Vous êtes sur la page 1sur 115

Lizentiatsarbeit – Universität Fribourg

Departement für Gesellschaftswissenschaften


Fachbereich Medien- und Kommunikationswissenschaft
eingereicht bei Dr. Ursula Ganz-Blättler am 3. November 2003

„Sie fragt nach der Kette,


die er in dem Krieg trug,
der eines Tages ausbrechen wird.“
(aus Chris Marker „La Jetee“)

Die Auflösung der linearen Narration im Film

Jean-Luc Froidevaux
Schifflaube 18 – 3011 Bern – Tel.: +41 (0)31 318 88 81 – E-Mail: froidevaux@clipundklar.ch
INHALTSVERZEICHNIS

INHALTSVERZEICHNIS.............................................................................................II

1. EINLEITUNG .......................................................................................................1
1.1. Hinleitung zum Thema und Zielsetzung der Arbeit .............................................................................1

1.2. Aufbau der Arbeit....................................................................................................................................2

2. THEORETISCHE GRUNDLAGEN.......................................................................4
2.1. Definitionen, Begriffe und Konzepte......................................................................................................4
2.1.1. Definitionen .....................................................................................................................................4
2.1.2.. Narratologie und ihr Instrumentarium..............................................................................................6
2.1.2.1. Narratologie in Literatur und Film ..............................................................................................6
2.1.2.2. Was ist eine Erzählung? ..............................................................................................................7
2.1.2.3. Story, Plot und Diegese ...............................................................................................................9
2.1.2.4. Die Untersuchungsdimensionen bei Genette .............................................................................10
2.1.2.5. Alternative Verknüpfungs- und Ordnungssysteme....................................................................12
2.1.3. Exkurs: Drehbuchratgeber..............................................................................................................14

2.1. Angriffe auf die lineare Erzählstruktur im Film.................................................................................18


2.1.1. Kulturphilosophische Angriffe auf die lineare Erzählstruktur im Film ..........................................18
2.2.1.1. Das lineare Denken entsteht und wird wieder in Frage gestellt.................................................18
2.2.1.2. Postmoderne und Schizophrenie ...............................................................................................20
2.2.1.3. Aktive Rezipienten ....................................................................................................................22
2.2.1.4. Offene und geschlossene Texte .................................................................................................24
2.2.2.. Intermediale Angriffe auf die lineare Erzählstruktur im Film ........................................................28
2.2.2.1. Literarische Versuche................................................................................................................28
2.2.2.2. Der Ariadnefaden in der Kunst..................................................................................................31
2.2.3. Technische Angriffe auf die lineare Erzählstruktur im Film ..........................................................34
2.2.3.1. Von der TV-Fernbedienung zur DVD.......................................................................................34
2.2.3.2. Hypertexte und Hyperfiktionen .................................................................................................38
2.2.3.3. Computergames.........................................................................................................................40

2.3. Wie das lineare Medium Film nicht-linear erzählt .............................................................................44


2.3.1. Film wurde schon früh nonlinear ...................................................................................................44
2.3.2. Das Gegen-Kino.............................................................................................................................45
2.3.3. Delinearisierung im kommerziellen Kino ......................................................................................47

3. EMPIRISCHE UNTERSUCHUNG......................................................................50
3.1. Forschungsfragen ..................................................................................................................................50

3.2. Vorgehen und Methode .........................................................................................................................52


3.2.1. Vorgehen........................................................................................................................................52
3.2.2. Zur Wahl der Methode ...................................................................................................................53
3.2.3. Das Korpus.....................................................................................................................................54
3.2.4. Untersuchungsdimensionen ...........................................................................................................57

3.3. Liste.........................................................................................................................................................66
3.3.1. Aufbau der Liste.............................................................................................................................66
3.3.2. Einträge ..........................................................................................................................................67

II
4. SUMMARISCHE ERGEBNISSE........................................................................68
4.1. Einleitende Bemerkungen .....................................................................................................................68

4.2. Realisierte Kategorien ...........................................................................................................................69

4.3. Weitere Zusammenfassung zu Typen ..................................................................................................87

4.4. Bemerkungen zu Funktion und Umfeld der Filme .............................................................................89

5. FAZIT UND AUSBLICK.....................................................................................92


5.1. Fazit ........................................................................................................................................................92

5.2. Ausblick ..................................................................................................................................................93


5.2.1. Weitere potentielle Möglichkeiten der nonlinearen Narration im linearen Medium Film:.............93
5.2.2. Film im Zeitalter seiner technischen Delinearisierung ...................................................................98
5.2.2.1. Einfach zu realisierende Möglichkeiten ....................................................................................98
5.2.2.2. Einige realisierte Beispiele nonlinearer, interaktiver Filme.......................................................99
5.2.2.3. Einige aktuelle Forschungsansätze ..........................................................................................100

6. MEDIOGRAPHIE .............................................................................................104

7. BIBLIOGRAPHIE.............................................................................................108

III
Theoretische Grundlagen

1. EINLEITUNG
1.1. Hinleitung zum Thema und Zielsetzung der Arbeit

Was mich in dieser Arbeit interessiert, ist das Auslotsen der Möglichkeiten, wie Film die
dramaturgischen Konventionen der Darstellung einer linear induzierten Abfolge von
Ereignissen verlassen kann. Ob und wie ein nicht mehr ganz junges Medium infolge
verschiedener kultureller, technischer und medienübergreifender Einflüsse seine
Konventionen neu formuliert. Und wohin sich dieses Medium durch die Erweiterung der
technischen Möglichkeiten entwickeln könnte.
Die drei klassischen Einheiten von Ort, Zeit und Handlung, die Aristoteles für das Drama
postuliert hat, sind im Film nicht mehr sakrosankt. Film baut sich einen eigenen Raum (den
filmischen Raum), kombiniert verschiedene Zeiten und muss auch nicht zwangsläufig bloss
einer Handlung folgen – schon das klassische Kino verfolgt eine Haupt- und eine
Nebenhandlung. Wir kennen aber auch den Episodenfilm, der verschiedene Teilhandlungen
kombiniert, oder den Ensemblefilm, bei welchem viele Personen handeln. Zudem ist auch der
filmische Produktionsprozess nicht ein linearer. Filme werden nicht chronologisch, sondern
nach logistischen Kriterien gedreht und auch die Montage erfolgt (heute auch mit Video)
nonlinear.

Trotzdem funktioniert das klassische Erzählkino (vor allem hollywoodscher Provenienz) nach
dem Muster des stringenten Erzählens einer linear-kausalen Abfolge von Ereignissen in
chronologischer Ordnung, möglichst ohne viele Abweichungen (weil diese dramaturgisch als
retardierende Elemente aufgefasst werden), und vor allem ohne Betonung des Faktums, dass
wir uns in einer Erzählung, einer Fiktion befinden. Insofern ist der Spielraum des klassischen
Erzählkinos ziemlich eng, weil die Illusion der fiktiven Welt aufrechterhalten und die
kognitive Eigenleistung des Zuschauers nicht allzu fest strapaziert werden soll; Film wird dort
verstanden als Rekreation und Entspannung und stabilisiert feste Weltbilder. Es soll damit in
keiner Weise unterstellt werden, dass Filme, die von der linearen Erzählstruktur abweichen
per se bereits der vorherrschenden Ideologie gegenüber kritischer eingestellt sind; zumindest
aber eröffnen sie die Sensibilität für potentiell andere Möglichkeiten und damit auch für
plurale Wahrheiten. Wenn dies auch immer wieder als postmodernes „Anything-goes“
attackiert wird, bei dem es keine gültigen Werte und Verbindlichkeiten mehr geben könne,
denke ich, greift diese Kritik gar zu kurz; verpflichtet dies doch den Rezipienten auch zu

1
Theoretische Grundlagen

Mündigkeit und selbständigem Denken, zu aktivem Auseinandersetzen und Hinterfragen,


oder verleitet ihn manchmal auch einfach nur zum Spielen.

Die Zielsetzung der Arbeit besteht also darin, Möglichkeiten zu erkunden, wie sich das
lineare Medium Film, von seiner unilinearen Erzählweise lösen kann und auch schon gelöst
hat, welche Ansätze schon umgesetzt wurden und welche potentiellen noch auszuprobieren
wären.
Dies interessiert mich aus der Sicht des Produzenten und soll insbesondere auch einen
Ausblick auf zukünftige Gestaltungsmöglichkeiten in interaktiven Medien liefern.

1.2. Aufbau der Arbeit

In einem theoretischen Teil der Arbeit werden verschiedene Grundlagen erarbeitet, die die
Untersuchung nicht-linearer Erzählstrukturen im Film einerseits überhaupt erst ermöglichen,
andererseits diese Untersuchung im kulturellen Denken unserer Zeit verorten. Dafür werden
zuallererst einige Definitionen, die Konzepte der Narratologie und dramaturgische Vorgaben
aus Drehbuchratgebern aufgenommen, die zeigen sollen, was unter einer Erzählung im
Allgemeinen und einer konventionellen filmischen Erzählung im Speziellen zu verstehen ist,
und welche Dimensionen zu deren Verständnis beitragen könnten. Dies soll sich aber auf
einige narratologische Konzepte beschränken, die in direktem Zusammenhang mit der
Linearität der Erzählung stehen, also später im praktischen Teil auch angewandt werden
können, und auch diese werden nur recht knapp beschrieben – die Narratologie als eigene
Wissenschaft hat diese Konzepte natürlich in einer Tiefe elaboriert, die viel weiter geht.1
Weiter werden in diesem theoretischen Teil verschiedene Ansätze diskutiert, die als Angriffe
auf die Linearität des filmischen Erzählens (und Denkens allgemein) betrachtet werden
können. Diese lassen sich unterteilten in kulturphilosophische, intermediale und technische
Angriffe. Eine monokausale Verbindung zwischen technischen Möglichkeiten und
kulturellem Wandel zu postulieren würde dem nicht-linearen gegenseitigen Wechselspiel
wohl nicht gerecht. 2

1
Der Verfasser bedient sich damit wissenschaftlicher Konzepte ausserhalb seines Studienfachs und ersucht fachkundigere
Leserinnen, ihm seine pragmatischen Simplifizierungen zu verzeihen.
2
Umgekehrt besagt die Apparatus-Theorie, dass Technik nie neutral, sondern zuallererst immer sozial ist, und neue
Techniken auch immer neue Ideologien schafft. Vgl. die Arbeiten von Baudry, Metz, Althusser und Lacan zit. in : Shaw,
Jeffrey/Weibel, Peter (Hrsg.): Future Cinema. The Cinematic Imaginary after Film. Karlsruhe/Massachusetts 2003, S. 16/17.

2
Theoretische Grundlagen

Im zweiten, empirischen Teil werden 54 ausgewählte Filme in Kurzform analysiert und durch
Zuschreibung bestimmender Merkmale kategorisiert (die einzelnen Einträge sind in den
Anhang ausgelagert), wobei deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie sich auf die eine
und/oder andere Art von einer rein linearen Erzählweise unterscheiden. Um Aussagen über
mögliche nicht-lineare Erzählstrukturen zu erhalten, werden diese in verschiedenen
Dimensionen untersucht, die im Vorfeld und ad hoc erarbeitet wurden.

Die summarische Auswertung im dritten Teil soll dann die realisierten Möglichkeiten als
Kategorien auflisten und beschreiben und in einer Art Typologie nochmals zusammenfassen
und diese kontextualisieren.

Abgeschlossen wird die Arbeit in einem letzten Teil dann mit einem Ausblick auf mögliche
weitere Umsetzungen filmischer Erzählstrukturen im linearen Medium Film, die von den in
der Auswertung beschriebenen Kategorien extrapoliert werden. Zudem soll ein Ausblick auf
die Möglichkeiten interaktiver, nonlinearer Medien erfolgen, wozu noch einige aktuelle
Forschungsansätze erwähnt werden.

Interessanterweise entspricht zwar die Vorgehensweise beim Schreiben dieser Arbeit ziemlich
dem nicht-linearen Credo des vernetzten, offenen Zugangs. Filme wurden angeschaut,
Sekundärtexte darüber gelesen, in welchen wiederum Zitate aus anderen Texten wichtig
wurden. Gleichzeitig entstanden eigene Assoziationen zu gewissen Themen, denen dann
nachgegangen wurde, und daraus formierten sich neue Merkmale, die sich teilweise ebenfalls
als relevant erwiesen; oder aus einem Gespräch wurden medienfremde Ideen aufgenommen
und weiterentwickelt. Trotzdem liegt das Endprodukt als streng linearer Text vor (allerdings
mit einer Reihe von Fussnoten und Querverweisen). Ich muss mir im Nachhinein die Frage
stellen, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, diesen Entstehungsprozess auch abzubilden und
anstelle eines monostringenten Textes etwa einen Hypertext zu produzieren, der für
verschiedene Zugänge und Lesewege offen wäre. Für mich war diese Erkenntnis jedenfalls
ein weitere Hinweis darauf, dass weder die Entdeckung, noch die Verwertung von
Information linear funktioniert, und alles Linearisieren nur eine Frage der Konvention ist.

3
Theoretische Grundlagen

2. THEORETISCHE GRUNDLAGEN
2.1. Definitionen, Begriffe und Konzepte
2.1.1. Definitionen

Vorgängig soll einmal geklärt werden, was „linear“ bedeutet und welche Dimensionen der
Begriff in Bezug auf Medien und das Erzählen hat.

Linearität und Nonlinearität3

Linear bedeutet nichts anderes als geradlinig, gleichmässig.4

In Bezug auf Raum und Zeit etwa bezeichnet linear also den chronologischen Ablauf, die
Einhaltung physikalischer Gesetzmässigkeiten, entsprechend menschlicher Erfahrungen, dass
die Zeit chronologisch abläuft und Wege zwischen Räumen überwunden werden müssen.

Räumliche oder zeitliche Nonlinearität wäre also als achronologisch zu verstehen, oder als
Fragmentierung oder Verschmelzung der räumlichen Dimension.

Lineare Medien

Als linear bezeichnet man bewegte, zeitgebundene Medien. Bewegung zeichnet sich dadurch
aus, dass von einem zum nächsten Moment eine Veränderung des Ortes vollzogen wird, d.h.
die örtliche Veränderung ist an den Zeitablauf gebunden. Die Bewegung erfolgt aufgrund
einer festgelegten Reihenfolge. Die Aneinanderreihung von statischen Texten oder Bildern ist
noch nicht alleine aufgrund dieser Aneinanderreihung linear. Eine Diashow ist nicht linear,
weil die Abstände zwischen dem Wechsel von statischen Bildern zeitungebunden ist und die
Reihenfolge der gezeigten Bilder nicht unbedingt festgelegt sein muss. Zwar werden Filme
gerne grundsätzlich als linear bezeichnet, da sie einer körperlichen Linearität unterliegen, dem
Filmstreifen, dennoch sagt diese Linearität im Grunde wenig bzw. nichts über den erzeugten
Inhalt aus. So kann etwa ein Standbild erzeugt werden, das statisch ist, aber nicht dadurch

3
Nicht-linear und nonlinear werden in dieser Arbeit als Synonyme verwendet, weil dies in der konsultierten Literatur
ebenfalls so gehandhabt wird und der Verfasser es als nicht sehr sinnvoll anschaut, diese in allen zitierten Stellen durch eine
einheitliche Verwendung zu ersetzen.
4
Der grosse Duden. Bd. 5. Mannheim und Zürich 1974.

4
Theoretische Grundlagen

zustande kommt, dass der Filmvorführer den Projektor anhält, sondern dadurch, dass ein und
dasselbe Bild vervielfacht wird.

Narration

Auf den Begriff der Narration wird in Kapitel 2.1.2 näher eingegangen. Grundsätzlich
versteht man darunter eine Erzählung, es kann aber auch der Akt des Erzählens gemeint sein.

Lineare Erzählung

Bordwell und Thompson definieren „linearity“ in einer Erzählung folgendermassen:

„In a narrative the clear motivation of a series of cause and effects that progress
without significant digression, delays or irrelevant actions.“ 5

Nebst der zeitlichen Dimension der Linearität kann also auch noch eine kausale Dimension
unterschieden werden. Überlegen wir uns weiter, was das Lineare einer Erzählung sonst noch
ausmacht, so kommen wir auf die eingangs erwähnten weiteren Einheiten von Ort und
Handlung sowie auf die Kontinuität von Erzählebene und Perspektive der Erzählung.

Nicht-linear sind demzufolge per Definitionem ex negativo alle Erzählungen, in denen die
räumliche, zeitliche, logische, kausale oder perspektivische Kontinuität aufgehoben wird,
oder mehrere Handlungen oder Erzählebenen miteinander kombiniert werden.6

5
Bordwell, David/Thompson, Kristin: Film Art. An Introduction. 6 Ed. Wisconsin 2001, S. 431.
6
Einige Forscher umgehen den Begriff der nicht-linearen resp. nonlinearen Erzählung bei linearen Medien, wie Buch und
Film, und sprechen etwa von metalinearer Erzählung. Vgl. Brooks, Kevin Michael: Metalinear Cinematic Narrative. Theory,
Process and Tool. Dissertation am Massachusetts Institute of Technology. Massachusetts 1999, S. 33.

5
Theoretische Grundlagen

2.1.2..Narratologie und ihr Instrumentarium


2.1.2.1. Narratologie in Literatur und Film
Geschichten erzählen ist seit jeher ein zentrales Element der menschlichen Kultur, um aus den
Gegebenheiten der Umwelt Sinn zu machen, unabhängig davon, in welchem Medium diese
erzählt werden.

„Das Erzählen ist in seinen Dimensionen der Weltdarstellung und –vermittlung


übergreifender [als das Zeigen], weil es das Gezeigte in Zusammenhänge stellt,
Strukturen aufzeigt, die hinter dem Präsentierten bestehen und dieses bestimmen,
weil es zwischen dem einzelnen Wahrnehmbaren kausale Beziehungen stiftet und
damit Geschichten entstehen lässt.“7

Die Narratologie als Wissenschaft versucht diese Strukturen aus den unterschiedlichsten
Erzählungen herauszukristallisieren und soll hier dazu dienen, etwas über die
Erzählstrukturen in Filmen herauszufinden. Genette verweist darauf, dass sich die
Narratologie in ihren Anfängen8 mit der Geschichte (der Gesamtheit der erzählten Ereignisse)
selbst und erst später auch mit der Erzählung (dem Diskurs, der von ihnen erzählt) resp. der
Narration (als Akt der Erzählung) beschäftigt hat.9 Damit wurden die Theorien der
Erzählforschung, die sich zuallererst an literarischen Stoffen versucht haben, auch für die
Filmanalyse nutzbar.10 Autoren, wie Raymond Bellur suchten nach einem System von
Wiederholungen in der Filmerzählung und argumentierten, dass die Anordnungen von
Bildern auf gewisse Typen narrativer Organisation zurückzuverfolgen sind, die in erster Linie
der Präsentation einer Geschichte dienen und den Fluss an Empfindungen und Bedeutungen
regulieren. Unterschiede zwischen der Literatur und unserem Untersuchungsgegenstand Film
bestehen natürlich, so etwa auch in Bezug auf die in dieser Arbeit zentrale lineare
Eingeschränktheit oder Möglichkeit der Erzählung. Die Filmerzählung verfügt im Vergleich
zur schriftlichen Erzählung etwa durch die 2,5-Dimensionalität11 des Kino-Bildes und der
Kombination von Bild und Tonebene über mehr Möglichkeiten zum Durchbrechen des
Linearen. Zudem lässt sich nebst dem Prinzip der Aneinanderreihung von Bildern in der
vertikalen Montage12 etwa auch die Tiefenmontage 13 für die filmische Erzählung nutzen. Und
Hagenbüchle schreibt:

7
Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart 1996, S. 107.
8
Etwa in den Arbeiten von Vladimir Propp über russische Märchen oder bei Claude Lévy-Strauss über Mythen.
9
Vgl. Genette, Gérard: Die Erzählung. 2. Aufl., München 1998, S. 200.
10
Vgl. die Untersuchungen von Chatman, Bordwell, Branigan, Hagenbüchle und weitere.
11
Die eigentliche Zweidimensionalität des Abgebildeten wird durch Tiefenstaffelung mittels Lichtgestaltung und Gesetzen
der Perspektive kombiniert mit der Dimension Zeit zur vierdimensionalen Raum-Zeit. Vgl. Hagenbüchle, Walter: Narrative
Strukturen in Literatur und Film. Bern 1991, S. 93.
12
Was konventionellerweise als die eigentliche Montage, d.h. das Zusammenkleben von Filmstreifen bezeichnet wird.
13
Einstellung A,B und evtl. C sind im selben Bild sichtbar. Die Bildebenen treten zueinander in Beziehung.

6
Theoretische Grundlagen

„Auch auf der Ebene des sprachlichen Diskurses gibt es Unterschiede zwischen
den beiden Medien [Literatur und Film]. Die wortsprachliche Literatur kann als
lineares System beispielsweise nicht verbal überblenden; die natürliche Situation
eines Mehrpersonengesprächs mit überlappenden Gesprächsteilen kann die
Wortliteratur aufgrund ihres syntaktischen Duktus nur nacheinander darstellen, was
bei direkter Redewiedergabe Folgen bezüglich des dargestellten zeitlichen
Erzählrahmens hat.“14

Gleiches gilt etwa auch für zwei gleichzeitig stattfindende Teilereignisse, wie etwa „Es regnet
und Jacques läuft die Strasse hinunter“, die sprachlich nur nacheinander, im Filmkader aber
simultan erzählt werden können.15
Filme erzählen also – wie Bücher auch – Geschichten, die mittels der Narratologie untersucht
werden können. Welches sind denn nun aber die Kriterien, damit überhaupt von einer
Erzählung gesprochen und dieses Instrumentarium damit auch angewandt werden kann?

2.1.2.2. Was ist eine Erzählung?


Eine recht verbreitete Definition ist die von Bordwell und Thompson, eine Erzählung sei:

„...a chain of events in cause-effect relationship occuring in time and space.“16

Ryan fasst den Begriff sowohl weiter wie auch enger und stellt drei verschiedene zunehmend
engere Definitionen auf.17 Sie sieht Erzählung

• als Repräsentation physischer oder mentaler Ereignisse vertrauter oder verbundener


Teilnehmer in einer zeitlichen Reihenfolge,
• als kausale Interpretation dieser Ereignisse,
• als semantische Struktur, die zusätzlich gewisse formale Anforderungen erfüllt, so
z.B. ein herausragendes Thema, eine Entwicklung, die von Gleichgewicht zur Krise zu
einem neuen Gleichgewicht18 führt und ein Anstieg und Fall von Spannung.19

14
Hagenbüchle, Walter: Narrative Strukturen in Literatur und Film. Bern 1991, S. 90.
15
Ebd., S. 100.
16
Bordwell, David/Thompson, Kristin 2001, S. 60.
17
Ryan, Marie-Laure: Narrative as Virtual Reality. Immersion and Interactivity in Literature and Electronic Media. Baltimore
and London 2001, S. 244.
18
Todorov etwa spricht von den zwei Prinzipien der Narration, Kausalität einerseits und Entwicklung andererseits, die er in
fünf Stufen einteilt; von einem Gleichgewicht, zur Zerstörung des Gleichgewichts, zur Wahrnehmung, dass es eine Störung
des Gleichgewichts gab, zum Versuch, die Störung aufzuheben und zum Wiederherstellen des ursprünglichen
Gleichgewichts. Vgl. Todorov, Tzvetan: The Poetics of Prose. Ithaca, N.Y. 1977, S. 41-58, der Einfachheit halber oftmals
auch einfach wiedergegeben in drei Stufen: Gleichgewicht, Zerstörung des Gleichgewichts und Wiederherstellung des
Gleichgewichts. Vgl. Lacey, Nick: Narrative and Genre. Key Concepts in Media Studies. New York 2000, S.27.
19
Vgl. die Dramaturgiepyramide von Freytag.

7
Theoretische Grundlagen

Den ersten Fall bezeichnet sie als sequentielle, den zweiten als kausale und den dritten als
dramatische Erzählung. Sequentielle Erzählung kommt bereits zustande, wenn willkürlich
eigenständige Lexien20 verknüpft werden, sofern diese medienbedingt nur nacheinander und
nicht miteinander rezipiert werden können – was für das lineare Zeitmedium Film
gewährleistet ist.21 Damit wird also die Narratologie auch für die Fälle nutzbar, in welchen die
Konventionen des klassischen Erzählkinos verlassen werden und die etwa McKee in seinem
Dreieck der Plotstruktur als Antiplot oder sogar als Nonplot22 bezeichnet.23

Genette spricht bereits von einer Minimalerzählung, sobald auch nur eine einzige Handlung,
ein einziges Ereignis vorliegt, weil damit bereits eine Veränderung stattfindet, ein Übergang
von einem Vorher zu einem Nachher. Seine Minimaldefinition ist der Satz: „Ich gehe“ an
dem er genügend Veränderung festmachen kann, damit der Satz als Erzählung bestehen
kann.24

Auch bei Chatman ist der Begriff „narrativ“ in einem weiten Sinn zu verstehen, wenn er
Kommunikationsobjekte in textuelle25 oder nicht-textuelle differenziert, wobei er unter
textuellen alles subsumiert, was deren Rezeption zeitlich kontrolliert, im Vergleich zu
statischen, worunter etwa Gemälde, Statuen und Photographien fallen. Gleich auf der
nächsthöheren Ebene folgt dann die Unterscheidung von Texten in Narrationen und andere
(etwa Beschreibung oder Argument).26

Demnach wären also kausal nicht (eindeutig) verknüpfte oder chronologisch nicht
bestimmbare Ereignisse, die sich aber entwickeln und miteinander in Verbindung stehen,
noch in narratologischen Begriffen fassbar. Das oft angeführte Argument, dass sich
Interaktivität und Narration gegenseitig ausschliessen, geht also von einer Narration im
engeren Sinn aus27 (einer dramatischen, gemäss Ryan), die die aristotelischen Forderungen
nach Gratifikation erfüllen müsse, deren sich ja gerade viele Autoren- und Avantgardefilme
bewusst verweigern.

20
Eine Lexie ist eine Leseeinheit, in Kapitel 2.2.1.3 wird noch näher darauf eingegangen.
21
Ryan 2001, S. 244.
22
Die er als Pragmatiker aber auch noch dem im weitesten Sinn Narrativen zuordnet.
23
McKee, Robert: Story. Die Prinzipien des Drehbuchschreibens. Berlin 2000, S. 69.
24
Genette 1998, S. 202.
25
Im weiteren Verlauf soll an diesem Textbegriff festgehalten werden. Wenn in der Folge also von Texten gesprochen wird,
sind filmische Texte immer mitgemeint, ausser diese würden explizit als literarische o.a. Texte spezifiziert.
26
Chatman, Seymour: Coming to Terms: The Rhetoric of Narrative in Fiction and Film. Ithaca und London 1990, S. 9.
27
Vgl. Kapitel 2.2.3.3.

8
Theoretische Grundlagen

2.1.2.3. Story, Plot und Diegese


Eine weitere zentrale Konzeption in der Erzählforschung ist die Differenzierung zwischen
Fabula und Syuzhet nach Shklovsky, zu deutsch zwischen Geschichte und Fabel, in der
angelsächsischen Variante28 als Story und Plot bezeichnet.

„Story“ ist das, was sich ereignet hat (fiktiv oder real), der Inhalt der Erzählung in
chronologischer Reihenfolge und entspricht dem, was wir in der Semiotik unter Signifikat
(Bezeichnetes) verstehen.29

„Plot“ ist die Art und Weise, wie uns der Autor dieses Ereignis präsentiert30, die Erzählung,
wie wir sie lesen, sehen oder hören, vom ersten bis zum letzten Wort oder Bild - das
Signifikant (Bezeichnende).31

In der Einheit Plot liegt also bereits ein „Beziehungssystem von spezifischer
Sinnträchtigkeit“32. Dazu gehört die Gruppierung in Raum und Zeit und die Bildung von
Phasen. Forster bringt den folgenden Beispielsatz: „Der König starb und dann starb die
Königin“ sei eine Story, zum Plot werde es erst durch die Ergänzung zu: „Der König starb
und dann starb die Königin aus Trauer“.33 Gemäss ihm ist also Kausalität (A führt zu B) eine
Voraussetzung dafür, dass von Plot gesprochen werden kann.34 Das kausale Argument in der
Aneinanderreihung von Bestandteilen der Erzählung sieht Chatman sogar als
erzählungskonstituierend, verweist allerdings darauf, dass der Zuschauer auch den ersten
Satz: „Der König starb und dann starb die Königin“ von sich aus als Kausalzusammenhang
wahrnehmen will, weil er nach Strukturen35 innerhalb von Erzählungen sucht und Elemente
(in diesem Fall etwa die Königin) als kohärent anzusehen versucht (dass es sich um dieselbe
Königin handelt) und daraus schliesst, dass der erste Teil des Satzes mit dem zweiten etwas

28
Der Verfasser wird sich an diese Version halten, weil viele aus dem englischen übersetzte Drehbuchratgeber damit
operieren und es hier ja letztlich um einen „praktischen“ Ansatz geht.
29
Vgl. Todorov 1988, S. 160 und Thwaites et al. 1994, S. 121 zit. in: Lacey, Nick: Narrative and Genre. Key Concepts in
Media Studies. New York 2000, S. 18/19.
30
Chatman unterscheidet zwischen „story“ und „discourse“ und bei ihm ist der „discourse“ die Präsentation des „plots“, was
aber mit einer gewissen Legitimation oftmals auch synonym verwendet wird. Vgl. Chatman, Seymour: Story and Discourse.
Ithaca 1993, S. 19.
31
Ebd.
32
Lämmert, Eberhard: Bauformen des Erzählens. Stuttgart 1955, S. 25.
33
Vgl. Chatman 1993, S. 45 (Hervorhebung durch den Verfasser).
34
Vgl. dazu auch Barthes, Roland: L'aventure sémiologique. Paris, 1985, S. 184, der die strukturalistischen Untersuchungen
von Propp denjenigen der späteren Strukturalisten (Lévi-Strauss, Greimas, Bremond, Todorov) gegenüberstellt. Betont Propp
die Zentralität der Chronologie in der Erzählung, wird diese gegenüber der Kausalität später wieder sekundär, wie schon bei
Aristoteles, der die Tragödie als Einheit der Handlung der Geschichte als Einheit der Handlung und der Zeit versteht. Die
Analyse der Narratologie wird also dechronologisiert und relogifiziert.
35
Als Struktur sieht er im Sinne der Definiton von Piaget etwas das die Kriterien, Abgeschlossenheit, Transformation und
Selbstregulation erfüllt.

9
Theoretische Grundlagen

zu tun habe. Er spricht dabei von verdeckter, impliziter Kausalität.36 Die Unterscheidung
zwischen Story und Plot ist für die vorliegende Untersuchung insofern von Relevanz, als die
Konstruktion des Plots nicht mit der Rekonstruktion der Story identisch sein muss, und wenn
die Linearität des Plots aufgebrochen wird, die Story deswegen trotzdem linear sein kann.

In diesem Zusammenhang ebenfalls von Bedeutung ist der Begriff der Diegese. Damit wird
das Universum bezeichnet, in welchem eine Geschichte spielt und welches gleichzeitig in der
Erzählung präsentiert wird.37 Die einfachste Art der Unterscheidung zwischen intra- und
extradiegetischen Elementen besteht darin, sich zu fragen, ob die Protagonisten der Erzählung
diese Elemente auch wahrnehmen können, oder ob nur wir als Zuschauer dazu in der Lage
sind. So sind etwa Titel und Abspann extradiegetische Elemente des Films, weil diese nur von
den Zuschauern, nicht aber von den Protagonisten wahrgenommen werden können. Sie
gehören zwar zum Plot – weil sie dem filmischen Text beigefügt wurden – nicht aber zur
Story. Umgekehrt sind indirekt angesprochene Ereignisse, die nicht gezeigt werden, zwar
Bestandteil der Story, nicht aber der Diegese.38

2.1.2.4. Die Untersuchungsdimensionen bei Genette


Genette beschäftigt sich in seinem Werk „Discours du récit“ (dt. Die Erzählung)39
systematisch mit den Erzähltechniken des Romans, liefert aber damit auch Teile eines
Instrumentariums, die sich für die Analyse von Filmplots nutzen lassen. So untersucht er
unter anderem die Dimensionen Ordnung, Modus und Ebene.40 Bei der Ordnung geht er auf
verschiedene Formen von Anachronien, also von Dissonanzen zwischen der Ordnung der
Geschichte (Story) und derjenigen der Erzählung (Plot) ein, wie die Prolepse und die
Analepse. Er gibt zu bedenken, dass Anachronie weder ein seltenes noch ein neuartiges,
sondern im Gegenteil eines der traditionellen Mittel der literarischen Narration sei und
verweist etwa auf den In-medias-res41-Beginn in der Illias mit anschliessendem verzögerten
Rückblick auf die Vorgeschichte.42 Zudem bezieht er sich auf Todorov, von welchem er die
Kategorie der temporalen Deformationen, d.h. der Verstösse gegen die chronologische
Abfolge und solche über die Beziehungen (des Ineinandergreifens, des Wechsels, der

36
Vgl. Chatman 1993, S. 30.
37
Vgl. Bordwell/Thompson 2001, S. 61/62.
38
Ebd.
39
Genette, Gérard: Die Erzählung. 2. Aufl., München 1998.
40
Sein exemplarischer Untersuchungsgegenstand ist der Roman „A la recherche du temps perdu“ von Alain Proust.
41
Mitten in die Sache hinein.
42
Vgl. Genette 1998, S. 23.

10
Theoretische Grundlagen

Verschachtelung) derselben übernimmt.43 Die Prolepse bezeichnet „jedes narrative Manöver,


das darin besteht, ein späteres Ereignis im Voraus zu erzählen oder zu evozieren“44 und mit
Analepse werden alle nachträglichen Erwähnungen von Ereignissen bezeichnet, die innerhalb
der Story zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden haben.45 Dieses Erwähnen wiederum
kann ein erzähltes sein, wenn ein Protagonist mündlich oder schriftlich etwa fehlende Teile
der Story nachreicht, es kann aber auch aufgeführt werden.46 Die Analepse ist bestens in Form
des filmischen Flashback, der Rückblende47 bekannt, die sowohl auf der Ebene des
auktorialen Erzählers48 stattfinden kann, wie auch aus der Subjektive eines Protagonisten. Die
Prolepse in Form des Flashforward ist sehr viel seltener anzutreffen, weil sie Ereignisse
vorwegnimmt, die die Protagonisten noch nicht wissen können, und damit Gefahr läuft, die
erzählerische Illusion zu zerstören, was vom konventionellen Erzählkino natürlich nicht
erwünscht ist. So kommt diese zwar auch in Ausnahmefällen als Subjektive vor, wenn der
Protagonist prophetische Eigenschaften aufzuweisen scheint49, ist aber auch in seiner
objektiven Variante selten genug.

Mit Modus geht Genette auf die Möglichkeit ein, etwas mehr oder weniger nachdrücklich und
aus verschiedenen Perspektiven zu erzählen oder zu zeigen. Je nachdem, ob der Autor
jemanden „nur“ von etwas erzählen lässt, oder ob er dies zeigt, rückt dieses von der
Möglichkeits- in die Wirklichkeitsform und je nachdem, ob aus der Perspektive einer
beteiligten oder unbeteiligten Person gesprochen wird (oder einer Mischform, was sehr häufig
eintritt), ist der Rezipient im ersten Fall näher dran, verliert aber gleichzeitig die Übersicht.
Diese beiden Untersuchungsdimensionen könnten hier insofern von Interesse sein, weil Filme
oftmals von ihrer Linearität abweichen, indem sie etwas anderes zeigen als das, wovon der
implizite oder explizite Erzähler spricht, oder weil ein Geschehen aus verschiedenen
Perspektiven gezeigt wird.

Beim Thema der Ebene geht es Genette darum, wie unterschiedliche,


ineinanderverschachtelte diegetische Ebenen zu betrachten sind, wobei sich diese im Film
natürlich technisch viel besser umsetzen lassen als in der Literatur,50 schon weil die

43
Ebd. S. 18.
44
Ebd. S. 25.
45
Ebd.
46
Vgl. Bordwell 1985, S. 78.
47
Lämmert spricht in der Literatur von Rückwendungen und unterteilt diese noch in Rückschritt, Rückgriff und Rückblick je
nach narrativer Funktion. Vgl. Lämmert 1955, S.112-139.
48
Aus der Sicht des Autors und daher in Bezug auf die Story allwissend.
49
Vgl. etwa Don't look now. Nicolas Roeg. VHS, 110 min. England/Italien 1973
50
Vgl. Kapitel 2.1.2.1.

11
Theoretische Grundlagen

verschiedenen formalen Ebenen (Bild, Text, Ton) voneinander getrennt und für
Metaerzählungen und Kommentare genutzt werden können.

2.1.2.5. Alternative Verknüpfungs- und Ordnungssysteme


Einzelne Teile einer Erzählung können entweder „bloss“ in additiver Verknüpfung
miteinander stehen, in korrelativer (sie haben miteinander zu tun, bedingen sich aber nicht)
oder aber eben in konsekutiver (kausaler).51 Vertreter von (konservativen?) Erzähltheorien,
die von der Einheit der Handlung als oberster ästhetischer Forderung ausgehen, billigen der
konsekutiven Verknüpfung den höchsten Grad künstlerischer Wirksamkeit zu, und sprechen
bei abweichenden Formen vom Prinzip der Verrätselung durch Umordnung.52 In Analogie
dazu verläuft die Entwicklung des narrativen Schemas beim Rezipienten während der
Ontogenese53 über verschiedene Teilschemata der Datensammlung und -organisation
unterschiedlicher Komplexität, wie es Branigan darstellt.54 Diese können selbst wiederum als
Alternative oder Ergänzung zur Erzählstruktur (strictu sensu) in der Organisation und zum
Verknüpfen von Filmmaterial angewendet werden:

• ein Haufen als zufällige Sammlung von Daten, die einzig durch die Unmittelbarkeit
der Wahrnehmung, durch die freie Assoziation des Moments vernetzt sind.
• ein Katalog als Sammlung von Daten, die einen gemeinsamen Bezug haben; etwa
Eigenschaften einer bestimmten Person, Objekte in einem bestimmten Raum, aber
auch solche, die zum Beispiel in einer bestimmten Zeitspanne aufgenommen wurden
(was das zeitliche Elemente bereits einbezieht).
• eine Episode als Sammlung der Konsequenzen einer zentralen Situation, zum Beispiel
alles, was einer bestimmten Figur innerhalb einer räumlichen Einheit passiert und was
diese Figur dort tut. Im Vergleich zum Haufen und zum Katalog geschieht in einer
Episode eine Veränderung, eine Entwicklung.55
• eine unfokussierte Reihe als Serie von Ursachen und Wirkungen ohne kontinuierliches
Zentrum. So folgt etwa die Kamera eine Weile der ersten Figur, dann der zweiten,
schliesslich der dritten, wie in „La Ronde“56 oder „Mystery Train“57.

51
Lämmert 1955, Kapitel B.
52
Im Film bezeichnen wir dies als Scharadenfilm, nach der Scharade, dem Worträtsel.
53
Branigan zitiert eine Untersuchung über die Aneignung von narrativen Schemata bei Kindern, die besagt, dass erst im Alter
von etwa sieben Jahren die Struktur einer Erzählung erkannt wird und – für uns besonders interessant - ,dass das Verständnis
für komplexe Erzählstrukturen, insbesondere unterschiedliche Perspektiven, mehrere Erzählstränge und eine zeitlich
verschachtelte Präsentation erst viel später angeeignet wird. Vgl. Branigan 1992, Kapitel 1.
54
Branigan 1992, S. 19/20.
55
Auf die Episode als Spezialfall eines Erzählstranges wird noch später eingegangen. Vgl. Kapitel 3.2.4, Dimension [6].
56
Ronde, La. Max Ophuls. VHS, 95 min. Frankreich 1950.
57
Mystery Train. Jim Jarmusch. VHS, 113 min. USA/Japan 1989.

12
Theoretische Grundlagen

• eine fokussierte Reihe als Serie von Ursachen und Wirkungen mit kontinuierlichem
Zentrum, etwa die kontinuierlichen Abenteuer einer Figur, die Ereignisse, die sich um
ein Objekt oder um einen Ort herum abspielen, oder die Ausarbeitung eines Themas.
• eine einfache Erzählung als Serie von Episoden, die in fokussierter Reihe
zusammengestellt sind. Nicht nur die einzelnen Teile innerhalb der Episoden sind
durch Ursachen und Wirkung verknüpft, sondern auch das kontinuierliche Zentrum
kann sich von Episode zu Episode entwickeln. Das Ende ist erreicht, wenn die
Kausalketten vollständig erklärt sind, und es kann an den Anfang zurückverfolgt
werden. Das entspricht dem, was wir unter geschlossener Erzählung verstehen.

Zeit und Kausalität werden also innerhalb dieser Unterteilung zunehmend linearer und
expliziter.58

58
Vgl. Branigan 1992, S. 19/20.

13
Theoretische Grundlagen

2.1.3. Exkurs: Drehbuchratgeber

Bis in die Zehner Jahre des 20. Jahrhunderts wurde im Kino stärker der Schauwert des neuen
Mediums betont. Mit dem Übergang zum „klassischen Kino“ rückte dagegen die erzählende
Form in den Vordergrund.59 Nebst realen Vorgängen wurden auch gestaltete Abläufe gezeigt,
zum Beispiel Tänze, die für die Kamera inszeniert wurden. Von da war es nur ein kleiner
Schritt zu einer Spielhandlung, die sich dadurch definierte, dass die Auftritte von Personen
Interaktionen zum Inhalt haben, die in kausaler Folge weitere Interaktionen nach sich ziehen.
„In den kurzen, oft nur 40 Sekunden dauernden Filmen werden ‚Handlungskerne’ vorgeführt:
Faust und Mephisto streiten sich, Mephisto löst sich in Luft auf. Robespierre tritt auf in
grosser Pose, unterschreibt ein Papier, wird erschossen.“60 Film in seiner kanonischen Form
orientierte sich in seiner Entwicklung mehr an Roman und Theater, als etwa an Malerei und
Fotographie und übernahm auch deren Regelkanon bis zu einem gewissen Grad; so etwa in
den szenischen Einheiten von Zeit, Ort und Handlung des Theaters oder der raumzeitlichen
Verdichtung des Romans, die zur Montage im Film führte.61 McLuhan weist darauf hin, dass
uns bewusst wird, wie stark der Film als Spule oder Drehbuch mit der Buchkultur verhaftet
ist, wenn wir uns einen Film vorstellen, der auf der Einteilung einer Zeitung aufgebaut ist.62

Die meiste Ratgeber-Literatur für die Entwicklung funktional-effizienter Drehbücher für den
Film63 beruht denn auch auf der Drei-Akt-Struktur des Dramas, wie es seit Aristoteles Poetica
(ca. 330 v. Chr.) besteht: Eine Geschichte soll die Imitation einer Handlung sein, die
abgeschlossen, komplett und von einer gewissen Wichtigkeit ist. Komplett ist etwas, das
einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat.64 Im 1. Akt werden Personen, Konflikt, Zeit und
Ort präsentiert. Im 2. Akt entwickelt sich der Konflikt und es werden unterstützende
Nebenerzählungen eingeführt. Im 3. Akt wird der Konflikt gelöst. Am Ende jeden Aktes steht
eine Klimax (Höhepunkt) oder ein Wendepunkt, der den Fortlauf der Geschichte oder die
Handlung der Protagonisten ändert.65 Gustav Freytag teilt in seinen Dramentheorien den

59
Vgl. Christen, Thomas: Das Ende im Spielfilm. Vom klassischen Hollywood zu Antonionis offenen Formen. Marburg
2002, S. 48.
60
Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart 1996, S. 54.
61
Ein intermedialer Transport, der später auch in umgekehrter Richtung funktionierte, wenn wir an den Gebrauch von
alinearen Verknüpfungen von Erinnerungen, Rückwendungen, Retardierung und Parallelisierung von Bewusstseinsinhalten
im modernen Roman denken.
62
Vgl. McLuhan 1970, S. 276.
63
siehe etwa Field, Syd: Das Handbuch zum Drehbuch. Frankfurt am Main 1991.
64
Und zwar zwingend in dieser Reihenfolge. Vgl. Jean-Luc Godard:”Meine Filme haben einen Anfang, eine Mitte und einen
Schluss, nur nicht unbedingt in der Reihenfolge.” Zit. nach: Tarantino, Quentin in: Gunske 1994, S. 22 zit. in: Nagel, Uwe:
Der rote Faden aus Blut. Erzählstrukturen bei Quentin Tarantino. Marburg 1997, S. 84.
65
Vgl. Armes, Roy: Action and Image. Dramatic Structure in Cinema. Manchester and New York 1994, S. 63-68.

14
Theoretische Grundlagen

zeitlichen Aufbau einer Erzählung in Exposition, Aufschwung, Peripetie, Klimax und


Ausklang.66 Diese Einteilung wird in heutigen hollywoodkonformen Drehbuchratgebern
präzise auf die Minute Film vorgegeben. Ein System mit Zwang zur Linearität, die höchstens
als Unfall aufgegeben wird; so z.B. wenn Mélies,67 indem sich das zu belichtende
Filmmaterial in der Kamera festklemmt, den Stopptrick erfindet oder, dadurch dass ein
Kinooperateur die – notabene als Akte bezeichneten – Filmrollen verwechselt und so ein
bisschen Tarantino68 spielt.

Weiter fordern diese Drehbuchratgeber, dass sich eine Szene kausal aus der vorhergehenden
ergibt und die nächste hervorrufen soll, d.h. die Ereignisse sollen in kausalchronologischer
Linearität angeordnet und nur umgestellt werden, wenn dies unbedingt nötig ist. Auf zwei
häufige Abweichungen von diesem Prinzip geht Eder ein: Erstens auf den Flashback, der
schon bei Genette als Analepse erwähnt wurde, und auf die Parallelmontage, welche zwei
lineare Stränge alternierend erzählt. Beide Ausnahmen wurden früh in der Filmgeschichte
konventionalisiert und stellen längst schon keine Verständnisprobleme mehr dar. Trotzdem
wird deren reduzierter Gebrauch nahegelegt. Zudem wird der Flashback in der Regel über die
Subjektivierung in eine Person gelegt und unterbricht die Linearität der Handlung nicht, weil
sie in eine erzählerische Leerzeit gelegt wird, den die Person für Gedanken nutzen kann.
Trotzdem sind die klassischen Flashback „objektiv“ in dem Sinne, dass sie auch Dinge
erzählen, die der erinnernden Person nicht bekannt sein können, dem Zuschauer aber helfen,
in der Geschichte zu bleiben.69 Bei der Parallelmontage (engl. Crosscutting) wird zwischen
zwei räumlich getrennten aber simultanen Handlungssträngen hin- und hergewechselt. Indem
beim Wechsel zu einer Handlungslinie die Ereignisse der anderen nicht gezeigt werden, kann
die Parallelmontage als elliptischer Zeitraffer wirken.70

In der klassischen Konstruktion71 der Story ist Kausalität also das Hauptprinzip der
Verbindung und diese bestimmt auch die zeitliche Organisation des Plots: die Abfolge,
Frequenz und Dauer der Ereignisse. Meistens besteht der Plot aus einer doppelten
Kausalkette. Die eine folgt dem Überwinden einer Aufgabe in Arbeit, Krieg, bei einer

66
Freytag, Gustav: Die Technik des Dramas 1922 zit. in: Eder, Jens: Dramaturgie des populären Films. Drehbuchpraxis und
Filmtheorie. Hamburg 1999, S. 102.
67
Vor der Zeit dieser Standardwerke natürlich.
68
Vgl. die Analyse von Pulp Fiction. Quentin Tarantino. VHS, 154 min. USA 1994.
69
Vgl. Bordwell 1986, S. 25.
70
Vgl. Eder, Jens: Dramaturgie des populären Films. Drehbuchpraxis und Filmtheorie. Hamburg 1999, Kapitel 7.
71
Metz spricht von der „kohärenten Kodifizierung der grossen Syntagmatik des Kinos“, die zwar – auch wenn er diese als
Sprache mit fester Syntax auffasst – weitaus flexibler ist, weil sie, im Vergleich zur Schriftsprache, nicht ausserhalb des
Kunstsystems Kino existiert und daher auch stärker von den Machern mitgestaltet werden kann. Vgl. Metz 1972, S. 185.

15
Theoretische Grundlagen

Mission etc, die andere folgt einer heterosexuellen Romanze. Der Plot wird in einzelne
Szenen aufgebrochen, die der klassischen Einheit von Ort, Zeit und Handlung folgen, wobei
diese räumlich und zeitlich für sich abgeschlossen, kausal aber offen sind, um die nächste
Szene zu motivieren. Die Szenen beginnen mit einer Exposition72, in der Mitte der Szene
arbeiten die Protagonisten auf ihr Ziel hin, am Ende lösen sie noch bestehende offene
Kausalketten von vorherigen Szenen auf und beginnen neue für die nächsten Szenen.73 Die
Akte bestehen aus einer Verknüpfung von Szenen, die einerseits logisch, andererseits aber
auch überraschend ist, in welcher jede Szene der Erzählung eine neue Richtung gibt. Das
übergreifende Muster ist dasjenige zunehmender dramatischer Spannung, die zu einer Klimax
führt, die logisch, dramatisch und thematisch mit dem Anfang konsistent ist, zu diesem
Zeitpunkt aber noch nicht vorweggenommen werden kann.74 Das Basismodell einer
filmischen Erzählung zeichnet sich also durch Kausalität, Linearität und Geschlossenheit aus.
Ein hoher Grad an Geschlossenheit wird durch das Bauprinzip einer „einfachen Erzählform“
erreicht: Die Konflikte zwischen Zielen und Hindernissen werden bis zum Schluss gelöst, die
Kausalität erlaubt ohne grosse Mühe, der Handlungsentwicklung zu folgen. Am Ende bleibt
keine wichtige Frage offen.75 Oder wie Eder bezüglich der Vorteile der Linearität des Plot-
Aufbaus auf die Wirkungen der Zuschauer meint: „Die Rekonstruktion der Story wird
erleichtert, weil keine weit auseinanderliegenden Ereignisse über längere Zeit im Gedächtnis
behalten und aufeinander bezogen werden müssen; es lässt sich schneller und ökonomischer
erzählen, reflektives Zurücktreten aus der Handlung und Langeweile wird verhindert.“76
Gefordert wird eine Konzentration auf den „main fabula path“, der sich direkt und objektiv
vor den Augen des Zuschauers als „unsichtbarer Beobachter“ entwickelt.77 Der kohärente,
linear vorwärtsdrängende Ereignisstrom wird so selten wie möglich durch Anachronien
unterbrochen, um die „illusionistische“ Bruchlosigkeit nicht zu zerstören.78 Lineares Erzählen
sei die Voraussetzung für Spannung, weil diese dadurch entsteht, dass ein Ereignis dem
Zuschauer (mindestens) zwei mögliche Antworten in Bezug auf die Folgen des Ereignisses
nahelegt,79 von denen eine erwünscht und unwahrscheinlich, die andere unerwünscht und
wahrscheinlich ist.80 Branigan geht davon aus, dass auch die komplexeren Erzählformen vom
Zuschauer in seinem Verstehensprozess auf das Basismodell zurückzuführen versucht
72
Der Einführung von Ort, Zeit und der relevanten Akteure.
73
Vgl. Bordwell, David: Classical Hollywood Cinema: Narrational Principles and Procedures. In: Rosen, Philip (Hrsg.):
Narrative, Apparatus, Ideology. New York 1986, S. 20.
74
Vgl. Armes, Roy: Action and Image. Dramatic Structure in Cinema. Manchester and New York 1994, S. 65.
75
Vgl. Christen 2002, S. 30.
76
Eder 1999, S. 77.
77
Vgl. ebd.
78
Vgl. Branigan 1992, S. 39-40.
79
Vgl. die Ausführungen über den proairetischen Code bei Barthes in Kapitel 2.2.1.3.
80
Vgl. Eder 1999, Kapitel 7.

16
Theoretische Grundlagen

werden, und dabei die zu leistende Eigenaktivität, die Anstrengung grösser wird, je stärker der
Plot von diesem Basismodell abweicht; bis es schliesslich zur Verweigerung, zum vorzeitigen
Abbruch der Filmrezeption kommt.81

Jens Eder schreibt allerdings im Vorwort zu seinem Drehbuchratgeber auch, er habe die
Tendenz zur Veränderung des filmischen Erzählens festgestellt habe, deren dramaturgischer
Aufbau werde verspielter und komplexer, und neue Drehbuchratgeber begännen, ihre Regeln
vorsichtiger und flexibler zu formulieren als die Klassiker.82 Er unterscheidet zudem drei
zeitgenössische kulturelle Muster, die von denen des Mainstreamkinos abweichen: die
Aufklärung über die Veränderbarkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse, wie es das epische
Theater leistet; das Aufzeigen der Kontingenz und prinzipiellen Unfassbarkeit unseres
Daseins, wie im modernen Roman oder im „Kunstkino“, und das ironische Spiel mit den
Versatzstücken der Medienrealität wie im postmodernen Kino.83 Welches sind denn nun diese
Faktoren, die die Linearität der klassischen Filmerzählung „angreifen“?

81
Vgl. Branigan 1992, S. 39-40.
82
Vgl. Eder 1999, S. 2.
83
Vgl. ebd., S. 121/122.

17
Theoretische Grundlagen

2.1. Angriffe auf die lineare Erzählstruktur im Film


2.1.1. Kulturphilosophische Angriffe auf die lineare Erzählstruktur im Film
2.2.1.1. Das lineare Denken entsteht und wird wieder in Frage gestellt

„Mit der Einführung und Verbreitung der Schrift, mit dem Aufreihen von
Buchstaben und dem anschliessenden Lesen, d.h. Entziffern der einzelnen Symbole
eins nach dem anderen („auflesen“) wird die Linearität zum dominanten
Ordnungsprinzip unserer Kultur.“84

Geschichte wird nicht nur erst mittels Schrift aufgezeichnet, auch das Denken in Geschichte,
in chronologisch-kausaler85 Abfolge von Handlungen ist durch die Linearität der Schrift
induziert, Geschichte entwickelt sich irgendwohin, ist teleologisch und macht Sinn.

„Mit der Erfindung der Linearschrift war die eigentliche Geschichte geboren. Weil
die Zeichen der Texte die magische Oberfläche aufrollten, verwandelten sie die
Szenen in lineares Geschehen, und so entstand die lineare, gerichtete,
geschichtliche Zeit. Das existenzielle Klima wurde durch diese Umkodierung von
Oberflächen in Linien radikal verändert, weil das Leben nun nicht länger ein
Kreislauf der ewigen Wiederkehr war, sondern zu einer Serie unwiderruflicher
Augenblicke wurde, welche dramatische Entscheidungen erforderten.“86

Es stellt sich also mit Paul Ricoeur die Frage, ob nicht die konzeptionelle Beziehung
zwischen Erzählung und Zeit verkehrt dargestellt wird, ob wir der Zeit nicht eine (falsche?)
Linearität auferlegen, weil unsere Mythen über das Menschliche als lineare Erzählungen
berichten. Die Art, Geschichten zu erzählen und erzählt zu bekommen, verändert unsere
Wahrnehmung von Zeit und damit unsere Wahrnehmung der Welt. Ein Hinweis darauf wären
vielleicht die abweichenden Zeitkonzepte in oralen Kulturen, wo eher zyklische Auffassungen
vorherrschen. Dort findet die Erzählung in Ansätzen diskursiv und interaktiv statt, eher in
einem Erzählraum als an einem Erzählstrang. Auch im Umgang mit niedergeschriebenen
heiligen Texten zeigt sich dieser Unterschied noch. So geht die hebräische und orientalische
Denkweise etwa in Kurven und konzentrischen Spiralen an eine Botschaft heran,87
währenddessen sich die Bibelgelehrten des Widerspruchs zwischen ihren Methoden und einer
komplexen, in Wechselwirkung stehenden Botschaft zwar bewusst sind, dennoch aber linear

84
Flusser, Vilém: Medienkultur. Frankfurt a. Main 1997, S. 21-40.
85
Wobei McLuhan auf David Hume verweist, der bereits im achtzehnten Jahrhundert gezeigt hat, dass sich aus einer blossen
Aufeinanderfolge kein Kausalitätsprinzip ergibt. “Dass etwas auf etwas anderes folgt, heisst noch gar nichts. Nichts folgt aus
dem Aufeinanderfolgen ausser einer Veränderung.” Vgl. McLuhan, Marshall. Die magischen Kanäle. Understanding Media.
Frankfurt a. Main 1970.
86
Flusser 1997, S. 135.
87
Vgl. etwa auch die Ausführungen über die Notation von Botschaft und Kommentaren, Verweisen, Anmerkungen im
Talmud. Fendt, Kurt: Offene Texte und nicht-lineares Lesen. Hypertext und Textwissenschaft. Inauguraldissertation der
philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern. Bern 1993, S. 94.

18
Theoretische Grundlagen

vorgehen.88 Zwar können in oralen Erzählungen wiederkehrende Figuren und Situationen


ausgemacht werden, wie Vladimir Propp anhand seiner Studien von russischen Märchen89 und
ihren 31 narrativen Schemata, oder Joseph Campbell anhand seiner Untersuchung der
Mythen90 belegen, diese konnten aber im Verlauf der mündlichen Erzählung immer wieder
neu kombiniert, je nach Reaktion der Zuhörer situativ variiert und modifiziert werden. Eine
Möglichkeit, die mit der linearen Aufreihung von Buchstaben in ein feststehendes Schema
gezwängt und vom Prinzip her auch bei der kinematographischen Aufreihung von
Einzelbildern, Einstellungen und Szenen beibehalten wurde. Lacey übernimmt die
Gegenüberstellung oraler und literarischer Kulturen bei der Präsentation von Erzählung von
Fiske und Hartley, und bezeichnet das Orale als episodisch, mosaikartig und dynamisch,
während das Literarische sequentiell, linear und statisch sei.91 Schon früh in unserer
Kulturgeschichte wurden Erzählungen, die vorher mündlich variiert wiedergegeben wurden
(z.B. Illyas, Odyssee), nicht nur in einer linearen, schriftlichen Reihenfolge, sondern auch in
fest definierten Erzählstrukturen fixiert.

Die Konstruktion damit verbundener linearer, kausaler, mechanischer Weltbilder dient


letztlich der Erschaffung einer stabilen Umwelt, in der aus den Erfahrungen der
Vergangenheit einigermassen verlässliche Erwartungen für die Zukunft abgeleitet werden
können, um eine Orientierung für das Handeln in der Gegenwart zu erhalten.

„Vielleicht müssen wir aber von diesen vertrauten Weltbildern wieder Abschied
nehmen, wenn wir die komplexen und nicht-linearen Systeme, die wir
offensichtlich sind, die uns umgeben und die wir heute in immer grösserer
Komplexität auch wahrnehmen können, sinnvoll beschreiben wollen. Jean Piaget
erwähnt als Beispiel, wie wir unsere ersten kausalen Weltbilder konstruieren, das
Kind, das sich an der Tür wehmacht und daraufhin die Tür schlägt mit den Worten:
‚Du böse Tür!’“92

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts – zeitgleich also mit der kinematographischen Frühgeschichte
– kam das positivistische Denken und damit auch die teleologische Rationalität unserer Kultur
in eine Krise. Ausgelöst durch Erkenntnisse aus der Wissenschaft, dass Zeit relativ ist
(Relativitätstheorie), unterschiedliche Positionen des Beobachters das Beobachtete be-
einflussen (Heisenberg’sche Unschärferelation), und der Mensch nicht rational allein handelt,

88
Vgl. McLuhan 1970, S. 35.
89
Vgl. Propp, Vladimir: Morphologie des Märchens. München 1972.
90
Vgl. etwa die Untersuchungen zur Heldengestalt in Campbell, Joseph: The hero with a thousand faces.  New York 1949.
91
Vgl. Lacey 2000, S. 86.
92
Krieg, Peter: WYSIWYG oder das Ende der Wahrheit. Dokumentarfilm in der Postmoderne. In: Felix, Jürgen (Hrsg.): Die
Postmoderne im Kino. Ein Reader. Bamberg 2002, S. 150.

19
Theoretische Grundlagen

sondern von seinem Unterbewussten gesteuert wird (Freuds Traumdeutung93) wurde der
Laplac’sche Dämon94 des Positivismus aus der Welt vertrieben.

„Die Diskontinuität ist, in den Wissenschaften wie in den Alltagsbeziehungen, die


Kategorie unserer Zeit: die moderne westliche Kultur hat die klassischen Begriffe
von Kontinuität, universellen Gesetzen, Kausalbeziehungen, Vorhersagbarkeit der
Phänomene endgültig aufgelöst.“95

An die Stelle von eindeutigen Ursachen und Wirkungen traten Möglichkeitsfelder96 in einem
nicht-euklidischen Raum, in welchem Abzweigungen durchaus auch wieder zusammenführen
können. Es entstanden entweder partizipatorische Universen, die erst durch die Teilnahme
geschaffen werden, oder „Pluriversen“, wo jedes sich durch die Beobachtung spaltende
Phänomen eine Vielzahl paralleler Welten erzeugt.97

2.2.1.2. Postmoderne und Schizophrenie


Aber nicht nur die allgemeingültigen Gesetze, sondern auch die grosse, übergeordnete
Geschichte, die „grand narrative“, die Meta-Erzählung, wurde später in der Postmoderne in
Frage gestellt und mehrere kleine Geschichten an deren Stelle gesetzt.98 Der Charakter von
Kultur wird beschrieben, als ein sprunghafter, konfliktreicher Pluralismus, der
spannungsgeladene Umgebungen schafft, die einen Einfluss haben, sowohl auf die
Konstruktion von Vorstellungen, als auch von den Subjekten, die mit ihnen interagieren.
Jameson stellt in diesem Zusammenhang die Frage nach der Darstellung von Geschichte
(Histoire), ob es eine angemessene erzählerische Rahmenkonstruktion geben könne, in
welcher sich Geschichte wiedergeben liesse.99 Die poststrukturalistischen Philosophieansätze,
etwa der von Deleuze geprägte Begriff des „schizophrenen Textes“ oder Derridas

93
In diesem Zusammenhang ist interessant zu erwähnen, dass Freud die Träume als Erzählungen anschaut, die nonlinear
funktionieren, weil alle Elemente gleichzeitig präsent sind – wie er an dem berühmten Beispiel des Traumes vom Wolfmann
exemplifiziert, und gleichzeitig Mühe bekundet, diese in die lineare Form seiner Aufzeichnungen zu transkribieren. Vgl.
Weinbren, Grahame: In the Ocean of Streams of Story. In: MFJ,1995, No. 28.
94
Dieser besagte, dass sich bei bekannter Position, Richtung und Geschwindigkeit einzelner Teile die Bewegung des
gesamten Universums vorausberechnen liesse.
95
Eco 1996, S. 214.
96
Der Feldbegriff steht in der Physik für eine neue Auffassung von Ursache und Wirkung, die nicht mehr eindeutig, sondern
als komplexes Interagieren von Kräften aufgefasst wird. “Der Begriff der Möglichkeit ist ein philosophischer Terminus, der
eine ganze Tendenz der zeitgenössischen Wissenschaft widerspiegelt: das Abgehen von einer statischen und syllogistischen
Auffassung der Ordnung, die Offenheit für eine Plastizität persönlicher Entscheidungen und eine Situations- und
Geschichtsgebundenheit.” Vgl. Eco, Umberto: Das offene Kunstwerk. (7. Aufl.). Frankfurt am Main 1996, S. 48.
97
Vgl. Lischka, Gerhard Johann/Weibel Peter: Polylog. 1989. Http://www.aec.at/20jahre/archiv/19891/1989_065.html
(24.07.2003), S. 15.
98
Dies führte u.a. auch zur Ansicht, Wissenschaft generell und insbesondere die Narratologie seien auch nur Geschichten
unter anderen. Die Struktur in Erzählungen entstehe erst eigentlich dadurch, dass die Narratologie deduktiv an die Texte
herangehe und danach suche.
99
Vgl. Jameson, Frederic. Das politische Unbewusste. Literatur als Symbol sozialen Handelns. Reinbek bei Hamburg 1988,
S. 15-18.

20
Theoretische Grundlagen

Dekonstruktion100, weisen derartige „Totalisierungen“ im Namen von Differenz, Fluss,


Dissemination und Heterogenität entschieden zurück.101 Im Rahmen dieser Debatte wird
vermehrt auch die diachrone Achse in der Textkonstruktion berücksichtigt; d.h. je nach
Anordnung der Zeichen, ändert der Text seine Bedeutung(en) und entzieht sich damit jeder
Einheitlichkeit. „Struktur kann nicht mehr von Bedeutung(en) unterschieden werden.“102
Zudem zitieren sich die einzelnen Texte zunehmend gegenseitig und brechen damit ebenfalls
ihre Linearität auf.

Erzählungen konstruieren aber nicht nur Sinn, wie anfangs schon bemerkt wurde, sondern
auch Identität. Persönliche Identität ist nicht in unseren Körpern festgemacht, sondern wird
konstruiert, indem wir uns durch markante Eckpunkte unserer Biographie von anderen
unterscheiden, eine eigene Geschichte am laufen erhalten. Oder um mit Richard Rorty zu
103
sprechen: „Der Mensch erschafft sich schreibend selbst.“ Schizophrenie wird als das
Auflösen der Einheit einer Person diagnostiziert und der poststrukturalistische Psychoanalyst
Jacques Lacan versteht dies als Zusammenbruch im zeitlichen Ablauf von Bedeutungen, einer
Unfähigkeit, die Linearität der Dinge aufrecht zu erhalten. Um „normal“ zu sein, müsse man
ein lineares Konzept von Zeit haben, nicht zuletzt deshalb, weil dies als Basis für Schuld und
moralisches Handeln gilt, wie filmische Erzählungen wie „Slaughterhouse Five“104 zeigen,
denen gerade dies fehlt.105 Deleuze und Guattari sehen den Verlust einer zeitlichen Abfolge
und das damit verbundene schizophrene Erlebnis als bezeichnend für die postmoderne Kultur,
als Normalfall, der denjenigen des kontrollierten Ablaufs abgelöst hat. Die Interpretation
eines Textes findet nicht mehr linear von der Vergangenheit in die Zukunft statt; Zeit
kollabiert in ein permanentes Präsens, das stets alle Möglichkeiten potentiell enthält. Currie
vergleicht die Situation mit dem Kaufakt in einem Supermarkt, wo der zeitliche Aufwand auf
ein Minimum komprimiert wird und wir uns andauernd für ein Produkt entscheiden müssen,
nur dass wir bei Texten zwischen unterschiedlichen Bedeutungen, Rollen und psychischen
Zuständen wählen können.106 Dies hat auch mit der spielerischen Funktion des postmodernen
Textes zu tun: Stellte der moderne Text epistemologische Fragen nach der Möglichkeit der
100
Der Dekonstruktivismus schlägt vor, einen Text, der von einem Autor mit seinem jeweiligen Hintergrund, seiner
Biographie, konstruiert wurde, zu zerlegen und durch den Leser mit unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlicher
Biographie zu rekonstruieren – es geht also um die subjektive Aneignung des Textes. Die Dekonstruktion ist gleichzeitig
Konstruktion wie auch Destruktion eines Sinnes, ein Textanalyseverfahren, das im Gegensatz zur Hermeneutik nicht von
einer reproduzierbaren Sinneinheit ausgeht, im Gegenteil den Nachweis erbringen will, dass – und vor allem: wie – ein Text
seine Bedeutung selbst hinterfragt, durchkreuzt und gerade mit solchen Paradoxien Sinn schafft.
101
Vgl. Lutter/Reisenleitner 2002, S. 65.
102
Ebd.
103
Vgl. Currie, Mark: Postmodern Narrative Theory. London 1998, S. 101.
104
Slaughterhouse Five. George Roy Hill. VHS, 104 min. USA 1972.
105
Vgl. Currie 1998, S. 103.
106
Vgl. ebd., Kapitel 5.

21
Theoretische Grundlagen

Erkenntnis der Welt in den Vordergrund, so wird der postmoderne zwar nicht die Welt als
Spiel ansehen, aber Texte über die Welt in Spielform107 dazu benutzen, verschiedene
Entwürfe und Identitäten auszuprobieren.108 Es entsteht ein grundlegender Zweifel an
übergeordneten Konzepten wie Objektivität, Kausalität, Subjekt, Geschichte und
Fortschritt.109 Also kann auch die klare, einheitliche, abgeschlossene, lineare Erzählung im
Film nicht länger bestehen.

„Postmoderne Filme haben sich auch von den utopischen und aufklärerischen
Zielsetzungen des modernen Films verabschiedet. Sie bilden keinen linearen
Prozess der Veränderung mehr ab, sondern bewegen sich stets in mehrere
Richtungen gleichzeitig [...]. Das Kino [...] beschreibt Beziehungen in immer neue
Vernetzungen110 hinein. Es entwickelt offene ästhetische Systeme, deren Strukturen
für den Zuschauer leicht nachzuvollziehen sind, sich aber immer weiter entwickeln
(und daher sozusagen die ‚Mitarbeit’ des Zuschauers111 brauchen).“112

2.2.1.3. Aktive Rezipienten


Durch diese Mitarbeit des (allgemeiner bezeichneten) Lesers hat der Begriff der Lektüre in
der Literatur-, Kunst- und Filmwissenschaft der letzten 30 Jahre eine neue Bedeutung
erhalten. Lesen meint nicht mehr nur das Entziffern, Decodieren und schliesslich Wiederholen
in sich vollständiger, lesbarer Texte, sondern die konstruktive Wahrnehmung und aktive
Verknüpfung von Unzusammenhängendem, Widersprüchlichem, Unlesbarem zu einer Fläche,
einer Textur, einem Rhizom113.114
Ryan erwähnt einen Cartoon, den sie in der New Yorker-Tageszeitung gesehen hat: Ein Mann
sitzt am Bett seiner Tochter und hält ein Buch in der Hand, darunter steht geschrieben: „Stell
nicht so viele Fragen, sonst spiele ich in Zukunft wieder eine Kassette ab.“ Der Unterbruch
des Erzählens einer linearen Geschichte stellt für den Vater eine Retardierung im abendlichen
Ritual dar, dessen er schon müde ist: Für die Tochter hingegen sind Rückfragen und
Anmerkungen nicht nur eine Möglichkeit, länger wach zu bleiben, sondern auch essentiell für
die Aneignung des Textes.115

107
Vgl. dazu Kapitel 2.2.3.3.
108
Vgl. Ryan 2001, S. 198.
109
Vgl. Petersen, Christer: Jenseits der Ordnung. Das Spielfilmwerk Peter Greenaways. Strukturen und Kontexte. Kiel 2001,
S. 108.
110
Vgl. die Ausführungen über Hypertext in Kapitel 2.2.3.2.
111
Vgl. die Ausführungen über aktive Rezipienten im folgenden Kapitel.
112
Seesslen, Georg: David Lynch und seine Filme. Marburg 2000, S. 127/128.
113
Der Begriff Rhizom als Textstruktur wurde von Deleuze und Guattari geprägt: Es handelt sich dabei um ein Netz, in
welchem jeder Punkt mit jedem anderen verbunden ist.
114
Vgl. Binczek, Natalie/Rass, Martin (Hrsg.): Sie wollen eben sein, was sie sind, nämlich Bilder. Anschlüsse an Chris
Marker. Würzburg 1999, S. 45.
115
Vgl. Ryan 2001, S. 204.

22
Theoretische Grundlagen

Barthes erweitert den traditionell strukturalen Zugang zum Text um die Dimension des
Lesers, indem er zwischen den konventionellen Texten (er nennt diese die lesbaren Texte)
und den schreibbaren Texten unterscheidet, bei welchen der Leser zur aktiven Partizipation,
zur Mit-Autorschaft angehalten, und somit vom Konsumenten zum Produzenten wird. Der
klassische, „lesbare“ Text ist kontinuierlich, vollständig und zu einem kohärenten Ganzen
integrierbar; der „schreibbare“ Text dagegen enthält unendlich viele Möglichkeiten und ist
offen gegenüber dem Spiel mit Bedeutungen und Unterschieden. Gemäss Barthes haben alle
Erzählungen gewisse organisatorische Strukturen gemeinsam, die unser Lesen von Texten
beeinflussen, aber jede Erzählung setzt diese individuell zusammen. Statt dies als
Einschränkung zu empfinden, sollten wir diese Pluralität an Codes als Einladung ansehen,
einen Text so zu lesen, dass alle seine vielfältigen Bedeutungen und Konnotationen
aufscheinen. Statt einen Text seines linearen Plots wegen zu lesen oder sich von Genre oder
zeitlicher Abfolge einschränken zu lassen, plädiert Barthes für einen „schreibenden“ Zugang
zu Texten. Der „schreibende“ Zugang bedeutet, dass wir dem Text während des Lesens selber
Bedeutung geben, indem wir Entscheidungen treffen über dessen Genre und Ideologie, bevor
sich dieser seiner potentiellen Pluralität von Zugängen, seiner Offenheit und der sprachlichen
Unendlichkeit entzieht. Barthes zeigt uns anhand seiner Analyse der Kurzgeschichte
„Sarrasine“ von Honoré de Balzac116, wie gross die Möglichkeiten und Bedeutungen einzelner
Sätze sein können, indem er diese auf fünf elementare Codes zurückführt, wovon sich zwei –
der hermeneutische und der proairetische Code – mit dem zeitlichen und kausalen Verlauf der
Geschichte befassen.

Der hermeneutische Code verweist auf alle Elemente einer Geschichte, die nicht erklärt
werden und daher als Rätsel bestehen, beim Leser Fragen aufwerfen, die nach einer Erklärung
verlangen. Die meisten Geschichten halten Details zurück, um den Effekt der Auflösung der
diegetischen Wahrheit am Schluss zu erhöhen. Wir neigen dazu, von einer Geschichte nicht
befriedigt zu sein, bis alle Ungereimtheiten geklärt sind. Der Text operiert mit bewussten
Abweichungen von der Wahrheit, mit Mehrdeutigkeiten, partiellen und aufgeschobenen
Antworten und dem Eingeständnis von Unlösbarkeit, um das Rätsel aufrechtzuerhalten.
Bestes Beispiel dafür ist natürlich der Krimi, dessen ganze Erzählung auf den
hermeneutischen Codes zurückzuführen ist; wir werden Zeuge eines Verbrechens und die

116
Vgl. Barthes, Roland: S/Z. Frankfurt am Main 1976.

23
Theoretische Grundlagen

Frage nach dessen Auflösung, nach der Rekonstruktion der Story, bestimmt den weiteren
Ablauf des Plots.

Der proairetische Code verweist auf das andere bedeutende Prinzip der Strukturierung, das
Interesse oder Spannung erzeugt. Er wird auf sämtliche Handlungen und Ereignisse
angewandt, die weitere Handlungen und Ereignisse implizieren. Wenn zum Beispiel ein
Revolverheld seine Pistole auf einen Gegner richtet, sind wir gespannt, ob er diesen erschiesst
oder selber verletzt wird. Die Spannung wird hier also durch die Handlung selbst erzeugt.
Dies entspricht auch wieder dem Grundprinzip, dass wir von jeder Ursache auch eine
Wirkung erwarten, den Text also nach kausal-logischen Konventionen lesen „wollen“.117

Barthes sieht den Text nicht als Struktur von Bedeutetem, sondern als Galaxie von
Bedeutendem, in welchem viele Netze miteinander interagieren, ohne Anfang und Ende;
reversibel und mit unzähligen Eingängen, keiner wichtiger als der andere.118 Ein „schreibbarer
Text hat viele Ein- und Ausgänge und es gibt keine Notwendigkeit mit dem Anfang zu
beginnen und bis zum Ende fortzufahren. Barthes will zeigen, wie das, was wir
traditionellerweise unter der Konstruktion des Plots verstehen eigentlich ein retroaktiver
Prozess ist. Dazu bricht er den Text in Fragmente auf, welche er Lexien – Leseeinheiten –
nennt und spricht vom Handhaben und Unterbrechen, vom Wiederlesen, das einen Text aus
seiner internen Chronologie herauslösen, die eindeutige und lineare Lesart aufbrechen und ihn
gegenüber verschiedenen Zugängen öffnen soll. Der Leser wird zu einem aktiven Leser, der
den Text auf unterschiedliche Arten realisieren kann. Der Text wird zu einem offenen
Gewebe mit Sinnpotential.119

2.2.1.4. Offene und geschlossene Texte


Eco zeigt in seinem Werk „Das offene Kunstwerk“120 einerseits diese grundsätzliche
Offenheit eines Werks, die Mehrdeutigkeit seiner Botschaft auf, andererseits attestiert er den
modernen Künstlern eine absichtliche Offenheit bei dessen Konstruktion, eine
Auseinandersetzung mit der – wie er es nennt – nicht endgültigen, aber fruchtbaren
Unordnung, die aus dem Zerbrechen einer traditionellen Ordnung und der damit
einhergehenden Absage an eine objektive Struktur der Welt hervorgetreten ist. Dies wäre also
117
Vgl. Kapitel 2.1.2.2.
118
Barthes 1976 zit. in: Fendt, Kurt: Offene Texte und nicht-lineares Lesen. Hypertext und Textwissenschaft.
Inauguraldissertation der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern. Bern 1993, S. 130.
119
Vgl. Fendt, Kurt: Offene Texte und nicht-lineares Lesen. Hypertext und Textwissenschaft. Inauguraldissertation der
philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern. Bern 1993, S. 131.
120
Eco, Umberto: Das offene Kunstwerk. 7.Aufl., Franfkurt am Main 1996.

24
Theoretische Grundlagen

als Einladung zu verstehen, zusammen mit dem Autor das Werk zu machen, sei es bei
„Kunstwerken in Bewegung“121 im physischen Sinn oder allgemeiner im Akt der Perzeption
durch ständige Neuknüpfung122 von inneren Beziehungen, oder auch „nur“ durch das
Herantragen unterschiedlicher Lesarten123 – persönlicher Perspektiven, Geschmacks-
richtungen und Ausführungen.

„Da die modernen Künstler sich bei der Realisierung dieses Wertes [Offenheit]
häufig an Idealen von Informalität, Unordnung, Aleatorik, Unbestimmtheit der
Ergebnisse orientieren, wurde auch versucht, das Problem einer Dialektik von
‚Form’ und ‚Offenheit’ zu formulieren: also die Grenzen zu bestimmen, innerhalb
derer ein Kunstwerk die grösste Mehrdeutigkeit verwirklichen und vom aktiven
Eingriff des Konsumenten abhängen kann, ohne damit aufzuhören, Kunstwerk zu
sein. Wobei als ‚Kunstwerk’ ein Gegenstand mit bestimmten strukturellen
Eigenschaften gelten soll, die den Zugang der Interpretation, die Verschiebung der
Perspektiven, zugleich ermöglichen und koordinieren.“124

Und dabei sieht Eco im offenen Kunstwerk einige Tendenzen der modernen Wissenschaft
repräsentiert, etwa die Bezugnahme auf ein Raum-Zeit-Kontinuum zur Erklärung der Struktur
von Joyces Universum, oder das „Möglichkeitsfeld“125, als Bezeichnung für das Wesen der
Kompositionen von Pousseur. Ob diese „Flucht vor der sicheren und festen Notwendigkeit
und diese Tendenz zu Mehrdeutigkeit und Unbestimmtheit“126 als Krise unserer Zeit oder eher
als positive Möglichkeit zur ständigen Erneuerung der Lebens- und Erkenntnisschemata, als
Erweiterung der Horizonte oder als beides zusammen angesehen werden soll, ist für Eco nicht
klar zu beantworten, er favorisiert jedoch eine Interpretation, derzufolge die moderne Kunst
die Möglichkeit zu einem pädagogischen Instrument mit befreiender Funktion darstellen
könnte. Indem das offene Kunstwerk die Vergänglichkeit und das Zerbrechen von Modellen
und Schemata zu ihrem eigenen Schema macht, würde sie dem Individuum die Möglichkeit
geben, aus dem auszubrechen, was er soziale Krankheiten, wie Konformismus, Herdentrieb
und Vermassung als Folge der Übernahme von Normen der „guten Form“ auf allen Ebenen,
nennt.127 Jedenfalls prägt sich dadurch eine Kultur aus, für die gegenüber dem Universum der
wahrnehmbaren Formen und interpretativen Operationen die Komplementarität
unterschiedlicher Anschauungsweisen und Lösungen möglich ist; die Rechtfertigung einer

121
Söke Dinkla spricht in diesem Zusammenhang vom “flottierenden Kunstwerk”, siehe auch Kapitel 2.2.2.2.
122
Eine Analogie zum Konzept des Hypertextes (Kapitel 2.2.3.2) mit den verbindenen “Links” liegt nicht allzu fern. – Leider
lässt sich hier aber kein physischer “Link” zum erwähnten Zielort herstellen.
123
Vgl. auch die Ansätze der Cultural Studies, die dieses Konzept auf kulturelle und subkulturelle Gruppen ausweiten.
124
Eco 1996, S. 8.
125
Vgl. die Ausführungen über Möglichkeitsfelder in Kapitel 2.2.1.1.
126
Eco 1996, S. 16.
127
Vgl. ebd., S. 152.

25
Theoretische Grundlagen

Diskontinuität der Erfahrung, die jetzt anstelle der konventionalisierten Kontinuität als Wert
aufgefasst wird.
Nach Eco besteht der Anspruch des modernen Autors darin, Modelle organisierter Unordnung
in ein Zeichensystem einzuführen, um dessen Informationsmöglichkeiten zu erhöhen.128 Er
kann nicht alle Regeln des Zeichensystems ausser Kraft setzen, weil sonst keine
Verständigung mehr zustande käme, er beschränkt sich aber auch nicht darauf nur innerhalb
der Regeln zu funktionieren und seine Originalität auf den Inhalt zu beschränken, wie dies die
klassische Kunst tat. Die Diskontinuität des Weltbildes wird also vom offenen Kunstwerk
nicht nur erzählt, sondern repräsentiert, und in dem Sinne lassen sich Form und Inhalt
schlecht trennen.

Hingegen differenziert Eco in Anlehnung an Fergusson und Gouhier zwischen Handlung und
Aktion einer Erzählung: Die Handlung als äussere Organisation der Fakten, die dazu dienen,
die tiefere Struktur, die Aktion, sichtbar zu machen.129 So bringt er das Beispiel des
„Oedipus“, dessen Handlung schnell erzählt ist: Oedipus forscht nach den Ursachen der Pest
und blendet sich, nachdem er entdeckt hat, dass er der Mörder seines Vaters und der Gatte
seiner Mutter ist. Die Aktion aber spielt sich auf einer tiefer liegenden Ebene ab und betrifft
das komplexe Zusammenwirken von Schicksal und Schuld. „Die Handlung ist völlig
eindeutig, die Aktion kann die Tönung von tausend Mehrdeutigkeiten annehmen und für
tausend Deutungsmöglichkeiten offen stehen.“130 Offene Kunstwerke reduzieren die
Handlung zugunsten der Aktion, des Themas in allen erzählenden Gattungen, in den Büchern
von Alain Robbe-Grillet, dem Theater von Ionesco und Beckett und in den Filmen von
Antonioni.

„In der Ablehnung der Handlung realisiert sich die Anerkennung der Tatsache,
dass die Welt ein Geflecht von Möglichkeiten ist und dass das Kunstwerk diesen
Charakter der Welt wiedergeben soll.“131

Eco betont, dass das Leben nicht offen, sondern zufällig ist und dass man, um aus dieser
Zufälligkeit ein Geflecht von tatsächlichen Möglichkeiten zu machen ein
Organisationsmodell einzuführen hätte. „Man muss also die Elemente einer Konstellation
auswählen, zwischen denen [...] mehrwertige Zusammenhänge hergestellt werden sollen.“ 132

128
Vgl. Eco 1996, S. 150.
129
Diese Unterteilung hat selbstverständlich nichts mit der narratologischen Unterscheidung zwischen Story und Plot zu tun,
die ja beide auf die Erzählung einer Geschichte im engeren Sinn abzielen. Vielmehr könnte man Aktion mit dem Thema
eines Werks gleichsetzen.
130
Eco 1996, S. 200.
131
Eco 1996, S. 201.
132
Ebd., S. 203.

26
Theoretische Grundlagen

Gleichzeitig optiert Eco für eine neue Art, aufeinanderfolgende Ereignisse als nicht
notwendigerweise zusammenhängend133 anzuschauen, wo doch heute die Konvention besteht,
dass Ereignisse, die aufeinanderfolgen, automatisch miteinander zu tun hätten.134 In diesem
Sinne spricht er sich für das „Setzen des Nichtzusammenhangs, des ungewöhnlichen
Zusammenhangs oder – musikalisch ausgedrückt – eines seriellen135 statt tonalen
Zusammenhangs“136 aus.
Bezogen auf den Untersuchungsgegenstand Film kann sich Unabgeschlossenheit und
Ungelöstheit einerseits auf die Bauform des Stückes und auf die Abrundung der
Figurenkonstellation des Filmes, andererseits auf den Sinn beziehen. Häufige offene
Bauformen sind episodische und a-chronologische Folgen und oftmals besteht die Offenheit
auch darin, dass bestehende Konflikte am Ende des Filmes nicht gelöst werden und daher in
der Realität des Rezipienten zu beantworten sind.137 Es kann differenziert werden zwischen
Filmen mit widersprüchlicher Aussage und solchen, die gar nicht um eine Aussage bemüht
sind, sowie zwischen expliziter und impliziter Offenheit. Wird etwas in mehreren Varianten
durchgespielt, müsste von expliziter, bei Mehrdeutigkeit innerhalb einer einzigen Variante
von impliziter Offenheit gesprochen werden. Ein Experiment mit expliziten,
widersprüchlichen Aussagen war der Film „Clue“138, ein Krimi, der in verschiedenen
Versionen realisiert wurde, die alle unterschiedlich endeten, mit verschiedenen Mördern. Die
Zuschauer fühlten sich aber von dieser Offenheit eher betrogen als herausgefordert, was
Murray zur konservativen Ansicht verleitet, der Zuschauer wolle eine kontrollierende Instanz,
einen Autor, der die Erzählung beherrscht.139

133
Vgl. mit dem Hinweis von McLuhan auf David Hume in Kapitel 2.2.1.1.
134
Vgl. Eco 1996, S. 199-201.
135
Vgl. hierzu auch die Ausführungen über serielle Musik in Kapitel 2.2.2.2.
136
Eco 1996, S. 201.
137
Vgl. Hickethier 1996, S. 117 ff.
138
Clue. Jonathan Lynn. VHS, 94 min. USA 1985.
139
Vgl. Murray, Janet. H.: Hamlet on the Holodeck. The Future of Narrative in Cyberspace. New York 1997, S. 275.

27
Theoretische Grundlagen

2.2.2..Intermediale Angriffe auf die lineare Erzählstruktur im Film

2.2.2.1. Literarische Versuche


Die Literatur blieb von den in den vorhergehenden Kapiteln erwähnten Umwälzungen nicht
verschont und schon bald einmal wich die narratologische Notwendigkeit dem Zufall, es
begann die Krise des Erzählens. Diese bezog sich vor allem auf die Schwierigkeit, mit Hilfe
von linearen, kausal motivierten Geschichten die komplexe Wirklichkeit der modernen, sozial
differenzierten und technisierten Gesellschaft darzustellen. Noch 1897 forderte Emile Zola
der naturalistische Roman müsse die Ereignisse nicht nur chronologisch auf-, sondern auch
kausal auseinander folgen lassen, weil ja das Leben per se deterministisch ablaufe; während
André Gide zur gleichen Zeit140 in seinem Roman „Paludes“ eine Geschichte sucht, die eben
gerade nicht kausal verursacht wäre. Er suchte den „acte gratuit“, eine Handlung, „die von
nichts abhinge, von allem anderen losgelöst wäre“.141

Aber vielleicht wurde die Linearität der Erzählung schon immer in Frage gestellt. So schiebt
Laurence Sterne etwa in seine Erzählung von Tristram Shandy (1766) zahllose erklärende und
beurteilende Texte ein, die von der linearen Folge der Erzählung ablenken, diese aber auch
erweitern und den Leser anweisen, wie er damit umzugehen habe. Sterne brachte die
Metaebene als ästhetisches Element ins literarische Spiel, um die Beteiligung des Lesers an
der Sinnkonstruktion explizit zu machen.
Mallarmé hingegen hat in seinem nicht vollendeten Werk mit dem simplen Titel „livre“
bereits 1868 die physische Auflösung der Linearität als Projekt antizipiert.

„Im Livre sollten die Seiten keine feste Anordnung haben: sie sollten nach
Permutationsgesetzen unterschiedlich zusammengestellt werden können. Bei einer
Reihe loser (nicht durch einen die Reihenfolge bestimmenden Einband
zusammengehaltener) Hefte sollte jeweils die erste und die letzte Seite auf einen in
der Mitte gefalteten grossen Bogen geschrieben sein, der Anfang und Ende des
Heftes bezeichnet hätte; innerhalb der Hefte wäre es dann zu einem freien Spiel
von einzelnen, einfachen, beweglichen und untereinander austauschbaren Blättern
gekommen, jedoch so, dass bei jeder Kombination ein fortlaufendes Lesen
sinnvollen Zusammenhang ergeben hätte.“142

140
Man beachte, dass hier der Verfasser – wie vielerorts in dieser Arbeit - in die Absurdität verfällt, die Auflösung der
Linearität als eine lineare Entwicklung darzustellen. Die Neuinterpretation und -verknüpfung kulturtheoretischer Ereignisse
würde aber den Rahmen dieses theoretischen Teils bei weitem sprengen und müsste von kompetenteren Personen auf dem
Gebiet vorgenommen werden.
141
Vgl. Martinez, Matìas: Krise und Innovation des Erzählens in der Literatur der Moderne. Eine Skizze. In: Rosenthal,
Stephanie: Stories. Erzählstrukturen in der zeitgenössischen Kunst. Köln 2002.
142
Eco 1996, S. 44.

28
Theoretische Grundlagen

Der Roman löste sich von einer linearen Erzählung auch dadurch, indem er
Handlungsirrelevantes ebenso stark gewichtete und indem er sich für Assoziationen öffnete,
die weit weg von einer stringenten Handlung führten, wie bei James Joyce, dessen Sprache
Bilder entwirft, die sich durch extreme Vieldeutigkeit auszeichnen und dadurch visuellen
künstlerischen Äusserungen nahe stehen. Zudem übernimmt der Roman filmische
Erzähltechniken und beeinflusst seinerseits den experimentalen Film durch alternative
Formen der Organisation von Raum und Zeit. Joyce bewirkt durch seine Technik des
Bewusstseinsstroms das, was Söke Dinkla als „Entgrenzung“ bezeichnet143 – die Auflösung
der Trennung zwischen Subjekt und Welt; der Prozess des Denkens wird selbst zum Thema
und ermöglicht das Verlassen der Welt der Linearität und Klarheit. Der Text schafft ständig
neue Konstellationen, die offen sind für wechselnde Verbindungen und für das Knüpfen
immer neuer Knoten - das Lesen wird zusehends zu einem „networking“.144 Joyce strebt
danach, eine Botschaft auf immer neue Weise erfassen zu lassen, die von sich aus mehrwertig
ist, im Vergleich etwa noch zu Dante, der auf immer neue Weise eine eindeutige Botschaft
vermittelt. Hier liegt die von modernen Autoren angestrebte Reichhaltigkeit. Diese will der
Roman auch verwirklichen „wenn er nicht mehr eine einzige Handlung erzählt, sondern in
einem einzigen Buch mehrere Handlungsabläufe darzustellen versucht“.145

Zur ungefähr selben Zeit wie Joyce machten sich unterschiedliche Autoren an die Auflösung
der Linearität in der Literatur. Bedeutende Grossstadtromane des 20. Jahrhunderts wie etwa
Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ (1929) versuchten, die simultane, ebenso disparate
wie fragmentarische Präsenz heterogenster Elemente im modernen Grossstadtleben
darzustellen. Ausserdem werden Geschichten auf ein blosses „Geschehen“, auf eine Abfolge
von Zuständen reduziert, es werden zunehmend irrelevante Ereignisse erzählt oder alltägliche
Details, die sich den Forderungen einer narrativen Handlungslogik entziehen, werden
scheinbar unmotiviert beschrieben.146

Der „Nouveau Roman“147, der in Frankreich ab den 1950er Jahren entstand, machte sich die
Ablehnung einer kohärenten Erzählung dann vollends zum Prinzip und stellte dem
klassischen Verständnis von einem Roman einen neuen Realismus des schreibenden Geistes

143
Vgl. Dinkla, Sönke: The Art of Narrativ. In: Rosenthal, Stephanie (Hrsg): Stories. Erzählstrukturen in der zeitgenössischen
Kunst. Köln 2002, S. 106.
144
Ebd., S. 106-108.
145
Eco 1996, S. 88.
146
Vgl. Martinez 2002, S. 78.
147
Ein wichtiger Vertreter des „Nouveau Roman“ ist Alain Robbe-Grillet, den wir als Autor von „La belle captive“ wie auch
als Drehbuchautor des Filmes „L’année dernière à Marienbad“ von Alain Resnais kennenlernen werden.

29
Theoretische Grundlagen

entgegen, dessen manchmal unklare und zeitlich fragmentierte Wahrnehmung über einer
Handlung steht, oder wie Jean Ricardou es formuliert: „Le roman n'est plus l'écriture d'une
aventure, mais l'aventure d'une écriture.“148 Eine weitere Spielart ist der im Programm der
Gruppe Oulipo149 erarbeitete Ansatz der kombinatorischen Literatur, die denselben Text durch
Umformung, durch Aufbrechen der Linearität in eine Vielzahl Möglichkeiten verwandelt, so
z.B. durch Überschneidung zweier Romantexte durch die BOOLEsche Algebra oder durch
die Vervielfachung von Texten mittels Matrix-Rechnung.150 Raymond Queneau lässt den
Leser entscheiden, wie die Geschichte in „Un conte à votre façon“ weitergehen soll. Dabei
können bestimmte Passagen in unterschiedlicher Reihenfolge durchlaufen werden, und diese
verändern damit auch ihre Bedeutung, weil über den jeweiligen Leseverlauf eine
unterschiedliche Kontextualisierung stattfindet. Ähnlich verfährt Julio Cortàzar in seinem
Buch „Rayuela“ aus dem Jahre 1963, wenn er alternative Lesewege vorschlägt, die den
Hauptprotagonisten in ein zweites Buch flüchten und wieder ins erste zurückkehren lässt und
den Leser zur Aufgabe des traditionellen Seite-um-Seite-Lesens verleitet. Einen Schritt weiter
noch geht im selben Jahr Marc Saporta mit „Composition No. 1“, einem Werk, das aus 150
losen, unpaginierten Blättern besteht, die in jeder frei bestimmbaren Reihenfolge gelesen
werden können. Er führt uns damit vor Augen, dass viele Anordnungen gleichzeitig
nebeneinander bestehen können und keine davon richtiger oder falscher als eine andere ist.

Die lineare Anordnung der Schrift im Buch wird also gewaltsam zerstört durch das
Herauslösen der Seiten, oder einfach durch die Anweisung vor- oder zurückzublättern. Bei
lyrischen Texten funktioniert die kombinatorische Zusammenstellung zugegebenermassen
besser als bei logisch, kausal und zeitlich verbundenen Erzählungen. So ist es einfacher bei
Queneaus „Cent mille milliards de poèmes“ aus zehn Sonetten zu je vierzehn Zeilen eben
diese 1014 Möglichkeiten zu realisieren, als etwa bei Stuart Moulthrops „Victory Garden“
kein chronologisches Durcheinander zu kriegen. Bei gewissen Reihenfolgen des Lesens
kommt dort die Heldin zuerst ums Leben, um später ihre Schulzeit zu erzählen. Da man diese
Erzählung aber nicht als fantastische lesen wird, in welchem die Heldin wiedergeboren wird,
wird man dies als Rückblende verstehen. Es wird also erkannt, dass es sich bei der
vertauschten Reihenfolge „bloss“ um den Plot und nicht um die Story handelt.

148
http://www.lettres.net/files/nouveau_roman.html (4.08.2003).
149
Ouvroir de Littérature Potentielle, eine 1960 gegründete und über 20 Jahre aktive französische Literatengruppe.
150
Vgl. Fendt 1993, S. 111.

30
Theoretische Grundlagen

2.2.2.2. Der Ariadnefaden in der Kunst

„Das Glück der Kunst liegt darin, zeigen zu können, wie etwas Bedeutung
ausdrückt, nicht durch Anspielung auf schon vorgeformte oder erworbene Ideen,
sondern nur durch die zeitliche und räumliche Anordnung der Elemente...“ 151

Die westliche Kultur bezeichnet der Maler George Mathieu als fortschreitenden Übergang
vom Idealen zum Realen, vom Realen zum Abstrakten und vom Abstrakten zum
Möglichen.152 Spätestens ab der Epoche der Moderne wird die Ordnung der Dinge nicht mehr
als naturgegeben betrachtet, sondern als vom Menschen gemacht. Die Kunst beginnt sich mit
der Unordnung auseinanderzusetzen, allerdings nicht mit der blinden endgültigen Unordnung,
sondern der fruchtbaren Unordnung: dem Zerbrechen einer traditionellen Ordnung, die der
westliche Mensch für unwandelbar hielt. Kreative Prozesse werden automatisiert und
randomisiert. Die Surrealisten erfinden die „écriture automatique“153, die Musik wird seriell 154
und die informelle Malerei will nicht mehr etwas darstellen, sondern die Willkürlichkeit des
Darstellungsaktes selbst wird zum Thema gemacht. Der Kubismus versucht mehrere
Perspektiven gleichzeitig in einen Kader zu fassen, in einer Ansicht unterzubringen, und
bringt damit analog zum Film auch die seit Laokoon155 bestehende Trennung der Künste in
räumliche und zeitliche wieder zusammen in Künste eines Raum-Zeit-Kontinuums. Zugleich
aber fordert das Herauslösen von Gegenständen aus diesem Kontinuum, wie es Salvadore
Dali mit Konzertflügeln in Wüstenlandschaften vorweggenommen hat und es im „Zeitalter
der Elektrizität mit seiner Rückkehr zum ganzheitlichen Erlebnis“156 üblich wird, die Identität
der von der Buchkultur geprägten Menschen heraus.157 Das Fragmentarische der
Wahrnehmung fand Eingang in die Kunst durch Collagen, Montagen und die Cut-up-
Techniken158. Das psychische Moment des Verschiebens und Verdichtens, das wir aus der
Traumdeutung kennen, wirkte auf die Erzählung.

151
Maurice Merleau-Ponty zit. in : Metz 1972, S. 67.
152
Vgl. Eco 1996, S. 162.
153
Diese beruht darauf, alles zu schreiben, was einem durch den Kopf geht und damit bewusst eine Art übergeordnete Logik
auszuschalten. In diesem Zusammenhang ist sie wohl auch mit der von Joyce praktizierten Technik des Bewusstseinsstroms
vergleichbar, den wir im vorhergehenden Kapitel kennengelernt haben, nur dass hier der Produktionsprozess später im Werk
nicht abgebildet wird.
154
In der seriellen Musik kann nicht mehr aufgrund der vorgestellten Prämissen die folgende Bewegung abgeleitet werden.
Vgl. Eco 1996, S.48.
155
Lessing erklärte die Zuständigkeiten wie folgt: Zeit als diejenige des Dichters, Raum als diejenige des Malers.
156
McLuhan 1970, S. 279.
157
Vgl. McLuhan 1970, S. 279.
158
Cut-Up ist eine Methode zum Schreiben von Texten, entdeckt von Brion Gysin, berühmt geworden durch die Texte von
William S. Burroughs. Diese besteht darin, dass eine Textseite willkürlich in Teile zerschnitten und neu zusammengesetzt
wird, damit also auch ihre ursprüngliche Linearität verliert und sich für die rekombinatorischen Möglichkeiten öffnet, für den
Zufall als Gestaltungsprinzip.

31
Theoretische Grundlagen

Eco vergleicht die multipolare Welt einer seriellen Komposition mit dem Universum
Einsteins. Bei der seriellen Komposition errichtet der Hörer, unabhängig von einem absoluten
Zentrum, sein eigenes Beziehungssystem, das er aus einem klingenden Kontinuum
herausholt, in dem es keine bevorzugten Punkte gibt, sondern in dem alle Perspektiven
gleichermassen gültig und möglichkeitsträchtig sind. Im Universum Einsteins nimmt jeder
Beobachter eine für ihn gültige lineare Zeitauffassung aus dem Raum-Zeit-Kontinuum wahr,
obwohl „alles, was für jeden von uns Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausmacht, als
ein grosses Ganzes gegeben“159 ist.

Wenn anfangs des 20. Jahrhunderts zusammen mit diesen Entwicklungen das Erzählen aus
der Kunst verschwand, weil es als unmodern galt, so liegt es aber seit den 1990er Jahre
wieder voll im Trend. Vielfach erzählen die Künstler aber nicht mehr linear, chronologisch
oder logisch, sondern verwenden narrative Fragmente als Bausteine ihrer Werke, ohne aber
daraus eine tragende Architektur einer Geschichte zu machen;160 vielmehr muss der Betrachter
zeitliche und kausale Ordnung selbst herstellen, um die Geschichte zu montieren.
Zwei zentrale Aspekte, die Dinkla in Bezug auf die veränderte Weise des Erzählens in der
Kunst nennt, sind Perspektivierung und das bei der Literatur erwähnte „networking“.161 Das
Subjekt der Erzählung wird aus verschiedenen Perspektiven unterschiedlich dargestellt, die
Perspektivierung zeigt dessen Mehrschichtigkeit und Fluidität und gibt die Vorstellung einer
objektiven Wirklichkeit auf. Zudem schafft der Text ständig neue Konstellationen, die offen
sind für wechselnde Verbindungen und für das Knüpfen immer neuer Knoten. In ihrem Essay
über das flottierende Kunstwerk entwirft Dinkla die These, dass die Zeichen nicht mehr linear
wahrgenommen werden, sondern wie ein sich verzweigendes Netz organisiert sind. „Die neue
Welt der Zeichen im flottierenden Werk ist räumlich und zeitlich wahrnehmbar.“162 Die
ästhetische Herausforderung dabei sei es, Modelle zu schaffen für eine neue Orientierung in
einer abstrakten Wirklichkeit, ohne auf bisherige Verfahren der Repräsentation
zurückzugreifen. Dabei entwickelt das flottierende Werk

„Strategien der ‚rekombinatorischen Poetik’ (Bill Seaman), indem erst im


wechselnden Zueinander von Bild, Text, Sprache, Ton und Bewegung Bedeutung

159
Eco 1996, S. 53.
160
So etwa bei Sam Taylor-Wood, wo wir als Betrachterin nicht weiter kommen, wenn wir in der Abfolge der Geschichte
einen kausalen oder zeitlichen Zusammenhang suchen. Ihre „dysfunktionale“ Narration stellt die klassische Erzählweise in
Frage.
161
Vgl. Kapitel 2.2.1.4.
162
Dinkla, Sönke: Das flottierende Werk. Zum Entstehen einer neuen künstlerischen Organisationsform. In: Gendolla,
Peter/Schmitz, Norbert M./Schneider Irmela/Spangenberg Peter M. (Hrsg.): Formen interaktiver Medienkunst. Baden-Baden
2001, S. 74 (Hervorhebung durch den Verfasser).

32
Theoretische Grundlagen

entsteht. Seaman spricht hier von ‚Bedeutungsfeldern’163, die sich der inneren
Natur der Sprache und der linearen Repräsentation von Geschichte(n) widersetzen,
indem sie eine Überfülle an möglichen Bedeutungen entstehen lassen, die
kontinuierlich miteinander kollidieren.“164

Interaktion seitens der Rezipienten (oder besser Teilnehmer, Benutzer oder eben
Koautorinnen) führen zusammen mit einem Zufallsalgorithmus zu einer kontinuierlichen
Neukombination dieser Bedeutungsfelder. Auf diese Weise entwerfen sie eine neue räumliche
Ordnung, die einem Netzwerk von Assoziationen gleicht. Anders als die surrealistischen
Kombinationsspiele ziele das flottierende Werk aber nicht auf eine Auflösung der Logik,
sondern auf seine Dekonstruktion165. Es erlaubt das Navigieren durch Bedeutungsfelder, in
denen es kein zeitliches Nacheinander und nur momentane Hierarchien gibt.

„Die Entwicklung des flottierenden Werks zeigt, dass unsere Konzepte der (Re-)
Konstruktion von Wirklichkeit und unsere Strategien, uns mit dieser Wirklichkeit
zu identifizieren, neue Formen angenommen haben. Das Modell eines
unbeteiligten, distanzierten Beobachters ist nicht mehr kompatibel mit dem, was
wir als Wirklichkeit wahrnehmen. Unser heutiges Realitätskonzept ist nicht mehr
ausschliesslich auf Kontingenz ausgerichtet.“166

Angedeutet hat sich diese Veränderung bereits in den Happenings der sechziger Jahre, deren
Verlauf keiner linearen Narration mehr folgte. Diese im speziellen auch im Umfeld der
Avantgarde-Kunst des Wiener Aktionismus angesiedelte Entwicklung hat sich denn auch
direkt auf das Kino ausgewirkt: Es entstand das Konzept des „Expanded Cinema“, das das
Medium Film in Frage stellt und in seine strukturellen und materiellen Komponenten zerlegt
und damit zusammenhängend in mehreren Projektionen gleichzeitig nonlinear zu erzählen
beginnt.167 „Die nonlineare Struktur von fragmentarisierten, gleichberechtigt nebeneinander
stehenden Elementen gehört heute zu den wesentlichen Paradigmen, nach denen wir
Wirklichkeit organisieren.“168 Ein neues Weltbild, in dem es keine lineare Beziehung
zwischen Ursache und Wirkung und keine distanzierte Betrachterposition mehr gibt, werde
durch das flottierende Werk nicht nur erprobbar, sondern zugleich miterzeugt.169

163
Der Feldbegriff taucht also immer wieder auf und scheint gerade für die Auflösung linearer Kausalität recht zentral zu
sein.
164
Dinkla 2001, S. 76.
165
Vgl. Kapitel 2.2.1.2.
166
Dinkla 2001, S. 88.
167
Vgl. das Manifest von Markopoulos und das Konzept einer Erzählmatrix in: Weibel, Peter: Expanded Cinema, Video and
Virtual Environments. In: Shaw, Jeffrey/Weibel, Peter (Hrsg.): Future Cinema. The Cinematic Imaginary after Film.
Karlsruhe/Massachusetts 2003, S. 116-118.
168
Dinkla 2001, S. 88.
169
Vgl. ebd.

33
Theoretische Grundlagen

2.2.3. Technische Angriffe auf die lineare Erzählstruktur im Film


2.2.3.1. Von der TV-Fernbedienung zur DVD
Wie Flusser konstatiert, befindet sich der Cutter ausserhalb der Linearität des filmischen
Materials, weil dieses für ihn kein Text ist der „gelesen“ sein will, sondern ein Prätext für das
Erzeugen von Filmen, von Botschaften.170 Flusser vergleicht ihn nicht nur mit dem jüdisch-
christlichen Gott, der Anfang und Ende einer Geschichte gleichzeitig vor sich sieht und von
aussen eingreifen kann, sondern stellt ihn machtmässig sogar über diesen Gott, weil der
Cutter „Ereignisse wiederholen, sie rückwärts ablaufen lassen, Phasen überspringen, vom
Vergangenen ins Zukünftige und vom Zukünftigen ins Vergangene springen, den Zeitablauf
beschleunigen und hemmen, Anfang und Ende der linearen Zeit zusammenkleben und so aus
der Geschichte einen Zyklus machen, kurz mit der Linearität spielen“171 kann. Denn der
Filmschnitt war nie ein linearer Prozess, die einzelnen Teile (Einstellungen oder auch nur
Bilder) können jederzeit neu verbunden oder getrennt, eingefügt oder umgestellt werden. Die
Linearisierung des Arbeitsprozesses fand bloss im Bereich des analogen Videoschnitts statt,
weil dort von mehreren linearen Datenträgern auf einen anderen linearen Datenträger
umkopiert wurde und jede Neuordnung mit einer neuen Generation von Überspielung und
damit verbundenen Qualitätsverlusten einhergeht. Ende der 80er Jahre des letzten
Jahrhunderts fand aber auch dort eine digitale Revolution statt – der Videoschnitt wurde
ebenfalls nonlinear, weil das lineare Medium Band durch die Festplatte ersetzt wurde und bei
einer Festplatte kann jederzeit jeder beliebige Punkt ohne Spulen angesprungen werden.

Durch die Entwicklung der technischen Möglichkeiten, wie TV-Fernbedienung, Videogerät


und später DVD und Kabelfernsehen mit Rückkanal wurde diese Macht über Zugriff,
Auswahl und Reihenfolge der Präsentation auch immer mehr auf den Zuschauer172 übertragen.
So wurde es nicht nur möglich, durch die verschiedenen Kanäle des Fernsehens zu zappen,
sondern auch mit dem Videorecorder vor- und zurückzuspulen, Szenen mehrmals
anzuschauen, schneller oder langsamer und sogar rückwärts. Wenn McLuhan noch vor dieser
Zeit das Kommunikationsmedium des 20. Jahrhunderts als Mosaik und nicht mehr linear in
seiner Struktur bezeichnet, bezieht er sich dabei auf die Zeitung, die viele Artikel auf
derselben Seite integriert, auf den Film, der aus einzelnen Einstellungen
zusammengeschnipselt und auf das Fernsehen, dessen Programm aus einzelnen Sendungen

170
Vgl. Flusser 1997, S.92.
171
Ebd., S. 92/93.
172
Es wird im weiteren nicht mehr jedesmal explizit erwähnt, dass dieser damit auch zum User oder sogar Koautor wird.

34
Theoretische Grundlagen

zusammengestückelt wird.173 Wir haben nun gelernt die gesamte Frontseite einer Zeitung auf
einen Blick wahrzunehmen, ohne davon überfordert zu werden, ebenso wie wir gelernt haben
die diskontinuierlichen Einstellungen eines Filmes in ein grösseres Muster der Kontinuität zu
integrieren.174 Ausserdem meint McLuhan, dass es uns im „Zeitalter der Elektrizität“
freistehe, nicht-lineare Logiken zu erfinden und wir uns dadurch von einer durch die
Schriftkultur indizierten Gleichsetzung des Bewusstseins mit einer vermeintlichen linearen
Beweiskette befreit hätten.175 Eco wiederum fragt sich, ob die Akzeptanz von Filmen ohne
konventionelle Dramaturgie nicht zuletzt auch durch die Konventionen der aufkommenden
Fernseh-Direktübertragung mit teilweise willkürlicher Erzählung, initiiert durch die
Zufälligkeit des Lebens, und durch die Aufzeichnung von Unwesentlichem ermöglicht
wurden.176

Aber auch andere technische Eigenheiten wirken sich auf unsere Wahrnehmung und damit
verbunden auf die möglichen Erzählstrukturen aus. So konnte bereits die Schallplatte in einer
Rille hängen bleiben, „springen“, und damit die Linearität der Reproduktion zerstören. Mit
der Digitalisierung beginnt eigentlich nur eine feinere Zerstückelung der Einheiten, die sich
jetzt im Bereich der Bits und Bytes und damit weit unterhalb derjenigen der Umdrehungszeit
einer Plattenrille bewegt. Dass die Zerstückelung vom Unfall zum ästhetischen Programm
wurde, kann an der Entwicklung der Samplingtechnologie in der Musik verfolgt werden.
Kleinste Elemente aus musikalischen Stücken werden in eine neue Komposition eingebaut.
Die Datenmenge von Film und Video übertrifft diejenige von Ton um den Faktor zehn und
mehr und dieselben technischen Möglichkeiten im Bewegtbild verzögern sich auch etwa um
zehn Jahre. Bald einmal aber wurde es auch möglich, bewegte Bilder zu sampeln und ein
vielverbreiteter Einsatz heute ist der Videojockey, der den Discjockey an Partys unterstützt.

Eine weitere interessante technische Entwicklung ist die mit der Einführung der
QuickTime177-Programmkomponente auf Computern festaufgenommene Funktion der
Endlosschlaufe, des sogenannten Loop. Es handelt sich dabei eigentlich um eine Art
Retroentwicklung, die auf die Anfänge der Kinematographie verweist, als Maschinen, wie das
Zootrop, eine sich im Kreis herum drehende Folge von Einzelbildern, die durch ein Guckloch

173
Dies trifft heute mit der Zunahme an Kanälen und seit der Erfindung der Fernbedienung noch viel mehr zu als zu Zeiten
McLuhans.
174
Vgl. Murray 1997, S. 156.
175
McLuhan 1970, S. 90.
176
Vgl. Eco 1996, S. 203.
177
QuickTime ist eine von Apple Computer entwickelte Komponente der Systemsoftware zur Steuerung von zeitlichen und
räumlichen Medieninhalten.

35
Theoretische Grundlagen

betrachtet werden konnten und auf Jahrmärkten präsentiert wurden.178 Der Loop machte
plötzlich wieder Sinn, weil die Kapazität der neuen Speichermedien179 begrenzt war und
dieser sich dazu eignet, durch repetitive Aneinanderreihung einer Sequenz andauernde
Bewegung zu schaffen, damit aber auch die Erzählstruktur der Sequenz verändert, weil sich
deren Ende mit dem Anfang treffen muss, damit kein Unterbruch entsteht. Ausserdem ist der
Loop auch eine programmiertechnische Methode; Operationen bleiben in einem
Programmablauf in einer Warteschlaufe hängen, bis die nächste Instruktion für ihre
Verarbeitung folgt.
Ebenfalls mit der Veränderung der Arbeitsweise am Computer und deren Fenstertechnik in
Verbindung zu sehen, ist die Gewöhnung der Zuschauer an eine Verteilung von Information
auf Split-Screens180. Diese Technik wurde allerdings schon früher eingesetzt und hat auch mit
der Entwicklung von Video in den 70er Jahren zu tun. Beim Video lässt sich die elektronische
Überblendung und Einstanzung181 ohne grossen Aufwand und in Echtzeit realisieren und
dieses Experimentieren mit mehreren Bildern neben- und hintereinander wirkte sich denn
auch auf die Erzählstrukturen einer Reihe von Filmproduktionen182 in dieser Zeit aus, so etwa
bei „Sisters“183, in welchem zeitweise in Split-Screen mehrere Perspektiven oder gleichzeitig
stattfindende Ereignisse an verschiedenen Orten zu sehen sind.

Mit dem Aufkommen der DVD als Distributionsmedium der Zweitauswertung für Kinofilme
wurde immerhin eine technische Basis geschaffen, die das lineare Erzählen im Film zwar
noch nicht wirklich herausgefordert, aber immerhin das Bewusstsein für Wahlmöglichkeiten
geschaffen hat. So kann bei den meisten Filmen auf DVD Sprachversion und Untertitelung
gewählt werden, es kann direkt in einzelne Kapitel184 gesprungen werden und meistens steht
noch Zusatzmaterial (Making-Of, Interviews mit Protagonisten, manchmal vorbereitende
Hilfsmittel wie Storyboard-Zeichnungen etc.) zur Verfügung. Grundsätzlich sind die
technischen Möglichkeiten, die auf einem Standard basieren, der für alle DVD Abspielgeräte
dieselben Funktionen verfügbar macht, noch nicht ausgereizt. So könnte mittels der
178
Vgl. Manovich, Lev: The Language of New Media. Cambridge, Massachusetts 2001, S. 315. Manovich bemerkt, dass der
Loop in der späteren Entwicklung des Kinos in “minderwertige” Formen, wie Instruktions-, Porno- und Zeichentrickfilme
verbannt wurde.
179
Oder Übertragunstechniken, wenn wir an die Distribution im Internet denken.
180
Die Aufteilung der Bildinformation in mehrere Fenster, Teilbilder.
181
Effekte, die bei Filmmaterial auf der sog. “optischen Bank” stattfinden müssen und sehr aufwendig sind.
182
Es ist anzumerken, dass bei der Auswahl des Korpus nicht auf die Unterscheidung der Produktionsmittel eingegangen
wird – es werden durchaus auch Produktionen auf Video in die Liste aufgenommen. An dieser Stelle wird dies einzig aus
dem Grund unterschieden, um den Einfluss der technischen Entwicklung auf die Erzählstruktur zu veranschaulichen.
183
Sisters. Brian de Palma. VHS, 92 min. USA 1973.
184
Eine etwas unkonventionelle Unterteilung für filmische Begriffe, übernommen aus der Literatur. Filmische Unterteilungen
werden ansonsten eher nach Szenen, Sequenzen oder etwa noch den Metz’schen Syntagmen vorgenommen. Diese
Unterteilung verweist aber einerseits wieder auf die grosse literarische Tradition der filmischen Erzählung und andererseits
auf alternative Organisationsformen, wie sie etwa von Godard und Greenaway durchaus auch genutzt wurden.

36
Theoretische Grundlagen

Steuerknöpfe etwa nach vorne und zurück oder auf eine andere Ebene gesprungen werden, es
könnten Perspektiven gewechselt oder andere Tonkanäle zu- und abgeschaltet werden. Die
dramaturgischen Formen einer interaktiven Narration befinden sich aber noch in den
Anfängen und die beliebteste Form der Interaktion mit linearen Abläufen bleibt nach wie vor
das Zapping185, dass sich aber als sozusagen anarchische Individualmontage aller Steuerung
oder Strukturierung entzieht. Aus dem destruktiven Prinzip des Zapping eine konstruktive
Methode der Interaktion zu machen, versucht der TV-Krimi „Mörderische Entscheidung“186,
dessen zwei Handlungsstränge 1991 parallel auf ARD und ZDF gesendet wurden.

Ebenso werden mit der seit längerem angekündigten Konvergenz von Fernsehen und
Computer und dem digitalen Film potentiell neue Formen der Interaktivität nutzbar, die sich
auf die Linearität der Filmerzählung auswirken werden. Zuerst wird es wohl darum gehen,
bestehende Medienarchive neu zu verwerten, indem sich die Entscheidungsfreiheit auf die
Wahl der Konsumationszeit klassischer Produkte beschränkt, wie dies heute in der Schweiz
bereits in Ansätzen durch den Pay-per-View-Service von Cablecom187 realisiert ist. Und heute
zwar schon möglich und gängig, aber noch immer qualitativ unbefriedigend und linear, ist die
Distribution von Filmen über Internet188, die sich, inspiriert durch das, was im nächsten
Kapitel unter Hyperfiktion eingeführt wird, in ihrer Erzählform durchaus auch mehr dem
Distributionskanal anpassen könnten. Entscheidende technische Entwicklungen hierzu waren
einerseits die verbesserten Kompressionsformate, wie Real-Video und QuickTime-Sorensen,
andererseits auch die Verbreitung höherer Modemraten.189

Um den Kreis zum Anfang dieses Kapitels wieder zu schliessen und die Linearität der Arbeit
etwas zu unterbrechen, kommt hier nochmals Flusser zu Wort, der meint, dass wir mit der
Computerisierung vom linearen Zeitalter der Schrift ins nulldimensionale Zeitalter der Zahlen
übergehen und damit von einem historischen Denken in ein formales.190 Zwei durch die
Computerisierung inizierte technische Implikationen auf die lineare Erzählstruktur werden im
Folgenden noch detaillierter beschrieben.

185
Das permanente Wechseln der TV-Kanäle.
186
Mörderische Entscheidung. Oliver Hirschbiegel. VHS, 95 min. Deutschland 1991.
187
http://www.cablecom.ch/tvradio/digitalcinema.htm (21.05.2003).
188
Vgl. Etwa http://www.atomfilms.com (12.08.2003).
189
Vgl. Jansen, Gregor: 1997 - Scream and Scream and Scream Again. In: Springerin. Heft für Gegenwartskunst Band IX,
Heft 1, 2003, S. 7.
190
Dass aber nicht alle Menschen diesen Schritt vollziehen können, die meisten weiterhin fortschritts- und
aufklärungsorientiert denken. „Sie erleben, erkennen und werten die Welt weiterhin als eine Verkettung von Ursache und
Wirkung, und sie engagieren sich dafür, diese Kausalketten zu brechen, um uns vor der Notwendigkeit zu befreien.” Flusser
1997, S. 207.

37
Theoretische Grundlagen

2.2.3.2. Hypertexte und Hyperfiktionen


Theodor H. Nelson, der schon in den sechziger Jahren an Hypertextsystemen arbeitete,
definiert Hypertext als „non-sequential writing – text that branches and allows choices to the
reader, best read at an interactive screen. As popularly conceived this is a series of text chunks
connected by links which offer the reader different pathways“191. Die traditionell-vertraute,
scheinbar als linear angenommene Form der Produktion und Rezeption von Texten löst sich
auf. Diese können in eine neue, vom Originalautor nicht notwendigerweise vorausgeplante
Reihung gebracht und in immer neuen Kontexten gelesen werden192. Die von Vannevar
Bush193 und Nelson bezeichnete Virtualität geht einerseits auf die veränderte Textualität ein,
andererseits auf die erweiterte Leserrolle194. Der Text liegt zunächst nur als virtuelles Angebot
vor, das erst durch die Lesehandlung in eine Textgestalt überführt wird. Die Leserin hat die
Möglichkeit, verschiedenen Gewebefäden zu folgen, bzw. neue Fäden zu spinnen. Eine
einzelne Information ist nicht mehr nur linear von einer Textstelle aus erreichbar, sondern
von mehreren. Es besteht die Möglichkeit, beim Lesen mehrere Informationen, bzw.
Textsequenzen in neue Abfolgen zu bringen und damit neue Zusammenhänge zu kreieren.
Allerdings ist diese Betätigung am Text nicht völlig dem individuellen Leser überlassen,
sondern wird wiederum zu einem erheblichen Grad von der Struktur des Textes gesteuert.195
Ein gedruckter und daher meist konventioneller Text ist von seiner physischen Anlage her
linear aufgebaut196, d.h. es lässt sich eindeutig Anfang und Ende ausmachen, bei einem
Hypertext hingegen ist die Struktur selbst virtuell. Zudem unterliegt ein Hypertext weniger
stark der Limitierung des Autors in Bezug auf die Vorwegnahme einer Auswahl aus einer
Vielzahl von Konzepten, Perspektiven und Teiltexten. Er ist in diesem Sinn paradigmatisch197
reichhaltiger, ohne deshalb notwendigerweise die syntagmatische Kohärenz zu verlieren.

191
Fendt 1993, S. 39.
192
Vgl. auch die Ausführungen zum Begriff des ergodischen Textes von Ryan, S. 208. Unter ergodisch verstehen wir einen
Diskurs, dessen Zeichen als Pfad aufscheinen. In einem ergodischen Text sind mehrere, wenn auch nicht unendlich viele
Rezeptionsmöglichkeiten angelegt.
193
Vannevar Bush hat die Idee von Hypertext-Systemen bereits 1945 theoretisch vorweggenommen. Er versuchte ein
Dokumentenablagesystem zu schaffen, das weder alphabetisch noch numerisch, sondern assoziativ funktionieren sollte. Er
konnte dies aber auf dem Stand der damaligen Technik noch nicht realisieren.
194
Wie wir sie in Kapitel 2.2.1.3 kennengelernt haben.
195
Vgl. Fendt 1993, S. 128.
196
Auf literarische Versuche wie die von Saporta oder Corazar, die Linearität des Mediums zu durchbrechen, wurde schon in
Kapitel 2.2.2.1 hingewiesen.
197
Die Dichotomie in eine syntagmatische und eine paradigmatische Dimension wurde ursprünglich von Ferdinand de
Saussure auf das Gebiet der natürlichen Sprachen angewandt und später von Roland Barthes auf andere Zeichensysteme, wie
Erzählungen, Mode, Essen, etc. ausgeweitet. Die syntagmatische Dimension steht für die Aneinanderreihung von Zeichen in
der Zeit oder im Raum, im Film also z.B. die Ordnung von Bildern zu einer Einstellung; diese ist explizit und real. Die
paradigmatische Dimension steht für die Auswahl der Zeichen aus allen potentiellen Zeichen an dieser Stelle, ist also eher
implizit, imaginiert; verweist im Film also auf die Wahl eines Bildes aus allen anderen möglichen Bildern, die dieselbe
Funktion innerhalb der Erzählung auch erfüllt hätte.

38
Theoretische Grundlagen

Hypertext ist also die technische Realisation der von Barthes et al. geforderten Offenheit198
von Texten, die freie Interaktion mit anderen Elementen und das assoziative Expandieren
nach allen Seiten anstelle der herkömmlichen Systemkonzepte mit Zentren, Aussenbezirken,
Grenzen, Hierarchien und linearen Abläufen. Zudem entwickelte bereits Nelson Methoden
der mehrfachen Blickwinkel, um sich innerhalb des nonlinear präsentierten Materials
orientieren und dieses unter speziellen Gesichtspunkten abrufen zu können. Dass sich diese
offene Form auch für das Erzählen von Geschichten eignet, belegt das neu entstehende Genre
der Hyperfiktion:

„Hyperfiktion ist [...] die literarische Ausformung eines elektronischen Textes mit
Verbindungen, die den multiplen Zugang zu Informationen ermöglichen [...] ein
komplexes literarisches Gewebe, in welchem multiple [narrative] Abläufe durch
die implementierte Verknüpfungsstruktur direkt sichtbar werden und der Leserin
erlauben, ihnen nachzugehen. Eine Hyperfiktion kann verschiedene Stimmen und
beispielsweise mehrere Perspektiven enthalten, die der Leserin zahlreiche
Perspektivenwechsel ermöglichen. Die Leserin wird dabei zum Mitgestalten der
Fiktion herangezogen, das heisst in Entscheidungsprozesse involviert, die den
weiteren Verlauf der Fiktion bestimmen können.“199

Damit stellt Hyperfiktion eine Reihe von typischen Kennzeichen konventioneller narrativer
Formen in Frage, wie etwa den Plot, als durch Anfang, Mitte und Ende gekennzeichnetes
Ganzes, und die damit zusammenhängende „fixed sequence, definite beginning and ending, a
story’s certain definite magnitude, and the conception of unity or wholeness“200 und macht
damit Funktionen und Strukturen von Texten in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit sichtbar.
Dabei bleibt zu berücksichtigen, dass wir, auch wenn wir uns verschiedene Wege durch einen
Hypertext bahnen und dabei in zeitlich unterschiedlicher Reihenfolge verschiedene
Erzählfragmente wahrnehmen, uns auf Schemata berufen, die die logische und zeitliche
Reihenfolge aufrechtzuerhalten versuchen. Wie am Beispiel „Victory Garden“201 gezeigt
wurde, wird dies in eine Differenzierung zwischen Story und Plot münden.

Eines der bekannteren Beispiele einer Hyperfiktion ist die 1987 auf CD-ROM erschienene
Geschichte „Afternoon, a story“202, die aus 539 Lexien besteht. Die Geschichte beginnt damit,
dass jemand erzählt, er habe heute seinen Sohn sterben sehen. Von dort aus kann sich der
Leser durch ein Netz an Lexien bewegen, in welchem Begegnungen mit verschiedenen

198
Vgl. Kapitel 2.2.1.4.
199
Suter, Beat: Hyperfiktion im frühen Entwicklungsstadium zu einem Genre. Zürich 1999, S. 27/28.
200
Vgl. Landow, George P.: Hypertext. The Convergence of Contemporary Critical Theory and Technology. Baltimore 1992,
S. 102.
201
Vgl. Kapitel 2.2.2.1.
202
Afternoon, a Story. Michael Joyce. CD-ROM, USA 1987 (geschrieben in einem vom Autor selbst programmierten
Hypertext-System mit dem Namen “Storyspace”).

39
Theoretische Grundlagen

anderen Familienmitgliedern und Freunden stattfinden, ohne dass sich am Ende aber
eindeutig beantworten lässt, ob der Sohn jetzt gestorben ist – ein offener Text also. Der Autor
problematisiert also absichtlich unsere Erwartung einer Erzählung und fordert uns heraus, aus
den Fragmenten unseren eigenen Text zu konstruieren.203

Interessanterweise spricht auch schon Dziga Vertov bezüglich der Abfolge zweier
Filmeinstellungen von einem „Moment der Unentschlossenheit oder der möglichen
Entscheidung“204. Er nennt diesen Moment „Intervall“ - etwas, das dem Begriff „Link“, der
Verknüpfung innerhalb eines Hypertextes, sehr nahe kommt. Auch dort fällt eine
Entscheidung bezüglich der Weiterführung der Erzählung resp. der Assoziation von Lexien.
Und klassischerweise (wenn wir denn bei Hypertextstrukturen schon von einer Klassik
sprechen können) treten die Verknüpfungen selbst zugunsten der Knoten (nodes) der
Informationen und des Ursprungs- und des Zielortes ebenso in den Hintergrund wie es der
Schnitt im klassischen Kino zugunsten der Erzählung tut. Der „unsichtbare Sprung“ von einer
Lexie zur nächsten wird ebenso zum gestalterischen Credo, wie der „unsichtbare Schnitt“ im
Erzählkino. Nur im künstlerischen Umgang mit dem neuen Medium, kann die Verknüpfung
selbst zum Thema werden. Bezüglich der nicht linearisierten, assoziativen Verknüpfung in
filmischen Hyperfiktionen, in Hyperfilmen, befinden wir uns zurzeit also in einer ähnlichen
Situation, wie Pudovkin und Kuleshov in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, als sie die
Möglichkeiten der assoziativen Montage erprobten.

2.2.3.3. Computergames
Barthes behauptet in S/Z, seiner Analyse von Balzacs „Sarrasine“, dass das mehrfache Lesen
der Kussszene zwischen dem Helden und einem Kastraten nicht so sehr einem intellektuellen
Gewinn diene, sondern vielmehr einem Gewinn an spielerischer Lust. Es gehe darum, die
Signifikanten zu vermehren und nicht darum, irgendein letztes Signifikat zu erreichen.205
Überhaupt scheint die ludische Funktion des Textes spätestens mit dem letzten Jahrhundert
enorm populär geworden zu sein, als sich auch die Wissenschaft mit dem Spiel
auseinanderzusetzen begann: Wittgensteins Sprach- und Derridas Zeichenspiele als
philosophischer Rahmen, Eric Bernes Beschreibung des menschlichen Verhaltens als Spiele

203
Vgl. Murray, S. 57/58.
204
Vgl. Dovey, Jon: Notes Toward a Hypertextual Theory of Narrative. In: Rieser, Martin/Zapp, Andrea (Hg): New Screen
Media. Cinema/Art/Narrative. London 2002, S. 139.
205
Vgl. Barthes 1976, S. 165.

40
Theoretische Grundlagen

spielen. Es findet eine Entwicklung vom Text als Welt zum Text als Spiel statt.206 Innerhalb
der Narration bedeutet dies etwa das Wechseln von Figuren und Rollen, die Wahl des
weiteren Verlaufs, die Möglichkeit bei Fehlern nochmals zu beginnen und das Sammeln
fragmentarischer Informationseinheiten, die zu einem Ziel führen.

Umgekehrt lässt sich bei der Entwicklung von Computerspielen verfolgen, dass zum
Zeitpunkt, als die abstrakten geometrischen Figuren (Pong, Spacewar207) durch Charaktere
ersetzt wurden, das Bedürfnis der Spieler nach einer Erzählung entstand,208 diese aber
innerhalb der Erzählung die Kontrolle über die Figur verloren, weil der Freiheitsgrad der
Figur mit der Linearität der Erzählung in Konflikt geriet. Lischka etwa sieht denn als einzige
Möglichkeit der Überwindung dieses Konfliktes „möglichst viele parallele Linearitäten zu
schaffen, die sich je nach den Handlungen des Spiels überschneiden, bedingen oder
ineinander münden“209. Andere Autoren betonen die Gegensätzlichkeit von Narration und
interaktiver, nonlinearer Präsentation.210 Diese berufen sich also auf narrative Konzepte im
engeren, dramaturgischen Sinn und orientieren sich denn auch hauptsächlich am Medium
Film: Als Anfang der neunziger Jahre die neuen Grafik- die alten Textabenteuer abzulösen
begannen, wurde die Ästhetik immer stärker eine filmische und viele Produzenten setzten zu
stark auf die immersive Welt des Filmbildes (was auf dem Computermonitor aber schlechter
funktioniert als auf der grossen Leinwand) und schufen eher mittelmässige interaktive Filme
als interessante Spiele, oder wie Computerspiel- und Filmdrehbuchautor Hal Barwood meint:
„Interaktivität minus Ziele ergibt Langeweile.“211 Als erfolgreicher erwiesen sich Konzepte,
die nicht so sehr von einem Erzählfluss ausgingen, sonder eher von dem, was Michael Joyce
einen „Erzählraum“212 nennt. Ein Ziel wird vorgegeben und der Spieler kann mit seiner Figur
durch den Raum gehen, um in verschiedener Reihenfolge auf Informationen und
Teilerzählungen zu stossen, die dann zur Lösung des Rätsels, zur Erfüllung der Mission oder
zur Konstruktion einer Welt beitragen.213 Amy Bruckmann nennt dies den „Cocktail-Party-

206
Vgl. Ryan 2001, S. 176.
207
Pong ist ein einfaches zweidimensionales Ping-Pong, ein Punkt prallt von Bildschirmrand zu Bildschirmrand und der
Spieler muss ihn im rechten Moment abfangen, damit er zurück ins gegnersische Feld prallt. Bei Spacewar muss man eine
ganze Armada an Raumschiffen abschiessen, ohne von den herunterfallenden Bomben getroffen zu werden.
208
Schon die Verbindung der einzelnen Labyrinthe bei Pac-Man208 ist eine einfache Erzählung.
209
Lischka, Konrad: Spielplatz Computer. Kultur, Geschichte und Ästhetik des Computerspiels. Hannover 2002, S. 75.
210
Vgl. etwa Kirksaether, Joergen: The Structure of Video Game Narration. In: Digital Arts & Culture, 1998.
Http://cmc.uib.no/dac998/papers/kirksaether.html.
211
Lischka 2002, S. 84.
212
Vgl. auch die Ausführungen über orale Kulturen in Kapitel 2.2.1.1. Weinbren nennt als Möglichkeiten eines Erzählraumes
mehrere zueinander in Relation stehende Erzählungen oder eine einzelne Erzählung aus mehreren Perspektiven oder das
Aufbrechen einer Situation, einer Szene in ihre (nicht hierarchischen) geschichtlichen oder konstitutiven Elemente. Vgl.
Weinbren, Grahame: In the Ocean of Streams of Story. In: MFJ 28, 1995, S. 12.
213
Vgl. Lischka 2002, S. 84.

41
Theoretische Grundlagen

Ansatz“214: Man geht von einer Person zur anderen und erfährt immer neue Geschichten, die
dann eine Gesamteinschätzung der Situation ermöglichen. Ein gutes Beispiel hierzu ist sicher
die Myst, Riven – Trilogie215, in welcher verschiede Rätsel gelöst werden müssen und dabei
neue Erkenntnisse über die Vorgeschichte und den Verbleib eines Buches zum Vorschein
kommen. Einer der Entwickler von Myst erklärt in einem Interview, die Geschichte von Myst
sei eigentlich eine Kombination linearer und nicht-linearer Anteile. Das Lineare sei eben diese
Vorgeschichte und das Nicht-lineare die Konstruktion der dreidimensionalen Welten, wo der
Faktor Zeit ausgeblendet wird – eine Art Schnappschuss eines Zeitalters. Die Schwierigkeit
habe darin bestanden, diese zwei Ansätze miteinander zu einem Ganzen zu kombinieren, in
welchem gewisse Teile der linearen Geschichte während der Entdeckung der nicht-linearen
Welt durch den Spieler aufgedeckt werden, ohne diesen in der Freiheit einzuschränken,
überall hingehen und alles tun zu können.216 Natürlich gibt es sehr unterschiedliche Genres bei
den Computerspielen; ein Ego-Shooter-Game funktioniert nach anderen Gesetzmässigkeiten
als ein Rollenspiel, ein Adventuregame anders als ein Strategiespiel. Fast ausnahmslos aber
sind narrative Bestandteile darin enthalten, manchmal nur als Eingangs- oder
Übergangssequenz, die die (neue) Situation etabliert, oftmals aber auch stärker mit der
Interaktivität der Spielhandlung verwoben haben.
Es erscheint naheliegend, dass dieses neue (teil-)narrative Medium selbst auch wieder
Implikationen auf die Erzählstruktur des älteren Mediums Film hat, wenn wir
berücksichtigen, dass die beiden Industrien lokal und rechtlich fusionieren, dass Geschichten
und Figuren zum Teil sowohl als Film, wie auch als Computerspiel erscheinen,217 und dass
zum Teil dieselben Leute Drehbücher für beide Medien entwickeln (ein Beispiel ist oben
zitiert). So wäre es vor der Verbreitung von Computerspielen schlecht denkbar gewesen,
einen Film wie „Matrix“218 zu realisieren, der sich nicht zuletzt in seinem Umgang mit dem
Raum stark von einer filmischen zu einer Computerspielkonvention verschiebt.219 Auch Filme
wie „Being John Malkovich“220, in welchem ein Protagonist in eine andere Figur

214
Im Gegensatz zur Narration mit Verzweigung, wo sich der Spieler an den Verzweigungsstellen für einen weiteren Verlauf
entscheiden muss, den Bruckman als Besenstiel-Ansatz bezeichnet – man beginnt am Stiel und verzweigt sich in die Borsten.
Sie bezeichnet so allerdings auch Erzählungen mit Mehrfachverzweigung, was vielleicht dem Bild nicht ganz entspricht und
der gängigere Begriff der Baumstruktur nach Meinung des Verfassers dies besser trifft. Vgl. Bruckman, Amy: The
Combinatorics of Storytelling: Mystery Train Interactive. Paper at The MIT Media Laboratory, Massachussats 1990, S. 7/8.
215
Exile. Myst III. Game for PC/Mac. UBI Soft, 2001.
216
Vgl. Thuresson, Björn: Space and Charakter Representation in Interactive Narratives. In: Fullerton, John/Söderbergh
Widding, Astrid: Moving Images (Hg.): From Edison to the Webcam. Sydney 2000, S. 166.
217
Wobei Murray erwähnt, dass die Geschichten und Figuren der Computerspiele aufgrund ihrer mangelnden Tiefe der
Charakterisierung und Oberflächlichkeit meist im Kino floppen (z.B. Mario Bros.). Vgl. Murray 1997, S.51.
218
Matrix, The. Andy und Larry Wachowski. DVD, 136 min. USA 1999.
219
Die Linearität der Zeit etwa wird in den Kampfszenen aufgehoben, in welchen die Protagonisten “eingefroren” werden
und sich die Kamera(s) um sie herum durch den Raum bewegen.
220
Being John Malkovich. Spike Jonze. VHS, 112 min. USA 1999.

42
Theoretische Grundlagen

hineinschlüpft oder natürlich explizit „The Game“221, in welchem das Leben nur noch eine
Spielanlage ist, zeugen deutlich von den Einflüssen der jüngeren Industrie. Das in der Regel
ebenfalls eher jüngere Kinopublikum hat die Konventionen ebenso verinnerlicht, wie die
Filmproduzenten. In diesem Zusammenhang ist sicher interessant zu beobachten und
vielleicht auch nicht ganz zufällig, dass die Regisseure, die eher spielerisch als in einem
kritischen Bewusstsein mit der Linearität im Film spielen (Tarantino, Tykwer, Nolan,
Gonzalez Inarritu, Liman, etc.) durchwegs der Generation der zwischen 30- und 40-jährigen
angehören - einer Generation, die parallel mit der Entwicklung von Computergames
aufgewachsen ist. Narrative Auswirkungen der Game-Kultur auf filmische Erzählungen
untersucht Buckland exemplarisch am Film „The Fifth Element“222. Er findet dort zum
Beispiel das Prinzip der seriellen Wiederholung von Ereignissen angewendet, das bei
Computerspielen den Zweck hat, in einem tieferen Level erworbene Fertigkeiten auf einem
höheren Level wieder anzuwenden, oder das Prinzip der fragmentierten Raum-Zeit-Schlaufen,
zwischen welchen hin- und hergesprungen werden kann, sowie die Transformation von
Figuren und Perspektiven.223

221
Game, The. David Fincher. DVD, 128 min. USA 1997.
222
Fifth Element, The. Luc Besson. VHS, 126 min. Frankreich/USA 1997.
223
Vgl. Buckland, Warren: Video Pleasure and Narrative Cinema: Luc Besson's The Fifth Element and Video Game Logic.
In: Fullerton, John/Söderbergh Widding, Astrid (Hg.): Moving Images: From Edison to the Webcam. Sydney 2000, S. 159-
164.

43
Theoretische Grundlagen

2.3. Wie das lineare Medium Film nicht-linear erzählt


2.3.1. Film wurde schon früh nonlinear

Bestanden zu Beginn des Kinos die Filme aus einer linearen Anreihung von Szenen, so
änderte sich dies eigentlich schon mit der Einführung von Parallelmontagen in
„Intolerance“224. Die Filmerzählung löste sich von den drei Einheiten von Ort, Zeit und
Handlung. Obwohl de facto der Film noch immer linear war, entstand in den Köpfen der
Zuschauer der Eindruck, man sei gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten und begleite ihren
Helden beim Showdown. Zeit wurde dehnbar und der Sprung zwischen entlegensten Orten
der Welt stellte kein Problem mehr dar. Mit der Möglichkeit, die lineare Filmerzählung
aufzuheben, war es auch möglich geworden, grössere Zeitsprünge zu überwinden und
assoziative Verbindungen zwischen zwei Handlungen herzustellen, wie viel später im
berühmten Schnitt vom Knochen auf das Raumschiff in „2001 – A Space Odyssey“225. Auch
die Rückblende (Analepse) wurde schon bald einmal eingesetzt, wenn auch immer betont
wurde, diese sei nicht übermässig zu benutzen, weil sie den Erzählfluss retardiere. Trotzdem
finden sich zahlreiche Beispiele226, die praktisch nur aus der Rückblende erzählen.

Wie in Kapitel 2.1.3 gezeigt wurde, folgt aber das klassische Erzählkino nach wie vor
weitgehend linearen Erzählstrukturen, um die Zuschauer nicht aus der Geschichte
herauszureissen.227 Verzichtet der Film auf eine eindeutige, lineare Folge und zeigt
stattdessen, dass es auch anders hätte sein können, spielt also mit Möglichkeiten und
Analogien, so gewinnt die Zuschauerin analytischen Abstand zum Dargestellten, wie im
Brecht’schen epischen Theater und es wird schwieriger, einen hohen Grad an Spannung und
Empathie zu evozieren. Diese Abweichung von der klassischen Plotstruktur tendiert dazu,
dem Zuschauer den Vorgang des Erzählens bewusst zu machen.

„Dann wird der Zuschauer seine Aufmerksamkeit nicht darauf richten, was
passiert, sondern darauf, wie es dargestellt wird.[...] Der Film wird in einem
solchen Fall selbstreferentiell, er verweist auf den Erzählprozess und darauf, dass
er ein Kunstprodukt ist. Der populäre Film versucht beides zu vermeiden: eine
inhaltliche analytische Haltung des Zuschauers, der Dargestelltes vergleicht, wie

224
Intolerance. David W. Griffith. VHS, 163 min. USA 1916.
225
2001 - A Space Odyssey. Stanley Kubrick. DVD, 139 min. England/USA 1968.
226
Vgl. etwa Amadeus. Milos Forman. VHS, 160 min. USA 1984, oder Sans toit, ni loi. VHS, 105 min. Agnès Varda.
Frankreich, England 1985. Diese natürlich nicht unbedingt als typische Mainstream-Produktionen.
227
Unterstützt durch formale Prinzipien der Kontinuität, wie etwa dem, was wir unter unsichtbarem Schnitt kennengelernt
haben, der die Logik von Raum und Zeit aufrechterhalten soll - im Vergleich etwa zur Ansicht der Regisseure der Nouvelle
Vague, die den Schnitt als Prinzip der Logik der Gedankengänge, als sprunghaft, assoziativ, bruchstückhaft und unvollendet
betrachten.

44
Theoretische Grundlagen

auch eine formal analytische Haltung, die sich auf den Artefaktcharakter des Films
konzentriert.“228

Nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner propagandistischen Medieninstrumentalisierung


wurden aber von gewissen Autoren den manipulativen Techniken gegenüber Vorbehalte
entgegengebracht, und es war teilweise also gar nicht mehr erwünscht, dass eine einzige
Interpretation favorisiert wurde. Bazin lobte in diesem Zusammenhang die Tiefenmontage
von Orson Welles229, der mit seinem Kameramann die Möglichkeit grösserer Tiefenschärfe
nutze, um mehrere Handlungen gestaffelt hintereinander darzustellen. Bazin sah dies als
Möglichkeit der Selbstbestimmung des Zuschauers, sich auf ein Detail konzentrieren zu
können. Vielleicht werde es dadurch erst möglich, die feststehende syntagmatische Form,
ohne die gemäss Metz die Verständlichkeit des Films leidet, durch eine Verdichtung der
paradigmatischen Ebene zu erweitern.230

2.3.2. Das Gegen-Kino

Vertreter der französischen Nouvelle Vague und die italienischen Post-Neorealisten stellen
sich dem klassischen amerikanischen Erzählkino mit geschlossenem Plot entgegen und
schaffen Werke, die die Welt gemäss den Worten Umberto Ecos als „Netz von
Möglichkeiten“231 beschreibt. Eco beschreibt etwa die Filme von Michelangelo Antonioni als
solche mit einer Abfolge von Ereignissen ohne klassische dramatische Verbindung, als
Geschichten, in welchen nichts geschieht, oder besser, wo die Ereignisse nicht aus narrativer
Notwendigkeit, sondern – so wirkt es zumindest – zufällig eintreten. Es handle sich um Filme,
„die entschlossen mit den traditionellen Handlungsstrukturen brachen...“232
Chatman unterscheidet in Bezug auf literarische Erzählungen zwischen den klassischen, bei
welchen Kausalität und Wahrscheinlichkeit233 entscheidend sind und den modernen, deren
Autoren sich diesen Ansprüchen entziehen wollen und bei welchen das von Jean Pouillon
vorgestellte Konzept der „contingency“ zentral wird. „Contingency“ bedeutet soviel wie
Zufälligkeit, Möglichkeit,234 ein unvorhergesehener Fall, und verweist darauf, dass die

228
Eder 1999, S. 84.
229
Vgl. etwa Citizen Kane. Orson Welles. VHS, 119 min. USA 1941.
230
Vgl. Metz 1972, S. 143.
231
Armes 1994, S. 79.
232
Eco 1996, S. 202.
233
Er zitiert Goodman mit seiner Analyse von Gedichten, der sagt, dass am Anfang einer Geschichte alles möglich ist, in der
Mitte vieles möglich wird und am Ende alles notwendig erscheint.
234
Vgl. auch mit dem Konzept der Intervalle in Kapitel 2.2.3.2.

45
Theoretische Grundlagen

Existenz, das Eintreten und der Charakter auf etwas beruhen, das noch nicht sicher ist.235 Die
klassische Erzählung zielt dann auch eher auf eine Lösung eines Problems ab, ist in seiner
Anlage teleologisch, oder wie wir bei Barthes gesehen haben proairetisch und stellt die Frage:
„Was wird geschehen?“ ins Zentrum. Die alternative Form des Plots ist eher eine Art
Enthüllung, es wird nichts gelöst, sondern Verschiedenes aufgezeigt. Er verweigert sich eben
gerade der klassisch linearen narrativen Logik, bei welcher Eines notwendigerweise zum
Nächsten führt. Daher sei eine strenge zeitliche Reihenfolge auch eher für den klassischen
Plot von Bedeutung, meint Chatman.236 Deleuze spricht davon, dass das „Aktions-Bild“, das
Bild, das sich eng an eine durch „unsichtbare Montage in Sukzession gebrachte Handlung“237
hält, nach dem Zweiten Weltkrieg in seine Krise gekommen und teilweise durch das „Zeit-
Bild“ abgelöst worden sei. Dieses gebe den Zuschauern die Freiheit, zu sehen, zu hören, sich
zu erinnern, zu träumen und werde anders getrennt und verkettet als im klassischen Film und
biete sich den unterschiedlichen Lektüren an.238

Godard wird oftmals dem klassischen Erzählkino gegenübergestellt, so etwa bei Bordwell239
oder auch bei Wollen, der Godards Filme sieben Eigenschaften attestiert, die dem klassischen
Film entgegenlaufen, darunter auch narrative Intransitivität und multiple Diegesis. Narrative
Intransitivität bedeutet soviel wie die Loslösung der Handlungsfolge von einer klaren
Kausalität hin zu Auslassungen, Unterbrüchen, episodischen Konstruktionen und
ungeordneten Abweichungen. Gemäss Wollen liess sich Godard dabei von zwei literarischen
Ansätzen inspirieren: der Idee der Kapitel, die ihm erlaubt, Unterbrüche in die Erzählung
einzubauen und der Struktur des Schelmenromans, der in pseudo-autobiographischer Form
eine zufällige und unzusammenhängende Serie von Ereignissen als Repräsentation der
Vielfalt und der Hochs und Tiefs des Lebens verbindet.240 Wollen kommt in seiner
Untersuchung des Filmes „Vent d’est“241 zum Schluss:

„Digression which, in earlier films [von Godard], represented interruptions to the


narrative have hypertrophied until they dominate the film entirely. The basic story
[...] does not have any recognizable sequence, but is more like a series of
intermittent flashes.“242

235
Vgl. Chatman, Seymour: Story and Discourse. Ithaca 1993, S. 45ff.
236
Vgl. ebd., S. 57.
237
Vgl. Schaub, Martin: Hier und anderswo, jetzt, damals und dereinst. Ein Spaziergang durch die Filmzeit. In: Cinema 43,
1998, S. 12.
238
Ebd.
239
Vgl. Bordwell 1985, S. 311-318.
240
Vgl. Wollen 1986, S. 120-129.
241
Vent d'est, Le. Jean-Luc Godard. VHS, 100 min. Frankreich/Deutschland/Italien 1969.
242
Wollen 1986, S. 121.

46
Theoretische Grundlagen

Mit multipler Diegesis dagegen ist die Darstellung einer heterogenen Welt, der Bruch
zwischen verschiedenen Codes und Kanälen gemeint. Wenn das klassische Kino eine
kohärente und integrierte Welt präsentiert und nur eine Ausnahme davon kennt (nämlich die
Erzählung in der Erzählung243) und klassischerweise die Ebenen als solche markiert, so lässt
Godard etwa in „Le Mépris“244 zusätzlich zum Film im Film auch die Figuren in
verschiedenen Welten leben. Dies drückt sich in diesem Fall dadurch aus, dass diese
verschiedene Sprachen sprechen und sich nur mittels Dolmetscherin überhaupt verstehen.
Später geht er noch weiter und fügt Figuren aus verschiedenen zeitlichen Epochen und
Fiktionen in „Weekend“ ein (Saint-Just, Balsamo, Emily Brontë) oder bricht den
Zusammenhang zwischen Ton und Bild auf, um aus dem filmischen Text eine vereinigende
Struktur verschiedener Codes und semantischer Systeme herzustellen.245

2.3.3. Delinearisierung im kommerziellen Kino

Robert McKee spricht bei nicht-linear erzählten Filmen von einer Antiplot-Struktur, deren
Merkmal es sei, dass sie disjunktiv sind; die Zeit zerhacken oder fragmentieren und es
schwierig, wenn nicht unmöglich machen, zu sortieren, was in einer linearen Sequenz passiert
ist. Der Antiplot ersetze dazu häufig Kausalität durch Koinzidenz, indem er die wahllosen
Zusammenstösse von Dingen im Universum betont, die die Kausalitätsketten durchbrechen
und zu Zerstückelung, Bedeutungslosigkeit und Absurdität führen.

„Koinzidenz treibt eine fiktionale Welt voran, in der unmotivierte Handlungen


Ereignisse auslösen, die keine weiteren Wirkungen verursachen und daher die
Story in divergente Episoden und ein offenes Ende zerlegen, wodurch die
Unverbundenheit des Daseins zum Ausdruck kommt.“246

Den meisten Menschen widerstrebe dieser Gedanke, weshalb sich denn mit solchen Antiplot-
Filmen auch nicht viel Geld mit hohen Eintrittszahlen generieren lasse. Die durchschnittliche
Rezipientin glaubt an ein Leben mit abgeschlossenen Erfahrungen absoluter, irreversibler
Veränderungen; dass sie die alleinige und aktive Protagonistin ihres eigenen Daseins ist; dass
ihr Dasein durch kontinuierliche Zeit hindurch innerhalb einer konsistenten, kausal

243
Etwa als Film im Film (z.B. Otte e mezzo, Living in Oblivion) oder Traum im Film (Wilde Erdbeeren) oder Spiel im Film
(Game, ExistenZ)
244
Mépris, Le. Jean-Luc Godard. VHS, 103 min. Frankreich/Italien 1963.
245
Wollen 1986, S. 124.
246
McKee 2000, S. 64.

47
Theoretische Grundlagen

verbundenen Realität verläuft; und dass im Rahmen dieser Realität Ereignisse aus
erklärlichen und bedeutsamen Gründen geschehen.247

Demgegenüber sieht Hochhäusler gerade im kommerziellen Aspekt den Grund für die
Auflösung der Linearität der filmischen Erzählung. Wenn die Dramaturgie als
Ordnungssystem zunächst die kommerzielle Zugänglichkeit des Films bedeutend erweitert
habe, indem es aus dem Schaumedium ein Erzählmedium gemacht und diese Erzählung
konventionalisiert habe – so meint er - könne man spätestens seit den 1960er Jahren eine
Erosion beobachten - eine Entwicklung, die wiederum kommerziell begründet sei. Die
filmischen Erzählstrukturen würden nach und nach ihre Geschlossenheit verlieren und die
Handlung degeneriere unter dem Konkurrenzdruck des Fernsehens zur blossen
Organisationsstruktur von möglichst vielen Effektereignissen, deren Wirkung mit
industriellen Methoden berechnet und hergestellt würden. Der globale Film befreie sich von
allen kulturellen Spezifika, die er kommerziell nicht nutzen kann. Im Prinzip „Blockbuster“
sieht Hochhäusler diese Tendenzen zu einer Absage an das Primat der Story gebündelt. Dies
sei zweifellos auch Ausdruck nachmoderner Fragmentarisierung, im Kern aber würden sich
hier die Marktkräfte selbst abbilden. Der Kapitalismus wirke als antinarrative Zentrifuge, in
der sich nur noch Versatzstücke der Erzählung behaupten können. Während jedes
„Storytelling“ eine Moral impliziere, einen Standpunkt – wie konventionell oder fragwürdig
auch immer – sei Sinnstiftung im „Blockbuster“ kein Thema mehr: eine Bedeutung sei zu
wenig.248 Auch Sentürk attestiert dem kommerziellen Kino eine zunehmende Fokussierung
auf einzelne Einstellungen und das damit einhergehende Vernachlässigen der linearen
Kontinuität der Erzählung, die er allerdings auch in der postmodernen Intertextualität
verortet.249 Ist das Aufbrechen einer linearen Filmerzählung eher eine subversive oder eher
eine kommerzielle Strategie? Zumindest beim Betrachten von Musikvideos, die ja in ihrer
Funktion als Werbefilme für Industrieprodukte hochgradig kommerziell sind, könnte man
geneigt sein, sich dieser zweiten Aussage anzuschliessen. So hat das Musikvideo eigene
Formen der Einstellungsverkettungen entwickelt, die helfen sollen, von der Linearität
abweichende Erzählstrukturen auf der Mikroebene der Montage trotzdem zusammenzukitten,

247
Es wäre allerdings interessant, in diesem Zusammenhang zu untersuchen, ob das In-Frage-stellen einer einzigen Realität
sich auch in breiten Schichten der Rezipienten allmählich durchsetzt, wenn diese immer häufiger mit Fragmentierung der
Informationseinheiten oder dem Umgang mit sich verändernden Modellen konfrontiert werden, wie etwa in der Arbeitswelt,
die sich tendenziell in den Informationssektor verschiebt.
248
Vgl. Hochhäusler, Christoph: Erfahrung vs. Erzählung. In: Rosenthal, Stephanie: Stories. Erzählstrukturen in der
zeitgenössischen Kunst. Köln 2002, S. 76.
249
Vgl. Sentürk, Ritvan: Postmoderne Tendenzen im Film. Inaugural-Diss. Phil I/II. Friedrich-Alexander-Universität.
Erlangen-Nürnberg 1998, S. 95.

48
Theoretische Grundlagen

wie Schumm in seiner Analyse des Videoclips „Cloudbusting“250 nachweist. Dies geschieht
dadurch, dass Bildschwerpunkte aneinanderstossender Einstellungen am selben Ort oder auf
derselben Achse liegen oder diffus genug sind, um nicht wahrgenommen zu werden. Mittels
dieser Techniken der Einstellungsverkettungen schafft es das Genre Videoclip sehr dicht und
schnell zu erzählen.

„Die einzelnen Handlungsstränge werden nicht mehr linear-seriell, d.h. weitgehend


nacheinander erzählt, sondern durchgehend parallel geführt (montiert) und ständig
‚durchmischt’. Kürzeste Episoden und Einstellungen der einzelnen Erzählebenen
lösen, durch Verkettungen verbunden, in ständigem Wechsel einander ab. Mehrere
Handlungsstränge mit den damit verbundenen zahlreichen und häufigen Personen-
und Situationswechseln, Orts- und Zeitsprüngen können so durchgeführt werden,
ohne die Kohärenz der Geschichte zu gefährden.[...] Diese Vernetzung der
Erzählstränge und Episoden zu einer dichten vor- und rückwärtsgerichteten
Verweisungstextur profitiert davon, dass das Nicht-mehr-Sichtbare dadurch im
nächsten Moment erneut in Erinnerung gebracht wird. [...] Die Kürze der Episoden
und ihr schneller zyklischer Wechsel ist wesentlich dafür verantwortlich, dass der
Zuschauer daraus einen ‚inneren’, parallelen, polylinearen Film erzeugen kann“.251

250
Cloudbusting. Videoclip für Kate Bush. 5 min. 1985.
251
Bühler, Gerhard: Postmoderne auf dem Bildschirm auf der Leinwand. Musikvideos, Werbespots und David Lynchs Wild
at Heart. St. Augustin 2002, S. 90.

49
Empirische Untersuchung

3. Empirische Untersuchung
3.1. Forschungsfragen
Auch wenn der Titel dieser Arbeit die Auflösung der linearen Narration auf den Film im
Allgemeinen bezieht, ist damit in erster Linie noch das lineare Medium Film gemeint, wie es
heute im (noch nicht digitalen) Kino oder zuhause auf Video und (nur rudimentär
interaktiver) DVD, oder im (ebenfalls nicht interaktiven) Fernsehen zu sehen ist. Neuere
technische Möglichkeiten werden im Ausblick noch kurz angetönt, im Zentrum steht aber das
Medium Film, wie wir es heute kennen. Linear von Anfang bis Ende abgespielt. Damit ergibt
sich zwangsläufig die Frage nach der Auflösung dieses scheinbaren Paradoxon – wie ein
physisch lineares Medium nonlinear erzählen soll und welche Möglichkeiten ihm dazu zu
Verfügung stehen.

Die Leitfrage dieser Arbeit lautet daher also:

Welche Möglichkeiten des nicht-linearen Erzählens gibt es im Film?

Die Folgefragen, die sich daraus ableiten, heissen:

1) Worauf kann sich diese Nicht-Linearität beziehen? Bei der Definition von Linearität
wurden bereits einige Dimensionen genannt, in denen Filme nicht-linear erzählen
können; weitere ergeben sich aus den genannten Theorien und induktiv durch die
untersuchten Beispiele.

2) Wie werden diese Möglichkeiten im Einzelnen bereits im linearen Medium Film


genutzt?

3) Welcher formaler Mechanismen bedienen sich die exemplarischen Beispiele?

50
Empirische Untersuchung

4) Wie spielen die theoretischen Konzepte hinein? Handelt es sich etwa um offene oder
ludische Texte, beruhen sie auf einer assoziativen Hypertext-Struktur oder spielen
künstlerische Konzepte eine zentrale Rolle?

5) Welche Funktionen erfüllen die nonlinear erzählten Filme durch ihre Abweichung von
der „Norm“?

Davon ausgehend sollen noch zwei weitere Frage als Ausblick in die Zukunft gestellt werden:

6) Welche weiteren Formen nonlinearen Erzählens im linearen Medium Film wären noch
vorstellbar?

7) Wie könnte sich Film zu einem nonlinearen Medium wandeln?

51
Empirische Untersuchung

3.2. Vorgehen und Methode


3.2.1. Vorgehen

Da etwas über die Möglichkeiten filmischer Narration ausgesagt werden soll, wird sich diese
Untersuchung direkt dem Gegenstand des Interesses, den Filmen zuwenden, weil die
Erzählstrukturen dort unmittelbar vorliegen.252 Und weil dazu nicht auf bestehende
Grundlagenforschung zurückgegriffen werden kann – es existieren allenfalls einzelne
Filmanalysen, die unter anderen Fragestellungen am Rand auch noch den Gesichtspunkt der
Nicht-linearen-Erzählstruktur aufgreifen253 - muss zwangsläufig zuerst eine ausführliche
Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes erfolgen. Mayring postuliert Deskription als
Anfang jeder Analyse in den Sozialwissenschaften und beruft sich dabei auf die Aussage
Diltheys, dass genaue Beschreibungen des Gegenstandes254 immer der Ausgangspunkt sein
müssen, bevor als zweiter Schritt erklärende Konstruktionen benutzt werden. Genaue
Beschreibung heisst für ihn zunächst einmal, dass am einzelnen Fall angesetzt werden muss.
Also sollen exemplarischen Fälle betrachtet werden, die etwas über die Möglichkeiten des
Nonlinearen-Erzählens aussagen könnten. Diese werden aber nicht, wie oft in der Filmanalyse
praktiziert, mittels Sequenzprotokollen analysiert, sondern, da es um die übergreifende
Struktur der Erzählung geht, mittels Nacherzählung und Synopsis und unter Aufführung
diverser Merkmale, die etwas über die Linearität dieser Erzählung aussagen.
Die Merkmale werden am Anfang bewusst offen gehalten, wie es Mayring fordert, wenn er
meint, man solle dem Gegenstand mit möglichst grosser Offenheit auf theoretischer und
methodischer Ebene gegenübergetreten. Unter Offenheit auf theoretischer Ebene versteht er
die Möglichkeit zuzulassen, Neues zu entdecken, ohne deswegen auf vorgängige theoretische
Vorstrukturierung255 zu verzichten; auf methodischer Ebene bedeutet dies, die Möglichkeit zur
Schaffung neuer Kategorien während des Forschungsprozesses offenzuhalten.256 So wurden
sowohl Merkmale, wie auch Fallbeispiele, die für die Untersuchung von Interesse sein
könnten, einerseits von der theoretischen Literatur deduktiv abgeleitet und anhand der

252
Es könnten ja auch z.B. Autoren zu ihren Absichten befragt, Drehbücher oder Transkripte analysiert oder rein theoretisch
Kategorien anhand der Literatur aufgestellt werden. Vorteil solcher Verfahren wäre vielleicht der weniger grosse
interpretatorische Spielraum, die Gefahr bestünde aber darin, nicht alle Codes des Filmes berücksichtigen zu können, da
diese bereits in ein fremdes Medium übersetzt worden wären. Ausserdem wirkt sich der interpretatorische Spielraum in
diesem Fall vielleicht eher sogar positiv auf das Untersuchungsziel aus.
253
Vgl. etwa Sesslen, Nagel, Jansen, Wach, Horton.
254
Wobei sich dieser auf die Geisteswissenschaften bezogen hat.
255
Strauss und Corbin würden dies als “theoretische Sensibilität” bezeichnen, die nötig ist, um die aussagekräftigen
Merkmale in der Auswertung der Daten zu erhalten. Darunter verstehen sie die Fähigkeit, über empirisch gegebenes Material
in theoretischen Begriffen zu reflektieren. Vgl. Kelle, Udo/Kluge Susann: Vom Einzelfall zum Typus. Fallvergleich und
Fallkontrastierung in der qualitativen Sozialforschung. Opladen, 1999., Kapitel 2.1.
256
Vgl. Mayring, S. 1-25.

52
Empirische Untersuchung

induktiven Erkenntnisse bestätigt, verworfen oder abgeändert und andererseits erst aus der
induktiven Analyse gewonnen.

3.2.2. Zur Wahl der Methode

Diese Art qualitativ deskriptiver Untersuchung im Spannungsfeld zwischen Induktion und


Deduktion ist auch unter dem Begriff „gegenstandsverankert“ bekannt.257 In einem ersten
Schritt werden spezifische Merkmale, die etwas über die Linearität einer Erzählung aussagen,
phänomenologisch aus den Fallbeispielen extrahiert und durch offenes Kodieren258
beschrieben. „Codierung259 bedeutet dabei die Zuordnung von Textsegmenten zu Kategorien,
die der Interpret ad hoc entwickelt.“260 Obwohl es sich beim Vorgehen also um eine offene
Kodierung handelt, der vom Datenmaterial über die Merkmale ad hoc zu den Kategorien
führt, fand diese Kodierung mehr subsumptiv261 als abduktiv 262 statt. Subsumptiv daher, weil
die im Vorfeld und parallel zur empirischen Untersuchung erworbene theoretische Sensibilität
durch den Einbezug der erwähnten empirisch gehaltvollen Literatur, sowie das empirisch
gehaltvolle Alltagswissen aus der Praxis als Cutter miteingeflossen sind.263 Ziel dieser
Kodierung ist es sicherzustellen, dass alle relevanten Daten zu einem bestimmten Sachverhalt
zusammengetragen werden können und die Analyse ist die synoptische, interpretative
Analyse dieser verkodeten Texte.

Es soll aber nicht bei der Beschreibung von Einzelfällen bleiben. Denn, wie Kelle und Kluge
betonen, ist für eine deskriptive Gliederung eines Untersuchungsfeldes eine systematische
Kontrastierung der Einzelfälle hilfreich.264 Die auf das verfügbare Korpus 265
angewandten
Codes werden nun also in einem weiteren Schritt zu Konzepten weiterentwickelt, die mit der
Dauer der Untersuchung und der Ausweitung des Korpus zu festen Kategorien werden
sollen.266 Die Schwierigkeit und die Hauptarbeit in Bezug auf die Entwicklung einer
Typologie besteht also in einem Schritt, der so gar nicht eigentlich transparent gemacht

257
Vgl. Strauss, Anselm L./Corbin, Juliet: Grounded Theory. Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. Weinheim 1996, S.
7/8.
258
Ebd., S. 43.
259
Die Schreibweise von Code resp. Kode variiert in der Literatur, je nach Übersetzungskonvention aus dem Englischen.
260
Kelle/Kluge 1999, S. 56.
261
Als Zuordnung eines Phänomens zu einer bereits bekannten Kategorie. Vgl. Kelle/Kluge 1999, S. 58.
262
Als Konstruktion einer neuen Kategorie zur Beschreibung eines empirischen Phänomens. Vgl. ebd.
263
Vgl. dazu Kelle und Kluge über die Konstruktion von Kategorien- bzw . Kodierschemata. Kelle/Kluge 1999, Kapitel 4.2.
264
Kelle/Kluge 1999, S. 10..
265
Siehe Kapitel 3.2.3.
266
Ein Prozess den Strauss/Cobin als Dimensionalisieren bezeichnen. Vgl. Strauss, Anselm L.; Corbin, Juliet: Grounded
Theory. Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. Weinheim 1996, S. 44ff.

53
Empirische Untersuchung

werden kann, nämlich in der einheitlichen Kodierung sehr heterogenen Materials, dem
Zuordnen von Merkmalen, die sich ansatzweise miteinander vergleichen lassen, um
Kategorien zu bilden. Ohne Problem könnte man jedem Film seine eigenen spezifischen
Merkmale attestieren, damit liesse sich aber nichts vergleichen.

Anschliessend werden die Kategorien verglichen und einander gegenübergestellt,


Ähnlichkeiten und Unterschiede werden herausgearbeitet und es wird versucht, die Merkmale
zusammenzufassen, um übergreifende Typen zu bilden und die Informationsfülle dieses
komplexen Untersuchungsgegenstandes zu reduzieren.267

Ziel dieser Datenauswertung ist es also, eine möglichst breite Palette an Möglichkeiten des
Nicht-linearen-Erzählens zu gewinnen. Eine vollständige Übersicht kann natürlich schon rein
aufgrund des innovativen Potentials des Untersuchungsgegenstandes nie und im Rahmen
dieser Arbeit schon gar nicht erreicht, in weiteren empirischen Untersuchungen aber jederzeit
erweitert werden.

3.2.3. Das Korpus

Die Auswahl der zu untersuchenden Fällen geschah nach dem Verfahren einer bewussten,
kriteriengesteuerten Fallauswahl, wie sie von Kelle und Kluge beschrieben wird.268 Zu diesem
Zweck musste einmal eine Eingrenzung in Bezug auf das zu untersuchende Medium gemacht
werden. Da die Forschungsfrage lautete: „Welche Möglichkeiten des nicht linearen Erzählens
gibt es im Film?“ und die Folgefrage diese Bezeichnung noch eingrenzt auf die
Möglichkeiten im linearen Medium Film, war schon klar, dass ausschliesslich linear
rezipierte Filme untersucht werden sollten. Interaktive Applikationen, Computergames,
Hyperfiktionen, interaktive Filme269 und künstlerische Videoinstallationen wurden zwar im
Umfeld und für den theoretischen Teil sowie im Speziellen für den Ausblick auf Neue
Medien mit Interesse betrachtet, waren aber so von vornherein aus dem Untersuchungskorpus
ausgeschlossen. Wobei sich die letztgenannte Kategorie nicht immer eindeutig abgrenzen
lässt. Die Differenzierung Film/Video bezieht sich einzig auf die Materialität, und ob ein als

267
Vgl. Böhm, Andreas: Theoretisches Codieren: Textanalyse in der Grounded Theory. In: Flick, Uwe/von Kardorff,
Ernst/Steinke, Ines (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg 2000, S. 476.
268
Vgl. Kelle/Kluge 1999, Kapitel 3.
269
Etwa Clue. Jonathan Lynn. VHS, 94 min. USA 1985.

54
Empirische Untersuchung

Teil einer Installation geplantes Video nicht auch für sich allein Bestand haben kann, ist nicht
immer klar zu entscheiden.270
Das zweite, weitaus schwieriger abzugrenzende Kriterium für die Aufnahme in das Korpus
war ein negatives: Diese Filme sollten nicht linear erzählen. Stand anfänglich bloss die Idee
im Vordergrund, dass es sich dabei um Filme handeln sollte, die mehrere Verläufe einer
Geschichte als Alternative anbieten oder die Chronologie im Plot umstellten, so wurde der
mögliche Kriterienkatalog für Nicht-lineares-Erzählen schnell einmal aufgrund induktiver
Ergebnisse auf die anderen in Kapitel 3.2.4 beschriebenen Dimensionen ausgeweitet.
Dabei ist zu vermerken, dass auch die Unterscheidung in Spiel- und Dokumentarfilm, die sich
nicht nur durch Zwischenformen (Docudrama, Docufiction, etc.), sondern auch durch die
Realitätsdebatte zunehmend auflöst, unberücksichtigt bleibt. Das Korpus bedient sich also
ungehemmt aus dem gesamten Fundus, auch „dokumentarische“ Filme folgen einer
Dramaturgie, einer traditionellerweise chronologisch-kausal linearen Erzählstruktur.271 Auch
Differenzierungen bezüglich Produktionssystem und Zielgruppe werden ausser Acht gelassen.
Es soll also nicht interessieren, ob ein Film im Rahmen des kommerziellen Systems oder als
Alternative (Art Cinema, Underground, Avantgarde) dazu entstanden ist.
Dabei sind Filme ausgeschlossen, die „bloss“ in der Rückblende erzählen, auch wenn dies den
ganzen Film bis auf Anfang oder/und Schluss betrifft272, sowie solche, die nur mit zeitlichen
Ellipsen273 arbeiten, da dies durchaus konventionalisiert ist und ansonsten die Auswahl ins
Unermessliche wachsen würde. Bei den meisten Abgrenzungen zum linearen Erzählen verhält
es sich ähnlich dem in der Fraktalgeometrie diskutierten Dilemma, dass die Küste von
England mit zunehmend kleinerem Massstab länger wird.

270
Es wurde denn auch ein Beispiel in die Liste aufgenommen, das klar in diesem Umfeld anzusiedeln ist: “Das Engadiner
Wunder”.
271
Vgl. etwa Kiener, Wilma: Die Kunst des Erzählens. Narrativität in dokumentarischen und ethnographischen Filmen.
Konstanz 1999.
272
etwa Sans toit, ni loi. Agnès Varda. VHS, 105 min. Frankreich, England 1985, oder Usual Suspects, The. Brian Singer.
VHS, 106 min. USA/Deutschland 1995. Hingegen werden Filme im Korpus auftauchen, die in der Rückblende erzählen und
gleichzeitig noch ein anderes Kriterium der Nonlinearität erfüllen.
273
Auslassungen: Jede Sequenz, die nicht gerade eine Plansequenz, also eine Sequenz aus nur einer Einstellung ist, enthält
zeitliche Auslassungen, die im Laufe der Entwicklung der konventionellen Filmsprache immer grösser und besser akzeptiert
wurden. So werden für die Entwicklung der Handlung “unwichtige” Details meistens ausgespart. Wenn ein Protagonist bspw.
aus einer Wohnung geht und vor einem Büro steht, weiss der Zuschauer, dass er den Weg dorthin zurücklegen musste, aber
vielleicht ist der Weg nicht wichtig. Allerdings wurde diese Art konverntionalisierter Auslassungen auch schon
verschiedentlich in Frage gestellt, etwa durch die Jump-Cuts von Godard. Diese unterbrechen eine linear ablaufende
Einstellung durch deutlich sichtbare Zeitsprünge, wo der unsichtbare Schnitt mit Zwischenbildern, Cut-aways, die
Auslassung konventionellerweise verdecken würde.

55
Empirische Untersuchung

In einer längeren Recherchephase wurde nun aufgrund dieser Kriterien potentiell interessante
Filmtitel mittels folgender Informationsquellen definiert:

• Hinweise aus der theoretischen Literatur.


• Kenntnisse der Filmgeschichte.
• Gespräche mit filmkundigen Informanten.
• Recherche im Internet.
• Willkürliches Stöbern in Videotheken und Medienarchiven und Auswahl aufgrund der
Synopsis.

Ob die sich aus der Recherche als potentiell interessant erwiesenen Filme nun auf Video oder
DVD vorlagen, konnte und musste als Kriterium ausgeblendet werden. Dies konnte aber mit
gutem Gewissen geschehen, weil es sich auch bei den DVD-Versionen in keinem Fall um
eine Anwendung des in dem Medium angelegten Potentials der Interaktivität handelte,
sondern schlichtweg um eine neue Distributionsform eines in derselben Weise274 in Kinos
aufgeführten linearen Films. Ausserdem war diese Medienblindheit aus pragmatischen
Gründen unerlässlich, weil sich dadurch die Wahrscheinlichkeit erhöhte, überhaupt an den
Untersuchungsgegenstand heranzukommen. Eines der grössten Probleme lag denn auch in der
Verfügbarkeit der potentiell interessanten Filme. Um die Arbeit in einem in der verfügbaren
Zeit zu realisierenden Rahmen zu halten, mussten die Beschaffungsorte auf ein Einzugsgebiet
begrenzt werden, das innerhalb einer Tagesreise erreichbar war. Dies wären also in der
Reihenfolge ihrer Nutzung:

1. Kornhausbibliothek in Bern
2. Netzwerk der Schweizer Universitätsbibliotheken
3. Videotheken in Bern und Zürich
4. Mediacentre in Fribourg
5. Institut für Filmwissenschaft in Zürich
6. Cinémathèque Suisse in Lausanne und entsprechende Dokumentationsstelle in Zürich
7. Medienarchiv der Schulen für Gestaltung in Bern und Basel
8. Bestellung über Internet

Die Varianten 6 und 8 waren aber aus Kostengründen nicht immer realisierbar. Es braucht
wohl nicht angemerkt zu werden, dass durch diese Eingrenzung der Bezugsquellen etliche
Filme, die interessant hätten sein können, schlichtweg nicht zugänglich waren. Insbesondere
Filme aus Ländern ausserhalb Europas und der Vereinigten Staaten kamen sicherlich zu kurz

274
Für den Film Time Code. Mike Figgis. DVD, 97 min. USA 2000, muss allerdings angemerkt werden, dass dieser
ursprünglich auf vier verschiedenen Leinwänden aufgeführt wurde. Soviel darüber in Erfahrung zu bringen war, waren diese
nebeneinander angeordnet.

56
Empirische Untersuchung

und wären gerade für diese Thematik von grossem Interesse gewesen.275 Es würde sich daher
anbieten, diese Untersuchung in einem weiteren Schritt auf ein umfassenderes Korpus
anzuwenden. Damit würden sich wohl nicht nur die Anzahl Fälle innerhalb der Kategorien
erhöhen, sondern mit ziemlicher Sicherheit kämen nochmals neue, interessante Kategorien
hinzu. Weiter bleibt anzumerken, dass viele Filme, die auf den ersten Blick interessante
Aussagen versprachen, in einem zweiten Schritt wieder ausgemustert wurden, weil diese nur
in Ansätzen nicht-linear erzählen.

3.2.4. Untersuchungsdimensionen

Das Korpus wird nun auf untenstehenden Untersuchungsdimensionen hin analysiert, die in
Bezug auf eine Aussage über nicht-lineare Erzählstrukturen relevant schienen. Diese sind
induktiv anhand der den Filmen zugeteilten Merkmale unter Einbezug der vom theoretischen
Teil deduktiv abgeleiteten Ansätze elaboriert worden. Die jeweils relevanten Theorien werden
unter den einzelnen Dimensionen nochmals kurz aufgeführt.
Es müssen dabei nicht zwangsläufig mehrere oder gar alle Dimensionen erfüllt sein, damit
von Nicht-linearem-Erzählen im Film gesprochen werden kann - es reicht durchaus, wenn
sich die betreffenden Filme in einer dieser Dimensionen von der gewohnten Linearität
unterscheiden. Die Existenz weiterer adäquater Dimensionen wird dabei auch in keiner Weise
ausgeschlossen.

Dabei werden die Dimensionen zusammengefasst in:

A) Plotaufbau: Dimensionen, die den nonlinearen Aufbau des Plots selbst betreffen (dies
ist die zentralste Dimensionseinheit).
B) Rückschlüsse auf die Story: was lässt sich anhand des Plot über die Story sagen?
C) Art der Verknüpfung: Wie sind die einzelnen Teile der Erzählung neben oder anstelle
der dramaturgischen Verbindung sonst noch miteinander verknüpft?
D) Formale Präsentation: Wie werden die nicht-linearen Bestandteile im Plot formal
präsentiert?

275
Vergleiche Kapitel 2.2.1.1 über die oralen Kulturen und ihre Zeit- und Kausalitätsauffassung.

57
Empirische Untersuchung

A) Plotaufbau

Hier handelt es sich also – wie wir bei der Definition des Begriffs Plot gesehen haben - um
die Art und Weise, wie uns als Zuschauer die Geschichte präsentiert wird. Eine nonlineare
Präsentation muss nicht unbedingt bedeuten, dass auch die Story nonlinear ist oder weniger
klar und eindeutig als bei einer linearen Anordnung im Plot.

[2]276 Chronologie
Bei Linearität eines Filmes denkt man zuallererst einmal an die zeitliche Folge der Erzählung,
die Chronologie der Ereignisse oder das, was Genette die Ordnung277 nennt. Es existiert eine
Reihe von Filmen, die in Rückblenden erzählen - Ereignisse, die in der Chronologie der Story
weiter vorne geschehen, im Plot erst weiter hinten präsentiert werden, oder umgekehrt, aber
seltener, mittels Flashforward gewisse Ereignisse vorwegnehmen. Andere Filme beginnen
die Erzählung In-Medias-Res – mitten in die Sache hinein –, um dann die Vorgeschichte
nachträglich noch zu erzählen.278 Grundsätzlich kann der Plot die Ereignisse der Story
beliebig neu ordnen. Solange auf die Chronologie der Story rückgeschlossen werden kann,
hält sich die Irritation in Grenzen. Das Problem besteht oftmals darin, mit filmischen Mitteln
erkennbar zu markieren, dass es sich bei dieser A-Chronologie eben um einen Flashback,
einen Flashforward oder eine einfache zeitliche Ellipse handelt.
Natürlich interessieren hier vorwiegend Beispiele, die der gewohnten Chronologie deutlich
zuwiderlaufen, wie etwa Filme, die im Kreis herum erzählen, die rein aus Fragmenten
zusammengesetzt sind, die rückwärts erzählt werden oder oder aus Sequenzen bestehen, die
überhaupt in keinem zeitlichen Bezug zueinander stehen (achronisch gemäss Genette).

[3] Kausalität
Wie bei der Erklärung der narratologischen Begriffe bemerkt wurde, unterscheidet sich je
nach Theorie das dramatische vom epischen Erzählen oder die Story vom Plot dadurch, dass
die einzelnen Elementen in der jeweils zweiten Form nicht nur additiv oder korrelativ,
sondern auch konsekutiv miteinander verknüpft werden. Kausalität wird zum dramatisch
wichtigen Konzept im klassischen Erzählkino und wie Thompson erklärt: „Jedes Ereignis
276
Die Nummerierung bezieht sich auf die Position in der Liste im Anhang und ist der Einheitlichkeit halber hier noch etwas
unlogisch, dafür wird diese gleichbleibend beibehalten, um eine rasche Gegenüberstellung von Beschreibung der Kategorie,
der Aufführung bei den Einzelfällen und der summarischen Auswertung zu ermöglichen. Die [1] wäre also die Synopsis des
Films. Vgl. Kapitel 3.3.1.
277
Vgl. Genette 1998, S. 18.
278
Diese Mitte kann natürlich ebenso gut als Flashforward, resp. der sich anschliessende Anfang als Flashback aufgefasst
werden. Für eine detaillierte Aufstellung der Kombinationsmöglichkeiten sei auf Branigan verwiesen. Vgl. Branigan,
Edward: Narrative Comprehension and Film. London 1992, S. 41.

58
Empirische Untersuchung

wird kausal inszeniert und erklärt. Es gibt selten eine Zweideutigkeit, im Gegenteil, die
Erzählung vieler Hollywood-Filme ist oft sehr redundant durch wiederholte
Informationen.“279
Der Fokus liegt bei dieser Dimension also auf Formen, die von der linearen Unikausalität, bei
welcher eine klare Ursache zu einer klaren Wirkung führt, abweichen. Dies kann etwa
geschehen in Form der multikausalen Zusammenhänge, wo z.B. eine Ursache mehrere
mögliche Wirkungen oder eine Wirkung mehrere mögliche Ursachen haben kann, eines
akausalen Verlaufs, wo sich Sachen ereignen, ohne dass jemand oder etwas Spezifisches
dafür verantwortlich gemacht werden könnte und – was hier auch noch mit dazuzählt – in
einer im nachhinein sich aufdeckenden Kausalität, weil diese ja auch nicht linear erzählt wird.
Auf die Schwierigkeit des Trennens von Chronologie und Kausalität wurde in Kapitel 2.1.2
auch schon hingewiesen, wie auch auf die Annahme Chatmans, dass viele
Kausalzusammenhänge nur verdeckt und implizit vorhanden sind und vom Rezipienten
konstruiert werden.

[4] Perspektiven
Bei der Dimension der Perspektiven muss sich der Verfasser wohl den Vorwurf gefallen
lassen, er reproduziere den alten Fehler der mangelnden Differenzierung zwischen dem, was
Genette Modus und Stimme nennt.280 Dies kann aber guten Gewissens geschehen, weil für
diese Untersuchung nicht relevant ist, ob der Erzähler in der Erzählung vorkommt und ob er
die Handlung von innen analysiert oder von aussen beobachtet. Entscheidend ist vielmehr, ob
etwa die Perspektive im Laufe der Erzählung wechselt, oder ob gleichzeitig aus verschiedenen
Perspektiven erzählt wird und sich diese gegenseitig ausschliessen, zulassen oder sogar
ergänzen. Zwar sind seltene Fälle bekannt, in welchen zwar nicht die Perspektive, das „wer
sieht“, gewechselt wird, sondern nur die Stimme, das „wer spricht“281, es wird aber im
Rahmen dieser Arbeit sowieso nicht möglich sein, derart detaillierte Analysen vorzulegen,
damit dies relevant würde.

[5] Erzählebenen
Genette definiert den Unterschied der Erzählebenen wie folgt: „Jedes Ereignis, von dem in
einer Erzählung erzählt wird, liegt auf der nächsthöheren diegetischen Ebene zu der, auf der
279
Thompson, Kristin: Wiederholte Zeit und narrative Motivation in Groundhog Day. In: Bordwell, David et al. (Hrsg.): Zeit,
Schnitt, Raum. Frankfurt a. Main 1997, S. 61.
280
Vgl. Genette 1998, S. 132 ff.
281
Etwa im Film „Sunset Boulevard“ wo ein Toter in der dritten Person eingeführt wird, dann aber in der ersten Person über
die vergangenen Ereignisse spricht und dadurch ein verwirrender Bruch in der Linearität der Erzählung entsteht. Vgl. Sunset
Boulevard. Billy Wilder. VHS, 110 min. USA 1950.

59
Empirische Untersuchung

der hervorbringende narrative Akt dieser Erzählung angesiedelt ist.“282 Von der jeweiligen
Diegese aus gesehen, könnte also auch von metadiegetischen Ereignissen gesprochen werden.
So kann eine Erzählung nicht nur innerhalb derselben Diegese nach hinten und vorne
springen, sondern auch auf eine höhere Erzählebene, was Genette die Metalepse nennt. Noch
vor dieser Betrachtung wird aber grundsätzlich differenziert, ob ein Film überhaupt mehrere
Erzählebenen aufweist, was ihn zumindest schon als nicht-lineare Erzählung klassifiziert, und
falls ja, welcher Art diese sind. So kann es sich bei mehreren Erzählebenen etwa um Realität
und Traum, Film und Kommentar, Film im Film, oder Spiel im Film handeln. Postmoderne
Filme verweisen oftmals auch auf die Künstlichkeit der Erzählsituation, indem sie den
Erzähler explizit auf einer anderen Ebene darüber reflektieren lassen, oder sie weisen die
Erzählung als eine Fiktion auf einer anderen diegetischen Ebene aus.283 Allerdings wird hier
eine Erzählstimme aus dem Off284 nicht als eigene diegetische Ebene behandelt, sofern diese
nicht auch visuell eingeführt wird und eine eigene Identität besitzt.285 Als Spezialfälle
verschachtelter Erzählungen sind noch die Infraierungskonstruktion286, auch Mise-en-abyme,
zu nennen, die die Geschichte, die Thematik der Erzählung in einer kleineren Form nochmals
aufnimmt287 und das, was Ryan den „strange loop“ nennt, in Analogie zu den Treppen bei
Escher, die auf sich selbst zurückgeworfen werden.288 Eine Ebene, die sich auf die
nächsthöhere auswirkt, wie in der Geschichte von Cortàzar über den Leser, der von der Figur
des Romans, den er liest, ermordet wird.289

[6] Erzählstränge
Lämmert unterscheidet bei der Verflechtung von mehrsträngigen Erzählungen zwischen
denjenigen, die verschiedene Fäden einer Handlung und denjenigen, die mehrere
Handlungsstränge miteinander verflechten. Verschiedene Handlungsstränge divergieren dabei
mindestens in einem der folgenden drei Kriterien: verschiedene Handlungszeit, verschiedene
Schauplätze, verschiedene Handlungen. Dominiert dabei die notwendige verbindende

282
Genette 1998, S. 163.
283
Lacey nennt hier das Beispiel “The Usual Suspects” von Bryan Singer, in welchem sich die Erzählung am Schluss als
Erfindung des Verhörten herausstellt. Vgl. Lacey 2000, S. 110, und Usual Suspects, The. Brian Singer. VHS, 106 min.
USA/Deutschland 1995.
284
Dem Raum ausserhalb des Bildes (nur Tonebene).
285
Zu beachten ist auch die Unterscheidung zwischen diegetischer Ebene und medialer Ebene, d.h. Bild-, Ton- und
Textebene. Diese können identisch sein, wenn etwa der Ton etwas anderes erzählt als das Bild, müssen dies aber
selbstverständlich nicht.
286
Der Begriff stammt eigentlich aus der Wappenkunde, wo oftmals innerhalb des Wappens dasselbe Wappen in kleinerer
Abbildung nochmals wiederholt wird.
287
Vgl. etwa auch die Analogie mit den russischen Babuschka-Puppen, die ineinander verschachtelt sind oder die Mundart-
Kindergeschichte vom “Ma mit em hohle Zahn”.
288
Vgl. Ryan 2001, S. 165.
289
Als filmisches Beispiel würde ich etwa Purple Rose of Cairo, The. Woody Allen. VHS, 84 min. USA 1985, bezeichen,
wenn der Archäologe aus dem Film im Film von der Leinwand steigt, um mit der Kellnerin durchzubrennen.

60
Empirische Untersuchung

übergeordnete Handlung die Erzählung so bezeichnet man die untergeordneten Erzählungen


als Episoden, dominieren diese, so wird man die übergeordnete Erzählung als
Rahmenhandlung ansehen.290 Die Schwierigkeit in der Abgrenzung besteht vor allem
gegenüber der Dimension der Erzählebene. Kann man etwa von einem Wechsel der
Schauplätze ausgehen, wenn dieser „nur“ im Traum stattfindet, oder von einem Wechsel der
Erzählzeit, wenn sich dieser auf Erinnerungen der Protagonistin bezieht? Diese Sichtweise
wird hier abgelehnt und klar markierte Träume, Erinnerungen oder Erzählungen werden
einem Wechsel der Ebene und nicht des Erzählstranges zugeteilt. Weiter müsste man sich
fragen, ob nicht eigentlich bloss Fälle von Interesse sind, in welchen Ort und Zeit beibehalten
werden und nur die Einheit der Handlung gewechselt wird, da die übrigen ja mit den
Dimensionen [2] und [7] redundant sind, und ob es daher nicht sinnvoller wäre, diese
Dimension z.B. „Handlungswechsel“ zu nennen? Aus zwei Gründen soll an der gewählten
Benennung festgehalten werden: 1. um bei der obenerwähnten Unterteilung von Lämmert
anknüpfen zu können und 2. weil es sich bei der Gleichsetzung von Einheit der Zeit und
Chronologie um einen Fehlschluss handelt. Auch eine nicht-lineare Chronologie kann die
Einheit der Zeit der Erzählung beibehalten. Allerdings wird in dieser Untersuchung auf eine
Unterscheidung bezüglich des Wechsels der Person verzichtet, dies könnte durchaus auch
noch ein Kriterium für eine nicht-lineare Erzählung sein. Erzählstränge, die sich auf
Handlungen verschiedener Personen beziehen, werden also gleichwertig behandelt mit
solchen, die durch eine einzige Person zustandekommen.

[7] Einheit des Ortes


Bleibt die Einheit des Ortes gewährleistet oder springt und wechselt der Film zwischen
verschiedenen Handlungsorten? Die Einheit des Ortes kann dabei durchaus weit im Sinne
eines einheitlichen fiktiven Universums der Diegese (innerhalb einer Stadt, eines Landes oder
sogar eines Sternensystems) verstanden werden. Als nicht-linear in Bezug auf den Ort werden
Filme bezeichnet, deren Handlung an verschiedenen Orten stattfindet, die nicht sinnvoll zu
einer einzigen grösseren Einheit zusammengefasst werden können. Um dies zu
veranschaulichen, hier ein Beispiel beider Möglichkeiten: Wenn Samir in seinem Film
„Babylon 2“ Personen in verschiedenen Schweizer Städten zu Wort kommen lässt, wäre die
Einheit des Ortes, worauf sich der Film bezieht, nämlich die Schweiz gewährleistet. Wenn
hingegen Chris Marker in „Sans Soleil“ von der Ile de France nach Japan und weiter nach

290
Vgl. Lämmert 1955, Kapitel B.

61
Empirische Untersuchung

Guinea springt, weil er dies thematisch assoziiert, dann müsste von einer Diskontinuität, von
einem Aufbrechen der Linearität, der Einheit des Ortes, gesprochen werden.291

[8] Story- oder themenzentriert


Gerade viele Filme der Nouvelle Vague und des postneorealistischen Films in Italien
verzichten auf einen linearen Ablauf der Handlung, auf kausal-stringente und konsekutive
Verbindung der Ereignisse zugunsten eines thematischen Diskurses. Christen unterscheidet in
seiner Untersuchung des offenen Filmendes zwischen Filmen, bei welchen entweder die Story
oder der thematische Diskurs oder keines von beidem oder beides zusammen offen ist.292 Bei
Eco wurde diese Differenzierung unter den Bezeichnungen „Handlung“ und „Aktion“
eingeführt.293 Dieselbe Unterscheidung wird hier – allerdings mittels der vielleicht
selbsterklärenderen Begriffe „Story“ oder „Thema“ getroffen, wobei dies nur bezüglich der
Wichtigkeit des einen oder anderen für den Film interessiert. Dies entzieht sich allerdings
oftmals einer Eindeutigkeit, weil in narrativen Filmen immer beide Anteile vorhanden sind.
Trotzdem kann die tendenzielle Zuordnung eines Filmes zum themenzentrierten Pol für das
Verständnis dessen nicht-linearen Aufbaus von Nutzen sein.

B) Rückschlüsse auf die Story


Was lässt sich anhand des Plots über die Story sagen?

[9] Offene oder geschlossene Erzählung


Diese Unterscheidung verweist auf die im theoretischen Teil eingeführte Theorie von Eco
über das offene Kunstwerk, wobei hier nicht einfach alle Texte als tendenziell offen und
interpretierbar betrachtet werden, was sich aufgrund der semiotisch konnotativen
Möglichkeiten natürlich machen liesse. Es stellt sich vielmehr fokussiert auf die Bauform die
Frage, ob nach dem Zusammensetzen oder Umstellen eines noch so komplex ausgeformten
filmischen Plots, nach der Kombination aller Perspektiven und Ebenen nicht am Schluss die
Story doch eindeutig, klar und abgeschlossen ist; sowie auf die Aussage des Filmes, also
bezüglich der Determiniertheit der aus dem Plot rekonstruierten Story, deren Offenheit oder
Klarheit. Lässt dies Fragen offen, wie „Welches war die reale Ebene?“ oder „Wessen
Perspektive stimmt jetzt eigentlich?“ oder „Wieso ist X eigentlich umgekommen?“ oder „Was

291
In Vorwegnahme der Auswertung, aber die Dimensionen sind ja eben auch induktiv aus dem Korpus entstanden.
292
Vgl. Christen 2002, S. 43-47.
293
Vgl. Kapitel 2.2.1.4.

62
Empirische Untersuchung

wollte uns der Autor damit sagen?“, so soll von einer offenen Erzählung gesprochen werden.
Dabei wird noch unterschieden, ob die Offenheit explizit oder implizit ist, ob der Rezipient
also mehrere Möglichkeiten angeboten erhält, oder aus einer einzigen keine klaren Schlüsse
ziehen kann.

[10] Zeitlicher Bezug der Ereignisse in der Story


Lässt die Rekonstruktion der Story anhand des Plots auf erzählte Ereignisse schliessen, die
gleichzeitig miteinander, oder nachzeitig zueinander stattgefunden haben oder lässt sich
kein294 zeitlicher Bezug untereinander ausmachen? Diese Dimension hat für die Beschreibung
des nonlinearen Erzählens im Film eher eine untergeordnete Bedeutung. Sie kann allerdings
Bedeutung erlangen, bei der Beurteilung, ob die Erzählstruktur nur von der Linearität
abweicht, weil die Story dies bereits so vorgibt.

C) Art der Verknüpfung


Wie sind die einzelnen Teile der Erzählung neben oder anstelle der dramaturgischen
Verbindung sonst noch miteinander verknüpft?

[11] Ordnungssystem
Zusätzliche Ordnungssysteme können der Erzählung überlagert oder an deren Stelle gesetzt
werden. So etwa eine Einteilung in Kapitel, an eine Nummerierung, eine Themenauflistung,
etwa in alfabetischer Reihenfolge, aber auch an eine Datenbankstruktur, an farbliche
Kategorisierung und vieles mehr.

[12] Struktur
Als alternative und ergänzende Ordnungsstrukturen können jene von Branigan übernommen
werden, die in Kapitel 2.1.2. erwähnt wurden. Dies wären also ein Haufen, ein Katalog, eine
unfokussierte oder fokussierte Reihe. Zudem würden dabei auch von neuen Medien
abgeleitete Konzepte relevant, wie assoziative Verknüpfungen und Rhizom (vom Hypertext-
Modell), sowie Bifurkationen (Baum, Besen; Programmiersprache „if - then, if not - then
else“).

294
Weil dieser entweder gar nicht vorhanden oder aber für die Erzählung irrelevant ist.

63
Empirische Untersuchung

D Formale Präsentation
Wie werden die nicht-linearen Bestandteile im Plot formal präsentiert?

[13] Serielle oder parallele Erzählung


Werden die verschiedenen Ebenen, Perspektiven, Zeiten etc. seriell oder parallel erzählt, d.h.
sind sie ineinander verschachtelt oder vollständig voneinander getrennt, und wird eine nach
der anderen erzählt? Dabei wird mit „parallel“ noch nichts darüber ausgesagt, ob diese
tatsächlich gleichzeitig vorhanden sind, oder nicht einfach nur durch Parallelmontage, oder
einfache Assoziation miteinander parallelisiert werden. Bei einer parallelen diachronen295
Erzählung handelt es sich also um das, was Metz als das alternierte Syntagma296 dem linear
narrativen Syntagma entgegenstellt.297

[14] Synchrone oder diachrone Präsentation


Im Vergleich zur obengenannten Dimension seriell oder parallel die die erzählerische Struktur
berücksichtigt, soll hier auf der Mikroebene der Montage differenziert werden, wie die
formale Lösung speziell von parallelen Erzählungen aussieht. Zur synchronen Konstruktion
gehören alle Formen der Tiefenmontage298 (Split-screen, Frame-In-Frame 299, Palimpsest 300 in
Form von Mehrfachbelichtung, Ebenencompositing301, Tiefenstaffelung 302), aber auch etwa
die dem Bild entgegenlaufende Verwendung des Tones303, oder – was hier auch noch
dazukommt - diverse Formen der stellvertretenden Repräsentanz304. Es soll dabei immer
konkret angegeben werden, um welche Form der Synchronkonstruktion es sich handelt, da
dies gerade im Hinblick auf die Gestaltung zukünftiger interaktiver Filme von Nutzen sein
kann, so kann man sich etwa gut vorstellen, mittels der bereits bestehenden Knöpfe bei einem
heutigen DVD-Player verschiedene unterschiedlich kommentierende Tonebenen zu

295
Siehe unten.
296
Unter Syntagma versteht Metz die Verbindung mehrerer Einstellungen, was wir normalerweise als Sequenz bezeichnen.
Bei ihm ist die Sequenz ein Spezialfall davon. Er stellt seine Typologie der Syntagmen der einzelnen Einstellung, auch als
Plansequenz bekannt, entgegen. Vgl. Metz 1972, S. 171-183.
297
Vgl. ebd.
298
Vgl. Kapitel 2.1.2.1.
299
Deutsch: Bild-In-Bild, hier wird der in der Praxis gebräuchlichere englische Terminus verwendet.
300
Unter einem Palimpsest versteht man ursprünglich ein mehrfach beschriebenes Pergament, bei welchem die unteren
Schichten durch die oberen durchscheinen.
301
Mehrere Bildebenen (Layers) werden miteinander vermischt indem verschiedene Teilinformationen ausgestanzt oder
überblendet werden – dies ist v.a. seit der digitalen Technik einfach am Computer realisierbar.
302
Vgl. den grossen Umfang an Tiefenschärfe in Citizen Kane. Orson Welles. VHS, 119 min. USA 1941, die die Darstellung
mehrerer Handlungen im selben Bild ermöglicht, oder das offene Bühnenset in Dogville. Lars von Trier. Kino, 177 min.
Dänemark/Schweden/Norwegen/Frankreich/USA 2003.
303
Ton kann dem Bild gegenüber paraphrasierend, polarisierend oder kontrapunktisch eingesetzt werden. Uns interessiert
hier bloss die letzte Verwendungsart, wenn die Tonebene der Bildebene widerspricht.
304
Ein im Bild vorkommender Gegenstand (z.B. Fernseher im Hintergrund mit eigener Geschichte) oder eine Figur, die
durch ihren Namen oder ihre Herkunft eine neue Ebene einbringt. Vgl. die Bemerkungen zu Weekend. Jean-Luc Godard.
VHS, 105 min. Frankreich/Italien 1967, in Kapitel 1.2.3.

64
Empirische Untersuchung

denselben Bildern ein- und auszuschalten oder den Ton einer von mehreren Split-screen
Perspektiven in den Vordergrund zu holen). Eigentlich ist diese Kategorie eng mit dem
verwandt, was als syntagmatische und paradigmatische Achse eines Zeichensystems
bezeichnet wurde.305 Diese Bezeichnungen können aber nicht übernommen werden, weil die
paradigmatische Achse auf die Absenz möglicher Alternativen verweist und hier – im
Gegensatz dazu - die Präsenz multipler Erzählungen interessiert. Die Bezeichnung „synchron“
eignet sich hingegen für ein zeitgebundenes Medium wie dem Film gut, was sie eben nicht für
alle Textsysteme leisten kann, wenn auch auf die Gefahr der Verwechslung mit der
identischen Bezeichnung für die zeitliche Übereinstimmung von Bild und Ton im Film
explizit hingewiesen werden muss.

[15] Formale Markierung


Mit dieser Dimension soll untersucht werden, mit welchen Mitteln der Film es bewerkstelligt,
dass trotz dem nicht-linearen Erzählen klar wird, was wovon getrennt ist, und was womit
zusammenhängt. Es geht also darum, die Möglichkeiten der Markierung der verschiedenen
Ebenen, Erzählstränge, Perspektiven, Zeitabschnitte, etc. zu erkunden. Dies kann etwa durch
Farbe, Materialität, Kostüme, Dekor, Abgrenzungen, Betitelung erfolgen.

Anmerkung: Die Zuordnung eines Filmes zu möglichen Kategorien einer der obengenannten
Dimensionen ist in keiner Weise exklusiv, d.h. viele Filme können sowohl einer, wie auch
einer anderen Kategorie zugeordnet werden. Die Entscheidung ist in vielen Fällen diskutabel
und erfolgt aufgrund der als zentraler, bedeutender oder übergeordneter wahrgenommenen
Kategorie. Um dies zu verdeutlichen: Ein Film kann durchaus in verschiedenen Strängen
erzählen, auch wenn diese an einem kurzen Punkt zu Perspektiven auf dieselbe Handlung
gebündelt werden. Die überwiegende Erzählstruktur ist diejenige mit mehreren Strängen aber
nur einer Perspektive. Umgekehrt kann ein Film in die Liste aufgenommen werden, weil er
stellenweise synchron parallel (z.B. mittels „Split-Screen“) erzählt, auch wenn er dies nur
während einem kurzen Teil der Gesamterzählung tut. Wesentlich ist für uns, dass er mit dieser
Erzählstruktur einen eigenen Typus konstituiert, der die Möglichkeiten des nonlinearen
Erzählens erweitert.

305
Vgl. Fussnote in Kapitel 2.2.3.2.

65
Empirische Untersuchung

3.3. Liste
3.3.1. Aufbau der Liste

Der gesamte Eintrag in die Liste der Filme mit nicht-linearer Erzählstruktur ist in zwei
Abschnitte gegliedert, einen Quellenteil mit den Angaben [a] bis [f], sowie einen mit einem
Abstand abgesetzten deskriptiven Teil mit den Angaben [1] bis [16]. Die Angaben des
deskriptiven Teils sollen die Erzählstruktur aufzeigen und die für die Untersuchung
relevanten Abweichungen von der Linearität erfassen. Dies geschieht in einer unterschiedlich
ausführlichen Synopsis [1] (je nachdem, ob die Kenntnis der detaillierten Handlung für die
Analyse von Wichtigkeit ist) und mittels Eintrags der Merkmale in die davon abgeleiteten
Dimensionen [2] bis [15]. Dimensionen, die für den jeweiligen Film nicht von Interesse sind -
sei es, weil diese sich in Bezug darauf linear verhalten, oder weil keine sichere Aussage über
deren Verhalten gemacht werden kann - werden aus Platzgründen und der Übersichtlichkeit
halber nicht aufgeführt. Eine letzte offene Residualdimension [16] soll allgemeine
Bemerkungen über die nicht-lineare Erzählweise gestatten oder Merkmale aufnehmen, die
sich weder in eine festgelegte Untersuchungsdimension pressen lassen, noch trotz des offenen
Vorgehens eine neue Kategorie rechtfertigen.

[a] Filmtitel
[b] Filmautor (bei Produkten der Filmindustrie der Regisseur)
[c] Buch- (B), resp. Drehbuchvorlage (DB)
[d] Produktionsland, resp. –länder
[e] Produktionsjahr
[f] Projektionsdauer (bezieht sich auf die visionierte Fassung, kann zum
Teil je nach nationalen Zensurvorschriften variieren)

[1] Synopsis

[2] Chronologie
[3] Kausalität
[4] Perspektiven
[5] Erzählebenen

66
Empirische Untersuchung

[6| Erzählstränge
[7] Einheit des Ortes
[8] Story- oder themenzentriert

[9] Offene oder geschlossene Erzählung


[10] Zeitlicher Bezug der Ereignisse in der Story

[11] Ordnungssystem
[12] Struktur

[13] Serielle oder parallele Erzählung


[14] Synchrone oder diachrone Präsentation
[15] Formale Markierung

[16] Allgemeines / Bemerkungen

3.3.2. Einträge

Für die einzelnen Einträge muss auf den Anhang verwiesen werden. Dieser ist in
alphabetischer Reihenfolge nach Filmtiteln aufgebaut und mit den obengenannten Angaben
pro Filmtitel versehen. Wie oben erwähnt, weichen die bei den einzelnen Filmen nicht
aufgeführten Dimensionen nicht von einer linearen Erzählstruktur ab. Es empfiehlt sich also
den Anhang vor der Lektüre des nächsten Kapitels zu konsultieren.

67
Ergebnisse

4. Summarische Ergebnisse
4.1. Einleitende Bemerkungen
Der Auswertung des Korpus muss vorausgeschickt werden, dass sich der Verfasser sehr wohl
bewusst ist, den erwähnten Filmen in keiner Weise gerecht zu werden, indem diese in
wenigen Sätzen abgehandelt und in eine oder mehrere Kategorien gezwängt werden. Dieser
Anspruch wird aber auch in keiner Weise erhoben, geht es hier doch einzig und allein darum,
eine möglichst grosse Bandbreite nicht-linearer erzählerischer Möglichkeiten auszubreiten.
Mit diesem Forschungsziel muss zwangsläufig eine extreme Simplifizierung und teilweise
auch eine Vernachlässigung der Diskussion möglicher alternativer Einteilungen einhergehen.
Trotzdem wird in Fällen, bei denen die Zuordnung nach Rechtfertigung verlangt, nach
Möglichkeit dies auch explizit getan.
Zur Rezeptionssituation muss auch noch eine Anmerkung nachgereicht werden, gibt es doch
eine Ausnahme von der Regel, dass sich das Korpus auf das linear rezipierte Medium Film306
beschränken soll: „Mörderische Entscheidung“ funktioniert zwar auch als linearer Film, das
Spiel besteht aber natürlich in der simultanen Ausstrahlung der beiden Versionen auf
verschiedenen Fernsehkanälen. Insofern ist damit die Grenze zur Interaktivität bereits
überschritten. Diese Ausnahme wird aber insofern legitimiert, als – wie das auch bei der
Analyse gemacht wurde – die beiden Versionen durchaus auch zeitlich nacheinander rezipiert
werden können, ohne dass dies der Erzählung abträglich wäre. In diesem Sinne ist die
Rezeptionssituation etwa mit derjenigen von „Little Dorrit“ vergleichbar.307

306
Worunter hier – wie in Kapitel 3.2.3 angemerkt – auch Video subsumiert wird.
307
Die umgekehrte Schlussfolgerung, nämlich “Little Dorrit” simultan auf zwei Kanälen auszustrahlen, würde an der
unterschiedlichen Länge der beiden Versionen scheitern.

68
Ergebnisse

4.2. Realisierte Kategorien


Nachdem also die erste Folgefrage bereits durch die Aufstellung und induktive Erweiterung
der Dimensionen in Kapitel 2.3.4 beantwortet wurde, soll jetzt in diesem Kapitel den
Folgefragen 2 bis 4 nachgegangen werden. Es soll also etwas über die realisierten
Möglichkeiten nonlinearer Erzählformen innerhalb des Korpus, deren formaler Mechanismen
und über deren Verbindung mit den theoretischen Konzepten ausgesagt werden. Zu diesem
Zweck wurden die exemplarischen Fälle in ihren Dimensionen auf die Abweichung von der
linearen Narration hin untersucht und zu Kategorien zusammengefasst. Folgende Kategorien
konnten also in den untersuchten Dimensionen aus dem Korpus konstruiert werden.

A) Aufbau des Plots

In Bezug auf die Chronologie [2]308 der Erzählung werden neun verschiedene Kategorien
unterschieden, die die zeitliche Ordnung der Präsentation brechen:
• Filme, die „fragmentarisch“ erzählen, das heisst nur einzelne Teile eines zeitlichen
Verlaufs im Plot präsentieren, wie „Julien Donkey-Boy“309, bei welchem dies zur
schizophrenen Situation des Hauptprotagonisten gehört, bei „Die Farben des
Granatapfels“, in welchem dies durch die „Familienalbum“-Struktur bedingt ist, und
bei „Code Inconnu“, der mehrere Geschichten unvollständig erzählt.
• Filme, die „im Kreis herum“ erzählen, also am Ende wieder beim Anfang landen.
Dazu gehören „Before the Rain“, wobei dessen Kreis eben nicht ganz „rund“ ist, weil
die Logik nicht aufgeht (siehe bei Kausalität), sowie „Lost Highway“ und „La Jetée“.
• Filme, die in der „Rückblende“ (Analepse) erzählen, wie erwähnt nicht als alleiniges
Kriterium ausreichend, um in die Liste aufgenommen zu werden, in diesen Fällen aber
mit weiteren Abweichungen von der Linearität kombiniert: „Abre los Ojos“, „Bad
Timing“ und „One night at McCool’s“.
• Filme, die ihre Geschichte „rückwärts“ erzählen, was natürlich nicht heisst, dass
Bewegungen und Film auch wirklich rückwärts laufen. Vielmehr teilen diese Filmen
die Handlung in einzelne vorwärtslaufende Sequenzen auf, die in umgekehrter
Reihenfolge der Entwicklung der Story aneinandergehängt werden: „Memento“ und
„Two Friends“.

308
Vgl. Fussnote 270 in Kapitel 3.2.4.
309
Aus Platzgründen wird im ganzen Kapitel 4 auf das redundante Aufführen aller aus der Liste stammenden Filme in den
Fussnoten verzichtet, da diese sowohl dort, wie auch in der Mediographie in alphabetischer Reihenfolge zu finden sind.
Filme, die nicht in der Liste sind, werden hingegen vollständig und regelkonform in den Fussnoten aufgeführt.

69
Ergebnisse

Dann folgen Filme, die zwischen den verschiedenen chronologisch abfolgenden Ereignissen
einer Erzählung hin- und her “wechseln“, und nahe damit verwandt, Filme, die darin herum“-
springen“. Die Unterscheidung ist eigentlich eine graduelle, sagt sie doch bloss etwas über
Häufigkeit und Regelmässigkeit des Wechsels aus; ein seltener Wechsel zu jeweils längeren
Zeiteinheiten in geordneter Abwechslung wird eben als solcher bezeichnet, ein
unregelmässiger, kürzerer und nur Teile der Handlung andeutender Wechsel soll als Sprung
bezeichnet werden. Bei der Betrachtung der Unterschiede in der Erzählstruktur der
untersuchten Beispiele lässt sich diese Differenzierung absolut rechtfertigen.
• Filme, die zwischen den Zeiten „wechseln“, sind: „O Thiassos“, „Der Pate, Teil 2“,
etwas vermischter auch „In your Dreams“ und „The Sweet Hereafter“, oder
„Slaughterhouse Five“, wo im Unterschied zu den restlichen Beispielen der Wechsel
der Zeiten schon auf der Ebene der Story angelegt ist;310 weiter wechselt noch
„l’Année dernière à Marienbad“ die Zeit, wobei sich dieser schon nahe beim Sprung
klassifiziert und die Frage auftaucht, ob in diesem Film nicht eine chronologisch
lineare Zeitebene der Realität existiert, die mit einer zweiten Ebene der Erzählung
verschachtelt ist, was in dieser verwobenen, traumhaften Erzählstruktur schwierig zu
entscheiden ist. Grundsätzlich sollen Erzählungen mit einer zweiten Ebene der
Erzählung, Erinnerung oder des Traumes trotzdem als linear in der Chronologie
betrachtet werden. Ansonsten müsste sicher „Otto e mezzo“311 hier auch mit
aufgenommen werden. Dort ist der Wechsel in die Kindheit des Regisseurs aber genug
deutlich als seine Erinnerung markiert,312 so dass von einer Ebene gesprochen werden
kann.
• Filme, die in der Zeit herum-„springen“ sind demgegenüber: „La Belle Captive“, der
mit häufigen kurzen Pro- und Analepsen erzählt, sowie „Aus dem Leben der
Marionetten“ und „Happiness is a warm gun“ die eine gewisse Ähnlichkeit in der
Erzählstruktur aufweisen, indem sie um ein zentrales Ereignis – in beiden Fällen ein
Mord – herumspringen. „Je t’aime, je t’aime“ ist insofern wieder ein Sonderfall, als
die Zeitsprünge bereits in der Story angelegt sind. Und „Sans soleil“ springt nicht
eigentlich in der Zeit einer Erzählung, sondern gleichzeitig auch von Erzählung zu
Erzählung, aber auch mal wieder zurück zu einer bereits begonnenen Erzählung.
• Allerdings wiederholen sich bei „Je t’aime, je t’aime“ gewisse Teilereignisse, weshalb
dieser noch in die Kategorie „Wiederholung“ gehört, wie auch „La Belle Captive“, in

310
D.h. es gehört zur Geschichte, dass der Protagonist die Zeit wechselt und ist nicht nur eine Frage der Präsentation im Plot.
311
Nicht aber “Abre los Ojos”, weil dort der “Traum” zeitgleich mit der “Realität” läuft.
312
Durch formale Mittel, wie etwa die Naheinstellung auf Guido vor dem Gedanken, oder seine Abwesenheit.

70
Ergebnisse

welchem die Analepsen als Wiederholung eines kurz vorher erzählten Ereignisses
auftauchen, wie das Echo eines Satzes – nur unvollständig und mehrmals
hintereinander.
• Filme, die die Zeit der Erzählung „vervielfachen“, indem sie dieselbe Geschichte oder
Teile daraus mehrmals erzählen (aus verschiedenen Perspektiven) oder mehrere
mögliche Geschichten, die in derselben Zeit hätten stattfinden können. Zur ersten
Unterkategorie gehören also: „Go“, „Mörderische Entscheidung“, „Time Code“ und
„Little Dorrit“; zur zweiten Unterkategorie zählen: „Przypadek“, „Rashomon“,
„Sliding Doors“, „Smoking/Non Smoking“, „Groundhog Day“ und „Lola rennt“.
• Eine weitere eigene Kategorie bildet der Film „Pulp Fiction“, als „vertauschte“
Chronologie bezeichnet. Auf den ersten Blick könnte man dazu verleitet werden,
„Pulp Fiction“ der Kategorie „kreisförmig“ zuzuordnen, aber das ist natürlich
absoluter Unsinn. Wenn die Erzählstränge neu zusammengesetzt werden, sind diese
ganz klar linear.

In der Dimension Kausalität [3] werden folgende Kategorien unterschieden, die von einer
linearen monokausalen Erzählung abweichen:
• Filme, deren Kausalität „unklar“ ist. Es handelt sich also um Filme, in welchen immer
wieder Ereignisse geschehen, ohne dass es hierfür Gründe und Ursachen geben würde.
Die auffälligsten Beispiele sind wohl: „Lost Highway“ und „La Belle Captive“, aber
auch „At Land“ und „Fantome de la liberté“. In letzterem scheint zwar vieles Sinn zu
machen, aber gerade mit dieser Scheinlogik kommt umso mehr zum Vorschein, wie
absurd es ist, wenn etwa das gesuchte Mädchen selber zur Vermisstenanzeige
erscheint oder der Polizeipräfekt mit seinem Doppelgänger eine Besprechung hat.
Weiter würde „L’année dernière à Marienbad“ dazuzählen, weil nicht klar ist, ob es
dieses letzte Jahr überhaupt gab, ob es also die Ursache für etwas ebenso Unklares
sein könnte; ebenfalls „Je t’aime, je t’aime“ vom selben Autor, obwohl dort die
Kausalität „nur“ unklar ist, weil gar nie genügend Einzelheiten aus dem Leben von
Claude eruierbar sind, um sich einen Reim darauf zu machen. In „eXistenZ“ ist die
Kausalität unklar, weil sich die Spielebenen so stark vermischen, dass vieles sowohl
Ursache für das Geschehen auf einer anderen Ebene, wie auch Wirkung einer dortigen
Ursache sein könnte.
• Dann folgen die Filme, die nur eine „rudimentäre“ Kausalität aufrechterhalten. Dazu
zähle ich „Julien Donkey-Boy“, der am Schluss noch „ganz gewöhnlich“ eine

71
Ergebnisse

Geschichte erzählt, obwohl er bis dahin eher ein Mosaik aus Charakterisierungen
zeigt, ebenso „Die Farben des Granatapfels“, der immerhin in die verschiedenen
Kapitel aus dem Leben des Dichters überleitet und darin eine gewisse Logik
beibehält.313 „Slacker“ benutzt die Kausalität einzig dazu, durch logischen Anschluss
von einer Person zu einer anderen überzuleiten, auch wenn diese Überleitung bloss in
einem „zufälligen“314 Zusammentreffen auf der Strasse bestehen kann. „Epidemic“ ist
anfangs recht linear in der Kausalität, wird dann mit der Zeit aber immer verworrener
und die Ereignisse fallen aus einem Kausalzusammenhang. Bei „Slaughterhouse Five“
bleibt der Grund für die zeitliche Verwirrung des Protagonisten im Dunkeln, insofern
wäre er mit „Groundhog Day“ vergleichbar. Letzterer wird aber von dieser Kategorie
ausgeschlossen, weil er innerhalb der „Versuchsanlage“ ganz klare kausale
Entwicklungen und eine Finalität aufzeigt, die letztlich auch zu einem Ziel führen.
„Otto e mezzo“ erzählt zwar auch eine Entwicklung, resp. eher einen Stillstand des
Regisseurs Guido, ähnelt aber in der Struktur mehr einer Zirkusnummer als einer
Geschichte; es treten verschiedene Charaktere, Bilder und Erinnerungen auf und ab,
ohne kausale Geschlossenheit.
• Weiter finden sich Filme, die ihre Kausalität im Nachhinein „analytisch
rekonstruieren“. Dazu zählen „Abre los Ojos“, „Bad Timing“, „Memento“ und „Two
Friends“. Es kommt natürlich nicht von ungefähr, dass diese auch alle chronologisch
entweder rückwärts oder in der Rückblende erzählen.315 Allerdings darf daraus keine
Regel aufgestellt werden, gibt es doch auch Filme die in der Rückblende erzählen,
aber trotzdem in linearer Folge von den Ursachen zu den Wirkungen vorwärts
schreiten, etwa „One Night at McCool’s“.316 Es handelt sich aber bei dieser Kategorie
um einen der erwähnten schwierigen Punkte der Abgrenzung gegenüber den nicht-
linearen zeitlichen Dimensionen – oder anders gesagt, die Story weist eine lineare
Kausalität auf, der Plot hingegen nicht.
Weiter kann noch die Kategorie „verzweigte“ Kausalität erstellt werden, bei welcher in der
einen, „positiven“, Unterkategorie die Variation einer Ursache zu mehreren Wirkungen
verzweigt wird, und in der anderen, „negativen“, Unterkategorie mehrere Ursachen zu einer
Wirkung geführt haben könnten.

313
Sicher wäre diese Logik für Rezipientinnen aus derselben Kultur noch besser nachvollziehbar, weil es dort eben Sinn
macht, dass man z.B. einen Lebensabschnitt im Kloster verbringt.
314
Es handelt sich natürlich nicht wirklich um ein Dramaturgieprinzip Zufall, da alle Begegnungen inszeniert sind.
315
Im theoretischen Teil wurde auf die Erzählung von Ödipus verwiesen, die gleichzeitig chronologisch vorwärts und kausal
rückwärts erzählt, die Geschichte entwickelt sich und die Ursachen werden analytisch aufgedeckt.
316
Das hat natürlich auch mit dem Genre zu tun, “One Night at Mc Cool’s” ist eine Komödie. Diese Diskussion gehört aber
nicht hierher.

72
Ergebnisse

• Zur Unterkategorie „positiv verzweigt“ zählen, sortiert nach zunehmender Anzahl


abzweigender Erzählstränge: „Sliding Doors“, „Przypadek“, „Lola rennt“ und
„Smoking/Non Smoking“. Die ersten drei davon verzweigen bloss an einer Stelle,
wenn auch in unterschiedlich viele Erzählstränge, wären also von der Struktur her mit
einem Besen317 vergleichbar, der letzte Film liesse sich eher mit der Verästelung eines
Baumes318 vergleichen, der in den Ästen in kleinere Ästchen weiterverzweigt.
• Als „negativ verzweigt“ können „In your Dreams“ und „Rashomon“ betrachtet
werden, in welchen zwei oder mehrere Personen, jeweils ihre unterschiedliche
Begründung der Ereignisse erzählen (dies wird ja auch bei beiden aus
unterschiedlichen Perspektiven gezeigt), sowie „Tropicanita“, in welchem der Polizist
mehrere Hypothesen möglicher Ursachen einer Wirkung entwirft.
• Die Kategorie „assoziative“ Kausalität bedeutet, dass die verschiedenen Teile des
Plots in Kombination durchaus zu einer Logik verknüpft werden können – auch wenn
dadurch „nur“ die gedanklichen Logik des Autors nachvollziehbar wird. Diese Logik
aber in keiner Weise linear und eindeutig ist, etwa in „Happiness is a warm gun“ und
„Sans Soleil“. Letzteren könnte man sich gut als Hypertext vorstellen, gerade wegen
seiner Offenheit, bei Ersterem muss die Verknüpfung selber geleistet werden – der
Autor gibt nur wenig Struktur vor.
Dann folgen noch zwei Filme, die eine eigene Kategorie rechtfertigen:
• „La Jetée“, der unter der Kategorie „zirkuläre“319 Kausalität eingeordnet wird, weil
Ursachen zu Wirkungen werden und Wirkungen zu Ursachen. In diesem Fall die
Erinnerung des Jungen an den Tod des Mannes in Zusammenhang mit dem Bild der
Frau, die verursacht, dass er diese als Mann wieder sucht, und damit seinen eigenen
Tod verursacht, den er als Kind gesehen hat, und so immer weiter.
• „Before the Rain“ ist ein Film, der von der Kausalität her „nicht aufgeht“, weil
gewisse Ereignisse stattfinden, obwohl sie noch gar nicht stattfinden dürften. Es ist
zwar eine Kausalität da und sie scheint auch klar, aber irgendwo ist eben ein Fehler
drin und die Klarheit über Ursachen und Wirkungen geht verloren.

Entgegen den theoretischen Ansätzen, die das Ende eines kausalen Weltbildes entworfen
haben, erzählt eine überwiegende Mehrheit der in den Korpus aufgenommenen Filme (42 von
54) eine (oder mehrere) linear-kausale Geschichte(n). Gerade die Filme mit verschiedenen
317
Vgl. Bruckman 1990, S. 7/8.
318
Die Baumstruktur ist eine gängige Bezeichnung in der Informationstechnologie.
319
Vgl. etwa auch den Begriff des circulus visciosum, des Teufelskreis, den man nicht durchbrechen kann, weil die Ursache
des Unglücks zugleich dessen Wirkung ist.

73
Ergebnisse

Varianten beruhen ja stark auf der Kausalität, indem sie – zwar in Anlehnung an den
Schmetterlingseffekt in der Chaostheorie – eine kleine Ursache (Zigarette rauchen, sich im
Treppenhaus aufhalten lassen, einen Zug oder eine Metro verpassen) mit den sich
aufbauschenden kausalen Verkettungen bis zur grossen Wirkung am Ende durchspielen. Aber
auch die meisten anderen Filme versuchen die Gründe für eine bestimmte Handlung – wenn
auch zum Teil erst im Nachhinein aufdeckend – plausibel zu machen. Dabei ist zu beachten,
dass vor allem Filme, die mit der Zeit spielen, aber auch Ebenenfilme (der „Es-war-alles-nur-
ein-Traum-Effekt“) und Filme, die etwas aus mehreren Perspektiven zeigen (der Zuschauer
kann die Gründe für das Handeln einer anderen Figur erst nachvollziehen, wenn er deren
Perspektive auch kennt) die Kausalität nachträglich aufdecken oder ergänzen. Die typischen
„Brecher“ des Gesetzes der Kausalität aber rekrutieren sich denn auch, wie vom theoretischen
Background nicht anders zu erwarten, aus dem Umfeld der Nouvelle Vague („Je t’aime, je
t’aime“), des italienischen Post-Neorealismus („Otto e mezzo“), des Nouveau Roman („La
Belle Captive“), und des Surrealismus („Fantome de la Liberté“). In Zusammenhang mit
letzteren, die sich ja auf den Traum als kausal unklare Erzählung berufen, können auch die
kausal unklaren Filme „Lost Highway“ und „At Land“ gesehen werden, die sehr traumähnlich
erzählen.

Bei der Dimension der Perspektiven [4] existieren nicht viele Kategorien. Die Entscheidung
fällt recht leicht: Entweder erzählt ein Film nur aus einer Perspektive320 oder eben aus
mehreren. Wobei hier natürlich, wie in allen Dimensionen, auch bloss wieder die Filme
aufgelistet werden, die von der Linearität abweichen, sprich aus mehreren Perspektiven
erzählen:
• Aus zwei Perspektiven erzählen „In your Dreams“, „Pequeno dicionario amoroso“,
„Mörderische Entscheidung“, „Das Engadiner Wunder“ und „Little Dorrit“ -
erstaunlicherweise in all diesen Beispielen aus der weiblichen und männlichen Sicht
einer Liebesbeziehung321. Dabei handelt es sich nur bei den letzten drei um ein
zweimaliges, vollständiges Erzählen der Geschichte aus der jeweiligen Perspektive.
Die anderen beiden Filme kommentieren die Ereignisse unterschiedlich und/oder
verdoppeln die Erzählung nur teilweise.

320
Es wurde ja schon darauf hingewiesen, dass die Narratologie – etwa bei Genette – noch unterscheidet zwischen Modus
und Stimme, ob es sich um eine interne oder externe Perspektive, eine auktoriale oder eine subjektive handelt, und im Falle
einer subjektiven, ob diese mit dem Erzähler (mit der Stimme) identisch ist. Dies soll hier aber ausgeblendet werden.
321
Achtung: Dies soll nicht zynisch tönen. Der Verfasser ist sich absolut bewusst, dass in “In your dreams” am Ende alles
andere als eine Liebesbeziehung besteht und auch in “Pequeno Dicionario Amoroso” ist diese am Ende nicht mehr
vorhanden. Genauer müsste also wohl von einer teilweise realisierten oder potentiellen Liebesbeziehung gesprochen werden.

74
Ergebnisse

• Aus drei Perspektiven erzählen „One Night at McCool’s“, „Go“ und „Amores Perros“,
ersterer durcheinander, die anderen beiden nacheinander (siehe Dimension [13]). Mit
einer gewissen Berechtigung könnte man auch erwägen, hier „Mystery Train“
mitaufzunehmen. Allerdings fehlt bei diesem der zentrale Gegenstand322 der
Fokussierung der drei Erzählstränge, um von Perspektiven sprechen zu können. Steht
bei den obengenannten Filmen eine gemeinsame Person oder ein Ereignis im
Mittelpunkt der drei Geschichten, ist die Verknüpfung bei „Mystery Train“ viel loser
(das Hotel, der Song im Radio, der Schuss, die personale Verbindung der Ex-Freundin
des Schützen mit der Italienerin). Sonst müsste mit der gleichen Begründung wohl
auch „Short Cuts“ und „Code Inconnu“ unter die Filme, die aus mehreren
Perspektiven erzählen, eingeordnet werden. Davon wird aber abgesehen. Auch wenn
auf gewisse Ereignisse aus unterschiedlichen Perspektiven reagiert wird, handelt es
sich dabei nicht um deren zentrale Erzählstruktur.
• Vier oder mehr Perspektiven: Aus vier Perspektiven erzählen „Time Code“ und
„Rashomon“. Mehr lokal verortet als an persönliche Sichtweisen gebunden (wenn
auch mit bestimmten Personen verknüpft) sind die neun Perspektiven in „Nowa
Kziazka“.
Aber letztlich ist vielleicht weniger wichtig, wie viele Perspektiven dargestellt werden, als
inwiefern sie sich gegenseitig ausschliessen oder zu einem Gesamtbild ergänzen, also die
Funktion, die diese Perspektiven erfüllen.
• Um sich gegenseitig „ausschliessende“ Perspektiven, also Fälle, in welchen jeweils
nur eine der gezeigten Perspektiven „richtig“ sein kann, handelt es sich bloss bei „In
your dreams“ und „Rashomon“. In allen anderen Fällen wird die Information der
ersten Perspektive ergänzt oder verstärkt.

Zur Dimension der Erzählebene [5] lässt sich anmerken, dass nicht ganz die Hälfte der Filme
auf mehreren Ebenen erzählen. Dabei wird – wie erwähnt - die Erzählerstimme nicht als
eigene diegetische Ebene gerechnet, wenn diese nicht speziell eingeführt ist oder der
Bildebene nicht ausdrücklich entgegenläuft.

322
Wahrscheinlich lässt sich die Frage nach diesem zentralen Gegenstand nicht abschliessend beantworten. Natürlich kann
dieser auch in einem weiteren Sinn verstanden werden als die Umgebung oder gar das Leben. Damit würde dann jeder Film,
der mehr als einen Erzählstrang hat, automatisch zu einem Film mit mehreren Perspektiven. Dies entspricht aber nicht der
konventionellen Wahrnehmung.

75
Ergebnisse

• Somit spielen auch nur wenige Filme die „medialen“ (Bild-, Ton- und Text-)
Ebenen323 gegeneinander aus. Zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang „Sans
soleil“, dessen Kommentarebene den Bildern eine neue Bedeutung verleiht.
• Sieben der Filme mit mehreren Erzählebenen, könnten unter der Kategorie
„Erzählsituation“ subsumiert werden: „In your Dreams“, „Tropicanita“, „Aus dem
Leben der Marionetten“, „Slaughterhouse Five“, „Rashomon“, „Bad Timing“ und
„Das Engadiner Wunder“. Deren Gemeinsamkeit besteht eben darin, dass sie einen
oder mehrere ErzählerInnen etablieren, die von den Ereignissen auf einer höheren
Ebene erzählen.
• Weitere neun Filme gehören zur Kategorie „Fiktion in der Fiktion“, wobei damit eben
eine andere Fiktion als die obengenannte reine Erzählung gemeint ist. Die Art der
Fiktion auf der höheren Ebene kann noch differenziert werden in
• „Traum“, wozu „Abre los Ojos“, „La Belle Captive“ und teilweise „Otto e
mezzo“ zählen.324
• „Film im Film“, hierzu zählen „Le Mepris“, „Epidemic“ und ebenfalls
wieder „Otto e mezzo“,
• „Spiel“ , wie es in „eXistenZ“ und „The Game“ vorkommt.325
• „andere Fiktionen“ etwa Theater und Buch in „Prosperos Books“, sowie „Je
t’aime, je t’aime“ als wissenschaftliches Experiment.
• „La Belle Captive“, „Epidemic“ und „Otto e mezzo“ wären zusätzlich noch unter dem
Gesichtspunkt der „Infraierungskonstruktion“ zu betrachten, wie sie in Kapitel 3.2.4
beschrieben wurde,. In „La Belle Captive“ werden Bilder, Ereignisse und Personen
aus der tieferen diegetischen Ebene in der nächsthöheren (Traum im Traum)
wiederholt, was etwa von der Traumstruktur von „Abre los Ojos“ nicht behauptet
werden kann, wechseln dort doch einfach die Vorzeichen der konstruierten Realitäten.
Bei „Epidemic“ und „Otto e mezzo“ besteht die Infraierung darin, dass es sich beim
Film, der im Film gemacht werden soll, bereits um den vorliegenden Film erster
Ebene handelt.
• Bei „Epidemic“ schliesslich könnte von einem „strange loop“ gesprochen werden,
weil sich die Epidemie in der höheren diegetischen Ebene auf die tiefere auswirkt und

323
Auch Kanäle genannt. Vgl. die Beschreibung der multiplen Diegesis bei Godard in Kapitel 2.3.2.
324
Diese Traumdarstellungen heben sich von filmgeschichtlich frühen Beispielen v.a. aufgrund der mangelnden formalen
Markierung ab – in den Anfängen der Kinogeschichte wurden Traumsequenzen jeweils verschwommen dargestellt (durch
Randunschärfe oder Schleierfilter). Vgl. Glaube, Uwe: Film und Traum. Zum präsentativen Symbolismus. München 1978, S.
118.
325
Wobei in diesen beiden Filmen die Spielebene zuerst klar eingeführt wird, um anschliessend mit der Realitätsebene zu
fusionieren.

76
Ergebnisse

dort wirklich eine Epidemie ausbricht.326 Das Gleiche gilt für „eXistenZ“, bei welchem
Handlungen und Ereignisse der höheren Spielebene in die tieferen hinein wirken et
vice versa.
Eine Mehrheit der Filme in der Kategorie „Fiktion in der Fiktion“ verzichtet zumindest
während längerer Erzählstrecken auf eine klare Markierung der Ebenen, zugunsten des Spiels
mit der „Realität“. Die Ebenen fliessen zusammen (offene Form z.B. „Epidemic“,
„eXistenZ“) oder entwirren sich am Schluss (geschlossene Form z.B. „Memento“).

Bei der Dimension der Erzählstränge [6] lässt sich die Vermutung bestätigen, dass die
meisten der betrachteten Filme in mehreren Strängen erzählen, weil gemäss der eingangs
festgelegten Definition327, diese Dimension als redundant und als Erweiterung der
Dimensionen [2] und [7] um die Abweichung der Handlungseinheit zu verstehen ist.
Interessant an dieser Dimension sind also vor allem Fälle, bei welchen einzig die Einheit der
Handlung wechselt und die Einheit von Ort und Zeit erhalten bleibt – mathematisch
ausgedrückt also eigentlich: [6] – ([2] + [7]). Doch stimmt dies eben nicht ganz, dadurch, weil
in [2] die Chronologie und nicht die Einheit der Zeit berücksichtigt wird. Es handelt sich
dabei um Filme, die innerhalb einer Kontinuität von Ort und Zeit (auch wenn diese teilweise
vervielfacht ist)
• „mehrere mögliche Handlungen“ erzählen, wie „Sliding Doors“, „Lola rennt“ und
„Przypadek“, oder aber
• „mehrere tatsächliche Handlungen“ erzählen, wie „Fantome de la liberté“, „Short
Cuts“, „Amores Perros“, „Pulp Fiction“, „Slacker“, „Mystery Train“ und „Groundhog
Day“.
Des weiteren wurde das Problem der erwähnten Abgrenzung zu [5] pragmatisch angegangen,
indem die Dimension [15] der formalen Markierung miteinbezogen wurde: Ist eine
Erzählung, ein Traum oder eine Erinnerung als solche(r) markiert, wurde diese(r) als neuer
Handlungsstrang interpretiert (bspw. die Erzählebene über Sammy in „Memento“). Die
Dichotomisierung zwischen Episoden und Erzählsträngen ist in den meisten Fällen klar.328 Es
gibt aber auch hier unklare Fälle, in welchen sich nicht so leicht entscheiden lässt, ob es eine
übergeordnete Geschichte gibt, z.B. der Film „Der Pate 2“: Entweder man liest diesen Film

326
Vgl. die Erklärung in Kap 3.3.2.4 unter derselben Dimension.
327
Vgl. die Erklärung in Kap 3.3.2.4 unter derselben Dimension.
328
Vgl. die Erklärung in Kap 3.3.2.4 unter derselben Dimension..

77
Ergebnisse

als Familiensaga, dann besteht er aus Episoden, oder man liest ihn als zwei Biografien,
derjenigen von Michael und derjenigen von Vito Corleone.
• In Episoden einer übergeordneten Geschichte erzählen folgende Filme: „Napoleon“,
„Je t’aime, je t’aime“, „O Thiassos“, „Happiness is a warm gun“, „Slaughterhouse
Five“, „Sayat Nova“, „La Jetée“, „At Land“, „Aus dem Leben der Marionetten“, „The
Sweet Hereafter“, „Der Pate 2“, „In your Dreams“.
• In einzelne Handlungsstränge aufgeteilt sind demgegenüber: „Before the Rain“,
„Przypadek“, „Pulp Fiction“, „Lola rennt“, „Mystery Train“, „Amores Perros“, „Night
on Earth“, „Nowa kziazka“, „Le Fantome de la liberté“, „Smoking/Non Smoking“,
„Short Cuts“, „Sans Soleil“, „Slacker“, „Lost Highway“, „Sliding Doors“, und „Code
Inconnu“. Dabei ist damit noch nichts darüber gesagt, wie stark die Handlungsstränge
miteinander verflochten sind. In allen untersuchten Fällen treten zumindest einzelne
Personen miteinander in Beziehung, entweder durchmischt329 (wie in „Short Cuts“)
oder als eine Art Stafette, in welcher die Handlung weitergereicht wird („Slacker“,
„Le Fantome de la liberté“).

Demgegenüber erweisen sich nur wenig Filme als nicht-linear bloss in Bezug auf die Einheit
des Ortes [7]. Meistens wechselt der Ort zusammen mit einer anderen
Untersuchungsdimension. Bei der Beschreibung der einzelnen Fälle im Anhang wurde in
Analogie zur Dimension Zeit, zwischen „springen“ und „wechseln“ unterschieden und diese
dem Begriff „einheitlich“ gegenübergestellt. Es wird an dieser Stelle nicht weiter darauf
eingegangen, sondern es werden vielmehr Kategorien erstellt, die die Kombinationen von
Ortswechsel und Wechsel in einer anderen Untersuchungsdimension beschreiben:
• Oftmals wechselt der Ort zusammen mit der Zeit der Erzählung; hier bezeichnet als
„Orts- und Zeitwechsel“. Die Filme „Je t’aime, je t’aime“, „Slaughterhouse Five“ und
„Der Pate 2“ gehören zu dieser Kategorie.
• Weiter kann der Ortswechsel auch damit zusammenhängen, dass mehrere Geschichten
oder Handlungsstränge existieren, etwa in „Code Inconnu“, „Night on Earth“, „Sans
Soleil“ und „Before the Rain“. Nennen wir diese Kategorie „Wechsel von Ort und
Handlung“
• Bei „In your dreams“ wie in vielen Filmen mit einer Erzählebene „wechseln Ort und
Ebene“.

329
Es wird also parallel erzählt. Vgl. Dimension [13].

78
Ergebnisse

• Als „reiner Ortswechsel“ kann „At Land“ bezeichnet werden. Dort bleiben also
Handlung und Zeit, sowie Ebene und Perspektive erhalten, einzig der Ort der
Handlung wechselt.
• Bei „Nowa kziazka“ wechseln „Ort und Perspektive“.330

Die Untersuchungsdimension [8] fragt danach, ob der Film Story- oder themenzentriert ist.
Immerhin zwölf der untersuchten 54 Filme können als eher themenzentriert bezeichnet
werden. (Für die Aufführung der Fälle sei auf die Einzelbesprechungen in der Liste
verwiesen.). Dabei ist dies – wie in der Beschreibung der Untersuchungsdimensionen erwähnt
– nur als Tendenz zu verstehen: Die themenzentrierten Filme verzichten deswegen nicht
völlig auf Handlung. Allerdings sind die dramaturgischen Überlegungen, die in Kapitel 2.1.3
skizziert wurden, für diese nicht mehr so zentral, weshalb sie denn auch eher in nicht-linearen
Formen erzählen können. Nach der Einteilung von Chatman331 stünden diese Filme vielleicht
schon nahe beim Argument, im hier verwendeten weiten Verständnis des Narrativen finden
sie jedenfalls – gerade mit den erwähnten Handlungselementen – allemal Platz.

B) Rückschlüsse auf die Story

Die Untersuchungsdimension [9], die darauf eingeht, ob der untersuchte Film, um einen mit
eine offene oder geschlossene Erzählung aufweist, belegt erstaunlicherweise, dass eine
überwiegende Mehrheit der Filme (nämlich 35) trotz ihrer (teilweisen) Nicht-Linearität als
„geschlossene“ Erzählung betrachtet werden muss.332 In neunzehn Fällen kann von einer
„offenen“ Erzählung gesprochen werden, deren Handlung oder Aussage sich nicht
abschliessend klären lässt. Dabei wird auf die erwähnte Differenzierung333 eingegangen, ob
die Story oder der Diskurs offen bleibt und zwischen impliziter (die Aussage oder Handlung
ist nicht klar) und expliziter (es werden mehrere Möglichkeiten explizit präsentiert) Offenheit
unterschieden wird.
• Zur Kategorie „implizit offen“ zählen: „L’année dernière à Marienbad“, „Abre los
ojos“, „La Belle Captive“, „Epidemic“, „eXistenZ“, „Happiness is a warm gun“, „Lost
330
Natürlich wechselt mit jeder Perspektive auch der Ort, der Standort, von welchem aus auf etwas geblickt wird. Hier
wechselt aber gleichzeitig die Lokalität, d.h. jede Perspektive auf die Handlung erfolgt aus einer räumlich getrennten
Kameraeinstellung innerhalb desselben Zeitpunktes.
331
Vgl. Kapitel 2.1.2.
332
Zumindest was die Rekonstruktion der Story und der Aussage betrifft. Natürlich schwingen immer viele Konnotationen
mit, wie bei der Besprechung der offenen Kunstwerke gemäss Eco in Kapitel 2.2.1.4 und Barthes schreibbaren Texten in
Kapitel 2.2.1.3 gezeigt wurde. Dieses semiotische Verständnis soll aber hier ausgeblendet werden.
333
Vgl. den Hinweis auf Christen in Kapitel 3.2.4 unter Dimension [8].

79
Ergebnisse

Highway“, „Le Mépris“, „Otto e mezzo“, „Sans soleil“, „At Land“ und
„Katzelmacher“ - wobei bei den letztgenannten fünf Beispielen die Aussage für
unterschiedliche Interpretationen und Zugänge334 offen bleibt, bei den vorangehenden
hingegen die Erzählung.
• Zur Kategorie „explizit offen“ gehören „Lola rennt“, „Rashomon“, „Sliding Doors“,
„Smoking/Non Smoking“, „In your Dreams“, „Przypadek“ und „Tropicanita“.
Der grösste Teil der offenen Erzählungen gehört zu den Filmen, die auf verschiedenen
Ebenen erzählen, bei welchen einfach nicht mehr ganz klar ist, ob es eine „Realitäts“ebene
gibt und wenn ja, welche dies ist. Die zweite grosse Quelle offener Filmtexte ist die
Erzählung von Varianten, in der die Offenheit natürlich schon angelegt und eben explizit ist,
weil ja jede Variante eine Möglichkeit ist. Es konnte denn auch kein Film gefunden werden,335
der Varianten zwar aufzeigt, aber am Schluss zugunsten einer Lösung wieder verwirft -
ausser man nehme „Rashomon“ als ein solches Beispiel, in der Annahme, die Variante des
unbeteiligten Zeugen sei die „wahre“, was in der formalen Interpretation denn auch schon
gemacht wurde.336 Auch andere Filme wurden schon in diesem Sinne interpretiert: So kann
etwa durchaus jemand kommen und sagen, für sie wäre z.B. „Lola rennt“ eine Umsetzung der
Computerspielmetapher, bei welcher man solange ein Abenteuer wiederholt, bis man es
unbeschadet besteht und in dem Sinne wäre die letzte „Version“ die „richtige“337. Dieser
Mehrdeutigkeit zum Trotz soll diese Diskussion nicht beiseite gelassen werden, weil - wie in
der theoretischen Einleitung vorweggenommen wurde - Offenheit als zentrales qualitatives
Charakteristikum nonlinearer Erzählformen zu betrachten ist.

Der zeitliche Bezug der Ereignisse in der Story [10] kann in den meisten Fällen aus dem
Plot rekonstruiert werden.
• So erzählt die Mehrheit der Filme (27) Ereignisse, die sich zeitlich nacheinander
zugetragen haben – sie gehören also zur Kategorie „nachzeitlich“.
• Fast ebenso viele (21) aber erzählen Ereignisse, die sich „simultan“ ereignet haben.
• „Katzelmacher“ und „Julien Donkey-Boy“ gehören in die Kategorie „gemischt“, weil
sie sowohl simultane, wie auch nachzeitliche Ereignisse in etwa gleichem Verhältnis
334
Vgl. Kapitel 2.2.1.4.
335
Was natürlich nicht heisst, dass es keinen gibt.
336
Aufgrund der einführenden Totale zu Beginn der vierten Perspektive – der Verfasser kann dem allerdings nicht
beipflichten, weil sich ja auch diese Perspektive als voreingenommen erweist. Der Holzfäller hat ein eigenes Interesse daran,
den Diebstahl des Dolches zu vertuschen.
337
Die Zwischendialoge zwischen Manni und Lola verweisen zugegebenermassen auf diese Lesart. Die beiden anderen
Versionen können aber als ebenso real betrachtet werden, so dass auch ein Resnais’sches “ou bien il dit” dazwischen gesetzt
werden könnte. Vgl. Smoking/Non Smoking. Alain Resnais. VHS, 298 min. Frankreich 1993.

80
Ergebnisse

präsentieren. Dabei kann die Festlegung auf einer Zeitachse allerdings nicht absolut
erfolgen. Diese Ereignisse sind einfach zueinander relativ gesehen simultan, müssen
aber nicht gerade im selben absoluten Augenblick stattgefunden haben. Natürlich
verfügen einige der Filme über Anteile beider Kategorien. Die Zuordnung geschieht –
wie immer in solchen Fällen - aufgrund des dominanten Anteils.
• Bei zwei Filmen „Babylon 2“ und „Sans Soleil“ kann „keine Aussage bezüglich des
zeitlichen Bezugs“ gemacht werden. Ausser natürlich man berücksichtige den
dokumentarischen Produktionsprozess, in welchem in der Regel nicht gleichzeitig
mehrere Ereignisse festgehalten werden können. Auch bei „Lost Highway“ kann nur
bedingt von nachzeitlichen Ereignissen gesprochen werden. Genausogut könnten diese
auch simultan auf einer anderen Erzählebene, resp. in einer anderen
Persönlichkeitsstruktur des Protagonisten stattgefunden haben.338
Im Falle der Vervielfachung (siehe [2]) kann zudem angemerkt werden, dass sich die meisten
Filme nur auf der Ebene des Plots wiederholen, die Figuren selbst sich also der Wiederholung
nicht bewusst sind – etwa „Lola rennt“ und „Przypadek“. Nur bei „Groundhog Day“ und in
Ansätzen in „Je t’aime, je t’aime“ und in „La Belle Captive“ wiederholen sich Ereignisse auf
der Ebene der Story, wobei dies im ersten Fall gar nicht, im zweiten Fall als Fehler in Ablauf
des Experiments und im dritten Fall als innerpsychischer Prozess ausgewiesen wird.339
Dasselbe kann von zeitlichen Wechseln oder Sprüngen im Plot konstatiert werden. Bloss „Je
t’aime, je t’aime“ und „Slaughterhouse Five“ legen diese bereits in der Story fest. Zudem
muss zu „Groundhog Day“ noch angemerkt werden, dass die Story auch nur für den
Hauptprotagonisten nachzeitlich wäre, für die Nebenfiguren fände sie simultan statt.

C) Art der Verknüpfung

Bezüglich der Dimension des übergreifenden Ordnungssystems [11] lässt sich zuerst einmal
anmerken, dass diese bei den untersuchten Filmen sehr selten überhaupt relevant wurden.
• Die Spielart, die noch am meisten festgestellt werden konnte, ist diejenige der
„Kapitel“, wie sie vom Medium Buch bekannt ist, so bei: „Before the rain“, „Pulp
Fiction“, „Napoleon“ und „Sayat Nova“, interessanterweise in zwei Filmen, die
ausserhalb der westlichen Kultur anzusiedeln sind.

338
Vgl. Anmerkungen zum “schizophrenen” Text von Deleuze in Kapitel 2.2.1.2.
339
In diesem Zusammenhang interessant wäre auch noch der Film Echolalia. Thierry Kuntzel. VHS, 32 min. 1980, der aber
mangels Verfügbarkeit leider nicht ins Korpus aufgenommen werden konnte.

81
Ergebnisse

• Ebenfalls mit literarischen Vorlagen in Verbindung steht das Ordnungssystem


„Bücher“, welches – wie bereits im Filmtitel antizipiert - bei „Prosperos Books“
realisiert wird.
• Und auch „Pequeno Dicionario Amoroso“ verweist auf die Buchkultur. Dem Titel
entsprechend werden dort die einzelnen Themen „alphaabetisch“ angeordnet.
• Nach „sprachlichen Äusserungen“ unterteilt werden die Verzweigungsorte bei
„Smoking/Non Smoking“. Äussert ein Protagonist dies, geht die Geschichte in einer
Richtung weiter, äussert er etwas anderes, ändert sich auch der Verlauf.
• Nach „Orten“ getrennt sind die Geschichten in „Night on Earth“.340

Als zusätzliche oder alternative Strukturen [12] zur konventionellen Geschichte treten
folgende Varianten auf:
• „Bifurkation“ mit „Smoking/Non Smoking“ (in diesem Fall wie wir bei Dimension [2]
gesehen haben, eine Baumstruktur), „Lola rennt“, „Sliding Doors“, und „Przypadek“
(die weiteren alle als Besen-Struktur341).
• Die „Parallelführung“ bei „Go“, „Little Dorrit“, „Epidemic“ und „One Night at
McCool’s“, „Code Inconnu“ und „Mörderische Entscheidung“.
• Weiter findet sich die Kategorie „Kreisstruktur“ für „La Jetée“ , „Lost Highway“ und
„Before the Rain“,
• sowie die „verschachtelte“ Struktur von „Abre los Ojos“, „La Belle Captive“ und
„eXistenZ“.
Weitere zusätzliche oder alternative Strukturen sind
• die „unfokussierte Reihe“ bei „Mystery Train“, „Short Cuts“, „Pulp Fiction“,
„Katzelmacher“ und „Slacker“ und die
• „fokussierte Reihe“ bei „Night on Earth“, „Julien Donkey-Boy“, „Le Fantome de la
Liberté“, „Amores Perros“ und „Happiness is a warm Gun“.
• Zwei Spezialfälle sind „Babylon 2“ als „Katalog“
• Und „Sans Soleil“ als „Rhizom“.

340
Filme, die nach Orten zusammenfassen, sind übrigens weitaus häufiger zu finden, als solche, die nach Orten trennen, etwa
“Slacker”, “Mystery Train”, oder auch Beispiele, die die Geschichte explizit auf einen Ort beziehen, wie New York Stories.
Woody Allen/Francis Ford Coppola/Martin Scorsese. VHS, 119 min. USA 1989.
341
Vgl. die Anmerkungen von Amy Bruckman in Kapitel 2.2.3.3.

82
Ergebnisse

D) Formale Präsentation

Zusätzlich kann untersucht werden, ob die Filme ihre Geschichte in einer seriellen oder
parallelen Erzählung [13] präsentieren. Das Verhältnis ist hier ausgewogen – 26 Filme
erzählen „seriell“, die Ereignisse werden also nacheinander präsentiert, 28 wechseln zwischen
Erzählsträngen, Ebenen, Zeiten, Perspektiven oder Orten und erzählen damit „parallel“.
Aussagekräftiger werden die Kategorien erst, wenn sie mit den vorhergehenden Dimensionen
kombiniert werden und etwas darüber aussagen, was diese Filme seriell oder parallel
erzählen. So lässt sich etwa die Überschneidung mit der Dimension [10] herstellen, um zu
sehen, ob es sich beim seriellen oder parallelen Erzählen um Ereignisse handelt, die in der
Story einen anderen zeitlichen Bezug haben. Diesbezüglich kann also unterschieden werden
zwischen 1. serieller Erzählung serieller (nachzeitlicher) Ereignisse, 2. serieller Erzählung
paralleler (simultaner) Ereignisse 3. paralleler Erzählung paralleler (simultaner) Ereignisse342
und 4. paralleler Erzählung serieller (nachzeitlicher) Ereignisse - wobei v.a. die
Abweichungen (die 2. und 4.-genannte) interessieren. Die Berücksichtigung der seriell oder
parallel erzählten Dimensionen (Perspektive, Ebene, Handlung) kann ebenfalls von
Bedeutung sein, für die Beschreibung nonlinearer Möglichkeiten:
• Zur Kategorie „serielle Erzählung paralleler Ereignisse“ gehören: „Amores Perros“,
„Go“, „Little Dorrit“, „Before the Rain“, „Mystery Train“ und „Night on Earth“.
Dabei enthält das erste Beispiel auch parallele Einschübe der anderen simultan
laufenden Geschichten und „Go“ und „Little Dorrit“ können auch zur
• Kategorie „serielle Erzählung von Perspektiven“ gezählt werden – hierzu zählt weiter
auch noch „Rashomon“, der wiederum aber nicht parallele Ereignisse, sondern
dasselbe Ereignis erzählt.
• Zur Kategorie „parallel erzählte serielle Ereignisse“ zählen: „Je t’aime, je t’aime“,
„Pulp Fiction“, „The Sweet Hereafter“, „Der Pate 2“, „O Thiassos“, „L’année dernière
à Marienbad“ und „Tropicanita“, wobei die Art der parallelen Erzählung von klar
abgegrenzten Kapiteln („Pulp Fiction“) über wenig markierte Parallelen („The Sweet
Hereafter“) bis hin zu deren völliger Durchmischung („L’année dernière à
Marienbad“) variieren kann. Auch hier gibt es Mischformen, die z.B. sowohl parallele,
wie auch serielle Ereignisse parallel erzählen, etwa „Katzelmacher“ oder „Bad
Timing“. Natürlich lassen sich aber auch verschiedene Ebenen [5], Erzählstränge [6]
und Perspektiven [4] parallel oder seriell erzählen. Beginnen wir mit den Ebenen:

342
Was in Kapitel 2.1.3 als Parallelmontage oder “Crosscutting” eingeführt wurde.

83
Ergebnisse

• Um „parallel erzählte Ebenen“ handelt es sich bei „Epidemic“, „Le Mépris“, „Otto e
mezzo“, „Pequeno dicionario amoroso“, „eXistenZ“ und „Memento“.
• Um „parallel erzählte Perspektiven“ handelt es sich bei: „Time Code“, „Mörderische
Entscheidung“, „In your dreams“, „Das Engadiner Wunder“, „One Night at
McCool’s“ und „Nowa Kziazka“.
• Der einzige Film der Liste, der „Varianten343parallel erzählt“, ist „Sliding Doors“.
• Demgegenüber erzählen aber drei Filme „Varianten seriell“: „Przypadek“,
„Smoking/Non Smoking“ und „Lola rennt“.
• Um „seriell erzählte Ebenen“ handelt es sich bei: „La Belle Captive“ und „Lost
Highway“, wobei das zweite Beispiel je nach Lesart auch der hier nicht näher
ausgeführten Unterkategorie „serielle erzählte serielle Ereignisse“ zugeteilt werden
kann.
• Um „seriell erzählte Handlungsstränge“ handelt es sich bei „Night on Earth“, um
„parallel erzählte Handlungsstränge“ bei „Code Inconnu“ – im Vergleich zu den
Varianten werden hier also tatsächliche und nicht nur mögliche Handlungen erzählt.

Zur Unterscheidung zwischen einer synchronen oder diachronen Präsentation [14] lässt
sich feststellen, dass die wenigsten der untersuchten Filme von der synchronen Konstruktion
Gebrauch machen und auch jene, die es tun, meistens auf etablierte Formen zurückgreifen.
• So taucht denn als meist verwendete Kategorie der „Split-Screen“ auf, so etwa bei
„Time Code“, „Nowa Kziazka“ und „Das Engadiner Wunder“, sowie in kurzen
Sequenzen bei „Lola rennt“ und „In your Dreams“.
• In zwei Fällen finden wir die Konstruktion des „Frame-In-Frame“: Bei „Babylon 2“
und „Prosperos Books“. Im ersten Fall dient dies der Reflexion, dem Kommentieren
der ersten Ebene, im zweiten Fall dem Parallelführen mehrerer fiktionaler Ebenen.
Weiter lassen sich bloss noch Einzelbeispiele zu Kategorien formen:
• „Mörderische Entscheidung“ benutzte „mehrere Fernsehkanäle“, d.h. beide
Perspektiven liefen zur selben Zeit auf zwei Fernsehkanälen und der Zuschauer konnte
hin und her zappen.
• „Napoleon“ arbeitet mit „Bildüberlagerungen“ (Superimpositions). So werden etwa
Schlachtszenen aus verschiedenen Facetten des Geschehens zusammengesetzt, die im
selben Bild ineinandergestanzt sind oder die Rede Robespierres vor dem Parlament

343
Dies ist keine eigene Untersuchungsdimension, sondern wird in der Dimension [6] unter der Kategorie “mehrere mögliche
Handlungen” aufgeführt.

84
Ergebnisse

wird mit dem Bild eines lodernden Feuers überblendet, um die Konnotation „feurige
Rede“ zu evozieren.
• „Amores Perros“ verwendet an einigen Stellen eine „Tiefenstaffelung“ – im
Hintergrund des Bildes der einen Geschichte wird die andere „mit“erzählt. Dies tritt
auch bei „Sliding Doors“ auf, wobei die Geschichte im Hintergrund nicht wirklich die
andere Variante ist, sondern diese nur der Irritation wegen vortäuscht.
• Und „O Thiassos“ schliesslich verwendet eine recht spezielle Konstruktion des
Zeitenwechsels innerhalb eines Schwenks, in welchem für einen kurzen Moment
beide Zeiten der Erzählung gleichzeitig vorhanden sind – bezeichnen wir dies einmal
mit „Zeitschwenk“.344
Interessant ist die Auswertung der unterschiedlicher Kategorien auch hinsichtlich ihrer
erzählerischen Funktion345 – so scheint für eine Erzählung in Perspektiven eher auf Split-
Screen und für Ebenen eher auf Frame-In-Frame oder Bildüberlagerung zurückgegriffen zu
werden. Über den Einfluss der technischen Entwicklungen auf diese formale Dimension
wurde bereits in Kapitel 2.2.3.1 hingewiesen. Erstaunlich ist aber schon, wie früh in der
Filmgeschichte346 bereits mit solchen Konstruktionen experimentiert wurde (und damit
zusammenhängend, wie wenig sich dies bis heute auf die konventionelle Filmerzählung
ausgewirkt hat).

Betreffend der formalen Markierung [15] lassen sich keine sinnvollen summarischen
Auswertungen machen oder Kategorien erstellen, bis auf den Hinweis, dass viele Filme, die
als Fiktion in der Fiktion auf verschiedenen Ebenen erzählen (siehe [5]), in Anlehnung an den
hermeneutischen Code bei Barthes mit deren Vermischung und dem damit entstehenden
Rätsel beim Rezipienten spielen und eine Markierung bewusst weglassen. Auf der anderen
Seite bemühen sich Filme, die mit verschiedenen Perspektiven oder Erzählebenen arbeiten
eher um eine klare Trennung derselben, indem sie im ersten Fall z.B. immer dieselbe Seite
des Kaders für dieselbe Perspektive nutzen - „In your dreams“ markiert zudem noch die
Sichtweisen unterschiedlich farbig, was etwa für die euphorische „Schönfärberei“ der
Ereignisse seitens des männlichen Protagonisten steht - oder im zweiten Fall z.B. die

344
Die Montage verbindet oft verschiedene vorfilmische Räume durch den Anschluss scheinbar wiedererkennbarer Objekte
im Bild zu einem filmischen Raum. Vgl. etwa die Beschreibung einer Sequenz von Pudovkin durch Lev Kuleshov, in
welcher ein Mann einer Frau auf der Strasse begegnet und eine Treppe zu einem weissen Haus hochläuft. Alle Einstellungen
sind an verschiedenen Standorten aufgenommen und zu einem filmischen Raum zusammengesetzt. Vgl. Hickethier, Knut:
Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart 1996, S. 140/141. In Bezug auf die Verbindung verschiedener Zeiten ist dies aber recht
ungewöhnlich.
345
Wobei die Aussage aufgrund der geringen Anzahl Fälle zugegebenermassen nicht repräsentativ sein kann.
346
Vgl. neben “Napoleon” aus dem Jahr 1927 auch etwa Cheloveks kinoapparatom. Der Mann mit der Kamera. Dziga
Vertov. VHS, 68 min. Sowjetunion 1929, der ebenfalls mit Bildüberlagerungen arbeitet.

85
Ergebnisse

ästhetische Qualität des Bildes ändern (farbige oder s/w-Ebene in „Memento“,


unterschiedliche Bildgrösse in „Babylon 2“ oder „Prosperos Books“). Ansonsten muss zu
dieser Dimension auf die Beschreibung der Einzelfälle verwiesen werden.

Allgemeine Bemerkungen zum Untersuchungskorpus:


Zuallererst muss eingestanden werden, dass der Abweichungsgrad von der linearen „Norm“-
Erzählung bei den verschiedenen Beispielen in der Liste recht unterschiedlich ist. Beim
Versuch, eine graduelle Reihe aufzustellen, müsste wohl „Der Pate 2“ als Film mit der
geringsten Abweichung bezeichnet werden. Bei der anderen Polarität, der höchsten
Abweichung, wäre das Kriterium schon nicht mehr so klar. Sicher wären die Filme „L’Année
dernière à Marienbad“, „Happiness is a warm gun“, „Sans Soleil“ und „Smoking/Non
Smoking“ potentielle Kandidaten dafür – drei von vier Filmen interessanterweise von
Autoren der älteren Generation. Die Erweiterung des Spektrums möglicher nonlinearer
Erzählstrukturen rechtfertigt aber auch die Analyse von graduell nicht so stark abweichenden
Formen.

Einzelne konkrete Einflüsse aus den im Theorieteil erörterten intermedialen Entwicklungen


können beispielsweise bei Cronenberg festgemacht werden, der die Computer(spiel)metapher
des Loops347 in „eXistenZ“ in der Erzählung aufnimmt, wenn einzelne Figuren bis zur
Reaktivierung in einer Warteschlaufe hängen bleiben. Beispiele, wie sich das Konzept der
vertiefenden Links aus dem Hypertext formal auf die filmische Erzählung ausgewirkt hat,
sind etwa bei den weiteren Schicksalen der Nebenfiguren vorzufinden, die Lolas Weg in
„Lola rennt“ kreuzen, oder ebenso – aber in die entgegengesetzte Zeitrichtung ausgestreckt
bei „Le fabuleux déstin d’Amélie Poulin“348 bei den einzelnen Personenbeschreibungen mit
ihren Vorlieben, Abneigungen und ihrer Vorgeschichte. In diesen beiden Beispielen wird
formal mit der Idee gespielt, man könne als Zuschauer die einzelnen Figuren „anklicken“349,
um vertiefende Informationen über sie zu erhalten. Ansonsten gibt es natürlich Filme, die mit
dem assoziativen Verknüpfungsprinzip einzelner Lexien350 arbeiten, dies aber im Film wieder
zu einer expliziten Variante linearisieren, wie etwa „Sans Soleil“.

347
Vgl. Kapitel 2.2.3.1.
348
Fabuleux destin d'Amélie Poulain, Le. Jean-Pierre Jeunet. DVD, 129 min. Frankreich/Deutschland 2001. Dieser gehört
nicht zum untersuchten Korpus.
349
Ein Begriff aus der Computersprache, der darauf verweist, dass Aktionen ausgelöst werden können, indem eine Taste auf
der Computermaus heruntergedrückt wird, wenn sich deren Symbol über der Position eines visuellen Stellvertreters dieser
Aktion auf dem Bildschirm befindet.
350
In der filmischen Terminologie kann es sich dabei um verschiedene Einheitsgrössen handeln, z.B. reine Einstellungen,
aber auch Szenen, Sequenzen oder was Metz Syntagmen nennt. Eine Einstellung ist die Einheit einer einzelnen
Kameraaufnahme. Eine Sequenz oder Syntagma ist die Zusammenfassung mehrerer Einstellungen zu einer sinnvollen

86
Ergebnisse

4.3. Weitere Zusammenfassung zu Typen

Wenn das untersuchte Korpus in Bezug auf die zentralen Charakteristika der Nonlinearität
nochmals zusammenfassend vereinfacht wird, lassen sich folgende acht Typen
konstruieren351:

A-chronologische Filme
Für ganze dreizehn Filme ist das Spiel mit der Zeit entscheidend. Die meisten, nämlich acht,
vermischen verschiedene Zeiten, springen nach vorne und zurück, wobei dies in sechs Fällen
ohne klare Markierung geschieht. Drei Filme erzählen in einer zeitlichen Schlaufe, einmal
durch bereits in der Story angelegte Wiederholung, zweimal dadurch, dass wir am Ende des
Filmes wieder beim Anfang beginnen könnten – als Loop also. Zwei Filme erzählen die
Geschichte rückwärts.

Ebenenfilme
Zehn Filme spielen mit den verschiedenen verschachtelten Ebenen, wobei die höheren
Ebenen meist eingelagerte Fiktionen in der Fiktion sind, und diese mit der unteren Ebene
entweder fusionieren oder von ihr divergieren, sich aufeinander beziehen oder aufeinander
einwirken können.

Perspektivenfilme
Für neun Filme ist das Erzählen aus verschiedenen Perspektiven die charakterisierende
Struktur. Diese beziehen sich auf ein zentrales Ereignis oder eine ganze Kette von
Ereignissen, wobei sich die verschiedenen Perspektiven entweder gegenseitig ausschliessen
oder ergänzen können.

Multiplot-Filme
Sieben Filme erzählen mehrere Geschichten, die in sechs Fällen miteinander in Verbindung
treten, indem die Protagonisten aufeinandertreffen oder miteinander zu tun haben. Von der
Struktur her sind diese entweder ineinander verflochten oder in einer Reihe angeordnet, in

Einheit. Der Begriff Szene stammt aus der Theater-Dramaturgie und bezeichnet die Einheit von Ort, Zeit und Handlung – im
Theater in der Zeit nach Shakespeare, vorher musste diese Einheit vom gesamten Stück gewährleistet sein.
351
Insgesamt sind hier bloss 51 Filme aufgeführt; dies liegt daran, dass drei Filme nicht einem zentralen Charakteristikum
zugerechnet werden können.

87
Ergebnisse

welcher das eine zum anderen führt. Beim sechsten Fall ist „nur“ eine zeitliche und
thematische Verbindung zu konstatieren. Vier Filme davon führen in der Zusammenführung
der Erzählstränge auch zu einem Ereignis, dass aus verschiedenen Perspektiven gesehen wird,
ohne dass dies deswegen schon zum zentralen Charakteristikum würde.

Variantenfilme
Vier Filme erzählen eine unterschiedliche Anzahl Varianten einer Geschichte, wie diese also
auch noch hätten ablaufen können, wenn gewisse Ursachen leicht variiert würden. Sie
präsentieren jeweils alle Varianten – es findet keine Auswahl statt. Nur ein Film erzählt die
Varianten parallel durch diachrone Parallelmontage, wobei sich dieser spezieller visueller
Orientierungen bedienen muss, um den Zuschauer nicht zu verwirren.352 Alle Varianten finden
in einem konstanten Setting mit identischen Nebenfiguren statt – diese können aber in der
einen oder anderen Variante auch mal zu Hauptfiguren werden. Das Umfeld wird aber nie
völlig gewechselt.

Fragmentarische Filme
Drei Filme erzählen in Fragmenten, die von der Struktur her entweder additiv oder assoziativ
zusammengefügt werden. Dabei handelt es sich um Filme, die sich um ein zentrales Thema
drehen und in die psychische Innenwelt von Figuren oder des Autors führen.

Filme mit anderer Ordnungsstruktur


Für drei Filme ist die Strukturierung der Erzählung in Einheiten zentral, die entweder dem
Kapitel, dem Buch oder dem Alphabet entlehnt sind. Diese folgen aber trotzdem ebenfalls
einer chronologischen Narration.

Filme mit formaler Nonlinearität


Drei Filme unterscheiden sich vorwiegend formal von einer linearen Erzählung, indem sie
diese mittels Split-Screen oder Ebenen-Compositing durchbrechen.

352
Sliding Doors. Peter Howitt. VHS, 99 min. USA/England 1998. Die Frau hat anfangs eine Verletzung, später eine andere
Frisur in einer der Varianten.

88
Ergebnisse

4.4. Bemerkungen zu Funktion und Umfeld der Filme


Nachdem jetzt die unterschiedlichen, realisierten Möglichkeiten und ihre formale Umsetzung
aufgezeigt wurden, soll noch kurz die fünfte Folgefrage der Untersuchung aufgenommen und
nach funktionalen Eigenschaften des Korpus gefragt werden. In ihrer Funktion können die
verschiedenen realisierten Möglichkeiten nicht-linearer Erzählstrukturen im Film aufgefasst
werden als:

• Möglichkeit: „Lola rennt“, „Sliding-Doors“, „Smoking/NonSmoking“, „Der Zufall


möglicherweise“
• Sicht eines Beteiligten: „Rashomon“, „Go“, „Little Dorrit“, „One Night at McCool’s“)
• Artefakt: „Epidemic“, „Le Mépris“, „Otto e mezzo“, „Prosperos Books“,
„Slaughterhouse Five“
• Spiel mit der Form: „eXistenZ“, „Game“, „Groundhog Day“, „Lola rennt“,
„Memento“, „Pulp Fiction“
• Simulation des menschlichen Bewusstsein (wach oder träumend): „Abre los Ojos“,
„L’Année dernière à Marienbad“, „Bad Timing“, „La Belle captive“, „Happiness is a
Warm Gun“, „Julien Donkey-Boy“, „Lost Highway“, „Memento“, „Mulholland
Drive“, „Otto e mezzo“, „Sans Soleil“
• Teilwirklichkeit: “Amores Perros“, „Aus dem Leben der Marionetten“, „Before the
rain“, „Le Fantome de la Liberté“, „Mystery Train“, „Night on Earth“, „Short Cuts“,
„Slacker“
• Versuchsanlage: „La Jetée“, „Je t’aime, je t’aime“
• Grosse Erzählung: „Der Pate 2“, „O Thiassos“

Wobei es sich dabei weder um eine abschliessende, noch um eine sich gegenseitig
ausschliessende Aufzählung handelt: So spielen etwa „Lola rennt“ oder „Smoking/Non
Smoking“ mit den Möglichkeiten, verzichten auf eine eindeutige lineare Folge und zeigen,
dass die Geschichte auch anders hätte sein können. Damit verweisen sie aber auch auf ihren
Artefakt-Charakter und der Zuschauer gewinnt analytischen Abstand.353 Die Sicht eines
Beteiligten wird damit gleichzeitig auch zu einer Teilwirklichkeit, was umgekehrt aber nicht
gelten muss.

353
Vgl. Kapitel 2.1.3.

89
Ergebnisse

Das Auflösen der Linearität kann also sowohl politisch, wie auch apolitisch aufgefasst
werden: Einerseits kann das postmoderne Spiel als Beliebigkeit verstanden und damit ein
Zerfall verbindlicher Ethik und Handlungsmaximen propagiert werden, der die Notwendigkeit
zum Handeln oder Beziehen von eindeutigen Positionen überflüssig macht. Andererseits
können aber gerade dadurch bestehende gesellschaftliche Verhältnisse in Frage gestellt
werden, die sich in Form verbindlicher Rollenbilder und dem Aufrechterhalten von Mythen
(z.B. demjenigen der sozialen Mobilität des „American dream“ oder demjenigen des guten,
westlichen Christen, der sich gegen die „bösen“ Mächte behauptet354) im Mainstreamkino
reproduzieren. In diesem Zusammenhang sind neue Formen sicher eine Alternative zur
gedankenlosen Reproduktion grosser Mythologien und traditioneller Schemata. Zwei
Gefahren bestehen dabei allerdings schon: 1. dass wir uns gegenseitig nicht mehr verstehen,
weil die gemeinsame Basis an Konventionen verloren geht, und 2. dass wir unsere
(vermeintliche?) Sicherheit verlieren. Positiv gedeutet könnte dies aber auch bedeuten, dass
wir hinter die Phänomene der verschiedenen semantischen Systeme blicken lernen und
gleichzeitig das starre, statische durch ein flexibles, „flottierendes“ Weltbild ersetzen.

Einerseits lassen sich unter den untersuchten Filmen Exponenten finden, die die
Wahrnehmung extrem nach aussen verlagern und verschiedene Episoden und
Handlungsstränge mit scheinbar willkürlich wechselnder Fokussierung aneinanderreihen,
andererseits aber eben auch solche, die eine durch die Ästhetik reproduzierte stark subjektiv
gefärbte psychische Innenperspektive evozieren.

Interessanterweise sind einige Autoren355 (nur unabhängige Autorenfilmer und nicht dem
Studiosystem verpflichtete Regisseure) mehrfach in der Liste eingetragen. Dies hat einerseits
sicher mit einer nicht zu vernachlässigenden Voreingenommenheit bei der Auswahl durch
teilweise bestehende Kenntnisse der Werke zu tun, die soweit möglich durch Konsultation
von Fachpersonen auszugleichen versucht wurde. Andererseits darf aber davon ausgegangen
werden, dass die mehrfach genannten Autoren an einem Thema arbeiten, welches sich aus
irgendeinem Grund besser nicht-linear erzählen lässt.

354
Hier mit Bezug auf das westliche Mainstreamkino hollywoodscher Prägung. Selbstverständlich kann konventionell-
lineares Kino in anderen Kulturen auch andere Werte aufrechterhalten – interessant dazu ist sicher die Untersuchung über
Lesarten vom weit verbreiteten “westlichen” Kino in Ländern mit abweichenden sozialen und kulturellen Normen und
Vorstellungen, wie es die Cultural Studies leisten. Das klassische Design allerdings ist keine rein westliche
Lebensauffassung, wie McKee zeigt. Vgl. McKee 2000, S.75 ff.
355
Jarmusch, Marker, Resnais.

90
Ergebnisse

Spannend wäre in diesem Zusammenhang auch eine Untersuchung der gesamten


verzeichneten Filmproduktion in Bezug auf ihre Entstehungszeit und die damals
vorherrschenden kulturellen und politischen Einflüsse. So lässt sich etwa „Rashomon“ im
moralischen Vakuum des traumatisierten Nachkriegsjapan verorten, die „Nouvelle Vague“-
Produktionen und ihre Abkömmlinge im politischen Diskurs der Studentenbewegung Ende
der Sechziger Jahre, „Przypadek“ im, zwischen Kommunismus und Kirche aufgeriebenen
Polen des kalten Kriegs, und „Before the Rain“ stellt Ursachen des Konfliktes in Mazedonien
in Frage, etc.
Nebenbei kann noch erwähnt werden, dass mehr als die Hälfte der untersuchten Filme in den
neunziger Jahren oder später entstanden, was die Möglichkeit des Einflusses verschiedener
technischer Veränderungen356 nicht be-, aber zumindest nahelegen würde. Allerdings können
Ansätze nicht-linearen Erzählens bis zu den Anfängen des Kinos zurückverfolgt werden und
tauchen auch in allen Epochen immer wieder auf.

356
Vgl. Kapitel 2.2.3.

91
Fazit und Ausblick

5. FAZIT UND AUSBLICK


5.1. Fazit
Es stellte sich also im Rahmen dieser Untersuchung heraus, dass die lineare Erzählstruktur im
linearen Medium Film auf unterschiedlichste Arten de facto schon seit langem aufgelöst ist,
wenn sich auch eine überwiegende Mehrheit der kommerziellen Filme in ihrer Erzählstruktur
an Konventionen einer vorwiegend linearen Erzählung hält, die das Publikum verinnerlicht
hat. Auch die in dieser Untersuchung speziell mit dem Fokus auf die nonlineare
Erzählstruktur ausgewählten, im Anhang beschriebenen Filme weichen meistens nur in
einzelnen der untersuchten Dimensionen mehr oder weniger stark von einer linearen
Narration ab.

Nonlinearität ist also ein omnipräsentes Merkmal filmischer Narration, allerdings lässt sich
diese im Einzelfall mehr graduell als strukturell festmachen.

Schon aus dem bescheidenen Korpus konnte eine recht umfangreiche Auflistung an
Möglichkeiten nonlinearen Erzählens im Film erstellt werden, die aus unterschiedlichsten
Kontexten stammen und vielfältige Funktionen erfüllen. Auf einen erneuten Überblick der
Kategorien wird an dieser Stelle aus Platzgründen verzichtet. Diese sind bereits in Kapitel
4.1.2 übersichtlich aufgelistet. Quantifizierend zusammengefasst lässt sich sagen:

Mit den untersuchten vierzehn Dimensionen konnten knapp siebzig verschiedene Kategorien
konstruiert werden, also siebzig unterschiedliche und miteinander kombinierbare
Möglichkeiten wie das lineare Medium Film bereits nonlinear erzählt.

Dabei wurden folgende Typen von Filmen gefunden:


A-chronologische, Ebenenfilme, Perspektiven-, Multiplot-,Variantenfilme, fragmentarische
Filme, sowie Filme mit anderer Ordnungsstruktur und solche mit vorwiegend formaler
Nonlinearität.
Ob sich dabei die theoretischen Konzepte auf die filmische Narration auswirken, muss
weiterhin im Bereich der Spekulation bleiben. Zwar lassen sich einige Autoren von ihrem
Hintergrund her in bestimmte Konzepte einordnen, ob und wie bewusst diese Überlegungen
aber in die filmische Produktion einfliessen, müsste wohl im Einzelfall geklärt werden.

92
Fazit und Ausblick

5.2. Ausblick
5.2.1. Weitere potentielle Möglichkeiten der nonlinearen Narration im
linearen Medium Film:

Die verschiedenen Dimensionen und ihre Kategorien könnten nun nochmals übereinander
gelegt werden, um bspw. zu eruieren, welche in der Chronologie kreisförmigen Filme
gleichzeitig den Ort wechseln und deren Kausalität nicht aufgeht („Before the Rain“), oder
welche Filme synchron parallele Perspektiven darstellen und dazu noch auf verschiedenen
Ebenen erzählen („Das Engadiner Wunder“). Welche themenzentrierten Filme erzählen
mehrere serielle Handlungsstränge seriell, behalten dabei die Linearität der Chronologie bei
und bleiben kausal trotzdem auf der Stufe rudimentär oder unklar („Le Fantome de la
Liberté“, „Slacker“). Davon ausgehend könnten die Leerstellen in der Typologie entdeckt
werden, um – das obengenannte Beispiel fortführend - etwa festzustellen, dass kein Film
existiert, der themenzentriert mehrere serielle Handlungsstränge parallel synchron als Split-
Screen erzählt, dabei die Linearität der Chronologie beibehält und trotzdem kausal unklar ist.
Es muss wohl nicht speziell belegt werden, dass diese Auswertung mit den
Kombinationsmöglichkeiten von vierzehn Dimensionen und vielen Kategorien unzählige
Möglichkeiten aufdecken würde.357 Wie sinnvoll all diese Abweichungen wären, bleibt aber in
Frage zu stellen. Diese Untersuchung soll denn auch nicht durch übermässige Akribie und
Pedanterie ad absurdum geführt werden, sondern das Vorrecht qualitativer Studien auf die
Berücksichtigung des „gesunden Menschenverstands“ beanspruchen und bloss einige
Möglichkeiten extrapolieren, für welche keine Beispiele gefunden werden konnte und die
vielleicht in der Praxis verwertbar wären. Es sind Filme mit nonlinear Erzählstruktur, die aber
alle noch im linearen Medium Film erzählen:

• Die Darstellung „mehrerer Zeiten innerhalb eines Bildes“, also eine parallel-synchrone
Erzählung serieller (nachzeitlicher) Ereignisse, wie es in den bildenden Künsten bis
zur Renaissance üblich war358 und wie es für mehrere Perspektiven („Time Code“) und
mehrere Ebenen („Prosperos Books“, „Napoleon“) beschrieben wurde, also als Frame-
In-Frame oder als Tiefenmontage. Im Hintergrund wäre eine andere Zeit innerhalb
derselben Diegese zu sehen.

357
Wenn auch sicherlich nicht so viele, wie es auf den ersten Blick scheint, da gewisse Dimensionen sich eben zueinander
redundant verhalten.
358
Wie etwa im Bild vom Tanz der Salomé und der Enthauptung Johannes des Täufers von Gozzoli, in welchem Salomé auf
der rechten Seite vor dem König tanzt und in der Mitte im Bildhintergrund ihrer Mutter das Haupt überreicht, welches
Johannes auf der linken Seite abgeschlagen wird – die zeitliche Reihenfolge des Bildes wäre also rechts, links, Mitte.

93
Fazit und Ausblick

• Damit zusammenhängend die Kombination „mehrerer Zeitverläufe“ (vorwärts und


rückwärts) ebenfalls synchron im selben Bild. Dies tritt bei „Memento“ als
Kombination paralleler aber diachroner Erzählung auf. Im Videoclip wurde dies schon
in „Sugar Water“359 von Cibo Matto realisiert, wobei in diesem Fall keine neue
Information vermittelt, sondern eher mit der Symmetrie der Erzählvektoren gespielt
wird; z.B. wenn eine Katze aus einem Bild der vorwärtsgerichteten in ein Bild der
rückwärtsgerichteten Zeit überwechselt. Diese könnten entweder von einem Ereignis
auseinanderdriften oder in einem Zeitpunkt zusammentreffen, d.h. von der Zukunft
aus wird ebenso in die Gegenwart erzählt wie von der Vergangenheit aus. Erstere
Version liesse sich in Analogie zur Struktur auch als „Zeitbifurkationsfilm“
bezeichnen.

• „Parallel erzählte sich ausschliessende Perspektiven“: Es wäre sicherlich interessant


zu überlegen, wie sich diese Möglichkeiten gegensätzlicher Gleichzeitigkeit
realisieren liessen und was dabei entstehen würde.

• Der „Variantenfilm innerhalb desselben Bildes“ (auf der einen Seite Version A, auf
der anderen Version B, also synchron verzweigt): Dies könnte als Steigerung der
schizophrenen Darstellung zweier oder mehrerer Leben in Split-Screen aufgefasst
werden. Ähnlich wie bei „Time Code“ müsste wohl mit dem Ton die Aufmerksamkeit
gesteuert werden, oder aber beide Dialogspuren fallen in die jeweilige Lücke der
anderen Seite, wie es „Das Engadiner Wunder“ mit den Perspektiven handhabt.

• Ein wirklich „akausaler“ Film – dieselbe Ursache führt zu unterschiedlichen


Wirkungen (Varianten):360 Es geht einfach mehrmals anders weiter, ohne Erklärung
oder Auslöser für die Varianten (vor der Verzweigung repetiert sich dieselbe
Einstellung). Und damit zusammenhängend

• Ein Variantenfilm, der aber in „allen Varianten zum selben Ende“ führt. So wie etwa
„A Night at McCool’s“ am Schluss alle Perspektiven zusammenführt, würde dieser
Film einfach verschiedene Handlungsvarianten entwerfen, um am Schluss immer
identisch zu enden.
359
Sugar Water. Videoclip für Cibo Matto. Michel Gondry. Frankreich 1996.
360
Und hört damit auf, Ursache zu sein.

94
Fazit und Ausblick

• Ein vollständig „zeitsymmetrischer“ Film, der sowohl vorwärts, wie rückwärts


abgespielt funktionieren würde. Das Problem wäre sicher die Tonspur. Diese müsste
wohl in Analogie zu dem Mythos (?) Rockmusik mit satanischer Botschaft doppelt
codiert werden.

• Ein „Synchronizitätsfilm“: Zeitlich koinzidente Ereignisse verbindet ein gemeinsamer


Sinn allein dadurch, dass sie gleichzeitig geschehen, ohne Kette von Ursache und
Wirkung, also ebenfalls akausal.

• Ein „Déjà-Vu-Film“: Bestimmte Ereignisse tauchen immer wieder auf. Dies ist zwar
bei „La Belle Captive“ und „Je t’aime, je t’aime“ der Fall, allerdings dort in beiden
Fällen in der Story begründet; im ersten Fall durch die Subjektivierung in die Sicht des
Protagonisten361, im zweiten durch den Fehler im System der Zeitmaschine. Wenn
diese Begründung fehlen würde, wäre das Déjà-vu rein auf der Plotebene angesetzt.

• „Gefaltete Dramaturgie“: Vom Effekt des Time Warp ausgehend, der den Zeitablauf
in unterschiedlich starke Beschleunigung und Verlangsamung delinearisiert, könnte
ebenfalls das dramaturgische Modell gefaltet werden, so dass z.B. während einem
Höhepunkt gleichzeitig eine Figur exponiert, der Hauptkonflikt ganz am Anfang
gelöst und die Nebenhandlung noch kurz vor Ende oder auf einer weiteren Ebene als
Split-Screen eröffnet würde.

• Ein Film, der die „Figuren verdoppelt“, wie es am Schluss von „At Land“ und als
Figurenähnlichkeit in „Lost Highway“ geschieht. Dies geschieht etwa im Videoclip:
„Come into my world“362, in welchem sich die Protagonistin verdoppelt, verdreifacht
und vervierfacht.

• Ein Film, der seine Einstellungen „nach der Logistik des Drehens“ ordnet und damit
seinen Artefakt-Status betont, der aber nicht als Film im Film, sondern rein in der
nicht-sinnvoll geordneten Form vorliegt.

361
Vgl. mit den Ansätzen des Nouveau Roman in Kapitel 2.2.2.1.
362
Come into my World. Videoclip für Kylie Mynogue. Michel Gondry. Frankreich 2002.

95
Fazit und Ausblick

• Der „seitwärts erzählte Film“: Hier würde die Zeit weder vorwärts noch rückwärts
laufen, sondern es wird durch den Raum erzählt, indem alle Ereignisse,
Gedankenassoziationen, Nebenhandlungen und andere Schauplätze in einem Moment
„eingefroren“ und diese seriell oder parallel durchlaufen werden. So könnten diese
auch durchaus linear kausal miteinander verknüpft sein, man würde aber in deren
räumlicher Anordnung nicht zwangsläufig zuerst den Ursachen und dann den
Wirkungen begegnen, sondern eher in der erwähnten Analogie einer Cocktail-Party.363

• Das „Möbius-Band“364: Vielleicht kommt die Erzählstruktur in „Lost Highway“ am


ehesten an diese Form heran, indem ein Erzählstrang zu einem anderen wechselt, um
dann wieder an den Anfang des ersten Erzählstranges zurückgeschlauft (Loop) zu
werden. Bei „Lost Highway“ handelt es sich um den Wechsel der Hauptpersonen
innerhalb derselben Geschichte mit gleichbleibenden Nebenakteuren. Durch eine Art
schizophrene Personalstruktur. Es wäre aber ebenso gut vorstellbar, zwei Geschichten
(vielleicht in Ensemblefilmen) oder zwei Varianten zusammenzubringen und zwar so,
dass beide geschlauft sind, dass also Geschichte/Variante A über Geschichte/Variante
B an ihren Anfang zurückfindet et vice versa.

• Ein Film der „gekrümmten Zeit“: Nicht alle Handlungsstränge/Perspektiven schreiten


gleichschnell voran. Bei einigen treten dieselben Ereignisse früher ein und sie werfen
ihre Wellen in die anderen Erzählstränge, bei welchen dieses Ereignis noch aussteht,
um ihrerseits aber auch wieder Ausläufer von Ereignissen zu empfangen. In diesem
Zusammenhang wäre auch vorstellbar, dass sich z.B. die Ereignisse auf verschiedenen
medialen Ebenen verzögern, dass also z.B. ein Dialog auf der Tonebene dem Ereignis
im Bild voranläuft, damit wäre dann auch die noch fehlende Kategorie der „seriell
erzählten medialen Ebene“ aufgefüllt.

• Der sich „räumlich ausbreitende Film“, durch Multiplizierung der Fenster jeweils bei
Einführung einer neuen möglichen Abzweigung. Es handelt sich dabei um eine
räumliche Version der Bifurkation von „Smoking/NonSmoking“ in einer synchronen,
parallelen Variante.

363
Vgl. Kapitel 2.2.3.3.
364
Dieses Band, benannt nach dem Mathematiker August Ferdinand Möbius (1790-1868), ist eine einseitige Fläche, wie man
sie erhält, wenn man einen Papierstreifen mit um 180 Grad verdrehten Enden zusammenklebt. Ohne den Rand zu
überschreiten, kann man auf die Rückseite der Ausgangsstelle gelangen. Damit verliert der Begriff Rückseite für diese Fläche
überhaupt seinen Sinn.

96
Fazit und Ausblick

• Der „Distraktions-Film“: Erzählungsfremde (extradiegetische) Bilder und Handlungen


ohne Zusammenhang intervenieren in die Erzählung. Dies ist in etwa vergleichbar mit
der Situation, wenn man sich auf das Schreiben einer wissenschaftlichen Arbeit
konzentrieren sollte ;-).

• „Cut-Up365-Dramaturgie“: Einzelne Erzählteile müssen ausgeschnitten werden


(räumlich und zeitlich), um an andere Teile gehängt zu werden - etwas, was der
Scharadenfilm z.B. im zeitlichen Bereich tut, indem er Reihenfolgen umstellt und den
Zuschauer das Puzzle zusammensetzen lässt. In diesem Fall geschieht dies aber
vermehrt auch räumlich vertauscht, indem Bilder in Ausschnitte zerlegt und versetzt
gezeigt werden.

• Filme, die vermehrt mit den „medialen Ebenen“ arbeiten und z.B. Perspektiven oder
Varianten auf mehrere mediale Ebenen verteilen, die sich widersprechen. Es wird über
den Ton oder Text eine andere Perspektive erzählt, als was im Bild zu sehen ist.

Ob sich bei den obengenannten Möglichkeiten sinnvolle filmische Erzählstrukturen ergeben


können, müsste wohl im Einzelfall geprüft werden – die eine oder andere extrapolierte
Möglichkeit dürfte sicher auch wieder verworfen werden oder nur in abgeänderter Form
Bestand haben. Zudem sind die Möglichkeiten natürlich nicht abgeschlossen – weitere liessen
sich daraus und aus den in Kapitel 4.1.2 gewonnen Erkenntnissen kontruieren.

365
Vgl. Kapitel 2.2.2.2

97
Fazit und Ausblick

5.2.2. Film im Zeitalter seiner technischen Delinearisierung


5.2.2.1. Einfach zu realisierende Möglichkeiten
Auf dem heutigen Stand der Technik (v.a. mit DVD) wären folgende Möglichkeiten einer
interaktiven filmischen Erzählung bereits vorstellbar - ohne Berücksichtigung der im
folgenden Kapitel skizzierten weiterführenden Forschungsansätze:

• Springen in Zeit und/oder Ort, zu anderen Handlungen oder anderen Figuren..


• Wechsel der Perspektiven oder Ebene.
• Vertiefung zu interessierendem Punkt/Figur/Thema/Gegenstand weiter- oder etwa
auch Kausalitätsketten zurückverfolgen (und damit Erklärungsmodelle für den
Handlungsablauf eruieren).
• Entscheidung für Protagonisten übernehmen.
• Neue Anordnung von Lexien, resp. unterschiedliche Wege durch identisches
Material.366
• Ein- und Ausschalten mehrerer zusätzlicher Perspektiven und Ebenen in einem Bild
oder auf der Tonebene.

Interessant im Zusammenhang mit dieser Untersuchung wäre die Frage nach den Filmen aus
dem Korpus, die durch diese Möglichkeit des interaktiven Zugriffs aufgewertet würden, und
nach denen, die dadurch von ihrer erzählerischen Struktur verlieren würden. So könnte man
sich beispielsweise vorstellen, dass es spannend wäre, bei „Mystery Train“ zwischen den
verschiedenen Erzählsträngen hin- und herzuwechseln, zu schauen, wo sich die jeweiligen
anderen Figuren gerade befinden, oder sich entlang einer zeitlichen, örtlichen oder
thematischen Achse (z.B. alles über Elvis) durch das Material zu bewegen.367 Hingegen würde
dieselbe Möglichkeit bei „Short Cuts“ nicht nur verwirren, sondern durch die Menge an
Erzählsträngen eine Einheit geradezu auflösen368 - von den zusätzlichen Produktionskosten
gar nicht zu sprechen. Oder bei „Sans Soleil“ könnte es durchaus interessant sein, selber die
Lexien anzuordnen und den assoziativen Links zu folgen,369 wohingegen dieselbe Freiheit bei

366
Wobei diese Wege eben mehr oder weniger offen oder strukturiert sein können. Vgl. die Forschungsansätze in Kapitel
4.3.3. Diese könnten aber auch ohne diese Ansätze einfach willkürlich anordbar sein und den Plot als Rätsel präsentieren.
Vgl. Scharadenfilm oder Bemerkungen zum hermeneutischen Text bei Barthes in Kapitel 2.2.1.3.
367
Vgl. Bruckman, Amy: The Combinatorics of Storytelling: Mystery Train Interactive. Paper at The MIT Media Laboratory,
Massachussetts 1990.
368
Was natürlich auch interessant und gewünscht sein kann.
369
Chris Marker hat denn später auch nur noch im freieren Medium CD-ROM gearbeitet. Vgl. Immemory. Chris Marker.
CD-ROM. Frankreich 1998.

98
Fazit und Ausblick

„Happiness is a warm gun“ wohl eher der Erzählung abträglich wäre, weil diese stark von
deren Durcheinanderbringen „lebt“. Wie stünde es z.B. bei den erwähnten vertiefenden Links
in „Lola rennt“ und „Amélie“370? Macht es nicht gerade deren Reiz in der Erzählung aus, dass
sie eben nur als intermediale Anspielungen existieren?

5.2.2.2. Einige realisierte Beispiele nonlinearer, interaktiver Filme


Wenn an der Expo02 der Film „Swiss Love“371 in verschiedenen Räumen mit
unterschiedlichen Fortsetzungen vorgeführt wird, deren Auswahl der Zuschauer selber
bestimmen konnte, so ist diese Idee gar nicht mehr so neu, geht sie doch unter anderem auf
eine viel frühere Veranstaltung im damals noch tschechoslowakischen Pavillon der
Weltausstellung 1967 in Montreal zurück. Damals begeisterten ein paar junge Filmemacher
mit der – noch eher konzeptuell als technisch ausgereiften – Idee der Interaktivität. Nach
Ablauf einer Rolle Film traten die Schauspieler aus dem Film auf die Bühne und das
Publikum konnte aus einer Auswahl den weiteren Verlauf der Erzählung wählen, worauf dann
die entsprechende weitere Filmrolle abgespielt wurde. Ähnlich nonlinear aber auch noch nicht
in interaktiven Medien verfährt der Film „Lan Yue“372, wenn der Autor dem Kinooperateur
die Freiheit lässt, die fünf Rollen beliebig hintereinander zu spielen, um damit 120
verschiedene Geschichten zu konstruieren (mit allerdings nur fünf verschiedenen Enden).373
Diese setzen also bei der Variation nicht ganz zuhinterst in der Distributionskette, beim
Rezipienten, an, sondern unmittelbar eine Stufe vorher.

Auch im Kunstkontext hat Moles bereits in den 60er Jahren in seinem Entwurf einer
permutierenden Kunst von den Autoren gefordert, die Manipulationsmöglichkeiten
einzugestehen, offenzulegen und sie der Maschine zu überlassen, um dann aus präsentierten
Möglichkeiten eine Wahl zu treffen.374 Zwanzig Jahre danach wurde Video- und
Computertechnik kombiniert, um statt einer geradlinigen Narration eine Geschichte mit
mehreren Varianten und Kreisen zu ermöglichen, die dem Betrachter Wahlmöglichkeiten zum
Fortgang der Story bieten. Die Technik verlagert also auch innerhalb des Kunstkontextes die
Entscheidung über den Fortlauf einer Erzählung zunehmend vom Autor zum Rezipienten.

370
Vgl. Kapitel 4.1.
371
«Swiss Love» lud zu interaktiven Liebesgeschichten ein. Insgesamt dreimal konnten die Besucher zwischen Fortsetzungen
eines Films wählen. Unerwartete Wendungen sollten zeigen, wie einen die eigenen Vorurteile bei der Begegnung mit anderen
Menschen prägen.
372
Lan Yue. I Chen-Ko. 97 min. Taiwan 1997.
373
Vgl. Weiberg, Birk: Beyond Interactive Cinema. In: Http://www.keyframe.org/txt/interact/. S 8. (20.05.2003).
374
Vgl. Metz 1972, S. 60.

99
Fazit und Ausblick

Graham Weinbrens Installationen375 etwa entwickeln eine komplexe Beziehung zwischen


mehreren Ebenen der Erzählung und arbeiten auf ein interaktives Kino376 hin. Lynn Hershman
thematisiert in ihren Installationen377 aus einer spielerisch-feministischen Haltung heraus vor
allem die sexuelle und erotische Dimension der Interaktion, welche den Betrachter zum
Mitspieler oder Voyeur macht. „Videolabyrinth“378 enthält drei interaktive Spielhandlungen,
die von Fragen, Quizaufgaben oder Punktevergaben unterbrochen werden. In den USA kann
zu dieser Zeit die Videodisk genutzt werden, in Europa muss man sich mit dem Ansteuern
von Videorekordern durch Computer behelfen, was die ganze Sache etwas langsam und
schwerfällig macht, bis sich Anfang 90er Jahre die CD-ROM und später die DVD durchsetzt.

Eine aktuelle Anwendung aus dem dokumentarischen Bereich ist zum Beispiel das im
MediaLab des Massachusetts Institute of Technology M.I.T. entwickelte interaktive „Jerome
B. Wiesner. A Random Walk through the Twentieth Century“379, in dem der User sowohl
einer zeitlichen Achse, wie auch thematischen Bereichen der Geschichte des 20. Jahrhunderts
folgen kann. Das Interessante daran ist, dass zwar ein linearer Film abläuft380, dieser aber „on
the fly“ jedesmal neu generiert wird. Sämtliche Szenen sind mit Stichworten versehen und
werden auf Eingabe eines thematischen Begriffs durch den User immer wieder neu
zusammengestellt. Diese themenorientierte Montagetechnik wurde vom surrealistischen
Konzept der écriture automatique381 beeinflusst.

Im kommerziellen Film wird allerdings vorerst nur wenig mit den neuen Möglichkeiten der
Interaktivität experimentiert, möglicherweise ist die Industrie noch von den erwähnten Flops
der zu interaktiven Filmen weiterentwickelten Computerspiele gebrannt, hält sich fest an den
sicheren dramaturgischen Dogmen der linearen Erzählung und verweigert sich den in
Ansätzen vorhandenen Forschungsansätzen.

5.2.2.3. Einige aktuelle Forschungsansätze


Die Technik ist inzwischen also vorhanden, noch fehlen aber zum grössten Teil die narrativen
Konzepte, um mit dieser neugewonnen Freiheit umzugehen. Laurel vergleicht die Evolution
neuer Medien mit der Embryonalentwicklung des Menschen im Mutterleib: Macht dieser die

375
Erl King, The. Graham Weinbren. Installation 1986, Sonata. Graham Weinbren. Installation 1991.
376
Der Begriff “Interaktives Kino” hat seine Wurzeln sowohl im Kino, wie auch im Computerspiel. Vgl. Laurel 1993, S. 53.
377
Deep Contact. Lynn Hershman. Installation 1989/90, Room of One's Own, A. Lynn Hershman. Installation 1992.
378
Videolabyrinth. Rike Anders/Ilka Lauchstädt/Mari Cantu/Martin Pothoff. Interaktive Filme. 1988.
379
http://ic.media.mit.edu/projects/JBW/JBWJava.htm (23.09.2003).
380
In der ursprünglichen Version auf CD-ROM.
381
Siehe Kapitel 2.2.2.1.

100
Fazit und Ausblick

Stufen der Kiemenatmung und des Schwanzfortsatzes durch, bevor er zur spezifischen Form
gelangt, so imitieren jene zuerst ältere Medien; das Fernsehen imitierte das Theater, das Radio
und den Film.382 „The emergence of a new medium is a dance between the evolutionary
pattern or recapitulation and the force of new creative visions.“383 Selbst wenn das lineare
Medium Film, wie in Kapitel 2.3 gezeigt wurde, teils immer schon nonlinear erzählt hat,
erstaunt es deshalb nicht, dass die interaktiven Medien hingegen vorderhand immer noch
vorwiegend linear erzählen.

Jenseits der überkommenen Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Handlungsverläufen


und labyrinthischen Videospielen im nonlinearen, interaktiven Film besteht ein
Forschungsansatz in der Entwicklung modularer narrativer Strukturen, die eine unbestimmte,
aber sinnvolle Zahl von Permutationen ermöglichen.384 Hierzu zählt etwa der erwähnte
Erzählraum von Michael Joyce. Diesen müsse man sich wie einen Ozean vorstellen, in
welchen der Leser eintauchen und verschiedenen Geschichten oder Fragmenten von
Geschichten begegnen kann. Der Ozean ist eine dynamische narrative Region, wie der Fluss
des Heraklit, in welchen man nicht zweimal eintauchen kann, aber eben nicht mehr nur linear,
sondern mit einer Dimension mehr, und die Turbulenzen im Ozean stammen nicht zuletzt
auch von der Eigenbewegung des schwimmenden Lesers.385 Dieser Erzählraum kann aus einer
Anzahl zusammenhängender Erzählungen bestehen, durch die sich der Zuschauer
vorwärtsarbeitet oder zwischen welchen er Verbindungslinien entdeckt, oder aus einer
einzelnen Erzählung, die aus verschiedenen Perspektiven gesehen wird. Es kann sich auch um
das Auseinanderbrechen einer bestimmten Situation in ihre historischen oder konstitutiven
Elemente handeln.386 Und gar nicht so weit von diesem Ansatz entfernt steht auch die
Forderung eines kaleidoskopischen Medium durch Murray. Dieses ermögliche dem User, sich
in der Welt der Diegese herumzubewegen, um zum Beispiel die unterschiedlichen
Perspektiven der einzelnen Protagonisten einzunehmen oder komplexere Zusammenhänge zu
erfahren, wie etwa geschichtliche Ereignisse, die aus einer grossen Anzahl kleinerer
Ereignisse entstehen.387 Murray sieht die Zukunft interaktiver Narration irgendwo zwischen
den beiden Extremen des zu eingeschränkten Abenteuers einerseits, das nur einen Weg des
Ablaufs kennt und der rhizomatischen Struktur einer Erzählung andererseits, die absolut offen

382
Was für ein linearer Gedanke – aber der Verfasser ist selber immer wieder in eine lineare Aufzeichnung einer
Medienevolution gefallen.
383
Laurel, Brenda: Computer as Theatre. Massachusetts 1993, S. 193.
384
Vgl. Shaw/Weibel 2002.
385
Vgl. Weinbren, Grahame: In the Ocean of Streams of Story. In: MFJ 28,1995.
386
Ebd.
387
Vgl. Murray, S. 283.

101
Fazit und Ausblick

ist für sämtlich Zugänge und Arten der Durchquerung. Die teilnehmende Narration müsse
zielorientiert und frei entdeckbar zugleich sein. Sie müsse eine befriedigend dramaturgische
Struktur bieten, unabhängig vom Weg, den der User wählt. Dieser „multiform plot“ oder
dieses „storytelling system“ wäre also eine Sammlung von Textfragmenten, die
kombinatorischen Gesetzen unterliegt, welche bei jedem Durchgang neuen narrativen Sinn
generieren würde.388 Dies ist vergleichbar mit der Grammatik bei Chomsky, die durch die
Kombination von Wörtern nach syntaktischen Regeln eine grosse Anzahl sinnvoller Sätze
schafft.389 Murray veranschaulicht die Funktionsweise eines solchen kaleidoskopischen
Systems mit dem Bild eines Barden in einer oralen Kultur, der ständig neue narrative
Aufführungen macht und sich dabei aus einem Fundus von Sätzen, Episoden und
Ergänzungen bedienen kann.390 Allerdings stimmt meiner Meinung nach diese Analogie nur
begrenzt, weil der Barde sich nicht hinsichtlich der weiteren Entwicklung des Plots nach den
Wünschen der einzelnen Zuhörer richtet, sondern vorwiegend Korrekturen einführt in Bezug
auf die Ausführlichkeit und das Erzähltempo einzelner Episoden aufgrund des emotionalen
Feedbacks,391 wie auch ein DJ selten einen konkreten Plattenwunsch eines Gastes erfüllt,
sondern vielmehr anhand der Stimmung versucht, den dramaturgischen Gesamtablauf
innerhalb gewisser Bandbreiten zu korrigieren.
Weiter könnte die Differenzierung der Erzähleinheiten gemäss Chatman392 in direkt
miteinander verbundenen Kernels und die darum herum aufgebauten Satellites für die
Forschungsansätze nicht-linearer Filmnarration von Nutzen sein. Die Reihenfolge der
Kernels ist von übergeordneter Bedeutung für die Konstruktion der Erzählstruktur, Satellites
können demgegenüber relativ willkürlich darum herum platziert werden. Der
Datenbankansatz von Lev Manovich schliesslich, den er schon bei Dziga Vertovs „Mann mit
der Kamera“393 in Ansätzen verwirklicht sieht geht wieder anders an die Möglichkeiten
nonlinearer Erzählstrukturen heran.394 Dieser könnte im Zeitalter der computerisierten
Datenbanken an Bedeutung gewinnen und zu einer vom User gesteuerten Form werden. In
diesem Zusammenhang sei auch nochmals auf Peter Greenaway verwiesen, der alle
möglichen Arten der Verbindung zwischen Erzählung und Datenbankstruktur im linear

388
Ebd.
389
So sind etwa auch die linguistischen Muster der Syntax teilweise auf die Logik der (Film-)Erzählung transferierbar, wie
Barthes am Beispiel der Dystaxie, der syntaktischen Verzerrung, klarmacht. Erscheint in einem französischen Satz ein „ne“
erwarten wir ebenso das baldige Folgen des logisch dazugehörenden „pas“, und wenn dies noch so weit auseinandergerissen
wird. Solange wir dies im Gedächtnis behalten können, funktioniert es als logische Klammerung. Vgl. Barthes 1985, S. 201.
390
Vgl. Murray, S. 134/135.
391
Vgl. auch die Einführung in Kapitel 2.2.1.1.
392
Vgl. Chatman 1993, S. 53 ff.
393
Cheloveks kinoapparatom. Der Mann mit der Kamera. Dziga Vertov. VHS, 68 min. Sowjetunion 1929.
394
Vgl. Manovich 2001, S. 237-243.

102
Fazit und Ausblick

rezipierten Film ausprobiert, wenn er Ordnungssysteme, wie Zahlen, Bücher395, Farben und
das Alphabet als Strukturierungselemente einsetzt.396 Der Datenbank-Ansatz wird zurzeit
vorwiegend am M.I.T.397 weiterverfolgt, wohingegen Forscher etwa des ZKM 398
eher den
obengenannten Erzählraumansatz zu entwickeln versuchen.

Es bleibt abzuwarten und auszuprobieren, ob und welche der skizzierten oder anderen
Forschungsansätze sich in der Praxis bewähren werden, und wie sich das sicherlich
weiterbestehende lineare Medium Film davon abgrenzen und beeinflussen lässt. Mein
Interesse hat sich jedenfalls mit dieser Untersuchung noch weitergehend gefestigt und ich
werde die Entwicklung mit Neugierde mitverfolgen.

395
Was wir bei Prosperos Books gesehen haben.
396
Vgl. Manovich 1999, S. 41-48.
397
Massachusetts Institute of Technology.
398
Zentrum für Kunst und Neue Medien in Karlsruhe.

103
Mediographie

6. Mediographie

2001 - A Space Odyssey. Stanley Kubrick. DVD, 139 min. England/USA 1968.
Abre los ojos. Alejandro Amenabar. VHS, 117 min. Spanien/Frankreich/Italien 1997.
Afternoon, a Story. Michael Joyce. CD-ROM, USA 1987.
Amadeus. Milos Forman. VHS, 160 min. USA 1984.
Amores Perros. Alejandro Gonzalez Inarritu. DVD, 153 min. Mexico 2000.
Année dernière à Marienbad, L'. Alain Resnais. VHS, 94 min. Frankreich/Italien 1961.
At Land. Maya Deren. VHS, 15 min. USA 1944.
Aus dem Leben der Marionetten. Ingmar Bergman. VHS, 104 min. Deutschland 1980.
Avventura,L’. Michelangelo Antonioni. VHS, 145 min. Italien/Frankreich 1960.
Babylon 2. Samir. VHS, 91 min. Schweiz 1993.
Bad Timing. Nicolas Roeg. VHS, 129 min. England 1980.
Baxter, Vera Baxter. Marguerite Duras. VHS, 112 min. Frankreich 1977.
Before the Rain. Milcho Manchevski. VHS, 113 min. England/Frankreich/Mazedonien 1994.
Being John Malkovich. Spike Jonze. VHS, 112 min. USA 1999.
Belle Captive, La. Alain Robbe-Grillet. VHS, 90 min. Frankreich 1983.
Chelovek s kinoapparatom. Dziga Vertov. VHS, 68 min. Sowjetunion 1929.
Citizen Kane. Orson Welles. VHS, 119 min. USA 1941.
Cloudbusting. Videoclip für Kate Bush, 5 min. 1985.
Clue. Jonathan Lynn. VHS, 94 min. USA 1985.
Code Inconnu. Michael Haneke. DVD, 118 min. Frankreich, Deutschland, Rumänien 2000.
Come into my World. Videoclip für Kylie Mynogue. Michel Gondry. Frankreich 2002.
Dead of night. Alberto Cavalcanti. VHS, 102 min. England 1945.
Deep Contact. Lynn Hershman. Installation 1989/90.
Dogville. Lars von Trier. Kino, 177 min. Dänemark/Schweden/Norwegen/Frankreich/USA
2003.
Don't look now. Nicolas Roeg. VHS, 110 min. England/Italien 1973.
Echolalia. Thierry Kuntzel. VHS, 32 min. 1980.
Engadiner Wunder, Das. Tanja Stöcklin/Anka Schmid. VHS, 18 min. Schweiz 2001.
Epidemic. Lars von Trier. VHS, 106 min. Dänemark 1988.
Erl King, The. Graham Weinbren. Installation 1986.
Exile. Myst III. Game for PC/Mac. UBI Soft, 2001.
EXistenZ. David Cronenberg. VHS, 97 min. England/Frankreich 1999.
104
Mediographie

Fabuleux destin d'Amélie Poulain, Le. Jean-Pierre Jeunet. DVD, 129 min.
Frankreich/Deutschland 2001.
Fantome de la liberté, Le. Luis Bunuel. VHS, 104 min. Frankreich/Italien 1974.
Fifth Element, The. Luc Besson. VHS, 126 min. Frankreich/USA 1997.
Game, The. David Fincher. DVD, 128 min. USA 1997.
Go. Liman Doug. DVD, 103 min. USA 1999.
Groundhog Day. Harold Ramis. VHS, 101 min. USA 1993.
Happiness is a warm gun. Thomas Imbach. VHS, 95 min. Schweiz 2001.
Immemory. Chris Marker. CD-ROM. Frankreich 1998.
In Your Dreams. Simon Cellan Jones. VHS, 83min. England 1997.
Intolerance. David W. Griffith. VHS, 163 min. USA 1916.
It's a wonderful World. Frank Capra. VHS, 130 min. USA 1946.
Je t'aime, je t'aime. Alain Resnais. VHS, 91 min. Frankreich 1968.
Jerome B. Wiesner. A Random Walk throught the Twentieth Century. Glorianna
Davenport. M.I.T. USA. In Progress.
Jetée, La. Chris Marker. DVD, 28 min. Frankreich 1962.
Julien Donkey-Boy. Harmony Korine. VHS, 94 min. USA 1999.
Katzelmacher. Rainer Werner Fassbinder. DVD, 88 min. Deutschland 1969.
Lady from Shanghai, The. Orson Welles. VHS, 87 min. USA 1947.
Lan Yue. I Chen-Ko. 97 min. Taiwan 1997.
Little Dorrit Teil 1 und 2. Christine Edzard. VHS, 357 min. USA 1988.
Lola rennt. Tom Tykwer. VHS, 81 min. Deutschland 1998.
Lost Highway. David Lynch. VHS, 135 min. USA/Frankreich 1997.
Matrix, The. Andy und Larry Wachowski. DVD, 136 min. USA 1999.
Memento. Christopher Nolan. VHS, 113 min. USA 2000.
Mépris, Le. Jean-Luc Godard. VHS, 103 min. Frankreich/Italien 1963.
Mörderische Entscheidung. Oliver Hirschbiegel. VHS, 95 min. Deutschland 1991.
Mystery Train. Jim Jarmusch. VHS, 113 min. USA/Japan 1989.
Napoleon. Abel Gance. VHS, 235 min. Frankreich 1927.
New York Stories. Woody Allen/Francis Ford Coppola/Martin Scorsese. VHS, 119 min.
USA 1989.
Night on Earth. Jim Jarmusch. VHS, 129 min. USA 1991.
Nowa kziazka. Zbig Rybczynski. DVD, 10 min. Polen 1975.
O Thiassos. Theo Angelopoulos. VHS, 230 min. Griechenland 1975.

105
Mediographie

One night at McCool's. Harald Zwart. DVD, 93 min. USA 2001.


Orlando. Sally Potter. VHS, 93 min. England/Russland/Frankreich/Italien/Holland 1992.
Otto e mezzo. Federico Fellini. VHS, 145 min. Italien 1963.
Pate, Der. Teil 2. Francis Ford Coppola. VHS, 200 min. USA 1974.
Pequeno dicionario amoroso. Sandra Werneck. VHS, 91 min. Brasilien 1997.
Point of View. David Wheeler. Interaktive DVD. Kanada 2001.
Prosperos Books. Peter Greenaway. VHS, 124 min. Frankreich/England/Italien 1991.
Przypadek. Krzysztof Kieslowski. VHS, 122 min. Polen 1981.
Pulp Fiction. Quentin Tarantino. VHS, 154 min. USA 1994.
Purple Rose of Cairo, The. Woody Allen. VHS, 84 min. USA 1985.
Quatre cents coups, Les. François Truffaut. VHS, 94 min. Frankreich 1959.
Rashomon. Akira Kurosawa. VHS, 88 min. Japan 1950.
Ronde, La. Max Ophuls. VHS, 95 min. Frankreich 1950.
Room of One's Own, A. Lynn Hershman. Installation 1992.
Sans Soleil. Chris Marker. DVD, 100 min. Frankreich 1982.
Sans toit, ni loi. Agnès Varda. VHS, 105 min. Frankreich, England 1985.
Sauve qui peut (la vie). Jean-Luc Godard. VHS, 87 min. Frankreich/Deutschland/Schweiz
1979.
Sayat Nova. Sergej Paradschanow. VHS, 76 min. Armenien 1968.
Short Cuts. Robert Altman. VHS, 187 min. USA 1993.
Sisters. Brian de Palma. VHS, 92 min. USA 1973.
Slacker. Richard Linklater. VHS, 97 min. USA 1991.
Slaughterhouse Five. George Roy Hill. VHS, 104 min. USA 1972.
Sliding Doors. Peter Howitt. VHS, 99 min. USA/England 1998.
Smoking/Non Smoking. Alain Resnais. VHS, 298 min. Frankreich 1993.
Sonata. Graham Weinbren. Installation 1991.
Sugar Water. Videoclip für Cibo Matto. Michel Gondry. Frankreich 1996.
Sunset Boulevard. Billy Wilder. VHS, 110 min. USA 1950.
Sweet Hereafter, The. Atom Egoyan. VHS, 112 min. Kanada 1997.
Swiss Love. Ein Projekt der Expo02. Schweiz 2002.
Time Code. Mike Figgis. DVD, 97 min. USA 2000.
Tropicanita. Daniel Diaz Torres. VHS, 112 min. Kuba/Spanien/Deutschland 1997.
Two Friends. Jane Campion. VHS, 76 min. Australien 1986.
Usual Suspects, The. Brian Singer. VHS, 106 min. USA/Deutschland 1995.
106
Mediographie

Vent d'est, Le. Jean-Luc Godard. VHS, 100 min. Frankreich/Deutschland/Italien 1969.
Videolabyrinth. Rike Anders/Ilka Lauchstädt/Mari Cantu/Martin Pothoff. Interaktive Filme.
1988.
Weekend. Jean-Luc Godard. VHS, 105 min. Frankreich/Italien 1967.

107
Bibliographie

7. Bibliographie

Amerika, Mark: Literary Ghosts: Liner Notes. In: Http://culturemachine.tees.ac.uk/


Articles/Mamerika.html.
Armes, Roy: Action and Image. Dramatic Structure in Cinema. Manchester and New York
1994.
Barthes, Roland: L'aventure sémiologique. Paris 1985.
Barthes, Roland: S/Z. Frankfurt am Main 1976.
Benke, Dagmar: Freistil. Dramaturgie für Fortgeschrittene und Experimentierfreudige.
Bergisch Gladbach 2002.
Binczek, Natalie/Rass, Martin (Hg.): sie wollen eben sein, was sie sind, nämlich
Bilder...Anschlüsse an Chris Marker. Würzburg 1999.
Böhm, Andreas: Theoretisches Codieren: Textanalyse in der Grounded Theory. In: Flick,
Uwe/von Kardorff, Ernst/Steinke, Ines (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek
bei Hamburg 2000.
Bordwell, David/Thompson, Kristin: Film Art. An Introduction. 6.Aufl. Wisconsin 2001.
Bordwell, David: Classical Hollywood Cinema: Narrational Principles and Procedures. In:
Rosen, Philip (Hg.). Narrative, Apparatus, Ideology. New York 1986.
Bordwell, David: Narration in the Fiction Film. Wisconsin 1985.
Branigan, Edward: Narrative Comprehension and Film. London 1992.
Brecht, Bertolt: Schriften zum Theater. Bd. VII. Frankfurt am Main, 1963.
Brooks, Kevin Michael: Metalinear Cinematic Narrative. Theory, Process and Tool.
Dissertation am Massachusetts Institute of Technology. Massachusetts 1999.
http://ic.media.mit.edu/icSite/icpublications/Thesis/brooksPHD.html.
Brooks, Peter: Reading for the Plot. Design and Intention in Narrative. New York 1984.
Bruckman, Amy: The Combinatorics of Storytelling: Mystery Train Interactive. Paper at The
MIT Media Laboratory, Massachussats 1990.
Buckland, Warren: Video Pleasure and Narrative Cinema: Luc Besson's The Fifth Element
and Video Game Logic. In: Fullerton, John; Söderbergh Widding, Astrid: Moving Images:
From Edison to the Webcam. Sydney 2000.
Bühler, Gerhard: Postmoderne auf dem Bildschirm auf der Leinwand. Musikvideos,
Werbespots und David Lynchs Wild at Heart. St. Augustin 2002.
Chatman, Seymour: Coming to Terms: The Rhetoric of Narrative in Fiction and Film.
Ithaca/London 1990.
Chatman, Seymour: Story and Discourse. Ithaca 1993.
Christen, Thomas: Das Ende im Spielfilm. Vom klassischen Hollywood zu Antonionis
offenen Formen. Marburg 2002.
Crichton, Michael: Lauf, Leser, Lauf. In: Die Weltwoche Nr. 29 vom 20. Juli 2000.
Currie, Mark: Postmodern Narrative Theory. London 1998.

108
Bibliographie

Daniels, Dieter: Strategien der Interaktivität. Http://www.medienkunstnetz.de/Textdud.html.


Davenport, Gloriana/Agamanolis, S.: Synergetic Storyspaces and Constructionist Cinematic
Sharing. IBM System Journal, Vol. 39, no.3, 2000.
Davenport, Gloriana/Murtaugh, M.: Automatist Storyteller Systems and the Shifting Sands
of Story, IBM System Journal. Vol.36, no.3, 1997.
Davenport, Gloriana/Murtaugh, M.: ConText: Towards the Evolving Documentary. In:
Http://ic.media.mit.edu/Publications/Conferences/ConTextEvolving/HTML.
Deleuze, Gilles: Cinema.  London 1986-1989.
Dinkla, Sönke: Das flottierende Werk. Zum Entstehen einer neuen künstlerischen
Organisationsform. In: Gendolla, Peter/Schmitz, Norbert M.; Schneider Irmela; Spangenberg
Peter M (Hg.): Formen interaktiver Medienkunst.Baden-Baden 2001.
Dinkla, Sönke: The Art of Narrativ. In: Rosenthal, Stephanie (Hrsg): Stories.
Erzählstrukturen in der zeitgenössischen Kunst. Köln 2002.
Dovey, Jon: Notes Toward a Hypertextual Theory of Narrative. In: Rieser, Martin; Zapp,
Andrea: New Screen Media. Cinema/Art/Narrative. London 2002.
Eco, Umberto: Das offene Kunstwerk. 7.Aufl., Franfkurt am Main 1996.
Eder, Jens: Dramaturgie des populären Films. Drehbuchpraxis und Filmtheorie. Hamburg
1999.
Elsaesser, Thomas: Primary Identification and the Historical Subject. In: Rosen, Philip
(Hg.): Narrative, Apparatus, Ideology. A Film Theory Reader. New York 1986.
Elsaesser, Thomas; Lyotard, Jean-François; Reitz, Edgar: Der zweite Atem des Kinos.
Frankfurt 1996.
Felix, Jürgen (Hg.): Die Postmoderne im Kino. Ein Reader. Bamberg 2002.
Felluga, Dino: Modules on Barthes: On the Five Codes. Introductory Guide to Critical
Theory. In: <http://www.purdue.edu/guidetotheory/narratology/modules/barthescodes.html.
Fendt, Kurt: Offene Texte und nicht-lineares Lesen. Hypertext und Textwissenschaft.
Inauguraldissertation der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern. Bern
1993.
Flusser, Vilém: Medienkultur. Frankfurt a. Main 1997.
Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Frankfurt am Main 1971.
Gendolla, Peter/Schmitz, Norbert M./Schneider Irmela/Spangenberg Peter M. (Hg.):
Formen interaktiver Medienkunst. Baden-Baden 2001.
Genette, Gérard: Die Erzählung. 2. Aufl., München 1998.
Glaube, Uwe: Film und Traum. Zum präsentativen Symbolismus. München 1978.
Hagenbüchle, Walter: Narrative Strukturen in Literatur und Film. Bern 1991.
Hansen, Anders/Cottle, Simon/Negrine, Ralph/Newbold, Chris: Mass Communication
Research Methods. London 1988.
Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart 1996.
Hiltunen, Ari: Aristoteles in Hollywood. Das neue Standardwerk der Dramaturgie. Leck
2001.
109
Bibliographie

Hochhäusler, Christoph: Erfahrung vs. Erzählung. In: Rosenthal, Stephanie: Stories.


Erzählstrukturen in der zeitgenössischen Kunst. Köln 2002.
Horton, Andrew: The Films of Theo Angelopoulos. A Cinema of Contemplation. New
Jersey 1997.
Howard, David/Mabley, Edward: Drehbuch. Technik und Grundlagen. Berlin 1996.
Jameson, Frederic. Das politische Unbewusste. Literatur als Symbol sozialen Handelns.
Reinbek bei Hamburg 1988.
Jansen, Gregor: 1997 - Scream and Scream and Scream Again. In: Springerin. Heft für
Gegenwartskunst Band IX, Heft 1, 2003.
Jansen, Peter: Kommentierte Filmographie. In: Reihe Film. Band 38. München/Wien 1990.
Kelle, Udo/Kluge Susann: Vom Einzelfall zum Typus. Fallvergleich und Fallkontrastierung
in der qualitativen Sozialforschung. Opladen 1999.
Kiener, Wilma: Die Kunst des Erzählens. Narrativität in dokumentarischen und
ethnographischen Filmen. Konstanz 1999.
Kirksaether, Joergen: The Structure of Video Game Narration. In: Digital Arts & Culture,
1998. Http://cmc.uib.no/dac998/papers/kirksaether.html.
Korte, Helmut: Einführung in die Systematische Filmanalyse. Berlin 1999.
Krause, Robert/Fuchs, Christian: "Lola rennt" ein Spiegelbild der Generation @ ?
Hausarbeit in Medienwissenschaften. http://www.hausarbeiten.de.
Krieg, Peter: WYSIWYG oder das Ende der Wahrheit. Dokumentarfilm in der Postmoderne.
In: Felix, Jürgen (Hg.): Die Postmoderne im Kino. Ein Reader. Bamberg 2002.
Lacey, Nick: Narrative and Genre. Key Concepts in Media Studies. New York 2000.
Lämmert, Eberhard (Hg.): Die erzählerische Dimension. Eine Gemeinsamkeit der Künste.
Akademie Verlag. Berlin 1999.
Lämmert, Eberhard: Bauformen des Erzählens. Stuttgart 1955.
Landow, George P.: Hypertext. The Convergence of Contemporary Critical Theory and
Technology. Baltimore 1992.
Laurel, Brenda: Computer as Theatre. Massachusetts 1993.
Lischka, Gerhard Johann/Weibel Peter: Polylog. 1989.
Http://www.aec.at/20jahre/archiv/19891/1989_065.html (24.07.2003).
Lischka, Konrad: Spielplatz Computer. Kultur, Geschichte und Ästhetik des
Computerspiels. Hannover 2002.
Lutter, Christina/Reisenleitner, Markus: Cultural Studies. Eine Einführung. Wien 2002.
Lyotard, Jean-François: Der Widerstreit. München, 1987.
Manovich, Lev: Database: Semiotics, History and Aesthetics. In: Blimp Film Magazine 40,
1999.
Manovich, Lev: The Language of New Media. Cambridge/Massachusetts 2001.
Martinez, Matìas: Krise und Innovation des Erzählens in der Literatur der Moderne. Eine
Skizze. In: Rosenthal, Stephanie: Stories. Erzählstrukturen in der zeitgenössischen Kunst.
Köln 2002.
110
Bibliographie

Mayring, Philipp: Einführung in die qualitative Sozialforschung. München 1990.


McKee, Robert: Story. Die Prinzipien des Drehbuchschreibens. Berlin 2000.
McLuhan, Marshall. Die magischen Kanäle. Understanding Media. Frankfurt a. Main 1970.
Metz, Christian: Problems of Denotation in the Fiction Film. In: Rosen, Philip (Hg.).
Narrative, Apparatus, Ideology. Columbia University Press. New York 1986.
Metz, Christian: Semiologie des Films. München 1972.
Murray, Janet. H.: Hamlet on the Holodeck. The Future of Narrative in Cyberspace. New
York 1997.
Nagel, Uwe: Der rote Faden aus Blut. Erzählstrukturen bei Quentin Tarantino. Marburg 1997.
Petersen, Christer: Jenseits der Ordnung. Das Spielfilmwerk Peter Greenaways. Strukturen
und Kontexte. Kiel 2001.
Rabenalt, Peter: Filmdramaturgie. Berlin 1999.
Rieser, Martin/Zapp, Andrea: New Screen Media. Cinema/Art/Narrative. British Film
Institute. London 2002.
Rimmon-Kenan, Shlomith: Narrative Fiction. Contemporary Poetics. London/New York
1983.
Rosen, Philip (Hg.): Narrative, Apparatus, Ideology. A Film Theory Reader. New York
1986.
Rosenthal, Stephanie (Hrsg): Stories. Erzählstrukturen in der zeitgenössischen Kunst. Köln
2002.
Ryan, Marie-Laure: Narrative as Virtual Reality. Immersion and Interactivity in Literature
and Electronic Media. Baltimore/London 2001.
Schaub, Martin: Hier und anderswo, jetzt, damals und dereinst. Ein Spaziergang durch die
Filmzeit. In: Cinema 43, 1998.
Schleifer, Ronald: A.J.Greimas and the Nature of Meaning. Linguistics, Semiotics and
Discourse Theory. Croom Helm. Kent 1987.
Schweinitz, Jörg: Der "Stein der Stereotypie". Der Diskurs zur Standardisierung des
Erzählens in der klassischen deutschen Filmtheorie. In: Lämmert, Eberhard (Hg.): Die
erzählerische Dimension. Eine Gemeinsamkeit der Künste. Berlin 1999.
Seesslen, Georg: David Lynch und seine Filme. Marburg 2000.
Sentürk, Ritvan: Postmoderne Tendenzen im Film. Inaugural-Diss. Phil I/II. Friedrich-
Alexander-Universität. Erlangen-Nürnberg 1998.
Sharrett, Christopher (Hg.): Crisis Cinema. The Apocaliptic Idea in Postmodern Narrative
Film. Washington 1993.
Shaw, Jeffrey/Weibel, Peter (Hg.): Future Cinema. The Cinematic Imaginary after Film.
Karlsruhe/Massachusetts 2003.
Shaw, Jeffrey/Weibel, Peter: Future Cinema. Einführungstext zur Ausstellung im Zentrum
für Kunst und Neue Medien in Karlsruhe. Karlsruhe 2002.
Strauss, Anselm L./Corbin, Juliet: Grounded Theory. Grundlagen Qualitativer
Sozialforschung. Weinheim 1996.

111
Bibliographie

Suter, Beat: Hyperfiktion im frühen Entwicklungsstadium zu einem Genre. Zürich 1999.


Thompson, Kristin: Storytelling in the New Hollywood. Understanding Classical Narrative
Technique. London 1999.
Thompson, Kristin: Wiederholte Zeit und narrative Motivation in Groundhog Day. In:
Bordwell, David et al. (Hg.): Zeit, Schnitt, Raum. Frankfurt a. Main 1997.
Thuresson, Björn: Elements of Narration in a Digital Environment. Paper at CID Centre for
User Oriented IT Design.Royal Institute of Technology, Stockholm. (Keine Jahresangabe).
Thuresson, Björn: Space and Charakter Representation in Interactive Narratives. In:
Fullerton, John; Söderbergh Widding, Astrid: Moving Images: From Edison to the Webcam.
Sydney 2000.
Tode, Thomas: Im Timetunnel von Chris Marker. Level Five. In: Zeit. Cinema 43. 43 Jg.
Zürich 1998.
Todorov, Tzvetan: The Poetics of Prose. Ithaca/N.Y. 1977.
Turim, Maureen. Flashback in Film. Memory and History. New York 1989.
Wach, Margarete: Krzysztof Kieslowski. Kino der moralischen Unruhe. Köln 2000.
Wagner, Hans (Hg.): Verstehende Methoden in der Kommunikationswissenschaft. München
1999.
Weibel, Peter: Expanded Cinema, Video and Virtual Environments. In: Shaw,
Jeffrey/Weibel, Peter (Hg.): Future Cinema. The Cinematic Imaginary after Film.
Karlsruhe/Massachusetts 2003.
Weiberg, Birk: Beyond Interactive Cinema. In: Http://www.keyframe.org/txt/interact/
(28.04.03).
Weinbren, Grahame: Ein interaktives Kino. 1989. In:
Http://www.aec.at/20jahre/archiv/19891/1989_225.html (25.04.03).
Weinbren, Grahame: In the Ocean of Streams of Story. In: MFJ 28, 1995.
Wollen, Peter: Godard and Counter-Cinema: Vent d'Est. In: Rosen, Philip (Hg.). Narrative,
Apparatus, Ideology. New York 1986.
Wuss, Peter: Die Tiefenstruktur des Filmkunstwerks. Zur Analyse von Spielfilmen mit
offener Komposition. Berlin 1990.

112

Vous aimerez peut-être aussi