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ISSN 0340-6059
ISBN-13: 978-3-11-019038-0
ISBN-10: 3-11-019038-9
쑔 Copyright 2006 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin.
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Meinen Eltern
Vorwort
Diese Arbeit ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die
unter dem Titel „Der Begriff des Spiels in Kants ‚Kritik der Urteilskraft‘
und das Abgrenzungsproblem in der Ästhetik“ im Wintersemester
2004/05 von der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universi-
tät in Freiburg/Breisgau angenommen wurde. Ich danke Prof. Dr. Gerold
Prauss für zahlreiche Diskussionen und für seine intensiven Seminare, in
denen ich die Philosophie erst richtig ernst nehmen lernte. Für die Lektüre
des Manuskripts und hilfreiche Gespräche bedanke ich mich herzlich bei
PD Dr. Cord Friebe; für die kurzfristige Übernahme des Zweitgutachtens
bei Prof. Dr. Bernd Dörflinger. Die Arbeit an diesem Projekt hat die
Friedrich-Naumann-Stiftung mit Mitteln des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung unterstützt.
Alle Seitenzahlen ohne weitere Angaben beziehen sich auf die zweite Ori-
ginalauflage der KU (zitiert nach der von Karl Vorländer herausgegebenen
Ausgabe der „Philosophischen Bibliothek“). Seitenzahlen mit „A“ und
„B“ beziehen sich auf die erste bzw. zweite Auflage der KrV, für alle übri-
gen Stellen bei Kant werden Band und Seitenzahl der Akademie-Ausgabe
angegeben. Die Reflexionen („R“) aus dem Nachlaß Kants werden nach
ihrer Zählung in den Bänden 15 und 16 der Akademie-Ausgabe aufge-
führt.
Einleitung
Die Ästhetik tut sich mit der Abgrenzung ihres Gegenstands vom Bereich
der Erkenntnis traditionell schwer. Dabei geht es nicht bloß um die Be-
findlichkeit einer relativ jungen philosophischen Disziplin, deren Eigen-
ständigkeit in Frage steht, sondern vielmehr um das Verständnis dessen,
womit sie sich beschäftigt. Weil das diskursive Verständnis eines Gegen-
standes genau darin besteht, daß man ihn durch die Angabe eines spezifi-
schen Merkmals von anderen abgrenzt, ist das genannte Abgrenzungspro-
blem eine wichtige Sachfrage, in der es sich zu entscheiden gilt: Entweder
man betrachtet den Gegenstand von Ästhetik als eigenständiges Phäno-
men, oder man versucht ihn als Teilbereich von Theorie zu bestimmen.
Das historische Vorbild für letzteren Weg ist Baumgarten, der Begründer
der Ästhetik, der sie als Wissenschaft einer besonderen, der sinnlichen
Erkenntnis, und einer besonderen, der sinnlichen Wahrheit, versteht.1 Sein
Antipode ist Kant, dessen „Analytik des Schönen“ mit der These beginnt,
daß das ästhetische Verhältnis zum Objekt kein Fall von Erkenntnis sei.2
Ob der Gegenstand der Ästhetik als Fall von Erkenntnis verstanden
werden muß oder nicht, ist eine Frage, die sich diese Disziplin nach wie
vor stellt. Beispiele für aktuelle Positionen in der deutschsprachigen De-
batte, die sich für die erste Option entscheiden, sind die von Gernot
___________
1 Baumgarten, Aesthetica, z.B. §1 und §423.
2 Am Anfang der „Analytik“ will Kant das Prädikat „ästhetisch“ nicht den Geschmacksur-
teilen im eigentlichen Sinn vorbehalten wissen, weil auch die Urteile über bloß An-
genehmes „ästhetisch“ im Sinn von „nicht objektiv“ seien. Die Verwendungsweise von
„ästhetisch“ bzw. „Ästhetik“, die sich bis heute durchgesetzt hat, ist nicht die Kants, da für
ihn der Bereich des Ästhetischen der des bloß Sinnlichen ist, von etwas also, das alleine
keine Erkenntnis konstituieren kann. Da die heute gebräuchliche Bezeichnung „ästhetisch“
nicht die von Kant zurückgewiesene Theorie des Schönen (die „Ästhetik“ als Theorie einer
sinnlichen Erkenntnis betreiben will) impliziert, kann man den Ausdruck guten Gewissens
auch mit Bezug auf Kants Konzeption in der KäU verwenden. Anders als etwa Wieland in
Urteil und Gefühl (S. 34-46) sehe ich hier (wie auch Recki, Ästhetik der Sitten, S. 58, Anm.)
eine rein terminologische Frage. Kant hat nicht die Möglichkeit einer wissenschaftlichen
Beschäftigung mit dem Phänomen des Schönen zurückgewiesen, sondern lediglich die Dis-
kursivität der Unterscheidung, die durch das Geschmacksurteil getroffen wird. Mit „ästhe-
tisch“ benenne ich im folgenden den Gegenstandsbereich, um den es Kant in der KäU ei-
gentlich geht, und unter „Ästhetik“ verstehe ich diejenige philosophische Disziplin, die sich
um eine diskursive Auseinandersetzung damit – wie Kant in seiner dritten Kritik – bemüht.
2 Einleitung
Böhme3 und Wolfgang Welsch4, während sich Autoren wie etwa Rüdiger
Bubner5 und Martin Seel6 für die Abgrenzung von Theorie und ästheti-
scher Einstellung aussprechen. Eindringliche Plädoyers für den Sonder-
status der ästhetischen Erfahrung in der jüngeren Diskussion sind die
Beiträge von Andrea Kern7 und Ruth Sonderegger8, wobei beide in einer
gemeinsamen Stellungnahme die gerade angedeutete Alternative bei der
Abgrenzung des Gegenstands von Ästhetik insgesamt in Frage zu stellen
scheinen. Beide genannten Optionen seien unbefriedigend, sagen Kern
und Sonderegger: Auf der einen Seite drohe eine „Heteronomisierung“
der Ästhetik durch theoretische Philosophie,9 auf der anderen aber die
Gefahr der Trivialisierung des Phänomens durch seine Ansiedlung außer-
halb des Theoretischen.
Soll hier aber nicht nur das Selbstverständnis einer philosophischen
Disziplin auf dem Spiel stehen, sondern vielmehr das Verständnis einer
Sache, dann ist freilich weder das eine noch das andere ein Problem: Ge-
gen eine Heteronomisierung der Ästhetik durch Erkenntnistheorie ist
nichts einzuwenden, wenn dabei die ästhetische Einstellung in ihrer
Besonderheit erfaßt werden kann – vorerst ist nicht einzusehen, warum
das nicht innerhalb der Gattung „Theorie“ geschehen kann –, und vor
beschriebener „Trivialisierung“ wird sich nur fürchten, wer alles Nicht-
theoretische automatisch als Trivialität abtut.
Eigentlich geht es Kern und Sonderegger aber um die These, daß die
fragliche Alternative gar nicht zwingend sei. Ihr liege die unhinterfragte
Prämisse zugrunde, „daß die Idee einer ästhetischen Erfahrung, die auto-
nom ist, und die Idee einer ästhetischen Erfahrung, die eine Bedeutung
für unser gewöhnliches Leben hat, einander ausschließen“.10 Kern und
Sonderegger wollen den Sonderstatus der ästhetischen Erfahrung sichern,
ohne sie deswegen gleich an den Vorwurf der Trivialität auszuliefern,
indem sie zeigen, „daß die ästhetische Erfahrung gerade durch die beson-
dere Art und Weise, wie sie auf die gewöhnliche, alltägliche Erfahrung
___________
3 Böhme, Aisthetik, S. 11f.
4 Welsch, „Das Ästhetische – Eine Schlüsselkategorie unserer Zeit“?, S. 34ff.
5 Bubner, „Über einige Bedingungen gegenwärtiger Ästhetik“, z.B. S. 31.
6 Seel, Ethisch-Ästhetische Studien, S. 40ff. und S. 266f. Kategorisch ist Seels Haltung in dieser
Frage allerdings nicht – vgl. z.B. Die Kunst der Entzweiung, wo es zu seinen Redeweisen ge-
hört, daß in der ästhetischen Einstellung etwas „erhellt“ werde (S. 209). In „Kunst, Wahr-
heit, Welterschließung“ macht sich Seel zudem auf die Suche nach einem spezifisch ästheti-
schen Sinn von Wahrheit. Eine entschiedene Kritik an jeglicher „Wahrheitsästhetik“
kommt von Schmücker (Was ist Kunst, z.B. S. 38f.).
7 Kern, Schöne Lust.
8 Sonderegger, Für eine Ästhetik des Spiels.
9 Kern/Sonderegger, Falsche Gegensätze, S. 7. Vgl. auch Bubner, „Über einige Bedingungen
gegenwärtiger Ästhetik“, S. 31.
10 Kern/Sonderegger, Falsche Gegensätze, S. 9.
Einleitung 3
bezogen ist, zu einer autonomen wird“.11 Durch einen solchen Bezug auf
Erfahrung, den sie der ästhetischen Einstellung unterstellen, sehen sie die
Gefahr der Trivialisierung abgewendet, weil sich die so charakterisierte
ästhetische Erfahrung der Gesellschaft von etwas unbestreitbar Nichttri-
vialem versichert: „Dieses Bezogensein auf die gewöhnliche Erfahrung
verbindet die ästhetische Erfahrung [...] mit der Philosophie“.12 Beinhaltet
der Lösungsvorschlag also am Ende doch, daß die ästhetische Erfahrung
ihren Sonderstatus einzig innerhalb des Bereichs von Erkenntnis erhalten
kann?
Das Verständnis dieser Position hinsichtlich der eingangs dargestellten
Alternative hängt freilich von dem Begriff der Erfahrung ab. Kern kenn-
zeichnet die ästhetische Erfahrung näher als „Reflexion“, womit zunächst
eine Gemeinsamkeit zwischen ästhetischer Erfahrung und Philosophie
aufgezeigt sei. Beide seien nämlich selbstbezüglich („selbstreflexiv“13),
worunter Kern versteht, daß wir uns in ihnen auf uns selbst zurückbeu-
gen, nämlich „auf die Form unseres Urteilens überhaupt“.14 Demnach
haben Philosophie und ästhetische Erfahrung denselben Inhalt. Unter-
schiedlich seien sie aber, so Kern weiter, im „Zugang“ zu diesem Inhalt:
Während die ästhetische Erfahrung einen „fühlenden“ habe, sei der von
Philosophie „diskursiv“.15 Die Nähe der ästhetischen Einstellung zur
Philosophie suggeriert zwar, erstere sei nun doch – wie letztere – als Fall
von Erkenntnis zu verstehen. Worin ein gemeinsamer Sinn von „diskursi-
ver“ und „intuitiver“ Erkenntnis bzw. „diskursiver“ und „intuitiver“
Wahrheit bestehen könnte, wäre dann aber zu klären. Daß es sich bei
Fällen von Erkenntnis um Gebilde handelt, die wahr oder falsch sind,
dürfte einigermaßen unstrittig sein; ob dergleichen auch bei Intuition in
Anspruch genommen werden darf, ist aber eine Frage, die erst zu beant-
worten wäre.16 Solange kein gemeinsamer Sinn von Wahrheit aufgezeigt
werden kann, wäre es also sinnvoll, den Wahrheitsbegriff im Kontext
einer „intuitiven Erfahrung“ zurückzuhalten.
Deswegen liegt es nahe, die Rede von „Erfahrung“ und „Reflexion“
im fraglichen Zusammenhang in einem nichttheoretischen Sinn zu verste-
hen, wie es etwa Christoph Menke tut. Auch er bestimmt das ästhetische
Urteil – in Anlehnung an Mendelssohn – als Fall von „Selbstreflexion“,
die sich aber auf „kein mögliches Objekt von Erkenntnis“ beziehe. „In
___________
11 Ebd., S. 10.
12 Ebd.
13 Kern, „Ästhetischer und philosophischer Gemeinsinn“, S. 102.
14 Ebd.
15 Ebd., S. 103.
16 Vgl. die Bemühungen Seels („Kunst, Wahrheit, Welterschließung“) und Wellmers („Wahr-
heit, Schein, Versöhnung“, S 30ff.) um einen spezifisch ästhetischen Wahrheitsbegriff.
4 Einleitung
without stopping when they have been attained“, und ihre Tätigkeit, die
darin bestehe, das Mannigfaltige ohne Zwänge durchzugehen, sei
„pleasing in itself“.30 Das harmonische Spiel trete ein, wenn die freie
Beschäftigung von sich zu Formen komme, „that correspond to the gene-
ral feature of an exhibition of an empirical concept“. Verstand und Einbil-
dungskraft, sonst immer nur gezwungenermaßen zusammenarbeitend,
agierten nun auf einmal in Harmonie wie Tanzpartner oder, noch treffen-
der, wie zwei, die ein Ballspiel ausführten.31
Die ästhetische Tätigkeit der Erkenntniskräfte ist dieser Konstruktion
zufolge nicht losgelöst von allen Erfordernissen der Erkenntnis. Zu einem
Wohlgefallen kommt es nur, weil gewissen Bedingungen, die auch im
Rahmen von Erkenntnis gelten, entsprochen wird. Der fragliche Zustand
„appears to facilitate the understanding’s activity“, „it also strengthens the
understanding’s readiness to form concepts and to apply them“.32 Auch
die Einbildungskraft kommt nicht zu kurz: „Imagination profits from this
accordance too. For the power of understanding refrains from further
interference in such a situation“.33 Überhaupt ist dieses Wohlgefallen an
ein Erfolgserlebnis der Erkenntnisvermögen im Rahmen ihrer
eigentlichen Bestimmung gekettet, denn die Erfüllung der „conditions of a
possible conceptualization in general“ ist etwas Positives und Erfreuliches
nur in Hinblick auf den Zweck der Erkenntnis. Alles scheint also in
besonderer Weise den Anliegen der Erkenntniskräfte entgegenzukommen,
so daß man sich am Ende fragen muß, warum das Anliegen der
Erkenntnis selbst nicht erfüllt wird bzw. warum die Entbindung von
diesem Zweck für Verstand und Einbildungskraft, die doch wohl nicht als
eigenwillige Quasi-Subjekte im Subjekt mit individuellen Vorlieben und
Bedürfnissen verstanden werden sollen, so lustvoll sein kann. Der Spagat,
den eine solche Konstruktion zu leisten hat, ist der zwischen dem freien
Spiel, das eine Freiheit von den Anforderungen von Erkenntnis zu
beinhalten scheint, und den „Bedingungen von Erkenntnis überhaupt“,
auf die sich dieses Spiel zu beziehen scheint. Wie die Verbindung
zwischen dem einen und dem anderen zu verstehen ist, wird im §9 der AS,
in dem die genannten Schlagwörter fallen, nicht wirklich klar, und auch
Kants Interpreten will die Aufklärung dieser Zusammenhänge nicht recht
gelingen.34
___________
30 Ebd., S. 51.
31 Ebd., S. 52f.
32 Ebd., S. 51.
33 Ebd.
34 Immer wieder sehen sich Kants Interpreten genau wie Henrich gezwungen, sich das freie
Spiel als den Zustand der Zweckmäßigkeit für Erkenntnis schlechthin zurechtzulegen (vgl.
etwa Fricke in Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils, S. 123), was aber keinen rechten Sinn
ergibt, weil etwas für Erkenntnis Wesentliches fehlen soll. Fricke (ebd., S. 149), spricht im
8 Einleitung
Das Anliegen dieser Arbeit ist es, den Begriff des Spiels in drei Hinsichten
zu problematisieren.36 Erstens stellt sich im Zusammenhang mit der eben
angedeuteten Schwierigkeit die Frage nach der Rolle des Spielbegriffs in
der Gesamtkonzeption von Kant. Es kann gezeigt werden, daß der Begriff
des Spiels in einem schwierigen Verhältnis zum Begriff der
Zweckmäßigkeit steht: Während das Spiel doch gerade deswegen den
Anspruch der Interesselosigkeit für die ästhetische Einstellung einzulösen
vermag, weil es als die Alternative schlechthin zur Zweckrationalität ge-
handelt wird, steht der Begriff der Zweckmäßigkeit für das Mittel/Zweck-
Verhältnis, und damit für das Paradigma von Interessiertheit schlechthin.37
Und auch wenn Kant die ästhetische Zweckmäßigkeit mit seiner Formel
„Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ von der Zweckrationalität des Alltags
abzuheben bemüht ist, so soll es dennoch auch im ästhetischen Kontext
die Zweckmäßigkeit von etwas für etwas geben. Kants Text legt an meh-
reren Stellen nahe, daß die Hinsicht der ästhetischen Zweckmäßigkeit der
Erkenntnisvorgang ist, und das Erfülltsein der „Bedingungen von Er-
kenntnis überhaupt“, wie es laut §9 dem ästhetischen Wohlgefallen
zugrunde liegen soll, müßte daher eigentlich darauf hinauslaufen, daß sich
der ästhetisch gefallende Gegenstand in irgendeiner Weise für den Zweck
der Erkenntnis als vorteilhaft erweist bzw. den Erkenntniskräften beim
___________
36 Die Literatur findet es durchweg nicht bedenklich, daß sich Kant an dieser Schlüsselstelle
auf einen Begriff mit schwer durchschaubarer Semantik verläßt, einen Begriff, dessen Plau-
sibilität in der Ästhetik ganz auf alltagssprachlicher Intuition beruht. Der Begriff des Spiels
hat nach Kant eine erstaunliche Karriere gemacht und den unterschiedlichst motivierten
Angriffen gegen Subjektivität und Rationalität gedient, von Nietzsche bis zum späten
Heidegger, von Wittgenstein bis Derrida. So etwas wie Unbehagen angesichts der
verwirrenden Einsatzmöglichkeiten für diesen Begriff findet sich offenbar nur bei Litera-
turwissenschaftlern gelegentlich formuliert, wie etwa bei Anz, dem die Eignung des Spiels
für das Anliegen der Postmoderne durchaus suspekt zu sein scheint (vgl. „Das Spiel ist
aus?“), und bei Matuschek, der in einem lesenswerten Überblick über die Erfolgsgeschichte
dieses Begriffs ein „modisches Passepartout“ (vgl. Literarische Spieltheorie, S. 1-25) diagnosti-
ziert.
37 Das Zweckmäßigkeitsverhältnis im Fall des ästhetischen Wohlgefallens als Mittel/Zweck-
Beziehung in Hinblick auf das Spiel zu verstehen (vgl. Fricke, „Freies Spiel und Form der
Zweckmäßigkeit“, S. 49f. und 51f.), so daß hier etwas als Mittel für das Spiel zu gelten hätte,
ist bei Kant (bis auf Ausnahmefälle – siehe unten, S. 108) nicht gemeint. Eine „Zweckmä-
ßigkeit für Spiel“ wäre eigentlich eine „Zweckmäßigkeit für Nichtpraktizität“, und dabei
müßte schon klar sein, worin Nichtpraktizität besteht. Deren Sinn will Kant vielmehr vom
Begriff der Zweckmäßigkeit aus erst erläutern.
10 Einleitung
___________
38 Kulenkampff, „Der Schlüssel zur Kritik des Geschmacks“, S. 34.
39 Vgl. auch Rogerson in „Kant on Beauty and Morality“, S. 346f. Sein Vorschlag geht dann
dahin, die ästhetische Zweckmäßigkeit in Hinblick auf „ästhetische Ideen“ zu konstruieren;
auf etwas also, von dem Kant sagt, es könne „keine Erkenntnis werden“ (KU 239).
40 Vgl. KU, §61.
41 Daß sich in Kants Konzeption das freie Spiel mit dem Begriff der Zweckmäßigkeit nicht
reibungslos verträgt, wird in einigen Interpretationen deutlich, z.B. bei Budd („The Pure
Judgement of Taste“, S. 255ff.) und Kulenkampff („The Objectivity of Taste“, S. 105f.).
Sonderegger macht in der KU sogar die Beobachtung „zweier völlig heterogener
Begrifflichkeiten“ (Für eine Ästhetik des Spiels, S. 360ff.).
42 Vgl. KU, §54.
Einleitung 11
fallen macht, sollte doch die Rolle dieses Begriffs innerhalb von Kants
Ansatz erklärungsbedürftig erscheinen lassen.
Selbst im Rahmen eines Bilds wäre die Rede vom Spiel der Erkennt-
nisvermögen für die Ästhetik unbrauchbar, wenn die Interesselosigkeit,
die Kant für die ästhetische Einstellung ansetzt, für das Spiel im eigentli-
chen Sinn sich gar nicht halten ließe. Und wenn ihre Berechtigung sich
bestätigen sollte, dann wäre immer noch zu zeigen, welchen Sinn es haben
kann, das Spiel aus seinem eigentlichen Umfeld, der Praxis, in das der
Erkenntnisvermögen zu transferieren, wo diese beiden Bereiche doch
fundamental verschieden zu sein scheinen: Während das Spiel im Zusam-
menhang mit Handeln steht, also dem Wirklichmachen so oder anders
bestimmter Außenwelt, soll die ästhetische Einstellung im Kontext bloßer
Theorie zuhause sein, also in einem Bereich, der nach gängiger Überzeu-
gung nur das Bewußtmachen von schon wirklicher Außenwelt umfaßt.
Drittens stellt sich im Kontext von Kants Ansatz die Frage, ob mit
der Konstruktion des „freien Spiels“ dasjenige Phänomen erklärt werden
kann, um das es Kant am Anfang der „Analytik“ geht, nämlich das der
Schönheit. Zu Kants viel diskutierter Unterscheidung zwischen „freier
Schönheit“ und „anhängender Schönheit“ läßt sich nämlich aus der Per-
spektive des Spielbegriffs fragen, ob sich dieser tatsächlich auf beides an-
wenden läßt oder ob das „freie Spiel“ sich nicht vielmehr auf „freie
Schönheit“ beschränkt. Sollte sich dies bestätigen, wäre das womöglich ein
ernstes Problem für Kants Ansatz.
___________
43 Als Vorbild für das Heranziehen der Unterlassungshandlung als Beleg für die Praktizität
des Erkennens dient Prauss in Kant über Freiheit als Autonomie (S. 216ff.), wobei ich aller-
dings ein anderes Argumentationsziel als er verfolge. Die Verbindung zwischen Unter-
lassen und ästhetischer Einstellung stellt auch Seel in Sich bestimmen lassen her.
Einleitung 13
___________
44 Vgl. Prauss, Die Welt und wir.
Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel
der Erkenntnisvermögen“
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der
Zweckmäßigkeit bei Kant
1. Die §§1-9 der „Analytik des Schönen“
In der KäU will Kant eine Theorie „der Beurteilung des Schönen“ liefern,
d.h. er versucht zu erklären, „was [...] dazu erfordert wird“ (3 Anm.), „um
zu unterscheiden, ob etwas schön sei oder nicht“ (3). Bei einem ästheti-
schen Urteil (wie etwa: „Diese Blume ist schön“) handelt es sich um „kein
Erkenntnisurteil“ (4), denn darin „beziehen wir die Vorstellung nicht
durch den Verstand auf das Objekte zum Erkenntnisse“ (3). Zum Ver-
gleich: wenn wir etwas im Rahmen von Erkenntnis über den Gegenstand
aussagen – wie etwa in: „dies ist rund“ –, werden „gegebene Vorstellun-
gen“ (gemeint sind Sinnesdaten bzw. Anschauung) „im Urteile auf das
Objekt bezogen“ (5)1. Einer solchen „Beziehung der Vorstellungen“, die
„objektiv“ sei, liege „das Reale einer empirischen Vorstellung“ (4)
zugrunde, womit Kant ihren Sachgehalt meint. Ob etwas also z.B. rund ist
oder nicht, entscheidet sich dadurch, ob der entsprechende Gehalt in
„Rund-Anschauung“ erfolgreich auf ein Objekt bezogen wird.
Das Prädikat „schön“ verleihen wir nicht auf diese Weise, denn der
Bestimmungsgrund für die Unterscheidung, „ob etwas schön sei oder
nicht“, ist keine sachhaltige Anschauung, sondern das „Gefühl der Lust
oder Unlust, wodurch gar nichts im Objekte bezeichnet wird“ (4). Nennt
das Subjekt einen Gegenstand schön, ist es sich einer Vorstellung „mit der
Empfindung des Wohlgefallens bewußt“ (4). Das Prädikat „schön“ ist
kein reales bzw. sachhaltiges Prädikat; es gibt nur die Haltung des Subjekts
zum betreffenden Gegenstand an; es drückt aus, wie es ihm gegenüber
„sich selbst fühlt“ (4). Ausgedrückt wird damit der Vorzug des Subjekts
für einen bestimmten Gegenstand im Gegensatz zu anderen,2 also eine
___________
1 An der betreffenden Stelle heißt es, sie würden „nur im Urteile auf das Objekt bezogen“
(Hervorhebung von mir), wobei das „nur“ sinnvollerweise vor „auf das Objekt“ stehen
müßte.
2 Vgl. Kulenkampff, der von „value judgments“ als „expressions of praise or blame“ spricht
(„The Objectivity of Taste“, S. 101).
16 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
einmal mit seiner Umwelt zufrieden gibt, ohne ihr konsumierend oder
instrumentalisierend gegenüberzutreten. Diese Eigenheit des ästhetischen
Wohlgefallens ist es also, auf die Kants erste Schritte am Anfang der AS
abheben; der begriffliche Rahmen, in dem sie entfaltet wird, entspricht
dem am Anfang der KpV.
Anders als neigungsbedingtes Wohlgefallen, das eine pathologische
Abhängigkeit des Subjekts von der Wirklichkeit so oder anders bestimm-
ter Gegenstände beinhaltet, ist das ästhetische Wohlgefallen durch die
Freiheit einer besonderen Einstellung gekennzeichnet, nämlich die „Frei-
heit, uns selbst irgend woraus einen Gegenstand der Lust zu machen“
(15f.). Nun darf das aber nicht so verstanden werden, als habe das Subjekt
kraft dieser Freiheit die Möglichkeit, jedes beliebige Objekt zum Gegen-
stand eines solchen Wohlgefallens zu erheben, denn das ästhetisch einge-
stellte Subjekt hat trotz seiner Interesselosigkeit gegenüber den Objekten,
mit denen es sich befaßt, auch Ansprüche. Das ästhetische Wohlgefallen
gilt nur manchen Gegenständen, und so etwas wie eine „Wahl nach Ge-
schmack“ (16) ohne so etwas wie ein Interesse zu erklären, ist die eigentli-
che Herausforderung der AS. Um zu verstehen, welche Lösung Kant am
Ende vorschlägt, muß man zuerst nachvollziehen, wie Kant die beiden
Arten interessierter Präferenz analysiert.
Über das Angenehme sagt Kant, es sei Sache bloßer Rezeptivität:
„Angenehm ist das, was den Sinnen in der Empfindung gefällt“ (7). Um
das positive Bewußtsein einer Annehmlichkeit zu verspüren, ist keinerlei
Auseinandersetzung mit dem Objekt und insofern auch nicht die Spon-
taneität von Begriffsbildung nötig. Die Unterscheidung, ob etwas ange-
nehm ist oder nicht, setzt „gar kein Urteil über die Beschaffenheit des
Objekts“ (10) voraus.10 Die Erkenntnis eines Gegenstandes ist hier näm-
lich gar nicht konstitutiv für das Wohlgefallen: Im Zusammenhang mit
diesem Wohlgefallen von einem Gegenstand zu sprechen, bedeutet nur,
die Ursache für das Wohlgefallen zu bezeichnen; wobei dieses aber ganz
unabhängig von der Wahrheit einer solchen Erkenntnis vorliegt. Aber daß
an einem Gegenstand, der Lust durch reine Fremdeinwirkung auf den
Körper des Subjekts hervorrufen kann, ein Interesse besteht, versteht sich
von selbst; hier wird „durch Empfindung eine Begierde nach dergleichen
Gegenstande rege“ (9) gemacht, so daß „das Wohlgefallen nicht das bloße
Urteil über ihn, sondern die Beziehung seiner Existenz auf meinen Zu-
stand [...] voraussetzt“ (ebd.).11
___________
10 Das Wohlgefallen gründet sich nicht auf das Urteil; nicht deshalb, weil wir den Gegenstand
als angenehm beurteilen, ruft er in uns Wohlgefallen hervor (so klingt es bei Wolterstorff,
„An Engagement with Kant’s Theory of Beauty“, S. 106), sondern wir beurteilen ihn als
angenehm aufgrund von Lust.
11 Die Definition, die Kant für Interesse gibt, trifft also auf das Wohlgefallen der Annehm-
lichkeit eigentlich nicht zu, denn dieses Wohlgefallen tritt durch Fremdaffektion, unab-
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant 19
klärt Kant also durch den vorderhand feststehenden Zweck, der vor-
schreibt, „was der Gegenstand für ein Ding sein solle“, wie das Ding also
beschaffen sein muß, um ihm zu genügen. Das Wohlgefallen am Schönen
ist demgegenüber dasjenige Wohlgefallen, das nicht durch einen Begriff,
und deshalb auch nicht durch einen Zweck vermittelt wird.
Um Schönheit woran zu finden, habe ich das [zu wissen, was der Gegenstand für
ein Ding sein solle] nicht nötig. Blumen, freie Zeichnungen, ohne Absicht inein-
ander geschlungene Züge, unter dem Namen des Laubwerks, bedeuten nichts,
hängen von keinem bestimmten Begriffe ab und gefallen doch. Das Wohlgefallen
am Schönen muß von der Reflexion über einen Gegenstand, die zu irgendeinem
Begriffe (unbestimmt welchem) führt, abhängen, und unterscheidet sich dadurch
auch vom Angenehmen, welches ganz auf der Empfindung beruht (10f.).
Blumen und freie Zeichnungen „bedeuten nichts“, d.h. sie weisen nicht
über sich hinaus auf etwas Weiteres.15 Daß das Wohlgefallen an ihnen
nicht von einem „bestimmten Begriff“ abhängt, ist vor dem Hintergrund
der Struktur nützlicher Dinge zu verstehen: Weil die Nützlichkeitsrelation
einen bestimmten Zweck voraussetzt, in Hinblick auf den etwas nützlich
sein soll, gefällt das nützliche Ding vermittels eines „bestimmten Begriffs“;
es gefällt, weil es etwa ein Messer ist, und nicht nur ein Stück Holz; weil es
scharf und fest ist, und nicht stumpf und zerbrechlich. Gefällt etwas ver-
mittels eines bestimmten Begriffs, so Kants These, gefällt es als Mittel zu
einem Zweck und damit interessierterweise. Das Wohlgefallen am
Schönen dagegen tritt an Dingen mit „irgendeinem“ Begriff auf, ohne
vorgängige Präferenz bezüglich des Inhalts.
Im §6 tritt Kant mit der neuen These an, daß das Schöne „ohne Be-
griffe als Objekt eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird“ (17).
Dies könne „aus der vorigen Erklärung desselben, als eines Gegenstandes
des Wohlgefallens ohne alles Interesse, gefolgert werden“ (ebd.). Um die
Legitimation jener beiden im Reden über Kants Konzeption so geläufigen
Schlagwörter von der „Allgemeingültigkeit“ und „Begrifflosigkeit“ des
Geschmacksurteils zu untersuchen, ist man also auf seine vorangegange-
nen Überlegungen zur Interesselosigkeit der ästhetischen Einstellung ver-
wiesen.16 Daß es hier einer Begründung bedarf, sollte eigentlich deutlich
_____________
das moralisch Gute meint (das könnte durch den Rekurs auf „Vernunft“ so scheinen), ist
im Zusammenhang mit dem folgenden Text jedenfalls ausgeschlossen, und man kann so-
gar sagen, daß das Instrumental-Gute für dasjenige, worauf Kant hier hinauswill, viel
wichtiger ist als das Moralisch-Gute, weil nur im Zusammenhang mit diesem die inter-
essierte Dimension von Begriffen bzw. des Verstandes und damit der Impetus von Kants
Abgrenzungsversuchen für die ästhetische Einstellung verständlich werden kann.
15 D.h. sie haben keinen Zweck (vgl. Marc-Wogau, Vier Studien zu Kants Kritik der Urteilskraft,
S. 108).
16 Daß das Kriterium der Allgemeingültigkeit nach dem der Interesselosigkeit eingeführt und
aus diesem abgeleitet wird, ist, wie Otto in Ästhetische Wertschätzung zu Recht betont, ein In-
diz für die übergeordnete Bedeutung des letzteren (S. 300).
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant 21
sein, denn beides, sowohl die „Allgemeingültigkeit“ als auch die „Begriff-
losigkeit“ des ästhetischen Urteils, kann ohne Erläuterung zunächst einmal
nicht verständlich sein. Erstens gehören divergierende Geschmacksurteile
zu den Gemeinplätzen der ästhetischen Erfahrung, und außerdem dürfte
unbestritten sein, daß im ästhetischen Umgang – mindestens etwa mit
sprachlichen Kunstwerken – Begriffe gebildet und auch verwendet
werden, nämlich als unabdingbarer Bestandteil ihrer Rezeption. Es ist also
sorgfältig zu prüfen, was mit der These des §6 gemeint sein kann, und was
nicht.
Was die „Allgemeingültigkeit“ des ästhetischen Urteils angeht, ist zu-
mindest so viel klar, daß darunter etwas anderes als eine theoretische Allge-
meingültigkeit zu verstehen ist. Gemeint ist nämlich etwas, das den Status
einer Forderung besitzt, und somit statt in den Bereich der Theorie viel-
mehr in den Kontext intersubjektiver Praxis gehört.17 Abweichende
ästhetische Werturteile haben etwas anderes zu bedeuten als Meinungsver-
schiedenheiten im theoretischen Bereich, wo es um wahr und falsch geht.
Daß ein Subjekt es nicht einfach akzeptieren kann, wenn seine ästhetische
Wertschätzung eines Objekts von anderen nicht geteilt wird, versteht
Kant in Analogie zur Allgemeingültigkeit des Moralgesetzes: Der ästhe-
tisch Urteilende „tadelt“, wenn seine Mitmenschen „anders urteilen, und
spricht ihnen den Geschmack ab, von dem er doch verlangt, daß sie ihn
haben sollen“ (20)18; er „fordert“ von ihnen „die Einstimmung in sein Urteil
des Wohlgefallens“ (ebd.); er „mutet [...] anderen ebendasselbe Wohlge-
fallen zu“ (19). Die „Allgemeingültigkeit“ des ästhetischen Urteils bezieht
ihren Anspruch „nicht von der Beziehung einer Vorstellung auf das Er-
kenntnisvermögen“, sondern beruft sich „auf das Gefühl der Lust und
Unlust“ (23).19
___________
17 In der Anthropologie heißt es sogar, das ästhetische Urteil stehe der Form nach „unter dem
Princip der Pflicht“ (Bd. 7, S. 244).
18 Hervorhebung von mir.
19 Kern führt in „Ästhetischer und philosophischer Gemeinsinn“ eine Stelle aus den Prolego-
mena an, um zu zeigen, daß Kant mit „Sollen“ im ästhetischen Bereich etwas meint, das
auch im Zusammenhang mit der Allgemeingültigkeit theoretischer Urteile auftrete (S. 85).
Aber wenn Kant sagt, daß das Erfahrungsurteil eine Beziehung „auf ein Objekt“ habe und
deswegen „für uns jederzeit und ebenso vor jedermann gültig sein solle“ (Bd. 4, S. 298),
dann wird mit „Sollen“ hier nicht ein Anspruch an andere Subjekte erhoben (wie es im §7
der KU durch Formulierungen wie „zumuten“ und „fordern“ eindeutig gemeint ist), son-
dern an das Urteil bzw. an das urteilende Subjekt selbst. Die Stelle „Das Sollen im ästheti-
schen Urteil wird [...] doch nur bedingt ausgesprochen“ (63) versteht Kern so, daß Kant
mit dem entsprechend unbedingten Anspruch eines Sollens den Fall eines theoretischen
Urteils meint. Tatsächlich ist aber die fragliche Stelle so zu verstehen, daß Kant das ästheti-
sche Sollen vom moralischen Sollen abhebt, denn dieses allein ist ein absolutes Sollen. Im
vorangegangenen Paragraphen war das einzige andere Sollen, das thematisiert worden war,
das Moralgesetz (Kant spricht dort von einer praktischen Notwendigkeit, die vorschreibe,
„daß man [...] auf gewisse Art handeln solle“ [62]).
22 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Der zuletzt genannte Punkt markiert nicht nur die Differenz zwischen
der ästhetischen „Allgemeingültigkeit“ und der von Erkenntnis; es ist auch
der eigentliche Grund für die „Begrifflosigkeit“ des ästhetischen Urteils.
Denn jene besondere ästhetische Allgemeingültigkeit, die Kant im §8
„subjektive Allgemeingültigkeit“ nennt, ist nichts anderes als eine Allge-
meingültigkeit, „die auf keinem Begriffe beruht“ (23f.) – nämlich eine, die
sich auf das Gefühl der Lust und Unlust beruft. Den eigentlichen Grund
für die „Begrifflosigkeit“ des ästhetischen Urteils haben wir also schon
ganz zu Beginn der AS kennengelernt. Es handelt sich dabei um den Um-
stand, daß das Geschmacksurteil Ausdruck einer Präferenz für bestimmte
Objekte ist und der Vorzug für das eine und gegen das andere Objekt
ursprünglich nicht durch Begriffe erklärt werden kann. Im §6 formuliert
Kant das so: „Von Begriffen gibt es keinen Übergang zum Gefühle der
Lust oder Unlust“ (18).20 Da er noch zwei Paragraphen zuvor ein Verhält-
nis zwischen Begriffen und Lust/Unlust abgehandelt hat (durch Vermitt-
lung von Begriffen könnten Gegenstände Lust bereiten, hieß es im §4),
kann er hier nur meinen, daß Begriffe eine Präferenz für den einen oder
anderen Gegenstand nicht verständlich machen können, es sei denn in
Beziehung auf Lust, d.h. dadurch, daß ein Ding letztlich durch einen Begriff
als mögliches Mittel für eine Annehmlichkeit bestimmt wird. Er sagte
deshalb, daß das Nützliche „als Mittel zu irgendeiner Annehmlichkeit
gefällt“ (13). Und er hat dafür argumentiert, daß solchen Fällen, in denen
ein Objekt vermittels eines Begriffs gefällt, ein interessiertes Wohlgefallen
zugrunde liegt, und damit ein Interesse.
Folgt man dem Gedankengang der AS bis zu diesem Punkt, gibt es
keine Veranlassung für eine so starke These, das ästhetisch betrachtende
Subjekt bildete keinerlei Begriffe vom Objekt.21 Kant hat bislang nur
___________
20 Als Ausnahme führt Kant im Anschluß das Moralgesetz an, in dessen Zusammenhang
freilich zu klären wäre, ob „Achtung“ tatsächlich als Fall von Lust zu verstehen ist, wie er
hier impliziert.
21 Zwei Verständnisweisen von „Begrifflosigkeit“ sind hier also zu unterscheiden: Die eine
besteht darin, die ästhetische Einstellung als ein Verhältnis zu Objekten zu verstehen, in
deren Rahmen keine Begriffe gebildet werden, die andere schließt Begriffe nur als Bestim-
mungsgrund für die ästhetische Unterscheidung aus. Daß das eine das andere nicht impli-
ziert, betont Otto, Ästhetische Wertschätzung, S. 300. Prauss („Kants Theorie der ästhetischen
Einstellung“) argumentiert überzeugend, daß es ohne Begriffe keine Gegenständlichkeit ge-
ben kann: Da Anschauungen ohne Begriffe blind sein sollen, hätte ein begriffloses Urteil
keinen Gegenstand und wäre mit einer Blume, einem Vogel oder einem Bild nicht in Ver-
bindung zu bringen. Daß das ästhetische Urteil in der Form „dies ist schön“ nicht kom-
plett wäre, betont auch Kulenkampff („Der Schlüssel zur Kritik des Geschmacks“). Er gibt
die Minimalform des ästhetischen Urteils mit „dies da ist schön“ an (S. 29), was ja heißt,
das schöne Objekt mindestens zu bestimmen als dasjenige, das in einem bestimmten
Raumgebiet liegt. Begrifflos wäre das ästhetische Urteil dann nicht mehr, und nur dadurch,
und das heißt auch: durch eine Irrtumsmöglichkeit, wird sichergestellt, daß sich das ästheti-
sche Urteil überhaupt auf ein Objekt bezieht. Die Überlegungen von Guyer (Kant’s Critique
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant 23
ner Vorliebe für dieses oder jenes Angenehme „so bescheiden ist“,
dergleichen „anderen nicht eben anzusinnen“ (22), führt Kant auf die
bloße Rezeptivität dieser Präferenz zurück: Weil dieses Wohlgefallen allein
durch die Einwirkung eines Objekts auf das Subjekt zu erklären ist, kann
sich die Präferenz für ein angenehmes Objekt allenfalls auf die individuelle
physische Konstitution des Subjekts berufen. Die einzige Möglichkeit, um
zu erklären, warum im Fall des ästhetischen Urteils das Subjekt sich nicht
nur auf sein „Privatgefühl“ (18) beruft, sondern mit seinem Urteil einen
überindividuellen Anspruch irgendeiner Art erhebt, sieht Kant in einer
Zutat an Spontaneität. Nicht durch pathologische „Privatbedingungen“
(17), sondern nur durch die transzendentale Konstitution der Erkenntnis-
tätigkeit kann ein überindividueller Anspruch legitimiert werden. Ausge-
schlossen ist also, daß sich das ästhetisch eingestellte Subjekt gegenüber
dem Objekt des Wohlgefallens rein passiv verhielte und auf jedwede
Spontaneität, wie sie durch den Verstand – das Vermögen der Begriffe –
geleistet wird, verzichtete.
Die Lösung für das Problem, wie das ästhetische Wohlgefallen weder
bloß rezeptiv noch vermittelt durch Begriffe zu erklären ist, hat Kant,
zumindest umrißhaft, oben schon gegeben: „Das Wohlgefallen am
Schönen muß von der Reflexion über einen Gegenstand, die zu irgendei-
nem Begriffe (unbestimmt welchem) führt, abhängen“ (11). Das bedeutet:
das Wohlgefallen kann nicht davon abhängen, welcher Begriff verwendet
wird, sondern es muß gewissermaßen auf dem Weg zum Begriff – „unbe-
stimmt welchem“ – auftreten. Es ist nicht das inhaltlich bestimmte Re-
sultat der Erkenntnistätigkeit – die Bestimmung des Dings als dieses oder
jenes –, sondern die Tätigkeit der Erkenntniskräfte, wie sie zur Bildung
oder Verwendung eines Begriffs führt, aus der heraus Kant das ästhetische
Wohlgefallen erklären will.22
___________
22 Vgl. auch 149, wo die Rede ist von einer Lust, die „mit der bloßen Beurteilung, vor allem
Begriffe, verbunden sein soll“ („in der bloßen Beurteilung“ ist hier offenbar analog zu „in
der bloßen Reflexion“ zu verstehen). In der Metaphysik Dohna (1792/93) heißt es: „Das
Schöne ist das was in der bloßen Reflexion gefällt (noch ohne Begriff)“ (Bd. 28, S. 676,
Hervorhebung im Original). Das „noch“ zeigt an, daß ein Begriff der Lust zwar nicht
zugrunde liegt, innerhalb derselben Tätigkeit, die zum ästhetischen Wohlgefallen führt,
dennoch ein Begriff verwendet wird. Longueness (Kant and the Capacity to Judge, S. 164)
würde das bestreiten; sie vertritt die These, daß im Rahmen des ästhetischen Urteils die Be-
griffsbildung scheitert. Die Stelle, die dies für das ästhetische Urteil belegen soll, gibt das aber
nicht her (In EE, S. 220f. ist nur die Rede davon, daß bei der Beurteilung einer bloß
subjektiven Zweckmäßigkeit weder ein Begriff „erfordert noch dadurch erzeugt wird“).
Auch die kurz zuvor von Longueness zitierte Stelle gestattet nicht die Redeweise von ei-
nem Scheitern: „Ein bloß reflektierendes Urteil aber über einen gegebenen einzelnen
Gegenstand kann ästhetisch sein, wenn [...] die Urteilskraft, die keinen Begriff für die gege-
bene Anschauung bereit hat, die Einbildungskraft (bloß in der Auffassung desselben) mit
dem Verstande (in Darstellung eines Begriffs überhaupt) zusammenhält“ (EE, S. 223). Daß
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant 25
Dies ist das Programm des §9, in dem Kant den „Schlüssel zur Kritik
des Geschmacks“ (27) zu liefern verspricht. Läge dem Geschmacksurteil
eine „bloße Annehmlichkeit in der Sinnenempfindung“ (27) zugrunde,
heißt es dort, hätte es „nur Privatgültigkeit“ (ebd.); das Wohlgefallen wäre
Folge bloßer Rezeptivität, das Subjekt könnte sich nur auf seine individu-
elle physische Konstitution berufen. Über seine Privatbedingungen geht
das Subjekt gewöhnlich hinaus, indem es Erkenntnis von Objekten be-
treibt: „Es kann aber nichts allgemein mitgeteilt werden als Erkenntnis
und Vorstellung, sofern sie zum Erkenntnis gehört“ (27). Nur Erkenntnis
ist „objektiv“, und nur sie hat „dadurch einen allgemeinen Beziehungs-
punkt, womit die Vorstellungskraft aller zusammenzustimmen genötigt
wird“ (27f.).23 Der „Bestimmungsgrund“ (28) des ästhetischen Urteils, also
_____________
hiermit gleich ein Scheitern der Bemühung um einen Begriff gemeint sein soll, ist vor allem
dann nicht zwingend, wenn man den von Longueness ausgelassenen Text mitberücksich-
tigt, in dem Kant erklärt, warum die Urteilskraft keinen Begriff „bereit hat“: Der hier ange-
sprochene Zustand der Einbildungskräfte sei nämlich anzusetzen, „ehe noch auf die Ver-
gleichung [des Gegenstandes] mit andren gesehen wird“, also noch vor der eigentlichen
Begriffsbildung (denn mit „Vergleichung eines Gegenstands mit anderen“ ist die tradierte
Theorie der Begriffsbildung, die Kant übernimmt, gemeint). Scheitern kann die Begriffs-
bildung natürlich erst, wenn sie versucht wird. Auf jeden Fall geht die Interpretation von
Longueness zu weit, wenn sie im Zusammenhang mit ästhetischen Urteilen unterstellt:
„Reflection can never arrive at conceptual determination“ (ebd.).
23 Die Antwort auf die Frage, die Kant dem §9 voranstellt („ob im Geschmacksurteil das
Gefühl der Lust vor der Beurteilung des Gegenstandes, oder diese vor jener vorhergehe“),
fällt also zugunsten des letzteren aus. Zu klären ist allerdings, was Kant mit „Beurteilung“
hier meinen kann. Ist „Beurteilung“ gleichbedeutend mit der Unterscheidung, „ob etwas
schön sei oder nicht“ (das vertritt Kulenkampff in „Der Schlüssel zur Kritik des Ge-
schmacks“, S. 36), käme das letztlich einer Rücknahme des §1 gleich, des Ausgangspunkts
der „Analytik“, denn dessen erstem Satz zufolge beziehen wir „um zu unterscheiden, ob
etwas schön sei oder nicht, [...] die Vorstellung [...] auf das Subjekt und das Gefühl der Lust
oder Unlust desselben“ (vgl. dazu Crawford, Kant’s Aesthetic Theory, S. 67ff. und Fricke,
Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils; S. 44f.). Im §9 geht es durchgehend um etwas, das
der ästhetischen Lust vorausgeht; im Titel nennt das Kant „Beurteilung“, in den ersten bei-
den Absätzen dann aber „allgemeine Mitteilungsfähigkeit“. Nicht zu vergessen ist, daß es
sich dabei um eine Bedingung der ästhetischen Lust handeln soll, nicht um das fertige Ge-
schmacksurteil mit allen seinen Attributen. Ginsborg („Reflective Judgment and Taste“, S.
72) sieht sich unter Berufung auf diese Passage gezwungen, gleich so etwas wie die Selbst-
referentialität des Geschmacksurteils, das sich auf seine eigene universale Gültigkeit be-
ziehe, ansetzen zu müssen. Statt der allgemeinen Mitteilungsfähigkeit eines Gemütszustan-
des muß vielmehr ein allgemein mitteilungsfähiger Gemütszustand gemeint sein, denn es soll,
wie Allison in Kant’s Theory of Taste zu Recht gegenüber Ginsborg betont, um die Frage ge-
hen, woher die „allgemeine Mitteilungsfähigkeit“ des Geschmacksurteils stammt (S. 115f.).
Wenn in der EE davon die Rede ist, das Geschmacksurteil ergehe „vermittelst der Emp-
findung der Lust oder Unlust, aber doch auch zugleich über die Allgemeinheit der Regel,
sie mit einer gegebenen Vorstellung zu verbinden“ (229), kann Kant damit nur meinen,
daß sich das Geschmacksurteil nicht einfach nur auf ein Gefühl der Lust oder Unlust über-
haupt beruft, sondern auf ein solches, das unter „mitteilungsfähigen“ bzw. „allge-
meingültigen Bedingungen“ zustande gekommen ist. Liest man den §9 komplett und im
Kontext der vorhergehenden Paragraphen, besteht sein Beitrag einzig darin, daß er die Tä-
26 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
das, was den Ausschlag für das ästhetische Wohlgefallen oder Mißfallen
gibt, soll auf der anderen Seite auch „ohne einen Begriff vom Gegen-
stande gedacht werden“ (28). Aber wie schon angedeutet: Nicht nur die
Erkenntnis selbst, also Urteile über Objekte, sondern auch „Vorstellung,
sofern sie zum Erkenntnis gehört“, also auch ihre Aufbaustücke, die noch
nicht selbst Urteil sind, sind ein „allgemeiner Beziehungspunkt“, weil die
subjektiven Bedingungen für Erkenntnis „für jedermann gelten und folg-
lich allgemein mitteilbar“ (29) sein müssen.
Der gesuchte Bestimmungsgrund kann also, wenn er auf der einen
Seite nicht die bloße Objektivität von Erkenntnis und auf der anderen
nicht die bloße Subjektivität einer angenehmen Empfindung sein darf,
„kein anderer als der Gemütszustand sein, der im Verhältnis der Vorstel-
lungskräfte zueinander angetroffen wird, sofern sie eine gegebene Vor-
stellung auf Erkenntnis überhaupt beziehen“ (28). Eine gegebene Vorstel-
lung auf „Erkenntnis überhaupt beziehen“, bedeutet, sie sozusagen vor
dem Hintergrund der allgemeinen Bedingungen von Erkenntnis zu be-
trachten: Kant spricht etwas weiter unten von der „Allgemeinheit [...] der
subjektiven Bedingungen der Beurteilung der Gegenstände“, auf der „sich
allein diese allgemeine subjektive Gültigkeit des Wohlgefallens“ gründet
(29).24 Das ästhetische Wohlgefallen wird also durch das Erfülltsein „der
subjektiven Bedingungen der Beurteilung der Gegenstände“ erklärt, und
es wurde schon gesagt, was diese Bedingungen erfüllen soll: ein „Verhält-
nis der Vorstellungskräfte zueinander“, das sich durch einen besonderen
Gemütszustand ausdrückt. Die gemeinten Vorstellungskräfte sind Einbil-
_____________
tigkeit der Erkenntniskräfte, die bei jedem Subjekt im Spiel sind, als den Ort der universa-
len Gültigkeit des Geschmacksurteils benennt. Zum Ausdruck „Mitteilbarkeit“ ist außer-
dem zu betonen, daß damit mehr als „Kommunizierbarkeit“ gemeint sein muß, denn auch
Urteile über das Angenehme sind „kommunizierbar“ (vgl. Kulenkampff, Kants Logik des
ästhetischen Urteils, S.89f.). Bei Kants Begriff der „Mitteilung“ schwingt noch die alte Be-
deutung von „communicatio“ mit, die sich auf das „gemeinsam haben“ von etwas erstreckt
(dazu vgl. Kulenkampff, ebd., S. 224 und Hüglis Artikel „Mitteilung“ im Historischen Wörter-
buch der Philosophie) und wonach Lustempfindungen oder Schmerzen nicht mitteilbar, weil
nicht im Gemeinbesitz, sind.
24 „Die Möglichkeit einer Erfahrung überhaupt ist die Möglichkeit empirischer Erkenntnisse
als synthetischer Urtheile“ (EE, Bd. 20, S. 203 Anm.); in einem solchen Kontext verwendet
Kant „überhaupt“ also wie „als solche“. Folglich kann er mit „Erkenntnis überhaupt“ nicht
so etwas meinen wie eine Erkenntnis besonderer Art (vgl. Kaulbach, Ästhetische Welter-
kenntnis bei Kant, S. 30f.), eine nicht vergegenständlichende „Vorstufe von Erkenntnis“ bzw.
ein „Verfahren von hohem Eigenwert“ (Scheer, Einführung in die philosophische Ästhetik, S.
90) oder eine Erkenntnis, die noch ohne propositionalen Gehalt ist (Wieland, Urteil und
Gefühl, S. 352f.), sondern nur Erkenntnis, unter einem formalen Gesichtspunkt betrachtet,
der von ihrem Inhalt abstrahiert (vgl. Kern, Ästhetischer und philosophischer Gemeinsinn,
S. 98). Eine andere Frage ist, ob es beim Geschmacksurteil nicht auch zur Zu-
sammenstimmung eines bestimmten Begriffs mit einer bestimmten Anschauung kommt,
was Kern (ebd., S. 99) allerdings verneinen würde.
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant 27
schon durch den jeweiligen Begriff vermittelt sein;28 es ist doch denkbar,
daß das Wohlgefallen sich auf die Art und Weise bezieht, wie sich die
Bildung oder die Verwendung des Begriffs gestaltet – nämlich Folge da-
von ist, ob den Erkenntniskräften die Erfüllung ihrer Aufgabe leicht fällt
oder nicht. Die argumentative Motivation des „freien Spiels“ wird aus
dem §9 allein somit nicht klar.
___________
31 An dieser Formulierung irritiert natürlich, daß die Kausalität des Begriffs, und nicht das
Objekt, zweckmäßig genannt wird. Laut „Einleitung“ aber ist „der Begriff von einem Ob-
jekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält, der Zweck“,
dagegen ist „die Übereinstimmung eines Dinges mit derjenigen Beschaffenheit der Dinge,
die nur nach Zwecken möglich ist, die Zweckmäßigkeit der Form derselben“ (XXVIII).
32 Eine ähnliche Konstruktion (inklusive der Formel „zweckmäßig, aber ohne Zweck“) macht
Kant bezeichnenderweise in einem teleologischen Kontext, nämlich in der 1788, also wäh-
rend der Arbeit an der KU verfaßten Schrift Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der
Philosophie (Bd. 8). Hier wird „zweckmäßig“ als Adverb für „wirken“ verwendet, mit der
Bedeutung „wie ein Zweck“ bzw. „wie nach Zweckvorstellungen“ (S. 181). Ich kann To-
nelli nicht folgen, wenn er meint, der in dieser Schrift zugrundegelegte Sinn von „zweck-
mäßig“ sei unvereinbar mit dem im §10 der KU („La formazione del testo della ‚Kritik der
32 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Zweckmäßig aber heißt ein Objekt oder Gemütszustand oder eine Handlung
auch, wenngleich ihre Möglichkeit die Vorstellung eines Zwecks nicht notwendig
voraussetzt, bloß darum, weil ihre Möglichkeit von uns nur erklärt und begriffen
werden kann, sofern wir eine Kausalität nach Zwecken, d.i. einen Willen, der sie
nach der Vorstellung einer gewissen Regel so angeordnet hätte, zum Grunde der-
selben annehmen (33).
Es kommt auf den Irrealis gegen Ende an: Wir betrachten den Gegen-
stand so, als hätte ihn eine Kausalität nach Zwecken (also ein Verstand)
hervorgebracht, ohne zu behaupten, daß es so ist. Trotzdem nennen wir
ihn „zweckmäßig“, stellen damit aber keine Behauptung über seine Ent-
stehungsursache auf, sondern sagen nur etwas über seine Form:
Die Zweckmäßigkeit kann also ohne Zweck sein, sofern wir die Ursachen dieser
Form nicht in einen Willen setzen, aber doch die Erklärung ihrer Möglichkeit
nur, indem wir sie von einem Willen ableiten, uns begreiflich machen können
(33).33
Ein zweckmäßiger Gegenstand „ohne Zweck“ sieht also so aus, als sei er
durch eine Zweckvorstellung hervorgebracht worden, ohne daß er es ist;
in diesem Sinn kann gesagt werden, daß er (nur) die „Form der Zweck-
mäßigkeit“ hat.34 Das „ohne Zweck“ der ästhetischen Zweckmäßigkeit ist
also dem §10 zufolge als das Fehlen einer wirklichen Entstehungsursache
zu verstehen. Zweckmäßigkeit kann dem Gegenstand aber dennoch, auf-
grund seiner Form, zugeschrieben werden, weil wir uns diese nur „be-
greiflich“ machen können, wenn wir sie von einem Willen ableiten.
Weil die Zweckentstandenheit des Gegenstands hier nur hypothetisch
ausgesagt wird, ist die Formel „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ nicht
paradox. Durch „ohne Zweck“ wird dem Gegenstand nämlich die be-
_____________
Urteilskraft‘“, S. 446). Diese Aussage relativiert er allerdings an anderer Stelle („Von den
verschiedenen Bedeutungen“, S. 157).
33 Stolzenberg („Das freie Spiel der Erkenntniskräfte“, S. 15) vertritt die These, daß der
nachfolgende Satz („Nun haben wir [...]“) gegenüber dem gerade zitierten einen weiteren
Sinn von Zweckmäßigkeit einführe: „Von dieser Art der Erklärung, und das ist nun Kants
neue These, können wir bei der Wahrnehmung einer zweckmäßigen Gestalt auch absehen“.
Zielte dieser Satz auf einen neuen, dritten Sinn von Zweckmäßigkeit ab, wäre das aber ku-
rios, denn schon im vorhergehenden, dem gerade zitierten Satz erreicht Kant die Formel
von der „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“. Wäre dies noch nicht die ästhetische Zweck-
mäßigkeit, müßte es zwei solche Formeln geben. Auf einen nichtästhetischen Sinn von
„Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ kommt Kant tatsächlich noch zu sprechen, nämlich in
einer Fußnote am Ende des dritten Moments der „Analytik“. Das darin besprochene Bei-
spiel für Zweckmäßigkeit „ohne Zweck“ (ein prähistorisches Artefakt, dessen Zweck wir
nicht kennen), verdient eigentlich aber diese Bezeichnung nicht, weil wir wissen, daß dieses
Ding einen Zweck bzw. eine intentionale Entstehungsursache hatte – also wirklich, und
nicht im Sinn eines Als-ob. Dieses Beispiel hat mit der „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ des
vorletzten Satzes im §10 nichts zu tun, denn diese ist die hypothetische und damit genau
die, auf die Kant hinauswill.
34 Vgl. EE, Bd. 20, S. 200, wo es heißt, daß „Gegenstände der Natur bisweilen blos nur so
beurtheilt werden, als ob ihre Möglichkeit sich auf Kunst gründe“.
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant 33
von etwas impliziert, sinnvoll.35 Zwar mag es schwerfallen, aus der Welt
der Objekte ein Beispiel für einen Zweck zu finden, der nicht auch Mittel
ist. Aber es wäre eine starke These zu behaupten, daß alles durch Inten-
tion Geschaffene auch den Charakter eines Mittels für etwas haben muß.
Gegenbeispiele (wie etwa Kunstwerke) drängen sich da auf.
Im §10 steht die Mittel/Zweck-Relation, wie sie der Begriff der
Zweckmäßigkeit bei sich führt, jedenfalls völlig im Hintergrund; hier hebt
Kant allein auf den teleologischen Aspekt ab, denn der ist es, der ihn zu
einer Zweckmäßigkeit führt, die „ohne Zweck“ ist. Die andere Bedeutung
von „Zweckmäßigkeit“ ist im weiteren Text der KU indes nicht zu
vernachlässigen. Wie im folgenden zu zeigen ist, findet die ursprüngliche
Bedeutung von „zweckmäßig“ in der KU außerhalb des §10 durchaus ihre
Anwendung. Deutlich tritt sie überall dort in Erscheinung, wo sich sinn-
voll nach dem Wofür oder dem Wozu des als zweckmäßig Bezeichneten
fragen läßt. Kant formuliert an mehreren Stellen, es sei etwas zweckmäßig
für etwas, etwa da, wo er sagt, im Falle der Schönheit sei etwas zweckmäßig
„für die Urteilskraft“ (150).36 Daß diese Zweckmäßigkeit noch spezifiziert
wird, z.B. als „subjektive“, ändert nichts daran: Hier erfolgt der Gebrauch
von „zweckmäßig“ mindestens formal analog zu dem von „nützlich“,
insofern die Relation „zweckmäßig für“ erfüllt ist.37
___________
35 Es gibt noch eine andere einstellige Verwendungsweise des Ausdrucks, wie etwa in „das
ganze Feld ihrer [der menschlichen Vernunft] zweckmäßigen Tätigkeit“ (B 128). Hier hat
das Prädikat „zweckmäßig“ die Bedeutung von „Zweckgemäßheit“ und drückt aus, daß
etwas seiner Bestimmung gemäß gebraucht wird. Von einer „Zweckmäßigkeit für etwas“
zu sprechen, ginge in diesem Kontext nur, wenn das Subjekt ausgetauscht würde (zweck-
mäßig wäre dann hier ein Tätigkeitsfeld für die menschliche Vernunft).
36 Daß Zweckmäßigkeit im Sinn einer Zuträglichkeit oder Geeignetheit von etwas für etwas
zu unterscheiden ist von „Zweckursächlichkeit“, betont insbesondere Rang („Zweck-
mäßigkeit, Zweckursächlichkeit und Ganzheitlichkeit in der organischen Natur“, S. 40ff.).
Den gerade dargestellten Sinn von „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“, der auf eine hypotheti-
sche Artefaktizität hinausläuft, will Rang aber nur für die Teleologie gelten lassen, was aber
nicht verständlich ist, da dies genau der Sinn von „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ ist, den
Kant im §10 erläutert.
37 Fricke vertritt die Auffassung, Kant verwende „Zweckmäßigkeit“ in einem insgesamt von
der Umgangssprache abweichenden Sinn (Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils, S. 75).
Nur umgangssprachlich werde mit „zweckmäßig“ ein Mittel/Zweck-Verhältnis themati-
siert. Träfe dies aber zu, dürfte die Frage nach dem Wozu der zweckmäßigen Objekte bei
Kant nicht gestellt werden, wo er sie doch selbst unentwegt stellt und auch beantwortet,
wie in Formulierungen wie „zweckmäßig für die Einbildungskraft“ oder „zweckmäßig für
die Erkenntniskräfte“ deutlich wird. Aber auch Fricke ist der Meinung, daß bei Kant eine
zweifache Bedeutung von „Zweckmäßigkeit“ auseinanderzuhalten sei: Kant verwende den
Terminus „erstens zur Bezeichnung eines tatsächlichen oder nur vermuteten Ursache-Wir-
kungs-Verhältnisses zwischen einem Begriff und dem Gegenstand dieses Begriffs, (d.h.
zwischen einer Zweckvorstellung und einem Zweck),“ – das entspräche also dem, was hier
als „abgeleitetes“ bzw. „teleologisches Verständnis von Zweckmäßigkeit bezeichnet wurde
– „und zweitens zur Bezeichnung einer formalen Eigenschaft eines Gegenstandes, der not-
wendigerweise als ein Zweck angesehen werden muß“ (ebd.). Bei letzterem kann es sich
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant 35
Kant scheint diese Frage dadurch zu beantworten, daß er die Liste der
transzendentalen Operationen des Subjekts einfach erweitert, nämlich um
den Begriff einer „reflektierenden Urteilskraft“ (die er der „bestimmenden
Urteilskraft“ gegenüberstellt). Das könnte leicht mißverstanden werden als
der Versuch, die Transzendentalität dieses Prinzips der Zweckmäßigkeit
der Natur quasi zu erschleichen durch das unmotivierte Postulat eines
weiteren Akteurs der im Subjekt angesiedelten Erkenntnisfakultäten,39 der,
weil er nicht bestimmend ist, zur Erkenntnis eigentlich nichts beizutragen
hat und daher überflüssig zu sein scheint.40 Das Prinzip der reflektieren-
den Urteilskraft darf indes nicht dahingehend mißverstanden werden, daß
es mit der empirisch vorgefundenen Wirklichkeit nichts zu tun hätte. Die-
ses Prinzip kann die reflektierende Urteilskraft nämlich nur deshalb nicht
„der Natur vorschreiben“, weil „die Reflexion über die Gesetze der Natur
sich nach der Natur, und diese sich nicht nach den Bedingungen richtet,
nach welchen wir einen in Ansehung dieser ganz zufälligen Begriff von ihr
zu erwerben trachten“ (XXVII). Statt der wirklichen Natur etwas vorzu-
schreiben, „trachtet“ die reflektierende Urteilskraft also nach etwas, das
_____________
für jede Begriffsbildung bzw. jede „besondere Erfahrung“ darstellt. Diese Stellen hängen
mit dem Mangel einer plausiblen Begriffsbildungstheorie bei Kant zusammen: Eine Theo-
rie, die Begriffsbildung auf Vergleichung von Gegenständen zurückführt, gemäß dem zu
Kants Zeiten vorherrschenden Theorem der Begriffsbildung, ist nach den transzendental-
philosophischen Grundprämissen ein Unding. Da es ein Bewußtsein von Gegenständen
erst durch Anschauung und Begriff gibt, kann für Begriffsbildung nicht eine gegebene
Pluralität von Gegenständen vorausgesetzt werden, wie es die genannte Theorie verlangt
(vgl. dazu Heller, „Kant und J.S. Beck über Anschauung und Begriff“). In der „Einleitung“
macht Kant deutlich, daß nur die in der KrV genannten Voraussetzungen für Erfahrung
notwendige Bedingungen sind.
39 Kulenkampff sieht die „Einleitung“ als den unplausiblen Versuch, die ästhetische
Zweckmäßigkeit der Natur „aus der Analyse des Begriffs der reflektierenden Urteilskraft“
herzuleiten (Kants Logik des ästhetischen Urteils, S. 66).
40 „Reflexion“, in der Jäsche-Logik neben „Comparation“ und „Abstraktion“ eines von drei
Momenten, wodurch „Begriffe ihrer Form nach erzeugt werden“ (Bd. 9, S. 94f.), steht bei
Kant oft kurzerhand für eine vergleichende Operation (wie in „logische Reflexion“, die
„bloße Komparation“ sein soll [A 262 B 318]) oder, wie zu seiner Zeit üblich (vgl. Reima-
rus, Vernunftlehre, Bd. 2, §12), für Begriffsbildung insgesamt (vgl. z.B. in Bd. 7, S. 134
Anm.). Manchmal verbindet Kant mit „Reflexion“ ausdrücklich einen Sinn von
Rückbezüglichkeit des Subjekts auf sich selbst, der darin besteht, daß Gegenstand jener
vergleichenden Operation „die subjektiven Bedingungen, [...] unter denen wir zu Begriffen
gelangen können“ (A 260 B 316), sein sollen. Im §40 der KU versteht Kant unter der
„Operation der Reflexion“ (157) die Gewinnung eines allgemeinen, übersubjektiven Stand-
punkts durch die Abstraktion von den subjektiven Bedingungen des Urteils, womit freilich
der Sinn von Rückbezüglichkeit enthalten ist, weil man dabei „auf die Eigentümlichkeiten
seiner Vorstellung [...] achthat“. „Reflektierende Urteilskraft“ ist dem Wortsinn ihrer
Definition nach (sie sucht das „Allgemeine“ zu einem gegebenen Besonderen“ [XXVI])
eine begriffsbildende Urteilskraft. Wie sich im Kontext zeigt, handelt es sich bei ihr um
eine Operation, in deren Rahmen konkretes Erkenntnismaterial in bezug auf die subjek-
tiven Bedingungen zur Bildung von Begriffen beurteilt wird, während es sich bei „bestim-
mender Urteilskraft“ um die Anwendung von Begriffen handeln muß.
38 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
sie offenbar nur faktisch auch bekommt. Obwohl das Prinzip einer
Zweckmäßigkeit der Natur somit weder ein empirischer Begriff ist, der
dieser entnommen werden kann, noch ein Begriff ist, der der Natur
oktroyiert wird, wie etwa die Kategorien, handelt es sich dabei um kein
ideelles Prinzip, sondern um eines, das mit dem faktisch Vorgefundenen
erfüllt ist oder nicht. Für die Anwendung dieses nichtempirischen Begriffs
gibt es in manchen Fällen eine Berechtigung, soll heißen: die Natur, die
das Subjekt durch Erfahrung gewinnt, ist zweckmäßig, insofern wir
Zweckmäßigkeit an ihr „antreffen“ (XXXIV) – oder auch nicht.41
Um etwas Apriorisches handelt es sich bei diesem Prinzip also nicht
etwa insofern, als dadurch Bedingungen einer Natur überhaupt formuliert
würden, sondern insofern das Subjekt immer schon, a priori, etwas „zu
erwerben trachtet“, was bedeutet, daß sich das Subjekt immer schon mit
einer gewissen Erwartungshaltung an die Erkenntnis der Natur macht
bzw. eine transzendentale Präferenz für eine zweckmäßige Natur hat. Das
Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur ist mit den Kategorien also nur
deshalb vergleichbar, weil es sich bei beiden um so etwas wie eine apriori-
sche Vorgabe handelt. Nur sind die transzendentalen Kategorien als eine
Vorgabe zu betrachten, die notwendigerweise erfüllt sein muß, damit es
überhaupt zu einer objektiv wirklichen Natur für das Subjekt kommt.
Demgegenüber wird durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur
quasi ein besonderes „Bedürfnis“ formuliert, das sich an das faktisch Vor-
gefundene anschließt und darüber hinaus geht. Es ist die Rede von einem
„Bedürfnis“ des Verstandes bzw. einer „Aufgabe“, die „a priori in unse-
rem Verstande liegt“ (XXXV). In diesem Zusammenhang von einer „Auf-
gabe“ zu sprechen, kann nicht heißen, daß der Verstand Zweckmäßigkeit
in die Natur hineinbringen will – er kann sie ihr nicht oktroyieren, er fin-
det sie vor oder nicht –, aber daß er sie wenigstens suchen muß (und inso-
___________
41 Auch in denjenigen Fällen, in denen Zweckmäßigkeit der Natur bloß unterstellt wird, ist
dies durch irgend etwas motiviert; d.h. auch in den hypothetischen Verwendungsweisen
wird dieses Prädikat bloß faktisch verliehen. In bezug auf die Einleitung zu sagen, wir
könnten „prinzipiell“ nicht wissen, ob die Natur als Ganzes zweckmäßig eingerichtet ist,
verfehlt Kants Punkt, denn entweder läßt sie sich in Gattungen und Arten spezifizieren
und auf wenige physikalische Gesetze reduzieren, oder nicht. Recki (vgl. Ästhetik der Sitten,
S. 82) schlägt hier einen Bogen von der „Einleitung“ zum § 74, wo Kant tatsächlich die
Auffassung vertritt, über die Zweckmäßigkeit der Natur könne nur gemutmaßt werden. Im
dortigen Kontext von Teleologie ist etwas Zweckmäßiges aber klarerweise ein durch
Zweckvorstellungen Hervorgebrachtes, und über die Entstehungsursache von Na-
turgegenständen kann in der Tat nur unterstellend geurteilt werden. Von Zweckmäßigkeit
im Sinn von Systematizität auf den Urheber solcher Zweckmäßigkeit zu schließen, bietet
sich freilich auch in der „Einleitung“ an vielen Stellen an; nur muß dabei klar sein, daß
dazu ein anderer Begriff von Zweckmäßigkeit zugrundegelegt wird.
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant 39
fern der Natur auch zuerst einmal, im Sinn einer Arbeitshypothese, un-
terstellen).42
Nachdem auf diese Weise nun der Status dieses Prinzips umrissen ist,
stellt sich als nächstes die Frage, was man sich unter der Zweckmäßigkeit
der Natur inhaltlich vorzustellen hat, d.h. was eine zweckmäßige von einer
nicht zweckmäßigen Natur unterscheidet. Der Unterschied besteht relativ
zu einem Anliegen der Erkenntnis, denn Kant charakterisiert die Zweck-
mäßigkeit der Natur näher als „Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnisver-
mögen“ (XXXIV). Als zweckmäßige kommt die Natur dem Anliegen der
Erkenntniskräfte entgegen durch „Einheit“ (XXVII) der vorgefundenen
Mannigfaltigkeit, durch „Faßlichkeit“ (XL) bzw. „faßliche Unterordnung
von Gattungen und Arten“ (XXXV). Dieses Anliegen ist transzendental,
was bedeutet, daß genauso, wie das Subjekt auf Wirklichkeit aus ist, es
auch in seinem Interesse ist, daß diese Wirklichkeit eine größtmögliche
Ordnung und Einheit aufweist. Und genausowenig, wie es das Subjekt in
der Hand hat, daß es etwas zu erkennen gibt, also Objekte gibt, die den
„Bedingungen von Erfahrung überhaupt“ genügen, genausowenig hängt
es von ihm ab, ob es besagte Einheit in der Natur auch wirklich gibt:
Daher wir auch, gleich als ob es ein glücklicher, unsere Absicht begünstigender
Zufall wäre, erfreut (eigentlich eines Bedürfnisses entledigt) werden, wenn wir
eine solche systematische Einheit unter bloß empirischen Gesetzen antreffen: ob
wir gleich notwendig annehmen mußten, es sei eine solche Einheit (XXXIV),
weil wir „sonst keine Naturordnung ausmachen würden“ (XXXV). Aber
___________
42 Auch wenn davon die Rede ist, daß die Urteilskraft dieses Prinzip „von der Natur präsu-
miert“ oder „an ihr voraussetzt“ bzw. daß wir es „schlechterdings annehmen“ müßten (EE,
S. 204), kann nicht gemeint sein, daß dies im selben Sinn wie bei den Kategorien geschehe.
Gemeint ist dagegen ein Prinzip für die Nachforschung, das Kant auch als „Maxime“
(XXXIV) bezeichnet (vgl. A 649 B 677). Das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur findet
sich der Sache nach auch in der „Transzendentalen Dialektik“ der KrV, wo Kant das Prin-
zip der regulativen Ideen entfaltet und von einer „Forderung der Vernunft“ nach „Einheit
der Prinzipien“ spricht (A 305 B 362). Diese Forderung bestehe, „um den Verstand mit
sich selbst in durchgängigen Zusammenhang zu bringen, so wie der Verstand das
Mannigfaltige der Anschauung unter Begriffe und dadurch jene in Verknüpfung bringt“
(ebd.). Entscheidend ist aber die folgende Einschränkung: „Aber ein solcher Grundsatz
schreibt den Objekten kein Gesetz vor, und enthält nicht den Grund der Möglichkeit, sie
als solche überhaupt zu erkennen und zu bestimmen, sondern ist bloß ein subjektives Ge-
setz der Haushaltung mit dem Vorrate unseres Verstandes, durch Vergleichung seiner Be-
griffe, den allgemeinen Gebrauch derselben auf die kleinstmögliche Zahl derselben zu
bringen, ohne daß man deswegen von den Gegenständen selbst eine solche Einhelligkeit,
die der Gemächlichkeit und Ausbreitung unseres Verstandes Vorschub tue, zu fordern,
und jener Maxime zugleich objektive Gültigkeit zu geben, berechtigt wäre“ (A 306 B
362f.). Kant formuliert also bereits in der KrV ein Prinzip, das die ökonomische
Faßlichkeit des durch den Verstand Erkannten fordert. Anders als in der KU, wo nur auf
die Einheit der Naturerkenntnis abgehoben wird, führt Kant in der KrV aber auch die
Spezifikation der Natur auf ein transzendentales Prinzip zurück (A 656ff. B 684ff.) und
spricht sogar von einem „Interesse der Mannigfaltigkeit“ (A 666 B 694).
40 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
es läßt sich wohl denken, daß ungeachtet aller der Gleichförmigkeit der Na-
turdinge, nach den allgemeinen Gesetzen, ohne welche die Form eines
Erfahrungserkenntnisses überhaupt gar nicht stattfinden würde, die spezifische
Verschiedenheit der empirischen Gesetze der Natur samt ihren Wirkungen den-
noch so groß sein könnte, daß es für unseren Verstand unmöglich wäre, in ihr
eine faßliche Ordnung zu entdecken, ihre Produkte in Gattungen und Arten ein-
zuteilen (XXXVI).
Diese Zweckmäßigkeit der Natur bzw. ihre „faßliche Ordnung“, die im-
mer nur faktisch vorgefunden wird, ist relevant für den ästhetischen
Kontext, und zwar deshalb, weil bereits hier eine Verbindung zum Phä-
nomen der Lust angelegt ist: „Die entdeckte Vereinbarkeit zweier oder
mehrerer empirischen heterogenen Naturgesetze unter einem sie beide
befassenden Prinzip“ sei „der Grund einer sehr merklichen Lust, oft sogar
einer Bewunderung, selbst einer solchen, die nicht aufhört, ob man schon
mit dem Gegenstande derselben genug bekannt ist“ (XL). Die Herleitung
dieser Lust ergibt sich aus den bisherigen Ausführungen zur „reflektieren-
den Urteilskraft“ und ihrem apriorischen Prinzip: Weil die „Zweckmä-
ßigkeit der Natur“ eine „Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnisvermögen“
darstellt, ist mit einer zweckmäßigen Natur ein „Verstandesbedürfnis“
befriedigt.43 Das „[…] Studium, ungleichartige Gesetze derselben womög-
lich unter höhere, obwohl immer noch empirische, zu bringen“, hat, „wenn
es gelingt“, zur Folge, daß wir „an dieser Einstimmung derselben für unser
Erkenntnisvermögen, die wir als bloß zufällig ansehen, Lust [...] empfin-
den“ (XL)44. Weil das Vorfinden der beschriebenen Zweckmäßigkeit Aus-
druck eines Gelingens ist, muß dies sogar Lust zur Folge haben, denn „die
Erreichung jeder Absicht45 ist mit dem Gefühle der Lust verbunden“
(XXXIX).46
___________
43 Während eine leicht spezifizierbare Natur der „Absicht“ des Verstandes entgegenkommt,
setzen die „allgemeinen Gesetze des Verstandes, welche zugleich Gesetze der Natur sind,
[...] keine Absicht mit unserem Erkenntnisvermögen“ (XXXVIII) voraus. Dies aber nur,
„weil wir nur durch dieselben von dem, was Erkenntnis der Dinge (der Natur) sei, zuerst
einen Begriff erhalten, und sie der Natur, als Objekt unserer Erkenntnis überhaupt,
notwendig zukommen“ (XXXVIIIf.). D.h. hier kann eine absichtliche Präferenz deshalb
nicht vorliegen, weil ohne diese Voraussetzung überhaupt keine Natur gewonnen werde
könnte.
44 Hervorhebung von mir.
45 Dieser Ausdruck suggeriert, die Absicht werde als Erfolg verstanden. Das Erreichte ist
aber im fraglichen Kontext nicht die Absicht, sondern die Erkenntnis.
46 Nach Kulenkampffs Ansicht enthält die Argumentation unlösbare Schwierigkeiten, wie
sich im Textanschluß zeige, wo es heißt: „und ist die Bedingung der ersteren eine Vorstel-
lung a priori, wie hier ein Prinzip für die reflektierende Urteilskraft überhaupt, so ist das
Gefühl der Lust auch durch einen Grund a priori und für jedermann gültig bestimmt, und
zwar bloß durch die Beziehung auf das Erkenntnisvermögen“ (XXXIX). Zu Recht ver-
weist Kulenkampff in Kants Logik des ästhetischen Urteils darauf, daß zwischen einer Absicht
(bzw. der Bedingung einer Absicht) und ihrem Erfolg unterschieden werden muß und daß
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant 41
nis von Schönheit in das Prinzip einer wohl geordneten Welt übersetzen,
was aber seiner eigentlichen Absicht nicht unbedingt entspricht, wie sich
bei näherem Hinsehen zeigt. Auch wenn einige Stellen suggerieren, die
Systematizität der Natur sei dasjenige, was die ästhetisch reflektierende
Urteilskraft im Fall des Schönen positiv registriere,47 nimmt er innerhalb
der bis hierhin beschriebenen „Zweckmäßigkeit für unser Er-
kenntnisvermögen“, die die Ordnung der Schöpfung als ein Beispiel für
Schönheit mit umfassen würde, noch eine Einschränkung vor, durch die
dann erst der ästhetische Bereich im eigentlichen Sinn abgesteckt wird.
Zur Erklärung des Wohlgefallens des Schönen beruft sich Kant auf eine
Zweckmäßigkeit, die innerhalb der Erkenntnistätigkeit bei der Wahrneh-
mung eines einzelnen Gegenstands auftreten soll:48
Die Zweckmäßigkeit also, die vor dem Erkenntnisse eines Objekts vorhergeht, ja
sogar, ohne die Vorstellung desselben zu einem Erkenntnis brauchen zu wollen,
gleichwohl mit ihr unmittelbar verbunden wird, ist das Subjektive derselben, was
gar kein Erkenntnisstück werden kann. Also wird der Gegenstand alsdann nur
darum zweckmäßig genannt, weil seine Vorstellung unmittelbar mit dem Gefühle
der Lust verbunden ist; und diese Vorstellung selbst ist eine ästhetische Vor-
stellung der Zweckmäßigkeit (XLIIIf.).49
Die „ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit“ ist also dadurch näher
charakterisiert, daß sie nicht von einer schon aus verschiedenen Gegen-
ständen zusammengesetzten Natur gelten kann, da fragliche Zweckmäßig-
keit „vor dem Erkenntnisse eines Objekts vorhergeht“. Das Objekt kann
nur in einem eingeschränkten Sinn als zweckmäßig bezeichnet werden: Es
___________
47 Vgl. z.B. EE, S. 232f. und L.
48 Welchen Status die Faßlichkeit der Natur im Sinn der Systematisierbarkeit ihrer einzelnen
Gesetze erhalten soll, bleibt offen. In der EE bezeichnet sie Kant als „logische Zweckmä-
ßigkeit“ der Natur, die er zurückführt auf ihre „Übereinstimmung zu den subjektiven
Bedingungen der Urtheilskraft in Ansehung des möglichen Zusammenhangs empirischer
Begriffe in dem Ganzen einer Erfahrung“ (Bd. 20, S. 217). Wenn Kant im nächsten Ab-
schnitt die Unterscheidung zwischen einem ästhetischen und einem teleologischen Re-
flexionsurteil vornimmt, hat es ganz den Anschein, daß er beide auf die zuvor abgehandelte
logische Zweckmäßigkeit zurückführen will, denn mit dieser Zweckmäßigkeit im Sinn von
Systematisierbarkeit fängt auch dieser Abschnitt an. Später (S. 232f.) grenzt Kant die Teleo-
logie auf den Bereich ein, der sich mit der Frage der Entstehungsursache von Dingen be-
schäftigt, während er die Zweckmäßigkeit, die mit der „Idee einer Erfahrung, als Systems“
zusammenhängt, dem Bereich der Ästhetik zuweist. Die „Idee einer Erfahrung, als (eines)
Systems“ enthalte das Prinzip einer „formalen Zweckmäßigkeit der Natur für unsere
Urteilskraft“, das Kant dort so beschreibt: „Die Natur stimmt nothwendiger Weise nicht
blos in Ansehung ihrer transzendentalen Gesetze mit unserem Verstande, sondern auch in
ihren empirischen Gesetzen mit der Urtheilskraft und ihrem Vermögen der Darstellung
derselben in einer empirischen Auffassung ihrer Formen durch die Einbildungskraft,
zusammen“ (S. 233).
49 In der EE bestimmt Kant den Ort des ästhetischen Urteils allerdings als das Stadium der
Erkenntnistätigkeit „ehe noch auf die Vergleichung [eines einzelnen Gegenstands] mit an-
dern gesehen wird“ (Bd. 20, S. 223).
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant 43
ist „nur darum“ zweckmäßig, weil seine Vorstellung mit dem Gefühl der
Lust verbunden ist. Sie ist es „unmittelbar“, was bedeutet, nicht vermittelt
durch das, als was der Gegenstand erkannt wird, also durch einen Begriff.
Wenn mit der bloßen Auffassung (apprehensio) der Form eines Gegenstandes
der Anschauung, ohne Beziehung derselben auf einen Begriff zu einem bestimm-
ten Erkenntnis, Lust verbunden ist: so wird die Vorstellung dadurch nicht auf das
Objekt, sondern lediglich auf das Subjekt bezogen; und die Lust kann nichts
anderes als die Angemessenheit desselben zu den Erkenntnisvermögen, die in der
reflektierenden Urteilskraft im Spiel sind, und sofern sie darin sind, also bloß eine
subjektive formale Zweckmäßigkeit des Objekts ausdrücken (XLIV).
Zweckmäßig ist das Objekt nur in einem subjektiven Sinn, denn die
Zweckmäßigkeit wird durch eine Lust kenntlich. Die ästhetische Lust ist
unmittelbarer Ausdruck einer Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnisver-
mögen, weil ihr Grund „die Angemessenheit“ des Objekts (bzw. seiner
Form) zu den aktual tätigen Erkenntniskräften ist. Dieser Grund liegt
nicht im Resultat der Erkenntnistätigkeit, nämlich in der Bestimmung des
Gegenstandes durch diesen oder jenen Begriff, sondern wirkt sich inner-
halb des Prozesses aus, der die begriffliche Bestimmung des Gegenstands
zu leisten hat.
Zweckmäßig gestaltet sich insbesondere der Prozeß der Auffassung
der Form des Gegenstandes, denn „jene Auffassung der Formen in die
Einbildungskraft kann niemals geschehen, ohne daß die reflektierende
Urteilskraft, auch unabsichtlich, sie wenigstens mit ihrem Vermögen, An-
schauungen auf Begriffe zu beziehen, vergliche“ (XLIV). Im ästhetischen
Sinn ist also ein Gegenstand zweckmäßig, wenn seine Form die Aufgabe,
„Anschauungen auf Begriffe zu beziehen“, erleichtert und damit einem
apriorischen „Bedürfnis“ des Subjekts entgegenkommt bzw. etwas
Zweckmäßiges „zu Bestimmung seiner Form an sich“ hat.50 Die Beur-
teilung eines Gegenstandes als schön, die das entsprechende Wohlgefallen
zum Ausdruck bringt, kann „mit Recht Anspruch auf jedermanns Bei-
stimmung“ machen,
weil der Grund zu dieser Lust in der allgemeinen, obzwar subjektiven Bedingung
der reflektierenden Urteile, nämlich der zweckmäßigen Übereinstimmung eines
Gegenstandes [...] mit dem Verhältnis der Erkenntnisvermögen unter sich, die zu
jedem empirischen Erkenntnis erfordert werden [...], angetroffen wird (XLVII).
Die Begründung für den Sonderstatus dieser Lust fußt, wie gezeigt wor-
den ist, letztlich auf der Apriorität jenes Prinzips der reflektierenden Ur-
teilskraft, das seinerseits nichts anderes ist als ein apriorisches „Bedürfnis“
der Erkenntnisvermögen, das zu den transzendentalen Bedingungen der
Erfahrung noch hinzutritt. Das ist aber nicht ohne weiteres zu verstehen:
___________
50 EE, S. 249.
44 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Es stellt sich nämlich die Frage, ob sich mit den notwendigen Bedingun-
gen für Erfahrung der Umfang dieser Vorgaben nicht auch schon er-
schöpfen muß. Denn wenn es dem Subjekt um Erkenntnis geht, dann
müßte ihm konsequenterweise alles recht sein, was es an Objektiv-Wirkli-
chem auch bekommt – eben schon dadurch, daß es etwas Wirkliches zum
Gegenstand erhält, müßte das Subjekt sein Ziel erreicht haben. „Wenn
man uns sagt, eine tiefere oder ausgebreitetere Kenntnis der Natur durch
Beobachtung müsse zuletzt auf eine Mannigfaltigkeit von Gesetzen sto-
ßen, die kein menschlicher Verstand auf ein Prinzip zurückführen kann“,
soll gelten, daß „wir es auch zufrieden sind“ (XLI). Damit kann Kant nur
meinen, daß wir mit einer solchen Natur zufrieden sein können, sofern sie
eine objektiv-erkannte ist – und es Erkenntnis zunächst einmal nur um
Objektivität überhaupt gehen kann und nicht um eine bestimmte. Aber
entscheidende Bedeutung in der „Einleitung“ zur KU hat das unmittelbar
darauffolgende Eingeständnis, daß
wir es gleich lieber hören, wenn andere uns Hoffnung geben, daß, je mehr wir die
Natur im Inneren kennen würden, [...] wir sie in ihren Prinzipien um desto
einfacher und bei der scheinbaren Heterogenität ihrer empirischen Gesetze
einhelliger finden würden, je weiter unsere Erfahrung fortschritte (ebd.).
Das bedeutet, daß das Anliegen des Subjekts über bloße Objektivität
hinausgeht, denn eine systematisierbare und leicht auffaßbare Natur ist in
keiner Weise „objektiver“ als ein reines Chaos, sofern auch dieses aus
wirklichen Objekten besteht.
Daß eine wohl systematisierbare und leicht auffaßbare Natur einem
genuinen Anliegen der Erkenntnis entspricht, mag nun unmittelbar ein-
leuchten. Die Plausibilität dieser Auffassung muß aber zum Anlaß werden,
naive Vorstellungen von Erkenntnis im Sinne Kants zu hinterfragen: Er-
kennen als das Auf- oder Entgegennehmen dessen, „was ist“, kann keine
Präferenzen bezüglich des erkennend Vorgefundenen haben. Sie ist
bezüglich des Erkannten indifferent, ihr Ziel ist mit jedweder Wirklichkeit
erreicht. Dagegen steht die These, daß das in Erkenntnis begriffene Sub-
jekt immer schon mit Präferenzen auf objektive Wirklichkeit ausgeht, und
zwar nicht nur im Sinn inhaltlicher Präferenzen, die etwa durch naturale
Neigungen und Bedürfnisse konstituiert würden, sondern auch in forma-
ler Hinsicht. Die von Kant beschworene „Einheit“ der Natur in ihren
Gattungen und Arten bzw. in ihren Gesetzen wie auch die „Faßlichkeit“
dessen, was dem Subjekt anschaulich gegeben wird, sind Ausdruck for-
maler Präferenzen. Das gilt auch für die Zweckmäßigkeit, die sich „vor
der Erkenntnis“ bemerkbar machen soll.
Das „transzendentale Prinzip“, das diese Präferenz des Subjekts
begründen soll, wird von Kant nicht eigens hergeleitet. Es ist aber offen-
sichtlich, daß mit ihm kein zu vernachlässigender Seitenaspekt, sondern
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant 45
ein zentraler Impetus seines Ansatzes zur Sprache kommt. Erkennen gibt
es nicht jeweils als sinnliches und intellektuelles, sondern nie ohne Spon-
taneität, ohne aktives Ausgehen des Subjekts auf Anderes seiner selbst –
das ist schließlich die These, mit der Kant gegen die Tradition antritt. Sie
soll auch schon für die sinnliche Wahrnehmung von Objekten gelten. Daß
sich in der KU die Referenzen auf dergleichen wie „Absicht“, „Interesse“,
„Zwecke“ oder „Zweckmäßigkeit“ auch in Kontexten, in denen von
unmittelbarer empirischer Erkenntnis die Rede ist, häufen, ist nicht als
figurativer Sprachgebrauch zu werten, sondern als Konsequenz der maß-
geblichen Besonderheit von Kants erkenntnistheoretischem Ansatz. Diese
praktizistische Tendenz51 verdient bei der Beschäftigung mit seiner Theo-
rie des interesselosen Wohlgefallens besonderes Augenmerk, denn fest
steht: Wie immer Kant sich die Erkenntnis eines empirischen Objekts im
Detail vorstellen mag – um ein passiv-theoretizistisches Entgegennehmen
dessen, „was ist“, handelt es sich dabei nicht.52 Nur vor dem Hintergrund
dieser praktizistischen Tendenz bei Kant wird der Begriff der Zweckmä-
ßigkeit im ästhetischen Kontext wirklich interessant.
Von Zweckmäßigkeit in der hier relevanten Bedeutung, die Kant in
der „Einleitung“ „ästhetisch“ nennt, die aber, weil es sich um eine
Zweckmäßigkeit „für etwas“ handelt und die somit ihre Grundstruktur
mit der praktischen Zweckmäßigkeit teilt, hebt Kant in der „Einleitung“
später eine „logische Vorstellung der Zweckmäßigkeit“ (XLVIII) ab. Eine
logische bzw. „objektive“ (L) Zweckmäßigkeit einem Ding zuzusprechen,
heißt, die „Übereinstimmung seiner Form mit der Möglichkeit des Dinges
selbst, nach einem Begriffe von ihm“, also etwas über die Art seiner Ent-
stehungsursache zu behaupten. Da diese „ein Begriff“ sein soll, ist ein in
diesem Sinn zweckmäßig genannter Gegenstand ein Artefakt. Diese
Bedeutung von Zweckmäßigkeit, die man auch teleologisch nennen kann,
hat „nichts mit einem Gefühle der Lust an den Dingen, sondern mit dem
Verstande in Beurteilung derselben zu tun“ (XLIX). Es handelt sich also
um eine „logische Zweckmäßigkeit“, weil sie den Aspekt der Wertschät-
zung und Präferenz, wie bei der anderen Bedeutung von Zweckmäßigkeit
immer mit im Spiel, nicht enthält.
___________
51 Daß das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur über das Feld der Erkenntnistheorie
hinaus in den Bereich der Praxis weist, sieht besonders klar z.B. Recki in Ästhetik der Sitten,
S. 73ff. Anders als sie möchte ich die praktischen Implikationen der KU aber in einem
diesseits von Moralphilosophie angesiedelten Bereich untersuchen, dem einer mo-
ralneutralen Handlungstheorie, die Kant sich freilich nicht annähernd so detailliert zum
Thema gemacht hat wie Moral.
52 Vgl. dazu Dörflinger, Das Leben theoretischer Vernunft, z.B. S. 35ff.
46 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
___________
53 Im Haupttext der KU isoliert Kant erst im §63 Zweckmäßigkeit im Sinn von bloßer Nütz-
lichkeit von jener Zweckmäßigkeit, bei der „ein Verhältnis der Ursache zur Wirkung zu
beurteilen ist“ (279). Daß Kant im Verlauf seiner Arbeit die Geschmackskritik um eine
Teleologie erweitert, ist also nicht als „shift in focus“ hin zu einem bisher nicht vertretenen
teleologischen Aspekt zu verstehen (so Crawford, „The Sublime in Kant’s Aesthetic
Theory“, S. 179), sondern im Sinne einer Trennung zweier bis dahin zusammengedachter
Aspekte.
54 Die Unterscheidung zwischen subjektivem und objektivem Zweck im §11 ist zunächst
unverständlich, weil Kant unter der „Vorstellung eines objektiven Zwecks“ einen „Begriff
des Guten“ (34) versteht, unter dem subjektiven aber einen „Zweck, wenn er als Grund
des Wohlgefallens angesehen wird“ – und das kann der Zweck im Sinn des Begriffs des
Guten ja auch sein. In seinem Bemühen, den Begriff der Zweckmäßigkeit auf die Ergeb-
nisse der vorangegangenen Abschnitte der „Analytik“ rückzubeziehen, scheint Kant „sub-
jektive“ und „objektive“ Zweckmäßigkeit hier im §11 mit dem Angenehmen und dem
Guten zu korrelieren (vgl. Stolzenberg, „Das freie Spiel der Erkenntniskräfte“, S. 16).
Zumindest wird weiter unten, wenn abermals vom Begriff des Guten die Rede ist (und die-
ser dort mit Vollkommenheit gleichgesetzt wird), das Angenehme als das zweite
nichtästhetische Prinzip angeführt (35).
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant 47
des Gegenstandes beruft, im Sinn eines bloßen Als-ob, ohne die Zweck-
entstandenheit des Dings zu behaupten.
Diese „bloße Form der Zweckmäßigkeit“ bzw. „Zweckmäßigkeit der
Form nach“ kann laut §10 „nicht anders als durch Reflexion“ (34) be-
merkt werden. Das gilt von der teleologischen Zweckmäßigkeit, die Kant
in der „Einleitung“ von der ästhetischen klar abhebt, aber genauso. Denn
diese beschreibt er dort als „Übereinstimmung seiner [des Gegenstands]
Form mit der Möglichkeit des Dinges selbst, nach einem Begriffe von
ihm, der vorhergeht und den Grund dieser Form enthält“ (XLVIIIf.), und
diese Übereinstimmung wird von einer „reflektierenden, nicht Objekte
bestimmenden Urteilskraft“ (LII) ermittelt.55
Wie eng dasjenige, was gemäß „Einleitung“ als „ästhetische“ und „te-
leologische“ Zweckmäßigkeit auseinanderzuhalten ist, in der AS zu-
sammengedacht wird, zeigt sich auch im §15, wo Kant die ästhetische
Zweckmäßigkeit der „objektiven“ Zweckmäßigkeit, die er in „Nütz-
lichkeit“ (die praktische Zweckmäßigkeit) und „Vollkommenheit“ unter-
teilt, gegenüberstellt. In diesem Paragraphen versteht er objektive
Zweckmäßigkeit auch als das Prinzip, daß einem Ding „der Begriff von
diesem, was es für ein Ding sein solle“ (46), „vorangehe“. Unter „Zweck“
versteht er in diesem Zusammenhang dasjenige, „dessen Begriff als der
Grund der Möglichkeit eines Gegenstandes selbst angesehen werden
kann“ (45). Das ist genau die Beschreibung einer nichtästhetischen
Zweckmäßigkeit, die nicht nur der Form nach bestehen soll, wie sie Kant
auch im §10 gegeben hat. Wenn er nun weiter unten im §15 die ästheti-
sche Zweckmäßigkeit in Abhebung davon dadurch gegeben sieht, daß sie
„durch die bloße Form gegeben wird“ (46), dann entspricht das genau
demjenigen Schritt, den er im §10 gemacht hat, um die ästhetische
___________
55 Es könnte den Anschein haben, daß die „Zweckmäßigkeit der Form nach“ des §10 von der
teleologischen der „Einleitung“ verschieden ist, weil letztere „nach Begriffen“ (LII) ermit-
telt wird. Aber dieser Eindruck täuscht, denn wenn mit „Begriff“ hier die Ursache eines
Dings gemeint sein soll („der Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der
Wirklichkeit dieses Objekts enthält“, sei der „Zweck“ [XXVIII]), dann ist jene am Ende
der „Einleitung“ beschriebene Zweckmäßigkeit genauso „begrifflos“ wie die im §10
beschriebene „Zweckmäßigkeit der Form“ nach. Denn auch im Fall von Teleologie soll
eine Zweckursache bzw. Begriffsursache nicht behauptet, sondern nur im Sinne einer
Analogie zur Erklärung der Form des Gegenstandes diesem beigelegt werden. Kulenkampff
versteht den letzten Satz des §10 als Abgrenzung der ästhetischen Zweckmäßigkeit von der
teleologischen, die Kant im Satz davor behandelt habe (vgl. „Der Schlüssel zur Kritik des
Geschmacks“, S. 37f.); die eigentlich ästhetische sei dadurch charakterisiert, daß sie nur
durch Reflexion bemerkt werde. Aber er übersieht, daß auch die teleologische Zweck-
mäßigkeit ein Gegenstand der reflektierenden, nicht der bestimmenden Urteilskraft sein
soll (vgl. LII). Im §10 wie überhaupt in der gesamten AS gibt es die Unterscheidung
zwischen ästhetischer und teleologischer Zweckmäßigkeit noch nicht.
48 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
_____________
des §82, wo Kant als Minimalbedingung für dergleichen wie ein Mittel/Zweck-Verhältnis
Naturzwecke ansetzt (S. 379f.), etwas also, das „mit dem bloßen Begriffe einer Natur, ohne
ihr einen Zweck unterzulegen, [...] nicht begriffen werden kann“(S. 286), und bei dem der
„Zweck der Existenz [...] in ihm selbst“ oder „außer ihm in anderen Naturwesen“ (381f.)
liegen müsse, was bedeutet, daß es dann „nicht als Endzweck, sondern notwendig zugleich
als Mittel“ existiere. In solchen Kontexten ist „Zweck“ nicht (nur) als „Zweckursache“ zu
verstehen, sondern als der Zweck der Mittel/Zweck-Relation.
61 Genau darin besteht ein Fehler zahlreicher Versuche, einen kohärenten Sinn von
„Zweckmäßigkeit“ zu finden, weil sie die Gattung zur „hypothetischen“ und eigentlichen
Zweckmäßigkeit suchen müßten, dies aber nicht tun (siehe oben, Anm. 37).
62 Zweckmäßigkeit im Sinn einer Zweckmäßigkeit von etwas zu/für etwas ganz „auf der
Ebene des Objekts“ konstruiert, wie bei Kulenkampff (Kants Logik des ästhetischen Urteils, S.
228), kann es also nicht geben, oder besser gesagt: nur so, daß sich das Subjekt ein anderes
Subjekt vorstellen muß, das als möglicher Nutznießer in Frage kommt. Was Kulenkampff
hier wohl im Blick hat, ist aber etwas ganz anderes: Er will Zweckmäßigkeit qua Or-
ganisiertheit als diejenige Zweckmäßigkeit fassen, die nicht eine Zweckmäßigkeit „der Na-
tur für das urteilende Subjekt“ ist. Das ändert nichts daran, daß es sich dabei um eine
praktische Zweckmäßigkeit handelt, denn die Mittel/Zweck-Relation im Rahmen von Or-
ganisiertheit ist eine praktische, für die es ein nutznießendes Subjekt geben muß. Die Er-
kenntnis einer solchen Zweckmäßigkeit wäre, wenn es sich dabei nicht doch um eine
Zweckmäßigkeit für das urteilende Subjekt handeln soll, als solche wohl tatsächlich nicht
mit Lust verbunden.
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant 51
auf gewisse Weise strukturierte Natur zu nennen, obwohl sie das nicht in
bezug auf ein praktisches Bedürfnis sind. Eine praktische Zweckmäßigkeit
liegt dagegen bei Objekten wie z.B. Messern und Tischen vor, aber auch
im Zusammenhang mit Kants Beispiel eines Stückes Holz, das als „Hebe-
baum“ verwendet werden kann.63 Fragt man bei solchen Dingen nach
dem Wozu ihrer Zweckmäßigkeit, erwartet man Antworten wie „Nah-
rungsaufnahme“ oder „Heben von Lasten“, also inhaltlich bestimmte
Zwecke. Dagegen wird durch das Prinzip der Sparsamkeit der Formen in
der Natur offensichtlich einem formalen Anliegen des Subjekts entspro-
chen, was Kant als „Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnisvermögen“
bezeichnet. Innerhalb der „formalen Zweckmäßigkeit“ muß aber eine
weitere Spezifikation durchgeführt werden, weil nur ein Teilbereich davon
die ästhetische Zweckmäßigkeit ausmacht, denn diese soll sich innerhalb
der sinnlichen Erkenntnis einzelner Gegenstände bemerkbar machen,64
während mit der Zweckmäßigkeit der systematisch erfaßbaren Natur nicht
die ästhetische Zweckmäßigkeit gemeint zu sein scheint.
Beim Begriff der Zweckmäßigkeit im Sinn von Artefaktizität ist die Si-
tuation eine andere: Da ihr nicht die Struktur „zweckmäßig für/zu“
zugrunde liegt, sondern hier die Art der Verursachtheit von etwas durch
etwas zum Ausdruck kommt, kann die Spezifikation nicht hinsichtlich des
Zwecks eines Gegenstands, sondern nur hinsichtlich seiner Ursache erfol-
gen. Die muß indes in jedem Fall ein Subjekt sein. Es gibt einen einzigen
Unterschied hinsichtlich des verursachenden Subjekts, der für eine Spezi-
fikation des Artefaktbegriffs relevant sein könnte: Das Subjekt kann einer-
seits etwas anderes als das Artefakt sein, andererseits aber auch mit diesem
(in irgendeinem zu klärenden Sinn) identisch. Unter ersteres fallen Arte-
fakte im üblichen Sinn wie Stühle und Tische, letzteres wäre die Um-
schreibung für das, was Kant „Naturzweck“ nennt, solches also, das Or-
ganisiertheit, genauer: Selbstorganisiertheit aufweist. Während die Wirk-
lichkeit von ersterem nicht in Frage steht, ist es die von letzterem
durchaus, denn diese Struktur von einem Objekt der Natur auszusagen,
bedeutet, ihm Subjektivität zu unterstellen.
Es ergibt sich folgendes Schaubild, das die angeführten Differenzie-
rungen des Zweckmäßigkeitsbegriffs aufnehmen soll:
___________
63 EE, Bd. 20, S. 219.
64 Natürlich gestattet diese Differenzierung, daß auch ein Ensemble von Naturgegenständen
als schön beurteilt wird, weil das Wohlgefallen dann die Gesamtform der sich den Sinnen
darbietenden Naturgegenstände betrifft, nicht aber die begriffliche Systematisierbarkeit der
verschiedenen wahrgenommenen Objekte.
52 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
weil im Sinn von inhaltlicher Nützlichkeit etwas nur durch seinen Inhalt,
aber nie durch seine Form nützlich wird. Es könnte aber einen formalen
Grund dafür geben, von Nützlichkeit zu sprechen, und dieser wäre glei-
chermaßen ein formaler Grund, auf Artefaktizität zu schließen.69
Den Ausdruck „bloße Form der Zweckmäßigkeit“ auf den Fall Ia
anzuwenden, ist offenbar schwierig (darin ist die Formalität der Zweck-
mäßigkeit schon beinhaltet), wenn er nicht einfach eine andere Formulie-
rung von „formaler Zweckmäßigkeit“ darstellen soll. Weil die „Form der
Zweckmäßigkeit“ nicht so etwas sein kann wie „Tischform“ oder „Kreis-
form“ – das wäre Inhalt – muß es sich hier um eine Form höherer Ord-
nung handeln, um etwas also, das nützliche Formen von nicht nützlichen
Formen unterscheidet, und das, wenn es dies gäbe, auch als Grundlage für
die Bestimmung von etwas als Artefakt dienen könnte. Ob dergleichen
anzusetzen sinnvoll ist, muß sich im weiteren Verlauf klären.
Kant mag Zweckmäßigkeit im Sinn von Nützlichkeit und Artefaktizi-
tät am Anfang seiner ästhetischen Konzeption gleichermaßen im Blick
gehabt haben, und zwar zu einem Zeitpunkt, als er offensichtlich noch gar
nicht daran dachte, eine von der Ästhetik gesonderte Teleologie zu verfas-
sen. Wenn er aber dasjenige, was hier als „Nützlichkeit“ und „Artefaktizi-
tät“ auseinandergehalten wird, offenbar immer zusammendenkt bzw.
beim einen schnell aufs andere zu sprechen kommt, darf mit Blick auf die
Ästhetik ein entscheidender Punkt nicht vergessen werden, und dieser
Punkt ist auch der Grund, warum die Trennung von „Nützlichkeit“ und
„Artefaktizität“ hilfreich ist, um den Überblick über die systematischen
Fäden der KU zu behalten: Für den ästhetischen Kontext ist entschei-
dend, daß nur die linke Seite des obigen Schaubilds einen Zweckmäßig-
keitsbegriff zugrundelegt, der unmittelbar zur Erklärung einer Lust in
Frage kommt. Bei Vorliegen von „Zweckmäßigkeit“ im Sinn von Arte-
faktizität müßte, wie schon angedeutet, eine Erklärung für so etwas wie
ein Wohlgefallen erst noch geleistet werden. Wie ein ästhetisches Ver-
ständnis der Formel „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ mit der Bedeutung
___________
69 Von der Nützlichkeit eines Steins, auf dem man etwas zerschlagen oder bauen kann, auf
dessen Artefaktizität zu schließen, sei nicht zulässig; bei einem Auge, das zum Sehen taug-
lich ist, dagegen wohl. Es sei nämlich „in der Form und in dem Bau desselben eine
Nothwendigkeit, auf gewisse Weise gebildet zu sein“ (EE, Bd. 20, S. 240; – vgl. auch Bd.
20, S. 217, wo es heißt, „Erden, Steine, Mineralien“ seien „ohne alle zweckmäßige Form“ ).
Das Formale, das zum Schluß auf Artefaktizität berechtigt, kann aber nicht einfach als
„Organisiertheit“ bezeichnet werden, sondern muß schon von den einzelnen Teilen des or-
ganisch Zusammenstimmenden gelten, da bereits die Form der „Crystallinse im Auge“
(236), die Kant zuvor behandelt hat, den entscheidenden Unterschied etwa zum Stein auf-
weist. Zur Antwort auf die Frage, wie sich dieses Formale näher charakterisieren läßt, siehe
unten, S. 81f.
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant 55
bestimmter Gegenstand ist durch den Sachgehalt „Tisch“, also eben durch
seine „Bestimmung“ als Tisch, zweckmäßig zu seinem Gebrauch. Auf die
naheliegende Frage, aufgrund wovon ein Gegenstand sonst Anlaß für ein
Wohlgefallen sein könnte, ist der Formbegriff nun die Antwort. Anlaß für
das ästhetische Wohlgefallen ist die Zweckmäßigkeit, die nicht durch den
Inhalt des Gegenstands konstituiert wird, sondern durch seine Form.
Da die Zweckmäßigkeit der Form „in der Vorstellung, wodurch uns
ein Gegenstand gegeben wird“ (35) zum Tragen kommen soll, liegt fragliche
Zweckmäßigkeit also offenbar nicht beim Objekt, sofern es erkannt wer-
den kann. Die Zweckmäßigkeit der Form soll sich erweisen, noch bevor
der Gegenstand durch diesen oder jenen Begriff bestimmt ist. In der
„Einleitung“ spricht Kant entsprechend auch von einer „Zweckmäßigkeit
[...], die vor dem Erkenntnisse eines Objekts vorhergeht“ (XLIII). Die
Antwort auf die Frage, was in diesem Zusammenhang das Zweckmäßige
ist – wenn nicht das Objekt – ergibt sich in der „Einleitung“ aus folgender
Textpassage: „Wenn mit der bloßen Auffassung (apprehensio) der Form
eines Gegenstandes der Anschauung, ohne Beziehung derselben auf einen
Begriff zu einem bestimmten Erkenntnis, Lust verbunden ist: so wird die
Vorstellung dadurch nicht auf das Objekt, sondern lediglich auf das Sub-
jekt bezogen“ (XLIV); die Lust drücke demnach „nichts anderes als die
Angemessenheit desselben zu den Erkenntnisvermögen“ (ebd.) aus. Mit
„desselben“ kann Kant hier zwar nur das Objekt meinen, doch ist das
eigentlich Zweckmäßige etwas Subjektives, bloße Form, die sich zur „Ab-
sicht“ ihrer Auffassung als zweckmäßig erweist.
Um zu verdeutlichen, warum diese Zweckmäßigkeit, obwohl sie eine
Hinsicht, also ein Wofür hat, nichtpraktisch bzw. „ohne Zweck“ ist, sei
noch einmal auf die schon erwähnten Passagen aus der „Einleitung“ ver-
wiesen: Diese Zweckmäßigkeit ist interesselos, weil ihr „Zweck“ bzw. die
dahinterstehende „Absicht“ zur Erkenntnis gehört. Die im fraglichen
Kontext auftretende Lust kommt „bloß durch die Beziehung des Objekts
auf das Erkenntnisvermögen“ zustande, und „ohne daß der Begriff der
Zweckmäßigkeit hier im mindesten auf das Begehrungsvermögen Rück-
sicht nimmt“ (XXXIX). Deshalb kommt Kant zu dem Schluß, daß sich
die in diesem Zusammenhang auftretende Zweckmäßigkeit „also von aller
praktischen Zweckmäßigkeit der Natur gänzlich unterscheidet“ (ebd.). Sie
ist jeglicher praktischen Zweckmäßigkeit vorgeordnet.
58 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
___________
73 Vgl. Baumgarten, Aesthetica, §14ff.; G. Fr. Meier, Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, §1.
Mit der Ablehnung des Vollkommenheitsbegriffs distanziert sich Kant insbesondere auch
von eigenen früheren Ansichten, denn er hat im ästhetischen Kontext auf den Vollkom-
menheitsbegriff bis zur KU immer wieder gerne zurückgegriffen; auch in nach 1788 datier-
ten Vorlesungsmitschriften tauchen noch Reste des alten Vollkommenheitsbegriffs in
ästhetischen Zusammenhängen auf, ohne daß sie dort kritisiert würden (vgl. Bd. 24, S. 514
und 705).
B. Die Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit und ihre Schwierigkeiten 59
(welcher die Regel der Verbindung desselben an ihm gibt)“, sei die Voll-
kommenheit eines Dinges (45). Diese Zusammenstimmung des Dinges zu
dem, was es sein soll, also zu seinem Begriff, laufe auf eine vorbildliche
Entsprechung des Dings zu seinem Zweck hinaus – ganz wie im Fall der
Nützlichkeit. In beiden Fällen „bedürfen wir jederzeit den Begriff eines
Zwecks“ (ebd.).
Das Schöne soll dagegen „durch keinen Begriff eines Zwecks ge-
dacht“ (46) werden. Anders als dem Vollkommenen liege dem Schönen
eine formale Zweckmäßigkeit zugrunde; Schönheit werde durch eine
„bloße Form“ konstituiert. Demnach lautet also der Einwand gegen das
Prinzip der Vollkommenheit, dabei handele es sich um etwas Inhaltliches;
eine Auszeichnung eines Dinges durch das Prädikat „vollkommen“ sei als
Ausdruck einer inhaltlichen Präferenz zu verstehen. Das muß man sich so
zurechtlegen, daß auch das Wohlgefallen an etwas Vollkommenem
letztlich darauf beruhen soll, ob das Ding als dieses oder jenes bestimmt
wird. Dies zwar nicht direkt, wie im Fall der Nützlichkeit, aber wenigstens
indirekt, weil jeder Begriff am Ende den Zweck einer Sache zum Aus-
druck bringt; und erst mit Blick auf diesen Zweck erhält das Prädikat
„vollkommen“ seinen positiv-wertenden Gehalt. Der Unterschied zwi-
schen Vollkommenheit und Schönheit bestehe darin, so Kant, daß letztere
eine Zusammenstimmung des Mannigfaltigen im Ding ohne Wofür, also
nicht zu einem bestimmten Zweck sei, nämlich die „Zusammenstimmung
des Mannigfaltigen zu Einem (unbestimmt, was es sein solle)“ (45). An-
ders als beim Schönen werde bei der Beurteilung der Vollkommenheit
einer Sache nicht vom Zweck dieses Objekts „abstrahiert“ (46). Daß ein
vollkommenes Objekt letztlich in Bezug auf einen bestimmten Zweck
gefällt, illustriert Kant am Beispiel einer kreisrunden Waldlichtung:
Wie z.B., wenn ich im Walde einen Rasenplatz antreffe, um welchen die Bäume
im Zirkel stehen, und ich mir dabei nicht einen Zweck, nämlich daß er etwa zum
ländlichen Tanz dienen solle, vorstelle, nicht der mindeste Begriff von Vollkom-
menheit durch die bloße Form gegeben wird (46).
In diesem Kontext fallen nun wertvolle Formulierungen zur Charakterisie-
rung des ästhetischen Wohlgefallens und der formalen Zweckmäßigkeit,
die ihm zugrundeliegen soll, weil Kant hier nicht nur andeutet, was
Schönheit negativ von Vollkommenheit unterscheiden soll (die fehlende
Hinsicht auf einen Begriff bzw. Zweck vom Gegenstand), sondern dar-
über hinaus positiv angibt, was übrigbleibt, wenn von einem bestimmten
Zweck des Gegenstands abstrahiert bzw. abgesehen wird: Die bei Abse-
hen von einem Zweck zurückbleibende ästhetische Zweckmäßigkeit sei
nämlich „nichts als die subjektive Zweckmäßigkeit [...] des Vorstellungszu-
standes im Subjekt, und in diesem eine Behaglichkeit desselben, eine ge-
gebene Form in die Einbildungskraft aufzufassen“ (46).
60 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
einem anderen Sinn sehr wohl etwas als zweckmäßig zu etwas erweist,
aber nur in einem theoretischen Sinn, indem etwas („eine gegebene Form“)
zweckmäßig ist für einen theoretischen Zweck, bzw. einen Zweck, wie er
sich im Zusammenhang mit der Aufgabe der Erkenntniskräfte ergibt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang das Beispiel der runden
Waldlichtung, bei dem zu klären ist, wofür es stehen soll. Einiges deutet
darauf hin, daß Kant hier ein Beispiel für etwas Schönes nennt. So hat er
im selben Absatz kurz zuvor ausgeführt, beim Schönen müsse von seinem
Zweck „abstrahiert“ werden, und was das bedeuten soll, ließe sich anhand
der kreisrunden Waldlichtung illustrieren: Wenn ich mir „dabei nicht ei-
nen Zweck [...] vorstelle“ (46), etwa den bestimmten Zweck eines „ländli-
chen Tanzes“, wird „durch die bloße Form“ nicht „der mindeste Begriff
von Vollkommenheit gegeben“ (ebd.). Zwischen der Kreisform und ei-
nem „ländlichen Tanz“ besteht nicht immer schon ein Zusammenhang,
man kann hier also von einem solchen bestimmten Zweck auch absehen.
Und abstrahiert man nun bei einem kreisrunden Naturobjekt von jegli-
chem bestimmten Zweck, scheint durchaus etwas übrigzubleiben, das in
irgendeiner Weise bemerkenswert ist: die runde Form, die ein solches
Objekt von anderen Naturgegenständen abhebt. In einer Vorlesung, in
der Kant auf das Beispiel eines „Amphitheaters im Walde“ zu sprechen
kommt, hebt er dessen Besonderheit durch den Hinweis hervor, daß „es
kunst zu seyn scheint“, also Artefakt zu sein scheint.74 Dieser Anschein
muß in einer formalen Besonderheit gründen – der Kreisform.
Was bei einem kreisrunden Objekt wie der Waldlichtung bei Absehen
von jeglichem Zweck übrigbleibt, paßt zudem gut zu der Beschreibung,
wonach das ästhetisch wohlgefallende Objekt auf die „Zusammenstim-
mung des Mannigfaltigen zu Einem (unbestimmt, was es sein solle)“ (45)
zurückzuführen sei. Die Kreisform ist ein vorbildliches Beispiel dafür, wie
Einheit in einem Mannigfaltigen der Anschauung auftreten kann: Alle
Punkte auf der Kreislinie haben gemeinsam, daß sie den gleichen Abstand
zu einem bestimmten Punkt aufweisen. Es ist naheliegend, daß eine solche
Form den Erkenntniskräften bei der Aufgabe ihrer Auffassung entgegen-
kommt und sich damit für diese als besonders „behaglich“ erweist. Und
diese formale Besonderheit ist nicht gleich mit bestimmten praktischen
Zwecken in Verbindung zu bringen.
Denkbar wäre allerdings auch, daß das Beispiel der Lichtung im §15
nicht für ein schönes Objekt stehen soll, sondern lediglich als negatives
Beispiel für etwas dient, von dem unter Absehen von einem bestimmten
Zweck keine Vollkommenheit ausgesagt werden dürfe. Dann aber müßte
___________
74 Bd. 25, S. 1510. Kant versteht im dortigen Zusammenhang das runde Objekt übrigens
eindeutig als Beispiel für etwas Schönes.
62 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
___________
75 Dabei handelt es sich hier, weil Artefakt, ausdrücklich um kein Beispiel für etwas Schönes.
Sofern Kant ästhetisch-teleologisch argumentiert, hat er es wohl allein auf die These abge-
sehen, daß Natur, die „Kunst zu sein scheint“, schön ist (vgl. die oben zitierte Stelle Bd.
Bd. 25, S. 1510 bzw. den §45: „Die Natur war schön, wenn sie zugleich als Kunst aussah“).
Immerhin hat Kant an anderer Stelle auch bei Artefakten „Abgemessenheit und Ordnung“
als Indiz für Schönheit angesehen (siehe unten, Anm. 101). Im hiesigen Kontext geht es
aber, wohlgemerkt, allein um die Besonderheit der Form solcher Dinge, nicht um die Frage
des Vorliegens von Artefaktizität, wie in der von der Ästhetik abgesonderten Teleologie.
Dort kann Kant dann im Zusammenhang mit solchen Beispielen von einer „materialen“
Zweckmäßigkeit sprechen, weil „ein Verhältnis der Ursache zur Wirkung zu beurteilen ist“
(279) und dabei von der formalen Besonderheit von Dingen auf einen nach bestimmten
Zwecken handelnden Urheber geschlossen wird.
B. Die Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit und ihre Schwierigkeiten 63
___________
78 Hervorhebung von mir.
79 Das „bloß“ muß eigentlich vor „formalen“ stehen.
80 Hervorhebung von mir.
B. Die Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit und ihre Schwierigkeiten 65
den so etwas wie Interessiertheit zustande kommt, und als sei schon die
Bestimmung eines Gegenstandes Ausdruck von Interessiertheit.
Daß es sich bei solchen Bemerkungen zur Terminologie um keine
Spitzfindigkeiten handelt und daß zwischen den Thesen der „Allgemeinen
Anmerkung“ und den Überlegungen des §15 eine Spannung besteht, zeigt
sich im folgenden, wo Kant auf ganz ähnliche Beispiele zu sprechen
kommt wie jene „kreisrunde Lichtung im Walde“ des §15:
Niemand wird leichtlich einen Menschen von Geschmack dazu nötig finden, um
an einer Zirkelgestalt mehr Wohlgefallen als an einem kritzlichen Umrisse, an
einem gleichseitigen und gleicheckigen Viereck mehr als einem schiefen, un-
gleichseitigen, gleichsam verkrüppelten zu finden: denn dazu gehört nur gemeiner
Verstand und gar kein Geschmack (70).
Der Grund, weshalb dem Wohlgefallen an einer „Zirkelgestalt“ nur „ge-
meiner Verstand“ und „kein Geschmack“ zugrunde liegt, wird im folgen-
den deutlich, wo Kant darauf abhebt, daß Dinge aufgrund ihrer bloßen
Form zweckwidrig sein können, ohne daß gesagt wäre, in Hinblick auf
welchen Zweck: „Ein Zimmer, dessen Wände schiefe Winkel machen, ein
Gartenplatz von solcher Art, selbst alle Verletzung der Symmetrie, sowohl
in der Gestalt der Tiere (z.B. einäugig zu sein) als der Gebäude oder der
Blumenstücke, mißfällt, weil es zweckwidrig ist“, aber nicht nur „in Anse-
hung eines bestimmten Gebrauchs dieser Dinge“ (70).81 Denn:
Wo eine Absicht, z.B. die Größe eines Platzes zu beurteilen, oder das Verhältnis
der Teile zueinander und zum Ganzen in einer Einteilung faßlich zu machen,
wahrgenommen wird, da sind regelmäßige Gestalten, und zwar die von der ein-
fachsten Art, nötig; und das Wohlgefallen ruht nicht unmittelbar auf dem An-
blicke der Gestalt, sondern der Brauchbarkeit derselben zu allerlei möglicher Absicht
(70)82.
Was Kant über das Phänomen der „geometrisch-regelmäßigen Gestalten“
(ebd.) in der „Allgemeinen Anmerkung“ sagt, gilt also auch von der kreis-
runden Lichtung im Walde des §15, nur daß er hier zum gegenteiligen
Schluß kommt. Auch ohne daß ein bestimmter Zweck wie besagte
Tanzveranstaltung gedacht wird, müßte die Waldlichtung jetzt als objek-
tiv-zweckmäßig, ein Wohlgefallen an ihr also als interessiertes angesehen
werden. Ein Objekt mag zwar durch seine „bloße Form“ noch keine
Nützlichkeit für einen bestimmten Zweck zeigen, so lautet der Nachtrag
zum §15, wohl aber Nützlichkeit zu einem möglichen Zweck.
Diesem Nachtrag zufolge muß also das Beispiel, das sich an einer frü-
heren Stelle als Beispiel für einen Gegenstand des interesselosen
Wohlgefallens lesen ließ, nun der Gegenseite, dem interessierten
Wohlgefallen zugeschlagen werden. Darin liegt aber noch nicht die ganze
___________
81 Hervorhebungen von mir.
82 Hervorhebung von mir.
66 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Brisanz des Vorgangs, denn nicht nur die Interpretation des Beispiels im
§15 wird in der „Allgemeinen Anmerkung“ zurückgenommen, sondern
auch das, was es illustrieren sollte, nämlich die Beschreibung des ästheti-
schen Wohlgefallens. Denn es hatte im §15 geheißen: Abstrahiert man
davon, „was es sein solle“, gebe das Ding „keine objektive Zweckmäßig-
keit zu erkennen“ (45 f.), „weil, da von diesem Einen als Zweck (was das
Ding sein solle) abstrahiert wird, nichts als die subjektive Zweckmäßigkeit
der Vorstellungen im Gemüt des Anschauenden übrigbleibt“ (46). Dies
wird nun durch die „Allgemeine Anmerkung“ bestritten, denn die Erörte-
rung der „geometrisch-regelmäßigen Gestalten“ hat gezeigt, daß, wird von
einem bestimmten Zweck abstrahiert, sehr wohl eine praktische
Zweckmäßigkeit im Sinn von Nützlichkeit übrigbleiben kann – eine Nütz-
lichkeit zwar ohne bestimmten Zweck, dafür aber eine Brauchbarkeit „zu
allerlei möglicher Absicht“. Hält man allerdings im §15 am Wortsinn der
Festlegung von „objektiver Zweckmäßigkeit“ auf „Zweckmäßigkeit mit
bestimmtem Zweck“ fest, wäre das, was „übrigbleibt“, in der Tat „subjektive
Zweckmäßigkeit“ – und diese subjektive Zweckmäßigkeit brächte aus der
Sicht der „Allgemeinen Anmerkung“ ein praktisches Interesse zum Aus-
druck.
Man kann diese Unstimmigkeiten nicht als nebensächlich abtun, son-
dern man muß hier eine irritierende Veränderung in der Konzeption regi-
strieren. Von Interesse sind diese Beobachtungen nicht zuletzt deshalb,
weil sie eine „Anmerkung“ betreffen, die nicht an die Überlegungen der
vorhergehenden Paragraphen anschließt und also später hinzugefügt wor-
den sein könnte. Die Thematik der „Allgemeinen Anmerkung“ weist zu-
dem eine enge Entsprechung auf zu einem Paragraphen der KtU, die
deutlich später entstanden ist als der erste und älteste Teil der KU, die AS.
Der §62, der sich dem Phänomen geometrischer Formen widmet, beginnt
mit der Beobachtung:
Alle geometrischen Figuren, die nach einem Prinzip gezeichnet werden, zeigen
eine mannigfaltige, oft bewunderte objektive Zweckmäßigkeit, nämlich der Taug-
lichkeit zur Auflösung vieler Probleme nach einem einzigen Prinzip (271).
Was Kant hier als „objektiv zweckmäßig“ bestimmt, sind keine Gegen-
stände (wie etwa Blumen, Tische oder Waldlichtungen), sondern „geome-
trische Figuren“, also Formen, d.h. Formen besonderer Art. Es sind sol-
che Formen, „die nach einem Prinzip gezeichnet werden“, was bedeutet,
daß sie nach einer Konstruktionsvorschrift stetig konstruierbar, also be-
sonders regelmäßig sind. Ihre Zweckmäßigkeit besteht darin, daß sich
B. Die Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit und ihre Schwierigkeiten 67
durch sie „viele Probleme nach einem einzigen Prinzip“, also auf beson-
ders ökonomische Weise, auflösen lassen. „Die Zweckmäßigkeit ist hier
offenbar objektiv und intellektuell“, fährt Kant fort, „nicht aber bloß sub-
jektiv und ästhetisch“ (271). Es fragt sich, warum diese Zweckmäßigkeit
keine subjektive sein soll, wo doch Kant weiter unten im Text betont, daß
sie „nicht aus einem Begriffe des Objekts“ (275) folge, und ihr nur die
„Übereinstimmung des Objekts zu dem Bedürfnis der Regeln, welches
dem Verstande eigen ist“ (276), zugrunde liege. Diese Übereinstimmung,
die Kant auch als „Harmonie“ kennzeichnet, werde „aller dieser Zweck-
mäßigkeit ungeachtet, dennoch nicht empirisch, sondern a priori erkannt“.
Deshalb sagt er, daß ich in ein regelmäßig-geometrisch geformtes Ding
„die Zweckmäßigkeit hineinbringe, nicht von diesem über dieselbe empirisch
belehrt werde“ (276).
Die betreffende Zweckmäßigkeit sei keine subjektive, sagt Kant,
„denn sie drückt die Angemessenheit der Figur zur Erzeugung vieler ab-
gezweckten Gestalten aus und wird durch Vernunft erkannt“ (271). Hier
wiederholt Kant noch einmal den Grund, warum die fragliche Zweckmä-
ßigkeit eine objektive sei: Sie drückt die Nützlichkeit der Form „zur
Erzeugung vieler abgezweckten Gestalten“ aus, zeigt also an, daß etwas als
Mittel zum Erreichen eines Zwecks dient. Ein Argument gegen derglei-
chen wie subjektive Zweckmäßigkeit nennt er damit eigentlich nicht, denn
es wäre ja prinzipiell denkbar, daß nicht nur eine objektive, sondern auch
eine subjektive Zweckmäßigkeit vorliegt. Daß die erwähnte Zweckmäßig-
keit, „eine Zweckmäßigkeit in dem Wesen der Dinge, die sich doch völlig
a priori in ihrer Notwendigkeit darstellen“ (273) läßt, keine subjektive sein
soll, verwundert, zumal ihr Kant im folgenden auch noch attestiert, sie sei
„formal“:83
Diese intellektuelle Zweckmäßigkeit aber, ob sie gleich objektiv ist (nicht, wie die
ästhetische, subjektiv), läßt sich gleichwohl ihrer Möglichkeit nach als bloß for-
male (nicht reale), d.i. als Zweckmäßigkeit, ohne daß doch ein Zweck ihr zum
Grunde zu legen, mithin Teleologie dazu nötig wäre, gar wohl, aber nur im allge-
meinen begreifen (274).
Was er unter der entsprechenden „realen“ Zweckmäßigkeit versteht, wird
durch den erläuternden Nebensatz deutlich: Dies wäre eine, der „ein
Zweck zum Grunde gelegt“ werden müsse, wie in der Teleologie, und das
erläutert Kant in der Folge so, daß der Begriff eines Zwecks der Grund
für die Form des Gegenstands wäre: „Es ist hiermit nicht so bewandt, als
wenn ich einem in gewisse Grenzen eingeschlossenen Inbegriffe von Din-
gen außer mir, z.B. einem Garten, Ordnung und Regelmäßigkeit der
___________
83 Daß Kants Terminologie der AS hier unter Druck gerät, wird selten problematisiert (Vgl.
aber Zammito, The Genesis of Kant’s Critique of Judgment, S. 96 und Marc-Wogau, Vier Studien
zu Kants Kritik der Urteilskraft, S. 70).
68 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Bäume, Blumenbeete, Gänge usw. anträfe, welche ich a priori aus meiner
nach einer beliebigen Regel gemachten Umgrenzung eines Raumes zu
folgern nicht hoffen kann (275)“. Diese Zweckmäßigkeit sei „als real von
dem Begriffe eines Zwecks abhängig“ (ebd.).
Es ist bei jener „intellektuellen Zweckmäßigkeit“ also nicht so, daß ein
vorderhand feststehender Zweck (wie bei einem Garten) den Grund für
die Regelmäßigkeit abgibt, sondern umgekehrt so, daß dergleichen wie
eine allgemeine Zweckmäßigkeit gewissermaßen in der Form liegt und ein
bestimmter Zweck immer erst hinzutritt. Nicht die zweckhafte Anwen-
dung bestimmt die Form, sondern die Form eröffnet zahlreiche Möglich-
keiten für eine Anwendung:
Es ist eine wahre Freude, den Eifer der alten Geometer anzusehen, mit dem sie
diesen Eigenschaften der Linien dieser Art nachforschten, ohne sich durch die
Frage eingeschränkter Köpfe irre machen zu lassen, wozu denn diese Kenntnis
nützen sollte? z.B. die der Parabel, ohne das Gesetz der Schwere auf der Erde zu
kennen, welches ihnen die Anwendung derselben auf die Wurflinie schwerer
Körper (deren Richtung der Schwere in ihrer Bewegung als parallel angesehen
werden kann) würde an die Hand gegeben haben (272f.).
Wenn es etwa darum geht, „aus der gegebenen Grundlinie und dem ihr
gegenüberstehenden Winkel einen Triangel zu konstruieren“, so sei „die
Aufgabe unbestimmt, d.i. sie läßt sich auf unendlich mannigfaltige Art auflö-
sen. Allein der Zirkel befaßt sie doch alle insgesamt, als der geometrische
Ort für alle Dreiecke“ (272).84 Daß die „Aufgabe unbestimmt“ ist, läßt
sich nur so verstehen, daß bei diesem Zweckmäßigen noch gar nicht fest-
steht, auf welche Weise es nützlich werden kann, daß also bei ihm der
Zweck oder die Zwecke gewissermaßen unbestimmt sind, wie im folgen-
den Text noch deutlicher hervortritt:
Die Zirkelfigur ist eine Anschauung, die durch den Verstand nach einem Prinzip
bestimmt worden: die Einheit dieses Prinzips, welches ich willkürlich annehme
und als Begriff zum Grunde lege, angewandt auf eine Form der Anschauung (den
Raum), die gleichfalls bloß als Vorstellung und zwar a priori in mir angetroffen
wird, macht die Einheit vieler sich aus der Konstruktion jenes Begriffs ergeben-
den Regeln, die in mancherlei möglicher Absicht zweckmäßig sind, begreiflich,
ohne dieser Zweckmäßigkeit einen Zweck oder irgendeinen anderen Grund
derselben unterlegen zu dürfen (274f.).
Spätestens hier, wo sich Kant inzwischen zur Redeweise von einer
„Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ durchgerungen hat, wird es schwierig,
den Gedanken an eine direkte Verbindung zur ästhetischen Zweckmä-
ßigkeit zu unterdrücken, zumal Kants Euphorie angesichts geometrischer
Formen ähnliche Worte findet wie die, mit denen er an anderer Stelle
seiner Bewunderung für das Phänomen des Schönen Ausdruck verliehen
___________
84 Hervorhebung von mir.
B. Die Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit und ihre Schwierigkeiten 69
Kant mag zwar kein Problem haben, für die Objektivität der Zweck-
mäßigkeit der geometrisch-regelmäßigen Formen und damit für das
praktische Interesse an ihnen zu argumentieren, aber die Frage, warum
diese Zweckmäßigkeit nicht zugleich eine subjektive sein soll, bringt ihn in
Erklärungsnot. Sollte sich herausstellen, daß geometrisch-regelmäßig ge-
formte Objekte alle Kriterien für subjektive Zweckmäßigkeit erfüllen,
wäre das für seine Konzeption mißlich. Denn dann hätte sich gezeigt, daß
die Bedingungen für ästhetische Zweckmäßigkeit gar keine Aus-
schlußkriterien für praktische Zweckmäßigkeit darstellen. Daß etwas die
Kriterien für ästhetische Zweckmäßigkeit erfüllt, wäre also noch kein
hinreichender Grund dafür, daß das Wohlgefallen, das ihm gilt, ohne In-
teresse ist.
Daß Kant hier ein Problem hat, wird der mit der KäU schon vertraute
Leser zunächst aber kaum bemerken. Denn in dem zuletzt zitierten Ab-
schnitt fällt ein seit der AS bekanntes Schlagwort, durch welches das ent-
scheidende Unterschiedskriterium genannt zu werden scheint, nämlich das
vom „freien Spiel der Erkenntniskräfte“. Doch die zum Verständnis die-
ses Ausdrucks einschlägige Stelle in der AS ist eben nicht der §9, der ihn
zum ersten Mal verwendet, sondern die „Allgemeine Anmerkung zum
ersten Abschnitte der Analytik“, denn hier und nur hier gibt Kant in eini-
ger Deutlichkeit zu erkennen, was ihn zur Redeweise einer „freien“ Tätig-
keit der Erkenntniskräfte im Zusammenhang mit dem ästhetischen Wohl-
gefallen eigentlich bewegt. Und, wohlgemerkt, diese Anmerkung ist viel-
leicht gerade ein Nachtrag zur AS; ein Nachtrag zumal, dem es erst darum
geht, geometrisch-regelmäßig geformte Objekte als Beispiele für Schönes
auszuschließen.
Die Verlegenheit Kants am Ende des §62, einen Unterschied zwischen der
Zweckmäßigkeit geometrisch-regelmäßiger Objekte und der Zweckmäßig-
keit schöner Gegenstände zu bestimmen, gilt es, am Anfang der
„Allgemeinen Anmerkung“ in Erinnerung zu behalten. Im §62 hatte Kant
den „geometrisch-regelmäßigen Figuren“ subjektive Zweckmäßigkeit mit
der Begründung abgesprochen, ihre Zweckmäßigkeit werde „nach Begrif-
fen“ kenntlich gemacht und diese Begriffe gäben eine „objektive Zweck-
mäßigkeit, d.i. Tauglichkeit zu allerlei [...] Zwecken deutlich zu erkennen“
(278). Ganz gleich, ob er unter den besagten Begriffen von geometrisch-
72 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Fälle von Theorie gelten dürfen, wie „die Größe eines Platzes zu beurtei-
len“ oder die „Verhältnisse der Teile zueinander und zum Ganzen in einer
Einteilung faßlich zu machen“. Oben wurde bemerkt, daß die Zweckfrei-
heit der ästhetischen Zweckmäßigkeit im §15 eigentlich darin besteht, daß
statt eines praktischen Zwecks einem Anliegen der Erkenntnis Genüge
getan wird. Weil nun die Zweckmäßigkeit regelmäßiger Gestalten, die ja
praktisch sein soll, ebenfalls eine theoretische Hinsicht enthält, beeilt Kant
sich hinzuzufügen: Das ästhetische Wohlgefallen oder Mißfallen aber
ergehe „ohne Rücksicht auf den Gebrauch oder einen Zweck“, es sei „mit
der bloßen Betrachtung des Gegenstandes unmittelbar“ (71) verbunden. Da-
mit diese Versicherung überzeugt, müßte Kant jetzt natürlich hinzufügen:
„ohne Rücksicht auf einen, sei es auch nur unbestimmten, bloß möglichen Ge-
brauch oder Zweck“.
Es fragt sich, wie Kant geometrisch-regelmäßig geformte Objekte von
der Charakterisierung des Schönen, wie er sie im §15 gegeben hat,
ausschließen will. Die Beschreibung der geometrischen Regelmäßigkeit,
die jetzt in der „Allgemeinen Anmerkung“ folgt, liest sich nämlich wie die
Beschreibung des Schönen im §15. Es heißt hier: „Die Regelmäßigkeit, die
zum Begriffe von einem Gegenstand führt“, sei die „Bedingung [...], den
Gegenstand in eine einzige Vorstellung zu fassen und das Mannigfaltige in
der Form desselben zu bestimmen“ (71). Und wenn nun Kant außerdem
sagt, daß man jene regelmäßigen Formen „nicht anders vorstellen kann als
so, daß sie für bloße Darstellungen eines bestimmten Begriffs, der jener
Gestalt die Regel vorschreibt (nach der sie allein möglich ist), angesehen
werden“ (70)86, ist die Frage, warum nicht genau damit „das Formale in
der Vorstellung eines Dinges, d.i. die Zusammenstimmung des Mannig-
faltigen zu Einem“ bzw. die „Behaglichkeit [...], eine gegebene Form in die
Einbildungskraft aufzufassen“ (45f.) gemeint ist – zumal im §15 das auf
diese Formulierungen unmittelbar folgende Beispiel von einer regelmäßi-
gen Form (der Kreisform) handelt.
Von zentraler Bedeutung für die Lehre von der „Zweckmäßigkeit
ohne Zweck“ war der Gedanke, daß das Verhältnis von Verstand und
Einbildungskraft bzw. „diejenige Proportion, welche sich für eine Vorstel-
lung (wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird) gebührt, um daraus
Erkenntnis zu machen“ (65), unterschiedlich zweckmäßig ausfallen kann.
Eine wichtige Rolle spielte der Gedanke, daß es eine „Proportion“ zwi-
___________
86 Wenn Kant hier von einem „bestimmten Begriff“ spricht, ist in Erinnerung zu behalten,
daß laut §62 die Einheit der Regel geometrisch-regelmäßiger Gestalten „nicht aus dem Be-
griff des Objekts, z.B. des Zirkels“ (275) folgen soll. Es geht hier um Gestalten, deren „Be-
griffe konstruiert werden können“ (ebd.), was heißt, daß ich in sie „die Zweckmäßigkeit hi-
neinbringe“ (276), weshalb die daraus resultierende Zweckmäßigkeit als etwas durch und
durch Formales zu verstehen ist.
B. Die Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit und ihre Schwierigkeiten 75
schen beiden gibt, die „die zuträglichste für beide Gemütskräfte in Ab-
sicht auf Erkenntnis“ (66) ist. Die Passage der „Allgemeinen Anmer-
kung“, aus der eben zitiert wurde, stellt diesen Begründungsversuch des
ästhetischen Wohlgefallens in Frage. Sie lautet vollständig:
Die Regelmäßigkeit, die zum Begriffe von einem Gegenstande führt, ist zwar die
unentbehrliche Bedingung (conditio sine qua non), den Gegenstand in eine einzige
Vorstellung zu fassen und das Mannigfaltige in der Form desselben zu bestim-
men. Diese Bestimmung ist ein Zweck in Ansehung der Erkenntnis; und in
Beziehung auf diese ist sie auch jederzeit mit Wohlgefallen (welches die Bewir-
kung einer jeden, auch bloß problematischen, Absicht begleitet) verbunden. Es
ist alsdann bloß die Billigung der Auflösung, die einer Aufgabe Genüge tut (71).
Um zum Begriff von einem Gegenstand zu kommen, um „das Mannigfal-
tige in der Form desselben zu bestimmen“, ist Regelmäßigkeit die „unent-
behrliche Bedingung“, eine „conditio sine qua non“, eine Voraussetzung also,
bei deren Nichterfüllung die Lösung der Aufgabe nicht etwa erschwert
würde, sondern überhaupt nicht geleistet werden könnte. Das bedeutet,
daß es in Hinblick auf die Bestimmung eines Gegenstandes keine mehr
oder weniger günstigen Bedingungen, also kein mehr oder minder
„schickliches Verhältnis“ zwischen Verstand oder Einbildungskraft bzw.
eine mehr oder weniger ausgeprägte „Behaglichkeit“, eine Form aufzufas-
sen, geben kann, sondern nur eine Voraussetzung für die Bestimmung des
Objekts, ohne welche also gar kein Gegenstand vorläge. Daß Kant diese
notwendige Bedingung „Regelmäßigkeit“ nennt, verwundert, da doch
auch ein Gegenstand mit „kritzlichem Umriß“ bestimmt werden kann.
Allerdings läßt sich diese Passage, die von Bedingungen für die Bestim-
mung eines Gegenstandes handelt, in Zusammenhang mit der AE lesen,
denn dort formuliert Kant ebenfalls eine unentbehrliche Bedingung für
die Bestimmung eines Gegenstandes, wie im folgenden gezeigt werden
soll.
genau besehen also gar nicht „der Form nach“ (76), sondern gleichsam in
Ermangelung einer Form.
Hier gibt es also die Beschreibung einer „unentbehrlichen Bedingung“
für die Bestimmung eines Gegenstandes, und was liegt näher, als darin
auch die „unentbehrliche Bedingung“ zu sehen, von der Kant in der „All-
gemeinen Anmerkung“ spricht – zumal es keine Andeutung dafür gibt,
worin eine weitere unentbehrliche Bedingung für die Bestimmung von
Gegenständen bestehen könnte. Für die These Kants, das ästhetische
Wohlgefallen gründe auf einer Zweckmäßigkeit, „die vor dem Erkennt-
nisse eines Objekts vorhergeht“ (XLIII), hat das Konsequenzen. Denn es
fragt sich, worin jene „Angemessenheit [...] zu den Erkenntnisvermögen“,
die sich bei der „Auffassung der Formen in die Einbildungskraft“ (XLIV)
bemerkbar machen soll, bestehen kann, wenn nicht im Erfülltsein genau
dieser Bedingung. Eine „Übereinstimmung“ der Form eines Gegenstan-
des „in der Auffassung (apprehensio) desselben vor allem Begriffe, mit
den Erkenntnisvermögen, um die Anschauung mit Begriffen zu einem
Erkenntnis überhaupt zu vereinigen“ (XLVIII), besteht eben bereits darin,
daß überhaupt eine Form vorliegt, und dieses Vorliegen ist offenbar keine
Selbstverständlichkeit. Damit ist die Konzeption einer Zweckmäßigkeit,
die „dem Erkenntnis des Objekts vorhergeht“, in Frage gestellt – wenig-
stens solange nicht klar ist, in welcher anderen Weise diese Zweckmä-
ßigkeit zu denken ist. Soll es so etwas geben wie die Angemessenheit oder
Unangemessenheit der Form für die Anliegen der Erkenntniskräfte, muß es
sich dabei um eine gradierbare Bedingung handeln; eine Form muß dann
den Anforderungen der Erkenntniskräfte mehr oder weniger entsprechen
können.88
___________
88 Eine weitere Bedingung für die Bestimmung eines Dings, die Kant nicht beschreibt, bietet
sich im Rahmen seiner Theorie allerdings an: Weil die in der Anschauung gegebene Form
nur in den seltensten Fällen die Form des erkannten Gegenstandes ist, liegt der Erkenntnis
etwa eines runden Tisches je nach Lage der Sinnesorgane in aller Regel eine Ovalanschau-
ung zugrunde. Die in der Anschauung gegebene Form kann die Erkenntnistätigkeit des
Subjekts nun insofern erschweren oder erleichtern, als sie Mißdeutungen der objektiven
Oberflächenform des Objekts begünstigt oder zu vermeiden hilft. Diejenige objektive
Raumform, die immer durch die ideale Anschauung vermittelt wird, ist die Kugelform.
Denn ganz gleich, wie die Sinnesorgane zu Kugelobjekten gestellt sind: Aus jedem Blick-
winkel wird dem Subjekt in der Anschauung eine kreisrunde Form gegeben. Es sind Ob-
jekte denkbar, bei denen sich die Erdeutung ihrer Oberflächenform denkbar schwierig ge-
staltet bzw. bei denen schon minimale Lageveränderungen der Sinnesorgane es der Einbil-
dungskraft schwer machen, die tatsächliche Oberflächenform in das Urteil einzubringen.
Hier böte sich nun ein Sinn von „Faßlichkeit“ an, der in der Tat gradierbar wäre. Den
Überlegungen des folgenden Abschnitts zufolge wäre allerdings auch eine so verstandene
Zweckmäßigkeit mit dem Kriterium für Interesselosigkeit nicht vereinbar.
78 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Ein Objekt „mit einem kritzlichen Umriß“ ist nicht weniger bestimmt als
ein regelmäßig-geometrisch geformter Gegenstand, weil sich auch ein
unregelmäßiger Umriß als Grenze erweist. Wenn das Kriterium der Ab-
grenzbarkeit die einzige Bedingung für die Bestimmbarkeit eines Gegen-
standes darstellt, ist eine Zweckmäßigkeit, „die dem Erkenntnis des Ob-
jekts vorhergeht“, wenn sie die Zweckmäßigkeit der Form sein soll,
schlicht ein Ding der Unmöglichkeit. In Frage steht also, daß eine Form
für ihre Auffassung mehr oder weniger geeignet oder zweckmäßig sein
kann. Kants Beispiele im Kontext jener zitierten Passage bringen aber
eindeutig ein Mehr oder Weniger an Zweckmäßigkeit von Formen zum
Ausdruck. Die Zweckmäßigkeit regelmäßig-geometrischer Formen ist
eindeutig eine theoretische, denn es seien „regelmäßige Gestalten [...] nötig“,
um etwa „die Größe eines Platzes zu beurteilen, oder das Verhältnis der
Teile zueinander und zum Ganzen faßlich zu machen“ (70).89 An anderer
Stelle sagt Kant entsprechend, der Verstand „bedarf“ einer „Ordnung der
Natur“ (XXXV) bzw. einer „faßlichen Ordnung“ (XXXVI) oder der
„Faßlichkeit der Natur“ (XL); genau darin bestehe „das Prinzip der
Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnisvermögen“ (XXXIV) bzw. die
„Zusammenstimmung der Natur zu unserem Erkenntnisvermögen“
(XXXVI). Die Begründung dafür, daß eine „faßliche Natur“ für unser Er-
kenntnisvermögen zweckmäßig sei, übernimmt in der „Einleitung“ das
schon erwähnte „Verstandesbedürfnis“ (XXXVIII), dessen Erklärungslei-
stung aber gering ist. Es scheint nur soviel zu bedeuten, daß der Verstand
gewissermaßen eine Vorliebe für eine faßliche Natur hat; eine Vorliebe, die
also in seiner Natur zu liegen scheint und nicht weiter zu begründen wäre.
Das alles klingt so harmlos, als handele es sich um so etwas wie eine „Ma-
rotte“ des Verstandes, der zu entsprechen nur in einem eng begrenzten
Rahmen sich bemerkbar macht, nämlich „nur in subjektiver Rücksicht“
oder in bezug auf eine „nur auf Erkenntnis gerichtete Absicht“.
Das Interessante an der oben zitierten Passage der „Allgemeinen An-
merkung“ ist, daß sie die Harmlosigkeit von so etwas wie einer theoreti-
schen Zweckmäßigkeit, unabhängig davon, worin diese bestehen möge, in
Frage stellt. Kant bezweifelt hier nämlich nicht nur, daß es so etwas wie
eine besondere Zweckmäßigkeit für die Bestimmung eines Dings gibt,
sondern er schließt darüber hinaus auch aus, daß sich eine solche Zweck-
mäßigkeit, wenn es sie denn gäbe, als etwas Nichtpraktisches verstehen
ließe. Einem „Zweck in Ansehung der Erkenntnis“ zu genügen, ist näm-
lich nicht etwa „interesselos“: Das Wohlgefallen am Erfülltsein dieses
___________
89 Hervorhebungen von mir.
B. Die Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit und ihre Schwierigkeiten 79
Zwecks ist auch mit der „Bewirkung einer jeden, auch bloß problematischen
(hypothetischen), Absicht“ verbunden. Zusammen mit den Beispielen, die
zuvor angeführt worden sind, wird klar: Die besondere Geeignetheit re-
gelmäßiger Formen für die Zwecke der Erkenntnis darf nicht etwa auf
dergleichen wie Vorpraktizität pochen und daraus Nichtpraktiztität für sich
ableiten. Denn bei einem Zweck wie der Beurteilung der Größe eines
Platzes oder dem „Faßlichmachen des Verhältnisses der Teile zueinander
und zum Ganzen in einer Einteilung“ läßt sich kaum ein theoretisches
Anliegen von einem praktischen isolieren; das eine ist hier offenbar eng
mit dem anderen verbunden. Die theoretische Zweckmäßigkeit ist somit
nur scheinbar eine eigenständige, denn sie mündet direkt in eine prakti-
sche – wenn sie nicht sogar selbst schon praktisch genannt werden müßte.
Das Wohlgefallen anläßlich einer besonders geeigneten weil regelmäßigen
Form ist praktisch motiviert, eben weil damit ein „Zweck in Ansehung der
Erkenntnis“ erfüllt wird. Jetzt fehlt vor „der Erkenntnis“ das „nur“, und
das Informative in dieser Formulierung der „Allgemeinen Anmerkung“ ist
nicht mehr, daß hier der Sonderstatus eines „Zwecks in Ansehung der
Erkenntnis“ beschworen wird, sondern daß im Gegenteil betont wird, daß
es sich auch hier um einen Zweck handelt, wodurch also immer auch so
etwas wie Interesse angezeigt wird.
Daß ein Entgegenkommen von etwas für einen theoretischen Zweck
dem Subjekt als grundsätzlich praktisch Interessiertem zugute kommt,
darf für Kant nicht verwunderlich sein, da er doch schließlich davon aus-
geht, daß „alle Bearbeitung unserer Vermögen auf das Praktische ausge-
hen und sich darin als in ihrem Ziele vereinigen muß“ (8). Allerdings zieht
Kant nur hier, in der „Allgemeinen Anmerkung“, die letzte Konsequenz
aus dieser Einschätzung, denn in der AS klang es noch sehr danach, daß
sich im Rahmen von Erkenntnis etwas als vorteilhaft erweisen könne,
ohne ein praktisches Interesse zu implizieren. Wie eng die Interessen der
Theorie und jene der Praxis zusammenhängen – das wird nirgendwo in
der KU so deutlich wie in der „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Ab-
schnitte der Analytik“.
Im §15 jedenfalls ist Kant davon ausgegangen, daß so etwas wie Inter-
esse erst durch einen inhaltlich bestimmten Zweck auf den Plan tritt und
daß einer Präferenz, die der „bloßen Form“ gilt, dergleichen noch nicht
zugrunde liegen kann. Hier in der „Allgemeinen Anmerkung“ vertritt er
die Auffassung, daß es eine rein formale und praktische Zweckmäßigkeit
gibt, die schon interessiert ist, obwohl bei ihr von einem bestimmten
Zweck noch keine Rede sein kann. Eine solche Zweckmäßigkeit liegt vor
bei solchen Formen, die gewissermaßen so aussehen, als ob der Verstand
sie für sich entworfen hätte: Formen, die durch ein Prinzip bestimmt wer-
den, was bedeutet, daß man sie durch eine Formel, also ohne Anschauung,
80 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
kann, ist das Subjekt bereits im Vollsinn praktisch. Werden ihm Gehalte
für die Bestimmung von Objekten gegeben, die eine solche Form haben,
wie sie das Subjekt mit Vorliebe verwendet, trägt der damit verbundene
Bonus für das Subjekt nicht den Charakter eines harmlosen Entgegen-
kommens für so etwas wie eine vorpraktische weil bloß theoretische Be-
dürftigkeit des Subjekts, sondern bereits den der Begünstigung des Sub-
jekts in seiner Praktizität.
Daß Praktizität und Interessiertheit so tief in der Konstitution des
Subjekts verankert sind, berücksichtigt Kant offensichtlich nicht an jeder
Stelle seiner Systematik gleichermaßen. Man betrachte seine ersten Versu-
che für die Abgrenzung der interesselosen ästhetischen Einstellung von
den praktischen Verhaltungen des Subjekts am Anfang der „Analytik“:
Von wegweisender Bedeutung ist dort die Einschätzung, daß das
praktische Interesse am Nützlichen bzw. das Mittel/Zweck-Schema erst
durch den „Begriff eines Zwecks“ (10) zum Tragen kommt: „Um etwas
gut zu finden“ – d.h. damit etwas als Mittel gefallen kann –, „muß ich
jederzeit wissen, was der Gegenstand für ein Ding sein solle, d.i. einen
Begriff von demselben haben“ (ebd.). So etwas wie Nützlichkeit, und
damit so etwas wie ein Mittel, kann es demzufolge immer erst im An-
schluß an die Bestimmung eines Dings geben. Erst indem das Objekt als
dieses oder jenes bestimmt ist, kann sich auch erweisen, in Hinblick auf
welchen Zweck es zu verwenden ist. Die Praktizität des Subjekts sieht
Kant somit erst durch die Bedürfnisse des Subjekts konstituiert, weil erst
durch diese so etwas wie ein Ausgehen auf inhaltlich bestimmte Objekte
für ihn ins Spiel kommt. Die Überwindung der praktischen Einstellung
stellt sich Kant entsprechend als ein Absehen von bestimmten Zwecken
vor.91
Offenbar kann Kant bei dieser Konzeption nicht stehenbleiben. Denn
alles, was er ab dem §4 zur Beschreibung des ästhetischen Wohlgefallens
anbringt, schließt das Wohlgefallen an geometrisch-regelmäßigen Gegen-
ständen ein. Darin sieht er zunächst wahrscheinlich deshalb kein Problem,
weil er das Wohlgefallen an ihnen durchaus für ein ästhetisches Wohlge-
fallen hält.92 Dem Ausschlußkriterium für ästhetisches Wohlgefallen – der
___________
91 Dies allerdings verbunden mit einer reflexiven Wendung, einem Achtgeben darauf, wie das
Subjekt sich beim „Auffassen“ der Form eines Subjekts selbst fühlt. Siehe oben, S. 27,
Anm. 26.
92 Vgl. die Vorlesung „Menschenkunde“ aus dem Wintersemester 1781/82: „Es fragt sich,
liegt in der Natur etwas, wobei man ohne die Beistimmung Anderer sagen könnte, daß die-
ses Anderer Beifall haben müsse? Allerdings liegt etwas in der Natur der Sache, woraus wir
a priori urtheilen können, daß etwas für den öffentlichen Sinn, d.i. nicht nur angenehm,
sondern auch schön sey. Dies sieht man deutlich bei dem Ebenmaße. Die Abgemeßenheit
und Ordnung in einem Hause, wo die Thür nicht in einem Winkel angebracht ist, muß je-
B. Die Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit und ihre Schwierigkeiten 83
Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen sei nun noch einmal
jene Passage aus der „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der
Analytik“ betrachtet, in der Kant überraschenderweise so etwas wie „for-
male Vollkommenheit“ einräumt.
Wenn aber die Einbildungskraft nach einem bestimmten Gesetze zu verfahren
genötigt wird, so wird ihr Produkt, der Form nach, durch Begriffe bestimmt, wie
es sein soll; aber alsdann ist das Wohlgefallen, wie oben gezeigt, nicht das am
Schönen, sondern am Guten (der Vollkommenheit, allenfalls bloß der formalen),
und das Urteil ist kein Urteil durch Geschmack (69).
Daß das Wohlgefallen an einem Produkt, das „der Form nach, durch Be-
griffe bestimmt“ wird, „wie es sein soll“ – damit meint Kant einen regel-
mäßig-geometrisch geformten Gegenstand – ein interessiertes Wohlgefal-
len ist, begründet er in der Folge, wie gezeigt, mit der praktischen
Zweckmäßigkeit regelmäßiger Formen. Noch keineswegs verständlich ist
aber, warum jene praktische Zweckmäßigkeit, die in der Ökonomie sol-
cher Formen besteht, so etwas wie einen negativen Beigeschmack für das
Subjekt haben sollte – wie es der Ausdruck vermittelt, der Einbildungs-
kraft werde dabei ein Verfahren aufgenötigt.93 Anderen Formulierungen
_____________
dem gefallen; dies läßt sich aus der Natur der Sache beweisen“ (Bd. 25, S. 1097). Vgl. dazu
auch unten, S. 88f.
93 Im §8 etwa hatte es geheißen, es könne „keine Regel geben, nach der jemand genötigt wer-
den sollte, etwas für schön anzuerkennen“ (25; Hervorhebung von mir), was aber nicht mit
84 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
_____________
der Nötigung verwechselt werden darf, einen Begriff bei der Auffassung eines Gegenstan-
des zu verwenden.
B. Die Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit und ihre Schwierigkeiten 85
das Subjekt nicht erst Anstrengungen unternehmen muß, um sich für den
praktischen Umgang mit ihm zu orientieren,95 sich also nicht unnötig
lange bei Theorie aufhalten muß und sofort dazu übergehen kann, worum
es ihm eigentlich geht: die Verfolgung seiner praktischen Zwecke und
Befriedigung seiner Bedürfnisse.
Um das den Interessen der Praxis gegenübergestellte ästhetische
Anliegen des Subjekts zu beschreiben, ein Anliegen, unter dem es sich auf
einmal an Umständen erfreut, die innerhalb von Praxis Anlaß für Mißfal-
len sind, und es einer für Praxis denkbar zweckmäßig eingerichteten Um-
welt „überdrüssig“ wird, verwendet Kant den Ausdruck „Spiel“ bzw.
„freies Spiel“. So sei die praktisch-zweckmäßige, weil regelmäßige Anlage
des Pfeffergartens nichts, „womit Einbildungskraft ungesucht und zweck-
mäßig spielen kann“ (72).96
Dies nun ist der Kontext, in dem Kants „freies Spiel der Vorstellungs-
kräfte“ (71) zu Hause ist. Daß Kant hier, wo er von „Spiel“ spricht, auch
wirklich Spiel meint, macht das Attribut „frei“ deutlich. Es stellt sicher,
daß unter „Spiel“ so etwas wie ein Gegenmodell zu Praxis und Arbeit zu
verstehen ist, und nicht nur ein bloßes zeitliches Nacheinander von Vor-
stellungen im Gegensatz zu räumlichem Zugleich, für welches Kant den
Ausdruck „Spiel“ als Terminus des öfteren einsetzt.97 In der Bedeutung
eines bloßen Nacheinander, und ohne jede Konnotation von spielerischer
Freiheit im Gegensatz zum Zwang von Arbeit und Praxis, verwendet
Kant den Begriff des Spiels auch hier in der KU, und zwar in früheren
Partien wie dem §14 der AS: „Alle Form der Gegenstände der Sinne (der
äußeren sowohl als mittelbar auch des inneren) ist entweder Gestalt oder
Spiel: im letzteren Falle entweder Spiel der Gestalten (im Raume: die Mi-
mik und der Tanz), oder bloßes Spiel der Empfindungen (in der Zeit)“
(42). Daß Kant in solchen Kontexten meist pejorativ von einem „bloßen“
Spiel spricht, bringt das Zurückbleiben eines solchen Nacheinander hinter
___________
95 In der Natur sich zu orientieren, heißt Kant zufolge, „sich in dieser ihrer übergroßen
Mannigfaltigkeit Begriffe zu verschaffen“ (L).
96 Man beachte den neuen, ungewohnten Kontext von „zweckmäßig“: Mit diesem Ausdruck
wird jetzt etwas spezifiziert, das sich mit seinem Anliegen seinerseits von Zweckmäßigkeit
qua Nützlichkeit abhebt. Der Zweck, von dem jetzt die Rede ist, ist gewissermaßen das
Spiel, etwas also, das eigentlich außerhalb der Sphäre von Nutzen und Zweck steht. Mit
dieser Verwendung von „zweckmäßig“, die nur vereinzelt auftritt (siehe unten, S. 108),
ließe sich nun eine neue Bedeutung der Formel „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ konstruie-
ren: Das Zweckmäßige wären diejenigen Umstände, unter denen so etwas wie Spiel befrie-
digend ausfallen kann, während mit dem Spiel kein Zweck verfolgt wird. Bezüglich der
Anliegen der Erkenntnis sind die dem Spiel förderlichen Formen aber gerade nicht zweck-
mäßig.
97 Als Synonym für Spiel in diesem Sinn eines bloßen Nacheinander gebraucht Kant auch die
Ausdrücke „Gefolge“ bzw. „Reihe“ (R 683). Vgl. außerdem R 655; A 101 und A 194 B 239
zusammen mit A 33 B 49f.
B. Die Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit und ihre Schwierigkeiten 87
Erkenntnis zum Ausdruck. Das ist etwa auch im §21 der Fall, wo Kant ein
„bloß subjektives Spiel der Vorstellungskräfte“ (65) zum Thema macht,
welches, „gerade so wie es der Skeptizism verlangt“, keine „Übereinstim-
mung mit dem Objekt“ (ebd.) und damit auch keine allgemeine „Mitteil-
barkeit“ gestattet.98 Der Sinn von Spiel als Gegenmodell zu den Mühen
und Zwängen von Arbeit bzw. Praxis liegt dagegen überall da zugrunde,
wo vom „freien Spiel“ die Rede ist, wie in der „Allgemeinen Anmerkung“
und in der eindeutig zu den später entstandenen Teilen der KU gehören-
den zweiten Hälfte der „Deduktion“, insbesondere ab dem §43, von dem
noch zu handeln sein wird.
___________
98 In der KrV bedeutet die Rede von einem „bloßen Spiel“ klarerweise jenes rein Negative,
daß das Nacheinander von Vorstellungen ohne Zusammenhang, für die Erkenntnis also
fruchtlos ist (z.B. A 239 B 298; A 101). Spätestens seit Trebels’ Arbeit Einbildungskraft und
Spiel (vgl. aber auch schon Tumarkin, „Zur transzendentalen Methode der Kantischen
Ästhetik“, S. 355) hat es allerdings Schule gemacht, bereits in der KrV ein Spiel im Gange
zu sehen. Beispiele hierfür sind Paetzold, Ästhetik des deutschen Idealismus, S. 64f., Pilot,
„Kant’s Theory of the Autonomy of Reflective Judgment“, S. 111; Wieland, Urteil und Ge-
fühl, und zuletzt Gasché, der unter Berufung auf Trebels’ Ergebnisse behauptet: „In the
Critique of Pure Reason [...] play stands in opposition to cognition, and its product is Erdich-
tung (fiction or invention)“ (The Idea of Form, S. 43). In der KrV darf „Erdichtung“ aber
nicht im Sinn einer nichtkognitiven Einstellung verstanden werden; Kant meint damit ein
Zurückbleiben hinter die Bedingungen von Erkenntnis bzw. eine mangels Objektbezug gar
nicht vollständig gewordene Erkenntnis (vgl. Heidemann, Der Begriff des Spiels, S. 128). Jede
Verbindung zum ästhetischen Kontext und zum „Spiel“ im eigentlichen Sinn, und damit
zu einer Einstellung von eigenem Wert, ist hier abwegig. Um seine These zu belegen, daß
im §9 das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ gleichzusetzen sei mit dem zur „Erkenntnis
überhaupt schicklichen subjektiven Verhältnis“, daß also jeder Erkenntnis ein freies Spiel
wie im Rahmen der ästhetischen Einstellung zugrunde liege, gibt Wieland in Urteil und Ge-
fühl (S. 354) als Vergleichsstelle in der KrV die folgende Passage an: „Wenn eine Erkennt-
nis objektive Realität haben, d.i. sich auf einen Gegenstand beziehen, und in demselben Be-
deutung und Sinn haben soll, so muß der Gegenstand auf irgendeine Art gegeben werden
können. Ohne das sind Begriffe leer, und man hat dadurch zwar gedacht, in der Tat aber
durch dieses Denken nichts erkannt, sondern bloß mit Vorstellungen gespielt“ (A 155 B
194f.; vgl. die Stelle A 239 B 298f., die – mit ähnlicher Intention – auch Strub, „Das Häßli-
che und die Kritik der ästhetischen Urteilskraft“, S. 429 Anm., anführt). Worauf sich Kant
hier mit dem Ausdruck „spielen“ – eindeutig pejorativ – bezieht, ist aber eine Situation, in
der ein intendierter Objektbezug nicht stattfindet und deswegen ein für Erkenntnis
denkbar unschickliches Verhältnis von Verstand und Einbildungskraft vorliegen muß. Daß
Wieland jene Gleichsetzung von freiem Spiel und den Bedingungen für Erkenntnis als
unproblematisch ansieht, ist tatsächlich „überraschend“ (vgl. Kern, „Lust an der Erkennt-
nis“, S. 1063). Unplausibel ist zudem die damit zusammenhängende These, daß jede empi-
rische Erkenntnis durch ein freies Spiel der Erkenntnisvermögen hindurch muß, was ja
auch heißt, daß jeder erkennbare Gegenstand (vielleicht mehr oder weniger) schön wäre
(vgl. Kern, S. 1064), somit eine „Wahl nach Geschmack“ – das ist die Unterscheidung, „ob
etwas schön sei oder nicht“ (3) – gar nicht stattfinden könnte.
88 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Um den Weg Kants zum Begriff des „freien Spiels“ nachzuvollziehen, ist
die „Allgemeine Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ also der
rechte Ort, denn hier (und nirgendwo sonst) wird überzeugend dargelegt,
was unter jenem dem „freien Spiel“ entgegengesetzten „Zwang“ zu
verstehen ist. Dieser Zwang besteht in Erfordernissen der Praxis, die auf-
grund ihrer ureigensten Bedingungen immer dergleichen wie Regelmäßig-
keit und Monotonie den Vorzug geben wird. Der ökonomischen Form
kann ein Wohlgefallen gelten, aber es ist nicht das ästhetische, denn wie
die „Allgemeine Anmerkung“ darlegt, betrifft ein solches Wohlgefallen
eigentlich die „objektive“ Zweckmäßigkeit solcher Gestalten und ist also
interessiert. Das ist aber nicht der Grund, warum eine ökonomisch einge-
richtete Welt den Vorstellungskräften gleich „Zwang“ antut oder warum
jener beschriebene Pfeffergarten als „langweilig“ empfunden wird. Der
Grund dafür kann nur sein, daß ein ästhetisch eingestelltes Subjekt mit
anderen Anliegen, anderen Erwartungen seiner Außenwelt gegenübertritt
als ein praktisch motiviertes. Die Vorstellungskräfte eines ästhetisch einge-
stellten Subjekts wollen „unterhalten werden“ (71), sie verlangen Gegen-
stände, die „lange Unterhaltung mit der Betrachtung“ (72) gewähren. Ei-
nen Namen erhält dieses Anliegen durch die Analogie zum Spiel, und die
entsprechenden Ausdrücke für das, was dem ästhetisch-spielerischen An-
liegen zuwider ist, was es in seiner spielerischen Freiheit stört, lauten etwa
„Nötigung“, „Zwang“ oder „Einschränkung“. Die spielerisch gestimmte
Einbildungskraft fühlt sich in ihrer Freiheit beschnitten, wenn sie auf eine
Außenwelt trifft, die den Regeln der Praxis untergeordnet ist. Im §9, der
den Begriff des „freien Spiels der Erkenntniskräfte“ einführt, wird dieser
Hintergrund nicht klar. Die Frage ist aber, ob sich dieser Hintergrund,
wenn er einmal geklärt ist, mit dem Rest des §9 ohne weiteres verträgt.
Das freie Spiel und die mit ihm verbundene Begrifflichkeit ist inner-
halb Kants Nachdenken über Ästhetik jedenfalls nichts Neues, denn seine
Spuren lassen sich bis weit in die vorkritische Phase zurückverfolgen.99
Auch Überlegungen, die im Zusammenhang mit Spiel ein Element der
„Unterhaltung“ bzw. „Belebung“ der Gemütskräfte hervorheben, tauchen
in Kants Reflexionen und Vorlesungen regelmäßig auf.100 Die Rolle der
„Allgemeinen Anmerkung“ kann nun nicht nur darin bestehen, diesen
___________
99 Vgl. z.B. Bd. 15, R 618; R 801-812; R 922.
100 Vgl. z.B. R 618; R 801; R 802; R 811; R 817; R 901; R 921a; Bd. 25, S. 762, 983, 986f.
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU 89
Bewegung und Belebung gehört für Kant seit jeher zu den Wirkungen des
Spiels schlechthin.112
Es wäre aber falsch, auf diesen gewohnten Zusammenhang beim frü-
heren Kant zu verweisen, um für die Homogenität der Begrifflichkeit des
§9 zu argumentieren. Zwar gibt es auch eine Stelle gegen Ende des §9, wo
Kant aus der „Zusammenstimmung“ der Erkenntniskräfte eine Belebung
ableitet und von einem „erleichterten Spiele“ (31) des Verstands und der
Einbildungskraft spricht. Hier steht im Hintergrund der Gedanke, daß
Kräfte sich da, wo sie auf kein Hindernis treffen, „frei“ entfalten können,
was nichts anderes bedeutet, als Belebung darauf zurückzuführen, daß das
Erreichen eines vorgegebenen Zieles begünstigt wird. Aber die Implika-
tionen der Spielbegrifflichkeit, wie sie in der „Allgemeinen Anmerkung“
entfaltet wird, gehen nicht in diese instrumentelle, sondern in eine grund-
sätzlich andere Richtung: Das Zweckmäßige in „allerlei möglicher Ab-
sicht“, d.h. jede theoretische wie praktische Begünstigung des Subjekts, ist
in Hinblick auf die ästhetische Belebung geradezu hinderlich, wie es dort
heißt, und erst so wird klar, was jene besondere „Freiheit“ von Begriffen
und Erkenntnisregeln an jener Stelle, die im §9 das „freie Spiel“ zum er-
sten Mal erwähnt, zu bedeuten hat. Weder Begriffe noch Erkenntnisregeln
stellen für die Erkenntnistätigkeit ein Hindernis dar; ganz im Gegenteil
sind Begriffe und Regeln unentbehrliche Mittel, um Gegenstände zu
erkennen. Von ihnen befreit zu sein, bedeutet keine Belebung im Sinn der
Erleichterung einer Aufgabe. Nach der „Allgemeinen Anmerkung“ ist das
von Erkenntnisregeln befreite Subjekt nur insofern belebt, als es ihm in
dieser besonderen, ästhetischen Einstellung um die Befreiung vom
gewöhnlichen, immer zweckorientierten theoretisch-praktischen Zusam-
menhang geht.
Im selben Maß, wie durch die „Allgemeine Anmerkung“ zur „Analy-
tik“ der Kontext des Begriffs vom „freien Spiel“ klar wird, wird der Zu-
sammenhang mit dem übrigen Inhalt des §9 fragwürdig. Was sich vor der
KU noch zu ergänzen schien: das freie Spiel, die Erleichterung der
Erkenntnistätigkeit und ihre Belebung, paßt durch die Überlegungen der
„Allgemeinen Anmerkungen“ nicht mehr zusammen. Durch die Begriff-
lichkeit der KU geht ein Riß, und wie zu zeigen ist, läßt sich dieser Riß
nicht nur systematisch-argumentativ nachweisen, sondern auch in der Ge-
_____________
Sinnlichkeit „in beständiger Aktivität“ sein wolle, und daß sie deshalb Stoff brauche, „wo-
mit sie sich beschäftigen kann“ (Bd. 24, S. 353). Im unmittelbaren Kontext heißt es, die
„Accorde der Musik“ gefielen wegen „des leichten Verhältnisses [...] zwischen ihren Tö-
nen“; ein Gebäude errege Wohlgefallen, wenn sein Anblick durch die Proportionen „er-
leichtert“ werde (ebd.). „Symetrie erleichtert die Begreiflichkeit, und ist das Verhältniß der
Sinnlichkeit. [...] Gleichheit der Theile befördert meine sinnlichen Vorstellung, erleichtert
die Anschauung, vermehrt das Leben der Thätigkeit und begünstigt sie“ (Bd. 25, S. 181).
112 Siehe unten, S. 116ff.
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU 91
und Einbildungskraft geleistet wird. Bei der geforderten „freien und unbe-
stimmt zweckmäßigen Unterhaltung der Gemütskräfte“ sei schließlich
„der Verstand der Einbildungskraft, und nicht diese jenem zu Diensten“
(71). Der Verstand gibt diesem „Spiel der Vorstellungskräfte“ allenfalls
eine Grenze, soweit es nämlich nur „unter der Bedingung, daß der
Verstand dabei keinen Anstoß leide“ (ebd.), stattfinden kann. Die Inter-
essen des Verstandes werden hier also nur insofern beachtet, als die
Grenze des für ihn Tolerierbaren nicht überschritten werden soll. Ein
solches Kräfteverhältnis zwischen Einbildungskraft und Verstand ist mit
der im §9 beschriebenen „Harmonie“ zwischen Verstand und
Einbildungskraft, die „auf jener Allgemeinheit [...] der subjektiven Bedin-
gungen der Beurteilung der Gegenstände gründet“ (29)113, kaum zu
vereinbaren.
Hat man das Spiel der Erkenntniskräfte und die Zusammenstimmung
von Verstand und Einbildungskraft bezüglich der Bedingungen von „Er-
kenntnis überhaupt“ argumentativ voneinander abgesondert, zeigt sich,
daß das Ineinander der beiden Terminologien in der Textgestalt der AS
bzw. im §9 nicht gerade dicht ist. Die Spielterminologie, wie sie auf die
„Allgemeine Anmerkung“ zurückzuführen ist, läßt sich im gesamten Text
der AS leicht isolieren, weil ihre Rolle dort stark begrenzt ist. Bis zum §9
taucht sie überhaupt nicht auf, und in den 13 Paragraphen zwischen dem
§9 und besagter „Allgemeinen Anmerkung“, die ihre Überlegungen zu
Regelmäßigkeit und Spiel für das „Resultat aus den obigen Zergliederun-
gen“ ausgibt, gibt es nur vier Stellen, an denen dieser Begriff (jeweils
___________
113 Außer natürlich, ein Spiel der Erkenntniskräfte soll Teil einer „ästhetischen Vorgeschichte
des Erkennens“ sein (vgl. Wieland, Urteil und Gefühl, S. 378). Zu diesem Mißverständnis
kann es freilich nur kommen, wenn man auch Kants Gebrauch des Ausdrucks „Spiel“ in
der KrV in der hier relevanten Bedeutung versteht (siehe oben, Anm. 98). Die einschlägi-
gen Stellen des §9 genügen dazu nicht. Auch jene Stelle des §39, wo Kant von einer „Pro-
portion dieser Erkenntnisvermögen“ spricht, die „auch zum gemeinen und gesunden
Verstande erforderlich ist“ (155), gibt das nicht her. Hier darf man Kant nicht so verste-
hen, daß die Vorstellungskräfte schon immer spielen (wie etwa Gracyk, „Sublimity, Ugli-
ness and Formlessness in Kant’s Aesthetic Theory“, S. 50). An dieser Stelle versucht Kant
vielmehr, das freie Spiel mit den Bedingungen für Erkenntnis erst zu vereinbaren: Das Ge-
meinsame von ästhetischer und theoretischer Einstellung ist hier „die gemeine Auffassung
eines Gegenstandes durch die Einbildungskraft, als Vermögen der Anschauung, in Bezie-
hung auf den Verstand“ (ebd.), nicht aber die „Beschäftigung beider Erkenntnisvermögen
in ihrer Freiheit“ (ebd.), denn diese markiert die Besonderheit der ästhetischen Erkennt-
nistätigkeit. Die „Beschäftigung beider Erkenntnisvermögen in ihrer Freiheit“ nennt er
„subjektiv zweckmäßig“ (ebd.), wobei sich aber fragt, was die Hinsicht dieser Zweck-
mäßigkeit ist: Ist es die „Beschäftigung in ihrer Freiheit“ – dann ist vorausgesetzt, daß die
Erkenntniskräfte unter besonderen Vorgaben operieren sollen, die nicht mehr das
Erkenntnisziel beinhalten; ist es die zuvor geschilderte Aufgabe, einen Gegenstand „in Be-
ziehung auf den Verstand“ durch die Einbildungskraft aufzufassen – dann wäre das
schlecht vereinbar mit dem Aspekt besagter „Freiheit“.
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU 93
Annehmlichkeit in der Sinnenempfindung sein, und daher ihrer Natur nach nur
Privatgültigkeit haben können, weil sie von der Vorstellung, wodurch der Gegen-
stand gegeben wird, unmittelbar abhinge.
[3] Also ist es die allgemeine Mitteilungsfähigkeit des Gemütszustandes in der ge-
gebenen Vorstellung, welche, als subjektive Bedingung des Geschmacksurteils,
demselben zum Grunde liegen und die Lust an dem Gegenstande zur Folge ha-
ben muß. Es kann aber nichts allgemein mitgeteilt werden als Erkenntnis und
Vorstellung, sofern sie zum Erkenntnis gehört. Denn sofern ist die letztere nur
allein objektiv, und hat nur dadurch einen allgemeinen Beziehungspunkt, womit
die Vorstellungskraft aller zusammenzustimmen genötigt wird. Soll nun der Be-
stimmungsgrund des Urteils über diese allgemeine Mitteilbarkeit der Vorstellung
bloß subjektiv, nämlich ohne einen Begriff vom Gegenstande gedacht werden, so
kann er kein anderer als der Gemütszustand sein, der im Verhältnis der Vorstel-
lungskräfte zueinander angetroffen wird, sofern sie eine gegebene Vorstellung auf
Erkenntnis überhaupt beziehen.
[4] [A] Die Erkenntniskräfte, die durch diese Vorstellung ins Spiel gesetzt
werden, sind hierbei in einem freien Spiele, weil kein bestimmter Begriff
sie auf eine besondere Erkenntnisregel einschränkt. Also muß der Ge-
mütszustand in dieser Vorstellung der eines Gefühls des freien Spiels der
Vorstellungskräfte an einer gegebenen Vorstellung zu einem Erkenntnisse
überhaupt sein. Nun gehören zu einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand
gegeben wird, damit überhaupt daraus Erkenntnis werde, Einbildungskraft für die
Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Anschauung, und Verstand für die Ein-
heit des Begriffs, der die Vorstellungen vereinigt. [B] Dieser Zustand eines
freien Spiels der Erkenntnisvermögen, bei einer Vorstellung, wodurch ein Ge-
genstand gegeben wird, muß sich allgemein mitteilen lassen; weil Erkenntnis, als
Bestimmung des Objekts, womit gegebene Vorstellungen (in welchem Subjekte
es auch sei) zusammenstimmen sollen, die einzige Vorstellungsart ist, die für je-
dermann gilt.
[5] Die subjektive allgemeine Mitteilbarkeit der Vorstellungsart in einem Ge-
schmacksurteile, da sie, ohne einen bestimmten Begriff vorauszusetzen, stattfin-
den soll, kann nichts anderes als der Gemütszustand [C] in dem freien Spiele
der Einbildungskraft und des Verstandes (sofern sie untereinander, wie es zu ei-
nem Erkenntnisse überhaupt erforderlich ist, zusammenstimmen) sein; indem wir
uns bewußt sind, daß dieses zum Erkenntnis überhaupt schickliche subjektive
Verhältnis ebensowohl für jedermann gelten und folglich allgemein mitteilbar
sein müsse, als es eine jede bestimmte Erkenntnis ist, die doch immer auf jenem
Verhältnis als subjektiver Bedingung beruht.
[6] Diese bloß subjektive (ästhetische) Beurteilung des Gegenstandes oder der
Vorstellung, wodurch er gegeben wird, geht nun vor der Lust an demselben vor-
her und ist der Grund dieser Lust an der Harmonie der Erkenntnisvermögen; auf
jener Allgemeinheit aber der subjektiven Bedingungen der Beurteilung der
Gegenstände gründet sich allein diese allgemeine subjektive Gültigkeit des
Wohlgefallens, welches wir mit der Vorstellung des Gegenstandes, den wir schön
nennen, verbinden.
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU 95
[7] Daß seinen Gemütszustand, selbst auch nur in Ansehung der Erkenntnisver-
mögen, mitteilen zu können, eine Lust bei sich führe, könnte man aus dem
natürlichen Hange des Menschen zur Geselligkeit (empirisch und psychologisch)
leichtlich dartun. Das ist aber zu unserer Absicht nicht genug. Die Lust, die wir
fühlen, muten wir jedem anderen im Geschmacksurteile als notwendig zu, gleich
als ob es für eine Beschaffenheit des Gegenstandes, die an ihm nach Begriffen
bestimmt ist, anzusehen wäre, wenn wir etwas schön nennen; da doch Schönheit
ohne Beziehung auf das Gefühl des Subjekts für sich nichts ist. Die Erörterung
dieser Frage aber müssen wir uns bis zur Beantwortung derjenigen: ob und wie
ästhetische Urteils a priori möglich sind, vorbehalten.
Daß zur Rekonstruktion eines vollständigen Gedankengangs die Formel
vom „freien Spiel der Erkenntniskräfte“ nicht benötigt wird, wie oben
bereits dargestellt,116 kann durch einen Blick auf die Absätze 6 und 7
sinnfällig bestätigt werden. Das wichtigste Ergebnis ist zufolge des Absat-
zes 6, der die bisherigen Überlegungen zusammenfaßt, daß die ästhetische
Beurteilung des Gegenstandes auf den „subjektiven Bedingungen der
Beurteilung der Gegenstände gründet“ – kein Wort davon, daß diese Be-
dingungen in einer wesentlichen Abweichung vom gewöhnlichen Er-
kenntnisprozeß bestehen, wie es der Ausdruck „freies Spiel der Erkennt-
niskräfte“ mit der dadurch verbundenen Entbindung von der Ein-
schränkung „auf eine besondere Erkenntnisregel“ suggeriert. Inklusive der
Konstruktion des „freien Spiels“ beinhaltet der §9 also zwei wesentliche
Ergebnisse; neben der Hinwendung zu den subjektiven Bedingungen der
Erkenntnis wäre die Besonderheit dieser Tätigkeit als „freier“ zumindest
noch einmal erwähnenswert. Auch am Anfang des Absatzes 7 hält es Kant
für die hauptsächliche Neuerung des §9, daß das ästhetische Urteil sich auf
einen „Gemütszustand [...] in Ansehung der Erkenntnisvermögen“ beruft,
nicht aber die Tatsache, daß dieser Gemütszustand im Gegensatz zum
üblichen Erkenntnisprozeß ein „freies Spiel“ beinhaltet. Da diese
Konzeption noch an keiner Stelle der Analytik vorbereitet wurde, muß das
spärliche Eingehen auf diese wichtige Neuheit verwundern.
Im gesamten Text dieser ersten sieben Absätze gibt es nur eine einzige
Passage, die sich als eine Erläuterung des Ausdrucks „freies Spiel der Er-
kenntniskräfte“ verstehen läßt, nämlich Abschnitt A am Anfang von Ab-
satz 4. Die beiden anderen Sätze, in denen das „freie Spiel“ Erwähnung
findet, ergäben auch ohne diesen Begriff einen klaren Sinn: Das „freie
Spiel“ ist in beiden Fällen nur als Zusatz zum Konzept der „Zusammen-
stimmung“ von Verstand und Einbildungskraft zu verstehen, bzw. es wird
die Zusammenstimmung der Vorstellungskräfte durch besagte Formel als
„freies Spiel“ verstanden. Am Anfang von Satz B ist der Satzanschluß
„Dieser Zustand“ unpassend, weil im Satz davor von einem „freien Spiel“
___________
116 Siehe oben, S. 25ff.
96 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
keine Rede war (der stimmige Bezugspunkt wäre also direkt Passage A),
weshalb der Satz stringenter beginnen würde: „Und der Zustand der Er-
kenntnisvermögen bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gege-
ben wird [...]“117. In Satz C könnte „in dem freien Spiele“ entfallen bzw.
durch „im Verhältnis“ (vgl. das Ende von Absatz 3) ersetzt werden.
Außerdem fällt auf, daß die Passage A – hat man sie einmal als solche
optisch isoliert – den Textverlauf stört. Die natürliche Fortsetzung des
Satzes „Soll nun der Bestimmungsgrund [...] eine gegebene Vorstellung auf
Erkenntnis überhaupt beziehen“ wäre der Satz „Nun gehören zu einer Vor-
stellung [...]“, weil er den letzten Gedanken im Absatz 3 aufnimmt und
erläutert, was mit den erwähnten „Vorstellungskräften“ gemeint ist. Die
Passage A hingegen geht gleich dazu über, die Tätigkeit dieser Vorstel-
lungskräfte zu erläutern. Daß nach diesen Ausführungen in A, die eine
unkonventionelle Verfahrensweise der Erkenntniskräfte, schon ins Detail
gehend, beschreiben, erst noch gesagt wird, was die Akteure dieser Tätig-
keit sein sollen, befremdet. Streicht man die Passage A komplett, ergibt
sich ein flüssiger Gedankengang: Die Absätze 4 und 5 erläutern sukzessive
den letzten Satz in Absatz 3; während Absatz 4 ausführt, daß es sich bei
den gerade erwähnten Vorstellungskräften um Verstand und Einbildungs-
kraft handelt und daß diese bei jeder Erkenntnis im Spiel sind, erklärt
Absatz 5, daß die Zusammenstimmung der beiden bzw. ihr besonders
schickliches Verhältnis dasjenige ist, worauf im Geschmacksurteil Bezug
genommen wird und wodurch die Allgemeinheit desselben gewährleistet
wird. Dem um das „freie Spiel der Einbildungskräfte“ bereinigten Gedan-
kengang vom Ende des Absatzes 3 bis einschließlich Absatz 5 fehlt nichts,
um verständlich zu sein; im Gegenteil wirkt er klarer und weniger um-
ständlich. Und die Absätze 6 und 7 haben diesem Gedankengang, als Zu-
___________
117 In der ersten Ausgabe der KU begann der Satz mit „Und dieser Zustand“. Das „und“
verstärkt den Eindruck der Unstimmigkeit im Satzanschluß. Baum kommentiert das fol-
gendermaßen: „Das letzte der erklärungsbedürftigen Vorkommnisse des ‚freien Spiels‘ ist
zunächst durch die sprachliche Schwierigkeit belastet, daß der entsprechende Satz mit den
Worten beginnt: ‚Dieser Zustand eines freien Spiels der Erkenntnisvermögen [...]‘. Dadurch
wird der Leser der KU in der Tat dazu verleitet, das ‚freie Spiel‘ als Charakteristikum der
im vorhergehenden Satz genannten Zusammengehörigkeit von Einbildungskraft und
Verstand als Bedingung dafür, daß aus einer gegebenen Anschauung Erkenntnis werden
kann, zu verstehen. Zur Erkenntnis gehört jedenfalls ein ‚Begriff, der die Vorstellungen
[der Anschauung] vereinigt‘ (28). Die Erwähnung eines solchen Begriffes schließt es aber
aus, daß die Anfangsworte ‚Dieser Zustand eines freien Spiels der Erkenntnisvermögen
[...]‘ im nachfolgenden Satz sich auf den unmittelbar vorhergehenden Satz beziehen, zumal
in ihm weder von einem Zustand noch einem freien Spiel die Rede ist. Also muß es sich
um einen sprachlich mißglückten Rückverweis auf den davorstehenden Satz handeln“ (vgl.
„Subjektivität, Allgemeingültigkeit und Apriorität des Geschmacksurteils“, S. 276).
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU 97
___________
118 Zu diskutieren wäre allerdings, ob die beiden nun folgenden Absätze die Konzeption des
freien Spiels voraussetzen. Wie aus dem letzten Satz von Absatz 7 und dem Anfang des
folgenden hervorgeht, gehört der Gedankengang, der nun folgt, nicht zum Hauptstrang
des Paragraphen, sondern setzt sich im Vergleich zu dem, was wir von den folgenden Pa-
ragraphen zu erwarten haben, mit einer „minderen Frage“ (30) auseinander. Von dem nun
anschließenden Text kann allenfalls die Redeweise einer „Belebung beider Vermögen [...]
zu unbestimmter, aber doch vermittels des Anlasses der gegebenen Vorstellung einhelliger
Tätigkeit“ (ebd.) als der Konzeption des freien Spiels zugehörig verstanden werden. Das
„unbestimmter Tätigkeit“ wurde in der dritten Auflage, dem Korrektor offenbar suspekt,
abgeändert zu „bestimmter“ (an den Korrekturarbeiten war Kant sehr wahrscheinlich nur
bei der Erstellung der zweiten Auflage direkt beteiligt – vgl. Windelbands Erläuterungen
zur Entstehung des Textes in Bd. 5, S. 526). Der Rede von einem „erleichterten Spiele“ der
durch „Zusammenstimmung belebten Gemütskräfte“ (31) liegt jedenfalls der Gedanke
zugrunde, daß eine Tätigkeit durch geringen Aufwand belebt wird (das steht im Gegensatz
zu den Überlegungen der „Allgemeinen Anmerkung“).
119 Vgl. Zammito, The Genesis of Kant’s Critique of Judgment, S. 4f. und S. 90; Dumouchel, „Ge-
nèse de la Troisième Critique“, S. 21; S. 27 und Tonelli, „La formazione del testo“, S. 445.
98 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
___________
120 Vgl. XXVI.
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU 99
Unter den wenigen Stellen der AS, die sich auf das „freie Spiel der
Erkenntniskräfte“ berufen, gibt es nur eine, die den übrigen Duktus des
betreffenden Paragraphen reibungslos zu ergänzen scheint. Gemeint ist
eine Stelle im §16, dem es um die Unterscheidung der „freien Schönheit“
von der bloß „anhängenden Schönheit“ geht. Die betreffende Passage
lautet:
In der Beurteilung einer freien Schönheit (der bloßen Form nach) ist das Ge-
schmacksurteil rein. Es ist kein Begriff von irgendeinem Zwecke, wozu das
Mannigfaltige dem gegebenen Objekt dienen und was dieses also vorstellen solle,
vorausgesetzt, wodurch die Freiheit der Einbildungskraft, die in Beobachtung der Gestalt
gleichsam spielt, nur eingeschränkt werden würde (49f.)121.
Der hervorgehobene Teilsatz ist unauffällig, da er das Anliegen des ge-
samten Paragraphen zum Ausdruck zu bringen scheint. Doch den ganzen
§16 über lautet das Argument dafür, daß die „freie Schönheit“ keinen
Begriff von der Sache voraussetzen darf, daß sonst die Schönheit „unter
dem Begriffe eines besonderen Zwecks stehen“ (49) würde. Das Fehlen
eines Zwecks beim Schönen wird dadurch begründet, daß die „Verbin-
dung des Guten“ (50), also die dadurch zum Ausdruck gebrachte Nütz-
lichkeit122, der Schönheit „Reinigkeit [...] Abbruch“ (ebd.) tut. Das mag
mit dem Anliegen der Einbildungskraft, die „in Beobachtung der Gestalt
gleichsam spielen möchte“, welches durch einen Begriff von einem Zweck
„eingeschränkt werden würde“, irgendwie zusammenhängen, wäre aber
gesondert zu begründen.123
Auffällig ist dagegen die Schlußüberlegung des §12, da sie sich mit der
Hauptaussage der beiden darauffolgenden Paragraphen nicht verträgt. Der
§13 will zeigen, daß das ästhetische Wohlgefallen keiner „Beimischung der
Reize und Rührungen“ (38) bedarf. Einem Wohlgefallen, das sich durch
Reize motivierte, würde ein „Interesse“ zugrunde liegen, und ein solches
„verdirbt das Geschmacksurteil“ (37). Reize, als „Materie des Wohlgefal-
lens“, dürfen auf das Geschmacksurteil keinen Einfluß haben, denn dieses
hat „bloß die Zweckmäßigkeit der Form zum Bestimmungsgrunde“ (38).
Der nun folgende §14 ist dazu eine „Erläuterung durch Beispiele“ (39).
Kant geht hier auf die Frage ein, ob das Wohlgefallen an Farben und Tö-
nen als ein ästhetisches zu verstehen ist. Seine Antwort lautet, daß ein
___________
121 Hervorhebung von mir.
122 Die immer wieder mitschwingende moralische Komponente beim Begriff des Guten ist in
diesem Kontext nicht gemeint, denn das Gute erläutert Kant hier so: „Wozu nämlich das
Mannigfaltige dem Dinge selbst, nach seinem Zwecke, gut ist“ (50), und weiter oben:
„wozu das Mannigfaltige dem gegebenen Objekte dienen [...] solle“ (49f.).
123 Zur besonderen Rolle des §16 in der AS siehe ausführlich unten, S. 182ff.
100 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Neigungen befriedigt sind, oder so, daß das Subjekt ein Objekt erkennt,
das als Mittel zur Befriedigung von Neigungen erkannt wird. Jetzt ist Kant
gefordert, die Umstände des fraglichen Gemütszustands im ästhetischen
Zusammenhang zu charakterisieren.
Eine naheliegende Antwort gibt es seit dem §9, denn dort war ja wie-
derholt von einem besonderen „Gemütszustand“ die Rede, einem zudem,
der sich durch Ausdrücke wie „schicklich“, „Harmonie“ oder „Zusam-
menstimmung“ positiv kennzeichnen ließ, weil er Ausdruck davon sein
sollte, daß den Bedingungen von Erkenntnis entsprochen wird. Im §9 hat
Kant einen Gemütszustand beschrieben, auf den sich später die Begriff-
lichkeit von „Zweckmäßigkeit“ anwenden, an dem sich also eine Analogie
zu Nützlichkeit nachweisen ließ. Man kann diesen Gemütszustand nun
einfach in die obige Formel, wonach Lust mit dem Gemütszustand eines
irgend wodurch bestimmten Willens identisch ist, einsetzen: „Es ist das
Bewußtsein der bloß formalen Zweckmäßigkeit“ (36), in dessen Rahmen
sich etwas als zweckmäßig „in Ansehung der Erkenntnis überhaupt“ (37)
erweist, und das Bewußtsein dieser subjektiven Zweckmäßigkeit „ist die
Lust selbst“ (37). Nicht die Befriedigung eines naturalen Bedürfnisses,
nicht die Erkenntnis eines nützlichen Gegenstandes, sondern eine Zweck-
mäßigkeit, die mit einer „nur auf Erkenntnis gerichteten [...] Absicht“
(XXXVIII) zusammenstimmt, ist der Grund für diese Lust. Auch die
Zweckmäßigkeit in Hinblick auf eine theoretische Absicht ist wohlgefal-
lend, denn die „Erreichung jeder Absicht ist mit dem Gefühle der Lust
verbunden“ (XXXIX)124.
Auf die allgemeinen Bedingungen für Erkenntnis abzuheben, wäre
zwar auch im §12 konsequent, und es hätte nicht zu einer Spannung mit
dem folgenden Paragraphen geführt; es ist aber nicht das, was Kant hier
macht.125 Statt sich auf die Angemessenheit einer Vorstellung zu den
Erfordernissen von Verstand und Einbildungskraft zu berufen, führt er
aus, besagte Lust enthalte „einen Bestimmungsgrund der Tätigkeit des
Subjekts in Ansehung der Belebung der Erkenntniskräfte desselben, also
eine innere Kausalität (welche zweckmäßig ist) in Ansehung der Erkennt-
nis überhaupt“ (37). Jenes „zweckmäßig“ scheint sich zwar auf „Erkennt-
nis überhaupt“ zu beziehen, doch nimmt man die vorhergehenden For-
mulierungen mit hinzu, zeigt sich: Kant will hier nicht darauf hinaus, daß
Verstand und Einbildungskraft ideale Bedingungen für ihre Arbeit vorfin-
den, so daß eine „auf Erkenntnis gerichtete Absicht“ bedient würde. Statt
dessen scheint hier die Absicht, in Hinblick auf welche die betreffende
Zweckmäßigkeit vorliegt, eine ganz andere zu sein, nämlich die „Belebung
___________
124 Hervorhebung von mir.
125 Auf die Diskrepanz beim Begriff der Zweckmäßigkeit in „Einleitung“ und §12 weist Dü-
sing (Die Teleologie in Kants Weltbegriff; S. 83 Anm.) hin.
102 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
sie würden „durch ihren Reiz die Vorstellung beleben, indem sie die Auf-
merksamkeit auf den Gegenstand selbst erwecken und erhalten“ (43).
Diese Bemerkung wirft die Frage auf, ob das „Erwecken der Aufmerk-
samkeit“ nun eine Leistung der Schönheit sein soll oder ob hier etwas
vorliegt, das der Reinheit des Wohlgefallens Abbruch tun würde. Kant ist
in diesem Punkt nicht eindeutig.
Aus der Sicht der „Allgemeinen Anmerkung“ ließe sich die Frage, was
ein „Reiz“ im ästhetischen Kontext sein kann und was nicht, allerdings
klar beantworten. Im ästhetischen Kontext nicht plausibel ist der Aus-
druck „Reiz“, sofern damit etwas gemeint sein soll, das in Opposition
zum Formbegriff steht – wie „Reiz und Rührung“ der Paragraphen 13
und 14. Der Reiz, den etwa eine bestimmte Farbe beinhalten mag, ist
nichts anderes als die Aussicht auf eine Annehmlichkeit. In ästhetischer
Hinsicht trägt die Analogie zu Reizen nur vor dem Hintergrund des An-
liegens, „die Beschäftigung der Erkenntniskräfte ohne weitere Absicht zu
erhalten“, wobei es ja nicht um bestimmte Zwecke und die Befriedigung
naturaler Neigungen geht, sondern um das Fortdauern der Tätigkeit selbst.
Das Fehlen eines ästhetischen Reizes ist mit dem spezifisch ästhetischen
Mißfallen der Langeweile verbunden. Der Anblick selbst einer Plantage
mit den attraktivsten Früchten kann für ein ästhetisch eingestelltes Subjekt
aufgrund von Monotonie und Gleichförmigkeit eines jeden Reizes
entbehren, und zwar allein aufgrund seiner Form, die den Erkenntnis-
kräften keinen Anlaß zur Tätigkeit gibt, oder, mit den Worten der „Allge-
meinen Anmerkung“ formuliert, der Einbildungskraft nicht „beständig
Nahrung“ (72) verschafft, so daß sie des Anblicks „überdrüssig“ wird, weil
sie nicht „ungesucht und zweckmäßig spielen kann“ (ebd.).
Eine weitere Erwähnung des „freien Spiels“ befindet sich noch am
Ende des §20, in Form eines eingeklammerten Ergänzungssatzes. Insge-
samt soll der Paragraph zeigen, daß die Bedingung der Notwendigkeit des
Geschmacksurteils als die Idee eines Gemeinsinns zu verstehen sei. Erst
der nächste Paragraph hat die Aufgabe zu untersuchen, „ob man mit
Grund einen Gemeinsinn voraussetzen kann“ (65). Der Schlußsatz des
§20 ist nun bemerkenswert, weil er einerseits zusammenfassend wieder-
holt, daß das Geschmacksurteil nur unter der Bedingung eines Gemein-
sinns möglich ist, andererseits aber in Klammern bereits angibt, wie man
sich diesen Gemeinsinn vorzustellen hat:
Also nur unter der Voraussetzung, daß es einen Gemeinsinn gebe (wodurch wir
aber keinen äußeren Sinn, sondern die Wirkung aus dem freien Spiel der
Erkenntniskräfte verstehen), nur unter der Voraussetzung, sage ich, eines solchen
Gemeinsinns kann das Geschmacksurteil gefällt werden (64f.).
Die Beantwortung der Frage, ob es einen Gemeinsinn geben kann, ist
natürlich von der Frage, wie ein solcher zu denken ist, nicht zu trennen,
104 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
und einen Vorschlag dafür macht der §21. Eine Verbindung zwischen
diesem Paragraphen und der Spielterminologie läßt sich in einem Satz
herstellen, der syntaktisch überfrachtet erscheint:
Gleichwohl aber muß es eine [Proportion von Verstand und Einbildungskraft]
geben, in welcher dieses innere Verhältnis zur Belebung (einer durch die andere)
die zuträglichste für beide Gemütskräfte in Absicht auf Erkenntnis (gegebener
Gegenstände) überhaupt ist (66).
Syntaktisch unstimmig wirkt dieser Satz insbesondere deshalb, weil nicht
klar ist, wofür das fragliche Verhältnis bzw. die betreffende Proportion
„zuträglich“ sein soll – ist es die „Belebung“ (die an „dieses innere
Verhältnis“ mit „zur“ eigenartig angeschlossen ist), oder sind es „die Ge-
mütskräfte in Absicht auf Erkenntnis“? Hier stiftet die Redeweise von
„Belebung“, die bei Kant im Kontext von pathologischem „Vergnügen“
und Spiel ihr natürliches Umfeld hat,127 auch im Satzbau Verwirrung.
Die wenigen Stellen in der AS, an denen sich die Terminologie des „freien
Spiels“ bemerkbar macht, lassen sich also leicht isolieren, und übrig bleibt
ein Gedankengang, der auch ohne diese Begrifflichkeit vollständig wäre.
Man betrachte in diesem Zusammenhang den §38, die eigentliche „De-
duktion“ des Geschmacksurteils, die gegenüber der „Analytik“ zwar
nichts Neues enthält, dafür aber eine knappe Zusammenfassung der Ar-
gumente des §9. Die Rede ist hier von einer „subjektiven Zweckmä-
ßigkeit“ der Form des Gegenstandes „für die Urteilskraft“, von „formalen
Regeln der Beurteilung, ohne alle Materie (weder Sinnenempfindung noch
Begriff)“ oder „subjektiven Bedingungen des Gebrauchs der Urteilskraft
überhaupt“ (150); ferner bezieht sich Kant auf „dasjenige Subjektive, wel-
ches man in allen Menschen (als zum möglichen Erkenntnisse überhaupt
erforderlich) voraussetzen kann“ (151). Es sei die „Übereinstimmung
einer Vorstellung mit diesen Bedingungen der Urteilskraft [...] für jeder-
mann gültig“, so daß „die Lust oder subjektive Zweckmäßigkeit der Vor-
stellung für das Verhältnis der Erkenntnisvermögen in der Beurteilung
eines sinnlichen Gegenstandes überhaupt [...] jedermann mit Recht ange-
sonnen werden“ könne (ebd.). Nichts trübt hier den Eindruck, daß sich
der Text nur auf die allgemeinen Bedingungen für Erkenntnis beruft,
zumal Kant in einer Fußnote noch einmal betont: Die Legitimation des
Geschmacksurteils auf überindividuelle Gültigkeit beruhe darauf, daß das
___________
127 Vgl. unten, S. 116f. und R 586; R 711; R 811; R 901.
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU 105
wir die Einbildungskraft setzen wollen; nur daß sie für sich selbst das
Gemüt in freier Beschäftigung unterhalte“ (119) – was ganz und gar nicht
an eine „Einhelligkeit“ von Verstand und Einbildungskraft erinnert,
sondern vielmehr ein Bild krasser Unausgewogenheit vermittelt. Die Ein-
bildungskraft, die das Gemüt „für sich selbst unterhält“, scheint hier, gera-
dezu autistisch, den Verstand zu vergessen. Drittens tauchen aber auch
Formulierungen auf, die so tun, als gehörten das Spiel der Einbildungs-
kraft und ihre Zusammenstimmung mit dem Verstand geradezu natürli-
cherweise zusammen, als bestehe das eine in dem anderen. Vergleichbar
mit zwei Formulierungen im §9, nur ohne die dortigen Unebenheiten,133
formuliert Kant, daß „die ästhetische Urteilskraft in Beurteilung des
Schönen die Einbildungskraft in ihrem freien Spiele auf den Verstand be-
zieht, um mit dessen Begriffen überhaupt (ohne Bestimmung derselben)
zusammenzustimmen“ (94). Es liegt aber auf der Hand, daß durch das
„freie Spiel“ der Einbildungskraft deren „Zusammenstimmung“ mit dem
Verstand nicht begünstigt, sondern erschwert wird. Denn die erwünschte
Zusammenstimmung muß offenbar dadurch zustande kommen, daß sich
der Verstand diesem freien Spiel anpaßt. Die Erläuterung „ohne Bestim-
mung“ verrät, daß der Verstand auf die Erfüllung seines Hauptanliegens
verzichtet. Die „Zusammenstimmung“ von Einbildungskraft und Ver-
stand wird hier somit nur dem Schein nach geleistet, denn sie bedeutet
normalerweise, daß sich die Einbildungskraft den Bedingungen des Ver-
standes fügt.
Daß sich Kant in der AE trotzdem auf die Zusammenstimmung von
Einbildungskraft und Verstand und die „Zweckmäßigkeit der Form“ wie-
derholt beruft, hat aber einen triftigen systematischen Grund. Schließlich
will er das Erhabene auf eine gewisse „Unzweckmäßigkeit“ (101) von
gegebener Anschauung für die Erkenntnisvermögen zurückführen, wes-
halb er also zur Abgrenzung zwischen beidem für das Schöne am Begriff
der Zweckmäßigkeit festhalten muß. Doch diese Abgrenzung ist fragwür-
dig, was in der AE nur deshalb nicht deutlich wird, weil Kant dort einen
wichtigen Teil seiner Spielterminologie ausblendet. Wenn von der „Frei-
heit der Einbildungskraft“ die Rede ist, müßte nämlich gesagt werden,
wovon sich die Einbildungskraft als „frei“ erweisen soll. Gemeint sind
natürlich die „willkürlichen Regeln“ des Verstands, die von der Ein-
bildungskraft als „Zwang“ (179) empfunden werden. Der Verstand als das
Prinzip der Einheit ist es aber auch, der der Einbildungskraft vorschreibt,
daß der Gegenstand „in ein Ganzes der Anschauung“ (97) zusam-
mengefaßt werden muß, und diese Bedingung ist es, die im Fall des
Erhabenen nicht erfüllt wird. Wenn also Kant dem Erhabenen, dem für
___________
133 Siehe oben, S. 93ff.
108 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
In dem Teil der KU, der sich der Lehre vom Genie und dem
Kunstschönen widmet und in dem die Terminologie des Spiels entfaltet
wird, bekommt der Begriff der „Zweckmäßigkeit“ indes eine andere Fär-
bung. Daß Kant diesen Begriff dort überhaupt weiter verwendet, spiegelt
Kontinuität in der Terminologie nur vor. Tatsächlich wird hier deutlich,
daß dergleichen wie die Zweckmäßigkeit im Sinn der AS innerhalb des
„freien Spiels der Erkenntniskräfte“ nichts zu suchen hat, sondern eigent-
lich dessen Widerpart darstellt. Im Zusammenhang mit der Dichtkunst
wird die Tätigkeit der Einbildungskraft als „bloßes Spiel“ (215) bzw. „blo-
ßes unterhaltendes Spiel“ (217) bezeichnet, „welches gleichwohl vom
Verstande und zu dessen Geschäfte zweckmäßig gebraucht werden kann“
(215f.)137. Das freie, „bloße“ Spiel wird hier als etwas bezeichnet, das ganz
auf der Seite der Einbildungskraft zu verorten ist und dem so etwas wie
Zweckmäßigkeit, als Prinzip des Verstandes, gegenübersteht.138 Und ist in
diesem Zusammenhang von „Angemessenheit“ die Rede, dann ist damit
lediglich eine Einschränkung oder Grenze des freien Spiels gemeint:
Reich und original an Ideen zu sein, bedarf es nicht so notwendig zum Behuf der
Schönheit, aber wohl der Angemessenheit jener Einbildungskraft in ihrer Freiheit
zu der Gesetzmäßigkeit des Verstandes. Denn aller Reichtum der ersteren bringt
in ihrer gesetzlosen Freiheit nichts als Unsinn hervor; die Urteilskraft ist aber das
Vermögen, sie dem Verstande anzupassen (202).
_____________
bildungskraft“ („Vom Geschmack als einer Art sensus communis“, S. 34), was aber unge-
reimt ist, weil sich die Frage stellt, in bezug worauf hier von einem Optimum die Rede sein
kann. In Frage kommen hierfür nur die Bedingungen der Erkenntnis überhaupt, die immer
auch die Bedingungen für die Bildung und Verwendung von Begriffen sein muß. Daß diese
„optimal“ erfüllt sein können, wenn die „freie“ Einbildungskraft vom Verstand gerade
noch davon abgehalten wird, vollends über die Strenge zu schlagen bzw. regelwidrig zu
werden, ist unplausibel. Kulenkampff sieht aber ganz recht, daß die Interesselosigkeit des
ästhetischen Urteils, wenn dieses tatsächlich auf einen optimalen Zustand zwischen
Verstand und Einbildungskraft zurückzuführen sein soll, nur dadurch gewährleistet sein
kann, daß das Subjekt statt stur auf Erkenntnis aus zu sein, seine Aufmerksamkeit auf den
Zustand der Erkenntniskräfte richtet. Deren Übereinstimmung ist jetzt nicht (bloß) Mittel
zum Zweck, und erfolgt (aber nur) insofern „unbeabsichtigterweise“. Dabei handelt es sich
allerdings um eine eher schwache Version von Interesselosigkeit, weil vielleicht das
eigentliche Ziel aus dem Blick geraten mag, die Auszeichnung des Zustands aber nur auf-
grund seiner Geeignetheit in Hinblick auf eben dieses Ziel erfolgen kann. Eine Freiheit der
Einbildungskraft wird innerhalb einer solchen Konstruktion nicht verständlich, weil die
Bedingungen für Erkenntnis genau dieselben bleiben, die auch im interessierten Ausgehen
auf die Welt gültig sind. Darin, daß Kant sich die Interesselosigkeit des ästhetischen
Wohlgefallens an manchen Stellen tatsächlich so zurechtlegt, würde ich Kulenkampff zu-
stimmen.
137 Hervorhebungen von mir.
138 Der Gegensatz wird auch an der folgenden Stelle deutlich: „Der Redner gibt also zwar
etwas, was er nicht verspricht, nämlich ein unterhaltendes Spiel der Einbildungskraft; aber
er bricht auch dem etwas ab, was er verspricht und was doch sein angekündigtes Geschäft
ist, nämlich den Verstand zweckmäßig zu beschäftigen“ (206).
110 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
insgesamt absprechen will. Ebenso irritierend ist, daß auch über die ganze
Lehre vom Kunstschönen und vom Genie, die ganz im Zeichen der
Spielterminologie steht, in der publizierten „Einleitung“ kein einziges
Wort verloren wird.140 Abwegig wäre es allerdings, die Entstehung dieser
Textpartien, die sich ganz auf die Spielbegrifflichkeit stützen und kaum
auf die Terminologie der Zweckmäßigkeit, nach der „Einleitung“ zu datie-
ren. Denn daß Kant „Vorrede“ und „Einleitung“, wie üblich, zuletzt abge-
faßt hat, ist durch seinen Briefwechsel einigermaßen deutlich belegt.141
Ein überzeugender Grund dafür, daß Kant in der „Einleitung“ gewis-
sermaßen so tut, als gäbe es in seiner Konzeption weder ein „freies Spiel
der Erkenntniskräfte“ noch den Genie-Begriff, liegt vielmehr darin, daß
diese Begriffe hier unerwünscht sind, weil sie Unruhe stiften würden. Das
besondere Anliegen der „Einleitung“ ist es nämlich, dem höchst disparat
scheinenden Gesamtwerk der KU eine Einheit zu verleihen, und der Be-
griff, der diese Einheit herstellen soll, ist der der Zweckmäßigkeit:
An einem in der Erfahrung gegebenen Gegenstande kann Zweckmäßigkeit vor-
gestellt werden: Entweder aus einem bloß subjektiven Grunde, als Übereinstim-
mung seiner Form, in der Auffassung (apprehensio) desselben vor allem Begriffe,
mit den Erkenntnisvermögen, um die Anschauung mit Begriffen zu einem Er-
kenntnis überhaupt zu vereinigen; oder aus einem objektiven, als Übereinstim-
mung seiner Form mit der Möglichkeit des Dinges selbst, nach einem Begriffe
von ihm, der vorhergeht und den Grund dieser Form enthält (XLVIII).
Das Phänomen der Zweckmäßigkeit als objektiver soll Gegenstand der
Teleologie, Zweckmäßigkeit als subjektiv-formale Thema der Ästhetik
sein. In Hinblick auf den ästhetischen Teil seiner Theorie beruft sich Kant
auf eine Zweckmäßigkeit, die in der „Auffassung“ einer Form bestehen
soll, womit er auf die formale Zweckmäßigkeit zurückkommt, wie sie in
der AS konstruiert wurde. Und da dort im Begriff der Zweckmäßigkeit
neben der Bedeutung von „Nützlichkeit“ von Anfang an auch der Ver-
weis auf eine nach Zwecken wirkende Ursache mitgedacht war,142 läßt sich
den subjektiv-zweckmäßigen Gegenständen „gleichsam eine Rücksicht auf
unser Erkenntnisvermögen nach der Analogie eines Zwecks“ (L) beilegen
– und eine ähnliche Analogie soll auch das Reden von Zwecken bei den
Gegenständen der Teleologie ermöglichen.
Durch die Art und Weise, wie Kant den Begriff der ästhetischen
Zweckmäßigkeit in der „Einleitung“ einführt, wird also schnell klar,
warum die Spielterminologie und die Lehre vom Genie dort unerwünscht
___________
140 Selbst die Unterscheidung zwischen Naturschönem und Kunstschönem kommt in der
„Einleitung“ nur am Rande vor, nämlich in Form von zwei eingeklammerten Zusätzen:
„[...] Gegenstandes (er sei Produkt der Natur oder der Kunst)“ (XLVII) bzw. „[...] Formen
der Sachen (der Natur sowohl als der Kunst)“ (XLVIII).
141 Vgl. dazu Windelband in Bd. 5, S. 523 und Tonelli, „La formazione del testo“, S. 448.
142 Vgl. oben, S. 46ff.
112 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
___________
143 Vgl. Tonelli, „La formazione“, S. 439.
144 Siehe oben, S. 58ff.
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU 113
Technik gehören, betrift also blos die Möglichkeit der Dinge und ist die Ge-
setzmäßigkeit einer an sich zufälligen Verbindung des Mannigfaltigen in demsel-
ben. Zu einem Beyspiel mag die Zweckmäßigkeit dienen, die man an einem re-
gulären Sechseck in seiner Möglichkeit nothwendig denkt, indem es ganz zufällig
ist, daß sechs gleiche Linien auf einer Ebene gerade in lauter gleichen Winkeln
zusammenstoßen, denn diese gesetzmäßige Verbindung setzt einen Begrif voraus,
der, als Princip, sie möglich macht.145
Das Neue dieses Abschnitts besteht in einer Differenzierung des Zweck-
begriffs: Kant unterscheidet bei „Zweck“ jetzt eine „praktische“ Bedeu-
tung, also eine der Nützlichkeit gemäße, von einer „technischen“, also
teleologischen Bedeutung. Als Beispiel für letzteren Zweckbegriff führt er
im folgenden auch organisch strukturierte Objekte an. Diese Differenzie-
rung des Zweckbegriffs, die auch eine Differenzierung des Begriffs der
Zweckmäßigkeit zur Folge hat, wodurch „zweckmäßige“ Gegenstände als
nützliche von solchen unterschieden werden, deren Ursache eine
Zweckvorstellung ist, sucht man in der gesamten AS vergebens, denn dort
wurden die beiden Bedeutungen stets zusammengedacht. Und eine von
ihnen habe mit Lust nichts zu tun, so Kant jetzt im folgenden: Jene
„objektive“ Zweckmäßigkeit beinhalte den Begriff eines „Zwecks der
Natur“146, wobei „darüber das Urtheil teleologisch heißt und gar kein Ge-
fühl der Lust bey sich führt, so wie diese überhaupt in dem Urtheile über
die bloße Causal-Verbindung gar nicht gesucht werden darf“.147
Von besonderem Interesse ist der Kontext, in dem diese Differenzie-
rung durchgeführt wird: Es geht hier um den Begriff der Vollkommenheit,
der im §15 unter dem Stichwort der „objektiven Zweckmäßigkeit“
abgehandelt wurde. Wie in der „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Ab-
schnitte der Analytik“ fällt auch hier das Beispiel einer geometrisch-
regelmäßigen Gestalt. Und laut der zitierten Passage der EE soll auch für
sie gelten, was für organische Objekte gilt. Sie stelle einen Fall von objekti-
ver Zweckmäßigkeit dar und habe dementsprechend mit dem Gefühl der
Lust und Unlust nichts zu tun. Doch während für organisch strukturierte
Naturobjekte die Ausgrenzung aus dem Bereich der Untersuchung von
Lust und Unlust plausibel erscheint, muß dies für geometrisch-regelmä-
ßige Objekte umstritten sein. Denn mit der „Allgemeinen Anmerkung“
widmet Kant in der „Analytik“ einen ganzen Abschnitt der Beobachtung,
daß regelmäßig-geometrisch geformte Gegenstände sehr wohl Gegenstand
___________
145 EE, Bd. 20, S. 228.
146 Ebd.
147 Der Ausdruck „bloße Causal-Verbindung“ läßt sich natürlich so verstehen, daß auch im
Kontext des Geschmacksurteils eine Causal-Verbindung vorliegt. Entscheidend ist aber,
daß Kant jetzt anerkennt, daß diese Causal-Verbindung nicht als Bestimmungsgrund für
das ästhetische Wohlgefallen in Frage kommt, daß dieser also in etwas anderem liegen
muß.
114 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
eines Wohlgefallens sein können, was Fragen in bezug auf den Vollkom-
menheitsbegriff qua objektiver Zweckmäßigkeit als auch die Lehre von
der formalen Zweckmäßigkeit aufwirft. Die „Anmerkung“ der EE, die das
reguläre Sechseck mit dem organischen Naturobjekt in einen Topf wirft,
kann also als der Versuch gewertet werden, Zweifel an der bisherigen
Konzeption abzuwiegeln, während die „Allgemeine Anmerkung“ der
„Analytik“ die unangenehmen Konsequenzen ein Stück weit zur Sprache
bringt und eine Erweiterung der Terminologie mit sich führt.
Es wird wohl kein Zufall sein, daß beide „Anmerkungen“ durch den
Verweis auf die regelmäßig-geometrischen Figuren eine enge Beziehung
zu den ersten Paragraphen der KtU aufweisen.148 Kant hat sich offenbar
erst nach Abschluß der AS zu einer gesonderten Teleologie veranlaßt
gesehen, womit zusammenpaßt, daß in der „Analytik“ der Zweckbegriff
noch sowohl eine instrumentelle als auch eine teleologische Komponente
hat. Ebensowenig dürfte es ein Zufall sein, daß an diesem wichtigen
Punkt, der vielleicht einen systematischen Wendepunkt in der Genese der
KU markiert, einer Terminologie der Boden bereitet wird, die die Begriff-
lichkeit von Zweckmäßigkeit konterkariert, nämlich die von Spiel. Am
Anfang der KtU behandelt Kant mit den regelmäßig-geometrischen For-
men etwas, das eigentlich als „Form der Zweckmäßigkeit“ zu bezeichnen
wäre, womit diese Formel für den ästhetischen Kontext in Frage gestellt
würde.149
Die Inhomogenität der KU, wie sie durch die unterschiedliche Ge-
wichtung der Spielterminologie und den Wandlungen des Zweckmäßig-
keitsbegriffs deutlich wird, ist also folgendermaßen zusammenfassen: Im
ältesten Teil der KU, der AS, ist die Spielterminologie so schwach
eingebunden, daß sie einigermaßen problemlos aus dieser hinwegzuden-
ken wäre, zumal andere Partien tatsächlich ohne sie auskommen, nämlich
der Schlüsselparagraph der „Deduktion“ (ein relativ früher Teil der KU)
und die „Einleitung“ (der späteste Teil). Derjenige Textblock, der sich
dem Kunstschönen widmet, ist dagegen von der Spielterminologie gera-
dezu durchdrungen, was dazu führt, daß der Begriff der formalen
Zweckmäßigkeit, wie er etwa in der „Analytik“ entwickelt wurde, dort eine
entscheidende Veränderung erfährt. In der AE kommen beide Begriff-
___________
148 In beiden „Einleitungen“ kommt Kant jeweils im ersten Abschnitt auf die Geometrie zu
sprechen und bespricht sie als Beispiel von „Regeln der Geschicklichkeit“, die „technisch-
praktisch“ zu nennen seien (XIV), bzw. als Sätze zur „Erzeugung von Gegenständen“ (Bd.
20, S 196). In der EE wird betont: „Eine practische Geometrie, als abgesonderte Wissen-
schaft, ist ein Unding“ (S. 198), und in einer Anmerkung fügt Kant hinzu, daß die eigentli-
chen Mittel der Geometrie nicht „wirkliche Werkzeuge“ bzw. „zusammengesetztere
Maschinen“ seien, sondern Operationen der Einbildungskraft, „der kein Instrument es
gleich thun kann“ (ebd.).
149 Siehe oben, S. 66ff.
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU 115
lichkeiten vor, wobei aber die konsequente Anwendung des Begriffs der
formalen Zweckmäßigkeit dort dazu führen müßte, daß das Erhabene als
das Häßliche zu gelten hätte, was nur dadurch vermieden wird, daß für das
Erhabene eine „höhere Zweckmäßigkeit“ geltend gemacht wird, die
Ähnlichkeiten zur Zweckmäßigkeit im Zusammenhang mit dem Kunst-
schönen aufweist. Das komplette Fehlen der Spielterminologie im letzten
Teil der KU, der „Einleitung“, ist besonders auffällig und hat einen
anderen Grund als im §39 der „Deduktion“: Während Kant den
Spielbegriff dort (noch) nicht braucht, muß hier davon die Rede sein, daß
er ihn nicht (mehr) brauchen kann, weil dann der Zweckmäßigkeitsbegriff
nicht mehr ohne weiteres dazu taugen würde, die Einheit des gesamten
Werks herzustellen. Aber nicht nur die schwierige Vereinbarkeit der Be-
grifflichkeit von Spiel mit den übrigen Elementen der KU ist für Kant ein
Problem. Auch das Phänomen des Spiels selbst stellt Kant vor Schwierig-
keiten. Es fragt sich nämlich, ob die ihm entlehnte Begrifflichkeit der Sa-
che, die es in der Ästhetik zu erklären gilt, tatsächlich angemessen ist.
Spiel in weite Ferne von allem, was dem Anspruch des interesselosen
Wohlgefallens genügen könnte, und stellt damit die ganze Analogie in
Frage. Die „Anmerkung“ am Ende der „Deduktion“ vertritt nämlich die
These, daß das Wohlgefallens im Zusammenhang mit Spiel auf physiologi-
schem Weg, als pathologische Lust, zu erklären sei.
„Alles wechselnde freie Spiel der Empfindungen (die keine Absicht
zum Grund haben) vergnügt, weil es das Gefühl der Gesundheit beför-
dert“ (223), sagt Kant. Er meint damit keineswegs nur solche Spiele, bei
denen die körperliche Bewegung im Vordergrund steht, denn er spricht
von „Glücksspiel, Tonspiel und Gedankenspiel“ (ebd.). Bis auf das
Glücksspiel thematisiert er damit solche Spiele, die dem, was er zuvor im
Zusammenhang mit der schönen Kunst behandelt hat, auffallend ähneln,
zumal mit „Tonspiel“ ja die Musik genannt wird. Über deren Rolle hat er
sich im §51 übrigens bemerkenswert unentschieden geäußert und offen-
gelassen, ob Tönen überhaupt ein „Wohlgefallen an der Form in der äs-
thetischen Beurteilung“ (212) gelten kann und ob Musik nicht etwa nur als
eine „angenehme Kunst“ (213) statt als eine „schöne“ anzusehen sei.152
Im Rahmen von Spiel soll nicht etwa körperliche Bewegung die Ursa-
che für ein Wohlgefallen sein. Es sei die seelische Bewegung, welche ein
körperliches Wohlbefinden zur Folge haben soll, denn man müsse anneh-
men, „daß mit allen unseren Gedanken zugleich irgendeine Bewegung in
den Organen des Körpers harmonisch verbunden sei“ (227). So werde
verständlich, daß durch jede „innere Motion das ganze Lebensgeschäft im
Körper befördert zu sein scheint“ (224). Diese „Belebung“, die „bloß
körperlich“ sei, „ob sie gleich von Ideen des Gemüts erregt wird“, sorge
für ein „Gefühl der Gesundheit durch eine jenem Spiele korrespondie-
rende Bewegung der Eingeweide“ (224).
Kants Einsicht, „daß man dem Körper auch durch die Seele beikom-
men“ (225) kann, könnte man zwar als ein eindrucksvolles Beispiel dafür
ansehen, daß er, hier ganz wie Burke physiologisch denkend, keine Zwei-
welten-Theorie des Seelischen und Somatischen vertritt. Doch ist diese
Überlegung im betreffenden Kontext Teil eines argumentativen Gewalt-
aktes, der ein schlechtes Licht auf die gesamte bisherige Untersuchung
wirft. Denn mit den geschilderten Anleihen aus der Welt der Physiologie
will Kant erklären, warum Spiel „vergnügend“ sein kann, „ohne interes-
sierte Absicht dabei zum Grunde zu legen“ (224). Es ist die offenkundige
Interesselosigkeit des Spiels, die Kant durch physiologische Terminologie
erklären will, und es fragt sich, warum nicht auch die Interesselosigkeit des
ästhetischen Wohlgefallens auf ein körperliches Wohlbefinden, das seiner-
___________
152 In der „Analytik“ hatte Kant die „Musik ohne Text“ (49) noch als Muster einer „freien
Schönheit“ gerühmt.
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU 117
___________
153 Hervorhebung von mir.
154 Vgl. insbesondere 225f.
118 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
___________
155 Vgl. z.B. R 685; R 801; R 802.
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU 119
Da klar ist, daß die AS nichts anderes will, als genau solche nichtempi-
rischen Bedingungen für das ästhetische Wohlgefallen namhaft zu ma-
chen, muß in der Zwischenzeit bei Kant ein Paradigmenwechsel in der
Behandlung des Schönen stattgefunden haben. Die terminologischen
Verweise auf den psychologisch-physiologischen Ansatz wären somit als
Reste einer eigentlich überwundenen Konzeption zu verstehen. Dies
könnte zu der Sicht verleiten, daß man es hier insgesamt mit dem ältesten
Teil der KU zu tun hat. Doch kann gezeigt werden, daß die §§43 bis 54
nach der „Analytik“ entstanden sind, weil sie bereits terminologische
Elemente enthalten, die in der „Analytik“ nicht, in der mit Sicherheit spät
entstandenen KtU und den beiden Einleitungen aber verstärkt auftre-
ten.156 Die Bedeutung der Spielterminologie ist wohl einfach auch zu
hoch, als daß man sie bloß als Reminiszenz an einen im Grunde längst
überkommenen Ansatz verstehen könnte und sie damit aus der Konzep-
tion der KU, soweit diese sich die Erarbeitung nichtempirischer Prinzipien
für die Ästhetik zum Ziel gemacht hat, nachträglich herauszudividieren
hätte.
Ganz unabhängig davon, ob man der Meinung ist, daß das „freie Spiel
der Erkenntniskräfte“ sich bruchlos in die übrige Konstruktion der
„Analytik“ einfügt und sich mit der Lehre von der „Zweckmäßigkeit ohne
Zweck“ vereinbaren läßt, ist wohl unstrittig, daß die Rede von der freien
Einbildungskraft, die sich von Zwang und Nötigung des Verstandes be-
freit, innerhalb der Gesamtkonzeption in ihrer Endgestalt eine zentrale
Rolle spielt. Um so irritierender ist es, daß Kant das Bild des Spiels zur
Illustration einer besonderen Freiheit gebraucht, das Spiel selbst aber
offenbar nicht anders erklären kann als physiologisch-naturalistisch.
Zusammenfassend ist also zu konstatieren, daß der Spielbegriff auf
doppelte Weise ein Problem für Kant darstellt: Einerseits steht die Termi-
nologie des freien Spiels der Erkenntniskräfte im Widerspruch zur
Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit, weil letztere eine möglichst
ungehinderte, glatte Erkenntnisaktivität suggeriert, die solche Formen
bevorzugt, wie sie dem Spiel abträglich sind, nämlich einfache und mo-
notone. Andererseits muß offen bleiben, ob das freie Spiel dem Phäno-
men der ästhetischen Einstellung und deren Ansprüchen gerecht werden
kann: Daß das Spiel als Gegenentwurf zu Praxis, als das schlechthin An-
dere zu Alltag, sich nicht von selbst versteht, zeigt die Unentschiedenheit
Kants in der Frage, ob Spiel als Gegenmodell zur grundsätzlichen Inter-
essiertheit des Subjekts taugt. Weder das schwierige Verhältnis, in dem die
Spielbegrifflichkeit zu anderen Teilen der Konzeption steht, noch Kants
Zwiespalt bezüglich dieser Terminologie selbst kommen ans Licht, wenn
___________
156 Siehe Tonelli, „La formazione del testo“, S 440.
120 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
___________
157 Statt auch nur von fern ein Problem mit dem Begriff des Spiels zu sehen, schmückt etwa
Henrich das Bild der miteinander spielenden Erkenntnisvermögen noch weiter aus und
schlägt vor, man solle sich Verstand und Einbildungskraft vorstellen, wie sie miteinander
tanzen bzw. ein Ballspiel ausführen (Aesthetic Judgment and the Moral Image of the World, S.
52f.). Aber Henrich ist bei weitem nicht allein darin, auf das Bild des Spiels zurückzugrei-
fen, ohne im Zusammenhang mit dieser Terminologie ein Problem zu thematisieren (vgl.
z.B. Stolzenberg, „Das freie Spiel der Erkenntniskräfte“, S. 28; Kern, Schöne Lust, u.a. S.
191f. und 230ff. und Seel, Ästhetik des Erscheinens, S. 19f. und S. 60).
Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die
Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
A. Das Spiel
Die These von der Interesselosigkeit des ästhetischen Wohlgefallens bildet
den Anfang von Kants AS. Das Kriterium der Interesselosigkeit ist die
differentia specifica, mit der er die ästhetische Einstellung einzugrenzen ver-
sucht, und dasjenige, wovon er sie abgrenzt, ist die interessierte Praxis.
Dieser Abgrenzungsversuch muß aber solange trivial scheinen, wie unklar
bleibt, ob es überhaupt einen Gattungsbegriff für Praxis und ästhetische
Einstellung gibt. Um also die Besonderheit der ästhetischen Einstellung zu
verstehen, muß der Blick zunächst auf die Gemeinsamkeiten, die sie mit
Praxis hat, gerichtet werden. Zu einem tieferen Verständnis der Besonder-
heit des Ästhetischen ist es mit Erkenntnistheorie allein somit nicht getan.
Wie schon die auffallende Präsenz von praktischer Terminologie mit
Begriffen wie „Absicht“, „Zweck“ und „Zweckmäßigkeit“ in Kants
ästhetischer Theorie anzeigt, ist in Hinblick auf die zu leistende Abgren-
zung der ästhetischen Einstellung auch Handlungstheorie gefragt. Für eine
mögliche handlungstheoretische Annäherung an die ästhetische Frage-
stellung macht das folgende Kapitel einen Vorschlag. Die ästhetische Ein-
stellung wird im folgenden in den ungewohnten Kontext zweier nicht-
ästhetischer, meist im Zusammenhang mit Praxis diskutierter Phänomene
gestellt, nämlich der Unterlassungshandlung und des Spiels.
Beim Spielbegriff, um den es zunächst gehen soll, liegt die Bedeutung
für Kants Ansatz freilich auf der Hand. Kant greift auf ihn zurück, weil
der Versuch, das ästhetische Wohlgefallen auf die Zweckmäßigkeit eines
gegebenen Anschauungsmaterials für die nichtpraktischen „Zwecke“ der
Erkenntnis zurückzuführen,1 das vorgegebene Kriterium der Interesse-
losigkeit offenbar nicht überzeugend einzulösen vermag. Indem Kant die
Tätigkeit der Erkenntniskräfte innerhalb der ästhetischen Einstellung in
Analogie zum Spiel beschreibt, gelingt es ihm zwar, die Nichtpraktizität
der ästhetischen Einstellung anschaulich zu machen – denn das Spiel ist
das Sinnbild für ein zweckfreies und insofern auch interesseloses Tun
schlechthin –; er holt sich mit dem Spielbegriff und dessen schwieriger
___________
1 Siehe oben, S. 58-83.
122 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
Semantik aber einen der Praxis näher als Theorie und Ästhetik stehenden
Fremdkörper in seine Konzeption, zu dem sich insbesondere zwei Fragen
stellen.
Erstens fragt sich, ob das Phänomen Spiel die geforderte Analogie
überhaupt zuläßt. Wenn es stimmt, was Kant selbst zum Spiel bemerkt,
nämlich daß es lustvoll nur im Sinn einer „pathologisch“-affektiven An-
nehmlichkeit sei,2 dann scheint das Bild spielender Erkenntniskräfte unge-
eignet, die ästhetische Einstellung zu illustrieren. Damit die Anwendung
dieser Begrifflichkeit von irgendeinem Gewinn sein kann, muß dem Spiel
also selbst bereits jene Zweckfreiheit nachgewiesen werden können, die
für die ästhetische Einstellung in Anspruch genommen wird. Gerade
Kants eigene Einlassungen zum Spiel zeigen, daß dessen Zweckfreiheit
hinterfragt und somit nicht unkritisch vorausgesetzt werden kann.
Daraus ergibt sich dann zweitens die Frage, ob Kants Ausgangspunkt
nicht zu revidieren wäre. Ist nämlich auch das Spiel zweckfrei bzw.
interesselos, ist das ästhetische Wohlgefallen nicht mehr das einzig interes-
selose, als das es noch am Anfang der AS beschrieben wurde. Mit dem
Spiel müßte noch eine zweite interesselose Einstellung angesetzt werden,
und es wäre dann nötig, die eine von der anderen abzugrenzen.3
1. Scheiternde Spieltheorien: Spiel ganz als Zweck und ganz ohne Zweck
___________
2 Siehe oben, S. 115ff.
3 Nach Seel, der von einem „ästhetischen Spiel“ (Ästhetik des Erscheinens, S. 216) spricht, wäre
diese Abgrenzung innerhalb der Gattung „Spiel“ durchzuführen.
4 Ästhetische Theorie, S. 469.
5 Ebd.
A. Das Spiel 123
Praxis [...] zu gewöhnen, ohne daß sie die Kontrebande von Praxis bemer-
ken“6.
Statt „Zweckfreiheit“7, einer positiv konnotierten Abwesenheit von
Zwecken, die als Errungenschaft gegenüber interessierter Praxis zu verste-
hen wäre, bescheinigt Adorno dem Spiel also allenfalls eine gewisse
Irrationalität, die am praktischen und damit interessierten Charakter der
Tätigkeit nichts ändert; und wenn doch, dann eben nicht im Sinn einer wie
auch immer verstandenen Freiheit. Dergleichen wie „Zweckfreiheit“ liegt
Adorno zufolge, wenn überhaupt, dann nur in einem abwertenden Sinn
vor: als naturwüchsiges Zurückbleiben hinter Zweckrationalität, nicht als
Befreiung von ihr. Um ein Geschehen, das von Zwecken frei wäre, könne
es sich deshalb nicht handeln, so Adorno, weil das Spiel insgesamt den
Status eines Mittels habe: Sein Zweck bestehe darin, das Subjekt an die
Praxis heranzuführen, ihr die Erfordernisse derselben nahezubringen und
sie ihm durch „relative Umfunktionierung physischer Unlust in sekundäre
Lust“ erst schmackhaft zu machen.8
Adorno ist nicht der einzige, der sich gegenüber der oft beschworenen
Zweckfreiheit des Spiels skeptisch zeigt und darin übt, es als Fall von
Interessiertheit zu demaskieren. Spiel als Mittel für das Überleben im
Konkurrenzkampf: diese Deutung hat vor allem in biologistischen Ansät-
zen in der Nachfolge Darwins Tradition. Als einflußreich erwies sich ins-
besondere die Theorie von Karl Groos, der Spiel als „Vorübung“ faßte.9
Das Spiel hat demnach seinen Zweck darin, daß durch seinen Vollzug
bestimmte, für den späteren Alltag relevante Tätigkeiten erlernt werden.10
Groos spricht von einem „unberechenbaren Nutzen“ des Spiels für Tiere,
der in der „spielenden Vorübung und Einübung jener wichtigen Le-
bensaufgaben“ bestehe.11 Ein solcher „Nutzen“ ist etwas ganz anderes als
materielle oder ideelle Güter, die mit dem Erreichen des spielerischen
Ziels verknüpft werden können,12 wie etwa eine Spielprämie. Der „Nut-
___________
6 Ebd., S. 471.
7 Ebd., S. 470.
8 Ebd., S. 471.
9 Die Spiele der Tiere, S. 68.
10 Ebd.
11 Ebd.
12 Das ist wohl die nächstliegende Strategie, das Spiel in seiner Zweckfreiheit wegzuerklären:
Weil klar ist, daß die durch Spiel hervorgebrachten Dinge keinen direkten Nutzen bzw. die-
ser direkte Nutzen nicht Anlaß für das Spiel sein kann – ein sinnfälliges Beispiel für ein
nutzloses, durch Spiel hervorgebrachtes Ding ist etwa der Pfeil, der an der Zielscheibe
steckt –, wird gelegentlich versucht, ihnen einen indirekten Nutzen beizulegen. So wird
vertreten, daß ein Spieler seine Motivation für das Intendieren daraus ableite, daß das
Gewinnen des Spiels mit Vorteilen verbunden sei, wenn nicht mit materiellen, so wenig-
stens mit sozialen (vgl. Caillois, Die Spiele der Menschen, S. 22), was aber unplausibel ist.
Denn einerseits bleibt unerklärt, daß es Spiele gibt, die weder Publikum noch Mitspieler
124 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
zen“ des Spiels im Sinn von Groos ist vor allem aber nichts, das dem spie-
lenden Tier oder Kleinkind vor Augen schweben bzw. bewußt sein
könnte. Der „Nutzen“ von Spiel ist nach Groos gewissermaßen biologi-
scher Art, denn die als „Spiel“ beschriebenen Tätigkeiten sollen nur durch
Trieb oder Instinkt, nicht aber durch „Zweckvorstellungen motiviert“
sein, wie er feststellt.13 Und insofern Instinkt der Anlaß für den Eintritt in
diese Tätigkeit darstellt, kann es sich dabei um keine freie handeln:
Hervorzuheben ist, daß die Tiere selbst nichts intendieren, nicht in bewußter
Weise um etwas kämpfen [...]. Sie handeln als reine Naturwesen nur nach durch-
aus notwendigen und strengen Lebensgesetzen. Sie handeln eigentlich gar nicht
selbst, sondern werden nach höheren Gesetzen zu ganz bestimmten Le-
bensäußerungen veranlaßt.14
Die Annahme von einem generellen „Spieltrieb“ weist diese Theorie zu-
rück:
Es gibt nicht einen allgemeinen Trieb zum Spielen überhaupt, sondern einzelne
Instincte äussern sich auch da, wo für ihre ernstliche Bethätigung kein Anlass ge-
geben ist, zum Zwecke der Übung, besonders der Vorübung, und diese einzelnen
Instincte werden dadurch zu den einzelnen Spielen.15
Beim spielerischen Wohlgefallen handelt es sich nun um etwas geradezu
Alltägliches, nämlich um „die Lust, die die Aktivierung jeder instinktiven
Tendenz begleitet“ und um „die mit jeder erfolgreichen Handlung ver-
bundene Freude“16.
Von der Zweckfreiheit des Spiels, die Groos zu einem Fall gewöhnli-
cher Bedürfnisbefriedigung degradiert, bleibt so nicht viel übrig.17 Inwie-
_____________
brauchen (vgl. etwa Huizinga, Homo Ludens, S. 52), zum anderen bleiben durch eine solche
Beschreibung wesentliche Strukturmomente von Spiel unberücksichtigt. Denn ginge es
dem Spieler beim Gewinnen des Spiels um materielle oder andere Vorteile, wäre dann die
Befriedigung durch das Spiel nur im Erfolgsfall gegeben. Auch jemand, der es im Spiel
prinzipiell darauf anlegte, von anderen bewundert zu werden, ginge im Mißerfolgsfall ge-
nauso leer aus, wie ein Jäger, der etwa um seine Mahlzeit gebracht wird. Daß ersterer Miß-
erfolg relativ folgenlos sein mag, wäre der einzige Unterschied (siehe unten, S. 134).
13 Die Spiele der Tiere, S. 61; vgl. auch Hassenstein, „Das Spielen der Tiere“, S. 26.
14 Ebd., S. 25.
15 Ebd., S. 68f.
16 So Piaget (Nachahmung, Spiel und Traum, S. 195) in Anlehnung an Groos. Piaget setzt die
Freude am Erfolg gleich mit der „Freude, Ursache zu sein“. Doch kann es sich dabei nicht
um dasselbe handeln: Letztere beinhaltet ein Wohlgefallen darüber, daß man selbst die Ur-
sache von etwas ist – womit thematisierendes Bewußtsein von sich selbst vorausgesetzt
wird, da nur ein sich selbst erkennendes Subjekt sich auch als die Ursache von etwas the-
matisch werden kann. Bei Tieren, die zwar ihren Erfolg in der Außenwelt wahrnehmen
können, darf dies nicht vorausgesetzt werden.
17 Die Freiheit des Spiels von Bedürfnisbefriedigung ist z.B. für Huizinga das Grundcha-
rakteristikum des Phänomens schlechthin: „Spiel steht außerhalb des Prozesses der unmit-
telbaren Befriedigung von Notwendigkeiten und Begierden, ja es unterbricht diesen
Prozeß“ (Homo Ludens, S. 16).
A. Das Spiel 125
___________
18 Anz meint in Literatur und Lust, S. 56, die Motivierung bestimmter Aktivitäten durch Lust
habe die Natur eingerichtet, „weil das Motiv, überleben zu wollen, allein nicht ausreicht“.
Aber gerade bei naturwüchsigem Intendieren ist dieses Motiv unverständlich, weil ein Tier,
dem es um seinen physischen Fortbestand ginge, von sich als in seinem Fortbestand Ge-
fährdeten wissen müßte, was es aber mit Sicherheit nicht tut. Erst für den Menschen als
von sich Wissendem kann es einen Zwiespalt geben zwischen Lust und Überlebenwollen
auf der einen Seite und der unangenehmen Situation, Unlust für den Selbsterhalt in Kauf
nehmen zu müssen, auf der anderen.
19 Entsprechend irritierend ist es, daß Freud den Sexualtrieb den „Lebenstrieb“ nennt und
dies dadurch erläutert, daß die „Geschlechtsfunktion das Leben verlängern und ihm den
Schein der Unsterblichkeit verleihen“ könne. Aber dieser „Zweck“ des Geschlechtsakts
kann für ein naturwüchsiges Intendieren nicht einmal „unbewußt“ im Freudschen Sinn
sein, sondern muß vielmehr als etwas Nichtbewußtes verstanden werden (Vgl. Jenseits des
Lustprinzips, [SA, Bd. 3], S. 253).
126 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
Theorie – und beim „Spiel“ von Tieren und Kleinkindern mag ihr nur
schwer zu widersprechen sein – ist die beschriebene Freiheit des Spiels
eine Illusion.25 Eine gewisse Freiheit läge darin nach Freud nur, insofern
im Spiel sich das Subjekt von den Gegebenheiten der Wirklichkeit frei
machte und einen alternativen Weg zur Befriedigung seiner Bedürfnisse
wählte. Doch statt sich von den Zwängen der Praxis zu lösen, bleibt das
Spiel ihr grundsätzlich verpflichtet. Das Ausweichen in eine phantasierte
Gegenwelt kann insbesondere deshalb kaum als ein Akt der Freiheit ver-
standen werden, weil es aus der Zwangssituation heraus geschieht, daß die
eigentliche Befriedigung der Bedürfnisse nicht gelingt. Der Weg der
phantasierten Bedürfnisbefriedigung ist, wie sich im weiteren Verlauf sei-
ner Praxis mit der darin unvermeidlichen Frustration erweisen wird, für
das Subjekt nur schlechte zweite Wahl und keinesfalls der Prototyp von
Interesselosigkeit. Obwohl es gerade in Freuds Spieltheorie so aussieht, als
müsse die Lust des Spiels beschrieben werden als Wohlgefallen, das unab-
hängig von der Wirklichkeit von Außenwelt auftritt, ist durch die Analogie
zum Traum eigentlich das Gegenteil der Fall: Eben weil der Inhalt des
Tagtraums durch die Neigungen des Subjekts vorgegeben wird, gilt das in
ihm generierte Wohlgefallen eigentlich der Wirklichkeit, für die er nur
schlechter Ersatz ist. Die Frage, ob das Vorgestellte wirklich ist oder nicht,
und damit die Existenz der Sache, ist dem Subjekt alles andere als „gleich-
gültig“26.
Wenn sich das Phänomen Spiel in dem von Freud beschriebenen Ge-
genstand erschöpfen sollte, erfolgte die Verwendung des Spielbegriffs
unter den Vorgaben der kantischen Ästhetik also eindeutig zu Unrecht.
Freud selbst baut zwar eine Brücke vom Spiel zum ästhetischen Bereich,
indem er auf der Basis des von ihm charakterisierten Spiels einen „forma-
len, d.h. ästhetischen Lustgewinn“27 für möglich hält. Dabei muß er aller-
dings eingestehen: Erzählten Tagträumen gelingt es nicht, Wohlgefallen in
uns zu erzeugen, während wir beim Dichter „hohe, wahrscheinlich aus
vielen Quellen zusammenfließende Lust“ empfinden. „Wie der Dichter
das zustandebringt, das ist sein eigenstes Geheimnis; in der Technik der
Überwindung jener Abstoßung [...] liegt die eigentliche Ars poetica“.28 Mit
einer „Befreiung von Spannungen in unserer Seele“, die Freud in diesem
Zusammenhang anführt, ist es aber in Hinblick auf den ästhetischen
Kontext wohl nicht getan, und die Rede vom „formalen, d.h. ästhetischen
Lustgewinn“ ist innerhalb Freuds mechanistischer Erklärungskonstruktion
___________
25 Daß bei Tieren und Kindern nicht von einem Als-ob gesprochen werden darf, betonen
Piaget (Nachahmung, Spiel und Traum, S. 198f.) und Caillois (Die Spiele der Menschen, S. 27).
26 KU, 6f.
27 Freud, Der Dichter und das Phantasieren (SA, Bd. 10), S. 179.
28 Ebd.
128 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
durch nichts gerechtfertigt.29 Freuds Theorie läßt keinen Raum für eine
Lust, die gemäß dem kantischen Anspruch formale Bedingungen haben
soll – seine Behandlung des Spiels und die des Kunstwerks sind sich in
diesem Punkt gleich.30
Der Verweis auf solche Theorien des Spiels, die in ihm nichts als
Zwecke, seien es biologische oder unbewußte, am Werke sehen, zeigt, daß
für die Zweckfreiheit des Spiels erst zu argumentieren ist. Jenen die
Zweckfreiheit des Spiels negierenden Theorien stehen aber Ansätze
gegenüber, die in ihm überhaupt keine Spur von Zwecken erkennen
wollen. Ein solcher Fall ist die Interpretation des Spiels bei Gadamer, der
sich in Wahrheit und Methode auf Beispiele wie „Spiel der Wellen“ beruft,
um den Spielbegriff als Grundbegriff der Ästhetik zu positionieren. Er
orientiert sich in seiner Deutung des Begriffs vom Spiel an der Bedeutung
des „Hin und Her“ einer Bewegung, bei der es von zu vernachlässigender
Bedeutung sei, „wer oder was diese Bewegung ausführt“31. Gadamer
kommt zu dem Schluß: „Es ist offenbar nicht so, daß auch Tiere spielen
und daß man im übertragenen Sinne sogar vom Wasser und vom Licht
sagen kann, daß es spielt. Vielmehr können wir umgekehrt vom Menschen
sagen, daß auch er spielt. Auch sein Spielen ist ein Naturvorgang“32.
Spiel, als Naturvorgang verstanden, bildet einen Gegenentwurf zu
subjekthaften Tätigkeiten deshalb, weil ihm überhaupt keine Zwecke
zugrunde liegen sollen. Das „Hin und Her einer Bewegung“ wie beim
„Spiel der Wellen“, sei „an keinem Ziel festgemacht [...], an dem sie en-
det“, heißt es bei Gadamer.33 Diese „ziellose“ bzw. „zwecklose“34 Bewe-
gung kennzeichnet er als eine freie, als einen Fall von Selbstbewegung:
„Das Spiel erscheint nun als eine Selbstbewegung, die durch ihre Bewe-
gung nicht Zwecke und Ziele anstrebt, sondern die Bewegung als Bewe-
gung [...] meint“35.
Der Bereich, in dem Gadamer die Zweckfreiheit des Spiels ansiedelt,
ist aber aus Kants Sicht trivialerweise zweckfrei, denn in der Natur ist die
Rede von Zwecken und Zielen grundsätzlich fragwürdig. Sie bedarf, wenn
___________
29 Zumal er diese ästhetische Lust als „Vorlust“ kennzeichnet (ebd.), und damit in Beziehung
setzt zu derjenigen Lust, die die nötigen Energien zum Vollzug des Geschlechtsakts, an
dessen Ende die „Befriedigungslust“ bzw. „Endlust“ steht, generieren soll (vgl. Drei
Abhandlungen zur Sexualtheorie, [SA, Bd. 5], S. 115.).
30 Freud führt Schönheit an einigen Stellen auf den sexuellen Reiz zurück (ebd.; S. 114; vgl.
auch S. 66, Anm. 2).
31 Wahrheit und Methode, S. 109.
32 Ebd., S. 111.
33 Ebd., S. 109.
34 Die Aktualität des Schönen, S. 114.
35 Ebd. Vgl. Schiller, der von einer „freien Bewegung“ spricht, die „sich selbst Zweck und Mittel
ist“ (Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 27. Brief), [Nationalausgabe, Bd. 20] S. 406).
A. Das Spiel 129
von der einen Seite des Platzes zur anderen und wieder zurück wandert.
Die fragliche Bewegung kommt nur dadurch zustande, daß einer der bei-
den Spieler seinen Zweck, den Ball regelgemäß außerhalb der Reichweite
des anderen zu befördern, noch nicht erreicht hat.36 Es wäre abwegig zu
leugnen, daß auch ein Spieler etwas will. Der Mindestsinn von Praxis, der
im Begriff des Wollens enthalten ist, muß also auch dem Spiel zugeschrie-
ben werden.
Der Wille bzw. das „Begehrungsvermögen“ ist nach Kant das Vermögen,
„durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegen-
stände dieser Vorstellungen zu sein“ (XXIII Anm.). Der Wille ist „nicht
etwa als ein bloßer Wunsch“ zu verstehen, sondern als „die Aufbietung
aller Mittel, soweit sie in unserer Gewalt sind“37. Es steht im Einzelfall
nicht fest, ob diese „Causalität [...] zur Wirklichkeit der Objekte zu-
lange“38, was bedeutet, daß in manchen Fällen der Wille zwar ergeht, das
Gewollte bzw. Intendierte sich aber nicht einstellt. Es muß somit unter-
schieden werden zwischen der „Causalität“ des Subjekts, also dem, was es
aktiv tut, indem es will, und dem, was es dabei – fehlbarerweise – je und je
bewirkt, und dessen Wirklichkeit sich nur kontingenterweise einstellt.
All dies gilt auch für die Tätigkeit des Spiels, in dessen Rahmen ein
Subjekt auf die Wirklichkeit eines Gegenstandes aus ist, die nicht in allen
Fällen auch erreicht wird. Beim Tennisspiel ist dies etwa die Wirklichkeit
eines Balles, der auf der anderen Seite des Netzes im Spielfeld aufkommt.
Man muß sich also klarmachen, daß auch im Spiel zwischen Wille bzw.
Intention auf der einen und Wirkung auf der anderen Seite streng zu
unterscheiden ist. Wenn Kant zum Spiel bemerkt, es trete darin ein
Wohlgefallen auf, das durch die Tätigkeit39 allein zustande komme, und
___________
36 Fink sieht das klar. Er spricht im Zusammenhang mit solchen Zwecken vom „immanenten
Spielzweck“ (Oase des Glücks, S. 23). Auch Gadamer will die Rede von Zwecken im Zusam-
menhang mit Spiel offenbar nicht ausschließen (er redet von „Scheinzwecken“ [Wahrheit
und Methode, S. 113] und gesteht zu, daß im Spiel die „Zweckbezüge, die das tätige und sor-
gende Dasein bestimmen, nicht einfach verschwunden“ [ebd., S. 107] sind). Wie sich die-
ser Befund mit der behaupteten Subjektlosigkeit des Spiels verträgt, bleibt aber offen.
37 Bd. 4, S. 394.
38 Bd. 5, S. 45; vgl. auch S. 15.
39 Mit „Tätigkeit“ im Unterschied zu Wirkung kann intentionalitätstheoretisch nur die In-
tention gemeint sein. Etwas anderes kommt nicht in Frage, auch nicht die Kör-
perbewegung. Die ist in der Regel Mittel zum Erreichen eines Zwecks, als solches aber
selbst schon Wirkung bzw. Erfolg einer Intention, weil das Ergehen der Intention das Ein-
treten der Körperbewegung nicht impliziert: Es kann vorkommen, daß die Intention er-
geht, den Tennisschläger zu ergreifen, die Bewegung des Arms, die dazu nötig ist, aber
A. Das Spiel 131
nicht durch die Wirkung, ist der zuletzt genannte Aspekt von großer Be-
deutung. Denn die merkwürdige Besonderheit des Spiels wird nur deut-
lich, wenn man berücksichtigt, daß die Lust nicht vermittelt durch eine
beabsichtigte Wirkung hergestellt werden soll, obwohl es das Subjekt im
Spiel genau auf eine solche Wirkung abgesehen hat.
Daß es eine Tätigkeit geben kann, die sich nicht auf die Verwirkli-
chung von etwas außerhalb ihrer Liegendem richtet, also so etwas wie ein
rein selbstgenügsames Tun, ist intentionalitätstheoretisch ausgeschlossen.
Es müßte sich dabei um eine Intention handeln, die nur auf sich selbst
ausginge, und als schon wirkliche Intention auf sich selbst ausgehen,
würde heißen, eine Wirklichkeit erst noch herzustellen zu versuchen, die
schon vorliegt. Der Bezug auf etwas Anderes ihrer selbst ist geradezu der
Wesenszug einer Intention: Eine Intention ist die Verwirklichung von
etwas noch nicht Wirklichem; wäre das Intendierte schon wirklich, wäre
die Intention überflüssig. Und um auf sich selbst ausgehen zu können,
müßte die Wirklichkeit dessen, was doch erst erzielt werden soll, schon
vorausgesetzt werden.40 Von diesen Gesetzmäßigkeiten bildet das Spiel,
wenn es nicht ein naturkausaler Vorgang sein soll, keine Ausnahme. Soll
es so etwas wie eine selbstzweckhafte Tätigkeit geben können, dann nur
auf der Grundlage von „Fremdzwecken“, die zum Intendieren in seiner
elementaren Form wesentlich hinzugehören.
Das intentionale Hervorbringen von noch nicht wirklichen Objekten
kann demzufolge keine exklusive Eigenheit von interessierter Praxis sein.
Wie sehr Praxis und Spiel sich in diesem Punkt gleich sind, zeigt sich
besonders deutlich daran, daß in manchen Fällen zwischen Spiel und
Praxis kein äußerlicher Unterschied vorliegen muß. Manche Spiele beste-
hen aus Verrichtungen, die eins zu eins aus Praxis übernommen werden.
So braucht in dem, was an Objekten hervorgebracht wird und mit wel-
chen Mitteln, etwa zwischen einer spielerischen Jagd und einer praktischen
nicht der geringste Unterschied zu bestehen. Ob ein Geschehen als Praxis
oder Spiel zu bestimmen ist, läßt sich von außen oft nicht feststellen. Es
soll sogar Subjekte geben, die die Praxis ihres Alltags zum Spiel machen
und sie dann als ein solches betreiben.
Um äußerlich identische Vorgänge als Alltag oder Spiel beschreiben
zu können, muß man sich also auf deren subjektive Tiefenstruktur stüt-
zen, und die ist nicht empirisch vorfindbar. Um zu klären, ob eine be-
stimmte Tätigkeit als Spiel oder Alltag zu verstehen ist, muß angegeben
_____________
nicht eintritt (z.B. aufgrund einer Lähmung, oder weil ihn jemand festhält). Freilich er-
strecken sich Tätigkeiten, anders als Intentionen, über eine Zeitspanne, was aber nichts an-
deres bedeutet, als daß sie als immer wieder neue Intention mit gleichbleibendem Ziel zu
beschreiben sind.
40 Zu all dem vgl. Prauss, Die Welt und wir, Bd. I/1, S. 235 und Bd. II/1, S. 5f.; S. 24ff.
132 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
werden, wie das Subjekt zu ihm steht. So ist Kants Definitionsversuch für
Spiel zu verstehen, der nicht zufällig auf Lust und Unlust rekurriert: Spiel
wird von ihm als diejenige Beschäftigung bestimmt, die nicht durch ihre
Wirkung mit Wohlgefallen verbunden sei. Zwar gibt es eine Wirkung, also
ein hervorzubringendes Objekt, wie etwa den Pfeil, der in der Zielscheibe
steckt, aber das Hervorgebrachte ist nicht der Grund für das Wohlgefal-
len. Die Besonderheit des Spiels gegenüber Praxis liegt nicht in der Art
des Hervorgebrachten, sondern im Verhältnis des Subjekts zu ihm. Der
Status, den die Objekte im Spiel für das Subjekt haben, ist aber so funda-
mental von dem der Praxis unterschieden, daß dies zunächst einmal
befremden muß.
„Die Menschen beschäftigen sich damit, hinter einem Ball oder einem
Hasen herzujagen; das ist sogar das Vergnügen der Könige“, beobachtet
Pascal mit Verwunderung.41 Wer sich nun mit ihm wundert, wie privile-
gierte Personen im Spiel ein Interesse an so minderwertigen Objekten wie
Bällen und Hasen finden können, hat das eigentlich Irritierende noch gar
nicht erfaßt. Zu den Gegenständen, nach denen man im Spiel strebt, be-
merkt Pascal nämlich: „Man würde sie nicht haben wollen, würden sie als
Geschenke angeboten“.42 Das gilt sogar für Spiele, bei denen man dies am
wenigsten erwarten würde, weil ihre Prämien ganz objektiv wertvoll zu
sein scheinen: „Gebt [dem Spieler] jeden Morgen das Geld, das er am Tag
gewinnen könnte, unter der Bedingung, nicht mehr zu spielen: so macht
ihr ihn unglücklich“.43 Warum man einen Hasen jagt, den man nicht ge-
schenkt will, oder beim Wetten um eine Prämie glücklicher als mit der
Prämie selbst sein kann, verlangt nach einer Erklärung.
Zunächst ist aber dieser Rätselhaftigkeit selbst noch etwas genauer auf
den Grund zu gehen. Pascals Verwunderung enthält ja bereits eine Prä-
misse, die nicht selbstverständlich ist. Mit der Anormalität des Spiels ist
der Normalfall behauptet: Normalerweise steht hinter dem, was wir wol-
len und hervorbringen, etwas weiteres. Was wir im einzelnen intendieren,
ist normalerweise Zweck nicht im absoluten Sinn, sondern nur in dem
relativen, daß er Mittel ist in Hinblick auf ein darüber hinausliegendes Ziel.
Man will dieses und jenes, aber nur deshalb, weil dadurch jeweils ein ande-
res möglich wird; so will man Geld in der Regel nicht um seiner selbst
___________
41 Pascal, Pensées, Nr. 141 (S. 84).
42 Ebd., Nr. 139 (S. 78).
43 Ebd., Nr. 139 (S. 82).
A. Das Spiel 133
willen, denn die Freude, die mit ihm verbunden ist, bezieht sich auf die
Möglichkeiten, die sich durch dieses Mittel eröffnen. Auch der zu jagende
Hase ist also niemals von sich selbst her Zweck, sondern durch etwas
anderes, Dahinterstehendes, in Hinblick worauf er lediglich als Mittel
fungiert.44
Somit erweist sich schon Praxis als befremdlich. Weil einer Sache ihr
Wert offenbar erst durch einen außerhalb ihrer selbst liegenden Zweck
zukommt, erscheint die eigentliche Wertstiftung in einen unendlichen
Progreß hinausgeschoben. Die Frage, wie es trotzdem zu dergleichen wie
Zwecken kommt, stellt sich auch Kant: „Ein Ding in der Natur ist ein
Mittel dem andern; das läuft immer so fort, und es ist nothwendig, am
Ende ein Ding zu denken, das selbst Zweck ist, sonst würde die Reihe
kein Ende haben“.45 Ob es aber ein Ding geben kann, das sein Zwecksein
in sich selbst trägt, wäre nach Kant zu bezweifeln. Etwas, das seinen
Zweck nicht außerhalb seiner selbst hat, kann ihm zufolge kein Ding sein,
sondern nur das Subjekt, das „selbst Zweck“ bzw. Zweck an sich seiende,
das Anderes seiner selbst erst zum Zweck zu machen hat.46
Aber wodurch wird für ein solches Subjekt etwas Anderes seiner
selbst Zweck? Daß die ursprüngliche Setzung eines Zwecks durch
unmotivierte Willkür geleistet würde, wäre unverständlich. Im Rahmen
von interessierter Praxis hat das Subjekt keine freie Wahl;47 es ist nicht
beliebig, auf welches Objekt es ausgeht. Eine Mittel/Zweck-Kette braucht
einen Endpunkt, die Präferenz für etwas ganz Bestimmtes, welche nicht
wiederum durch eine Mittel/Zweck-Erwägung motiviert ist. Es gibt aber
etwas, wodurch im Rahmen von interessierter Praxis eine solche Präferenz
ursprünglich konstituiert wird, nämlich dergleichen wie Neigung oder
Bedürfnis. Es liegt an unseren Neigungen und Bedürfnissen, weshalb wir
Subjekte laut Kant „keine Freiheit“ haben, „uns selbst irgend woraus ei-
nen Gegenstand der Lust zu machen“48. Welcher Gegenstand mit Lust
verbunden ist – das ist dem Subjekt im Rahmen seiner naturalen Bedürf-
tigkeit durch die Faktizität seiner affektiven Befindlichkeit und der empiri-
___________
44 In Korsgaards Terminologie (vgl. „Two Distinctions in Goodness“, S. 170) ausgedrückt,
müßte man also bezweifeln, daß es ein „final good“ im Gegensatz zu einem „instrumental
good“ gibt. Als einziges Gutes, das kein Mittel ist, käme dann Korsgaards „intrinsic good“
in Frage; dasjenige also, was seinen Zweck in sich hat (der „Zweck an sich“). Daß es ein
„extrinsic good“ gibt, das kein „instrumental good“ ist, kann man gegen Korsgaard
bezweifeln. Bei ihrem Beispiel, einem Gemälde (ebd., S. 186), ist nämlich zu fragen, ob es
sich dabei überhaupt um ein Gutes handelt.
45 Bd. 27, S. 1321.
46 Mit Korsgaard (siehe oben, Anm. 44) müßte man formulieren, daß Kant in der zitierten
Passage nach einem „final good“ fragt, mit seinem „Zweck an sich“ letztlich aber auf ein
„intrinsic good“ stößt.
47 Vgl. KU, 15f.
48 Ebd.
134 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
Spieler, der das spielimmanente49 Ziel verfehlt, hat nicht den geringsten
Anlaß, seine Tätigkeit zu bereuen.50
Das wiederum heißt nicht, daß nicht auch der Spieler in seinem
spielerischen Anliegen enttäuscht werden kann. Ob der Vollzug des Spiels
sich für ihn gelohnt hat, erweist sich aber auf einer ganz anderen Ebene.
Nicht der spielimmanente Erfolg oder Mißerfolg gibt da den Ausschlag,
sondern die Frage, ob sich das Spiel für ihn als erfüllend erwies. Wenn
sich z.B. ein großer Leistungsunterschied zwischen den Spielenden be-
merkbar macht, ist das nicht nur für den Verlierer ein Nachteil. Auch für
den Überlegenen sind solche Bedingungen ungünstig, obwohl sich so
seine Aussicht auf Erfolg erhöht. Darin liegt ein krasser Gegensatz zur
Praxis. Im Spiel gibt es also eine Dimension von Lust und Unlust, in der
Erfolg und Mißerfolg bzw. die Wirklichkeit des Intendierten keine Rolle
spielt.51 Weil es sich genau dabei um die eigentlich spielerische Ebene
handelt, gilt Kants maßgebliches Kriterium für Interesselosigkeit auch für
das spielerische Wohlgefallen.
Vor dem Hintergrund des zuletzt erreichten Ergebnisses erweist sich die
Analogie zwischen dem Spiel und der ästhetischen Einstellung also als
berechtigt. Um zu sehen, wie breit die Grundlage für eine solche Analogie
ist, sei noch einmal kurz der Blick auf die AS gerichtet, wo Kant eine auf
Vollständigkeit Anspruch erhebende Liste der Arten von Lust aufgestellt
hat. In der ist das spielerische Wohlgefallen analog zum ästhetischen
Wohlgefallen zu behandeln,52 denn die Lust am Spiel ist weder ein Fall des
Genusses angenehmer Gegenstände noch ein Herstellen nützlicher Ob-
jekte; sie tritt auf im Rahmen einer Tätigkeit, also von Spontaneität. Be-
trachtet man die Wertlosigkeit dessen, was im Spiel verwirklicht wird, legt
___________
49 Vgl. oben, Anm. 36.
50 Wohlgemerkt, wir reden hier nicht vom „Profi“, für den Erfolg oder Mißerfolg im Spiel
handfeste Konsequenzen im Alltag haben. Ein professioneller Spieler ist jemand allerdings
nur dann, wenn er die über das Spiel hinausreichenden Mittel/Zweck-Bezüge für die
Dauer des Spiels auszublenden vermag. Diese besondere Fähigkeit ist wohl auch der
Grund für die über bloße Bewunderung von Leistung hinausgehende Verehrung, die man-
chen professionellen Spielern zuteil wird und die der Verehrung von Künstlern gleicht.
51 Wohl aber ist die Wirklichkeit der Mittel und der Umstände von großer Bedeutung. Wenn
z.B. ein Spielfeld im Tennis nicht eben ist, wird dies der spielerischen Freude abträglich
sein. Aber der Grund dafür ist nicht die dadurch verminderte Wahrscheinlichkeit von Er-
folg.
52 Vgl. KU, 7.
136 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
sich in der Tat der Eindruck nahe, daß auch der Spieler sich „irgend wor-
aus einen Gegenstand der Lust“53 macht. Und auch zur Zweckmäßigkeit
verhält sich das Spiel ähnlich wie die ästhetische Einstellung.
Der Begriff der Zweckmäßigkeit, durch den etwas als Mittel für einen
Zweck ausgezeichnet wird, steht zunächst für den nichtästhetischen Be-
reich schlechthin. Daß auch im Rahmen der ästhetischen Einstellung et-
was zweckmäßig sein soll für ein Anliegen des Subjekts, also gewissen
Zwecken gemäß, scheint sich mit der geforderten Interesselosigkeit nicht
zu vertragen. Eine ähnliche Spannung zwischen dem Prinzip der Zweck-
mäßigkeit und jenem „ohne Zweck“ von Interesselosigkeit findet sich
beim Spiel exakt wieder. Sie läßt sich hier sogar deutlicher zuspitzen als
bei der ästhetischen Einstellung, weil beim Spiel Mittel/Zweck-Verhält-
nisse noch offensichtlicher zutage treten – das Spiel ist schließlich durch
und durch von ihnen geprägt. Der Spieler tut gewissermaßen nichts, das
nicht zweckmäßig bzw. einem Zweck dienlich wäre. Zwischen einem Jä-
ger und einem Spieler besteht hinsichtlich der Zweckmäßigkeit ihrer Ver-
richtungen nicht der geringste Unterschied: Jeder Handgriff, den der
Sportbogenschütze ausführt, geschieht mit Blick auf die Spielaufgabe; und
er unternimmt auch nicht etwa weniger als der praktisch motivierte
Schütze, um die Vereinigung des Pfeils mit dem Zielobjekt zu erreichen.
Der Mittel/Zweck-Zusammenhang ist im Fall des Spiels also nicht weni-
ger konsequent oder streng als in der interessiertesten Praxis. Auch die
Gerätschaften des Spiels sind nicht etwa weniger nützlich als die im Alltag.
Betrachtet man den Ernst, mit dem sie hergestellt und ausgewählt werden,
käme man wohl kaum auf den Gedanken, daß sie für etwas anderes als
Praxis, von deren Ausgang viel abhängt, vorgesehen sein sollen. Was also
die Mittel/Zweck-Bezüge des Spiels und die Zweckmäßigkeit seiner Mit-
telhandlungen angeht, ist das Spiel gegenüber der Praxis in keiner Hinsicht
defizient.
Um nun das „ohne Zweck“ des Spiels zu bestimmen, gilt es zu
berücksichtigen, daß das Spiel am Ende etwas hervorbringt, das nicht
nützlich ist für weiteres. Das darf indes nicht so verstanden werden, daß
das Spiel bis dorthin zweckmäßig betrieben würde und die Mittel/Zweck-
Bezüge dann plötzlich abbrächen. Der Unterschied von Spiel zu Praxis ist
nicht als punktuelles Weniger von Zweck zu beschreiben; Spiel ist nicht
Praxis, der am Ende ein Zweck fehlt. Der Umstand, daß das Intendieren
des spielimmanenten Ziels weder durch ein Bedürfnis noch durch Nütz-
lichkeitserwägungen motiviert ist, rückt vielmehr das gesamte Geschehen
in ein grundsätzlich anderes Licht.
___________
53 Ebd., S. 15f.
A. Das Spiel 137
Jede Verrichtung im Spiel steht zwar unter der Voraussetzung, daß sie
adäquates Mittel ist, um das gesteckte Ziel zu erreichen, so daß sie jeder-
zeit durch eine erfolgversprechendere Ausführung ersetzt werden könnte.
Aber fragt man sich, wie das Ziel eigentlich zu definieren ist, dreht sich
der Blick auf die Vorgänge im Spiel um: Wenn man etwa das Ziel des
Sportschützen beschreibt als die Vereinigung des Pfeils mit der Ziel-
scheibe, drängt sich die Frage auf, warum er sich dies so schwer macht.
Denn er könnte sich mit seinem Pfeil unmittelbar vor die Zielscheibe
begeben und ihn dort an der gewünschten Stelle anbringen. Was hindert
ihn daran? Den Pfeil aus einer gewissen Entfernung mit dem Bogen zur
Zielscheibe zu befördern, kann jedenfalls kaum das erfolgversprechendste
Mittel sein. Während der Jäger deshalb Pfeil und Bogen wählt, weil er
keinen besseren Weg zum Erreichen des Gewünschten weiß, gilt dies für
den spielerisch motivierten Schützen keineswegs. Ihn hält etwas davon ab,
den leichtest möglichen Weg zu gehen.
Was den Spieler hindert, die erfolgversprechendste aller Möglichkeiten
zu nutzen, ist die Spielregel. Wer einen Pfeil ohne Bogen mit dem Ziel
vereinigt, gehorcht nicht den Regeln des Spiels „Bogenschießen“. Um zu
verstehen, was das heißt, ist zu fragen, woher die Verbindlichkeit der
Spielregel kommt. Von den anderen Mitspielern, was naheliegend schei-
nen könnte, stammt sie nicht: Erstens gibt es Spiele auch ohne Mitspieler,
und zweitens ist es ja nicht so, daß die Spielregel dazu da wäre, das Mit-
einander der Spieler auf eine für alle verträgliche Weise zu regeln. Diesen
Zweck haben die Regeln des Alltags, etwa Verkehrsregeln. Alltagsregeln
sind grundsätzlich Mittel zum Zweck, d.h. ein notwendiges Übel. Auf die
Spielregel trifft das nicht zu, denn während es ohne Verkehrsregeln noch
Verkehr gäbe – sei der dann auch noch so chaotisch und gefährlich –,
gäbe es ohne die Spielregel kein Spiel mehr. Die Spielregel ist das Gegen-
teil von einer Regel des Alltags, denn sie macht das Tun prinzipiell schwie-
riger, als es sein muß. Anders als bei der Alltagsregel ist ihr zugrunde lie-
gendes Prinzip nicht Nützlichkeit, sondern Schikane.54
Während das notwendige Übel der Alltagsregel dem Alltagssubjekt
von den anderen Subjekten auferlegt wird, gibt sich das Spielsubjekt seine
Regel, die eine Schikane ist, selbst. Während der Praktiker keine zusätzli-
chen Schwierigkeiten sucht, nutzt der Spieler seine Freiheit offenbar dazu,
die Dinge zu komplizieren. Er gibt sich zusätzlich zu seinem Alltag eine
___________
54 Es gibt natürlich auch im Alltag Konventionen, die keinem Zweck zu genügen und deshalb
sinnlos scheinen; solche Regeln haben dann mindestens den Zweck, einen Status quo zu si-
chern oder den Handelnden ein Gefühl von Stabilität bzw. Harmonie zu verschaffen. Daß
solche Regeln der Konvention die Nivellierung von Spiel und Alltag hergeben, wie etwa
Baatz zu meinen scheint („Das Spiel ist ernst, der Ernst ist Spiel“, S. 9), ist wohl eher frag-
lich.
138 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
neue Aufgabe, ohne daß diese ihm von irgendwoher aufgenötigt würde.
Für den Spieler ist von höchstem Interesse nicht, daß er diese Aufgabe
löst, sondern, daß sich ihm diese Aufgabe stellt. Das Anliegen des Spielers
ist, im Gegensatz zu dem des Praktikers, nicht durch das Lösen der Auf-
gabe erfüllt, sondern dadurch, daß diese Aufgabe noch besteht.55
Während im Rahmen von Alltagspraxis eine durch und durch zweck-
mäßige Welt, und das heißt, eine Welt, die wenig Aufwand zum Erreichen
von Zwecken erfordert, immer willkommen sein muß, ist eine solche Welt
im Rahmen von Spiel sogar unerwünscht. Die denkbar größte Zweckmä-
ßigkeit in Hinblick auf das Erreichen des spielerischen Zieles ist nicht die
ideale Welt für den Spieler. Für einen spielerisch motivierten Bogenschüt-
zen ist es von großer Bedeutung, daß ihn die Aufgabe, das Ziel zu
erreichen, herausfordert. Er muß sich die Regel geben, von der Zielschei-
be so weit weg zu stehen, daß er es nicht „mit links“ erreichen kann. Zwar
darf er sich andererseits nicht so weit von ihr entfernen, daß er unter Ein-
satz seiner Fertigkeiten keine realistische Möglichkeit dazu hätte. Steht
aber der Erfolg schon so gut wie fest, mag sich zwar der Praktiker freuen,
der Spieler aber kommt dann nicht auf seine Kosten.
Durch diesen Punkt wird die Parallele zwischen Spiel und ästhetischer
Einstellung schlagend.56 Während Kant sich an manchen Stellen das
ästhetische Wohlgefallen so erklären will, daß es dem Subjekt und seinen
Erkenntnisfakultäten denkbar leicht gemacht wird, den „Zweck“ der Er-
kenntnis zu erreichen, kommt er an anderer Stelle zu der Einsicht, daß
eine für Erkennen denkbar zweckmäßige Welt für das ästhetische Anlie-
gen unzweckmäßig ist, und das heißt: langweilig. Das Beispiel der Pfeffer-
plantage, das für eine Welt stand, in der sich das Subjekt erkennend leicht
orientieren kann, sollte zeigen, daß in einer solchen zweckmäßigen Welt
das ästhetisch motivierte Subjekt geradezu mißmutig werden müßte. Die
Kennzeichnung dieser spezifisch ästhetischen Unlust – Langeweile – ge-
hört genau so in den Bereich des Spiels wie in den der Ästhetik.
Denn Spieler und ästhetisch Eingestellte sind sich im Gegensatz zum
Praktiker darin gleich, daß sie das Ungelöstsein der Aufgabe nicht als
Mangel bedauern. Was der Spieler bedauert, ist das Ende des Spiels, und
auf ähnliche Weise wünscht sich der Leser eines guten Buches, es möge
nie zu Ende sein. Das Wohlgefallen des Praktikers könnte nicht ver-
___________
55 Deshalb wird ein Spiel unlusthaft ab dem Punkt, wo sein Ausgang feststeht, und dies –
nicht die Tatsache, daß der Ausgang des Spiels offener oder unsicherer wäre als der ande-
rer Ereignisse – ist seine Besonderheit. „Es gibt kein Spiel, dessen Ausgang gewiß ist“, sagt
etwa Frey in Der unendliche Text, S. 281, und es fragt sich, ob es andere Ereignisse gibt, sol-
che mit Beteiligung von Subjekten zumal, deren Ausgang im gerade beschriebenen Sinn
„gewiß“ zu nennen wäre.
56 Sie stellt überzeugend Anz in Literatur und Lust (z.B. S. 108ff.) her.
A. Das Spiel 139
schiedener sein; seines ist die Erleichterung darüber, daß er sein Ziel
erreichen konnte. Sein Wohlgefallen betrifft allein das Ergebnis, während
für den Spieler mit dem Erzielen des Ergebnisses das eigentlich Lustvolle,
die Tätigkeit des Spiels selbst, an ein Ende kommt.
All das macht Spieler und ästhetisch Eingestellte nicht etwa zu
Masochisten, denn es ist ja keineswegs so, daß sie sich unlösbare Aufga-
ben stellten: Genausowenig wie der Spieler sich Frustration durch nicht
Machbares wünscht, genausowenig wünscht sich der ästhetisch Einge-
stellte eine chaotische und unförmige Wirklichkeit, in der nichts zu
bestimmen und auf Begriffe zu bringen ist. Und doch darf nicht alles
zweckmäßig sein, im Spiel genausowenig wie im Bereich der ästhetischen
Einstellung. Wenn alles der spielerischen Aufgabe gemäß ist, erledigt diese
sich auf ganz unerwünschte Weise fast von selbst; und mit der in Hinblick
auf Erkenntnis denkbar zweckmäßigen Welt ist der ästhetisch Eingestellte
schneller fertig, als ihm lieb sein kann. So gesehen hat im Rahmen beider
Einstellungen auch das Prinzip von Zweckwidrigkeit einen Platz. Mit
Blick auf den kantischen Zusammenhang erweist sich also, daß die Prinzi-
pien „Belebung“ und „Zweckmäßigkeit“ im Spiel gerade nicht zusammen-
passen. Die größtmögliche Erleichterung der spielerischen Aufgabe ist
geradezu der Tod des Spiels.
Obwohl im Spiel Mittel zum Erreichen eines Zwecks ergriffen werden, ist
es selbst dem Mittel/Zweck-Prinzip geradezu entgegengesetzt. Das ist
nun nicht so zu erklären, daß das Spiel lediglich an manchen Stellen Mit-
tel/Zweck-Verhältnisse vermissen ließe, sich diesbezüglich also gegenüber
Praxis punktuell als defizient erwiese. Die Tätigkeit des Spiels gehorcht
vielmehr durchgehend Zweckmäßigkeitserwägungen und ist insgesamt ohne
Zweck. Obwohl es im Spiel darum geht, eine Aufgabe zu lösen, die sich
eigentlich gar nicht stellt, wird sie auf eine Weise gelöst, als wäre sie un-
umgehbar. Das Spiel wird genau so eingerichtet, als müßte eine bestimmte
Außenwelt verwirklicht werden und als gäbe es dafür keinen anderen Weg
als gemäß seinen Regeln.
Im Spiel werden nicht weniger und nicht unbedingt andere Mittel
ergriffen als in Praxis; ein bestimmter Ausschnitt von Praxis ist in ihm
komplett enthalten. Dieser aus Praxis herausgelöste Ausschnitt eines Mit-
tel/Zweck-Zusammenhangs bedarf aber eines stützenden Elements, denn
die fragliche Struktur stand zuvor in einem breiteren Kontext, der sie trug,
und auf sich allein gestellt, müßte sie in sich zusammenfallen. Zu dem aus
140 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
zweckfrei sein kann, obwohl es intendierend auf Erfolg aus ist. Die Struk-
tur des Spiels kann als Modell für eine nichtpraktische Einstellung dienen,
die ihren Bezug auf Objekte nicht aufgibt. Eindeutig auf Objekte aus ist
das Spiel, obwohl deren Wirklichkeit nicht das ist, worum es ihm geht,
und obwohl es selbst dann wohlgefallend sein kann, wenn die intendierten
Objekte nicht wirklich werden.
Gegenwart“63, sagt Fink, und es fragt sich, wie es das erreicht, wenn in
ihm doch Subjekte genauso von einem Ding zum anderen hetzen wie in
Praxis. Im Spiel wird genausowenig beim Mittel stehengeblieben wie im
Alltag, das Spiel geht genau so grundsätzlich auf das noch nicht Wirkliche
des Zwecks aus. Der immanente Zweck des Spiels wird mit einer Intensi-
tät intendiert, als wäre er der Endzweck aller Dinge. Das Spiel als konse-
quenter Mittel/Zweck-Zusammenhang ist das schlechteste Beispiel für ein
Zur-Ruhe-Kommen und somit ebenfalls ein „Lebensgetriebe“, wenn auch
nur ein zusätzliches zu dem ohnehin schon bestehenden der Praxis.
Eine vielversprechende Antwort auf die Frage, was das Subjekt von
einem solchen zusätzlichen Mittel/Zweck-Zusammenhang, der das Spiel
ja ist, haben kann, gibt Pascal. Er erklärt die Motivation von Spielern, „die
einen Hasen jagen, den sie nicht gekauft haben möchten“, kurzerhand so:
„Dieser Hase könnte uns nicht davor schützen, den Tod und unser Elend
zu schauen; die Jagd aber, die uns davon ablenkt, schützt uns davor“.64
„Wie ist es möglich“, fragt Pascal, „daß jemand, der verzweifelt über den
Tod seiner Frau und seines einzigen Sohnes ist, (oder) der in einen ge-
fährlichen Streitfall verwickelt ist, der ihn ängstigt, jetzt nicht traurig ist
und daß er frei von ihn peinigenden und beunruhigenden Gedanken zu
sein scheint?“ Man solle sich über die Antwort nicht wundern, sagt Pascal:
„Man wirft ihm gerade einen Ball zu, den er dem Partner zurückschlagen
muß, er ist damit beschäftigt, ihn richtig auf den Schläger zu nehmen, um
einen Punkt zu gewinnen“.65
Durch das Spiel schütze sich das Subjekt davor, sein „Elend zu
schauen“. Das tue es, indem es sich „beschäftigt“, also sich einem künst-
lich geschaffenen Mittel/Zweck-Zusammenhang unterwirft, durch den es
voll in Anspruch genommen wird. Vor Unlust und Elend schützt sich das
Subjekt gewöhnlich aber auf fundamental andere Weise. Um etwa die
Unlust und das Elend des Hungers zu vermeiden, intendiert der Jäger die
Tötung eines Hasen, die im Erfolgsfall Lust bzw. Glückseligkeit garantiert.
Hier aber schützt sich das Subjekt nicht durch das Objekt seiner Bedürf-
tigkeit, sondern durch die Tätigkeit selbst. Schon die Beschäftigung, die es
voll in Anspruch nimmt, soll vor Unlust schützen, und nicht erst deren
Erfolg.
Das wäre kaum zu verstehen, wenn es sich in beiden Fällen um ein
vergleichbares Elend handelte. Aber offenbar sind der „Tod und unser
Elend“, das wir nicht „schauen“ wollen, etwas anderes als dasjenige, das
wie Hunger aus naturwüchsiger Bedürftigkeit entspringt. In Pascals Bei-
spiel ist der Tod nicht etwa deshalb etwas, vor dem man sich zu schützen
___________
63 Ebd.
64 Pensées, Nr. 139 (S. 79).
65 Ebd., Nr. 140 (S. 83f.).
A. Das Spiel 143
___________
66 Gemeint ist thematisierendes Bewußtsein, weil jede Unlust zumindest nichtthematisch bewußt
sein muß, damit es sie als Fall von Bewußtsein überhaupt geben kann (vgl. Friebe, Theorie
des Unbewußten, S. 44ff.). Naturwüchsigem Bewußtsein ist immer das Andere, das Begehrte
thematisch, aber nie seine eigene Befindlichkeit.
67 Vgl. Prauss, Die Welt und wir; Bd. I/2, S. 946.
68 Pädagogik, Bd. 9, S. 471.
69 KU, 175f.
70 Pensées, Nr. 81 Anm. (S. 461).
144 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
Das „Bedürfnis“ des Spielers bezieht sich nicht wie das des
naturwüchsigen Praktikers hauptsächlich auf Objekte, denn es ist kein
Mangel an diesen oder jenen Dingen, der den Spieler zum Handeln an-
treibt. Das Spiel versucht nicht, Lust durch Verwirklichung begehrter
Außenwelt herzustellen; sein Anliegen besteht vielmehr darin, themati-
sches Unlustbewußtsein aus der Welt zu schaffen. Und das tut es interes-
santerweise durch das Verwirklichen von Außenwelt – aber nicht ein sol-
ches, dem es um das paßgenaue Hervorbringen eines die Unlust beheben-
den Objekts ginge. Es geht im Rahmen dieser Tätigkeit nicht um be-
stimmte Objekte. Und doch ist das, was verwirklicht wird, nicht beliebig:
Das von Pascal als Beispiel genannte Ballspielen eignet sich für das
spielerische Anliegen in besonderer Weise, weil es das tätige Subjekt als
bewußt Intendierendes voll in Anspruch nimmt, und das kommt daher,
weil das Subjekt in solchem Spiel gezwungen ist, sich den Ball immer wie-
der zum Thema zu machen. Tätigkeiten, die man routiniert erledigen kann
und die deshalb auch kein durchgehend sie thematisierendes Bewußtsein
erfordern, sind dazu weniger geeignet. Was im Rahmen von naturwüch-
siger Praxis als Zwang erscheinen mochte, die Unterwerfung unter einen
Mittel/Zweck-Zusammenhang, wird im Rahmen von Spiel schließlich
zum Glücksgaranten.71
Eine quasi-naturwüchsige Praxis benötigt das Subjekt offenbar also
nur deshalb, weil es seine Naturwüchsigkeit verloren hat. Weil es sie nicht
mehr hat, ist sie erst wieder künstlich herzustellen. Die mißliche Lage
eines Subjekts, das sich einer solchen quasi-naturwüchsigen Praxis unter-
wirft, besteht darin, daß es gewissermaßen vom Baum der Erkenntnis
gegessen hat und arbeiten, d.h. zur Sicherung seiner physischen Existenz
wissentlich Unlust in Kauf nehmen muß. Dieses Subjekt hat, weil es um
sich selbst weiß, für sich als solches zu sorgen, und das Leben, das ihm
blüht, als unabsehbaren Mittel/Zweck-Zusammenhang vor Augen. Für
ein solches Subjekt ist naturwüchsiges Intendieren – das von all dem
nichts weiß und dessen Horizont hinter den Dingen aufhört, denen es
___________
71 Diese Sicht unterscheidet sich darin von der systematischen Darstellung bei Anz, daß
dieser das gerade beschriebene Phänomen als Fall von „Funktionslust“ verständlich ma-
chen will (Literatur und Lust, S. 56ff.). Solche Lust sei wie bei Groos auf die Befriedigung
biologisch-nützlicher Neigungen zurückzuführen und von der „Lust an der Bewältigung
des Schwierigen“ (S. 69), die eigentlich nicht dem Vollzug der Tätigkeit, sondern deren er-
folgreicher Abschluß (als „Endlust“) gelte (S. 70), abzusetzen. Letzteres ist m.E. entweder
mit dem ersteren zu vereinbaren, denn zur Funktionslust gehört ja, daß die Tätigkeit dem
vom Spieler bewältigbaren Niveau entspricht; oder es handelt sich dabei um etwas völlig
Unspielerisches, denn ein Wohlgefallen, das vom Erreichen eines Zieles (wie der Bewälti-
gung einer gesetzten Vorgabe) abhängt, ist das Erkennungszeichen einer praktischen Ein-
stellung. Natürlich dürfen die im Spiel gestellten Aufgaben nicht unlösbar sein, denn auch
das würde den Spieler aus seiner Einstellung werfen. Aber die Bewältigung einer Schwierig-
keit ist im Spiel keine Frage des Ehrgeizes.
A. Das Spiel 145
gerade hinterherjagt – das reinste Paradies.72 Spiel gibt es nur für das Sub-
jekt, das um sich weiß, und damit mehr weiß, als ihm lieb sein kann. Spiel
ist so gesehen die Affirmation seiner naturwüchsigen Praktizität gegen-
über der reflektierten.
Mit diesen Ergebnissen ließe sich also Kants Unentschiedenheit ge-
genüber dem Spiel erklären und auflösen. Daß Kant das spielerische
Wohlgefallen auf der einen Seite als Fall von Annehmlichkeit beschreiben
und damit auf relative naturwüchsige Unfreiheit zurückführen möchte, hat
insofern seine Berechtigung, als das Spiel tatsächlich ein Fall von
naturwüchsiger Praxis ist. Daß es dennoch zur Metapher für freies, in-
teresseloses Wohlgefallen taugt, liegt daran, daß es sich dabei um eine
künstlich hergestellte Naturwüchsigkeit handelt. Insofern dieser künstlichen
Praxis ein Als-ob zugrunde liegt, ist die Rede von einem freien Wohlgefal-
len berechtigt. Dieses geht gewisserweise auf Kosten dessen, was das freie
Subjekt strukturell vom naturwüchsigen unterscheidet, nämlich sein Wis-
sen von sich, das als leidhaft und störend empfunden wird.
So betrachtet hat Adorno also recht, wenn er dem Spiel eine gewisse
Rückwärtsgewandtheit unterstellt. Die beschriebene Rückkehr zum na-
turwüchsigen Intendieren ist aber selbst nichts Natürliches, ganz im
Gegenteil verlangt es von seiten des Subjekts ein Höchstmaß an Künst-
lichkeit. Der künstlich geschaffene Zusammenhang von Praxis ist ein
durch und durch fragiler Gegenalltag, der von der tatsächlichen, nie voll-
ständig zurückgelassenen Alltagswelt, die immer wieder in den künstlich
geschaffenen Spielraum eindringen kann, bedroht wird – auch durch Mit-
menschen, die mitzuspielen haben, wenn sie das Spiel nicht verderben
wollen. Die reflektierte Alltagseinstellung kann sich jederzeit wieder vor-
drängen, insbesondere etwa dann, wenn der künstlich geschaffene Zwang
der Spielwelt dadurch zurücktritt, daß das Subjekt in seinem Hervorbrin-
gen des spielimmanenten Ziels sich nicht mehr gefordert sieht.
Weil dieser Gegenalltag etwas Zusätzliches ist, darf die Regression des
Spiels nicht als bloßes Zurück verstanden werden. Das Spiel erklärt sich
vielmehr dadurch, daß dem Subjekt, das von sich weiß, das Zurück in den
Zustand der Naturwüchsigkeit verwehrt ist. Das Rad zurückdrehen kann
das reflexionsbegabte Subjekt nicht. Und nur, weil es das nicht kann,
___________
72 Die Mißlichkeit der nicht mehr naturwüchsigen Praxis ist so noch unvollständig
wiedergegeben, besteht diese schließlich nicht nur in der Dimension von Selbstsorge, in die
das um sich selbst wissende Subjekt eintritt. Ihre Mißlichkeit liegt vielmehr auch noch
darin, daß ein Subjekt, das sich kennt, damit auch das zu ihm Andere als solches neu, näm-
lich als Anderes im Unterschied zu sich, kennenlernt. Gegenüber anderen Subjekten ver-
liert das Subjekt damit gleichsam seine Unschuld. Auch die moralische Verpflichtung
gegenüber dem Anderen ist etwas, von dem das Subjekt Grund hätte, lieber nicht zu wis-
sen.
146 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
Wenn sich also für das Spiel zeigen läßt, daß es die Kriterien Kants für
Interesselosigkeit aus der AS erfüllt, wäre nun zu fragen, ob es nicht sogar
als das eigentliche Paradigma für Interesselosigkeit angesehen werden
muß. Mit der des Spiels verglichen, könnte die Nichtpraktizität der ästhe-
tischen Einstellung nämlich ohne weitere Begründung als Trivialität er-
scheinen.
Beim Spiel ist die Unterstellung von Nichtpraktizität nicht trivial, weil
es dem Handeln ähnlich sieht. Mit dem Handeln hat das Spiel gemeinsam,
daß es ein Intendieren im Sinn eines absichtlichen Verwirklichens von
inhaltlich so oder so bestimmter Außenwelt darstellt, und nur vor dem
Hintergrund dieser Gemeinsamkeit erhält der Unterschied, der in der
Interesselosigkeit des Spiels besteht, seinen Sinn. Bei der ästhetischen
Einstellung handelt es sich prima facie aber um überhaupt keinen Fall von
Intention.73 Während das Spiel nur in der Gegenüberstellung mit Hand-
lung verständlich werden kann, ist der Bezugspunkt für die ästhetische
Einstellung das Wahrnehmen oder Erkennen, denn genauso wie Spiel eine
andere Weise der Verwirklichung von inhaltlich so oder so bestimmter
Außenwelt darstellt, ist die ästhetische Einstellung eine andere Weise des
Betrachtens bzw. Wahrnehmens von Außenwelt. Und dieses hat mit
Praxis als Verwirklichen eines noch nicht Wirklichen zunächst einmal
nichts zu tun.
Auch Kant, der die Redeweise von „Absicht“ und „Zweck“ zwar auf
den theoretischen Bereich überträgt, versteht Erkennen deshalb nicht
immer konsequent als Fall von Praxis. Vielmehr verwendet er den Aus-
druck „Absicht“ in Zusammenhang mit Erkennen oft nur im Sinn einer
___________
73 Außer, man versteht „Intention“ in dem gänzlich nichtpraktischen Sinn von bloßem
„Beziehen“, wie etwa Brentano, der seinen Begriff der Intentionalität von jedem
praktischen Verständnis abgrenzt und hervorhebt, er sei „in der Art mißverstanden wor-
den, daß man meinte, es handele sich dabei um Absicht und Verfolgung eines Zieles“; des-
halb hätte er (Brentano) „besser getan“, diesen Ausdruck „zu vermeiden“ (Psychologie vom
empirischen Standpunkt, S. 8 Anm.). Und Husserl schließt für seine „intentionalen Akte“ so-
gar aus, daß dabei ein Sinn von „Betätigung“ mitgedacht werden müsse (Logische Untersu-
chungen, Bd. 2, Teil 1, S. 393). Den Begriff der Intentionalität gebraucht insbesondere Kant
im Sinn von „Absichtlichkeit“ (KU, 324); er ist also nicht „unkantisch“, wie Strub behaup-
tet (vgl. „Das Häßliche und die ‚Kritik der Urteilskraft‘“, S. 425).
B. Intentionalität als Gattung für Theorie und Praxis 147
Analogie. Wenn Kant von einer „nur auf Erkenntnis gerichteten Ab-
sicht“74 bzw. einer „Absicht auf Erkenntnis“75 spricht, scheint das In-
tendierte hier nur die erfolgreiche Erkenntnis selbst zu sein, nicht aber ein
Stück Außenwelt, dessen Wirklichkeit durch eine Intention zu verwirkli-
chen ist. „Intentionen“ müßte es demnach also zweierlei geben: Solche,
die die Wirklichkeit eines Gegenstands schaffen – Kant spricht in diesem
Zusammenhang auch vom Willen als einer „von den mancherlei Na-
turursachen in der Welt“76, und solche, denen es um die Gewinnung von
Erkenntnis geht.77 Der volle praktische Sinn von Handlung wird wohl
gewöhnlich nur der ersten Verwendungsweise zuerkannt werden.
Vor diesem Hintergrund droht sich die Interessiertheit des Erkennens
und damit auch die Interesselosigkeit der ästhetischen Einstellung in bloße
Metaphorik aufzulösen. Wie sich aber bei der Analyse der KU gezeigt hat,
stellt Kant einen Zusammenhang zwischen Erkennen und Praxis her, der
den Sinn der Interessiertheit der Praxis auf Erkennen zumindest abstrah-
len läßt. Das Wohlgefallen an einer „für die Beurteilung in allerlei mögli-
cher Absicht“ (70) zweckmäßigen Welt soll Kant zufolge deshalb kein
interesseloses Wohlgefallen sein, weil sie nur scheinbar theoretisch, in
Wahrheit nämlich auf eine Zweckdienlichkeit für praktische Zwecke
zurückzuführen sei. Die Konsequenz daraus kann zunächst aber nur lau-
ten, daß Erkenntnis immer schon in einer praktischen Hinsicht steht,
nämlich grundsätzlich als Mittel für Praxis zu denken ist: Um eine Welt
gemäß den eigenen Neigungen und Bedürfnissen zu gestalten, so ließe
sich ganz unkontrovers behaupten, müsse sie zuerst einmal wahrnehmend
erkannt werden, wie sie noch vor jeder Einwirkung durch das Subjekt
wirklich ist. Insofern sei Erkenntnis als notwendiges Mittel für Praxis
anzusehen, und insofern auch selbst praktisch.
Das ist jedenfalls das Mindestmaß an Praktizität, das Kant für Erken-
nen nachweislich in Anspruch nimmt. In der KU tut er das nicht erst in
der „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“, son-
dern eigentlich schon in den ersten Paragraphen der AS, wo er ein enges
Verhältnis zwischen Begriffen auf der einen und Nützlichkeit auf der
anderen Seite herstellt und behauptet, daß jedes durch Begriffe vermittelte
Wohlgefallen interessiert sei. Etwas als etwas zu erkennen, und diese Er-
kenntnis aufgrund ihres Inhalts mit Wohlgefallen zu verbinden, heißt
___________
74 KU, XXXVIII.
75 Ebd., 66.
76 Ebd., XII.
77 Dieses recht harmlose Verständnis der Praktizität von Erkenntnis bei Kant vertritt etwa
Meerbote (vgl. „Reflection on Beauty“, S. 69 und „Erkenntnisvorschriften“, z.B. S. 124).
Die Interessiertheit von Erkennen sieht er nämlich in Mittel/Zweck-Relationen in Hinblick
auf den „Zweck“ der Erkenntnis, was bedeutet, daß es zweierlei Zweck gibt: den des Han-
delns und den des Erkennens.
148 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
keit hinzunehmen hat, wie sie ist, und erst Handeln diese verwirklicht. Ein
Zusammenhang zwischen beidem bestünde dann allenfalls in dem Sinn,
daß Handeln Bewußtsein voraussetzt. Es wäre aber denkbar, daß Subjekti-
vität allein als theoretische Begabung aufträte, gewissermaßen nur darauf
aus seiend, sich Anderes seiner selbst bewußt zu machen, ohne jemals
darauf aufbauend noch in Praxis einzutreten.
Im folgenden soll gezeigt werden, daß ein Verständnis von Bewußt-
sein als rezeptivem Hinnehmen im Gegensatz zu Praxis als aktivem Ver-
wirklichen nicht zu halten ist. Das soll sich durch die Analyse eines be-
stimmten Falls von Praxis, der Unterlassungshandlung, erweisen. Handeln
durch Unterlassen, so die These, kann nur verständlich werden als Praxis,
deren Struktur allein durch Bewußtsein konstituiert wird. Für die Abgren-
zung der ästhetischen Einstellung wird sich daraus das wichtige Zwi-
schenresultat ergeben, daß der Begriff von Intentionalität als Verwirkli-
chungsbewußtsein80 zu einer gemeinsamen Gattung von Erkennen und
Handeln führt. Das erst wird die Anwendung des Spielbegriffs als differen-
tia specifica für die ästhetische Einstellung ermöglichen.
___________
80 Zu diesem Begriff vgl. Prauss, Die Welt und Wir, Bd. II/1.
150 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
___________
81 Vgl. Birnbacher, Tun und Unterlassen, S. 32.
82 Nicht aus dem Fenster zu springen, sondern einen Text zu schreiben, ist laut Berger kein
Beispiel für eine Unterlassung, sondern für ein „bloßes Nichttun [...], denn für unsere
Unterlassungen sind wir verantwortlich, nicht jedoch für ein bloßes Nichttun, das uns
gleichsam nur widerfährt oder zustößt“ (Unterlassungen, S. 14). Das ist unverständlich, weil
es mir doch wohl nicht zustößt oder widerfährt, daß ich nicht aus dem Fenster springe. Ein
Ereignis, das nicht wirklich wird, und für dessen Nicht-wirklich-Werden ich nichts kann, ist
nicht einmal Nichttun, sondern bloß ein Nichtereignis – Bergers Beispiel fällt nicht unter
diese Beschreibung.
83 Genau das gibt die von Seel zitierte Wendung Nietzsches wieder: „Indem wir thun, lassen
wir“ (Die fröhliche Wissenschaft, Nr. 304). Sie ist aber nicht gleichbedeutend mit „Alles Tun ist
ein Lassen“ (Seel, Sich bestimmen lassen, S. 7), und schon gar nicht folgt, daß „das Lassen ein
Element des jeweiligen Tuns“ sei und „zugleich das Tun, wie sehr es eher aktiv oder passiv
erscheinen mag, ein Aufenthalt in unabsehbaren Möglichkeiten und damit ein Lassen“
(ebd., S. 275). Auf was Seel hinauswill, ist ein Lassen im Sinn einer Offenheit für die
Kontingenz der Wirklichkeit, das mit Heideggers „Gelassenheit“ zusammenzudenken sei.
Bei Heideggers „Sein-Lassen“ als „Sicheinlassen auf das Seiende“ („Vom Wesen der Wahr-
heit“, S. 188) muß es sich gleichsam um ein Lassen höherer Potenz handeln, um eine durch
und durch extreme Haltung, die mit der Entscheidung für eine Möglichkeit und dem damit
einhergehenden Ausschluß anderer, die schon jedem naturwüchsigen Handeln zugrunde
liegt, kaum etwas gemeinsam hat.
B. Intentionalität als Gattung für Theorie und Praxis 151
___________
84 Vgl. dazu den Anfang der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Bd. 4, S. 393f. Es gibt frei-
lich eine philosophische Tradition, die den Handlungsbegriff von Absichtlichkeit trennt.
Wie unhaltbar das ist, zeigt sich u.a. bei Davidson („Handeln“, S. 285ff.), der dies anhand
der Tötung von Polonius durch Hamlet demonstrieren will. Diese Argumentation fällt in
sich zusammen, wenn man berücksichtigt, daß Intentionen auch nicht intendierte Wirkun-
gen haben können – wie etwa den Mißerfolg. Natürlich intendiert eine Intention immer
nur Erfolg, was aber nichts daran ändert, daß Mißerfolgsfälle wie die in den von Davidson
angeführten Beispielen eine durch Handlungen verursachte Wirklichkeit sind. Der Tod von
Polonius ist durch Hamlets Intention auf Vatertötung herbeigeführt (wenn auch nicht als
ihr Erfolg), und nur deshalb auch als Handlung von einem Subjekt zu verantworten. Man
betrachte etwa die Interpretation des Mißerfolgsfalls von Rohs: „Wenn uns unsere Hand-
lungen mißlingen, tun wir nicht, was wir tun wollten“ (Feld – Zeit – Ich, S. 216). Das ist
falsch, denn im Mißerfolgsfall erreichen wir nicht, was wir erreichen wollten. Erfolg oder
Mißerfolg kann sich nur relativ auf eine Intention einstellen, und nur diese ist eine Hand-
lung.
85 Die geforderte Beschreibung könnte man nun dadurch zu leisten versuchen, daß man die
offenbar unvermeidliche Negation in der Beschreibung der Unterlassungshandlung nicht
auf den Willen bezöge, sondern auf seinen Inhalt. Statt um die Beschreibung einer nicht
wirklichen Intention handelte es sich dann um eine wirkliche Intention, deren Inhalt es ist,
etwas nicht zu tun, wie etwa, nicht zu helfen. Aber auch zu diesem Negativen muß sich ein
Positives finden lassen, weil das Intendieren der Nichtwirklichkeit von etwas, das ohnehin
nicht wirklich ist, keinen Sinn besitzt; es wäre schlicht überflüssig. Soll es sich hier um eine
152 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
der Tod R’s nicht nur der Erfolg von M, sondern auch ihr Erfolg ist.89 Die
Wirklichkeit, für die sich F verantworten muß, läßt sich klar benennen: Es
ist ihre Absicht, sich so zu verhalten, daß R stirbt. Das, wofür sich F zu
verantworten hat, ist nicht nur etwas nicht Getanes, sondern etwas positiv
Beschreibbares, nämlich daß sie für das Wirklichwerden von M’s Tod
gesorgt hat. M’s Tod war das Beabsichtigte, das hinter ihrem Verhalten
stand, und ohne Angabe dieser Absicht bleibt dessen Beschreibung unin-
formativ. Daß dasjenige, wofür F zur Verantwortung gezogen wird, nur
eine wirkliche Absicht ist, zeigt sich insbesondere daran, daß sich ein Miß-
erfolgsfall konstruieren läßt, der ebenfalls strafbar wäre: Auch im Fall
einer irrtümlichen Annahme F’s, M habe das Gift in den Kaffee getan,
kann es zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordversuchs kom-
men.90
Nun mag zwar klar sein, daß F Verantwortung für eine Absicht überneh-
men muß. Offen scheinen könnte aber immer noch, ob hier Absicht im
eigentlichen bzw. im vollen Sinn vorliegt oder ob nicht vielmehr nur in
einem eingeschränkten. Eine Tötungs- oder Mordabsicht im eigentlichen
Sinn müßte nämlich beinhalten, daß sie kausal wirksam war, zumindest im
Erfolgsfall (und der liegt ja hier vor).91 Aber F, so wird man einwenden,
___________
89 Die intentionalitätstheoretische Voraussetzung, daß nur Intentionen Erfolg haben können,
liegt dem juristischen Sprachgebrauch meist nicht zugrunde. Dort hat der Ausdruck, wie
auch im hier zitierten Text, gewöhnlich die neutrale Bedeutung von „Folge“, „Resultat“ (in
der gleichen Bedeutung z.B. auch bei Kant, Bd. 5, S. 95), was sich z.B. in Radbruchs Defi-
nition der Tat als „Körperbewegung in kausaler Verbindung mit ihrem Erfolg“ (Der Hand-
lungsbegriff in seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem, S. 75) als nachteilig erweist.
90 Vgl. Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 84.
91 Damit Verantwortlichkeit entspringen kann, reicht eine kausal wirksame Absicht nicht aus,
denn nicht für alles, was Subjekte verursachen, sind sie auch verantwortlich. Verursachung
ist aber, wenn auch keine hinreichende, immerhin eine notwendige Voraussetzung für Ver-
antwortlichkeit. Wie Verantwortlichkeit ohne Kausalität zustande kommen soll, bleibt etwa
bei Berger, der das „Ergebnis“ einer Unterlassung nicht als Bewirktes verstehen will, ein
Rätsel (vgl. Unterlassungen, S. 17). Eine solchermaßen gelagerte Unterscheidung zwischen
Ergebnis und Wirkung ist kurios, und sucht man bei Berger nach den Argumenten hinter
seinem Entschluß, zum Lösen des Rätsels Unterlassung ausgerechnet an dieser Stelle
anzusetzen, findet man nur das Phänomen der Unterlassung selbst, also das Phänomen,
daß eine handelnde Person „gar nichts körperlich ausübt“ (S. 242). In diesem Fall „gibt es
nichts, das im weiteren das erwartete Resultat herbeiführen könnte“ (ebd.). Statt also zu er-
klären, wie Verantwortlichkeit ohne Kausalität entspringen kann, nimmt Berger die Ver-
antwortlichkeit ohne Kausalität, und damit eine Absurdität, als Faktum. Es ist absurd, daß
Subjekte für etwas verantwortlich sein sollen, ohne zu dessen Zustandekommen etwas
beigetragen zu haben, denn beitragen heißt analytisch: kausal beitragen. Auch die Strafbar-
keit einer Intention, die keinen Erfolg hatte (wie bei einem gescheiterten Mordversuch), ist
154 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
hat nichts gemacht; M war es, der dafür gesorgt hat, daß R stirbt; nur M ist
„handgreiflich“ geworden und deswegen auch nur er die Ursache für R’s
Tod.
Ganz so klar, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, ist das alles
aber nicht. Im Gerichtssaal wird man auf F zeigen, und sagen, daß R noch
am Leben wäre, wenn F es nur gewollt hätte. Weil F es aber nicht anders
gewollt hat, das heißt positiv: weil sie seinen Tod gewollt hat, mußte er
sterben. Genau das wäre die Beschreibung der Zusammenhänge vor Ge-
richt, und es wäre eine Beschreibung nach dem Muster von Ursache und
Wirkung. F’s Wille mag zwar nicht die einzige Ursache für R’s Tod sein,
aber er ist eine Mitursache, eine notwendige Bedingung für das Eingetre-
tene, denn ohne diesen Willen wäre das Geschehene nicht eingetreten. F
hätte nur ihren Vater warnen müssen.
Man stelle sich vor, F hätte unabhängig von M den Plan gehabt, den
Tod ihres Vaters herbeizuführen. Dann hätte sie sich ab dem Moment, wo
sie die Handlung von M durchschaute, gar nicht anders verhalten dürfen,
als sie es tatsächlich tat. Die kleinste Körperbewegung hätte nämlich die
Vorgänge, die zum Tod ihres Vaters führen sollten, vereiteln können. In
diesem Fall ist es besonders deutlich, daß F’s Verhalten kein Sich-Heraus-
halten aus dem Geschehen darstellt. Es ist viel eher ein Überwachen dessen,
was geschieht, d.h. ein Dafür-Sorge-Tragen, daß etwas Bestimmtes eintritt.
Es sind allein die Umstände, die entscheiden, ob zur Verwirklichung des
Intendierten eine Körperbewegung opportun ist oder nicht. An der
Ursächlichkeit für das Zustandekommen einer intendierten Wirklichkeit
ändert es also nichts, wenn glückliche Umstände dazu keine Bewegung
erfordern.
Solche krassen Beispiele für ein Intendieren ohne Körperbewegung
genügen, um die Frage nach der grundsätzlichen Praktizität von scheinbar
rein theoretischen Verhaltensweisen wie dem Zuschauen bzw. Beobach-
ten zu entscheiden. Aber auch in weit weniger deutlichen Fällen, bei de-
nen das fragliche Ereignis sich nicht so eindeutig als vom Unter-
lassungsdelinquenten intendiert beschreiben läßt, kann für die kausale
Relevanz des Unterlassenden argumentiert werden. Man betrachte etwa
_____________
ohne die Wirklichkeit einer Ursache nicht denkbar (der wirklichen Intention, die nicht die
intendierte Wirkung hatte). Auch das als Beleg von Berger zitierte Beispiel eines Urlaubers,
der von Zuhause abreist, ohne den Herd abzustellen (S. 243), gibt dergleichen wie Ver-
antwortlichkeit ohne Verursachtheit nicht her – selbstverständlich geht unsere Intuition da-
hin, dem für den Hausbrand verantwortlichen Urlauber eine kausale Relevanz einzuräu-
men; alles andere wäre indiskutabel. Gewiß enthält die hier propagierte Alternative auch
eine Zumutung, nämlich die These, daß Subjekte in der Lage sind, intendierend etwas zu
verwirklichen, ohne sich zu rühren – dies verstößt nämlich gegen die empiristische Grund-
überzeugung, daß alles, was wirklich und wirksam ist, Empirisches sein muß. Absurd ist
das aber nicht.
B. Intentionalität als Gattung für Theorie und Praxis 155
___________
94 Birnbachers Lösungsvorschlag für das Unterlassungsproblem überzeugt nicht, weil seine
Strategie dahin geht, für das Subjekt eine Ursächlichkeit wie für herumliegende Steine in
Anspruch zu nehmen. Birnbacher argumentiert, daß ein unbewegter Stein für die Erei-
gnisse um ihn herum kausal relevant sei, und was für Steine gilt, soll auch für Subjekte gel-
ten. Indem der Unterschied zwischen stillhaltenden Subjekten und herumliegenden Steinen
nivelliert wird und dennoch dergleichen wie Ursächlichkeit vorliegen soll, wird gegen die
Regel ex nihilo nihil fit verstoßen. Birnbacher spricht von „positiven Ereignissen“ (vgl. Tun
und Unterlassen, S. 80ff.) und suggeriert, es gäbe auch „negative Ereignisse“, wie etwa das
Nichtansteigen eines Wasserspiegels oder das sich Nicht-in-Bewegung-Setzen eines Steines.
Dabei handelt es sich aber um Ereignisse, die nicht stattfinden, was schlicht bedeutet, daß
sie nicht wirklich sind, weshalb sie keine kausale Relevanz haben können. Ein Kau-
salverhältnis kann nur zwischen wirklichen Ursachen und wirklichen Folgen bestehen, und
nur das Subjekt kann im Ruhefall mit dergleichen dienen, denn die Absicht, mittels Stillhal-
ten dieses oder jenes zu erreichen, ist etwas Wirkliches (und nicht ein „negatives Ereignis“
oder eine „negative Ursache“). Den hier wichtigen ontologischen Unterschied zwischen
Subjekten und Nichtsubjekten macht der Sache nach Berger, der betont, daß ruhende Sub-
jekte anders zu behandeln sind als Schußwaffen, die nicht losgehen (Unterlassungen, S. 186).
Aber Berger, der zugibt, daß ein Nichttun ein „Ergebnis“ hat, meint damit überraschender-
weise nicht, daß die Unterlassung für dieses ihr Ergebnis auch kausal relevant sei (siehe
oben, Anm. 91).
95 Seel sieht zwar richtig, wenn er sagt: „Auch der, der etwas unterläßt, ergreift eine Möglich-
keit“ (Sich bestimmen lassen, S. 271), versteht diese Möglichkeit dann aber nur als etwas Theo-
retisches, im konkreten Fall der unterlassenen Hilfeleistung etwa als die Möglichkeit, „dem
Ertrinkendenden zuzuschauen“. Daß zwischen diesem angeblich bloßen Betrachten und
dem, was da betrachtet wird, ein kausaler Zusammenhang bestehen muß, kommt in Seels
„Kleiner Phänomenologie des Lassens“ nicht zur Sprache. Erst wenn klar wird, daß hin-
sichtlich des Intendierten kein Unterschied zwischen Unterlassen und Tun besteht, wo-
durch der gemeinsame Sinn von „Handeln“ allererst gewährleistet wird, läßt sich der
Unterschied zwischen beidem bestimmen. Seel gibt sich leider mit der Rede von einer
„Relativität der Opposition von Tun und Unterlassen“ zufrieden.
B. Intentionalität als Gattung für Theorie und Praxis 157
etwas lassen, wie es ist, nämlich rot oder rund: im Sinn von belassen. Ne-
gativ ausgedrückt, handelt es sich dabei um ein Nichtverändern, oder ent-
sprechend positiv, da das Belassen auf eine Entscheidung und damit eine
Leistung des Handelnden zurückgeht, um ein Erhalten. Fälle von „gesche-
hen lassen“ sind aber eindeutig Fälle von Veränderung, und die bisher
besprochenen Beispiele für Unterlassungshandlungen fallen allesamt in
diese Kategorie. Eine Tötung geschehen lassen, heißt, eine Veränderung
geschehen lassen, und da das Resultat Erfolg einer Absicht ist, ist das
Geschehenlassen insgesamt ein Fall von Veränderung. Worin kann nun
ein gemeinsamer Sinn von Handlungen im Sinn des Lassens liegen, wenn
es genauso ein Erhalten wie ein Verändern von Außenwelt sein kann?
In einer bestimmten Hinsicht liegt in beiden gerade behandelten Fäl-
len von „lassen“ ein Erhalten vor: Um ein Erhalten im Gegensatz zu ei-
nem Verändern handelt es sich beide Male hinsichtlich des eigenen Kör-
pers, denn sowohl ein Verändern im Sinn des Lassens als auch das
entsprechende Erhalten beruht auf dem Beibehalten seines jeweiligen
Bewegungszustands. Und darin, daß in beiden Fällen der Körper des Sub-
jekts in Ruhe bzw. in gleichförmiger Bewegung belassen wird, liegt der
gemeinsame Sinn des Lassens, der dann auch der sogenannten Unter-
lassungshandlung zugrunde liegt. Das Verhältnis von Handeln, Tun und
Lassen geht also aus folgendem Schaubild hervor:
Handeln
Weil „Handeln“ als Oberbegriff fungieren muß, bietet sich für die linke
Seite der Ausdruck „tun“ an, der ja auch in aller Regel den Kontrastbegriff
zu „lassen“ bildet.104 Hinsichtlich der intendierten Objekte kann sowohl
_____________
beschrieben werden. Statt einer „besonderen Form des Unterlassens“ (Birnbacher, Tun und
Unterlassen, S. 103ff.) ist das Geschehenlassen die positive Beschreibung einer bestimmten
Art von Unterlassung (derjenigen nämlich, die nicht auf ein Erhalten, sondern auf ein
Verändern aus ist).
104 Die hier vorgenommene Differenzierung zwischen Tun und Lassen weicht vom Sprachge-
brauch des Alltags wie dem der einschlägigen Literatur insofern ab, als es dort eine klare
Abgrenzung zwischen „Handeln“ und „Tun“ meist nicht gibt (Birnbacher etwa benutzt
„Tun“ synonym mit „Handlung“). Von Wright, der die Unterlassung („forbearance“) als
160 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
das Tun als auch das Lassen auf deren Veränderung bzw. deren Erhaltung
ausgehen. Auch ein Tun ist mitunter ein Erhalten, denn die Konservie-
rung von Objekten kann den Einsatz von Körperbewegungen erfordern.
Nur hinsichtlich des Bewegungszustands des eigenen Körpers ist die
Differenzierung zwischen Tun und Lassen die zwischen Veränderung und
Erhalten. Ein absolutes Erhalten, ein Erhalten sowohl auf der Seite des
Körpers, der in den meisten Fällen nur als Mittel dient, als auch auf der
Seite des Zwecks, ist eo ipso ein Lassen. Sowohl die Körperbewegung als
auch die Erhaltung des Bewegungszustandes des Körpers müßten in die-
sem Kontext der Genauigkeit halber zudem als „unmittelbar“ gekenn-
zeichnet werden, weil auch ein vermitteltes Bewegen des eigenen Körpers
im Sinn des Lassens denkbar ist, wie etwa, wenn ein Subjekt sich in Ruhe
hält, weil es am aktuellen Aufenthaltsort auf die Bewegung seines Körpers
durch Fremdeinwirkung spekuliert.
Der Grund, warum das, was ein Subjekt „geschehen“ läßt, ihm als Er-
folg zuzurechnen ist, obwohl es doch nicht durch seinen Körper mit ihm
wechselwirkt, ist, wie oben ausgeführt, allein durch das Bewußtsein des
Subjekts begründet. Denn das Verhältnis, durch welches das Subjekt im
Rahmen von Bewußtsein zu Anderem seiner selbst tritt, schließt die
Wechselwirkung zwischen seinem Körper und diesem Anderen seiner
selbst nicht ein.105 Als Bewußtsein-Habendes kann sich das Subjekt den
antizipierten Kausalzusammenhang der erkannten Objekte für seine eige-
nen Zwecke zunutze machen. Es hängt allein von den Umständen ab, ob
der intendierte Erhalt oder die intendierte Veränderung von Außenwelt
eine Wechselwirkung seines Körpers mit den Dingen verlangt.
In den Fällen, wo das Subjekt zum Erreichen des Intendierten den
Zustand seines Körpers beibehalten kann, also in Situationen, die man als
bloßes Betrachten oder Zuschauen beschreiben könnte, liegt über Be-
wußtsein hinaus nichts vor; für die skizzierte praktische Dimension sol-
chen Zuschauens wird kein zusätzliches Prinzip erfordert. Weil solches
Zuschauen Dinge in ihrer Wirklichkeit erhalten oder als wirkliche herstel-
len kann, kann hier von Verwirklichungsbewußtsein gesprochen werden.
Ein Verwirklichen durch Stillhalten bzw. durch Zuschauen ist zwar ein
Fall von „nichts als Bewußtsein“, deswegen aber nicht gleichbedeutend
mit Wahrnehmung. Um so etwas wie ein strafbares Unterlassen erklären
_____________
Unterart von „action“ versteht – übrigens ohne Angabe einer differentia specifica – wählt als
Kontrastbegriff zu „Unterlassung“ den von „act“ (Norm and Action, S. 48).
105 Damit eine Baum-Gesichtsanschauung entstehen kann, müssen Lichtstrahlen mit der
Netzhaut wechselwirken, nicht aber das Subjekt mit dem Baum. Es besteht zwar ein psy-
cho-physisches Problem, nämlich die Frage nach der Wechselwirkung zwischen Somati-
schem und Mentalem. Die dabei zu erklärende Wechselwirkung ist aber nicht die zwischen
Wahrnehmendem und Wahrgenommenem.
C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein 161
zu können, also etwas, das eine Handlung im vollen Sinn zu sein hat, muß
innerhalb von solchem Bewußtsein eine Entscheidung zugunsten von
dieser oder jener Wirklichkeit fallen. Nur dann kann ein stillhaltendes
Subjekt für ein Ereignis in der Außenwelt verantwortlich gemacht werden,
wenn ihm unterstellt wird, daß es das Eintreten dieses Ereignisses seinem
Ausbleiben vorgezogen hat. Ohne eine solche Präferenz für dieses oder
jenes inhaltlich Bestimmte ist nicht nur die Rede von Verantwortlichkeit
fraglich, sondern auch die von Handeln allgemein. Für das, was man
wahrnimmt, kann man nämlich nichts, und zwar deshalb, weil man es sich
dem Inhalt nach nicht ausgesucht hat: Ob ich den Stab im Wasser gerade
oder gebrochen wahrnehme, ist keine Frage meiner Präferenz. Will ich im
konkreten Fall erfolgreich etwas als wirklich hinstellen, habe ich nur eine
Möglichkeit bzw. ich entscheide mich für die einzige erfolgversprechende
Option. Nur im Handeln wird der Inhalt verwirklicht, den man bevorzugt,
denn nur im Rahmen von Handeln sorgt man selbst dafür, daß eine so
und nicht anders bestimmte Außenwelt wirklich wird. Und nur für eine
solche Wahl kann man – unter weiteren Voraussetzungen –106 Ver-
antwortung übernehmen. Das Verwirklichungsbewußtsein, von dem hier
die Rede ist, ist ein bevorzugendes, wählendes Bewußtsein, und damit also
der Struktur nach komplexer als Wahrnehmungsbewußtsein.107
C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein
1. Die theoretische Einstellung
Es gibt Fälle von Zuschauen und Betrachten, die nicht so theoretisch sind,
wie sie scheinen. Zuschauer und Betrachter sind im Fall der Unter-
lassungshandlung nachweislich Praktiker, weil ihr Verhalten dazu dient,
ein Intendiertes wirklich zu machen. Wer dabei zusieht, wie des Nachbarn
Haus abbrennt, ohne die Feuerwehr zu rufen, entscheidet sich dafür, daß
das Haus abbrennen soll, und er ist aufgrund dieser Entscheidung Mitur-
sache für das Wirklichwerden dieser ganz bestimmten Außenwelt. Das
___________
106 Siehe oben, Anm. 91.
107 In diesem Punkt unterscheidet sich hiesige Darstellung der Unterlassungshandlung von der
bei Prauss (vgl. Kant über Freiheit als Autonomie, S. 216ff. und Die Welt und wir, Bd. II/1, S.
119). In der schwierigen Frage, wie Erkennen und Handeln voneinander abzugrenzen bzw.
wie sich Erkennen innerhalb von Praxis eingrenzen läßt, beziehe ich keine Position. Für die
hier zugrunde liegende ästhetische Fragestellung genügt die These, daß Fällen bloßen Be-
trachtens oder Zuschauens der volle Sinn von Praxis zukommt.
162 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
abgebrannte Haus ist dann die Wirkung seiner Entscheidung, sich nicht zu
rühren, also die Wirkung einer Handlung.
Es stellt sich jetzt die Frage, ob Subjekte als bewußte Wesen jemals
diesseits von Verwirklichung im gerade beschriebenen Sinn bleiben kön-
nen. Besser gefragt: Gibt es Fälle von Fremdbewußtsein, wo dieses nicht
Ursache ist für das Wirklichwerden dieser oder jener Außenwelt? Späte-
stens diese Frage stellt den Zusammenhang mit dem Kontext der Ästhetik
wieder her, denn die ästhetische Einstellung steht wohl mehr als jedes
andere Verhalten in dem Ruf eines einflußlosen Zugegenseins. Wenn es
einen Fall von Bewußtsein geben soll, innerhalb dessen das Verhältnis zur
bewußten Außenwelt bloß das des erkennenden Entgegennehmens von
bereits Wirklichem ist, statt eines Verwirklichens von ihr, dann scheint
dafür nichts eher in Frage zu kommen als die interesselose ästhetische
Einstellung. Als Beispiel für eine denkbar krasse Möglichkeit von Nicht-
involviertsein wäre etwa ein Theaterbesuch anzuführen: Wer dem Ge-
schehen auf der Bühne zusieht, scheint sich in denkbar klarer Weise aus-
schließlich in der Position eines Zuschauenden zu befinden und nicht in
der eines Verwirklichenden.
Aufgrund dieses Merkmals ordnet Seel die ästhetische Einstellung
dem Begriff der „Kontemplation“ zu. Kontemplatives Verhalten „erstrebt
keine Resultate“108, so Seel, es halte „Abstand von jeder Art des reali-
sierenden Tätigseins“109. Der Kontemplation, von der Seel außer der
ästhetischen auch noch eine theoretische und praktische kennt, gehe es
allein um „Anschauen oder Vernehmen von etwas“, es sei ein „Verhalten,
dem es um nichts anderes geht, als in der Betrachtung von etwas zu ver-
weilen“110.
Aber dieser Eindruck täuscht, denn es läßt sich gerade auch im Rah-
men der ästhetischen Einstellung Wirkliches benennen, an dessen
Zustandekommen sie Anteil hat; Außenwelt also, deren Wirklichwerden
auch vom ästhetisch Eingestellten abhängt. Dabei handelt es sich im ge-
rade genannten Fall um die Darbietung auf der Bühne, denn die kann nur
deswegen vonstatten gehen, weil die Zuschauer es wollen. Sofern sie alle
die Möglichkeit haben, die Aufführung zu stören, vielleicht sogar zu ver-
eiteln, haben sie alle Anteil daran, daß sie stattfinden und reibungslos ab-
laufen kann. Insofern sie durch ihre Entscheidung, das Wirklichwerden
der Aufführung zuzulassen, Mitursachen sind für deren Wirklichkeit, ist
das Zustandekommen der Aufführung auch Erfolg des Publikums.111
___________
108 Ethisch-ästhetische Studien, S. 261.
109 Ebd., S. 262.
110 Ebd.
111 Für die Wirklichkeit einer friedlichen Gesellschaft ist das Unterlassen seiner Individuen
wohl nicht weniger wichtig als ihr Tun. Das Wirklichwerdenkönnen einer Theaterauffüh-
C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein 163
Wie immer sich ein Subjekt auch verhält – es kann gar nicht anders,
als sich dafür zu entscheiden, ob diese oder jene Außenwelt wirklich wer-
den soll. In allen Fällen von Bewußtsein gibt es somit inhaltlich so oder
anders bestimmte Wirklichkeit, an deren Zustandekommen das bewußte
Subjekt Anteil hat. Zumindest sind solche Fälle, wo dies einmal nicht der
Fall sein sollte, nicht einer besonderen Einstellung geschuldet. Die einzige
Möglichkeit für das Subjekt, nicht als Miturheber von zu ihm Anderem zu
fungieren, sind solche Mißerfolgsfälle, in denen eine intendierte Verände-
rung – etwa eine Körperbewegung – unterbleibt. Ein solcher Mißerfolgs-
fall unterscheidet sich aber vom Erfolgsfall nicht etwa dadurch, daß die
Intention auf Außenwelt abbräche – sie ergeht auch hier. Deswegen ist
das Subjekt qua Bewußtsein durchgehend Verwirklichungsbewußtsein.
Auch solche Fälle von Bewußtsein, die als bloßes Beobachten beschrieben
werden, sind kausal relevant für das sich Einstellen dieser oder jener Wirk-
lichkeit.
Für die Ästhetik bedeutet dies, daß Subjekte durch Betreten eines für
die ästhetische Einstellung vorgesehenen Bereichs nicht etwa vor Praxis
im Sinn des Verwirklichens inhaltlich so oder anders bestimmter Wirk-
lichkeit zurücktreten. Auch wenn sie sich in der ästhetischen Einstellung
befinden, sind sie qua Bewußtsein kausal relevant für das Wirklichwerden
oder Wirklichbleiben solcher oder anderer Objekte. Besonders deutlich
wird das, wenn man hier die moralische Ebene einblendet, denn es zeigt
sich, daß ästhetisch eingestellte Subjekte von ihren Pflichten gegenüber
anderen Subjekten keineswegs entbunden sind. Ein Subjekt, das ins
Theater oder Museum geht, macht sich nicht moralisch unangreifbar und
ist dort vor Ansprüchen seiner Mitmenschen keineswegs in Sicherheit.
Denkbar ist es, daß genau durch den Vollzug einer ästhetischen Beschäfti-
gung mit Objekten Pflichten gegen Andere verletzt werden, etwa dann,
wenn jemand, statt sich um einen hilfebedürftigen Mitmenschen zu küm-
mern, Gedichte liest. Ob die Folgen eines solchen Handelns, etwa die
Schädigung jenes Mitmenschen, genau dasjenige war, worauf es der Leser
damit abgesehen hatte, oder ob er es nur als notwendiges Übel in Kauf
genommen hat, ändert nichts daran, daß er für die eingetretene Wirklich-
keit zur Verantwortung gezogen werden kann, weil er sie durch den Rück-
zug in die ästhetische Einstellung mitverursacht hat.
Diese Überlegungen sollen zeigen, daß das Einnehmen der ästheti-
schen Einstellung nicht als Ausstieg aus Praxis und als Eintritt in einen
vorpraktischen Bereich verstanden werden darf. Sie laufen aber nicht dar-
auf hinaus, daß im Rahmen der ästhetischen Einstellung Praxis einfach
_____________
rung hängt vom gleichgesinnten Zusammenspiel zahlreicher Individuen ab, muß also als
Produkt einer konzertierten intersubjektiven Disziplin verstanden werden. Viele weitere
Beispiele ließen sich dafür anführen.
164 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
weiterliefe wie zuvor. Diese Einstellung ist nicht etwa ein besonderer Fall
von Praxis, ein Handeln besonderen Inhalts. Was es im Gegensatz zu
Praxis positiv ist, ist im folgenden erst zu klären. Für die Gegenüberstel-
lung zwischen ästhetischer Einstellung und Praxis ist derjenige Fall von
Handeln heranzuziehen, der als Unterlassungshandlung charakterisiert
worden ist. Denn mit diesem hat die ästhetische Einstellung etwas
gemeinsam, nämlich das Unterbleiben von Körperbewegungen. Gesucht
wird nun nach demjenigen, worin sich die beiden Fälle unterscheiden, und
dieser Unterschied muß, wohlgemerkt, ein formaler sein. Am Inhalt des
zu verwirklichenden Objekts kann er nicht festgemacht werden, denn es
ist ja nicht auszuschließen, daß einem Unterlassen den Objekten nach, die
in seinem Vollzug verwirklicht werden, sein praktischer oder ästhetischer
Charakter von außen gar nicht anzusehen ist. Es kann ja auch die Be-
trachtung von etwas mit ästhetischem Genuß verbunden sein, das die
Schädigung von Subjekten zur Folge hat, und das Nichteinschreiten somit
nicht durch praktisches Interesse, sondern ästhetisch motiviert sein.
das Zuschauen zu beschränken. Er schaut zu, weil er sehen will, wie das
Stück weitergeht.
Die Frage, die sich jetzt aber stellt, ist die, ob das ästhetische Unter-
lassen im gerade beschriebenen Sinn die einzige Möglichkeit eines nicht-
praktischen Zuschauens bzw. Unterlassens darstellt. Mit Seel wäre zu
Recht darauf hinzuweisen, daß es auch andere sich jeden Eingreifens ent-
haltende Verhaltensweisen gibt, die weder ästhetisch noch praktisch moti-
viert sind. Ein anderes Subjekt sprechen zu lassen und ihm zuzuhören –
Seel nennt das „praktische Kontemplation“113 –, scheint eine solche
Verhaltensweise zu sein. Denn so verhält man sich in der Regel nicht des-
halb, weil dieses Subjekt genau das sagte, was man hören will (das gibt es
allerdings auch), sondern weil man wissen will, was es zu sagen hat. Ein
solches Geschehenlassen erfolgt also nicht deshalb, weil die Wirklichkeit
einen ihrem Inhalt nach bevorzugten Verlauf nähme, sondern wegen eines
Wissenwollens.
Zu einem solchen Wissenwollen gehört nicht nur das Geschehenlas-
sen im Kontext intersubjektiven Verstehens. Auch ein Wissenschaftler,
der einem Naturvorgang zusieht, ohne einzugreifen, tut das nicht deswe-
gen, weil sich die Geschehnisse zufälligerweise in eine Richtung ent-
wickelten, die ihm zupaß kommt – was der Grund für das Nichtein-
schreiten bei einem Unterlassungsdelikt wäre –, sondern weil er wissen
will, was geschieht, wenn er nicht eingreift.114 Für eine solche Verhaltens-
weise ist übrigens keine wesentliche Voraussetzung, daß das Betrachtete
ein Ereignis in der Zeit ist. Auch ein sich orientierendes Umsehen in einer
gleich bleibenden Wirklichkeit, wie etwa Kants Beispiel der „Beurteilung
eines Platzes“115, ist ein Fall von theoretisch motiviertem Nichteingreifen
bzw. Nichtverändern, denn in einem solchen Fall hält sich das Subjekt
eindeutig aus theoretischer Motivation mit einem Ding auf.
Was solche Weisen des Unterlassens, ob sie aus intersubjektiver oder
wissenschaftlicher Motivation erfolgen, gemeinsam haben, ist der Verzicht
des Subjekts, bevorzugend Einfluß auszuüben, d.h. eine dem Inhalt nach
präferierte Wirklichkeit herzustellen. In allen solchen Fällen stellt das Sub-
jekt seine Vorlieben für eine inhaltlich so oder anders bestimmte Wirk-
lichkeit zurück und verhält sich gleichsam so, als hätte es keine Ansprü-
___________
113 Ethisch-ästhetische Studien, S. 268. Im folgenden orientiere ich mich an Seels drei Arten der
„Kontemplation“, ohne allerdings den in dem Ausdruck mitgedachten Aspekt der Passivi-
tät für das hier gemeinte Phänomen in Anspruch zu nehmen.
114 Vgl. Heidegger in Sein und Zeit, der in solchen Fällen eine „Defizienz des besorgenden Zu-
tun-habens mit der Welt“, ein „Sichenthalten von allem Herstellen, Hantieren u. dgl.“
analysiert (S. 61; vgl. S. 357).
115 KU, S. 70.
166 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
che.116 Es läßt zu, daß sich genau die Wirklichkeit einstellt, die sich einstel-
len würde, wenn es sie nicht in seinem Sinn mitgestalten könnte bzw.
wenn es nicht anwesend wäre.
Also ist ein Geschehenlassen von Wirklichkeit, das ohne Präferenz für
diese oder jene Wirklichkeit erfolgt, nicht immer auch ein Fall von ästheti-
scher Einstellung. Durch das gerade geschilderte Kriterium scheint eine
Unterscheidung vorgenommen zu werden zwischen Praxis auf der einen
und den geschilderten Unterlassungen, nämlich ästhetischer, intersubjek-
tiv-theoretischer und wissenschaftlich-theoretischer Art, auf der anderen
Seite. Nichtpraktizität ist aber bisher immer am Kriterium der Interesse-
losigkeit festgemacht worden. Deren Kennzeichen hatte, gemäß Kants
Überlegungen zu Beginn der AS, in der Unabhängigkeit des Subjekts und
seiner Befindlichkeit von der Wirklichkeit des Objekts bestanden. Für die
theoretischen Unterlassungen ist nun zu zeigen, daß sie diesem Kriterium
nicht genügen.
Für ein Subjekt, das Wirklichkeit aus theoretischen Motiven gesche-
hen läßt – das mag nun Mitteilungen anderer Subjekte betreffen oder
Naturobjekte – ist entscheidend, daß das Wahrgenommene bzw. Erkannte
wirklich ist. Wer sich theoretisch in seiner Umwelt orientiert, hat es ja
gerade auf Wirklichkeit abgesehen. Und diese theoretische Bemühung um
Wirklichkeit ist kein Selbstzweck: Es ist für das kommunizierende Subjekt
nicht gleichgültig, ob es mit dem Versuch, das andere Subjekt zu verste-
hen, also seine Wirklichkeit als dieses oder jenes Mitteilende zu erdeuten,
erfolgreich ist oder nicht. Und das liegt daran, daß das Ergebnis des theo-
___________
116 Seel stellt richtig fest, daß man sich bei dem Entschluß, einen Film anzusehen, bestimmen
läßt, denn „hierbei nehmen wir in Kauf, unter Einflüssen zu stehen, die für uns nicht ab-
sehbar sind“ (Sich bestimmen lassen, S. 289). Aber erstens beinhaltet diese Offenheit für Un-
absehbares kein Einverständnis des Subjekts mit jedweder Wirklichkeit, etwa einer sein
Wohlergehen gefährdenden, und zweitens ist es verkehrt, dieses Inkaufnehmen mit den
Unwägbarkeiten gewöhnlicher Praxis zu vergleichen, etwa der Kontingenz der Folgeerei-
gnisse, denen wir uns aussetzen, wenn wir etwa – wie in Seels Beispielen – ein Kind in die
Welt setzen oder den Wohnort wechseln. Solches Verhalten impliziert nicht die geringste
inhaltliche Indifferenz bezüglich der Wirklichkeit, die sich einstellt, sondern nur die ganz
unvermeidbare Machtlosigkeit gegenüber der Faktizität von Erfolg oder Mißerfolg. Eine
theoretische oder ästhetische Offenheit ist dagegen dadurch gekennzeichnet, daß verschie-
dene Möglichkeiten von Wirklichkeit gleichermaßen willkommen sind.
C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein 167
oder einen Film sieht, auch wer einen Roman oder ein Gedicht liest, hat es
von Anfang an auf irgendeine Weise mit Gegenständen zu tun, die nur
vorzustellen und nicht als wirklich hinzustellen sind. Ein Als-wirklich-
Hinstellen unterbleibt in solchen Fällen, weil Irrtum und Täuschung hin-
sichtlich der Wirklichkeit der vorgestellten Gegenstände nicht auftreten
können. Wer etwa in einem Märchenfilm ein Einhorn sieht, weiß, daß
dieses „nur dargestellt“ ist. So sehr er bei der Darbietung „mitleidet“,
„mitfiebert“, angespannt ist oder sich freut – der Zuschauer ist nie der
Meinung, daß die im Film dargestellten Dinge und Ereignisse wirklich
sind. Wäre das der Fall, müßte das Ende der Vorstellung wie das Ende
einer Halluzination erfahren werden und der Zuschauer müßte das Gese-
hene, sich die Augen reibend, nachträglich revidieren. Er mag zwar die
Wirklichkeit draußen für eine gewisse Zeit vergessen haben und wird sich
wieder an sie gewöhnen müssen; einer Täuschung unterlag er aber nicht,
und das heißt, daß er den Inhalt des Films nicht als wirklich hingestellt
hat. In allen solchen Fällen gilt, wie Frege bemerkt, daß „die Form des
Behauptungssatzes [...] ihre behauptende Kraft verliert“.124 Das im Thea-
ter gefällte Urteil „dies ist ein König“ behauptet nicht die Wirklichkeit
eines Königs auf der Bühne. „Wie der Theaterdonner nur Scheindonner,
das Theatergefecht nur Scheingefecht ist, so ist auch die Theaterbehaup-
tung nur Scheinbehauptung“.125 Die Vergegenständlichung von Objekten
ohne deren Als-wirklich-Hinstellen, was Frege hier „Schein“ nennt, ist
also das Prinzip der Fiktion.
Damit ist nun etwas Formales gemeint, dem Formalen der Behaup-
tung vergleichbar, die gegenüber dem behaupteten Inhalt ein Zusatz nur
an Form ist. Ob die Äußerung eines Subjekts Behauptung ist oder Fiktion,
läßt sich am Inhalt des Geäußerten nicht entscheiden. Es ist also nicht
einzusehen, warum zu Fiktionalität, im Sinn einer Gegenständlichkeit von
etwas ohne die Behauptung seiner Wirklichkeit, dergleichen wie Kontra-
faktizität gehören soll, denn die Frage nach Wirklichkeit oder Unwirklich-
keit ist völlig irrelevant dort, wo auf Wirklichkeit gar nicht ausgegangen
wird, und sie wird nur dann intendiert, wenn die Form der Behauptung
auftritt.
Im Zusammenhang mit dem Inhalt von Fiktion von Wirklichem und
Unwirklichem zu sprechen, wäre aus der Sicht von Kant und Frege naiver
_____________
Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ – können gerade nicht als Markierungen von
Fiktionalität verstanden werden und sind also offenbar Teil eines viel komplexeren Phäno-
mens. Entgegen der Deutung Isers sind solche Elemente wohl eher dazu da, das Darge-
stellte näher an die Wirklichkeit des Zuschauers zu rücken, aber ohne daß dies am
fiktionalen Status des Dargestellten etwas änderte.
124 Frege, „Der Gedanke“, S. 347.
125 Ebd.
C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein 173
solchen, sondern kann auch als Entwurf oder Simulation135 einer Situation
bzw. eines noch zu verwirklichenden Objekts auftreten.
In allen solchen Zusammenhängen steht außer Frage, daß die Dar-
stellung von Gegenständen, die nicht als wirklich hinzustellen sind, den
Charakter eines Mittels besitzt.136 Auch durch solche Bilder, durch die
man sich etwas nicht Wirkliches bzw. eine fiktive Wirklichkeit vorzustellen
hat, sind oft Mittel im Rahmen von Praxis, also in Hinblick auf die
Verwirklichung einer so oder anders bestimmten Wirklichkeit. Bilder sind
hier Hilfsmittel bzw. Teil von Kommunikation, in der es allein um noch
zu Verwirklichendes geht und in der nichts als wirklich hingestellt wird.137
Der Mittelcharakter solcher Fiktion bedeutet, daß ihr Wert sich allein
in Hinblick auf einen Zweck bemißt: Das Verkehrsschild ist dazu da, den
Verkehrsteilnehmer auf eine Regel oder eine Gefahr aufmerksam zu ma-
chen; die von Ingenieuren simulierte Wirklichkeit dient nur dem Zweck,
durch sie zu einem wirklichen Objekt zu kommen, das diese oder jene
Anforderung erfüllt; der Filmdialog im Sprachkurs soll helfen, dem Ler-
nenden ein bestimmtes kommunikatives Verhalten beizubringen. Fiktion
steht in solchen Kontexten im Dienst eines Zwecks, sie ist Teil einer
Bemühung, die scheitern oder Erfolg haben kann, und ob das eine oder
andere eintritt, läßt sich für die Beteiligten in aller Regel eindeutig ermit-
teln.
Zur Ermittlung der Besonderheit von Kunst bietet Kant das Krite-
rium der Nichtpraktizität an.138 Nur in der Selbstzweckhaftigkeit der
___________
135 Diesen Begriff, der doch eigentlich gut geeignet ist, um Kunst von nichtkünstlerischer
Fiktion zu unterscheiden, macht Wellershoff für die Anwendung auf die Literatur stark
(„Fiktion und Praxis“, S. 21f). Was er nicht liefert, ist die Differenz zwischen Simulation in
praktischer Hinsicht und „literarischer“ Simulation. Denn was Wellershoff über letztere
sagt, gilt für erstere auch: Literatur sei „ein fiktives Handeln“, in dem man „Routinen über-
schreitet, ohne ein wirkliches Risiko einzugehen“ (ebd., S. 22).
136 Der Unterschied zu sprachlichen Zeichen besteht offenbar allein darin, daß diese mittels
arbiträrer Vereinbarung Begriffe mitteilen, zu denen der Rezipient die passende Anschau-
ung aus seinem Erinnerungsschatz beizusteuern hat, während Bilder Anschauung liefern,
zu denen der Rezipient den passenden Begriff hervorzuholen hat. Das Bild ist nichts ande-
res als das Bewirken von Anschauung im anderen Subjekt, also von etwas Mentalem, und
es ist nicht zu sehen, wo hier eine Relation der Ähnlichkeit zu finden sein soll. Dasjenige
Ding, an das ein Bild materialiter gebunden ist, und das die Aufgabe hat, die Anschauung
zu verursachen, hat mit dem Dargestellten keine Ähnlichkeit.
137 Die Beispiele für nichtkünstlerische Fiktion ähneln damit solchen sprachlichen Äußerun-
gen, die nichts als wirklich hinstellen und entsprechend gekennzeichnet sind, wie etwa Im-
perativ und Frage.
138 Weil kein geeigneteres Kriterium in Sicht ist, erweist sich die Autonomie der Kunst als
Voraussetzung für ihre Abgrenzbarkeit von anderen Gegenständen – ähnlich wie das Spiel
nur als freies von Praxis unterschieden werden konnte (siehe oben, S. 122ff.). Dieses Krite-
rium anzufechten, ist freilich möglich, hätte aber Konsequenzen im Sprechen über diese
Dinge.
C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein 177
Fiktion kann demnach das Besondere der Kunst liegen:139 Nur dadurch,
daß das Vorstellen nichtwirklicher Gegenstände nicht im Dienste eines zu
erreichenden Zwecks steht, sondern um seiner selbst willen betrieben
wird, gewinnt dieser Akt den spezifischen Charakter des Kunstvollzugs.
Das Vorstellen einer fiktiven Wirklichkeit ist im Rahmen der
Kunstrezeption eine Erkenntnistätigkeit, die es nicht letztlich auf diesen
oder jenen Gegenstand abgesehen hat, sondern der es allein um ihr Tätig-
sein selbst geht. Fiktion als Kunst ist Teil einer Erkenntnistätigkeit, die
spielerisch vollzogen wird.140
Mit dem Spielbegriff ließe sich also die künstlerische Fiktionalität von
einer noch diesseits des Künstlerischen angesiedelten Fiktionalität abgren-
zen bzw. als Überformung einer solchen kunstneutralen Fiktionalität
begreifen. Im Kontext von Kunst sind Bilder, die im Normalfall Anschau-
ung liefern als Mittel für etwas – sei es intersubjektive Verständigung oder
Simulation von herzustellender Wirklichkeit – Material für eine sinnlich-
erkennende Auseinandersetzung, in der sich das ästhetisch eingestellte
Subjekt aufhalten kann. So werden Bilder zum „reichen Stoff“141 für eine
anhaltende Tätigkeit der Erkenntniskräfte, die sich nicht weniger intensiv
mit der fiktiven Wirklichkeit auseinandersetzen, als stehe hinter dieser
Tätigkeit ein theoretisch-praktisches oder ein intersubjektives Anliegen.
Darin, daß es ein solches aber nicht gibt, besteht das Spielhafte und damit
das Als-ob der Kunst, und nicht in der Fiktionalität ihrer Inhalte. Damit
das Material des künstlerischen Bildes das ästhetisch eingestellte Subjekt in
diese Tätigkeit zu verwickeln und in ihr zu halten vermag, muß es in sich
Bezüge enthalten, die die erkennende Tätigkeit lohnend machen, d.h. es
muß genauso sehr eine Bewandtnisganzheit bilden, wie es die Zeichenwelt
des Alltags tut.142 Während es aber der Kommunikation des Alltags um
eine Ökonomie der semantischen Bezüge zu tun sein muß, weil im Alltag
die theoretisch-praktische Verständigung kein Selbstzweck ist, darf bzw.
muß die Kunst verschwenderisch im Herstellen von Bewandtnis-
zusammenhängen verfahren. Während im theoretisch-praktischen Kon-
text Vieldeutigkeit zu vermeiden ist, ist sie in der Kunst geradezu er-
___________
139 Vgl. Seel, Ästhetik des Erscheinens, S. 106f.
140 Iser, der das Phänomen der Fiktion auf den Bereich der Kunst beschränkt, denkt dabei
allerdings einen spielerischen Aspekt mit (Das Fiktive und das Imaginäre, S. 377ff.).
141 KU, S. 186.
142 Einen Sonderstatus genießt in diesem Zusammenhang offenbar die Musik, denn sie scheint
für Zwecke der Kommunikation nicht einsetzbar zu sein. In der KU argumentiert Kant
allerdings dafür, daß die Musik zwar nicht als Sprache, aber wie eine Sprache funktioniert,
weil ihr Material, die Töne, auf die Bestimmbarkeit von Unterschieden, auf „begreifliche
Unterschiede“ hin ausgelegt ist, durch die sich eine „verständliche Sprache der Empfindun-
gen“, durch die Affekte diesseits von Begriffen mitgeteilt werden können, ergibt (vgl. KU,
211ff.; 219).
178 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
___________
143 Dieses Material ist um so geeigneter, desto größer der Bereich des durch es Erdeutbaren.
Der Inhalt kann dennoch existentiell sein, und er kann auch andere Subjekte als Re-
flektierende beschäftigen, indem das „Welt- und Selbstverhältnis der Rezipienten ins Spiel
kommt“ (Wellmer, „Das musikalische Kunstwerk“, S. 172). Auf eine „Arabesken-Ästhe-
tik“, wie der Vorwurf seit Schiller (Brief an Körner vom 25. Januar 1793) lautet, läuft das
nicht zwangsläufig hinaus.
Teil III: Das Spiel und die Schönheit
A. Schönheit als Problem innerhalb Kants Konzeption
1. Der Spielbegriff bei Kant, noch einmal betrachtet
Papagei, der Kolibri, der Paradiesvogel“ (49) durch das Prädikat „schön“
ausgezeichnet werden. Der Grund dafür ist, daß eine „an Mannigfaltigkeit
bis zur Üppigkeit verschwenderische Natur“ gewissermaßen durch Über-
schuß an Form der Erkenntnistätigkeit „Nahrung geben“ (72) und da-
durch ein Spiel der Vorstellungskräfte ermöglichen kann. Aber zu fragen
ist, ob alle Verwendungsweisen des Prädikats „schön“ sich auf solche
Weise erläutern lassen; ja eigentlich sogar, ob überhaupt irgendeine. Um
die Berechtigung dieser Frage zu verdeutlichen, sei noch einmal zur „All-
gemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ zurückge-
kehrt.
Dieser Abschnitt war für das gerade skizzierte Verständnis von
Schönheit von herausragender Bedeutung, weil er wie kein anderer der AS
die Motivation für den Spielbegriff deutlich werden ließ. Verständlich wird
diese Motivation nur im Zusammenhang mit der Zurückweisung geome-
trischer Regelmäßigkeit als Beispiel für Schönheit. Und genau hier drängt
sich ein Einspruch auf: Daß sich das Prädikat „schön“ in bezug auf eine
regelmäßig strukturierte Natur verbietet, ist nicht so klar, wie Kant es
hinstellt. Schließlich hat Kant selbst an anderer Stelle regelmäßige Formen
als Fälle von Schönheit angeführt, wie etwa ein „Amphitheater im Walde“,
das schön sei, „weil es kunst zu seyn scheint“ (Bd. 25, S. 1510), also Arte-
fakt zu sein scheint – und das kann es nur aufgrund seiner Regelmäßig-
keit.1 In seinen Vorlesungen schließt Kant Schönheit bei regelmäßigen
und symmetrischen Formen nicht nur nicht aus, sondern führt erstere auf
letztere an mehreren Stellen zurück.2
Im Alltagsgebrauch des Prädikats „schön“ werden nicht selten regel-
mäßig geformte Objekte – wie etwa die an einer Stelle von Kant als Bei-
spiel angeführten rechtwinkligen Wände und Türen3 im Gegensatz zu
solchen Gegenständen mit „schiefen Winkeln“ – positiv hervorgehoben.
Kants Überlegungen in der „Allgemeinen Anmerkung“ zielen aber darauf
ab, solchen Sprachgebrauch anzufechten. Kant gesteht dort wohl zu, daß
eine symmetrische Gestalt gegenüber einer „ungleichseitigen, gleichsam
verkrüppelten“ (70) ein gewisses Wohlgefallen verdiene, streitet diesem
Wohlgefallen aber den ästhetisch-interesselosen Charakter und damit auch
die Rechtmäßigkeit einer Auszeichnung durch „schön“ ab. Es spricht
nicht für seine Theorie, wenn sie selbst ihn dazu zwingt, eigene, frühere
Beispiele für Schönheit zurückzuziehen. Und weil es gängigste Verwen-
dungsweisen des Prädikats sind, die Kant somit auf einmal als illegitim
abtun will, übernimmt er eine nicht unerhebliche Beweislast.
___________
1 Vgl. Anthropologie Busolt (Bd. 25, S. 1510; datiert 1788/89). Vgl. auch §15, 46.
2 Bd. 24, S. 140 und S. 356; Bd. 25, S. 181; Bd. 25, S. 1097.
3 Bd. 25, S. 1097.
182 Teil III: Das Spiel und die Schönheit
Im §16 will Kant zeigen, daß „das Geschmacksurteil, wodurch ein Gegen-
stand unter der Bedingung eines bestimmten Begriffs für schön erklärt
wird, [...] nicht rein“ (48) sei. Der Rückgriff auf das Bild der Unreinheit
zur Erklärung des genannten Sinns von Schönheit beinhaltet zweierlei:
Einerseits wird dadurch das eine dem anderen zwar nachgeordnet – fragli-
cher Sinn von Schönheit ist nur eine „bedingte“ (49) und damit gegenüber
der „unbedingten“ in irgendeiner Weise herabgesetzte, oder wie Kant sagt,
eine in ihrer Freiheit „eingeschränkte“ (50) Schönheit. Auf der anderen
Seite aber rettet die Redeweise von „Unreinheit“ die Berechtigung der
Verwendung des Ausdrucks „schön“. Ein unreiner Gebrauch ist nämlich
nicht etwa ein fehlerhafter, sondern genießt eine gewisse Legitimität.
Daß es hier um zwei Arten von Schönheit, also eine Differenzierung
nach Gattung/Art-Verhältnis geht, ist aber aus zwei Gründen unplausibel.
Erstens sind die Arten einer Gattung, was ihre Semantik angeht, gleichbe-
rechtigt. Zu sagen, daß eine Art mehr als die andere den Gattungssinn in
sich enthalte, erscheint als unangemessene Quantifizierung desselben.
Zweitens erfüllt Kant im §16 von den Bedingungen, die für eine Unter-
scheidung nach Gattung/Art gefordert sind, nur die eine Hälfte: Er
benennt zwar die differentia specifica zwischen freier und anhängender
A. Schönheit als Problem innerhalb Kants Konzeption 183
Schönheit („erstere setzt keinen Begriff von dem voraus, was der Gegen-
stand sein soll“ [49]), nirgends aber die Gemeinsamkeit.4
Die Unterscheidung zwischen dem „reinen“ und „unreinen“ Ge-
brauch eines Prädikats scheint deshalb gar nicht auf eine Differenzierung
nach dem Art/Gattungsverhältnis hinauszulaufen, sondern darauf, daß es
eine Verwendungsweise des Prädikats „schön“ gibt, in welcher sein
eigentlicher Sinn mit etwas anderem vermengt auftritt. Für die Berechti-
gung dieser uneigentlichen Verwendungsweise wäre demnach nicht allein
die Schönheit von etwas ausreichend, sondern es hätte im Verbund mit ihr
immer auch etwas anderes vorzuliegen. Das wäre dann ein uneigentlicher
Gebrauch des Prädikats deshalb, weil sein eigentlicher Sinn eine komple-
xere Tiefenstruktur hätte, als seine Oberfläche zu erkennen gäbe. Es wäre
hier also mehr gemeint, als gesagt wird, denn eine Sache im fraglichen
Sinn „schön“ zu nennen, würde heißen, ihr nicht nur Schönheit, sondern
auch noch etwas anderes zuzuschreiben. Die Berechtigung für die Be-
zeichnung einer Sache als „schön“ wäre damit freilich nicht in Frage ge-
stellt, denn wäre sie nicht schön, würde sie dieses Prädikat ja nicht verdie-
nen.
Was dieses Zusätzliche für die Verwendung des Prädikats „schön“ in
diesem uneigentlichen Sinn sein könnte, das Kant im Titel als die „Bedin-
gung eines Begriffs“ beschreibt, geht aus dem Haupttext des §16 schnell
hervor. Während „in der Beurteilung einer freien Schönheit [...] kein Be-
griff von irgendeinem Zwecke, wozu das Mannigfaltige dem gegebenen
Objekt dienen und was dieses also vorstellen solle, vorausgesetzt“ (49f.)
wird, setzt die Beurteilung der anhängenden Schönheit „einen Begriff vom
Zwecke voraus, welcher bestimmt, was das Ding sein soll, mithin einen
Begriff seiner Vollkommenheit“ (50). Das Zusätzliche, das mit dem
Tatbestand der Schönheit vermengt auftritt und sie zu einer bloß „anhän-
genden“ Schönheit macht, ist also das Phänomen der Vollkommenheit –
und somit ausgerechnet dasjenige, was Kant im vorhergehenden §15 dem
___________
4 Dieser Einwand wurde in die angelsächsische Debatte von Lorand („Free and Dependent
Beauty“, S. 32) eingebracht, ist aber in der Literatur schon oft geäußert worden, etwa von
Pareyson (L’Estetica di Kant, S. 137) oder Derrida (Die Wahrheit in der Malerei, S. 123). Der
Sache nach handelt es sich hier um eine berechtigte Kritik, weil die von Kant genannte dif-
ferentia specifica dem Prinzip des Schönen, wie er es bis hierhin bestimmt hat, zu widerspre-
chen scheint. An einer zentralen Stellen der AS, wo Kant für die Interesselosigkeit und Be-
grifflosigkeit des Geschmacksurteils argumentiert, führt er ausschließlich Beispiele an, die
der „freien Schönheit“ des §16 entsprechen: „Blumen, freie Zeichnungen, ohne Absicht in-
einander geschlungene Züge, unter dem Namen des Laubwerks, bedeuten nichts, hängen
von keinem bestimmten Begriffe ab und gefallen doch“ (10f.). Da die anhängende
Schönheit dieses Kriterium offenbar nicht erfüllt, scheint sie durch Kants Versuche der
Abgrenzung des Schönen vom Guten bzw. vom Angenehmen nicht gedeckt. Er hätte also
erst zu begründen, daß es einen gemeinsamen Gattungssinn von Schönheit tatsächlich gibt.
184 Teil III: Das Spiel und die Schönheit
genießt und dem ästhetischen klare Grenzen vorgibt. Und genau einen
solchen Nachrang von Schönheit hinter Funktionalität, wie er im Fall von
Zierat kein Problem darstellt, scheint Kant mit seiner „anhängenden
Schönheit“ schon deren Namen nach zum Ausdruck bringen zu wollen.
Um den Nachrang so verstandener Schönheit hinter der Funktionalität
bzw. Vollkommenheit des Gegenstandes zu erläutern, ließe sich die fol-
gende wichtige Stelle zitieren:
Man würde vieles unmittelbar in der Anschauung Gefallende an einem Gebäude
anbringen können, wenn es nur nicht eine Kirche sein sollte; eine Gestalt mit al-
lerlei Schnörkeln und leichten, doch regelmäßigen Zügen, wie die Neuseeländer
mit ihrem Tätowieren tun, verschönern können, wenn es nur nicht ein Mensch
wäre; und dieser könnte viel feinere Züge und einen gefälligeren sanfteren Umriß
der Gesichtsbildung haben, wenn er nur nicht einen Mann oder gar einen kriege-
rischen vorstellen sollte (50).
Für die Anwendbarkeit der Theorie von „Parerga“ auf das Phänomen der
anhängenden Schönheit wäre freilich Voraussetzung, diese Theorie von
äußerlich hinzufügbaren Dingen auszudehnen auf das Phänomen des Or-
namentalen schlechthin. Denn „vieles unmittelbar in der Anschauung
Gefallende“, und noch deutlicher die Tätowierung am Menschen, sind
nicht als eigene Dinge zu verstehen, sondern als etwas in dem bereits vor-
liegenden Ding Aufgehendes, das dennoch auf ähnliche Weise zu ihm
hinzukommt wie die Beispiele für „Parerga“ des §16.
Für die Interpretation anhängender Schönheit im Sinn von Ornament
bzw. Zierat spräche dann auch die Tatsache, daß es zwischen dem, was
Kant im §14 als schmückenden Zierat bestimmt, Entsprechungen in der
Liste der freien Schönheiten des §16 gibt. Zwischen dem „Laubwerk zu
Einfassungen oder auf Papiertapeten“ des §16 und „Einfassungen der
Gemälde“, die durch ihre Form schön sein sollen, ist kein wesentlicher
Unterschied auszumachen, und das bedeutet, daß Kant noch unter einem
weiteren Aspekt das Bild der Unreinheit dieser „anhängenden Schönheit“
einzulösen vermöchte. Denn dasjenige, was in ihrem Fall zum Objekt
hinzukommt, wäre nichts anderes als die eigentliche, die freie Schönheit.
Wird das im Zustand der Unreinheit Vermengte voneinander geschieden,
darf das so Isolierte nicht von dem verschieden sein, was „rein“ genannt
wird – und genau das hätte Kant mit seiner Theorie von anhängender
Schönheit qua Ornament auch berücksichtigt. Er könnte somit von seiner
Theorie behaupten, daß sie einen einheitlichen Sinn von Schönheit ent-
hielte.
Ein solcher Ansatz bietet trotz seiner theorieimmanenten Stringenz
aber auch erhebliche Schwachstellen. Im Zusammenhang mit den Parerga
des §14 muß nämlich auffallen, daß nach Kant durch den Zierat nicht
etwas anderes schön wird; der Zierat selbst soll schön sein. Die Schönheit
186 Teil III: Das Spiel und die Schönheit
des Parergon geht auf dasjenige, an dem es auftritt, gar nicht über: Kant
spricht zwar davon, daß die schöne Einfassung des Gemäldes das
Wohlgefallen erhöhe, aber er sagt gerade nicht, daß dadurch das Bild
selbst in irgendeiner Weise schön oder schöner würde. Genau das gilt von
allem Ornamentalen, denn die Art und Weise, wie es zu einem Ding
hinzutritt – wie etwa die Tätowierung zum Menschen oder die Verzierung
zur Kirche –, ist diesbezüglich die gleiche. Daß das für Kant so ist, darf
nicht verwundern, denn er begreift beispielsweise das „Laubwerk auf Pa-
piertapeten“ als freie Schönheit, nicht also als etwas Dienendes, durch wel-
ches etwas anderes als es schön würde. Gerade nach Kant müßte präziser
Sprachgebrauch darin bestehen, einen Tisch schön verziert oder ein Bild
schön eingerahmt zu nennen – aufgrund solcher „Parerga“ aber noch nicht
schön, und zwar gerade deshalb, weil er dem Ornament als freie
Schönheit eine so hohe Stellung einräumt und es damit als eigenständige
Entität begreift.
Ferner könnte man bestreiten, daß nach Kant die Begrenztheit der
anhängenden Schönheit durch den Begriff des Objekts mit dem Nachrang
des Ornaments hinter Funktionalität zu vergleichen ist. Die Tätowierung
am Menschen, die Verzierungen an der Kirche, die gefälligen Umrisse am
Krieger sind ja nicht deswegen unpassend, weil sie der Funktion oder dem
Zweck des jeweiligen Objekts im Wege stünden – dann nämlich wäre der
Krieger im beschriebenen Fall zu schön, um ein guter Krieger zu sein. Das
scheint aber nicht der Fall zu sein; die genannte Bedingung besteht offen-
bar dafür, daß der fragliche Mann ein schöner Krieger sein kann.8 Ähnliches
gilt auch für die Tätowierung am Menschen und die Verzierungen an der
Kirche: Sie machen ihre Gegenstände nicht etwa zu schön, um ihrem
Zweck dienen zu können, sondern sie sind deren Schönheit abträglich.
Die Unpassendheit solchen Ornaments ist vielleicht gar nicht dem Vorzug
der Vollkommenheit über die Schönheit geschuldet, sondern einzig den
Bedingungen, denen die Kirche oder der Mensch genügen müssen, um
eine schöne Kirche oder ein schöner Mensch zu sein. Weil die Schönheit
solcher Objekte mit dem zusammenhängt, als was sie bestimmt sind, kann
sie nicht durch etwas Äußerliches (und damit auch nicht durch Orna-
mente) geleistet werden – das ist es, was diese Passage bei Kant eigentlich
zeigt.
Mit Blick auf Kants Beispiele für anhängende Schönheiten müßte sich
die Frage stellen, ob „die Schönheit eines Menschen (und unter dieser Art
___________
8 Scarre („Kant on Free and Dependent Beauty“) mißversteht hier Kant: Er interpretiert die
Formulierung „viel feinere Züge und einen gefälligeren sanfteren Umriß“ (KU 50) dahin-
gehend, das Gesicht eines Kriegers dürfe nicht „too beautiful“ sein (S. 353). Das ist ein-
deutig nicht gemeint: Wären die genannten Bedingungen nicht erfüllt, wäre das Gesicht
kein schönes „Krieger-Gesicht“.
A. Schönheit als Problem innerhalb Kants Konzeption 187
die eines Mannes oder Weibes oder Kindes)“ oder „die Schönheit eines
Pferdes“ (50) durch etwas zustande kommen kann, was hinzufügbar oder
entfernbar ist. Wird eine Frau oder ein Kind durch etwas schön, was mit
dem Objekt als Frau oder als Kind nichts zu tun hat bzw. hinwegdenkbar
wäre? Wird ein Mensch, eine Kirche oder ein Pferd schön genannt, be-
zieht man sich nicht vielmehr auf diese konkrete Mensch-, Kirche- oder
Pferdform, und damit auf genau dasselbe, was auch in Hinblick auf den
Begriff der Vollkommenheit beurteilt wird?
Weil nicht klar ist, wie „anhängende“ Schönheit von Pferden,
Menschen und Häusern auf etwas anderes als die Pferdform, Menschform
und Hausform des als schön Bezeichneten zurückzuführen ist, und weil
die Zusammenstimmung einer Sache zu dem, „was sie sein soll“, deren
Vollkommenheit ist, muß also der Eindruck entstehen, daß durch das
Prädikat „schön“ in solchen Fällen die Vollkommenheit des Gegenstands
ausgedrückt wird, daß also das Phänomen der anhängenden Schönheit mit
dem der Vollkommenheit schlicht zusammenfällt. Und wenn sich dieser
Eindruck bestätigte, würde das Kant vor dem Hintergrund des §15 in eine
unangenehme Lage bringen. Denn entweder wäre er gezwungen, seine
Einschätzung des Begriffs der Vollkommenheit zurückzunehmen (das
würde freilich auch eine Revision des Begriffs der freien Schönheit nach
sich ziehen), oder er müßte seine Unterscheidung zwischen freier und
anhängender Schönheit aufgeben. Letzteres wiederum würde entweder
bedeuten, die Differenz zwischen beidem, also das eine Phänomen zugun-
sten des anderen fallenzulassen, oder in einem von beiden Fällen die
Rechtmäßigkeit der Verwendung des Prädikats „schön“ in Frage zu stel-
len.
sei „kein Begriff von irgendeinem Zwecke, wozu das Mannigfaltige dem
gegebenen Objekte dienen und was dieses also vorstellen solle, vorausge-
setzt, wodurch die Freiheit der Einbildungskraft, die in Beobachtung der
Gestalt gleichsam spielt, nur eingeschränkt werden würde“ (49f.), benennt
er damit die Möglichkeit des freien Spiels als dasjenige, das den Vorzug
der freien Schönheit gegenüber der anhängenden erklären soll. Denn wor-
auf sich die ästhetische Auszeichnung von Blumen, manchen „Schaltie-
ren“, Papageien, aber auch Werken der Musik nach Kant gründet, sollte
vor dem Hintergrund der „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Ab-
schnitte der Analytik“ klar geworden sein: Ihre ästhetische Qualität erhal-
ten solche Objekte durch ihren Formenreichtum, der den Erkenntnis-
kräften die Gelegenheit gibt, bei ihrer Betrachtung zu verweilen, sich in ihr
womöglich gar zu verlieren.19 Daß freie Schönheiten auf äußere Anschau-
ung abgezweckt scheinen, läßt sich nun so verstehen, daß sie es sind, die
ein freies Spiel der Erkenntnistätigkeit gestatten, weil sie durch einen For-
menreichtum, der jeden praktischen Zweck übersteigt, der Einbildungs-
kraft Stoff für unbeschränkte Tätigkeit zur Verfügung stellen.
Zur Charakterisierung des Bereichs der „freien Schönheiten“ drängt
sich noch ein weiteres Schlagwort auf. Wie die auffallende Verbindung mit
dem §14 schon gezeigt hat, versteht Kant das Ornament als freie
Schönheit; und der gerade beschriebene Überschuß an Formen, den freie
Schönheiten aufweisen, jene „für den Gebrauch unnötige“ Mannigfaltig-
keit an Gestaltung, die „gänzlich auf äußere Beschauung abgezweckt“ zu
sein scheint, ist umgekehrt das Prinzip des Ornamentalen schlechthin.
Ornament, freie Schönheit und freies Spiel gehören offensichtlich zusam-
men.
Mit Blick auf die anhängende Schönheit gibt es nun zwei Möglichkei-
ten: Entweder der mit dem freien Spiel zusammenhängende Sinn von
freier Schönheit wird für sie in Anspruch genommen – die anhängende
Schönheit wäre dann ein vollkommenes Ding plus Ornament –, oder sie
reduziert sich auf Vollkommenheit. Für ersteren Standpunkt spricht, daß
___________
19 Das Prinzip von „Einigkeit und Mannigfaltigkeit“ beinhaltet nicht etwa, daß der
größtmögliche Formenreichtum auftreten soll – es handelt sich hier vielmehr um den
Reichtum der Form von etwas, also eines Gegenstandes (oder eines Ensembles von Gegen-
ständen). Mustergültiges Beispiel dafür ist die Blume, deren Oberflächenform zwar einer-
seits eine klare Abgrenzung gestattet, andererseits aber aus zahlreichen geometrischen For-
men zusammengesetzt ist. Genau wie beim Spiel bestehen die idealen Bedingungen für
eine anhaltende Beschäftigung mit dem Ding nicht in den denkbar zweckwidrigen
Voraussetzungen für die zu lösende Aufgabe; also nicht in Chaos und Unförmigkeit. Es
muß ein Reichtum an Form vorliegen, der sich auch in irgendeiner Weise erfolgreich auf-
fassen läßt, genauso, wie es im Spiel eine anspruchsvolle Aufgabe geben muß, die lösbar ist.
Worin die Aufgabe von Verstand und Einbildungskraft bei der Auffassung von Objekten
aber im einzelnen auch bestehen mag – nicht weniger als bei der theoretischen Einstellung
muß es bei der ästhetischen um die Aufgabe der Wahrnehmung von etwas gehen.
192 Teil III: Das Spiel und die Schönheit
Kant an der oben zitierten Stelle genau genommen gar nicht davon
spricht, das freie Spiel sei im Fall der anhängenden Schönheit ausgeschlossen;
die Rede ist nur davon, das freie Spiel sei durch den Begriff von einem
Zweck „eingeschränkt“ (50). An den anderen beiden Stellen der AS, wo
das freie Spiel der Erkenntnisvermögen als das ästhetische Prinzip
schlechthin exponiert wird, ist die Entgegensetzung desselben zu Begrif-
fen und Zwecken aber deutlicher. Im §9 begründet Kant die Redeweise
von einem „freien Spiel“ damit, daß „kein bestimmter Begriff“ die
Erkenntniskräfte „auf eine besondere Erkenntnisregel einschränkt“ (28).
Eingeschränkt durch einen Begriff wird hier nicht das freie Spiel, sondern
die Tätigkeit der Erkenntniskräfte, und diese Einschränkung wird als Aus-
schlußkriterium für das freie Spiel verstanden. Auch in der „Allgemeinen
Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ sieht es nicht danach
aus, daß Kant das freie Spiel mit einem Bezug auf bestimmte Begriffe als
vereinbar ansieht. Dort heißt es:
Es wird also eine Gesetzmäßigkeit ohne Gesetz, und eine subjektive
Übereinstimmung der Einbildungskraft zum Verstande ohne eine objektive, da
die Vorstellung auf einen bestimmten Begriff vom Gegenstande bezogen wird,
mit der freien Gesetzmäßigkeit des Verstandes (welche auch Zweckmäßigkeit
ohne Zweck genannt worden) und mit der Eigentümlichkeit des Geschmacksur-
teils allein zusammen bestehen können (69).
Weiter unten argumentiert Kant durchgehend gegen die Möglichkeit,
Schönheit könne im Zusammenhang mit einem bestimmten Begriff, der
einer „Gestalt die Regel vorschreibt“ (70), auftreten. Es sei eine „Zweck-
mäßigkeit ohne Begriff zur Schönheit nötig“ (ebd.), so Kant, und nach
einer Relativierung dieser Auffassung sucht man innerhalb der „Anmer-
kung“ vergebens.
Soll das freie Spiel dasjenige sein, das die Rede von Schönheit im Zu-
sammenhang mit Vollkommenheit ermöglicht, müßte an den Beispielen
von anhängender Schönheit dergleichen wie Ornament, also über Zwecke
hinausgehende Form, aufgewiesen werden.20 Bei Artefakten wie Häusern
___________
20 Guyer will in Kant and the Claims of Taste (S. 248ff.) darauf hinaus, daß jeder Gebrauch des
Prädikats „schön“ durch die Freiheit der Einbildungskraft gerechtfertigt werden kann; im
Fall der anhängenden Schönheit könne durch eine besondere Abstraktionsleistung vom
Begriff und damit vom Zweck einer Sache abgesehen und dadurch das freie Spiel ermög-
licht werden (vgl. auch Stecker, „Lorand and Kant on Free and Dependent Beauty“, S. 72).
Wicks („Dependent Beauty as the Appreciation of Teleological Style“), der Guyers
Konzeption berechtigterweise dafür kritisiert, daß sie die Vollkommenheit des schönen
Dings nur als negatives Kriterium für anhängende Schönheit bestimmt, bringt einen
raffinierten Vorschlag, wie das „freie Spiel“ mit Vollkommenheit zu versöhnen sein soll.
Seine Konstruktion beinhaltet im Grunde ein Spiel mit der Vorstellung von Zweckmäßig-
keit des Objekts (vgl. S. 394 ff.), worin der Rezipient das Objekt mit anderen Möglichkei-
ten zur Lösung der durch den jeweiligen Zweck gestellten Aufgabe vergleiche. Das ästheti-
sche Wohlgefallen beziehe sich auf das Wie der am Objekt gezeigten Lösung. Dem ent-
A. Schönheit als Problem innerhalb Kants Konzeption 193
_____________
gegnet Guyer wiederum zu Recht, die so verstandene Auszeichnung berufe sich letztlich
auch wieder nur darauf, daß ein Ding seinen Zweck in vorbildlicher Weise erfülle („Depen-
dent Beauty Revisited“, 359f.). Völlig unklar bei Guyer ist dann aber, wie „the freedom of
the form of the object from constraint by the concept of its purpose“ zusammenpassen
soll mit „harmony of the form with this purpose“ (S. 360). Entweder die Form ist in Über-
einstimmung mit dem Zweck – dann landet Guyer beim Begriff der Vollkommenheit –
oder sie befreit sich von Zwecken – dann ist das freie Spiel, aber nicht mehr Vollkom-
menheit plausibel. Guyer liefert in diesem Zusammenhang eine interessante Formel („form
goes beyond the requirement of its concept“), von der aber die Vereinbarkeit mit dem
freien Spiel zu klären wäre. Denn entweder geht die Form in dem Sinn über die
Anforderungen des Begriffs hinaus, daß sie ihn besser als notwendig erfüllt (dann sprechen
wir von Vollkommenheit), oder sie übertrifft fragliche Anforderungen durch zusätzliche
Form – und dabei handelt es sich dann um dergleichen wie Ornament.
21 Die einzig mögliche Antwort könnte Darwins Theorie der sexuellen Auslese geben, die
z.B. das menschliche Kopfhaar als Ornament versteht. Schon dadurch, daß ein solcher
Körperteil keine Hilfe für die natürliche Auslese darstellt und dessen Erhalt darauf
zurückgeführt werden muß, daß es sich als Attraktivitätsmerkmal in Hinblick auf die sexu-
elle Auslese als nützlich erweist, sei es als Ornament zu verstehen, so die Theorie (vgl. etwa
Menninghaus, Das Versprechen der Schönheit, z.B. S. 94). Zu fragen wäre aber, ob hier auch
wirklich ein ästhetischer Sinn von Ornament zugrunde liegt, einer, der so etwas wie freie
Form impliziert – oder ob es sich hier nicht vielmehr um eine Attraktivitätskonvention ohne
ästhetischen Eigenwert handelt.
194 Teil III: Das Spiel und die Schönheit
dann, wenn es ein vorbildliches Exemplar seiner Art darstellt, das heißt,
wenn es in vorbildlicher Weise zu dem zusammenstimmt, was es gemäß
seinem Begriff zu sein hat. Und der einzige Grund dafür, daß sich gewisse
Gesichtsformen für den Krieger und gewisse Ornamente für die Kirche
nicht eignen, ist ebenfalls der, daß sonst dieses Ding nicht mehr in vor-
bildlicher Weise mit dem zusammenstimmte, was es gemäß seiner Be-
stimmung als dieses oder jenes zu sein hat.
Damit könnte man den §16 als Offenbarung einer Schwierigkeit in
Kants Ansatz verstehen. Unmittelbar nachdem er das Prinzip der Voll-
kommenheit dem der Schönheit entgegengesetzt hat, sieht sich Kant ge-
zwungen, es doch wieder bedenklich nahe an das Phänomen der
Schönheit zu rücken. Das Bild der Unreinheit, mit dem er diesen Schritt
kaschieren will, überzeugt aber nicht. Denn eine „reine“ Schönheit, die
sich sowohl im Fall von „anhängender“ als auch bei „freier“ Schönheit
nachweisen ließe, gibt es womöglich nicht. Die Vereinbarkeit des Prinzips
der freien Schönheit mit dem der anhängenden Schönheit ist fraglich;
dasjenige, was etwa eine Blume zu einer schönen macht – der Überschuß
an Form, der dem Bereich des Ornamentalen nahezustehen scheint –, tritt
an schönen Menschen und Pferden nicht auf, also auch nicht vermengt
mit einem anderen Prinzip.
Das Ausmaß von Kants Verlegenheit wird aber erst deutlich, wenn
man berücksichtigt, daß er mit der Unterscheidung zwischen „freier“ und
„anhängender“ Schönheit ausgerechnet die unproblematischere oder ge-
läufigere Verwendungsweise des Ausdrucks „schön“ zu einem
untergeordneten oder abgeleiteten Phänomen erklärt.22 Daß im Alltag
durch das Prädikat „schön“ ein bestimmtes Ding als besonderes Exemplar
seiner Art ausgezeichnet wird, hat in der überwiegenden Zahl der Fälle als
unkontrovers zu gelten. Daß dagegen dieses Prädikat in manchen Fällen
auch einer Sache „für sich“ verliehen werden kann, unangesehen dessen,
was sie ist, muß dagegen als weit umstrittener gelten. Wenn es Kant nun
nicht gelingen sollte zu erklären, wie jene „uneigentliche“ Verwendungs-
weise des Prädikats „schön“ mit dem seiner Theorie nach ursprünglichen
Phänomen zusammenhängt, ist dies fast schon als Zeichen seines Schei-
terns zu verstehen.
So sehr es nun auch danach aussehen mag: Daß die im §16 getroffene
Unterscheidung sinnlos wäre, impliziert all dies nicht. Wie wichtig die
Unterscheidung tatsächlich ist, läßt sich insbesondere bei ihrer Anwen-
dung auf den Bereich der Artefakte zeigen, obwohl auch dort zunächst
Unstimmigkeiten auffallen.
___________
22 Vgl. Kulenkampff, Kants Logik des ästhetischen Urteils, S. 151.
A. Schönheit als Problem innerhalb Kants Konzeption 195
Während Kant im §16 mit „Musik ohne Text“ (49) ein Beispiel für
Kunstschönheit zu den freien Schönheiten zählt, scheint er im §48 darauf
hinauszuwollen, daß alle Kunstwerke als Fälle von anhängender Schönheit
zu betrachten sind. Er betont, es müsse „in der Beurteilung der
Kunstschönheit zugleich die Vollkommenheit des Dinges in Anschlag
gebracht werden“ (188). Der Eindruck, der zunächst entsteht, ist der, daß
alle Naturschönheiten eo ipso auch freie Schönheiten seien: „Um eine
Naturschönheit als eine solche zu beurteilen, brauche ich nicht vorher
einen Begriff davon zu haben, was der Gegenstand für ein Ding sein
solle“ (ebd.). Dann aber erinnert Kant an die Beispiele für anhängende
Schönheit des §16, zu denen ja auch Naturgegenstände gehört haben, und
kommt dabei wieder auf den schönen Menschen und das schöne Pferd zu
sprechen:
Zwar wird in der Beurteilung, vornehmlich der belebten Gegenstände der Natur,
z.B. des Menschen oder des Pferdes, auch die objektive Zweckmäßigkeit ge-
meiniglich mit in Betracht gezogen, um über die Schönheit derselben zu urteilen;
alsdann ist aber auch das Urteil nicht mehr rein-ästhetisch, d.i. bloßes
Geschmacksurteil (188f.).
Der Grund, warum allen Kunstgegenständen nur jener unreine Sinn von
Schönheit zukommen kann, ist dem §48 zufolge ihre „Zweckmäßigkeit“
(188). Damit ist nicht Zweckmäßigkeit im Sinn von Zweckdienlichkeit
bzw. Nützlichkeit gemeint, sondern im Sinn von Zweckentstandenheit
bzw. Artefaktizität.23 Kant beruft sich hier nämlich auf den Umstand, daß
„Kunst immer einen Zweck in der Ursache (und deren Kausalität) voraus-
setzt“ (ebd.). Dazu müsse „zuerst ein Begriff von dem zum Grund gelegt
werden, was das Ding sein soll“ (ebd.).24 Ist diese Bedingung nicht erfüllt,
kann es sich bei dem fraglichen Objekt gar nicht um das Produkt eines
Subjekts handeln; es wäre also ein Naturgegenstand.
Aber dieser Versuch einer Bestimmung der Kunstschönheit als Fall
anhängender Schönheit überzeugt nicht. Denn vor dem Hintergrund der
Kriterien für anhängende Schönheit des §48 wird einerseits unverständ-
lich, warum Kant im §16 die „Musik ohne Text“ als Beispiel für freie
Schönheit anführen konnte. Auch sie als Vertreterin einer ungegenständli-
chen und begrifflosen Kunst ist doch wohl Werk von Subjekten. Zweitens
muß auffallen, daß sich Kant im Anschlußtext zu einer sehr irritierenden
Behauptung versteigt, wenn er sagt, die anhängende Naturschönheit wer-
de „nicht mehr beurteilt, wie sie als Kunst erscheint, sondern sofern sie
___________
23 Zu dieser Unterscheidung siehe oben, S. 30-54.
24 „Der Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses
Objekts enthält“, ist der „Zweck“ (XXVIII).
196 Teil III: Das Spiel und die Schönheit
eines Begriffs verstanden wird. Weil dies aber das Kennzeichen der
Kunstschönheit sein soll, macht Kant die anhängende Naturschönheit
kurzerhand zu einem Fall von Kunst, also zu etwas, das nicht nur
zweckentstanden scheint, sondern ist. So sehr drückt Kant das Problem
der anhängenden Schönheit, daß er einen Lösungsvorschlag akzeptiert,
der ihn letztlich dazu zwingt, alle „anhängende“ Naturschönheit als Fall
von Kunst zu betrachten.
Daß er das tut, liegt, wohlgemerkt, nicht in der Konsequenz jener be-
rühmten Formel vom Anfang des §45, wonach Natur nach Kunst und
Kunst nach Natur auszusehen habe. Die geschilderte Konstruktion des
§48 gilt schließlich nur für einen Sonderfall von Naturschönheit, nämlich
die unfreie. Naturschönheit und Kunstschönheit sind ganz unabhängig
von jenem Unterschied zwischen anhängender und freier Schönheit au-
seinanderzuhalten, denn in ihrem Fall kann die Differenz nur durch die
Art der Entstehungsursache bestimmt werden: Kunst bzw. Artefakt ist,
was durch ein Subjekt hervorgebracht wurde, Natur dagegen, von dem das
nicht bzw. allenfalls in einem übertragenen oder bloß unterstellenden Sinn
gesagt werden kann, und das entsprechende gilt für die schöne Kunst und
die schöne Natur.
Fragt man nach der Motivation für jene Formel, wonach das Kunst-
schöne so aussehen soll, als ob es von Natur hervorgebracht wäre, trifft
man freilich auf eine Schwierigkeit, die mit der Problematik der „an-
hängenden Schönheit“ eine deutliche Parallele aufweist. Denn der Grund,
warum die „anhängende Schönheit“ Kant in Erklärungsnot brachte, war
die im Vorfeld herausgearbeitete Verbindung zwischen Begriff und Inter-
esse: Ein Wohlgefallen, das durch einen Begriff vermittelt wird, sei ein
interessiertes, und stehe mit Zwecken in Verbindung, hatte Kant zu An-
fang der AS festgestellt, und weil „anhängende Schönheit“ nur mit Rück-
sicht auf den Begriff einer Sache ermittelt werden kann, gerät das Wohlge-
fallen an ihr in den Verdacht der Interessiertheit. Und ganz Ähnliches gilt
auch für die Artefaktizität eines Dings: Da etwas für Kant genau dadurch
zum Artefakt wird, daß seine Ursache ein Begriff – und damit auch ein
Zweck – ist („der Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund
der Wirklichkeit dieses Objekts enthält“, ist der „Zweck“ [XXVIII] – und
kann nichts „als Zweck gedacht werden“, ist das Ding „ein bloßes Pro-
dukt des Zufalls“ [186]), sieht es danach aus, daß es ein interesseloses, ein
reines ästhetisches Wohlgefallen an einem solchen Ding gar nicht geben
kann.26 Eine entsprechende Überlegung läßt sich auch im vierten Ab-
___________
26 Zusatzprämisse ist in solchen Kontexten stets, daß die Beurteilung der Schönheit eines
Dinges nur mit Rücksicht auf das von seinem Urheber Bezweckte geschehen kann. Deut-
lich ist dies etwa im zweiten Absatz des §45, wo Kant sagt: „Nun hat Kunst jederzeit eine
bestimmte Absicht, etwas hervorzubringen. Wenn dieses aber bloße Empfindung [...] wäre,
198 Teil III: Das Spiel und die Schönheit
schnitt des §48 auffinden. Kant sagt dort, daß „Kunst immer einen Zweck
in der Ursache“ voraussetze, und kommt gleich darauf zu der These, daß
„in der Beurteilung der Kunstschönheit“ immer auch „die objektive
Zweckmäßigkeit [...] mit in Betracht“ zu ziehen sei, womit er hier ihre
Vollkommenheit, also die Zusammenstimmung der Sache zu dem, was sie
sein soll, meint. Wenn etwas also Werk eines Subjekts nur dadurch sein
kann, daß dieses Subjekt es als seinen Zweck verwirklicht – und das heißt
für Kant offenbar auch: daß es mit diesem Ding etwas bezweckt – ist
dieses Ding als das, als was es intendiert wurde, etwas Gutes.27 Und
deswegen muß es Kant für unmöglich halten, daß Subjekte jemals eine
von Zwecken befreite Form hervorbringen können. Da Subjekte offenbar
gar nicht anders können, als die Dinge bezweckenderweise zu verwirkli-
chen, scheint diese Skepsis auch berechtigt.
Nicht übersehen werden darf, daß Kant für dieses Problem eine Lö-
sung anbietet: den Geniebegriff. Auf den ersten Blick scheint diese Lö-
sung zwar darin zu bestehen, daß er das Genie-Subjekt einfach zu einem
Fall von Natur und damit zum Nichtsubjekt macht (das suggerieren Rede-
weisen wie die vom Genie als „die Natur im Subjekte“ [182]), aber damit
würde sich Kant natürlich im Kreise drehen und den Unterschied von
Naturschönheit und Kunstschönheit durch dasjenige, was letztere erklären
soll, gleich wieder aufheben, denn auch Natur, die „im Subjekt“ ist, ist
Natur. Statt dessen kann es sich beim Genie nur um einen besonderen
Fall von Subjektivität handeln; einen mithin, der auch in irgendeiner Weise
nach Zwecken handelt, aber auf irgendeine „naturhafte“ Weise. In diese
Richtung scheinen Kants Überlegungen zu gehen, wenn er davon spricht,
daß im Fall des Genies „nicht ein überlegter Zweck der Kunst (der
Hervorbringung des Schönen) die Regel gibt“ (242). Der Ausdruck „über-
legter Zweck“, der offensichtlich synthetisch gemeint ist, scheint zu
implizieren, daß es auch „unüberlegte“ Zwecke gibt, durch welche dann
die geforderte Interesselosigkeit verbürgt werden kann. Da „Zweck“ nach
Kant „der Begriff von einem Objekt“ ist, „sofern er zugleich den Grund
der Wirklichkeit dieses Objekts enthält“ (XXVIII), wäre das auch leicht
_____________
die mit Lust begleitet sein sollte, so würde dies Produkt in der Beurteilung nur vermittelst
des Sinnengefühls gefallen. Wäre die Absicht auf die Hervorbringung eines bestimmten
Objekts gerichtet, so würde, wenn sie durch die Kunst erreicht wird, das Objekt nur durch
Begriffe gefallen“ (180).
27 Guyer sieht sich in Kant and the Claims of Taste gleich zu folgender Interpretation berechtigt:
„On Kant’s own theory of art, every work of art has some purpose. Even nonrepresenta-
tional works such as abstract paintings or wallpapers and music without themes have pur-
poses – to cover walls, to earn livings for their composers, and so on“ (S. 250). Was Kant
mit der „Zweckmäßigkeit“ aller Artefakte an der fraglichen Stelle aber eigentlich nur mei-
nen dürfte, ist, daß ein Kunstwerk als wirkliches Objekt Wirkung und damit Erfolg eines
intendierenden Subjekts sein muß.
A. Schönheit als Problem innerhalb Kants Konzeption 199
verständlich: Ein „unüberlegter Zweck“ ließe sich als etwas vom Subjekt
ohne weitergehendes Kalkül Intendiertes verstehen.
Doch wie immer die durch das Genie geleistete Kunstproduktion im
Detail zu konstruieren sein mag – die Funktion des Geniebegriffs besteht
jedenfalls darin, zu erklären, daß ein Objekt einerseits im vollen Sinn Werk
eines Subjekts ist, also Artefakt, und andererseits nicht als Mittel zu einem
Zweck erschaffen wurde. Und weil der Geniebegriff sich als Kennzeich-
nung einer besonderen Art der Herstellungsursache Subjekt verstehen
läßt, nämlich eines Subjekts, das „naturhaft“ im Sinn von „unüberlegt“
vorgeht, könnte der Unterschied von Natur- und Kunstschönheit durch-
aus in bezug auf die „anhängende Schönheit“ des Naturobjekts eine Rolle
spielen. Diese ließe sich nämlich analog zum nichtgeniehaften, also überle-
genden Subjekt verstehen: Ein Naturobjekt wäre in bezug auf einen Be-
griff zu beurteilen, also als Fall von „anhängender Schönheit“ zu fassen,
wenn die Natur, die es hervorgebracht hat, in Analogie zu einem
überlegenden, d.h. nach Zweckerwägungen handelnden Subjekt verstan-
den wird. Der Unterschied zwischen künstlerischen und nichtkünstleri-
schen Artefakten würde dann auf den Bereich der Nichtartefakte übertra-
gen. Die anhängende Schönheit der Natur wäre demzufolge nicht als Arte-
fakt zu verstehen, wie der vierte Absatz des §48 suggeriert, sondern wie ein
Artefakt, bzw. ein solches, das durch ein Nichtgenie hervorgebracht wor-
den ist – also wie ein nichtkünstlerisches Artefakt. Weil der Geniebegriff
erklären soll, daß etwas Werk eines Subjekts, also im vollen Sinn Artefakt
sein kann, ohne daß deswegen schon mit diesem Ding etwas Praktisches
bezweckt wird, ist es also gar nicht nötig, alle Kunstwerke auf die Seite der
anhängenden Schönheit zu schlagen, wie es Kant im §48 tut. Das zu tun,
heißt eigentlich, jenen Sonderstatus von Artefakt, der durch den Ge-
niebegriff begründet werden soll und möglicherweise auch begründet
werden kann, von vornherein gar nicht in Anspruch zu nehmen. Und ihn
in Anspruch zu nehmen, hieße, den Unterschied zwischen freier und an-
hängender Schönheit nicht zwischen Artefakte und Naturobjekte zu legen,
sondern ihn auf beides gleichermaßen anzuwenden, also auf die Welt der
durch Natur entstandenen Objekte genauso wie auf die der durch ein
Subjekt, der „nach Zwecken wirkenden Ursache“ (355), hervorgebrachten.
An einer bestimmten Stelle, die schon begegnet ist, läßt Kant durch-
blicken, daß auch im Zusammenhang mit freier Schönheit die Rede von
Zwecken nicht nur legitim, sondern sogar angebracht ist. Freie Natur-
schönheiten seien solche Objekte, hat er gesagt, die „gänzlich auf äußere
Beschauung abgezweckt zu sein scheinen“ (248). Das muß so verstanden
werden, daß freie Schönheiten durchaus so angesehen werden können, als
hätten sie einen Zweck – nur daß der nicht in einem praktischen Nutzen
besteht, sondern in deren Betrachtung durch andere Subjekte.
200 Teil III: Das Spiel und die Schönheit
meinsam unter dem Namen der Schönheit versammeln will, denn gerade
vor dem Hintergrund seiner eigenen Theorie, die jeweils völlig verschie-
dene Prinzipien für die Erklärung der beiden genannten Phänomene be-
reitstellt, muß deren Vereinbarkeit fraglich werden. Wohin solche Überle-
gungen am Ende führen werden, hat sich schon längst angedeutet: Wenn
das Prinzip des Ornamentalen kein geeignetes Beispiel für das ursprüngli-
che Phänomen des Schönen ist, erweist sich auch der Spielbegriff als
unpassend.29 Statt dessen scheint der Schlüssel zum Verständnis des Phä-
nomens in einer Richtung zu liegen, die Kant die ganze Zeit bekämpft.
Und obwohl das so ist, gereicht dies dem ursprünglichen Ansatz Kants
nicht unbedingt zum Nachteil, wie später noch zu zeigen sein wird.
Will man mit dem Begriff der freien Schönheit einen Sinn verbinden,
dann den einer freien, weil gleichsam überflüssigen Form: Die freie
Schönheit ist an einem Ding zu finden, das seine Form nicht hat, um ei-
nem praktischen Zweck zu genügen, sondern um den Erkenntniskräften
reichhaltiges Material an die Hand zu geben, also um angeschaut zu wer-
den.30 Das trifft auf Blumen, Pfauenfedern und alle ornamentalen Formen
zu,31 aber auch auf Kunstwerke, die ja nicht primär umwillen des Zwecks
___________
29 Gadamer greift die seit Schiller bestehende Kritik an der „Arabeskenästhetik“ Kants auf
und diagnostiziert hier eine „fatale Lehre“ (Wahrheit und Methode, S. 50ff.). Zwar weist er
genau wie Schiller das Ornamentale als Grundphänomen von Schönheit zurück, behält
aber auf der anderen Seite den Spielbegriff für seine Konzeption bei, ja er bedient sich
desselben in vielleicht noch stärkerem Maße als Kant. Möglich wird das durch die Auffas-
sung, daß die spielerische Freiheit der Einbildungskraft nicht dort „am reichsten“ sei, „wo
sie schlechthin frei ist, wie angesichts der Windungen der Arabeske, sondern dort, wo sie in
einem Spielraum lebt, den das Einheitsstreben des Verstandes ihr nicht so sehr als
Schranke aufrichtet, wie zur Anregung ihres Spiels vorzeichnet“ (S. 52). Begriffe nicht als
Einschränkung, sondern als „Anregung“ für ein Spiel der Erkenntniskräfte: Das ist bei
Kunstwerken verständlich, nicht aber dort, worauf Gadamer sich beruft, nämlich beim
„Ideal der Schönheit“, für das nach Kant nur die menschliche Gestalt in Frage kommen
soll. Was ein freies Spiel der Erkenntniskräfte im Zusammenhang mit einem schönen
Menschen bedeuten kann – darin besteht ja das Problem. Um das Wohlgefallen an einem
schönen Menschen zu erklären, drängen sich ganz andere Möglichkeiten auf.
30 Ein Ding wird nicht schon dadurch zu einer freien Schönheit, daß die Zuschreibung seiner
Form zu einem Zweck schwer ist, wie Kants Beispiel eines prähistorischen Artefakts (61
Anm.) zeigt. Auch ohne daß dessen Zweck klar wäre, ist sein Zeug-Sein an ihm ersichtlich.
Bei Blumen ist das nicht der Fall.
31 Allison meint, daß Blumen nur ganz zufälligerweise für uns freie Schönheiten seien: „We
usually do not associate such natural forms with any purpose with which we might com-
202 Teil III: Das Spiel und die Schönheit
Guten geradezu aufdrängt. Für Kant ist der Umstand, daß ein Ding in
vorbildlicher Weise dem entspricht, „was es sein solle“ (45)32, also seinem
Zweck als Mensch oder Haus, ein Indiz für die Interessiertheit des ihm
geltenden Wohlgefallens. Denn indem etwas in vorbildlicher Weise dem
entspricht, was es sein soll, ist es offenbar auch ein gutes Ding. In der
„Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ scheint
Kant davon auszugehen, daß das Wohlgefallen an der Wohlgeformtheit
eines Artefakts dessen Güte, das Mißfallen an seiner Mißratenheit aber
seiner Zweckwidrigkeit gilt. Sieht eine Tür nicht genau durch ihre regelmä-
ßig-geometrische Gestalt auch nach einer guten bzw. nützlichen Tür aus,
so könnte man fragen? Denn eine Tür, der man ansieht, daß sie ihren
praktischen Zweck verfehlt, kann wohl kaum ein schönes Exemplar ihrer
Art sein. Und ist es nicht so, daß ein Pferd, dem man ansehen kann, daß
es nicht gut laufen kann, genau deswegen auch unmöglich schön sein
kann?
Daß der Zusammenhang von Güte und Interessiertheit nicht so
eindeutig ist, wie ihn Kant in der „Allgemeinen Anmerkung“ herstellt, läßt
sich dadurch zeigen, daß er ähnliche Beispiele wie dort, etwa regelmäßige
und rechtwinklige Wände und Türen, an anderer Stelle aufgrund ihrer
Wohlgeformtheit als Beispiel für etwas Schönes anführt.33 Und vielleicht
gibt es eine gar nicht so abwegige Möglichkeit, die genannte Verbindung
zwischen Schönheit und Güte gelten zu lassen, ohne deswegen die Nicht-
praktizität der Beurteilung in Frage stellen zu müssen. Daß es zur Beur-
teilung anhängender Schönheit von Belang ist, was das Ding sein soll – so
die These im folgenden –, liegt daran, daß anhängende Schönheit sicht-
bare, also formale Wohlgeratenheit bedeutet und diese nur mit Blick auf
die Bestimmung einer Sache, also dem, was ihr Schöpfer im Sinn gehabt
hat, beurteilt werden kann. Daß ein wohlgeratenes Ding auch nach einem
guten Ding aussieht, hat nicht automatisch zur Folge, daß dem Wohlgefal-
len an ihm ein Interesse zugrunde liegen muß. Das kann im Zusammen-
hang mit Kants Zweckmäßigkeitsbegriff verdeutlich werden, zu dem oben
schon festgestellt wurde, daß er sich nicht in der Bedeutung von Zweck-
dienlichkeit bzw. Nützlichkeit erschöpft.
___________
32 Vgl. 46; 49f.; 188f.
33 Vgl. Bd. 25, S. 181 und S. 1097. Siehe auch oben, S. 89, Anm. 101.
204 Teil III: Das Spiel und die Schönheit
___________
34 Vgl. oben, S. 30-54.
35 Was heißt: Sich im Denken orientieren?, Bd. 8, S. 138.
B. Intersubjektivität als Tiefendimension der Schönheit 205
___________
36 Vgl. hierzu Prauss, der in Kant über Freiheit als Autonomie auf die intersubjektive Bedeutung
der von Kant verwendeten Ausdrücke wie „Beifall“, „Bewunderung“, „Gunst“ oder
„Liebe“ hinweist. Wie Prauss darlegt, hat Kants Redeweise von einem „Wohlgefallen“, das
man einer Sache „widmet“ (KU, 17), die Aufgabe, den Sinn von „Beifall“ erst synthetisch
zu erzeugen; denn Beifall ist nichts anderes als ein Wohlgefallen, das das Subjekt ohne je-
den praktischen Zwang sich abnötigt, also aus freien Stücken aufbringt (S. 296ff.).
37 Siehe oben, S. 81.
38 Zu diskutieren wäre noch, ob solches Lob, das der Leistung und dem vollbrachten Auf-
wand gilt, sich auch darauf bezieht, daß diese Leistung für das lobende Subjekt erbracht
206 Teil III: Das Spiel und die Schönheit
Hier wäre also der Begriff der Zweckmäßigkeit, wie ihn Kant im §10
einführt, angebracht. In bezug auf die Naturgegenstände erfolgte seine
Anwendung freilich nur in dem eingeschränkten, hypothetischen Sinn
eines Als-ob, denn es soll ja nur darum gehen, die Natur so zu betrachten,
als ob sie Produkt eines intentionalen Urhebers wäre. In bezug auf
Menschenwerke hätte der Begriff der Zweckmäßigkeit im Kontext von
Schönheit dagegen uneingeschränkte Gültigkeit. In beiden Fällen aber, ob
nun die eigentliche oder nur eine übertragene Bedeutung zugrunde liegt,
weist der so verstandene Begriff der Zweckmäßigkeit in den Bereich der
Intersubjektivität. Denn die Auszeichnung eines in diesem Sinn zweck-
mäßigen Gegenstands bezöge dessen Schöpfer, sei es ein tatsächlicher
oder nur ein hypothetisch erwogener, immer mit ein.
Wenn in diesem Zusammenhang von Interesse die Rede zu sein hat,
dann in einem intersubjektiven Sinn; in dem Sinn nämlich, wie andere
Subjekte für ein Subjekt auch jenseits von Bedürfnisbefriedigung von
Bedeutung sein und ihm Wohlgefallen bereiten können. Und ein solches
intersubjektives Interesse erfüllt Kants Kriterien für Interesselosigkeit
vom Anfang der AS nicht. Denn wenn sich das Interesse am Anderen
nicht immer in Mittel/Zweck-Bezügen erschöpft, sondern darüber
hinauszugehen vermag, so bleibt es doch ein Interesse an dessen Wirklich-
keit. Wie sehr das Subjekt auch sein Gegenüber als Selbstzweck betrach-
ten oder behandeln mag – daß es dieses andere Subjekt auch tatsächlich
gibt, bleibt von entscheidender Bedeutung. Und das heißt: Wird ein Ob-
jekt als Ausdruck der Leistung eines anderen Subjekts gewürdigt, und soll
das Wohlgefallen diesem Gelingen allein gelten, dann ist die Wirklichkeit
dieses Objekts in der Tat wichtig. Und so ist auch zu verstehen, daß Kant
gegenüber der Schönheit der Natur ein „unmittelbares Interesse“ fest-
stellt: „[...] nicht allein ihr Produkt der Form nach“ gefalle bei der schönen
Natur, „sondern auch das Dasein desselben gefällt“ (167). Denn: „daß die
Natur jene Schönheit hervorgebracht hat: dieser Gedanke muß die An-
schauung und Reflexion begleiten“ (ebd.).
Hierin soll aber bekanntermaßen ein „Vorzug der Naturschönheit vor
der Kunstschönheit“ (167) bestehen, was bedeuten würde, daß die gerade
ermittelte intersubjektive Dimension ausgerechnet für denjenigen Fall von
Schönheit nicht gelten soll, der nicht nur hypothetischer- oder metapho-
rischerweise auf andere Subjekte zu beziehen ist, sondern faktisch. Das
gilt es aber zu hinterfragen.
Die Besonderheit der Naturschönheit hinsichtlich jenes unmittelbaren
oder „intellektuellen“ Interesses macht Kant durch das Beispiel der nicht
_____________
worden ist, im Sinn von Gunst. Dann gehörte das beurteilende Subjekt mit seinen Anlie-
gen wieder zum Bestimmungsgrund der Auszeichnung hinzu.
B. Intersubjektivität als Tiefendimension der Schönheit 207
weil der Beifall für Naturschönheiten beinhaltet, daß die Natur, also dasje-
nige, aus dem Subjekte hervorgegangen sind, wie ein Subjekt betrachtet
wird, geht mit solchem Beifall auch immer „etwas einem religiösen Gefühl
Ähnliches“ (478 Anm.) einher, was im Zusammenhang mit dem
Kunstschönen wohl nicht der Fall ist. Eine Natur, die in Form einiger
ihrer Objekte so betrachtet werden muß, als sorge sie nicht nur für Leib
und Wohl des Menschen, sondern auch für seine ästhetischen Anliegen,
ist Anlaß für das Gefühl, daß der Mensch nicht nur als praktisch-interessierter
„in die Welt paßt“40, d.h. „in die Natur paßt“.41 Die Wirklichkeit einer
verspielten, formenreichen Natur ist Anlaß, Spekulationen über die Natur,
und zwar ganz besonderer Art, anzustellen.
___________
42 So kann auch ein Ding wegen der Reinheit seiner Farbe „schön“ genannt werden, was
Kant im §14 ja einzuräumen scheint (40) und mit dem Prinzip der „Gleichförmigkeit“ er-
klärt. Daß andererseits mangelnde Abwechslung in der Farbe auch als monoton und lang-
weilig empfunden werden kann, steht dazu nun nicht mehr im Widerspruch.
43 Über den ontologischen Status des Kunstwerks ist damit nur wenig gesagt, und damit auch
über eine etwaige Einordnung der Kunstproduktion in obige Untergliederung von Ver-
wirklichungsbewußtsein. Die wäre noch zu leisten.
210 Teil III: Das Spiel und die Schönheit
die objektive Seite nachhaltig aus dem Blick zu verlieren.47 Mit der Theorie
des freien Spiels, die diese Interesselosigkeit absichern soll, kommt er zwar
zu einer plausiblen Konzeption für ein wichtiges ästhetisches Phänomen,
hat sich dabei aber inzwischen unbemerkt auf einen Teilbereich des ur-
sprünglichen Zielphänomens eingeengt und gerät mit anderen Befunden
in Konflikt.
Ein Gegenstand, der den Erkenntniskräften ein freies Spiel ermög-
licht, indem er ihnen reichhaltiges Material für ihre Tätigkeit zur Verfü-
gung stellt, ist dadurch allein noch nicht schön. Dazu wird zusätzlich ver-
langt, daß dieser sein Formenreichtum als Ausdruck eines Gelingens oder
als Leistung seines Schöpfers anzusehen ist. Nur unter dieser Bedingung
kann ein Gegenstand, der ein freies Spiel der Erkenntniskräfte gestattet,
schön sein, und eine ganz andere Frage ist es also, ob ein Ornament oder
ein Kunstwerk aufgrund seines über alle praktischen Zwecke hinaus-
gehenden Formenreichtums geschätzt wird oder als Ausdruck der da-
hintersteckenden Leistung, des Opfers an Zeit, Mühe und Können auf
Seiten seines Schöpfers. In einer Zeit, wo Farben- und Formenvielfalt fast
keinen Aufwand mehr kostet, haben Ornamente wahrscheinlich einen
anderen Stellenwert als in primitivsten Zeiten, wo sie dem Alltag unter
großen Beschwernissen abgerungen werden. Das betrifft, wohlgemerkt,
_____________
objektiven Sinn zu wahren, denn das ästhetische Wohlgefallen ist für ihn nicht nur wegen
dessen „innerer Möglichkeit im Subjekte“ von Bedeutung, sondern vor allem „wegen der
äußeren Möglichkeit einer damit übereinstimmenden Natur“ (258f.) und den damit
verbundenen Konsequenzen. Um Kant in diesem Punkt mit seinem eigenen Subjek-
tivismus verträglich zu machen, bieten sich nicht viele Möglichkeiten an. Während etwa
Dörflinger die Realität des Schönen gegen das Kriterium der Interesselosigkeit verteidigt,
indem er letzterem seine Schärfe zu nehmen versucht (Die Realität des Schönen, S. 96ff.),
vertritt vorliegende Untersuchung die These, daß das Kriterium der Interesselosigkeit vom
Anfang der „Analytik“ in dieser Strenge für das Phänomen der Schönheit nicht gilt. Kants
Theorie des freien Spiels als im starken Sinn interesselose, weil von der Wirklichkeit des
Gegenstands unabhängige Beschäftigung, deckt sich nicht mit seinen Ansätzen zu einer
Theorie von Schönheit.
47 Adornos Vorwurf an Kants Konzeption, sie leiste einem Verständnis von Kunst als „Ge-
nußmittel höherer Ordnung“ (Ästhetische Theorie, S. 27) Vorschub, ist nicht ganz unbegrün-
det, solange dem ästhetischen Wohlgefallen nur ein Spiel, aber kein Verhältnis zu einem
Objekt, dessen Wirklichkeit irgendwie relevant wäre, zugrunde liegen soll. Nicht einmal die
„traditionelle Verhaltensweise zum Kunstwerk“, so Adorno, sei damit vereinbar, sei aus ihr
doch dergleichen wie „Bewunderung“ für das Kunstwerk und damit auch der Bezug auf
das, was das Kunstwerk „an sich“ sei statt nur „für den Betrachter“ (ebd.), nicht wegzu-
denken. Dem, was Adorno hier gegenüber dem Kunstwerk einfordert, entspricht in Kants
Theorie jenes „intellektuelle Interesse“ (§42), von dem freilich nur im Zusammenhang mit
dem Naturschönen die Rede ist. Wenn man dieses intellektuelle Interesse aber mit den hier
dargelegten Gründen auch für das Kunstschöne in Anspruch nimmt, läßt sich mit Kant
das objektive Moment in der Wertschätzung von Kunst begründen – dies aber, im Gegen-
satz zu Adorno, ohne Kunsterfahrung damit zu einer Sache von „Wahrheit“ (ebd.) zu ma-
chen.
212 Teil III: Das Spiel und die Schönheit
nicht nur den materiellen Wert solcher Objekte, sondern auch ihre ästheti-
sche Wertschätzung. Rezipienten von Kunstwerken bedenken nicht alles,
was ihnen Unterhaltung gewährt, automatisch mit Beifall, was nur daran
liegen kann, daß der Formenreichtum, der den Erkenntniskräften viel
„Nahrung“ gibt, nicht immer als eigens zu würdigendes Gelingen oder als
besondere Leistung anderer Subjektivität angesehen wird. Sie wird oft als
effizientes Handwerk mit praktischem Kalkül durchschaut, ohne mit Bei-
fall bedacht zu werden.
Das freie Spiel bei der Auffassung eines Gegenstands und die Würdi-
gung der Leistung anderer Subjektivität durch das Prädikat „schön“ sind
demnach auseinanderzuhalten. In Hinblick auf Objekte weniger inter-
essiert zu sein als die beschriebene spielerisch-ästhetische Einstellung,
scheint zwar kaum möglich. Sie kann aber mit der Würdigung von anderer
Subjektivität verbunden werden; dadurch nämlich, daß die Wirklichkeit
eines das spielerisch-ästhetische Anliegen erfüllenden Objekts als beson-
dere Leistung eines anderen Subjekts anerkannt wird. Und eine solche
Würdigung anderer Subjektivität, die in der Zuschreibung von Schönheit
in bezug auf ein bloßes Objekt besteht, ist mit einem ausgeprägten Inter-
esse verbunden, einem freilich, das dem Interesse an anderen Subjekten
zumindest ähnelt, wenn sich dieses Interesse nicht sogar als ein
intersubjektives Anliegen erweisen läßt. Deshalb wäre die Würdigung der
Schönheit eines Objekts „nur“ in dem Sinn eine Überwindung von
Praktizität und Interessiertheit, wie dergleichen auch im Rahmen von
Intersubjektivität statt hat. Damit zeigt sich, daß für das weitere Fortkom-
men im Bereich der Ästhetik eine ausgearbeitete Theorie von Intersubjek-
tivität, die bei Kant sicherlich nicht vorliegt, wohl eine wichtige Vorausset-
zung wäre.48
___________
48 Eine Möglichkeit, wie mit einer um Intersubjektivitätstheorie erweiterten Transzenden-
talphilosophie an Kants Ansätze für eine Theorie der Schönheit angeknüpft werden
könnte, deutet sich bei Prauss an: Wenn sich die These bestätigen läßt, daß Fremdbe-
wußtsein ursprünglich zu einem animistischen Verständnis von Objekten führen muß (vgl.
Die Welt und wir, Bd. II/1, S. 485f.), dann ist die intersubjektive Dimension der ästhetischen
Einstellung zu Naturobjekten als Rückkehr zu diesem animistischen Weltverhältnis zu
deuten. Verständlich wäre die ästhetische Einstellung somit nur vor dem Hintergrund, daß
das Subjekt sich inzwischen selbst als Zweck erkannt und die Natur als bloßes Mittel
durchschaut hat, diese ihm also entmythologisiert gegenübersteht.
Ausblick: Das Spiel des Subjekts und das Projekt der
Überwindung von Subjektivität
___________
1 Vgl. Wellmer, „Das musikalische Kunstwerk“, S. 164.
214 Ausblick: Das Spiel des Subjekts und das Projekt der Überwindung von Subjektivität
___________
2 Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, Bd. 8, S. 400 (Hervorhebungen
von Kant).
3 Vgl. Seel, Ethisch-ästhetische Studien, S. 267; Ästhetik des Erscheinens, S. 218.
4 Seel, Versuch über die Formen des Glücks. Vgl. auch Fink, Die Oase des Glücks, S. 24.
5 Gumbrecht, „Die Schönheit des Mannschaftssports“, S. 208.
6 Ebd., S. 222.
7 Seel, Ethisch-ästhetische Studien, S. 267.
Ausblick: Das Spiel des Subjekts und das Projekt der Überwindung von Subjektivität 215
klingt das sehr danach, daß das Subjekt im Spiel gewissermaßen über
seinen Schatten zu springen und sich von sich selbst zu befreien imstande
sei.
Über den Status dieser Selbstbefreiung hat die Analyse des Spiels al-
lerdings einiges ergeben. Worum es in dieser Einstellung geht, ist demnach
nur die Befreiung von sich selbst als Reflektiert-Kalkulierendem, das
Tätigwerden unter Ausblenden einer besonderen Erkenntnis, ein Wahr-
nehmen von Wirklichkeit ohne die Last des von sich Wissens. Das Ver-
wirklichen bzw. das Hinschauen oder Hinhören ist in diesem Kontext
weniger als Transzendierung des Subjekts hin zu etwas Göttlichem zu
verstehen denn vielmehr als kontrollierte Regression zu einem quasi-
naturwüchsigen Bewußtsein, das sich ganz ungetrübt von der desillu-
sionierenden Kenntnis seiner eigenen Endlichkeit und der Grenzen des
Möglichen in Tätigkeit ergehen kann. Es ist eher die erwartungsfrohe
Neugier eines kindlichen Intendierens, zu dem das Subjekt hier (wieder)
findet, als die Überwindung seiner Endlichkeit. All das geschieht freilich
nur in einem vom übrigen Alltag abgegrenzten Raum, einer Welt, die
immanent nach dem Mittel/Zweck-Prinzip gestaltet ist. Es ist keine Ab-
sage an Zweckrationalität, die hier stattfindet, sondern ihre Aufrechter-
haltung unter modifizierten Bedingungen. Die Befreiung von der Ab-
hängigkeit der endlichen Mittel/Zweck-Zusammenhänge des Alltags er-
folgt durch eine Binnenwelt der Mittel im Spiel.
Daß im Zusammenhang mit dem Spiel von einem Bewußtsein „kon-
zentrierter Intensität“8 die Rede ist oder eine „gesteigerte Intensität des
Bewußtseins von Gegenwart“9 beobachtet wird, läßt sich damit begrün-
den, daß das Subjekt im Vollzug solcher Tätigkeit von der Last des Wis-
sens um sich und seine Zukunft bzw. Endlichkeit befreit ist und im mo-
mentanen Tun aufgehen kann; im Zusammenhang mit Spiel und spiele-
risch-ästhetischer Einstellung aber davon zu künden, daß der „irreversible,
lineare Verlauf der Zeit aufgehoben“10 sei oder ein „Zustand reiner, von
Vergangenheit und Zukunft nicht tangierter Gegenwart“11 erreicht werde,
ginge zu weit. Im Rahmen von Spiel findet eine Befreiung von der prinzi-
piellen Ausgerichtetheit auf das noch nicht Wirkliche nicht statt, denn
auch innerhalb spielerischer Erkenntnistätigkeit hat das Bewußtsein des
Gegenwärtigen Mittelcharakter. Entsprechend sind die Teile des Objekts
in der ästhetischen Einstellung immer schon in Hinblick auf das Ver-
ständnis des Ganzen überschritten – sei dies der Gesamtzusammenhang
des im Film, Buch, Bild oder Gedicht Dargestellten. So gesehen liegt die-
___________
8 Gumbrecht, „Die Schönheit des Mannschaftssports“, S. 223.
9 Seel, Ästhetik des Erscheinens, S. 218.
10 Seel, ebd., S. 267 (unter Berufung auf Bohrer).
11 Ebd.
216 Ausblick: Das Spiel des Subjekts und das Projekt der Überwindung von Subjektivität
___________
12 Vgl. dagegen Seel, ebd., S. 167.
13 Ein krasses Beispiel für die Apotheose der spielerisch-ästhetischen Einstellung gibt
Theunissen, der von einem Zustand der „Freiheit von der Zeit“ spricht und dies näher
charakterisiert als ein „Verweilen“, als „Nicht-Mitgehen mit der Zeit“ („Freiheit von der
Zeit“, S. 289), das in einem sich „Sich-Zurücknehmen aus der Zukunft“ (S. 291) bestehen
soll. Das ästhetische Schauen (der Aristotelischen Theoria verwandt), das „dem praktischen
Glück geradezu entgegengesetzt“ (S. 291) sei, führe zu einem „Erlebnis des Augenblicks“
(S. 292). In dem ästhetischen Zustand, der Theunissen vorschwebt, sei die Zeit „ausge-
löscht“ (S. 293), heißt es weiter. Denn: „anders wäre auch kaum zu erklären, daß im echten
Verweilen keine Langeweile aufkommt“. Im fraglichen Zusammenhang ist die ästhetische
Einstellung als spielerische Tätigkeit gemeint (wie die Entgegensetzung zur Langeweile
zeigt) – die Zeit kann hier aber nicht in ihrer Vorwärts-Gerichtetheit aufgehoben sein,
sondern nur in dem trivialen Sinn der Abwesenheit von thematisierter Zeitdauer überwun-
den werden.
14 Vgl. dazu Blumenberg, „Die essentielle Vieldeutigkeit des ästhetischen Gegenstandes“, S.
178. Daß der ästhetische Gegenstand nicht zur „‚erledigten Sache‘ zusammensinken“ darf,
interpretiert Blumenberg freilich in Hinblick auf den möglichen „Austausch“ mit anderen
Subjekten, der dadurch vereitelt werde; er versteht dies also intersubjektiv und nicht primär
spielerisch.
Ausblick: Das Spiel des Subjekts und das Projekt der Überwindung von Subjektivität 217
___________
19 Für Cage mag gelten, was Seel zur modernen Kunst allgemein bemerkt, daß nämlich seine
Werke „in eine pure Gegenständlichkeit treten“ (Ethisch-ästhetische Studien, S. 267). Ein Au-
tor wie Cage will beim Rezipienten tatsächlich eine Einstellung evozieren, von der gilt, daß
„auch jeder nichtkünstlerische Gegenstand in dieser Weise zum Objekt einer sinnabsti-
nenten sinnlichen Aufmerksamkeit werden“ kann (ebd.). Zu diskutieren wäre aber, ob
diese Charakteristik auf alle moderne Kunst anzuwenden wäre oder nur auf ein absolutes
Extrem. Ob eine Einstellung ohne jegliche Sinnbezüge etwa auch auf den im
Kunstmuseum ausgestellten Gebrauchsgegenstand ohne weiteres anwendbar ist, wäre zu
fragen, denn dies hat eine sinnhafte Pointe, die ohne das Verständnis des praktischen
Verweisungszusammenhangs, in dem dieses Objekt normalerweise steht, nicht zu erfassen
ist. Daß es im Rahmen einer Einstellung, „in der jeder Gegenstand und jede Szenerie in
ihrer Individualität und Augenblicklichkeit gleichermaßen willkommen ist“, die folglich
„keine wertende oder auf Werte [...] bezogene Tätigkeit“ ist, noch Schönheit (oder auch
nur Schönheit in Anführungsstrichen, wie bei Seel in „Kunst, Wahrheit, Welterschließung“,
S. 43), geben kann, ist fraglich.
20 Kants Formel von der Kunst, die wie Natur aussehen soll, wird durch solche Gebilde
überboten: Sie wollen nicht nur so aussehen wie Natur, sondern Natur sein.
21 Das Anliegen des „Komponisten“ muß es Cage zufolge sein, „keine Spuren zu hinterlas-
sen“ (Vgl. Silence, S. 90). In seinem Stück „Music of Changes“ hat Cage 1951 versucht, die
Komposition durch Würfeln an den Zufall zu delegieren (Vergleichbares hat zur selben
Zeit auch Pierre Boulez mit seinen „Structures 1A“ unternommen).
22 „Sounds everywhere. Our concerts celebrate the fact that concerts are no longer necessary“
(Cage, Silence, S. 154).
23 So ist Cage zu verstehen, wenn er sagt: „I said that since the sounds were sounds, this gave
people the chance to be centered within themselves, where they actually are, not off artifi-
cially in the distance as they are accustomed to be, trying to figure out what is being said by
some artist by means of sounds“ (ebd., S. 134).
Ausblick: Das Spiel des Subjekts und das Projekt der Überwindung von Subjektivität 219
scher Traditionen,24 von denen sich eine besondere für den Vergleich mit
dem Spiel aufdrängt, weil sie rein äußerlich betrachtet für ein Spiel gehal-
ten werden könnte, ihrem Anspruch nach offenbar aber nicht ist. Wenn es
nämlich stimmt, daß bei jener berüchtigten „Kunst des Bogenschießens“
im Zen der Schütze das Treffen der Zielscheibe „aus den Augen zu verlie-
ren“ hat,25 läge darin die Möglichkeit für eine interessante Gegenüberstel-
lung entlang des bisher Erarbeiteten.
Um den Gegensatz zwischen Spiel und Alltag deutlich zu machen, war
oben das Beispiel der Jagd gewählt worden.26 Äußerlich können sich die
Verrichtungen beim Spiel und in der praktischen Jagd aufs genaueste ent-
sprechen, denn denkbar ist, daß exakt dieselben Mittelhandlungen vollzo-
gen werden, ohne daß zu entscheiden wäre, ob das eine oder andere vor-
liegt – Spiel oder Jagd im eigentlichen Sinn. Der Unterschied wurde als
formaler und das Spiel als die zusätzliche Überformung der Alltagshand-
lung bestimmt. Im Spiel wird die Handlung aus dem Alltagskontext
herausgerissen und erhält eine völlig artifizielle Motivation. Der Mit-
tel/Zweck-Zusammenhang bleibt indes erhalten – der Spieler verrichtet
ganz wie der praktische Jäger Mittelhandlungen, damit sich der Pfeil mit
dem Ziel vereinigt. Genau dies aber soll im Rahmen der sogenannten
Zen-Praxis nicht mehr gelten: Hier soll der Schütze also vergessen, daß es
eine Zielscheibe gibt, die zu treffen ist, und wie wenig dies mit dem
spielerischen Hervorbringen zu tun hat, sieht man auch daran, daß es hier
im Gegensatz zum Spiel nicht darum geht, eine möglichst erfolgsverspre-
chende Technik zu finden.27 Während im Spiel wie in der Praxis alle Mit-
telhandlungen ihre Einheit in einem übergreifenden Ziel erhalten, führt
ein Schütze, der das Treffen der Zielscheibe vergessen hat, eine Folge von
Einzelhandlungen aus, deren Aneinanderreihung entgegen allem Anschein
nicht einem Mittel/Zweck-Zusammenhang zu danken ist, deshalb also in
seiner Arbitrarität eher einer religiösen Zeremonie zu ähneln und die
Struktur des Um-zu aufzuheben scheint. Obwohl die einzelnen Vorgänge
äußerlich betrachtet sich auch als Teil einer Alltagshandlung konstruieren
ließen, ist das Geschehen völlig anders zu beschreiben.
Für einen Vorgang, der sich empirisch immer wieder bis aufs Haar
gleichen kann, gäbe es nun also drei Möglichkeiten zur Beschreibung sei-
ner inneren Struktur: die des Alltags, die des Spiels, und die meditative.
Während in der Binnenwelt des Spiels – ganz wie im Alltag – die Prinzi-
___________
24 Vgl. z.B. Cage, „These Days“, S. 178, wo er sich u.a. auf Zen beruft. An anderer Stelle
bezieht Cage sich aber auch auf die europäische Tradition der Mystik, nämlich Meister
Eckhardt (vgl. „More Satie“, S. 93).
25 Vgl. Herrigel, Zen in der Kunst des Bogenschießens, S. 71 und S. 85f.
26 Siehe oben, S. 132f. und 142f.
27 Vgl. Herrigel, Zen in der Kunst des Bogenschießens, S. 40f.
220 Ausblick: Das Spiel des Subjekts und das Projekt der Überwindung von Subjektivität
pien von Nützlich und Nutzlos, von Gut und Schlecht bestehen bleiben,
werden sie in der sie weiter überbietenden Verrichtungsweise der gerade
beschriebenen Meditation aufgelöst; einen Grund, warum dies und nicht
jenes ausgeführt wird, ein bloßes Mittel zum Zweck, darf es nicht mehr
geben. Auch hier wird eine Alltagshandlung überformt, aber so, daß jede
einzelne ihrer Verrichtungen als punktuelles Intendieren von diesem oder
jenem zu beschreiben ist. Das bedeutet, daß zu jedem Zeitpunkt statt
Mittel gleichsam „nur noch Zweck“ intendiert wird.
Die Überformung der Praxis, wie sie die religiöse Meditation dieser
Interpretation zufolge anstrebt, ist anders als das Spiel nicht der Einstieg
in eine neu geschaffene Pseudo-Praxis, aber auch nicht, wie im Fall der
Moral, die punktuelle Überwindung des interessierten Mittel/Zweck-Zu-
sammenhangs anläßlich anderer Subjekte, sondern eine prinzipiell andere
Haltung zur Außenwelt, in der es eigentlich keine wertenden Unterschiede
gegenüber Anderem mehr geben darf.
Soll dergleichen realisierbar sein, dann gebührt wohl dieser Haltung
der Superlativ „radikalste Form vollzugsorientierten Verhaltens“; hier
scheint die Rede von einer „sinnabstinenten sinnlichen Aufmerksamkeit“
dann gerechtfertigt, und nur hier läge somit eine Einstellung vor, in deren
Zusammenhang das Prinzip der Zweckmäßigkeit nicht mehr aufgefunden
werden kann. Die Gegenüberstellung von Spiel und dieser so extremen
Haltung kann davor schützen, die in Spiel und in der mit ihm verwandten
ästhetischen Beschäftigung mit den Dingen erreichte subjektive Be-
findlichkeit falsch einzuschätzen. Weder das Spiel noch die ästhetische
Einstellung sind, was ihre Nichtpraktizität angeht, eine derart extreme
Haltung, daß das Prinzip der Zweckmäßigkeit insgesamt seine Berechti-
gung verlöre. So etwas kann, wenn überhaupt realisierbar, nur die Ambi-
tion einer Einstellung sein, der es um die Überwindung von Subjektivität
als solcher geht.
Die spezifische Leistung des Spiels – und nur um die ging es hier –
muß jedenfalls darin bestehen, das Subjekt auf solche Weise von seiner
Last zu befreien, daß es als Subjekt und die Objekte als Objekte in ihrem
Recht belassen werden können. Was das Spiel zu leisten vermag, ist nicht
weniger als dies, aber auch nicht mehr. Es überwindet vorübergehend das
berechnende, von wissentlicher Sorge geleitete Intendieren und die damit
verbundene Abhängigkeit vom erfolgreichen Verwirklichen, aber es ver-
neint nicht Subjektivität als solche – es affirmiert sie immerhin als natur-
wüchsig-unreflektierte. Obwohl es im Rahmen einer solchen Haltung
nicht um Erkenntnis geht, ist die Besorgnis, das Spiel und die spielerisch-
ästhetische Einstellung dadurch zu trivialisieren, unbegründet, weil die
Praktizität des Subjekts, und damit auch deren Überformung, nichts Tri-
viales ist.
Literaturverzeichnis
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Spiel“, in: Ders.: Studien zur Romantik und zur idealistischen Philosophie 2,
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Aristoteles 216 Gasché, Rodolphe 87, 223
Baatz, Ursula 137, 221 Ginsborg, Hannah 8, 23, 25, 222f.
Barchana-Lorand, Dorit 210, 221 Gracyk, Theodore A. 92, 224
Bartuschat, Wolfgang 19, 23, 221 Groos, Karl 123, 124, 126, 144, 224
Basch, Victor 16, 221 Gumbrecht, Hans-Ulrich 214f., 224
Baum, Manfred 96, 148, 221 Guyer, Paul 22, 48, 63, 192f., 198, 224,
Baumgarten, Alexander Gottlieb 1, 58, 226
221 Harris, Karsten 184, 224
Behler, Ernst 5, 222 Hartenstein, Gustav 115
Bell, David 8, 222 Hassenstein, Bernhard 124, 224
Berger, Armin 150, 153f., 156, 222 Heidegger, Martin 9, 150, 165, 224
Birnbacher, Dieter 150, 156f., 159, 222 Heidemann, Ingeborg 87, 224
Blumenberg, Hans 216, 222 Heller, Edmund 8, 37, 224
Böhme, Gernot 2, 222 Henrich, Dieter 6f., 23, 120, 224
Boulez, Pierre 218 Herrigel, Eugen 219, 224
Brentano, Franz 146, 222 Herzberg, Rolf Dietrich 152f., 224
Brinkmann, Walter 158, 222 Hogarth, William 190, 224
Bubner, Rüdiger 2, 6, 8, 23, 222 Hügli, Anton 224
Budd, Malcolm 10, 23, 27, 30, 184, 189, Huizinga, Johan 124, 224
222 Husserl, Edmund 146, 225
Burke, Edmund 116 Iser, Wolfgang 171-174, 177, 225
Cage, John 217f., 222 Janaway, Christopher 23, 225
Caillois, Roger 123, 127, 222 Johnson, Uwe 174
Cohen, Ted 23, 222, 226 Kahlo, Michael 157, 225
Crawford, Donald W. 25, 46, 188f., 190, Kaufmann, Armin 155, 225
222 Kaulbach, Friedrich 26, 225
Darwin, Charles 193 Kern, Andrea 2f., 21, 23, 26, 87, 120, 140,
Davidson, Donald 151, 222 225f., 228
Derrida, Jacques 9, 183, 202, 222 Koch, Gertrud 174, 225
Dörflinger, Bernd 23, 45, 148, 211, 223 Korsgaard, Christine M. 133, 225
Dumouchel, Daniel 97, 223 Kulenkampff, Jens 8, 10, 15, 22, 25f., 37,
Dürrenmatt, Friedrich 172 40f., 47, 50, 56, 108f., 194, 210, 225f.
Düsing, Klaus 101, 223 Longueness, Beatrice 8, 24f., 226
Dutton, Dennis 189, 223 Lorand, Ruth 183, 192, 221, 226, 228
Fink, Eugen 130, 140ff., 214, 223 Mallaband, Philip 189, 226
Floyd, Juliet 36, 223 Marc-Wogau, Konrad 20, 67, 226
Frege, Gottlob 172, 223 Matuschek, Stefan 9, 226
232 Personenregister
Abhängigkeit 16-19, 23f., 127, 134, 136, - spielerische 134, 141-144, 179f., 210,
141, 166f., 210, 214ff., 220 214ff.
Absicht, absichtlich 10, 12, 20, 27f., 39- - theoretische 28, 92, 161, 167, 171,
41, 45, 57, 65f., 68, 73, 75, 78-80, 85, 174, 178f., 191
90, 95, 100-104, 109, 116ff., 121, 125, erhaben, das Erhabene 52, 63, 75f., 107f.,
131, 146f., 150, 153, 159, 197f. 115
Affektion 18, 29 fiktiv, Fiktion 169-178
Allgemeingültigkeit 20-23, 25, 29, 105 Freiheit 7, 18, 28f., 64, 74, 84ff., 88, 90,
Als-ob 32, 47, 50, 127, 145, 177, 206 92, 98f., 102, 105-110, 115f., 118f.,
angenehm, das Angenehme 1, 10, 16-20, 122ff., 127ff., 133, 137, 141f., 145,
22-26, 29, 46, 52, 82, 94, 100, 102f., 182, 191f., 201, 215f.
106, 116ff., 122, 126, 135, 145, 183 Gefühl 15, 17, 21f., 24ff., 29, 40-43, 45,
Animismus 129, 212 75, 93ff., 98, 100f., 108, 113, 116,
Anschauung 6, 8, 15, 22, 24, 26, 37, 39, 198, 208
43, 56f., 61, 68ff., 72f., 76ff., 89f., 92, Genie 106, 109ff., 115, 198f., 207
94, 96ff., 107f., 111, 121, 160, 170, geometrische Formen 10, 52, 65-74, 78,
174, 176f., 185, 191, 202, 206 80-83, 85, 89, 112ff., 181, 191, 203
Arbeit 60, 86f., 91, 101, 106, 122, 143f. Gleichförmigkeit 40, 83, 100, 102f., 209
Ästhetik, ästhetisch Glück, Glückseligkeit 126, 132, 141-144,
- (Begriff ) 1 216
- Einstellung (siehe: Einstellung) Glücksspiel 116
- Idee (siehe: Idee) Gott 214
Bedingungen für Erkenntnis 26f., 72, 87, gut, das Gute 16, 19, 31, 46, 52, 55f., 64,
92, 97f., 101, 109 72, 83, 99, 102, 117, 126, 133, 183
Bedürftigkeit, Bedürfnisse 82, 133, 141f. - moralisch 19f., 99
Begrifflosigkeit, ohne Begriff 8, 20-23, 29, - nützlich 16, 19f., 99, 186, 198, 203,
46f., 64, 69, 73, 98, 108, 183, 192, 220 (siehe auch: Nützlichkeit)
195 Handlung , Handeln 11f., 17, 21, 32, 62,
Belebung 88-91, 93, 97f., 101, 103f., 89, 120f., 124, 129, 134, 136f., 141,
116ff., 139 144-164, 167, 176, 179, 199, 219
Darstellung 5, 24, 42, 73-76, 98, 108, 140, - innere 157
173, 175f., 196 Handlungstheorie 11, 45, 120f., 179
Einbildungskraft 5-8, 24, 27ff., 34, 42f., Hin und Her 128ff.
55, 59f., 63, 72, 74-80, 83-99, 101- Ideal der Schönheit 201
112, 114, 119f., 191f., 201 Idee, ästhetische 10
Einstellung Intellekt , intellektuell (siehe: Verstand)
- ästhetische 2-6, 9-13, 18, 20, 22f., Intention, Intentionalität 8, 12, 32f., 41,
28f., 64, 82, 84, 87, 90, 92, 110, 87, 123ff., 130-136, 141-149, 151-
115, 117ff., 120ff., 135f., 138f., 164, 168f., 171f., 175, 178ff., 198f.,
140, 146f., 149, 161-164, 166, 169, 205f., 210, 214ff., 220
174, 178ff., 188, 191, 210, 212-217, Interesse 9f., 12f., 16-20, 22, 35, 39, 41,
220 45, 55f., 63-66, 71, 73, 76-86, 88,
- meditative 218 91f., 99f., 105, 109, 117-121, 123,
- praktische 82, 144f., 164ff. 131-136, 138, 141, 147f., 164, 167,
234 Sachregister
169, 179, 197, 201, 203-208, 212, Naturwüchsigkeit 122f., 125f., 141-145,
217, 220 150, 168f., 215, 220
- intellektuelles 105, 206, 211 Naturzweck 49ff., 53, 113, 188
Interesselosigkeit 9ff., 17f., 20, 45, 56ff., Neigung 17f., 41, 44, 101, 103, 125, 127,
65, 72, 78, 82f., 105, 109, 116ff., 133, 144, 147, 151, 167
121f., 126f., 129, 136, 145ff., 162, nützlich, Nützlichkeit 16, 19f., 22f., 30f.,
166, 180f., 183, 197f., 206, 210f. 33ff., 46-55, 58ff., 65-68, 70, 73, 81f.
Intersubjektivität 21, 163, 165f., 177, 201, 85f., 99, 101, 111, 113, 125f., 135ff.,
205f., 208, 212, 216 144, 147f., 193, 195, 200, 203ff., 220
Irrtum 22, 49, 171f., 174f. Objektivität, objektiv 1, 15, 25f., 28f.,
Kausalität, kausal 17, 31f., 100ff., 117f., 38f., 44, 46, 72, 77, 87, 94, 111, 132,
129, 131, 149, 153-158, 160, 163, 195 148, 167, 169, 173f., 189, 192, 195,
Kinder 122, 124, 126f., 166, 187, 205, 215 204, 207, 211, 213, 218
Kopernikanische Wende 148 Organismus, Organisation 34, 48-51, 53f.,
Körper 18, 116ff., 125, 130, 149, 153f., 113f.
156-160, 163f., 193 Ornament 102, 185f., 190-194, 200ff.,
Kunst, Kunstwerk 8, 21, 32, 34, 49, 61, 209, 211
105f., 109, 111, 114ff., 122, 128, 140, Parerga 184ff., 193
164f., 175-178, 180f., 195-201, 206- pathologisch 18, 102, 104, 116ff., 122,
209, 211-214, 217ff. (siehe auch: 125
Schönheit - Kunst-) Pflicht 21, 145, 163
Langeweile 88, 103, 138, 180, 209, 216 Präferenz 15-29, 38, 40, 44f., 59, 62, 73,
Leben 2, 17, 90, 116, 123ff., 141f., 144, 79, 81, 83, 133, 161, 164ff.
154 Praxis, praktisch 11f., 13, 21, 30, 35f.,
Lust 6f., 10, 15-26, 40-43, 45, 50, 52, 54f., 45f., 48, 51, 56f., 66, 71, 73, 79-90,
57, 84, 87, 93ff., 100ff., 104, 112f., 100, 102, 113ff., 117-123, 126f., 129-
116ff., 122-136, 142, 144, 167, 169, 149, 154, 160-169, 176-180, 191, 199-
180, 198, 210, 214 203, 205, 208f., 211f., 216-220 (siehe
- spielerische (siehe: Spiel - Lust im) auch: Handlung, Handeln)
(siehe auch: Unlust) Reflexion 3f., 20, 23ff., 37, 42f., 47, 82,
Mannigfaltigkeit 10, 39, 44, 86, 102, 180f., 141, 143, 145, 178, 206, 215, 220
190f. Regelmäßigkeit 67f., 70, 74f., 80f., 84f.,
- und Einheit 10, 191 88f., 92, 181, 193, 209
Maxime 16, 39 Religion 208, 218f., 220
Mensch 34, 44, 52, 95, 104f., 125, 128, schön, das Schöne, Schönheit 1, 10, 11,
132, 143, 185-190, 193-196, 200-203, 13, 15ff., 20, 22-25, 28f., 34, 43, 49,
206, 208, 214 53, 56, 58f., 61-64, 68, 70f., 73-76,
Mittel/Zweck 9, 12, 16, 19f., 22, 31, 33- 82f., 85, 87, 89, 94f., 98-103, 106-
36, 49f., 53, 56, 60, 67, 80, 81f., 90, 109, 118f., 128, 179-213, 218
101, 109, 123, 126, 128, 130-144, - anhängende 11, 13, 23, 99, 182-200,
147, 152, 160, 167ff., 176f., 199, 202, 202f., 209f.
206ff., 212, 215ff., 219f., 220 - freie 11, 99, 116, 182-191, 193-197,
Moral 17, 19, 20ff., 45, 52, 99, 145, 151, 199-202, 207ff.
163, 220 - Kunst- 49, 105f., 109ff., 114ff., 180,
Musik 90, 100, 116, 177, 191, 195, 217f. 195-200, 207ff., 211
Natur als Technik 113 - Natur- 41f., 51, 75, 105f., 111f., 169,
Natur, natural 17, 32, 35-52, 57, 61ff., 180, 187, 190, 195-201, 206-211
75f., 78, 80, 82, 86, 94, 100f., 103, Seele 5, 116, 127
111-114, 119, 124ff., 128ff., 133, 141, sensus communis 109
143, 147f., 165-168, 174, 180f., 189f., Sinnlichkeit, sinnlich 1, 8, 19, 36, 41, 45,
195-201, 204-212, 218 (siehe auch: 51, 69, 89f., 104, 110, 177, 217f., 220
Schönheit - Natur-) Sollen 21
Sachregister 235