“ die Rede. Wer
sich um einen sozial-ökologischen Lebensstil bemüht, wird Wider-
sprüchlichkeiten in Kauf nehmen müssen. Doch ist konsequente Ver-
antwortungslosigkeit wirklich Menschlichkeit vorzuziehen?

von Philipp Hansen

M
arème Mboup betreibt einen in den Sinn. Die Frage dahinter lau- sollte auch klar sein: Eine Geldanla-
Lebensmittelladen im Sene- tet: Kann ein Einzelner die Welt ver- ge, die absolut sicher ist, dabei immer
gal und will ihr Betriebska- ändern? Und der Menschenrechtsak- verfügbar, hohe Zinsen einbringt und
pital aufstocken. Dafür braucht sie tivist Rüdiger Nehberg antwortet: „Na noch den Klimawandel bremst, wird
einen 900 Dollar Kredit. 88 Prozent klar, wer denn sonst.“ es nicht geben. Man kann bei einer
sind „raised“ als ich beginne, diesen Aber woran erkennt man eine sozi- Anlage nicht alles optimieren. Deswe-
Artikel zu schreiben. Kiva.org ist eine al-ökologische Geldanlage? Wichtig gen sollten wir uns überlegen, was uns
Plattform, die Menschen, die Geld ist, dass man das Konzept der Bank besonders wichtig ist und nach diesen
leihen wollen, mit Menschen zusam- oder Organisation versteht. Deshalb Kriterien die Geldanlage aussuchen.
menbringt, die es verleihen. Jeder arbeiten die Anbieter im sozial-ökolo- Marème Mboup hat ihren Kredit
Anleger kann sich ab 25 Dollar an gischen Bereich nicht mit komplexen längst bekommen, denn diese Woche
einem Projekt beteiligen. Der Mikro- Finanzprodukten und bemühen sich wurden über Kiva Kredite im Wert
kredit wird dann über eine Mikrofi- ganz besonders um Transparenz. So von 1,108,075.00 Dollar vergeben –
nanzinstitution vor Ort abgewickelt, veröffentlicht die GLS-Bank in ihrer ein Kredit alle 18 Sekunden. Wenn
doch der Anleger weiß genau, wer was Zeitschrift Bankspiegel, welche Kre- man das von Kiva gut veranschaulich-
mit seinem Geld macht. Denn Geld dite sie vergeben hat. Dort steht dann te Konzept der Mikrokredite gut fin-
arbeitet nicht. Arbeiten können im- „Fritz‘ Mühlenbäckerei, München; det, kann man natürlich auch größe-
mer nur Menschen. Nur meist wissen Neubau Biobäckerei 2.340.000 Euro“ re Summen bei einer Institution wie
wir nicht, wer, wo und unter welchen oder „Gauchel, Aachen; Fotovoltaik Oikocredit anlegen. Diese finanziert
Bedingungen. Man kann die Finanz- Anlage 292.929 Euro“. dann
krise als Anlass nehmen, unzählige fi- Auch die Zinshöhe ist ein Kriterium, Mikrofinanzinstitutionen oder Ge-
nanzwissenschaftliche Vorträge über auf das man achten kann. Bei sozial- nossenschaften in aller Welt. Das Fi-
komplizierte Sachen wie Collatera- ökologischen Anlageformen sind die nanzsystem wird nicht allein durch
lized Debt Obligations oder Rating- Zinsen meist relativ niedrig. Das ist verantwortungsbewusste Anleger ge-
agenturen anzuhören, aber man kann sozial, denn je höher unsere Zinsen recht, aber die eigene Geldanlage ist
auch seine eigene Geldanlage über- sind, desto höher sind meist auch die der erste Schritt. Dann können wir
denken. Vielleicht kommen wir da- der Schuldner. Eine Ausnahme bilden auch wieder Vorträge über Rating-
bei zu der Ansicht, dass das, was wir regenerative Energien in Deutsch- agenturen und  Collaterized Debt Ob-
wollen nicht mit dem, was passiert im land. Hier gibt es auf Grund der staat- ligations anhören.
Einklang ist. Beruhen unsere Zinsen lichen Subventionierung hohe Zinsen Vorher müssen wir uns aber fragen,
auf Ausbeutung von Menschen, der ohne dass eine Anlage besonders ris- wie wir Strukturen verändern wol-
Spekulation auf Grundnahrungsmit- kant ist oder jemand unmenschlich len, die auf menschlichem Verhalten
tel oder auf Umweltverschmutzung? ausgebeutet wird. Eine Investition in beruhen, wenn wir es nicht einmal
„Macht denn mein bisschen Geld ei- Windfonds ist aber eher eine ökologi- schaffen, unser eigenes Verhalten zu
nen Unterschied?“, kommt da leicht sche als eine soziale Geldanlage. Das ändern?
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AUS BOLOGNA NICHT NEUES?
von Lara Falkenberg

P
O: 2007-07-27“ steht drei Mal Änderung studieren Hunderte von da die Modulnote nur noch von einer
auf der Rückseite meines Stu- Studierenden nach ihren Regeln. Prüfung abhängt. Oder es könnte vor-
dierendenausweises. Was mich Bernhard Becher, Leiter der Ab- kommen, dass die Veranstaltungen
bislang auch nicht weiter beschäftigt teilung Studium und Lehre, nennt eines Moduls nicht im selben Semes-
hat, solange ich mit dem guten Stück die RPO die „Schutzvorschriften für ter besucht werden (können) und so
Papier kreuz und quer mit der Bahn Studierende“, viele Studenten hin- der Inhalt zum Zeitpunkt der Prü-
durch Thüringen fahren konnte und gegen werden sie schon als Zwangs- fung längst in Vergessenheit geraten
am Ende des Semesters zu meinen vorschriften beklagt haben. Da in ist. Ob die neuen, größeren Module
Prüfungen zugelassen wurde. Bei den kommenden Jahren alle Studi- mit nur noch einer Prüfungsleistung
künftigen Studierenden der Uni Er- engänge der Uni Erfurt neu akkredi- letztlich eine Erleichterung darstellen
furt wird dort bald eine andere Zah- tiert werden müssen, wird bald auch werden, bleibt also abzuwarten. Die
lenkombination stehen. Denn hinter eine neue RPO verabschiedet. Es ist zweite große Veränderung werden
diesen Ziffern verbirgt sich unsere die Vierte der Uni Erfurt und könnte die Meisten vor allem bei der Bewer-
Prüfungsordnung. Hinter jeder Prü- nicht zuletzt eine Chance sein, die al- bung um einen Master-Studienplatz
fungsordnung steht wiederum eine ten Regelungen aufgrund der gewon- bemerken: Bislang haben die Stu-
Rahmenprüfungsordnung – und die- nenen Erfahrungen zu verbessern. dierenden der Uni Erfurt im Haupt-
se wird bald erneuert werden. Damit Die Forderungen des Bildungsstreiks fach 84 Leistungspunkte erworben,
ändert sich mehr, als nur ein paar haben deutlich gemacht, dass es viel im Nebenfach 54 LP, 30 LP im Stu-
Zahlen auf den Rückseiten der Stu- nachzubessern gäbe. Fu und weitere 12 LP im Berufsfeld.
dierendenausweise. Wird die neue Prüfungsordnung Aus diesem 84-54-30-12-System wird
Was interessiert mich die Rahmen- den Forderungen und Klagen gerech- nach der neuen Ordnung ein simples
prüfungsordnung? Die Rahmenprü- ter werden? Der Bildungsstreik hat 90-60-30: 90 Punkte im Hauptfach,
fungsordnung, kurz: RPO, legt den gezeigt hat, dass sich protestierende 60 im Nebenfach und 30 als StuFu.
strukturellen Rahmen unseres Studi- Studenten und Politiker zumindest in Das bisherige Berufsfeld soll in das
ums fest, vor allem, wie wir geprüft einem Punkt einig sind: Der Bachelor Hauptfach und Nebenfach integriert
und benotet werden sollen. So steht in soll besser, die Arbeitsbelastung we- werden. Damit werden es Studieren-
der RPO nicht nur, dass das Studium niger werden. Für alle Studierenden, de leichter haben, die erforderlichen
der Uni Erfurt in Haupt- und Neben- die einen BA ab dem WS 2012/13 Mindestpunktzahlen für Masterstu-
fach sowie Studium Fundamentale beginnen, werden neue Regeln gel- dienplätze vorzuweisen. Das Wissen-
und Berufsfeld gegliedert ist, sondern ten, die einen solchen „schlankeren schaftspropädeutikum der O-Phase
sieht auch die Orientierungsphase Bachelor“ erreichen wollen. Eine im wird künftig ebenfalls nicht mehr als
vor, legt fest, welche Arten von Prü- Studienalltag spürbare Veränderung StuFu organisiert sein, sondern in
fungsleistungen zugelassen sind, wie ist die Vergrößerung der Module und die Verantwortung der einzelnen Fa-
viele Leistungspunkte ein Modul ha- Verringerung der Prüfungen: Bislang kultäten übergeben. Eine „Schutzvor-
ben muss, was bei einem Täuschungs- konnten Module auch aus einer ein- schrift“, die diesen Namen verdient,
versuch passiert, wann man wie sein zigen 3-LP Veranstaltung bestehen. ist die neue Regelung, dass Wieder-
Fach wechseln kann sowie weitere Bestanden Module aus mehreren holungsprüfungen frühestens sieben
Rahmenbedingungen für unser Studi- Veranstaltungen wurde jede mit ei- Tage nach Bekanntgabe der Ergebnis-
um. Regeln, die uns meist erst dann ner eigenen Prüfungsleistung bewer- se geschrieben werden dürfen, damit
auffallen, wenn Probleme mit ihnen tet. Nun muss jedes Modul aus min- genug Zeit zur Vorbereitung bleibt.
auftauchen. Dann bekommen ein destens 6 LP bestehen und wird mit Einen solchen Mindestabstand gab es
paar Ziffern plötzlich eine ganz ande- einer einzigen Modul-Prüfung abge- bislang nicht.
re Bedeutung. Denn auch wenn viele schlossen. Dies verringert nun zuerst Für uns Studierende der alten Prü-
sie nie gelesen haben, ist die RPO un- einmal die Anzahl der Prüfungen, fungsordnungen ist all dies jedoch
sere Studien- und Prüfungsgrundlage, jedoch vielleicht nicht die Arbeits- weder Grund zur Freude noch zum
an die wir juristisch gebunden sind. belastung der Studierenden. Denn Ärger. Denn jeder Studierende be-
Doch wen könnte man verantwortlich letztlich hängt die Effektivität dieser endet sein Studium unter denselben
machen, wenn man mit einem Blick neuen Regelung vor allem von der Bedingungen, wie er es angefangen
in das pdf-Dokument der RPO plötz- Ausgestaltung durch die Dozenten hat und wird sich weiterhin mit seiner
lich feststellt, dass unsere Wünsche ab. Die neue Regelung, dass nur noch alten Studienordnung anfreunden
und das Regelwerk nicht zusammen eine Prüfungsleistung pro Modul er- müssen. Die neuen Bedingungen wer-
passen? Die RPO wird vom akade- bracht wird, könnte beispielsweise den nur für die nächsten Studieren-
mischen Senat unter Kenntnisnahme bei einem Modul bestehend aus zwei dengenerationen gelten, für die Mas-
der Fakultätsräte, mit Zustimmung Seminaren bedeuten, dass nur in ei- terstudierenden ab dem nächsten, im
des Präsidenten erlassen und von der nem ein benoteter Leistungsnachweis Bachelor ab dem übernächsten Win-
Konzeption bis zu ihrem Inkrafttreten erbracht werden muss, während für tersemester. Uns bleibt, die Verän-
vergehen etwa zwei Jahre. Zwei Jah- das andere ein sogenannter „quali- derungen als das zu betrachten, was
re in denen konzipiert und gestritten fizierter Teilnahmeschein“ oder die sie sind: Wegweiser, wie es mit dem
wird, bis die RPO durch ihren „TÜV“ reine Anwesenheit ausreicht. Genau- Bachelor-Master-System weitergeht.
– die Akkreditierung – geht, bei der so könnte es jedoch passieren, dass Wegmarker auf dem Bologna-Wan-
sie auf ihre Studierbarkeit geprüft diese eine Prüfungsleistung umso derpfad. Wir werden sehen, ob sie auf
wird. Einmal für tauglich befunden, umfangreicher wird und damit hätte eine Lichtung der Bildung oder weiter
werden die Prüfungsordnungen der sich dann der Arbeitsaufwand kei- ins Dickicht der Verschulung führen
einzelnen Studiengänge an die neue neswegs verringert, sondern wäre werden. Gute Reise, liebes Bildungs-
RPO angepasst und bis zur nächsten der Leistungsdruck noch gestiegen, system!
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DAS SCHWEIGEN DILEMMA
Die neue Studenzeitung der Zeitungsgruppe Thüringen ist leider
völlig missraten. (Das war die erste Ausgabe der campus:echo aber
ehrlich gesagt auch. Karma, liebe Freunde!)

Ein Kommentar von Khesrau Behroz

D
ie ersten vier Seiten gehen für „Kritisch, leicht, humoresk“ soll es keiten im Keim erstickt. Humoreskes
Inhalt, Impressum, Gewinn- zugehen, hört sich aber verkrampft, kommt höchstens beim Artikel über
spiel und zwei Editorials drauf schwermütig und ziemlich dünn an. das Internet-Phänomen Chatroulette
- das ist erfrischend, das ist modern, Das liegt zu einem großen Teil auch ans Tageslicht (freiwillig) und bei der
das ist Lemma! Die neue Studenten- am „modernen Layout“, das einer Zei- Vorstellung der vier Redaktionsteams
zeitung der Zeitungsgruppe Thürin- tung absolut unwürdig ist und für das aus Illmenau, Jena, Erfurt und Wei-
gen grüßt auf Seite fünf „Willkommen eine extern angeheuerte Agentur zu- mar (unfreiwillig, aber dafür weitere
auf Seite 4“ - macht nichts, zählen ständig zeichnet: Anscheinend glaubt zwei Seiten, die der Selbstdarstellung
scheint sowieso nicht zu den Stärken die Redaktion, dass so genannte dienen und das sowieso schon nicht
zu gehören. Denn: „Wenig Werbung“, “kurze prägnante Artikel” nötig sind, besonders inhaltsstarke Zeitüngchen
verspricht Redaktionsleiterin Dr. um die Aufmerksamkeit der Stun- runterziehen).
Ute Zacharias und zeigt auch gleich, dentinnen und Studenten zu bekom- Doch: Es ist die erste Ausgabe, es
wie es nicht geht: 28 Seiten, davon men. Wir sind aber leider Gottes kei- darf probiert werden. Zweimal im
knapp fünf Anzeigen und einige nicht nes Kinder mehr und oberflächliche Semester soll die Lemma erscheinen
als solche erkennbare. Unglücklich: Event-Hinweise kann ich mir auch im - das ist Zeit genug, um in die Stille
Das Layout verhindert eine deutliche Internet oder in den entsprechenden Ecke zu gehen und intensiv darüber
Trennung zwischen Werbung und re- Magazinen (z.B. “Dates”) holen, die nachzudenken, was man getan hat.
daktionellem Inhalt, ganz im Gegen- einem überall hinterhergeschmissen Wer sich von den Qualitäten der Zei-
teil: Die zahlenden Anzeigenschalter werden. Das inhaltliche Potential, das tung selbst ein Bild machen will: In
dürfen sich über fließende Übergänge ein thüringenweit verbreitetes Print- der Mensa gibt es noch eine Wagen-
freuen. medium bietet, wird mit Belanglosig- ladung.

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ALLES IN ORDNUNG?
Der Entwurf der neuen Rahmenprüfungsordnung ist ein Schritt in
die richtige Richtung. An manchen Stellen entpuppt sie sich jedoch als
politischer Schnellschuss.

Ein Kommentar von Dennis Frieß

J
eder der sich einmal mit einer desten sechs Leistungspunkten und Art und Konsequenz der Prüfung. Auf
Ordnung auseinandergesetzt hat die Modulprüfung angeht, ist Skepsis die Finanzierung des Studiums und
weiß, dass eine Ordnung nicht geboten. Hier wurde ein politischer die Zeit zur Prüfungsvorbereitung.
automatisch bedeutet, dass auch alles Schnellschuss der Kultusminister- All das zusammen erzeugt zusätzlich
in Ordnung ist. Dies gilt auch für die konferenz unreflektiert geschluckt eine psychologische Prüfungsbelas-
neu diskutierte Rahmenprüfungsord- und schließlich noch als Forderung tung, die den Entscheidern in der
nung für BA- und MA-Studiengänge. der Studierenden verkauft. Sicherlich Politik, aber auch an den Universi-
Neben der neuen Grundstruktur war die Reduzierung der Prüfungslast täten, nach wie vor unbekannt ist.
90-60-30 ist es vor allem die neue eine zentrale Forderung des Bildungs-
Modulgröße und die Modulprüfung, streiks, der im Herbst die Bildungsre- Schließlich muss das neue Regel-
die der neuen Rahmenprüfungsord- publik aufhorchen ließ. Von den Pro- werk wirklich als das verstanden
nung ihren Charme verleihen. Ob- testen der Studierenden getrieben, werden, was es ist: ein Rahmen, der
gleich die neue Grundstruktur mit der eilten die Kultusminister der Länder gewisse Strukturen vorgibt, die dann
Gründungsidee der Universität bricht, zusammen und versuchten, die Stim- von den einzelnen Studiengängen,
scheint sie doch ein begrüßenswerter me der Straße in einen Empfehlung vor allem aber von den beteiligten
Fortschritt, wenn man den leichteren zu gießen. Heraus kam die minimale Akteuren, kreativ ausgestaltet werden
Übergang in MA-Programme und die Modulgröße von fünf Leistungspunk- müssen. In diesem kreativen – und
Entledigung der chaotischen Wissen- ten  - in Erfurt nun eben sechs - und die Betonung liegt auf „kreativ“ - Aus-
schaftspropädeutik in der O-Phase die fixe Idee der Modulprüfung. Hin- gestaltungsprozess von Dozenten und
als solchen begreifen will. Hier wird gegen wurde versäumt, genauer zu Studierenden wird sich zeigen, wie
ohne Zweifel auch eine zentrale For- analysieren, wo Belastung entsteht. künftig in Erfurt studiert werden soll.
derung der Studierenden umgesetzt. Dass es nicht auf Anzahl der Prüfun-
Was die neue Modulgröße von min- gen ankommt, sondern auch auf die Jede Idee zählt.
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HILGENFELD:
MITBRINGSEL VERBOTEN
Für viele Studentinnen und Studenten der Universität Erfurt gehört das
Hilgenfeld zum Pflichtprogramm des universitären Alltags. Doch wehe der
armen Seele, die eine mitgebrachte Flasche Wasser auf den Tisch stellt...

von Khesrau Behroz

PRO
Wir haben Herrn Hilgenfeld gefragt Abgesehen davon sei mit Verlusten
und Herr Hilgenfeld rechtfertigt die zu rechnen, wenn plötzlich jeder die
Aktionen gegen selbstgebrachte Ge- eigenen Getränke mitbringen und es
tränke, die nicht einmal auf dem sich im Kaffee damit gemütlich ma-
Tisch stehen dürfen, wenn niemand chen würde. Dann würde nämlich
davon trinkt, mit dem lieben Geld. niemand mehr zur Theke gehen und
Die Entscheidung sei rein wirtschaft- bestellen - das sei natürlich nicht ak-
licher Natur: Schließlich müsse zum zeptabel. Essen jedoch werde oftmals
Beispiel die Miete bezahlt werden. toleriert.

CONTRA
An der Universität gehen viele Dinge Produkte verkaufen? Warum wer-
in besonders undurchsichtiger Manier de ich dort als zahlender Kunde und
vonstatten: Am Eingang zur Mensa in besonderem Maße als Studieren-
wird man oftmals mit Werbung zuge- der der Universität Erfurt, auf de-
müllt, Vodafone verteilt Info-Pakete ren Campus das Hilgendfeld es sich
und der ein oder andere Bierhersteller schließlich gemütlich macht, wie ein
hat schon die Studentinnen und Stu- Schwerverbrecher behandelt? Warum
denten mit Werbeprodukten versorgt. schützt in diesem Sinne die Universi-
Doch niemand weiß, unter welchen tät seine Studentinnen und Studen-
Bedingungen das überhaupt erlaubt ten nicht und erlaubt das Hilgenfeld
ist: Wer kriegt für diese Aktionen wie- nur dann, einen Arsch voll Kohle zu
viel Geld und wer profitiert davon? machen, wenn sich die Studierenden
Warum ist es überhaupt gestattet, an dort niederlassen können, auch wenn
einer Bildungseinrichtung so dreiste sie mal nichts kaufen? Und wenn wir
Werbung zu machen, mit denen Men- schon dabei sind: Die direkte Verbin-
schen ganz offensichtlich für doof dung zwischen Kaffee und Bibliothek
verkauft werden? Niemand weiß es finde ich auch irritierend - was hat die
und nach meinem Erkenntnisstand Bibliothek also davon, wenn sie das
wurden wir Studierenden auch nicht Hilgenfeld mit müden, aber zahlungs-
gefragt, was wir davon halten. kräftigen Kunden füttert?
Verstehen wir uns nicht falsch: Auch
Kommen wir nun zum Hilgenfeld. ich hole mir meine täglich Dosis Club
Das beliebte Kaffee gehört zu der Mate und manchmal auch einen Es-
Form von Einrichtung, die Studentin- presso, wenn ich wieder eine Nacht-
nen und Studenten täglich unkritisch schicht in der Bibliothek einlegen
betreten, genauso wie sie unkritisch muss; auch ich finde es super, dass
an den ganzen Werbeständen vor- wir ein Café auf dem Campus haben.
beilaufen, weil es ihnen im Grunde Aber genau dort liegt auch der Hund
genommen egal ist. Doch: Wenn ich begraben: Das ist unser Campus. Und
darin zurückgepfiffen werde, wenn hier sollten auch unsere Regeln gelten
auch nur für eine Sekunde eine Fla- und nicht die eines obskuren Markt-
sche mitgebrachtes Wasser auf dem verständnisses. Denn eines garantiere
Tisch steht, verlange ich Antworten, ich: Selbst wenn plötzlich jeder mit
mögen die Fragen noch so trotzig und einer mitgebrachten Wasserflasche
belanglos klingen: Unter welchen Be- im Hilgendfeld sitzt - der Laden wird
dingungen darf das Hilgenfeld an so sich trotzdem dumm und dämlich
einem traumhaften Standort seine verdienen.
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heftcampus

T O H U W A B O H U
SO WÜST
Deine Brust in meiner Hand. In Deinen
Augen seh ich Chaos. Du bist so wüst in
Deiner Art.

IN DEINER ART Ich will es mir nicht anmaßen, will kein Ur-
teil darüber fällen. Doch jedes Mal, wenn
ich Dich sehe, wie Du aus dem Bett steigst,
von Khesaru Behroz dann muss ich an Ungestümes denken, an
wildes Lichterflackern, tosende Meere. Mir
machst Du mit Deiner ruhigen Art nichts
vor, ich höre Krieg in Deiner Stimme (höre
Krieg in Deine Stimme!), höre Asphalt,
höre Zerstörung.

Deine Brust in meiner Hand. In Deinen


Augen seh ich Chaos. Du bist so wüst in
Deiner Art.

Wenn wir gemeinsam schweigen, spüre ich


Dich, wie Du mich anbrüllst. Du bist so un-
stet, Du bist so wirr, so gegensätzlich. Nie
kann ich Deinem Frieden trauen, Deiner
Zärtlichkeit, kann selten Dir den Rücken
kehren, fürchte mich vor Deines Zornes
Kraft. Ich weiß nicht, woher sie kommt,
diese Angst, ich weiß nur, dass Du sie
schürst, sie entflammst.

Deine Brust in meiner Hand. In Deinen


Augen seh ich Chaos. Du bist so wüst in
Deiner Art.

Wir wachen jeden Morgen nebeneinander


auf. Wir grüßen uns im Vorbeisehen. Die
verstohlenen Küsse hat man uns genom-
men, wir teilen uns keine Decke mehr, kein
Bett. Sonnenstrahlen zerteilen Deine Haut,
Du bist so unsichtbar in jenem Licht. Ich
kann Dich nicht mehr riechen, weder Dein
Foto: Philipp Linstädter / jugendfotos.de, CC-Lizenz

wallendes Haar, noch Dein leidenschaftli-


ches Geschlecht.

Deine Brust in meiner Hand. In Deinen


Augen seh ich Chaos. Du bist so wüst in
Deiner Art.

Sehnsucht formt Realitäten. Leere er-


zwingt Erfüllendes. Die Gier nach Anwe-
senheit ist unerträglich. Wie soll ich denn
mich akzeptieren, fehlt meinen Sinne Dei-
ne Lust? Es ist so heiß in diesem Körper, es
ist so leer ohne Dich.

Denn Deine Brust in meiner Hand. In Dei-


nen Augen seh ich Chaos. Du bist so wüst
in Deiner Art.

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Dresden, August 2009.

S
STÄH-
o alltäglich schiebt sich die S- deten zwar mit ihr, doch hörten sie
Bahn durch die Großstadt, spöt- nicht zu. Zu tief sind die Narben der
tisch rattert sie über die Gleise. Vergangenheit, zu klar und beängs-
Gebäude huschen vorbei wie graue tigend ist die Farbe auf ihrem linken
Gespenster, die Lichter der Werbeta- Unterarm.
feln flammen auf wie Sterne in einer
klaren Sommernacht. (Schnitt)
Sie sitzt allein am Gang auf ei- Die geschändete Menschenmas-

LERNE
ner Doppelbank - ihre Gestalt wirkt se schiebt sich den Bahnsteig ent-
kränklich, ihr Blick ist trüb, nichts sa- lang. Vorbei an Männern in langen
gend. Sie starrt auf die Lehne vor ihr, schwarzen Mänteln, vorbei an Frau-
so als würde sie denjenigen mustern, en in braunen Uniformen. Sie lachen
der nicht vor ihr sitzt. hämisch, gucken grimmig, jeder von
Schon seit Tagen sitzt sie auf die- ihnen hat seine eigene Art die ideolo-
ser Bank, zusammengepfercht mit gisch eingepflanzte Abscheu zum Aus-
hunderten Anderen. Die meisten von druck zu bringen.
ihnen wissen, wo es hingeht, einige Sie gehen auf das große Tor zu.

SCHER-
sind schon auf der Fahrt gestorben. Schon von weitem erkennt sie, dass
Wenn sie sich umsieht, blickt sie in nicht alle von ihnen hindurch gehen
verzweifelte Gesichter, Gesichter, die werden und obwohl es das Tor zur
nach Hilfe schreien wollen, mit dem Hölle auf Erden ist, scheint es besser,
Wissen, dass niemand kommen wird. passieren zu dürfen. Denn in diesem
Fall bedeutet die Hölle überleben -
(Schnitt) vorerst.
„Die Fahrkarte bitte!“ - ein kleiner Die Rolltreppe trägt sie abwärts.

BEN*
stämmiger Mann steht vor ihr und Begleitet von Werbeplakaten, die
wedelt mit seinem Ausweis umher. Er ihr Märchen von der Schönheit des
trägt eine blaue Uniform, das graue Lebens erzählen wollen, führt es sie
Wappen prangt auf seinem Arm. Es immer tiefer hinein in das Innere des
lässt ihn unglaublich wichtig erschei- Bahnhofs.
nen. Auf den rollenden Stufen, die ihr
Sie kramt in ihrer Handtasche entgegenkommen, stehen vereinzelt
und zeigt ihren Fahrschein vor - ein Menschen, die zurück zum Bahnsteig
Kurzstreckenticket. Eine Fahrt. Drei fahren - gerade so als hätte auch sie
Stationen - das ist die nächste Halte- diese Wahl gehabt. Und dort am Ende von Sören Musyal
stelle. Sie wartet. Wartet auf die elek- ihrer Rolltreppe da stehen sie. Die,
tronische Ansage, die ihr sagt, dass mit denen sie gekommen ist - nackt.
sie aussteigen muss und es dröhnt: Auch sie fühlt sich nackt, beobachtet
„Bewegung! Aussteigen dreckiges Un- von den Glück verheißenden Wer-
geziefer!“, und Schläge prasseln auf beplakaten. Nackt, obwohl sie noch
ihren Rücken, ihre Beine, ihre Arme - nicht am Ende der Rolltreppe ange-
wie Hagelkörner schlagen sie ein, wie langt ist. Nackt, als könne jeder die
Geschosse hinterlassen sie Spuren auf Zahl auf ihrem linken Unterarm le-
ihrer geschundenen Haut, während sen - sechsstellig, im verblassten, aber
sie gebückt Richtung Bahnsteig geht. deutlich lesbaren Blau, geschrieben
in spitzen hakenförmigen Ziffern.
(Schnitt) Nackt, als könne man die inneren
DING DANG DONG Schnitte sehen, die noch immer in ihr
Bluten fast 65 Jahre später, aufgeris-
„Meine Damen und Herren an Gleis sen durch stählerne Scherben. Tag für
3, willkommen in Dresden Neustadt.“ Tag.
Die Nacht ist kalt. Das spürt sie, ob- Sie ist dazu verbannt, mit ihnen
wohl sie noch unter der Kuppel des zu leben - den Scherben. Und wäh-
menschenleeren Bahnhofs steht. Ihre rend sie das Ende der Rolltreppe
hagere Gestalt schiebt sich über die fast erreicht hat, zieht sich ein langer
grauen Bodenplatten - in ihrem Ge- Schnitt über ihr Herz, die Ziffern auf
sicht klaffen tiefe Falten, ihr Haar ist ihrem Arm fangen an zu brennen, wie
dünn und grau. An der Hand trägt sie einst gebrannt haben, denn für sie
sie einen goldenen Ring. Es ist nicht verheißt das Plakat an der Wand kein
mehr der Ring, den sie einst getragen Glück:
hatte, aber er erinnert sie an ihren Bruno Ganz mit Bernd Eichingers
Mann. Bärtchen - Der Untergang, Deutsch-
Er ist tot. Schon lange - wie fast alle lands Geschichte mal anders, jetzt so-
ihrer Verwandten starb er früher als gar auf Blu-Ray.
die meisten ihrer Generation. Und * Friedländer, S. (1979). When Me-
selbst diejenigen, die noch lebten, re- (Schnitt) mory Comes.
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heftcampus

Zeit ohne Raum ist der Morgen danach.


In die Augen geschaut, verloren - tick!

Keine Zeit im Raum, ein Hetzen


das Studium, gewonnen - tack!

Aufgeräumte Zeit, das letzte Jahr.


Kein Zurück, verloren - tick!

Zeitiger Raum, das Ziel ist Schutz;


ein Unterschlupf, gewonnen - tack!

Ein tickender Takt treibt voran,


gibt Ruhe und Routine...

Kaputtes Uhrwerk - Chaos.

von Sarah Buch

von Anne Bert

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heftcampus

IN DER WOLKE
von Catalin Dorian Florescu

E
rwarten Sie nicht, dass ich es zu- zu sein, also ich jedenfalls schon, weil
gebe. Mein Leben ist prall und man ein grosser Fisch ans Land gezo-
schön und sinnvoll, ich sehe gen hat, wieder und wieder und wie-
nicht ein, wieso jetzt plötzlich das der.
Gegenteil gelten sollte, bloss weil ein Die Abschliessung eines Geschäfts
Vulkan mit einem unaussprechbaren ist für mich wie die Erschaffung der

SANDONIA
Namen auf einer Insel, deren Einwoh- Welt für Gott, nur dass ich mehr Aus-
ner an Elfen glauben, ja sogar Elfen- dauer habe, ich brauche mich nicht
karten ausstellen, Asche spuckt und am siebten Tag auszuruhen. Ein
hier bei uns, eine halbe Welt entfernt, Ruhetag kennt eine so perfekte Ma-
von Philipp Hansen den Flugverkehr lahmlegt. Wer sonst schine, wie ich es bin, nicht, sie läuft
als solche seltsame Menschen, die und läuft und läuft, fast schon wie
eine wüste und leere Gegend bewoh- ein japanisches Auto. Ich schuf aus
nen, käme auf solch einen Namen. dem Nichts wunderbare Geschäfte,
Eyjafjalla. wunderbare Gewinne und Jahresab-
Vielleicht schaute Gott am Anfang schlussbilanzen. Bis dieser Elfenvul-

I
n der Sonne lag es vor uns, ein gerade auf Island, sah ihre Wüstheit kan kam und Sand ins Getriebe streu-
Land, wüst und leer: Sandonia. und entschied sich, die übrige Welt te. Asche, wollte ich sagen.
In diesem Land gab es Wesen, zu erschaffen. Doch jetzt herrscht Mein Leben ist prall und schön und
die Sandonier, die riefen stets: „Al- ein solches Tohuwabohu, ein solches sinnvoll, daran lasse ich nicht rütteln.
les wird immer schlechter!“ Und sie Durcheinander, zuerst auf den Flug- Meine Wohnung ist geräumig und
steckten den Sand in den Kopf. Und häfen und dann in meinem Leben. Ich hell und nach dem letzten Geschmack
dann wurde es schlechter. „Man kann bin stillgelegt wegen einer Asche, die meines Innenarchitekts eingerichtet
nichts machen!“, riefen sie verzwei- niemand wirklich sieht, riecht oder und ich wünsche mir jetzt ein einziges,
felt. Einmal kamen lachende Wande- schmeckt, wenigstens nicht hier bei winziges Staubkörnchen, das ich weg-
rer durch Sandonia, hörten die Rufe uns, und das kann drei, vier Tage oder wischen könnte, damit wenigstens ei-
und sagten: „Na klar, du kannst etwas gar Wochen dauern. nige Sekunden verstreichen. Aber die
machen. Wenn du immer mehr Sand Es hilft nichts zu denken, dass alle Putzfrau hat ganze Arbeit geleistet.
in den Kopf steckst, wird es immer anderen, die auch zur Messe wollten, Nun gut, manchmal wünschte ich mir
schlechter. Aber hör‘ doch erst ein- jetzt ebenso ratlos sind wie ich, den auch Freunde drin, ein Stimmentohu-
mal mit dem Sand reinstecken auf.“ Anzug, die Krawatte und das Hemd wabohu, auch wenn man so was nicht
Doch das hörten sie nicht gern, denn ausgezogen haben und…ja, was tun unbedingt sagen kann. Manchmal
sie hörten nicht gern zu. Es gab auch sie? Der Teufel will es wissen, ich auch eine Frau, die ein wenig Liebe-
Sandonierinnen, aber viel weniger. nicht. Doch was fange ich nun mit stohuwabohu hineinbringt, in dieser
Die Sandonier glaubten nämlich, sie mir an? Wie fange ich etwas an? Wie wüsten Ordnung.
seien der Sand in ihrem Kopf und je fängt überhaupt etwas an? Sie irren Was habe ich soeben gesagt? Wüst?
mehr Sand, desto besser würden sie. aber, wenn sie meinen, dass ich schon Ich nehme es zurück. Glauben Sie
Was wären sie denn ohne Sand? Also deshalb verwirrt sei, durcheinander nicht, dass ich etwas zugebe, bloss
ließen sie ihre Körper verfallen, denn eben, weil mir jetzt solche Fragen weil sie mich auf dem falschen Fuss
es zählte nur der Kopf, nur in ihn einfallen. Dem Kopf fällt viel ein, was erwischt haben. Sie sollten mich an
konnte man Sand stecken. Sie besuch- zum Leben nicht nützlich ist. guten Tagen sehen, ein Bild von ei-
ten die Sandburg, die verlieh Sanddi- Wenn ich es nur wollte, könnte ich nem Mann…und auch von einem
ploma. Auf denen stand: „Dieser darf schnell etwas Leben in diese gähnen- Geschäftsmann. So, jetzt aber ist´s
sich Sandonier nennen, denn er hat de Leere hineinbringen. Manch einer, genug, ich ziehe mich an und fahre
in dieser Zeit mindestens soviel Sand der sich wieder angezogen hat und in den Pub. Nein, ich gehe lieber, so
gefressen. Es wurde dies überprüft, der mir nicht Freund ist aber immer- gewinne ich einige Minuten. Seltsam,
denn er hat soviel Sand ausgespuckt.“ hin Kollege, könnte ich im Pub tref- dass ich bis vor kurzem Zeit dauernd
Ihre Beziehungen untereinander wa- fen. Dort, wo wir immer sind, wenn verlor, jetzt aber welche gewinne. Und
ren von Sand überlagert. Es ging im- wir nicht in der Firma sind. Und es ich kann auf dem Weg dorthin nach
mer darum, den anderen so auszu- gibt im Chat genug Frauen, die auch einer Bibliothek suchen. Der Teufel
nutzen, dass er möglichst viel Sand nicht irgendwohin konnten und nun weiss, wo es eine gibt, zuletzt habe ich
einbrachte. Um die Sandburg bildete dasselbe Problem haben: die nächs- eine von innen an der Hand von Mut-
sich eine Wüste. Wir fanden sie unbe- ten Tage ohne Agenda oder Termine ter gesehen, aber lassen wir das. Ich
wohnbar, reisten weiter und aus der zu überstehen, ohne dieses flüchtige borge mir alle Bücher über Island, die
Ferne hörten wir sie rufen: „Alles wird „Na, wie läuft`s?“ und „Dann treffen ich finde und schleppe sie in den Pub.
immer schlechter – man kann nichts wir uns später auf einen Drink“ und Wir wollen mal sehen, ob es in Island
daran ändern.“ Man nicht, aber Du. dazwischen wird immer das Geschäft wirklich nur eine Eiswüste gibt und
Tohuwabohu! besiegelt und man hat das Gefühl Gott nicht auch Farben. Oder eben Elfen.
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DIE DEMOKRATISIERUNG DER
BELANGLOSIGKEIT IST FORTGESCHRITTEN
Der Erfurter Stadtschreiber Catalin Dorian Florescu spricht mit campus:echo-
Redakteurin Linda Rustemeier über sein Leben als Schriftsteller, die Arbeit als
Stadtschreiber und die Realitäten des Buchmarktes.

campus:echo: Wie bist du zur Schrift- Leser dich liest. Diese Ernüchterun- großer Idealist, immer noch, aber ich
stellerei gekommen? gen kommen früh genug, am Anfang bin auch mittlerweile auf dem Bo-
Catalin Dorian Florescu: Das Sch- aber steht das Wort, das gesagt - in den der Realität angekommen, denn
reiben, wie wohl jede Kunstform, ist unserem Sinne geschrieben - werden ich habe das ganze System um die
kein Beruf, sondern eine Berufung. muss. Und das unbedingt. Schriftstellerei herum kennengelernt.
Ich spürte recht früh, dass ich die campus:echo: Wie schreibst du deine Marketing spielt eine sehr große Rol-
Welt dort draußen erreichen wollte Romane und woher kriegst Du Deine le und weniger Qualität. Mit gutem
und dass mein Instrument die Spra- Inspration dafür? Marketing kann Qualitätslosigkeit
che war. Ich ließ davon, trotz Höhen Florescu: Ich mache keine Romane oder Durchschnitt zur Qualität und
und Tiefen, bis heute nicht ab. Man nach Plan oder nach einem Rezept. zur Notwendigkeit erklärt werden.
muss sich aber auch gut einschätzen Meine Bücher sind total gefüllt und Der Büchermarkt wird jährlich mit
können, nachspüren, ob man wirk- gefühlt mit Leib und Seele. Sie sind 100 000 neuen Titeln - wie viele da-
lich Talent hat - die Buchhandlungen bunt und organisch, sie wachsen mit von überflüssig und nichts sagend
bersten vor überflüssiger Literatur -, mir. Bisher habe ich mir in den ers- sind, weiß nur Gott - überschwemmt.
dann aber soll man es unbedingt tun. ten beiden Romanen meine eigene Leider ist das das ganze Gegenteil
Daran habe ich mich immer gehalten, Lebensgeschichte literarisch abge- von der schönen, idealistischen Vor-
auch in den schweren Stunden. streift, in Wunderzeit beschrieb ich stellung, die man vom Schreiben hat.
campus:echo: Wie unterscheidet sich meine eigene sozialistische Jugend in Dein Buch hat nach der Veröffentli-
deine Arbeit als Stadtschreiber von Rumänien, gesehen durch die Augen chung oft nicht mehr als zwei Monate
der sonstigen Schriftstellerei? eines Kindes, der ich mal gewesen Lebensdauer. Wenn du nicht einen
Florescu: Als Stadtschreiber muss bin. In den beiden letzten aber bin Bestseller hervorbringst, kommt dein
man extrovertiert sein, auf die Welt ich von real existierenden Personen Buch in den hintersten Regalen an
zugehen, auf die Erfurter und ihre ausgegangen, in „Zaira“ und „Der und verschwindet. Jeder kann veröf-
Stadt - mit Sympathie, aber nicht blinde Masseur“. Es waren großar- fentlichen und es wird auch alles ver-
unkritisch - eingehen können. Als tige Lebensgeschichten, die mir da öffentlicht. Die Demokratisierung der
Schriftsteller muss man beides kön- von meinen rumänischen Freunden Belanglosigkeit ist fortgeschritten.
nen: Extrovertiert sein, mit der Welt - Rumänien bleibt meine Inspirati- campus:echo: Welche Eigenschaften
in Kontakt treten, dort, wo sich die onsquelle, auch wenn ich inzwischen hat ein Schriftsteller?
Geschichten ereignen - wo jemand doppelt so lange in der Schweiz lebe Florescu: Man braucht Sensibilität
wie mich sie sammelt - und dann auch - kurz erzählt worden waren. Nur we- und eben Biss für eine überzeugende
nach innen schauen, dort wo die Ge- nige Momente, einige Sätze reichen Geschichte, die begeistert. Außerdem
schichte mit eigenem Stoff, eigener bei einem wie mir, der unbedingt lebt, ist man als Schriftsteller vor allem
Energie aufgeladen wird. Ich glaube, um eine neue Vision, eine Ahnung zu Künstler. Man steht durch die Veröf-
ich kann das gut, diese Pendelbewe- bekommen, dass sich dahinter Schön- fentlichung seiner Texte völlig nackt
gung. Dann braucht man „Biss“, um heit verstecken könnte. Man muss als da. Dem „normalen“ Bürger bleibt
die Sprache und die Bilder zu finden, Autor klar und bestimmt genug sein, eine ständige Aussetzung - wie sie der
die aus einem Buch ein unbedingtes, um sich aus einem unendlichen Feld, Künstler kennt - eher erspart, er hat
schönes Werk machen, um dafür mo- das sich da vor einem öffnet, jene mehr Kontrolle über sein Leben und
natelang zu recherchieren und nicht Teile auszusuchen, die der Geschich- Schutz durch sein Umfeld. Da ist eine
zuletzt, um sich auf einem wildge- te helfen und wiederum emphatisch permanente Öffentlichkeit, die dei-
wordenen, immer oberflächlicheren genug, feinfühlig, neugierig, beschei- ne Texte und damit ja dich als nicht
Kulturmarkt behaupten zu können. den, sonst kann man Menschen wie selten freie Beute genau auseinander
Dafür und davon lebst du dann auch Ion oder Zaira aus meinen Büchern, nimmt. Er riskiert viel, er schafft neue
eine Weile. Denn von der vagen Idee gar nicht „öffnen“. Welten und individualisiert sich da-
bis zum reifen Roman ist es eine lange campus:echo: Du hast mittlerweile durch ständig. Er ist mutig, neugierig,
Durststrecke und man muss mit Un- viele Erkenntnisse darüber gewon- sensibel, geht sprachlich an die Gren-
sicherheiten leben können und trotz- nen, was es heißt, ein Schriftsteller zu zen, er schaut hin, er benutzt also
dem handeln, also erschaffen. Auch sein. Was kannst du jungen Talenten, wichtige Eigenschaften seiner Person,
dann wenn du keine Garantie hast, empfehlen? um sein Werk zu schaffen und da-
dass der Verlag das Buch machen will, Florescu: Die große Kraft des Schrei- durch ist er das Gegenteil einer ausge-
dass der Buchhändler es will, dass bens bedeutet mir viel. Ich schreibe höhlten, sich dem flüchtigen Zeitgeist
die Zeitungen schreiben, dass der jetzt seit über 20 Jahren. Ich bin ein hingebenden Zeit. Das ist sein Lohn.

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EINE ZUFRIEDENE AMEISE
Jürgen Wiezorek ist einer von drei Hausmeistern der Universität.
Ohne ihn gäbe es irgendwann nur noch ausgebrannte Glühbirnen und
schon bald kein Klopapier mehr. Er selbst sagt, sein Job mache ihm
höllischen Spaß.

von Thomas Schmelzer

E
r muss jetzt kurz nachdenken, mich über die vielseitigeren Aufgaben ge stören auch ihn, aber er regt sich
alles ordnen und im Kopf einen gefreut.“ nicht lange darüber auf. Wenn Stu-
groben Plan entwerfen. Jürgen Der rote Lieferwagen hält jetzt vor dentinnen und Studenten seinem Wa-
Wiezorek sitzt am Steuer seines roten dem Mitarbeitergebäude nahe der gen keinen Platz machen, murmelt er
Dienst-Transporters und überlegt. Mensa. Wiezorek soll hier Kartons davon, dass er auch nur seine Arbeit
Mit seinen breiten Fingern blättert er abholen und sie zum Postamt brin- mache, doch gleichzeitig sagt er, dass
durch die gehefteten Papiere in seiner gen. Ob er die wirklich alle auf einmal so ein großer Lieferwagen natürlich
Hand. „Das sind die Aufträge für heu- tragen wollen, fragt die zierliche An- auch die Fußgänger nervt. Sein Gehalt
te“, sagt er, dreht den Schlüssel um gestellte. „Geht schon“, sagt er knapp könnte höher sein, klar, aber es geht
und fährt dann los. Wiezorek, 59 Jah- aber freundlich. Wichtiger ist ihm das auch so. Und überhaupt: „Mein Job
re, graues Stoppelhaar, Dreitagebart „Autogramm“. So nennt er die Unter- macht mir einen Riesen Spaß!“
und weiche Gesichtszüge ist Haus- schrift auf seinem Auftragszettel, die Mittlerweile ist es kurz vor Zwölf
meister der Universität. Während er ihm hilft, seine Tätigkeit nachzuwei- und Wiezorek hat alle PC-Teile aus-
seinen Dienstwagen an diesem reg- sen. Wenn etwas schief läuft, geht die geliefert. „Ging doch ganz fix heute“,
nerischen Morgen über den Campus große Suche nach dem Schuldigen los. sagt er leise zu sich selbst, doch bevor
lenkt, erzählt er aus seinem Leben. „Ich bin dann abgesichert“, sagt er, als er sich mit der Mittagspause belohnt,
Warum er Hausmeister wurde. Was er wieder im Wagen sitzt. Zufrieden will er noch schnell zwei Lehrgebäu-
er denn in seinem Job eigentlich alles schlägt er den erledigten Auftrag nach de mit Toilettenpapier und Seife be-
macht. hinten. Als nächstes müssen Laptops liefern. Das wisse ja auch keiner, wie
Seinen erlernten Beruf kann man und Bildschirme über den Campus eigentlich die Papierrollen aufs Klo
ihm nur noch an seinen Händen an- verteilt werden, danach Toilettenpa- kämen, schmunzelt er, während er
sehen. Die Finger spargeldick und die pier. Die Lieferdienste sind Hauptbe- die Pakete aus einem Keller hievt und
Haut rau wie Schmirgelpapier, stehen standteil seiner Arbeit. „Zudem bin in die einzelnen Gebäude verteilt. „Da
sie im Gegensatz zu seinen feinen Ge- ich für das gesamt LG 4 verantwort- freut sich die Putzfrau und da freue
sichtszügen und wirken wie eine Erin- lich und dauernd in Rufbereitschaft, ich mich“, sagt er, nachdem er fertig
nerung an seine Zeit als Maurer. Nach wenn was kaputt geht“, reiht er auf. Er ist. Die Universität sei ja hierarchisch
der Schule: Ausbildung und 20 Jahre mag es nicht, wenn ihn Leute fragen, aufgebaut, erzählt er schließlich noch
Anstellung beim Wohnungsbaukom- was er eigentlich den ganzen Tag ma- vor der Mittagspause. In diesem Ge-
binat Erfurt. „Keine schlechte Zeit“, che. Ein Student hat es irgendwann füge sehe er sich als einfache Ameise,
sagt er, aber irgendwann habe es mal gewagt und er hat ziemlich patzig die das komplexe Getriebe am Laufen
Querelen mit Kollegen gegeben. Also geantwortet. Andererseits: „Woher hält. „Ich bin ein ehrgeiziger Mensch
wechselte er 1990 zur Universität, der sollen Außenstehende auch wissen, und will einfach meine Arbeit gut ma-
damaligen Pädagogischen Hochschu- was wir den ganzen Tag machen?“ chen.“
le. Im Rahmen der Wende wurde sein Man muss sich nicht lange mit Jür- „Einfache Ameise.“ - er meint das
Job vom Maurer zum Hausmeister gen Wiezorek unterhalten, um diese nicht abwertend und er meint es nicht
umfunktioniert. „Es sollte effizienter Ausgewogenheit in seinen Worten zu anklagend. Er spricht bloß die Worte
werden“, erinnert er sich. „Ich habe registrieren. Natürlich, manche Din- aus - voller Zufriedenheit und Stolz.

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AM ENDE IST DOCH EH ALLES WURST!
Nachdem im vergangenen Semester Kaffee und Kuchen aus Kölleda
verköstigt wurden, folgen Schokolade und Wurstspezialitäten aus
dem Kyffhäuser Kreis. Simon Beck und Rebecca Puchta sind nach
Greußen gefahren, um dem Studentenalltag für einen Nachmittag zu
entfliehen und auch ein wenig frische Luft zu schnappen.

I
n der Hoffnung auf ein Abenteuer ausgebreiteten DDR-Zeitungen aus vor sich hin brabbelnd in die  Orts-
setzen wir uns in den Zug auf Gleis dem Jahre 1979 über ein zerfledder- mitte. Auf dem Weg dorthin, bekom-
3. Er fährt nach Sondershausen. tes, im ganzen Haus verteiltes Mär- men wir auf‘s Ausführlichste erzählt,
„Soll dort ziemlich langweilig sein“, chenbuch mit deutschen Lettern bis wie das damals so war. Na ihr wisst
erzählt uns eine Studentin aus Jena. hin zu einem Paris Hilton Poster. Ein schon… Damals war die Greußener
Dann eben nicht. Verunsichert fahren Handtuch und eine Winterjacke auf Salami zum Beispiel noch bedeutend
wir weitere Stationen. Im Erblicken dem Boden in der Ecke, zahlreiche härter.
einer verlassenen Fabrik nahe dem Zigarettenschachteln und aufgetrun- Länger durfte sie reifen, wie uns die
Bahnsteig, erahnen wir unser Aben- kene Bierdosen, benutzte Taschen- kompetente Wurstfachverkäuferin
teuer. Wir steigen aus. Ein Graffiti, tücher, sind Indizien dafür, dass die- mitteilt.
genauso groß wie das Bahnhofsschild, ses Haus Zeuge verschiedener Zeiten Nach fachkundiger Beratung bestel-
das den Ortsnamen angibt, grüßt uns geworden ist. Auf den Wänden der len wir also 200 Gramm Salami. Ko-
mit dem Schriftzug „No Hope“. Wir alten Schokoladenfabrik teilen sich mischerweise verteidigt die Verkäu-
sind in Greußen gelandet. Einem Ort, sozialistische Parolen den Platz mit ferin jedes Gramm Wurst, das sie uns
bekannt für seine Salami-Spezialitä- infantilem, vor Rechtschreibfehlern nicht verkaufen muss. Nach einigem
ten. Ein knapp 4000 Seelen Dorf im strotzendem Nazigeschmiere. Das hin und her einigen wir uns auf 150
Kyffhäuser Landkreis, dem ärmsten Gemäuer scheint den Zeitgeist aufge- Gramm und bekommen als Beloh-
des Bundeslandes Thüringen. Nicht sogen zu haben. Auch wir verspüren nung für unsere Bescheidenheit pro
unbedingt ein Touristenmagnet. Des- den Drang, Teil des Gebäudes zu wer- Person zwei Scheiben „to go“. Diese
sen sind sich auch die Einwohner be- den und lassen eine leere Bierflasche etwas eigenwillige Verkaufshaltung ist
wusst und machen uns verschärft klar: zurück. uns fremd. Wir fragen uns: „Herrscht
„Hier ist nüscht lös.“ Das werden wir Wir lassen die Vergangenheit hin- in Greußen Wurstmangel?“ Auf dem
ja sehen, denken wir uns, und betre- ter uns und begrüßen die Gegenwart Rückzug erblicken wir eine unförmig
ten das Fabrikgelände. Unsere Neu- mit Roster und Radler. Prost!  Vo- dicke Skulptur eines Schweins. Nun
gierde zieht uns in ein nebenliegendes rübergehend gesättigt, aber immer wissen wir was mit der uns vorent-
Haus. Geschichtsträchtiger Geruch, noch hungrig, machen wir uns auf die haltenen Wurst gemacht wird. Sie ist
feucht und staubig zugleich, steigt uns Suche nach der berühmten Greußen- Opfergabe für das Stadtschweinchen.
in die Nase. Unsicher und angespannt er Salami. Dabei benötigen wir Hilfe Sauerei.
tasten wir uns im Gebäude vorwärts. von ortskundigen Einheimischen. Ein Trotz des Futterneides, welchen
Dunkle, verwinkelte Räume, herunter bisschen scheu scheinen diese jedoch wir gegen die pummelige, verzogene
gestürzte Decken und von tiefschwar- vor uns wegzulaufen. Dennoch gelingt Wutz hegen, lassen wir uns die Lau-
zer Asche überzogene Tapeten ziehen es uns, einen kleinen dicken Mann ne nicht verderben und ziehen weiter.
uns in ihren Bann. mit Schubkarren einzufangen. Der Wir wollen jetzt kein Resümee ziehen,
Manche Räume lassen erahnen, kommt nicht von hier. Trotzdem weiß aber man muss wirklich sagen, dass
dass hier vor nicht allzu langer Zeit er, wo man die Spezialität findet und in Greußen schon was „lös sein kann,
noch Leben in den Räumen war. Von geleitet uns hilfsbereit und vergnügt grad für die jung‘n Leud.“
((

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DAS MIT DEM GUTEN LEBEN
GEBACKEN BEKOMMEN
Was Brötchen aus der Selbstbedienungstheke
über die Persönlichkeit aussagen

von Jan Steinhauer

Foto: Alice Dobersalske / jugendmedien.de, CC-Lizenz

I
ch wohne recht nah des Erfurter ist Rationalisierung pur. Da möch- pragmatisch: So ist der Markt.
Stadtzentrums. Wenn ich meiner te ich nicht kaufen, trotzdem beiße So sieht das aus. Auch der Oberbä-
Straße folge, bin ich in vier Minu- ich immer wieder in schrecklich fade ckermeister Erfurts ist da nicht an-
ten auf der Bäckerstraße - der Erfurter Brötchen mit geschmolzenem Ana- ders. Sicherlich würden die Bäcker
Fußgängerzone. Diese Beschreibung logkäse obendrauf. Wieso? es spüren, dass die Leute vermehrt
darf ich jedoch keinem Fremdem er- „Das ist ja das Problem: Heute im Supermarkt oder beim SB-Bäcker
zählen, sollte mich mal einer nach muss man mindestens genauso viel ihre Brötchen in die Tüte packen.
dem Weg fragen. Denn die Bäcker- Kaufmann wie Handwerker sein“, Aber was soll man da machen? Es ist
straße gibt es in Wirklichkeit gar nicht beschwert sich der Oberbäckermeis- eben so, dass auch das Bäckergeschäft
oder zumindest nicht auf dem Stra- ter der Stadt Erfurt, Eberhard Mich- nach einer Standortlogik organisiert
ßenplan. Trotzdem: Ab der Erfurter alowski. Zusammen sitze ich mit ihm ist. Wer den besten Platz hat, verkauft
Bahnhofsstraße vom Hauptbahnhof in einem Nebenzimmer seiner Back- die meisten Brötchen. Die Fangfra-
über den Anger und Fischmarkt zum stube. Es ist kurz nach 12 Uhr mit- ge ist nun, wo man selber die letzten
Domplatz kann man die unschlag- tags, das T-Shirt des Bäckermeisters Brötchen gekauft hat? Backwerk?
bare Zahl von 14 Geschäften zählen, ist voller Mehl. Draußen werden die Aldi? „Die meisten Leute kaufen in
die sich dem Verkauf von Backwaren frischen Brote verladen und die Au- der Woche beim Supermarkt oder SB.
verschrieben haben. Das sind Erfur- gen des Bäckers sind schon ganz Am Wochenende geht man dann zum
ter Verhältnisse. Im Schnitt teilen klein. Für ihn ist der Tag schon vor- richtigen Bäcker. Da hat man ja Zeit.“
sich 1000 Erfurter eine Bäckereifili- bei. Als er mir erzählt, die Nacht be- Hier begegnen wir einer Logik, die
ale. Erfurt, die Stadt der Bäcker, ihre reits um halb 12 aufgestanden zu wir schon von anderen Dingen ken-
Einkaufsstraße ist die Bäckerstraße. sein, verkneife ich mir zu erwähnen, nen. Der bewusste Konsum als bloßes
Logisch. dass ich da noch gar nicht im Bett Ritual. Dabei steht ein echter Bäcker
Jedem, der neu nach Erfurt gezogen war. Natürlich möchte ich von dem eben nicht nur für leckere Brötchen,
ist, werden die 240 Backshops sicher Mann nun wissen, woher die Motiva- sondern auch für nachhaltige Pro-
nicht entgangen sein. Dass in den tion kommt, so arschfrüh aufzustehen duktion inklusive fairer Löhne. Doch
meisten Geschäften, in denen Kuchen und was er davon hält, dass da eini- im Studentenleben herrscht meistens
und Brot verkauft wird, im Hinterhof ge findige BWL-Studenten kommen das Mensa-Prinzip: im Alltag bitte
nicht selbiges gebacken wird, war mir und ihm mit aufgebackenen Luft- billig und am Wochenende slow-food.
schon länger klar. Eine neue Qualität brötchen aus dem Selbstbedienungs- Dabei möchte eigentlich jeder zum
der Rationalisierung dieses für jeden brutkasten nun Konkurrenz machen. wahren, echten und bewusstem Kon-
so essentiellen Handwerks sind aber Zu meiner Überraschung nimmt es sum zurück, aber am Ende klappert
die Selbstbedienungsbäcker. So gibt Herr Michalowski doch recht gelas- dann doch wieder die Plexiglasklappe
es in der Bäckerstraße mitunter nur sen. „Das ist eben Wettbewerb. Daran auf dem gehetzen Weg zur Bahn. So
eine Handvoll richtiger Bäcker. Die kann ich nichts ändern.“ ist das, was ich da mit der buchstäbli-
meisten Filialen werden hingegen So ist das: Als Student siehst Du chen Kneifzange auf mein durch Zello-
schon längst von Kaufmännern in die Welt mit den Augen des Re- phanpapierauflage hygienisch reines
weißen Kitteln betrieben, deren Back- voluzzers. Wie die Gesellschaft so Tablett lege nicht nur geschmacklich
fähigkeiten gerade so weit reichen, tickt: Kann ja alles nicht wahr sein! von einer ganz anderen Qualität. Es
der 400-Euro Kraft den Ofen zu er- Die Leute jedoch, die wirklich vom geht mal wieder ums Prinzip. Einfach
klären, mit denen die tiefgefrorenen Kapitalismus tangiert sind; sprich im mal schauen was man tut, dies bleibt
Teiglinge aufgebacken werden. Das Arbeitsleben stecken, denken eher keine Frage des Geschmacks.
((

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HAUSBESETZUNG IST MACHBAR,
HERR NACHBAR
Von Junkies, Schnorrern und Gewalttätern

von Sebastian Bähr

S
amstag, 17. April 2010. Ungefähr mit dem derzeitigen Gesellschaftssys- einer Rechtsform und alle Optionen
800, größtenteils schwarz ver- tem. Viele emanzipatorische Projekte seien grundsätzlich diskutierbar, ver-
mummte Demonstranten sind konnten sich hier verankern und da- sichern die Freiraumkämpfer. Was
auf dem Domplatz versammelt, eini- bei auch Erfurt helfen, sich von seiner die „fehlenden geeigneten Objekte“
ge von ihnen essen ein Eis. Während manchmal hellbraunen Fremdwahr- betrifft: Nach der letzten Erhebung
in Redebeiträgen und Sprechchören nehmung zu entfernen. vom statistischen Bundesamt gibt es
ein neues selbstverwaltetes Zentrum Seitdem ist viel passiert: Solidari- in Erfurt 720 leer stehende Gebäude
in Erfurt gefordert wird, schauen sich tätsdemonstrationen von Deutsch- mit Wohnraum, 1822 Gebäude mit
die meisten Passanten die Versamm- land bis Schweden, ein verschwun- Wohnraum unterstehen öffentlichen
lung etwas irritiert an. Viele laufen dener Bernd das Brot, vier erneute Trägern.
vorbei und ignorieren die Aktivisten, Besetzungen, unzählige „Wir bleiben Böse Zungen könnten behaupten,
schließlich ist es Wochenende, es ist Alle“-Graffitis auf Erfurts Wänden. dass sich zu dem fehlenden politi-
warm und der Grill wartet. Willkom- Dazu ein Baumarkt mit angrenzenden schen Willen der Stadt auch noch eine
men in Erfurt. Mit dieser Demonst- Wohnungen auf einem Gelände, auf scheinheilige Doppelmoral gesellt.
ration endete die Aktionswoche der dem früher Krematorien für Ausch- Erfurt geht in seinem Bestreben, sich
Kampagne „Hände Hoch.Haus Her“, witz hergestellt wurden. als kleines, sauberes und gemütli-
die vom 10. bis 17. April mit Diskus- Doch warum kann keine neue Ei- ches Touristenstädtchen zu etablie-
sionen, Filmvorführungen und einer nigung gefunden werden? Gespräche ren so weit, alles „Störende“ aus dem
missglückten Hausbesetzung auf ein zwischen der Stadtverwaltung und Stadtbild rigoros verdrängen zu wol-
Problem in unserer Stadt aufmerk- den Besetzern endeten ergebnislos, len. In dieses Konzept gehört sowohl
sam machen wollte. als die Aktivisten das einzige Ange- das Verbot des Alkoholkonsums in
Kurze Rückblende: Vor etwas über bot der Stadt ablehnten. Das Gebäude der Öffentlichkeit als auch das Ver-
einem Jahr wurde das besetzte Haus wäre für die benötigten Wohnräume schwinden des Besetzten Hauses.
auf dem ehemaligen Topf & Söhne und Projekte zu klein, zudem hätte Konformalternative Szeneplätze wie
Gelände geräumt. Mehrere Hundert- man durch die geforderte Vereinsbil- die Schotte dürfen dagegen aufgrund
schaften, SEK-Kommandos und zwei dung wieder eine Hierarchie, welche ihrer kulturellen Bedeutung und ihres
Hubschrauber gingen damals gegen man doch um jeden Preis vermeiden Imagegewinns erhalten bleiben, Bier-
60 Besetzer vor. Gegen alle gab es Er- wolle. Die Besatzer fragten sich na- trinken ist auch OK, aber bitte nur
mittlungen wegen Haus- und Land- türlich auch: Kann man authentisch in den dafür vorgesehenen Bars und
friedensbruch. Zudem fand man ein und selbstbestimmt gegen ein System Kneipen. Der sagenumwobene Begriff
Waffenlager, auf das auch Kim Jong-il kämpfen, von dem man durch kont- der Gentrifizierung schwirrt durch
stolz gewesen wäre und das die Band rollierte Vereinsfinanzierung und sich den Raum.
„Ton, Steine, Scherben“ wohl mit dem ständig verändernden politischen Im Kampf um Freiräume für alter-
Lied-Zitat gewürdigt hätte: „Und die Realitäten in Abhängigkeit gehalten native Lebenskonzepte und soziale
deutlichen Beweise sind zehn leere wird? Bei jeder Stadtratswahl und Experimente ist Erfurt dabei nur ein
Flaschen Wein und zehn leere Fla- Budgetaufstellung könnte die Zukunft kleines Schlachtfeld von tausenden
schen können schnell zehn Mollies des Projektes auf Messers Schneide auf der ganzen Welt. Egal ob Chia-
sein.“ stehen. pas, Christiania oder besetzte Häu-
Was ist dies für ein Feind, der so viel Die Stadt sah mit dem Angebot ihre ser in Berlin, Kopenhagen, Barcelona
Angst heraufbeschwört? Acht Jahre Pflicht erfüllt und profilierte sich als - das Bedürfnis, sich der Kontrolle
lang war das B-Haus Erfurts selbst- verständnisvollen und endgegenkom- des Systems zu entziehen und nach
verwaltetes, soziokulturelles Zent- menden Wohltäter, der nur an der neuen moralischen Werten zu stre-
rum, ein widerspenstiges gallisches Dickköpfigkeit der Besetzer geschei- ben, ist exemplarisch für die heutige
Dorf sozusagen inmitten des Thürin- tert sei. Diese wollen wiederrum nur Zeit. Das alles ist nichts anderes als
gischen kapitalistischen Imperiums. Ruhe vor den Behörden und verlangen ein Systemkampf und so mag es auch
Neben Wohnräumen und kulturellen einen Platz, an dem sie ohne staatli- nicht verwunderlich sein, dass Erfurt
Veranstaltungen bot es vor allem Frei- che Beeinflussung leben, diskutieren, diese Freiräume nicht dulden will
raum für politische Auseinanderset- rebellieren und tanzen können. Bei oder kann. Doch Vorsicht: Zu sehr in
zungen: zum einen mit der Geschichte einem guten Angebot wäre man auch die Ecke gedrängte Hunde fangen ir-
des Topf & Söhne Geländes aber auch nicht kategorisch gegen die Bildung gendwann an zu beißen.
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KRIEG UND FRIEDEN
Den meisten Deutschen ist Israel nur über die Filter der Medien bekannt.
Um sich ein genaueres Bild zu machen, reisten Michael Kranixfeld
und Thomas Schmelzer in diesem Frühjahr fast gleichzeitig, aber ohne
voneinander zu wissen durch das widersprüchliche Land. Ihre Eindrü-
cke haben sie in diesem Briefwechsel niedergeschrieben – und landeten
dabei wie automatisch beim Thema Nahostkonflikt.
Foto: Manuel Washausen, rechts: Michael Kranixfeld

THOMAS an Michael sind ja nicht nur die Araber gegen sie sich nach seinem Magnet. Warum
die Juden, es sind die Orthodoxen eigentlich?
Wenn ich an Israel denke, sehe ich gegen die Reformorientierten,
sattes Gras und staubige Wüste, ich Araber verschiedenster politischer MICHAEL an Thomas
fühle Geborgenheit und wache vor Widerstandsbewegungen, es sind
dem Lauf einer M16 auf, meine Füße linke Juden gegen Zionisten und so Warum bin ich nach Israel gefahren?
zappeln zu dröhnenden Bässen aber weiter und so fort. Je tiefer man in Warum nicht an einen Ort mit tollen
vor der Kulisse von Felsendom, Al- diese Strukturen dringt, desto mehr Stränden, wo meine Mutter sich nicht
Aqsa-Moschee und Klagemauer stehe löst sich Wahrheit auf, verschlingt um mich sorgen muss? Warum genieße
ich still. Israel ist Widerspruch und sich, zieht mich in seine Fallstricke. ich nicht die Privilegien meines
Gegensatz - ein verworrener Knoten. Und die Frage, die alle bewegt, ist: deutschen Passes und meiner durch
Nach einem ersten Besuch vor zwei Wird es Frieden geben? Beamtengehälter gut gepolsterten
Jahren zog ich deswegen erneut los, sozialen Lage? Israel, das ist auch
aber der Knoten blieb fest. Welche THOMAS an Michael eine Abenteuerphantasie für kleine
Knäuel hast du gefunden? Konntest Jungs wie mich, die sich nicht trauen,
du sie lösen? Wird es Frieden geben? Gibt es in die echten Krisenherde zu fahren.
so etwas wie Wahrheit in diesem Israel, da kann man dem, der von
MICHAEL an Thomas wunderschönen, verworrenen Land? den Reiseplänen erfährt, ganz schön
Du hast ja Recht: je mehr man erfährt, neidisch machen und damit prahlen,
Als ich nach Israel ging, dachte desto komplizierter wird es. Mit wie dass es schon ganz schön gefährlich
ich, grundlegend zu wissen, was vielen Menschen habe ich über dieses gewesen sei, mit den ganzen Soldaten
der Konflikt ist. Ich hatte die Karte Thema gesprochen – und wie viele und so. Das könne man sich ja in
im Kopf, ein bisschen Halbwissen verschiedene Antworten habe ich Deutschland gar nicht vorstellen, wie
im Gepäck und wollte hören, was bekommen. Der Erste erzählt, der es da abginge – und glücklich suhlt
Menschen zu erzählen haben, die Friedensprozess sei Selbstzweck, die man sich in der Aufmerksamkeit der
täglich dort leben. Je länger ich dort Frau dieses Mannes erwidert, ohne Daheimgebliebenen.
war, desto komplizierter wurde es. ihn wäre alles noch schlimmer. Ein
Jeder Mensch dort hat seine eigene Dritter möchte von dem Thema nichts THOMAS an Michael
Geschichte, seine eigene Wahrheit wissen und jener Palästinenser, der
und irgendwie ist alles logisch, am Toten Meer seinen Orangensaft „Aber ist das denn nicht gefährlich
nachvollziehbar. Ich kann am selben verkauft, blickt resignierend in die da?“ Und so trocken? Mit wem ich auch
Tag verstehen, warum ein Israeli die sengende Sonne und spricht: „It’s like spreche, immer höre ich diese Fragen.
Mauer als unvermeidlich akzeptiert, black and white.“ Eigentlich bin ich Und immer muss ich enttäuschen:
und verständnisvoll nicken, wenn Optimist, aber wegen solcher Sätze Es ist trockener als in Deutschland,
ein Palästinenser erzählt, wie glaube ich nicht an Frieden. Zu sehr vielleicht auch gefährlicher. Aber
schwierig sein Leben unter der zieht dieses Land die Menschen in gefährlich ist es nicht! Die Soldaten
israelischen Regierung ist. Aber es seinen Bann. Wie Eisenspäne richten sind oft jünger als ich und manche
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Mädchen sehen in ihren Uniformen Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, der errichten. Aber wo beginnt was? Wer
aus wie billige Männerphantasien. die Muslime beim Gebet beobachtet. will da die Grenzen schon ziehen?
Man gewöhnt sich verdammt schnell Was aber ist die größere Gefahr:
an all das. Was wirklich nervt ist Terroristische Anschläge zu vereiteln MICHAEL an Thomas
der israelische Sicherheitswahn. oder durch Abschottungs- und
Metalldetektoren vor Busbahnhöfen, Misstrauenspraktiken die Gräben zu Am Ende einer Führung durch
vor Einkaufszentren, sogar vor der vertiefen? Ostjerusalem mit dem Israeli
Dorfdisco. Für uns ist das ein bisschen Committee Against House
Abenteuer, etwas Adrenalin. Für die THOMAS an Michael Demolitions stand die Frage, was
Israelis ist es Alltag. das nun uns als Ausländer wirklich
Natürlich gibt einem das zu denken: angeht, was wir denn tun sollen gegen
MICHAEL an Thomas Wenn Jugendliche für zwei bis drei Hauszerstörungen und Schikane,
Jahre bei der Armee das Töten gegen wachsenden Hass und
Nun nur weil die Soldaten jünger erlernen, wenn Soldaten in der Disco Hilflosigkeit auf beiden Seiten. Eine
sind, ist das ja keine Garantie für vorgelassen und bejubelt werden, neue Friedenskonferenz?
Ungefährlichkeit. Im Gegenteil, es wenn eine gesamte Gesellschaft Unser Guide sagte, es sei viel
ist schon ein wenig beängstigend, vollkommen militarisiert ist. einfacher: Wenn Deutschland
wenn man sich überlegt, wie da Andererseits erzählt mir eine Waffen nach Israel verkauft, so
die komplette Generation in den israelische Freundin, dass sie sind diese immer auch von unseren
militärischen Apparat eingebunden am Übungsplatz den ganzen Tag Steuergeldern subventioniert. Wieso
wird und am Ende brave Zionisten Unkraut jäten musste. In vielen begehren wir dagegen nicht auf?
ausgespuckt werden. Die Alltäglichkeit Gesprächen fallen auch kritische Wieso machen wir uns mitschuldig
und Beiläufigkeit, mit der die Töne über die Armee. Wahrscheinlich und reden gleichzeitig von einer
Soldatinnen und Soldaten überall verdammen die meisten Israelis das friedlichen Lösung?
herum stehen, lässt einen die alles selbst – die ganzen Kontrollen, Und zweitens: Statt zu versuchen,
Sensibilität für diese Präsenz verlieren. das Militärische, die Angst und Israel zu neuen Friedensverträgen
Und gleichzeitig hat man immer im den Hass, aber was bleibt ihnen zu zwingen, wäre es schon ein
Kopf, dass die ja nicht ohne Grund groß übrig? In ihrer Geschichte Fortschritt, dafür zu sorgen, dass die
da sind, dass da ja Gefahr droht – immer wieder gepeinigt, wie soll bestehenden eingehalten werden. Das
von welcher Seite auch immer. Wenn man ihnen da den ganz normalen Menschenrecht der Reisefreiheit wird
ich Briefmarken kaufe, wenn ich im Verteidigungsreflex verübeln? Kritisch den Palästinensern nicht gewehrt.
Supermarkt einen Apfel besorge, wird die Geschichte dann aber Wieso sind wir nicht konsequenter?
wenn ich in den Bahnhof gehe, jedes irgendwann doch, nämlich wenn Der Konflikt Israel/Palästina wirft
Mal werde ich kontrolliert, vielleicht die Verteidigung in Aggression und Fragen auch über unser Verhalten auf.
muss ich sogar meinen Ausweis Angriff überschlägt. Wenn man nur Was kann ich im Kleinen tun, dass ins
zeigen. Jeden Freitag schwebt ein noch damit beschäftigt ist, höhere Große wirkt? Und mehr noch: Was
weißer Mossad-Zeppelin über der Mauern und tiefere Gräben zu bin ich bereit, zu tun?
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„GOTT TRITT STÄNDIG NACH“
campus:echo solidarisiert sich mit NEON und fälscht ein Interview!

Unser Redakteur Khesrau Behroz hat Benedikt XVI. getroffen und mit
ihm ein offenes Gespräch über Kindesmissbrauch, Walter Mixa und
Religionsverdrossenheit geführt. Dabei zeigt sich der Heilige Vater
von seiner himmlichsten Seite.

Zur Person
Benedikt XVI., bürgerlicher Name
campus:echo: In Ihrem Hirtenbrief gesehen davon übersehen Sie etwas:
Joseph Alois Ratzinger, seit 2005 vom 19. März 2010 an die Katholiken Durch Gebet und Buße für die, denen
Oberhaupt der römisch-katholi- Irlands schreiben Sie ... Ihr Unrecht getan habt, sollt Ihr per-
schen Kirche; hat ein Buch über Je- Seine Heiligkeit (unterbricht): Ich sönlich für Euer Handeln Sühne leis-
sus geschrieben und es „Jesus von schreibe keine Hirtenbriefe, dazu ten.
Nazareth“ getauft; überbordende habe ich nicht die Kraft. Diese Dinger campus:echo: Auch das steht in dem
Kreativität; trägt kein Kreuz, aber sind so elendig lang, dass sie meiner Hirtenbrief.
dafür schwere Kleider; gilt als Über- Jesus-Biographie Konkurrenz ma- Seine Heiligkeit (lacht): Sie sehen, ich
gangspapst, was fast dasselbe ist wie
chen könnten. Seien Sie nicht naiv, habe ihn zumindest gelesen.
eine Übergangsjacke, von denen er
Gerüchten zufolge Tausende hat; fin-
junger Spund, ich bin ein sehr alter campus:echo: Nun steht die Kirche
det Kondome doof, weil dadurch we- Mann. nicht das erste Mal im Fokus des öf-
niger Kinder auf die Welt kommen; campus:echo: Ich korrigiere mich: In fentlichen Interesses. Vor allem se-
wird auch als Willy Brandt der reli- dem in ihrem Namen verfassten Hir- xueller Missbrauch hat immer wieder
giösen Welt bezeichnet, weil er den tenbrief wenden Sie sich an die Pries- eine Rolle gespielt und damit einher-
Dialog selbst vor minder wichtigen ter und Ordensleute, die Kinder miss- gehend auch Diskussionen über das
Religionen nicht scheut; Oberhaupt braucht haben. Es steht geschrieben: Zölibat. In einer BBC-Dokumentation
des Staates der Vatikanstadt (Fläche: „Stellt Euch den Forderungen der von Colm O’Gorman wird Ihnen zu-
weniger als ein halbes Quadratkilo-
Rechtsprechung, aber zweifelt nicht dem vorgeworfen, sexuelle Übergrif-
meter)
an der Barmherzigkeit Gottes.“ Die fe vertuscht zu haben. Ist Ihnen das
große Frage, die sich Menschen nun Image der römisch-katholischen Kir-
stellen: Kann Gott auch nachtreten, che wichtiger als die Aufdeckung von
insbesondere bei verjährten Taten? Straftaten?
Und: Ist die Hoffnung auf Barmher- Seine Heiligkeit: Das ist eine unver-

D
er Papst lässt auf sich warten. zigkeit in Ewigkeit ein Freischein für schämte Frage! Unser Erlöser würde
Unser Treffpunkt, ein Hinter- Sünde im Diesseits? vor Entsetzen geradezu vom Kreuz
zimmer im Restaurant „Zur Seine Heiligkeit: Öffnen Sie Ihre Au- fallen. Natürlich habe ich niemals
heiligen Kuh” (übrigens oftmals Opfer gen. Schauen Sie sich diese Welt doch eine Straftat vertuscht, fragen Sie un-
befremdlicher Angriffe der indischen an: Gott tritt ständig nach. Ist eine seren Herren, Er wird Ihnen das be-
Glaubensgemeinschaft), wurde sorg- Naturkatastrophe überwunden, folgt stätigen. Das Image unserer Kirche
fältig ausgewählt. Benedikt wolle kein die nächste. Haben Sie einen stram- steht nicht über die Grausamkeiten,
großes Tohuwabohu veranstalten, nur men Jungen zur Welt gebracht, folgt die in der Welt passieren. Ich fordere
so könne das Interview stattfinden, so ein Weib. Genauso wird es nach dem Sie auf, sich für diese Frage innerhalb
der Vatikan im Schriftverkehr. Um Ableben sein: Sind Sie erstmal da von 24 Stunden zu entschuldigen!
14.30 Uhr solle das Treffen sein, der oben, sind sie vor gar nichts mehr si- campus:echo: Dann lassen Sie uns lie-
Heilige Vater werde Hunger mitbrin- cher, sondern im wahrsten Sinne des ber über Walter Mixa sprechen. Sie ...
gen. Wortes vogelfrei. Gott kann nachtre- Seine Heiligkeit (seufzt): Nicht der
Mit einer halben Stunde Verspä- ten, Gott wird nachtreten - da verwet- schon wieder ...
tung betritt er dann, eine kleine En- te ich meinen Heiligenschein darauf. campus:echo: Sie haben seinen Rück-
tourage im Rücken, das Hinterzim- Menschen machen den großen Feh- trittsgesuch akzeptiert.
mer, légère gekleidet, Jogginghose ler, mir alles zu glauben, aber das ist Seine Heiligkeit: Was hätte ich denn
von Nike, Sweatshirt von C&A. Er lä- natürlich absolut fahrlässig. Denn der sonst tun sollen? “Nee, Walter, hör
chelt freundlich, bestellt beim Kellner einzige Auftrag, den der Allmächtige ma’, hast ne dufte Arbeit gemacht
„das Übliche” und sagt: „Lassen Sie mir gegeben hat, ist, eine Massenpa- die letzten Jahre, segne weiter Augs-
uns beginnen.” nik aufzuhalten, zu vertrösten. Ab- burg!” Das wäre nicht zu machen,
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Der Papst (Mitte) bei einem seiner Ausflüge in den Park. // Foto: flickr-Nutzer samuraijohnny

da hätten die Medien mir gegen den - schauen Sie sich doch nur mal die campus:echo: Viele glauben, in
heiligen Stuhl gepisst. Und wer macht museumsreife Internetpräsenz des Dawkins Buch durchaus plausible
diese Sauerei dann sauber? Ich natür- Vatikans an. Ein Glück, dass uns die Argumentationen gegen Religion zu
lich! dunklen Wolken über Europa nicht lesen. Es hat viele Gläubige staunen
Der Kellner kommt mit einem Teller auch noch angehängt wurden, obwohl lassen.
Currywurst und einer kleinen Portion unser guter Herr da nicht unbedingt Seine Heiligkeit: Und die Bibel hat
Pommes. Dazu gibt es frischgezapftes eine Glanzleistung abgeliefert hat. viele Ungläubige staunen lassen. Wir
Bier und ein Glas Wasser. „Besser als campus:echo: Lesen Sie eigentlich re- kommen so doch nicht weiter!
jedes Stoßgebet”, sagt er und legt sich ligionskritische Bücher? Ein stämmiger Typ im Hintergrund
genussvoll ein Stück Currywurst in Seine Heiligkeit: Ich habe vor Kurzem bittet, mit dem Interview abzuschlie-
den Mund. den Dawkins gelesen. Ein Scheißhau- ßen.
campus:echo: Sie hatten zuvor jedoch fen vor dem Herren! Sowas hat man campus:echo: Letzten April haben Sie
verlauten lassen, sich dem öffentli- doch früher getan, Scheiße in Tüten Ihr fünfjähriges Jubiläum als Papst
chen Druck, dem Zeitgeist, nicht zu verpackt, angezündet und vor irgend- gefeiert. Wie fühlen Sie sich?
fügen. welche Türen gestellt. Seine Heiligkeit: Ich bin nun 83 Jah-
Seine Heiligkeit (kaut erst zu Ende): campus:echo: Sie meinen den „Got- re alt, habe taubenweißes Haar, trage
Ich habe hier einen Laden zusammen- teswahn”? tonnenschwere Kleider, muss mich
zuhalten! Und gegen Blogs, Twitter Seine Heiligkeit: Das ist doch kein ständig mit der Presse herumschla-
und facebook ist selbst der Allmäch- Wahn mehr, der ist geradezu para- gen, darf weder stehlen noch sündi-
tige kraftlos. Seien wir doch ehrlich: noid. Genauso wie der Hitchens, der gen und hatte nie Sex. Was glauben
Die Kirche ist nicht die modernste selbst Mutter Theresa als das Böse Sie denn, wie ich mich fühle?
Institution und ich strahle auch nicht charakterisiert hat. Da fällt mir doch campus:echo: Ihre Päpstlichkeit, wir
unbedingt Frische aus. Wir geben glatt der Jesus vom Kreuz, wenn ich danken Ihnen für das aufschlussrei-
ein gutes Ziel ab für unsere Kritiker sowas lese! che Gespräch.
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30|Tschüss!
ANFECHTBAR?
Drei bis fünf Prozent der Studierenden an deutschen Hochschulen
gehören einer Studentenverbindung an. Doch wer weiß schon, wie es
in diesen Verbindungen, die sich auf teils jahrhundertealte Traditio-
nen berufen, zugeht. Wo verläuft die Grenze zwischen Wahrheit und
Klischee?
von Sandra Schmidt und Julia Orth
„Studentenverbindung“ ist der rationen gibt: Die als gefährlich und
Oberbegriff für die verschiedensten stupide eingestufte Mensur, also der
Arten von Korporationen: Burschen- Fechtkampf mit scharfen Waffen, ist
schaften, katholische Verbindungen, nicht in allen Korporationen Pflicht.
Turnerschaften, Wingolfbund und Die teils starken und gewollten Ver-
Zukunft der Glasbox geblickt werden. viele weitere. Diese Gemeinschaften letzungen, die dabei entstehen kön-
wechslungsreich. Daher darf auf die haben drei elementare Grundprinzi- nen, tragen dennoch nicht zu einem
etwas los und vorallem war es ab- pien, dazu zählen der Lebensbund, die positiven Bild bei. Aus diesem Grund
In der Glasbox war eigentlich immer Fixierung der Traditionen und die hi- wenden sich zum Beispiel die wenigen
hier in Erfurt gastierte. Es zeigt sich: erarchische Mitgliederstruktur. Wäh- Damenverbindungen auch von dieser
Reise quer durch Europa im Februar rend der ersten Zeit als „Fux“ muss Tradition ab, mit dem eindeutigen
der Via Regia“ erwähnt, die auf der der Anwärter lernen, sich der Verbin- Standpunkt: „Wir müssen nicht alles
die Ausstellung „Verborgene Orte an dung anzupassen. Dies ist nicht selten machen, was die Männer machen.“
ler Künstler! An dieser Stelle sei nur mit Schikanen durch ältere Mitglie- Die Studentenverbindung ist eine
nationaler und auch internationa- der verbunden. Dieser Umstand bie- Plattform für Menschen mit den glei-
nicht an die vielen Fotoausstellungen tet eine große Angriffsfläche für Geg- chen Interessen, positiven wie nega-
zu besuchen. Und wer erinnert sich ner von Studentenverbindungen. Als tiven. Es ist nicht zu leugnen, dass
tionstages Schnuppervorlesungen Vollmitglied sind bestimmte Ämter radikalere Korporationen besonders
im Rahmen des Hochschulinforma- zu bekleiden, bis der Status eines „In- auffallen, und teilweise als Maßstab
ne waren, bekamen die Möglichkeit aktiven“ und letztendlich - mit Antritt aller gesehen werden. Der offene
ten Uni-Beutel und die, die noch kei- des Berufslebens - der eines „Alten Rechtsradikalismus und Antisemitis-
erhielten hier die liebevoll eingepack- Herren“ erreicht ist. Der Lebensbund mus mancher Verbindungsmitglieder
Themen fanden statt. Erstsemestler tritt in diesem Zusammenhang in entbehren dabei jeglicher Duldung.
ten und Workshops zu verschiedenen Kraft: Einmal Mitglied, immer Mit- Dennoch stellt die Studentenverbin-
sentierten ihre künstlerischen Arbei- glied. Der Schutz der Jüngeren durch dung einen Ort der Begegnung dar, an
staltungsort genutzt. Studenten prä- die Älteren wird häufig kritisiert, da dem Menschen in einer Gemeinschaft
der Zwischenzeit wurde sie als Veran- dadurch das Selbstbild, die akademi- agieren. Die Verbindung kann eine
ab Juli des Jahres zu sehen sein. In sche Elite zu sein, aufrechterhalten gute Einrichtung für Studenten sein,
nern verhandelt. Das Ergebnis wird und gefördert wird. die Schwierigkeiten haben, in einer
und geprüft, mit potenziellen Part- Die Traditionen werden von den neuen Umgebung schnell Anschluss
terschiedlichsten wurden diskutiert Korporationen gepflegt. So genannte zu finden.
Nutzungskonzepte geführt. Die un- „Comments“, Verhaltensregeln der In jüngster Zeit ist gewalttätiger
renddessen Gespräche über künftige Verbindungen, sind in bestimmten Vandalismus auf Verbindungshäu-
Hinter den Kulissen wurden wäh- Lebenslagen zu befolgen. Das exzessi- ser bekannt geworden. Es stellt sich
am Eingang der Uni. ve, gemeinsame Trinken in der Knei- die Frage, ob dies der richtige Weg
genutzt wird; zu optimal ist die Lage pe spielt zudem eine wichtige Rolle ist, seiner Missbilligung Ausdruck
eben nicht leer steht, sondern sinnvoll als Erziehungsmittel. „Als Student zu verleihen. Hier eröffnet sich ein
gend machen, damit der Gebäudeteil still, bescheiden und kameradschaft- weiteres Spannungsfeld im Themen-
cken. Die Idee: aus der Not eine Tu- lich, aber auch trinkfest! Mit einem komplex Mensch – Gesellschaft. Es
nächsten festen Konzept zu überbrü- Wort: ein Burschenschafter“, wuss- ist folglich schwierig ein solch facet-
te sie von nun an, um die Zeit bis zum te schon der Industrielle Carl Bosch tenreiches Thema einer endgültigen
Marketingabteilung der Uni verwalte- (1874 – 1940). Viele wissen nicht, Wertung zu unterziehen, da die vie-
auszog, stand die Glasbox leer. Die dass Verbindung nicht gleich Verbin- len unterschiedlichen Ausprägungen
mester erinnern sich vielleicht noch) dung bedeutet und es teils gravieren- keineswegs in dieselbe Schublade zu
((

Zeit der Buchladen (die höheren Se- de Unterschiede zwischen den Korpo- verbannen sind.
Doch weit gefehlt! Als vor einiger
gen aller Art.
von Konstanze Zechendorf
te, Dialoge... kurz: für Veranstaltun-
Ausstellungen, Aufführungen, Projek-
heit an. Die Glasbox bietet Raum für Wer im Glashaus sitzt...
deutet eine ereignisreiche Vergangen-
sind. Nur die Aufschrift neben der Tür
noch Ausstellungen im Juni geplant
digungen in den Fenstern, auch wenn

ZWISCHENBILANZ
hängen keine Plakate mit Vorankün-
ihr vorbei: Die Glasbox. Derzeit
der läuft auf dem Weg zur Uni an
eder kennt sie, jeder sieht sie, je-

J EINE GLASSKLARE
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