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Hermann Broch
Kommentierte Werkausgabe
Herausgegeben von
Paul Michael Lützeier
Band 10/2
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Hermann Broch
Philosophische Schriften 2
Theorie
Suhrkamp
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Zweite Auflage 1986
© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1977
Bibliographischer Nachweis für die
einzelnen Texte am Schluß des Bandes
Alle Rechte Vorbehalten
Druck: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden
Printed in Germany
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Inhalt
E rk enntnistheorie
Genesis des Wahrheitsproblems innerhalb des Denkens
und seine Lokalisierung im Rahmen der idealistischen
Kritik (ca. 1926).............................................................. 207
Gedanken zum Problem der Erkenntnis in der Musik
(1 9 3 4 )............................................................................... 234
Über syntaktische und kognitive Einheiten (1946) . . . 246
Bibliographischer N a c h w e is.................................................303
Textkritische H inw eise...........................................................304
Auswahlbibliographie zur Sekundärliteratur...................... 323
Verzeichnis der A b k ü rzu n g en ............................................. 325
Personenregister.................................................................... 326
Editorische N otiz.................................................................... 334
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Wert- und Geschichtstheorie
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Z ur E rkenntnis dieser Z eit
Paradigm atische Skizzen zur G eschichtstheorie
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endgültige Erkenntnis erhoffen zu können glaubt. Diese For
derung ist eine methodologische, und wenn sie auch nicht stets
bewußt ausgesprochen und damit dezidierte Geschichtstheorie
wird, so ist ihr methodologisches Walten dennoch in allen Ver
suchen, zur Geschichtserkenntnis zu gelangen, unverkennbar
vorhanden.
Rickerts4 Ansicht, daß das Wesen der historischen Erkenntnis
in einem bestimmten und eben methodologischen Frageverhal
ten gegenüber den Weltdingen liege, bewahrheitet sich - die
Geschichte der Geschichtsschreibung exemplifiziert dies lük-
kenlos - in vollkommen einwandfreier Weise. Es ist hiebei nicht
uninteressant, daß die Entwicklungsgeschichte der historischen
Methodologie sich in das System der »3 Stadien« einfügen läßt,
das Comte5, als Historiker von genialer Intuition, als Philosoph
ein seichter Historiker, für die Entwicklung des geistigen Le
bens überhaupt festgestellt hat.
Das »theologische Stadium« grenzt sich sowohl für die antike
als die abendländische Geschichtsschreibung deutlich ab. Es
erscheint dort in den homerischen Gesängen, für die die irdi
sche Geschichte die direkte Auswirkung des Götterstreites
darstellt, hier als der Glaube an die Begründung der civitas dei6
im Weltgeschehen. Der tiefe Strom der theokratischen G e
schichtsphilosophie zieht in ungebrochener Mächtigkeit von
Augustinus zu Dante, von Otto von Freising7 bis Bossuet8 und
ist noch in den moralisierenden Historikern - in der Art Fergu
sons9 und Schlossers10 - zu Anfang des 19. Jahrhunderts zu
erkennen, wenn sich auch deren Geschichtsschreibung zu der
augustinischen etwa so verhält, wie das Quäkertum zum eben
augustinischen Gottesgedanken. Die methodologische Forde
rung mußte für diese Geschichtsphilosophie nicht erst eigens
ausgesprochen werden: sie war im Geiste der Forscher als das
göttliche Dogma überhaupt stets lebendig und immanent vor
handen. Es ist durchaus bezeichnend, daß es der theokratischen
Geschichtsschreibung der Moderne Vorbehalten blieb, das in
glaubensstarken Zeiten unbewußt wirkende Motiv der Frage
stellung zur bewußten methodologischen Forderung erheben
zu müssen. Was bei Augustinus, bei Otto, Dante, Bossuet und
allen ihren Nachfahren selbstverständliche Geschichtsschrei
bung war, wird nunmehr zum zu verteidigenden Prinzip der
Geschichtsphilosophie. Die Anstrengungen zu dieser Verteidi
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gung sind schon bei Vico11 bemerkbar, der eben schon nicht
mehr Geschichtsschreiber, sondern (der erste) Geschichts
theoretiker war, und gelten jener These, die Laurent12 1870 in
einem der geistvollsten Bücher moderner Historik aufgestellt
hat, »que Timmanence de Dieu peut seule fonder une Philoso
phie de l’histoire«.
Schon aber bereitet sich die Ablösung des theologischen Sta
diums durch das metaphysische vor, und dieses metaphysische
Stadium ist - dies ist die philosophische Blindheit Comtes - zu
gleich das positivistische. Man könnte sogar die Verhältnisse
paradoxiert umkehren und behaupten, daß jenes neue Zeitalter
eben die positivistischen Ziele emportrug, während - und dies
werden wir sofort antreffen - die positivistische Philosophie
den argen Metaphysizismus inaugurierte.
Denn jene Quellen, welche nunmehr neben dem theologi
schen Hauptstrom entsprangen, tragen alle Merkmale des posi
tivistischen Denkens. Das Ziel der Erkenntnis sollte nicht mehr
im göttlichen extra mundos gesucht werden, sondern die Be
schreibung der Weltdinge, wie sie sich empirisch und positiv der
Anschauung bieten, wurden zum alleinigen Objekt der Auf
merksamkeit und Wißbegierde. Der Welt zugewendet wurde
das Erkennen »weltlich« und damit, wie ein schlechter (und
auch Comtescher) Sprachgebrauch zu sagen pflegt, »wissen
schaftlich«. Wozu allerdings zu bemerken ist, daß überhaupt
alles echte Erkennen positivistisch ist und selbst das theologi
sche. Denn wir kennen ein einziges und ungebrochenes Erken
nen, in dem keinerlei Scheidung von »richtig« und »unrichtig«,
von »wissenschaftlich« und »unwissenschaftlich« vorhanden
sind. Es ist stets identisch das Gleiche; es ist »gültiges Erken
nen« oder überhaupt keines, ist immer beschreibend-analysie-
rende Antwort auf die aristotelisch-staunende Ur-Frage »Was
ist das?«: wechseln können lediglich seine inhaltlichen Objekte,
wechseln die methodologische Forderung, die das Interesse auf
diesen oder jenen Inhalt hinlenken will. Auch das theologische
Erkennen ist seiner Anlage nach positivistisch und - ametaphy-
sisch, wenn man es als jenes Erkennen definiert, als dessen Ob
jekt das Göttliche zu gelten hat. Und ebenso ist das kritisch
idealistische Verfahren, das so oft und unsinnigerweise als
Kontraposition gegenüber dem Positivismus ausgespielt wird,
bis zur letzten Wurzel - dies bewährt sich neuerdings wieder an
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der Husserlschen13 Wendung innerhalb des Idealismus - aus
schließlich »positivistisch«. Es ist an sein »Datum der Erfah
rung« gebunden, nur daß eben dieses Objekt der Erfahrung
durch philosophische Objekte kat’exochen, nämlich durch
idealistische Phänomene gebildet wird. Und auch hier, und al
lein hier mit Berechtigung - wobei es dahingestellt bleibt, ob
die kritische Ametaphysik nicht letzten Endes doch Metaphysik
genannt werden müßte - wird die Abkehr von der Metaphysik
wesentlichstes Ergebnis der positivistischen Analyse.
Wenn man daher von einem Aufkommen eines neuen und
»weltlichen« Positivismus sprechen darf, so ist dieser keines
wegs im Wechsel der Denkmethode zu suchen, wohl aber in ei
nem solchen der Inhalte. Insolange das Denken selber restlos
»gläubig« und Gott daher allen Dingen immanent war, kann
von einer, wenn wir so sagen dürfen, »deistischen Metaphysik«
nicht gesprochen werden. Das Datum der positivistischen E r
fahrung selber lieferte die Erkenntnis des Göttlichen. Mit dem
Augenblicke aber, da die Spaltung der Wahrheit zur double
verite eintrat, ergab sich jener peinliche Hiatus, welcher später
hin als die Peinlichkeit des Metaphysischen schlechthin emp
funden und bezeichnet wurde. Denn das Wesen dieser Pein
lichkeit und das Wesen des Metaphysischen liegt immer in einer
gefühlten oder bewußt gewordenen Erkenntnis, daß zwei Ob
jekte, welche verschiedenen Sphären angehören, verquickt und
in einen ursächlichen Zusammenhang gebracht werden.
Die »Verweltlichung« der Erkenntnis richtete sich daher -
bekanntermaßen - vor allem gegen diesen »metaphysischen
Dualismus«, wenn auch fürs erste völlig unbewußt und in
der Hoffnung, durch die neue Forschungsrichtung eine Aus
söhnung der double verite herbeiführen zu können. Diese
Wendung zum weltlichen Objekt, die innerhalb der antiken Hi
storik, nach Überwindung der durch Herodots14 Namen ge
kennzeichneten Periode, die Staatstheorien des Xenophon15
und des Aristoteles zeitigte, die Sachlichkeit der römischen G e
schichtsschreibung herbeiführte, lebte mit dem Humanismus
neuerlich auf. Dante, in diesem Sinne der erste Mensch der Re
naissance, läßt auf der deistischen Grundlage bereits ein klares
Bild der Eigenwirksamkeit des Staates entstehen. Und diese
Eigenwirksamkeit des empirisch Weltlichen verdeckt alsbald,
getragen von einem humanistisch vertiefteren Quellenstudium,
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alle dualistischen Tendenzen: in Macchiaveil erscheint die Ab
kehr bereits restlos vollzogen. Aber auch allenthalben ander
wärts springen dieselben Quellen auf und es sind, fast überflüs
sig es zu betonen, die gleichen, welche das Bett der neuen
Naturwissenschaft speisen. Die Namen Bacons, Hobbes einer
seits, Cartesius16, Spinozas andererseits, sind im selben Maße
an der Neubildung des historischen Geistes beteiligt, wie die
spezifisch geschichtlichen Köpfe in der Art Grotius17 oder die
Geschichtsschreiber der Reformation.
Noch aber floß, wenn auch schon in schmäleren Grenzen, der
theokratische Hauptstrom der theokratischen Geschichte, und
erst als die rationalistische Aufklärung die immerhin schmähli
che Aufgabe bewältigte, ihn gänzlich zu verschütten, gelang es,
die mannigfachen Zweige des einstigen Nebenstromes zu ver
einigen und ihn zum ausschließlichen zu erheben. An diesem
Vereinigungspunkte steht Rousseau.
Rousseaus Begriff der »Natur« nimmt alle jene Theoreme auf,
welche vor ihm gebildet wurden, um das extramundale göttliche
Wirken in der Geschichte durch ein intramundales zu ersetzen:
die »Natur des Staates«, die des »Menschen«, die des »Rech
tes«. Aus dieser ihrer Totalität heraus läßt sich zum großen Teil
die umfassende und nachhaltige Wirkung dieses Begriffes er
klären, aber auch seine Fähigkeit, in allen späteren Spezifika
tionen sich wieder verzweigen und bewähren zu können. Zum
anderen Teile ist aber seine Wirkungsfähigkeit wohl auch seiner
Konzilianz zuzuschreiben. Er bedeutet keinen strikten Bruch
mit dem Deismus; er ist weniger radikal als seine Vorgänger,
obwohl er es in der Absicht sein möchte. Er ist mit deistischen
Motiven durchsetzt und erlaubte, an die Überlieferung anzu
knüpfen. Deutlich wird dies an seinen direkten Derivaten: an
Herders Idee der »Humanität«18, an den »Ideen« Hum
boldts19, aber auch denen Rankes.20 Denn diese alle werden
sinnlos, wenn man sie ihres deistischen Untergrundes entklei
den würde. Ja, diese Gläubigkeit könnte geradezu als Entschul
digungsgrund für die Ideenwirtschaft in der Geschichtsschrei
bung angesprochen werden. So verehrungswürdig Männer wie
Humboldt und Ranke sind, so muß man doch einmal den Mut,
vielleicht den traurigen Mut haben, auszusprechen, daß es
schade um das Papier war, das ihre Kärrner über den Gehalt
ihrer verschwommenen geschichtsphilosophischen Anschau
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ungen verschwendet haben. Das Wort »Idee« ist so weit, so
reich, aber auch so inexakt, daß es selbstverständlich immer ein
Leichtes ist, es in irgendeinen Konnex zu der idealistischen Phi
losophie zu bringen: exakt wurde es erst durch die Kantische
Fassung, und mit dieser haben sowohl Humboldt als Ranke
blutwenig zu tun. Dieses Urteil muß umso eher gewagt werden,
als es nachgerade zum Usus geworden ist, alles leere Herumge
rede in der Geschichtsphilosophie irgendwie durch die Autori
tät Rankes zu decken; und es darf gewagt werden, wenn man
die Nebensächlichkeit, ja Gleichgültigkeit betrachtet, mit der
Ranke seine geschichtsphilosophischen Erwägungen behandelt
und ihn immer wieder die Forderung aufstellen läßt, daß es des
Geschichtsschreibers einzige Aufgabe sei, schlicht zu erzählen,
»wie es eigentlich gewesen«21 ist.
Rankes Geschichtsphilosophie entspricht in vielem der, eben
fast gleichzeitigen, mystisch-deistischen Naturphilosophie der
Schelling-Schule.22 Niemand wird selbstverständlich behaup
ten, daß eine solche Interpretation der Geschichte oder der Na
tur etwa »falsch« sei, sie ist im Gegenteil tiefer und ehrlicher
als jene, die sie ablösten, aber: sie trägt noch den dualistisch
metaphysischen Hiatus in sich. Die methodologische Forde
rung, die in Rankes Geschichtsphilosophie vertreten ist, deckt
sich nicht mit jener, die seinem eigenen Schaffen unterstellt
war. Er steht am entscheidenden Wendepunkte: seine G e
schichtsphilosophie war noch theokratisch, seine Geschichts
methode bereits rein positivistisch; sie setzt die reine Beschrei
bung als oberstes Gebot.
Das positivistische Gebot der reinen Beschreibung wurde be
kanntlich von der modernen Geschichtsmethodologie mit
besonderem Eifer aufgegriffen: Dilthey glaubte in dem Unter
schiede zwischen »Beschreiben« und »Erklären«23 das wesent
liche Merkmal zur Abgrenzung der geisteswissenschaftlich-hi
storischen Methode gegenüber der der Naturwissenschaften
herausgreifen zu können. Die Einheit der Erkenntnis vor Au
gen aber kann es nicht Wunder nehmen, daß die Methode der
»Beschreibung« mit gleichem, mit vielleicht noch größerem
Rechte von den Naturwissenschaften beansprucht und propa
giert wird - es sei bloß auf den bekannten Satz Kirchhoffs24 ver
wiesen, daß es die Aufgabe der Mechanik sei: »die in der Natur
vor sich gehenden Bewegungen [...] vollständig und auf die
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einfachste Weise zu beschreiben« - und daß selbst ihr Funda
ment, die Mathematik, auch nichts anderes tut, als ihre positiv
gegebenen Phänomene zu beschreiben.
Um jene Tendenzen begreifen zu können, denen die neue und
»weltliche« Historik folgen mußte, erscheint es daher wohl
notwendig, ein Verständnis jener Möglichkeiten zu suchen, die
ihr durch die positivistische Methode der reinen Beschreibung
geschenkt worden sind. Hiezu aber ist es notwendig, auf die
Funktion zurückzugehen, die die »Beschreibung« im Gebiet
des Erkennens überhaupt, gleichgültig ob dieses historisch, na
turwissenschaftlich oder sonstwie orientiert sei, zu erfüllen hat.
Wir durften bereits die absolute Einheitlichkeit des Erken
nens stipulieren und Scheidungen, wie die in ein »wissenschaft
liches« oder »unwissenschaftliches«, in ein »richtiges« oder
»unrichtiges« zurückweisen. Wir durften und dürfen ein ein
heitliches, sich selbst identisches Erkennen annehmen, das ein
zig und allein von seinem Erkenntnisobjekt, von seinem Datum
der Erfahrung abhängig und daher streng positivistisch orien
tiert ist. Es ist daher durchaus befremdend, daß die soeben zu
rückgewiesene Zerspaltung der einheitlichen Erkenntnis nun
mehr in anderer Form neuerdings auftritt, denn mit dem
Augenblicke, da die »beschreibende« Methode als eine eigene
Kategorie herausgehoben wird, in dem Augenblicke, da neben
sie mit der »erklärenden« Methode eine Gegenkategorie ge
schaffen wird - und niemand wird bezweifeln, daß den Resulta
ten der Naturwissenschaft Erklärungswert beizumessen ist - , so
muß entweder neben der positivistisch-beschreibenden Me
thode doch noch eine zweite und eben erklärende Erkenntnis
art stipuliert werden können, oder - soferne daran festgehalten
werden soll, daß das Gesamterkennen positivistisch orientiert
sei - die positivistische Methode müßte selber jene Zerspaltung
in sich enthalten. Was selbstverständlich sinnlos wäre.
Es wird damit in einen alten Problemkomplex der Erkennt
nistheorie eingetreten. Denn die Gegenüberstellung von »Be
schreibung« und »Erklärung« ist nur eine der Erscheinungsfor
men der alten Antiposition von Synthese und Analyse und steht
gleich dieser im engsten Kontakt mit dem Verhältnis des induk
tiven zum deduktiven Schlüsse. Es ist mit einem Wort die Frage
nach dem deskriptiven oder explikativen Charakter der Defini
tion schlechthin.
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Soll die Behauptung von der rein positivistischen Orientiert-
heit der Erkenntnis aufrecht erhalten werden, so darf der Fra
genkomplex an ihrer paradigmatischen Urformei, dem aristo-
telisch-staunenden »Was ist das?« gemessen werden. Die auf
das »Was ist das?« zu gewärtigende Antwort durften wir eben
als die positivistische bezeichnen: sie hätte sich rein auf eine de
skriptive Definition des »das« zu beschränken, auf eine Defini
tion, die einzig und allein abhängig ist von dem Datum der E r
fahrung ihres Objektes, und durch die das Erkenntnissubjekt
in völliger Passivität gegenüber dieser Erfahrung zu verharren
hätte, lediglich »affiziert« von seiner Erfahrung. Diese, man
kann ruhig sagen materialistische, Direktive der positivisti
schen Erkenntnislehre zieht sich klar erkennbar von Aristoteles
bis zu den Scholastikern, bildet den Kern des sogenannten Ma
terialismus Spinozas, erscheint in der harmonie preetablie und
lebt schließlich neuerlich und in verfeinerter Gestalt in der phä
nomenologischen Wesensschau auf.
Aus diesem Sachverhalt ergibt sich die immerhin merkwür
dige Tatsache, daß, so eng die Verbindung zwischen Deskrip
tion und Analyse scheinbar auch war, die Analyse in dieser po
sitivistischen Deskription keinen Platz findet. Denn entweder
ist das »das« ein amorphes, in sich gegebenes »Ding«, dann ist
an ihm nichts zu analysieren, da ja der Erkenntnisakt durch die
passive Wesensintuition bereits erledigt ist ( - die Anwendung
der phänomenologischen Terminologie soll hier keine Polemik
bedeuten -), oder aber es besteht aus einer Mehrzahl von Din
gen, dann ist eben jedes einzelne von ihnen, nicht minder aber
auch - da ja der passive Erkenntnisakt nicht plötzlich zur akti
ven Synthese seiner einzelnen Passivitäten übergehen kann -
die sie zur Einheit zusammenschließende Eigenschaft, die Hus-
serls, Objekt einer sozusagen additiven Intuition.
Was aber für das analytische und synthetische Urteil hier gilt,
gilt in noch verstärktem Maße für die Modalitäten des Schlus
ses. Die reine Abhängigkeit vom Objekt gestattet unter keinen
Umständen, über seinen gegebenen Bereich hinauszugehen:
der induktive Schluß - der Stolz der positivistischen Logik - er
scheint also im vorhinein ausgeschlossen. Anders allerdings
verhält es sich mit der Deduktion. Denn wenn auch der deduk
tive Schluß, er wäre sonst überhaupt kein Schluß, etwas »au
ßerhalb« der Gegebenheit liegendes, etwas »Neues« bringen
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muß, so ist dennoch dieses »Neue« im logischen System des
Gegebenen zu lokalisieren. Wohl kann es in der Radikalität des
»Was ist das?« ein solches Neues nicht geben, da eben sämtliche
Bestandteile des »das« - wir dürfen, wie wir sahen, nicht einmal
sagen, durch dessen Analyse, sondern - durch den intuitiven
Erkenntnisakt erschöpft worden sind, aber es erscheint von
eminenter Wichtigkeit, konstatieren zu dürfen, daß für die po
sitivistische Blickrichtung die Deduktion zumindest nichts Wi
dersinniges bedeutet, ja daß es die einzige Schlußart ist, die für
sie zulässig sich darstellt. Und ebenso erscheint es nicht reizlos,
daß eben in der positivistischen Deskription neben der Deduk
tion die Analyse als zulässig erscheint und daß damit zwischen
Analyse und Deduktion - ganz im Gegensatz zur herrschenden
Meinung - eine Verbindung sich auftut, die bisher zwischen
analytischer und induktiver Methode statuiert worden ist.
Es besteht nun aber sicherlich kein Zweifel darüber, daß mit
dem Ausscheiden der Induktion aus dem positivistischen Be
stände merkwürdigerweise auch das wesentliche Merkmal der
Beschreibung ausgeschieden wird. Denn wie immer auch der
Definitionsbegriff, der wohl als reinster Typus der Beschrei
bung gelten kann, gefaßt wird, ob nun im Sinne älterer und
naiverer Definitionstheorien als die »Rückführung des Unbe
kannten auf ein Bekanntes« oder im Sinne des neueren Kriti
zismus als die Einordnung des Definierten in ein Ordnungssy
stem, so kann die derart deskriptive Definition so oder so nicht
ohne synthetische Induktion auskommen.
Hieraus ergibt sich aber ein immerhin merkwürdiges Resultat:
die positivistische Betrachtung der Dinge ist weder beschrei
bend noch erklärend. Sie ist augenscheinlich etwas unkomplet
tes, irgendeine unausgebrütete Frühgeburt des Erkennens. Zur
Beschreibung fehlt ihr die Induktion, für die sie logisch über
haupt keinen Platz hat, wohingegen sie für die Erklärung, so-
ferne diese mit dem deduktiven Verfahren identifiziert werden
darf, wohl logisch Raum gibt, jedoch keinerlei Handhabe für
dessen Notwendigkeit und Ansetzungsmöglichkeit bietet.
Es liegt nun nahe, die Ergänzung aus einer völlig anderen Re
gion herzuholen. Wenn nämlich trotz der vorausgestellten Ein
heitlichkeit und Unteilbarkeit des Erkennens die Nötigung
vorhanden ist, die empirisch nicht abzuleugnende Zerspaltung,
wie sie sich eben in den Phänomenen der Induktion und De
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duktion, der Synthese und Analyse zeigt, anzuerkennen und
daher begrifflich zu machen, so kann eine solche Begrifflichma-
chung nur erfolgen, wenn diese Phänomene auf ein gemeinsa
mes und evidentes Grundphänomen zurückgeführt werden
können. Insolange nun die rein positivistische Position beibe
halten wird, ist dieses Grundphänomen augenscheinlich unauf
findbar. Die positivistische Position hat in ihrer Radikalität ih
ren Blick ausschließlich dem Objekt zugewendet (ist daher in
Praxis idealistischer als der sogenannte Idealismus selber) und
das Objekt ist - so ergibt es sich wenigstens bis jetzt - nicht im
stande, jenen Erklärungsgrund zu liefern. Die Situation ändert
sich erst, wenn auch das Subjekt des Erkennens objektiviert
wird. In dieser objektivierten Gesamterkenntnis läßt sich ein
wandfrei eine Grundscheidung, nämlich eben die [in] Subjekt
und Objekt, aufweisen: es ergeben sich aus ihr die bekannten
Zerspaltungen in Erkenntnisakt und Erkenntnisinhalt (samt
zugehöriger Scheidung von Form und Inhalt) und in der Folge
die Zerspaltungen in Synthese und Analyse, in Induktion und
Deduktion. Die Kantsche Ableitung der idealistischen Position
bewegt sich in dieser objektivierten Sphäre der (idealistischen)
Erkenntnis und läßt auch - ein Beweis für das Gesagte - die in
Frage stehende Zerspaltung in der Scheidung zwischen »Ver
stand« und »Vernunft« leichthin erkennen.
Die Kantsche Ableitung zur Fundierung der Apriorität inner
halb der empirischen Erfahrung gründet sich zum größten auf
dieses Unvermögen der positivistisch-empirischen Erkennt
nistheorie. Nichtsdestoweniger darf von dem hier genommenen
Ausgangspunkt aus nicht schlankwegs ins Kantsche Fahrwasser
eingebogen werden. Die idealistische Position findet ihre Be
gründung in sich selber, und das Unvermögen der positivisti
schen bildet für sie sozusagen einen illustrativen Erweis: es ist
aber keinerlei stringente Nötigung vorhanden, von diesem Un
vermögen gerade zur idealistischen und nicht zu irgendeiner
anderen Position überzugehen. Im Gegenteil: es wird hiedurch
eine gewisse erkenntnistheoretische Parität zwischen Positivis
mus und Idealismus geschaffen, die de facto nicht vorhanden
ist, und die eben jene sterile und überflüssige Streitfrage nach
einer Entscheidung zwischen Idealismus und Positivismus ge
schaffen hat. Daß diese Rettung in den Idealismus (qui faute de
mieux) außerdem ein völlig verkehrtes Bild der idealistischen
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Position konstruieren würde und voraussetzt, kann hiezu zur
Erhärtung dienen. Es ergibt sich aus der Struktur der aus dem
Positivismus ausgeschiedenen Gegengruppe: wird seiner be
schreibenden Richtung die Analyse und die Deduktion als
Möglichkeit zugewiesen, so verbleibt für den Idealismus die
Synthese und die Induktion. Nun ist zwar - genau so wie vor
dem zwischen Analyse und Deduktion - zwischen Synthese und
Induktion eine unzweifelhaft enge Verbindung zu statuieren:
denn - dies zeigte sich schon am Definitionsbegriff - keinerlei
Induktion wäre möglich, geschähe sie nicht unter dem Primat
der synthetischen Einheit: aber es ist damit noch keineswegs
gesagt, daß die Induktion notwendig aus der idealistischen Stel
lung resultiere (wird sie doch vielmehr, wie bereits erwähnt,
energisch für die Beschreibung und vom Positivismus rekla
miert), noch viel weniger aber ist ihr eben eine »erklärende«
Tendenz nachzuweisen. Nochmals, im Gegenteil: sie ist wirk
lich beschreibend und ein unentbehrliches Akzessorium der
deskriptiven Definition, so daß mit einiger Berechtigung zu be
haupten ist, daß sie - mit einer gewissen symmetrischen Archi
tektonik - innerhalb der idealistischen Position die gleiche
Funktion erfüllt wie die Deduktion innerhalb der positivi
stischen: wie die Deduktion innerhalb der positivistischen
Beschreibung die Möglichkeit der Erklärung offenläßt, so
gibt die Induktion innerhalb der idealistisch gedachten Erklä
rung die Möglichkeit - nicht die Notwendigkeit - der Beschrei
bung.
Wenn wir also - trotz der naheliegenden idealistischen Verlei
tung - den positivistischen Boden hier noch nicht verlassen
dürfen und daher die deduktiv-erklärende Funktion aus dem
positivistischen Objekt selber ableiten sollen, soll sich also die
als Möglichkeit innerhalb der »Beschreibung« nachgewiesene
Deduktion zur Notwendigkeit erhärten, so kann dies nur wie
derum vom Objektsbegriff aus geschehen, der also einer neuer
lichen Revision unterzogen werden muß.
Die Handhabe hiezu bietet der Begriff der ontologischen Re
lation. Denn in den bisherigen Überlegungen war das »das« als
Objekt der Aristotelischen Frage, als ein »wesenhaft« isoliertes
Ding gedacht, wie ja eben auch seine Verbindung mit den an
deren Dingen eben nur »additiv« aufgefaßt werden konnte. Es
ist aber, wie Brandis25 sagt, »Aristoteles nicht gelungen, die
21
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Wesenheiten sämtlich vom Gebiet der Beziehungen auszu
schließen« oder wie Brentano26 hinzufügt: »das eine Relative
[kann] nicht ohne das andere sein oder erkannt werden [...]:
gegenseitig fordern und definieren sie sich« (was sowohl für die
paritätische Relation als der der Unterordnung nachgewiesen
wird). Diese Konstatierung ist eine rein ontologische, also posi
tivistische, hat also mit idealistisch orientierten Überlegungen
noch nichts zu tun. Nichtsdestoweniger könnte die Zweideutig
keit des Relationsbegriffes - die Relation kann ebensowohl als
eine »in-Beziehung-Setzung« als ein faktisches ontologisches
Phänomen aufgefaßt werden - eine idealistische Interpretation
zulassen. Dieses Mil3verständnis - es ist allerdings nur in diesem
Zusammenhang ein Mil3verständnis - wird aber sofort aufge
hoben, wenn jenes ontische Phänomen betrachtet wird, das sich
geradlinig aus dem ontischen Relationsbegriff ableiten läßt und
daher hier von der höchsten Wichtigkeit ist: das Bewegungs
phänomen. Gerade, daß die vorsokratische Philosophie aus
schließlich Ontologie und nicht Erkenntnistheorie war (wenn
sie auch selbstredend erkenntnistheoretisch auszulegen ist und
erkenntnistheoretischen Gehalt besitzt) gibt ihr unter dem hier
einzuhaltenden Aspekt erhöhte Bedeutung.
Trendelenburg27, in seiner Aristotelischen Schulung vielfach
ein Vorläufer der modernen Gegenstandstheorie, hat mit aller
wünschenswerten Klarheit darauf hingewiesen, daß dem Be
griffe der Bewegung im Objekt der des kausalierenden Verste
hens im Subjekte entspricht. In dem Augenblicke, da die Dinge
unter der Modalität der Bewegung erfaßt werden, werden sie
auch schon in einen kausalen Zusammenhang eingereiht -
selbst der Satz: der Punkt A bewegt sich von B nach C enthält
implizite eine kausalierende Bestimmung, ja mehr noch: es gibt
nur eine einzige Möglichkeit, die erklärende Kausalität in die
Weltdinge zu projizieren, nämlich die, sie unter dem Aspekt der
Bewegung zu erfassen. Die Bewegung ist geradezu die ontolo
gische Kehrseite der Erklärung, und erst durch die restlose
Rückführung aller Phänomene auf den Bewegungsbegriff wird
eine restlose Befriedigung des kausalierenden Verständnisses
erzielt. Die Relativitätstheorie hat mit der radikalen Durchfüh
rung dieses Prinzipes für die Physik - nicht für die Philosophie,
wie einige übereifrige Physiker meinen - ein Höchstmaß dieses
kausalierenden Verständnisses geschaffen und damit eine
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nachträgliche Bestätigung für die Trendelenburgsche Ablei
tung erbracht.
Nimmt man aber (und dies fügt sich durchaus in den Grundge
danken aller Physik) mit der Relativitätstheorie an, daß sie
nichts anderes gibt als eine unter einem Minimum an Voraus
setzungen getätigte »Beschreibung« der Bewegung und hält
man daneben, daß alle Erklärung schließlich eben auf dieses
Bewegungsphänomen zurückgeführt werden soll (was eben die
Relativitätstheorie auch tatsächlich tut), so fügt sich das Erklä
rungsprinzip mit einem Male und in einer gewissen überra
schenden Leichtigkeit in den positivistischen Bestand der »Be
schreibung« ein: alle Erklärung ist nichts anderes als ebenfalls
Beschreibung, und zwar »Beschreibung von Bewegungen«
oder, wie wir dem allgemeineren Terminus zuliebe lieber sagen
möchten, »Beschreibung von Relationen«. Besteht aber das
panta rhei zu Rechte, dann kann auch gefolgert werden, daß es
überhaupt nur Beschreibung von Relationen, also überhaupt
nur »Erklärungen« gibt.
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selbst nicht zu belügen: immer ist das »ich weiß« das »Vehikel,
das alle Kategorien begleitet«, immer muß das jeweilig Vor
handene-zum indest faute de m ieux-alsdie beste aller Welten
bejaht werden. Soll aber diese Wertwirklichkeit mehr sein als
ein relativistisches faute de mieux, wie es etwa einem in die
Erlebenssphäre transponierten Berkeleyschen28 Idealismus
genügen würde, soll der Weltwert keine vage bejahte Hallu
zination eines materialistisch-einsamen Ichs bedeuten, soll,
Fichteisch gesprochen, die Weltsetzung objektiver Wert sein,
dann muß jenem wundersamen, sagen wir irrationalen Akt der
erlebenden Wirklichkeitssetzung in seiner Erlebnistotalität ein
spontan gleichzeitiger zugeordnet gedacht werden können,
dessen Aufgabe es eben sei, jenem der vollerlebenden Wertset
zung die Sanktion der kausalen (und damit rationalen) »ob
jektiven« Wertgeltung zu verleihen. Die erlebte Welt muß be
wahrheitet werden, um wahrer Wert sein zu können: erst in
dieser kritisch-transzendentalen Gültigkeitssphäre der Be
wahrheitung des Geschehenen und Erlebten vermag dessen lo
gische Bejahung als Wert erfolgen, erst im Begreifen und im
Begriff (also in der Definitionsfähigkeit) einer plausibel gewor
denen Wirklichkeit wird diese zur Wertwirklichkeit des Ichs,
zur Wirklichkeit des historischen Menschen als Idee.
Mit dieser logischen Zugesellung der kausalierenden Reak
tion des Bewußtseins, man könnte hier wohl auch sagen des
Cogito, zur wertsetzenden Aktion des erlebenden Sum ist die
eigentliche Vorbedingung des historischen Menschen gegeben,
und zwar eben als Idee gegeben, da durch die Spontaneität von
Erleben und Vernunft (im Kantschen Sinne) der Gesamtkom
plex aus der inhaltlichen Wertregion eines material-dogmati
schen, also solipsistischen Idealismus in die formale und nur
formale der kritischen Anschauung gehoben erscheint. Zu
gleich ist damit aber auch ein neues Element in den Problem
kreis getragen: war innerhalb der solipsistischen - wir sagten
Berkeleyschen - Wertsphäre jedes Erleben gleichzeitig Wert,
jede Wirklichkeit sofort Wertwirklichkeit des erlebenden Indi
viduums, so kann jetzt nur das kausalierte Erleben, das be
wahrheitete Erleben zur Wertwirklichkeit führen: dennoch
verlangt die Autonomie des Ichs, daß alles Erleben Wert sein
muß oder richtiger sein müßte. Es klafft an dieser Stelle ein an-
tinomischer Riß zwischen dem metaphysischen und dem kriti-
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sehen Idealismus, der für das reine Bewußtsein nicht vorhanden
ist, da in ihm der Erlebnisinhalt eo ipso kausaliert wird, wohl
aber für die Idee des seienden Menschen Geltung besitzt. Und
hier steht auch die ethische Tat Kants, nichts anderes wollend,
als diesen Riß zu schließen - seine Forderung nach dem »guten
Willen«29, der das »Werk um des Werkes und nur um des Wer
kes willen« schafft, bedeutet aus der hier genommenen Pro
blemfassung: da dein Erleben nicht ohne weiteres Wert ist,
sondern erst nach seiner Kausalierung Wert sein kann, nichts
destoweniger aber immer Wert sein soll, so mußt du so handeln,
daß es immer Wert werde; oder m. a. W. handle, daß du das
Resultat deines Handelns, deine Wirklichkeit begreifest; was
immer du schaffest, schaffe es bewußt und der Definition deines
Wertzieles gemäß, denn erst in der Reinheit seiner Definition
ist die Reinheit des Werkes, das um seiner selbst willen geschaf
fen wird, begründet und gegeben.30 Die Totalität solchen rei
nen Schaffens aber ist die reine und objektive Wertwirklichkeit
des erlebenden Menschen. Der Mensch hat seine Wirklichkeit
zu verantworten.
Das Ergebnis dieses Schlusses kann paradoxiert werden.
Denn wurde die Aufgabe der historischen Erkenntnis als die
induktive Auffindung des historischen Menschen und seines
Erlebens aus der empirisch gegebenen Wirklichkeit erfaßt, als
die Hypothesierung des Wertsubjektes zum vorgegebenen
Wertobjekt, des Werterlebens zur vorgegebenen Wertwirk
lichkeit, so kann nach der erfolgten Identifikation der Wirk
lichkeit mit der ethisch gewollten und geschaffenen Wertwirk
lichkeit nur mehr ein Wertsubjekt aufgefunden werden,
nämlich jenes, das der ethischen Forderung genügt und an sich
manifestiert. Das bedeutet aber nichts anderes, als daß nur der
ethische Mensch historisch konstituierbar sei, während jedes
andere Individuum geschichtlich einfach nicht existent wäre:
nur der Mensch von »gutem Willen« lebt in der Geschichte und
nur für ihn zeugt seine Wirklichkeit. Wer aber seine Wirklich
keit nicht verantworten kann, gegen den zeugt sie, indem sie ihn
historisch aboliert.
Diese Überlegung verwahrt sich dagegen, etwa als »Richter
amt der Nachwelt« interpretiert zu werden. Sie darf hinweisen,
daß alle geschichtliche Evolution, alles historische Leben, sei es
nun politisch, religiös, künstlerisch oder sonstwie genommen,
25
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stets unter Vorantragung der ethischen Forderung »Wahrheit«,
also der des Begreifens und des Begriffes des gesetzten Wert
zieles sich bewegt, daß alle historische Unterordnung den Aus
bau einer prominenten höheren Wertwirklichkeit zum ethi
schen Zwecke hat, daß der ethisch absolute Mensch, nämlich
der Religionsstifter, auch der absolut geschichtliche Mensch ist:
er hebt in seiner Wirklichkeit die Zeit auf und macht sie zu sei
ner Epoche - Christi Geburt wurde zum absolutierenden Fix
punkt der Zeit und die ethische Aufgabe der Zeit wurde es,
seine Wertwirklichkeit auszubauen.31
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ethischen Forderung, als deren Produkt die Vorgefundene
Wirklichkeit hypostasiert werden könnte.
In gewissem Sinne stimmt die damit orientierte Aufgabe in der
Richtung (nicht dem Umfange nach) mit der Diltheys, aber
auch der Herders33 überein: da wie dort handelt es sich um eine
Zentralstellung des gefragten historischen Menschen innerhalb
einer ihm zu koordinierenden Wirklichkeit, da wie dort um die
Erkenntnis des Kultursubjektes aus dem Kulturobjekte. Wenn
aber bei Dilthey diese Erkenntnis nahezu ausschließlich aus
der, wie wir sie nannten, reaktiven Funktion des »Begreifens«
jener Wirklichkeit sich ergeben soll, wenn also dieses Begreifen
- in der Metaphysik des jeweiligen Zeitalters manifestiert - als
adäquate Wiedergabe seines Erlebnisinhaltes angesehen wird,
so ist diese Stellungnahme nur möglich, wenn in ihr die Antino
mie zwischen Wirklichkeit und Wertwirklichkeit übersehen
und die beiden Begriffe im vorhinein und ohne weiteres als
identisch genommen werden. Ohne eine Dogmatisierung und
Metaphysizierung der idealistischen Ausgangsposition konnte
eine solche, stark relativistische Stellungnahme nicht erreicht
werden —die formale Funktion ihres Ichs mußte sich vorher zu
einer inhaltlichen materialisiert haben: das historische »Leben«
und sein »Geist«, in ihren aktiven und reaktiven Komponenten,
mußten an irgendeinem und eben immer relativistischen Inhalt
absolutiert werden, und dies geschah in ihrer Psychologisierung
bei Dilthey, gleichwie es bei Herder in ihrer Biologisierung ge
schehen mußte. Gerade aber eine inhaltliche Erfüllung des
»Lebens« oder des »Geistes« soll vermieden werden: sie sind
mit emotionalen, voluntaren und kognitiven Funktionen wahr
lich nicht auszuschöpfen. Noch viel weniger sind sie allerdings
- hier muß Eucken34 wohl vor Bergson35 genannt werden -
schwungvolle Termini, in denen man ein »Oh Leben« (das A r
gument aller schlechten Dichter)36 klingen hört. Alle inhaltli
chen Bestimmungen verengen den Begriffsinhalt des Lebens
oder sie überfüllen ihn mit lebensfremden, romantischen,
sentimentalischen, literarischen Vorstellungen. Gleich seiner
subjektiven Wurzel in der Erlebenssicherheit des Sum ist das
Leben als der Strom seiner Totalität und gleichzeitiger Mannig
faltigkeit einfach vorhanden, vita est, und mehr läßt sich von
seiner dionysischen Dunkelheit nicht aussagen, es sei denn, daß
man dieses Ignorabimus vor dem Wunder des Lebens als dessen
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Irrationalität bezeichnen wolle. Denn das Irrationale ist das
schlechthin Unbekannte und trotzdem Vorhandene.
Die Bescheidung auf den logischen Zirkel, die Präzisierung
des historischen Lebens im ethisch wertwollenden, intendiert
daher alles andere denn eine Verarmung und Einengung des
Lebensbegriffes, dessen Irrationalität eben nur von jeder in
haltlichen, rationalistischen Beschränkung freigehalten werden
soll. Wohl aber kann und soll der logische Ort dieser Irrationa
lität bestimmt werden und zwar dort, wo das Rationale ans Ir
rationale angrenzt, d. h. dort, wo das Irrationale dem Rationa
len zum Begriff des Problems und zum Problem selber wird, wo
sich sein esse durch das ergo an das cogitare zu binden strebt.
Wird das »Leben« und das historische damit im speziellen in
seiner ganzen Irrationalität und strömenden Totalität genom
men, so mag es immerhin gestattet sein, seine Inhalte - »leben«,
»geschehen«, »tun« usw. usw. - in ihrer ausschließlichen Ver-
balität in die Kategorie der »Bewegung« zu rubrizieren. »Be
wegung« ist aber, soll sie sinnerfüllt sein, immer Relation - ihre
Angrenzung an das Rationale besteht eben darin, daß sie nicht
als »Fluktuation an sich« zu nehmen ist, sondern differenzier
bar sein muß: ein Verbum als solches sagt nichts aus - es muß
von einem Ding aussagen. Und dasselbe gilt für die Bewegung
als Relation: sie dient als Definitionsmittel für ihre Relativan
ten, von denen allerdings einer als »bekannt«, fiktiv oder effek
tiv vorgegeben, angenommen werden muß, da sich sonst eine
sterile Diallele ergeben würde.
Wird nun die Angrenzung an das Rationale in der Auffindung
der »erfahrungsgemäßen« und »bekannten« Wirklichkeit an
gesehen, welche somit den einen und empirischen Relativanten
darstellt, während der andere das hypothetische, wirklichkeits
erlebende und wirklichkeitssetzende Ich sein soll, so spannt sich
zwischen diesen beiden substantivischen Relativanten die Irra
tionalität des historischen »Lebens«. Das Ich aber ist völlig de
finitionslos, da es ja nicht mit biologischen, psychologischen
und ähnlichen Notinhalten ausgestattet werden soll: folglich
bedarf es zur Konstituierung seiner Struktur nicht nur der Defi
nition seines Gegenrelativanten, der gesetzten Wirklichkeit,
sondern auch die verbindende »Bewegung«, das »Leben« muß
bereits funktional und zwar logisch funktional determiniert
sein. Beides ist aber in der Voraussetzung enthalten: die Defi-
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nierbarkeit des Gegenrelativanten in der Konstatierung, daß
nur die dokumentierte, empirische Wirklichkeit, deren Defini
tionsfähigkeit damit anerkannt wird, zur Basis jedweder histo
rischen Untersuchung dienen kann, die logische Determiniert
heit des »Lebens« aber durch dessen logische Subordinierung
unter den »guten Willen«, unter die ethische Forderung. Da
aber die ethische Forderung gleichfalls auf die Definierbarkeit
der Wertwirklichkeit zielt, und zwar nicht nur vom wertwollen
den Subjekt aus, sondern nunmehr auch objektiviert - denn
auch die »Forderung« (sei sie nun ethisch, moralisch-utilistisch
oder sonstwie verstanden) ist verbale »Bewegung« zwischen
zwei Relativanten, nämlich dem handelnden Subjekte und dem
Forderungsziel, und kann als solche nur aus der Definition ihres
zu erfüllenden Wertzieles Sinn und Leben empfangen, so ver
bleibt als einzige inhaltliche Bestimmung die empirisch gege
bene, geschichtliche Objektwirklichkeit.
Hier wird aber auch der positive Gewinn der sonst nur negie
renden logischen Konstruktion offenkundig: denn mit der logi
schen Identifizierung der zufälligen Geschichtswirklichkeit mit
der vom historischen Menschen gewollten Wertwirklichkeit
wird gleichzeitig die Geschichtsentwicklung als Entwicklung
der ethischen Forderung genommen, welche zur Setzung sol
cher Wirklichkeit führte. Da aber die ethische Forderung von
der Definition ihres Wertzieles direkt abhängig ist, so muß ihre
Entwicklung an den Wirklichkeitsdefinitionen abgelesen wer
den können. Inhaltlich würde dies eine Hervorkehrung der
Moralgeschichte und der der metaphysischen Anschauungen
(wie dies zum Teil in den Absichten Diltheys lag) bedeuten.
Bedenkt man aber, daß sowohl die Moralen als die metaphysi
schen Anschauungen in ihren dokumentierten Formungen nur
einen Bruchteil der Gesamtwirklichkeit bilden und ihre Bin
dung in sie selber sogar erst gesichert werden müßte, so wird
es klar, daß das Ausgangsproblem »wie kann die empirische
Wirklichkeit für das Leben des historischen Menschen zeu
gen?« über diese partielle Beantwortung hinaus eine allgemei
nere, formale zulassen muß. Wenn sich nun diese hier, verallge
meinert und spezialisiert zugleich, in der Frage »welcher
Definition konnte die auf gefundene Wirklichkeit genügen?«
bietet, so würde auch diese wieder vollkommen in der Luft hän
gen, müßte wieder zur Vermeidung relativistischer Ausdeutung
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zu biologistischen und ähnlichen Hilfsmitteln greifen müssen,
könnte sie nicht mit der formal-notwendigen ethischen Forde
rung nach dem »Werke um des Werkes willen« zusammenge
halten werden. Damit aber findet sie ihren Halt in einer eindeu
tigen Entwicklungsreihe: denn jene Forderung enthält die
unendliche Aufgabe zu immer reineren Definitionen, sie ent
hält den unendlichen Regressus, in dem die logische Erkenntnis
sich vorwärts zu bewegen hat, und wenn auch im metaphysischen
Hintergrund der sich klärenden und zu klärenden Definitions
reihe die platonische Idee des Wertzieles wohnt, so ist die Ent
wicklung als solche dennoch ein rein logischer Struktur-Ausbau.
Diese Entscheidung stellt die historische Untersuchung unter
das Primat des Logos, wenn auch nicht im absolutierenden
(Hegelschen) Sinne. Der dialektische Geltungsbereich dieses
Primates ist begrenzt durch die ihm identische logische Kon-
struiertheit des historischen Bereiches, durch dessen logische
Einengung auf die Wertwirklichkeit des ethischen Menschen
und die bewußte Ignorierung aller außenstehenden Inhalte.
Nichtsdestoweniger kann von einer Absolutierung des Logos
gesprochen werden; allerdings nicht im inhaltlichen Sinne, wohl
aber in einem formalen und methodologischen. Denn wenn
auch der dialektische Geltungsbereich des Logischen innerhalb
der historischen Erkenntnis nicht weiter langt als die (ihm iden
tische) logische Konstruktion, die zur Erlangung und Hyposta
sierung dieser Erkenntnis dienen soll, so muß dennoch ein wei
terer Geltungsbereich irgendwo vorhanden sein, aus dem die
formale Lizenz zur Errichtung dieser Konstruktion abzuleiten
wäre! Stellt man die Frage in solcher Richtung, so ist zu erin
nern, mit welcher Bedeutung der Begriff des Logischen in die
Untersuchung getragen worden ist: es geschah mit dem Augen
blicke, in dem die Möglichkeit des logischen »Begreifens« der
jeweiligen Wertwirklichkeit durch das zugehörige Wertsubjekt
als methodologischer Kern herausgehoben wurde. Doch dieses
»Begreifen« - und das ist das Entscheidende - ist bloß zugäng
lich, wenn es im vorhinein als eine logische Funktion gedacht
wird, welche für den Geschichtsforscher »vorstellbar« ist, was
aber nur erfolgen kann, wenn sie, von psychologischen oder
sonst welchen Schattierungen abgesehen, mit seinem eigenen
logischen Funktionalismus identisch ist, oder m. a. W., wenn bei
aller Verschiedenartigkeit der inhaltlichen Werte, bei allen
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seelischen Nuancierungen im Verhalten zu ihnen, die logische
Struktur ihrer Bejahung, in welcher Sprache sie auch immer er
folgen möge, als eine für alle menschlichen, ja selbst tierischen
Individuen allgemeingültige stets identisch die selbige bleiben
muß, gleichwie die Geometrie dem Prinzipe nach stets Geome
trie bleibt, ob sie nun euklidisch oder nicht-euklidisch gesehen
wird. Eine Geometrie, die nicht mehr der wesenhaften Defini
tions- und Funktionalstruktur der Geometrie genügen würde,
ist eben überhaupt keine mehr und ebensowenig ist ein »Be
greifen«, das strukturell nicht mehr dem Prinzipiell-Logischen
genügen sollte, noch ein »Begreifen« zu nennen: die Hypothe
sis der historischen Wertwirklichkeit als die einer durch den hi
storischen Menschen »begriffenen« und kausalierten fiele in
sich selbst zusammen oder wäre auf die persönliche »Einfüh-
lungs«-Fähigkeit des Forschers angewiesen, die, solcherart
selbständig gemacht, zu einer karnevalesken Fröhlichkeit füh
ren würde, in der sich der Forscher den jeweiligen Umständen
angepaßt als Sassanide37, als Cherusker, als Kondottiere zu
»fühlen« hätte. Dann könnte er allerdings auch eine Logik, die
keine mehr ist, »erfühlen«. Selbstverständlich nur fühlen; denn
wollte er etwa versuchen, wie der Kondottiere zu »denken«,
dann wäre mit dem Wesensinhalt des Wortes »Denken« auch
schon wieder die »Allgemeingültigkeit des Logos« ausgespro
chen und statuiert.
Allerdings wäre hier einzuwenden, daß es sich innerhalb des
historischen Gebietes nicht um die Idee der Allgemeingültig
keit des Logos handelt, sondern um ihre konkretisierte Manife
station als überindividuelle Geltung im Verstehen von Mensch
zu Mensch. Denn Subjekt wie Objekt der Geschichtsforschung
sind konkrete Menschen, so daß das Problem der Erfassung von
fremden Logizitäten seitens des Forschers sich im Problem der
Verständigung vollkommen erledigen lassen müßte. Der histo
rische Mensch ist eben nichts anderes als ein verstorbener Ne
benmensch, und der logischen »Allgemeingültigkeit« wäre
höchstens die eine Konzession zu machen, daß der historische
Mensch seinen Forscher ebensowohl »verstehen« müßte als
dieser ihn, wenn man ihn solcherart - immerhin ist die Logizität
des »Propheten« von hier aus zu erfassen! - zum vorwärtsge
wandten Forscher machen wollte.
Es ist kein Zweifel, daß dieser Einwurf für die historische
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Sphäre zu Recht besteht und daß in ihr die Allgemeingültigkeit
des Logos sich auf das materialisierte Problem der überindivi
duellen und kollektiven Geltung zusammenschiebt. Auf dieser
Ebene eines im weitesten Sinne genommenen historischen Be
reiches, doch nicht über ihn hinaus, ist es daher auch möglich,
die Idee des Allgemeingültigen vom Problem der überindivi
duellen Geltung aus zu ergreifen, wie solches beispielsweise von
der Fries’schen38 Schule intendiert wird. Da aber jedes er
kenntniskritische und damit idealistische Problem, sowie es ir
gendwie materialisiert wird, sofort solipsistisch wird, so sind die
Resultate der Fries-Schule ebenso unvermeidlich relativistisch,
wie hier ihre Projizierung in die Frage des Erfassens histori
scher Kausalierungen, die die Person des konkreten Forscher-
Individuums in Vordergrund stellend zur Auslegung führt, daß
die Logik des Forschers den historischen Subjekten als die ihre
aufoktroyiert werde.
Aber eine solche relativistische Auslegung betrifft nur das
»Wesen« des Logos, ist Logos-Metaphysik, und hat mit dem,
worauf es hier ankommt, mit seiner methodologischen Funk
tion nichts zu tun. Und diese bleibt in ihrer Absolutierung un
berührt, ja sie vermag durch den relativistischen Aspekt sogar
zu einer - unberechtigten - wesenhaften Absolutheit gesteigert
zu werden. Bedenkt man nur, daß zur »Erfüllung« der logi
schen Absolutierung die Einfügung der ethischen Kategorie
unbedingt erforderlich war, daß die Bedingung des logischen
Begreifens an die Vorbedingung des ethischen Wollens gebun
den werden mußte, so erscheint mit der Möglichkeit einer me
thodologischen Absolutierung der logischen Kategorie die
ethische unter eine paritätische Forderung gerückt. Diese For
derung bedeutet aber eine fast wundersame Rückkehr zum
Absoluten in der Geschichte - allerdings nicht im Sinne einer
interpretierenden und schwärmerischen Geschichtsmetaphy
sik, sondern als die »Bedingung« eines möglichen Absoluten,
in dessen letzter Erfüllung sich die dialektische Konstruktion
einer heuristischen Erkenntnis mit der Vollwirklichkeit des
epochalen Geschehens zur logischen Deckung zu bringen hätte.
Und eben in Ansehung des logischen Primates weist die Forde
rung nach dem »Inhaltlich«-Absoluten der Geschichte, richti
ger dessen Erhoffung, darauf hin, daß solche Absolutheit nicht
der Logos ist, nicht der Logos sein darf, denn der steht am An
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fang, wohl aber - und dies mag über den hier geschaffenen lo
gisch-historischen Bereich hinaus gelten - das absolute Ethos
eines zur Theosis gesteigerten sittlichen Handelns.
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innerhalb des Logischen als eine Absolutheit, wenn auch nicht
unbedingt »höherer Ordnung« wirken können, so darf dieser
Rcchtsgrund nicht aus der »Anhebung« der geschichtlichen
Erkenntnis in der empirischen Wirklichkeitsentdeckung ge
schöpft werden, sondern hätte als eine innerliche Notwendig
keit aus der methodologischen Funktion des Logischen selber
hervorzugehen, müßte aus der Not des Logos selber geboren
werden. Denn die Dignität des Absoluten, die dem Logos inne
wohnt, muß, will sie es sein, die Kraft besitzen, ihre Insuffizienz
selber aufzuweisen: auch Gott muß dasjenige, was ihn aufhebt,
selber schaffen können.
Die Parallelität ist offenkundig: gleichwie alle logische D e
duktion in der »Erfahrung anzuheben«, nicht aber in ihr ihre
»Ursache« zu nehmen hat, sondern sich in der ethischen Auf
gabe definiert, jene Erfahrung logisch »möglich« zu machen,
ihre »Bedingungen« aufzudecken, kurzum an ihr den reaktiven
Weg ihrer Kausalierung auszubauen, so muß hier zur Lösung
der methodologisch-historischen Aufgabe vor allem die Mög
lichkeitsbedingung für die empirische Wirklichkeit aus der Ge
samtfunktion des Logischen heraus verstanden und festgestellt
werden.
Die Frage nach der Vorbedingung der überindividuellen Gel
tung als dem Verständnis zwischen Mensch und Mensch (und
damit auch zwischen Forscher und historischem Subjekt) führt
unmittelbar auf den Begriff der Wirklichkeit. Denn wenn ein
solches Verständnis in der Übereinstimmung der kausalieren-
den Reihen gesehen werden darf, mit welchen die Individual
wirklichkeiten bejaht werden, so können diese kausalierenden
Reihen nur zum Schnitt gebracht werden, wenn die Wirklich
keiten zusammenfallen, wenn die beiden Individuen eine ge
meinsame Wirklichkeit besitzen. Verständigung heißt gemein
same Beweisgründe anerkennen, d. h. irgend etwas anerken
nen, was von beiden Teilen als logisch »wirklich« angenommen
wird: erst an einer gemeinsamen Wirklichkeit als letztem Nen
ner können Gründe »bewiesen« und damit Verständnis erzielt
werden. Erst auf der Basis einer gemeinsamen Wirklichkeit
können die Einzelindividuen, soferne sie ihre Kenntnis vonein
ander nicht auf eine irrationale, telepathische Intuition be
schränkt haben wollen, für einander existent werden. Die ge
meinsame Wirklichkeit ist immer als das Prinzip des rationalen
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Zwischengliedes zwischen Wirkung und Gegenwirkung, Pro
duktion und Rezeption zu denken. Darauf beruht alle natur
wissenschaftliche Hypothetik, aber auch die logische Notwen
digkeit für die historische Erkenntnis, ausschließlich auf die
Kategorie der Wirklichkeit zu rekurrieren und, von jeder intui
tiven »Einfühlung« hinweg, das historische Verständnis des
Nachbarmenschen, der eben hier der geschichtliche ist, auf das
Auffinden seiner kausalierbaren Wertwirklichkeit zu be
schränken, ein Resultat, das im übrigen sich in der Verweisung
der ethischen Forderung auf die »Definition« ihres Wertzieles
bereits einmal formuliert hat.
Hier allerdings sagt es mehr. Durch die Agnoszierung der em
pirischen Wirklichkeit als das rationale Zwischenglied für das
Verständnis von Mensch zu Mensch, als die gemeinsame Basis
für die Funktion der überindividuellen Geltung, wird auch aus
gesprochen, daß sie für jedes einzelne Individuum, also eben
sowohl für das historische Subjekt als für den Forscher, als ein
Teil ihrer Wertwirklichkeit zu gelten hat. Was für den histori
schen Menschen lebendiger Wert war, muß nun, als aufge
fundene empirische Wirklichkeit, für den Nachgeborenen noch
immer lebendiger Wert oder zumindest logische Möglichkeit zu
einem solchen sein. Da nun aber der logisch-historische Bereich
soweit reicht, als das logische Verständnis zwischen Forscher
und historischem Subjekt konstruiert und hypostasiert werden
kann, so ist zu folgern, daß dieser Bereich seiner ganzen Aus
dehnung nach auf einer gemeinsamen, überall und immer le
bendigen Wertwirklichkeit all seiner Mitglieder, also hier der
ganzen historischen Menschheit, aufruht und in ihr fundiert ist:
es gibt keine absolut wertfremde Kultur, sie wäre sonst über
haupt nicht vorhanden, wie es eben innerhalb des Historischen
auch keine absolut wesensfremde Logizität gibt. Das heißt aber
nichts anderes, als daß die Wirklichkeitskategorie in Ansehung
ihrer historisch-methodologischen Mission in der gleichen
Weise und in der gleichen Tragweite zu absolutieren wäre, wie
es mit dem Logos und dem Ethos eben bereits geschehen
konnte.
Was aber bedeutet die Möglichkeit einer solchen Absolutie
rung? Hebt man sie aus der materialisierten Sphäre der über
individuellen Geltung in eine rein idealistische Projektion, so
scheint ein Weg von der kollektiven Wertwirklichkeit zur
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»wahren«, zur absoluten angebahnt. Doch für das näherlie
gende und hier auch einzig wesentliche methodologische Inter
esse besagt die Absolutierung der Wirklichkeitskategorie, daß
diese innerhalb der idealistischen Position vom Ich losgelöst
gedacht werden kann, da ja die Absolutierung in der Loslösung
von jeder Abhängigkeit besteht, und daß sie nunmehr dem Ich
als eine reine und in sich geschlossene »Wirklichkeit an sich«
gegenüberzustellen wäre. Hieraus aber ergibt sich die eigen
tümliche und fruchtbare Problematik der Gesamtkonstellation.
Denn gleichwie innerhalb der Position des kritischen Idealis
mus sich jene merkwürdige Antinomie zwischen empirischer
und Wertwirklichkeit manifestierte, zu deren Überbrückung
der Begriff der ethischen Forderung aufgestellt werden mußte,
so ergibt sich hier der Zwang, die Wertwirklichkeit, die doch
nur als Ich-Setzung verstanden und definiert werden kann, aus
dieser unlösbaren Korrelation mit dem Ich heraus zu lösen und
wiederum einen antinomisch-oppositionellen Sachverhalt zu
statuieren.
Jede Antinomie ist hoffnungslos, wenn sie ontisch-metaphy-
sisch aufgefaßt wird. Auch hier handelt es sich nicht darum, die
Wirklichkeit aus ihrer funktionellen Abhängigkeit vom akti
ven, wert-setzenden Erleben ontologisch abzulösen, wohl aber
um die ideelle Ablösung innerhalb der reaktiven Kausalierung.
Für diese aber kommt, der vorausgesetzten idealistischen
Werterfülltheit gemäß, an dieser Stelle nur mehr der Wertbe
griff als übergeordnete, sinngebende Kategorie in Frage, oder,
wenn man den »Wert« solcherart nicht als eine neuerliche ab
solute Instanz einführen will, der Logos in seiner Wertfunktio
nalität, durch die es erst möglich war, die Wirklichkeit als Wert
wirklichkeit zu nehmen und die dazwischenliegende antino
mische Kluft durch das ethische Prinzip zu überbrücken.
Damit dürfte der entscheidende methodologische Faktor ein
gesetzt sein. Der Begriff des Methodologischen ergibt sich aus
der Allgemeingültigkeit des Logos, die es stets ermöglicht, die
logisch-dialektischen »Vorbedingungen« des metaphysischen
Verhaltens zu »objektivieren« und eine Apriorität in empiri
sche Relationen zu tragen, die sonst eben von allen positivisti
schen Zufälligkeiten abhängen würden. Das wird hier sofort
klar: ist nämlich das Logische an seine Wertfunktionalität ge
bunden, dann muß diese Wertfunktionalität überall dort a
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priori vorhanden sein, wo das Logische als solches in Wirksam
keit steht - hier also im Akte der kausalierenden und setzenden
Bejahung der Wirklichkeit durch das Wertsubjekt. Obwohl da
her eigentlich der Wertbegriff erst aus dem Akte der setzenden
Bejahung hervorgeht, obwohl er aus ihm erst a posteriori zu de
duzieren war, so erscheint dennoch für den Akt der Setzung
selber - eben dadurch, daß er infolge seiner Logizität objekti
viert werden konnte - eine apriorische Geltung des Wertes
statuiert: »bevor« (logisch nicht zeitlich) noch irgendein Wert
gesetzt ist, muß der Akt der Setzung wert-orientiert sein, oder
m. a. W. da es sich um einen »Akt« handelt, so muß dessen
Form, »bevor« sie noch wert-erfüllt wird, bereits den Wertbe
griff kategorial beinhalten, d. h. bezogen auf das Subjekt des
Aktes ein »Wertverhalten« manifestieren.
Es ist klar, daß das Problem der aktualen Wertkategorisierung
nicht allein steht, sondern in jenes allgemeine logische Katego
rienproblem fällt, welches mit der Frage nach der Möglichkeit
von Aprioritäten außerhalb der Ur-Apriorität des Logos als
leerer und neutraler Setzungsevidenz sich präzisiert und dessen
methodologischer Kern (von dem hier eingenommenen Stand
punkt aus gesehen) mit der Frage nach der Möglichkeit des
»Eingehens« und Immanent-Seins von objektivierenden »Ur
teilen über das Urteil« im inhaltlichen (und historisch-subjekti
ven) Urteil selber zu heben wäre. Letzten Endes fällt dieser
Komplex der »Apriorisierung von Aposterioritäten« in die
klassische »Möglichkeit synthetischer Urteile a priori« 39, und es
wird selbstverständlich weder gemeint, noch prätendiert, dieses
letzt-allgemeine Problem in solchem verengten Rahmen zur
Entfaltung zu bringen. Für die Aufgabe der Geschichtser
kenntnis genügt es festzustellen, daß es bei allen Apriorisierun-
gen und Absolutierungen - sowohl des Logos als jedes anderen
Begriffes - darauf angekommen ist, die Gefahren der Identi
tätsphilosophie zu vermeiden und das transzendente dritte
Reich festzuhalten, d. h. durch die logische Scheidung von Ich
und Non-Ich40, oder wenn man will von noumenalem Ich an
sich und noumenalem Ding an sich die unbedingte »Vorbedin
gung« aller möglichen Erfahrung niemals zu vergessen.
Akzeptiert man dies und wendet man - unter Auswechslung
des logischen Vorzeichens - den objektivierenden Sachverhalt
ins »Subjektive« zurück, so heißt dies fürs erste, daß er vom
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Subjekte, vom Ich aus, in der gleichen Weise zu »sehen« und
zu bejahen ist, wie er objektiviert und unpersönlich von der
»Untersuchung« aus gesehen wurde. Die Auseinanderhaltung
von Ich und Non-Ich hat also nicht nur in ihrer objektiven, ge
meinsamen Betrachtung zu bestehen, sondern auch für das Ich
als Bewußtseins-Subjekt, das sich mithin neben seinem eigent
lichen Bewußtsseinsobjekt, dem Non-Ich, selbst zu objektivie
ren hat. Und ebenso bestehen die beiden Alternativ-Absolu-
tierungen, die sich aus der Auseinanderhaltung und Objekti
vierung der beiden Pole ergeben haben, nunmehr auch für das
Subjekt zu Rechte: nämlich die Absolutierung des Ichs als
wert-setzende Aktion auf der einen Seite, die Absolutierung
des Non-Ichs als in sich geschlossene Wertwirklichkeit auf der
anderen.
Werden nun die beiden Alternativ-Absolutierungen antino
misch gegeneinander ausgespielt, wie dies eben im Laufe der
Untersuchung geschah, so würde die Diskrepanz solcher Anti
nomie unüberbrückbar sein, wenn der Wertbegriff lediglich in
jener aposteriorischen Form vorhanden wäre, in welcher er ab-
solutiert wurde. Da er aber über dem Wege der Objektivierung
im Begriffe des »Wertverhaltens« zu seiner notwendig logi
schen Aprioritätsgeltung gebracht werden konnte, so verlegt
sich der Schwerpunkt der Lösung vollkommen in das »Verhal
ten« des Subjektes zu den vorgegebenen beiden Wert-Alterna-
tiven. Und konnte nun bei vorgegebener Absolutierung der
»Aktion« in der »Forderung« an das Subjekt, »Wertwirklich
keit zu schaffen«, die eine Lösungsmöglichkeit aufgewiesen
werden, so geht nun die Frage dahin, ob bei vorgegebener Ab
solutierung der Wirklichkeit ein Verhalten des Subjekts mög
lich sei, dem eine ähnliche Funktion zukommen könne. Diese
Möglichkeit ist logisch vorhanden und zwar dann und nur dann,
wenn die vorgegebene Wirklichkeit als Wertwirklichkeit sei
tens des Subjektes zu »bewerten« ist.
Denkt man sich nämlich das Ich vor einem Objekte, welches
ihm gegenüber vollkommen absolutiert ist, also in vollkomme
ner Abgeschlossenheit und Isolation ihm gegenübersteht,
nichtsdestoweniger aber, im Sinne der notwendigen Vorausset
zung, für ihn »Wert« sein soll, und fragt man nach den Möglich
keiten eines »Verhaltens« des Ichs gegenüber diesem radikalen
Non-Ich, so bleibt nur eine logische Möglichkeit: die der »Be-
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Wertung«. Hält man weiter daran fest, daß jenes absolutierte
Objekt in sich abgeschlossen, also ruhend sei, so daß sich inner
halb seiner nicht noch Nebenobjekte, wie »Bewegung«,
»Zweckmäßigkeit«, kurzum interne Beziehungen der »Bewer
tung« darbieten (womit natürlich nicht gesagt ist, daß solche
Nebenobjekte nicht gleichfalls »an sich« und ruhend aufzufas
sen sind), und fragt man, welcher Bewertungsschlüssel dem Ich
gegenüber solch ruhender Abgeschlossenheit des Wertes noch
übrig bleibt, so gibt es nur einen: schön oder häßlich.
Gegenüberder »ethischen« Forderung, deren Wertskala »gut
oder schlecht« gleichfalls aus ihrer Objektivierungsmöglichkeit
herstammt, da sie objektiviert als dynamische und teleologische
Beziehung zwischen zwei Dingen überhaupt zu nehmen war -
erhebt sich die »ästhetische« Bewertung (die also ja nicht mit
der aposteriorischen, kausalierenden Wertverleihung ver
wechselt werden darf). Man wende nicht ein, daß sich die bei
den Kategorien überschneiden, daß man ebensowohl von
»ethischer Bewertung« und »ästhetischer Forderung« sprechen
könne. Denn es ist leichthin nachzuweisen, daß der Begriff der
Bewertung innerhalb des Ethischen den der Forderung voraus
setzt, daß also eigentlich nur die »an sich« genommene Forde
rung bewertet, und zwar ästhetisch bewertet wird, oder die Ge
ste der ethischen Handlung zum ästhetischen Objekt erstarrt,
und daß ebenso die »ästhetische Forderung« einfach nichts an
deres als eine ethische, angewandt auf eine Tätigkeit mit ausge
sprochen ästhetischen Zwecken [, darstellt]. »Forderung« und
»Bewertung« sind korrelative, aber streng zu scheidende Es-
sentialien der apriorischen Wertkategorialität und erst von hier
aus, erst aus diesem methodologischen Aspekte wird es klar,
daß die Begriffe vom »Ethischen« und »Ästhetischen« über
haupt mit der Wertkategorie in Verbindung gebracht werden
dürfen und eine logisch-notwendige Zerspaltung derselben
darstellen. Wie hoch das psychologische Gefasel einzuschätzen
ist, das die Wertkategorien auf ästhetische oder ethische »Erre
gungen« oder andere Verdauungsschwierigkeiten zurückfüh
ren will, geht aus dem Gesagten von selbst hervor.41
Mit der Aufstellung des Begriffes vom ästhetischen Werte für
die absolutierte Wirklichkeit wird aber nun auch deren Funk
tion innerhalb des historischen Gebietes klar. Konnte festge
stellt werden, daß alle Aktion des Ichs (womit auch seine kau
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salierende Reaktion gemeint ist) unter die ethische Forderung,
alle Resultate »an sich« solcher Aktion unter die ästhetische
Bewertung zu systemisieren sind, fügt sich solcherart zum Be
griff des (dynamisch-verbalen) ethischen Handelns, der der
(statisch-substantivischen) ästhetischen Erfüllung, so reiht sich
für die Geltungssphäre des Historischen zu der Absolutierung
des ethischen Geschehens die Absolutierung der ästhetischen
Wirklichkeit, neben die ethische Absolutheit Fichtes die ästhe
tische Schellings. Allerdings nicht im ontisch-metaphysischen
Sinne.
Es ergibt sich als wesentliches Resultat: die empirische Wirk
lichkeit ist für die historische Erkenntnis insoweit absolut, d. h.
überhaupt existent, insolange sie als ästhetischer Wert genom
men werden kann, gleichwie das menschliche Handeln nur in
soweit historisch ist, als es den ethischen Wert repräsentiert.
Das Ästhetische ist das Absolute in der historischen Wertwirk
lichkeit, gleichwie das Ethische das Absolute in der historischen
Wertsetzung ist: beide Kategorien aber sind überschattet und
getragen vom Primate des Logos, der den historischen E r
kenntnisbereich schuf und ihn ermöglicht, doch auch die Gren
zen seiner Konstruktion und Geltung ihm absteckt.
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klärenden Beantwortung in der Beschreibung jenes Non-Ichs
weist. V order Wirklichkeit des Non-Ichs als existenter, univer
saler Gegenstand an sich, der sowohl die naive Dingwirklichkeit
umfaßt als auch jedes geformte Denkresultat als neue Wirk
lichkeit in sich aufnimmt, ist das Erkennen, wissenschaftliches
oder unwissenschaftliches, - denn in der Eindeutigkeit der
idealistischen Position gibt es auch nur ein einzig-eindeutiges
Erkennen (oder eben Nicht-Erkennen) - stets und überall on-
tisch-metaphysisch orientiert - es gibt nur ein metaphysisches
Erleben! - und in dem Zwange, ausschließlich in der Beschrei
bung des Vorgefundenen »Gegenstandes«, sei er nun materiel
les oder Gedankending, dessen plausibilisierende Erklärung zu
suchen, in dieser absoluten und universalen Abhängigkeit vom
»Pathos der Erfahrung«, ist im weitesten Sinne (allerdings nicht
in dem Comtes) das Erkennen positivistisch, ja vielleicht sogar
materialistisch zu nennen. Denn eben der idealistische Blick auf
das Non-Ich, eben seine Anstaunbarkeit als etwas Daseiendes,
Existentes (wobei die Existenzqualität aus der Evidenz der ei
genen materiellen Existenz des Ichs gewonnen wird), oder, nai
ver gesprochen, eben der primäre, staunende Blick auf die Welt
als dinglich-sinnliche Welt, legt es nahe, daß in der Vielfalt der
Wirklichkeitsqualitäten, in denen der Gesamtkomplex der
»wirklichen Dinge« des Non-Ichs zur Manifestation gelangt,
eine einzige Grundqualität der Wirklichkeit und zwar die der
substantiellen, materiellen Existenz gemeint wird, von der alle
anderen Wirklichkeitsqualitäten ~ etwa die des Gedankendin
ges - bloß abhängige Abstraktionen darstellen. D. h.: in dem
empirischen Verhältnis, in dem die idealistische Erkenntnis
funktion zu dem Non-Ich und das in der Materie der Erkennt
nis, also dem Non-Ich, auch alle ihre Definitionsargumente als
immanent vorhanden annimmt, muß als Ur-Materie die sub
stantielle Wirklichkeit angenommen werden, zu der die »Ge
dankendinge« als ihre abstrahierenden Derivate nachträglich
hinzugetreten sind. Materie der Erkenntnis und substantielle
Wirklichkeit fallen daher unter diesem Aspekte identisch zu
sammen, ein Resultat, das in der bekannten (von Kant inaugu
rierten) eigentümlichen Korrelation zwischen kritischem Idea
lismus und Naturwissenschaft eindringlich hervortritt. Denn
gerade die Naturwissenschaft ist in allen ihren Gliedern aus
schließlich und überall das, worauf es hier ankommt, nämlich
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Definition der Substanz, und die ihr innwohnende, aufgezeigte
empiristische Problematik kommt in ihrem mathematischen
Gehalt klar zum Ausdruck. Wenn daher die historische Kardi
nalfrage »Wie begreift der historische Mensch seine Wirklich
keit?« nunmehr in die kognitiv-idealistische Blickrichtung ge
stellt werden soll, so ist es offenkundig, daß dies nur in
Übereinstimmung mit dem idealistischen Begriff des »Begrei
fens« und der idealistischen Anschauung von der »Wirklich
keit« erfolgen kann. Oder m. a. W.: die Beantwortung der hi
storischen Kardinalfrage ist von diesem eingeschränkten
Standpunkt aus, und allerdings nur von diesem, in der Ge
schichte des Substanzproblems zu suchen.
Oder richtiger: was erkennt der historische Mensch als natur
wissenschaftliche »Wirklichkeit« an? welche Definitionen aus
den im Substanzbegriff immanierten Definitionsargumenten
hebt er heraus, daß sich seine »Wirklichkeit« von irgendeiner
anderen unterscheide? denn damit es eine »Geschichte des
Substanzbegriffes«, also ein Geschehen überhaupt gebe, müs
sen vor allem Differenzen zwischen den einzelnen Stadien der
Geschichte konstatierbar sein.
Eine erzählende Geschichte der Naturwissenschaften würde
zu diesen Fragen lediglich Illustrationen liefern; in diesem
Sinne bringt es der engere Positivismus historisch - Dilthey ein
Beispiel - auch immer nur zu einem, manchmal bewunderns
würdigen, Torso einer gigantischen Illustrationssammlung -
hier aber kommt es, wie überall für die logisch-historische Auf
gabe, darauf an, zur empirischen Illustration die logische Fabel
zu konstruieren, m. a. W. danach zu fragen, ob und unter wel
chen Bedingungen eine solche Differenzierung der naturwis
senschaftlichen Wirklichkeiten überhaupt logisch möglich sei.
So paritätisch nun auch die empiristischen Definitionsargu
mente im Substanzbegriff eingelagert scheinen mögen, so wei
sen sie dennoch, eben bereits in ihrer empiristischen Fassung,
die Möglichkeit einer solchen Differenzierung auf: und zwar in
dem Faktum der »Wirklichkeitsqualitäten«. Der idealistische
Empirismus hat wohl in allen »Gegenständen«, materiellen
oder Gedankendingen, »Phänomene« gleicher Wirklichkeits
qualität zu sehen, doch wird diese Parität sofort aufgehoben,
wenn der Erkennens-Akt, wie es eben geschieht und bei der
angenommenen Universalität des Empirischen geschehen muß,
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in den empirischen Bestand projiziert wird. Denn in dem Au
genblicke, da ein Wirklichkeitsinhalt als Erklärung und Er
kenntnis eines anderen gelten soll, da also solcherart ein Ver
hältnis geschaffen wird, das zwischen den beiden Inhalten eine
logische, wenn nicht zeitliche Abfolge voraussetzt, so wird da
mit auch schon das Problem der ersten logischen Geltung, das
der primären logischen Wirklichkeit, kurzum das Aprioritäts-
problem aufgeworfen. Die Apriorität der Definitionsargu
mente innerhalb der substantiellen Wirklichkeit wird in Frage
gestellt. Allerdings besagt dies noch nicht stringent, daß sie
ohne weiters aus dem Non-Ich in das Ich hinübergeleitet wer
den dürfe, noch viel weniger also, daß diese durchaus metaphy
sische Verschiebung sich als eigentliche und strenge Basis des
Idealismus geriere. Denn das Entweder-Oder, das mit einer
solchen Auffassung - es ist die des engeren (vornehmlich
Riehlschen42) Kritizismus - zwischen Ich und Non-Ich aufgetan
wird, statuiert nicht nur die vollkommen unsinnige Antiposition
zwischen Positivismus und Idealismus, sie übersieht nicht nur,
daß zur Aufstellung dieser Antinomie die idealistische Position
die erste Voraussetzung war, sondern sie muß nun auch zur Lö
sung dieser Antinomie das Wesen der »Entwirklichung«, die
nunmehr als einzige Basis des Idealistischen gelten soll, ver
kennen und einseitig auslegen. Es ist eine Auffassung, nach der
folgerichtig die »kopernikanische Wendung« bereits bei den
Engländern43 eigentlich vorhanden wäre und die die philoso
phische Arbeit, eben in Überschätzung der einseitig genomme
nen »kopernikanischen Wendung«, zu deren steten Wiederho
lung bis zur sterilen Rotation verdammt. Die extremsten
Einwände der Phänomenologie bestünden hier zu Rechte. Das
Problem der metaphysischen »Entwirklichung« hat aber - und
dies ist auch für unsere Diskussion wichtig - nicht als Grund
lage, sondern als Folge der idealistischen Position ihre Be
rechtigung und ihre Bedeutsamkeit. Der Idealismus in seiner
platonischen Form ist an und für sich evident: die »wissen
schaftliche«, man könnte hier sagen materialistisch-aristoteli
sche Arbeit der kritizistischen Entwirklichung ist ihm notwen
dige Ergänzung zur rationalen Durchdringung des Weltbildes
mit seinem Impulse - sie ist sein Negativ, das ohne Korrelation
mit dem Positiv sinn- und zwecklos wäre.
Der Schwerpunkt liegt im Funktionalismus der Definition,
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d. h. also in dem - übrigens noch durchaus empiristischen -
Phänomen, welches es gestattet, die statische Parität der Defi
nitionsargumente in, immerhin nur dynamisch zugängliche,
Wirklichkeits-»Ordnungen« zu bringen. Denn dieser Funktio
nalismus konstituiert sich sofort in der Grundform aller »Ord
nung«, nämlich als »Reihe«, an deren Anfang die Ur-Frage
»Was ist das?« steht, und die sich in stetig wiederholter Anwen
dung auf die erste wie auf jede folgende Antwort insolange
fortsetzt, bis sie auf eine Antwort, also eine derivierte Sub
stanzdefinition von derartiger Evidenz und Apodiktizität stößt,
daß der dazugehörige Definitionsinhalt als evident »wirklich«
angenommen werden kann. Man kann von einer reihenweisen
Weiterwanderung des »Axiompunktes« sprechen, der bei
spielsweise beim Wilden oder beim Kinde in den Sinnestäu
schungen, bei Newton dagegen in dem Glauben an die Realität
d er F e r n k rä fte zu lokalisieren wäre.
Wird nun angenommen - und damit münden wir in der enge
ren idealistischen Terminologie - , daß jede Definition, wie ja
gefordert wurde, plausibilisierend-erklärende Tendenz besitze,
daß also jede Frage »Was ist das?« - und dies wird noch deutli
cher, wenn sie bereits auf eine geformte Antwort, also selbst auf
eine »Beziehung« angewendet wird und damit terminologisch
sich zum »Warum?« wandeln muß - der logischen Möglichkeit
gilt, unter welcher das gefragte Objekt überhaupt existent wer
den konnte, oder, um mit naiveren Abstraktionstheorien zu
sprechen, daß jede Definition das »Unbekannte« auf das »Be
kannte« zurückzuführen hätte (und damit eben logisch möglich
zu machen), so ist es klar, daß sich eine solche plausibilisierende
»Be-Wahrheitung«, die damit in den Mittelpunkt der naturwis
senschaftlichen und Begriffsbildung überhaupt gestellt wird,
daß eine solche Bewahrheitung einer sich ihr darbietenden, sa
gen wir Erlebens-Wirklichkeit nur dann erfolgen kann, wenn
ihre Definitionsstruktur in eine Wahrheitsrelation (als dem
apriorischen und damit idealistisch gedachten Bekannten) ein
gebunden wird. Die Ordnungsreihe, die durch ihr Movens des
»Warum?« die kritische Reihe genannt werden kann, zeigt sich
innerhalb dieses Sachverhaltes als eben die induktive alles Er-
kenntnisfortschreitens: von dem hypothetischen Grenzfall der
nackten, sozusagen materialen Verite de fait ausgehend, muß
schon ihr nächster Schritt (unter Verwandlung des »Was ist
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das« in das »Warum«) zu einer verite de raison führen, d. h.
zu einer Definition höherer logischer Verbundenheit, und die
ses logische Geflecht muß sich notwendig mit jedem neuen
Schritte, jeder neuen Antwort, soll diese stichhaltiger, logisch
bedeutsamer werden, immer weiter auseinanderfalten, um sol
cherart im unendlichen Regressus den Begriff und den Gel
tungsbereich des Logos an sich zu erreichen: der metaphysische
Axiomspunkt ist in die logische Unendlichkeit gerückt.
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eine plausibilisierende Definition, welche sich auf der autono
men Wertbetontheit des Subjektes gründe, lediglich einen der
Unkontrollierbarkeit dieser Wertsetzung und des Erlebens
entsprechenden Definitionsgehalt geben könne. Aber darauf
kommt es gar nicht an. Es handelt sich nirgends um den Inhalt
der Definition, sondern um die »Bedingungen von Möglichkei
ten«, die aus ihrem Dasein abzuleiten sind, kurzum um ihr
funktionales Verhalten: und dieses ist im Sinne der Wertbe
tontheit des zu definierenden und zu kausalierenden Erlebnis
inhaltes eine Forderung an den »guten Willen« des erlebenden
und wirklichkeitsetzenden Wertsubjektes: wer sein Erlebnis
definiert hat, hat dieses auch gewollt und wehe ihm, wenn er es
auch nicht hätte fordern können.
Damit erscheint die Aufgabe desjenigen, der eine Zeit aus ih
rer Wirklichkeit heraus verstehen will, präzisiert: er muß das
Ethos zu verstehen trachten, aus dem heraus diese Wirklichkeit
gesetzt und logisch plausibel werden konnte. Diese Aufgabe, in
der Richtung mit der Diltheys übereinstimmend, geht dem
Umfang nach über diese hinaus; das Psychologische erweitert
sich zum Ethisch-Logischen und erhält in ihm letzte Fundie
rung. Denn der Begriff der Forderung, wie er sich uns hier aus
dem der Wertwirklichkeit und ihrer Bejahbarkeit und ihrem
Bejahungszwang ergibt, ist ein ethischer, sofern wir unter ethi
scher Forderung eine jede verstehen wollen, die sich auf die
formale Reinheit des guten Willens, der das Werk um des Wer
kes willen erstrebt, bezogen wissen will. Wo es sich aber um in
haltliche Forderungen handelt, da geht die ethische Forderung
in eine moralische über.
Allerdings: der Begriff der ethischen Forderung ist an sich
schon ein Inhalt, so gut wie die Forderung wahr zu sprechen
schon eine inhaltliche ist, obwohl sie vom Wahrheitsinhalt als
solchem unabhängig ist. Die »Bedingung der (logischen) Mög
lichkeiten« ist an sich schon Inhalt, und sieht man den Grund
satz des »Wertes um des Wertes willen« daraufhin an, so muß
sich eben die Bedingung für die Struktur jeder ethischen For
derung ergeben. Besinnt man sich hiebei, daß diese Forderung
aus der Notwendigkeit der Geltungsverleihung entspringt,
diese aber ein (rationales oder irrationales) Kausalieren des
Geschehenen resp. der gleichzeitig geschehenden Wert- und
Wirklichkeitssetzung darstellt, besinnt man sich, daß Kausalie-
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ren eine kritische Tätigkeit ist, die eben nach dem Grunde fragt
und nichts dogmatisch annimmt, besinnt man sich, daß die For
derung stets auf den guten Willen gerichtet ist: so erscheint es
notwendig, daß dieser gute Wille, welcher sowohl das Werk
setzt als seine Kausalierung in sich begründen muß, vor allem
das Dogmatische ausmerzt, d. h. nichts Fremdes und von außen
Begründetes dem Werke einverleibt, sondern dieses in seinem
eigenen Geltungsbereiche erstellt und fundiert. Die Spontanei
tät und Identität von Setzung und Begründung des Wertes
kommt im Problem der ethischen Forderung zur lebendigen
Geltung. Wo immer die Wertsetzung - und hier wird das In
haltlose eben inhaltlich, das autonom-Relativistische absolut -
nicht »rein« ist, d. h. nicht selbst Setzung ist, sondern einfach
schon irgendwie Vorgegebenes mit den Allüren neuer Setzung
zu setzen vorgibt, wo immer sie also Werte a posteriori (das gilt
nicht nur zeitlich, sondern dem logischen Geltungsbereich
nach) als Setzungsakt in sich aufnimmt, dort wird sie in der
gleichzeitigen Kausalierung dieses Tuns nicht mehr Gründe für
dieses aufzeigen können, sondern muß Gründe eines fremden
Geltungsbereiches als ihre eigenen dogmatisch akzeptieren.
Diese dogmatische Akzeptation ist aber die Sünde an sich: das
Radikal-Böse des Unschöpferischen, die Entgöttlichung des
Menschlichen: die Faulheit des Geistes.
Die Reinheit des guten Willens im Begriffe des »Werkes um
des Werkes willen« fordert aber ihrerseits die Feststellung des
reinen Geltungsbereiches, auf welchen er sich zu beziehen hat,
m. a. W. die Definition des Wertzieles. Ergab sich aus der Au
tonomie des wertsetzenden Individuums die ethische Forde
rungais Folgebegriff aus der der kausalierenden Definition des
Geschehenen, so kehrt sich von hier aus dieses Verhältnis um,
und der Forderungs- und Sollensbegriff verlangt nach der Defi
nition des zu Geschehenden als seine ihm notwendige Struktur
komponente. Denn jede Forderung (sei sie nun ethisch, mora-
lisch-utilistisch oder sonstwie genommen) fällt, wenn sie
objektiviert genommen wird, was nunmehr geschieht, in eine
allgemeinere logische Kategorie, nämlich die der »Bewegung«,
aus der sie daher ihren logischen Strukturaufbau zu beziehen
hat. Es gibt keine wie immer geartete »Forderung«, die sich
nicht auf eine relationsmäßige Bewegung, kurzum [auf das]
Verhältnis des Ichs zu irgendeinem anderen Dinge bezieht.
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»Bewegung«, »Relation« oder wie man diese Kategorie sonst
wie nennen wolle, ist aber stets fluktuierend, verbal und damit
irrational; ein Verbum als solches genommen sagt nichts aus -
es muß von einem Ding aussagen. Soll also die Relation nicht
in der Luft hängen, soll nicht die Forderung in skeptischer Re
lativität oder unsinniger Dogmatik suspendiert bleiben, mit ei
nem Wort, soll die Bewegung definiert, die Relation begründet
werden, dann müssen die Relativanten, an denen sich die Be
wegung manifestiert, ins Bild treten, Gestalt annehmen und de
finiert werden können. D. h. auf die ethische Forderung als sol
che bezogen, daß sie in ihrem verbalen Charakter in einer
unlöslichen logischen Koordination mit ihrer substantivischen
Erfüllung steht und mit ihr eine autonome Gültigkeit bildet, die
wohl als solche noch als relativ angenommen werden mag, in
nerhalb des logischen Seins des absolut vorhandenen Ichs (um
dessen Aktivität es sich übrigens in jedem Ethos handelt) aber
zur Apodiktizität maximaler »wissenschaftlicher« Richtigkeit
strebt, lediglich abhängig von der logischen Rigorosität des rei
nen Willens, unter welchem die Analyse des zu erfüllenden
substantivischen Begriffes und rationalen Phänomens vorge
nommen werden kann. Mit anderen Worten: die Begründung
der Forderung identifiziert sich mit der Analyse des Wertzieles.
Die Zentrierung des Problems im Zwang zur Definition des
Wertzieles löst aber nun - eben von der anderen, objektivierten
Seite kommend - neuerdings das inhaltliche Moment der ethi
schen Forderung auf. Denn erscheint vor dem kritischen Den
ken der Begriff des (zu definierenden) Dinges an und für sich
schon metaphysisch in einen Schnittpunkt von Relationen,
resp. gesetzmäßigen Zuordnungen verwandelt - worüber spä
ter noch zu sprechen sein wird - , so erscheint die logische Funk
tion der Definition, auf die es hier ankommt, denn sie bildet die
eigentliche Struktur der Forderung, auch an sich, sagen wir
Ding-abweisend. Es gibt keine Definition von Wesenheiten:
auch die phänomenologische Analyse vermag nur in negativer
Setzung, d. h. einschränkend, umgrenzend und eliminierend
vorzugehen, nach dem Schema »Blau ist nicht schwarz, nicht
rot, nicht weiß etc. etc.«; eine wesenhafte Definition von Blau
ist nicht zu geben.
Überträgt man aber diese Struktur auf die ihr identische und
in ihr begründete der ethischen Forderung, so begreift man, daß
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diese, wo sie inhaltlich, also moralisch wird, ebenfalls nur in ne
gativer Setzung vorgehen kann und, ihre Wertskala nach dem
Pol des Radikal-Bösen orientierend, ihr Ethos in negativer Set
zung »Du sollst nicht morden« geben muß. Jedes positive »Du
sollst«, abgelöst von dem begleitenden »Nicht« ist ein ödes und
dogmatisches Moralisieren, und selbst die Form des kategori
schen Imperatives muß, soll sie nicht unter dem gleichen Vor
wurf stehen, sondern mit lebendigem Sinn erfüllt werden, von
ihrem logischen Gegenpol her verstanden werden. Die Form
der ethischen Forderung ist ein »Du sollst nicht«, ihre Position
ist das Radikal-Böse; die ethische Skala geht nach abwärts,
nicht nach aufw ärts-es gibt nur einen Sünden-Fall, doch kein
Tugend-Ziel, nur ein Radikal-Böses, doch kein Radikal-Gutes.
Denn nur eine einzige mögliche Haltung des Menschen gibt es,
soferne er göttlich ist, die des guten Willens, und was vom guten
Willen abweicht, ist böse.
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Wertwirklichkeit sich auflöst, dem Ich ohne irgendeine andere
Beziehung gegenübergestellt, so gibt es für das isolierte Ich vor
dem isolierten Ding nur einen einzigen Bewertungsschlüssel:
schön oder häßlich.
Dies mag für den ersten Augenblick paradox klingen, wenn
man an die Mannigfaltigkeit der Wertsetzungen denkt, an die
religiösen, politischen oder ökonomischen Wertvarianten, die,
außer der ästhetischen Geste, nichts besitzen mögen, was im
landläufigen Sinne ästhetisch genannt wird. Aber ganz abgese
hen von der hier offenkundigen Verbindung von praktischer
Vernunft und ästhetischem Werturteil, die hier durchaus im
Kantschen Sinne offenbar wird, kann darauf hingewiesen wer
den, daß jedes Wertziel des empirischen Menschen, wie immer
cs voluntar, emotional oder kognitiv erstrebt wird, sich vorzüg
lich als eine Formung der sogenannten räumlichen Außenwelt
darstellt. Wie immer das Ziel gestaltet sei, politisch, religiös,
ökonomisch, künstlerisch, immer wird es sich darum handeln,
Formungen innerhalb eines Wertmaterials vorzunehmen, des
sen Beziehung zur räumlichen Kategorie jederzeit nachgewie
sen werden kann. Selbst das gewiß im zeitlichen Material einge
schlossene Kunstwerk trägt eben als Zeichen seiner Kunst-
werklichkeit die Umformung des Zeitlichen zum Räumlichen
in seiner Architektonik zur Schau, und das gewiß raumlose er
kenntnismäßige Wertziel gestattet mit dem Augenblicke, da es
mit Hinblick auf die Idee des wertsetzenden empirisch mögli
chen Menschen empiristisch-psychologistisch genommen wer
den darf, sofort, wie bei Lange44, räumliche Ausdeutungen.
Denn die Form des inneren Sinnes ist für den empirischen
Menschen die Zeit, und seine metaphysische Auswirkung ist
daher notwendig an die korrelative Kategorie des Raumes zu
binden.
Es ist hier nicht der Ort, über die außerordentliche Bedeutung
der Raumkategorie innerhalb der Ästhetik zu handeln: es ge
nüge hier der Hinweis auf die außerordentliche, ja merkwür
dige Rolle, welche eine so unernste und, etwa mit Hinblick auf
den religiösen Grundwert, geradezu verächtliche Beschäfti
gung, wie die, die mit der bildenden Kunst für die Charakteri
sierung eines Zeitalters und seiner Kultur spielt, speziell welch
prominenten Platz die Architektur innerhalb des Kulturganzen
einnimmt, um zu verstehen, daß die Erkenntnis der ethischen
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Forderung, die für uns zur Erkenntnis der Zeit werden soll, in
ihrer Präzisierung vom Forderungsziel und seiner Definition
aus notwendig im ästhetischen Phänomen, als reinem Ausdruck
des Schöpferischen, einen Verankerungspunkt suchen muß,
wie denn auch der ethische Grundsatz vom »Werk um des Wer
kes willen« im Ästhetischen seine erste praktische Inkarnation
als »hart pour Part« gefunden hat.
Wenn daher die Erkenntnis dieser Zeit ihr ästhetisches Phä
nomen als Symbol voranstellt, so soll damit also nicht der Tape
ziermeinung beigetreten werden, welche vom ästhetischen
Werturteil aus ein Verhältnis oder gar ein Verständnis irgend
einer Epoche zu besitzen glaubt, wie etwa der erwachsene van
de Velde, wenn er vom »Feste der modernen Schönheit«45
schwärmt und sich dabei über ein »Ästhetentum« erhaben
dünkt, das wie das Gerhard Knoops46 oder Hofmannsthals47
(sowenig die beiden sonst miteinander zu tun hätten) mehr
rückwärts gewendet ist. Das Ästhetische einer Epoche hat hier
keinerlei Interesse, ob es schön oder häßlich sei: es hat lediglich
als logischer Ort der Funktion der ethischen, in diesem Falle der
Kunstforderungen zu fungieren, deren Evolution sich in den
Mittelpunkt der Untersuchung stellt.
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rechtigung als eine dialektische zu nehmen; keinesfalls ist aber
ein tieferes Verständnis aus irgendeiner genetischen Entwick
lungserklärung zu hoffen, die beispielsweise hier nachweist, daß
der Expressionismus seinem Wesen nach das legitime Erbe des
Impressionismus angetreten habe, während er seiner Doktrin
nach sich diesem opposit gegenüberstellt. Position und Nega
tion besagen hier dasselbe - der Sohn trägt die Züge des Vaters,
doch seine Doktrinen wettern gegen ihn - , dieses stets sich wie
derholende Verhältnis zwischen aufeinanderfolgenden Kunst
anschauungen waltet auch zwischen Im- und Expressionismus,
nur von neuem aufzeigend, daß der Erkenntniswert genetischer
Erklärungen immer ein meskiner bleiben muß.
Der Angelpunkt bleibt die Definition des Bildes. Jede Kunst
forderung, wie eben jede Forderung überhaupt, segelt unter der
Devise der »Wahrheit«, und diese Wahrheit war und ist die
»richtige« Wesenserkenntnis des Phänomens »Bild«, dessen
allgemeine Begrifflichkeit sich fürs erste und überall nach den
deutlichen Definanten ordnet:
1. das Bild ist eine Angelegenheit der Fläche und Farbe;
2. das Bild ist notwendig Darstellung eines Gemeinten;
3. das Bild ist - wie jedes Kunstwerk - Ausdruck des Künst
lers, also Lyrik;
4. das Bild hat - wie jedes Kunstwerk - eine Wirkung.
Aus diesen vier Definitionspunkten, denen jedes Bild genü
gen muß - geben sie doch das Schema »Form-Inhalt-Produk-
tion-Rezeption« einer jeden Begrifflichkeit und eines jeden
Kunstwerkes - hätte sich demnach schematisch jede mögliche
Kunstforderung des Malerischen zu ergeben, indem die Defini
tionsbetonung einmal auf diesen, ein andermal auf jenen Defi
nitionspunkt fällt. Ist einmal eine solche Dezision gefaßt, so hat
die künstlerische Forderung des Part pour Part ausschließlich
der gewählten Bilddefinition zu genügen, während die ausge
schlossenen Definitionspunkte aus dem Autonomiebereich,
der um Forderung und Definition - »Das Werk um des Werkes
willen« - gelegt ist, ausgeschlossen erscheinen und nur in dog
matischer, also moralisch verwerflicher Form, wieder einge
führt werden können. Wollte man versuchen, die Kunstge
schichte an diesem Prinzip zu exemplifizieren, was nicht allzu
schwer fallen dürfte, so wird man eine gewisse Wellenbewegung
in der Bewertungsbetonung finden, die auf der einen Seite die
52
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Punkte 1 & 3, auf der anderen 2 & 4 zusammenfaßt; eine Ver
schränkung, die nicht weiter verwunderlich ist, wenn [die]
formgebende Aufgabe des schöpferischen und lyrischen Ichs
auf der einen Seite, der auf Rezeption berechnete Mitteilungs
inhalt des Kunstwerkes, ja der Begrifflichkeit überhaupt, auf
der anderen Seite ins Auge gefaßt wird. Betrachtet man aber
hingegen die Punktgruppen 1 & 2 gegen 3 & 4, so ist wieder
ersichtlich, daß letztere, Produktion und Rezeption, jene irra
tionale und verbale Aktion darstellen, in der die ethische For
derung erst zur Geltung kommen soll, und daß sie daher un
möglich als Objekt jener Definition fungieren können, die zu
ihrer eigenen Fundierung vorgenommen werden soll, sondern
daß daher zu dieser nur jene substantivischen Komponenten
des Bildbestandes genommen werden dürfen, die in der Defi-
nantengruppe 1 & 2 als Form und Inhalt gegeben ist. Oder m.
a. W. erscheint es offenbar, daß zur reinen Analyse des rationa
len Phänomens, dessen Beziehungen zum Erzeugenden und
Aufnehmenden irrelevant sind (was auch kunstkritisch genom
men werden darf), denn die logische Untersuchung hat nur im
absolut rationalen Bereich der »Erkenntnis an sich«, der
»Wahrheit an sich«, und, nennen wir es ruhig so, des »Kunst
werkes an sich« zu operieren, dessen Rationalität sich eben
daran definiert, daß es den logischen »Ort« der substantivi
schen Vermittlungsobjekte, der »Setzungen«, zwischen den ir
rationalen Akten des Gebens und Aufnehmens darstellt. Wenn
nichtsdestoweniger diese irrationalen Komponenten bereits in
der Kunstwerks-, ja Begrifflichkeitsdefinition überhaupt auf-
treten und sich durch ihre spezialisierte Bindung an deren ein
zelnen eigentlichen Definitionsträgern (1 & 2) sogar einiger
maßen hierzu legitimieren, so muß gefragt werden, ob sich für
diesen Sachverhalt eine logische Ausdeutung finden läßt: diese
scheint in dem Gegensatz und der Korrelativität von prädikati
ven und attributiven Definitionsbestandteilen gegeben zu sein:
zu dem konstitutiven (im Spinozistischen Sinne attributiven)
Definitionsbestandteil der Form - hier des Bildes als Angele
genheit der Farbe und Fläche - ordnet sich der prädikative der
Schöpfung, des Produzierenden, des Lyrischen; zu dem attri
butiven des Inhaltes - hier des Dargestellten - der prädikative
der Wirkung und der Rezeption. Selbstverständlich können
aber in besonderen Fällen auch die prädikativen Bestandteile
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der Definition zu konstitutiv-attributiven erhoben werden: so
die lyrische im lyrischen Gedicht als reiner Ich-Aussage, oder
die der Wirkung in der Plakatkunst und in der des Theaters, al
lerdings nicht der des Schauspielers, die niemals auf den Effekt
gerichtet sein darf, viel eher lyrisch zu nennen ist - denn gerade
in diesem Eindringen der prädikativen Elemente in den konsti
tutiv-attributiven Wesensbestand zeigt sich, daß ein gewisser
Dignitätsunterschied innerhalb dieser prädikativen Elemente,
zwischen dem Lyrischen und dem Wirkungsvollen (also Punkt
3 & 4) vorhanden ist, der auf die idealistische Zentrierung des
schöpferischen Ich wohl zurückzuführen wäre.
Sicht man solcherart die Evolution des künstlerischen Ethos,
welche die Moderne erfüllt, als ein Zurechtfinden innerhalb des
Definitionsbestandes »Bild« und als seine dialektische Auswir
kung, wie sie sich in der attributiv-prädikativen Verschränkung
von Lyrik und Form einerseits, Wirkung und Inhalt anderer
seits systemisiert, und denkt man sich diese Evolution, um sim
plifizierende Schlagworte zu nennen, zwischen den Namen
Courbet48, van Gogh, Cezanne49, Kandinsky50 eingespannt, so
wird dieser ethische Elan am Anfang der Entwicklung, wo er
stark mit polemischen Absichten untermischt war, am sichtbar
sten. Die Besinnung des Part pour Part auf die Bilddefinition
wird hier am sinnfälligsten, da sie auf die Detailfragen der Bild
definition überhaupt noch nicht einzugehen braucht, sondern
lediglich verlangen muß, daß die prädikativen »Wirkungen«,
wenn sie schon nicht zu umgehen sind - und man wollte sie fürs
erste gar nicht umgehen - , zumindest aus malerischen Qualitä
ten, zu denen man ohneweiters auch den Bildinhalt rechnete,
und nicht aus bildfremden sich ergeben sollen. Man akzeptierte
also aus vollen Herzen das »interessante« Sujet, man sagte sich
mit einigem Rechte, daß auch Tizian heroische und Fragon-
ard51 galante Szenen konterfeite, man akzeptierte also noch mit
bestem Wissen den »äußeren« Definitionskreis der Wirkung
und wollte nur solche Wirkungen eliminieren, die aus noch fer
neren Regionen, aus dritter und vierter Hand kommend, in den
ohnehin sehr weit genommenen Autonomiebereich des Bildes
hineinragten: man ließ es nicht mehr zu, daß statt einer Schlacht
der »glühende Patriotismus« gemalt werde (wie es Delaroche52
so schön konnte), man empfand es als Fortschritt, von den ge
stikulierenden Heerscharen Raffets53 zu den Troupiers Horace
54
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Vernets54 zu gelangen: man hatte Klischees von Klischees ge
malt, nicht den alten Dorfschuster, sondern den Schalk, der ihm
im Nacken sitzt, die Akte hatten nicht Brüste, sondern kno
spende Busen, man malte das Glück, man malte die Seele, man
malte das Prädikat des Prädikates des Prädikates des Darge
stellten. Es war die ethische Tat der Maler Fontainebleaus, die
sen Wust von Prädikaten auf das Ur-Prädikat, auf die körperli
che und optische Darstellung des Gemeinten zurückgeführt zu
haben, diesen Wust von Seele auf die Seele des Bildes selber
- es war die Tat Corots55, Millets56 und Courbets. Noch erzählte
dieser Naturalismus - sogar von Nymphen und Dryaden - aber
[er] erzählte ohne Nebengedanken, und wenn er, wie Millet
»poetisch« war, so ergab sich diese Poesie nicht aus der zum
Zuschauer gewendeten Gebärde des Sujets, sondern aus der ly
rischen Liebe des Malers zu seinem Dargestellten und vor allem
aus seiner lyrischen Liebe zur Natur.
Millets und Courbets Verpflanzung der Malerei in die Natur
war der erste Schritt zur »Neutralisation« des Objektes und der
Wirkung, und der damit erfolgten Abkehr vom Atelier-Ar
rangement und dessen Erzählung war die entscheidende Rich
tung gegeben. Die »Natur« war das einzig nicht arrangierte;
man wendete sich vollkommen der Landschaft zu; aus ihr ent
stand in Notwendigkeit der Impressionismus.
Der Impressionismus verstand sich vorerst lediglich als Ehr
lichkeit, als Abkehr von allem Erzählertum, als Zentrierung des
Part pour Part in der »Angelegenheit der Fläche und Farbe«,
als Neutralisierung des Objektes und bei weitem am wenigsten
als neue Technik, als welche er heute gerne genommen wird.
Die Technik ergab sich notwendig aus den Forderungen der
Landschaft, in der er entstanden ist, wenn er auch später den
Weg ins Interieur zurücknahm. In diesem Sinne sah ihn Zola57,
sah ihn Monet.58 Seine Verwandtschaft mit den materiali-
stisch-sensualistischen Zeit-Tendenzen sind ihm als künstleri
sche Forderung nur insoweit wichtig, als sie ihn von der Akade
mie emanzipieren: nichtsdestoweniger bindet sie gerade diese
Technik des sensualistischen Naturalismus an das Objekt und
macht die Valeurs ihrer Bilder von den Valeurs der Objekte
abhängig. Der Impressionismus erlebte sein grö!3tes theore
tisches Fiasko in der Meinung, die Natur, wo immer er sie an
packte, ungeschminkt, sozusagen wissenschaftlich, wie er sich
55
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auszudrücken liebte, konterfeien zu können: er mußte lügen
und der Natur eine Pose der Natürlichkeit geben, die sie in
Wirklichkeit nicht besaß. Hätte er es nicht getan, so wäre nicht
eine einzige künstlerisch mögliche Leinwand zustande gebracht
worden - er zerlog die Natur in Valeurs, und seine Ambition,
die »unbedingte Darstellung des Gemeinten«, mußte an der
bildnerischen Qualität seiner Leistung zugrunde gehen. Der
prädikative Ausdruck des Malerischen mußte ins Objekt proji
ziert werden, und der prädikative Ausdruck des Objektes trat
in die Bildwirkung. Der Impressionismus als solcher, so brillant
er auf getreten war, mußte als Zwitter, als Pointillismus, als Fu
turismus in rationaler Spielerei und ödem Kunstgewerbe endi
gen.
Der Impressionismus hat auf dem Wege der Wirkung, deren
prädikatives Argument immer mit dem attributiven des Inhal
tes koordiniert ist, die Angelegenheit der formalen Darstellung
in die des Bildinhaltes hineingeschoben: er malte, wie gesagt,
Lichtarrangements, Valeur-»Ausschnitte«, und aus dieser
Zwitterstellung, aus der neuerlichen, allerdings sehr subtilen
Verquickung an sich autonomer Wertkreise ergab sich seine
endliche Sterilität und sein Fiasko. Ein Überwinden dieses Zu
standes, ein, wie wir sagten, dialektischer »Fortschritt« konnte
nur in neuerlicher Besinnung auf die Bilddefinition, in neuerli
cher Verschärfung und Verengung der aus ihr gefolgerten ethi
schen Forderung erfolgen.
Der Zwiespalt ergab zwei Lösungsmöglichkeiten: sie hießen
van Gogh und Cezanne, beide ins Unbedingte und Absolute
zielend, in der Erkenntnis, daß nur im Unbedingten und Abso
luten die Totalität und Einheit des Kunstwerkes zu erhoffen sei.
Van Gogh ist die eigentliche und logische Erfüllung der natu
ralistischen Forderung. Seine einzige Aufgabe ist die Darstel
lung des Gemeinten in seiner vollkommenen Autonomie. Er ist
völlig dogmenlos: zwischen seinem Auge und dem Objekt flim
mert kein Licht mehr - das Licht ist ein Objekt wie jedes andere
und hat keinerlei Anrecht, wie bei den Impressionisten, die an
deren zu kaptivieren. Im Gegenteil: auf das Objekt bezogen ist
es sekundär gleich der Farben zufällige Modalitäten, die den
Dingen anhaften - ein Primat der Gestalt im Sinne Lockes er
hebt sich. Seine Palette ist roh, wild, illustrierend, stumpf - Bei
fügungen zur Linie, in denen der Körper eingeschlossen ist.
56
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Aber auch die Linie gibt noch nicht die letzte Wesenheit; van
Gogh ist voller Intuition; er fühlt die Dynamik der Dinge, ihre
Abgelöstheit von allem anderen Sein und ihre furchtbare Ei
gensprache. Hier genügt keine malerische Darstellung mehr. In
seiner letzten Anstrengung steht er, ein einsames Ich, mittlerlos
vor dem Objekt, das furchtbar wie am ersten Tage sich vor ihm
entblößt. Ein ungeheures Staunen geht durch seine Bilder, das
Staunen über das Zusammenfinden der Zufälligkeiten von
grauenhaften Einzelphänomenen, von Schnörkeln, Flecken,
Klumpen und Schreien zu Dingen und Begrifflichkeiten, deren
Dasein ewig unverständlich bleibt und vor denen das Ich immer
wieder zum ersten Male steht, sich zum Wahnsinn fürchtend.
Dennoch besteht sein Bild als malerische Leistung- er hat also
einen Kompromiß geschlossen, und daran zeigt sich die maleri
sche Aussichtslosigkeit seiner Konsequenz. Wäre sie bis zum
Ende gegangen, dann hätte er nicht mehr malen dürfen, denn
das, was er zu sagen hatte, ging weit über die optische Aufgabe
des Malerischen hinaus. Sein Naturalismus strebte zu einer ra
dikalen Ontologie des Erlebens und der Welt - im Portrait war
er der einzige, der optische Psychologie trieb und aus seiner
Gesamtanlage treiben mußte (nur Kokoschka ist hier auf dieser
Linie nach ihm zu nennen) - , und vor der Größe dieser Auf
gabe, der letzten Aufgabe des Naturalismus, versagt das Male
rische vollständig. So hatte er auch keinen Nachfolger. Aber
sein Geist findet sich am Ende jenes anderen Weges, an dessen
Anfang Cezanne steht.
Cezannes Bilddefinition schränkt sich zum ersten Male rein
auf die »Angelegenheit der Fläche und Farbe« ein; er ignoriert
die Darstellung des Gemeinten, das ihm Mittel zum Zwecke ist.
Selbstverständlich gibt es auch hier Vorläufer - Manets59 abge
wendete Gewehrläufe60 sind zum klassischen Beispiel gewor
den - , aber was vor ihm ein künstlerischer, vielleicht ein mora
lischer Witz gewesen ist, das verankert und fundiert sich bei ihm
zur Logik des malerischen Ethos. Irgendwo kann man ihn noch
zu den Naturalisten rechnen; aber [er] ist souverän und bleibt
nur solange Naturalist, als es ihm behagt, solange sich die nature
morte ins Bild fügen will. Sein eigentliches Problem beginnt
aber erst bei der nature vivante und ihrem Widerstand gegen
das Arrangement. Die Naturalisten bis van Gogh, von den
Impressionisten ganz zu schweigen, gaben hier Halbheiten, be
57
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schwindelten die Natur, gaben ihr ein bildmäßiges Leben, das
sich unter Umständen ja in ihr finden läßt, ihr aber wahrlich
nicht wesenseigentümlich ist: Cezannes ethische Ehrlichkeit
sieht hier ein Entweder-Oder, über das mit Halbheiten nicht
hinwegzukommen ist. Und so sieht er sich gezwungen, die na-
ture vivante zu einer nature morte zu verwandeln. Er tötet sie
und gibt ihr dennoch neues, malerisches Leben - vielleicht aus
seiner eigenen Vitalität heraus. Er liebt das Objekt, indem er
es schändet und aboliert: ringend mit dem Objekte um es zu
segnen, durfte er es objektiv unkenntlich machen und schließ
lich vernichten: am Ende seiner ethischen Forderung, daß das
Bild als »Angelegenheit der Fläche und Farbe« zu definieren
sei, steht das objektlose Bild.
Die kubistischen Experimente, welche zwischen Cezannes
Wegweisung und dem Ziel der absoluten Gestaltung liegen,
waren und sind als Zwischenstufen wohl notwendig. Sie können
als letzter, rationalistischer Versuch gewertet werden, das Ob
jekt in Einordnung seiner Dreidimensionalität in der Zweidi-
mensionalität der Fläche, dem Bilde zu erhalten. Da aber der
letzte entscheidende Schritt zur Objektlosigkeit des Bildes nun
schon einmal gewagt wurde, kann diese Zwischenstufe als
überflüssig erachtet werden.
Hier aber tritt der Anschluß an van Gogh zu Tage. Denn wird
vor dem objektlosen Bilde gefragt, was sich auf ihm befindet,
so drückt die Antwort »Farbe und Architektonik« viel zu wenig
aus. Farbe und Linien sind auch im Teppichmuster enthalten,
und so stark auch die dekorativen Elemente im Expressionis
mus sein mögen, so gibt er dennoch bedeutend mehr: nämlich
die Produktion des Ichs. Auch von Cezanne konnte (hier aller
dings unbewiesen) behauptet werden, daß er die Abolierung
des Objektes aus seiner Liebe zu ihm vornehmen konnte, in
dem er ihm seine eigene Vitalität verlieh. Dies wird aber sofort
plausibler, wenn erinnert wird, welch tiefere Korrelation inner
halb des attributiv-prädikativen Begriffspaares Form-Lyrik
vorhanden ist, daß überhaupt nur »Form« gesetzt werden kann,
wenn ein lyrisches und schöpferisches Ich dieser Setzung Pate
steht. Auch bei van Gogh war es das einsame Ich, das dem Ob
jekt gegenüberstand - aber bei van Gogh hatte eine Zerreißung
der korrelativen Begriffspaare stattgefunden: er stand dem
Objektinhalt in letzter Auswirkung eines passiven Naturalis
58
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mus gegenüber, in einer Passivität, die es nicht gibt - selbst die
scholastische nolitio ist eine null-angenäherte volitio - und die
sich daher im Akt der Wertsetzung infolge ihrer logischen
Falschheit rächen muß. Das Ich aber, welches auf dem Wege
Cezannes erreicht wird und nunmehr ins Bild tritt, ist das ur
sprünglich-schöpferische des Lyrischen und vermag ein Ziel zu
erfüllen, das mit den Mitteln van Goghs - obwohl es sicherlich
letzten Endes von ihm intendiert war - niemals zu erreichen
war.
Denn auch vor dem van Goghschen Ich waren alle Inhalte
gleich. Doch sein Ich fungierte lediglich als theoretischer G e
genpol des Objektes. Intuition und Wesenserfassung des Ob
jektes gehen nicht von diesem theoretischen und beiseite ste
henden Ich aus, sondern von einem empirischen Menschen,
welcher dogmatisch die »Formen« und Aprioritäten als Be-
grifflichkeiten in die Dinge hineindenkt. Die lyrische Kompo
nente ist rein prädikativ, das Ich noch immanent in den Dingen,
kommt erst durch die Dinge in das Bild. Auf dem Wege Cezan
nes wird es automatisch »frei«, wird »auf sich selbst gestellt«
und damit im Hegelschen Sinne »aufgehoben«. Es gibt keine
Objekte mehr, in denen es immanent enthalten sein kann, denn
alle Objekte sind seine reine Setzung. Und das, was der Natura
lismus und vor allem van Gogh im tiefsten Inneren erstrebt und
als letzte Forderung des Malerischen genommen hat, kann sich
hier erfüllen: das Objekt ist künstlerisch neutral geworden. Je
des Objekt ist malbar, denn das Objektlose ist alle Objekte. Die
Phänomene liegen alle auf der gleichen Ebene, und die Bach-
Kantate hat die gleiche Realität des Erlebens wie die nature
morte, wie der Begriff des Abends61 oder die blauen Pferde.62
Man kann von einer Phänomenologie in der bildenden Kunst
sprechen.
Bedenkt man aber, daß hinter all den Phänomenen die »An
gelegenheit der Farbe und Fläche« steht, daß es sich hier um
eine »Gesetzlichkeit« der Farbe und Fläche letzten Endes han
deln muß, daß aber andererseits der Durchgangspunkt aller
Phänomene - oder aber auch des psychologischen Ich-Phäno-
mens Kandinskys - das setzende Ich ist, dann wird es offenkun
dig, daß die Gesetzmäßigkeit des Bildes, und das ist eben seine
»Form« als gesetzte Rationalität, identisch sein muß mit der
Struktur der Ich-Setzung, die sich im Bilde manifestiert. Oder
59
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m. a. W. die Kantsche Idealität der Setzung erwirbt nur Gel
tung, wenn die Rationalität ihres Wertzieles zu seiner »Gesetz
lichkeit« wird, in ihrer Geltung [dann] auch die der überindivi
duellen Wirkung auf das andere Ich a priori beinhaltend. Zu
welch Kantscher Feststellung es nicht erst Kandinskys dilettan
tischen Buches63 bedurft hätte.
Überblickt man die Gesamtheit der logischen Evolution in
nerhalb der Bilddefinition und der sich aus ihr ergebenden ethi
schen Forderung an den Künstler, so erscheint das Wesentliche
in der fortschreitenden Definitionseinschränkung des Wertzie
les zu liegen, die durchaus der logischen Eliminations- und Be
grenzungsmethode »Rot ist nicht blau, ist nicht grün« etc. ent
spricht und schließlich hier bei einer völligen Abstrahierung, ja
Null-Annäherung für das Bild endigen mußte. Noch wichtiger
und symptomatischer allerdings erscheint die metaphysische
Ausdeutung dieses Sachverhaltes, die Konstatierung der Über
einstimmung zwischen der restlichen Bildidee des »vom Ich ge
setzten gesetzlichen Zusammenhanges« mit der idealistischen,
richtiger Kantschen Weltanschauung. Und sieht man näher hin,
so wird man inne, daß diese ganze Entwicklung der Malerei und
der Kunst überhaupt als ein Nachhinken - schließlich ging sie
ja doch in Malergehirnen vor sich - hinter der Geistesentwick
lung des 18. Jahrhunderts [verstanden werden kann]. Der Na
turalismus Fontainebleaus ist in seiner Sentimentalität, aber
auch in seiner Schlagkraft von der Rousseaus nicht weit unter
schieden, in der Rationalität impressionistischer Theorien sind
die Rationalismen alles Sensualismus, von Condillac64 bis
Comte, wiederzuerkennen - van Goghs Idealismus hat vielerlei
Berührungspunkte mit dem dogmatischen Idealismus der Eng
länder - , der reine Expressionismus schließlich als Prinzip der
reinen Gestaltung fällt durchaus in die Weltgestaltung Kants,
deren ethischer Gehalt und Hinweis auf die kritische Begrün
dung jeder Forderung das Paradigma dieser ganzen Geistes
entwicklung bildet.
Daß sich die resultierende Auflösung des Objektes nicht auf
das Malerische beschränkt, kann leicht gezeigt werden; es ist
nur selbstverständlich, daß sich überall parallele Linien ergeben
müssen. Auf den Expressionismus als Beispiel beschränkt, mag
dies nur an seiner Lyrik aufgewiesen werden, die die »objektive
Lyrik«, wie man diese phänomenologische Auflösung des Ob
60
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jektes in der objektiven Gesetzlichkeit des Ichs wohl nennen
dürfte, am deutlichsten veranschaulicht. So die Auflösung der
Welt bei August Stramm65 in eine unendliche Auflösung dyna
mischer Verba, deren Primitivität vielerlei (allerdings in einiger
Entfernung) mit der Weltvision van Goghs gemein hat: es ist
das gleiche, stets erstmalige Erschrecken vor der Weltimpres
sion, wie es auch bezeichnend ist, daß das Verbum als aktives
Impersonalium, wie es hier gebraucht wird, als Urform aller
Sprachstämme, also als Ausdruck der ersten und unvermittel-
sten Weltapperzeption zu gelten hat. Andererseits deutet aber
diese sehr ausschließliche Bevorzugung des Verbums, wie bei
Stramm, Einstein66 etc., auf jene Umgestaltung der Dinge in
gesetzmäßige Relationen und Zuordnungen, wie sie sich eben
als metaphysische Zielsetzung des Marburger67 unendlichen
Regresses ergibt. Van Gogh und Cezanne reichen sich hier die
Hände und stehen als Symbol von Anfang und Ende einer Gei
stesgeschichte. Denn nicht umsonst sucht der Expressionismus
an die Primitiven anzuknüpfen - als letzten logischen Fort
schritt den Dadaismus des Gedichtes verkündend. Denn auch
dies ist notwendig. Insolange nämlich das expressionistische
Gedicht an die begriffliche Sprache gebunden ist, gibt sie einen
- selbst bei Einsteins Vermengung aller Inhalte - naturalisti
schen und impressionistischen Halt und muß daher in der Aus-
drückung der radikalen Tendenz hinter der Malerei zurückste
hen.
Der Expressionismus absolutiert allüberall das Lyrische und
hebt damit die Kunst in die Sphäre des rein Schöpferischen. Al
lerdings gerät damit das Kunstwerk in die Region absoluter
Kontrollosigkeit. Der Dadaismus, gegen den logisch nichts ein
zuwenden ist, beweist dies. Allerdings beruft sich der Expres
sionismus auf die Gesetzmäßigkeit seiner Darstellung, welche
der Gesetzmäßigkeit des Musikalischen - transponiert auf an
dere Geltungsgebiete - gleichkommen soll. Denn auch das Mu
sikalische ist die reine und gesetzmäßige Objektivation des Ichs
in dem ihm empirisch eigentümlichen Geltungsgebiet der Zeit.
Aber ist es nicht auffallend, daß gerade die Musik - als wäre
sie eben die eigentümliche Kunst der Moderne - mit der Mo
derne plötzlich erstanden ist und unverändert ihren Platz seit
Bach durch die ganze Epoche gehalten hat, während die bil
dende Kunst - trotz ihrer Leistungen - nie mehr die Wucht und
61
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Selbstverständlichkeit der Alten erreichte. Man soll nicht aus
äußerlichen Analogien prophezeien - aber es ist, als sei viel
eher eine Auflösung der Kunst als ihre Regeneration zu erwar
ten. Die Musik ist die künstlerische Position der Moderne, in
der bildenden Kunst hat sie sich nur eine Negation gesetzt: den
Kitsch, dessen Vorhandensein als ein Symbol für die Hoff
nungslosigkeit der bildenden Kunst wirkt.
Denn versteht man die Eingrenzung der Bilddefinition und die
aus ihr sich ergebende Verschärfung des künstlerischen Ethos
als eine fortschreitende Abkehr vom Radikal-Bösen, d. i. der
Handlung, die etwas tut nicht um des begründeten Werkes wil
len, sondern aus dogmatischen Gründen, so sieht man, daß mit
dieser Einschränkung des Autonomiebereiches bereits alles in
die Kitsch-Kategorie fällt, was man bisher als bildende Kunst
angesehen hatte. Dies ist nicht nur ein theoretisches Paradoxon,
sondern auch eine kunstkritische Tatsache: wieviel Bilder aus
den alten Sezessionen, wie sie etwa vor zehn Jahren ausgestellt
wurden, sind nicht Kitsch - von den Bildern der »Großen
Kunstausstellungen«, des Salons, des Künstlerhauses ganz zu
schweigen. In der Plastik, deren vereinfachte Definitionsinhalte
eine Auflösung des Objektes im vorhinein ausschließen, gibt es,
trotz Rodin68, trotz Meunier, trotz Metzner69, überhaupt nur
Kitsch. Erst von hier aus kann man die Evolution zur neuen
Kunstmoral, die eben die Moderne seit 1860 auszeichnet, eine
Reaktion gegen den Kitsch nennen. Die Kunst von 1860 aber
war der Kitsch an sich, und dieser ist jetzt nicht als eine ästhe
tische, sondern als die ethische Kategorie des Radikal-Bösen zu
definieren: als jene Kunst, welche sich nicht in dem Werk um
des Werkes willen fundiert, sondern die zu ihrer Geltung Werte
aus fremden Wertgeltungsbereichen übernimmt. Eine Malerei,
welche naturalistisch Holzstücke einsetzt, ist Kitsch, Musik, in
der Kuhglocken erklingen, ist Kitsch. Kitsch ist aber auch, wenn
Elfen auf der Palette tanzen, wenn der Autonomiebereich des
Sexuellen in der Kunst durch den Bereich des Neckisch-Liebli
chen ersetzt wird oder des Leichten durch den des Pathos. Denn
der Begriff der Autonomie zwischen begründender Definition
des Wertzieles und der auf sie gegründeten Kunstforderung be
deutet gleichzeitig Adäquatismus von Form und Inhalt. Kitsch
ist schließlich die Verwendung angelernter, eklektischer Ef
fekte an neuen Inhalten. In der sogenannten Kunst von 1860
62
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war jede Form des Kitsches vertreten bis zu der schmählichsten:
der Verwechslung der prädikativen und attributiven Defini
tionsbestände des Kunstwerkes. Erkannten [?] wir die prädika
tiven Inhalte in dem Prinzip der lyrisch-einmaligen Schöpfung
und dem der Wirkung, so entspricht diesem Sachverhalt, daß
sich der soit-disant Künstler von 1860 als der originelle Herr
gerierte, welcher wirkungsvolle Dinge macht.
Wie tief aber die ethische Verworfenheit des Kitsches in dem
Erleben dieser Zeit wurzelt, kann aus seinem Verhältnis zum
Philister (ich sage nicht Bourgeois, denn auch das Proletariat ist
in diesem Sinne philiströs und zumindest ebenso verworfen) er
messen werden. Denn auch der Philister ist als der Mensch zu
definieren, der das Erleben unkritisch, unethisch, dogmatisch
hinnimmt, der niemals sein Wertziel definiert, um sein Tun
daran zu begründen, kurzum, der selber kitschig und damit ab
solut unmoralisch lebt. Deswegen wird er aber auch immer den
Kitsch als seinesgleichen protegieren und der Kitsch immer in
seine Arme flüchten. Der Bürger hat sich auch mit dem Impres
sionismus abgefunden, wiewohl ihm Piloty70 lieber ist, mit dem
Expressionismus wird er es niemals tun (und das Traurige ist
nur, daß er voraussichtlich damit Recht haben wird).
Und noch eine Parallele: trotz allen Kitsches lebten um 1860
Bruckner71 und Hugo Wolf, in einiger Entfernung hievon
Brahms und Wagner, und wenn der Philister irgendwo Bezie
hung zur Kunst hat, so ist es in der Musik.
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gende Metaphysik des kritischen Idealismus (trotz Scheler) be
zeichnen kann. Dieses Hinaustreten ins metaphysische Leben
der geistigen Allgemeinheit bewahrheitet Kants Prophezeiung,
daß er erst nach hundert Jahren Verständnis finden werde, in
einem ungeahnten und sehr erschöpfenden Ausmaße, gleich
zeitig aufweisend, daß ein künstliches Verpflanzen von Werten
aus einem Wertkreis in den anderen niemals Früchte tragen
kann: Schiller intendierte die Verpflanzung der idealistischen
Idee in die Kunst und alles, was an seiner Produktion tot und
abstoßend geworden ist, ist dieser abstrakten und rationalisti
schen Projektion Kantscher Ideen in den autonomen Bereich
des Kunstwerkes zu verdanken: auf diese Art gibt es nur Illu
strationen - etwa gleich den naturalistischen Illustrationen zur
Deszendenztheorie72 erst aus dem Autonomiebereich der
Kunst selber heraus konnte ihre idealistische Epoche erreicht
w erden.
Nichtsdestoweniger ist durch diese Parallelität der Erschei
nungen noch nichts Erklärendes, nichts Ergiebiges, nichts Be
weisendes gesagt. Es ist höchstens ein Anhaltspunkt gegeben.
Das Problem erweitert sich hier: denn ist die Kunst als Ding
setzung tatsächlich ein Teil, mehr noch: der symptomatische
Exponent der allgemeinen Wertwirklichkeit, welche die Zeit
und diese Zeit erfüllt, so geht die Frage dahin - will man diese
Zeit verstehen - , warum der logische Auflösungsprozeß des
Ding-Objektes in ihr erfolgen mußte! warum die Kunst früher
das Objekt akzeptieren konnte, warum die Kunst damals noch
nicht verworfener Kitsch sein mußte! Die Frage führt zu der
nach der Vorbedingung der Dingakzeptierung überhaupt.
Dinge sind Data der Erfahrung - sie sind vorhanden, bevor
noch Erfahrung, sei sie nun durch die Sinne oder sonstwie ge
dacht, an sie herankommt: sie fallen in jene Konstruktion der
vor-erfahrenen, vor-kritischen allgemeinen Sphäre des irratio
nalen allgemeinen Erlebens, in dessen Totalität sie einfach »er
lebt« sind; ja mehr noch, sie sind nicht nur das Objekt dieses
Erlebens, sie sind mit ihm konstituierend identisch, denn erst
an ihnen erlebt sich der Mensch selbst und seine Verbundenheit
mit dem Wunder des Welt-Seins. Das Ding ist das Ur-Erlebnis,
das ewig anstaunbare Objekt Welt ist mit ihm gegeben und in
dessen Anstaunung steht es an der Schwelle aller Philosophie.
Hat man aber solcherart das Ding und damit seine gesetzte
64
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Wirklichkeit ausschließlich in der Erlebenskategorie lokali
siert, so hat man damit zugleich die Forderung ausgesprochen,
daß innerhalb des erlebenden Ichs eine Sphäre vorhanden sein
müsse, welche außerhalb jener des reinen Bewußtseins stehe,
kurzum, daß neben dem denkenden ein erlebendes Ich Platz
haben müsse. Dieses »erweiterte«, metaphysische Ich, das man
mit Fug auch das phänomenologische nennen dürfte, hat psy-
chologistische Vorläufer - es sei an Hartmanns73 Unbewußtes
erinnert - , darf aber durchaus nicht psychologistisch aufgefaßt
werden, denn es ist noch keineswegs gesagt, daß das »Erleben«
eine odereine ausschließliche psychologische Funktion sei. Im
Gegenteil. Hingegen erscheint vom Wertbegriff aus die Setzung
dieses »erweiterten« phänomenologischen Ichs wohl notwen
dig, denn soll die Wahrheit ein Wert sein, und nicht nur ein bio
logischer oder ähnlicher, so muß der Wertbegriff von einer
Sphäre aus funktionieren, die die Wahrheits- und Bewußt
seinssphäre einzuschließen befähigt wäre, um als letzte Instanz
die Wertbejahung der Wahrheit vorzunehmen. Immerhin aber
kann, nicht unbegründet, in diesem erweiterten Ich die Idee des
Menschen genommen werden, nicht als psychologisches We
sen, sondern als irrational erlebendes, und kann damit der
Mensch - damit zeigt sich eben diese Auffassung als empirisch
historisierende - vor das philosophierende Ich gesetzt werden.
Akzeptiert man aber diesen Sachverhalt und fragt man, ob in
der Phänomenologie des Ichs eine Sphäre aufzufinden wäre,
deren apodiktische Evidenz die Setzung einer eigenen Erle
benssphäre legitimieren könne, so zeigt sich neben der Evidenz
des Cogito die paritätische Apodiktizität des Sum.
Über die Möglichkeit dieser Zweiteilung der Ich-Evidenz soll
hier nicht gehandelt werden. Sie mag und darf als gegeben an
genommen werden, denn nur von ihr aus kann verstanden wer
den, daß sich dem kritischen Cogitare die Evidenz eines mate
rialistischen Datums der Erfahrung, einer metaphysischen
Ur-Wirklichkeit hinzugesellt. Das Sum ist materialistisch, ja es
kann vom seienden Ich ausgesagt werden, daß es die Apodikti
zität seines Seins überhaupt erst von der Evidenz und dem Be
stände des »Dings« empfängt: denn es gibt kein isoliertes, kein
nachbarloses Sein. Die Selbstevidenz des seienden Ichs und sei
nes Sums ist im Vorhandensein der wirklichen Dinge garantiert
und garantiert in Korrelation wieder diese - oder um (unter den
65
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gemachten Einschränkungen) psychologistisch zu sprechen, es
ist nur existent, insolange sein Seinsgefühl sich am Gefühl des
Daseins der Umwelt verifiziert. Ordnet man aber dem Vorhan
densein des Sum die Idee des lebenden, in der Zeit lebenden
Menschen zu, dann resultiert die Wirklichkeitskategorie not
wendig als eine antropomorphe - ein Argument, welches für die
Neu-Fries'sche Schule in ihrem Streit gegen die Marburger
sprechen könnte-: die Kategorie und die Idee der Wirklichkeit
ist an die Idee und die logische Möglichkeit des lebendigen
Menschen gebunden, oder m. a. W.: nur der seiende Mensch
als Träger des Sum ist - im Unterschied von der Idee des reinen
Bewußtseins-fähig, Ding-Wirklichkeit als Wertwirklichkeit zu
setzen.
Nichtsdestoweniger ist mit dieser, induktiv zwar notwendigen,
Hypostasierung des Sum und seines Trägers in der Idee des sei
enden Menschen noch nichts gewonnen. Die Hypostasierung
eines Irrationalen gibt keine Erkenntnis: das Irrationale ist
immer Problem, und die eigentliche erkenntnissuchende und
philosophische Aufgabe liegt in seiner Rationalisierung, d. h.
[darin], ihm seinen funktionalen Platz innerhalb des rationalen
Sinnzusammenhanges anzuweisen. Das Sum besteht erst zu
Recht, wenn es vom Cogito sanktioniert wird: es ist das carte-
sianische Ergo, das auf diesen Weg aller Erkenntnis weist.
Wenn also auch empirisch-historisch oder etwa biologisch, ja
selbst vom Begriff des metaphysischen Wertes aus, dem Sum
das Primat über das Cogito eingeräumt werden muß, so besteht
eben die Forderung der Erkenntnis in dem Streben, dieses An
fangs- und Ausgangsverhältnis in das umgekehrte zu verwan
deln und das Sum im Cogito aufgehen zu lassen.
War also unsere Frage nach der Möglichkeit der Dingakzep
tierung gestellt, so wäre sie absolut steril, wenn sie sich auf die
irrationale Aktion der Wertsetzung beschränken würde. Nicht
also um den lebenserfüllten, wundersamen Akt der Wert-
Wirklichkeitsetzung handelt es sich, sondern um den spontan
gleichzeitigen der Geltungsverleihung, als dessen Resultat die
Bejahung des Geschehenen und Erlebten erst erfolgt.
Diese Geltungsverleihung, diese Kausalierung bedeutet aber,
sagten wir, nichts anderes als die Einordnung des Geschehenen
in ein logisches Gefüge. Oder m. a. W. insolange die kognitive
Funktion der Apodiktizität des Sum unterstellt bleibt, ist der
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entscheidende Schritt des philosophischen Denkens, der plato
nische Blick und das cartesianische Ergo, noch nicht vorhan
den. Und da die apodiktische Annahme eines Seienden, sei es
nun im Dinge oder wie bei Hegel im Denken, in die Kategorie
der Erkenntnis übersetzt immer jene Einstellung bedeutet, die
als die absolutierende zu bezeichnen ist, wird aus dem Sum her
aus das »Ding«, wie immer es gestaltet sei, als das Absolute ge
nommen. D. h.: das Ding wird vergöttlicht. Gott wohnt in den
Dingen, die er als ontologische Ursache erschaffen hat. Für den
Natur-Heiden hat jedes Ding seinen Gott, der ihm Ursache ist
- für den monotheistischen und den Christen-Heiden ist eine
rationalistische Degeneration der Götteranzahl eingetreten:
unter dem Einfluß einer vereinheitlichenden und nach Einheit
strebenden Kausalierung (die fortschreitend nach der »Ursa
che« der Einzelgötter fragte) ist der einig-einzige Gott als
Welt-Schöpfer erkannt worden. Der Glauben ist von hier aus
- allerdings nur von hier aus - ausschließlich Schöpfungsge
schichte, doch mag es bedeutsam sein, daß die Schöpfungsge
schichte am Anfang alles Glaubens steht und daß in seinem Ziel
die Harmonie des Ding-Gefüges »Schöpfung« als einem ru
henden System eingeschlossen liegt. Bis auf den Akt des Glau
bens an die Wirklichkeit, ist die auf ihm aufgebaute und in ihm
eingeschlossene Theologie absolut rationale Naturphilosophie,
deren Plausibilität sich durchaus kritisch erweist und auch dem
Gläubigen in keiner Weise mystisch ist, sondern sich ihm viel
mehr als logisch apodiktisches Gebilde darstellt. Wie ist es nun
möglich, daß die kritische Tendenz des cogitare, welche zur
Aufstellung des Ding-Gefüges der Schöpfung führte, das ja
auch ein Sinn-Gefüge ist, hier Halt machen konnte? Oder vom
religiösen Glauben ganz abgesehen: welche Bedingungen sind
für den rationalen Akt der Geltungsverleihung notwendig, daß
der Glaube an das Dasein der individuierten Welt-Dinge als
»wahr« erkannt werde? denn schließlich kommt es auf den Akt
der Wahrheitsverleihung innerhalb des cogitare an. Wie endlich
ist es möglich, daß die Sphäre des reinen Bewußtseins, in dem
allein die Geltung der Setzung verliehen wird, sich derart modi
fiziere, daß ihre Stellung zur ontologischen Metaphysik keine
»auflösende«, sondern eine bejahende werden könne?
Hier nun tritt die hypostasierte Idee des seienden Menschen
und seiner Kategorie des Sum neuerdings in die Diskussion.
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Denn der logische Kern des ganzen Fragekomplexes ruht im
Problem der letzten und fraglosen Bejahung, mit welcher die
logischen Reihen der Plausibilisierung der metaphysischen
Wertsetzungen letzten Endes apodiktifiziert werden, um die
Wertsetzung als eine gültige »wirklich« zu machen. Für die
Sphäre des reinen Bewußtseins aber gibt es keine derart letzte
fraglose Bejahung. Die logische Reihe löst sich in einen unend
lichen Regreß auf, und das kritische »Warum«, das vor jedem
Denkinhalt steht, wird niemals - und hier darf das Wort »erlö
send« in seinem tiefsten Sinne genommen werden - durch das
erlösende »Ja« ersetzt werden können. Anders aber, wenn die
Ding-Wirklichkeit akzeptiert wird: hier muß vor der Kategorie
der Wirklichkeit jenes Ja stehen - ein Ja, das es in der reinen
Logik nicht gibt, wohl aber in der psychologisierenden gegeben
hat: das »Wahrheitsgefühl«, das beispielsweise noch bei Sig-
w a r t 74 eine b e d e u te n d e Rolle spielt.
Das Wahrheitsgefühl aber liegt bereits durchaus im Struktur
kreis der Idee vom seienden Menschen, ja, wenn seine Idee an
irgend etwas definiert werden soll, so kann dies nur im Begriffe
des Wahrheitsgefühles sein. Denn will man die Idee vom Men
schen in der vom Geiste wiederfinden und in dieser definieren,
wozu doch vielerlei Anlaß vorläge - wenn auch der Begriff des
Geistes dank Eucken heillos kompromittiert ist - , und will man
es gutheißen, den Begriff des Geistes in jener Spontaneität und
Gleichzeitigkeit zu sehen, mit welcher die Sphäre des reinen
Bewußtseins als Wertgeltungsverleihung in die Akte der meta
physischen Wertsetzungen des Menschen eingreift, so ist die
Kategorie des reinen Bewußtseins dennoch so abstrakt allge
mein, daß es unmöglich wäre, den Begriff des Individuell-
Geistigen und durchaus Menschen-Eigentümlichen aus ihr
zu deduzieren. Diese individuelle Abschattierung wird aber
sofort denkbar, wenn die Eintrittspforte jenes allgemeinen und
a-individuellen Bewußtseins in die kausalierende Logizität des
Einzelnen durch das Wahrheitsgefühl genommen wird - das für
sein Vorhandensein wohl die Hypostasierung des seienden
Menschen und des Sum benötigt, das aber dennoch in seiner
Funktion, vor allem aber in seinem Wertstreben, nach den Auf
gaben des reinen Denkens sich orientiert. Wollte man ein Bild
gebrauchen, so könnte man definieren, daß das Geistige ein im
Sum des seienden Ichs gebrochenes Cogito sei, trotz seiner
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Brechung aber die Eigenschaften des ungebrochenen - sagen
wir ruhig göttlichen - Lichtes der reinen Erkenntnis sei. Denn
erst im Begriff des Geistigen wird die Idee des Menschen,
wahrlich nicht er selber und sei er noch so würdig, zum Eben
bilde Gottes.
Als wichtigstes Ergebnis dieser Problemfassung erscheint nun
die Möglichkeit der Deduktion einer vom Sum des seienden
Menschen abhängigen »individuellen Kausalisierung« (zum
Unterschied von der individuellen Kausalität S. Hessens75).
Denn wird die logische Kausalierung, mit der die Wertsetzun
gen begleitet werden, unter die Kontrolle und die Apodiktifi-
zierung eines individuellen Wahrheitsgefühles gestellt, so kann
dieses Wahrheitsgefühl nicht nur am Schlüsse des Gesamt-
Sinngefüges Welt in Funktion treten, das wäre ein sinnloser
deus ex machina, sondern es muß die logische Funktion als ein
immanenter Teil derselben unausgesetzt und in all ihren Phasen
begleiten. Mit dieser Herausstellung einer individuellen und,
innerhalb des von seinem Sum abhängigen Individuums, auto
nomen Kausalität werden individuelle, rationale und autonome
Geltungsbereiche geschaffen, die sich als solche durchaus im
idealen Wahrheitszustand befinden (das Ich kann sich nicht
selbst belügen), die aber gegenüber dem reinen - sagen wir ab
soluten - Geltungsbereich des reinen Bewußtseins die logische
Möglichkeit, ja Notwendigkeit des »Irrtums«, des Fehl-Wertes
an sich!, der erkenntnistheoretisch nur von hier aus zu verste
hen ist, beinhalten. Die Autonomie der individuellen Kausalie
rung und Irrtumsnotwendigkeit involviert aber auch die Mög
lichkeit und die Notwendigkeit des Mißverständnisses, des
Unverständnisses, das zwischen Individuum und Individuum
gesetzt ist.
Nichtsdestoweniger ist aber auch der Begriff der Verständi
gung in einer tieferen Bedeutung damit gegeben. Denn der Be
griff der rationalen Geltungsverleihung, den der absoluten
Geltungsverleihung durch das reine Bewußtsein spiegelnd,
spiegelt auch die über-individuelle Geltung wider, die in dieser
gegeben erscheint. Soweit die individuelle Kausalierung Aus
fluß der reinen Kausalierung ist, soweit geht auch sie über das
Einzelindividuum hinaus und wird seinem Nachbarindividuum
verständlich - vorausgesetzt allerdings, daß dieses das gleiche
Wahrheitsgefühl und damit die gleiche Wertwirklichkeit be
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sitzt. Denn Verständigung zwischen Individuum und Indi
viduum kann nur dann bestehen, wenn beide die gleiche
»Wirklichkeit« besitzen, auf die ihre kausalierenden Reihen
rekurrieren können: erst an einer gemeinsamen Wirklichkeit
als letztem Nenner können Gründe »bewiesen« und damit das
Verständnis erzielt werden. Ja, erst auf der Basis einer gemein
samen Wirklichkeit können die Einzelindividuen für einander
existent werden, wenn sie ihre Kenntnis von einander nicht auf
eine irrationale, telepathische Intuition beschränkt haben.
Auch das historische Verständnis des Nachbarmenschen, der
eben hier der historische wird, beruht auf dem Auffinden seiner
(kausalierbaren) Wertwirklichkeit.
Damit aber kann erst der Kulturbegriff aus seiner Zerfase-
lung, die er mit dem Begriff des Geistes, besonders des Kultur-
geistes teilen muß, erlöst [werden]. Denn nimmt man diese Be
griffe, bezogen auf Gemeinschaften menschlicher Individuen
als Kulturträgern, wie sie als Inwohner eines zeitlich oder
räumlich, resp. zeit-räumlich begrenzten, national, religiös, be
ruflich oder sonstwie orientierten Kulturgebietes gegeben er
scheinen, so mag das Schwankende, Ungesicherte, oder sagen
wir eben Unwissenschaftliche aber dafür Literarische des Kul
turbegriffes in dem unbewiesenen Induktionsschluß gelegen
sein, der ein Aggregat von menschlichen Handlungen und
Werten ohneweiters zu einem Einheitsbegriff »Kultur« sam
meln will, daß ein Aggregat der allein empirisch feststellbaren
Einzel-Wertträger, deren Einzelgeistigkeit an und für sich pro
blematisch ist, in ihrer additiven und außerdem additions-unfä-
higen Gesamtheit den Einheitsbegriff eines Gesamt-Kulturträ
gers, gedacht im Begriff der Gemeinschaft und deren
»Kulturgeist«, repräsentieren soll.
Versuche, welche durch Betonung irgendeines willkürlich
herausgegriffenen Einzel-Kulturgutes, etwa der »Geisteskul
tur«, der »Lebenshaltung« und anderer Definitionslosigkeiten
zur Definition des Kulturbegriffes gelangen wollen, müssen eo
ipso fehlschlagen oder können besten Falles zu einer subjekti
ven Kulturbewertung führen: versucht man aber von hier aus,
den logisch einzig möglichen Weg der logischen Analyse der
möglichen Voraussetzungen und Bedingungen zu gehen, so
kommt man notwendig zu dem Begriff der Gemeinschaft, d. h.
dem Inbegriff von Einzelindividuen innerhalb einer Einheit
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überhaupt, um als solche als gemeinsamer Wertträger, als ge
meinsames Wertsubjekt funktionieren zu können.
Damit ist die Rückkehr zu unserem Fragekomplex gegeben.
Denn die Frage lautet nunmehr nicht mehr, was eine Gemein
schaft sei, sondern unter welchen Bedingungen Gemeinschaft
von Einzelindividuen möglich sei (wobei der Begriff des Indivi
duums eben schon als gesichert angenommen werden muß).
Und hier kann nun aufgewiesen werden, daß eine derartige
Verbindung von Einzelwesen, und seien [es] nur zwei, nur dann
gedacht werden kann, wenn sich dieselben in irgendeinem - es
muß keineswegs ein sprachliches sein - Verständnis zueinander
befinden. Prüft man dieses Theorem an dem Bestand empiri
scher Kulturkreise, so bestätigt es sich: allüberall verstehen sich
die Mitglieder des gemeinsamen Kulturkreises untereinander
- d e r mittelalterliche Mensch den mittelalterlichen Menschen,
der Kaufmann den Kaufmann, der Militär den Militär, der Ver
brecher den Verbrecher, der Christ den Christen - und stehen
dem Verständniskreis einer anderen Kultur, den Vorwurf der
Barbarei und des Irrtums stets parat haltend, brücken- und ver
ständnislos gegenüber. Daß sich hiebei Kultur- und Verständ
niskreise überschneiden können, daß partielle Verständigun
gen Vorkommen können, versteht sich von selbst.
Prüft man diesen Sachverhalt an dem Theorem der indivi
duellen Kausalierung, so geht er restlos in sie ein. Die Mitglie
der des gemeinsamen Kulturbereiches sind im Besitze einer ge
meinsamen Wertwirklichkeit, die ihnen durch eine gemeinsame
autonome Kausalität gesichert ist. Man spricht von kaufmänni
scher, militärischer, künstlerischer, politischer, ja sogar natio
naler Logik in dem Sinne, daß die Flandlungen und Wertset
zungen des betreffenden Wertsubjektes und Kulturträgers aus
einer ganz bestimmten Wirklichkeitsidee erfolgen: steigert sich
der partielle Wirklichkeitskreis solcher Einzelkulturen zu dem
totalen eines Sinngefüges der Welt, wie es in der religiösen Kul
tur vorhanden ist, dann wird die partielle Gemeinschaft eine to
tale: das Wahrheits- und Evidenzgefühl der gemeinsamen
Wirklichkeit wird identisch das gleiche für die Gesamtheit der
Kulturinwohner, und aus der Einheit dieses Sum, welches die
sem total identischen Wahrheitsgefühl zu Grunde gelegt ist,
darf erst die an den Begriff des Organismus gebundene Idee
vom menschlichen Einzelindividuum auf die Gesamtheit der
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Kulturträger übertragen werden: erst in diesem idealen Falle ist
der Induktionsschluß auf das tiber-individuelle Individuum als
Wertsubjekt und Wertträger der Gesamtheit zu gestatten, erst
hier erfüllt sich das Wort »Kulturgeist« mit Sinn; denn erst auf
den Begriff der absoluten Gemeinschaft und Wertwirklichkeit
vermag sich der reine Begriff der Kultur zu gründen.
Eines darf nicht vergessen werden: daß die Untersuchung eine
formale ist. In dem Augenblicke, da ihre Ergebnisse rein in
haltlich genommen werden, sind sie tot. Eine Gemeinschaft ist
keineswegs also eine Gruppe von Menschen, welche den glei
chen Glauben besitzen, ein Verständniskreis ist keineswegs ein
Kreis von gleicher Wertanerkennung, d. h. von Leuten, welche
den gleichen »Geschmack« haben - auf diese resultativen und
finalen Konstituentien der Begriffe kommt es nicht an, viel
mehr wurde angenommen, daß das Wahrheitsgefühl des ge
meinsamen Sum immanent in jedem, auch dem kleinsten
Schritte der geistigen Kausalierung, sagen wir also ruhig der
geistigen »Flaltung« (welcher Terminus von hier aus und erst
von hier mit Sinn erfüllt wird) vorhanden sei.
Diese »Haltung« des seienden Menschen, an der sich die
überindividuelle Einheit manifestieren soll, ist also sowohl in
seiner aktiven als in seiner reaktiven Wertsetzung und dem be
wegten Strom des in ihr gegebenen Erlebens manifestiert, also
im Bewußtsein seines seienden und ruhenden Ich und dem sei
nes gesetzten und geschaffenen Werkes: die Einheit der »Hal
tung« muß das Ruhende und das Bewegte des Menschen in
gleicher Weise erfassen, und wenn man bedenkt, daß Ruhendes
nur durch Bewegtes, Bewegtes nur durch Ruhendes (beides im
relativierenden Sinne genommen) zur Einheit gefaßt werden
kann, so muß jener Begriff, welcher diese Aufgabe erfüllen soll,
imstande sein, die Doppelfunktion solcher Forderung zu erfül
len. Denn jene Fülle von Einzelleben, Einzelhandlungen und
Einzelwerken, welche die Konstituanten des Kulturorganismus
bilden sollen, sind ruhend, soferne sie auf das Seiende ihrer
Einzelexistenzen bezogen gedacht werden, bewegt aber, wenn
dies auf deren lebendigen Ablauf hin geschieht, und die über
sie zu setzende neue Einheit muß beiden Komponenten gerecht
werden. Sucht man aber nach dem Terminus und den Begriff,
der dieser Forderung genügt, so ergibt sich leicht und unge
zwungen ein Wort von übler Vergangenheit, von aller Ästheti-
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siererei und aller schlechten Literatur beschmutzt und abge
griffen: der Begriff des Stiles.
Akzeptiert man und verallgemeinert man ihn, wie es für den
allgemeinen Definitionsbestand des Kulturbegriffes, in den es
sich einfügen soll, notwendig ist, für die ganze Kategorie des
Erlebens auf der einen Seite (zum Begriffe des - bewegten -
»Lebensstiles«), für die ganze Kategorie der Wertsetzung auf
der anderen Seite (zum Begriffe des-ruhenden —»Wertstiles«,
wie man ihn nennen dürfte), so zeigt sich mit großer Selbstver
ständlichkeit, daß im Stilbegriff jene Vorstellung eingeschlos
sen ist, die man in historischen »Typen« zu begreifen pflegt: erst
in dieser Bedeutung hat es Sinn, von dem Einheitsbegriff des
»Typus« eines Menschen der Renaissance, der Antike, aber
auch vom »Typus« des »Helden«, des »Weibes« usf. als den In
begriff seiner »Haltung« und Summe seiner Handlungen und
seiner Werke überhaupt zu reden.
Die Bedeutung des Stilbegriffes für die historische Erkenntnis
wurde immer geahnt. Trendelenburg suchte sich seiner Ein
heitsfunktion zu nähern, indem er beispielsweise das »Eben
maß« als das »Band der Verwandtschaft zwischen griechischer
Kunst und griechischer Philosophie«76 erklärte oder in der
»Ehrfurcht«77 die Einigung des kirchlichen Geistes mit dem
gotischen Bilde sieht.
Uber derartige vage, wenn auch zutreffende, aber immerhin
belanglose Bemerkungen ging es aber nicht hinaus.
Sucht man den Stilbegriff von hier aus zu vertiefen, so ist es
notwendig, nochmals seine - mögliche - Funktion innerhalb
des Werterlebens zu präzisieren. Erinnert man sich, daß die
spontane Gleichzeitigkeit von irrationaler Wertsetzung und so
zusagen rationaler Kausalierung als der Untersuchung Grund
these gegolten hat, und daß nach den bisherigen Ergebnissen
die Re-Aktion der Kausalierung unter die immanent wirkende
stete Kontrolle und Apodiktifizierung des Wahrheitsgefühls
(als Manifestation und Funktion des Geistigen) gestellt er
scheint, so ist der Schluß stringent und nicht abzuweisen, daß
auch die wertsetzende Aktion in ihrer spontanen Gleichzeitig
keit von jener »individuellen Kausalierung« ihrer Re-Aktion
nicht unberührt bleiben darf. Akzeptiert man aber dies, dann
ist jener bewegte Teil des Stiles, der Stil des wertsetzenden E r
lebens, kurzum der »Lebensstil«, in seiner aktiven Funktion der
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Wert- und Werksetzung nichts anderes als die ins Aktive ge
wendete Kausalität, und zwar hier die der »individuellen Kau-
salierung« des Geistes. In dem Augenblicke, da das Individuum
sich selbst plausibel und seiner Kausalierung gemäß seine Welt
setzt, ist ihm diese Welt kausal und plausibel.
Mehr aber noch: die Spuren der individuellen Kausalierungdes
Sum sind nicht nur in der Aktion der Wertsetzung wiederzufin
den, sie müssen auch dem resultierenden und gesetzten Werte,
dem Werk, dem Ding als Schöpfung des Ichs selber anhaften -
und diese Sichtbarmachung der individuellen Kausalierung am
geschaffenen Werke durften wir als die ruhende Komponente
des Stiles, als den »Wertstil« überhaupt ansprechen.
Damit ist aber die entscheidende Wendung vorgenommen.
Denn mag auch der Begriff der Gemeinschaft und der auf ihm
aufgebaute der Kultur und ihres Verständnisses unter dem
Aspekte der Dingbejahung und des Glaubens eine verhältnis
mäßig schärfere Formulierung des Problems darstellen, so darf
dennoch nicht vergessen werden, daß sich auch diese Überle
gung noch im Gebiete eines Induktionsschlusses bewegt und
daß daher neuerdings auf dessen empirische Basis, der des em
pirisch vorfindbaren Kulturdokumentes, zurückgegangen wer
den muß. Ist doch selbst das Dasein des historischen Menschen
als solchen problematisch und lediglich Ergebnis eines Induk
tionsschlusses aus dem Vorhandensein der dokumentierten
Quellen, auf die - soferne wissenschaftlich und beweiskräftig
gedacht werden soll - immer wieder rekurriert werden muß.
Und wenn sich hier der Induktionsschluß durch die Einführung
des Stilbegriffes und seiner beiden Komponenten im »Lebens
stil« und »Wertstil« wesentlich vereinfachte und handlicher ge
staltete, so ist jene Grundfrage, in der sich das Zurückgehen auf
den empirischen Sachbestand ausdrückt, die Frage: wie ist die
Dingbejahung an der Struktur des Dinges, als gesetzten Dinges
und Wertes, selber zu erkennen? zu der klaren Solution ge
kommen: Dingbejahung und Setzung des Dinges kann nur un
ter den Auspizien der individuellen Kausalierung eines seien
den Sum vorgenommen werden. Diese »aktive« Kausalierung
manifestiert sich aber im Begriff des Lebensstiles, der seiner
seits nur existent sein kann, wenn seine Aktivität am Stil des ge
setzten Wertes, also am Wertstil selber zum Ausdruck kommt.
Oder zurückgewendet: Dingbejahung, ja mehr noch, der mit
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ihr verbundene dualistische »Glaube« ist nur dann als existent
anzunehmen, wenn am gesetzten und geschaffenen Werke der
Wertstil zu konstatieren ist.
Besinnt man sich, daß die Wertsetzung des zeit-determinier-
ten Menschen und seines Sum in der Raumkategorie zu erfol
gen hat, so wird man inne, daß dasjenige, was wir Wertstil oder
jetzt kurz Stil nennen durften, so vielfältig auch die Möglichkei
ten seines Auftretens sind, in absoluter Reinheit als Raumform
manifestieren sich müsse. Die Architekturformen schieben sich
damit automatisch in den Vordergrund und neuerdings sei auf
die prävalente Rolle gewiesen, die der Architekturstil im Habi
tus der Kultur spielt. Aber die Architektur, das Haus, ist noch
Zweckform: dennoch trägt sie die Möglichkeit der reinen
Raumgestaltung in sich und an sich: in der Möglichkeit der Or-
namentierung, und die Ornamentform wurde auch tatsächlich
der letzte und schärfste Exponent, fast könnte man sagen, das
Differential jeden Stiles, die Behauptung erlaubend, daß Ding
bejahung und alle von ihr ausgehenden und abzuleitenden Phä
nomene nur dann angenommen werde dürfe, wenn Ornament
formen zu konstatieren sind.
Und hier zeigt sich bereits eine überraschende Übereinstim
mung. Denn betrachtet man beispielsweise die Entwicklung der
abendländischen Stilformen und hält man die Entwicklung des
abendländischen Sinngefüges, des christlichen Glaubens dane
ben, so zeigt sich der Gleichklang des Schrittes: mit der Erstar
kung der Kirche (und nicht umsonst ihren Zwecken vor allem
zu Diensten) entstand der europäische autochthone Baustil und
seine Ornamentik im Romanischen, erfüllte sich in der Gotik
mit dem höchsten Glanze des restlosen Glaubens und der rest
losen Gemeinschaft (nicht umsonst war die Bauhütte Gemein
schaft), um in der dünnen Religiosität der Romantik und des
Quäkertums, in den farblosen Formen des Biedermaiers und
des Kolonialstiles zu verblassen und zu erlöschen. Der handfe
ste Atheismus des Jahres 1848 war das Todesdatum jeden Sti
les. - Der Moderne aber war es Vorbehalten, ihre Unfähigkeit
zumindest ehrlich einzugestehen: sie - allerdings ein Architek
tengehirn - mußte die Platitüde der Zweckkunst entdecken,
gepaart sogar mit einer durchaus symptomatischen Anti-Orna-
mentik. So öde dieses Dogma nun auch ist, so vermag es den
noch wieder die Genesis der künstlerischen Ethik aufzuzeigen:
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auch hier, in Loos sogenannten Ideen, zeigt sich der Zwang, die
künstlerische Forderung des Wertzieles, hier des Hauses, abzu
leiten - wobei allerdings auch hier der neant, vier Mauern und
ein Dach, gleich dem Expressionismus sich ergeben mußte. Die
Moderne hat kein Ornament; denn sie hat das Ding aufgelöst.
Es gibt Leute, die diesen Unstil als Stil der Moderne ansehen.
Nach der hier versuchten Ableitung des Stilbegriffes erscheint
eine Widerlegung solcher Oberflächlichkeit kaum notwendig.
Es sei nur darauf hingewiesen, daß ja auch der Künstler frühe
rer Epochen unter dem Zwange der Wertzieldefinition gear
beitet hat: dieses Wertziel aber befand sich für ihn innerhalb des
Gesamtdinggefüges seiner »Welt als Schöpfung«, und seine
Definition vollzog sich innerhalb des Gesamtsinngefüges. Eben
dadurch, daß er ethisch wertvoll, d. h. des Werkes um des Wer
kes willen und hier in einem tieferen Sinne des Part pour Part
arbeitete, eben durch die Definition des Wertzieles, das inner
halb des Gesamtsinngefüges lag, arbeitete er stilgerecht - denn
sonst hätte ja auch der mittelalterliche Baumeister nackte
Zweckkunst treiben müssen—, und mit dem Stile ging sein Werk
in das Gesamtdinggefüge der Schöpfung ein.
Erinnert man sich aber, daß das Ding und nur das Ding zum
Objekte ästhetischer Bewertung werden konnte und daß ästhe
tische Bewertung nicht nach dem Radikal-Häßlichen skalieren
kann (denn dies ist logisch undenkbar), wohl aber nach dem ab
soluten Pol des absolut Schönen, daß also im Gegensatz zur
ethischen Bewertung, die nur nach abwärts zum Radikal-Bösen
skaliert, die ästhetische nur nach aufwärts streben kann, so wird
man nicht anstehen, jene absolute Schönheit in der Idee des ab
soluten dualistischen Sinngefüges, in der Idee des dualistischen
Gottes zu sehen.
So allein ist es zu verstehen, daß der alte Meister, und nicht
nur der Künstler, sondern auch der Handwerker, der Kauf
mann, der Soldat, indem sie ethisch aus der Definition ihres
Wertzieles heraus handelten, durch dessen Begründung im
schönen Sinngefüge ihrer, aus ihrem seienden Wesen heraus
erlebten und gesetzten Dingwelt, auch das Schöne schufen und
zur Ehre Gottes arbeiteten.
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handen. Ist biologisch vorhanden in den seienden Menschen
körpern, ist biologisch und sozial vorhanden im Dasein seiner
natürlichen und zivilisierten Umwelt. Aus dieser Antinomie er
gibt sich die Leistung und der Fluch der Moderne.
Das Ding ist vorhanden, ist also vom Ich gesetzt, trotzdem es
vom Ich abgelehnt werden muß: es besteht also eine Antinomie
zwischen aktiver und re-aktiver Wertsetzung - aus dem E r
leben des individuellen Sum heraus müssen Dinge gesetzt wer
den und das Cogito lehnt sie ab. Die Definition des Wert
zieles »Bild« führte zu dessen Auflösung; nichtsdestoweniger
wird der Maler weiter arbeiten; der Architekt sieht sich auf
die Zweckform angewiesen, nichtsdestoweniger fühlt er den
Drang nach Veredlung der Form (Messeschule J. Hoff-
mann).78
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Schaft ein und nahm an, daß alle Völker sich parallel entwickeln, in der Auf
einanderfolge eines göttlichen, eines heroischen und eines menschlichen
Zeitalters. Vgl. P rin c ip i d 'u n a sc ie n za n u o v a d 'in to r n o alla c o m m u n e n a tu ra
d elle n a z io n e (1725).
12 Francois Laurent (1810-1887), frz. Jurist und Historiker. Vgl. L a P h ilo so p h ie
d e l'h is to ire (Paris 1870), S. 15.
13 Edmund Husserl (1859-1938). Vgl. L o g is c h e U n te rsu c h u n g e n (19132) und
Id een z u e in e r rein en P h ä n o m e n o lo g ie u n d p h ä n o m e n o lo g is c h e n P h ilo so p h ie
(1913).
14 Herodotos (484-425 v. Chr.).
15 Xenophon (434-355 v. Chr.), griechischer Historiker.
16 Cartesius= Rene Descartes.
17 Hugo Grotius (1583-1645). niederländischer Rechtsphilosoph, Begründer
des neueren Naturrechts und des Völkerrechts. Vgl. D e ju r i b e lli et p a c is
(1625) und M a re lib e ru m (1609).
18 Vgl. Johann Gottfried Herder, B rie fe z u r B e fö r d e r u n g d e r H u m a n itä t (1793
bis 1797).
19 Wilhelm von Humboldt (1767-1835). Vgl. Id e e n z u e in e m V ersu ch , d ie G r e n
ze n d e r W ir k s a m k e it d e s S ta a tes zu b e s tim m e n (hrsg. v. Cauer, 1851).
20 Leopold von R anke (1795-1886).
21 Vgl. L. v. Ranke, G e sc h ic h te n d e r r o m a n is c h e n u n d g e rm a n isc h e n V ö lk e r vo n
1 4 9 4 bis 1 5 1 4 (Leipzig 18742), »Vorrede der ersten Ausgabe October 1824«,
S. VII.
22 Friedrich Wilhelm Schelling (1775-1854). Vgl. aus der Gesamtausgabe (14
Bde. 1856-1861) die Bände 11-14: P h ilo s o p h ie d e r M y th o lo g ie u n d O ffe n b a
ru n g .
23 Vgl. Wilhelm Dilthey, E in le itu n g in d ie G e iste sw isse n sc h a ft, Erster Band, Er
stes einleitendes Buch, Gesammelte Werke, 1. Band (Göttingen 19594).
24 Gustav Robert Kirchhoff (1824-1887), deutscher Physiker. Vgl. V o rlesu n g e n
ü b e r m a th e m a tis c h e P h y s ik . M e c h a n ik (Leipzig 1876), S. III (»Vorrede«).
Uber Kirchhoff plante Broch 1933 vorübergehend eine Biographie zu schrei
ben.
25 Christian August Brandis (1790-1867), deutscher Philologe und Philosoph.
Vgl. G e sc h ic h te d e r E n tw ic k e lu n g e n d e r g rie c h isc h e n P h ilo s o p h ie , Kapitel
»Aristoteles und die älteren Peripathetiker« (Berlin 1862), S. 429 f. und 477 f.
(kein wörtliches Zitat).
26 Franz Brentano (1838-1917), deutscher Philosoph. Vgl. V o n d e r m a n n ig fa
ch en B e d e u tu n g d e s S e ie n d e n n a c h A risto te le s (Freiburg im Breisgau, 1862),
S. 210.
27 Friedrich Adolf Trendclenburg (1802-1872), deutscher Philosoph. Vgl. L o
g isc h e U n te rsu c h u n g e n , Kapitel V »Die Bewegung« (Leipzig 18703), S. 141-
155.
28 George Berkeley (1684-1753), englischer Theologe und Philosoph. Vgl.
T rea tise C o n c e rn in g the P rin cip le s o f H u m a n K n o w le d g e (1710).
29 Vgl. Immanuel Kant, G r u n d le g u n g z u r M e ta p h y s ik d e r S itten , Erster Ab
schnitt.
30 Definition in Anlehnung an Kants »kategorischen Imperativ«. Vgl. I. Kant,
K ritik d e r p r a k tis c h e n V e rn u n ft, § 7.
31 Vgl. G. W. F. Hegel, V o rlesu n g e n ü b e r d ie P h ilo s o p h ie d e r G e sc h ic h te, III.3.2
(»Das Christentum«).
78
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32 Vgl. Hans Vaihinger, D ie P h ilo s o p h ie des A ls o h (1911).
33 Vgl. J. G. Herder, Id e e n z u r P h ilo s o p h ie d e r G e sc h ic h te d e r M e n s c h h e it (4
Teile, 1784-1791).
34 Rudolf Eucken (1846-1926), deutscher Philosoph. Vgl. D ie E in h e it d e s G e i
ste sle b e n s in B e w u ß ts e in u n d T at d e r M e n s c h h e it (1888).
35 Henri Bergson (1859-1941). Vgl. M a tie re et m e m o ir e , essa i s u r la re la tio n d u
c o rp s ä l'e sp rit (1896).
36 Anspielung auf die Expressionisten.
37 Sassaniden, persische Dynastie (226-651), Nachkommen des Priesters Sas-
san.
38 Jakob Friedrich Fries (1773-1843), deutscher Philosoph. Haupt der »Neu
friesischen Schule«, die eine psychologische Umbildung der Lehren Kants
versuchte, war Leonard Nelson (1882-1927).
39 Vgl. I. Kant, K ritik d e r rein en V e rn u n ft, Einleitung, IV.
40 Vgl. J. G. Fichte, W issen sch a ftsleh re.
41 Anspielung auf Studien wie die von Alexius Meinong, P sy c h o lo g isc h -e th isc h e
U n te rsu c h u n g e n z u r W ertth e o rie (1894) und Max Scheler, D e r F o r m a lism u s
in d e r E th ik u n d d ie m a te ria le W erte th ik (1913).
42 Alois Riehl (1844-1924), deutscher Philosoph, Neukantianer, steht zwischen
Kritizismus und Positivismus. Vgl. D e r p h ilo s o p h is c h e K r itiz is m u s u n d se in e
B e d e u tu n g f ü r d ie p o s itiv e W isse n sc h a ft (2 Bde., 1876-1887).
43 Gemeint sind John Locke und George Berkeley.
44 Friedrich Albert Lange (1828-1875), deutscher Philosoph, Vertreter der
Marburger Schule des Neukantianismus. Vgl. G e sc h ic h te d es M a te ria lism u s
u n d K r itik se in e r B e d e u tu n g in d e r G e g e n w a rt (2 Bde., 1866) und S c h ille rs
p h ilo s o p h is c h e G e d ic h te (1919).
45 Henry van de Velde (1863-1957), belgischer Architekt. Vgl. V o m n e u e n S til
(Leipzig 1907), S. 76ff. u. S. 95 (kein wörtliches Zitat).
46 Gerhard J. O. Knoop (1861-1913), deutscher Schriftsteller, schrieb kultur
kritische, satirische und historische Romane. Vgl. D ie D e k a d e n te n (1898),
P r in z H a m le ts B rie fe (1909), D ie H o c h m ö g e n d e n (1912).
47 Hugo von Hofmannsthal (1874-1929).
48 Gustave Courbet (1819-1877).
49 Paul Cezanne (1839-1906).
50 Wassily Kandinsky (1866-1944).
51 Jean Honore Fragonard (1732-1806).
52 Paul Delaroche (1797-1856), frz. Maler.
53 Denis Auguste Marie Raffet (1804-1860), frz. Maler.
54 Horace Vernet (1789-1863), frz. Maler.
55 Camille Corot (1796-1875).
56 Jean Francois Millet (1814-1875).
57 Emile Zola (1840-1902).
58 Claude Monet (1840-1926).
59 Edouard Manet (1832-1883).
60 Vgl. E. Manet, D ie E r s c h ie ß u n g K a ise r M a x im ilia n s v o n M e x ik o (1867).
61 Wahrscheinlich Anspielung auf die Zeile »Und dennoch sagt der viel, der
>Abend< sagt«, in Hugo von Hofmannsthals »Ballade des äußeren Lebens«;
vgl. Bd. 9/1 dieser Ausgabe, S. 199, Fußnote 157.
62 Anspielung auf Bilder von Franz Marc (1880-1916).
63 W. Kandinsky, Ü b e r d a s G eistig e in d e r K u n s t (München 1912). Vgl. auch Bd.
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9 2 dieser Ausgabe, S. 27, Fußnote 35.
64 Etienne Bonnot de Condillac (1715-1780), frz. Philosoph, Begründer des
neuzeitlichen Sensualismus.
65 AugustStramm (1874-1915), deutscher Lyriker und Dramatiker des Expres
sionismus.
66 Carl Einstein (1885-1940), deutscher Erzähler und Dramatiker des Expres
sionismus.
67 Marburger Schule des Neukantianismus, begründet von H. Cohen und P. Na-
torp.
68 Auguste Rodin (1840-1917).
69 Franz Metzner (1870-1919), deutscher Bildhauer, 1903-1906 Professor an
der Kunstgewerbeschule in Wien; schuf Monumentalfiguren und Denkmäler.
Hauptwerk: Standbilder des Leipziger Völkerschlachtdenkmals (1906 bis
1913).
70 Karl von Piloty (1826-1886), deutscher Maler, Hauptvertreter der realisti
schen Historienmalerei in Deutschland.
71 Anton Bruckner (1824-1896).
72 Gemeint ist das Werk Emile Zolas; vgl. Bd. 9/1, S. 34ff. dieser Ausgabe.
73 Eduard von Hartmann (1842-1906), deutscher Philosoph. Vgl. P h ilo s o p h ie
d es U n b e w u ß te n (1869).
74 Christoph Sigwart (1830-1904), deutscher Philosoph. Vgl. L o g ik (2 Bde.,
1873-1878) und V o rfra g e n d e r E th ik (1886).
75 Sergius Hessen (1887-1950), Pädagoge russischer Herkunft, Mitbegründer
der vergleichenden Erziehungswissenschaft. Vgl. G ru n d la g e n d e r P ä d a g o g ik
(1923), D ie P ä d a g o g ik K a n ts (1924).
76 Adolf Trendelenburg, »Das Ebenmaß, ein Band der Verwandtschaft zwi
schen der griechischen Archaeologie und griechischen Philosophie. Festgruß
an Eduard Gerhard (Zum Doctorjubiläum am 30. Juli 1865)«, in: A. T.,
K le in e S c h rifte n , 2. Teil (Leipzig 1871), S. 316-333.
77 Adolf Trendelenburg, »Der Kölner Dom, eine Kunstbetrachtung (Vortrag,
gehalten in der Akademie der Wissenschaften zur Feier des Geburtstages des
Königs Friedrich Wilhelm IV. 1853)«, in: A. T., K le in e S c h r ifte n , 2. Teil,
a.a.O., S. 292-315, besonders S. 309f.
78 Josef Hoffmann (1870-1956), österreichischer Architekt, gründete 1903 mit
Kolo Moser die »Wiener Werkstätte«.
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Zur Philosophie der Werte und der Geistigkeit
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wohl objektive als subjektive) Modalität des gesamten Erle
bens und Erkennens.
Die hiemit gegebene Antinomie zwischen den beiden Determi-
nierungssystemen als Agens allen Wirkens und aller Denkbewe
gung zu hypostasieren, halten wir uns für berechtigt.
Tendenz zur Lösung dieser Antinomie wird somit als universal
angenommen und das Gesamterleben in dieser Richtung gese
hen: die aktive und einzige Beziehung des Erlebens ist in seiner
Totalität auf diese causa finalis, der Lösung der Urantinomie als
seinem » Wert an sich« asymptotisch gerichtet, erlangend auf dem
unendlichen Wege Annäherungswerte, Teilwerte, Wertfiktionen.
Den Antinomiepolaren entsprechend sind zwei radikale Lö
sungsmöglichkeiten zu denken:
a) die Willensfreiheit des autonomen Ichs wird den Determi
nanten des Fremdkomplexes (Natur- und Psychogesetzlichkeit,
Logizität, usf.) unterw orfen,
b) der Fremdkomplex wird von der freien Aktivität des Ichs
abhängig gemacht, wird schlielSlich dessen Setzung.
Rigorose Verfolgung dieser beiden Asymptotenrichtungen
ergeben für das Individuum
zu a) ich gehe im All auf,
zu b) ich bin das All.
Dogmatisch genommen, geben die beiden Formeln Zusam
menfassungen der rationalistischen Weltanschauungen und
zwar des Materialismus (samt psychologistischen Spielarten)
einerseits, des Solipsismus andererseits. Irgendwie aber immer:
ob vom rationalen und griechischen Universalismus des Natur
gesetzes, ob von der Notwendigkeit göttlicher Allheit, ob vom
absoluten Ich getragen: jedweder Philosophie metaphysische
Komponente tendiert zur monistischen Lösung.
Es erhebt sich die Frage, ob eine der beiden Zielmöglichkeiten
zu Ungunsten der anderen als eigentlicher Wertträger ange
sprochen werden darf - umsomehr als innerhalb der monisti
schen Lösungsgruppe Wertverschiedenheiten (etwa zwischen
den Systemen des Bruno2 und des Haeckel) genügend augen
fällig sind.
I. Eine gewisse Abwertung der beiden Formeln gegeneinan
der ergibt sich in Auseinanderlegung ihrer rein logischen Be
ziehung: Ausdehnung des Subjektes Ich auf die Totalität des
Objektes in Formel b) »ich bin das All« identifiziert sie mit der
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Fassung »All ist ich«, in welcher die Formel a) »ich gehe im All
auf« sich ohneweiters einfügen läßt. Der umgekehrte Weg ist
nicht möglich; der Subjektsbereich in Formel a) »ich gehe im
All auf« ist - wie das »Aufgehen« bereits andeutet - im allge
meinen kleiner als der des Objektes. Eine Identifikation der
beiden Bereiche müßte eigens hineingetragen, betont werden
und könnte bloß einen, und keineswegs notwendigen, Spezial
fall des allgemeinen Inhaltes bilden.
Mit Inkludierung der Lösungsmöglichkeit a) in die Lösung b)
(und der Ausschließung des gegenteiligen) erscheint der Wert
inhalt bei b) kompletter und die Annäherung zur Antinomielö
sung könnte in der Formel »ich bin das All« kategorischer voll
zogen gedacht werden.
Die Berechtigung dieser zum Solipsismus neigenden Ent
scheidung gewinnt an Wahrscheinlichkeit durch formale Über
legung: Es wurden betrachtet:
»ich bin das All«: Bereich des Subjektes = Bereich des Ob
jektes.
»ich gehe im All auf«: Bereich des Subjektes < Bereich des
Objektes.
Die formale Notwendigkeit fordert zu setzen: Bereich des
Subjektes > Bereich des Objektes.
Wollte man diese formale Setzung »Ich größer als das All« ir
gendwie ausdeuten, so führt sie notgedrungen auf die even
tuelle Möglichkeit einer Bereicherung des Alls durch das Indi
viduum, auf ein vom Ich kommendes radikal »Neues« und
Durchbrechung des (universal zu denkenden) Konstanzgeset
zes. Eine »Produktivität an sich« wäre zu hypostasieren, die -
irgendwie als ein Supremstes - die Lösungsreihe der Werte im
Unendlichen begrenzt und über allem Wert stehend, von ihm
losgelöst, den Bereich des reinen Schaffens, den der »Mütter«3,
in sich birgt.
II. Die formale Auseinanderlegung ergab zwei Resultate:
Erstens: Aufhebung der Parität zwischen den beiden Lö
sungsmöglichkeiten, zu Gunsten der solipsistischen Lösung (b).
Zweitens: Festigung der Parität, da die Lösung in einer Form
gegeben ist, in welcher Subjekts- und Objektsbereich als iden
tisch (Ich = All) angenommen werden mußte.
Eine einfache Abwertung der beiden Positionen gegeneinan
der erscheint demnach ausgeschlossen (wie denn überhaupt ein
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Ding, ein Gedanke, eine Tat als solche nie Wertträger und Ver
gleichsobjekt sein können, sondern stets nur ihr Werden und
ihre Bewegungsbeziehungen zum gemeinsamen Gesamtsy
stem).
Die Wertverleihung an die solipsistische Lösung kann dem
nach nicht auf Grund derer formalen Eigenschaften erfolgen,
sondern ist aus ihrem Werden, ihrer erkenntnistheoretischen
Genesis und Setzung zu deduzieren. Die aufgezeigte formale
Beziehung zwischen den beiden Positionen kann als Ausschnitt
dieses allgemeinen Gedankenablaufes aufgefaßt werden.
Mit Setzung und Möglichkeit der Berechtigung solipsistischer
Überzeugung, d. h. also mit Setzung und Berechtigung der anti
nomischen Vorannahmen muß die Antinomie selber (samt ih
ren beiden Polaren) Gedankenobjekt eines letzt-bejahenden
Ichs werden. Das (Kantsche) Vehikel, das alle Kategorien be
gleitet, das »ich weiß« tritt hier in Funktion und erweitert sich
schließlich - durch die fortschreitende Verwandlung der Sub
jektspole in Gedankeninhalte eines »subjektiveren« Ichs - in
die Form »ich weiß, daß ich weiß... weiß, daß dem so ist«. Mit
dieser letzten Form der Erkenntnis, der eigentlichsten für die
»Selbstgarantie der Wahrheit«, ist für jeden Denkprozeß die
skeptische Richtungskonstante gegeben, die unendliche zum Ich
asymptotierende Fragekette des kritischen » Warum«, gegen
über der einmaligen metaphysischen Frage » Was ist das«.
Auflösung der ursprünglichen Fremddeterminierung »was ist
das« in ein Ich-Phänomen erscheint demnach als Endeffekt der
»warum«-Reihe. Ob auch als Endzweck, versteht sich einesteils
aus dem regulativen Charakter jedes »warum«, andererseits,
und umfassender, aus der Einordnung allen Denkens in die
Strebung zur Antinomielösung.
Bedenkt man nun, daß sowohl das ursprünglich metaphysisch
Gegebene (Außenwelt »was ist das«) als auch die Modalität des
Erkennens (Psychogesetzlichkeit und Logizität) vom Ich inde-
terminierbar, also Fremdkomplexe, sind, so verbleibt als ei
gentlicher Bereich des Ichs, in welchem sich eben die Auflösung
des Fremdkomplexes zu vollziehen hätte, jene unendliche, fast
fluidale Aktivität »an sich«, durch welche die Fremdphäno
mene solange verbunden, gelöst und vertauscht werden, bis sie
als Wahrheiten, Wahrheitsfiktionen in asymptotischer Gerich
tetheit, jene Konstellation erhalten, die in fortschreitender Ab
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straktion der letzt-phänomene Ich-Zustand der Apodiktizität
zu erreichen hätte.
Weder die Aktivität als Ich-Zustand noch ihre apodiktische
Zielphase dürfen aber als Identifikation mit dem unfaßbaren
Erleben »Ich« angesehen werden; eine solche Verwechslung
ergäbe sensualistische Trugschlüsse von Condillacscher bis
Machscher Färbung. Vielmehr erscheint diese Einschiebung
eines rational definierbaren Zustandes, diese »Ummantelung«
des - unfaßbar und noumenal bleibenden - supremsten Ichs als
strengere Auslegung der Vorüberzeugung, daß die vom auto
nomen Ich erfaßte Urantinomie lösend wieder in diesen Aus
gangspunkt einzumünden habe, ermöglicht durch die bestäti
gende Übereinstimmung mit der introspektiven Konstatierung
eines °o-Bewegungs-Kontinuums (als Zuordnung zu den D eter
minanten des Fremdkomplexes), als welches sich das I c h - s o
wohl phänomenologisch als erkenntnistheoretisch und psycho
logisch - »kennt«, d. h. rational zu objektivieren gegeben ist.
Hingegen die damit statuierte Komponente des Ichs, richtiger
das Bewußtsein und Wissen um sie, mit dem Begriffe »Geistig
keit« zu identifizieren erscheint berechtigt. Als eigentlich Tra
gende der skeptischen Richtungskonstante des Subjekt-Konti
nuums und als Bewußtsein seiner Autonomie (die ihr das
Wesen des »Persönlichen«, des »Individuellen« verleiht) wird
sie zum Prinzip des Antidogmatischen: Fiktivität und Hoff
nungslosigkeit der erreichten Wert- und Wahrheitskonstella
tionen erkennend, strebt sie, dem Urphänomen und Movens
folgend, zur Totalität und Gesamtorganisierung des Erlebens,
zur absoluten Weltanschauung, um in solcher Übermenschlich
keit das Mensch-Sein kat’exochen, die antinomische Tragik zu
offenbaren. -
Mit der endgültigen Setzung der Antinomielösung in den Sub
jektsbereich aber wird dem Determinierungssystem des auto
nomen Ichs gegenüber dem des Fremdkomplexes jenes »Über
gewicht« eingeräumt, das, zwar über aller Faktizität und ihrer
antinomischen Gegebenheit stehend, deren alten Determinie-
rungsstreit nicht schlichtet, aber in der idealen Möglichkeit
geistiger Aktivität und ihrem zur Absolutheit erhobenen asym
ptotischen Ziel doch den Gedanken einer absoluten Freiheit
des Ichs als platonischer Idee dem Begriff der causa finalis not
wendig und bedeutsam attributiert. Der Schillersche Kantia-
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nismus etwa erhält von diesem Punkt aus seine grundlegende
Orientierung.
III. Die universale Einformung des Fremdkomplexes in die
Ich-Aktivität verlangt kategorisch, daß die ihm angehörende
Komponente »erlebter Wirklichkeit« ihrem eigenen Gesche
hen nach auch auf diese Limes gerichtet sei, erhebt die Frage
nach der praktischen Erlebbarkeit erkenntnistheoretischer
Setzung. Solipsistisch gesprochen, erweitert sich damit das Ich
durch Einbeziehung, »Einverleibung« von Fremdobjekten
(Nerven, Gehirn, Körperlichkeit etc.) zum Phänomen des le
bendigen Menschen, fixiert sich das Erleben als Beziehung die
ses erweiterten Subjektes zum Testierenden Fremdkomplex
Welt. Die polar-paritätischen Phänomene cogitare und esse
werden im Sinne des Lebensgefühles, sum in mundo, entschie
den: sowohl subjektiv als objektiv vital-realistisch tritt für das
erkenntnistheoretisch zu nehmende Ich das psychologisch zu
nehmende Individuum.
Jene letzte Wechselwirkung zwischen gefühlsmäßiger Apo-
diktizität und dem Wissen um dieses Gefühl, in welchem die
zum Ich tendierende Selbstgarantie der Wahrheit ausschwingt,
legt die Vermutung nahe, daß hier in dieser Parität der beiden
Erlebenskomponenten die Bindung ihrer Inhalte zustande
komme, und daß hier die Kluft zwischen gefundener Wahrheit
und erkannter Wirklichkeit (das Kantsche Urproblem), deren
Überbrückung mit Rücksicht auf »außen« erkannte Wirklich
keit stets nur dogmatisch möglich erscheint, mit der Richtung
des Blickes aber auf das »Innen an sich« - und das entspricht
in Übertragung der Antinomielösung - geschlossen werden
könne. Und dem entspricht es, daß im Realen, sowohl intro
spektiver als physo-psychologischer Zentrierung folgend, das
Gefühl (genannte Phänomen) als letzte Subjektheit fungiert, so
die Folgerung gestattend, daß in der Position der Antinomielö
sung, dem auf sich seihst gestellten solipsistischen Bewußtsein des
Cogito das auf sich seihst gestellte Gefühl des Sum als faktische
Erlebensmöglichkeit zur Seite zu treten habe.
Diese Auffassung gewinnt an Wahrscheinlichkeit in der Er
wägung, daß psychologistische Analyse auch an der erkennt
nistheoretischen Setzung und Lösung der Antinomie Elemente
findet, die von ih r- mit ihr zukommender Berechtigung- in der
Gefühlsphäre lokalisiert werden: die Setzung der oppositen
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Determinierungssysteme wird hier durch Vorhandensein eines
»Fremdgefühls« als ermöglicht begriffen, mit welchem das von
»Freiheitsgefühl« durchdrungene Subjekt das Vorhandensein
eines »Anderen«, eines Fremdkomplexes überhaupt zu »mer
ken« und dieses Non-Ich (als momentanlokale Eindeutigkeit
des Welt-Zufalles gegenüber der absolutmannigfaltig gefühlten
inneren Entschlußfähigkeit), nach »Außen« zu verlegen befä
higt und berechtigt ist.
Schon aus der begrifflichen Gegenüberstellung zweier Deter
minierungssysteme wäre das Attribut »Hostilität« abzuleiten
gewesen. In der allgemeinen Erlebenskategorie der Wirklich
keit - Bindung an das körperliche Dasein des Ichs - wird dieser
Feindschaftsbegriff zur Klimax gesteigert im Phänomen und Be
griff des Todes.
Aus der hilflosen Einsamkeit des rationalen Ichs heraus wird
der Gedanke an die Unentrinnbarkeit des Todes zum Grauen
vor der Unentrinnbarkeit eines Ermordetwerdens. In dieser
supremsten Verknotung des körperlichen und seelischen Ab
laufes steht das Menschliche der Philosophie. Einmaliges und
zeitloses Ich, gefangen in den Kategorien eines Raumes, der das
Prinzip der Einsamkeit birgt, einer Zeit, in der es altern muß,
einer Kausalität, in der es sich als physikalischer Spielball der
Fremdgewalt empfindet, erlebt es in diesen physischen Gege
benheiten die Tragik seiner erkenntnistheoretischen Antinomie,
und drängend zu unerreichbarer Absolutheit und Lösung der
antinomischen Tragik, wird ihm diese causa finalis, jenes letzte
und heilige Ziel zum Menschlichen an sich, zur Überwindung
des Todes.
Im Unsterblichkeitsgedanken erhält das Prinzip des Geistigen
als Opposition zur physischen Bedingtheit des Todes (auch im
landläufigen Sinne) wichtige Orientierung und wird in direkte
Beziehung gebracht zu jener »Auf-sich-selbst-Gestelltheit« des
Ich-Gefühles, dessen Sum-Inhalt zur Absolutheit gesteigert das
Non-Sum des Todes radikal ausschließt: Unsterblichkeit, das
praktische Attribut der umfassenden, erkenntnistheoretischen
Antinomielösung und faktisches Wert-Ziel des asymptotischen
Limes [des] abstrahierten »Wertes an sich«. - Eine Tatsache,
die bekanntlich Ausgangspunkt für alle, materialistische, prag-
matistische, utilitistische, Teleologien und auch Philosophien
bildet. -
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Begreift man unter »Auf-sich-selbst-Gestelltheit« des G e
fühles in praktischer Auswirkungseine Ausdehnung auf die ge
samte Psyche des Individuums, begreift man darunter das soge
nannte »Aufgehen« des Ichs im Gefühl, so deckt sich der so
gemeinte Zustand mit dem psychischen Phänomen der Ekstase.
Nun ist aber das Gefühl des Ich-Seins allerdings bloß verstan
desmäßig in eine Reihe von bekannten Partialgefühlen zerlegt,
die ihrerseits von Außen (Empfindungen) determiniert, das
Ich, eine Condillacsche »figure« des Gefühles, einander ablö
send besitzen, und die jede für sich die Tendenz tragen, zur Ek
stase gesteigert werden zu können. Es ergäbe sich solcherart
eine ganze Reihe von Partial- und Spezialekstasen (was übri
gens dem wahren Sachverhalt entspricht), deren Verhältnis zur
Totalität man etwa gleich dem der Fiktion zur Wahrheit einzu
stellen geneigt sein könnte. Insolange das Gefühl von »Außen«
abhängig ist, kann es nicht rein »auf sich selbst« gestellt genannt
werden; dubios sind auch seine Ekstasen, katzenjämmerlich
und Todesgrauen in sich tragend.
Konnte nun innerhalb des Rationalen die isolierte, solipsisti-
sche Stellung ohne weiteres, d. h. zwingend kausal eingenom
men werden, so ist die radikale Rückführung des wirklich sei
enden Subjektes auf sich selbst und auf sein Dasein-Gefühl nur
durch Abschaltung der Welt zu erreichen. Die Askese als stärk
ste Bejaherin der Welt-Realität entflieht ihr (die »Neurose an
sich« und »Fiktion an sich« in sich vereinigend) und wäre doch
nichts als ein tierisches Hungern, gleich dem viehischen Beha
gen irgendeiner Genuß-Ekstase, träte nicht das Walten des
Geistigen helfend ihr zur Seite, die Ich-Totalität der mystischen
Ekstase erstrebend und ermöglichend: es predigt.
Eckehart in »Gottes Geburt in der Seele«: »Verarbeite Dir
alle Dinge«4; in der Bhagavadgita (III) heißt es: »Nicht durch
Vermeidung jeder Tat wird wahrhaft man vom Tun befreit,/
Noch durch Entsagung von der Welt gelanget zur Vollendung
man.«5
Der Weg zur Mystik eint sich hier mit dem der Kritik und
idealistischen Skepsis: fortschreitend von (rationaler) Wahr
heitserkenntnis zu weiterer Erkenntnis, sich in absoluter Anti
dogmatik bei keinem Wahrheitszustand befriedigend, das
erreichte Gleichgewicht sofort wieder aufhebend und zum
nächsten strebend, muß das Geistige (das wir in dieser prinzi
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piellen Aktivität wiedererkennen) schließlich den hoffnungslo
sen (solipsistischen) Standpunkt der absoluten Selbstgarantie
der Wahrheit, des mangelnden Kriteriums für die Deckungs
möglichkeiten der beiden Determinierungssysteme, erlangen.
Erreichung dieses Punktes wird der philosophischen Mystik
entscheidende Wendung und »Erstufung« der Ekstase: Ratio
nalität wird in ihrer Unzulänglichkeit vollkommen zurückge
stellt, Radikalismus des Gefühles tritt ein; aus dem natürlichen
Versagen des begreifenden Cogito vor der absoluten Frage
wächst jene Absolutheit des intuitierenden Sum und sucht die
dem Phänomen nach paritätische) andere Erlebensform auf
zuheben. Rationale Sprache genügt dem Ekstasierten nicht
mehr; ihre Begriffsinhalte werden abgestreift, sie wird dithy
rambisches Pathos, Rhythmus und Klang, um schließlich er-
schweigen zu müssen vor der Tat des Erlebens, der mystischen
Erreichung des Zieles, des Wertes an sich.
Daß solch schweigendes letztes Entzücken und Erleben über
haupt noch gedankenhaft festgehalten werden kann, ist - abge
sehen von der Schülerdogmatik nach jedem Mystiker - eben
auf die notwendige Zuordnung des Geistigen zum Gefühlser
lebnis zurückzuführen und auf die stets letzte Möglichkeit eines
»ich weiß« in Ich-Annäherung des Wechselspieles von Wahr-
heits- und Wirklichkeitsbejahung: versteht man aber aus dieser
Parität (der allgemeinsten des Denkens und Erlebens), daß die
Mystik überhaupt begriffliche Inhalte zuläßt, so versteht sich
auch, daß diese Äußerungen des lebendigen Faktums sich mit
den begrifflichen Lösungsmöglichkeiten (und zwar paritätisch
mit beiden) decken können: tendiert die philosophische Meta
physik zum theoretischen Monismus, so gibt ihre mystische
Auswirkung und Lebensmöglichkeit den pantheistischen Glau
ben,, in welchem die beiden Formeln »Ich bin das All« und »Ich
gehe im All auf« sich stets vereinigen werden.
Die sich damit neuerlich erweisende formale Nähe der beiden,
nichtsdestoweniger begrifflich-polaren Lösungspositionen zu
einander, die Möglichkeit des praktischen Übergleitens von ei
ner Position in die andere, manifestieren - an den Kreisschluß
der Geraden im Unendlichen erinnernd - wieder die Notwen
digkeit und Gangbarkeit des doppelten Weges, den des Seins
und den des Gedankens, den der Demut und den der Allumfas
sung, um in solch doppelter (Prinzip des »Beweises« tragender)
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Erreichung des Zieles und [der] »Kreisschließung« der Antino
mie im Unendlichen die allgemeine Erlebbarkeit der Lösung,
die Erlebbarkeit universalster Auf-sich-selbst-Gestelltheit des
Ichs wenngleich eben in unendlicher und mystischer Entfer
nung zu spontaner Evidenz zu bringen.
Absolute Auf-sich-selbst-Gestelltheit des Ichs als Entfal
tungszustand für das »Wesen«, den »Seelengrund« des Ichs
anzusehen, darf gewagt werden. In ihr ist die Abschaltung
der Welt und des Todes vollzogen. Fremdheit des Alls ist in
» Weltanschauung an sich« zur geistigen Konstellation des au
tonomen Ichs umgewandelt, eingeschlossen in jene letzte Apo-
diktizität des Bejahenkönnens und Wahrheitsgefühles, das zu
sammenfließt und mit dem absoluten Gefühl des Ich-Seins zu
jener flutenden wissenden Helligkeit und »Erleuchtung« wird,
von der gnadenreiches Entzücken aller Mystik beredtes Zeug
nis gibt. Identisch zu sich selbst gesetzt und doch ohne Tautolo
gie erlebt das Ich in mystischer Ekstase seine erkenntnistheore
tische und metaphysische Einheit mit dem All, in seiner
Eckehartschen »Abgeschiedenheit« zur Ewigkeit sich dehnend
und auf sich selbst gestellt - gleich dem ungestört wachsenden
Kristall-sein »Wesen« an sich entfaltend, Wesen des Ichs, von
dem Laotse sagt: »Wer seinen Platz nicht verliert, hat Dauer./
Wer auch im Tode nicht untergeht, der lebt.«6
Das Licht des Alls in sich tragend, entlöst des Fremden,
schwebend in sich selbst, weiß sich das Ich; Bild des absoluten
Gleichgewichtes.
Jegliche Teleologie metaphysischer Einstellung, sei sie nun
auf den Willen als solchen, auf den Willen zur Macht, auf ein
ökonomisches, energetisches, pragmatisches oder sonst irgend
welches Prinzip gerichtet, zielt nach einem auf die Außenwelt
gezogenen Effekt und setzt ein dogmatisches Außen voraus,
das es überallhin - mithin auch in die erkenntniskritischen
Überlegungen - mitzuschleppen hat, um so die idealistische
Grundbedingung aller Philosophie zu durchbrechen. Erst mit
der Legimitierung des radikalen Ich-Zustandes der mystischen
Ekstase zur causa finalis und zum Wert an sich, wird es möglich,
das praktische Erleben (als natürlicher Teil des Gesamterken-
nens) nach einer begrifflichen An-sich-Setzung zu orientieren,
den philosophischen Erkenntniswert aber als allgemeinen E r
lebenswert zu verstehen.
90
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Der mystische Zielzustand des Ichs rationalisiert und begreift
sich, wird (fiktiv) identifiziert mit der Aktionskonstellation sei
ner Bewußtseinsobjekte, die, radikal vergeistigt, den Zustand
absoluter Weltanschauung und Apodiktizität darstellt. Als
»Werte« (Vorwert des Zielwertes also) wären demnach alle
jene Konstellationen innerhalb der Erlebensinhalte zu be
zeichnen, die sich radikaler Vergeistigung des Fremdkomplexes
nähernd, dessen Determinierungssystem im aktiven Subjektsy
stem aufzulösen und einzuordnen trachten, d. h. sich in ihr als
apodiktisch bejahbar »bewahrheiten«.
Stimmt aber diese Auffassung - und sie tut es - so ist die Kon
stellation des Vorwertes als Annäherung an den Endwert not
wendig diesem »ähnlich«, steht in einem (blutverwandtschaft
lichen) Abbildungsverhältnis zu ihm, und - da die Endkonstel
lation als Offenbarung des »Wesens« des Ichs angesprochen
werden mußte - ist Wert seiner Struktur nach stets ein Bild des
absoluten Ichs. (In die Banalität der Psychologie übertragen:
der Mensch [ist] erkennbar an dem, was er für wertvoll hält.)
Zum Teil gestützt durch die formale Überlegung, daß dem Be
griffe subjektiver Aktivität der einer objektiven Bewegung (die
sich übrigens auch als Negativum des »Zustandes« zwingend
einstellt) notwendig zugeordnet sein müsse, wird dem Ich die
Fähigkeit und mit Rücksicht auf die Antinomielösung der
Zwang zugesprochen, im Fremdkomplex Bewegungskonstella
tionen, m. a. W. Beziehungen, zu schaffen, die dem erstrebten
Apodiktizitätszustand des Ichs adäquat und akzeptabel zu sein
haben.
Jede Determination bedingt eine Stabilität (einen Zustand,
Konstellation) der Funktion gegenüber der (freien) Variabilität
des Determinierenden: dem Determinierungssystem des
Fremdkomplexes als »Zufall« von unerschöpflicher Mannig
faltigkeit steht die einmalige Erlebnislinie des Individuums ge
genüber, dem freien Willen des autonomen Ich die - von ihm
stets gewollte - Restringierung des unfaßbaren Alls auf stabile,
kausaler Logizität unterworfene, Erkennens-Inhalte. Mit an
deren Worten und bildlicher: Bewegung ist nur in der Zeit
möglich: Bewegtes ist also mit »Zeitunabhängigem«, mit
»Dauerndem« zu identifizieren - ein Umstand übrigens, der
auf den Ewigkeitswert der Antinomielösung bereits Hinweise
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zu geben in der Lage ist. Selbstverständlich ist die »Stabilität«,
gleich der Bewegung, bloß ein Relationsprinzip, eine infinitesi
male Gleichgewichtsannäherung und ist keineswegs irgendwie
dogmatisch zu nehmen!
Die durch Bewegung einen Zustand schaffende Aktion deckt
sich mit dem Begriff der »Formung«, hier der Formung des Er
lebnisses durch die Aktivität des Ichs: begreift man unter »For
mung« das allgemeine Resultat ästhetischen Schaffens (ganz
ohne Rücksicht auf dessen interne Wertskala Schön-Häßlich),
so fällt die geistige Tat mit dem Ästhetischen vollkommen zu
sammen, setzt in ihm den zur Antinomielösung radikal notwen
digen Weg, um in der Absolutierung seines Zieles, das ästhe
tische Prinzip als auf-sich-selbst-gestellte »Geistigkeit an sich«,
zur Idee des Schöpferischen zu steigen, in ihr den subjekt-uni
versalen Freiheitsbegriff notwendig wiederfindend.
Bezeichnet man, der teleologischen Antinomie-Setzung ent
sprechend, die also geschaffene - der Idee des absolut-freien,
schöpferisch-allumfassenden Ichzustandes entsprechende -
Zielkonstellation als Wert an sich, so ist die Aktivität der Gei
stigkeit, in deren Bewegungsmöglichkeit der Fremdkomplex
zum ästhetischen Effekt werdend sich darstellt und auflöst, als
das Wertsetzende kat’exochen zu betrachten.
Damit erhebt sich aber die Frage, wieso in der Autonomie des
Erlebens und Bejahens nicht alles Wert werden muß, die Auf
gabe, wertsetzende Aktion von non-wertsetzender abzuson
dern. Theistisch genommen ist es die alte Frage nach dem Vor
handensein des Bösen in der Gottes-Welt und im Herzen des
Gott-abhängigen Menschen.
Da wie dort ist die Angelegenheit ein Determinismusproblem:
erst durch die Postulierung möglicher Willensfreiheit (hier in
der Antinomielösung) ist aus dem Gesamterleben ein even
tueller Komplex auszuschneiden, der nicht wertwollend - also
scheinbar nicht im Sinne der Antinomielösung - strebt. Die Po
larität Gut-Böse, dem Wert-Non-Wert assoziiert, läßt hier ne
ben dem ästhetischen Wert, als welcher eben das Resultat
geistiger Formung des Fremdkomplexes, also autonomen Erle
bens, anzusprechen ist, den ethischen Non- Wert erstehen. Die
Einstellung auf die Antinomielösung, sozusagen das natürliche
Verhalten des Gesamterlebens, hat mit einem Sollen (»Du
sollst zur Antinomielösung«), also mit ethischen Forderungen,
92
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bloß im übertragenen Sinne zu tun; erst durch die Möglichkeit
eines Nicht-Wollen des Wertes (dem das Nicht-Können und
der Irrtum im christlichen Sinne durchaus einzuordnen sind)
wird das Ethische in die Welt getragen, das demgemäß stets auf
ein »Du sollst nicht« rekurriert, also auf negativer Basis steht.
Ethisch bejahender Wert ist Doppelnegation: lediglich in
Deutung dieser Doppelnegation ist der ästhetische, Wert set
zende Akt auch als ethischer anzusehen. - Ergab demnach die
Erkenntnis letzt-rationaler Erfaßbarkeit des Ichs im Begriffe
der Aktivität und des Fremdkomplexes völlige Auflösung in
diese Aktivität die Notwendigkeit, ein Maximum des Fremd
komplexes (in Totalität selbstverständlich und nicht in der
Menge von Einzelfakten) in begrifflicher Stabilität erstehen zu
lassen, so kann diese Notwendigkeit bloß in Deutung der Dop
pelnegation in das ethische Prinzip der Marburger Aufgabe
hineingetragen werden. - Es ergeben sich demnach die systema
tischen Gesichtspunkte für den Wert: Ästhetisches Urteil wer
tet geformte Faktizitäten: sein asymptotischer Skalenpol ist der
Wert an sich; ethisches Urteil wertet aktive Formung: sein
asymptotischer Skalenpol ist der Non-Wert.
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Theorie der Geschichtsschreibung und der
Geschichtsphilosophie
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sophische Probleme genannt werden dürfen, kann sich für uns
selbstverständlich auch erst im Verlaufe unserer Arbeit erge
ben. Jedenfalls sind es Fragen, die man im landläufigen Sinne
als geschichtsphilosophische hinstellt und die als solche nicht
nur auf den Historiker ihre besondere Anziehung ausüben,
nicht nur alle Disziplinen in Bewegung setzen, die mit der Hi
storie in mehr oder minder engerem Kontakt stehen - das sind
so ziemlich alle von der Naturwissenschaft bis zur Theologie - ,
sondern eben in der Buntheit ihrer Zusammenhänge mit allen
möglichen Wissensgebieten, mit Historie und Anthropologie,
mit Volkswirtschaft und Psychologie, mit Ästhetik und Morali
tät, kurzum in ihrer ganzen Buntheit des »Lebens« eben auch
den mit einem Minimum von Fachkenntnissen und einem Ma
ximum von Schwatzhaftigkeit ausgestatteten Dilettanten an
locken müssen, der sich nirgends wohler fühlt als dort, wo er mit
dem ach so leidigen »Leben« operieren darf.
Diese »Unwissenschaftlichkeit« der Geschichtsphilosophie
wird am schwersten von jenem empfunden, der sich durch seine
fachwissenschaftliche Arbeit am meisten für berufen hält, sich
mit geschichtsphilosophischen Problem[en] zu beschäftigen:
wir meinen den Fachhistoriker. Ob er tatsächlich hiezu berufen
ist, ist mit eine jener Fragen, die erst im Verlaufe unserer weite
ren Analyse geklärt werden können. Sowenig wie die konkrete
Verwirrung auf dem Boden der Geschichtsphilosophie schon
Rechtsgrund für ihre theoretische Ablehnung sein kann, son
dern sich die Opposition nur gegen die erst aufzudeckenden,
gleichfalls theoretischen Gründe jener Verwirrung richten
kann, so wenig identifizieren wir uns mit den Argumenten, wel
che vom Forum der konkreten Geschichtsforschung gegen die
Geschichtsphilosophie vorgebracht werden. Dennoch dürfen
wir, ja müssen wir sie hier vor allem Vorbringen, da sie die G e
samtsituation unseres Problems schlagkräftig beleuchten und
uns gleichzeitig die erste Übersicht über unseren Aufgaben
kreis gewinnen lassen.
Es erscheint nämlich in der Ablehnung, welche die Historik
der Geschichtsphilosophie angedeihen läßt, eine erste, wenn
auch primitive Auseinanderlegung des geschichtsphilosophi
schen Komplexes, eine Auseinanderlegung, die für uns umso
bedeutsamer ist, als die Historik - trotz ihrer Ablehnung - in
der Auffassung dessen, was unter Geschichtsphilosophie zu
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verstehen sei, sich eigentlich zum Sprachrohr der von ihr be
kämpften Geschichtsphilosophie macht. Denn hier sind sich
Geschichtsphilosophie und Geschichtswissenschaft durchaus
einig: sie finden sich in der sehr landläufigen Anschauung, daß
der Geschichtsschreibung die quasi »tagebücherliche« Auf
zeichnung der Geschehnisse zuzuweisen sei, während der Ge
schichtsphilosophie es obliegen soll, die Wirrnisse der Ge
schehnisse nach Sinn und Richtung aufzulösen, d. h. das
eminent philosophische Problem der Freiheit und Notwendig
keit menschlichen Geschehens aus der Wirrnis herauszuheben,
Fortschritt und Ziel der Geschichte als Funktion ihrer Gesetz
lichkeit zu ergründen: das Schicksal der historischen Einzelper
sönlichkeit als Funktion des historisch Allgemeinen zu erfassen.
Diese durchaus plausibel klingende, wenn auch etwas vage
Auffassung der geschichtsphilosophischen Aufgabe ist in jeder
Geschichtsphilosophie wiederzufinden. Selbst die spekulative
Methode Hegels enthält sie immanent als Endziel, und auch alle
kritischen Erörterungen der geschichtsphilosophischen Pro
blematik bewegen sich auf dieser Diskussionsbasis.
Die empirische Geschichtswissenschaft, die diese Ansicht
vollkommen teilt, sieht in ihr daher auch nichts Angriffswürdi
ges. Der Konflikt zwischen ihr und der Geschichtsphilosophie
ergibt sich ihr erst bei der Durchführung dieses geschichtsphi
losophischen Programms.
Denn es liegt auf der Hand, daß jene intendierte Aufsuchung
des geschichtlichen »Sinnes« in den historischen Allgemeinhei
ten, »Gesetzlichkeiten« und Richtungskonstanten des Gesche
hens den Blick der Geschichtsphilosophie auf den empirischen
Geschichtsvorgang richtet, daß die Geschichtsphilosophie von
hier aus ihr Geschäft nur im Rahmen und in Verfolgung der hi
storischen Forschung und Darstellung betreiben kann. Was un
ter der historischen Allgemeinheit zu verstehen ist, ist ja, trotz
Lamprecht3, keineswegs klar; ist aber beispielsweise »das
Volk« unter diesen Begriff zu nehmen, der »Volksgeist« usf.,
so wäre es abenteuerlich, seine Kriterien anderwärts im empiri
schen Datum und seiner Aufzeigung zu suchen. Auch die He-
gelsche Komposition ist, wir deuteten es bereits an, hievon nicht
ausgenommen; auch sie tendiert zur »philosophischen Ge
schichtsschreibung«, die das Um und Auf aller Geschichtsphi
losophie bildet.
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Unter solchem Aspekte gesehen aber wird das Betätigungs
feld der Geschichtsphilosophie und der Geschichtswissenschaft
identisch das Nämliche - das Gebiet der historischen Darstel
lung-, und hier erwacht der sehr berechtigte Argwohn des em
pirischen Geschichtsforschers, fühlend, daß damit sein urei
genstes Arbeitsfeld von Unberufenen, von den mitlaufenden
Schwätzern ganz zu schweigen, betreten werde.
Der nicht sehr tiefgründige Einwand, daß gerade das histori
sche Objekt eine solche doppelte Darstellung zulassen müsse,
weil jeder Vorfall - und die Weltgeschichte besteht aus »Vor
fällen« - von zehn verschiedenen Zeugen gesehen ohnehin
zehn verschiedene Darstellungen zeitige, kann leichthin, und
zwar von der empirischen Historie am schlagendsten widerlegt
werden. Denn selbst zugegeben, daß der geschichtliche Vorfall
ein derart komplexes Gebilde verschiedenster Beziehungen sei,
daß die Heraushebung gewisser prominenter Kausalzusam
menhänge — etwa der ökonomischen einerseits, der rassen-
psychologisch[en] andererseits-schon vollständig verschiedene
Anschauungsmöglichkeiten ergäbe, so ist trotzdem nicht zu
verkennen, daß mit diesen verschiedenen Anschauungen, wenn
sie selbst auch schon verfeinert, prinzipieller, »wissenschaftli
cher« differenziert sein mögen als etwa die der zehn verschie
denen konkreten Augenzeugen, dennoch der gleiche subjekti-
vistische Relativismus am Werke ist, der dort die zehn
verschieden gefärbten Darstellungen ergeben würde. Denn je
des »Kausalierungs-Prinzip« - psychologisch gesprochen jedes
»Apperzeptions-Schema« - und sei es noch so theoretisch ge
faßt, erlaubt - darüber wird noch weitergehend zu handeln sein
- dahinter ein, wenn auch theoretisches, aber dennoch »be
schränktes« Subjekt zu setzen. Ehrgeiz und Aufgabe jeder
wirklichen Erkenntnis - geschweige also der wissenschaftlichen
- ist es, den »objektiven« Tatbestand zu Tage zu fördern: und
wenn dies konkret nicht möglich ist, so doch der »Idee nach«
das »Subjekt« im Erkenntnisvorgang völlig auszuschalten und
durch jenes »Pathos der Erfahrung«, das das Kriterium aller
echten Wissenschaft ausmacht, durch ihre ihr eigentümliche
»selbstlose« Hingabe an das positiv[e] Objekt, vom Objekt aus
und nur von diesem eine absolute und totale Erkenntnis von
ihm zu erhoffen. Diese Wendung zum Objekt, von Baco4 be
reits vorbereitet, ist auch in der Geschichtswissenschaft vor
97
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handen. Auch sie erwartet, eine totale und absolute Erkenntnis
ihres Objektes durch dessen hingebungsvolle und geduldige
Erforschung erlangen zu können. Und da ihr Objekt nicht das
»ökonomische«, nicht das »physiologische«, ja auch nicht das
»psychologische« ist, sondern das »historische schlechthin«, an
das ohne irgendeine subjektive Voraussetzung herangetreten
werden muß, so steht als ihr Ideal jene totale Universalge
schichte, deren Methodik in dem Worte Rankes niedergelegt
ist: »schlicht zu erzählen, wie es gewesen ist.« Inwieweit diese
Forderung von der Geschichtswissenschaft tatsächlich erfüllt
werden kann und erfüllt wird, inwieweit sie aus der Fülle der
Kausalzusammenhänge tatsächlich nur die objektiv darstel-
lungs»würdigen« auszulesen befähigt ist, wird mit zum Gegen
stand unserer Untersuchungen gehören: jedenfalls ist jetzt
schon festzustellen, daß das historische Objekt so gut wie das
naturwissenschaftliche oder sonst ein empirisch gegebenes eine
gewisse, sagen wir »positivistische Absolutheit des Objektes«
besitzt, eine gewisse Essentialität, die es befähigt, allen ge
schichtsphilosophischen oder anderen mehr oder minder sub
jektiv einseitigen Aspekten einen geradezu elastischen Wider
stand zu bieten. Man lese etwa die Geschichte der Bauernkriege
in so disparaten Darstellungen, wie es die Rankes und Kauts-
kys5, Schlossers6 und Lamprechts sind, oder die der englischen
Revolution nach den »Auffassungen« Buckles7, Sterns8 und
Bernsteins9 und wird verstehen, was wir mit der »positivisti
schen Absolutheit des Objektes«, d. h. mit seiner »Unverän
derlichkeit« meinen: eine doppelte Ausdeutung des nämlichen
Objektes, also eine philosophisch-ausdeutende und eine histo
risch-empirische, erscheint so wenig durchführbar wie etwa die
Darstellung eines Naturereignisses nach verschiedenen »Auf
fassungen«.
Aus diesem Aspekte heraus ist eine Evolution der G e
schichtsphilosophie zu begreifen, eine Evolution, die zum
größten Teil von der empirischen Geschichtswissenschaft ge
leitet wird und eben nichts anderes darstellt als den Ausdruck
jener Ablehnung und Abneigung, die die Geschichtswissen
schaft gegen die also skizzierte Geschichtsphilosophie hegt.
Wie immer die Geschichtsphilosophie als »philosophierende
Geschichtsschreibung« das empirische Gebiet behandeln mag,
ob nun in katholisch-moralischer oder in ökonomisch-materia
98
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listischer Auffassung, ob mit Berücksichtigung darwinistischer
oder aber moralisierender Elemente, ob nun endlich in »idea
listischer« Beleuchtung im Sinne Schillers oder in der dialekti
schen Hegels oder in der mikroskopischen Lotzes, immer wird
der empirische Geschichtsforscher hier Gesichtspunkte in den
Vordergrund gestellt sehen, die dem eigentlichen Erkenntnis
quell seines Verständnisses, die der objektiven historischen
Tatsächlichkeit wesensfremd erscheinen. Nicht nur die Me
thode der »philosophierenden Geschichtsschreibung« dünkt
ihm - mit Recht - als ein Einbruch in sein eigenstes objektives
Arbeitsfeld, auch ihre Ziele und Probleme glaubt er - wie
derum mit Recht - auf diesem befindlich zu sehen. Für ihn hat
die Gesetzlichkeit in der Geschichte, die Frage nach ihrem Sinn
und Ziel so gut wie ihre Darstellung aus dem objektiven Tatbe
stand selber hervorzugehen. Für ihn gibt es keine »eigene« Ge
schichtsphilosophie, gibt es eine, so bildet sie [einen] Teil der
empirischen Geschichtswissenschaft.
So kommt es, daß die Männer, welche an der Wiege der ob
jektiven und wissenschaftlichen Geschichtsschreibung stehen,
daß ein Niebuhr10 und ein Gervinus11, daß vor allem Momm-
sen12 und Ranke, obwohl sie inmitten der idealistischen Gei
stesbewegung standen und von ihr ihre philosophische Bildung
empfangen haben, diese Philosophie nicht zur Geschichtsphi
losophie ausbilden und ausbilden mochten. Gibt es Tendenzen
in der historischen Bewegung, die dem philosophischen Prin-
zipe adäquat sind, so müssen sie ihnen aus dem objektiven G e
schehen selber aufleuchten: eine Geschichtsphilosophie daraus
zu bilden, lag ihnen ferne. Rankes Abneigung gegen die Ge
schichtsphilosophie ist bekannt - er spricht von »Philosophe
men und Phantasmen« - und wenn seine »Ideenlehre« von den
Kärrnern auch zur »Geschichtsphilosophie« umgedeutet wurde
und als solche eine Flut geschichtsphilosophischen Gefasels
nach sich gezogen hat, so gipfelt sie dennoch, trotz ihrer idea
listischen Anfärbung, in der Überzeugung, daß die geschichts
philosophischen Elemente, die »Ideen«, doch nur aus der em
pirischen Darstellung und Beschreibung des objektiv-histori
schen Vorganges zu heben sind, in diesem gewissermaßen
immanent und objektiv-ersichtlich enthalten seien: »Ich kann
also die leitenden Ideen nicht anders bezeichnen, als daß sie die
herrschenden Tendenzen in jedem Jahrhundert sind. Diese
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Tendenzen können indessen nur beschrieben, nicht aber in
letzter Instanz in einem Begriff summiert werden.«13 Noch
deutlicher wird dies bei Mommsen, der den geschichtsphiloso
phischen Komplex in seiner weitverzweigten Lebensarbeit
überhaupt ignoriert; bei ihm wird es klar ausgesprochen, daß
der Begriff der geschichtsphilosophischen Gesetzlichkeit als
Bestandteil der Empirie zu gelten habe: »Die rechte Ge
schichtsforschung [...] sucht die Höhen und die Überblicke und
von glücklichen Punkten in glücklichen Stunden gelingt es ihr
herniederzusehen auf die unwandelbaren Gesetze des Notwen
digen, die ewig feststehen wie die Alpen, und auf die mannig
faltigen Leidenschaften der Menschen, die wie die Wolken um
sie kreisen ohne sie zu ändern.«14
Was von diesen deutschen, wir dürfen ruhig sagen klassischen
Geschichtsschreibern mit sicherem historischen Instinkt intui
tiv erfaßt worden ist, wurde fast gleichzeitig in Frankreich ra
tional entdeckt und ausgebaut: die Bearbeitung der sogenannt
geschichtsphilosophischen Probleme vom Standpunkt der em
pirisch-historischen Wissenschaft. Wir haben bisher den Aus
druck »Positivismus« lediglich als Bezeichnung der dem positi
ven Objekte zugewendeten Arbeitsmethode der empirischen
Wissenschaften im allgemeinen, der historischen im speziellen
angewendet, seinen landläufig philosophischen Sinn aber ver
mieden. Betrachtet man aber die geschichtsphilosophischen
Anschauungen Rankes und Mommsens näher, so mag es be
reits klar geworden sein, daß diese Männer, obwohl sie, wie wir
sagten, ihrer philosophischen Herkunft nach durchaus ideali
stischorientiert waren, infolge ihrer positivistischen Facharbeit
gegenüber geschichtsphilosophischen Fragen eine Stellung ein-
nahmen, welche bereits eine entschiedene Wendung zum Posi
tivismus antizipiert. Ja, man darf mit Fug behaupten, daß die
Zwiespältigkeit und Widerspruchsvollheit, die der Rankeschen
Ideenlehre allüberall anhaftet, auf den Widerstreit idealisti
scher und positivistischer Tendenzen im Intellekte ihres Autors
zurückzuführen sei.
Wir werden über den philosophischen Positivismus noch ein
gehend zu sprechen haben. Seine erste Bedeutung kommt ihm
hier, wo wir vor allem die allgemeine wissenschaftliche Situa
tion umreißen, in dem Umstande zu, daß er den eigentlichen
Ausdruck dessen bildet, was [sich] bisher unter Geschichtsphi
100
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losophie - und auch wenn sie idealistisch orientiert ist - dar
stellt. Nirgends wird dies klarer ersichtlich als in der Konkur
renz, die zwischen Geschichtsphilosophie und der empirischen
Geschichtswissenschaft in der Behandlung dieser sogenannten
geschichtsphilosophischen Probleme herrscht. Denn jenes Su
chen nach dem Sinn der Geschichte in ihrem empirischen Be
stände, ja selbst - wir sagten es bereits - die Konstruktion und
Umbiegung dieses Bestandes in Hegelschem Ausmaße, kurzum
die daraus resultierende »philosophierende Geschichtsschrei
bung« ist eben durchaus empirische Angelegenheit, und [das]
Wesen des Positivismus ist es, wenn man ihn auf seine kürzeste
Formel bringen will: philosophische Probleme im empirischen
Rahmen zu sehen und aufzustellen.
Nirgends nun zeigt sich der Boden günstiger für eine solche
Auffassung der Philosophie als in jenen Grenzgebieten, die wir
»Philosophien des Empirischen« nennen dürfen, in den Philo
sophien des Rechtes, der Natur, der Mathematik etc., vor allem
aber in der der Geschichte. Denn während die anderen doch
gewisse nähere Beziehungen zur reinen Philosophie unterhal
ten, die Rechtsphilosophie zur Ethik, die der Natur zur E r
kenntnistheorie, die der Mathematik zur Logik usf., steht die
Geschichtsphilosophie - vom Hegelschen Versuche abgesehen
- nahezu vollkommen isoliert, ja will, wie wir skizziert haben,
über das Empirische gar nicht hinaus. Und wenn wir - aller
dings vorwegnehmend - die empirische Behandlung des Philo
sophischen als »laienhaft« empfinden, so kann es uns jetzt auch
nicht mehr Wunder nehmen, daß gerade die Geschichtsphilo
sophie Denkfehler und Unklarheiten, die dem menschlichen
Erkennen im allgemeinen, nicht weniger aber dem philosophi
schen Erkennen einmal eigentümlich sind, krasser denn ander
wärts sichtbar werden läßt, daß sie, unterstützt von der leichten
Zugänglichkeit der geschichtsphilosophischen Probleme, dem
Schwätzer eher denn jede andere Disziplin Eingang gewährt
und daß sie, die in solchem Sinne selber »laienhaft« ist, das, was
der Laie in der Philosophie überhaupt sieht, nämlich ein Kon
glomerat unbewiesener Meinungen, zur vollen Entfaltung zu
bringen vermochte.
Aus eben diesem Grunde aber erschien das Bedürfnis umso
größer, den Problemen, die nun einmal als geschichtsphiloso
phische anerkannt waren, eine exakte und wissenschaftliche
101
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Behandung zuteil werden zu lassen. Und hier zeigte sich jene
empirische Wissenschaft, in deren Bereich sie eben fallen und
mit der sie bis dahin in Konkurrenz gestanden war, als das zur
Behandlung berufene Forum. Comte ist, das ist überaus be
zeichnend, von der Geschichtsphilosophie ausgegangen; er war
seiner Anlage gemäß ein Historiker, wahrlich kein Philosoph,
und das Gebäude des philosophischen Positivismus (nicht nur
das engere der Soziologie) kann, paradox gesprochen, als er
weiterte Geschichtsphilosophie aufgefaßt werden. Denn seine
Grundtendenz und sein Ziel, die Philosophie als letzte gesetz
mäßige Einheitssynthese der empirischen Wissenschaften auf
zufassen, die von ihnen in positiver empirischer Arbeit zu
erstaffeln ist, als Gipfelpunkt aller Einzeldisziplinen aber
gleichzeitig als ihren letzten Annex, ist nichts anderes wie jenes
Prinzip, das im historischen Universalgesetz den philosophi
schen Sinn der Geschichte zu umfassen vermeint. Und ebenso
bezeichnend ist es, daß die positivistische Philosophie, wo im
mer und wie immer sie auftritt, sei sie nun auf die Ethik oder
die Ästhetik oder die Erkenntnistheorie aufgebaut, sei es bei
Spencer, sei es bei Nietzsche oder bei Dilthey, auch immer und
geradezu automatisch die historische Methode zur Argumenta
tion heranzieht und die Erklärung ihrer Resultate in der geneti
schen Entwicklung der Fakten zu begründen sucht.
Für die Geschichtsphilosophie, immer vorausgesetzt, daß jene
Probleme als Geschichtsphilosophie zu gelten hätten, wurde die
strenge Rückverweisung auf die positive, empirische Wissen
schaft zum Heile. Die Soziologie mit ihren vielfältigen Mög
lichkeiten wurde zu einer neuen Wissenschaft, die mit ihrer ex
akten Aufsuchung historischer Gesetze, das was Ranke und
Mommsen vage vorgesehen haben, zu einer reichen Entfaltung
gebracht hat. Damit ist noch keineswegs gesagt, daß die G e
schichtsschreibung als solche - wie es etwa Lamprecht im psy-
cho-soziologischen Sinne will - zur Soziologie werden muß. Die
Soziologie als Ausdruck der historischen Allgemeinheiten und
Gesetzlichkeiten - auch hier finden wir einen Programmpunkt
unserer weiteren Analyse - wird stets erst auf dem Boden der
empirischen historischen Forschung erwachsen. Wohl aber ist
es für die Gesamtsituation von größter Bedeutsamkeit, daß die
positivistische Soziologie es ermöglicht, jene Probleme, welche
bisher als geschichtsphilosophische gelten, im Rahmen der em
102
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pirischen Geschichtsforschung zu erledigen, und daß diese em
pirische Geschichtswissenschaft, die wir zum Eideshelfer für
unser ablehnendes Urteil über die Geschichtsphilosophie anru-
fen konnten, in dieser, sagen wir Degradierung der Geschichts
philosophie zum Annex der empirischen Wissenschaft, ihre
Befriedigung finden mußte.
Es wird unsere Aufgabe sein, innerhalb des solcherart ge
fundenen Problembestandes und aus ihm heraus nach den
Möglichkeiten einer eigenen, sozusagen wirklichen G e
schichtsphilosophie zu suchen. Denn das, was jetzt etwa noch
als selbständige Geschichtsphilosophie übrig bleibt - die theo
retische Begründung der positivistischen Soziologie, bestenfalls
die Erkenntnistheorie der Geschichtsschreibung - wird wohl
auch mit einen Teil unserer Analyse zu bilden haben, kann aber
unserem Anspruch auf den Titel »Geschichtsphilosophie« nicht
genügen.
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»positivistische Absolutheit des Objektes« und auf sein »hypo
thesenfreies« Wissen um dieses Objekt, dilettantische Sonn
tagsausflüge in die quantite negligeable der Philosophie unter
nehmen zu dürfen.
Das Problemgebilde, das als sozusagen geschichtsphilosophi
sches aus der Vorgefundenen wissenschaftlichen Situation
sichtbar wird, präsentiert sich als spezifisches Grenzproblem
zwischen »empirischer« und »philosophischer« Erkenntnis.
Wir sind nun zwar überzeugt, daß der damit gegebene ge
schichtsphilosophische Bestand, wie er sich in den Begriffen der
»historischen Allgemeinheit« oder des »historischen Gesetzes«
usf. zeigt, alles andere denn Geschichtsphilosophie ist, und daß
die Frage nach der Zugehörigkeit dieses Fragekomplexes, sei
es ins Gebiet der Empirie, sei es in das einer als Philosophie
verkleideten Soziologie, mit eigentlicher Philosophie über
haupt nichts zu tun hat, aber wir halten es, schon im Interesse
der sehr lebendigen Streitfrage, für fruchtbar, unsere Untersu
chung, die auf Gewinnung einer »objektiven« Geschichtsphi
losophie abzielt, von dem (scheinbaren oder echten) Dilemma
zwischen Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie
ihren Ausgang nehmen zu lassen und prinzipiell danach zu fra
gen, inwieweit sich die »Philosophie der Empirien« von den ihr
beigeordneten und ihnen als Substrat dienenden empirischen
Disziplinen abscheiden lassen, inwieweit sich diese Paare von
Begriffskomplexen nicht nur gegeneinander, sondern jeder Teil
für sich, logisch und definitorisch abgrenzen lassen und an wel
chen Grenzpunkten sie schließlich Zusammenstößen.
Zur Lösung dieser prinzipielleren Frage, wäre es wohl nicht
notwendig, gerade von dem engbegrenzten Streit zwischen Ge
schichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie auszugehen.
Die Geschichtsphilosophie ist uns eine »Philosophie einer Em
pirie« unter unzählig viel anderen möglichen, so wie eben das
geschichtliche Erkennen einfach ein Erkennen im Empirischen
überhaupt ist, und der erkenntnistheoretisch einwandfreie Weg
müßte sich in eine Richtung bewegen, der der unseren gerade
entgegengesetzt wäre: er würde vor allem die Theorie der em
pirischen Erkenntnis überhaupt verlangen, sodann als zweiten
Schritt aus ihr die Indivuation in die einzelnen synthetischen
Einheitsbegriffe wie »Natur«, »Geschichte« etc. abfolgern, um
von hier aus zu dem Postulate vorzudringen, daß jede »Philoso
104
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phie einer Empirie« die Aufgabe habe, den logischen Inhalt des
betreffenden empirischen Bereiches aus seinem synthetischen
»Begriff« deduktiv abzuleiten.
Diesen reinlichen und strengeren Weg einzuschlagen, wäre
gewiß verlockend, dies umsomehr, als man hier bereits alle A r
beit als geleistet vorfinden würde: der erste Schritt, die Analyse
der empirischen Erkenntnis überhaupt, führt in das fruchtbare
und universelle Gebiet der reinen Erkenntnistheorie schlecht
hin, der zweite in das der erkenntnistheoretischen und logi
schen Wissenschaftslehre. Und ebenso erscheint das Verhältnis
von Wissenschaft und Philosophie als ein Thema, das neu anzu
gehen eine gewisse Präpotenz bedeuten könnte.
Die »Philosophien der Empirien« hätten solcherart als Glie
der, man könnte sagen als »Abfallprodukte« eines erkenntnis
theoretischen Systems, richtiger »des Systems« (denn wir ken
nen nur das kritisch-idealistische) aufzuscheinen. So sehr wir
nun auch erhoffen müssen, einen Standpunkt zu erreichen, der
diese systematische Ausgliederung und Übersicht gewinnen
lassen wird, so können wir unseren Weg trotzdem nicht von
diesem Standpunkt aus beginnen —denn wir müssen ihn eben
erst erreichen. Die Geschichtsphilosophie, wie wir sie uns den
ken, ist, das ist uns wohl bewußt, eine terra nova, und wenn wir
aus dem vorgegebenen System geradewegs auf diesen einen
Punkt »Geschichtsphilosophie« zusteuern wollten, so würde
dieser Vorgang - soferne wir eben unter »System« nicht etwa
das intuitiv-phänomenologische verstehen wollen, das solche
punktuelle Bereicherung recht wohl verträgt - stets das berech
tigte Mißtrauen hervorrufen, daß hier ein zufällig gegebener
empirischer Begriff seine schulmäßige und dogmatische Be
handlung durch irgendwelche, im Grunde ihm inadäquate phi
losophische Sentenzen erfahren solle. Und selbst wenn wir,
wozu wir allerdings weder die Präpotenz noch die Kraft hätten,
uns entschließen würden, zuerst den ganzen allgemeinen er
kenntnistheoretischen und wissenschaftslogischen Überbau
neuerdings aufzuführen, um zum Begriff der Geschichtsphilo
sophie zu gelangen, so wäre es immerhin fraglich, ob man auch
selbst dann noch uns nicht den Vorwurf machen könnte, wir
hätten damit trotzdem nur eine »Anwendung« kritizistischer
Prinzipien auf die Geschichte, nicht aber den objektiven Begriff
der Geschichtsphilosophie vorgeführt.
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Wenn wir also jenen objektiven Standpunkt doch erreichen
wollen, müssen wir vollständig »voraussetzungslos« (allerdings
nicht mit der so voraussetzungsvollen »Voraussetzungslosig
keit« des Positivismus) und aus dem empirischen geschichtli
chen Bestand hervor zu ihm Vordringen und können es uns nicht
einmal leisten, die Voraussetzungslosigkeit des kritischen Idea
lismus dabei vorauszusetzen, noch weniger dürfen wir hiebei -
vorderhand - von der von ihm geleisteten wissenschaftlichen
Arbeit nutznießen. Allerdings leitet uns hiebei auch noch ein
weiterer Grund.
Dank der erkenntnistheoretischen Arbeit, welche die kri
tische Philosophie durch Jahrhunderte geleistet hat und die,
nach der entscheidenden Zusammenfassung durch Kant, in der
Neukantschen, speziell in der Marburger Schule zu außeror
dentlicher Präzision und Verfeinerung gediehen ist, erscheint
das Verhältnis der empirischen Erkenntnis zur philosophischen
in einem, wie man behaupten darf, prinzipiell durchaus geklär
ten Stadium. Es liegt nun bekanntermaßen im Zuge dieser
geistigen Entwicklung, daß ihre fortschreitende erkenntnis
theoretische Analyse, welche der »Erkenntnis schlechthin«
wohl galt, diese aber nur im Zustand ihrer »Gewißheit« zur
Untersuchung erhält, sich stets nach dem Idealfall der mathe
matisch-physikalischen Gewißheit orientieren mußte, daß also
unter empirischer Erkenntnis geradezu ausschließlich die Er
kenntnis der »Natur« und das heißt hier der Naturgesetze ver
standen wurde. In diesem Sinne wurde hier der Problemkom
plex der Naturphilosophie tatsächlich zum automatischen
»Abfallprodukt« der Erkenntnistheorie überhaupt, und das
gefragte Verhältnis der empirischen Erkenntnis zur philoso
phischen begann sich nachgerade mit dem der empirisch
mathematischen Naturwissenschaft zur Naturphilosophie, die
aber hier auch schon Erkenntnistheorie überhaupt ist, zu dek-
ken.
Aus dieser Deckung der Bereiche ist es beispielsweise zu ver
stehen, daß positivistische und materialistische Vorstöße, wel
che, wie wir bereits sagten, die Naturwissenschaft so gut wie
eben jede andere empirische Fachdisziplin gegen die Philoso
phie immer wieder unternimmt und unternehmen wird, ihrem
Ausmaße, nicht ihrer Wirkung nach, stets die Philosophie als
»Ganzes« treffen wird, während jede andere positivistische
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Fachphilosophie, wie eben etwa die Geschichtsphilosophie,
über den ihr empirisch eingegrenzten Raum nicht ohne weiteres
hinauslangen kann. Der Historiker wird seinen Ehrgeiz bis zur
»Geschichtsphilosophie«, der Jurist bis [zur] »Rechtsphiloso
phie«, der Philologe bis zur »Sprachphilosophie« stecken: dem
Naturforscher gilt - nur Lumpen sind bescheiden - schlicht und
einfach »die Philosophie«. Deswegen wurde der Positivismus
erst auf der Plattform der Naturwissenschaft zur »positivisti
schen Philosophie« überhaupt, obwohl er seinen Ausgang und
seine Wurzel in der Geschichtsphilosophie hatte - und hat.
Leistete diese Deckung des naturwissenschaftlichen Erkennt
nisbereiches mit dem der »Erkenntnis überhaupt« den positi
vistischen Philosophieaspirationen zwar Vorschub, so ist ihr
andererseits zu verdanken, daß jeder in dieser Richtung ange
zogene Versuch automatisch in Konkurrenz zur reinen E r
kenntnistheorie tritt und unter die Kontrolle des »Systems« ge
stellt wird. So unvermeidlich solche Versuche immer wieder
auftreten und auftreten werden, so können diese, wenn sie
halbwegs ernsthaft genommen werden wollen, den tatsächli
chen Sachverhalt nicht übersehen. Gewiß tut der Naturfor
scher-Positivismus alles Mögliche zur Destruktion der Philoso
phie - was selbstverständlich nichts gegen die respekteinflö
ßende Leistung eines Mach16 besagen will - , aber er ist sich über
den Terminus »Philosophie« bei aller Unklarheit zumindest
doch so weit klar, daß er nicht, zurücksinkend auf die Stufe der
rationalistischen Naivität, etwa die Findung und Aufstellung
von »Naturgesetzen« zum Aufgabenkreis der Philosophie zäh
len wird. Während in den übrigen »Philosophien der Empirien«
derartige Auswüchse noch immer zum Objekte ernsthafter
Diskussion werden können, hat im Bereiche der im weitesten
Sinne gefaßten Naturphilosophie die enge Verschwisterung des
mathematischen Naturgesetzes mit dem erkenntnistheoreti
schen Wahrheitsbegriff doch schon so weit klärend gewirkt, daß
selbst jene Zweige der Naturphilosophie, wie etwa die Philoso
phie des organischen Lebens, die gewiß alle Anlagen zu gräßli
chen Seitensprüngen ins Nebulöse besitzen, doch schon einen
gewissen Respekt vor der erkenntnistheoretischen Kontrolle
zeigen und zumindest den Versuch machen, sich mit ihr zu ver
ständigen. Soweit also die Naturwissenschaft als Exponent der
empirischen Erkenntnis schlechthin in Betracht kommt, er
107
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scheint deren Verhältnis zur Philosophie im Großen und Gan
zen geklärt und abgegrenzt: die Naturwissenschaft hat das Ge
biet der empirischen Tatsachen zu erforschen und in möglichst
präziser, d. h. mathematisch-kausaler Gesetzmäßigkeit zu for
men; die Philosophie als allgemeine Erkenntnistheorie hat den
gesamten empirischen Gewißheitskomplex als Gebiet ihrer
Forschung, und ihre Gesetze sind die Gesetze der kausal-mög
lichen Erfahrung - soweit diese mit der mathematisch-natur
wissenschaftlichen übereinstimmt, ist Erkenntnistheorie im
weitesten Sinne Naturphilosophie und bewahrheitet das, was
Schopenhauer gegenüber der Schellingschen Natur-Metaphy
sik und »Hyperphysik« richtig vorgeahnt hat: »Das einzig
Brauchbare und Bleibende, was aus der Naturphilosophie un
serer Tage hervorgehen wird, wird sein eine Philosophie der
Naturwissenschaft: d. h. eine Anwendung philosophischer
Wahrheiten auf Naturwissenschaft.«17 Es ist jene reinliche
Scheidung, die in der Kantschen Formulierung Schillers aus
dem Distichon an die Naturforscher und Naturphilosophen
spricht:
Feindschaft sei zwischen euch! Noch kommt das Bündnis
zu frühe!
Wenn ihr im Suchen euch trennt, wird erst die Wahrheit
erkannt.18
Gegenüber dieser Situation auf dem Gebiete der Naturphiloso
phie läßt eben die Situation auf denen der übrigen »Philoso
phien der Empirien«, und wie wir im besonderen sahen, die der
Geschichtsphilosophie, solche reinliche Scheidung im beson
ders deutlichen Ausmaße vermissen. Es wäre nun augenschein
lich nichts einfacher, als wenn man auch hier daran ginge, die
»philosophischen Wahrheiten auf Geschichtswissenschaft an
zuwenden«, kurzum die Geschichtsphilosophie als »Philoso
phie der Geschichtswissenschaft« aufzubauen. Es ist dies, wie
leicht zu erkennen ist, jenes Ziel, welches mit dem von uns er
hofften und zu erreichenden Standpunkt zusammenfällt. Wir
sagten aber auch, daß uns noch ein weiterer Grund, außer dem
schon früher dargelegten, abhält, diesen Standpunkt sofort zu
beziehen, und dieser Grund liegt in der eben geschilderten phi
losophischen Situation in Ansehung der Naturwissenschaft.
Denn die eigentümliche Stellung, welche die mathematisch-na
turwissenschaftliche Gewißheit innerhalb des Universalgebie
108
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tes der Erkenntnis innehat und dieses nahezu vollständig aus
füllen läßt, muß notgedrungen zu einer Auffassung führen, in
welcher eine andere Gewißheit als die streng naturwissen
schaftliche quasi als Exotikum erscheinen mußte, und der es vor
allem angelegen sein mußte, dieses Exotikum von der übrigen,
sagen wir echt wissenschaftlichen Erkenntnis zu isolieren. Daß
diese Sachlage notwendig aus jener dem kritischen Idealismus
eigentümlichen Fassung des Wissenschaftsgedankens in seiner
mathematischen Form hervorgegangen ist, mag schon daran zu
ermessen sein, daß jene Schule, deren zweifelhaftes Verdienst
es ist, jenes Schisma der empirischen Erkenntnis konstruiert zu
haben - wir meinen die Schule Windelbandly-Rickert und in
gewissem Zusammenhang Dilthey und Simmel20 - sich, ob mit
Recht sei dahingestellt, auch zur neukantschen rechnet, mehr
noch: daß ihre Methode tatsächlich die kritische ist, indem sie,
das kann uneingeschränkt eingeräumt werden, eine »Philoso
phie der Geschichtswissenschaft« gibt.
Wir werden auf die Kritik ihrer Methode noch eingehend zu
rückzukommen haben. Vorderhand, wo wir nur die wissen
schaftliche Situation und unser Programm, das auf dieser Situa
tion zum Teil fußt, skizzieren wollen, haben wir es nur mit den
Resultaten der Methode zu tun. Und da zeigt sich auch schon
die notwendige Folge der vorgenommenen Separierung: wohl
ist ohne weiteres anzugeben, daß zwischen naturwissenschaftli
cher und historischer Erkenntnis ein gewisser und auch metho
dologischer Unterschied vorhanden sein muß, den als Problem
entdeckt zu haben das unbestreitbare Verdienst jener Schule ja
durchaus ist, aber indem sich alle Analyse einzig und allein die
ser Differenz zuwandte, ganz davon zu schweigen, daß sie sie
maßlos hypertrophierte, ging alle philosophische Arbeit, die für
das empirische Wissenschaftsproblem in seiner mathema
tisch-naturwissenschaftlichen Fassung geleistet ist, für seinen
sogenannt geisteswissenschaftlichen Zweig glattwegs verloren.
Wenn wir die philosophische Durchdringung der Naturwissen
schaften ins Auge nehmen, wie sie beispielsweise von Natorp
geführt wurde, so kann eine Arbeit, welche sich darauf be
schränkt, Geschichts- und Naturwissenschaft zu trennen, trotz
ihres logischen Wertes, nicht als gleichwertig, geschweige denn
als »Geschichtsphilosophie« anerkannt werden. Daß hier ihr
Atem zu kurz wird, mag schon an der Unbeholfenheit gesehen
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werden, mit der dem geschichtsphilosophischen Komplex ge
genübergestanden wird, an jener Flucht in den »Intuitionis
mus« einerseits, in eine dogmatische und leere Wertkategorie
andererseits, eine Flucht, die, im Kreis führend, schließlich
doch wieder in den unseligen, unfruchtbaren Streit des Positi
vismus - Dilthey nennt sich nicht umsonst einen Positivisten -
um die Stellung der »Geschichtsphilosophie« einmündet, ohne
diesen Streit um ein Jota vorwärts zu bringen.
Würden wir uns also im Vorhinein auf den Standpunkt des
Kritizismus stellen, so müßten wir seine erkenntnistheoretische
Position gegenüber der Naturwissenschaft, kurzum seine Na
turphilosophie, ebenfalls akzeptieren, denn diese geht streng
aus dem Gesetzesbegriff hervor. Dann aber ist die Gefahr, wel
cher die Windelband-Rickertsche Schule eben logisch erlegen
ist, nahe. Eine Revision dieses Verhältnisses erscheint im Inter
esse der Geschichtsphilosophie und vielleicht der »Philoso
phien der Empirien« dringend notwendig, und dies mag als
zweiter Grund und, wir dürfen hinzufügen, als Entschuldigung
gelten, daß wir das Verhältnis zwischen empirischer Erkenntnis
und Philosophie auf etwas verändertem Grundriß aufzubauen
versuchen.
Der Grundsatz, den wir hiebei festzuhalten haben, ist in der
Einheit der Erkenntnis gegeben. Wir wollen hier nicht von der
kulturalen Einheit sprechen, in der das Erkenntnismäßige
schließlich aufgeht, sondern von jener methodologischen, die
nicht nur das Empirische in sich, sondern auch die Philosophie
mit umfaßt. Wäre nicht eine solche umfassende höhere Einheit
vorhanden, so wären zwei Disparatheiten, wären Philosophie
und Empirie überhaupt nicht zu vergleichen - und daß sie vor
handen ist, mag schon an der Identität des Bereiches zwischen
Naturphilosophie und Naturwissenschaft erkannt worden sein.
Unsere Aufgabe wird es werden, die methodologischen Spal
tungsmöglichkeiten dieser Einheit zu untersuchen und in deren
Rahmen Empirie und Philosophie gegenüberzustellen, wobei
- und das soll eben das Novum sein - innerhalb der Empirie,
bei aller Wahrung weiterer Spaltungsmöglichkeiten, Naturwis
senschaft, Geschichte und jede andere Erkenntnisart ihren pa
ritätischen Platz behalten sollen. Daß wir auch hier die Einheit
des Erkenntnisgebietes wiederfinden werden, mag vorwegneh
mend ausgesprochen werden, denn gerade in dieser Einheit ist
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es gewährleistet, daß jedes Phänomen des Empirischen, philo
sophisch gesehen, philosophisch durchleuchtet werden kann,
daß es überhaupt die Möglichkeiten von »Philosophien von
Empirien«, daß es überhaupt eine »Geschichtsphilosophie«
geben kann.
Wie bereits erwähnt, werden wir im Sinne unseres Endzieles
hiebei vornehmlich den historischen Komplex als Ausgangs
punkt und Beispiel benützen, betonen aber nochmals, daß dies
nur ein äußerlicher, nicht aber ein prinzipieller Leitfaden der
Untersuchung ist.
1. Methodologische Vorbemerkung
Wenn wir, wie wir sagten, vom empirischen Sachverhalt ausge
hen und es uns versagen müssen, sofort den methodologisch-
kritizistischen Standpunkt zu beziehen, der erst als Ergebnis
unserer Untersuchung zu erhoffen ist, so würden wir doch bald
inne werden, daß alle unsere Bemühungen fruchtlos wären,
wenn sie sich darauf beschränken wollten, empirische Tatsa
chen von da und dort zusammenzutragen. Wohl können wir
vorderhand von dem eigentlichen Stoff unserer Analyse nur
eine empirische Meinung haben, aber dieser Stoff, die histori
sche Erkenntnis, ist in Kategorien gegeben, die lediglich empi
risch zu behandeln ein Atavismus wäre. Unser Vorsatz zum
Empirismus bezieht sich daher nur auf den eigentlichen histori
schen Komplex: ihn werden wir als solchen hinnehmen und,
von ihm ausgehend, insolange als empirischer Bestand mit uns
führen, bis auch für ihn die Umwendung zur logischen Behand
lung vollzogen werden kann. Unsere Untersuchungstechnik
aber selber, die Fassung des Spezialstoffes in seine allgemeinen
Kategorien, kann nur in der logischen Fragestellung und inner
halb ihrer Prinzipien erfolgen.
Jede theoretische Untersuchung irgendeiner Handlung aber
muß an dem Datum der Erfahrung beginnen, d. h. sie muß vor
erst das »Objekt« dieser Handlung, das empirisch Reale ken
nenlernen, sodann kann sie, muß sie zu der Handlung selber
aufsteigen, d. h. sie muß die »Methode« des Prozesses und seine
Bedingungen erfassen und erst nach Erledigung dieses G e
schäftes, erst im Zusammenhalt dieser beiden Korrelativa ist sie
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befähigt, die »Theorie« der Handlung, das heißt die »Bedin
gungen all ihrer Möglichkeiten überhaupt« und damit auch die
Bedingungen ihrer möglichen Erfahrung zu geben. Die Ver
wandtschaft dieses Postulates zum Hegelschen Dreischritt liegt
auf der Hand.
Auch die Philosophie, deren wesentlichstes Merkmal es ist,
die »Theorie« kat1exochen zu sein, ist an diesen Dreischritt ge
bunden - wir werden dies an der Geschichtsphilosophie neuer
dings bewahrheitet finden - und jetzt, wo es uns vorerst darauf
ankommt, den Unterschied zwischen Empirie und Philosophie
theoretisch festzustellen, können wir nicht umhin, uns ebenso
an diesen Vorgang anzulehnen.
Ein wesentlicher Faktor kommt uns dabei zu Hilfe. Was wir
vorstehend ganz allgemein als »Handlung« charakterisierten,
tritt in unserem Untersuchungsobjekt schärfer und präziser zu
Tage: die »Handlungen«, aus denen Empirie und Philosophie
bestehen, sind Denkhandlungen und besitzen als solche allbe
kannte und durchforschte Charakteristika, die die Analyse un
bedingt erleichtern.
Wir hätten demnach im Rahmen unserer engeren Aufgabe 1.)
das empirische und das philosophische Objekt herauszustellen,
2.) aus diesen Objekten und an ihnen die empirische und die
philosophische Methode zu entwickeln und endlich 3.) aus den
beiden Methoden die Möglichkeiten und Aufgaben der Empi
rie und Philosophie zu ziehen. Oder, noch weiter eingeengt auf
unser spezielleres Gebiet, die Möglichkeiten und die Aufgaben
der Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie zu um
reißen.
Aber schon der erste Schritt, der in diese Richtung zu machen
wäre, ist gehemmt: gibt es überhaupt gesonderte empirische
und philosophische Objekte? Wir behaupteten ja eben, daß das
Objektgebiet des Empirischen und das des Philosophischen
stets der Nährboden sei, und es muß es wohl sein, da es ja nur
eine einzige Kategorie des Objektes gibt: das Seiende schlecht
hin, sei es nun konkretes oder Gedankending, in seiner G e
samtheit das Universum darstellend - die ewige Gegebenheit
und Aufgabe aller und jedweder Erkenntnis, ob sie nun empi
risch oder philosophisch genannt sei. Und selbst wenn in dieser
Gesamtheit der Gegebenheit ein solcher Schnitt zwischen em
pirischen und philosophischen Objekten apriori vorhanden sein
112
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würde, so daß gewisse Inhalte eindeutig dem Bereiche der Phi
losophie, andere dem der Empirie zufallen würden, so würde
dies nicht nur eine »Verendlichung« der Erkenntnis bedeuten,
d. h. eine gewisse, geradezu »quantitative« Aufteilung der Ob
jekte in Erkenntnisprinzipien, unter denen der Philosophie
auch ein bescheidenes Eckchen gegönnt ist, es würde und
müßte sich auch sofort die Frage nach dem Kriterium solcher
Einteilung erheben, d. h. nach dem Rechtstitel, unter welchem
eine solche Individuation der Objekte vorgenommen wurde.
Diese Frage nach dem Rechtsgrunde der objektiven Indivi
duation wurde für die kritizistische Logik der Anlaß, die Aprio-
rität aus der objektiven Gegebenheit in die, Fichteisch gespro
chen, objektsetzende Methode zu verlegen. Die Erkenntnis
»hebt mit der Erfahrung an, entspringt aber nicht aus der E r
fahrung«,21 und damit wird die aristotelisch-statische Apriori-
tät des punktuellen Objektes in eine funktionelle der Methode,
d. h. in eines als »Bewußtsein überhaupt« gefaßtes, allgemeines
und noumenales Subjekt, in das des »Logos« verwandelt. Oder
m. a. W.: die »Inhalte« der Gegebenheit, in denen das »Da
tum« der Erfahrung wird, zeigen sich nur als »geformte In
halte«, d. h. sie wären als Inhalte überhaupt nicht vorhanden,
wären sie nicht Träger der »Form« ihres Erkanntwerdens - die
»Form« der Erkenntnis aber ist Niederschlag der Methode, ist
deren konkretes In-Erscheinung-Treten.
Allerdings: bleibt man hier stehen, so ist der Blick, zumindest
soweit er auf unsere spezielle Aufgabe gerichtet ist, auch nicht
aussichtsreicher. Denn auch hier gilt es zu fragen: gibt es eine
gesonderte empirische und philosophische Methode? ist nicht
das Erkennen in seiner logischen Gewißheit immer das stets
methodisch gleichbleibende; ist das Ja, das am Ende aller G e
wißheit steht, ein funktionell anderes, wenn es diese oder jene
Erkenntnis quasi abstrahiert? Und auch hier ergibt sich die
nämliche kategoriale Einheit wie im Bereiche des Objektes:
dort die Einheit der Gegebenheit im Seienden schlechthin, hier
die Einheit der Methode in der Erkenntnis überhaupt - und da
wie dort zeigt sich keine Möglichkeit zu der so notwendigen In
dividuation.
Wenn sich auch in dieser doppelten Vereinheitlichung jene
umfassende Einheit kundgibt, die wir als notwendig postulier
ten, damit wir innerhalb ihrer überhaupt zwei Dinge verglei
113
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chen können, so erscheint sie dennoch, trotz ihrer doppelten
Ansicht, unfähig, die Dinge in sich zur Individuation zu bringen.
Vergröbert gesprochen zeigen die beiden Ansichten jenes phi
losophische Fiasko, das dem Materialismus einerseits, dem So
lipsismus andererseits zu eigen ist, wie denn auch Materialismus
wie Solipsismus an dem Vorzug der Einheitlichkeit mittelbar
mit nutznießen.
Der außerordentlichen Gefahr, welcher ihr in diesen beiden
Extremen droht, begegnet die reine Erkenntniskritik mit dem
Frinzipe des Zusammenhaltes von Form und Inhalt, von Me
thode und Gegebenheit. Wohl hält auch sie an dem Faktum
fest, daß der »Inhalt« durch die »Form« konstituiert wird, d. h.
durch die »Methode« seiner Findung, wie beispielsweise ein
und derselbe Inhalt - obwohl er eben dann nicht mehr »der
selbe« Inhalt ist - etwa in der Historik je nach der Methode,
mit der er gesehen wird, rassenphysiologische, marxistische,
kollektiv-psychologische »Form« erhält und damit auch erfüllt
wird. Bei einem solchen Relativismus der Apperzeptionssche
men respektive den dahinter zu hypostasierenden logischen
Subjekten darf aber selbstverständlich nicht stehen geblieben
werden. Von diesem Beispiel mittlerer Allgemeinheit führt ei
nerseits der Weg zu immer weiterer Differenzierung der »In
halte« bis zum »logisch Seienden« schlechthin, andererseits zur
»Methode« überhaupt, die die Erkenntnis, wie immer sie ge
staltet sei, in der Ur-»Form«, d. h. als Urteil überhaupt gibt.
Hier aber ist die »Form«: »Form und Inhalt«, ist also der Inhalt
unmittelbar Bestandteil der Form und umgekehrt, ist damit der
Inhalt unmittelbar Ergebnis der allgemeinen Methode der Er
kenntnis. Es ergibt sich hieraus jenes Methoden-System, kurz
weg »das System«, in welchem jeder spezialisiertere Inhalt als
Funktion eines Urteils zu nehmen ist und in diesem als Be
standteil von »Form und Inhalt« zum Bestandteil des »Form-
Niederschlages« einer diesem Urteil überzuordnenden und al
lerdings spezialisierteren und individuierteren Methode wird,
wie dies bekanntlich besonders deutlich am Phänomen der
funktionalen Gesetzlichkeit wird. Das Methoden- und Ur
teils-System wird damit sozusagen zu einer Hierarchie von Me
thoden, welche, von der allgemeinen Methode der Erkenntnis
beginnend, sich quasi schachtelförmig und immer individuierter
und spezialisierter werdend ineinander »einschieben«, um
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schließlich als letztes »Ziel« zur »Idee« des Seienden schlecht
hin zu gelangen. Dieses »Seiende«, sagen wir selbst das nou-
menale »Ding an sich«, kurzum das »Objekt« und sein Inhalt
haben nur mehr »richtung-gebende« Bedeutung, es löst sich
zum »sich selbst erzeugenden Ursprung« auf, gleichwie das
»Subjekt« hinter der »Methode überhaupt«, hinter dem Logos
verblaßt.
Ob mit dieser Fassung die Individuationsfrage restlos gelöst
ist, haben wir hier nicht zu untersuchen. Daß, abgesehen von
dem hier radikal eliminierten metaphysischen Hinter-Sinn von
Subjekt und Objekt, nicht nur ein metaphysischer, sondern
auch ein logischer Rest Unruhe Zurückbleiben könnte, mag
vielleicht an den phänomenologischen und gegenstandstheore
tischen Bemühungen sichtbar sein. Jedenfalls steht fest, daß in
der vom Kantschen Kritizismus erreichten Position eine unan
tastbare wissenschaftliche Festigkeit liegt, die wohl ausgebaut,
nicht aber erschüttert werden kann.
Auf unser Problem angewendet, glauben wir [die] eigentliche
Fruchtbarkeit dieser Position in dem Umstande zu sehen, daß
an dem von ihr gegebenen Zusammenhalt von Subjekt und
»Objekt« eine gewissermaßen letzte methodologische Staffel
erstiegen wird: es wird an ihr klar, daß jede »Theorie« der Er
kenntnis, jede »Erkenntnis von Erkenntnis« oder wie bei uns
die einer spezialisierten Erkenntnis, Theorie des »Erkennens«
ist, und das heißt für unsere Formulierung, daß das »Objekt«,
bei welchem wir laut unserem eingangs angeführten Postulat
unbedingt anzusetzen haben, nicht das »Objekt« jenes Erken
nens ist, sondern daß das »Erkennen als solches«, das sein Ob
jekt wie sein Subjekt in sich einschlicßt, daß also der Zusam
menhalt beider Bestandteile unser Gesamtobjekt zu sein hat.
Oder m. a. W. und allgemeiner: insolange ich selber eine Hand
lung ausführe und mir über sie »theoretisch« »klar« sein will,
habe ich mich nur an das Objekt dieser Handlung zu halten,
wenn ich aber eine Theorie dieser Handlung als objektiviertes
Faktum bilden will, dann muß ich auch das Subjekt objektivie
ren, muß auch dieses in das Objekt meiner Theorie eingehen.
Wenn wir nun auch hier aus den in der Einleitung dargelegten
Gründen, ohne Rücksicht darauf, ob die reine Erkenntniskritik
die für uns notwendige Individuation liefern kann oder nicht,
gewissermaßen empirisch zu unserem Problem Stellung neh
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men müssen, so ist allerdings die Trennung nach Objekt und
Methode des Erkennens vorderhand nicht aufzuheben, son
dern wir müssen den Punkt unserer Untersuchung abwarten, an
welchem sich die Elemente, die wir vorderhand noch getrennt
halten, sozusagen automatisch wieder vereinigen könnten.
Wohl aber können und müssen wir uns die erreichte Klarstel
lung zu Nutze machen.
Unsere Auseinanderhaltung ergab nun primär die Frage nach
dem Objekt, oder wie wir nun präziser sagen dürfen, nach dem
Inhalt der empirischen, respektive der philosophischen Er
kenntnis, sekundär die nach der Methode der beiden Bereiche.
Es ergab sich nun, daß weder die »statischen« und »objektiven«
Inhalte, die das Seiende schlechthin darstellen, noch die »sub
jektive« und »dynamische« Methode, die die Erkenntnis über
haupt ist, jene Scheidung und Individuation zuließen, welche
wir für die Problembehandlung benötigen. Wohl aber wurde es
klar, daß die primär zu nehmenden Inhalte durch die sekundär
zu nehmende Methode ihre Individuation erfahren, indem die
ses subjektiv-dynamische Element nunmehr ein objektiv-sta
tisches Korrelat, nämlich die »Form« als »Niederschlag« am
Objekt erhielt. Und andererseits wurde es klar, daß die Indivi
duation der Methode in Methoden nur durch die Inhalte erfol
gen kann, an denen sie konkret sichtbar werden, und daß
sich damit das statisch-objektive Moment des Inhalts in ein
dynamisch in Subjekte wirkendes verwandelt, indem es das
»Richtung-Gebende«, das »Ziel« der Methode und Methoden
wurde.
Fragen wir nun nach dem Gesamtobjekt unserer Erkenntnis
der Erkenntnis, so erscheint es uns nun zwingend, daß neben
den »Inhalt« eben dieses subjektiv-dynamische Korrelarium zu
treten hätte, wie es auf der anderen Seite als »Form« bereits ne
ben die »Methode« getreten ist. Und selbst wenn gar keine an
deren Gründe dafür sprechen würden, so wäre es wenigstens
Gebot einer gewissen architektonischen Symmetrie. Psycholo-
gistisch gesprochen: in unserem Gesamtobjekt unserer Er
kenntnis vom Erkenntnisakt benötigen wir für den hypostasier-
ten Vor-Erkenntniszustand neben dem dem Erkenntnisakt
dargebotenen Inhalt auch die Prädisposition des Erkenntnis
subjektes, genau so wie nach erfolgtem Akt sich dieses nun
mehr als »Form« seiner fertigen Erkenntnis präsentiert. Womit
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allerdings keiner psychologistischen Interpretation Vorschub
geleistet werden soll.
Ein Novum wagen wir damit eigentlich nicht. Was wir verlan
gen, ist mit dem erkenntniskritischen Problem der »Frage« als
logische Apriorität des Erkennens identisch. Wir wollen ledig
lich das Individuations-Schaffende der »Frage« eben als ein
dem Methodischen logisch Vorhergehendes scharf herausstel-
len und damit die Möglichkeit geben, sie dem Objektkomplex,
an dem wir unsere Untersuchung beginnen müssen, unweiger
lich beizuordnen. Oder wieder psychologistisch gesprochen: die
Frage gehört mit dem gegebenen Inhalte dem perzipierten Be
stände an, Form und Methode dem apperzipierten.
Allerdings kann der Terminus »Frage« irreführend wirken, da
die Frage als solche schon rationale Formung ist und damit Teil
an der Methode hat, während wir tatsächlich nur die auf einen
individuierten Inhalt orientierte »Gerichtetheit«, eine »Ab
sicht«, die im psychologischen Komplex am besten mit dem
Worte »Interesse« (als etwas, was der Frage unter Lenkung der
»Aufmerksamkeit« vorhergeht) umschrieben wird. Wir stehen
nun nicht an, dieses Wort »Interesse« auch auf den erkenntnis
kritischen Bestand anzuwenden und unter ihm jenes subjektive
Moment des »Gesamtobjektes« zu meinen, das die Individua
tion der »Inhalte« überhaupt ermöglicht. Auch hier ist eine ge
wisse architektonische Symmetrie zu verspüren: die Individua
tion der Inhalte ist der Zahl nach eine quantitative, wenn sich
auch, phänomenologisch ausgedrückt, die individuierten Dinge
ihrer eidetischen Wesenheit nach qualitativ von einander un
terscheiden. Die Individuation des »Bewußtseins überhaupt«,
welche wir mit Hilfe des »individuations-stiftenden« Interesses
vornehmen, ist im Gegensatz hiezu eine qualitative, und dies
festzuhalten erscheint uns wichtig, um eben nicht eine Materia
lisierung unserer rein erkenntniskritischen Konstruktion auf-
kommen zu lassen, die etwa das »Bewußtsein überhaupt« in
Korrektion zur Objektmannigfaltigkeit in eine konkrete Sub
jektmannigfaltigkeit von Interessen zerteilen wollte. Die psy-
chologistische Ausdeutung dieser Konstruktion ist wohl mög
lich und auch nicht neu: sie ist dann eben die Umwandlung der
qualitativ-individuierten Gerichtetheiten des Bewußtseins
überhaupt in quantitativ zählbare (hier ist auch wieder die
Symmetrie) Ausschnitte des Gesamterkennens, und dieser
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»Ausschnitt« bildet im Gebiete der Psychologie das Phänomen
der »Aufmerksamkeit« - wobei es überdies unbenommen
bleibt, diese als »Aufmerksamkeit an sich« wieder ins Nou-
menale zurückzuwenden. Letzten Endes aber materialisiert
sich die mit Hilfe des reinen Interesse-Begriffes vollzogene
qualitative »Individuation des Subjektes an sich« zu seiner
quantitativen Aufteilung in verschieden »veranlagte« reale In
dividuen, d. h. in reale Subjekte unterschiedlicher »Charak
ter-Inhalte«, die dann eben die Träger der verschiedenen »In
teressen« und der mit diesen verbundenen und von ihnen
abhängigen Apperzeptions-Schemata sind.
Eben all diesen Materialisationsmöglichkeiten gegenüber ist
festzuhalten, daß die Individuation des Subjektes, die Indivi
duation des »Bewußtseins überhaupt« nach Interessensphären
- etwa der der Philosophie und der der Empirie etc. - eine rein
qualitative ist, daß die (wissenschaftlichen) »Disziplinen«
durchaus als »Ideen« dieser Individuation gelten können, und
daß sie trotz ihrer Abhängigkeit von der quantitativen Indivi
duation der Inhalte, denen sie gelten und mit denen sie in Koor
dination stehen (wir könnten sie ja sonst gar nicht benennen,
wenn nicht nach dem Namen ihrer Inhalte), diesen logisch doch
vorausgehen, da sie den Inhalt eben »stiften«, um mit ihm zu
sammen das »Gesamtobjekt« der Erkenntnistheorie zu sein.
Resümieren wir auf dieser Basis, so ergibt sich:
1. unsere Untersuchung hat vor allem nach dem »Objekte«
der empirischen und philosophischen Erkenntnis zu fragen.
Dieses Objekt ist in den »Inhalten« und dem »Interesse« gege
ben. Die Frage nach den Inhalten wäre aber müßig, da sie das
Seiende schlechthin sind und erst durch das Interesse individu-
iert werden; folglich ist das Phänomen des »Interesses« zu ana
lysieren.
2. hat sie nach dem »subjektivistischen« Komplex des Be-
standes zu fragen, bestehend aus »Methode« und »Form«. Hier
aber ist die Methode invariant, während die Form als ihr Expo
nent an den, bereits durch das Interesse individuierten, Inhalten
aufscheint. Folglich sind hier die »Formen« der empirischen
und philosophischen Erkenntnis zu studieren.
3. Erst aus den »Formen« der philosophischen und empiri
schen Erkenntnis, wie sie als geformte Inhalte sich ergeben, ist
auf die Individuation der Gesamtmethode in spezialisierte Dis-
118
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ziplins-Methoden rückzuschließen. Und erst aus diesen werden
die logischen »Möglichkeiten« der Empirie und Philosophie,
hier der Geschichtswissenschaft und Geschichtstheorie, wie wir
hoffen, automatisch herausfallen.
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des »Interesses überhaupt« ist aus dem des »Inhaltes über
haupt« , der nichts anderes ist als der des »Seienden überhaupt«
zu entwickeln.
Die objektivierende Überlegung in die subjektivierende An
sicht zurückgewendet, in der notwendigerweise alles »Erken
nen« erscheinen muß, bedeutet, daß das interessierte Subjekt
bereits a priori ein »Wissen« um den Inhalt besitzen muß, auf
den es sein Interesse richtet. D. h.: ich kann den statischen Be
zugspunkt des Interesses, der im Seienden und im Wissen um
das Seiende zu gewinnen ist, erst dann für die Konstituierung
des Interesses selber fruchtbar machen, ja zu diesen in eine in-
halts-logische Verbindung bringen, wenn das Subjekt des In
teresses (und zwar immer das Bewußtsein überhaupt!) es ist,
das auf diesen Bezugspunkt orientiert gedacht ist. Daß damit
das logische Apriori in gewissem Sinne geradezu zeitlich kon
kretisiert wird und daß damit ein durchaus vorkritischer und
materialistischer Standpunkt eingenommen wird, dessen radi
kaler Ausbau zur Dualität von »Erkenntnisinhalt« und »Er
kenntnisakt« zur »Affizierung« des Subjektes durch das Objekt
führt, darf uns nicht Wunder nehmen, da wir ja von allem An
fang an betont haben, daß wir vorderhand die empirische Posi
tion (die eben auch die der Geschichtswissenschaft ist) nicht
verlassen können.
Allerdings darf diese, sagen wir ruhig positivistische Einstel
lung eben für uns nicht bis zur radikalen Ausgestaltung gehen.
Wir betonten es bereits, und es muß nicht weitgehend ausge
führt werden, daß wir von einer Abgrenzung der Inhalte und
von ihrer Individuation empirisch nichts aussagen können, und
daß eine solche Annahme, die die Individuation der Interessen
auf eine Individuation der Inhalte zurückführen wollte, weil sie
methodologisch auf diese verwiesen wird, vielleicht punktuell
gewisse Interessen feststellen ließe, alles in allem aber einem
hoffnungslosen Relativismus verfallen wäre. Es darf nicht ver
gessen werden, daß der Begriff des »Interesses« gleichwie jeder
andere erkenntnistheoretische Begriff ein theoretisches Instru
ment darstellt, das zur Systemisierung und Begrifflichmachung
der Erkenntnisvorgänge erfunden ist und das, wenn es wirklich
auch im praktischen Erkenntnisvorgang angewendet werden
sollte (was zwar anzunehmen ist), trotzdem nur in, sagen
wir »unbewußter« Weise gehandhabt wird und jedenfalls
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mit dem praktisch-inhaltlichen Erkennen nichts zu tun hat.
Wenn wir nach dem »Interesse« fragen, so fragen wir daher
nicht nach einem empirischen Faktum, sondern nach einer logi
schen Konstruktion, die uns die Direktiven geben soll, nach
welchen wir »Interessen« innerhalb des Empirischen über
haupt als solche agnoszieren können, und wenn wir hiebei auf
die »Inhalte« verwiesen werden, so handelt es sich nicht um den
oder jenen empirischen Inhalt, sondern um genau die nämliche
logische Konstruktion. Denn nur Empirisches ist auf Empiri
sches, Konstruktives nur auf Konstruktives zu beziehen.
Wiewohl wir also der Blickrichtung nach hier eine empirisch
positivistische Stellung einnehmen, so haben wir dennoch lo
gisch-konstruktiv vorzugehen. Und wenn wir nach den »Inhal
ten« fragen, auf [die] das Interesse bezogen werden könnte,
oder subjektivierend gesprochen, von denen das Subjekt a
priori »wissen« könnte, so haben wir dieses »Wissen« logisch
zu konstruieren.
Nun sagten wir bereits, daß der »Inhalt überhaupt« in der Idee
des »Seienden schlechthin« konstituiert sei. Ob im subjekti-
vierten Sinne das Wissen um dieses »Seiende überhaupt« um
dieses »es ist« als Angriffspunkt einer ontologischen Ur-Intui-
tion genommen werden soll oder ob es, »Ursprung« und Ziel
der Erkenntnis in sich vereinigend, bloß als Glied des Erkennt
niskreislaufes und seiner Methode zu betrachten ist, darf hier
dahingestellt bleiben. Soweit diesem Punkte letzten ontologi
schen Begreifens noch Licht zugeführt werden kann, kann dies,
so glauben wir, in einer Vereinigung phänomenologischer und
kritizistischer Arbeitsweise geschehen; wir dürfen uns hier eine
gewisse empirische Bedenkenlosigkeit gestatten und sagen: die
Kategorie des Seienden gilt.
Allerdings nicht mehr. Das Seiende »ist«, aber alles, was wir
von ihm aussagen dürfen, all seine »Qualitäten« oder gerade
heraus sein phänomenologisches Eidos muß sich aus dieser
Tatsache, allerdings im Konjunktiv, ergeben können.
Und hier dürfen wir einsetzen: »ist« das Seiende, so ist es
überhaupt. D. h. dann ist es wenigstens nicht denkbar, daß es
irgendwo und irgendwie Nicht-Seiendes gäbe - das Nichtsei
ende wäre eben dann Seiendes. Es ist in dieser Überlegung jene
stringente logische Notwendigkeit, die Spinoza als tief genug
verankert nehmen durfte, um sie als Basis seines Systems zu
121
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wählen. Es ist die Apodiktizität, die in der Unmöglichkeit liegt,
das Seiende diskret, d. h. nicht durch ein anderes Seiendes
(richtiger gesprochen durch das selber Seiende) begrenzt zu
denken.
Diese logische Wahrheit, die, wenn sie auch für den Raum gilt,
durchaus nicht auf den Raum einzuschränken, sondern auf das
logische Sein überhaupt zu beziehen ist, erhebt damit gewisser
maßen den Anspruch auf ontologischen Rang. Wo immer vom
Seienden etwas mit Sicherheit auszusagen ist, begründet es sich
auf dieses Faktum: es gibt kein nachbarloses Sein; es ist das
Faktum, das den induktiven Fortgang aller empirischen Er-
kenntis von a zu a + 1 ermöglicht - es ist der Begriff des Konti
nuums, als spezifische Wesenheit des Seienden, aus dem sich in
direkter Abfolge der Begriff des Unendlichen in beiden Rich
tungen, der der Integration und der der Differentiation, ergibt.
Will man diesen plausiblen Begriff des Kontinuums im Seien
den noch weiter logisch stützen, so sei darauf hingewiesen, daß
»das Seiende« ein Begriff und wie jeder ein synthetischer Ein
heitsbegriff ist, sonst allerdings aber keinerlei Inhalte besitzt:
jeder Begriff bildet gewissermaßen ein logisches Kontinuum
seiner empirischen Inhalte; hier aber mangelt es jeder anderen
Qualität, welche die empirischen Teile zur Einheit zusammen
fassen könnte, so daß nur ein leeres »Zusammenfassen an sich«
übrig bleibt, das diese Arbeit verrichten kann. Und selbst wenn
man die Einführung dieses (leeren) Zusammenfassungs-Be
griffes nicht zulassen wollte, so müßte man, wenn man nicht
auch gleichzeitig den Begriff der unindividuierten Einheit auf
geben will, eben zur »Erfüllung« dieser Einheit eine quasi ato-
mistische Interpolation in seinem logischen Raum vornehmen,
da er eben sonst in zwei oder mehrere gesonderte Seinsräume
zerfallen würde. Mit welcher Überlegung bereits Spinoza die
Einheit, Einzigkeit und Allumfassenheit Gottes sive natura be
wiesen hat.
Mit der Errichtung der Qualität des Kontinuums haben wir
aber auch die erste Individuation innerhalb des Seienden kon
stituiert. Denn kein Zweifel kann bestehen, daß auch das Kon
tinuum als »Seiendes« anzusprechen ist. Ob durch diese damit
als notwendig gegebene Möglichkeit einer Individuation auch
die Möglichkeit irgendeiner anderen Individuation des Seien
den in irgendwelche andere Teile dialektisch inbegriffen ist, sei
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dahingestellt. Jedenfalls erscheint ein Kontinuum überhaupt
nicht anders definierbar als in Beziehung auf »Teile«, die kraft
des Kontinuums aber keine diskreten Teile mehr sind. Läßt
man aber dies gelten - und angesichts der empirisch effektiven
Teile des Seienden sind diese logischen Un-Teile gewiß eo ipso
zulässig-so wird der Begriff des Kontinuums wesentlich präzi
siert: er wird in seiner Eigenschaft die Teile zum identisch Glei
chen zusammenfassen, zum Begriff des »Zusammenhanges«,
an dem eben die erste begriffliche Individuation des »Seienden
überhaupt« scharf heraustritt - es zerfällt in ein sozusagen sta
tisch Seiendes, für das der alte Terminus »Substanz« zu wählen
ist, und in ein dynamisch Seiendes, das wir mit dem ebenso be
kannten Terminus »Zusammenhang« bezeichnen dürfen, und
dessen Parität für die Konstitution des Seienden überhaupt vom
Kritizismus restlos durchgeführt wurde. (Wobei wir hier, inso-
lange wir den empirischen Standpunkt wahren, unter »dynami
schem« Zusammenhang den Zusammenhang »innerhalb« des
Objektes, nicht die methodologische Dynamik des Kritizismus
meinen.)
Bis zu diesem Punkte hatten wir nur eine einzige Vorausset
zung im System: daß es überhaupt eine Kategorie des Seienden
gäbe. Soferne man diese Voraussetzung überhaupt noch eine
empirische nennen kann, befinden wir uns auf der ersten Stufe
des Empirischen.
Ersteigen wir, was wir uns eben hier noch gestatten dürfen, die
nächste Staffel, und nehmen wir an, daß die Un-Teile des Sub
stanz-Kontinuums wirklich das sein könnten, was sie im Empi
rischen wirklich sind, nämlich effektive Teile, so gelangen wir
zur nächsten Individuationskategorie der Substanz: zu der des
»Dinges«. Eine derartige Teilung der Substanz erfordert aber
auch eine Teilung des korrelativen Begriffes, d. h. eine Indivi
duation des »Zusammenhanges«. Denn jener Gesamtzusam
menhang löst sich für die Einzelteile in Einzelzusammenhänge
zwischen den »Seinsnachbarn« auf. Dieses sehr bekannte Fak
tum läßt sich zusammenfassen: die »Substanz« individuiert sich
zu »Dingen«, der »Zusammenhang« zu »Relationen«. Oder
wenn wir den Sachverhalt auf den empirisch-geometrischen
Raum anwenden: der Raum wird zum Raum diskreter Ele
mente, wobei man, allerdings nicht zwingend!, vorteilhaft an
den Punktraum denken wird.
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Ersteigt man schließlich eine dritte Stufe des Empirischen, so
wird die vorderhand sozusagen »inhaltlose«, also immerhin
quantitative Teilung des Seienden zur »eigentlichen« »inhaltli
chen« und »qualitativen« Individuation. D. h. es wird die Kate
gorie des »Sinns«, welcher jedem individuellen Ding beigelegt
wird, erreicht. Für die korrelative Kategorie des Zusammen
hanges bedeutet diese weitere Individuation die Einsetzung der
Kategorie der »Ordnung«: das Ding erhält nur und erst dann
»Sinn«, wennseine Stellung zu den Nachbardingen fixiert wird,
wenn es in eine gewisse »Ordnung« mit ihnen gebracht wird.
- Auf den Raum angewandt sehen wir die Zusammenfassung
von Raumelementen zu gewissen sinnvollen Elementen-Zu-
sammenhängen: die Punkte zu Linien, usf.
Zwei beliebige Glieder, welche einem in sich geschlossenen
Gesamtzusammenhang angehören, d. h. aus seinen Vorausset
zungen (seien nun diese empirisch oder sonstwie gewonnen) lo
gisch deduziert werden können, müssen den Gesamtzusam
menhang wieder aufbauen. Wir sahen dies an dem ursprüngli
chen Begriffspaar der Substanz und des Zusammenhanges,
aber jedes andere Paar tut den gleichen Dienst: Ding und Sub
stanz, Sinn und Zusammenhang, Relation und Ordnung und
jede beliebige andere paarweise Kombination lassen den dia
lektischen Fortschritt zum Seienden überhaupt in schrittweiser
Erweiterung zu, wobei sich die übrigen Nebenelemente not
wendig schrittweise wieder mitergeben müssen. Im räumlichen
Vergleich: der Raum ist durch zwei Elemente, Punkt und Linie,
restlos zu erfüllen.
Diese gegenseitige dialektische Gebärung weist darauf hin,
daß eben unser Aufbau und Ausbau des Seienden teilweise aus
zufälligen, d. h. empirischen Motiven entstanden ist, daß im
Grunde die Glieder in Ansehung der leeren Funktionalität der
Individuation vertauschbar sind, wie eben beispielsweise auch
der »Zusammenhang« kurzerhand als »Seiendes« angespro
chen werden konnte. Deswegen ist es auch ohne weiteres mög
lich, Elemente, welche anscheinend einer höheren Ordnung
angehören, als solche einer niedrigeren anzusehen: beispiels
weise die Linie als Raumelement den Punkt substituieren zu
lassen oder den »Sinn« als »Ding« zu nehmen. Tut man aber
dies, so müssen sich mit diesen Elementen genau die gleichen
Operationen durchführen lassen wie mit den ursprünglichen
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Elementen, für welche sie, im mathematischen Sinn, eingesetzt
worden sind: es müssen sich wieder »Ordnungen«, wieder
»Sinn-Zusammenhänge« bilden lassen, die zu den ursprüngli
chen etwa im gleichen Verhältnis stehen wie die Fläche zur Li
nie einerseits, die Linie zum Punkt andererseits. Für die Kate
gorie der Substanz zeigen sich diese Möglichkeiten in den
Kategorien des genus proximum, wie sie in den Begriffen der
»Gattung« etc. gegeben sind, für die Kategorie des Zusammen
hanges in den Begriffen des »Schemas«, des »Systems« etc.,
wobei eben auch die gegenseitige Vertauschbarkeit all dieser
Begriffe, wie sie in Ansehung der letztübergeordneten Einheit
immer erfolgen kann (denn jedwede Kategorie ist ein Seien
des), und deren Möglichkeit oft genug Verwirrung gestiftet hat,
klar ersichtlich wird.
Andererseits wird eben an dieser Vertauschbarkeit deutlich,
daß auch jeder, sagen wir Unterbegriff als Oberbegriff zu setzen
ist, und - dies festzustellen ist uns besonders wichtig - daß in
jedem Begriff, dessen stets vorhandene, ihn konstituierende
methodologische Einheitsfunktion wir bereits vorwegnehmend
erwähnten, die Funktionalität des Kontinuums in Anwendung
zu bringen ist.
Damit glauben wir, über die logische Konstitution der Seins
kategorien dasjenige ausgesagt zu haben, was notwendig und
hinreichend ist, um es als jenes (logisch apriorische) »Wissen«
voraussetzen zu können, aus dem das abzuleiten ist, was über
den Begriff des Interesses ausgesagt werden könnte: das Sei
ende zeigt sich als eine homogen konstituierte Gegebenheit,
die, soferne sie individuiert gedacht werden kann oder indivi-
duiert wäre, in jedem ihrer Individuationsteile den Begriff des
kontinuierlichen Zusammenhanges tragen muß.
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jedenfalls keinen Rechtsgrund besitzen, die verschiedenen in
haltlichen Sphären voneinander abzugrenzen.
Dennoch wird es zur Verdeutlichung sowohl des Gesagten als
des noch zu Sagenden dienlich sein, die konstruierte Kategoria-
lität des Seins mit dem Seins-Empirium, wie es in seinen Inhal
ten gegeben ist, zu vergleichen.
Erinnern wir uns der fortschreitenden Individuisierung, wie
sie zu den Scinskategorien uns führte, so ergab sich uns eine
Kategorientafel, welcher wir vergleichsweise die Kategorien
der, sagen wir »euklidschen Substanz«, des euklidschen Rau
mes beigeordnet haben. Es ergab sich:
I 1 ------------»Q ualifizierti
O r d n u n g - --------------------- » Sinn ---- » Linie
r ----------- ------------------- ^ O rdnung Einheit (Zaf
Substanzerfülltes Sein
Zusammenhang-----------------» Substa
Aus dieser Tafel mag es deutlich werden, wie jede neue Indi
viduationskategorie, sei es auf der statischen, sei es auf der
funktionellen Seite, immer nur mit Hilfe der korrelativen G e
genkategorie hervorgebracht werden kann, wobei es selbstver
ständlich unbenommen bleibt, beliebig viele Zwischenstufen
einzuschieben. Klar dürfte auch der »Wiederaufbau« des indi-
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viduierten »Ganzen« werden, und daß dieser Wiederaufbau
keineswegs eine Durchlaufung sämtlich möglicher Kategorien
stufen erfordert, sondern daß der rücklaufende Kreis an jeder
Stufe geschlossen werden kann.
Akzeptiert man dies, so mag man sich hieraus auch leichthin
das Verhältnis der empirisch-praktischen Einzelerkenntnis
zum Begriff des Wissenschaftlichen klar machen. Auch die
praktische Einzelerkenntnis durchläuft nicht alle Kategorien
stufen. Sie bleibt beispielsweise bei der statischen Kategorie
»Ding« hängen, begnügt sich aber nicht mit diesem »stummen«
Hinweis, sondern versucht, den »Sinn« dieses »Dinges« festzu
stellen. Dies kann nur über den Umweg der »Relation« und
»Ordnung« (siehe Schema) geschehen. Von dort aus kehrt sie
zum Ding zurück: es ist das Schema des aus Subjekt und Prädi
kat bestehenden Einzelurteils, das sich solcherart versinnbild
licht - es ist ein Unterkreis im Kreislauf der Kategorien. Will
jedoch das Urteil »wissenschaftlich« werden, dann muß der
Kreislauf bis zurück zur umfassendsten Kategorie geführt wer
d e n - »Wissenschaften« sind solcherart geschlossen komplette
Kategorienkreisläufe.
Die Stellung der Wissenschaften als empirische »Erfüllungen«
der Kategorien ergibt sich nunmehr von selbst: ihrer ideellen
Gesamtheit nach repräsentieren sie das gesamte Sein, und zwar
in ihrem Ausgangspunkt das amorphe Seinskontinuum, in ih
rem Zielzustand den »funktionellen Seinszusammenhang«.
Ihre Arbeitsteilung beruht auf einer Aufteilung, auf einer Indi
viduation des primären, amorphen Seins. D. h. sie treten an die
ses heran, »als ob« es bereits eine bestimmte, individuierte
»Qualität« hätte. Beispielsweise die euklidsche Geometrie mit
der Voraussetzung, daß ihr Seiendes der empirische dreidi
mensionale Raum sei. Daß eine derartige empirische Indivi
duation meistenteils nicht am Seienden als solchem vollzogen
werden wird, das ja im empirischen Wissenschaftsbetrieb kaum
zur Überlegung kommt, sondern von einem empirischen Fak
tum niedrigeren Grades seinen Ausgang nimmt, um von ihm
aus in den Bereich des Seienden induktiv projiziert zu werden,
ist eine methodologische Überlegung, in welche wir vorderhand
nicht einzugehen brauchen. Wichtig für uns ist die Feststellung,
daß jede irgendwie qualifizierte Erfüllung des Seienden auch
die analoge Qualifikation aller Unter-Individuationen erfor
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dert, wie dies eben schon auch das räumliche Beispiel zeigte.
Und ebenso umgekehrt: jede bestimmte Qualifikation auf ir
gend einer Unterstufe der Individuation verlangt, daß diese
Qualifikation den gesamten Stufenbau der Individuationskate
gorien durchlaufe.
Dies vorausgesetzt ergeben sich für die einzelnen Wissen
schaften Qualifikationsbestimmungen, welche, wie gesagt, in
unserem Rahmen nun empirisch aufzuweisen sind. Immerhin
kann aber der »Stufenbau des Empirischen«, mit welchem wir
unsere Kategorialität des Seienden gewonnen haben, auch hier
als Richtschnur dienen:
1. Die erste Stufe des Seienden, die uns fast nicht empirisch,
sondern noch als logische Kategorie gelten konnte, war uns das
»Sein schlechthin«, das Sein überhaupt, das alles Seiende und
Nicht-Seiende umfaßt, und obwohl oder da es eben alle quali
tativen Abschattungen in sich aufnimmt, überhaupt keine Qua
lität von sich aussagen läßt. Es ist sozusagen das »inhaltlose«,
das amorphe Sein: seine einzige Qualität und reale Individua
tion ist der innere »Zusammenhang« und [die] logisch inhalt
lose »Substanz«. Die weitere Kategorisierung geht ohne ei
gentliche weitere empirische Erfüllung vor sich: es wird nur
logisch »verlangt«, daß die weiteren Individuationen nach
»Teilen«, »Sinnen«, »Inbegriffen« auffindbar sein »müßten«,
»wenn« sie gesetzt werden: in »Wirklichkeit« sind diese Indivi
duationenwohl »existent«, da sie als logische Notwendigkeiten
aus dem Begriff des Kontinuums (das ohne sie nicht gefaßt wer
den könnte) sich ergeben, d. h. sie könnten existent sein, aber
sie sind es nicht »empirisch«, wenigstens nicht in dessen land
läufigem Sinne: sie »ergeben« sich bereits, also deduktiv, aus
dem Begriff der ersten Individuation, aus der des Kontinuums,
das in diesem Sinne das allein wahrhaft Empirische ist. Das
»Ding« ist hier tatsächlich nur Un-Teil der stetigen Substanz,
erhält seinen Bestand nur durch den Zusammenhang und kann
in dieser »qualitätslosen« Neutralität leichthin als die »Einheit«
angesprochen und erkannt werden. Ebenso ergeben sich der
qualitative »Sinn« und der »Inbegriff« dieser neutralen Einhei
ten eben nicht durch empirische Eigenqualitäten, sondern aus
schließlich durch ihre Stellung im dynamischen Koordinatensy
stem, das, durch alle Stufen durchschritten, jenen neutralen
Funktionalzusammenhang zeigt, der sich mit jener empirischen
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Erfüllung des Seienden deckt, die wir die mathematische nen
nen.
2. Erfüllen wir aber jene erste statische Individuationsstufe,
die wir »Substanz« im logischen Sinne genannt haben, mit em
pirisch-ontologischem Sinn, mit jenem »Etwas«, das das Sei
ende tatsächlich erfüllt, auf das alle dynamische Kategorialität
bezogen wird und bezogen werden muß, damit sie »wirken«
und »wirklich«, d. h. sichtbar werden kann, so wird es klar, daß
auch die folgenden Stufen der »Teilung« wie des »Wiederauf
baues« von dieser Erfüllung tangiert werden. D. h. die deduk
tive Arbeit setzt für diese weiteren Individuationsstufen erst
hier ein, nachdem die erste Stufe empirisch erfüllt ist. Wir ha
ben hier im übrigen das nämliche Bild: die nächstfolgenden
Stufen können wohl empirisch vorhanden sein, die Individua
tion in Einzeldinge, in Sinne, in Inbegriffe hat aber nur soweit
Interesse, als sie sich als notwendige Möglichkeit aus der ersten
empirischen Erfüllung, der der Substanz, ergibt. Daß dieses
Schwanken zwischen bloß fiktivem oder tatsächlich empiri
schem Dasein für diese weiteren Kategorien auch effektiv statt
findet, kann an dem Streit über die »Wirklichkeit« der Elektro
nen, Atome, Moleküle oder der Inbegriffe »Kräfte«, »Masse«
etc. ersichtlich werden, denn diese Begriffe sind es, mit welchen
die übrigen Kategorien in Ansehung des ontischen Substanzbe
griffes erfüllt werden. Wir sind damit auf der Erfüllungsstufe
der theoretischen Physik.
3. Nehmen wir nun die nächste Stufe, das »Ding« als empiri
sche Erfüllung, so zeigt sich vor allem, daß die, sagen wir Ober
kategorien, das »Seiende schlechthin« sowie die »Substanz«
vollkommen in Geltung bleiben und in das »Ding« sozusagen
eingehen. Hingegen werden die weiteren Kategorienstufen
wieder n u r-o h n e Rücksicht auf ihre sonstige empirische Gel
tung - ausschließlich von den vorhergegangenen empirischen
Bestimmungen ihren logischen Bestand erhalten. Wir befinden
uns hier auf der Stufe der empirischen Naturansicht, wie sie in
der biologischen Forschung-die eben im Begriff des »Lebens«
und des lebendigen »Organismus« im speziellen auf die Empi
rie angewiesen ist - besonders klar zu Tage tritt. Der Einzel
sinn, das Einzelindividuum, ist trotz seiner realen Existenz hier
noch völlig gleichgültig: es ist nur lediglich Träger des »Typus«
und ebenso sind »Inbegriffe«, die als genus proximum den
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Wiederaufbau zum Seienden, das hier »das Leben« heißt, be
sorgen, ausschließlich Inbegriffe des Typus und noch aus ihm
zu deduzieren.
4. Die (für uns) letzte Stufe des Empirischen ist der »Sinn«,
d. h. jene qualitative Unterscheidung, durch welche sich ein
Ding, ein Teil vom anderen »unterscheiden«, d. h. abgrenzen
lassen soll. Und auch hier ist es klar, daß das Individuum, das
nun seinen legitimierten Eigen-Sinn hat, trotzdem das Qualita
tive der vorangegangenen Kategorialbestimmungen enthalten
muß: es ist seiend, es ist Substanz, es ist ein Ding schlechthin,
das aber andererseits seine einzige Unterkategorie, die des
Inbegriffs als Wiederaufbau zum Sein nunmehr durch seine ei
gene Qualität durchtränken muß: d. h. hier, der Inbegriff wird
zum Aggregat einzelner empirischer Sinnbestandteile. Es ent
steht jenes Bild des Seienden, in welchem jedes individuelle
Ding seinen individuellen Sinn behauptet und in dem die Inbe
griffe Aggregate von Einzelindividuen sind: das Bild der histo
rischen Welt, »historisch« im weitesten Sinne genommen.
Daß mit diesen vielfachen Erfüllungen der Stufenbau des Em
pirischen keineswegs erfüllt ist und erfüllt werden kann, wurde
bereits angedeutet. Es werden sich unendlich viele Zwischen
stufen bilden lassen und jede Stufe wird wieder unzählige Spe
zialisierungen erlauben: wir brauchen bloß auf unser Beispiel
der euklidschen Erfüllung zu verweisen, das eine offenkundige
Spezialisierung der Mathematik darstellt.
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sichtbar wird. Ob hiebei gemäß den verschiedenen Erfüllungs
qualitäten der statischen Kategorien auch symmetrische Erfül
lungen der dynamischen stattfinden, darf und muß hier unbe
rücksichtigt bleiben, da wir - soferne wir nicht neue (und
überflüssige) empirische Fakta hiezu heranziehen wollten -
keinerlei Handhabe besitzen, diese Frage zu klären. Die dyna
mischen Kategorien werden sich, so sagten wir, mit jeder Ein
schiebung neuer statischer Zwischenstufen in gleicher Weise
vermannigfaltigen, sie bleiben aber, von hier aus gesehen, in
Anbetracht der qualitativen Erfüllungen ihrerseits von kon
stanter Struktur: ob es eine historische, eine euklidsche, eine
physikalische Erfüllung sei: der dynamische Zusammenhalt
bleibt immer »die« Relation, »die« Ordnung, »das« System,
»der« Zusammenhang, mit der primären Aufgabe, das Konti
nuum aufrecht zu halten.
Gehen wir von hier aus auf den Begriff des Interesses zurück
und erinnern wir uns, daß uns dieser fast identisch mit dem der
»Frage« gewesen ist, daß die »Frage« eigentlich nichts anderes
war als das »bewußt gewordene« Interesse, so waren wir, da wir
hier den Begriff des Interesses als empirischen Anfang der Er
kenntnis nahmen, auf den empirischen Boden des Aristoteles
versetzt. Denn das Aristotelische Staunen, mit dem ihm das E r
kennen vor dem Datum der Erfahrung anhebt, ist die Urfrage
»Was ist das?«, ist eben das erste Interesse, das am Seienden
genommen werden kann.
Unser Problem ist es nun zu fragen, wann dieses Staunen
überhaupt aufleuchten kann. Gibt es ein apriorisches Wissen
um das Seiende, so liegt kein Anlaß zum Staunen vor. Daß es
ein solches Wissen vor der Unendlichkeit der individuierten
Seinsinhalte aber de facto nicht gibt, liegt auf der Hand - wir
konnten ja selbst die logischen Kategorien des Seins nur unter
Mithilfe dogmatischer, d. h. empirischer Annahmen konstru
ieren. Wohl aber haben wir ein logisches Apriori eines Ur-Wis-
sens angenommen: eben das Wissen um das Kontinuum.
Und hier, aus diesem Wissen heraus, kann postuliert werden:
gleichgültig auf welchem Stadium sich der empirische Erkennt
niszustand des Subjektes befinden möge, ob er sich tatsächlich
nur auf dieses hypothetische Ur-Wissen um das Kontinuum be
schränkt (das man in biogenetischer Projektion vielleicht dem
Neugeborenen oder dem Tiere niederer Stufe - eventuell - zu-
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messen könnte), oder ob der tiefste Einblick in die Organisie
rung des Seienden schon gewonnen sei, immer wird das
»Neue«, das »Unbekannte« als eine Durchbrechung des jewei
ligen, unindividuierten oder wie immer individuierten Wissens
kontinuums, das eben stets Kontinuum ist, auftreten. M. a. W.:
die Urqualität des Seienden: daß sie stets von gleichqualifizier
ten Seienden benachbart sei, wird durchbrochen - es treten
nachbarlose Stellen auf.
Es handelt sich also darum, nach den logischen Möglichkeiten
zu fragen, unter welchen »nachbarlose Stellen« im Seienden
auftreten können. Oder m. a. W.: Unter welchen Bedingungen
kann überhaupt etwas Objekt des Interesses, d. h. sein Pro
blemvorwurf werden?
Das Seiende als solches, so zeigten wir, kennt keine nachbar
lose Stelle: es konstituiert sich eben als Zusammenhang. Seine
»nachbarlosen Stellen« sind die beiden Infinitesimalien, und
auch diese setzen den - zur Definition des »Zusammenhanges«
logisch zwar notwendigen, außerlogisch aber nur empirisch
vorhandenen - Begriff der Grenze voraus. Das Phänomen der
»Grenze« ist aber, wie das Wort schon sagt, zur Konstitution
des »Nachbarlosen« unbedingt erforderlich. Und dies kann erst
im Gebiet der empirischen Erfüllungen in Erscheinung treten,
in denen die erfüllte Individuation eben die Grenzsetzung be
reits mit sich bringt. Hier ist die nachbarlose Stelle im Konti
nuum durchaus möglich, zwar nicht absolut, denn es gibt eben
kein Vakuum, wohl aber relativ: d. h. irgendeine geschlossene
Erfüllungsreihe, beispielsweise die historische, vermag ein Va
kuum aufzuweisen.
Es zeigt sich damit eine enge Verwandtschaft mit unserem
»Stufenbau des Empirischen«, und zwar mit jenen Kategorien,
die wir die des »Wiederaufbaues« nannten: Für die »inhaltslee
ren« Erfüllungen (wie die der Mathematik) genügte es, den pri
mären Zusammenhangscharakter des Seienden zu benennen,
um aus ihm heraus den »Wiederaufbau« bewerkstelligen zu
können; für die »historische« Erfüllung mußte für den Wieder
aufbau die Auffüllung mit individuierten Einzelfakten (in der
Art der vollständigen Induktion) gefordert werden. - Daß dem
»Wiederaufbau« in der Frage der »Problemlösung« eine inte
grierende Rolle zufällt, mag sich von selbst verstehen und wird
späterhin erhärtet werden.
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Der Begriff des »relativen Vakuums« bringt nun aber sofort
eine zweite Möglichkeitsreihe für die »nachbarlose Stelle«. In
nerhalb der vollkommen individuierten Erfüllung, also der hi
storischen oder geographischen, hat die nachbarlose Stelle ja
wirklich den Charakter eines effektiven Vakuums, etwa die
»weiße Stelle« auf der Landkarte. Nichtsdestoweniger ist doch
»Seiendes« an dieser Stelle und zwar ein Seiendes aus einer
niedrigeren Individuationsstufe. Denn daß die »dunkle Stelle«
eher im historischen Ablauf durch »menschliche Handlungen«,
die auf der Landkarte durch »Bodenformationen« erfüllt sein
muß, wird »gewußt« - es sind Begriffe, die aber eben noch nicht
die genügende Individuationshöhe erreicht haben, um das je
weilige Kontinuum zu schließen. (Das mathematische Konti
nuum kennt dagegen eben keine »niedrigere« Individuations
kategorie mehr, ist eben endgültig.)
Andererseits wird hierdurch das prinzipielle Phänomen der
Autonomie der Kontinuitätsreihen aufgedeckt. Das heißt eine
Erscheinung, welche aus irgendwelchen (durchaus empiri
schen) Gründen in irgendeine Kontinuitätsreihe gestellt wird,
jedoch nicht dieser, sondern einer anderen Individuationsstufe,
geschweige einer anderen Erfüllungsreihe, angehört, wirkt als
»nachbarlose Stelle«. Oder auf unseren Fall angewendet: Die
nachbarlose Stelle braucht nicht nur durch ein Phänomen nied
rigerer Individuationsstufe, sie kann auch durch ein solches hö
herer Individuationsstufe gebildet werden. Es ist dies im ei
gentlichen Sinn das Phänomen des »Zufalls«, das ja nach seiner
Einordnungsbarkeit zum Typus der Entdeckung oder des
»Wunders« sich entwickelt.
Dieses Phänomen projiziert in jene Korrelation, die zwischen
den dynamischen und den statischen Kategorien stattfindet;
nämlich: im ersten Falle liegt die Apriorität im »Zusammen
hang«, und das Unbekannte stellt sich tatsächlich als ein durch
ein Statisch-Seiendes auszufüllendes »Vakuum« dar. Man
dürfte von einer Minus-Bekanntheit sprechen, die nach dem
Statischen hin aufzulösen ist. Im zweiten Falle haben wir es mit
einer Plus-Unbekanntheit zu tun, d. h. in den Gesamtkomplex
der »gewußten« Zusammenhänge tritt ein »neues« Phänomen,
individuell »reicher« als die vorgegebene Individuationsstufe -
darin liegt eben seine »Neuheit« - und Aufgabe wird es, dieses
Phänomen in einen [unbestimmten] oder in einen bestimmten
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Zusammenhang einzuordnen. Wenn der Wilde zum ersten
Male einen Dampfer sieht, so wird er diese Erscheinung entwe
der in das ihm vorgegebene Begriffskontinuum »Boot« einord-
nen oder für das neue Phänomen überhaupt einen neuen Zu
sammenhang suchen müssen. Hier im Falle der Plus-Unbe
kanntheit ist die Apriorität der Unbekanntheit in das
Statisch-Seiende verlegt, und die Lösung erfolgt in der Rich
tung nach dem dynamischen Zusammenhang hin. Im allgemei
nen Sinne allerdings bedeuten beide Fälle das Nämliche. Die
statische Unbekanntheit, die die Herstellung des dynamischen
Zusammenhanges fordert, und die dynamische Unbekanntheit,
die die Auffüllung durch das Statisch-Seiende verlangt, sind das
Bild strengster Korrelation; Plus-Unbekanntheit und Minus-
Bekanntheit sind in gleicher Weise »Nachbarschaftsprobleme«
und »Störungen« im Zusammenhang und lassen sich, logisch
dargestellt, durcheinander und gegenseitig »ausdrücken«, so
daß auch formal die Einheit der beiden Erscheinungsformen
gewahrt bleibt.
Im Bereich der empirischen »Erfüllungen« läßt sich hiezu
feststellen, daß die mögliche Störung des Zusammenhanges mit
zunehmender empirischer Bereicherung der Individuationska
tegorie sich nach dem Pol der Minus-Bekanntheit verschiebt.
Im mathematischen Kontinuum des leeren Seienden überhaupt
gäbe es überhaupt keine »Störung«, wenn nicht der Begriff der
»Grenze« als eine Plus-Unbekanntheit zwar logisch notwendig,
aber doch empirisch hineingetragen worden wäre. Die histori
sche Erfüllung, am anderen Pol stehend, wird in ihren mannig
fachen Zusammenhangsreihen immer wieder Minus-Bekannt
heiten zum Gegenstand ihres Interesses machen müssen, und
zwar ergeben sich diese sowohl »innerhalb« des Zusammen
hanges als Infinitesimalen, denn jeder Einzelzusammenhang
will sich in die Minus-Bekanntheit der Unendlichkeit erstrek-
ken. Erfüllungsstadien mittleren Reichtums dagegen werden
sowohl Plus-Unbekanntheiten als Minus-Bekanntheiten als
Störungsstellen besitzen; die astronomische Praxis zeigt bei
spielsweise häufig genug beide Störungsfälle: Das Auftauchen
eines neuen Sternes macht Rektifikationen im dynamischen
System erforderlich; Störungen im System deuten auf das Vor
handensein eines unbekannten Himmelskörpers, der damit der
statische Bezugspunkt der Forschung [wird]. Dieses Ergebnis
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deckt sich auch mit unserer ersten Konstruktion der möglichen
Kontinuumsstörungen: Das Vakuum ist nur eben als »relatives
Vakuum« und damit als »Minus-Bekanntheit« in den Indivi
duationskategorien reicherer empirischer Erfüllung möglich,
während mit zunehmender Verarmung der empirischen Erfül
lung die »Störung« immer mehr der »Plus-Unbekanntheit« zu
fällt.
Nichtsdestoweniger kann gerade aus diesem Titel ein Ein
wand erhoben werden, ein Einwand, der uns gleichzeitig eine
dritte Reihe möglicher Kontinuitätsstörungen aufwirft. Denn,
so kann gesagt werden, das »Kontinuum« ist eine dynamische
Kategorie und kann nur an seiner statischen Form sichtbar und
auch nur an ihr »gewußt« werden. Es verhält sich zu dieser sei
ner Erscheinungsform etwa wie der Begriff »Farbe« zu den
Farben »rot«, »grün« etc., die auch nur am Gegenstand mani
fest werden. Es geht also nicht an, diesem dynamischen Begriff
gerade in seinen empirischen Erfüllungen die Apriorität zuzu
weisen und Störungen nur aus Minus-Bekanntheiten zulassen
zu wollen, wo es gerade hier in der empirischen Mannigfaltig
keit an Plus-Unbekanntheiten wimmelt. Es sei beispielsweise
nur darauf verwiesen, daß die historische Problematik sich kei
neswegs auf Kontinuums-Unterbrechungen beschränkt (wenn
diese auch durchaus in Geltung bleiben), sondern daß jede
neu-aufgefundene Urkunde eine Plus-Unbekanntheit dar
stelle. Andererseits gehe es schon gar nicht an, den Erfüllungen
minderen empirischen Reichtums die Kontinuitätsstörung als
Plus-Unbekanntheit zu bescheren, da gerade die Mathematik
ihre Probleme aus dem Wissen um das »System« heraus er
stelle, daß das Infinitesimalproblem eben völlig aus dem aprio
rischen Wissen um das Kontinuum hervorgegangen ist, und daß
der »Grenzbegriff« und damit der der »Einheit« sich als logi
sche Notwendigkeit, eben damit das Kontinuum überhaupt nur
definiert werden könne, aus dieser ersten logischen Annahme
ergeben habe. Es müßte also, wenn diese Zweiteilung der mög
lichen Kontinuitätsstörungen überhaupt beibehalten werden
darf, gerade das Umgekehrte stipuliert werden: die Erfüllungen
ärmerer Empirie besitzen die Apriorität des Dynamischen, die
der reicheren Empirie die der statischen Kategorie.
Einem solchen Einwand gegenüber, welcher im übrigen in
Ansehung der Korrelation der dynamischen und statischen Ka
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tegorien seinen guten Sinn besitzt, wäre zu entgegnen: es ist
keineswegs mit unserer Apriorisierung der dynamischen Kate
gorie des Zusammenhanges für die Erfüllungen reicherer Em
pirie, wie eben die historische Erfüllung es ist, gesagt, daß es
sich hier um ein apriorisches »Wissen« um den Zusammenhang
handelt. Vielmehr ist hier die bis zur Individualität vorgedrun
gene Individuation - wir setzen sie als dritte Stufe an - empi
risch vorausgesetzt. Das heißt die Plus-Unbekanntheiten sind
in die Voraussetzung bereits eingegangen und eben deswegen
gibt es, streng genommen, hier nur mehr Minus-Bekanntheiten.
Wir werden auch sehen, daß sich diese sogenannten Plus-Un
bekanntheiten der Historie vor allem als solche verhältnismäßig
innerer Erfüllungen einordnen werden. Und analog wird noch
nachzuweisen sein, daß die Störungsstelle der »leeren« Erfül
lungen, also die der Mathematik, deren Plus-Unbekanntheit
im Zweifel steht, niemals als Minus-Bekanntheit genommen
werden kann - höchstens als solche der nächsthöheren Erfül
lung.
Trotzdem deckte der, wie gesagt, nicht unbegründete Ein
wand mit dem Hinweis auf das empirische Wissen um den dy
namischen Zusammenhang eine dritte Klasse der »Störungs
stellen« auf, die speziell für die zwischen den beiden extremen
Polen der Mathematik und der Historie zwischenliegenden Er
füllungsstadien wichtig sind. Denn es ist unzweifelhaft richtig,
daß sich der Begriff der »Grenze« respektive der »Einheit« be
reits logisch aus Ur-Wissen um das Kontinuum - wenn auch nur
als Möglichkeit - ergeben hat, und daß mit ihm eigentlich nichts
»Neues« in das System getragen wurde. Das heißt es entwickelt
sich in sich dialektisch vorwärts, obwohl es immer in sich abge
schlossen bleibt. Für die Mathematik ist also stetige Fortent
wicklung gewährleistet, obwohl gerade in einer Wissenschaft,
die aller empirischen Mannigfaltigkeit bar ist, es für den ver
bohrten Empiristen —und auch das noch mit aller Reserve -
denkbar wäre, daß sie ihren Weg tatsächlich bis zum Ende
durchschreite. Wie aber ist es mit den Wissensgebieten höherer
empirischer Erfüllung? Wenn ihre Probleme tatsächlich nur auf
Minus-Bekanntheiten beruhen, so können diese in Ansehung
der vollständigen Induktion von endlicher Anzahl sein, speziell
dann, wenn es sich um Teilzusammenhänge handelt, bei denen
die Infinitesimalunbekanntheiten nicht in Betracht kommen.
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Das heißt also: wenn einmal ein gewisser Wissenszusammen
hang lückenlos hergestellt wäre, so gäbe es über diesen hinaus
keine weitere empirische Erkenntnis, es sei denn mit Hilfe von
Plus-Unbekanntheiten, die aber, wie wir deduzierten, zumin
dest für den extrem individuierten Fall ausgeschlossen sind.
Vom Standpunkt des reinen Bewußtseins aus wird diese Sach
lage nie eintreten. Von ihm aus gesehen gibt es kein »abge
schlossenes« System, und auch die inhaltliche Erfüllung ent
wickelt sich dialektisch aus der und mit der Methode gleichwie
die Mathematik. Wir aber befinden uns hier - das darf nicht
vergessen werden - noch auf dem empirischen Standpunkt. Das
heißt wir nehmen wohl an, daß die empirischen Erfüllungen
dem reinen Bewußtsein gegeben sind, daß es sich um ein vom
reinen Bewußtsein oder besser Vorbewußtsein ausgehendes
Interesse handelt, aber wir dürfen, wenn wir schon Empirien
betrachten, die Empirie des »menschlichen« Erkennens nicht
völlig beiseite stellen und zumindest gleichfalls in den Kreis der
Betrachtung ziehen. Mit anderen Worten: wir fügen in unsere
erste - logische - Objektivation des Ichs nunmehr noch eine
zweite: die empirisch-menschliche, sagen wir psychologische.
Und hier gibt es tatsächlich abgeschlossene Wissenssysteme:
jedes Tatsachenurteil ist ein solches. Für den empirischen Men
schen gäbe es keinen unendlichen Regreß, wenn es keine
unendliche Mannigfaltigkeit an Weltinhalten, also an Plus-Un
bekanntheiten gäbe. Nur [für] das mathematische System, des
sen logische Voraussetzungen sich eben auch mit den ontischen
deckten, ergibt sich die ewige logische Unabgeschlossenheit.
Jede andere menschliche Erkenntnis sucht ein einmal vollen
detes Kontinuitätssystem insolange festzuhalten, als es nicht in
Widerspruch mit einer neuen Plus-Unbekanntheit tritt. Nur
unter diesem Aspekt ist es zu verstehen, daß der empirische E r
kenntnisfortschritt verhältnismäßig langsam vonstatten kommt
- es sei auf das lange Beharren der geozentrischen Weltansicht
verwiesen - , daß er aber mit zunehmender mathematischer
Durchdringung eine ungeahnte, potentiell wachsende Be
schleunigung erfuhr.
Mit einer derartigen Stabilisierung aber geht die dynamische
Zusammenhangskategoric, wenn auch nur in der hic et nunc
gegebenen Fassung in die Kategorie des Statisch-Seienden ein.
Das heißt sie wird selber zum Träger des Kontinuums, das sie
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darstellt, ist nicht mehr fluktuierend unfaßbar, wie während des
Prozesses, in dem sie sozusagen Instrument der Stetigkeit ist,
sondern wird sichtbar, rational und kritisierbar. Mit anderen
Worten: das Interesse vermag sich auf den Zusammenhang als
solchen, also auf sein eigenes Vorwissen zu richten, nicht anders
wie es eben dies in der mathematischen Erfüllung immer tut.
Allerdings: während dieser Vorgang in der Mathematik logi
sche Notwendigkeit ist, ist die »Kritik am System« innerhalb
aller empirischen Erfüllungen nur dem auserlesenen Geist Vor
behalten. Schon unser Beispiel von den beiden Fällen der
astronomischen Rektifikationen zeigte, daß in dem Falle der
apriorischen Systemstörung jedenfalls eine höhere geistige Ar
beit aufgewendet wird, als im entgegengesetzten Fall des ef
fektiven Auftretens eines neuen Sternes. (Obwohl die beiden
Fälle noch aufs engste verwandt sind.) Um wieviel höher steht
aber die Leistung einer System-Kritik und Rektifikation ohne
Datum der Erfahrung, wie dies beispielsweise Kopernikus oder
in neuerer Zeit zum Teil Einstein gelungen ist. Und je inhalts
reicher die empirische Erfüllung eines Wissensgebietes ist,
desto schwerer erscheint die Rektifizierung des Systems und die
Problemstellung in ihm, ohne empirische Vorgegebenheiten,
da ja eben das System selber aus Vorgegebenheiten besteht.
Zusammenhangsstörungen können vom Systemgedanken aus
erkannt werden, d. h. also hier vom empirischen Subjekt. Je
mehr aber sich die empirische Erfüllung vom Mathematischen
weg entfernt, desto »genialer« muß das Subjekt werden, das
dies leisten will. In der Historie wird schließlich diese Genialität
zur geschichtlichen Intuition.
Rekapitulieren wir nun die logischen Möglichkeiten der Stö
rungsstellen, so ergab sich:
1. Die Störungsstelle im Kontinuum ist stets ein »relatives Va
kuum«.
2. Die Störung kann entweder durch eine Plus-Unbekanntheit
oder durch eine Minus-Bekanntheit erfolgen und zwar bei em
pirischer Unerfülltheit (Mathematik) ausschließlich durch
Plus-Unbekanntheit, bei empirisch-vollkommener Erfülltheit
(Historie) ausschließlich durch Minus-Bekanntheit. Zwischen
diesen beiden Extremen der empirischen Erfülltheit sind beide
Fälle, je nach der Höhe des jeweiligen Erfüllungsstadiums, im
entsprechenden Verhältnis gleichzeitig möglich.
138
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3. Das gesamte Kontinuitätssystem in seiner Geschlossenheit
wird vom Subjekt in Frage gestellt. Dies geschieht in der
Mathematik fortlaufend und von jedem Rechner; bei zuneh
mender empirischer Erfülltheit immer seltener und nur vom
genialen Individuum.
Damit erscheinen die logischen Bedingungen für die Funktio
nalität des Interesses notwendig und hinreichend aufgedeckt:
Das Interesse beruht auf dem »Wissen« um das Kontinuum und
tritt in Funktion, wenn das Kontinuum gestört erscheint. Die
Möglichkeiten für eine solche Störung erscheinen innerhalb des
Empirischen durch die oben angegebenen drei Bedingungen
bestimmt.
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identifizieren, oder richtiger: es ist die sogenannte naive Tatsa
chenwelt, auf die einerseits der Begriff des Empirischen einge
schränkt, zu dem der des Historischen andererseits erweitert zu
denken ist.
Immerhin hat diese Einschränkung ihre innere Berechtigung:
weil es keine »Gegenwart« gibt; der gegenwärtige Augenblick
ist mit dem Augenblick schon vergangen. Dem Begriff der letz
ten empirischen Erfülltheit entspricht es aber, punktuell an das
hic et nunc gebunden zu sein, und wo immer »Zeitloses« auf-
tritt, kann gefolgert werden, daß es auf einer Stufe minderer
empirischer Erfahrung liegt. Für die naive Tatsachenwelt gibt
es Zeit-Unabhängiges bloß in ganz groben, massiven Umrissen,
beispielsweise im geographischen Wissensgebiete. Oder aber
schließlich: das Zeitliche, der Begriff der Zeitgebundenheit ge
hört zur »Qualität« der punktuell empirischen Tatsache, das
Mit-jedem-Augenblick-Vergehen ist sozusagen das Zeitlose in
der naiven Tatsachenwelt, und deswegen kann diese mit dem
Historischen schlechthin identifiziert werden.
Die Notwendigkeit einer Einbringung der, sagen wir, Zeiter
fülltheit in diese naive Tatsachenwelt wird aber noch erheblich
verstärkt. Unzweifelhaft wimmelt diese Welt von Minus-Be
kanntheiten, dafür bringt [sie] die Unendlichkeit an Qualität
und Anzahl der empirischen Fakten, und es fehlt daher nicht
an »Lücken«, welche das Interesse auf sich lenken und die For
derung erheben, zum Kontinuum einer »dichten« Menge auf
gefüllt zu werden. Nach welchem Kriterium aber können neue
Fakta in diese Lücken eingestellt werden, da es sich in dieser
Region höchster empirischer Erfüllung um lauter individuell
isolierte Einzeltatsachen handelt? Ein wichtiges Kontinuum al
ler empirischen Einzeltatsachen würde außerdem die Kenntnis
»aller« vorhandenen und jemals vorhandener Gegenstände,
Menschen, Atome, Pflanzen, Tiere samt sämtlicher Phasen ih
res Daseins verlangen; der Kosmos wäre ein ungeheures
Puzzle, und schon der erste Schritt zu einer vollständigen In
duktion in dieser Richtung wäre vollkommene Narrheit.
Ein Fingerzeig ist nun in der Kategorialität des »Sinnes« gege
ben, der jeder empirischen Einzeltatsache zukommt und kraft
welchem sie überhaupt individuelle Tatsache ist. »Sinn« emp
fängt sie aber nur aus der »Ordnung« in der sie steht, und wenn
es zu einem Wiederaufbau des Kontinuums, ausgehend von den
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Einzeltatsachen, kommen soll, so kann dies in Entsprechung
unserer Kategorienaufstellung nur der Wiederaufbau des O rd
nungskontinuums sein, von welchem die Einzeltatsache ihren
Sinn empfangen hat. Es wäre demnach das spezifische O rd
nungskontinuum des Empirischen festzulegen.
Daß aber dieses Ordnungskontinuum des Empirischen mit je
nem der Bereiche minderer Erfüllung nichts zu tun hat, ist evi
dent. Die Bereiche unterscheiden sich ja eben voneinander
[dadurch], daß ihre Kontinua verschieden empirisch qualifiziert
sind, daß sich eine deutliche individuelle »Grenze« zwischen
dem mathematischen Seinskontinuum, dem des Raumes, dem
der physikalischen Substanz usf. erhebt. Mit anderen Worten:
wenn auch jede Tatsache höherer empirischer Erfülltheit auf
den Schnittpunkt aller Ordnungskontinua minderer Erfülltheit
gestellt erscheint und von ihnen als Gesamtheit ihren Gesamt
sinn bezieht, so hat sie eben doch ihr empirisches Plus, durch
welches sie sich über jene erhebt und von ihnen unterscheidet.
Das ihr zugehörige Kontinuum muß aber, wie wir zeigten, die
gleiche empirische Qualifikation wie sie selber besitzen. Eben
deswegen konnte ja auch postuliert werden, daß die Systematik
höherer empirischer Erfülltheiten nicht »Teil« sein konnte der
minder erfüllten und daher diese nicht aus jenen durch »Ab
straktion« gewonnen werden können. Empiristische Philoso
phien und speziell die positivistische, schlagen immer diesen im
wahren Sinne des Wortes »verkehrten« Weg der Abstraktion
ein, und so sucht auch beispielsweise die positivistische G e
schichtsphilosophie der Historik eine Anweisung zu geben, in
dem sie etwa die Gestalt des empirisch-historischen Menschen
nach dem biologischen, psychischen, ja statistisch-mathemati
schen Kontinuum aufzulösen trachtet.
Wir werden sehen, inwieweit die Kontinua minderer empiri
scher Erfüllung in den hoch-empirischen Bereich eingreifen.
Jedenfalls aber ist festzustellen, daß sie dessen spezifische We
senheit nicht umfassen. Jedes Wissensgebiet - und darauf wer
den wir noch zurückkommen - hat, auch wenn es noch so ab
strakt ist, eine gewisse Scheu vor »Abstraktionen«, womit es die
ihm übergeordneten Bereiche minderer Erfüllung meint, und
verlangt nach »Tatsächlichkeiten«, und mit besonderem Nach
druck und besonderem Recht ist dies im empirisch-historischen
der Fall. Man erinnere sich der auffallenden Divergenz zwi-
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sehen aufgewandter Mühe und Forschungsziel, durch welche
die meisten geographischen Expeditionen sich auszeichnen;
hinwiederum der außerordentlichen Teilnahme selbst der
Laien, welche das unbeglaubigte Faktum, daß ein ungebildeter
Matrose »tatsächlich« seinen Fuß auf das Nordpol genannte
Stück Eis gesetzt habe, erfreut, um zu verstehen, welche Rolle
hier der rohen empirischen »Tatsächlichkeit« zufällt. Und nicht
unähnlich der geographischen Forschungs- und Abenteuerlust,
welche darauf ausgeht, alle weißen »Lücken« aus der Land
karte verschwinden zu lassen, ist die Forschungsfreude des Hi
storikers und sein Bestreben, alle »Lücken« des empirisch-hi
storischen Zusammenhanges, alle »dunklen Strecken«, wie wir
sie nennen dürfen, durch »Tatsächlichkeiten« aufzufüllen. Der
Historiker verlangt nach dem faktischen empirischen »Leben«,
wie »es ist« und wie »es gewesen ist«, und wenn er sich unter
diesem Schlagwort auch keinen Begriff denkt, so meint er doch
etwas richtiges. Er meint den spezifisch empirischen Kontinui
tätszusammenhang.
Jeder Zusammenhang ist ein dynamischer. Das heißt das er
kennende Subjekt setzt oder erkennt eine Beziehungsbrücke
zwischen zwei oder mehreren Objekten und vermag sich auf
dieser von einem zum anderen zu »bewegen«. Im mathemati
schen Bereich sahen wir diese Beziehungsbrücke in der Inter
polation von »Elementen«, respektive »Grenzen«. Das Dyna
mische war also für uns nicht gerade »Bewegung im Objekt«,
sondern diese ist nur eine besondere Form des Dynamischen,
die sich überdies, schon im Sinne des Parmenides, durch sta
tische Elemente erstarrt ausdrücken läßt. Hingegen war es un
zweifelhaft, daß die Erkenntnis des Dynamischen nur in der
Aufeinanderfolge der einzelnen statischen Punkte (sich) absol
vieren läßt; mit dem Augenblicke, da die dynamische Bezie
hung in einem Augenblicke umfaßt wird, ist die Synthese der
Objekte zu einer Objekt-Einheit vollzogen. Das erkennende
Subjekt braucht also, auch in psychologischer Bedeutung übri
gens, zur Erkenntnis des dynamischen Zusammenhanges:
»Zeit«.
Im empirischen Bereiche höchster Erfüllung kennen wir aber,
radikal genommen, keine Synthesen, sondern nur diskrete
Fakta. Die Erkenntnis ist also gar nicht fähig, von einer Tatsa
che zur anderen überzugehen, sondern bleibt an einer einzigen
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Einheit, bildlich gesprochen, an einer einzigen diskreten
Raumerfüllung haften. Soll eine neue Erkenntnis werden, so
muß sich die Einheit selber ändern, muß sich der betrachtete
Raumteil mit neuem Inhalt erfüllen. Und wenn auch diese neue
Erfüllung diskret, d. h. also sprungweise erfolgen würde, so
bliebe dennoch das Zeitliche dieses Wandels ontologisch beste
hen; m. a. W. die Zeit, die wir vorgesehen haben, das spezifische
Merkmal des rein empirischen Zusammenhanges.
Daß das »Werden« den eigentlichen Anstoß zur wissenschaft
lichen Erkenntnis der Welt gegeben hat, ist bekannt. Eine Na
tur, wie etwa die arktische, in der kein sichtbares Werden
herrscht, hätte den Menschen niemals zu ihrer Erkenntnis an
geregt; sie bleibt punktuell empirisch und ein starres Nebenein
ander. Das Wesentliche aber ist, daß das Werden zudem nicht
diskret sprungweise, sondern stetig erfolgt, so daß faktischer
Anlaßzu Synthesen gegeben ist, die ihrerseits es wieder gestat
ten, das Nebeneinander als Nacheinander zu verstehen. Diese
Synthesen lassen sich aber, wie wir sahen, nur auf Stufen min
derer empirischer Erfülltheit vollziehen, so daß also von der
diskreten Voll-Erfülltheit mehr oder minder »abstrahiert«
werden muß. Wir begegnen hier wieder dem Positivisten, wel
cher alle Erkenntnis auf Abstraktionen zurückführt und hiezu,
wie Spencer, ganz folgerichtig auf die Bildung der Erkenntnis
bei den Primitiven rekurrieren muß, m. a. W. auf ihr genetisches
menschliches Entstehen.
Ohne diese genetische Entwicklung der menschlichen E r
kenntnis leugnen zu wollen, steht aber für uns und unsere logi
sche Betrachtung die empirische Anschauung in ihrer radikalen
Ausbildung sozusagen am anderen Ende. Sie betrachtet Bilder,
welche von allen Stufen minderer Erfülltheit bereits Ordnung
und Sinn erhalten haben, und zu deren Qualität nunmehr als
letztes Plus das Quäle der Tatsächlichkeit beigesellt worden
ist. Diese rein empirische Anschauung ignoriert also keines
wegs die, sagen wir abstrakten Fäden, welche zwischen Phä
nomen und Phänomen auf Basis der Systematiken minderer
Erfülltheit zu ziehen sind, sie fügt zu diesen Ordnungskon-
tinuen nur noch ein ihr eigenes spezifisch-empirisches hinzu,
und wenn es ein spezifisch-empirisches Interesse geben soll, so
hat es im Bereiche dieses letzten Ordnungskontinuums anzu
setzen.
143
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Wir sagten nun bereits, daß die Idee der absolut diskreten em
pirischen Tatsächlichkeit die Bildung von Synthesen prinzipiell
verhindert. Der Blick ist demnach an einen bestimmten Raum
ausschnitt punktuell gebunden und hat abzuwarten, ob sich in
diesem »Veränderungen« vollziehen. Konkrete und vergrö
berte Beispiele dieses logischen Sachverhaltes finden sich über
all in der Geschichte; zumeist ist es die Bilderabfolge an irgend
einer punktuellen Lokalisation, die Anlaß zur Geschichts
schreibung gibt: die Geschichte Frankreichs, die des Hauses
zum »goldenen Karpfen«, die irgendeines Bergwerkes. Ande
rerseits kann diese Lokalisation nicht auf [eine] sozusagen »ru
hende« oder geographische beschränkt bleiben; der Blick ist
isoliert auf einen gewissen Raumpunkt zwar gerichtet, aber in
dieser Isoliertheit ist es nicht möglich, irgendein Kriterium für
dessen absolute Ruhe aufzuweisen noch zu verlangen. Der em
pirische Bilderrahmen kann demnach selber »wandern«, ohne
daß die Bedingungen der rein historischen Erkenntnis verletzt
werden. Auch hierfür gibt es Beispiele: die Biographie etwa des
Reisenden, die Geschichte der napoleonischen Feldzüge etc.
Zusammenfassend kann man daher sagen: empirische Konti-
nuen treten überall dort auf, wo innerhalb eines (ruhenden oder
bewegten, aber immer in sich identischen) Rahmens verschie
dene Veränderungsphasen auftreten.
Man könnte fürs erste veranlaßt sein, alles, was irgendwie
»Bewegung« beinhaltet, unter diesen Begriff des erweitert Hi
storischen zu subsummieren. Es steht auch sicherlich fest, daß
jede Bewegungserscheinung in der genetischen Erkenntnisge
schichte zuerst historisch genommen wurde. Die Mondes
finsternisse waren und sind für den Primitiven historische Er
scheinungen, d. h. solche, welche einfach Veränderungen im
vorgegebenen Rahmen darstellen. Die Betrachtung eines iso
lierten Punktes der Erdbahn ist insolange eine historische, als
nur lediglich festgestellt wird, daß dieser Punkt zeitweilig vom
Phänomen »Erde« ausgefüllt wird. Dasselbe gilt von den che
mischen Phänomenen im Reagenzglase, von den typhösen oder
luetischen Symptomen am kranken Körper usf. Eben diese hi
storische Basis alles Erkennens irgendeines bewegten Werdens
und damit, weil alles Werden ist, aller Erkenntnis überhaupt,
trägt mit zu dem Rechte bei, die naturwissenschaftliche und na
turgeschichtliche Sphäre und deren Erkenntnis als Mischfor
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men zwischen dem rein mathematischen und dem rein empiri
schen Bereich zu betrachten.
Eine derartige erweiterte historische Betrachtung der Bewe
gungserscheinungen darf aber nicht [dazu] verleiten, nunmehr
etwa auch die synthetischen Bewegungsbegriffe in die empi
risch-historische Sphäre einzubeziehen. Je geringer die empiri
sche Erfüllung einer Sphäre ist, desto reicher ist sie an syntheti
schen Begriffen, d. h. desto größer sind die Kontinuitätselemente,
welche durch einen einzigen Zusammenhangsbegriff bedeckt
werden. Oder m. a. W.: erlaubt und fordert der Kontinuumsbe
griff irgendeiner Sphäre, daß das Bewegungsphänomen seiner
Elemente bereits im Kontinuums-, respektive Systemzusam
menhang vorgebaut und vorgewußt werde, so wird der System
abschnitt des Objektes, in welchem diese Bewegung herrscht,
trotz der Bewegung, zum ruhenden Element. Die Erdbewe
gung ist insolange eine historische Erscheinung als ein Punkt im
Astralraum betrachtet wird, der zeitweilig von diesem Gestirn
erfüllt wird, betrachtet man aber die Totalität dieser Bewegung
als »Erdbahn«, so ist diese ein einziges, ruhendes Phänomen
und füllt, solange sie besteht, im Kontinuum ein einziges Zeit
element aus. Das gleiche gilt für die Reagenzzeiten in der
Eprouvette etc. - Man hat in Ansehung dieses Sachverhaltes
eine äußerst simplifizierte Ausscheidung des Historischen aus
dem übrigen Wissensgebiet zu besorgen versucht, indem man
diese nach dem Kriterium der »Regelmäßigkeit«, jenes nach
dem des »Einmaligen« schematisieren wollte. Die Richtigkeit
dieser Schematisierung dürfte aus dem Gesagten hervorgehen,
wohl aber auch allerdings, daß sie in ihrer Simplizität nicht aus
reicht, die mannigfachen Mischformen der Erkenntnis zu sche
matisieren, denn sogar im Gebiete des Historischen engerer
Bedeutung lassen sich derartige »ruhende« synthetische Bewe
gungsbegriffe nachweisen, beispielsweise, unter vielen ande
ren, im Begriffe des »Lebenslaufes« der einzelnen Person, in
ihrer Bewegung von Geburt, Jugend, Alter und Tod. Daß dem
so ist, kann nicht wundernehmen, da ja letzten Endes jeder
sinnerfüllte Begriff die Idee einer synthetischen Bewegung
mehr oder minder versteckt involviert.
Damit kommen wir auf das vorher Gesagte zurück: Die spezi
fisch empirische Ordnung und Abfolge ist ein Kontinuum dis
kreter Elemente, von denen jedes einzelne wohl einen synthe
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tischen Begriff bilden kann und auch immer bildet, deren
Diskretion es aber nicht zuläßt, selber zur synthetischen Einheit
zusammengefaßt zu werden. Oder richtiger, die synthetische
Einheit, welche auf dieser Stufe der empirischen Erfüllung zu
bilden ist, ist eine spezifische, die sich von denen minderer em
pirischer Erfülltheit unterscheidet und zur Aufgabe der spezi
fisch empirisch-historischen Erkenntnis gesetzt ist. Das We
sentliche aber für die empirische Abfolge ist ihr Charakter als
Ordnung ruhender Elemente (auch wenn sic im einzelnen als
bewegt anzusehen sind), deren Kontinuität durch ihre Ab
wandlung im gemeinsamen Rahmen bedingt ist, in welchem sie
zeitlich dicht aufeinanderfolgen.
Es mag aufgefallen sein, daß wir bei alldem den Kausalbegriff
nicht erwähnten, wo doch die historischen Abfolgen unver
kennbar meistenteils durch das Verhältnis von Ursache und
Wirkung ihre Kontinuität zur Schau tragen, andererseits auch
eben durch diesen Umstand den Anlaß zu den aus ihnen ent
sprungenen »Abstraktionen« gegeben haben. Vom Standpunkt
des Interesses aber haben wir den Begriff des Kausalen über
haupt noch nicht kennengelernt. Der Kausalbegriff ist auch
schon in den Stadien minderer empirischer Erfülltheit vorhan
den, und die einzelnen Kausalverknüpfungen zwischen Phäno
men und Phänomen gehören mit zu jenen Fäden, von welchen
wir sagen konnten, daß die historisch-empirische Betrachtung
sie wohl nicht ignoriert, aber stillschweigend bloß hinzunehmen
hat. Populär gesprochen hat sie es nur mit der vagen »Gesamt
ursache« und [dem] »Gesamteffekt« zu tun. Oder vielleicht
deutlicher: Die Kausalbetrachtung muß immer auf den ge
meinsamen Rahmen, der den diskreten Elementen den Konti
nuumszusammenhalt gibt, rekurrieren, ist aber selber nicht das
tragende Element. In der Geschichte eines Hauses ist von Mie
ter zu Mieter nahezu kein Kausalzusammenhang aufzufinden;
er besteht lediglich in der Rekursion auf den Mietraum, welcher
für den neuen Mieter frei geworden ist, »weil« ihn der alte ver
lassen hat.
Vorderhand war es uns bloß darum zu tun, die Notwendigkeit
des Zeitbegriffes und der zeitlichen Abfolge diskreter Einhei
ten für den Bereich der höchsten empirischen Erfüllung festzu
stellen. Weitestgehend vereinfacht und schematisiert stellt sich
also dieser als dichte Menge paralleler und untereinander
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gleichfalls diskreter Zeitlinien dar, von denen jede einzelne ein
Kontinuum diskreter, ruhender Fakten durchzieht. Die Konti
nuität ist hiebei durch die Gemeinsamkeit des logischen Ortes,
wie wir sagten, des »Rahmens« bedingt. Soll das empirische In
teresse in diesem Bereiche erweckt werden, so müssen in diesen
Kontinuitätsabfolgen »Störungsstellen« zu konstatieren sein.
Wir hatten für den mathematischen Bereich vorerst nachzu
weisen, daß seine ihm wesentliche Störungsstelle die Plus-Un
bekanntheit sei und haben bereits prinzipiell dargelegt, daß es
nicht schwerfallen wird, aufzuzeigen, daß in ihm der Minus-Be
kanntheit die nämliche Rolle für den empirisch-historischen
Bereich zukommt.
Der Blick in den mathematischen Bereich war auf das Konti
nuum schlechthin, war auf das »All« gerichtet, hingegen im
empirisch-historischen Bereich auf die punktuelle Tatsache.
Das unmittelbare Kontinuumswissen beschränkt sich auf die li
neare Ordnung, in der einer Tatsache etwas vor- und etwas
nachzufolgen habe. Dieses Kontinuum kommt aber erst durch
die es konstituierenden Tatsachen zustande: Fügen sich andere
Tatsachen zu einem Kontinuum zusammen, so ist es eben dieses
und nicht jenes, das der hic et nunc gegebenen Tatsache ihre
Ordnung und deren Sinn verleiht. Wenn in der Mieterchronik
eines Hauses ein Name ausgewechselt wird, so ergibt diese eben
eine neue Ordnung. Mit einem Wort: eine Plus-Unbekanntheit
in ein und demselben Kontinuum ist hier ein Unding, weil eben
dann das Kontinuum, soferne es überhaupt in einem solchen
Falle noch eines ist, einfach ein anderes wird. Wir drückten dies
bereits eingangs mit den Worten aus: im empirischen Bereich
hat die Plus-Unbekannte bereits in das Wissen um das Konti
nuum Eingang gefunden und ist in diesem eingeschlos
sen.
Es bleibt demnach die Minus-Bekanntheit als mögliche Stö
rungsstelle. Minus-Bekanntheit bedeutet Wissen um ein Seien
des innerhalb eines Kontinuums, ohne daß dieses Seiende in der
durch das jeweilige Kontinuum verlangten empirischen Erfül
lung bekannt sei. Wir verwiesen beispielsweise auf die geogra
phische Minus-Bekanntheit, die wohl ein Wissen um »Boden
formationen« voraussetzt, ohne daß dieses Wissen genügt, uns
[mit] dem geographischen Kontinuum, welches die kartogra
phische Bekanntheit verlangt, [bekannt machen] zu können.
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Minus-Bekanntheit ist eine »ruhende« Lücke und verlangt In
terpolation »ruhender« Tatsachen, und schon daraus geht, ne
benbei erwähnt, wieder hervor, daß historische Erkenntnisele
mente im gesamten Erkenntnisgebiet vorhanden sein müssen,
soferne eben die Minus-Bekanntheit als spezifisch historische
Störungsstelle angesprochen werden kann.
Der empirische Wissensdurst, das empirische Interesse richtet
sich demnach auf Tatsachen, deren Vorhandensein als Seiendes
wohl gewußt wird, die aber als solche nicht empirisch bekannt
sind. Das Wissen um diese Tatsachen beruht aber auf dem Wis
sen um jenes lineare Zeitkontinuum, das, durch sie gelegt, eine
dichte Reihe folgender und im gemeinsamen Rahmen (zumin
dest als Ursache und Wirkung) verknüpfter Tatsachen fordert.
Es ist leicht einzusehen, daß in jeder linearen Abfolge, sei sie
nun kausaler aber selbst auch nicht kausaler Natur, derartige
Minus-Bekanntheiten, derartige »Lücken«, nicht nur möglich,
sondern immer vorhanden sein werden.
Gleichwie im mathematischen Bereiche können diese Lücken
nach »unendlichen« und »endlichen«, hier vielleicht richtiger
nach »äußeren« und »inneren« unterschieden werden.
Die einfachste Form der »Lücke« ist dort gegeben, wo der
Rahmen für die Zeitinhalte auch im konkreten und banalen
Sinne »ruhend« vorzufinden ist. Es ist die Form der einfachen
»Chronik«. Ihre »äußere« Lücke ist mit dem empirischen Be
stand des Rahmens abgegrenzt, weswegen wir auch hier eben
nicht von Lücken im »Unendlichen« sprechen wollten. Die
Mieterchronik eines Hauses beginnt mit dem Bau des Hauses
und endet mit dessen Niederreißen; vor und nach diesem Zeit
punkt ist die »äußere« Lücke vorhanden, jedes Fehlen eines
Namens bedeutet eine »innere«, es sei denn, daß sie durch die
»negative Tatsache« ausgefüllt sei (die als Tatsache an sich
gleich der Zahl absolut und positiv gilt), daß während des in
Frage stehenden Zeitraumes das Haus unbewohnt geblieben
war.
Auch die Geschichte im engeren Sinne entfernt sich nicht we
sentlich von diesem chronikalen Verhalten; ob es nun die Bio
graphie eines Menschen, die Geschichte eines Volkes oder die
der napoleonischen Feldzüge sei, immer wird es sich für den
Forscher darum handeln, etwaige Lücken durch Interpolation
neuer urkundlicher Tatsachen auszufüllen und das Kontinuum
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herzustellen. Allerdings werden hier schon aber auch die
Schwierigkeiten sichtbar, mit welchen wir uns in unserer Un
tersuchung zu befassen haben werden: die Auswahl der zu in
terpolierenden Tatsachen nach Art und Anzahl, denn es ist
klar, daß eine Wirtschaftsgeschichte der Päpste ganz andere
Urkunden erfordert als deren christlich-dogmatische usf. Vor
allem aber darf es hier auffallen, daß mit jeder Abweichung von
der konkret-lokalen Chronik die kausale Verbundenheit der in
das Kontinuum einzubringenden Elemente proportional steigt.
Der Rahmen, in welchem die zeitlich-empirischen Bilder ab-
rollen, ist ein synthetischer Begriff; auch das »Miethaus« ist da
von nicht ausgenommen. Das Verhältnis der Bilder zum Rah
men ist, wie wir zeigten, zumindest insoweit ein kausales, als die
Bilder in den Rahmen gleiten, »weil« er für sie freigeworden
ist. Dieses, auch das einfachste, Kausalverhältnis ist aber
gleichzeitig ein Beweisverhältnis: Der Rahmen beweist seine,
sagen wir, Rahmenhaftigkeit an seiner Aufnahmefähigkeit für
Bilder.
Nirgends wird dies klarer als in den Bereichen minderer empi
rischer Erfüllung. Jeder Begriff kann, wie wir zeigten, zum G e
genstand historischer Betrachtung gemacht werden und zwar
ebensowohl in seiner Eigenschaft als »Bild« als in der als »Rah
men«. Fragt man nun in Gebieten minderer empirischer Er
fülltheit nach der möglichen Ausfüllung eines vorgegebenen
Rahmens, etwa dem der »Erdbahn«, so wird ein einziges und
unwandelbares »Bild« als einzig mögliche Antwort zu finden
sein, nämlich die »Erdbewegung« selber, die, mit dem Begriff
der »Erdbahn« kausal verknüpft, mit dieser geradezu identisch
wird. Die reale »Erdbewegung« ist gegenüber dem Rahmen-
und Systembegriff »Erdbahn« deren einzige »Lücke« und
Minus-Bekanntheit. Indem diese durch die reale Tatsache aus
gefüllt wird, gibt sie dem Rahmenbegriff den Tatsachenbe
weis.
Nimmt man, wie wir uns zu gestatten glauben dürfen, die Mi
nus-Bekanntheit als die spezifisch empirische, so wird es klar,
warum der menschliche Fortschritt innerhalb des mathemati
schen Bereiches, trotz der dort eigentümlichen Plus-Unbe
kanntheit, auf dem Wege der Minus-Bekanntheit und nur auf
diesem erreicht wird. Es wird aber auch klar, daß die »neuen«
Zahlen und Systeme, etwa das »Irrationale« oder »Imaginäre«,
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welche auf diesem Wege gefunden werden, empirisch wohl
»gibt« - darauf gründet ja der landläufige Mathematiker seine
Ansicht von der »Realität« des Mathematischen daß sie also
wohl einen, sagen wir, historischen »Tatsachenbeweis« für die
Operationen, die zur Schließung der Lücken führten, [aufwei
sen,] daß aber diese Operationen dieses Beweises durch die
reale Existenz nicht bedürfen, da sie ja mit der aufgefundenen
Zahl identisch sind.
Je weiter aber sich der Bereich von dem des Mathematischen
entfernt, desto dringender wird der historische Beweis für die
Gültigkeit der vollzogenen Lückenschließung im Kontinuum,
bis daß im historischen Kontinuum schlechthin dieses selber nur
aus der Realität der vollzogenen Lückenschließungen besteht.
Das spezifische empirisch-historische Kontinuum gibt für den
»Rahmen«, welches es erfüllt und damit auch für die vorgege
bene Tatsache, zu welcher es geführt wird, gibt für deren eben
vorgegebenen »Sinn« das, was man in der Rechtspflege, nomen
est omen, den »lückenlosen Indizienbeweis« nennt. Ist festge
stellt, daß der Beschuldigte am Tatort geweilt hat, sind die Vor
bedingungen seines Tuns, sind die äußeren Möglichkeiten mit
stringenter Sicherheit festgestellt, dann ist auch die »Tat« sel
ber in ihrem ganzen Sinn klargelegt. Das empirische Interesse,
welches durch Lücken im Zusammenhang solcherart erregt
wird, gibt allüberall zum Indizienbeweis Anlaß. Die historische
Forderung im engeren Sinne, gefragt nach dem Verbleiben der
Avaren zwischen ihren beiden mitteleuropäischen Einfällen
oder nach den Ursachen hellenistischer Einflüsse auf den chi
nesischen Stil, sucht eine Indizienkette herzustellen; der Arzt
benötigt zur Konstatierung eines einheitlichen Krankheitsbil
des eine gewisse Symptomenkette, die Darwinsche Theorie
verlangt die Auffindung von »Zwischengliedern«, die Eiszeit
hypothesen suchen nach bestimmten geologischen Rückstän
den.
Dieser ganze Komplex der »Beweise«, welcher erst im Kapitel
der Methode eine schärfere Beleuchtung erfahren kann, mußte
hier schon angedeutet werden, weil einesteils der Kausalitäts
begriff höchster empirischer Erfüllung neben allen anderen
möglichen Erfüllungen zumindest selber als logische Erfül
lungsmöglichkeit seinen Platz eingenommen hat, andererseits,
weil die Möglichkeiten der spezifischen empirisch-historischen
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»Störungsstellen« mit dessen Hilfe genauer präzisiert werden
können.
Wir haben, wie wir zu zeigen glaubten, mit einer gewissen
Hierarchie der Wichtigkeit der Minus-Bekanntheit zu tun, so
fern sie Ausfluß der historischen Betrachtung ist. Im histori
schen Bereich schlechthin bildet ihre Ausfüllung infolge des
dadurch erreichten Indizienbeweises das tragende Fundament
des ganzen Rahmens; die Wichtigkeit dieses Indizienbeweises
schwindet mit abnehmender empirischer Erfüllung, da Rahmen
und Bild immer mehr zu einer Identität zusammenfließen, die
im Mathematischen zur Gänze erreicht wird. Es erklärt sich nun
hieraus, daß die Möglichkeiten für die Findung und die Not
wendigkeit zur Bildung von Minus-Bekanntheiten progressiv
mit der empirischen Erfülltheit der Bereiche steigt. Minus-Be
kanntheiten setzen Reihen ruhender Elemente voraus, in wel
chen sie interpoliert werden müssen, um den Rahmen beweisen
zu können. In Bereichen geringerer empirischer Erfüllung
müssen solche Reihen als »Theorien« überhaupt eigens gebil
det werden, beispielsweise im biologischen Bereich die Dar
winsche Theorie, im chemisch-geologischen die Gebirgsbil
dungshypothesen, und je inhaltsentblößter der Bereich wird,
desto überflüssiger wird es, eine derartige genetische Ansicht
durchzuführen, die zwar, wie gesagt, immer an sich möglich ist,
hier aber nur die Identität von Rahmen und Bild ergibt. Hinge
gen ergibt sich für den historischen Bereich an sich diese bewei
sende Reihenbildung nicht nur, wie bei der primären chronika-
len Anschauung, automatisch aus dem Objekt, sondern wird
überall außerdem zu einer stringenten Forderung, wenn die hi
storische Vielfältigkeit nach irgendeinem Prinzip, sei es dem
der Person, sei es einem geographischen, sei es dem ökonomi
schen nach, geordnet werden soll.
Allerdings: auch für die Bereiche niedrigerer empirischer E r
füllung gibt es eine Stelle, an welcher sie die historische Ansicht
erfordern und zwar dort, wo sie in ihrer Systemtotalität in Frage
gestellt wird. Das astrale System bedeutet, genetisch gesehen,
in seinem kausalen Rahmen eine einzige ruhende Einheit und,
wenn man will, eine einzige »innere« Lücke. Wendet man aber
die genetische Ansicht - und deswegen führten wir den Begriff
der Kausalität ein, die uns nunmehr zu dieser Frage verpflichtet
- auf [ein] zeitliches Etwas an, das dieser ruhenden Gesamt-
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Einheit vor- respektive nachgehen muß, so kommen wir zum
Prinzip der »äußeren« Lücke, die jedem Kontinuum, sei es nun
erfüllt oder nicht, systemisiert oder amorph, zuzuordnen ist. Es
ist m. e. W. das Unendlichkeitsproblem, das hier von der Kau
salität hereingetragen wird.
Für den historischen Bereich engeren Sinnes mag es klar sein,
daß neben den in ihm vorhandenen »inneren« Lücken ohne
weiteres »äußere« zu sehen sind. Eben die Kausalitätsinhalte
der Reihen verlangen, daß sie in ihrer Folge von »Wirkung und
Ursache« unbeschränkt beidseitig fortsetzbar sein müssen.
Die »innere« Lücke zeigt sich damit als die unbekannte Stelle
eines sonst bekannten Geschichtsablaufes, die »äußere« so
wohl als Problem der »Urgeschichte« als das der »Prophezei
ung«.
Hier nun trifft sich die genetische Betrachtung des rein Histo
rischen mit der der empirisch ärmeren Bereiche. Die menschli
che und die biologische, die geologische und die astrale Urge
schichte, doch auch die der Zukunft, liegen in durchaus gleicher
Interessenprovinz. Es ist, wie erwähnt, ein Begriffskreis, wel
cher mit dem infiniten der Mathematik eng zusammenhängt.
Denn jedes Kontinuum, und eben auch das empirische, ist sei
ner Idee nach infinit zu denken. Das Diskrete innerhalb der
Reihe erfordert aber das diskret Unendliche, also transfinit To
tale, zu denken, so gut wie im mathematischen [Bereich] nun
mehr auch im erfüllt empirischen. Mit anderen Worten: die
Forderung nach der ontologischen zeitlichen »letzten Ursa
che«, nicht minder aber nach dem »letzten Effekt«, kurzum die
Frage nach dem »Anfang« und dem »Ende« in der Zeit ist die
notwendige logische Folge der diskret empirischen Tatsache.
Erinnern wir uns, daß wir die Systematiken der Bereiche min
derer empirischer Erfüllung als die ontologischen Bedingungen
möglicher Erfahrung für die höherer Erfüllung erkennen durf
ten, so wird es uns nicht wundernehmen, daß eine empiristisch
gewendete Anschauung - und sowohl die des »Interesses« als
die ihr entsprechende genetische ist, wie wir zeigten, empiri
stisch - diesen Bedingungen der Erfahrung nunmehr auch die
ontologische »Ursache« abverlangt. Es besteht daher hier
[Grund] - und wieder begegnen wir den Positivisten wie den
positivistisch-empirischen Forschern-, die Gemeinsamkeit der
»äußeren« Lücke als Basis für die Unität des Weltbildes zu
152
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nehmen. Es tritt jene rücklaufende Bewegung zu den Sphären
minderer empirischer Erfüllung ein, die wir schon bei den Elea-
ten und bei Pythagoras sahen, und die das menschliche Gesche
hen im biologischen, dieses im anorganischen, seinen Ausgang
nehmen läßt, um schließlich im Begriff der reinen Zahl zu lan
den, in deren Transfinitum die Wurzel des Metaphysischen -
auch Cantor22 grub nach ihr - liegen soll. Vorwärts gewendet
aber wandelt sich diese metaphysische Reihe in eine teleologi
sche, deren Zielpunkt »der Mensch« ist.
Zieht man in Betracht, daß diese ganze teleologische Gerich
tetheit der empirischen Tatsachenwelt, angefangen von der
mathematischen, infolge der eigentümlichen Funktion der Mi
nus-Bekanntheit zustande kommen konnte, ferner, daß diese
Minus-Bekanntheit in der Erforschung des menschlich-histori
schen Geschehens ihren wesenhaften Platz einnimmt, während
sie mit abnehmender empirischer Erfüllung immer mehr ver
blaßt, so ist zu erwarten, daß eben das menschliche Geschehen
es ist, das der Annahme einer höchsten empirischen Erfülltheit
am ehesten entspricht und daß - wie es uns landläufig bekannt
is t-d ie empirisch-historische Sphäre tatsächlich mit dem, was
man unter »Geschichte« [versteht], zusammenfällt.
In dieser Richtung ist die weitere Untersuchung zu führen,
ohne allerdings hoffen zu können, hier schon im Gebiete des
Interesses ein vollkommenes Resultat fördern zu dürfen.
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Wir haben bis nun kein derartiges Kriterium, um den rein em
pirisch-historischen Bereich von den [Bereichen] minderer em
pirischer Erfüllung abzuscheiden. Wir sahen wohl, daß der Mi
nus-Bekanntheit eine besondere und ausgezeichnete Rolle in
ihm zufällt. Diese ausgezeichnete Rolle begründet sich nun
eben auf dem Faktum, daß in allen Bereichen minderer empiri
scher Erfüllung prinzipiell vorerst die Plus-Unbekanntheit ge
setzt werden muß und von ihr aus erst die Minus-Bekanntheit
in Erscheinung treten kann. Mit einem Wort: die Plus-Unbe-
kanntheit liefert die primäre Individuation, und erst wenn diese
vollzogen ist, ergibt sich der systematische Wiederaufbau unter
Leitung der Minus-Bekanntheit. Auch noch in einem Bereich
so hoher Erfülltheit wie der organisch-biologische es ist, ist die
ser Sachverhalt bestätigt.
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kritische Ausgabe, hrsg. v. Th. Schieder u. H. Berding (München, Wien
1971), »Erster Vortrag vom 25. September 1854. Einleitung (Ausgangspunkt
und Hauptbegriffe)«, S. 66.
14 Theodor Mommsen, »Die Schweiz in römischer Zeit«, in: G e s a m m e lte
S c h r ifte n 5. Bd., H isto risc h e S c h rifte n 2. Bd. (Berlin 1908), S. 384/385.
15 Leopold von Ranke, Ü ber d ie E p o c h e n d e r n e u e re n G e sc h ic h te , a.a.O., S. 75.
16 Ernst Mach (1838-1916), österr. Physiker und Philosoph. Vgl. D ie A n a ly s e
d e r E m p fin d u n g e n (1886) und E r k e n n tn is u n d Irr tu m (1905).
17 Vgl. A. Schopenhauer, P arerga u n d P a r a lip o m e n a , 2. Bd., Kapitel 6 »Zur
Philosophie und Wissenschaft der Natur«, §§ 70-102. (Offenbar handelt es
sich nicht um ein wörtliches Zitat.)
18 Friedrich Schiller, »Naturforscher und Transzendental-Philosophen« (Xe-
nie).
19 Wilhelm Windelband (1848-1915), deutscher Philosoph. Führend in der Ba
dischen bzw. Südwestdeutschen Schule des Neukantianismus (gemeinsam mit
Rickert). Vgl. G e sc h ic h te u n d N a tu r w is se n s c h a ft (1894).
20 Georg Simmel (1858-1918), deutscher Philosoph und Soziologe. Vgl. D ie
P r o b le m e d e r G e s c h ic h ts p h ilo s o p h ie (1892).
211. Kant, K r itik d e r rein en V e rn u n ft, »Einleitung. I.«: »Wenn aber gleich alle
unsere Erkenntnis m it der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch
nicht eben alle aus der Erfahrung.«
22 Georg Cantor (1845-1918), deutscher Mathematiker; begründete die Men
genlehre.
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Logik einer zerfallenden W elt
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dert: es projiziert sich selber in diese Wirklichkeit, solcherart
die Identität von Sein und Wirklichkeit nicht nur theoretisch,
sondern in aller praktischen Lebensfülle durchzuführen.
Eine derartige Formung der Wirklichkeit, ihre »Umformung
zu einer Wertwirklichkeit«, wird nicht nur von jedem einzelnen
Menschen mit mehr oder minder großem Erfolg unentwegt
versucht, sie ist bei überpersönlichen Wertgebieten noch viel
deutlicher sichtbar: Staaten, Völker, Kulturen sind solche
Wertkreise, die sich um fiktive, überpersönliche Wertsubjekte
legen, und je deutlicher die Wertbezogenheit hervortritt, desto
deutlicher wird dieses fiktive Wertsubjekt zum »Kulturgeist«,
wird der Wertkreis zum »Kulturkreis«, um mit höchstem Wert
ziel in den weitesten Kulturkreis einer Religion zu münden.
Beachtet man, daß die empirische Wirklichkeit, also im allge
meinsten Sinne die »Geschichte an sich«, ausnahmslos aus der
artigen engeren und weiteren Wertkreisen besteht, angefangen
vom Einzelmenschen, dessen Biographie in die Geschichte ein
gegangen ist, bis zu den Kulturkreisen und darüber hinaus bis
zu den großen Religionssphären, hält man weiter daran fest,
daß jeder dieser Wertkreise die Setzung einer Wertwirklichkeit
durch das fiktive oder effektive Wertsubjekt darstellt, so bleibt
vom idealen Beschauer aus gesehen, die Gesamtheit des Seins
auch weiter idealistische Setzung, Setzung durch das intelligible
Ich, doch sie bleibt nicht direkte Setzung (eine direkte Setzung
»aus der Pistole«2 geschossen, wie sie Hegel bereits Schelling
zum Vorwurf gemacht hat), sondern sie wird zur indirekten
Setzung, sie wird zur Setzung von Wertsubjekten, die ihrerseits
Werte setzen, sie wird zur »Setzung von Setzungen«.
Hegel hat eine derartige »Setzung der Setzung« mit der Intro-
duzierung des Weltgeistes in die Geschichte vorgenommen,
aber der Wertkreis, der diesem umfassendsten Wertsubjekt,
das nichts anderes ist als Gott in seiner Objektivierung, zu
grunde gelegt werden mußte, bedeckt die Unendlichkeit und ist
in seiner Unendlichkeit nicht mehr zu begreifen.
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Ausgangspunkt nicht sehr weit sich entfernende phänomenolo
gische Evidenz aufweisen. Das Schema solcher »inhaltlicher
Deduktion« (sicherlich keine more geometrico, mochte sie auch
von Spinoza dafür gehalten worden sein) ist eine Art Wechsel
schritt zwischen Syllogismus und intuitiver Plausibilität, etwa
so: ist das durch Ur-Intuition erfaßte Phänomen mit »Denken«
zu bezeichnen, so muß es, da es nicht eigenschaftlos sein kann,
Attribute besitzen (Descartes selbst hat das dubitare dem cogi-
tare beigeordnet), und da es außerdem eine Gesamtheit dar
stellen muß, so ist eine Totalität vorhanden, die mit dem intuitiv
erfaßten Phänomen »Bewußtsein« identifiziert werden darf,
und da das Denken auf ein Ziel gerichtet ist und sich hiezu das
intuitive Phänomen »Wahrheit« einstellt, andererseits ein
ebenso evidentes Phänomen in der unabweisbaren idealisti
schen Einsamkeit und Brückenlosigkeit des Bewußtseins vor
handen ist, so ergibt sich der halb logische, halb intuitionistische
Schluß: das Bewußtsein in seiner solipsistischen Einsamkeit
befindet sich im Zustand maximaler Wahrheit.
Diese Art der phänomenologischen Deduktion ist nicht un
ähnlich einer Rechnung mit algebraischen Größen, die gleich
zeitig von der Intuition mit evidenten Spezialwerten ausgefüllt
werden. Ob außerhalb des engsten Ich-Kreises eine ebenso
zwingende Evidenz der Inhalte existiert, oder ob die Schlüssig
keit der Deduktion nicht alsbald in einer gewissen apologischen
Vagheit verschwimmt, ist allerdings eine andere Frage.
Es gibt sicherlich eine ganze Reihe paritätischer Ur-Eviden-
zen, und von diesem Punkt aus ist es sicherlich nicht möglich,
die Apriorität des Cogito vor dem Sum, die des Sum vor dem
Cogito festzustellen. Hier gilt bloß die Anerkenntnis der Seins
kategorie als Ur-Intuition neben der des Denkens, und daß die
sem »Sein«, diesem »Leben« des Ichs Attribute zukommen,
deren logischer Ort genau so wie beim Cogitare von intuitiv
evidenten Phänomenen ausgefüllt ist. Der Vorgang kann weit
gehend parallelisiert werden: das Denken als Funktion führt
zur Totalität des reinen Bewußtseins, der Begriff des Lebens
führt zur Totalität des Seins schlechthin, und wenn dem Denken
als Ziel die »Wahrheit« gesteckt wird, so scheint es, als ob der
parallele Zielbegriff für das Leben mit nicht minderer Evidenz
im Phänomen des »Wertes« (das Wort Glück, in mancher Be
ziehung näherliegend, enthält unerwünschte Einengungen) ge
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sehen werden dürfte - gleichwie das denkende Ich sich stets im
Zustand maximaler Wahrheit befindet, so befindet sich das le
bende Ich stets im Zustand des maximalen Wertes, gleichwie
das Denken die Welt zur »Wahrheitssetzung« macht, wird die
Welt unter der Kategorie des Lebens zur »Wertsetzung«. Oder
trivialst ausgedrückt: in seiner kontrollosen Autonomie ist die
jeweilige Welt für das Ich stets die relativ beste.
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automatische Abwehrbewegung, eine Abwehrhaltung gegen
das Böse, metaphysischer Urgrund des seelischen Daseins in
der Angst des Gewissens.
Doch von hier aus erhebt sich das Denken über das Sein, die
Kategorie des Erkennens über die des Handelns.
Denn gleichwie das Böse die Lüge umschließt, so umschließt
die Wahrheit das Gute: gleichwie die Erkenntnis zwar mit der
Erfahrung anhebt, aber nicht von der Erfahrung geleitet ist, so
hebt das sittliche Handeln, ja alles Handeln überhaupt mit der
Angst an, aber es kann nicht von der Angst, sondern nur von
der Wahrheit geleitet werden. Neben die Absolutheit der Angst
tritt die Absolutheit des Logos, und ist auch das Ich autonom
in seiner Einsamkeit, lediglich unterworfen seinem eigenen
Gesetz, seinem eigenen Erkennen, seinem eigenen Wert, es ist
dieser Wert, es ist dieses Erkennen dem Absoluten unterwor
fen, und Kants Forderung an den Menschen, die Eigengesetz
lichkeit des Ichs zu erfüllen5, ist die Unterordnung des Ethi
schen unter die Absolutheit des Logos, der die Absolutheit des
Wertbegriffs in sich schließt.
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unterläge nicht auch sie der Bewertung durch das Wertsubjekt,
dem sie ihre Setzung verdankt.
Es entspricht nun der Einsamkeit des Ichs, daß seine Bezie
hung zu der von ihm gesetzten und objektivierten Welt von die
ser Abgelöstheit bestimmt wird und sich in einem interesselo
sen Erkennen, in einer »ästhetischen Bewertung« erschöpfen
muß, ja, daß das Ruhende und in sich Beschlossene, daß die
Welt als gesetzter Wert überhaupt nichts anderes ist als das
»Ästhetische schlechthin«.
Das »Ethische schlechthin« und das »Ästhetische schlecht
hin«, erst in ihrem Zusammenhalt ergibt sich der Begriff des
»Wertes schlechthin«, der in seiner noumenalen Absolutheit
besteht wie die »Wahrheit an sich« und der »Satz an sich«.
Doch darüber hinaus wird klar, daß der Geschichte sehr wohl
das »Richteramt«6 gebührt, welches ihr von Hegel zugemessen
wurde, daß ihr die »Bewertung« der gesetzten Werte obliegt,
daß aber innerhalb des Mechanismus der »Setzung der Set
zung« dieses Richteramt nicht eine einfache Preisverteilung
nach fixen Normen ist, sondern daß auch das anscheinend
Wertlose, ja Wertfeindliche, daß auch das Grausige und Fürch
terliche, mit dem die Welt und die Geschichte erfüllt sind, oh-
neweiters geschichts- und biographiereif sein kann, wenn es der
autonomen Wertgesetzlichkeit des effektiven oder fiktiven
Wertsubjektes genügt und wenn das Individuum in seinem au
tonomen Kreis die ethische Forderung des Logos, »das Werk
um des Werkes willen zu schaffen«, voll auf sich genommen hat.
Alles übrige verschwindet in der Geschichte. Was sichtbar
bleibt, ist der ästhetische Wert des Gesetzten, ist die Formung
der Welt - und es darf als Erweis solcher These gelten, daß es
im besonderen die bildende Kunst ist, vor allem aber die archi
tektonische Raumbildung, die als Wahrzeichen eines jeden
kulturellen Wertkreises die Zeiten überdauert.
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so muß die Welt, muß jegliche Einheit in der Welt, muß jeder
ästhetische Wert (im allgemeinsten Sinne) die Struktur des Ichs
widerspiegeln. Es ist die Einheit des Menschen, getragen von
der Absolutheit des Logos, die in der Einheit jedes Dinges auf
leuchtet.
In letzter Radikalität bedeutet dies, daß die Wertstruktur des
Ichs in jeden Einzelbegriff eingeht, daß also jeder einzelne Be
griff als wertsetzendes Subjekt innerhalb seines Wertkreises zu
denken ist. Mit anderen Worten: es werden jedem Begriff und
nun gar jedem Wertbegriff alle Attribute zugeordnet, die der
Evidenz des Ichkreises angehören - keines dieser Attribute
kann ausgeschlossen werden, und fast ist es, als würde die Welt
der Objekte sogar auch den Anspruch auf Totalitätsgeltung und
Absolutheit in sich aufgenommen haben, um damit gleich dem
setzenden Ich zur Daseinsberechtigung zu gelangen.
Zweifellos ist in dieser Art der Begriffsbildung ein starker
Rest anthropomorpher Allbeseelung enthalten: es kann kein
Ding gedacht werden, das nicht seine Wertseele besäße, und es
wird sein Begriff, es wird sein »Name« zu einem heiligen Spie
gel der Göttlichkeit. Man könnte sagen, daß die Hypothese von
der »Setzung der Setzung« die erkenntnistheoretische Struktur
primitiver Ur-Metaphysik darstellt, die jedem Ding einen
»Geist« zuordnet und die sich in dieser völlig abstrakten Form
im Denken erhalten hat. Ja, mehr noch: der Streit der Götter,
der Streit aller Geister um die Beherrschung der Welt hat sich
in der Absolutheitstendenz bewahrt, die noch immer allen
Werten und allen Begriffen innewohnt. Und wahrscheinlich ist
es, daß die Sehnsucht nach dem Heilsbringer, daß die niemals
vergangene, niemals vergehende Sehnsucht nach dem Helden,
der sein eigenes Wertgebiet siegreich gegen alle anderen W ert
gebiete verteidigt und es zur Absolutheit und Totalität erhebt,
daß diese Sehnsucht nach dem heilsbringenden Helden, der
kraft seiner eigenen ethischen Existenz den Logos seines Tuns
bewahrheitet und der damit zum Mittelpunkt eines jeden um
fassenden religiösen Wertkreises erhoben wird, daß diese
Sehnsucht nichts anderes ist als der sinnfällige Ausdruck für die
anthropomorphe Allbeseelung der Welt durch die »Setzung der
Setzung«, und daß in dieser Existenz die Einheit des ästheti
schen Wertes, die Einheit des Ichs als göttlicher Trost immer
wieder ersehnt und vollzogen wird.
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Der Stilbegriff in der ästhetischen Einheit
Gäbe es, wie Hegel es wollte, bloß eine einzige »Setzung der
Setzung«, die Setzung des Göttlichen im Medium des Weltgei
stes, es wäre die Welt seiner Konzeption gemäß eine einzige
unendliche Totalität, und das Absolute, lediglich eingeschränkt
durch die Kategorie der Zeit, es würde ein kontinuierliches,
durch nichts unterbrochenes Hinströmen sein bis zur schließli-
chen zeitlosen Selbstbefreiung - Hegels Konzeption verlangt
gewissermaßen eine transfinit unendliche Einheit, verlangt
nach dem höchsten ästhetischen Wert, der bloß als der in sich
ruhende Gott gedacht werden kann.
Doch der Akt der Setzung ist kein kontinuierlicher; er muß
immer von neuem anheben, stets aufs neue wird das Absolute
in die Welt geworfen, und der Strom der »Selbstbefreiung des
Geistes« ist kein strömendes Wasser, sondern viel eher wie ein
Konglomerat von Kugeln, die sich nicht nur gegenseitig die Be
wegungsimpulse geben, sondern sich auch verschneiden, ein
ander einschließen und ein höchst kompliziertes Konglomerat
von Einheiten ergeben. Das Prinzip der »Setzung der Setzung«
liefert endliche Einheiten, und bloß im Endlichen ist das Den
ken zu Hause.
Innerhalb des Endlichen ist aber das Absolute bloß als ethi
sche Forderung vorhanden. Gewiß ist jede Einheit Spiegel des
Ichs, Spiegel des Logos, aber sie ist es bloß so weit, als die Mo
nade Leibniz’ die ganze Welt in sich zu tragen hat. Die durch
die »Setzung der Setzung« erzeugte Einheit innerhalb der Welt,
mag sie sogar bis zur Größe von Kultur- und Religionskreisen
anwachsen, bleibt immer nur Spiegel und Verkürzung des Ab
soluten.
Diese unabweisliche Verkürzung ist vielleicht am deutlichsten
im Kulturbegriff zu erkennen. Denn jede Kultur hat ihren
»Stil«, ja, es kann Kultur geradezu am Stilbegriff definiert wer
den - zumindest wird jede Kultur an ihrem »Stil« erkannt.
Ist aber nun Kultur die Gesamtheit der Wertsetzungen eines
bestimmten Wertkreises, ist sie jenes Realisat der wertsetzen
den Funktion, in dem die Welt und damit der sichtbare Raum
dieser Welt die Formung erfährt, so muß auch der Stil - und er
tut es auch - als Akzessorium des ästhetischen Wertes sichtbar
werden, am sichtbarsten wohl im bildenden Kunstwerk und vor
allem im architektonischen, in welchem die »Raumformung«
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am deutlichsten und abstraktesten vorgenommen wird: und je
abstrakter die Formung der Welt und ihres Raumes vorgenom
men wird, desto sichtbarer wird der Stil, der durchaus folge
richtig im abstrakten Ornament seine eigentümlichste und
merkwürdigste Repräsentanz findet.
Stil aber ist eine Gesamthaltung des Menschen, Stil ist auch
nicht auf das künstlerische Schaffen beschränkt, darf es nicht
sein. Denn alles Wertschaffen ist dem Logos untertan, es geht
unter der Leitung des Logischen vor sich, es wird jeder Schritt
der Welt- und Wertsetzung vom Logischen her kontrolliert und
plausibel gemacht - das Wertsubjekt, will es wirklich Wert
schaffen, kann und muß sein Tun begründen, und wenn der ge
schaffene Wert bestimmte Stileigentümlichkeiten an sich trägt,
so ist der Rückschluß erlaubt, daß sie in der logischen Begrün
dung wiederkehren und in ihr begründet sein werden: auch das
Denken trägt den Stil seiner Epoche.
Angesichts der Absolutheit der logischen Form ist der hy-
postasierte »Denkstil« bloß im Inhaltlichen zu lokalisieren,
d. h. in jenem Grenzgebiet zwischen dem Logischen und dem
Metaphysischen, das die Sphäre des Glaubens schlechthin ist,
u. z. nicht nur des religiösen Glaubens, sondern auch die des
»Für-wahr-FIaltens«. Kurzum, es handelt sich um jene letzten
Evidenzen, in welchen sich jeder »Beweis« für die Richtigkeit
des Getanen und Gedachten begründet, Evidenzen, auf welche
die Frageketten zurückgehen, mit deren Hilfe der Mensch sein
Tun plausibilisiert.
In einfachster Schematisierung läßt sich der Sachverhalt als
»Verlegung des Plausibilitätspunktes« kennzeichnen: das pri
mitive Denken nimmt eine Allbeseelung der Welt an, jedes
Ding erhält einen ihm innewohnenden Geist zugewiesen, es ist
eine Metaphysik der causa sui, und die ontischen Frageketten
des »Was ist das?« werden bereits mit dem ersten »Warum?«
abgebrochen. Soferne die Sprache Abbild des Logischen ist,
verifiziert sich dieser Sachverhalt an der außerordentlich kom
plizierten Syntax der primitiven Sprachen. Und wenn der Fort
schritt der Sprachen zu immer einfacheren und zentraleren
Formen tatsächlich in ihrer sukzessiven Verkreuzung zu suchen
ist, so könnte Ähnliches für die Entwicklung der logisch-meta-
physischen Denkstile angenommen werden: der sukzessive Er
satz der primitiv-magischen Weltbeziehungen durch kausale
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würde sich dann als ein fortgesetztes Verkreuzen und Ver
schneiden der einzelnen Wertkreise darstellen, als ein Ver
schneidungsprozeß, der schließlich zu einem gemeinsamen
Nenner führen muß, zu einfachsten, ihnen allen gemeinsamen
Formen, um in solch steter Verlängerung der logischen Ketten
und in der Weiterverlegung der Plausibilitätspunkte nicht nur
die Plausibilitätsketten selber zusammenzubinden und zu ver
schränken, sondern auch um sich solcherart einem apriorischen
Generalnenner anzunähern, der, ein letzter Schnittpunkt, als
Logos an sich gegeben ist: aus der ungeheuer komplexen Meta
physik des Primitiven gelangt das Denken zum monotheisti
schen Urgrund und versucht schließlich von der »endlichen
Unendlichkeit« des persönlichen Gottes in die wahre Unend
lichkeit der Abstraktheit vorzudringen, das Ruhende aufzuhe
ben und in reine Funktion zu verwandeln.
Die logische Form wird durch solche Verlegung der Plausibili
tätsschranke nicht aufgehoben, ja, es kann geradezu als Verifi
kation für die Allgemeingültigkeit des Logos angesehen wer
den, daß der Syllogismus, soferne er überhaupt gilt, für das
Denken des Primitiven genau so gilt wie für das heutige Den
ken. Was sich ändert, ist der »Stil«, nicht bloß der Stil der Spra
che, mit dem der Stil des Denkens ausgedrückt wird, sondern
eine bestimmte, sicherlich dem psychologischen Bereich ange
hörende Abschattung der Assoziationsfolgen, ein Verschieben
der logischen Maßverhältnisse bei Aufrechthaltung logischer
Nachbarschaften - zweifelsohne ein äußerst verwickelter Me
chanismus, der unerkennbar bleiben müßte, hätte er im räumli
chen Stil nicht sein sichtbares Korrelat gesetzt.
Historischer Exkurs
Auch der Übergang von einem Denkstil zu einem andern ist
kein kontinuierlicher. Es ist der Sprung von einer Einheit zu ei
ner andern. Gewiß ist der große Umbruch, den das europäische
Denken mit dem Ausgang des Mittelalters erlitt, in manchen
Anzeichen schon vorher bemerkbar gewesen, und auch heute,
nach vierhundert Jahren, hat er sich noch nicht zur Gänze aus
gewirkt, aber nichtsdestoweniger war die Wendung von der
Scholastik zur Renaissance eine fast abrupte.
Es läßt sich die These vertreten, daß ein derartiger Denkum
bruch stets dann vollzogen wird, wenn das Denken an seine
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Unendlichkeitsgrenze gestoßen ist. Jedes Denk- und Wertsy
stem, das unter die Leitung eines obersten Wertes gestellt ist,
ist dialektisch und versucht, durch Deduktionen ins Unendliche
zu gelangen. Immer wieder wird dieser Versuch unternommen,
obwohl es ein Versuch mit endlichen Mitteln ist, die im Unend
lichen immer wieder zu den Antinomien des Denkens führen
müssen - das Mittelalter hatte seine spezifischen Unendlich
keitsantinomien, und sie sind in ihrer letzten Struktur die glei
chen, wie sie sich für Kant als Antinomien der Vernunft erga
ben oder wie sie in der modernen Mengenlehre als
Unendlichkeitsantinomien die Revision der mathematischen
Grundlagen erzwungen haben. Eine Zeitlang wird immer ge
trachtet, derartige Antinomien zu verkleistern; die Scholastik
hat die Lehre von der doppelten Wahrheit aufgestellt, und es
ist durchaus bezeichnend, daß - allerdings in stark verkleiner
tem Maßstab - auch die Hegelschule Neigungen aufwies, die
Dialektik durch Vergewaltigung der Wirklichkeit zu retten,
hoffnungsloser Versuch, da die innere Wandlung zum Positi
vismus sich nicht mehr aufhalten ließ. Es war das Schicksal der
Scholastik, das sich hier wiederholte, denn die gewaltige Zer
sprengung des mittelalterlichen Weltbilds war nichts anderes
als ein plötzlicher Übergang von der platonischen Deduktion
auf die positivistische Schau, nichts anderes als die Bankerott
erklärung der dialektischen Vernunft und die Verweisung des
Erkennens vom Spekulativen aufs Unmittelbare.
Die positivistische Wendung zum Unmittelbaren bildet wohl
das wesentlichste Merkmal der Renaissance, denn alles, was zur
Charakterisierung dieser Epoche angeführt wird, ihre Sinnen
freude und ihre protestantische Askese, ihr Individualismus
und ihr Macchiavellismus, ihre humanistische Kultur wie ihr
Naturalismus, nicht zuletzt aber ihre Naturwissenschaft, alle
diese disparaten Phänomene lassen sich auf die gemeinsame
Wurzel des Unmittelbaren zurückführen. Die einzelnen Wert
gebiete, die sich in der Scholastik dem christlichen Zentralwert
unterzuordnen hatten, sie waren ihrer Fessel ledig geworden
und verlangten, daß die Befassung mit ihnen um ihrer selbst
willen geschehe, verlangten, daß ihr Objektgebiet unmittelbar
und nicht mehr durch die Mittlerschaft des Glaubens betrachtet
werde. Das naturwissenschaftliche Objekt wurde nicht mehr
durch einen kirchlich sanktionierten Aristotelismus betrachtet,
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der Maler betrachtete die Natur als Objekt an sich, der Mensch
wurde zum Einzelmenschen, die Natur zur Natur, doch wichti
ger noch als der Blick auf die Unmittelbarkeit des Außen war
der Positivismus der Innerlichkeit, die Abkehr von der kirchli
chen Hierarchie und die Forderung nach der unmittelbaren
Gottesschau, die Forderung nach dem unmittelbar mystischen
Gotteserlebnis des Protestantismus.
So laut diese Epoche war, ein erster Hauch des Schweigens
war über die Welt hinweggegangen: denn stumm ist die mathe
matische Sprache der neuen Naturwissenschaft, stumm ist das
mystische Gotteserlebnis, auf das der Protestantismus hinwies.
Die stumme Sprache des Unmittelbaren, das bloß ein Zeigen
und kein dialektisches Ableiten kennt, hatte angehoben, die
Sprache Gottes hatte der Sprache der Dinge zu weichen begon
nen.
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scheidenden Schritt in die Unendlichkeit zu tun sich anschickte.
Und in diesem radikalen Willen zur Absolutheit traf das neue
Denken auf eine Welt von Werten, setzte es eine Welt-von
Werten, von denen jeder einzelne diesen Willen zur Totalität
und Rigorosität widerspiegeln mußte - der Wertverband des
Mittelalters war mit einem Schlage gesprengt, aus der überge
ordneten Einheit und Absolutheit ihres Verbandes waren die
Werte entlassen und ihrer eigenen Absolutheit anheimgegeben
worden.
Der Gesamtstaat der geistigen Idee hatte einem föderativen
Verband autonomer Werte weichen müssen, und bald war es
auch keine Föderation mehr. Zwar unternahmen die Jesuiten
mit der Gegenreformation den grandiosen Versuch, das zer
sprengte mittelalterliche Wertgebäude nochmals zu errichten
und alle Werte nochmals unter die Leitung der katholischen
Kirche zu stellen; aber wenn das Unternehmen auch im Äuße
ren weitgehend glückte, wenn auch das Barock das stilgemäße
Zeugnis für dieses Glücken ablegte, so war die innere geistige
Bindung, war die eigentliche Theologia der jesuitischen Philo
sophie von der platonisch symboldurchtränkten Scholastik des
Mittelalters ebenso sehr entfernt wie die Barockkirche von der
gotischen Architektonik. Und trotz aller Starrheit, mit der die
Linie der Gegenreformation festgehalten wurde, ließ sich die
Eigenentwicklung der einzelnen Wertgebiete nicht mehr auf-
heben. Die letzte rückläufige Bewegung, die über Europa ging,
die Romantik, war nicht einmal mehr eine äußerliche Bindung,
sie war nur mehr ein sehnsüchtiges Rückblicken in die Vergan
genheit, selbsttrügerische Hoffnung, daß die eklektische Form
schließlich den Inhalt ergeben würde, ein Wissen um eine ein
stige Geborgenheit und Furcht vor der Unerbittlichkeit des
Kommenden.
Und diese Unerbittlichkeit kam. Unaufhaltsam meldete ein
Wertgebiet nach dem anderen seine Autonomie an: der ökono
mische Wert wurde zum »Geschäft ist Geschäft«, der künstleri
sche zum l’art pour hart; die industrielle Entwicklung wurde zu
einem Prozeß der »Produktion an sich«, der nichts mehr mit
Bedarfsdeckung zu tun hatte, der Staat wurde zu einer Institu
tion um des Staates willen, und jedes der auf sich selbst gestell
ten Wertgebiete strebt nach seiner eigenen Unendlichkeit, de
ren unendliche Zielsetzung bereits noumenal und damit sinnlos
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geworden ist. Das Ruhende, die Einheit wird allenthalben zu
gunsten der Funktion aufgehoben, gleichwie das physikalische
Weltbild alle Substanzbegriffe fallen lassen mußte, um zu einer
reinen mathematischen Funktionalität zu gelangen. Eine Ver
ständigung zwischen den autonomen Wertgebieten ist nicht
mehr möglich; sie sind für einander stumm geworden, und wenn
es noch ein Medium des Begreifens - nicht der Verständigung
- gibt, das ihnen allen gemeinsam ist, so ist es das der Zahl.
Feindlich in ihrem Anspruch auf Totalitätsgeltung stehen sie
einander gegenüber, und für diese Selbstzerfleischung der
Werte ist der Krieg, der ein Krieg des »Militärischen an sich«
ist, bloß ein Symptom, wenn auch fürchterlichstes Symptom,
unter vielen anderen.
Der Mensch aber, einst Ebenbild Gottes, einst dem obersten
Werte zugekehrt, ist dem Wert verfallen, in den er zufällig ge
raten ist. Seine menschliche Würde hat sich zur Würde des Be
rufsmenschen erniedrigt, und das ethische Gebot, das auch für
ihn noch immer ungebrochen gilt, das Gebot der Pflicht, hat die
Formel der 100%igen Pflichterfüllung im Beruf erhalten.
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Das Ruhende ist aufgehoben, aufgehoben zugunsten der
Funktion: die stilbildende Kraft des Wertzentrums vermag sich
nicht mehr zu realisieren, und ebenso wie der physikalische
Raum seine Geltung verlor, ebenso mußte die raumformende
Stilbildung ihre Wirksamkeit einbüßen - die Fähigkeit zum
konstruktiven Ornament erlosch mit den letzten Glaubensre
sten des Empire, in dem radikalen Zweckdenken des Neuen
hatte das Ornament keinen Platz mehr, es mußte zu einem
Schimpfwort herabsinken, genau so wie der ästhetische Wert,
in seinem weitesten Sinne genommen, mit dem Mangel eines
ethischen Defektes behaftet wurde.
Denn die ethische Forderung an den Menschen blieb unge
brochen aufrecht, ihr Ruf zur Pflicht ertönte lauter denn je, und
fast könnte man sagen, da!3 auch die Pflicht sich selber ad ab
surdum führt, daß sie eine »Pflicht an sich« geworden ist, die
von ihrem ruhenden Realisat nichts mehr wissen will. Diese
Hypertrophierung des Pflichtbegriffs in seiner rigorosesten
Strenge, diese letzte Konsequenz der Renaissance und des
scholastischen Zusammenbruchs, diese Pflicht an sich, Strenge
an sich, hatte sich zum ersten Male im Protestantismus verwirk
licht, hatte von dort den Weg zur protestantischen Theologie
des Kantianismus genommen und war über Hegel zu ihrer end
gültigen Form gelangt: zur entgöttlichten Religion der »Pflicht
an sich«, zur Form der »Revolution an sich«, zu jener Kirch
lichkeit ohne Kirche, zu jener radikalen Strenge des Marxis
mus, deren erste Form nun in Rußland sich manifestiert. Die
Wertwirklichkeit ist zur Pflichtwirklichkeit geworden.
Und doch kann in dieser neuen Art des deduktiven Denkens,
eines sicherlich noch sehr simplifizierten und bloß mit der Axt
zugehauenen Denkens, das Wiederaufleben der platonischen
Idee gesehen werden: wieder ist es der Schrei aus der Einsam
keit des Ichs, und es ist der Ruf der platonischen Liebe, die trotz
aller Stummheit stets aufs neue den Menschen sucht, mag er für
diese Sehnsucht auch nur ein so materiales Schlagwort wie Kol
lektivismus gefunden haben.
Denn die Welt bleibt »Setzung der Setzung«, und in dieser
Setzung der Wertsubjekte, in dieser Übertragung des absoluten
Logos vom wertsetzenden Ich zum gesetzten Ich ist die metho
dologische »Bedingung der möglichen Erfahrung« gegeben,
daß das Neben-Ich, daß der Nebenmensch überhaupt zur
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Kenntnis genommen, daß er überhaupt »verstanden« werden
kann: es ist die Möglichkeit zur Rettung aus der Einsamkeit, es
ist die erkenntnistheoretische Struktur der »Liebe an sich«.
Sicherlich ist die »Bedingung möglicher Erfahrung« bloß eine
theoretische Möglichkeit. Aber eine Zeit der radikalen Ab
straktheit und der stumm gewordenen Sprachen ist in ihrer ei
genen Wirklichkeit bloß abstrakte Bedingung, und die Mög
lichkeit, Sprache in Sprache zu übersetzen, ist die Gewähr für
das Zurückfinden zum eigenen Wort, Gewähr für das Fortbe
stehen und das Hinaufheben des Logos über jede positivistische
Erkenntnis hinaus: die »Setzung der Setzung« enthält unver
lierbar die Einheit des Menschen, sie ist wie eine letzte, wenn
auch nur noumenale Zufluchtstätte einer Liebe, die nimmer
aufhört, »so auch die Sprachen aufhören werden und die Er
kenntnis aufhören wird«7, ein letztes Refugium des Logos, der
mehr ist als die erlöschende Erkenntnis - der Logos als Geisti
ges an sich.
Vielleicht wird sich der Weg des Zurückfindens zum Ruhen
den nur in großer Einfältigkeit und fern von aller rationalen E r
kenntnis finden lassen. Denn das Chaos ist vielleicht bloß in der
Einfalt zu ertragen. Manches deutet darauf hin, nicht zuletzt,
daß die stumme Natur in dieser Welt der Stummheit eine neue,
niemals noch geahnte Bedeutung gewonnen hat, daß in einem
neuen Naturgefühl, mag es auch nur in den Formen eines stum
men Sports auftreten, die Sehnsucht nach der in sich geschlos
senen ruhenden Welt wieder erwacht ist. Und es ist wie ein
Durchbruch der unbezwingbaren Kraft zur Raumformung, daß
in all der Abstraktheit dieses Lebens, in all seiner Ohnmacht zur
Wertbildung, die Musik wie ein Geschenk Gottes in die Welt
kam, in jenem Augenblicke kam, da der Glaube an Gott erlosch
und die Welt stumm wurde: die Musik, eine abstrakte Sprache
der Stummheit, die Maschinen übertönend und sie in ihren
Dienst stellend, eine Musik, ja, wenn man will, ein Musikbe
trieb, wie er im wahren Sinne des Wortes bisher nicht gehört
worden war, der aber die Stummheit übertönt, und, zumindest
der strukturellen Möglichkeit nach, Musik bleibt - Musik, die
abstrakteste Raumformung, das letzte und vielleicht das erste
Wertrealisat dieser Zeit.
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1 Vgl. den fast identisch lautenden ersten Abschnitt in der Rezension über die
beiden Bücher Arthur Lieberts »Die erkenntnistheoretische Bedeutung des
Begriffes >Revolution< und die Wiederbelebung der Hegelschen Dialektik«, S.
255, Bd. 10 1 in dieser Ausgabe.
2 G. W. F. Hegel, V o rle su n g e n Uber d ie G e sc h ic h te d e r P h ilo so p h ie , Dritter
Band, Dritter Teil, Dritter Abschnitt. »D. Schelling« (Glöckner-Jubiläums
ausgabe Bd. 19, S. 681).
3 Vgl. Augustinus, D e lib e ro a rb itrio , 3.22.64 und D e vera relig io n e, 12.23.
4 Vgl. I. Kant, K r itik d e r p r a k tis c h e n V e rn u n ft, »Beschluß«.
5 Vgl. I. Kant, G r u n d le g u n g z u r M e ta p h y s ik d e r S itten , Dritter Abschnitt (»Von
dem Interesse, welches den Ideen der Sittlichkeit anhängt«): »der Mensch [...]
muß |...] über diese aus lauter Erscheinungen zusammengesetzte Beschaffen
heit seines eigenen Subjekts noch etwas anderes zum Grunde Liegendes, näm
lich sein Ich, so wie es an sich selbst beschaffen sein mag, annehmen.«
6 Vgl. G. W. F. Hegel, G r u n d lin ie n d e r P h ilo s o p h ie d es R e c h ts, §§ 340, 341,342;
ferner: S y ste m d e r P h ilo so p h ie , § 548.
7 Paulus, 1. Korinther, 13,8.
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Werttheoretische Bemerkungen zur Psychoanalyse
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Störung von Individuum und Art abgestellt seien. Gewiß, es
sind dies die Grundrichtungen der beiden Gruppen, doch dane
ben können beide auch zu den gegenteiligen Effekten gelangen.
Libidinöse Triebe, die in einer ihnen ungünstigen Außenwelt-
Konstellation nach Befriedigung verlangen (- und dies ist bei
neurotischen Triebverbiegungen oder -Übersteigerungen fast
immer der Fall - ) sind, zumindest potentiell, stets Selbstschädi
gungen des Individuums; dahingegen kann der Todestrieb -
und zwar vornehmlich gerade in diesen Fällen - für das Indivi
duum lebenserhaltend werden, nämlich dann, wenn die in ihm
mobilen Aggressionen sich gegen die Außenwelt kehren, so daß
nicht nur Triebentlastungen zustande kommen, sondern auch
eine konkrete Bekämpfung der Außengefahren möglich wird.
Mit andern Worten: die beiden polaren Triebgruppen werden
zwar sehr oft in heftigsten Konflikt geraten, können aber trotz
dem unter bestimmten Umständen einander - zumindest teil
weise - zur Befriedigung ihrer Eigenbedürfnisse benützen.
Diese »Unzuverlässigkeit« des Triebeffektes ist als eine
Blindheit des »Lustprinzipes« zu erkennen, oder vielleicht
richtiger als die Blindheit des »Es«, das als Triebsubjekt hy-
postasiert wird, d. h. als eine unbewußte Seelenzone, welche
uneingeschränkte Befriedigung aller ihm zu Gebote stehenden
Triebe »will«, um vermittels solcher Befriedigung ungezügelten
»Lustgewinn« einzuheimsen: ohne Rücksicht auf etwaige Indi
vidual- oder Artschädigungen kennt das »Es« bloß das »Lust
prinzip« und ist daher für die fortdauernden Triebkonflikte der
Seele verantwortlich zu machen.
Die Selbsterhaltung des Individuums verlangt demnach, daß
in diesem Konflikt die konstruktiven Triebe über den destruk
tiven obsiegen. Die Unzuverlässigkeit des »Lustprinzips« muß
also durch ein zuverlässigeres, nämlich durch ein »Realitäts
prinzip« ergänzt werden, die Blindheit des »Es« aber durch
eine »sehende« Instanz, und das ist die des bewußtseinstragen
den »Ich«. Ob das »Ich« ein Endprodukt des menschlichen
Triebkonfliktes ist oder ob es sich mit diesem zugleich entwik-
kelt hat, ob man seine Inthronisierung als Akt spezifischer
Selbsterhaltungstriebe ansehen soll, all dies steht hier nicht zur
Diskussion: man kann bloß feststellen, daß die Tierseele (so
weit sie überhaupt Einblick gewährt) kaum etwas von Trieb
konflikten weiß, daß in ihr die Vernichtungstriebe, gleichgültig
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ob nach außen oder nach innen gerichtet, eine weit geringere
Rolle als beim Menschen spielen (der um der Vernichtung wil
len vernichtet), und daß sie daher nahezu einheitlich um das
»Es« versammelt ist, also die Kontroll-Instanz des »Ich« weit
weniger als der Mensch braucht.
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die Begnadung mit einem erkenntnistragenden Ich, kurzum für
seine Menschenwürde zu zahlen hat. Die Sagen vom siegend
untergehenden Helden, die bei fast allen Völkern, vornehmlich
allerdings bei den germanischen, sich vorfinden, geben die my
thische Parallele zu diesem Sachverhalt ab, deren letzte Ver
zerrung die Nazi-Auslegung vom heldischen Todes- und Op
fertrieb im Dienste der Art-Erhaltung ist.
Immerhin, von allen mythischen Parallelen abgesehen, glückt
dem Ich der Sieg, d. h. vermag es den ihm aufgetragenen
Trieb-Kompromiß zu bewerkstelligen, so fällt ihm die nämliche
Zentralstellung zu, die das Es im tierischen Seelenleben inne
hat, und dies bedeutet für das menschliche, daß es - gesammelt
um solchen Zentralpunkt - die gleiche »Einheitlichkeit« wie
jenes gewinnt: wie alle Perfektion ein unerreichbares Ziel, den
noch das Idealbild des seelisch gesunden Menschen, dessen ge
samtes Triebleben vom Ich aus gelenkt wird.
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ihnen ständig unterliegt, zeigt aber nicht der Seele zumindest
potentielle, stete Einheitlichkeit, die ohne ein Wissen um deren
methodologische Notwendigkeit eben überhaupt nicht zu be
greifen ist.
Freuds Seelenmodell ist - ungeachtet seiner Abneigung gegen
die Philosophie - auf dem apriorischen Wissen um solche Ein
heitlichkeit fundiert. Trotzdem ist es ein methodologisch un
vollständiges Modell. Denn Modelle, welche die Einheit der
Realität oder ihrer Ausschnitte dartun wollen, sind erst dann
vollständig, wenn sie diese Einheit in dem einheitlichen Mo
dellmechanismus, also in einem einzigen Bewegungsprinzip,
nach dem das Modell zu funktionieren hat, wiederzugeben
trachten: all unser Wissen (und nicht nur das sogenannt wissen
schaftliche) vollzieht sich in solchen Modellbildungen, die sich,
wie gerade ihr Prototyp, nämlich das physikalische Modell,
zeigt, nicht eher als gültig erweisen, ehe sie nicht ihre methodo
logische Einheit mit Hilfe eines einzigen Bewegungsprinzipes
erreichen. Das Freudsche Seelenmodell hat aber wenigstens
zwei Bewegungsprinzipien zu folgen, da nirgends ein Versuch
gemacht wird, die beiden »Urkräfte« auf eine gemeinsame
Wurzel zurückzuführen.
Es ist, als ob Freud sich an diesem Punkt eine »Spekulations
grenze« gesetzt hätte, ahnend und wohl auch fürchtend, daß
hinter ihr das außer-empirische, das äußer-psychologische G e
biet beginne, das zu betreten er sich scheute. Tatsächlich ist ja
jede empirische Wissenschaft von einer solchen Grenze umge
ben, doch da alle echte Forschung in Grenzüberschreitungen
besteht und gerade die Freudsche Leistung nichts anderes als
ein stetes Vorschieben der Spekulationsgrenze gewesen ist, sind
für dieses plötzliche und fast überraschende Innehalten sicher
lich gewichtigere Gründe aufzusuchen. Sie sind im therapeuti
schen Zweck der Analyse sichtbar.
Zum Heilen braucht man nämlich Empirie. Man kann zwar
mit Magie, nicht aber mit Spekulationen heilen. Nirgends also
hat die Vorschiebung der Spekulationsgrenze mit so großer
Vorsichtzu erfolgen wie in der Medizin. Und Freud war vor al
lem Arzt, im besonderen jedoch Seelenarzt, und dies forderte
zu noch größerer Vorsicht heraus: die Analyse will Verbiegun
gen der seelischen Funktionen naturwissenschaftlich ins »nor
male« Gleis bringen, aber sie will den Patienten nicht »mora
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lisch« beeinflussen oder sonstwie »erziehen«, und gerade dies
täte sie, wenn sie nicht streng darauf achtete, »wertfreie« Na
turwissenschaft zu bleiben, d. h. den Boden strenger Empirie
um keines Fingers Breite zu verlassen. Denn hinter der »Spe
kulationsgrenze« beginnt das Gebiet der Philosophie, beginnt
-selbst im Fall einer Beschränkung auf das Erkenntniskritische
- das Gebiet des »Absoluten«, also auch der »absoluten
Werte«, und dem Skeptiker Freud war es zur Genüge bekannt,
daß diese nur allzu leicht mit persönlichen »Überzeugungen«
verwechselt werden, vor deren Einfluß der Patient geschützt
werden muß, da er sonst je nach der Person des Analytikers mit
katholischen oder sozialistischen oder sonstweichen absoluten
Werten ausgestattet wird. Mochte also auch das analytische
Modell infolge des Doppelprinzipes seiner beiden »Urkräften
mit einem theoretischen Mangel behaftet sein, es genügte weit
gehend seinem therapeutischen Zweck und zeigte sich gefahr
loser als des Mangels Behebung.
Soferne also innerhalb des analytischen Gebietes überhaupt
von »Werten« gesprochen werden kann, so sind es die des
(durch das Realitätsprinzip regulierten) Lustprinzips. Die the
rapeutische Analyse akzeptiert demnach dem Patienten gegen
über das Wertsystem, in dem er zu leben hat, oder in das er hin
eingeboren ist, und sie beschränkt sich darauf, ihn von den
Selbstschädigungstendenzen seines Es zu befreien, also seinen
Todestrieb auf ein »normales« Maß zu beschränken und sein
Ich so weit zu stärken, daß ihm, unter Erzielung höchstmögli
chen Lustgewinns, die Forderungen des Realitätsprinzips er
tragbar und befolgbar werden. In Ansehung der »Werte« ist
dies unzweifelhaft ein durchaus relativistischer Standpunkt.
Und doch: wäre es möglich, das Verhältnis zwischen den bei
den »Urkräften« methodologisch zu klären, so daß der Todes
trieb mit seiner Lebensverneinung nicht mehr wie ein errati
scher Block fremd im Gesamtgefüge der ansonst durchwegs
lebensbejahenden Triebe eingesprengt erschiene, so ließen sich
wohl einige, offenbar höchst notwendige Aussagen über das
Grundverhalten der Seele, über die Struktur ihrer Gesundheit
und ihrer Krankheitsanlage machen, kurzum es ließe sich ein
prinzipieller Einblick in die Struktur von »Normalität« und
»Abnormalität« gewinnen, ohne daß hiefür die gefürchteten
»absoluten« Werte als Maßstab angelegt zu werden brauchten.
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Freilich müßte zu solchem Ende vorerst der Wertbegriff selber
methodologisch erhellt werden, und das bedeutet wiederum,
daß ein Vorschieben der »Spekulationsgrenze« erforderlich ist.
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des Ich: »Das Ich kann nicht anders denken, als es denkt«, so
wird dieses »Nicht-anders-denken-Können« nun unter präzi
serer Beleuchtung zu einem »Zwang«, der vom Non-Ich auf das
Ich ausgeübt wird, als ein ihm auferlegtes »Gesetz« (mag auch
dieses als ein solches erst nach mancherlei anderen Erfahrun
gen erkannt werden), und eben solcher Zwang rechtfertigt es,
den Begriff der »Wahrheit« anzuwenden: »Das Ich ist genötigt,
sein Denken als richtig anzuerkennen, d. h. widerspruchslos
sich der Fortbewegung des Denkens (der Denkdynamik) hin
zugeben und deren Resultate als Wahrheiten zu bezeichnen.«
Zusammenfassend läßt sich also sagen: »Das autonome Ich
befindet sich in einem ständigen Wahrheitszustand.«
(Die spinozistische Färbung all dieser Überlegungen braucht
wohl nicht eigens betont zu werden.)
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Ich möglich, das Fühl-Ich in eine Non-Ich-Sphäre zu versetzen,
d. h. eine richtige Objekt-Beziehung zu ihm herzustellen, so
würde sich nicht mehr viel Geheimnisvolles daran finden lassen,
vielmehr liegt dieses in der ausschließlichen und unauflocker-
baren Verbindung des Fühl-Ichs mit der Subjekt-Sphäre, aus
der allein - bewahrheitet von jeder und insbesondere von jeder
echt mystischen innern Erfahrung - jene »Unmittelbarkeit«
stammt, welche Intuition genannt wird. Und damit steht es
durchaus im Einklang, daß die bejahte Wahrheit, die intuierte
»Erkenntnis« gleichfalls aus der Objekt- in die Subjektsphäre
gehoben erscheint: Denk-Ich und Fühl-Ich und Erkenntnis-Ich
bilden zusammen eine unlösbare Dreieinigkeit, in der jeder Teil
seinen Sinn von den beiden andern erhält, ohne die er nicht als
existent denkbar wäre; es ist die Dreieinigkeit des »Bewußt
seins«, und an ihm konstituiert sich das Ich schlechthin.
Mit andern Worten, in der Subjekt-Objekt-Relation gibt es
eine Abfolge der Geschehnisse, während die Dreieinigkeit des
Bewußtseins sich in einer sehr geheimnisvollen Simultaneität
konstituiert: das Gefiihl-Ich bejaht den Denk-Akt, doch
gleichzeitig ist in diesem auch schon die Bejahung enthalten;
die Bejahung wird »mitgedacht«, und eben hiedurch wird die
»Erkenntnis« auch schon zugleich mit der »Wahrheit« gestiftet.
Fast ließe sich sagen, daß einerseits das Fühlen als Denk-Inhalt,
andererseits aber das Denken als Fühl-Inhalt auftritt, um als
solcher (nochmals und trotzdem gleichzeitig) gedacht und be
jaht und so zur Erkenntnis zu werden. Die logische Notwendig
keit dieses Aufbaues deckt sich mit der innern Erfahrung.
Das Fühl-Ich ist also sowohl Bejahungs-Instanz wie unmittel
bares (intuitives) »Erleben« des bejahten Tatbestandes, und in
dieser Doppelfunktion begleitet es die Selbstaussagen des
Denk-Ich. Eine Aussage wie: »Das Ich denkt sich selbst« erhält
also nicht nur die Form: »Das Fühl-Ich bejaht vollinhaltlich den
Denk-Akt, mit dem das Ich (als Denk-Ich) sich selber denkt«,
sondern auch die damit identische, abgekürzte Form: »Das Ich
fühlt sich selbst« oder, gemäß der innern Erfahrung, »Das Ich
erlebt sich selbst«. Und ebenso läßt sich neben das: »Das Ich
denkt sein Denken«, beziehungsweise neben das: »Das Ich
denkt etwas«, hinter dem sich ein: »Das Ich denkt ein Non-Ich«
verbirgt, stets auch ein: »Das Fühl-Ich fühlt ein Etwas, das ein
Non-Ich ist« setzen.
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Erst im Zusammenhalt der beiden Aussagen: »Das Fühl-Ich
fühlt sich selbst« und »Das Fühl-Ich fühlt ein Non-Ich« (die
beide unaussprechbar wären, könnten sie nicht als Bejahungs-
Akte von Selbstaussagen des Denk-Ich aufgefaßt werden) legi
timiert sich die Zusammenfassung zum cartesischen »Ich bin«:
der große Umweg, der hiezu eingeschlagen werden mußte, ist
nichts anderes als die dialektische Auseinanderlegung des ergo
im »cogito ergo sum«, das, wollte man sich auf die innere Er
fahrung allein als solche berufen, »cogito et sum« heißen
müßte.
Umgekehrt, ist das »Ich bin« als Parallele zum »Ich denke«
einmal ausgesprochen, so ist es gleich diesem in seine zwei Be
standteile: »Das Fühl-Ich fühlt sich selbst« und »Das Fühl-Ich
fühlt das Non-Ich« tautologisch zu zerspalten, oder richtiger
riick-aufzuspalten. Und obwohl dies alles bloß als Bejahung der
parallelen Denkprozesse statuierbar ist (und außerdem vorder
hand bloß auf diese und keine anderen Inhalte bezogen werden
kann), es entspricht der innern Erfahrung: das Ich »fühlt« sich
einem Non-Ich gegenübergestellt (auch wenn dieses bloß durch
das Denken repräsentiert wird).
Die tautologische Zerspaltung der Aussagen über das Denken
hat es empfehlenswert erscheinen lassen, den Begriff »Wahr
heit« einzuführen. Gibt es einen Parallel-Begriff für die Funk
tionen des Fühl-Ich? Es wurde nun bereits auf die merkwürdige
»Produktivität« der deduktiven Tautologie hingewiesen, und
gerade diese kann nun eine zusätzliche Beleuchtung erhalten:
der Bejahungs-Prozeß durch das Fühl-Ich ( - in gewissem Sinn
selber ein tautologischer Prozeß - ) transformiert die Wahrheit
zur Erkenntnis, d. h. er hebt sie aus der Sphäre des Non-Ich,
in der sie bloßer »Zwang« ist, in die des Ich, so daß sie hier einen
eigenen Ich-Teil, nämlich das Erkenntnis-Ich, konstituiert
(dessen klassische Ur-Formulierung eben in der Erkenntnis
»cogito ergo sum« ausgedrückt ist). Wenn also auch in der hier
beschriebenen, hypothetischen Sphäre des reinen Ich bloß »in
haltlose« Wahrheiten sich ergeben können - und leicht ist es
nachzuweisen, daß es die sind, um die sich die Mathematik (in
klusive der Logik) bemüht - , so wird jede dieser »Transforma
tions-Wahrheiten« als Erkenntnis zu einem »Ich-Zuwachs«,
d. h. sie vergrößert das »Bewußtseins-Volumen« (wobei -
psychologisch und nicht erkenntniskritisch gesprochen - dem
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»Bewußtsein« eben »Gedächtnis« zugemessen wird). Oder
vorsichtiger formuliert: jede Veränderung des Wahrheits-Be
standes, die dem Denk-Ich widerfährt, ist zugleich in der sub
jektiven Sphäre des Erkenntnis-Ich, gibt dem »Ich bin« eine
neue Färbung, und diese subjektive Funktion der objektiven
Wahrheit, diese »Veränderung« im Ich-Zustand darf aus
Gründen, die sich noch erhärten werden, mit dem Wort »Wert«
bezeichnet werden. In diesem rein noumenalen Gebrauch des
Wortes »Wert« ist also noch nichts von einem materialen, psy
chologischen Wert-Suchen und Wert-Streben mitgemeint, hin
gegen kann bereits die Erlaubnis deduziert werden, die Wahr
heit in ihrer Erkenntnis-Eigenschaft einen »Wert« zu nennen.
Ohne sich also eigens auf die Autonomie des Ich stützen zu
müssen, dennoch ihr vollkommen entsprechend, läßt sich dem
nach sagen: »Das autonome Ich befindet sich in einem ständi
gen Wertzustand.« Und es läßt sich hinzufügen, daß das »Ich
bin« der Grundausdruck dieses Wertzustandes ist.
Wollte man zu den beiden Gruppen des »Ich denke« und des
»Ich bin«, wie sie hier ausgeführt worden sind, nun auch noch
der Symmetrie halber die Parallele für das Erkenntnis-Ich
durchführen, so würde man nur zu einer Tautologie, etwa nach
der Art: »Das autonome Ich befindet sich in einem ständigen
Erkenntniszustand« gelangen. Der Grund hiefür liegt - wie
leicht einzusehen - in der gegenseitigen Bedingtheit von
Denk-Ich und Fühl-Ich und Erkenntnis-Ich als Komponenten
des Bewußtseins. Die dritte Gruppe ist zwar zur Beschreibung
unerläßlich, fügt aber inhaltlich nichts Neues hinzu.
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sehen Wahrheit zeugt für die Erkenntniskraft und damit für den
»Wert« der bloßen Tautologie.
Tritt man aus dem Bereich der (erkenntnistheoretisch hy-
postasierten) Inhaltlosigkeit in den der »Inhalte« (der empiri
schen Weltinhalte), so verwandelt sich das Non-Ich in die kon
krete Außenwelt, und statt des reinen Ich erscheint das
psychologische auf dem Plan, freilich ohne - wie sollte es auch
- hiebei die Züge seines erkenntnistheoretischen Kernes zu
verlieren: Denk-Ich und Fühl-Ich samt ihren Bereichen der
»Wahrheit« und des »Wertes« wiederholen sich im psychologi
schen Ich. Wäre dem nicht so, so könnte der Mensch, der ja an
seine eigene psychologische Introspektion gebunden ist, nie
und nimmer ein erkenntnistheoretisches Ich imaginieren und
dessen Selbstaussagen überdies als axiomatisch empfinden.
Um also das psychologische Ich-Modell konstruieren zu kön
nen, muß der Unterschied zwischen erkenntnistheoretischer
und psychologischer Wahrheit, zwischen erkenntnistheoreti
schem und psychologischem Wert herausgestellt werden.
Die Struktur der »Wahrheit« muß sicherlich in beiden Berei
chen die nämliche sein; ob rein deduktive oder empirisch in
haltliche Wahrheits-Aussage, sie genügen beide der »Logik«,
und zwar nicht nur in ihrer jeweils gegebenen Aussage-Form,
sondern auch in ihrer »Aussage-Entstehung«, die in beiden
Fällen in »Schlüssen« und eben »deduktiven Schlüssen« sich
vollzieht. Der Unterschied hingegen liegt im folgenden: im er
kenntnistheoretisch konstruierten Bereich gehen die Schlüsse
in reiner Autonomie vor sich, während im Gebiet des Empiri
schen ein zweiter Bereich hinzutritt, eben der des (intuitiv er
faßten) »Inhaltes«, so daß die Aussage erst nach Zusammenfü
gung der beiden Bereiche zustande kommen kann; ist dieser
»Gemeinsamkeitsbereich« geschaffen, so geschieht in ihm ge
nau dasselbe wie im ursprünglich erkenntnistheoretischen, d. h.
es wird von diesem Punkt an rein deduktiv und tautologisch
weiter geschlossen. Was »Induktion« genannt wird - so kann
behauptet w erden-ist nichts anderes als die Zusammenfügung
zweier ursprünglich einander fremder Bereiche zu einem ge
meinsamen, in dem dann logische Deduktionen gestattet wer
den. Daß diese Zusammenfügungen überhaupt stattfinden, daß
auch hiebei Deduktion stattfindet - worüber hier nicht gehan
delt werden soll - , ist an und für sich ebenso ein Wunder wie
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das Vorhandensein der Außenwelt für das Ich. Aber auch die
ses »Wunder« findet noch seinen korrekten, deduktiven Aus
druck, da die auf ihm basierten Wahrheiten, nämlich die empi
rischen Aussagen, letztlich immer nur »Wahrscheinlichkeits-
Aussagen« sind, also solche, welche subjektiv ein Stück
»Nicht-Wissen« enthalten, objektiv hingegen aus der Be-
reich-Zusammenfügung das Bild der mathematischen Wahr
scheinlichkeit ergeben und - auch hierauf kann hier nicht ein
gegangen werden - deren eigene Wesenheit enthüllen. Nur
unter dieser Voraussetzung läßt sich die These von der Einheit
lichkeit alles Denkens aufrechterhalten, doch wenn dies tat
sächlich geschehen kann, dann fallen natürlich auch all die
künstlichen Differenzierungen zwischen »deduktiven« und
»induktiven«, aber schließlich auch die zwischen »wertfreien«
und »wertbezogenen« Erkenntnismethoden und Wissensdiszi
plinen in sich zusammen. Erst dann wäre die Grundlage zu einer
einheitlichen Wissenschaftslehre gegeben, die freilich den
Wertbegriff nicht ausschlösse, wohl aber ihm den ihrer Struktur
gemäßen und ihm gebührenden methodologischen Platz an
wiese.
Diese Struktur des »Wertes« im empirischen Bereich stammt,
wie die der empirischen Wahrheit, aus der erkenntnistheoreti
schen Sphäre. Und zwar ist alles, was über das Verhältnis zwi
schen Ich und Non-Ich ausgesagt werden konnte und damit zur
Einführung des »noumenalen Wertes« gedient hatte, nunmehr
auf das Verhältnis zwischen psychologischem Ich und Außen
welt anwendbar: allein auf dieser Basis ist die Wert-Funktion
in der empirischen Sphäre zu begreifen.
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weiß nichts von irgendeinem in ihm erfolgenden oder nicht er
folgenden zeitlichen Ablauf, vielmehr empfindet es sich als eine
unveränderliche und unveränderbare Einheit, »unsterblich« im
wahrsten Wortsinn, und dieses Gefühl zeitloser Unveränder-
barkeit ist im psychologischen Ich mit so unverminderter Stärke
erhalten, daß es im Kontakt mit der an und für sich ihm »frem
den« Außenwelt keinen ihrer Teile so absolut fremd wie eben
die Zeit empfindet; einem Fremdling gleich fühlt sich das Ich
in den Zcitstrom hineingehalten, und von da aus ist es wohl
auch zu verstehen, daß das Ich vollkommen unfähig ist, sich
eine Vorstellung vom eigenen Tod zu machen.
Für den Ich-Kern bildet die Zeit einen Teil der Außenwelt.
Diese Außenwelt wird ihm durch die verschiedenen empiri
schen Ich-Schalen hindurch zugcmittclt; eine von ihnen ist das
psychologische Ich, eine andere das Körper-Ich, ohne das jenes
nicht denkbar ist. Das Zeitphänomen hat mit den übrigen
Außenweltphänomenen (die durchaus »zeitgetränkt« sind)
diesen - zumindest zwiefachen - Filter zu passieren, erstens
eben den der physiologischen Sinne und zweitens den des psy
chologischen Ich, das die körperlichen Eindrücke verarbeitet.
Nichtsdestoweniger ist das Zeitphänomen von besonderer
Ich-Nähe. Denn abgesehen von seiner Außenwelt-Zugehörig
keit ist das Zeitphänomen einerseits innigst mit dem Eigenle
ben des Körpers verwoben, mit den Körpergefühlen, dem Puls
schlag, der Atmung, den Organfunktionen als solchen, und
andererseits wird das psychologische Ich durch dieses organi
sche Gefühlskonglomerat, von dem es bewegt wird, nicht nur
des Funktionsablaufes, sondern es wird auch des Funktionsen
des gewahr, mit andern Worten, für das psychologische Ich ist
das Zeit-Gefiihl, das ihm aus der animalischen Sphäre zuflutet,
untrennbar mit dem Gefühl des Todes verbunden. Und mit dem
Tod, den der Mensch von Anbeginn in sich trägt und in sich
fühlt, wird die Zeit sozusagen zur innersten Außenwelt.
Es ist vor allem der Tod in seiner unermeßlichen Fremdheit,
von dem das Körper-Ich gegenüber dem psychologischen Ich
und sic beide gegenüber dem erkenntnistheoretischen lch-
Kern immer wieder den Charakter der Außenwelts-Zugehö
rigkeit empfangen, Spaltungserscheinungen, die schon in der
Scheidung von Seele und Leib auftauchen, aber darüber hinaus
bis ins Krankhafte extremiert werden.
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Für das erkenntnistheoretisch konstruierte Ich (den Ich-Kern)
konnte - allerdings bloß noumenal - der »Wert« als ein Ich-
Zustand definiert werden, der sich ergibt, wenn die (tautologi-
schen) Wahrheiten der Objekt-Sphäre in die eigentliche Sub
jekt-Sphäre transferiert und infolgedessen von dieser als
(obzwar nicht minder tautologische) Erkenntnisse des Ich assi
miliert werden. Gesteht man dem Ich nun noch außerdem G e
dächtnis zu, obwohl dies erst in der psychologischen Sphäre zu
lässig wäre, so präsentiert sich der »Wert« jener fortgesetzten
Zufuhr von neuen Ich-Inhalten und -Wandlungen, ungeachtet
ihrer tautologischen Natur, eindeutig als »Ich-Erweiterung«;
aber selbst wenn man - korrekterweise - diese Ich-Wandlun-
gen als gedächtnislos annimmt, so ist dennoch klar ersichtlich,
daß durch sie der »Bestand« des Ich gewährleistet ist (auch
wenn er hier im erkenntnistheoretischen Bereich durch nichts
»gefährdet« ist), so daß dies mit Fug als Grenzfall der Ich-Er-
weiterung, nämlich als Minimal-Erweiterung in Gestalt bloßer
Erhaltung betrachtet werden darf, ja als solcher betrachtet
werden muß.
Mit andern Worten, soweit sich die Struktur des »Wertes« er
kenntniskritisch - gemäß den hier gegebenen Definitionen -
gewinnen läßt, wird sie sich stets in den Resultaten von Assimi
lationsakten offenbaren, mit denen Non-Ich-Bestandteile zu
Ich-Bestandteilen gemacht werden.
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chen werden kann, so sind darin doch die eben animalisch-pri
mitiven Ur-Werte des Menschenlebens gegeben. Auf einer
zweiten Ebene allerdings zeigt gerade diese primitive »Außen
welt« des Körper-Ich eine Qualität, welche beim Non-Ich kei
neswegs anzutreffen ist: sie erweist sich als »Widerstand«, oft
mals sogar als ich-gefährdender Widerstand, den der Mensch
- zumeist im Schweiße seines Angesichts - überwinden muß,
um zu seinen »Werten«, und seien sie noch so primitiv, zu ge
langen.
Für das psychologische Ich erweist sich dieser Sachverhalt als
noch komplizierter. Denn im Gegensatz zum Körper-Ich, des
sen Ich-Funktionen nicht viel weniger rudimentär sind als die
des Tieres, und das daher diesem auch in der Einfachheit und
Eindeutigkeit seiner Wert-Suche gleicht, vermag das psycholo
gische Ich, als der eigentliche Träger des erkenntnistheoreti
schen Ich-Kerns, sehr deutlich zwischen Non-Ich und Außen
welt zu unterscheiden, und schon hieraus ergibt sich ihm eine
grundsätzliche Gabelung seiner Wert-Möglichkeiten; es kann
nämlich
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Ich-Kern diktiert, dem - freilich unbewußt - die Kraft zur
Überlebung zugemessen wird. (Womit freilich nicht gesagt sein
soll, daß die Vernichtungstendenzen bloß dem Melancholiker
zukommen.)
Unschwer sind in den beiden Alternativen, die da dem psy
chologischen Ich für sein Wertstreben offenstehen, die beiden
»Ur-Triebe« Freuds, also einerseits die Libido und andererseits
der Todestrieb wiederzuerkennen, und angesichts der innigen
Verbindung zwischen dem psychologischen und dem physiolo
gischen Ich, die sich ja eben vor allem im Triebleben ausdrückt,
ist dies nicht weiter verwunderlich. Während aber bei Freud die
beiden Tendenzen als Ur-Phänomene unvermittelt nebenein
ander gestellt sind, dürfen sie bei Akzeptierung der hier vorge
tragenen werttheoretischen Betrachtungsweise auf eine ge
meinsame Wurzel, nämlich auf die unabweisliche Notwendig
keit zur Ich-Erweiterung (mit dem Grenzfall der Ich-Erhal-
tung) zurückführen.
Zur Klärung dieses Tatbestandes ist es jedoch notwendig,
Wertstruktur und Wertmechanismus noch weiter zu untersu
chen.
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sich das Ich zur Befriedigung seines Wertstrebens geschaffen
hat, denn fast jede Wertkategorie findet ihr Trieb-Äquivalent,
und Wert-Erfüllungen sind letztlich fast immer Triebbefriedi
gungen.
Das erkenntnistheoretische Ich erfüllt sein Wertstreben sozu
sagen in sich selbst, indem es tautologisch seine Wahrheiten in
Erkenntnisse verwandelt und damit aus der Objekt- in die Sub
jektsphäre versetzt; das Körper-Ich nimmt Bestandteile der
Außenwelt konkret in sich auf und kann dies tun, weil es selber
zu dieser Außenwelt gehört, so daß in einem erweiterten Sinn
- so hinsichtlich des Energiehaushaltes der konkreten Welt -
auch hier von einer bloß tautologischen Umwandlung gespro
chen werden dürfte, also gewissermaßen, soferne man den Ver
gleich so weit treiben will, von einem »statischen« Gleichge
wicht. Für das psychologische Ich liegen die Verhältnisse
anders; es nimmt zwar an den Wert-Strebungen des Ich-Kerns
und des Körper-Ich sowohl aktiv wie passiv teil, aber da es zwi
schen den beiden steht, also weder in sich selbst autonom abge
schlossen ist noch als Teil der Außenwelt gelten kann, erhalten
die Werterfüllungen in ihm einen ganz andern Charakter, und
wenn man diesen als eine »symbolische« Ich-Erweiterung be
zeichnen wollte, die niemals ein wirkliches Gleichgewicht er
reicht, sondern stets »dynamisch« aufrechtgehalten werden
muß, so wird man nicht sehr fehl damit gehen.
Mit andern Worten, das Ich (in seiner Totalität) hat zwei und
nur zwei Wert-Formen als reale Erlebnisse zur Verfügung, ei
nesteils die tautologische des Ich-Kerns, andernteils die kon
krete Absorbierung von Außenweltteilen durch das Körper-
Ich. Sofern in dem Verhältnis zwischen psychologischem Ich
und Außenwelt das psychologische Ich außer seiner Teilhaber
schaft an diesen beiden Werttypen auch noch eigene entwickelt,
so werden sie nur dann mit dem Namen Wert belegt werden
können, werden nur dann als Werte vom Ich erkannt und aner
kannt werden, wenn sie sich in gleicher Form wie die beiden an
dern präsentieren; das psychologische Ich projiziert die beiden,
ihm vom Ich-Kern und vom Körper-Ich gelieferten, »realen«
Wertformen in seine eigene Erlebenssphäre.
Freilich - und dies muß besonders unterstrichen werden -
diese Projektion der Wert-Formen wäre nicht möglich, wenn
das psychologische Ich nicht selber Denk-Ich und Fühl-Ich zu
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gleich, wenn es nicht mit jenem dem Ich-Kern, mit diesem dem
Körper-Ich zugekehrt wäre, so daß also auch seine Erlebens
sphäre in eine deduktive und in eine induktive zerfällt. Dies
vorausgeschickt, bestätigt sich die Projektion
1. an den »empirischen Wahrheiten«, denn diese erweisen sich
allesamt als Symbole, d. h. sie sind in ihrer Gesamtheit ein mehr
oder minder korrektes, logisch-deduktives Symbolsystem (in
gewöhnlicher oder mathematischer Sprache), das auf eine mehr
oder minder korrekte Abbild-Funktion beschränkt bleibt, weil
der logische Bereich des Ich und der äußer-logische der
Außenwelt einander »fremd« und bloß durch einen intuitiv-in
duktiven Akt zu verbinden sind;
2. an den »empirischen Ich-Erweiterungen«, also an den em
pirischen Werten im eigentlichen Sinn, für welche die assimilie
rende Inkorporation von Außenwelt-Bestandteilen durch das
Körper-Ich zwar ein fundamentales Primitivbeispiel ist, zu
gleich aber zeigt, daß solch »ein-schließende« Inkorporation
nur eine sehr geringe Anzahl von Weltinhalten (und auch diese
nur unzureichend) zu assimilieren vermag, und daher - wenn
darüber hinaus noch andere Ich-Erweiterungen gefunden wer
den sollen —statt der »Ein-Schließung« eine produktivere Be
ziehung zur Außenwelt hergestellt werden muß, wie dies ja
auch tatsächlich durch das Prinzip der (eben induktiven) »An-
Schließung« erreicht wird, da das Ich imstande ist, gewisse
Außenwelt-Inhalte und -Konstellationen in seinen Aktionsra
dius zu bringen und vermöge solcher »An-Schließung« an den
Subjektbereich als legitime, wenn auch nur »symbolische« -
denn Anschluß ist eben nicht Einschluß - Ich-Erweiterungen
zu betrachten.
Das Körper-Ich mit seinen Trieben ist zur Herstellung dieser
Symbolbeziehungen in beiden Fällen notwendig, und zwar die
physiologischen Sinne zur Herstellung der empirischen Wahr
heiten, dahingegen die physiologische »Dynamik«, kurzum die
menschliche Handlung stets zur Herstellung der empirischen
Ich-Erweiterung.
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che von ihnen jedoch, so bei den meisten Nahrungsstoffen, ge
nügt die »natur-gefundene« Affinität nicht, und sie müssen
erst, wenn auch in noch so roher Form, umgeformt und präpa
riert werden, damit sie wirklich zu assimilierbaren »Werten«
werden können.
Nicht anders steht es mit den Erweiterungen des psychologi
schen Ich. Mag es die Außenweltbestandteile auch nur symbo
lisch assimilieren, es kann hiefür nicht jeden beliebigen Außen
welt-Bestandteil verwenden, sondern muß Auslesen treffen,
bei welchen es von bestimmten Affinitäten geleitet wird. Und
ebenso sind auch dem psychologischen Ich - gleich dem physio
logischen und sogar noch spärlicher als diesem - nur sehr we
nige Außenwelt-Bestandteile vorfindbar, die es ohne vorherige
Umformung und Präparierung als affine »Werte« zu akzeptie
ren vermöchte.
Wodurch aber ist solche Affinität ausgezeichnet? Gerade die
»symbolische« Erweiterung des psychologischen Ich, d. h. die
Ich-Erweiterung durch »An-Schließung« (statt Ein-Schlie-
ßung) kann hierüber Bescheid geben: damit irgend zwei Be
reiche, die sonst einander »fremd« sind (wie eben etwa die Be
reiche des Ich und der Welt) »aneinander-geschlossen« und -
wenigstens unter gewissen Gesichtspunkten - als ein gemeinsa
mer Bereich betrachtet werden können, ist es erforderlich, daß
sie gewisse gemeinsame Strukturen besitzen; so weit solche
Strukturgleichheit herrscht, so weit kann ein gemeinsamer Be
reich hergestellt werden. Das Ich wird also jene Welt-Konstel
lationen als affin und als »an-schließbare« anerkennen, in de
nen es seine eigene Struktur, seine eigenen Grundqualitäten
wieder-erkennt, oder denen es diese Struktur selber verliehen
hat. (Daß das Ich seine Werte selber »schafft«, um sie sodann
als solche »anzuerkennen«, kann - wenngleich auf anderer lo
gischer Ebene - gleichfalls als Funktion der tautologischen
Grundstruktur des Ich angesehen werden.)
Was aber ist mit jener Struktur des Ich gemeint? Sicherlich
muß sie in erster Linie mit dem des Ich-Kerns in Einklang ste
hen, und über diesen sind auch noch am ehesten präzise Aussa
gen zu machen, aber sicherlich ist darunter nicht die »Form«
des Wertes zu verstehen, also die Tautologie und die Ich-Er
weiterung, wie sie vom psychologischen Ich »symbolisch« wie
derholt und erlebt wird, vielmehr ist jede Form, also auch die
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des Wertes, bereits Funktion einer Grundstruktur, die auf un
auflösbaren Urqualitäten basiert, und auf diese, auf die Ur-
Qualitäten des Bewußtseins und des Denkens schlechthin,
kommt es auch hier an: es sind die Ur-Aussagen des »Ich
denke« und des »Ich bin«, die da wieder zum Vorschein kom
men, jene mit der Qualität unabänderlicher »Logizität«, diese
mit der einer unverlierbaren »Unendlichkeit« (ohne die keine
logische Fortbewegung denkbar ist), und diese beiden Qualitä
ten sind es daher, die das Ich vom Wertphänomen verlangt, auf
daß es sich mit ihm identifizieren und sich an ihm »erweitern«
kann.
Für den ersten Blick scheint, als müßte der Mensch bloß in die
Welt als solche schauen, um in ihr seinen Grundwert zu erfas
sen, denn kein Zweifel kann herrschen, daß die Welt, zumindest
die »Natur« als solche prototypisch »unendlich« und wohl auch
»logisch« ist. Trotzdem ist solch allgemeiner Wert-Pantheismus
dem Menschen im großen und ganzen nicht zugänglich, und
zwar vor allem, weil die Pan-Logizität der Natur eine recht vage
Angelegenheit ist und recht verstiegene und verblasene Ge
dankengänge benötigt, um in die Gefühlssphäre gehoben zu
werden. Viel zu sehr ist die Logizität der Natur eine »Aufgabe«
für den Menschen, als daß sie angesichts der ungelösten,
unendlichen Weltvielfalt sich als »Wert« präsentieren könnte
oder auch nur dürfte. Viel eher ist es dort möglich, wo das
Unendliche seinen Vielfalts-Charakter abtut, also etwa im An
blick der unendlichen Meeresfläche, im unendlichen Blick vom
Bergesgipfel und ähnlichen - durchaus ästhetischen - Grund
sensationen. Indes, selbst diese sind für Primitivregungen der
Seele nicht ohneweiters erreichbar, vielmehr verlangt sie nach
noch einfacheren Symbolen ihrer simplen Unendlichkeit, nach
noch handgreiflicheren Bestätigungen irdischer Unvergäng
lichkeit und Unveränderlichkeit, und wenn sich hiezu tatsäch
lich ein mit den Fländen faßbares Material findet, so wird es
ebenso tatsächlich zum Ur-Wert gemacht: dies ist die beinahe
mystische Rolle, die dem Gold beschieden worden ist; es ist
gleich den Juw elen-die aber zur Hervorhebung ihrer Logizität
bereits Appretierung brauchen - unveränderliches Material an
sich. Gerade aber darum ist auch daran ersichtlich, wie wenig
derartige Werte dem psychologischen Ich von der Natur gebo
ten werden, und daß daher die zur Ich-Erweiterung nötigen,
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absorbierbaren Außenwelt-Bestandteile und -Konstellationen
nahezu immer vom Ich selber geschaffen werden müssen.
Die Ich-Unendlichkeit muß sich im allgemeinen die Welt-
Unendlichkeit selber schaffen, damit sich das Ich an ihr erwei
tern kann.
Wie aber vermag das Ich sich dieser Aufgabe der Wertschaf
fung zu entledigen? welche Wege stehen ihm hiefür offen? aus
welchen Quellen schöpft es diese ihm vorgeschriebene Schaf
fenskraft? Die bisherige Analyse der Ich-Phänomene deutet
an, daß auch dieses Problem in der Spaltung des Ich in ein
Denk-Ich und ein Fiihl-Ich zu begreifen ist.
Das Denk-Ich hat vom Ich-Kcrn die Fähigkeit zum logischen
Denken, also zum logisch-deduktiven Schließen übernommen,
und es hat im psychologischen Ich vermöge der Zusammenar
beit mit dem intuitiven Fühl-Ich noch die Induktiv-Fähigkeit,
d. h. die Kraft zur logischen Behandlung von »Außen-Berei
chen« hinzugewonnen, die ihm eben vom Fühl-Ich zum An-
und Ein-Schluß angeboten werden, auf daß die Intuitiv-Er-
kenntnis sich in echte Denk-Wahrheiten verwandeln mögen.
Die »stummen« Intuitiv-Akte des Fühl-Ich werden »irratio
nal« genannt, die Erkenntnisakte des Denk-Ich in ihrer sprach
lichen Ausdriickbarkeit hingegen »rational«. Allerdings, diese
Kombination von Denk-Ich und Fiihl-Ich, die der Mensch in
sich trägt, verleiht ihm noch eine weitere, nämlich eine
»stumme Rationalität«. Er vermag rational zu handeln, d. h. er
setzt »gefühlsmäßige« Akte in der Außenwelt, welche in Anse
hung ihrer Verursachungen und ihrer Zwecke durchaus »logi
schen« Charakter [tragen].1234
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Autobiographie als Arbeitsprogramm1
Dies ist nur insoweit eine Autobiographie, als damit die Ge
schichte eines Problems erzählt wird, das zufällig mit mir
gleichaltrig ist, so daß ich es - wie übrigens ein jeder aus meiner
Generation, der es zu sehen gewillt gewesen war - stets vor Au
gen gehabt habe: es ist, ohne Umschweife herausgesagt, das
Problem des Absolutheitsverlustes, das Problem des Relativis
mus, für den es keine absolute Wahrheit, keinen absoluten
Wert und sohin auch keine absolute Ethik gibt, kurzum, es ist
das Problem und das Phänomen jenes gigantischen Machiavel
lismus, der geistig sich seit etwa fünfzig Jahren vorbereitet hat
und dessen apokalyptische Folgen wir heute in der Realität er
leben.
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mühungen um eine Denkmethodik, es begann die Reorganisa
tion der Logik, es begann die Psychologie sich reinen Realitäts
beständen zuzuwenden, und wenn auch in Deutschland in
Gestalt einer neu-kantschen, einer neu-hegelschen, einer neu-
friesschen Schule nunmehr eine Gegenbewegung zur Rettung
des gefährdeten klassischen Apriorismus einsetzte, so wurde
innerhalb dieser Schulen, beinahe unbewußt, doch weitgehend
so etwas wie »Wissenschaftspositivismus« betrieben, d. h. es
war alles darauf angelegt, idealistische Ausdeutungen und
Auslegungen für die überraschenden neuen Ergebnisse der
Naturwissenschaften zu finden, und dies hatte - bei aller Unan
fechtbarkeit der philosophischen Grundeinstellung - oftmals
einen geradezu dilettantischen Anstrich, weil eben Ausdeutun
gen und Auslegungen vor der strengeren neuen Methodenlehre
nicht mehr bestehen konnten.
Immer klarer zeigte sich, daß eine Verständigung zwischen
Apriorismus und Empirismus nicht mehr möglich war. Konnte
Mach noch auf Kant als das Musterbeispiel für die Anwendung
kritischer wissenschaftlicher Methoden auf absolutheitsgerich
tete aprioristische Haltungen verweisen, so waren die beiden
Gebiete inzwischen weitgehend unvereinbar geworden: der
Grund hiefür lag zweifelsohne im Verlust jener Letztaxiome,
welche für hundert Jahre als unangreifbare Basis für sämtliche
Denk- und Lebenseinstellungen gegolten hatten; die Axiome
der christlichen Lebensform hatten während des 19. Jahrhun
derts ihre Unbedingtheit eingebüßt, und hiedurch wareinerseits
für den Aprioristen das Absolutheitsmaterial ganz wesentlich
eingeschränkt, während andererseits der Positivist nicht mehr
vor den relativistischen Konsequenzen, die sich letztradikal aus
seiner Haltung ergeben, zurückzuscheuen brauchte. Und dieser
Relativismus machte sich nun auch tatsächlich überall bemerk
bar, erst wohl schüchtern und versteckt, wie z. B. in der damals
aufkommenden Diskussion zwischen »Naturwissenschaften«
und »Geisteswissenschaften«4, sehr bald jedoch mit aller nur
wünschbaren Offenheit: die Wahrheit und damit die Ethik
wurden zur pragmatistischen Funktion des praktischen Lebens
gemacht.
Für einen jungen Menschen waren dies durchaus recht aufre
gende Dinge. Denn bei näherem Zusehen wurde es sehr offen
kundig, daß es sich hier nicht um bloß universitäre Schulstrei
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tigkeiten handelte, sondern daß diese geistige Zerrissenheit ein
erschreckend getreues Spiegelbild des äußern Weltbildes in sich
barg: das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts war bereits von
all der Spannung und Zerrissenheit erfüllt, die 1914 ihren bluti
gen Ausdruck finden sollten; nationale, kommerzielle, staatli
che, soziale Interessen überkreuzten sich allenthalben und
standen allenthalben in gegenseitigem Widerspruch, jedes von
ihnen mit der Forderung nach Alleingeltung seiner Wertset
zungen, und nirgends war eine Handhabe zu finden, um diesen
Wertrelativismus unter eine objektiv ausgleichende höhere In
stanz zu stellen. Und wenn die Jugend - dies war ja gerade ihre
metaphysische und ethische Not - bei der Philosophie Rat ein
holen wollte, so erklärte sich die Philosophie selber in diesen
Fragen als unzuständig.
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Werttheorie (1916-1928)
Nichtsdestoweniger konnte diese praktische Tätigkeit nicht ge
nügen: gerade weil die praktischen Verantwortungen gewach
sen waren und sich nun auch auf die Allgemeinheit erstreckten,
hatte sich das Bedürfnis nach theoretischem Verständnis mit
verdoppelter Stärke gemeldet. Der Krieg hatte sich als ein sinn
loses blutiges Aufeinanderprallen kontradiktorischer Wert
systeme gezeigt, von denen jedes einzelne mit dem Anspruch auf
absolute Alleingeltung aufgetreten war; doch dieser Zustand
der Wertzersplitterung, Wertzerrissenheit und Wertvernichtung
war in Zentraleuropa durch den Frieden keineswegs gemildert,
sondern eher verschärft worden; sozialistische, nationalistische,
konservative Strebungen kämpften chaotisch untereinander
und ließen den Abgrund des Blutgrauens ahnen, in welchem die
Welt noch weiter gleiten sollte: angesichts solchen Wertzerfalls
war es kein Wunder, daß das alte Problem der absoluten Werte
sich aufs neue und mit aller Intensität anmeldete.
Im Laufe der Jahre war mir - im Gegensatz zur enttäuschten
Verblüffung meiner Studentenzeit - manches doch klar gewor
den und hatte einen konstruktiven Aspekt gewonnen. Insbe
sondere hatte ich einsehen gelernt,
1. daß nochmals der Versuch unternommen werden mußte,
mit streng kritischen Methoden, also eben mit denen des kriti
schen Positivismus, sich an die idealistische Position heranzuwa
gen, um solcherart den eigentlich philosophischen, den idealisti
schen Ausgangspunkt alles Philosophierens zu wahren und zu
bewahren, andererseits diesem Philosophieren jene Strenge und
Eindeutigkeit zu geben, deren auch die Philosophie bedarf,
wenn sie, ihrem steten Ehrgeiz gemäß, Wissenschaft sein will;
2. daß ein sehr großer Teil der solcherart umrissenen philoso
phischen Arbeit auf eine Phänomenologie des Wertes wird ge
richtet sein müssen, und zwar nicht nur, weil die Weltlage nach
einer Auseinandersetzung und Neufundierung des Wertbegrif
fes verlangt, sondern noch weit mehr, weil Philosophie ohne
Wertaxiomatik niemals zu betreiben war und daher vor allem
eine solche, wenn auch nur in ihrer funktionalen Bedeutung,
wieder etabliert werden muß, nachdem die materiale Wert
axiomatik verlorengegangen ist;
3. daß die Philosophie demnach ein wissenschaftliches Reali
tätsmodell zu errichten hat und daß dies ein Modell des »Wert
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geschehens« sein wird, denn jede Wissenschaft versucht, ein
Modell des von ihr bearbeiteten Wirklichkeitsausschnittes zu
errichten, d. h. sie sucht einige Wirklichkeitsbestandteile (wo
möglich ein Minimum) durch einige Operationsregeln (wo
möglich ein Minimum) derart zu verknüpfen und in Bewegung
zu bringen, daß die hiebei entstehenden Funktionen als Wirk
lichkeitsabbild angesprochen werden können. Auf dieser Basis
bemühte ich mich nunmehr, die Grundzüge einer »Werttheo
rie« zu entwerfen.
Im Aufbau dieser Theorie ergaben sich drei Phasen:
a) Erkenntnistheoretische Vorbereitung. In erster Linie mußte
gezeigt werden, daß die Scheidung von naturwissenschaftlicher
und geisteswissenschaftlicher Erkenntnis oder zwischen diesen
beiden und sonstweichen noch erfindbaren Erkenntnisarten auf
Scheingründen beruht, weil es eben nur eine einzige Erkenntnis
gibt, deren einheitliche Struktur mit aller wünschenswerten
Eindeutigkeit aufgezeigt werden kann. Um mich diesem
Problem anzunähern, ging ich von der »Logik der Frage«
aus, da eben alle Erkenntnis - unabhängig von der Mate
rie, auf welche sie sich beziehen will - mit einer »Frage« anhebt.
Dieser Ansatz erwies sich als äußerst fruchtbar. Denn das »lo
gische Modell der Fragefunktion« (auch hier geht es um ein
Realitätsmodell) deckt sich genau mit den »Grenzen logisch
möglicher Erfahrung«, d. h. es erlaubt zu zeigen, wie durch rein
logische Operationen eine Erkenntniskategorie aus der andern
hervorgeht, kurzum, wie die bisherigen qualitativen Erkennt
nisunterscheidungen sich in quantitativ-logische verwandeln
lassen und wie bei alldem die Grundstruktur der Erkenntnis
unverändert bleibt, und zwar absolut unverändert (soweit
mathematische Feststellungen als absolut gelten dürfen). M. a.
W. , es ergibt sich die Struktur einer funktionalen Individuation.
Und gleichzeitig zeigt sich - wiederum am Phänomen der
»Frage« ersichtlich - , daß diese einheitliche Struktur der Er
kenntnis als »Wert« betrachtet werden muß, ja daß sich damit
auch die logische Struktur des »Wertes« selber manifestiert.
b) Aufbau des » Wertmodells«. Die klassische Philosophie lieb
te eine zwar nicht ganz willkürliche, dennoch unzutreffende Ein
teilung ihrer Belange, nämlich die Einteilung nach Erkenntnis
theorie (»Wahrheit«), Ethik (»Tugend«) und Ästhetik(»Schön
heit«). Eine allgemeine Werttheorie hat zu zeigen, daß es sich
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hiebei um Facetten eines einzigen Phänomens, nämlich das des
»Wertes« handelt; hiedurch werden nichtssagende Abstraktio
nen wie »Tugend« und »Schönheit« vermieden, vielmehr kann
wesentlich nüchterner bloß festgestellt werden, daß es »Aktio
nen« des Ich (oder des Menschen) gibt und daß diese Aktionen
stets zu »Resultaten« (zu Weltformungen) führen, daß beide -
infolge bestimmter erkenntnistheoretischer Voraussetzungen,
die sich ihrerseits in der Wahrheitsfunktion des Denkens be
gründen lassen - in die Wertkategorie einzureihen sind und daß
daher, obschon die Beibehaltung der klassischen Bezeichnun
gen prinzipiell nicht notwendig ist, die erste unter »ethische«,
die zweite jedoch unter »ästhetische« Bewertung fällt, ohne
daß die beiden katcgorialen Aspekte je voneinander gelöst
werden können. Die Wirklichkeitsbestandteile, aus denen das
Modell gebaut wird, sind demnach in erster Linie das »ideale
Ich« und eine »ideale Außenwelt« (ein Fichtesches Non-Ich);
sie sind ferner in der »idealen Zeitlosigkeit des Ich« und in der
»Zeitbedingtheit der Außenwelt« (zu der auch der sterbliche
Mensch gehört) gegeben. Die Operationsregel, nach welcher
sich diese Wirklichkeitsbestandteile verknüpfen, ist als die der
»Weltformung« zu erkennen; das Ich ist zu ständigem Wert
streben verhalten, es kann überhaupt nicht anders »handeln«,
und hiedurch ergibt sich eine »objektive« Staffelung der Werte,
d. h. es wird sowohl die Handlung wie ihr Resultat um so voll
kommener dem Wertstreben entsprechen, je größer die zeitbe
dingten Außenweltsbereiche sind, welche in die Zeitlosigkeit
des Ich einbezogen werden, während »absoluter Unwert«
überall dort zu konstatieren ist, wo diese Umwandlung bloß
scheinbar (denn versucht wird sie stets) vollzogen wird. Gewiß,
es ist nicht möglich, ein »Wertthermometer« zu konstruieren,
an dessen Skala man ablesen könnte, welche materialen Werte
als »besser«, welche als »schlechter« zu gelten hätten, aber es
läßt sich mit ziemlicher Deutlichkeit zeigen, daß das Wertstre
ben gewisse logisch notwendige Typen von Wertsystemen ent
wickeln muß, von denen die einen »wertgültiger«, die anderen
»wertungültiger« sind, umsomehr als der Nullpunkt der Skala
immerhin einwandfrei als absoluter Unwert zu agnoszieren ist.
In dieser Typologie ist die Unterscheidung zwischen »offenen«
und »geschlossenen« Systemen (als Grenzfällen) sehr wichtig,
da die Wertgültigkeit mit der Offenheit des Systems zunimmt;
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es ist zweifelsohne eine Befriedigung, daß Systeme, welche auf
die Humanität ausgerichtet sind, auch unter das Kriterium der
offenen Systeme fallen und daher den Anspruch auf Absolut
geltung erheben dürfen.
c) Verifikation des Modells. Das Modell ist phänomenologisch
und nicht psychologisch konstruiert. Seine erste Verifikation
hat jedoch im psychologischen Bereich zu erfolgen. Denn ein
Modell ist bloß dann sinnvoll, wenn es ständig an der Realität
verifiziert wird, und der reale Träger des Wertgeschehens ist
der empirische Mensch, ist die menschliche Psyche, in der das
Werterlebnis sich realisiert. Das empirisch psychische Korrelat
zu den Bemühungen des Ich, die »zeitverfallene« Außenwelt in
die eigene »Zeitlosigkeit« einzuverwandeln, ist an den beiden
psychischen Polen, nämlich denen der »Ekstase« und der »Pa
nik«, zu erkennen. Es ist nämlich zu vertreten, oder richtiger,
es bestätigt sich in der psychologischen Erfahrung, daß das
Werterlebnis - seinem Wesen gemäß - aufs engste mit dem
Phänomen der »fluktuierenden Ich-Grenze« verbunden ist,
d. h. daß jeder Wertzuwachs (auch der scheinbare) als Ich-Er-
weiterung, hingegen jeder Wertverlust als Ich-Verengung
empfunden wird; die positive Richtung dieses Wertgeschehens
wirkt aber »ekstasierend«, während die negative »panikisie-
rend« wirkt, so daß damit zwei recht eindeutige Symptome ge
geben sind, denn sowohl »Ekstase« wie »Panik« sind weitge
hend wohldefinierte psychische Zustände. In gewissem Sinne,
zumindest soweit, als Ekstase und Panik die menschlichen Ver
haltungen und Handlungsweisen bestimmen, kann man also
hier von der Verifikation des Wertmodells im Bereiche der
Moralpsychologie, also einer allgemeinen psychologischen
Ethik sprechen. Und daran schließt sich die zweite Verifikation
als Betrachtung jener »Wertobjekte«, deren Erringung oder
Genuß »ekstasierend«, deren Mangel jedoch »panikisierend«
wirkt. Es ist gewissermaßen die Verifikation im Bereich einer
allgemeinen Ästhetik. Im besonderen kann gezeigt werden, daß
die verschiedenen Außenweltformungen größeren oder
kleineren Ausmaßes), welche als »Wertobjekte« anerkannt
werden, eine deutlich einheitliche Grundstruktur besitzen, daß
diese Struktur immer wieder eine Projektion der ursprüngli
chen Wertstruktur ist und daß eben hierin das eigentümlich
Symbolhafte liegt, das den Wertcharakter auszeichnet. Und es
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ist die nämliche Struktur, welche logisch, d. h. eben als logische
Struktur sich in jedweder »Wahrheit«, nicht zuletzt in den
mathematischen Wahrheiten offenbart; damit aber schließt sich
der Kreis, da eben auch die Wahrheit als Wert, ja sogar als
»Wertobjekt« zu gelten hat. Gerade diese dritte Phase (der
Verifikation) darf - so glaube ich - als Erweis für die zentrale
Bedeutung einer derartigen Werttheorie im Felde der Philoso
phie angesehen werden. Denn nicht nur, daß die Verifikation
als geglückt betrachtet werden kann (was weitaus weniger
wichtig ist, weil jede Verifikation sich durch gewisse »Verschö
nerungen« der Tatbestände unterstützen läßt), nein, das Wert
modell verifiziert sich nicht nur, sondern es wirkt darüber hin
aus auch konstitutiv: m. a. W., es steht für mich außer Zweifel,
daß die Einführung des Wertbegriffes, wie er hier gefaßt ist, in
den Bereich der Psychologie eben für diese neue Aspekte er
öffnet; es kann behauptet werden, daß jedwede Wissenschaft,
welche sich mit »menschlichem Verhalten« beschäftigt, sei es
nun Psychologie, Soziologie, Geschichtsphilosophie oder sonst
irgendeine Disziplin in dieser Richtung, sich es in Hinkunft
nicht mehr wird erlauben dürfen, vom Wertbegriff und seinen
Konstituanten keine Notiz zu nehmen oder jene Methodologie
zu ignorieren, die ihr von der Phänomenologie des Wertes ge
liefert wird. Die Werttheorie als philosophische Grunddisziplin
scheint durchaus die Fähigkeit zu besitzen, befruchtend auf die
Empirie wirken zu können, gleichsam als Austausch für die kri
tischen Untersuchungsmethoden, welche sie selber aus der
Empirie bezieht, und damit liegt sie in der Linie aller echten
Philosophie, welche sich niemals auf Welt- und Erkenntnisaus
deutung beschränkt hat, sondern stets bemüht gewesen ist, ein
Wegweiser für den Fortschritt der realen Welterkenntnis zu
sein.
Ich habe während der Dekade 1918-1928 von dieser Wert
theorie die wichtigsten Partien fertiggestellt, habe jedoch hie
von bloß Bruchstücke veröffentlicht; abgesehen von der G e
schichtsphilosophie als »Wertmechanik innerhalb des histori
schen Geschehens«6, welche ich in zusammenhängender Form
in meine Romantrilogie Die Schlafwandler (1. Auflage 1930/
32) eingebaut hatte, habe ich mich auf kurze kritische und pole
mische Artikel zum Thema in Zeitschriften beschränkt. Der
Grund für diese Zurückhaltung lag wohl in der Komplexität des
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Themas und an seiner Ausgedehntheit: sollte das Gesamtge
bäude haltbar sein, so hatten sich seine sämtlichen Teile gegen
seitig zu stützen, und so hatte ich auch die Arbeit von den ver
schiedensten Punkten aus gleichzeitig gestartet, in der
Hoffnung, solcherart zumindest die Hauptpartien ebenfalls alle
gleichzeitig beenden zu können. Heute muß ich bedauern, daß
ich die fertiggestellten Stücke nicht sofort veröffentlicht habe,
denn von den Manuskripten, welche viele tausend Seiten um
faßt hatten, sind infolge der Hitlerschen Haussuchungen, die
während meiner Haft durchgeführt worden sind, doch ziemlich
umfangreiche Stücke verlorengegangen; einiges hievon, insbe
sondere einige wichtige mathematisch-logische Arbeiten,
scheinen mir kaum mehr ersetzbar zu sein.
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Erkenntnistheorie
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Genesis des Wahrheitsproblems innerhalb
des Denkens und seine Lokalisierung im Rahmen
der idealistischen Kritik
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aus - ein ganzes Wahrheitsgebäude von Theorien und Abstrak
tionen um jenes psychische Rohmaterial, die einfache Sinnes
empfindung, bilden. Jede neue und höhere Bewußtseinslage ist
ein neuer Mantel von Theorien und Abstraktionen, der um den
Besitzstand der vorhergehenden gelegt ist; das höhere Bewußt
sein hat alle Wahrheiten der niedrigeren Bewußtseinslagen und
die Funktion seines Denkens - hier erst läßt sich, wenn man
will, von einem psychogenetischen Grundgesetz sprechen -
durchläuft (selbstredend vielfach in Abbreviaturen) die For
men aller niedrigeren Denkakte. Die Apperzeption enthält die
Perzeption, das rein materiale Urteil vergleicht Apperzeptio
nen, die Begriffsbildung schaltet mit Urteilsvergleichen; in der
Kette dieser Abstraktionen (alles was über Apperzeption,
eventuell materiales Urteil hinausgeht, mag abstrakt genannt
werden) entstehen die höheren Urteile, Rekursion von Urtei
len aufeinander, von Wahrheiten aufeinander: Abstraktionen
werden von Abstraktionen abgeleitet und damit die zusam
menfassende Arbeit der Begriffsbildung fortgeführt - es ent
stehen jene großen Systeme, die mit dem Namen »Wissen
schaften« bezeichnet werden und die - immer auf eine
Außenwelt gerichtet und im Daseinskämpfe mit ihr entstanden
- die letzten zusammenfassenden Abstraktionen des empiri
schen Rohmaterials, jener unendlichen Vielfältigkeit der Sin
neseindrücke, darstellen. Wissenschaft erweist sich so als eine
Art Fortsetzung des kommunen Denkens, getrieben durch des
sen Lokomotionen wie Kausalitätsbedürfnis, Gedächtnis trieb
usf., [durch] die Gesamtheit aller dieser Denkakte samt allen
ihren Produkten und Resultaten, von der Perzeption bis zur
Wissenschaft; Kampfmittel im Daseinsringen und ihr letzter
kämpf dienlicher, kampfangepaßter Zweck [ist] - die Erkenntnis
von Wahrheiten.
Es hätte nun allerdings nicht dieses immerhin indirekten und
jedenfalls einseitigen Weges bedurft, um die alles überragende
Würde der Wahrheitserkenntnis zu deduzieren, die intuitiv wohl
von jedem Denkenden erkannt wird und der alle großen Philo
sophien als Beispiel und Erweis zur Seite stehen können. Die
historisch-biologische Betrachtung entwickelt aber, wie gesagt,
nicht nur den Inhalt, sondern auch die Form der Denkfunktion,
und hier läßt sie als wesentlichstes Merkmal die kritische Rich
tungskonstante des Denkens erkennen.
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In Paranthese sei betont, daß alle diese Überlegungen durch
aus der deskriptiven Psychologie angehören. Deskriptive Psy
chologie jedoch - und daran ändert ihre historisch-biologische
als sonst irgendeine Betrachtungsweise nichts - ist lediglich
Phänomenologie, und die Überzeugungskraft derartiger de
skriptiver Argumente, die vornehmlich in der Fülle und Grup
pierung von Symptomen bestehen, kann nie zwingend, sondern
im besten Falle nur blendend wirken. Der (rein philosophische)
Unwert solcher Betrachtungsweisen wurde bereits eingangs er
wähnt und ist sicher zum großen Teile auf diesen Mangel an
»Zwangsläufigkeit« zurückzuführen. Die phänomenologischen
Wissenschaften aus solchem Grunde als nicht vollwertig vor
den Normwissenschaften anzusehen, wäre natürlich unberech
tigt, umsomehr als die angedeutete Gruppierungskunst sie über
eine gänzlich unwissenschaftliche Symptomensammlung (wie
es beispielsweise die alte Geschichtsschreibung war) hinaus
hebt, und es schließlich nicht zu vergessen ist, daß sie die tiefste
Anregung und notwendige fortlaufende Illustration zu den
Normwissenschaften bilden.
So wenig sich also die Inhalte des Denkens oder dessen agentia
durch die Deskription ableiten lassen, so wenig ist dies mit der
Form des Denkens oder deren hervorgehobenes Charakteristi
kum, der kritischen (auch skeptischen) Richtungskonstante
möglich; sowohl die einen als die anderen lassen sich bloß phä
nomenologisch aufweisen. Skepsis des Denkens konnte man -
ohne es oben beweisen zu können - als die Tendenz zur Siche
rung des Urteils durch Erstrebung höchstmöglicher Klarheit
über die Denkinhalte definieren: jeder Versuch zu solchem
Beweise, sei es durch Einführung eines besonderen (quasi
invertierten) Kausalitätsbedürfnisses, sei es der noch ratio
nalistischere Versuch, in der (plötzlichen!) Entdeckung von
Sinnestäuschungen den primären Anstoß zur Selbstkritik zu se
hen, ist als absolut kindischer circulus vitiosus abzuweisen. Die
im übrigen tatsächlich enge Verknüpfung von Skepsis und
Kausalitätsbedürfnis wird damit natürlich nicht geleugnet: es
wurde nur betont, daß mit der Phänomenologie der seelischen
Bewegungen, ja selbst ihrer Verknüpfung, Verwandtschaft,
keinerlei Problemlösungsmöglichkeit gegeben [ist), ja, in dieser
Form nicht einmal die Möglichkeit einer fruchtbaren Gruppie
rung!
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Seelische Tendenzen sind, soweit man sie in einer aufs Mate
riale gerichteten Sprache und lediglich vergleichend überhaupt
definieren kann, durchaus Bewegungserscheinungen und als
solche doppelt schwer faßbar. Die Trennung von Inhalt und
Form des Denkens ist, wie bereits bemerkt, eine ziemlich grobe
Hilfe, brachte jedoch den Vorteil, in den materialen »Inhalten«
operable Anhaltspunkte zu ergeben. Eine gleiche Methode
muß bezüglich der Denkform befolgt werden, auch hier soll die
Denkbewegung durch einen Zielpunkt datiert und fixiert wer
den. Für das skeptische Kausalitätsbedürfnis, dessen Gesamt
tätigkeitsform als die kritische Richtungskonstante des Denkens
angesprochen wurde, dürfte dieser Zielpunkt, soweit sich das
Denken auf die eingangs erörterten Inhalte bezieht, in den
Axiomen zu sehen sein.
Die Stellung des Axioms zum kritischen Kausalitätsbedürfnis
dürfte am besten in der Funktion der verschiedenen mathe
matischen, logischen etc.) bekannten Beweisführungen cha
rakterisiert sein: mit der Rückführungsmöglichkeit einer Theo
rie, eines Satzes auf ein Axiom, erklärt sich das kritische
Bedürfnis befriedigt und damit der Beweis geschlossen. Das
Axiom ist ein Beruhigungsphänomen, eine Definition, die im
übrigen den obbemerkten Mangel aller deskriptiven Psycholo
gie nicht übersehen läßt, während sich allerdings andererseits
auch der Vorteil der symptom-gruppierenden Betrachtungs
weise bemerkbar macht: der Parallelismus der Denkrichtun
gen, und zwar zu den beiden Zielpunkten der »Inhalte« und der
»Axiome«, führt die wahrhafte Verquickung dieser beiden vor
Augen, ein Resultat, das mit dem Phänomen der unausgesetz
ten Tendenz, die Bewußtseinsinhalte durch Axiome beweisend
zu erhärten, zusammenfällt. Man kann unter Voraussetzung
der eingangs schematisierten stufenweise fortschreitenden Ab
straktion der Denkinhalte solcherart sagen, daß die der jeweili
gen Bewußtseinsstufe entsprechenden Axiome das Abstrak
tionsziel für deren inhaltliche Denktätigkeit bilden.
Es ist klar, daß die landläufige Definition der Axiome als jene
unbedingt einleuchtenden Sätze, »die eines Beweises weder
bedürftig noch fähig sind«, durch diese psychologische Ablei
tung einen relativistischen Charakter bekommt, und daß damit
auch eine Annäherung an den Posterioritätsstandpunkt im al
ten A-priori-Streit der Axiome gegeben wäre. Keinesfalls aber
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können die Axiome mit der (vorläufigen) Fiktion der »Wahr
heiten an sich« identifiziert werden, wenn sie auch vielfach
Hinweise auf sie enthalten. In der hier gegebenen entwick
lungsgeschichtlichen Beleuchtung nähern sie sich viel eher der
Poincareschen1 Auffassung, die in den Axiomen lediglich prak
tische Konventionen sieht, Konventionen, die sich, dem hier
aufgestellten Schema entsprechend, mit jeder Bewußtseinslage
unter Überwindung und Abstreifung von Unklarheiten (die la
tent in jeder menschlichen Denkform enthalten sind) ändern.
Der Punkt, bei welchem das kritische Kausalitätsbedürfnis zur
Beruhigung gelangt, man möge ihn den Axiomspunkt nennen,
verschiebt sich demgemäß mit jeder Bewußtseinsstufe und folgt
solcherart als eine Art Gradmesser der kritischen Richtungs
konstante des Denkens. Als Wesentlichstes mag hiebei fest
gehalten werden, daß er mit je höherer Entwicklung des
Bewußtseins, der fortschreitenden Abstraktion der Inhalte
entsprechend, immer weiter vom materialen Objekt ab
rückt.
Beim absolut kritiklosen, vegetativen Denken, dem absolut
unbewußten Perzipieren, kann von Axiomen wohl nicht ge
sprochen werden, hingegen ist anzunehmen, daß für den Zu
stand einfachster Apperzeption, also bei gewissen Tiergattun
gen oder bei Säuglingen, das Axiom der unbedingten Identität
von Sinneseindruck und wahrgenommenem Objekt zur An
wendung gelangt, umsomehr als damit überhaupt der ganze
Bewußtseinsinhalt jenes Stadiums erschöpft zu sein scheint.
Eine kleine Unrichtigkeit mag allerdings in dieser Überlegung
hervorgehoben sein: das Axiom ist eine bewußt vollzogene Ab
straktion und in dem formulierten Entwicklungsstadium wird
die Rekursion auf das Axiom gewiß nicht bewußt vorgenom
men. Man könnte also mit einiger Berechtigung theoretisieren,
daß das ausgesprochene primäre Axiom bereits einer der näch
sten Denkstufen angehört und verallgemeinern, daß das Axiom
die bewußte Fassung der in der vorhergehenden Denkstufe be
reits unbewußt vollzogenen Abstraktionen darstellt. Dies jedoch
nur nebenbei. - Es dürfte hier der Einwand zu erwarten sein,
daß das genannte Primäraxiom überhaupt kein Axiom sei, son
dern eine Aussage, bestenfalls ein Prinzip, umsomehr als sie
auch jetzt noch für den Materialisten, zumindest in gewissen
Grenzen, zu Recht besteht, ohne deswegen den Anspruch auf
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Axiomität zu erheben. Dem sei entgegnet, daß es sich in dem
Satze nicht um die inhaltliche Aussage über das Wesen der Ma
terialität, sondern um eine abstrahierende Aussage über die
Form des perzeptiven Denkens handelt, eine Unterscheidung,
auf die nicht scharf genug hingewiesen werden kann. Es wurde
bereits vorhin betont, daß sich dieses primitive Denken mit die
ser seiner Form auch schon erschöpft; bei dem völligen Mangel
an Begriffsbildung hätten (die Untersuchung bewegt sich wie
gesagt vorläufig auf relativistischem Boden) die höheren
Axiome, wie das der Identität z. B., absolut keinen Sinn. In den
mittleren Entwicklungsstufen des Bewußtseins ist die Kon
struktion derartiger Axiomsbeispiele naturgemäß ungleich
komplizierter und schwieriger als für den einfachen krassen
Grenzfall. Im allgemeinen dürfte sich von ihnen aussagen las
sen, daß sie großenteils - den undeutlichen Denkinhalten dieser
Stufen entsprechend - in der Gefühlssphäre zu formulieren wä
ren. Eines kann jedenfalls festgestellt werden, nämlich, daß es
außer jenem Primäraxiom keines mehr gibt, welches wie dieses
unmittelbar das materiale Objekt enthält. Je höher der Intel
lekt, desto später wird er jenen Beruhigungszustand finden, der
mit der Setzung des Axioms gegeben ist, desto mehr Abstrak
tionen werden um das psychische Rohmaterial, die Sinnesemp
findung, gelegt werden müssen, um jenes Abstraktionsziel zu
erreichen.
Dem Inhalt nach betrachtet ging das Denken von der Vielfäl
tigkeit der Sinneseindrücke aus, gelangte durch Vergleichung
dieser primären Wahrheiten usf. zu den ersten Urteilen, die ih
rerseits neuerlich verknüpft wurden, um schließlich durch der
artige fortgesetzte Abstraktion von Abstraktion im gleichsam
pyramidenförmigen Aufbau zu jenen großen Wahrheitssyste
men zu gelangen, die Wissenschaften genannt werden. —Ur
sprüngliche Verwandtschaft innerhalb einer Gruppe primärer
Sinneseindrücke erleichtert die Verknüpfung bereits in den er
sten Urteilen, so daß sich inhaltlich die späteren Systeme bereits
in den ersten Bewußtseinsstufen roh zu sondern beginnen, um
schließlich in der stofflichen Einheitlichkeit der Wissenschaften
ihren prägnanten Ausdruck zu finden.
Der Form nach konnte konstatiert werden, daß die kritische
Richtungskonstante der Denkentwicklung durch alle Bewußt
seinsstufen folgt, ihr in den Axiomen ihre Abstraktionsziele
212
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weisend. Diese skeptische Grundtendenz alles Denkens ist al
lem Perzeptiven und Gefühlsmäßigem entgegengesetzt; sie
verlangt die Wahrheit in der unbedingt klaren Form des be
weisbaren Urteiles. Für die Denkstufe der Wissenschaftlichkeit
bedeutet dies die Forderung nach der Fähigkeit, die Abstrak
tionsziele zu erkennen und die einzelnen Urteile der Wissen
schaftssysteme auf diese ihre Axiome oder Grundannahmen
lückenlos und in gesicherter Form zurückführen zu können.
(Die Ansicht Poincares von der Identität von Axiom und Kon
vention erhärtend, zeigt sich der Ersatz des Axioms durch eine
Grundannahme oft als zweckentsprechend und notwendig, eine
Vertauschung, die, insolange sie bewußt angewendet wird, ein
lediglich mechanisches Hilfsmittel bleibt, das dem definierten
Prinzip echter Wissenschaftlichkeit nicht widerspricht.) Erst
die Vollziehbarkeit der Kritik in Ansehung dieser Forderung
gibt die Erlaubnis, ein Urteil »wissenschaftlich« zu nennen, und
erst diese Rückführungsmöglichkeit eines ganzen Urteilssy
stems auf jene wenigen Grundannahmen gibt den Wissenschaf
ten jene »innere« Einheitlichkeit, die sich von der stofflichen
immerhin unterscheidet. (Will man den allerdings sehr vagen
Pyramidenvergleich weiter verfolgen, so müßte man zur Loka
lisierung einer Wissenschaft das Durchdringungsgebiet zweier
Pyramiden wählen.)
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wird zum Beruhigungspunkt aller Denkbewegung gestempelt:
sie ist absolut, allumfassend, all erklärend, sie wird zum Ur
grund der Welt.
Wenn auch dieser letzte Sprung zum Urgrund alles Seins fast
den Charakter eines Gewaltaktes hat, so ist seine jedenfalls in
nere Notwendigkeit doch nicht ganz unverständlich. Alle Wis
senschaftlichkeit ist, wie festgestellt wurde, auf »reale« Inhalte
(allerdings im weitesten Sinne) gerichtet, und ihre erklärende
und befriedigende Tätigkeit erschöpft sich in der Aufdeckung
kausaler Realzusammenhänge (wobei die Form ihrer Urteile
selbstredend - in Ansehung der kritischen Richtungskonstante
- der größtmöglichsten Gesichertheit zustrebt). Die der Wis
senschaft eigentümliche Frage nach Kausalität muß also bei ei
nem schließlichen und vielleicht einzigen letzten Warum?, beim
Welträtsel, endigen: die Wissenschaft wird, wenn sie, den Fra
gen nach Inhaltskausalitäten folgend, über die Inhalte selbst
hinausstrebt, zur Metaphysik.
Die großen begrifflichen Schwierigkeiten, die der Loslösung
der wissenschaftlichen kritischen Form von den wissenschaftli
chen Inhalten entgegenstehen, haben die Wissenschaften mit
ihren Inhaltsangaben nahezu völlig identifiziert und so der Ver
wechslung und Vermengung Vorschub geleistet, die vielfach
zwischen Metaphysik und reiner Philosophie vorherrschen.
Gerade die direkte Erwachsung aus den Wissenschaftsinhalten
kam dieserart der Metaphysik zugute, die so zum Rufe der ei
gentlich wissenschaftlichen Philosophie kam.
Daß sich solche Verwechslung bis zur Borniertheit steigern
kann, zeigt das erschreckende Beispiel der Welträtselecke in
der philosophischen Unterhaltungsbeilage zur deutschen Na
turwissenschaft. Aber von solch krassem Elend abgesehen, was
ist es mit einer Philosophie, die sich den »Willen« zum Zentrum
gesetzt hat?! Ist er von »Energie« und »Substanz« gar so weit
entfernt?
Es zeugt von der unendlich zähen Kraft der materiellen Pri
märkomponente alles Denkens und der ihr unlösbar verbunde
nen inhaltlichen Erklärungssucht des Menschen, daß ein Kopf
wie Schopenhauer2 zwar erkennt, was den Inhalt der Wissen
schaften überhaupt betrifft, [nicht jedoch] daß dieser immer das
Verhältnis der Erscheinungen der Welt zueinander [spiegelt],
gemäß dem Satz vom Grunde und am Leitfaden des durch ihn
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allein geltenden und bedeutenden Warum. Die Nachweisung
jenes Verhältnisses heißt Erklärung, die »sich von diesem tie
fen Triebe nicht befreien kann«, und [die] in der Definition der
Philosophie in folgender (vielleicht jesuitischer) Drehbewe
gung endigt: die Philosophie »sucht keineswegs woher oder
wozu die Welt dasei«; sondern (und damit erscheint der Pferde
fuß) » was die Welt« sei. Als ob das Was nicht gerade so in den
Inhalten drin steckte, im Satze vom Grunde nicht ebenso ver
strickt sei, als alles Woher und Wozu! Damit fügt es sich, daß
Sch[openhauer] an der Philosophie jene Eigenschaften sieht,
die im Laufe dieser Untersuchung als die Charakteristika der
Inhaltsmetaphysik entwickelt wurden; sie wird zur Fortsetzung
der Wissenschaft: »Denn, wie gesagt, eben jenes, was die Wis
senschaften voraussetzen und ihren Erklärungen zum Grunde
legen und zur Grenze setzen, ist gerade das eigentliche Problem
der Philosophie, die folglich insofern da anfängt, wo die Wis
senschaften aufhören. Beweise können nicht ihr Fundament
sein: denn diese leiten aus bekannten Sätzen unbekannte ab:
aber ihr ist alles gleich unbekannt und fremd.« Schließlich:
»Die Philosophie wird demnach eine Summe sehr allgemeiner
Urteile sein, deren Erkenntnisgrund unmittelbar die Welt
selbst in ihrer Gesamtheit ist, ohne irgend etwas auszuschlie
ßen: also alles, was im menschlichen Bewußtsein sich vorfindet:
sie wird sein eine vollständige Wiederholung, gleichsam Abspie
gelung der Welt in abstrakten Begriffen, welche allein möglich
ist durch Vereinigung des wesentlich Identischen in einen Be
griff und Aussonderung des Verschiedenen zu einem andern.«
Es ist, wie man sieht, das Schema des Pyramidenbaues, das in
Schopenhauers Definition entsteht: der Ausgang von der Viel
fältigkeit der Objekte, der Sinnenwelt - die wissenschaftliche
abstrahierende Zusammenziehung zu Einheitlichkeiten - das
Zielen zur letzten Einheit, denn der Welt Vielfältigkeiten ent
halten eine »Harmonie zu einander, vermöge welcher sie sogar
zur Einheit eines Gedankens zusammenfließen«. Ein Gedanke,
der den Gipfel dieses genialsten und gefügtesten metaphysi
schen Pyramidenbaues bildet: die Universalität des Willens.
Es ist hier nicht der Ort, das Antiphilosophische in Schopen
hauers Werk, jenem transzendental-metaphysischen Gewalt
bau, weiter darzulegen; worauf es hier ankommt, ist zu zeigen,
daß - selbst am grünsten Holze - eine Philosophie, die an In
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halte anknüpft, über die Inhalte nicht hinaus kann, es sei denn
als transzendentale Metaphysik, ein Verfahren, das Kant mit
dem Namen »Schwärmerei« belegt hätte und das, mit andern
Worten, nie zur Auffindung von Wahrheiten, sondern bloß zur
Aufstellung mehr oder minder interessanter Hypothesen füh
ren kann.
Schon im Laufe der vorliegenden Untersuchung konnte fest
gestellt werden, daß selbst jene Sätze, welche in bezug auf die
Inhalte die oberste Bewußtseinsgrenze bilden, die größte be
weisende Klarheit für deren Wahrheit enthalten, kurz, daß die
Axiome innerhalb der den Inhalten entsprechenden Bewußt
seinsstufen liegen, ja, daß sie in unbewußter Form vielleicht so
gar einer niedrigeren angehören. Also selbst diese - wenn man
so sagen will »höchststehenden« - Wahrheiten sind nicht im
Stande, das Denken, und sei es noch so abstrakt, über die Form
der inhaltlichen Aussage, kurz den Axiomspunkt, zu bringen:
die Entfernung vom Aussageobjekt kann wohl (durch das Ein
schieben immer neuer Abstraktionsstufen) ins Ungeheure
wachsen, es kann aus solcher Entfernung gesehen den Eindruck
der Einheitlichkeit erwecken, aber es bleibt, was es ist - das
materielle Objekt.
Alle aus der inhaltlichen Betätigung hervorgegangenen Philo
sophien (und die Schopenhauersche [Philosophie] ist das deut
lichste Exempel) kranken daran, daß sie sich entweder vom
materiellen Objekt nicht loslösen können, daß sie also letzten
Endes auf Weltbetrachtung, Welterklärung gerichtet sind, oder
daß sie, wenn sie darüber hinauswollen, eines ihrer eigenen in
haltlichen Anschauungen resp. Prinzipien (sie in zunehmender
Abstraktion: [von] eleatischer Wassertheorie bis zum Schopen-
hauerschen Willen) axiomatisch zum Ur- und Weltprinzip er
heben müssen, um dieserart völlig im Transzendenten zu lan
den. Daß eine solche Unterschiebung, solche Inzucht von
Urteilen überhaupt vonstatten geht, ja unter Umständen sogar
fruchtbar wirken kann, mag, abgesehen von der eben angedeu
teten perspektivischen Einheitlichkeit der Welt, nicht so ver
wunderlich scheinen. Denn über allem steht eine - im Lichte
des Materialismus mystische - Einheitlichkeit allen Denkens
und allen Seins und eine Möglichkeit,jede Wahrheit aufs Ganze
zu projizieren, da jeder Teil (und damit wird Spinozistischer
Boden gestreift) alle Attribute in sich birgt. Im übrigen wurde
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bereits konstatiert, daß es nicht antiwissenschaftlich ist, ein Ur
teilsgebäude auf Konventionen, also auch auf metaphysische
Hypothesen zu begründen. Prekär wird die Sache erst, wenn sie
sich ihres konventionellen Charakters nicht mehr bewußt bleibt
und ihre Provisorien (und ein solches ist jedes axiomatische Be
scheiden) als Wahrheiten und sogenannte philosophische
Grunderkenntnisse geriert: dann wird sie zur Antiwissenschaft,
Antiphilosophie kat’exochen, zur Dogmatik. Sie ist Mystik, aber
im schlechten Sinne, nämlich rationalisierte Mystik.
Daß in der Philosophie hier etwas nicht in Ordnung sei, daß
es antiwissenschaftlich zugehe, ist manchem aufgegangen. Aber
es scheint, daß diese Denker selbst zum großen Teile unter dem
Banne der Verwechslung von Metaphysik und Philosophie ge
standen sind: sie wollten die Philosophie verwissenschaftlichen,
ja sogar direkt Antimetaphysik treiben und - projizierten wis
senschaftliche Methoden in eine Metaphysik.
In dieser Orientierung können z. B. in mancher Beziehung
Descartes, Spinoza, Leibniz, vorzüglich aber Mach und Avena-
rius3 aufgefaßt werden.
Machs Abneigung gegen die Philosophie ist für diese ganze
Gedankenrichtung charakteristisch. Er will nicht Philosophie,
sondern Wissenschaft geben. Da er die Philosophie augen
scheinlich bloß in der Gestalt dogmatischer Metaphysik sieht,
erscheint sie ihm durchaus dogmatisch, zu hypothesenhaft.
Wissenschaftlichkeit hingegen hat »hypothesenfrei« zu sein;
alles andere ist »müßig«.
Es dürfte weiter nicht unehrerbietig sein, diese berechtigte
Forderung als Definition der Wissenschaftlichkeit nicht auf das
Konto des großen Physikers zu setzen, sondern auf die des
Kantschen Einflusses, unter dem er (wie er schreibt)4 während
seiner Jugend - allerdings wohl nur rein verstandesmäßig -
stand. Denn seine innerste Natur scheint (wie die Schopenhau
ers) dem Kantschen Idealismus vollkommen konträr und daher
innerlich verständnislos gegenüberzustehen. - Die Funktion
des Hypothesierens ist, wie hier gezeigt wurde, eng mit der Set
zung einer legendären Außenwelt verknüpft: die Hypothese ist
ein beruhigendes Provisorium in den Erklärungsversuchen vor
den Erscheinungen, sie ist ein Narkotikum für den tief
menschlichen Drang nach Erkenntnis des Wahrheits Inhaltes.
Wer also die Hypothese derart verabscheut (und dieser Ab
217
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scheu liegt durchaus in der Richtung der kritischen Richtungs
konstante, ist also durchaus wissenschaftlich), muß vor allem
deren metaphysische Bedingtheit vermeiden und die sinnliche
Erscheinungswelt, sei sie nun physikalisch oder psychisch, als
Denkziel aufgeben. Von solchem ist aber Mach weit entfernt.
Die »erkenntnistheoretische Wendung«5, die er zu vollführen
meint, muß ihn immer wieder zur Aufstellung von Hypothesen
führen, denn sein Blick ist immer auf die Erscheinungswelt (sei
es nun außen oder im Gehirn) gerichtet, wenn er sie auch, so
wohl außen als innen, als unerkennbar, undiskutabel auffaßt
und die Empfindungen als das allein Empirische gelten läßt.
Die Empfindungen bleiben deswegen doch für ihn, wie er selbst
sagt, eine »Kette«6 zwischen zwei immerhin vorhandenen En
den, und ob ich ein Ding* anschaue oder sein Spiegelbild, ist
für die Orientierung meiner Gedanken im Grunde egal. Statt
einer Metaphysik der Welt, gibt er eine Metaphysik deren Spie
gelbildes, eine Metaphysik der Empfindungen. Eine geringe
Entfernung vom gröbsten Materialismus ist damit wohl er
reicht; allerdings eine sehr geringe: man könnte sagen, die
Richtungskonstante dieses kritischen Denkens sei beim Sta
dium der Sinnestäuschungen stehengeblieben und das Ganze
sei eine Art Verlegenheitsmetaphysik. Im übrigen wird ganz im
Sinne der kommunen Metaphysik eines der inneren Prinzipien
des Inhaltes herausgehoben - hier der Denkökonomie, besser
eigentlich Erkenntnisökonomie zu nennen - und zur grundle
genden Richtschnur der ganzen Weltbetrachtung gemacht.
Sympathisch berührt allerdings bei alldem die Vermeidung des
Terminus »Wahrheit«, und darin dürfte der tiefste philosophi
sche Wert der Machschen Anschauungsweise zu sehen sein.
Die tief-menschliche Tragik der Wahrheitserkenntnis, die fau
stische Verzweiflung an der Wissenschaftserkenntnis, ist meta
physisch. Nur ein absolut rigoroser materialistischer Denker,
also Metaphysiker, konnte ein Wort wie den Ignorabimus prä
gen. Der Bankerott aller erkenntnissuchenden Metaphysik, der
in diesem Worte eingeschlossen ist, folgt zwingend aus der Un
fähigkeit der inhaltlichen Urteile - und seien sie noch so abstrakt
gefaßt - sich aus der Erdgebundenheit ihrer Objekte zu be
freien, ihrer ewigen subjektlosen Kreisbewegung zu entrinnen.
* Die Stellung dem »Ding an sich« gegenüber besagt hier alles. Darüber später.
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Der Ignorabimus, aus der Impotenz der inhaltlichen metaphy
sischen Wahrheit geboren, wurde durch die Verwechslung von
Metaphysik und Philosophie in den Augen des Materialismus
aber zum Bankerotte der Philosophie überhaupt und damit
auch ihres Zieles, des Wahrheitsproblems im weitesten Sinne.
- Konnte sich die Schopenhauersche Metaphysik (abgesehen
von ihrer genial-gefügten Architektonik und blendenden Dik
tion) bloß durch die unerhört geschickte Anwendung der Kant-
schen Apparatur aufrechterhalten, die Machsche bloß durch
eine sorgfältige Kaschierung hinter wissenschaftlichen Allüren,
so mußte dieser fragwürdige Zustand in, allerdings materialisti
schen!, Köpfen hoher Ehrlichkeit zur Katarrhexis führen. Ih
nen wurde der metaphysische Ignorabimus zu jener letzten,
nicht mehr zu verschweigenden Wahrheit, deren konsequente
Verfolgung in einer Weltanschauung zum Ausdruck kommt,
die man füglich als metaphysische Skepsis bezeichnen kann und
die - weit über die Rationalisten des 18. Jahrhunderts und ihrer
Vorgänger oder über die kargen Skeptiker ä la Du Bois-Rey-
mond hinaus - in Nietzsche ihren umfassendsten und brillante
sten Vertreter fand. An ihm mag aber gezeigt werden, daß auch
diese metaphysische Skepsis, so ablehnend sie auch gegen die
inhaltlichen Wahrheiten der Systemmetaphysik auftritt, sich
über sie zu erheben doch nicht fähig ist und daß die kritische Rich
tungskonstante, von scheinbaren Parallelismen abgesehen, zu
völlig anderen Zielen weist.
Die expeditive Art, mit der hier Weltanschauungen wie die ei
nes Schopenhauers, eines Machs, eines Nietzsche abgetan wer
den, mag als Anmaßung erscheinen. Man bedenke aber, daß
auch der Schwächling große Gewichte leicht bewegt, wenn sie
sich - halbwegs - die Waage halten: er kann sie aneinander
messen - heben wohl nicht. Die Profundität und Vielseitigkeit
des Nietzscheschen Lebenswerkes in ein paar Sätzen ausschöp
fen zu wollen, wäre kindische Frechheit; Nietzsches Stellung
hingegen zur hellen Tiefe eines einzigen Kantschen Problems
erlaubt in ihrer spezifischen Reaktion einen Rückschluß auf
sein Gesamtdenken zu ziehen und seine oben versuchte Einrei
hung als Metaphysiker skeptischer Observanz berechtigt er
scheinen zu lassen.
Daß das metaphysische Denken in seiner welterklärenden
Gesichertheit der total inversen Richtung des ideal-kritischen
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Denkens völlig verständnislos gegenüberstehen muß, ist klar.
Nichtsdestoweniger kann es vor den idealistischen Problemen,
soferne ihm auch [an] deren Erstellung liegt, nicht Halt machen.
Denn das metaphysische Streben geht nach Erklärbarkeit alles
empirisch Gegebenen, und jene Probleme sind ihm jetzt ebenso
empirisch gegeben wie die Welt überhaupt, sei sie nun bloß
substantiell oder weiter gefaßt. (Die historisch-biologische Be
trachtungsweise wird als Spezialfall solcher Metaphysik kennt
lich!) Das idealistische Problem wird demgemäß in die inhaltli
che Wahrheitserkenntnis eingereiht und sein Objekt wird zum
materialen Bestandteil der Welt. Die metaphysische Erklärung
wird an ihm (je nach dem Grade der skeptischen Schattierung
der betreffenden metaphysischen Wahrheitsauffassung) so
dann entweder vollzogen oder deren Vollziehbarkeit negiert.
Fast jeder der von Kant geprägten Begriffe (es sei nur an das
grauenhafte Schicksal des kategorischen Imperativs gemahnt),
fand auf dem Wege der materialistischen Verballhornung eine,
vom Meister wohl nicht gesuchte Popularität. Daß der in den
Kritiken zur Anwendung gebrachte große und subtile Apparat
von Unterscheidungen, Bezeichnungen usf. ein Apparat ist, der
zur Demonstration der Denkform aufgestellt ist, der aber nicht
funktioniert, sowie seine Teile herausgenommen werden, um,
nach bewährtem Muster, zur Ausfüllung von Unbekannten zu
dienen, schert den Metaphysiker naturgemäß blutwenig. Ihm
ist es eben nicht um das Denken zu tun, sondern um ein zu ma
terialisierendes Objekt.
Kein Begriff bot sich - schon dem Terminus nach - solchem
Beginnen entgegenkommender dar als das »Ding an sich«. Für
Kant etwas vollständig Außenstehendes, »Unwirkendes«, ein
Zielpunkt des Gedankens, ein mathematischer Limes (0,3333
nähert sich unendlich 1,3, ohne es je zu erreichen), gleich einem
Gegenpol, dem mathematischen Ausgangspunkt des Gedan
kens, dem Ich an sich: zwei Spiegel, die einander ihr Bild bis
zur unendlich fernen Reproduktion zuwerfen. Es ist das Nou-
menon kat’exochen: »Der Begriff eines Noumenon ist also
nicht der Begriff von einem Objekt, sondern die unvermeidlich
mit der Einschränkung unserer Sinnlichkeit zusammenhän
gende Aufgabe, ob es nicht von jener ihrer Anschauung ganz
entbundene Gegenstände geben möge. [...] Am Ende aber ist
doch die Möglichkeit solcher Noumenorum gar nicht einzuse
220
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hen, und der Umfang außer der Sphäre der Erscheinungen ist
(für uns) leer, d. i. wir haben einen Verstand, der sich proble
matisch weiter erstreckt als jene, aber keine Anschauung, wo
durch uns außer dem Felde der Sinnlichkeit Gegenstände gege
ben und der Verstand über dieselbe assertorisch gebraucht
werden können.«7 Der Begriff eines Noumenon ist also ein
bloßer Grenzbegriff. Diese Grenzbegriffe, leere Zielpunkte des
Gedankens, unter die man so gut wie das Ding an sich, ein Ge
schehen an sich, eine Bewegung an sich etc. subsumieren
könnte, läßt naturgemäß die Möglichkeit aller Auslegungen zu,
ein Umstand, der den verschiedenen metaphysischen Spezial
interpreten sehr zustatten kommt. Besonders aber die realisie
rende Tendenz glaubt auf Kants Autorität pochen zu dürfen,
der allerdings - aber in bewußter Bedingtheit des metaphysi
schen Verstandesbedürfnisses und des Konventionalismus aller
Metaphysik - in metaphysischer Hinsicht für das Ding an sich
die Möglichkeit einer wirkenden Position hinter den Erschei
nungen anzunehmen, als nicht unfruchtbar ansieht. Im übrigen
streift er auch die Möglichkeit voluntaristischer und dei'stischer
Auslegung.8
Die Herbartscheg Metaphysik war mit ihren »Realien« ganz
danach angetan, das Mißverständnis über diese Kantschen Be
griffe noch weiter vorzubereiten; keiner aber besorgte ihre
schließliche Destruktion so gründlich als der »Kantianer«
Schopenhauer.
Am »metaphysischen Problem des Ding an sich« veranschau
licht sich die ganze Entwicklungsgenesis der metaphysischen
Philosophie und ihres Grundzieles der inhaltlichen Wahrheits
erkenntnis. Für den Materialisten reinster Observanz ist das
Ding an sich so wenig Problem (selbst metaphysisches) als der
Begriff der Wahrheit: ihm ist das Reale Wahrheit und zugleich
Ding an sich. - Bei der Verfeinerung des Wahrheitsbegriffes
wird das »Ding« aus einem erkennbaren Teil der Welt zum un
erkennbaren und damit zu jenem schwarzen Loch des Unbe
kannten, das die Dogmatik - unter Benützung des Pyramiden
schemas - mit einem Urprinzip der Welt zuzustopfen sucht.
Alle jene Urprinzipien, die die Metaphysik im Laufe der Zeiten
aus ihren eigenen Inhaltsobjekten herausgehoben hat, von den
eleatischen Feuer- und Wassertheorien bis zu den abstrahie
renden Schlagworten der Substanz, der Energie, sind hier
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anzutreffen, vor allem aber der »Schopenhauersche Wille«,
dessen Identifizierung mit dem »Ding an sich« - unter Nutznie
ßung der ganzen Kantschen terminologischen Apparatur - ei
nen integrierenden Faktor der gesamten Willensphilosophie
darstellt. - Der Rückschlag auf die lange Reihe der metaphysi
schen Wahrheitsgebäude, der schließliche Ignorabimus, wurde
auch zum Zusammenbruch des »metaphysischen Ding an sich«.
Machs Negierung des »Ding an sich« ist eigentlich bloß dessen
Identifizierung mit der »Empfindung«, versetzt mit einem »Ge
schehen an sich«, dem »Prinzip der Denkökonomie«. Nietz
sches Skepsis, ungleich tiefer fundamentiert, trifft hier merk
würdigerweise mit der Machs zusammen: auch sie läßt lediglich
Zwischenstufen des Denkens als beobachtungswürdig und er
kenntnisgebend zu, allerdings viel kompliziertere als die Mach
schen »Empfindungen« darstellen.
Die Nietzschesche Skepsis wurzelt in der Erkenntnis, daß alle
Wahrheit nur ein »Glauben« ist, »Glauben« ist das primäre
Ja-sagen zu den Ur-Apperzeptionen der einfachen Sinnesein
drücke und »Glauben« ist - am andern Pole - der Wahrheits
gehalt aller Erkenntniskritik. »Man müßte wissen, was Sein ist,
um zu entscheiden, ob Dies und Jenes real ist (z. B. »die Tatsa
chen des Bewußtseins«): ebenso was Gewißheit ist, was Er
kenntnis ist und dergleichen. - Da wir das aber nicht wissen, so
ist eine Kritik des Erkenntnisvermögens unsinnig: wie sollte das
Werkzeug sich selbst kritisieren können, wenn es eben nur sich
zur Kritik gebrauchen kann? Es kann nicht einmal sich selbst
definieren!«10 Es gibt nur Setzungen, praktische Setzungen, so
zusagen Zwangswahrheiten, Manifestationen des Willens zur
Wahrheit = Willen zur Macht: Wahre Erkenntnis über das
Objekt ist so wenig möglich als wahre Erkenntnis über das
Subjekt; beide sind unerkennbar. »Es fällt endlich auch das
>Ding an siehe weil das im Grunde die Konzeption eines S u b
jektes an sich< ist. Aber wir begreifen, daß das Subjekt fingiert
ist. Der Gegensatz >Dingan sich< und >Erscheinung< ist unhalt
bar; damit aber fällt auch der Begriff >Erscheinung< dahin.«11
Es dürfte nur auf Nietzsches inniges Verhältnis zu Schopen
hauer zurückzuführen sein, daß er, der mit solchen Überlegun
gen bloß Schopenhauer überflügelnd Kant erreicht, meinen
konnte, er hätte mit solch vertiefter Einsicht Kant überflügelt
und ihn widerlegt. Er sah die Polarität von »Ich an sich« und
222
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»Ding an sich«, aber sie sind ihm beide bloß materiale Objekte
der Wahrheit, und mit der Einsehung der selbstverständlichen
Fiktivität beider, also der Fiktivität des Wahrheitsinhaltes, fällt
für ihn das ganze Wahrheitsproblem. Nietzsche bricht hier, im
Grob-Metaphysischen, das Problem ab: mit der unendlichen
Subtilität der Kantschen Grenzgedanken hat seine Skepsis
nichts mehr zu tun (so nahe sie ihnen auch manchmal gekom
men w ar)-d er »Willezur Macht« ist eine »metaphysische Zwi
schenkonvention«, gleich dem »Prinzip der Denkökonomie«,
das übrigens im Spruch 51312 angedeutet ist.
Die rein metaphysische, also äußerliche, Stellung Nietzsches
zur Skepsis wird - nebenbei - durch seine streng biologische
Auffassung des Subjektes illustriert. »Wenn es >nur ein Sein
gibt, das Ich< und nach seinem Bilde alle andern >Seienden< ge
macht sind, - wenn schließlich der Glaube an das >Ich< mit dem
Glauben an die Logik, d. h. metaphysische Wahrheit der Ver
nunft-Kategorien steht und fällt: wenn andrerseits das Ich sich
als etwas Werdendes erweist: so - « 13 und seine Kritik des Be
wußtseins entspricht Punkt für Punkt der hier eingangs darge
legten Genesis des inhaltlichen, metaphysischen Denkens:
»Der ganze Erkenntnis-Apparat ist ein Abstraktions- und Sim-
plifikations-Apparat - nicht auf Erkenntnis gerichtet, sondern
auf Bemächtigung der Dinge: >Zweck< und >Mittel< sind so fern
vom Wesen wie die >Begriffe<. Mit >Zweck< und >Mittel< be
mächtigt man sich des Processes (- man erfindet einen Proceß,
der faßbar ist), mit >Begriffen< aber der >Dinge<, welche den
Proceß machen.«14 »Das Bewußtsein, - ganz äußerlich begin
nend, als Coordination und Bewußtwerden der >Eindrücke< -
anfänglich am weitesten entfernt vom biologischen Centrum
des Individuums; aber ein Proceß, der sich vertieft, verinner
licht, jenem Centrum beständig annähert.«15
So wenig das metaphysische Denken ein Verhältnis zu Kant
finden kann (Schopenhauers Kritik der Kantschen Philosophie
beweist dies am handgreiflichsten), so wenig kann es die meta
physische Skepsis. Sie, der die Skepsis der inhaltlichen Er
kenntnis, jener Nullpunkt und geometrische Ursprung des Phi
losophischen, bloß zum Drehpunkt eines Wertsystems wurde,
das in seiner neuen Lage doch nur wieder die Dogmen jeder
früheren punktweise verschoben aber konform abbildet, urteilt
über den vorsichtigsten, skeptischsten Zweifler, der in den -
223
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man könnte fast sagen »zynischen« - Antinomien einen wohl
gründlicheren Nihilismus vorweggenommen und eine gründli
chere Umwertung geschaffen hat: »Kant: ein geringer Psycho
log und Menschenkenner; grob fehlgreifend in Hinsicht auf
grobe historische Werte (Französische Revolution); Moral-Fa
natiker ä la Rousseau mit unterirdischer Christlichkeit der
Werte; Dogmatiker durch und durch, aber mit einem schwer
fälligen Überdruß an diesem Hang, [...] aber auch der Skepsis
sofort müde; [...] ein Verzögerer und Vermittler, nichts Origi
nelles.« 16
Die Kantschen Antinomien sind in metaphysischer Beziehung
die letzt-möglichen wissenschaftlichen Aussagen über die mate
rialen Weltinhalte, seien sie nun [in] konkreter oder abstrakter
Form gegeben. Sie sind der absolute Zweifel und für denjeni
gen, dessen Skepsis lediglich auf die Wahrheitsinhalte gerichtet
ist, der Punkt der völligen Hoffnungslosigkeit. Er vermag aus
ihnen nur mehr den sterilsten Satz »es gibt keine objektive
Wahrheit17 und auch dieser Satz ist ungewiß«, herauszulesen,
ein Resultat, das übrigens, mit dem Problem der materiellen
Welterkennung fast identisch, bereits im unerklärlichen Wun
der des Bewußtseinserwachens vor der Ur-Sinnesempfindung
vorgebildet ist und die ganze Genesis der auf Wahrheitsinhalte
gerichteten Denkentwicklung als ein mystischer Unterton be
gleitet.
Mit dieser einsamsten Hilflosigkeit ist die metaphysische Ver
standesgrenze erreicht, die inhaltliche Metaphysik, soweit sie
ihre Wahrheiten der kritischen Richtungskonstante folgend
aufgebaut hat, ist damit erschöpft: der sterilste Satz wurde zu
ihrer letzten Abstraktion.
Die Erkenntnis dieser Grenze setzt allem Streben nach ver
standesmäßigem Welterkennen, Welterklären, ein Ziel: was
über sie hinauswill muß zur Mystik werden. Erst in jener hilflo
sen Einsamkeit vor der Unfaßlichkeit der Welt erhebt sich die
Demut des großen Mystikers und sein Streben, durch Hingabe
an die Unfaßlichkeit des Gefühls einer gotterfüllten Welten-
haftigkeit teilhaftig zu werden. Alle Liebe und Innigkeit wird
ihm zum Erschließen jener Grenze, Erfühlen und ahnendes
Schauen jener Wahrheit, die im Absoluten unerreichbar und
schwebend, das All einigt.
Das Nietzschesche Denken macht hingegen an der metaphy
224
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sischen Grenze Halt. Fast mit einem Achselzucken. Wendet
sich zurück ins Dogmatische, Provisorische; allerdings - seiner
Kraft entsprechend - mit einer künstlerischen Forderung an die
Dogmatik: »Daß ein unbeweisbares Philosophieren noch einen
Wert hat, mehr als meistens ein wissenschaftlicher Satz, hat sei
nen Grund in dem ästhetischen Werte einer solchen Weltcon-
struktion (alias Philosophie) das heißt in ihrer Schönheit und
Erhabenheit. Es ist als Kunstwerk noch vorhanden, wenn es
sich als wissenschaftlicher Bau nicht erweisen kann. Ist das aber
bei wissenschaftlichen Dingen nicht ebenso? - Mit anderen
Worten: es entscheidet nicht der reine Erkenntnistrieb, son
dern der ästhetische: die wenig erwiesene Philosophie des He-
raklit hat einen größeren Kunstwert als alle Sätze des Aristo
teles. Der Erkenntnistrieb wird also gebändigt durch die
Phantasie in der Cultur eines Volkes. Dabei ist der Philosoph
vom höchsten Wahrheitspathos erfüllt: der Wert seiner Er
kenntnis verbürgt ihm ihre Wahrheit. Alle Fruchtbarkeit und
alle treibende Kraft liegt in diesen vorausgeworfnen Blik-
ken.«18 A nder Fruchtbarkeit des künstlerischen, besser des ar
chitektonischen Denkens in der Philosophie ist nicht zu zwei
feln, aber diese Fruchtbarkeit bezieht sich bloß wieder auf
materiale, inhaltliche, praktische Erkenntnisse: die Resignation
vor der Unmöglichkeit der Skepsis ist in dieser Verlegung des
philosophischen Schauplatzes nicht zu verkennen, und damit ist
ein fundamentaler Unterschied dieser sterilen Skepsis von der
Kants gegeben: Kant erfüllt innerhalb der Skepsis jene Forde
rung nach Philosophie als Kunstwerk; was dort bloß auf dog
matisch-metaphysischem Boden als vollziehbar angesehen
wird, wird bei Kant auf der letzten Position, der dem menschli
chen Geiste möglich ist, durchführbar und damit zur unerhörte
sten Fruchtbarkeit.
Kants eigene Stellung zu jener metaphysischen Skepsis ist am
besten durch seine Meinung über deren unvermeidlichen
Schlußsatz »es gibt keine Erkenntnis, und auch dieser Satz ist
ungewiß«19charakterisiert; er bezeichnet ihn als Irrtum und die
Unfähigkeit ihn zu widerlegen einen »Skandal der Philoso
phie«. O ber bloß der Terminologie seiner Zeit folgte, die unter
dem Ausdruck »Skepsis« nur die metaphysische verstand, oder
ob er seine Lehre vor Verwechslungen mit jener schützen
wollte, als er sich ausdrücklich gegen diese Bezeichnung ver
225
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wahrte, kann dahingestellt bleiben. Daß sie dem jetzigen Be
griff der »skeptischen Tendenz« entspricht - die Definition der
kritischen Richtungskonstante illustriert dies - , darf als gesi
chert gelten, und die Verwechslungen, der sie, trotz allem, im
mer ausgesetzt war (man denke eben an die Nietzschesche Auf
fassung), sprechen zur Genüge dafür. Es sei nochmals darauf
hingewiesen, daß auch die Verwechslung, die Vermengung der
materialen Skepsis der Metaphysiken mit der idealistischen
Skepsis Kants, man könnte auch sagen der kommunen mit der
wissenschaftlichen, auf die grundlegende Verwechslung von
Wahrheitsinhalten mit Wahrheitsform, von Metaphysik mit
reiner Philosophie zurückzuführen ist. Nicht unerwähnt darf
hier Bolzano bleiben, der, sonst dem Wahrheitsproblem am
nächsten, durch sein Verhältnis zum Kantschen Denken ins
wertende Licht gerückt wird. Denn auch er sieht in Kant - da
er abfällig und bedauernd von dessen verkappter Skepsis
spricht! - den metaphysischen Inhaltsskeptiker, wie er selbst im
Wahrheitsproblem im entscheidenden Moment abschwenkt,
um sich mit seinen »Wahrheiten an sich« (sozusagen als positi
ver und gleichwertiger Gegenpol zu Nietzsches Negation) auf
das leidige Problem der Wahrheitsm/m/re zurückzuziehen. -
Daß gerade aus solch engster Polarität die schärfsten Gegen
sätze entstehen müssen, ist selbstverständlich nur so ist es zu
erklären, daß ein scharfer Denker wie Husserl, in Tendenz und
im Blickfelde Bolzano durchaus ähnlich, unter augenscheinlich
gleicher unbewußter Erweiterung des Begriffes der materialen
Skepsis, von überhaupt »frecher Skepsis«20 sprechen konnte.
Die »reine Logik« mag als letzter Versuch gewertet werden,
der Inhaltsmetaphysik nach ihrem ignoranzeiden Bankerott
eine letzte schemenhafte Zuflucht in jenen inhaltlichen »Wahr
heiten an sich« zu bieten. Doch wird sich bald erweisen, daß sich
diese Bemühungen schon auf halb-kantischem Boden bewe
gen.
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zu erscheinen. Bedingt durch die unabweisliche materiale An
fangslage aller metaphysischen Philosophie [besitzt sie] ihren
begrenzten Charakter eines Provisoriums, das, in sich geschlos
sen, alles Außenstehende zu ignorieren gezwungen ist. Die me
taphysische Erkenntnis ist endlich, ihre Resultate sind ausre
chenbare Lösungen: alles Denken und alles Sein hingegen ist
infinitesimal, und die kritische Richtungskonstante deutet - die
geöffneten Türflügel der Antinomien beweisen dies eben - ins
Unendliche.
Der kritischen Richtungskonstante, diesem Datum der Denk-
fonn folgend, sei nun (unter nochmaliger Anlehnung an die hi
storische Betrachtungsweise) versucht, den Standpunkt der
idealistischen Kritik, der sich in der bisherigen Untersuchung
bereits zwingend als Antiposition zur metaphysischen Inhalts
philosophie eingeführt hat, selbständig zu entwickeln und damit
das Wahrheitsproblem in Antiposition zum Problem der meta
physischen Wahrheitsinhalte, in seiner eigenen Bedeutung,
aufzustellen. -
Um einen etwaigen Vorwurf maßloser Unbescheidenheit ab
zuwehren, sei noch erwähnt, daß es, um zu Kant zu gelangen,
wahrlich nicht des historisch-biologischen Weges, dieses echten
Schleichweges zur Philosophie, bedurfte, noch daß es sich etwa
darum handeln sollte, dem großen Manne eine derartig mes-
kine Stütze bieten zu wollen. Es mag daher wiederholt sein:
nicht auf eine entwicklungsgeschichtliche Erweisung des Kant-
schen Standpunktes kommt es an (denn eine solche muß sich
zu jedem Bestehenden, also zu jeder Wahrheit aufzeigen las
sen), sondern um eine Heraushebung des Wahrheitsstrebens
und des Wahrheitsbegriffes aus dieser Entwicklung und auf sein
schließliches entscheidendes Placement innerhalb des kriti
schen Idealismus. - Konnte sich bereits die bisherige Untersu
chung auf Kant berufen, so darf sie ihn hier, da sie das Problem
in Antiposition zur inhaltlichen Metaphysik gebracht hat, mit
noch größerer Berechtigung anrufen: über alle Schwärmerei
des Metaphysischen hinaus führt die kritische Richtungskon
stante ins Wissenschaftliche: »die Kritik verhält sich zur ge
wöhnlichen Schulmetaphysik gerade wie Chemie zur Alchimie
oder wie Astronomie zur wahrsagenden Astrologie.«21
227
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In dieser von ihm selbst also angedeuteten Verwissenschaftli
chung der Philosophie - mag sie auch von Locke und Hume be
reits vorbereitet gewesen sein - liegt wohl der entscheidenste
Verdienst des Kantschen Werkes. -
Die Position des philosophischen Idealismus ist durch die
Frage und Forderung nach Beweisbarkeit der Wahrheiten ge
geben. Die absolute Unbeweisbarkeit des Objektiven gab der
kritischen Richtungskonstante das Recht, den Axiomspunkt
vom materialen Sinneseindruck immer weiter abzurücken, barg
aber auch in sich die Gefahr, ihn in einem Ich dogmatisch zu
fixieren, wie es etwa Berkeley tat, oder völlig im Solipsismus zu
landen. Es ist solcherart die merkwürdige Tatsache zu beob
achten, daß die kritische Richtungskonstante des Denkens, de
ren Haupttendenz in der einwandfreien Sicherung, klaren Er
weisung der Wahrheitsurteile besteht, zu einer Position führen
kann, deren absolute Ungewißheit nur mehr den sterilsten Satz
als einzige und mögliche Folgerung zuläßt.
Nun wurde bereits vorhin der vage Vergleich angedeutet, daß
das Gebiet der Wissenschaften als Durchdringungsgebiet
zweier Pyramiden aufgefaßt werden könnte, von denen die eine
durch die fortschreitende vereinheitlichende Abstraktion der
Wahrheitsinhalte, die andere durch die Rückführungsmöglich
keit der sogenannten wissenschaftlichen Wahrheiten auf einige
einheitliche Grundannahmen, Axiome etc., gegeben ist. Gab
die erste den Tummelplatz für alle dogmatischen Metaphysiker
ab, die den Gipfel zum handgreiflichen Urprinzip ausgestaltet
haben wollen, so verleiten die Beweisstufen der anderen, die
Spitze in der Nebelhaftigkeit eines Solipsismus dogmatisch zu
fixieren. Mit dieser »Materialisierung« des Vergleiches ist aber
auch schon der Fingerzeig gegeben, was hinter seinen Symbolen
zu suchen ist: die gebräuchliche dogmatische Ernennung eines
»Urprinzipes« und seine Verwendung als »Ding an sich« deutet
darauf hin, daß hier - in seinen fortschreitenden Abstraktionen
- das Denken die Richtung zum »Ding« genommen hat, wäh
rend die kritische Richtungskonstante - als Pyramide der skep
tischen Beweisbarkeitsfragen - zum »Ich an sich« (vergröbert
und materialisiert im Solipsismus) zielt.
Wenn nun auch der Solipsismus, dessen Satz »es gibt nur sub
jektive Wahrheit« mit der Sterilität der metaphysischen Skepsis
eng verwandt sein könnte, eine durchaus sterile Position einzu
228
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nehmen scheint, so ist es andererseits nicht zu verkennen, daß
seine Bejahung der subjektiven Wahrheit ungleich mehr gibt
als jene metaphysische Verneinung der objektiven. Wenn auch
vergröbert, so enthält er doch in sich die Lehre vom Ich als Per
sönlichkeit und ist so dem Kantschen Idealismus weit eher ver
wandt als Nietzschescher Metaphysik. Es mag sein, daß auch
diese Beziehungen zu den Verwechslungen Bolzanos und zu
seiner Abneigung Kant gegenüber beigetragen haben.
Der Solipsismus enthält als Kern das Ich als Persönlichkeit:
der Kantische Idealismus konnte diese Position über alle Be
schränktheit und Dogmatik hinaus zur Autonomie des werten
den Ichs entfalten. Dieses wertende Ich, als urteilende, auto
nome Persönlichkeit ist von dem erkenntnistheoretischen
Grenzbegriff des objektivierten Ichs im Noumenon des »Ichs an
sich« scharf zu sondern, denn eben durch diese Sonderung ver
mochte Kant die Gefahr des Solipsismus, die für Fichte wieder
so außerordentlich groß wurde, zu überwinden und seine Er
kenntniskritik zur lebendigsten Philosophie, [zur] allumspan-
nenden Ethik zu erhöhen.
Dieses persönliche - sozusagen letzte - wertende Ich bildet
das Ziel der kritischen Richtungskonstante. In ihm [ist] erst
jene letzte Voraussetzungslosigkeit zu finden, auf die schließ
lich jeder Beweis (in Rückführung von Unbekanntem auf Be
kanntes) zustreben muß: der Rigorismus des autonomen Ichs
enthält als Bekanntes das cogito seiner Bewußtseinsinhalte und
in ihm jene Selbstgarantie der Wahrheit, von der Jonas Cohn22
spricht. (Das ergo sum hat als - unerlaubte - metaphysische
Hypothese dabei nichts zu tun.) Mit dieser Erkenntnis ist das
Problem der Einsamkeit des Ichs in die Philosophie [gekom
men], das vor Kant nur in der gefühlsmäßigen, henidenvollen
Form der Metaphysiker geahnt wurde.
Die Erkenntnis der Einsamkeit, Quell und Prüfstein alles
Geistigen. Unter der Wucht dieses Erlebnisses [wird] kindi
scher rationalistischer Erklärungsdrang zu Denken eines Be
wußtseins, zur Philosophie, und wird die kleine platte Ekstase
zur religiösen Mystik des Gefühls. Erst die Demut einer unab
änderlichen Vereinsamung vermochte den Stolz und die Größe
einer sonst dem Menschen nicht verliehenen Erhabenheit zu
wecken, und das Maßlose solcher Einsamkeit gestattete ein Pa
thos, das im Weltlichen nur frech und beschämend war.
229
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In der Einsamkeit des Bewußtseins liegt das bedeutsamste Fak
tum der Selbstgarantie aller Wahrheit: die Unfähigkeit des Ichs
sich selbst zu belügen, ein Umstand, der mir von höchster philo
sophischer Bedeutung zu sein scheint, und der als Verknüp
fungspunkt der philosophischen Disziplinen, vornehmlich der
Logik und der Ethik, mir zum Angelpunkt aller philosophi
schen Überlegung geworden ist.
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die Spitze zu stellen. - Es konnte gezeigt werden, daß jenes
»Denken als Ganzes« auf Wahrheitserkennung zielt, Wahr
heitserkennung die, wenn sie einmal die Schranken der Inhalts
metaphysik überschritten hat, lediglich der kritischen Rich
tungskonstante folgend, das Problem der Erweisbarkeit zum
Zielpunkt ihrer Betrachtung macht. Es konnte folgend gezeigt
werden, daß erst in der »Selbstgarantie« der Wahrheit inner
halb des solipsistischen, persönlichen Ichs, also innerhalb des
Selbstbewußtseins, die Frage nach Erweisbarkeit zum Stillstand
kommt.
Andererseits kann leicht gezeigt werden, daß dieses solipsi-
stische subjektive Ich nichts anderes ist als eine Kette von
Wahrheiten. Seine absolute Vereinsamung zwingt es, seine ab
solut autonomen Wertungen z,u glauben: selbst seine Zweifel
gehen in der Form von Wahrheitsurteilen vor sich, und zwar
»ich weiß, daß ich - folgendes - nicht weiß«. Für die positiven
Wertungen ist der »latente« Beisatz »ich weiß« überhaupt
selbstverständlich. Im übrigen Kant: »[...] da nun der Satz: Ich
denke [...] die Form eines jeden Verstandesurteils [.. .j enthält
und alle Kategorien als ihr Vehikel begleitet [,..]«23 Es wurde
bereits gesagt: das Ich kann sich nicht belügen, seine Urteile
sind ihm jederzeit wahr.
Mit dieser Auflösung des subjektiven Ichs als Selbstbewußt
sein in eine Reihe von Wissensakten, eben sogenannten Wahr
heiten, soll selbstredend die Einheit des Ichs nicht durchbro
chen und aus ihm, zwar in anderem Sinne, wieder eine
Condillacsche24 Empfindungsfigur gemacht werden. Dieser
letzte mystische Urgrund des subjektiven Ichs ist aber dem ra
tionalen Denken durchaus unerreichbar, er ist seinerseits wieder
ein Limes des Bewußtseins, worauf die Möglichkeit der schach
telförmigen Fassung eines jeden Urteiles hindeutet: »ich weiß,
daß ich weiß, daß ich w eiß... ad infinitum«. Mit der Bewendung
auf das erste »ich weiß« ist die Vernachlässigung jenes mysti
schen Zielpunktes und damit die Zusammenziehung des sub
jektiven Ichs mit seinem Selbstbewußtsein gegeben.
Unter diesen Voraussetzungen - einerseits die Rückführung
aller Wahrheiten ins subjektive Ich, andererseits die aus
schließliche Erfüllung des Selbstbewußtseins mit Wahrheiten -
kann gesagt werden, daß die Wahrheit als eine Zuständlichkeit
des Ichs, respektive des Selbstbewußtseins, zu charakterisieren
231
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ist. Andererseits befindet sich das Selbstbewußtsein stets, in je
dem Urteil - und es fällt ein Kontinuum von Urteilen - in einem
Stadium momentan größtmöglicher Wahrheit, die zwar im
nächsten Momente durch neue Denkbewegungen reguliert
werden kann, für den Augenblick aber (in der Form des »ich-
weiß-Satzes« positiv, negativ oder zweifelnd) seine Geltung
haben muß.
Die Ähnlichkeit dieser Auffassung der Bewußtseinsstadien
mit der Herhartschen Lehre der Vorstellungsbewegung inner
halb des Bewußtseins ist evident. Wie diese zielt sie auf eine
Theorie des seelischen Gleichgewichtes, wobei jedoch nicht
vergessen werden darf, daß das Bild des Gleichgewichtes der
Außenwelt entnommen ist, und daß es erst einiger Überlegung
bedarf, um es - und zwar in einschränkender Berechtigung -
introspektiv verwenden zu dürfen. Vorläufig kann konstatiert
werden, daß das Bewußtsein (eben in Einstimmung mit der kri
tischen Richtungskonstante) unter Ansehung des im Momente
psychisch Gegebenen entsprechend seine Bewegungslimits hat,
die sich - wie jetzt ersichtlich wird - augenscheinlich mit Bol
zanos Wahrheiten an sich decken.
In Paranthese sei bemerkt, daß in diesem (kritischen) Streben
des Bewußtseins nach dem Stadium größtmöglicher Wahrheit
und damit Klarheit (der Ausdruck »Klarheitszustand« des Be
wußtseins besagt schon diese Identität) sowohl in der einzelnen
psychischen Bewegung als im Gesamtstreben die Entwicklung
zur Weiningerschen Henidenlosigkeit aufzuweisen ist. Es ist
dies vielleicht die windigste und menschlichste Manifestation
der kritischen Richtungskonstante und läßt vermuten, daß ihr
Impuls wohl auch in jener »mystischen« Einheitlichkeit zu su
chen ist, die uns mit dem subjektiven, wertenden Ich der Per
sönlichkeit gegeben erscheint. In diesem Sinne wird Philoso
phie zum menschlich henidenlosesten Denken.
232
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5 E. Mach, E r k e n n tn is u n d Irrtu m . S k iz z e n z u r P sy c h o lo g ie d e r F o rsc h u n g
(Leipzig 1917), »Vorwort«, S. V-IX.
6 E. Mach, D ie A n a ly s e d e r E m p fin d u n g e n , a.a.O., S. 3 etc.
7 I. Kant, K r itik d e r rein en V e rn u n ft, Transzendentale Analytik, 2. Buch, 3.
Hauptstück (»Phaenomena und Noumena«).
8 Vgl. I. Kant, K r itik d e r rein en V e rn u n ft, Transzendentale Ästhetik, § 3.
9 Johann Friedrich Herbart (1776-1841), deutscher Philosoph. Vgl. A llg e
m e in e M e ta p h y s ik (2 Bde., 1828-1829).
10 F. Nietzsche, D e r W ille z u r M a c h t. V e rsu ch e in e r U m w e r tu n g a lle r W erte,
Spruch 486. (Zugrunde gelegt ist in der Folge der Band 9 der 1906 im Nau
mann Verlag, Leipzig, erschienenen Nietzsche-Ausgabe.)
11 Ibid, Spruch 552.
12 Ibid, Spruch 513: »Die erfinderische Kraft, welche Kategorien erdichtet hat,
arbeitete im Dienst des Bedürfnisses, nämlich von Sicherheit, von schneller
Verständlichkeit auf Grund von Zeichen und Klängen, von Abkürzungsmit
teln: - es handelt sich nicht um metaphysische Wahrheiten bei >Substanz<,
>Subjekt<, >Objekt<, >Sein<, >Werden<. - Die Mächtigen sind es, welche die Na
men der Dinge zum Gesetz gemacht haben, und unter den Mächtigen sind es
die größten Abstraktionskünstler, die die Kategorien geschaffen haben.«
13 Ibid, Spruch 519.
14 Ibid, Spruch 503.
15 Ibid, Spruch 504.
16 Ibid, Spruch 101.
17 Vgl. Ibid, Spruch 616, wo cs heißt »es gibt keine >Wahrheit<«.
18 Friedrich Nietzsche, D ie U n sc h u ld d es W erd e n s (N a c h la ß I) (Stuttgart: Krö-
ners Taschen-Ausgabe, Bd. 82), S. 59.
19 Kein wörtliches Zitat. Vgl. I. Kant, Ü b er e in e E n td e c k u n g , n a c h d e r alle K r itik
d e r re in e n V e r n u n ft d u rc h e in e ältere e n tb e h rlic h g e m a c h t w e rd e n so ll. Dort
heißt es: »Über die Grenze der Sinnlichkeit [...] hinaus (könne) es schlechter
dings keine Erkenntnis, d. i. keine [...] Begriffe (geben), von denen man si
cher ist, daß sie nicht leer sind.«
20 Vgl. EdmundHusserl, L o g is c h e U n te rsu c h u n g e n , §§ 35, 36. Husserl bezeich
net allerdings nicht Kants »spezifischen« Relativismus, sondern den nicht-
kantschen »individuellen« Relativismus als »freche Skepsis«.
21 I. Kant, P ro le g o m e n a z u e in e r je d e n k ü n ftig e n M e ta p h y s ik , d ie als W isse n
s c h a ft w ird a u ftre te n k ö n n e n , § 60, 3. Teil (»Auflösung der Frage«).
22 Jonas Cohn (1869-1947), deutscher Philosoph, anfänglich Rickert naheste
hend; entwickelte auf dem Boden einer kritizistischen Theorie der Dialektik
die Philosophie als universale Wertwissenschaft. Vgl. R e lig io n u n d K u ltu r
w erte (Berlin 1914) = Philosophische Vorträge. Veröffentlicht von der
Kantgesellschaft, Nr. 6, S. 9: »Die Selbstgarantie des Logischen, der Wider
spruch in der Nichtanerkennung des Wahrheitswertes, macht für die allge
meine Logik den Nachweis überflüssig, daß sie geeignet ist, andere Wertge
biete teleologisch zu ergänzen.«
23 I. Kant, K r itik d e r re in e n V e rn u n ft, Elementarlehre II. T. II. Abt. II, Buch
I. Hauptstück (»Von den Paralogismen der reinen Vernunft«).
24 Vgl. E. B. de Condillac, T raite d e s S e n sa tio n s, II, 4,5; III, 3.
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Gedanken zum Problem der Erkenntnis
in der Musik
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darin liegt, ist keine unmittelbare, sondern die eines rational
übergeordneten Aktes: des Aktes der »Interpretation«. Ähnli
ches vollzieht sich im rationalen Erkennen: Mitteilbarkeit ge
hört zum Wesen jeglicher Erkenntnis, doch es ist nicht notwen
dig, daß sie in geordneter menschlicher Sprache erfolge oder in
eine solche übersetzbar sei. Jede naturalistische Darstellung ei
nes Gegenstandes, ob nun als schauspielerische Imitation
(gleichgültig ob sprachlich oder mimisch), ob als Porträt oder
als Landschaftsphotographie, all dies kann als rationale Mittei
lung aufgefaßt werden, die wohl strukturell mit einer sprachli
chen Definition übereinstimmt, also gleich der Sprache »dies
ist« in Hinblick auf das Dargestellte sagt, die aber trotzdem von
der eigentlichen menschlichen Sprache nicht übernehmbar,
sondern durch diese bloß interpretierbar wird. Eine ähnliche
»semi-sprachliche« Funktion eines zwar rationalen, aber nicht
eigentlich sprachlichen Erkenntnisbereiches (als der der mu
sikalische sicherlich anzusprechen ist) zeigt sich in der Methode
des musikalischen Leitmotivs: es ist die Methode der »Benen
nung« von Situationen oder Personen, eben eine »Semi-Be-
nennung«, die von der natürlichen Sprache bloß interpretie
rend, niemals aber direkt übernommen werden kann. Kurzum -
auch hier ließe sich die Reihe der Beispiele beliebig vermeh
ren - , rationale Erkenntnis braucht noch nicht sprachlich aus-
drückbare Erkenntnis zu sein, sondern das sprachlich Aus-
drückbare stellt einen Spezialfall der allgemeinen rationalen
Erkenntnis dar.
Unter Annahme dieser gestaffelt fortgesetzten Spezialisie
rung - allgemeines Wertgeschehen, rationales Tun, rationales
Erkennen, sprachlich ausdrückbares Erkennen - erhält der al
len menschlichen Wertgebieten eigentümliche »Fortschritt«
eine wesentliche Belichtung. Die Belichtungsquelle ist die ra
tionale und besonders die bewußte, die sprachlich ausdrück-
bare Erkenntnis. Denn nirgends ist das Logische so eindeutig
wirksam wie im bewußten Erkenntnisprozeß, nirgends ist es so
eindeutig auf das unendliche Ziel der im Logos ruhenden
Wahrheit gerichtet, nirgends hat das Ergebnis der irdisch-end
lichen Schritte so sehr den Charakter des Provisorischen wie
hier. Der unendliche, ewig unabgeschlossene Prozeß der Wis
senschaft, fortschreitend von Teilresultat zu Teilresultat, Kon
kretisierung der rationalen bewußten Erkenntnis und ihres
235
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Fortschrittes, zeigt mit aller Deutlichkeit, wie unmittelbar die
ser Fortschritt aus dem Wesen des Logos und des Logischen
selber stammt. Die Vermutung liegt nahe, daß das, was für die
ses speziellste und doch sichtbarste und lichteste Wertgebiet
und seinen Fortschritt gilt, auch für den Fortschritt der übrigen
Wertgebiete gelte, daß in diesem verallgemeinerten und allge
meinen Fortschreiten gleichfalls dem Logos und der Erkenntnis
die führende Rolle zufalle, in einem erweiterten Sinn also auch
hier das Primat des Cartesianischen »cogito« vor dem »sum«
zutage treten müsse. Die »Logik der Dinge«, die alles mensch
liche Geschehen scheinbar ohne Zutun des Menschen vor
wärtstreibt, wird in eine supra-humane spirituelle Sphäre zu
rückverlegt.
Ein Indizienbeweis hiefür liegt vielleicht im Vorhandensein
der tierischen Wertgebiete. Warum wird - trotz aller Anpas
sungstheorien - ein Termitenbau nicht verbessert? Warum ist
das »logische« Tun aller Tiere offenbar stabil? Welche Würde
ist dem rationalen Tun des Menschen vor dem des Tieres gege
ben, daß sein Wertschaffen - soferne es nur wirklich Schaffen
von Wert ist - fortschreiten darf, fortschreiten muß in ewiger
Annäherung an das Göttliche? Und welcher Fluch - welcher
Gnadenfluch! - zeichnet ihn vor dem Tiere aus, daß sein Schaf
fen, soferne es nicht Wertschaffen ist, abfallen muß zum Bösen
an sich und zu einer Verworfenheit, die das Tier nicht kennt?
Es ist hiefür wohl keine andere Antwort zu finden als jene, die
in dem Wort Erkenntnis gegeben ist, kein anderes Kriterium als
die Fähigkeit des Erkennens, das den Menschen göttlich aus
zeichnet, und wenn es eine Stufenabfolge war, die vom wertset
zenden Tun schlechthin in immer weiterer Spezialisierung bis
zum sprachlich ausdrückbaren Denken führte, so führt nun die
gleiche Abfolge vom bewußten Erkennen über das rationale
Erkennen hinauf zu einer allgemeinen Erkenntnis, die, kaum
zu fassen, dennoch gewußt, in allem wertschaffenden Tun mit
schwingt und ihm die menschlich-göttliche Würde verleiht, die
es besitzt. Stimmt dies - und alles spricht dafür, daß es stimmt
- , so kann in Abwandlung des Kantschen Wortes von dem Ge
halt an Mathematik, der allein eine Wissenschaft zur Wissen
schaft erhebt, die Behauptung aufgestellt werden, daß es allein
der Gehalt an Erkenntnis sei, der ein Wertgebiet zu dem macht,
was es ist, nämlich zu einem Wertgebiet.
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Eine verallgemeinerte, eine über-sprachliche, ja, eine überra
tionale Erkenntnis! In ihr liegt die Würde des wahrhaft wert
schaffenden Menschen, sie ist gewissermaßen in jedem Hand
griff seines (rationalen) Tuns enthalten, und sie braucht nicht
unbedingt in rationale, sprachlich ausdrückbare »normale« Er
kenntnis umgesetzt zu werden, mag es auch keinen Wertbereich
geben, der solch erhöhte Klarheit und »Selbst-Bewußtwer-
dung« nicht anstrebt oder anzustreben hätte. Ein apriorischer
Erlebnisgehalt und eine von der rationalen Erkenntnis fast un
erreichbare Lebensunmittelbarkeit und Lebensbreite zeichnen
jene verallgemeinerte überrationale Erkenntnis aus, und das
Wissen, richtiger das Ahnen dieses Tatbestandes ist es wohl
auch, das dem »Praktiker« eines Wertgebietes die immer wie
derkehrende Genugtuung verschafft (sogar der Experimental
physiker ist ihr mitunter gerne zugänglich), mit einer oftmals
banalen, oftmals unberechtigten, selten berechtigten Verach
tung auf die »Theorie« seines Gebietes herabzublicken: er
mißtraut der »bloß« abgeleiteten, der »lediglich interpretie
renden« Funktion des rein Rationalen und Intellektuellen,
denn er fühlt sich der Welt näher, er fühlt - wenn auch nicht
immer mit F ug-, daß er das »bessere« Wissen und eine bessere,
»eigentlichere« Erkenntnis besitzt, er fühlt es, weil er in seinem
Tun die Erkenntnis fühlt. Das rationale Tun, das sich zum Bei
spiel innerhalb des Wertgebietes der Musik vollzieht, ist sicher
lich mit Erkenntnis durchtränkt, aber diese Erkenntnis ist
durchaus nicht jene, die in der »Musiktheorie« niedergelegt ist,
sondern geht unmittelbar aus dem musikalischen Tun hervor,
so unmittelbar, wie es darein eingegangen ist: es erübrigt sich
wohl, auf den Erkenntnisreichtum Beethovens hinzuweisen,
der mit seinem musiktheoretischen Wissen recht wenig zu tun
hat.
Gibt es aber solch allgemeine, nicht-sprachlich übersprachli
che, nicht-rational überrationale Erkenntnis, so muß sie alle
Stufen des Erkennens durchdringen, sie muß trotz ihrer Irratio
nalität in der rationalen und in der sprachlich ausdrückbaren
Erkenntnis vorhanden sein, genau so, wie das wertschaffende
Tun als solches, wie dieses an sich so unfaßbare dunkle Gesche
hen bis in die hellsten Teile des Bewußtseins vordringt und die
sem richtunggebend innewohnt. Und in solchem »überall« und
doch »nirgendwo« scheint jenes allgemeinste Erkennen, das
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man mit Fug und üblicherweise eben als »irrational« bezeich
nen darf, ebenso unfaßbar zu sein wie jenes irrationale allge
meine Geschehen. Indes, so unfaßbar es auch sein mag, das
Wissen um seinen Bestand ist vorhanden; nicht nur als ein in
trospektives Wissen um den »Geist«, der mit aller Sicherheit
von jedem Menschen im eigenen Ich erfühlt wird und scharf
sich abhebt von dem hellen intellektuellen und sprachlichen
Bewußtsein, nicht nur als Wissen um dieses Wertvollste am
Menschen ist das irrationale Erkennen so unerschütterlich vor
handen, sondern auch als logische Notwendigkeit: es würde der
unendliche logische Regreß, der die Wissenschaft von Resultat
zu Resultat vorwärtstreibt, es würde dieser logische Zwang, der
das Wertgeschehen zu immer neuen und humaneren Weltfor
mungen leitet, ziellos ins Leere stoßen, es müßte dies alles in
Sinnlosigkeit zusammenbrechen, wenn es nicht ein apriorisches
Wissen um das Ziel gäbe! Aber nicht nur auf dieses Wissen,
nicht nur auf das Ziel kommt es an, nicht nur auf die Totalität
des Seins, sondern auch auf seinen Anfang. Denn jede Einzel
erscheinung der Welt muß notwendigerweise erst gewußt
werden, ehe sie erkannt wird, in jeder einzelnen von ihnen
steckt die Totalität, zu jeder einzelnen, in ihr sich widerspie
gelnd, muß sich der »Geist« des Erkennenden in Beziehung
setzen. Und darüber hinaus: könnte überhaupt das bewußte
Erkennen in Funktion treten, könnte das Logische in Funktion
bleiben, wenn das apriorische Wissen um den Logos erlösche?
Hier rührt das Wissen um das Supra-Humane, das Wissen um
die Totalität der Welt und des Geistes, hier rührt das Wissen
an den Glauben, und die erkenntnistheoretische Notwendigkeit
wird gleichzeitig zur geschichtsphilosophischen Wahrheit:
wenn das Wissen um den irrationalen Geist, der der Anfang,
der Weg und das Ziel des Logos ist, verlorengeht und die leere
Rationalität übrigbleibt, in diesem Augenblick tritt der Um
bruch des Fortschritts ein - entblößt seiner Humanität, führt er
zum Tode und ins Böse.
Das erkennende Wissen, dieses Vor-Wissen, das zugleich
Über-Wissen ist, Vor-Erkenntnis und zugleich Über-Erkennt-
nis, unfaßbar und doch allüberall, wird in seiner Unfaßbarkeit
dem Menschen als Gefühl habhaft: nur als Gefühl, und eben als
Gefühl jedem einzelnen das Wertvollste seines Lebens. Es ist
das Gefühl, mit dem der wahrhaft dem Leben zugekehrte
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Mensch die Einzelerscheinung begreift und mit dem er von der
Welt ergriffen wird, es ist das Gefühl, mit dem er unablässig den
Bogen vom Einzelphänomen zur Totalität der Welt und zu der
seines eigenen Seins zu spannen befähigt ist. In diesem Gefühl
- soferne er es besitzt - ist auch der einfältige Mensch des Gei
stes voll, und keinerlei rationales oder sprachlich ausdrückbares
Erkennen kann es ersetzen, kann den Ungeist zum Geist erhe
ben. Aber muß dieses Geist-Gefühl deshalb unausdrückbar
bleiben? Gewiß, Gefühle sind kaum zu definieren, nur wenige
und unzureichende Methoden gibt es, um sie annähernd ins
Präzise und ins Sprachliche zu heben. Aber die Fülle ihrer E r
kenntnis hat ihre eigene Sprache, die mit unendlich vielen
Schattierungen in allen Wertgebieten und nicht zuletzt auch in
der konkreten Sprache des Menschen waltet, ja, deren eigentli
ches Leben ausmacht: keineswegs ist die menschliche Sprache
nur Fanfare des Rationalen, selbst in den Mitteilungen des All
tags sind irrationale Einschüsse in weitgehendem Maße wirk
sam, und diese Irrationalität des Sprachlichen wird sich selbst
bewußt, tritt sozusagen in den Bereich des Rationalen, wenn die
Sprache zum Instrument des Dichterischen wird. Denn nun
werden tatsächlich neben den rationalen Erkenntnissen »an
dere« mitgeteilt, irrationale, gefühlsmäßige, die sich dem ratio
nalen Ausdruck entziehen, aber - soweit es das rein Sprachliche
betrifft - auch zu einem »anderen« Ausdruck gelangen, näm
lich zu dem der spracharchitektonischen Form, wie sie im G e
dicht als Residuum des Gefühlsmäßig-Lyrischen am reinsten
erscheint. Und diese unmittelbare »architektonische« Sprache
des Irrationalen ist ebensowenig oder noch viel weniger als die
»semi-sprachlichen« Ausdrucksformen des allgemeinen ratio
nalen Erkennens in die eigentliche menschliche Sprache zu
übertragen oder zu übersetzen: auch sie kann bloß »interpre
tiert« werden.
Solch allgemeiner Erkenntnisgehalt jeglichen Wertgebietes
vorausgesetzt, ist also anzunehmen, daß es sich allüberall um
Mischformen zwischen rationaler und irrationaler Erkenntnis
handelt, wobei es nicht ausgeschlossen ist, daß der dabei wirk
same rationale Teil überhaupt nichts anderes ist als eine viel
fach gestufte Interpretation und Aber-Interpretation des irra
tionalen, intuitiven, »gefühls-erkennenden« und primären E r
kenntniskernes. Allein auch damit wäre die offensichtlich
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ungeheuer enge Vermischung und Verschmelzung rationaler
und irrationaler Elemente nicht erschöpft. Denn jeder einzelne
rationale Akt enthält an sich wieder intuitive und irrationale
Komponenten (das gilt selbst für ein so exzessiv rationales G e
biet, wie es die Mathematik ist), und vermutlich ist beim Erfas
sen irgendeines und noch so geringen Einzelphänomens auch
der erste Erkenntniskern selber schon eine Art Verarbeitungs
produkt und noch lange nicht das Ur-Erlebnis, das von jenem
Phänomen ausstrahlt. Besteht irrationale Erkenntnis in gewis
sen architektonischen Zusammenstellungen gewisser Elemente
(Lauten, Worten, zeichnerischen Gebilden, musikalischen Tö
nen, materiellen Gegenständen, kurzum in symbolhafter Ar-
chitekturierung, die ebensowohl ein Kreuz oder Dreieck als
eine melodiehafte Tonfolge sein mag), so kann man sich den
Rationalisierungsprozeß als fortgesetzte Anwendung derarti
ger symbolhafter und architektonischer Ausdrucksmittel
vorstellen, als einen ewig unabgeschlossenen, ewig unab
schließbaren Aufhellungs- und Erstarrungsprozeß, in dem das
neugefundene Symbol immer wieder zur Konvention erstarrt,
innerhalb solcher Erstarrung aber auch seine eigentliche
sprachliche Bedeutung erhält.
Zweifelsohne sind das bloße Mutmaßungen, und wenn es auch
wahrscheinlich ist, daß die Sprache auf diese Art den in ihr an
gereicherten lyrischen Gehalt verarbeitet und rationalisiert
(und neuere Sprachtheorien liefern hiefiir manche Bestäti
gung), so ist dies nicht gesichert. Und merkwürdigerweise ist
hier der umgekehrte Weg - in derartigen Verschmelzungspro
zessen gibt es oftmals reversible Wege - , ist hier der Weg der
»Irrationalisierung« wesentlich deutlicher. Schon beim lyri
schen Gedicht wurde dies klar; denn das lyrische Gedicht geht
von einer rationalen Mitteilung aus, um den gefühlsmäßigen
Ur-Inhalt dieser Mitteilung mit Hilfe der Spracharchitektonik
in eine über das Endliche des Rationalen gelegene Totalitäts
sphäre zu heben. Noch deutlicher aber wird der Irrationalisie
rungsprozeß, wenn die Gedichtarchitektonik einer zweiten,
nämlich der musikalischen Architekturierung unterworfen wird
- das gleiche gilt für das Verhältnis von Drama und Oper -,
denn nun verblaßt die ursprüngliche Rationalmitteilung völlig
zugunsten ihres Gefühlsgehalts, und es ist das eingetreten, was
man »irrationale Interpretierung« nennen dürfte.
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Diese gegenseitige Interpretierbarkeit, dieses gegenseitige
»Auseinander-Herauswachsen« (das keineswegs auf die Be
ziehung zwischen Sprache und Musik beschränkt, sondern hier
nur erleichtert ist), wäre aber nicht möglich, wenn nicht struk
turelle Verwandtschaften vorliegen würden. Keine Sprache
wäre in eine andere übersetzbar - und alle sind es - , wenn sie
nicht syntaktisch prinzipiell gleich gebaut wären. Wieder ist es
der über allem Empirischen waltende Logos, der sich hier an
meldet. Mit andern Worten: es muß diesem allgemeinen G e
schehen auch eine allgemeine Logizität zugeordnet werden, die
freilich nicht mehr die des Rationalen sein kann, sondern eben
gleichfalls eine allgemeinere logische Form sein muß, eine
Form, die man vielleicht am treffendsten als »allgemeine Wert
logik« bezeichnen dürfte und die wahrscheinlich die Logik des
Symbols schlechthin ist.
Ganz vage definiert ist es die Form des Gleichgewichtes. Ja,
es ließe sich behaupten, daß alle menschliche Formgebung und
damit alle Wertsetzung, also gewissermaßen die Form der
Form, in Gleichgewichtsherstellungen sich vollzieht. Was in der
grammatikalischen Logik als »Gleichsetzung« von Subjekt und
Objekt vor sich geht (kopuliert durch das definierende »ist«),
das zeigt sich - natürlich nur von hier aus gesehen - als ein para-
digmatisches Beispiel und Gleichnis für die große Gleichset
zung, der alles Wertgeschehen, Wertbilden, Wertformen un
terworfen ist und die nichts anderes bedeutet als die
Gleichsetzung von Weltsubjekt und Weltobjekt. Dieses wahr
haft metaphysische Gleichgewicht, diese pythagoreische Har
monie, zu der sowohl alles menschliche Geschehen wie alles
Denken hinzielt, kann als Formprinzip in jedem Wertgebiet
nachgewiesen werden - auch dort noch, wo es sich um sozusa
gen »praktische« Gebiete handelt - , alle metaphysischen Be
dürfnisse des Menschen, mag er sich ihrer bewußt werden oder
nicht, mag er sie formulieren können oder nicht, werden darin
untergebracht; ob nun das Gleichgewicht einer Lebenssituation
oder das der »Wahrheit« gemeint werde, in der Herstellung ei
nes jeglichen Gleichgewichtes liegt auch stets das Bemühen um
die Umwandlung des eilenden Lebenslaufes in einen statischen
Zustand und in eine Ruhe, die als Annäherung an das Endgül
tige die Illusion der Zeitaufhebung und der Aufhebung des To
des zu geben vermag. Könnten tatsächlich sämtliche Weltin
241
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halte zum Gleichgewicht erhoben werden, könnte die Welt
tatsächlich zu einem Totalitätssystem geformt und umgeformt
werden, zu einem System, in dem jeder Teil den andern bedingt
und trägt, könnte dieser Zustand - der von der Wissenschaft im
streng Rationalen gesucht wird - tatsächlich eintreten, dann
wäre auch die endgültige Befriedung des Seins eingetreten, die
Erlösung der Welt, in die jedwedes metaphysisch religiöse
Streben der Menschheit münden will.
Der Erlebnisinhalt der Welt ist unerschöpflich, der Formenin
halt der möglichen Gleichgewichtsherstellungen muß also zu
immer reicheren und komplizierteren Formen anwachsen. Si
cher ist, daß ein Mensch, der nicht des Lebensreichtums teilhaf
tig ist, auch nicht die zur Bewältigung jener Lebensfülle not
wendige Formenmannigfaltigkeit beherrschen kann. Aber
ebenso sicher ist, daß jede Abstraktion vom Inhaltlichen eine
freiere Beweglichkeit der Form gestattet: wenn die Mathematik
in ihrem Formenfortschritt stets der empirischen Erkenntnis
vorauseilt, wenn sie die Formen vorbereitet, in welche die phy
sikalische Erkenntnis oft erst viele Jahre später eingegossen
wird, so ist hier nicht nur eine immanente mathematische Logik
autonom am Werke, sondern auch eine Ahnung des Weltge
schehens in seiner Gesamtheit, ein mystisch-irrationales Erfas
sen der Welttotalität, das - es seien bloß Leibniz, Euler1,
Gauß2, Cantor genannt - geradezu als Grundstimmung eines
jeden großen Mathematiker-Lebens und jeder produktiven
mathematischen Arbeit angesprochen werden kann. Und wenn
der Formenreichtum der Musik dem Weltreichtum noch viel
nähersteht und der Musiker jener Totalitätsstimmung noch viel
stärker unterworfen ist, so ist es wohl deshalb, weil über das
hinaus, was für den mathematischen Bereich gilt, hier die
Funktion der unmittelbaren und unmittelbar erlebten Zeitauf
hebung einsetzt, weil hier die unmittelbare Transformation der
Zeit in den Raum, die Transformation des Zeitablaufs in ein
räumlich-architektonisches Gebilde stärker denn anderswo zu
Bewußtsein kommt: die Musik besitzt die ganze Formenfreiheit
der Mathematik, gleich der Mathematik muß das musikalische
Denken in logischer Notwendigkeit stets nach neuen Formele
menten fahnden (die ihm auch tatsächlich unausgesetzt zuge
führt werden), und bietet also schon der jeweilige Elementen-
bestand eine unendliche Anzahl von Gleichgewichtskonstella
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tionen, so wird durch Hinzutritt eines jeden neuen Elementes
die Vielfalt ins Aberunendliche gesteigert, während das in glei
chem Maße sich vervielfältigende Gesamtsystem immer auf
nahmefähiger wird, immer fähiger, die Fülle der Elemente zu
assimilieren, das heißt, ihre reicher und reicher werdenden
Verbindungs- und Gleichgewichtsmöglichkeiten als Spiegel der
Weltvielfalt und Welttotalität, kurzum als Welterkenntnisse zu
erfassen, als Welterkenntnisse, die nun freilich - und damit er
reicht die Musik die ihr eigentümliche klar-erhabene Sphäre -
im Zeichen der Zeitaufhebung stehen. Es ist das Erkenntnis
zentrum der Musik. Denn die Architekturierung des Zeitab
laufes, wie sie von der Musik vollzogen wird, diese unmittelbare
Aufhebung der zum Tode hineilenden Zeit, ist auch die unmit
telbare Aufhebung des Todes im Bewußtsein der Menschheit.
Und da alle wahre Erkenntnis dem Tode zugewandt ist, die
nend dem Wissen um den Tod, daß er das Leben erfülle, und
da es keine Totalität der Welt gibt, die nicht den Tod in sich
schlösse, so ist es der Musik Vorbehalten, mit jeder Erkenntnis,
die sie ausspricht - nochmals sei Beethoven erwähnt - , einen
Befreiungsakt auszulösen, irrational und mystisch, dennoch
von überzeugender Strenge, einen Akt der Erkenntnis, der in
einem einzigen Kunstwerk die Totalität der Welt erstehen läßt,
monadischer Spiegel des unendlichen Vorganges.
Die irrationale Erkenntnis, vor allem also die künstlerische,
unterscheidet sich von der wissenschaftlichen durch den Totali
tätsanspruch des einzelnen künstlerischen Aktes, den Totali
tätsanspruch des einzelnen Kunstwerks, das selbst in einer Ein
zelerkenntnis noch immer die ganze Welt umschließt, während
das wissenschaftliche Einzelresultat nur im Hinblick auf die
ewig fortschreitende Gesamtwissenschaft seinen Eigensinn be
wahrt. Wo immer ein konservatives Lebensgefühl auftritt,
gründet es sich letztlich in dem Wissen um das ruhende, irratio
nale Weltgefühl, das den Tod und das Leben umspannt, gründet
es sich in dem Geist, dessen auch der Einfältige - und vielleicht
gerade dieser im allerreichsten Maße - teilhaftig werden kann,
es gründet sich im Vorhandensein des Kunstwerkes, des G e
dichtes und des Liedes, das die Erkenntnis des Einfältigen ist,
und der ganze Argwohn jenes Lebensgefühls wendet sich gegen
den Fortschritt, den es als Repräsentanten des Intellektes be
trachtet, gegen einen Fortschritt, in dem es den Absturz ins
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Böse und in den Tod sieht. Und zu allen Zeiten, in denen der
Intellekt den Geist verraten hat, in denen er seines geistigen
Urgrundes verlustig gegangen ist, wird das konservative Welt
gefühl mit solchem Argwohn recht behalten. Aber es ist sein -
gewiß tragisches - Schicksal, daß es aus eben diesem Grunde
auch übersehen muß, wie nichts auf der Welt fähig ist, irgend
eine Fortentwicklung aufzuhalten, weil nichts auf der Welt dem
Logos, der in allem Fortschritt wirkt, sich entgegensetzen kann.
Ebenso wie es falsch ist, den rationalen Fortschritt zu bekämp
fen, weil seine Schritte im Endlichen bleiben und er daher nicht
die Mission besitzen könne, sich dem Unendlichen und dem
Göttlichen anzunähern, ebenso falsch ist es, das Irrationale als
das Gnadengeschenk schlechthin, als statisch ruhend und
unendlich anzusehen und zu meinen, daß ein vages Irrationales
(auf das sich alles Konservative so gerne beruft) keines Fort
schrittes bedürfe: auch hier gilt der Satz vom ausgeschlossenen
Dritten nicht, und das Irrationale als unendlich oder als statisch
zu definieren, bloß weil es »anders« als das Rationale sein soll,
das als dynamisch fortschreitend und endlich angenommen
wird, ist einfach unzulässig. Denn auch die irrationale Erkennt
nis präsentiert sich in der endlichen Sphäre, selbst in der mysti
schen Emanation tut sie dies, und erst recht im Kunstwerk, das
ihre eigentliche irdische Domäne ist. Und mag auch jedes
wahre Kunstwerk in sich ruhen, mag auch in diesem In-sich-
Ruhen die Totalität der Welt [sich] widerspiegeln, so bleibt es
dennoch endlich und begrenzt, mehr noch, es bleibt Ausdruck
einer begrenzten Erkenntnis, da der Mensch und mit ihm das
Kunstwerk nirgends und niemals über Einzelerkenntnisse hin
auszureichen imstande ist. Jede Einzelerkenntnis aber muß
durch neue Erkenntnisse abgelöst werden, und jede neue Er
kenntnis verlangt nach einer neuen Form, nicht nur nach einer
fortentwickelten Form wie in der Wissenschaft - auch dies ein
Unterschied zwischen rationaler und irrationaler Erkenntnis - ,
sondern nach einer völlig neuen Gleichgewichtskonstellation:
die Kunstwerke lösen einander ab, und jedes einzelne ist unter
der Forderung größtmöglicher Annäherung an die Idee gestellt,
und wenn es also - im Gegensatz zur Wissenschaft, die sich als
Gesamtsystem immer mehr der »Wahrheit« annähert - , nicht
»die Kunst« als Ganzheit gibt, als ein »System«, das wie die
Wissenschaft als ganzes zielgerichtet wäre, wenn es sich also
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hier auch nicht um einen Systemfortschritt handelt, sondern um
den Wechsel einzelner kunstwerklicher Monaden, so ist trotz
dem in dem Fortschreiten von Kunstwerk zu Kunstwerk, ist in
der immanenten Logik, mit der sich die Stile und Kunstformen
verändern, der Fortschritt von Erkenntnis zu Erkenntnis gege
ben, gewiß, von irrationaler Erkenntnis zu irrationaler E r
kenntnis, aber auch diese Entwicklung ist dem Logos unter
worfen. Und weil der Logos das Göttliche vor sich sieht und
nicht sich zurückzuwenden vermag, muß er auch in der irratio
nalen Erkenntnis das Neue wollen und zu neuen Werten drän
gen: Verwirklichung des Logos, das ist die religiöse Aufgabe
der Kunst, ist Aufgabe ihrer irrationalen Erkenntnis.
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Uber syntaktische und kognitive Einheiten
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Frage, so wird man mit Notwendigkeit auf die »Gesetzlichkei
ten« verwiesen, die - non-empiristisch, non-positivistisch - den
gemeinsamen Idealbestand von Kunst und Natur bilden. Mit
andern Worten, es geht um die apriorisch-logischen Elemente,
auf denen alle Gesetzlichkeit, soll sie echte Gesetzlichkeit sein,
sich begründet.
Kunst-Gesetzlichkeiten geraten - ein bekanntes Phänomen
der Geistesgeschichte - ebenso leicht in Verruf wie sie hinter
her bald wieder zu Ehren geraten. Am haltbarsten haben sich
bisher unzweifelhaft die musikalischen Gesetze erwiesen, we
niger haltbar die der bildenden Künste, während die Dicht
kunst, trotz Aristoteles, sich kaum Regeln, geschweige denn
Gesetze geben ließ. Hat also die Musik festere apriorische
Grundlagen als die bildende Kunst und diese ihrerseits festere
als die Dichtung? Sicherlich nicht: Aprioritäten sind allgemein
gültig, nämlich unabhängig und unbeeinflußbar vom jeweiligen
Ausdrucksmittel. Dahingegen läßt sich vertreten, daß mit zu
nehmender Entfernung von den reinen Formalbereichen, also
dem mathematischen einerseits, dem musikalischen anderer
seits, in denen das Apriorische mit voller Klarheit zutage tritt
und geradezu sclbstevident wird, eine zunehmende Apriori-
tätsverdunkelung Platz greift, eine zunehmende Überdeckung
der Selbstevidenz durch die sich häufenden empirisch-inhaltli
chen Bestimmungsstücke, und daß daher im gleichen Maße die
Fähigkeit zur scharfen Gesetzesformulierung abnimmt, abneh
men muß.
Nichtsdestoweniger: selbst dort, wo solche Überdeckung das
Zustandekommen klar formulierbarer Kompositionsregeln
verhindert, selbst unter solcher Überdeckung bleibt die logi
sche Kraft der apriorischen Grundlagen ungeschwächt, und
wenn auch die von ihr erzeugten Gesetzlichkeiten ein bloß lok-
keres und daher nicht ohne weiteres erkennbares Aussehen ha
ben, sie sind doch durchgängig vorhanden. Dies soll mit den
folgenden Beispielen aus dem Gebiet der sprachlichen Stilistik
und Syntax gezeigt werden. Und da hiezu eine empiristische
oder positivistische Annäherung keinesfalls ausreicht, mag sich
daran, sozusagen als Nebenresultat, auch deren allgemeine und
prinzipielle methodologische Schwäche bestätigen.
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1. Syntaktische Einheiten
Die kleinste syntaktische Einheit, kurz die »Syntax-Einheit«
genannt (das Syntax-Element), ist der Satz. Es gehört zum We
sen des Satzes, daß er sich mit andern Sätzen zu »höheren«
Syntax-Einheiten, also fürs erste zu Absätzen zusammenfügen
läßt, aus denen in analoger Weiterentwicklung die nächsthöhe
ren Einheiten wie Kapitel, Buchabschnitte usw. und schließlich
Buchganzheiten entstehen.
2. Eidetische Einheiten
Im Rahmen der Sprache vollzieht sich alles nach ihrer eigenen
autonomen Logik, und alles, was in ihr geschieht, ist an dieser
innern Logik und an nichts anderem zu begründen. Warum also
gibt es Sätze, Absätze und die weiteren Syntax-Einheiten?
Etwa um dem Auge des Lesers Ruhepunkte zu gewähren? oder
um es mit ornamental-dekorativen Gliederungen zu erfreuen?
Das sind Begründungen, die mit der autonomen Sprachlogik
nichts zu schaffen haben und daher für sie und infolgedessen
auch überhaupt sinnlos sind. Dagegen ist es der Sprache im
Rahmen ihrer Autonomie aufgetragen, kognitive Gebilde, die
im Geist des Sprechenden und letztlich im Menschengeist als
solchem aufgetreten sind und auftreten, tunlichst genau hör-
und sichtbar zu machen, und da dies die einzige Aufgabe der
Sprache ist, muß wohl auch der Sinn der verschiedenen Sprach-
formen hier verankert sein.
Damit wird die Prävalenz des Apriorischen auch von der
Sprache selbst statuiert. Das soll nicht besagen, daß darob die
sprachpsychologischen Momente vernachlässigt werden dür
fen, die überall ausschlaggebend sind, wo empirisch sprechende
Individuen (insbesondere wo sie eine gleichsprachige Gruppe
bilden) in Betracht kommen. Und es darf auch nicht übersehen
werden, daß das Psychologische mit all seinen Empirien und
Halb-Empirien, ja sogar das Sprachliche als solches ins Er
kenntnistheoretische zurückwirkt und hier Schein-Aprioritäten
erzeugt, die bloß in stetiger phänomenologischer Analyse ent
deckt und ausgemerzt werden können. Zum Beispiel sind unter
den psychologischen und sprachlichen Voraussetzungen des
chinesischen Geistes offenbar Aprioritäten entstanden, die ihm
nicht nur die Schaffung einer eigenen Erkenntnistheorie ent
behrlich machen, sondern ihm auch die westliche als etwas voll
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kommen Fremdes, kaum Begreifliches erscheinen lassen. Vom
Empirischen und vom Psychologischen her ist also jeder Rela
tivismus, ist jeder Pragmatismus gestattet und oftmals sogar ge
boten. Trotzdem hat er nicht das letzte Wort. Denn wenn auch
der phänomenologische Säuberungsprozeß niemals beendet ist,
und wenn er auch den apriorischen Bestand immer mehr ein
schränkte, es ist gleichgültig, wie klein oder wie groß der jeweils
verbleibende Aprioritätskern ist: lediglich seine Unver-
schwindbarkeit gilt, und sie gilt auch für die Sprache, d. h. liefert
die Legitimation zur Aufsuchung der Wurzeln von Sprachfor-
men in dem apriorisch konstituierten erkenntnistheoretischen
Bereich.
Kurzum, es geht um die erkenntnistheoretische Dirigierung
des Sprachaktes. Von der Sprache her wird nichts »gemeint«,
vielmehr wird sie, unbeschadet ihrer Autonomie, von einem
»meinenden Akt« der Erkenntnis dirigiert, und ihre Struktur
gebilde, also vor allem die Syntax-Einheiten wie der Satz, der
Absatz usw. werden bloß dann sinnvoll, und zwar ebensowohl
im sprachlichen wie im kognitiven Verstände sinnvoll, wenn als
Ergänzung zu ihnen ideale, nicht-empirische Kognitiv-Gebilde
angenommen werden, mit denen sie in einem Entsprechungs-
Verhältnis stehen und deren Ausdruck sie sein sollen: diese
idealen Kognitiv-Einheiten, welche von der »meinenden« Er
kenntnis den Syntax-Einheiten beizugesellen sind, sollen dem
Sachverhalt entsprechend »Eidos-Einheiten« genannt werden.
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konsekutiver »Situationen« als Ganzheit erfaßt. Entweder also
werden die Veränderungen innerhalb eines Weltausschnittes
willkürlich bis zu einem gewissen Grad vernachlässigt und hie
durch eine (über jenen einzigen Augenblick hinausreichende)
lediglich fiktiv statische »Situation« zuwege gebracht - z. B. in
dem Ausdruck »flackerndes Licht«, das ungeachtet seiner
Flackerveränderungen als unveränderliche Situation für
Leuchtdauer genommen wird oder aber es werden die Ver
änderungen ausdrücklich miterfaßt und solcherart der Welt
ausschnitt zu einem »Vorgang« verwandelt. Dabei darf aller
dings nicht vergessen werden, daß auch der »Vorgang« eine
»Situation« ist, und zwar die der »Grenze« zwischen »Situa
tion« und »Nachbarsituation«; der »Vorgang« ist die »Zwi
schensituation« zwischen zwei aufeinanderfolgenden Filmbil
dern, und nur indem die »Grenze« zwischen ihnen als distinkte
Situation erfaßt wird - wie dies z. B. mit dem Ausdruck »verlö
schendes Licht« (wohlunterschieden vom »flackernden«) ge
schieht - , nur hiedurch wird der »Unterschied« zwischen zwei
Situationen und damit die Veränderung, auf deren Erfassung
der »Vorgang« beruht, im wahrsten Wortsinn »festgehalten«.
Der Vorgang läßt sich im allgemeinen praktisch ebensowenig
isolieren wie die »Elementarsituation«, aber vorausgesetzt, daß
ein solcher Idealfall zu etablieren wäre, läßt sich als Parallele
zu ihr mit Fug von »Elementarvorgängen« sprechen.
Ebenso legitim scheint es zu sein, Eidos-Einheiten, welche auf
Elementarvorgänge und -Situationen bezogen sind und sie
»meinen«, als »eidetische Elementar-Einheiten« zu bezeich
nen. Mit andern Worten, es erscheint die Annahme erlaubt, daß
die Eidos-Einheit in diesen Fällen keinen Unterschied zwischen
Situation und Vorgang macht, keinen Unterschied zwischen
dem statischen Charakter des einen und dem dynamischen des
andern: Eidos-Einheiten sind Ganzheiten, und sie können auch
immer nur Ganzheiten »meinen«, also Gebilde, die für den
Meinungs-Akt »statisch« sind, wie immer dynamisch sie in ih
rem »Innern« sein mögen. Und die »Situations-Qualität« der
Vorgänge ist durchaus geeignet, solche Annahme zu stützen.
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hat diese erzeugt, um durch sie (und durch kein anderes Mittel)
ans sprachliche Licht gebracht zu werden. Die Eidos-Einheit ist
durch die Syntax-Einheit zu repräsentieren, weil sie nur durch
diese repräsentierbar ist: positivistisch gesehen ist das eine
Tautologie, entstanden aus der willkürlichen Verdoppelung der
empirischen Syntax-Einheit durch eine nur hypothetisch ge
setzte, jedenfalls unnachweisbare und daher im Grunde nicht
existente Eidos-Einheit.
Vor allem kann und muß hiezu vorwegnehmend zugegeben
werden, daß der Tautologie-Vorwurf so lange unwiderlegbar
bleibt, als bloß mit »eidetischen Elementar-Einheiten« - und
andere Eidos-Einheiten sind bisher nicht aufgetaucht - operiert
wird. Allerdings bedarf auch dies einer Begründung. Mit dem
allzu simplen Begriff der Verdoppelung ist da nämlich kein
Auslangen zu finden. Denn nicht nur, daß die Eidos-Einheiten
als statische Ganzheiten angenommen sind, während die empi
rische Sprache lediglich in ihren Einzelvokabeln rein statisch
ist, sofort aber dynamisches Gepräge erhält, sobald Vokabeln
in syntaktische Verbindungen eingehen und damit die Bildung
von Sätzen und höheren Syntax-Einheiten inaugurieren, es er
gibt sich hieraus auch ein anscheinend noch »untautologische-
res« Problem, da nun notwendigerweise gefragt zu werden hat,
wie die statische Eidos-Einheit sich überhaupt in dem vor
nehmlich dynamischen Gebiet der Syntax-Einheiten repräsen
tieren läßt, ohne daß sie dabei in sprachlogische Kollisionen ge
rät. Gewiß, die »eidetische Elementar-Einheit« ist mit ihrem
»Meinungs-Akt« auf die vornehmlich statischen Elementarge
bilde gerichtet, und selbst wenn sie auf den »Vorgang«, den
Elementarvorgang bezogen ist, so ist er für sie mit den stati
schen Qualitäten der Elementarsituation ausgestattet. Doch ist
darum auch der »Satz«, der als elementare Syntax-Einheit ge
rade zur Darstellung jener Elementarformen berufene und
verpflichtete Satz, mit ähnlichen statischen Qualitäten ausge
stattet worden, auf daß er, trotz seiner offenbar dynamischen
Struktur, die ihm vorgeschriebene Darstellungs-Aufgabe er
füllen kann? Kurzum, diese Frage muß mit einem Ja zu beant
worten sein, wenn der Tautologie-Vorwurf rechtskräftig wer
den soll.
Der indogermanische Satz eröffnet eine Aussicht auf solch
bejahende Antwort. Die indogermanischen Sprachen »drama
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tisieren« ihre Sätze; das Satzsubjekt ist eine Projektion des
sprechenden Subjektes, und die Verben, nicht zuletzt die Hilfs
verben »sein« und »haben«, stellen seine Beziehungen zur
Umwelt, seine Identifikationen mit ihr, seine besitzergreifen
den Zugriffe nach ihr, dramagleich als seine Aktionen dar. Es
findet also in der Satzstruktur, unabhängig von allem Inhalt,
eine Verschmelzung statischer und dynamischer Momente statt
- Ich-Stabilität des Satzsubjektes, Aktivitätsvielfalt des Ver
bums - , eine Verschmelzung, die so eindringlich an das Ver
wandtschaftsverhältnis zwischen den Elementarsituationen
und -Vorgängen gemahnt, daß sie geradezu als sein abstraktes,
inhaltsentblößtes Spiegelbild genommen werden kann, umso
mehr als auch hier - und damit meldet sich, eben nicht uner
wartet, die Prävalenz des Statischen im Dynamischen an - das
Situationshafte eine bemerkenswerte Assimilationskraft für
das Dynamische an den Tag legt: das wird vom Objekt geleistet;
denn wenn auch das Objekt sich wie ein Bestimmungsstück
zweiten Ranges gebärdet, manchmal sogar wie eine bloße Set
zung des Subjektes, jedenfalls Subjekts- und prädikatsabhängig
und manchmal völlig aus dem Satz verschwindend, als Funktion
verschwindet es niemals, und vermöge dieser Funktion hält es
die Dynamisierung, die der Satz durch das Verbum erfährt, in
statischen Schranken, d. h. bannt sie in die Satzstruktur, in die
»Satzsituation«. Mit andern Worten, die Satzdynamik wird
zwar nicht vernichtet, kann auch gar nicht vernichtet werden,
aber sie wird limitiert, wird auf die zwischen Subjekt und Ob
jekt gespannte Verbalbewegung eingeschränkt, wird zu einer
»satz-internen Begebenheit« verwandelt, und eben hiedurch
empfängt der Satz den Charakter einer statischen Ganzheit,
den Charakter eines »Begriffes« und sohin auch den einer Vo
kabel, als die er nun seinerseits in andere, in neue, in höhere
syntaktische Verbindungen einzutreten befähigt wird.
Bei dieser statischen Grundfärbung der Satzstruktur wird es
durchaus selbstverständlich, daß der Satz ohne weiteres als Re
präsentant eidetischer Einheiten dienen kann. Ebenso selbst
verständlich aber ist es, daß eine so stark statisch gefärbte Satz
struktur sich ausgezeichnet als Vorbild für Eidos-Einheiten
eignet und daher - in schöner und bestätigender Übereinstim
mung mit dem Tautologie-Vorwurf - sich leicht zur Herstellung
solch nichtexistenter eidetischer Gebilde benützen ließe, die
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dann wirklich nichts anderes als Projektionen ins Leere wären.
Zumindest ist das Gegenteil, nämlich die Notwendigkeit ihrer
realen Existenz, nicht zu beweisen, so lange sie bloß als eide-
tische Elementar-Einheiten gedacht sind. Nichtsdestoweniger
-tro tz des zutreffenden Tautologie-Vorwurfes - wäre es offen
sichtlich unzutreffend, einfach von Verdoppelung zu sprechen:
der Gott, der das Ebenbild des Menschen ist, verdoppelt diesen
nicht, sondern ist etwas anderes, ist es sogar, etwas paradox
ausgedrückt, schon vermöge seiner Nicht-Existenz, d. h. ver
möge der logischen Operationen, denen es gegeben ist, im
Nicht-Existenten Setzungen vorzunehmen. Auch die mathe
matische Gleichung hat tautologischen Charakter und ist nicht
nur eine Aufspaltung einer Identität, sondern ist Aufschluß lo
gischer Strukturen und produktive Einsicht in sie. Wenn also
auch dem eidetischen Bereich die tautologischen Grundlagen
(unter gewissen Einschränkungen) nicht abzusprechen sind, sie
dürfen als gleichungs-ähnlich anerkannt werden, da die auf ih
nen fußende Analyse der Satzstrukturen eine Einsicht über sie
aufschließt, die sonst nicht ohneweiters begründbar wäre.
Das wird noch deutlicher, wenn die Strukturanalyse des Sat
zes, wie es ihm als Sprachakt durchaus gebührt, auf eben diesen
Akt angewandt wird: das Aussprechen oder Niederschreiben
des Satzes vollzieht sich in der Zeit, und demgemäß muß auch
das merkwürdige Phänomen der »satz-internen Begebenheit«,
das Phänomen der Satz-Statik unter weiterwirkender innerer
Satz-Dynamik gleichfalls ein Zeit-Phänomen werden - das ge
schieht in dem womöglich noch bemerkenswerteren Phänomen
der »Simultaneität«. Mit andern Worten, die Satz-Dynamik
wird einerseits durch das Verbum - nicht umsonst heißt im
Deutschen das Verbum eben Zeitwort - zeitlich vorwärtsge
trieben, wird aber andererseits von der Subjekt-Objektbezie
hung auf das Satz-Innere beschränkt und ins Statische rückver
wandelt, so daß diese Beziehung, obwohl sie von der
Verbaldynamik erzeugt ist, sich als eine präsentiert, in der, zu
mindest »satz-intern«, das Zeitliche aufgehoben wird, d. h.
Subjekt und Objekt in ein Simultan-Verhältnis gesetzt werden.
Hiezu ist nun zu halten, daß von den »eidetischen Elementar-
Einheiten« stets Elementarsituationen und -Vorgänge »ge
meint« werden müssen, daß diese, gleichgültig ob auf die äu
ßere oder innere Welt bezogen, stets in einem einzigen
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Erkennungsakt oder - zeitlich gesprochen - in einem einzigen
Augenblick zu erfassen sind, daß sie daher als »Augenblicks-
Ganzheiten«, wie man sie wohl nennen könnte, zu gelten ha
ben, als Augenblicks-Ganzheiten statischen Gepräges, und daß
infolgedessen auch ihr sprachliches Korrelat, nämlich die klein
ste Syntax-Einheit, kurzum der »Satz«, soll er echtes Korrelat
sein, eine analoge, wenn nicht gar die identische »Augen
blicks-Qualität« aufzuweisen hätte: genau dies wird von der
Satz-Simultaneität geleistet, denn diese Simultan-Beziehung,
in der alle Teile eines richtig konstruierten Satzes zueinander
stehen, ist zeitaufhebende Statik und schließt das Augenblicks
hafte in sich ein.
Am Simultaneitäts-Phänomen wird der meinende, der eidos-
setzende Denkakt formal mit dem Sprachakt identisch, und
hieraus ergibt sich eine Grundregel, die sich in der Sprachpraxis
immer wieder verifiziert; auf einfachste Form gebracht lautet
sie: »Ein Gedanke (ein Augenblick), ein Satz - ein Satz, ein
Gedanke (ein Augenblick)«, und mit dieser Reversibilität wird
auch die dahinter stehende Tautologie ausgedrückt.
»Ein Gedanke, ein Satz - ein Satz, ein Gedanke« bedeutet im
allgemeinen, daß ein Satz tunlichst ohne Bruch bis zur völligen
Ausschöpfung des Gedankens weitergeführt werden soll. Doch
ein Gedanke kann in einem einzigen Augenblick Ganzheiten
von außerordentlicher Ausdehnung umfassen, eben ganze Se
rien konsekutiver Situationen, deren Statik, sei es durch fiktive
Vernachlässigung der Veränderungen oder anderswie, erzielt
ist, und da die Sprache zwar logisch, aber niemals starr ist, ge
stattet sie in solchen Fällen den Übergang auf nächsthöhere
Syntax-Einheiten, also zuerst einmal auf den Absatz, und
ebenso gestattet sie, freilich ohne es vorzuschreiben, daß dann
innerhalb des Absatzrahmens der Hauptgedanke (gemäß sei
nen konsekutiven Situationen) durch einzelne Kurzsätze zur
Darstellung gebracht werde. Das ergibt zwar eine Abänderung
der Grundregel auf »Ein Gedanke, ein Absatz - ein Absatz, ein
Gedanke«, allein, es soll darüber nicht vergessen werden, daß
hiebei - da nichts von alldem über den Bereich der Elementar-
Einheiten hinausreicht - der Absatz einfach die Funktion des
Satzes übernommen hat, daß daher die Absatz-Ganzheit für
die Satz-Ganzheit steht und deren Unterteilung in Kurzsätze
eine logisch nicht unbedingt notwendige Konzession
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ist, also auf diese Weise eigentlich Pseudo-Absätze und bei
Fortsetzung des Verfahrens Pseudo-Kapitel usw., kurzum
»pseudo-höhere« Syntax-Einheiten erzeugt werden.
Ein Musterbeispiel für derartige Sachverhalte liefert das letzte
Kapitel des Ulysses, das mit seinem einzigen kapitellangen Ab
satz, mit seinem einzigen kapitellangen und überdies inter
punktionslosen Satz die Ganzheit einer (vielleicht bloß sekun
denlangen) Situation, eines einzigen situationshaften Vorgan
ges, wahrhaftigst einer Elementarsituation und eines Elemen
tarvorganges, innermonologisch als einen ungebrochen-einzi
gen Gedanken behandelt und eben hiedurch zu vollkommen
statischer Einheit bringt. Das Beispiel ist um so signifikanter,
als es die ganze positivistische Einstellung Joyces sichtbar
macht: gerade seine Sprachmystik kann durchweg als Positivis
mus verstanden werden, d. h. als ein Glaube an das Reversibili
tätsverhältnis zwischen Gedanken und Sprache, und von hier
aus läßt sich wohl auch verstehen, daß Joyce überall zu Ele
mentarsituationen und -Vorgängen gelangen will, daß er für sie,
die zu äußerster Sprachprägnanz gebracht werden sollen, den
»statischsten« Simultanausdruck, also womöglich die Vokabel
braucht, und daß er zu solchem Ziel seine Methode der poly
glotten Wortkondensation hat erfinden müssen.
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licht hat, nicht auf ein ganzes Buch ausgedehnt werden können?
Immerhin, üblich ist solch monströse Ausdehnung der »eide-
tischen Elementar-Einheit« sicherlich nicht. Üblich ist viel
mehr, daß die höhere Syntax-Einheit ein Aggregat von Einhei
ten niedereren Grades bildet, deren jede für sich eine eigene,
distinkte Eidos-Einheit repräsentiert, so daß das Fortschreiten
von Syntax-Einheit zu Syntax-Einheit, zugleich auch einen
Fortschritt von einer Elementar-Einheit zur benachbarten, von
einer »Augenblicks-Ganzheit« zur benachbarten wiedergibt
und damit einen zeitlich-dynamischen Fortschritt im Rahmen
der höheren Syntax-Einheit darstellt. Ein Absatz, der aus fol
genden drei Sätzen besteht,, »Die Stube ist dunkel. Ein Mann
erscheint mit einer Kerze in der Türe. Die Stubenmitte ist be
leuchtet, aber die Ecken bleiben im Schatten« . ein solcher
Absatz enthält einen zeitlich-dynamischen Fortschritt, gekenn
zeichnet durch drei Elcmentar-Situationen, durch drei »Au
genblicks-Ganzheiten«, durch drei Sätze, die (reversibel) drei
distinkte Eidos-Einheiten repräsentieren, doch als Repräsen
tant von drei gesonderten »Augenblicks-Ganzheiten« kann
dieser Absatz in seiner dreigeteilten Gesamtheit keine einheit
liche »eidetische Elementar-Einheit« mehr repräsentieren: die
Reversibilität ist aufgehoben, und die angeblich hinter der Syn
tax-Einheit des Absatzes stehende Eidos-Einheit ist unsichtbar
geworden. Ist also bei solcher Unsichtbarkeit der Eidos-Einheit
die Syntax-Einheit des Absatzes nicht eben doch nur ein Satz
konglomerat, dessen Länge und Konstruktion dem Ermessen
des Redenden oder Schreibenden, seiner Willkür, seinen opti
schen und dekorativen Bedürfnissen anheimgegeben ist? Oder
ist es nicht doch möglich, diese im wahrsten Wortsinn »unna
türliche« Willkür zu durchbrechen, d. h. die fehlende Eidos-
Einheit, die freilich nun keine »eidetische Elementar-Einheit«
mehr sein könnte, doch noch aufzufinden? Gelänge das, so
ließe sich auch wieder hoffen, daß eine »natürliche«, willkür
freie Aufbauregel für die Konstruktion und Länge der höheren
Syntax-Einheiten etwa doch noch nachzuweisen wäre. Die
Frage zielt also in erster Linie auf die Nachweisbarkeit eines »es
gibt« für jene vorderhand unauffindbaren höheren Eidos-Ein
heiten.
Der Positivismus, welcher Art er auch immer sei, lehnt jedes
derartige »es gibt« strikt ab; bei allem Zutrauen zur logischen
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Deduktionskraft des Menschengeistes ist es ihr aus guten (on
tologiefeindlichen) Gründen positivistisch unerlaubt, Reali
tätsaussagen zu machen: soll ein »es gibt« trotzdem erlaubt
werden, so bedarf es doppelter Annäherung, erstens die der lo
gischen Erschließung und zweitens die der empirischen Bestä
tigung im Realbereich der konkreten Sinneseindrücke und der
mit ihnen verbundenen konkreten Intuitionen. Kurzum, ein
noch so scharf und einwandfrei funktionierendes Detektivge
hirn läuft mit seinen logischen Indizienschlüssen ins Leere,
wenn das supponierte Verbrechen konkret nicht vorhanden ist,
und der scharfsinnigste Gottesbeweis schwebt im Vakuum,
wenn sein Resultat »Es gibt Gott« keine Bestätigung in der
konkreten, gnadegetragenen Gotteserfahrung findet; ein Satz
wie »Es gibt höhere Eidos-Einheiten« ist daher unter positivi
stischer Beleuchtung einfach Theologie (umsomehr, als Gott
sicherlich als höchste Eidos-Einheit zu gelten hat), und als
Theologie wird die Satz-Aussage zu einem Gebilde, das außer
halb des wissenschaftlichen Sprachraumes lokalisiert zu werden
hätte. Mit andern Worten, der Positivismus und insbesondere
der Sprachpositivismus, dem die Sprache die letztmögliche,
letztanalysierbare Realitätsinstanz ist, kann zur Not gerade
noch die »eidetischen Elementar-Einheiten« akzeptieren, ob
wohl er sic wegen ihrer Reversibilität als überflüssige Annah
men einschätzt, aber er hält die Hypothese irreversibler höhe
rer Eidos-Einheiten, zu denen sich kein sprachliches Korrelat
aufweisen läßt (wie in jenem Beispiel von den willkürlich in ei
nem Absatz zusammengefaßten drei Sätzen), wissenschaftlich
für überhaupt unerlaubt.
Nichtsdestoweniger läßt sich behaupten, daß im positivistisch
gesäuberten Wissenschaftsbereich, ja gerade in ihm, sich ein
Zugang zur Statuierung höherer Eidos-Einheiten auftut. Das
wissenschaftliche Kern-Gebiet, die Mathematik, ist ein System
reiner Deduktionen, und zu deren Darstellung hat sie sich eine
Sprache geschaffen, in der sich Gedanke und Ausdruck bis zur
Identität decken, also vollkommene Reversibilität herrscht, so
daß sogar der Positivist, selbst wenn er es im allgemeinen für
überflüssig hält, dem mathematischen Sachverhalt eidetische
Realität zuerkennen mag. Und das tut er auch tatsächlich, und
zwar in Gestalt einer Einschränkung: denn wenn auch hier im
Bereich der reinen Deduktion die Realitätsbestätigung durch
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die konkret-sinnenhafte Empirie offenbar wegfällt, es besitzt
die Mathematik dennoch ihre eigene, autonome Empirie, näm
lich die der wirklich vorhandenen, wirklich geschaffenen Zahl
formen (angefangen mit denen der natürlichen Zahlen), und
eben von dieser spezifisch mathematischen Empirie nimmt die
positivistische Säuberungsaktion, hier unter dem Namen
»mathematischer Intuitionismus«, ihren Ausgang, indem sie
verlangt, daß Zahlkategorien, die mitsamt ihrem Existenzan
spruch ausschließlich aus dem deduktiven »es gibt« resultieren,
ohne daß hiezu reale, mathematisch-empirische Zahlbeispiele
beizubringen sind, nicht als Deduktionsbasen für weitere
mathematische Operationen verwendet werden sollen. Das ist
zwar eine Einschränkung der Operationsweite im mathemati
schen Eidos-Bestand, läßt aber den in ihm vor sich gehenden
infiniten Prozeß mathematischer Realitätsschaffung durchaus
intakt, mehr noch, verleiht ihm - und das ist das wesentliche -
erhöhte Realitätsfestigkeit: Mathematik kann als die Wissen
schaft von der Gesamtmasse aller möglichen Beziehungen zwi
schen »eigenschaftslosen Dingen« definiert werden, und diese
Definition bleibt unerfüllt, wenn nicht, gemäß der positivi-
stisch-intuitionistischen Forderung, zu jeder neuentdeckten Be
ziehung auch das zugehörige Bezug-Ding, das ist eine empirisch
sichtbare oder zumindest potentiell sichtbar zu machende, reale
Zahlform, aufgewiesen werden würde. Gleichgültig also, ob
und wie weit die mathematische Sprache eine Unterteilung in die
gebräuchlichen Syntax-Einheiten (als Spiegelbilder ent
sprechender Eidos-Einheiten) gestattet, ihre Reversibilität
verbürgt den eidetischen Charakter des mathematischen Be
standes, und nicht nur daß er infolge seiner Exaktheit eine ex
akte, vielleicht die einzige exakt-erfaßbare Eidos-Einheit ist, er
ist unzweifelhaft auch eine höheren Ranges, ja unaufhörlich
wachsenden Ranges, denn die Iteration der deduktiven Opera
tionen, die schrittweise von einer Zahlkategorie zur nächsthö
heren, von den natürlichen Zahlen zu den rationalen, von die
sen zu den irrationalen usw. bis zu den transfiniten und deren
weiteren Staffelungen stetig aufsteigen, schafft eine unendliche,
niemals abschließbare Hierarchie eidetischer Kategorien: hie
bei entsteht - und zwar sowohl im vertikalen Aufbau wie in den
Kategorienverkreuzungen - eine infinit-dimensionale Be
ziehungsvielfalt, die an Mächtigkeit die finit-dimensionale Viel
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falt der in der empirischen Welt möglichen Beziehungen über
trifft, »unendlich« übertrifft und eben darum auch Gewähr bie
tet, daß diese Welt-Dinge, sofern sie »eigenschaftslos« genom
men werden, mit ihren Beziehungen (angefangen mit ihrer Ab
zählbarkeit) sich immer auf irgendein Segment des mathemati
schen Bestandes abbilden lassen, kurzum, daß die Welt in zuneh
mendem Maße »mathematisierbar« wird. Die empirischen
Weltbeziehungen sind gewissermaßen eine Untermenge der
mathematischen, und gerade daran wird die autonome Empirie
der Deduktion, die eidetische Qualität der Mathematik sichtbar.
»Es gibt« also höhere Eidos-Einheiten, und die Mathematik
ist infolge ihrer Empirie (besonders nach intuitionistischer Rei
nigung) ein auch positivistisch ausreichendes Beispiel hiefür.
Ob jedoch die Feststellung über das Beispiel hinaus ausgedehnt
werden darf, d. h. ob das »es gibt« auch für jene höheren Ei
dos-Einheiten gilt, welche den sprach-empirischen höheren
Syntax-Einheiten zugeordnet werden sollen, ist damit noch
nicht ausgemacht; es ist lediglich die Möglichkeit hiezu eröff
net. Immerhin spricht dafür, daß die menschliche Deduktions
kraft keine partielle sein kann, ja, daß es absurd wäre, sie auf
den Bereich der eigenschaftslosen Gegenstände einschränken
zu wollen: selbst zugegeben, daß jede Eigenschaft letztlich (und
zwar sowohl empirisch wie erkenntnistheoretisch) die »Super-
Eigenschaft« der Mathematisierbarkeit besitzt, nämlich die
Auflösung ins Eigenschaftslose gestattet, und daß alles logische
Hantieren mit eigenschaftsgefüllten Inhalten, kurzum alle In
haltsdeduktion, oder präziser alle Inhaltsdialektik Selbsttäu
schung ist, weil sie im Grunde eben doch immer nur am eigen
schaftslosen Begriffsskelett ansetzen kann und von ihm
Gültigkeit empfängt, selbst das alles zugegeben, es bleibt trotz
dem - als das große Geheimnis der Individuation - ein »In
haltsüberschuß«, der zwar ständig zu verkleinern ist, niemals
jedoch zur Gänze verschwindet, und darum darf (bestätigt von
der Psychologie) vertreten werden, daß ohne ein unaufhörlich
wirkendes Wissen um Eigenschaftsganzheiten und Eigen
schaftszusammenhänge das menschliche Individuum seinen
Alltag nicht einmal im Rationalsten, geschweige denn im Irra
tionalen auch nur für eine halbe Stunde zu bewältigen ver
möchte. Die platonisierende Scholastik hat mit der ihr eigen
tümlichen Spekulationsschärfe dieses aller Erkenntnis so
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unumgänglich erforderliche Hintergrundwissen als eine Parti
zipation am göttlichen Denken und seiner reinen Ratio agnos
ziert, eine wissenschaftlich durchaus legitime Theorie, da die
Existenz Gottes Erfahrungstatsache war und daher wissen
schaftliche Geltung hatte. Aus dem gleichen erkenntnistheore
tischen Bedürfnis heraus, aber unter Wegfall der göttlichen E r
kenntnisgrundlage, ist als Ersatz, als richtiger Ersatz für die
scharf-exakte Partizipationstheorie, das wolkige Gebilde der
auf das »Leben« gerichteten »Intuition« geschaffen worden,
ein ebenso notwendiger Hilfs- und Verlegenheitsbegriff, wie es
der Äther in der Physik gewesen ist, freilich von vermutlich län
gerer Lebensdauer als dieser, denn die Wiederaufstellung einer
schlüssigen Intuitionstheorie ohne Wiedereinführung einer
dogmatischen Absolutheitsgrundlage scheint kaum möglich zu
sein. Nichtsdestoweniger, man ist dem Problem immerhin um
einen Schritt näher, wenn man Intuition - zumindest vorläufig
- als Wissen um eidetische Einheiten definiert und beiseite läßt,
daß hiezu gleichfalls, allerdings um eine logische Stufe weiter
geschoben, Wissensintuition gehört.
Akzeptiert man dies, so erhält das »es gibt« in dem Satz »Es
gibt höhere Eidos-Einheiten« erweiterte Geltung. Mit andern
Worten, es wird möglich zu behaupten, daß neben der eigen
schaftslosen Eidos-Hierarchie der Mathematik eine ähnliche
der eigenschaftstragenden Beziehungsvielfalt errichtet werden
kann. Wodurch aber soll sich diese von jener unterscheiden?
Die quantitative Differenz, die hiezu eigentlich vonnöten wäre,
ist nämlich nicht zu entdecken. Denn logisch-rational gesehen,
haben auch die Eigenschaften Gegenstandscharakter, sind also
mitsamt den zwischen ihnen statthabenden Relationen nichts
anderes als »logische Dinge«, und ihre Gesamtvielfalt hätte da
her in der mathematischen eine eindeutige Abbildung zu fin
den, obwohl das Eigenschaftslose (als »Reduzierung« aufs Ab
strakte) auf den ersten Blick sich wie ein Spezialfall oder
korrekter wie ein Teilquantum des eigenschaftstragenden »all
gemeineren« Bereiches präsentiert. Und dennoch ist es so: so
lange man keine völlig neuen, unerahnbar irrationalen Er
kenntnis- und Ausdrucksformen sich vorphantasiert, ist die
Struktur der eigenschaftstragenden Hierarchie so durchaus
identisch mit der eigenschaftslosen, daß man - ein positivisti
scher Triumph - wiederum von einer tautologischen, wissen
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schaftlich überflüssigen, ja unerlaubten Verdoppelung reden
müßte: es wäre eine Verdoppelung des mathematischen Berei
ches, und demnach wäre auch trotz der neuen Intuitions-Defi
nition und sogar im strikten Gegensatz zu ihr die erweiterte
Geltung der Eidos-Einheiten wieder aufgehoben.
Indes, der Tautologie- und Verdoppelungsvorwurf hat sich
bereits einmal als unzutreffend erwiesen. Und jetzt läßt sich be
haupten, daß die Differenz zwischen den beiden Hierarchien in
dem Hinzutritt einer neuen Unbekanntheitsqualität liegt. Auch
dies geht auf die erkenntnistheoretische (nicht psychologische)
Bedeutung der Intuition zurück. Denn ohne Vor-Wissen um
ein Unbekanntes gäbe es nirgends Problemstellungen, und die
Mathematik ist hievon nicht ausgenommen; es ist das Vor-Wis
sen um das Unendliche und das Kontinuum, von dem sie zum
zunehmend komplexer werdenden Aufbau der infinit-dimen
sionalen Vielfalt im Eigenschaftslosen getrieben wird. Und
die Strukturgleichheit des eigenschaftstragenden Bereiches
schreibt vor, daß es sich in ihm genau so verhalte, daß also auch
hier das gleiche Vor-Wissen wirke, daß es auch hier potentiell
die ganze infinite Beziehungsmannigfaltigkeit enthalte, hier so
gar durch das Wissen um die individuierten Eigenschaften an
gereichert, kurzum, daß es eine sozusagen erkenntnistheore
tische Unbewußtseins-Sphäre gibt, in der das Alltagsdenken
des Menschen (auch des Mathematikers) sich in bildhaften, in-
halts- und eigenschaftsbetonten Beziehungskombinationen
vollzieht. Hiezu sind einige prinzipielle Feststellungen zu ma
chen:
a) Strukturgleich mit dem mathematischen Bereich übertrifft
die erkenntnistheoretische Unbewußtseins-Sphäre an quanti
tativer Beziehungsfülle (Wissen um die Mannigfaltigkeit der
möglichen Weltkonstellationen) beträchtlich die des rein psy
chologischen Unbewußtsein-Modells, vor allem die des psy
choanalytischen, dessen Gesetzlichkeiten demzufolge für sie
nur segmenthaft, vermutlich nur oberflächenhafte Geltung ha
ben.
b) Gewisse Grundkriterien hat das erkenntnistheoretische
Unbewußtseins-Modell trotzdem mit dem psychologischen ge
mein; in erster Linie hat man hiezu die unerhaschbare Verbor
genheit und die Traumhaftigkeit der Unbewußtheitsbestände
zu rechnen. Hieraus folgt unter anderem auch, daß der Schlaf-
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träum, in dem das Unbewußte da wie dort autonom wird, dieses
erhaschbarer macht. Am Schlaftraum vermag die Freudsche
Theorie das Walten ihrer Unbewußtseins-Mechanik am rein
sten darzutun, freilich ohne damit die Gesamtheit der infinit
dimensionalen Beziehungsvielfalt erfassen zu können, die un
zweifelhaft gleichfalls im Traume ausgebreitet liegt; um sie
erfassen zu können, brauchte es eine infinit-dimensionale
Traumlogik, und von der Aufstellung einer solchen ist man, so-
fcrne sie überhaupt aufstellbar ist, noch sehr weit entfernt.
c) Gleichgültig jedoch, wie weit die rationale Erfaßbarkeit je
reichen mag, der Mensch verdankt der erkenntnistheoretischen
Unbewußtseins-Sphäre, in der er (genau so wie in der psycho
logischen) lebt, sein eidetisches Vor-Wissen um die Vielfalt der
in der Welt möglichen Ding- oder Eigenschaftskombinationen
und darüber hinaus auch das Wissen um die in der Welt unmög
lichen (und nur im Traume möglichen) Konstellationen. Und
nur weil er dieses Wissen besitzt, vermag er sich in seinem All
tag »intuitiv« zurechtzufinden, vermag er aus der Fülle der je
weiligen Handlungsmöglichkeiten »instinktiv« die »richtigen«
auszuwählen und so (manchmal, keineswegs immer) inmitten
seines Traumwandeins eine »rationale« Haltung einzunehmen.
d) Daraus folgt, daß das rationale Kausaldenken mitsamt sei
ner Voraussicht und seinem willens- und wunscherfüllten Vor
ausplanen immer als Ausleseprodukt anzusprechen ist, als eine
Auslese aus jener Kombinationsfülle, die vom Vor-Wissen des
Menschen unaufhörlich überschaut wird, von dem des Genies,
des Sehers und Propheten in größerem, von dem des Durch
schnittsmenschen in geringerem, dennoch niemals gänzlich
verschwindenden Ausmaß.
e) Demnach hat selbst der Durchschnittsmensch - und das ist
z. B. für das Verständnis des Primitiven nicht unwichtig - als
»konstant visionär« zu gelten. Nur daß er im allgemeinen nichts
davon merkt. Sein Alltags-Visionärtum fällt ihm erst auf, wenn
einer jener seltenen Ausnahmefälle eintritt, in denen - so beim
»dejä vu«, bei den prophetischen Träumen und bei manchen
telepathischen Phänomenen - infolge eines überraschenden,
mathematisch überhaupt unerrechenbaren Zusammentreffens
von Wahrscheinlichkeitsbedingungen eine augenblickslange
Übereinstimmung der eidetischen Kombinationswirklichkeit
mit der Realwirklichkeit plötzlich zum Vorschein kommt.
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Nichts jedoch von alldem wird vom Alltags-Denken, an das
eben andere Anforderungen gestellt werden, nach dem Muster
der Mathematik wirklich in die infinit-dimensionale Vielfalt
hineinentwickelt, vielmehr bleibt das Wissen um diese ein blo
ßes Wissensgefühl, bleibt im Stadium ahnenden Vor-Wissens
und einer Problem-Latenz, in der die Probleme nicht einmal
gestellt, geschweige denn gelöst werden können: letztlich geht
es hier eben nicht mehr um rationale Problemlösungen, son
dern um mehr oder minder irrationale Handlungsentscheidun
gen, kann nur noch um solche gehen, weil mit dem Augenblick,
in dem zum mathematisierenden Vorstoß angesetzt wird, die
Eigenschaftsganzheiten - die Physik ist das klassische Beispiel
hiefür - sich ins Eigenschaftslose auflösen, und das würde in
äußerster Konsequenz auch die (zumindest denkerische) Auf
lösung der empirischen Raum-Zeit-Weit sowie des empirischen
Menschen und seiner Denkkraft bedeuten, doch darüber hin
aus auch das außer-empirische, das Denken an sich aufheben,
da ein derart radikaler Auflösungsprozeß sogar vor den Denk-
Eigenschaften selber kaum haltmachen dürfte und infolgedes
sen der Selbsterkenntnis des Denkens jegliches Substrat ent
ziehen würde. Dagegen wäre schließlich nichts einzuwenden;
gegen einen Nirwana-Zustand ist nichts einzuwenden, am al
lerwenigsten gegen einen wissenschaftlichen, d. h. den eines so
zusagen präzisen Nirwanas, das sich bloß mit Hilfe des mathe
matischen Rüstzeuges der westlichen Wissenschaft zustande
bringen läßt, sofern er sich überhaupt zustande bringen ließe:
gerade das aber ist unmöglich; wo nämlich das Denken (unter
Verschmähung außerlogisch-mystischer Mittel nach Art der
indischen) rein aus sich und seiner Logik heraus der Erkenntnis
einen Endzustand geben will, da wird es zur inhaltlosen Wort
phantasie, und in dieser Unfähigkeit zur radikalen Gesamtauf
lösung der Eigenschaften (miteinbegriffen der des Denkens
selber) offenbart sich die gesuchte zusätzliche Unbekanntheits
qualität, kraft welcher der eigenschaftstragende Bereich und
der eigenschaftslose, ungeachtet ihrer Strukturgleichheit, sich
voneinander unterscheiden und unterschieden bleiben.
All das ist Indizienbeweis, ein teils auf Deduktionen, teils auf
die Beobachtung gewisser (hauptsächlich psychologischer)
Haltungen des empirischen Menschen gegründeter Beweis für
die erkenntnistheoretisch legitime Existenz höherer Eidos-
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Einheiten, aber deshalb verharren sie doch in der Verborgen
heit des Unbewußten und sind da um so verborgener, als das
erkenntnistheoretische Unbewußte noch weniger ausspricht als
das psychologische: wie also gelangen die höheren Eidos-Ein-
heiten trotzdem zu einem Ausdruck? Nun wurde ja bereits vor
ausgesetzt, daß der eidetischc Bereich vermöge seiner Struk
turgleichheit mit dem mathematischen sich eindeutig auf diesen
abbilden lasse, d. h. daß zu jeder Eidos-Einheit irgendwo im
Zahlbereich eine ihr adäquate Gruppe gefunden werden müsse,
und prinzipiell ist das sicherlich auch möglich, allerdings nur
prinzipiell, da die Mathematik keineswegs immer die benötigte
adäquate Gruppe parat hat: bei aller Strukturgleichheit entwik-
keln sich die beiden Hierarchien - abgesehen von ihren primiti
ven und eben reversiblen Anfangsetappen - durchaus nicht
parallel; fast ist es, als handle es sich um zwei im Plan und auch
noch in der Fundierung identische, freilich wegen ihrer unend
lichen Ausmaße von vorneherein unfertigstellbare Häuser, de
ren sichtbarer Aufbau von verschiedenen Ecken her begonnen
worden ist, so daß sie während ihrer unendlichen Bauzeit zwar
einander immer ähnlicher werden, praktisch jedoch niemals zu
voller Identität - und wenn man will Reversibilität - gedeihen
können. Mit andern Worten, gelänge es, die eidetische Hierar
chie tatsächlich rational zu fassen, also ihr ein rein deduktives
Modell zuzuordnen, so wäre das eine zweite Mathematik, näm
lich eine, die sich mit der eigentlichen deckt, mit ihr struktur
analog und demzufolge desgleichen eigenschaftslos ist, obwohl
sie im Aufbautempo und in den Aufbauwegen von ihr abweicht,
d. h. nicht die »Zahl«, sondern den »Satz« - also jene Syntax-
Einheit, die mit der zugehörigen Eidos-Einheit in noch unge
störter Reversibilität steht - als die Ecke ihres Baubeginns ver
wendet, also einen »Satzkalkül« und daher auch einen
»Eigenschaftskalkül« darstellt. Und eben die Anstrebung einer
solchen »zweiten Mathematik« muß dem Positivismus zuer
kannt werden, da er, offensichtlich um einen Eigenschaftskal
kül bemüht, einerseits die Schaffung einer logistisch allgemei
nen Wissenschaftssprache, andererseits eine auf logischer
Analyse basierte Darstellung von »Weltstrukturen«, das eine
wie das andere von weittragender Bedeutung für die Wissen
schaftsmethodologie und insbesondere für die einer künftigen
Einheitsw'issenschaft, sich zum Ziel gesetzt hat. Indem die
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»zweite Mathematik« diesem Ziel zustrebt und dabei, wie viel
fach die Logistik überhaupt, von ihm her den ihr wesenhaften
Sinn empfängt, wird sie mit jedem Annäherungsschritt zum
kompletteren Spiegelbild der Eidos-Hierarchie, wird ihr de
duktiver Aufbau - dem positivistischen Bedürfnis gemäß - in
zunehmendem Maße zur reversiblen Repräsentanz der eideti-
schen Weltstruktur: anstelle der von der reinen Mathematik
gelieferten fallweisen, beinahe zufälligen Abbildungsmöglich
keiten, liefert die »zweite« ein geschlossenes Abbildsystem.
Und doch genügt es nicht und kann nicht genügen. Denn die
intuitive (und unbewußte) Welterfassung geht andere Wege als
jede deduktive, ja sie muß dieser sogar »vorauseilen«, damit
der Mensch leben kann, und so bleibt nach wie vor die Frage
offen: Wie gelangen die höheren Eidos-Einheiten trotzdem zu
einem Ausdruck?
Man steht also vor einer merkwürdigen und eigentlich bemer
kenswerten Sachlage: die Geltung des »es gibt« für höhere Ei
dos-Einheiten darf, selbst unter Anwendung positivistischer
Kriterien, immerhin als gesichert angenommen werden, als zu
mindest ebenso gesichert wie die selbst dem Positivismus nicht
ablehnbare Feststellung »Es gibt Intuition«, ebenso gesichert
wie die daraus sich ergebende Verweisung des eidetischen Be
standes in die erkenntnistheoretische Unbewußtseins-Sphäre,
und doch vermag solche Existenzsicherung nicht viel zu leisten;
zwar verbürgt sie den höheren Eidos-Einheiten die Ausdrucks
möglichkeit im mathematischen und insbesondere im mathe-
mato-logistischen Bereich, aber die Brücke zur höheren Syn
tax-Einheit ist damit nicht geschlagen, und fast will es scheinen,
als ob in bemerkenswerter Übereinstimmung mit der Grund
vorschrift des mathematischen Intuitionismus auch hier ein
bloßes »es gibt«, und sei es noch so wohlgesichert, nicht zur
Operationsweiterführung genüge, und eben hiedurch auch je
dem Weiterfragen nach der möglichen Verbindung mit den
Syntax-Einheiten der Boden entzogen sei. Was der Positivis
mus mit der einen Hand gegeben hat, will er offenbar mit der
andern wieder zurücknehmen, und das ist unleugbar bemer
kenswert.
Kurzum, obwohl und weil der Positivismus ohne die Intuition,
die er richtigerweise als Hilfs- und Verlegenheitsbegriff wertet,
nicht auszukommen vermag, behandelt er sie so, wie es Kant
265
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mit dem »Ich denke« getan hat, nämlich als das Vehikel, das
leere Vehikel, das alle Kategorien begleitet, über das zu reden
sinnlos ist. Zudem verbietet die positivistische Reinlichkeit, ei
nem »unsichtbaren«, lediglich erschließbaren Seelengebilde,
wie es die Intuition nun einmal ist, irgendwelche Realität zuzu
sprechen oder auch nur irgendwelche Aussagen in solcher
Richtungzu machen. So wird die Intuition für den Positivismus
eine Art geheime und mit Recht fragwürdige Geliebte, und
seine reinlichkeitsbedürftige, antimetaphysische, antiontologi
sche Moral schreibt vor, daß seine Besuche bei ihr, mögen sie
auch nicht ohne Folgen geblieben sein, geheimgehalten werden
müssen; ein Spekulationsschweigen ist angeordnet, in dem
nicht einmal das Naheliegendste über die Intuition erwähnt
werden darf. Und doch ist dies alles, wie meistens das Morali
sche, bloß ein Vorwand. In Wahrheit wäre eine Erwähnung der
eidetischen Bestände, von denen die Intuitions-Funktion er
kenntnistheoretische Klärung und Präzisierung zu erwarten
hätte, dem positivistischen Denken eine Gefährdung seiner ei
genen Existenzgrundlage, die - gerade am Sprachpositivismus
ersichtlich - sich durchwegs auf die zwischen der Erkenntnis
und ihrem Ausdruck statthabenden, fiktiven oder gar effekti
ven Reversibilitäten stützt: die Gefahr liegt in der hier drohen
den Irreversibilität. Gewiß, nichts vermag dem Sprachausdruck
seine positivistische Stellung zu rauben; er bleibt unter allen
Umständen die im Empirischen einzig untersuchungs-geeig-
nete, einzig untersuchungsverpflichtende Äußerung der Er
kenntnis, doch das hindert nicht, daß (abgesehen von Spezial
fällen nach Art der Mathematik, in denen Denken und
Ausdruck kraft vollkommener Rationalität sich decken und
daher immer als reversibel zu nehmen sind) mit der Anerken
nung der Eigenexistenz, ja nur der möglichen Eigenexistenz
von eidetischen Beständen, auch der »Inhaltsüberschuß«, der
»Qualitätsüberschuß«, also jener diskursiv unausdrückbare
Rest anerkannt werden muß, ohne den das Eidetische bloß
Verdoppelung des Sprachausdruckes wäre und keine wirkliche
Eigenexistenz besäße, und daß eben diese Unausdrückbarkeit
die Türe zur Irreversibilität hin öffnet. Denn da damit nicht my
stische Unaussprechlichkeit gemeint ist, vielmehr die diskursive
Unausdrückbarkeit - sonst wäre sie Glaube oder müßte zum
theologischen Gottesbeweis hinleiten - ihren nüchtern-irdi-
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sehen, antimetaphysischen, antiontologischen Sinn behalten
soll, wird es unerläßlich, daß die Sprache jenes eidetisch ver
borgene, qualitative Existenz-Plus, wenn schon nicht diskursiv
- sonst wäre es wieder Reversibilität - so doch in empirischer
Sichtbarkeit zum Ausdruck bringe; und obwohl das eine offen
bar unlösbare Aufgabe ist, sie wird trotzdem vom Menschen
geist, der ohne Rast durch Leistung des Unmöglichen sein
Menschseinzu konstituieren und zu beweisen hat, seine Gnade
und sein Fluch, erstaunlich gelöst: indem er den Sprachaus-
druck mit Strukturqualitäten ausgestattet hat, wie sie sich, als
Beispiel unter vielen, in den Syntax-Einheiten zeigen, gelingt
es ihm, bei aller Empirie, nicht nur die eidetischen Bestände
»andeutungsweise« wiederzugeben, sondern auch über das po
sitivistisch Erfaßbare hinauszugreifen - die Irreversibilität
konkretisiert sich am »Symbol«, der menschenhaftesten aller
menschlichen Leistungen.
Der Mensch hat zur Symbolisierung all der Seinserkenntnisse,
die in eidetischer Form seinen Geist erfüllen, ja ihn ausmachen,
sich das Ausdrucksmittel der Kunst geschaffen; sie ist durch
und durch symboltragende Strukturqualität, und darüber wird
meistenteils vergessen, daß sie weder isoliertes Phänomen ist
noch sein kann, da der Menschengeist vermöge seiner Einheit
lichkeit - so außerordentlich schizoid er ansonsten sich auch zu
gebärden pflegt - keine isolierten Zonen in sich duldet, daß also
jeder seiner Äußerungen und keineswegs allein der Kunst
Symbolqualität zukommt, und daß demzufolge ihnen allesamt,
vornehmlich aber der Sprache (und nicht zuletzt ihren urzeitli-
chen Anlagen) Kunststruktur zuerkannt werden muß, umso
mehr als umgekehrt der Kunst durchgängig Sprachstruktur zu
eigen ist. Daß mit einer solchen Einheitssicht eine Erweiterung
des vom Positivismus vertretenen Sprach-Empirismus vorge
nommen wird, für die er - wenigstens solange er nicht selber
eine Erweiterung, am ehesten wohl eine phänomenologische
Erweiterung erfährt - vermutlich kaum etwas übrig haben
dürfte, spricht nicht so sehr gegen sie als gegen ihn. Denn gemäß
seinen grundlegenden, man möchte fast sagen, natürlichen
Einschränkungen hat der Positivismus die Welt der Symbolfor
men niemals recht der Erkenntnissphäre als solcher zurechnen
wollen, und wo er trotzdem, gewissermaßen aus philosophi
schem Pflichtgefühl, zu einer Kunstphilosophie ansetzt, da ge
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rät er notwendigerweise ins materialistische Flachland, nämlich
dorthin, wo das Symbol bestenfalls den Sinn einer Spielkarte
besitzt.
Wird aber dagegen daran festgehalten, daß Kunstsymbol und
Sprachsymbol urhaft zusammengehören, so läßt diese Ein
heitssicht hoffen, daß das Problem des Sprachsymbols, das Pro
blem seines Verhältnisses zur Eidos-Einheit, kurzum das Pro
blem der Syntax-Einheiten die ihm notwendige Aufhellung
gerade vom Sprachkunstwerk her empfangen werde - wahrlich
ein langer und doch unvermeidlicher Umweg, um eine, wie es
sich gehört, selbstverständliche Einsicht legitimieren zu kön
nen.
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Schrift- und Sprachsystems, denn so »hieroglyphisch« ein sol
ches auch sein mag, und so sehr es auch verlangt, daß sich in
ihm ausdeutbare »Spuren« entdecken lassen, die - als »Struk
turqualitäten« - in einem logisch-natürlichen (sprachnatürli-
chen) Abbildverhältnis zu den unsichtbar-unbekannten Urbil
dern stehen sollen, um deren »sinngetreue« Agnoszierung
möglich zu machen, es ist dies eine lösbare und verschiedentlich
bereits gelöste Aufgabe, umsomehr als die Auffindung des da
zugehörigen Steins von Rosette jederzeit erhoffbar bleibt,
während im Fall des Symbols, des »Symbols an sich«, wie man
wohl sagen müßte, ein derartiger Übersetzungs-Stein nicht exi
stiert, nicht existieren kann, es sei denn, daß man ihn frei erfin
det gerät man da nicht in den Bereich der bloßen Phantasie?
Und es ist doch nicht bloße Phantasie. Daß die in der Gestal
tung von Syntax-Einheiten vorhandene oder vielleicht nur ge-
mutmaßte »Willkürlichkeit«, wie z. B. die von Absatz-Längen,
als störend empfunden wird, als etwas, das beseitigt und durch
logisch-natürliche Ableitung ersetzt zu werden hat, weist auf
einen Typus, sogar einen Haupttypus - es gibt daneben vor al
lem noch einen zweiten - von »Problem-Impulsen« hin, der in
Aktion tritt, sooft in einem ansonst bekannten Seinsgebiet sich
eine »systemwidrige«, d. h. eine Zufalls- oder willkürbehaftete
und infolgedessen »unbekannte« Störungsstelle zeigt. Für den
Mechanismus dieses Problem-Typus ein Beispiel: jeder - mehr
oder minder »zufällige« - neue Ausgrabungsfund nötigt die
Archäologie, die ihm eigentümlichen Strukturqualitäten zu er
forschen, um durch deren »induktive« Projizierung in die »un
bekannte« Historie das zugehörige Ursprungs-System er
schließen (oder bei mangelhafter wissenschaftlicher Ausrü
stung kurzerhand erfinden) zu können. Gewiß, wegen ihrer
Konkretheit sind Ausgrabungsfunde bloß in einem sehr über
tragenen Sinn als »Symbole« aufzufassen; sie sind weit eher
»Symptome« der hinter ihnen stehenden, erschließungsbe
dürftigen Sachverhalte, und die von ihnen inaugurierten Pro
bleme sind sicherlich nicht die des Symbols, geschweige denn
die des »Symbols an sich«, um das es erkenntnistheoretisch
geht, vielmehr sind sie Symptom-Probleme, technische Pro
bleme der Induktion, wie sie sich aus den Auslegungs-Schwie
rigkeiten des jeweiligen Rosette-Steines ergeben, aber das Bei
spiel ist trotzdem nicht unfruchtbar: selbst wenn man unter
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unbedenklich radikaler Anwendung des »es gibt« auf das
»Symbol an sich« übergeht, also auf den Grenzfall, in dem von
aller Symbolhaftigkcit nichts außer einer an sich unvorstellba
ren »leeren Strukturqualität« übrig geblieben ist und kaum et
was von einem eigenen Problem-Impuls, selbst in einer derart
aufs Nackteste reduzierten Symbolisierungsbeziehung zwi
schen zwei Leergebilden, also einem unauffindbaren Abbild
und einem unbekannten Urbild, besteht als »Bedingung ihrer
möglichen Erfahrung« das gleiche Relationsschema zwischen
dem konkreten »Symptom« und seiner »Symptoms-Ursache«,
d. h. es müssen, damit Symbolisierung überhaupt möglich
werde, auch hier »Strukturqualitäten«, und seien sie noch so
leer, vermittels »Induktion« in das unsichtbare Urbild proji
ziert werden, auf daß es sich daran konstituiere. »Symbol an
sich« und »Symptom an sich« streben einander zu, und fast
ließe sich von einem radikal abstrakten Rosette-Stein sprechen.
Man darf sich keiner Kategorienverwechslung schuldig ma
chen; die Induktion, welche von einem Ausgrabungs-Fund zu
der hinter ihm stehenden »unbekannten« Geschichtsepoche
führt, liegt in einer andern Richtung als die einer erkenntnis
theoretischen Induktion, welche vom sprachlichen Symbol aus
die eidetischen Bestände zu erschließen anstrebt; mit einem
abgebrauchten und sicherlich viel zu simplifizierten Bild läßt
sich sagen, daß die zwischen Erkenntnisobjekt und Erkenntnis
objekt mögliche Beziehungsvielfalt mitsamt der ihr zugehöri
gen Richtungsvielfalt im großen und ganzen »horizontal« gela
gert ist, während jede Beziehung zwischen dieser objekthaften
und der Ich-Zone, d. h. deren eidetischen und sonstigen Gebil
den, in »vertikaler« Richtung verläuft. Desungeachtet ist die
Verwechslung der beiden Induktionsrichtungen fast unver
meidbar; erkannte Erkenntnis nämlich wird automatisch Er
kenntnisobjekt, und demgemäß werden mit dem Augenblick
des Erkenntnisaktes sogar ich-nahe und ich-nächste Gebilde,
unbeschadet ihrer noch so legitimen Ausstattung mit »subjek-
toiden« Superqualitäten, logisch den übrigen (den »echten«)
Objekten so ununterschiedlich gleichgestellt, daß auch die
»vertikale« Induzierung der eidetischen Bestände sich ins
»Horizontale« umlegt, also ihre subjektoide Eigenqualität ver
liert und infolgedessen - ein best-verteidigbares Argument für
den Positivismus - logisch einfach nicht-existent wird. Das wird
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besonders deutlich, wenn man, wie im Fall des »Symbols an
sich«, alles Inhaltliche und Eigenschaftsbehaftete beiseite läßt
und nur noch nach den Bedingungen möglicher Erfahrung für
eine Vertikal-Induktion fragt, die von einem leeren, allerdings
noumenal empirischen Abbild zu einem ebenso leeren nou-
menal eidetischen Urbild führen soll. Denn bei aller Abstrakt
heit dieses Vorhabens, bei all der abstrakten Spekulativität die
ser Problemstellung, die eine wirkliche Beantwortbarkeit
auszuschließen scheint, fast überraschend ergibt sich trotzdem
Beantwortung, ja geradezu permanente Beantwortung, da die
Rückdrehung ins »Horizontale« hier wiederum die Mathema
tik zutage fördert: die Mathematik (ob nun als solche oder in
ihrer logistischen Gestalt) erweist sich hier schlechterdings als
das System von »Symbolen an sich«, und zwar nicht nur, weil
sie gleich dem »Symbol an sich« völlig inhaltsfrei ist, sondern
noch viel mehr, weil sie das - wohlgemerkt reversible - Spiegel
bild sämtlicher möglichen Ding-Beziehungen und daher auch
jener gibt, zu deren Herstellung es der Induktion bedarf.
Die Auffassung der Mathematik als ein System von »Symbo
len an sich« erhärtet sich in erster Linie am Phänomen des
»Problem-Impulses«, denn das »Symbol an sich« steht zwar
unter der sicherlich sehr berechtigten Forderung, es möge
gleich dem »unbekannten Gegenstand«, der im Beispiel der
Archäologie sich als Problem-Impuls erwiesen hat, ebenfalls
induktions-inaugurierende Strukturqualitäten besitzen, wird
aber gerade in diesen ganz grundlegend von ihm differieren, da
es, anders als er, umsoweniger »Zufalls-Fund« ist, als solche
Zufälligkeit keinerlei logischen Platz im Bereich der Mathema
tik hat: neue Zahlgebilde werden weder aus der Erde ausgegra
ben noch fallen sie (obwohl sie »mathematische Gegenstände«,
also richtiges Manna sind) vom Himmel herunter, vielmehr
werden sie in geduldig-sukzessiven Deduktions-Schritten von
der Mathematik selber geschaffen, oder richtiger von deren
Vor-Wissen um das Unendliche, das zu seiner konstanten Ver
wirklichung und Verifizierung - und damit meldet sich der
zweite Haupttypus der Problem-Impulse an - ohne Rücksicht
auf die ewige Unbeendbarkeit der Aufgabe erheischt, daß das
Kontinuum sowohl extensiv wie intensiv immer weiter mit G e
genständen, mit mathematischen Gegenständen aufgefüllt
werde. Was hier geschieht, läßt sich, mit einiger Simplifikation,
271
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am ehesten mit dem geographischen Forschungsdrang verglei
chen, der den Menschen seit jeher gezwungen hat, die »weißen
Flecken« auf der Landkarte, d. h. die »geographischen Lük-
ken«, vermittels Lokalaufnahmen selbst um den Preis noch so
gefährlicher und mühseliger Expeditionen kartenmäßig aufzu
füllen: der Problem-Impuls liegt also hier nicht mehr wie in den
meisten empirischen Wissenschaften (und auch im Alltag) am
»zufällig« aufgefundenen »unbekannten Gegenstand«, nein,
im Gegenteil, es muß dieser »gesucht« werden, auf daß durch
ihn eine System-Mangelhaftigkeit, von der hier der Problem-
Impuls ausgeht, sich beseitigen lasse. Kurzum, an die Stelle ei
ner gegenständlichen »Plus-Unbekannten« ist eine an Sy
stem-Mängel geknüpfte »Minus-Bekannte« als Problem-Im
puls getreten. Während aber ein finites System, wie es das der
Erd-Geographie ist, möglicherweise einstens alle seine Lücken
wird schließen können, wirkt die Minus-Bekannte in einem Sy
stem von »Symbolen an sich« nach Art der Mathematik oder
der Logik geradezu als Symptom für die ewige Unvollendbar-
keit des Systems, freilich auch als Aufforderung zur ewig weite
ren Annäherung an das unerreichbare Ziel der System-Vollen
dung: jede Minus-Bekannte, jede Lücke nötigt die Mathematik
aufs neue, »sich selber zum Problem zu setzen«. Läßt sich je
doch da, wo es so ausschließlich bloß um Lücken-Ausfüllungen
geht, überhaupt noch von Induktion sprechen?
Gewiß, die Mathematik ist ein unzweifelhaft rein deduktives
System. Und selbst die sogenannte mathematische Induktion
bewegt sich lediglich in Deduktionen vorwärts. Aber gilt das
nicht samt und sonders für alles logische Denken? und gilt das
demgemäß nicht erst recht für jegliches Induzieren? Das Be
griffspaar Induktion-Deduktion ist eine jener altgewohnten
Polaritäten, mit denen es sich so ungemein bequem operieren
läßt, daß darüber die Frage nach ihrer logischen Begründbar-
keit - warum just eine polare Zweizahligkeit? warum keine po-
lygone, keine drei-, keine n-Zahligkeit? warum zudem über
haupt derartige Aufspaltungen? - nur allzu leicht vergessen
wird. Und das ist keineswegs eine unschuldige und konsequen
zenlose Vergeßlichkeit: die deutsche Philosophie war davon
befallen worden, als ihr das Denken abhanden gekommen war
und sie daran ging, die pseudo-scharfsinnige Scheidung von in
duktiven und deduktiven, von wertbetonten und wertfreien,
272
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von Geistes- und Naturwissenschaften vorzunehmen; sie hat
damit nicht nur die methodologische Untat einer Wissen
schafts-Schizophrenie zustande gebracht, sondern auch die
Schizophrenie der deutschen Moral mitvorbereitet. Denn bei
aller Unerläßlichkeit dialektischer Polaritäten im Prozeß der
Theorienbildung, sie erzeugen unweigerlich Halb- und Viertel
wahrheiten, sobald sie unkritisch dogmatisch genommen und
ohne Synthese belassen werden; ungelöste Polaritäten heben
von vorneherein die Einheitlichkeit des Menschengeistes und
seines Denkens auf, und da das im letzten den Menschen an
sich, seine Humanität an sich trifft - im Sinne der Scholastik,
die darüber wohl am besten Bescheid wußte, seine Ebenbild
haftigkeit - , so tritt mit der denkerischen Verschlampung,
selbst wenn sie sich bloß auf methodologische Fragen erstreckt,
unentrinnbar auch die ethische Verschlampung ein. Nicht an
ders steht es mit dem durch die »Plus-Unbekannte« und die
»Minus-Bekannte« statuierten Begriffspaar: würde es einfach
mit seiner einen Hälfte den Geistes-, mit seiner andern den Na
turwissenschaften zugeordnet werden, seine Statuierung wäre
überflüssig und daher sinnlos; ein Sinn würde sich bloß dann
einstellen, wenn die beiden Hälften zusammen als Instrument
zum Aufbau einer Wissenschaftshierarchie zu verwenden wä
ren, deren methodologische Einheitlichkeit sich gerade in ihrer
hierarchischen Struktur ausdrückte - , und das scheint nicht
einmal eine allzu utopische Forderung zu sein.
Unter diesem Aspekt wäre eine Mathematik, die durch die sie
erfüllenden und sie konstituierenden abstrakten Prozesse zu ei
ner einsamen Insel der Deduktion im Gesamtdenken gemacht
werden würde, schlechterdings ein Widersinn. Und in der Tat,
so sehr der Problem-Impuls der Mathematik in der Minus-Be
kannten, also in dem stets aufs neue in Frage gestellten G e
samtsystem zu lokalisieren ist, und so durchgängig deduktiv die
Operationen sind, mit denen der Prozeß der Lücken-Auffül-
lung besorgt wird, es zeigt schon das einfachste Beispiel, daß
ohne Induktion kein Auslangen zu finden ist: die Reihe der po
sitiven natürlichen Zahlen ist in ihrer Additivität und Subtrak-
tivität ein unanzweifelbar deduktives System, aber weder ließe
sich in ihr weiterzählen noch addieren oder subtrahieren, wäre
ihr nicht durch den Schluß von n zu (n + 1), den man geradezu
die Ur-Induktion nennen möchte, Iterationsfähigkeit verliehen
273
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worden. Das Deduktions-System braucht den induktivischen
Bewegungsanstoß, ohne selber ihn erzeugen zu können - aus
welchem »Außen-Bereich« stammt er also? Fast ist es wie ein
Ruf nach dem induktions-inaugurierenden, plus-unbekannten
»Zufalls-Fund«, denn was von »außen« in einen Bereich ge
langt, das ist Zufall für ihn. Indes, selbst ein Zufall muß, soll er
nicht zum Wunder werden, in der Sphäre des logisch Möglichen
bleiben, und bei allen Manna-Qualitäten, welche die Plus-Un
bekannte für die Mathematik haben mag, sie wird ihr nicht vom
Himmel herabfallen; gewiß, auch mit Ausgrabungen wäre es
nicht getan, aber trotzdem hat hier die Plus-Unbekannte, sonst
wäre sie nicht mathematisch, im mathematischen Bereich zu
wurzeln, und soferne die Saat hiezu tatsächlich aus einem
»Außen-Bereich« stammt, so wird der nicht ein empirisch-be
liebiger (und nicht einmal der psychologische) sein dürfen, son
dern er muß in einem logisch-natürlichen, ja sogar »erzeugen
den« Verhältnis zum mathematischen stehen: lediglich der
erkenntnistheoretische Bereich entspricht dieser Bedingung,
und eben darum erweist er sich als imstande - besonders da das
in ihm wirkende Vor-Wissen um die Kontinuums-Unendlich
keit sowie um deren Lücken der eigentliche Induktions-Erreger
ist, also dem mathematischen Vorwissen und der System-Lücke
logisch vorangeht - , der Mathematik die von ihr benötigte und
doch bereits in ihr vorhandene Plus-Unbekannte zu liefern und,
gewissermaßen als einen ihnen beiden gemeinsamen Besitz,
agnoszierbar zu machen; sie ist die »Zahl an sich«, die »Einheit
an sich« (wobei freilich nicht bloß an die Zahl Eins gedacht
werden soll), kurzum sie ist das »Element an sich«, der »eigen
schaftslose Gegenstand«, auf dem das Gesamtsystem sich auf
baut.
Der ausnahmslos deduktive Prozeß der Lücken-Ausfüllung
wird demnach von Induktionen nach Art des Schlusses von n
zu (n+ 1) ermöglicht; es sind Induktionen, die prinzipiell zwar
Fremdkörper in der deduktiven Gesamtstruktur sein müßten,
jedoch von ihr so restlos assimiliert worden sind - selbst die
Plus-Unbekannte ist zur Unauffälligkeit eines Bereich-Ele
ments reduziert-, daß die Intaktheit der mathematischen Au
tonomie sogar gegen eine erkenntnistheoretische Dominanz
gewahrt bleibt. Das ist eine bemerkenswerte, aber nicht ver
wunderliche Assimilationskraft; sie ist nämlich mit der Struktur
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des mathematischen Bereiches identisch: da er der Bereich der
eigenschaftslosen Gegenstände, d. h. der ihrer Relationsmög
lichkeiten ist, der ihrer gegenseitigen Deduzierbarkeit und der
ihrer sukzessive zu infiniter Dimensionalität anwachsenden
Vielfalt, und da eben in ihm alle empirischen Ding- und Eigen
schaftskombinationen, woher immer sie stammen mögen, sei es
aus den einzelnen Außen-Bereichen, sei es aus den zwischen
ihnen stattfindenden Querverbindungen, stets (zumindest po
tentiell) ihre deduktions-geeignete Darstellung finden sollen,
so sind in solch »deduktivierender Abbildung« - und just an ihr
zeigt sich der Assimilationsvorgang - selbstverständlich auch
die erkenntnistheoretischen Relationen miteingeschlossen,
nicht zuletzt jene, welche zum mathematischen Bereich hin
übergreifen und hier induktions-inaugurierend wirken. Die
Mathematik allerdings, positivistisch kraft der Autonomie ihres
Bereiches, kümmert sich nicht um das, was sie abbildet, am al
lerwenigsten um die Existenz und Verschiedenartigkeit der (für
sie bloß angeblich) abgebildeten Ursprungs-Bereiche; ihr sind
die Abbilder keine Abbilder, sondern einfach mathematische
Ausdrücke, genauer gesagt Resultate von Operationen, die bei
aller Verzweigtheit und Vielgestalt doch niemals etwas anderes
als Exponenten einer einzigen und einheitlich ununterscheid
baren, kurzum mathematischen Deduktions-Methode sind und
diese auf eigenschaftslose und darum eben ununterscheidbare
Elemente anwenden; und wenn trotz solch allgemeiner Ein
heitlichkeit sich sogar hier, und zwar infolge der Anwesenheit
der Plus-Unbekannten, noch immer ein Induktions-Rest iden
tifizieren läßt, so ist es die nämliche Plus-Unbekannte, die, kraft
ihrer eigenen Reduktion auf die Stellung eines »Elements an
sich«, genötigt ist - und das ist die Krönung des Assimilations
vorganges -, das Induktions-Abbild auf ein »deduktivierbares«
und »deduktiviertes« Phänomen zu reduzieren. Freilich, alle
übrigen Abbildungen bleiben bei all ihrem unerschöpflichen
Reichtum an Kombinationen (und unbeschadet ihrer erkennt
nistheoretischen Geltung) mathematisch unidentifizierbar: sie
existieren lediglich als wechselseitige Abbildungen zwischen
den verschiedenen mathematischen Segmenten.
Wie immer also die »Einprojizierung« empirischer Relatio
nen in den mathematischen Bereich vor sich geht, ob sie hier
zu einfachen Abbildungen führt oder als Plus-Unbekannte die
275
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mathematische Induktion inauguriert, sie verwandelt sich, ob
so oder so, zu einem »intern-mathematischen« Abbildungsme
chanismus, der Mathematisches an Mathematischem symboli
siert. Damit erklärt es sich, daß die Mathematik imstande ist,
»ihr System stets aufs neue in Frage zu stellen«, und ebenso
wird daran plausibel, daß von »Selbstsymbolisierung« und
»Selbstdarstellung«, ja von einer »Selbsterkenntnis der Mathe
matik« als wirksamem Agens ihrer Forschung gesprochen wer
den darf. Anthropomorphismus? Gewiß ist es Anthropomor
phismus und sogar einer, der im großen und ganzen bestenfalls
eine zusätzliche Interpretation eines ohnehin bekannten Sach
verhalts liefert, nämlich dem der intern-mathematischen Ty-
pen-Verkreuzungen und Typen-Entstehungen, wie er von
Frege, Whitehead1, Russell und ihren Nachfolgern seit langem
aufgedeckt worden ist. Aber muß solche Zusatz-Interpretation
wirklich unter allen Umständen als überflüssig gelten? Nicht
nur, daß der Abbild-Begriff zum festen Bestand der mathema
tischen Symbolik gehört, und nicht nur, daß er hier dank der
wichtigen Einsichten, die er schon vermittelt hat, trotz seiner
anthropomorphen Basis eine immerhin gesicherte objektive
Bedeutung gewonnen hat, es läßt sich die anthropomorphie-
rende Metapher überhaupt aus keiner Menschensprache (und
vielleicht nicht einmal aus einer rein logischen) je völlig aus
merzen, und fast scheint es dringlicher zu sein, sich um eine prä
zise Absteckung des anthropomorphen Geltungsbereiches
denn um seine Ausmerzung zu bemühen. Nach dem Durch
bruch der Relativitätstheorie, welche mit der Einführung des
abstrakten Seh-Aktes, d. h. der Lichtgeschwindigkeit, erstmalig
gezeigt hat, daß der abstrakt ideale (dennoch anthropomorphe)
Beobachter nie aus dem Beobachtungsfeld ausgeschaltet wer
den kann, hat die Physik dieser abstrakten »physikalischen
Person« (wie man sie nach dem Muster der juristischen wohl
nennen dürfte) in zunehmendem Maße Einlaß gewährt, und
vieles spricht dafür, daß es sich in der Mathematik, soll sie in
allen ihren Zweigen logisch verstanden werden, ganz ähnlich
verhalten wird, d. h. daß der Bedarf nach der abstrakten
»mathematischen Person« vorliegt.
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man darunter das Lösen von »Exempeln« verstehen will.
»Exempel« werden »erstellt«, und zwar entweder von der
mathematischen Forschung (bei der Ausfüllung von Minus-
Bekannten) oder von der mathematischen Praxis, einerseits aus
didaktischen Gründen oder auch nur aus mathematischem
Spieltrieb, andererseits jedoch - im engern Sinn des Ange-
wandtheit-Begriffes-aus »Außen«-Anlässen, wie sie sich z. B.
stets dann ergeben, wenn Physik und Technik sich mit Anfragen
an die Mathematik wenden. Doch ob Innen- oder Außen-An-
laß, es geht um die mathematische Behandlungsfähigkeit des
Exempels, d. h. um seine Lösbarkeit im Rahmen der mathema
tischen Autonomie, und zu dieser Lösbarkeits-Entscheidung ist
die Projizierbarkeit der Exempel-Voraussetzungen (und seien
sie noch so außenempirisch) erste Vorbedingung; ohne vollzo
gene Projektion ins Eigenschaftslose gibt es keine Exempel-
Lösung.
Der ganze Sachverhalt wäre - soweit man hiebei auf logische
Formulierung verzichten kann - etwa folgendermaßen zu ex
ponieren:
(I)
Da die Lösbarkeit von Exempeln ausnahmslos im Rahmen der
mathematischen Autonomie entschieden wird, enthüllt sich
jede »angewandte Mathematik« letztlich als »Anwendung von
Mathematik auf sich selbst«.
(ii)
Die Mathematik kennt (außer dem »Element an sich«) keine
plusunbekannten Elemente, und dem hat sich auch die »ange
wandte Mathematik« sogar in ihrer »Anwendung auf sich
selbst« zu fügen. Obwohl also der mathematischen Autonomie
gegenüber das Exempel, zumindest herkunftsmäßig, in seiner
Ganzheit durchaus plusunbekannt wirkt, ist seine Lösung bloß
dann zu ermöglichen, wenn es als mathematoides Partial-Sy-
stem (radikal-reduzierbar zur Gleichungsform) mit entspre
chenden minus-bekannten Lücken etabliert wird, auf daß diese
Lücken - hypothetische Transformationen der vom Exempel
präsentierten Plus-Unbekanntheit - durch konkrete Zahlge
bilde ausgefüllt werden mögen, d. h. durch solche, welche aus
den jeweiligen, ins Eigenschaftslose projizierten Exempel-
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Voraussetzungen vermittels einer endlichen Anzahl von
mathematischen (dem Gesamtsystem angehörenden) Deduk-
tiv-Schritten sich gewinnen lassen. Gelingt solcherart die
Exempel-Lösung, so wird aus dem hypothetischen, mathema-
toiden Partial-System ein echt mathematisches; andernfalls hat
das Exempel unprojizierbare Voraussetzungen und muß als mit
dem mathematischen System »unvereinbar« gelten.
du)
»Unvereinbarkeit« mit dem mathematischen System bedeutet
auch Unvereinbarkeit mit dem logischen. Denn da die Mathe
matik (mit ihren »Operationen«, die samt und sonders mit den
logischen Deduktiv-Akten identisch sind) sich ausschließlich
aus der Logik konstituiert, ist diese offenbar völlig amalgamiert
in jene »eingegangen«; Logik und Mathematik, wechselseitig
füreinander als »zweite Form« fungierend, werden beide auf
empirische Sachverhalte »angewandt«, d. h. bekommen beide
ihr Exempel-Material von der Empirie geliefert, doch da sie
beide neben ihrem apriorischen Rang auch empirischen besit
zen, sind ihnen gleicherweise die eigenen Bestände, und zwar
sowohl separiert wie in Gegenseitigkeit, als Anwendungsge
biete zubestimmt; nicht nur daß jede von ihnen »Anwendung
auf sich selbst« gestattet, sie können auch gegenseitig aufeinan
der »angewandt« werden. Freilich, unbeschränkte Reversibili
tät zwischen den beiden Bereichen ist damit nicht gemeint;
wenn z. B. Mathematik als die »auf eigenschaftslose Gegen
stände angewandte Logik« definierbar ist, so definiert eine »auf
eigenschaftslose Gegenstände angewandte Mathematik«
höchstens einen inner-mathematischen Zustand, aber sicher
lich keinerlei Logik. Hieraus mag gefolgert werden, daß der
Logik die »höhere«, die »eigentliche« Apriorität zuzusprechen
wäre, indes, es handelt sich hier weniger um den methaphysi-
schen als um den methodologischen Unterschied, und für die
sen genügt es, zu erkennen, daß das Phänomen der mathemati
schen »Unvereinbarkeit« (bei Unlösbarkeit von Exempeln)
zwar im mathematischen Bereich »geschieht«, nicht jedoch
formale Ausdriickbarkeit findet, vielmehr für diese auf die
»zweite Form«, auf die Logik angewiesen ist. Kurzum, wie jede
andere Relation läßt sich auch die der »Unvereinbarkeit« ins
Eigenschaftslose projizieren, nur daß sich hier an die Stelle der
278
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mathematischen die logische Eigenschaftslosigkeit schiebt; zur
Abbildung der Unvereinbarkeits-Relation im Mathematischen
ist, wenn sie überhaupt möglich ist, vermutlich immer eine
Rückprojektion aus der Logik erforderlich.
(IV)
Für die Entscheidungs-Dichotomie »Lösbar-Unlösbar«, »Ver
einbar-Unvereinbar«, für dieses einfache »Ja« und »Nein« be
nötigt der konkrete Mathematiker ein Wissen um die mathe
matische Gesamtsystematik, das eben an Konkretheit weit über
das bloß prinzipielle Vorwissen, mag dieses auch auf das
Unendliche und die problemauslösende Kontinuums-Lücke
gerichtet sein, hinauszureichen hat. Doch da das »Ja« wie das
»Nein« vollkommen objektiv und objektgebunden, fast möchte
man sagen, automatisch aus dem mathematischen Sachverhalt
hervorgehen, wird jenes konkrete Wissen (gleichwie das Vor-
Wissen es ist) zu einem still-selbstverständlichen Begleitpro
zeß, der im Zuge der mathematischen Operationen weder be
merkt wird noch je bemerkt zu werden braucht. Daß man also
ein »ideal-mathematisches Wissen«, eine Art »Wissen der
Mathematik um sich selbst« oder gar einen Wissensträger hiezu
in Gestalt einer »mathematischen Person« zu stipulieren hätte,
das würde vom Nur-Mathematiker - ohne einen gewissen nai
ven Realismus gibt es keinerlei Arbeit, auch keine wissen
schaftliche - mit Fug als unkonkrete Spekulation und leere
Chimäre abgelehnt werden. Anders präsentiert sich das Bild im
Blickfeld der Logik. Allerdings, zu seinen eigenen Untersu
chungen verhält sich der Logiker genau so naiv realistisch wie
der Mathematiker zu den seinen, d. h. er wird einerseits - zu
mindest solange er seine Betrachtungen nicht in die nächsthö
here Kategorie, also in die der Meta-Logik verlegt - das Wissen
um das logische Gesamtsystem und um die logische Operabili
tät als eine selbstverständliche und nicht eigens bemerkens
werte Begleiterscheinung der Forschung abtun und anderer
seits noch weniger geneigt sein, dem dazugehörigen Wissens
träger, obwohl (und weil) der hier als das transzendentale
Bewußtsein zu agnoszieren ist, irgendwelche Aufmerksamkeit
zu schenken. Dagegen ist es ihm nur natürlich, daß das, was vom
Mathematiker wegen Selbstverständlichkeit nicht behandelt
wird, für die Logik nicht selbstverständlich sein darf. Das ist der
279
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fundamentale Unterschied zwischen den beiden Betrachtungs
weisen, und daran verschlägt nichts, daß es - auch der Logiker
wird, wenn’s nottut, zum Meta-Logiker - Mathematiker gibt,
welche ihrer Wissenschaft gegenüber, wie dies z. B. in der intui-
tionistischen Schule geschieht, die Haltung des Logikers ein
nehmen; wo die axiomatischen Grundlagen der Mathematik
und das Problem der Zugehörigkeit zum mathematischen Be
reich zur Untersuchung gelangen, also gefragt wird, welche De
duktionen mit ihnen gültigerweise „vereinbar“ sind und welche
nicht, da werden spezifisch logische Aufgaben gelöst, und sie
bleiben spezifisch logisch, selbst wenn man entdeckt, daß sie
alle (am ersichtlichsten in den Axioms-Untersuchungen) die
»mathematische Person«, freilich in äußerster Abstraktheit,
miteinbezogen haben.
(V)
Daß diese spezifisch logischen Aufgaben vorzüglich mit rein
mathematischen Mitteln bewältigt werden, zeugt ebensosehr
für die methodologische Verwandtschaft der Mathematik mit
ihrer »zweiten Form« wie für das projektive Wechselverhältnis,
in dem die beiden Bereiche stehen. Doch zwei Spiegel in Wech
selprojizierung können eine unendliche Kette gegenseitiger
Abbilder erzeugen, und so scheint auch hier eine ganze Projek
tionshierarchie zu entstehen, die immer wieder den mathemati
schen Ausdruck herausfordert. Nicht nur daß die inner-mathe
matischen Relationen ins Logische projiziert werden und nun
als Rückprojektionen, als Projektionen von Projektionen aufs
neue abgebildet werden sollen, und nicht nur daß eine unendli
che Mannigfaltigkeit von »Relations-Relationen« zwischen
dem mathematischen und dem logischen Bereich setzbar ist, die
von ihrem logischen Abbild ausgehend als eine - vornehmlich
irreversible - Kette von Projektionen von Projektionen von
Projektionen in den mathematischen Ausdruck zurückzukeh
ren hätten, es ist in diesem Kettencharakter eben auch die Qua
lität ständiger Fortsetzbarkeit enthalten. Doch wie soll dabei all
diese wachsende Komplexheit von Projektionen und Über-
Projektionen zur Realität gebracht und konkret mathematisch
- und gerade das wird erwartet - ausdrückbar gemacht werden?
Ist hier nicht etwa wirklich nur ein leeres »es gibt« am Werke,
ein Deduzieren ohne konkretes Echo, ein Spekulieren im le
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diglich Möglichen ohne richtige Nachweisbarkeit? Fast sieht es
danach aus. Denn so geeignet (zumindest potentiell geeignet)
das mathematische System auch ist, jede Art eigenschaftsent
blößter Relationen abbild- und ausdruckshaft in sich aufzuneh
men, und so sehr dies auch für die Relationsfülle der Projek
tions-Komplexheit zu gelten hat, die Mathematik baut ihren
Relations-Reichtum aus eigenem auf und braucht hiezu keine
zusätzlichen Bereicherungen durch Einprojizierungen. Mit an
dern Worten, die Relationen, welche als Abbilder gelten könn
ten, sind entweder bereits im System vorhanden oder können
von ihm autonom geschaffen werden, so daß die Projektionen
- und sogar auch die irreversiblen - einfach ins »Unnachweis
bare« zu verschwinden verurteilt sind. Die Verurteilung trifft
den ganzen Apparat der Projektionen, Rückprojektionen und
Über-Rückprojektionen, trifft erst recht die mögliche Rück
projektion der »mathematischen Person« (trotz ihrer Legiti
mität im logischen Bereich), denn eine »unnachweisbare«
Operation ist mathematisch eine unvollzogene. Eine Urteilsre
vokation würde den Nachweis erfordern, daß das »es gibt« der
Projektionen gewisse Operationen im mathematischen Bereich
provoziert, die er aus eigenem nicht schaffen würde.
(VI)
Falls Projektionen aus dem logischen Bereich tatsächlich einen
»neuen« Operations-Typus im mathematischen provozieren
sollten, würden sie ein neues Realitätsmoment in die Mathe
matik einbringen und damit ihre Autonomie durchbrechen.
Aber eine Autonomie, die sich nicht selber aufgibt, ist von
außen her kaum zu durchbrechen, und genau so wie die Mathe
matik alle Relations-Möglichkeiten in sich birgt, scheint sie
auch imstande zu sein, all ihre »Neuheits«-Möglichkeiten, d. h.
alle ihr möglichen System-Erweiterungen aus eigenem hervor
zubringen, ohne hiefür bei der Logik oder sonst irgendeinem
Bereich Anleihen machen zu müssen. Gewiß, zur Hervorbrin
gung von etwas Neuem bedarf es eines zwingenden Anlasses,
und der kann für die Mathematik bloß im Phänomen des »Pro
blems« gesehen werden, umsomehr als sie sich selber ihre Pro
bleme und Exempel zu erstellen vermag; und da jedes Problem
- sonst wäre es keines - zuerst einmal unter Unlösbarkeitsdro
hung steht, ließe sich erwarten, daß mit Eintritt der »Lösung«
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auch das mathematisch »Neue« zutage tritt. Dies bewahrheitet
sich allerdings, doch in einem ganz anderen Sinn als man im all
gemeinen anzunehmen bereit ist. Denn dem Autonomie-Cha
rakter der Mathematik entsprechend sind die von ihr erstellten
Probleme und Exempel durchaus auf die Minus-Bekannte auf
gebaut, suchen also ihre Lösung durch Ausfüllung der damit
aufgedeckten System-Lücken zu erreichen, und da stellt sich
fast überraschenderweise heraus, daß in den meisten Fällen und
insbesondere in jenen, die als wirklich produktiv gelten müssen,
eine derartige Lösung nicht nur unerzielbar ist, sondern auch
unwichtig wird, sofern nämlich an ihre Stelle ein einwandfreier
Beweis für die Unlösbarkeit sich setzen läßt; der Unlösbar
keits-Nachweis wird zur »Lösung« und zum eigentlichen
mathematischen Erkenntnisgewinn. Es sind sozusagen »nega
tive« Lösungen, und wenn sie auch für die mathematische Me
thodik gleichwertig mit den »positiven« sind - ob das Primzah
lenproblem dereinst positiv oder negativ gelöst werden wird,
ist der Mathematik gleichgültig, wenn es nur überhaupt gelöst
wird - , so sind es doch zumeist die negativen, die »Unlösbar
keits-Lösungen«, die zum Träger des mathematisch »Neuen«
werden, indem sie zu operativen System-Erweiterungen Anstoß
geben. Beispielsweise konstituieren und definieren sich die Ir
rationalzahlen an den System-Lücken, die durch Probleme
nach Art der Zirkelquadratur aufgedeckt worden sind und sich
nachweislich durch keine Rationalzahl ausfüllen lassen, und da
es nun sie sind, die zur Ausfüllung verwendet werden, entsteht
ein tautologischer Prozeß, der nirgends über den Rahmen des
mathematischen Bereiches und seiner Autonomie hinausgeht.
Und da dies ein offenbar paradigmatischer Vorgang ist, bleibt
die Frage offen, wie die Logik - soferne sie nicht einfach mit
der Mathematik identifiziert und in deren Autonomie einbezo
gen wird - an der Produktion des mathematisch »Neuen« und
den von ihm abhängigen operativen Systemerweiterungen mit
beteiligt sein soll.
(VII)
Immerhin, dieses Modell der System-Erweiterungen auf Grund
von System-Lücken weist selber eine solche auf, da es dem ur
sprünglichen »Problem-Impuls«, dem apriorischen Vorwissen
um das Unendliche und die Kontinuums-Lücken keinen Platz
282
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einräumt. Und es erscheint nicht unwahrscheinlich, daß von da
aus der Logik das Mitbestimmungsrecht in der Schaffung des
mathematisch »Neuen« zugeteilt werden könnte, zugeteilt
werden müßte. Wenn man will, ließe sich das sogar als Beispiel
für eine Theorie des »Neuen« als solchem auslegen, besagend,
daß alles wahrhaft Neue in der Welt, selbst wenn es im empiri
schen Gewand auftritt, niemals aus der eigentlichen Empirie,
sondern immer nur wieder aus der Ich-Sphäre stammt, aus der
Seele, aus dem Herz, aus dem Geist, und infolgedessen stets
vom höher-apriorischen Bereich (so von der Logik) dem min
der-apriorischen (so der Mathematik) eingehändigt wird. In
des, unabhängig von solch mystisierender Hypothese, es steht
das Apriorische methodologisch jedenfalls außerhalb der
Mathematik, ist ihr gegenüber jedenfalls ein Fremdbereich,
und da Fremdbereiche keinerlei logisch-deduktive Verbindung
zwischen sich gestatten - sie wären eben sonst nicht fremd - ,
ja für einander geradezu »Zufall« und »Willkür« bedeuten
(und hiezu nichts Empirisches, weder den empirisch irdischen
Zufall noch die empirisch menschliche Willkür nötig haben),
gibt es für sie, wenn überhaupt, nur eine einzige Möglichkeit zur
gegenseitigen »Einwirkung«, nämlich durch das Mittel der
Plus-Unbekannten; demgemäß hätte für die Mathematik der
apriorisch-logische Problem-Impuls gleichfalls eine derartige
Plus-Unbekannte zu sein. Wie jedoch soll eine Plus-Unbe
kannte in die autonome Geschlossenheit des mathematischen
Systems introduziert werden? Nun, das Vehikel, auf dem die
Plus-Unbekannte fortbewegt wird, ist das »Problem«, ist das
»Exempel«, und daß die Mathematik desgleichen dieses Vehi
kel verwendet, d. h. sich selber Exempel zu stellen vermag, lie
fert einen Fingerzeig zur Fragebeantwortung. Denn ungeachtet
und unbeschadet der in der Mathematik wirkenden strengen
Objektgebundenheit, die dem Forscher sozusagen nicht eine
Spur freien Willens zugesteht und ihn rein auf die Minus-Be
kanntheit gerichtet hält, es lassen sich ohne eine gewisse Ent
scheidungsfreiheit nie und nimmer Exempel erstellen, und so
ist sogar auch das »inner-mathematische« Exempel von einem
willkürlichen (oder zufälligen) menschlichen Akt, eben dem
der Exempel-Wahl bedingt, ist von einer »Freiheits-Bedin
gung« gefärbt, die jedem Exempel, und sei es noch so sehr der
Minus-Bekannten zugekehrt, einen plus-unbekannten Stempel
283
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aufprägt. Mit andern Worten, weil die Mathematik ausschließ
lich ein Bereich von Relationen ist, prägt sich die Plus-Unbe
kanntheit des Erstellungs-Aktes notwendigerweise in einer
Relation aus, die zwar, um nicht sinnwidrig zu werden, formal
mit dem mathematischen Gesamtsystem in Einklang zu stehen
hat, ansonsten aber - zumeist als Gleichungs-»X« symbolisier
bar - »willkürlich« frei gewählt wird; ist das geschehen, so
nimmt der weitere Lösungsvorgang seinen normalen Verlauf,
kann (im Wege der »mathematoiden Partialsysteme«) ebenso
wohl zu »positiven« wie zu »negativen« Resultaten führen, und
die letzteren können (falls sie wegen Inadäquatheit des Erstel
lungs-Aktes nicht einfache Un-Lösungen bleiben) schließlich
»Unlösbarkeits-Lösungen« verursachen, also System-Erwei
terungen auf minus-bekannter Basis, doch das sind durchwegs
»Glücks-Treffer«, die sicherlich nicht dem Exempel als sol
chem oder seiner Plus-Unbekanntheit zu verdanken sind. Und
nicht anders verhält es sich mit Exempeln, welche von der
Außen-Empirie wie Physik usw. der Mathematik vorgelegt
werden. Anders freilich würde es sich verhalten, wenn es
»apriorische« Exempel gäbe; wäre die Logik hiezu imstande,
so ließen sich spezifisch plus-unbekannte Operationen und Sy
stem-Erweiterungen erwarten.
*
(VIII)
Das alldurchtränkende und daher auch für die Mathematik gül
tige Wirken des Apriorischen ist eine metaphysische Selbstver
ständlichkeit, über die hier zu sprechen sich erübrigt; die Er
stellung mathematischer Exempel durch die Logik kann als ein
Spezialfall hievon angesehen werden, der allerdings sehr be
grenzt ist, dafür aber - für Betrachtung und Behandlung ein
Vorteil - nichts Metaphysisches an sich hat. Die der Logik als
»zweiter Form« der Mathematik (mit der sie außerdem im pro
jektiven Wechselverhältnis steht) zukommende eigentümliche
Doppelposition, kraft der sie zugleich dem Innen und Außen
des mathematischen Bereiches angehört und sowohl einen Teil
von ihm wie einen ihm »fremden« Außenbereich bildet, ist ein
methodologisches und kein metaphysisches Phänomen. Ein
zeln genommen besagen die beiden Angehörigkeiten nicht viel;
von der einen Seite her wird die Logik befähigt, mathematische
und sogar »inner-mathematische« Exempel zu erstellen, und
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von der andern her wird ihr wie jedem Außenbereich das Recht
zur Erstellung von »Außen-Exempeln« zugesprochen, freilich
ein kaum sehr weitreichendes Recht, da diese Exempel, erwei
sen sie sich mit dem mathematischen Bereich (positiv oder ne
gativ) vereinbar, zwar in ihm Aufnahme finden, dabei jedoch
ihre plus-unbekannten Ursprungsqualitäten, einschließlich der
Akthaftigkeit, verlieren müssen. Allein, beides zusammen,
kurzum die schier antinomisch anmutende Janus-Art der logi
schen Sonderposition leitet zu konkreten Konsequenzen. Von
ihr nämlich gibt es einen Zugang zu jener »Unlösbarkeits-Re
lation«, die aus der Plus-Unbekanntheit des »Aktes«, des
mathematischen Wahl-Aktes bei der Exempel-Erstellung ent
steht, ohne daß sie von der Mathematik selber bewältigt oder
(was das nämliche ist) ausgedrückt zu werden vermag. Denn
diese Relation der »Unvereinbarkeit mit dem mathematischen
Bereich« bedarf einer zwiefachen Exemplifizierung; der erste
Schritt führt in die Mathematik, in der die Relation bloß »ge
schieht«, der zweite bringt sie in die Logik, wo sie zum Aus
druck gelangt, und zwar - und damit manifestiert sich die
Rückprojektion in den mathematischen Bereich —zu einem
Ausdruck von mathematischer Form. Hätte die Logik nicht ihre
ganz einzigartige Doppelposition, so wäre das alles nicht mög
lich; so aber vermag sie das mathematische Exempel mitsamt
seiner akt-bedingten eigentümlichen Plus-Unbekanntheit in
sich aufzunehmen und gleichzeitig, nochmals lösungshei
schend, nochmals der Mathematik vorzulegen, und indem sie
dies tut, indem sie die Plus-Unbekannte des »Aktes« in den
mathematischen Bereich rückprojiziert, gelingt es ihr tatsäch
lich, daselbst einen neuen Typus system-erweiternder Opera
tionen zu provozieren - die Operationen des Wahrscheinlich
keitskalküls.
(IX)
Der Wahrscheinlichkeitskalkül wäre demnach als jenes Seg
ment der Mathematik zu definieren, in dem die ihr von der Lo
gik vorgelegten Exempel - und es gibt da wahrscheinlich bloß
einen einzigen Exempel-Typus, nämlich den der »Unlösbar
keits-Relationen« - zur Lösung gebracht werden. Unter Re
kapitulation des ganzen Sachverhaltes sei dies an einem wohl
vertrauten einfachen Exempel aus dem Wahrscheinlichkeits
285
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kalkül verdeutlicht; wird nämlich gefragt, ob aus einer Urne,
welche die gleiche Anzahl weißer und schwarzer Kugeln ent
hält, die eine oder die andere Farbe gezogen wird, so geschieht
folgendes:
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stoß zu System-Erweiterungen zu geben vermag; doch ob
so oder so, ob positive oder negative Lösbarkeit oder aber
Unlösbarkeit, die »Akt-Relation« verschwindet katalysa
torgleich nach geschehener Lösungsoperation und überläßt
das Feld den Relationen der »Vereinbarkeit« und »Unver
einbarkeit«, die - und das ist mit ein Grund für die immer
hin auffallende bisherige Nicht-Beachtung der Akt-Rela
tion - allein zur mathematischen Aufmerksamkeit zu
gelangen scheinen;
viertens bietet die Mathematik keinerlei Handhabe, um den
mathematischen Prozeß - selbst wenn der Mathematiker in
den Fällen der Unlösbarkeit oder einer Lösbarkeit ohne
System-Erweiterung (so etwa in denen des Wahrschein
lichkeitskalküls) den Wunsch hiefür hätte - über die einmal
konstatierte »Vereinbarkeit« oder »Unvereinbarkeit«,
kurzum über die Lösungsgrenze hinaus weiter zu führen;
mit andern Worten, die Unvereinbarkeits-Relation (ganz
zu schweigen von der der Vereinbarkeit) »geschieht« im
mathematischen Bereich, ist aber erst durch Heranziehung
der »zweiten Form« erfaßlich, ausdrückbar und bemerkbar
zu machen;
fünftens gehört zu den Aufbau-Elementen des satz-logischen
Systems, in dessen Gestalt die »zweite Form« in Erschei
nung zu treten pflegt, immer auch u. a. die Unvereinbar
keits-Relation, und als solche kann die plus-unbekannte
Akt-Relation in den logischen Bereich projiziert und da
selbst zum Ausdruck gebracht werden;
sechstens wird durch die Projektion (und Ausdrückbarkeit) an
den mathematischen Lösbarkeits- und Unlösbarkeitsver
hältnissen nichts geändert, d. h. was im mathematischen
Bereich lösbar oder unlösbar gewesen ist, bleibt es auch im
logischen; aber die Logik befolgt auch als »zweite Form«
das in dieser geltende Iterationsgesetz, das - am ersichtlich
sten beim Aufbau der natürlichen Zahlenreihe - vor
schreibt, daß jedes Element als Ausgangspunkt einer
unendlichen Wiederholungskette genommen werden darf,
genommen werden muß, und wenn nun eine Verein-
barkeits- oder Unvereinbarkeits-Relation, z. B. die auf
den Ziehungsakt gerichtete Initial-Frage »Weiß oder
Schwarz?« (umgeformt auf »Gerade oder Ungerade?«) in
2S7
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den logischen Bereich projiziert wird, so ergibt sich mit de
duktiver Notwendigkeit aus der hier stattfindenden Itera
tion - wie immer die Beantwortbarkeit der von ihr wieder
holten Einzelfalle ausschauen mag - eine neue, eine
»logische« System-Lücke und mit ihr auch ein neuer, zu ih
rer Ausfüllung geeigneter Operations-Typus, dessen neue
Fragestellung: »Wie oft Weiß, wie oft Schwarz?« im Ge
gensatz zur früheren »quantierend« ist und sich unschwer
als die des Wahrscheinlichkeitskalküls agnoszieren laßt;
siebentens sind derartige »quantierende«, also nach zahlenmä
ßigen Antworten verlangende Fragen vom Typus »Wie
oft?« rein mathematisch, und sie sind es umsomehr, als zu
ihrer Beantwortbarkeit ein konkretes Wissen um die
mathematischen System-Bestände vorauszusetzen ist;
manchmal ist dieses Wissen 100%ig, nämlich dort, wo be
reits vorher eine positive oder negative Exempel-Lösung
vorhanden war, und da wird die Antwort (die da freilich
nicht eigens über den Logik-Umweg gesucht zu werden
braucht) entweder positiv »Immer« oder negativ »Nie
mals« lauten, und manchmal wird - so eben bei der Frage
»Wie oft Weiß, wie oft Schwarz?« (»Wie oft Gerade, wie
oft U ngerade?«)- das Wissen nichts über die einzelnen Be
antwortungsmöglichkeiten, wohl aber etwas über deren
numerische Verteilung aussagen, so daß die Problemlösun
gen des Wahrscheinlichkeitskalküls sich einstellen können;
doch oft reichen die mathematischen Wissensgrundlagen
(von denen der Wahrscheinlichkeitskalkül also völlig ab
hängig ist, ohne daß er aus eigenem etwas zu ihrer Vervoll
ständigung beizusteuern vermöchte) nicht einmal hiezu aus,
und dann wird die »Wie-oft«-Frage - beispielsweise »Wie
oft werden Primzahlnummern gezogen?« - zumindest für
den Augenblick mathematisch sinnlos, d. h. sie wird erst
sinnvoll werden, wenn die Mathematik in ihrer ferneren
Entwicklung (vielleicht) die notwendigen zusätzlichen
Wissens-Grundlagen geliefert haben wird;
achtens werden diese Fragen zwar als Exempel von der Logik
in die Mathematik rückprojiziert, doch darum ist nicht zu
verlangen, daß die hiedurch miteingebrachte Akt-Relation
nunmehr ohneweiters vermittels Verwandlung in eine Mi
nus-Bekannte ihrer ursprünglichen Plus-Unbekanntheit
288
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entledigt und in das mathematische System eingereiht
werde; nichtsdestoweniger, es ist der Akt, der Erstellungs-
Akt als solcher, der die Operationen des Wahrscheinlich
keitskalküls provoziert hat und immer wieder provoziert,
und ebendeshalb ist jede einzelne von ihnen »aktbehaftet«,
d. h. ist nur dann beschreibbar, wenn die Beschreibung sich
ständig auf den zugehörigen Akt (hier den der Kugelzie
hungen) stützt, kurzum, wenn bei jedem Operationsschritt
auf den ständig anwesenden, abstrakt eigenschaftslosen
Initial-Akt reflektiert wird;
neuntens wird mit dem Akt auch der Akt-Träger im mathema
tischen Bereich sichtbar, und zwar ebenfalls abstrakt, näm
lich als abstrakte Funktion (vergleichbar mit der abstrakten
Seh-Funktion der Relativitätstheorie), und die Anwesen
heit dieser »mathematischen Person an sich« ist hier so evi
dent geworden, daß der aus dem Wahrscheinlichkeitskalkül
nun einmal nicht wegzuleugnende, so auffallende Unsi
cherheitsfaktor tatsächlich in manchen Erklärungsversu
chen ernsthaft - und beinahe streift das ans Komische - als
Produkt der dem Menschengeist leider anhaftenden Man
gelhaftigkeit, als Produkt des subjektiven Ignoramus, zu
dem der Mensch, sei es zu seiner Gnade, sei es zu seinem
Fluch, verurteilt ist, interpretiert wird.
In den hiermit geschilderten Vorgängen ist unverkennbar als
eigentlicher Kern - alles andere ist Nebenerläuterung —ein
»Operations-Gerippe« enthalten, das sich in präzise Formal-
Deduktion umsetzen läßt, weil Operabilität stets mit Umsetz
barkeit in mathematische oder logistische Sprache identisch ist.
Und vieles spricht dafür, daß dieses »Operations-Gerippe« sich
weitgehend mit dem System des Wahrscheinlichkeitskalküls
selber deckt; denn als das Exempel, als welches es von der Lo
gik in die Mathematik eingebracht worden ist, präsentiert es
eine logische, eine inner-logische Problemlage, die man
schlechterdings als »logische Theorie mathematischer Lösun
gen« bezeichnen könnte, nur daß diese Theorie nicht diskursiv
vorgelegt und ausgedrückt wird, sondern - wie alles im mathe
matischen Bereich - einfach operativ »geschieht«. Schon hie
durch unterscheidet sich der Wahrscheinlichkeitskalkül grund
legend von allen »außenempirischen« Exempeln der Mathe
matik, und er unterscheidet sich umsomehr von ihnen, als er
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vermittels seiner Lösungen einen konstituierenden Beitrag zum
Bestand und zur Struktur der Logik liefert, da er mit der Beant
wortung ihrer Fragen - und das ist ein vermutlich alleinstehen
der Ausnahmefall - eine mathematisch exakte Induktions
brücke von einem minder-apriorischen Bereich zu einem
höher-apriorischen hin schlägt und außerdem, ein Nebenerfolg,
an der Brücken-Einbahnigkeit die Irreversibilität des Induk
tions-Prozesses sichtbar macht. Daß solcherart der Wahr
scheinlichkeitskalkül trotz seiner durchgängigen Deduktivität
und Operabilität sich als der Prototypus induktiven Kombinie-
rens und Schließens erweist, tut nur aufs neue dar, wie allüberall
und eben nicht zuletzt auch in der Mathematik die Deduktion
rein auf der Induktionsfähigkeit basiert ist, einzig und allein im
Dienste der Induktion steht und andererseits als das einzige
Mittel zu ihrem Vollzug fungiert.
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sie wohl nennen dürfte, und wie sie bereits von Fries (dem er
kenntniskritisch vielleicht nüchternsten und ebendarum wohl
auch schärfsten der unmittelbaren Kant-Nachfolger) hinter den
apriorischen Kategorien vermutet worden ist, zwar noch rein
spekulativ, dennoch schon den Keim jener empirischen Verifi
zierung in sich tragend, die sich hundert Jahre später in den
mathematischen Bemühungen der Neu-Fries’schen Schule
(Nelson, Greiling2 usw.) anbahnte. Im mathematischen Bereich
deckt sich das Erkenntnisgebilde der »Empirie an sich« mit der
Real-Empirie und zeigt, daß zu ihren Konstituanten die
»mathematische Person« gehört, und zwar - fern vom konkre
ten Menschen und seinen subjektiven Geistesmängeln - als ex
aktes und kraft Objektivität absolutes »Ignoramus«, als eine
inhärente »Erkenntnis-Begrenzung«, deren »finite Abstrakt
heit« allem irdischen Denken die (kategoriale) Norm gibt und
es vom hypothetisch-göttlichen unterscheidet: nicht nur daß
Gott zeitlos der Schöpfung Anfang und Ende in einem ist, also
in solcher Seins-Simultaneität keiner Problematik und keiner
Erkenntnis-Systematik bedarf, geschweige denn einer, die sich
mühselig von Lücke zu Lücke vorwärtsbewegt und dabei ewig
unabgeschlossen bleiben muß, Er benötigt zu seinem Denken
auch keine »Konstanten«, weder physikalische nach Art der
Lichtgeschwindigkeit noch mathematische nach Art der logi
schen Operatoren und Axiome; kurzum, sowohl das »Problem
als solches« wie der Problem-Impuls, sowohl die »Unbekannte
als solche« (die »Unwissenheit«) wie die Lösungs-Begrenzun
gen (nicht zuletzt die des Wahrscheinlichkeitskalküls) sind die
»subjektoiden« Faktoren, in denen die »mathematische Per
son« sich manifestiert und die der Mathematik die »Anwen
dung auf sich selbst« gestatten.
Wie jedes richtige Exempel ist die mathematische »Anwen
dung auf sich selbst« völlig auf die Plus-Unbekannte, und zwar
auf die Plus-Unbekannte an sich, auf das »Element an sich« ab
gestellt. Und da diese Fahndung nach dem Element an sich ver
mittels fortwährender Umwandlung der ihm eigentümlichen
initialen Plus-Unbekanntheit in minus-bekannte System-Lük-
ken vor sich geht, zu deren Ausfüllung je nach der »positiven«
oder »negativen« Lösung entweder individuelle, bereits »be
kannte« Zahlgebilde oder aber eigens zu diesem Zweck er
fundene »neue« Zahlklassen samt den dazugehörigen Opera
291
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tionen verwendet werden, und da in beiden Fällen, im ersten
ohne, im zweiten mit System-Erweiterung, die (autonome)
Tautologie des mathematischen Systems nicht durchbrochen
wird, zeigt sich mit aller Deutlichkeit, daß die niemals ausset
zende, niemals erlahmende Anstrengung der Mathematik zur
Erfassung und Beschreibung des in ihr System eingesenkten
plus-unbekannten Ur-Elements das Systemgebäude (und den
mathematischen Erkenntnisgewinn) zwar ständig erweitert,
niemals jedoch zu irgendwelcher Vollendung bringen kann; mit
andern Worten, der System-Grundstein, das Ur-Etwas, die
Ur-Einheit, das Element an sich« ist vorhanden, ist sogar so
unabweislich vorhanden, daß die Mathematik, von solcher In
duktionsbasis ausgehend, sich deduktiv immer weiter zu entfal
ten vermag, aber indem sie dies tut, d. h. je mehr sie, gewisser
maßen Induktionsziel ihrer selbst und ebendarum sich selber
unerreichbar, zu ihrem nicht minder unerreichbaren Deduk
tionsziel, nämlich zu jener grandios unvollendbaren, dedukti
ven Gesamtdefinition sich hineinentwickelt, mit der sie die
Plus-Unbekanntheit zu erfassen sucht, desto mehr wird an der
dabei sich enthüllenden, sowohl induktiv wie deduktiv beding
ten und solcherart verdoppelten Unerreichbarkeit klar, daß die
Mathematik in ihrer »Anwendung auf sich selbst« nie über Par
tialanwendungen hinausgelangt und daher auch nie als Ganzes
sich zum Ausdruck bringt, sondern immer nur in den von ihr
erfaßten und ausgedrückten (und sie ausmachenden) Einzelre
lationen zu »geschehen« befähigt ist.
In logische (nicht zeitliche) Abfolge gebracht, könnte demzu
folge die den Gesamtaufbau der Mathematik durchziehende
und sie tragende »große Induktion« - eine sicherlich rechtfer
tigbare Bezeichnung - nach drei Hauptstadien aufgeteilt wer
den;
a) Das Stadium des Vor-Wissens.
Das Vor-Wissen, dieses an sich vage Wissensgefühl von einem
vakuum-durchsetzten und darum ausfüllungs-bedürftigen
Kontinuum, tritt auf einer verhältnismäßig späten Wissensstufe
der Mathematik erstmalig in Erscheinung; es geschah, als Eu
klid daran ging, durch seine »Axiome« die Struktur-Eigen
schaften der »Geraden«, also des »geometrischen Elements«
festzustellen. Denn ohne ein präzis definiertes Grundelement
gibt es keine Möglichkeit, das vage Kontinuum rational zu er
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fassen, und erst mit Hilfe eines solchen Elements und seiner
Iteration läßt sich versuchen, den dunklen Vakuum-Nebel
Schritt für Schritt zu durchdringen und das Kontinuum in ein
»System« umzugestalten. Genau dies wird von Mathematik
und Geometrie, jeder in seiner Sphäre, zum »Geschehen« ge
bracht, allerdings bloß eben zum Geschehen und nicht zum E r
kennen, nicht zum Ausdruck, vielmehr muß gerade hier (umso
mehr als es sich hier um das »Ganze« der Mathematik -
einschließlich der Geometrie - handelt) erst recht die Logik zur
Hilfe gerufen werden. Doch da die Logik in mathematischer
Sprache spricht, und diese zu Euklids Zeiten überdies mit der
geometrischen identisch war, hatte er nicht bemerken können,
daß er eigentlich Logik betrieb. Viele merken es nicht einmal
heute, obwohl besonders die letzten Jahrzehnte die mathema
tische Grundlagenforschung entwickelt haben, und der logische
Beitrag hiezu genügend offen zutage liegt. Aber so auffallend
solche Irrtümer auch sein mögen, sie sind von untergeordneter
Bedeutung; das Problem der methodologischen Lokalisierung
darf zugunsten des sachlichen Tatbestandes beiseite gelassen
werden, und wie immer da der mathematische Systemaufbau
untersucht wird, ob in seiner Axiomatik, ob in seiner Itera
tionsfähigkeit oder sonstwie, letztlich zielen alle diese Untersu
chungen ausnahmslos zum Fragezentrum selber hin, also zur
Definition des »Elements an sich«, zur Auffindung seiner
Struktur-Eigenschaften, zur Konstatierung ihrer Beschreib-
barkeit, kurzum zur Definition der »Einheit an sich«.
b) Das Stadium der Induktion.
Die Grundlagenforschung ist eine Spätfrucht der Mathematik
oder richtiger der mathematischen Logik, aber die Grundlagen
waren ohne Erforschung tausende von Jahren vorher verwen
det worden, d. h. man wußte »intuitiv«, was unter ihnen zu ver
stehen war; ein eigenes »Spielkonvenü«, wie es von manchen
Theoretikern angenommen wird, war hiezu wahrlich nicht nö
tig. Und mit derselben Intuition wurde die Induktion zur An
wendung gebracht; wenn man die Existenz von Einheiten ak
zeptiert hat, wird auch deren Iteration, ihre Notwendigkeit und
damit ihr sofortiger Vollzug akzeptiert, einfach weil die gegen
seitige Abhängigkeit von Element und (iterativem) System ein
mit-intuierter Bestandteil ihrer beider Strukturqualität wird, so
daß es fast irrelevant (oder höchstens terminologisch relevant)
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ist, welchem von den beiden man - nachdem die Induktion aus
dem Intuitivzustand herausgehoben und rational bewußt ge
macht worden ist - den logischen oder gar zeitlich-historischen
Vorrang zuerkennt. Denn zugegeben, daß der rationale Konti
nuumsaufbau kraft Iteration eine Relation zwischen den ite-
rierten Elementen etabliert, und zugegeben, daß Relation zwi
schen zwei Partnern bloß so weit stattfindet, als ihnen ein
gemeinsamer Qualitäts-Nenner zukommt, und selbst zugege
ben, daß im letzten das Element sich als einziger Qualitätsquell
präsentiert, für all das ist es gleichgültig, ob die Relation vom
Element oder das Element von der Relation (die Funktion von
der Zahl oder die Zahl von der Funktion) bestimmt wird. G e
wiß, es gibt eine ganze Reihe erkenntnistheoretischer, mathe
matischer und empirischer Gründe, um derentwillen das Quali
tative sich in Relationen aufzulösen hätte, also die Iteration in
eine Kette von Relationen verwandelt werden muß, doch so
unumgänglich diese Schaffung von »Relations-Elementen« ist,
das System mit seinen Lücken und Operationen bleibt struk
turell ungeändert. Wo immer in der Mathematik Induktionen
vor sich gehen, also überall in ihr und nicht zuletzt im Wahr
scheinlichkeitskalkül, ist solche Vertauschbarkeit von Element
und Funktion nachzuweisen, freilich nicht als Eigenschaft der
Induktion - eine »Richtung« hat keine Operations-Eigen
schaften - wohl aber als Deduktion, da allein in ihrem allumfas
senden Medium die Induktion »geschieht«, z. B. dann, wenn
System-Lücken induktiv durch Operationen (statt durch Ele
mente) zur Ausfüllung gelangen. Wäre es anders, die Induktion
hätte (gleich der Intuition, der sie darin ähnelt) keine logische
Notwendigkeit, sondern wäre nichts als ein psychologisches
oder pragmatisches Phänomen.
c) Das Stadium der Operabilität.
In jedem mathematischen Akt sind alle drei Stadien der In
duktion zugleich wirksam, d. h. er ist nicht nur operable De
duktion (also Operation im engern Sinn), sondern enthält auch
als deren ständige Begleiter einerseits das Vor-Wissen mitsamt
seinem niemals aussetzenden Problem-Impuls, andererseits
aber die richtungweisende Induktion. Mit andern Worten, das
dritte Stadium liefert das wohlbekannte Bild der Mathematik
wie sie ist, das Bild eines rein deduktiven und daher streng au
tonomen Systems, das ausschließlich auf der Mechanik der
294
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Lücken-Ausfüllung ruht, und dem - ausnahmslos - alles, was
mathematische Operation genannt wird, konstituierend ange
hört. Doch wie sollen bei solcher Pan-Deduktivität dann noch
die beiden andern Stadien an ihren Operationen erkannt wer
den? Deduktion tut immer nur wieder Deduktion dar und ist
auch zu gar nichts anderem sonst befähigt, umsoweniger als für
ihre abstrakte, stets zur Tautologie der Minus-Bekannten zu
rückkehrende Methode (die eben schlechthin die der mathe
matischen Autonomie ist) die »Vor-Methoden«, also die der
Induktion und erst recht die des Vor-Wissens (soweit diesem
überhaupt eine eigene Methoden-Spezies zugedacht werden
darf), als »fremd«, ja geradezu als »Unbekannte«, als metho
dologische Plus-Unbekannte wirken. Und in der Tat, die bei
den Stadien würden einfach unagnoszierbar bleiben, wäre ih
nen nicht die Gabe der Exempel-Erstellung verliehen worden;
nur weil aus jeder von ihnen, und zwar aus jeder separat,
mathematische Exempel und die von ihnen abhängigen spezifi
schen Lösungs-Operationen hervorgehen können und hervor
gehen, nämlich aus dem Vor-Wissen (in Logik-Gestalt) die der
Grundlagenforschung, dahingegen aus der Induktion (auf dem
Umweg über die Logik) die des Wahrscheinlichkeitskalküls;
nur deshalb wird innerhalb der »auf sich selbst angewandten«
Mathematik jene Differential-Diagnose möglich, auf Grund
derer sich die drei Induktions-Stadien voneinander unterschei
den lassen.
Die drei Stadien stellen die sukzessive Entfaltung des mathe
matischen Gesamtsystems aus der »Einheit an sich« dar (wobei
es unbenommen bleibt, diese auch als »Relations-Einheit« auf
zufassen), und eben daran, eben an solcher System-Entfaltung
legitimiert sich der Ausdruck »große Induktion«. Denn kein
System wäre je aus einer Einheit zu entwickeln, wäre es nicht
in deren Struktur bereits keimhaft vorbereitet, und gerade das
ist das Wesen des induktiven Prozesses: es werden mit jeder lo
gischen Operation die Struktur-Qualitäten der Induktionsbasis
deduktiv weitergetragen und zur Lücken-Ausfüllung benützt.
Soweit es sich dabei um bereits »bekannte« Struktur-Qualitä
ten handelt, also um solche, welche in das jeweilige, als bekannt
geltende System einreihbar sind, soweit geht die Induktion in
der Deduktion auf, und da infolgedessen auch das Synthetische
und das Analytische miteinander zur Identität verschmelzen,
295
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wird durch den Vorgang, der ungeachtet seines tautologischen
Gehaltes immer noch die Form einer »definitorischen Um
wandlung« besitzt - und das war Kants Schwierigkeit bei der
Behandlung der durch ihn berühmt gewordenen elementar
mathematischen Beispiele nichts »Neues« enthüllt, also
praktisch so viel wie nichts definiert. Anders liegen die Dinge,
wenn die Struktur-Qualitäten des Elements (so bei der »Ein
heit an sich«) plus-unbekannte Züge tragen; die in diesen Fäl
len vorgenommenc Verwandlung der Plus-Unbekannten in
fiktive minus-bekannte und ausfüllungsgeeignete System-
Leerstellen-eine Methode, die mit leicht inkorrekter Simplifi-
kation oftmals als die eines »Ausprobierens« genommen wird,
- verringert mit jeder Operation (besonders mit den system-er-
weiternden) die Unbekanntheitsqualität, sagt also tatsächlich
etwas »Neues« aus und wird hiedurch zur richtigen Definition,
mag sie sogar, wie eben in der Mathematik, nur »geschehen«,
ohne explizit werden zu können. Solcherart darf das von der
»großen Induktion« durchzogene und geleitete mathematische
Gesamtsystem als eine einzige, ständig wachsende, dennoch
niemals abschließbare Definition seines Grund-Elements,
kurzum der mathematischen Einheit begriffen werden, als die
konstant »geschehende«, konstant sich entfaltende »Selbst
definition« der Mathematik und ebendarum als ihr Erkennt
niswert.
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»Zahl« das Prioritätsrecht zusteht, und sie bleibt offenbar auch
für die Grundlagenforschung unentscheidbar. Fällt nun statt
dessen der Philosophie die Entscheidung zu? Der Neu-Kantia-
nismus gibt der »Funktion« den Vorrang, nicht zuletzt (mit Co
hen) der Differential-Funktion, in die er die »Einheit« ver
flüchtigen möchte, und er gründet diese Entscheidung auf
Dialektik und innere Erfahrung, also auf Deduktion und Empi
rie, spezifisch philosophisch sie beide und darin unanfechtbar
die eine, unabweisbar die andere, umsomehr als aus ihnen die
system-setzende Funktion des Logos als seine ihm wesenhafte
und alleinige Manifestation hervorgeht, als sein eigentliches »es
gibt« und als seine - vom transzendentalen Bewußtsein »an
sich« getragene - unbedingte Apriorität, so daß sich daran auch
das »an sich« der Philosophie und ihre Autonomie konstituiert.
Indes, so hoch dem Neu-Kantianismus die Befreiung der damit
wiederhergestellten philosophischen Autonomie von der (zu
meist psychologisierenden) Anthropomorphierungs-Bedro-
hung anzurechnen ist, es scheint diese durch die ebenso alte der
Deifizierung abgelöst zu werden. Mit andern Worten, als
Grenzbegriffe im autonomen Operationsfeld der Philosophie
(als radikal-abstrakte »Gedanken-Wegweiser« für die philoso
phische Induktion) sind bestimmte »an-sich«-Einstellungen
unvermeidbar und legitim, doch wo sie zu Existenz-Rang in ei
nem Außen-Bereich (hier z. B. dem mathematischen) erhoben
werden, da wird das deduktive »es gibt« zu einem Deifizie-
rungs-Instrument, das - unter Verkoppelung zweier vielfach
inkommensurabler Autonomien - in eine gegebene Realität
eine zweite einfügt. Kurzum, zur Fällung antinomie-lösender
Entscheidungen best-geeignet, bleiben Doppel-Realitäten
trotzdem illegitim, und selbst wenn der Neu-Kantianismus of
fenkundige Irrtümer, wie etwa die seiner Infinitesimal-Ausle-
gung, abstreifen wollte, sein Eingriff in die mathematische Au
tonomie bliebe ein Übergriff; sein absolutiertes »System an
sich«, das Athenen-gleich fix und fertig aus dem Zeus-Haupt
entspringt, ohne Gelegenheit, Anlaß oder Nötigung zur Wei
terentwicklung an Problemen und Exempeln zu finden - es sei
denn die bekannten Imperfektheiten der Olympier, wären auch
die des Systems - , hat mit der mathematischen Realität kaum
etwas gemein. Das Problem der Tautologie, die keine Tautolo
gie sein darf, ist zwar ein philosophisches, aber die Lösbar-
297
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keits-Entscheidung liegt in den Händen der mathematischen
Praxis.
Nicht zu ihrem Schaden hat die Philosophie das Mitbestim-
mungs- und Entscheidungsrecht, das sie Jahrtausende hindurch
(und während des Mittelalters mit ausschließlich theologischem
Akzent) im Bereich der empirischen Wissenschaften innehatte,
nun schon seit langem verloren. Gewiß, Philosophie - und es
gibt nur eine - will Sein »setzen«, und ob im Indischen, im Pla
tonischen, im Plotinischen, im Descartesschen, im Kantschen,
im Husserlschen Idealismus, immer wird die Neuschaffung der
Welt angestrebt, aber sogar Gott selber hat das Recht zum Ein
griff in die eigene Schöpfung verloren; Gott, kraft des reinen
Wissens, das seine Schöpfungstat ist, über alles Denken, über
alle Induktion und Deduktion erhaben, muß die Welt (im
wahrsten Doppelsinn des Wortes) »sich selbst« überlassen,
kann in ihr nichts entscheiden, vielmehr hat er hiezu, auf daß
sie stets aufs neue antinomie-frei werde und ethische Schöpfung
bleibe, den menschenhaft denkenden, empirischen »Sohn« zu
delegieren: genau das nämliche trifft für die Philosophie zu,
d. h. sie hat den Wissenschaftsbereich sich selbst zu überlassen,
umsomehr als sie - die hier vollgültige positivistische Vorschrift
befolgend - allein hiedurch analogen Wissenschaftsrang zu er
werben vermag; denn die methodologische Notwendigkeit, der
sich Gott - als Logos - unterworfen hat, da er dem Sohn die
irdische Mutter gab, gilt erst recht für das deifizierte transzen
dentale Bewußtsein und zwingt es, nicht nur einen ebenso irdi
schen Vermittler als die »ideale Person an sich« zu erzeugen,
sondern bindet diese auch »unabnabelbar« an ihren empiri
schen Ursprung, an die einzelnen Wissenschaften, von denen
sie (z. B. als die zum Sehakt abstrahierte »physikalische Per
son«) qualitativ »disziplin-adäquat« konstituiert wird, und de
nen sie umgekehrt Wissenschafts-Konstitution verleiht, indem
sie (wie eben die Relativitätstheorie zeigt) scheinbare Antino
mien als lösbare Exempel entlarvt. Hegels Geschichtsphiloso
phie, als solche noch gänzlich spekulativ, doch von Hegel empi
risch unterbaut, war mit der Einführung des »Weltgeistes« der
erste Versuch zur Installierung der »idealen Person« in der
Seins-Erkenntnis, der erste, der die einfache »Setzung« (des
Plump-Idealismus, wie er wohl zu nennen wäre) überwand und
an ihrer Statt eine (platon-nähere) »Setzung von Setzung« zu
298
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etablieren trachtete: von der neueren empiro-kritischen G e
schichtsmethodologie - etwa der Kahlerschen3 - ist unzweifel
haft die Entdeckung noch weiterer »idealer Personen« und da
mit die Aufstellung einer ganzen Hierarchie von »Setzungen
von Setzungen von Setzungen usw.« zu erwarten; in der Mathe
matik hingegen dürfte es mit der einen »mathematischen Per
son« sein Bewenden haben, so daß erkenntnistheoretisch die
Stufe der anfänglichen »Setzung der Setzung« wohl kaum
überschreitbar ist.
Mit der Rückverwendung des der induktiven Definition an
haftenden Tautologieproblems zur innermathematischen Be
handlung wird also eine unerläßliche (positivistische) Entdeifi-
zierung vorgenommen.
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Anmerkungen des Herausgebers
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Bibliographischer Nachweis
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Textkritische Hinweise
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1917 : 5. »Zum Begriff der Geisteswissenschaften«
Erste Fassung
Entstanden Anfang 1917. 21seitiges Typo
skript mit Korrekturen; uv. YUL.
Zweite Fassung
Entstanden Mitte 1917. 23seitiges Typo
skript, leicht überarbeitete Version der er
sten Fassung, YUL.
Erstdruck in:
- Summa, Jg. I, Drittes Viertel (1917), S.
199-209.
Ferner in:
- HB, Die Unbekannte Größe (Zürich:
Rhein-Verlag, 1961), S. 261-275.
- in dieser Ausgabe.
1917-1919: 6. »Zur Erkenntnis dieser Zeit«
/. Vorstudien
Die hier aufgeführten Vorstudien reichen,
was ihre Entstehung anbetrifft, zum Teil bis
in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zu
rück, doch wurden die meisten Manuskripte
während der Kriegsjahre geschrieben. We
gen ihres notizhaften, entwurfsmäßigen
und fragmentarischen Charakters konnten
sie im Rahmen dieser Edition nicht publi
ziert werden.
- »Bernheim«
Notizen über: Ernst Bernheim, Lehr
buch der historischen Methode (Leipzig:
Dunckeru. Humblot, 19085+6). 8 Seiten
in einem Notizbuch mit Zitaten aus
Bernheims Studie. Entstanden ca. 1913,
uv. YUL.
- »Vaihinger«.
Notizen über: Hans Vaihinger, Die Phi
losophie des Als ob (Berlin: Reuther u.
Reichard, 19132). 12 Seiten in einem
Notizbuch mit Zitaten aus Vaihingers
Studie. Entstanden ca. 1913, uv. YUL.
- Notizbuch mit philosophischen (beson-
305
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ders geschichtsphilosophischen) Auf
zeichnungen, bibliographischen Hinwei
sen und Zitaten. Entstanden ca. 1914. 96
handschriftliche Seiten; uv. YUL.
»Das Objekt der reinen Kulturwissen
schaft«
Entstandenca. 1914. Sseitiges, fragmen
tarisches Manuskript mit zahlreichen
Änderungen, numeriert 1 bis 2, uv.
YUL.
»Der Begriffskomplex >Kultur<«
Entstanden ca. 1915. Titelloses, lOseiti-
ges, fragmentarisches Typoskript, nu
meriert 1 bis 3, zahlreiche maschinen
schriftliche Korrekturen, uv. YUL.
»D ie allg em ein e S chw ierigkeit d e r P h i
losophie«
Entstanden ca. 1915. Titelloses, 54seiti-
ges, fragmentarisches Manuskript, unre
gelmäßig numeriert 3 bis 41, zahlreiche
handschriftliche Änderungen; beginnt
mit den Worten »Die allgemeine
Schwierigkeit der Philosophie«; uv.
YUL.
»Wahrheiten und Meinungen«
Entstanden ca. 1915. Titelloses, 27seiti-
ges, fragmentarisches Typoskript, nu
meriert 1 bis 10, beginnend mit »Jede
Untersuchung, deren Resultate«; zahl
reiche maschinenschriftliche und hand
schriftliche Änderungen; uv. YUL.
»Die Probleme der Philosophie«
Entstanden ca. 1915. Titelloses, 29seiti-
ges, fragmentarisches Manuskript; be
ginnt mit »V. Notwendigkeit der metho
dologischen Vorbemerkung«, unregel
mäßig numeriert 2 bis 5. Enthält auf der
ersten Seite einen Aufriß mit »1) Der
metaphysisch kritizistische Aufbau des
Gesamterlebens« und »2) Die Probleme
306
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der Philosophie«; zahlreiche hand
schriftliche Änderungen, uv. YUL.
- »Das philosophisch-kritizistische Den
ken«
Entstanden ca. 1915. Titelloses, 35seiti-
ges, fragmentarisches Typoskript mit
zahlreichen hand- und maschinen
schriftlichen Änderungen. Beginnt mit
den Worten »Das philosophisch-kritizi
stische Denken«. Unregelmäßig nume
riert von 1 bis 7; uv. YUL.
- »Ausdrucksformen der Moderne im
Problem der historischen Epoche (Stu
dien zur Phänomenologie eines Wert
stils)«
Erste Fassung
Entstanden ca. 1915. Der Titel ist leicht
abweichend: »Ausdrucksformen der
Moderne in der Theorie der historischen
Epoche«. Von dieser Fassung liegen fünf
Varianten vor mit 3, 7,7, 12 bzw. 16 Sei
ten; uv. YUL.
Zweite Fassung
Entstanden ca. 1916. 146seitiges Typo
skript mit handschriftlichen und maschi
nenschriftlichen Änderungen; Frag
ment, uv. YUL.
- »Schopenhauers Verhöhnung«
Entstanden ca. 1916.4seitiges, titelloses,
fragmentarisches Typoskript, beginnend
mit »Schopenhauers Verhöhnung der
Fichte’schen Setzung des Non-Ich«;
nicht numeriert, uv. YUL.
//. Fassungen
1. »Die Wertwirklichkeit der Epoche«
I. Fassung
- »Wie begreift der historische Mensch
seine Wirklichkeit?«
Entstanden ca. 1916.5seitiges, titelloses,
fragmentarisches Typoskript, beginnend
307
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mit »Die Frage >Wie begreift der histori
sche Mensch seine Wirklichkeit?<«; uv.
YUL.
2. Fassung
Entstanden ca. 1917. Vier fragmentarische
Manuskripte und Typoskripte von 2, 3, 5
und 6 Seiten mit zahlreichen Korrekturen;
uv. YUL.
3. Fassung
Entstanden ca. 1917. 24seitiges Typo
skript, numeriert von 1 bis 8a, YUL.
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
2. »Konstruktion der historischen Wirk
lichkeit«
1. Fassung
Entstanden 1918. 30seitiges Typoskript mit
dem Titel »Zur Erkenntnis dieser Zeit. 1.
Die Wertwirklichkeit der Epoche«. Im Ge
gensatz zur zweiten Fassung enthält dieses
Typoskript einen fünfzeiligen Passus am
Anfang, der beginnt mit den Worten »Hat
dieses verzerrte Leben noch Wirklich
keit?«; uv. YUL.
2. Fassung
Entstanden 1918. Geringfügig gekürzte
und leicht überarbeitete Version der ersten
Fassung. Unter dem Titel »Konstruktion
der historischen Wirklichkeit«
Erstdruck in:
- Summa, 2. Jg., 4. Viertel (1918), S. I
bis XVI.
Auf S. I lautet eine Fußnote: »Die in die
sem Aufsatze enthaltenen methodologi
schen Erwägungen begründen sich in einer
demnächst erscheinenden und strengeren
Untersuchung der theoretischen Grundla
gen der Geschichtserkenntnis.«
Ferner in:
- dieser Ausgabe.
308
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3. »Die logische Wirklichkeitsauflösung«
1. Fassung
Entstanden ca. 1918. 6seitiges, fragmenta
risches Typoskript mit handschriftlichen
Änderungen, numeriert von 31 bis 36; uv.
YUL.
2. Fassung
Entstanden 1918. 8seitiges Typoskript.
Überarbeitete Version der ersten Fassung,
numeriert von 31 bis 38; YUL.
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
4. »Der Kunststil als Stil der Epoche«
/. Fassung
Entstanden ca. 1919. 13seitiges, titelloses,
fragmentarisches Typoskript, dessen erste
drei Seiten rechts handschriftlich beschrie
ben sind, uv. YUL.
2. Fassung
Entstanden ca. 1919. 79seitiges, titelloses
Typoskript, numeriert von 1 bis 22, mit ge
ringen handschriftlichen Korrekturen,
YUL.
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
7. »Zur Philosophie der Werte und der Gei
stigkeit«
Entstanden ca. 1917. 18seitiges Typo
skript, YUL.
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
1920: 8. »Theorie der Geschichtsschreibung und der
Geschichtsphilosophie«
/. Vorstudien
- »Plus-Unbekanntheit und Minus-Be
kanntheit«
Entstanden ca. 1919. Titelloses, 32seiti-
ges, fragmentarisches, unregelmäßig nu
meriertes Manuskript. Die erste Seite
enthält einen skizzenhaften Aufriß mit
309
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sieben Punkten, wovon der erste lautet
»Der Teil ist notwendig im Kontinuum
enthalten«. Vorbereitende Arbeit für
»Das mathematische Interesse« und
»Das historische Interesse«. Enthält
zahlreiche handschriftliche Änderungen;
uv. YUL.
- »Das philosophische Interesse«
Entstanden ca. 1919. 2seitiges, fragmen
tarisches Manuskript; uv. YUL.
- »Das geschichtliche Interesse«
Entstanden ca. 1920. Titelloses, 49seiti-
ges, fragmentarisches Manuskript mit
zahlreichen Korrekturen. Es beginnt mit
»Das Interesse des Geschichtsforschers«
und ist numeriert von 4 bis 27; uv. YUL.
- »Der empirische und der philosophische
Probleminhalt«
Entstanden ca. 1920. 12seitiges, unre
gelmäßig numeriertes, fragmentarisches
Manuskript; uv. YUL.
- »Geschichte und Geschichtsphilosophie«
Entstanden ca. 1920. 18seitiges, frag
mentarisches, unregelmäßig numeriertes
Manuskript; uv. YUL.
//. Fassungen
/. Fassung
Entstanden 1920. 303seitiges Manuskript
mit zahlreichen handschriftlichen Ände
rungen; numeriert von 1 bis 56, von 48 bis
57 und von 48 bis 60. Es ist gegliedert in:
»Die wissenschaftliche Situation« (38 Sei
ten, S. 1-10), »Philosophie und Empirie«
(65 Seiten, S. 11-26), »Das mathematische
Interesse« (120 Seiten, S. 27-56), »Das hi
storische Interesse« (35 Seiten, S. 48-57),
»Das physikalische und das biologische In
teresse« (45 Seiten, S. 48-60). Die Kapitel
»Das mathematische Interesse« und »Das
310
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physikalische und das biologische Inter
esse« tragen zu stark entwurfsmäßigen und
fragmentarischen Charakter, als daß sie im
Rahmen dieser Edition herausgegeben
werden könnten. Die übrigen Kapitel fin
den sich als
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
9. »Felix Weltsch, Gnade und Freiheit«
Entstanden 1920. lseitiges Typoskript,
YUL.
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
1921: 10. »Wilhelm Schäfer, Drei Briefe«
Entstanden 1921. lseitiges Typoskript,
YUL.
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
11. »Eine Neuausgabe Lorenz von Steins (L. v.
Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in
Frankreich)«
Entstanden 1921. lseitiges Typoskript,
YUL.
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
1922: 12. »Die erkenntnistheoretische Bedeutung
des Begriffes >Revolution< und die Wieder
belebung der Hegelschen Dialektik (Zu
den Büchern Arthur Lieberts)«
1. Fassung
Entstanden 1920. 7seitiges Typoskript mit
handschriftlichen Änderungen, uv. YUL.
2. Fassung
Entstanden 1920. 9seitiges Typoskript,
YUL. Überarbeitete Version der ersten
Fassung.
Erstdruck in:
- Prager Presse (Beilage »Dichtung und
Welt«), 2. Jg., Nr. 206 (30. 7. 1922), S.
III-IV.
311
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Ferner in:
- dieser Ausgabe.
13. »Max Adler, Marx als Denker und Engels
als Denker«
Entstanden 1921. 4seitiges Typoskript,
YUL.
Erstdruck in:
- Kantstudien, Bd. 27, H. 1 2 (1922), S.
184-186.
Ferner in:
- dieser Ausgabe.
1926: 14. »Genesis des Wahrheitsproblems innerhalb
des Denkens und seine Lokalisierung im
Rahmen der idealistischen Kritik«
/. Vorstudien
- »Ethik« (1914), vgl. Nr. 3.
- »Alles Denken«
Entstanden ca. 1914. Titelloses, 14seiti-
ges, fragmentarisches Manuskript, be
ginnend mit »Alles Denken beantwortet
primär die Frage >was ist das<«, endend
»und ist im höchsten Verständnis«; uv.
YUL.
- »Das Wort Weltanschauung«
Enstanden ca. 1914. Titelloses, frag
mentarisches Manuskript, 12 Seiten, nu
meriert 1 bis 4; beginnend mit »Das
Wort Weltanschauung«; enthält zahl
reiche handschriftliche Änderungen; uv.
YUL u. BMT.
II. Fassungen
1. Fassung
Entstanden ca. 1926. 48seitiges Typo
skript, YUL.
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
1928 : 15. »Die sogenannten philosophischen Grund
fragen einer empirischen Wissenschaft«
/. Vorstudien
- 34 Notizbücher mathematischen und
312
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philosophischen Inhalts, entstanden zwi
schen 1919 und 1929, vornehmlich zwi
schen 1925 und 1929; uv. YUL.
- »Das mathematische Interesse«
Vgl. unter 8.II.1 (1920)
- »Die historische Placierung des Pro
blems«
Entstanden ca. 1927. 13seitiges Typo
skript, uv. YUL.
- »Dimensionsbegriff und Potenzbegriff«
Entstanden ca. 1927. 9seitiges Manu
skript mit zahlreichen Korrekturen, un
regelmäßig numeriert, uv. YUL.
- »Die positivistische Philosophie der
Mathematik«
Entstanden ca. 1927. 4seitiges Manu
skript, uv. YUL.
- »Grundzüge einer mengentheoretischen
Wissenschaftslehre«
Entstanden ca. 1927. 5seitiges Manu
skript mit zahlreichen Korrekturen, uv.
YUL.
- »Stellung des mathematischen Bereiches
im System der Bereiche«
Entstanden ca. 1927. 134seitiges Manu
skript mit Korrekturen, numeriert von
40 bis 73; uv. YUL.
II. Fassungen
1. Fassung
Entstanden ca. 1928. 23seitiges Typo
skript, YUL.
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
1929: 16. »Albert Spaier, La pensee et la quantite«
Erste Fassung
Entstanden 1928. lOseitiges Typoskript,
uv. YUL.
Zweite Fassung
Entstanden 1928. öseitiges Typoskript,
überarbeitete und gekürzte Version der er
313
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sten Fassung, uv. YUL.
Dritte Fassung
Entstanden 1928. Gekürzte Version der
zweiten Fassung, Typoskript ist nicht erhal
ten.
Erstdruck in:
- Annalen der Philosophie (Literaturbe
richt), Bd. VII, Heft 9 u. 10(18.2.1929),
S. 112.
Ferner in:
- dieser Ausgabe.
1931: 17. »Logik einer zerfallenden Welt«
/. Vorstudien
- »Die Gewinnung des Wertbegriffes«
Entstanden ca. 1917. Titelloses, llseiti-
ges, fragmentarisches Manuskript mit
Korrekturen, numeriert von 4 bis 14. Die
erste Seite (wahrscheinlich S. 3) ist zur
Hälfte zerstört; S. 4 beginnt mit »b) Er
füllungsmöglichkeiten phänom. Attri
bute dieses Wertzieles«; uv. YUL.
- »Das Problem der Moderne als histori
sches Problem«
Entstanden 1918. Manuskript aus dem
Umkreis der Studien »Zur Erkenntnis
dieser Zeit«. 28seitiges Manuskript. Die
beiden ersten Seiten enthalten ein sechs
Punkte umfassendes Inhaltsverzeichnis,
die dritte Seite beginnt mit »I. Einlei
tung, 1.) Das historische Problem«; nu
meriert von 1 bis 13; uv. YUL.
- »Entwurf eines Resümees«
Entstanden ca. 1918. 5seitiges Typo
skript, uv. YUL.
- »Die erkenntnismäßige Lösung«
Entstanden ca. 1920. 30seitiges, unre
gelmäßig numeriertes, fragmentarisches
Manuskript, uv. YUL.
- »Exkurs«
Entstanden ca. 1928. 18seitiges, frag-
314
Copyrighted material
mentarisches Manuskript mit Entwurfs
charakter, numeriert von 16 bis 32, uv.
YUL.
- »Die nom.-psych. Attribute des Willens«
Entstanden ca. 1928. 12seitiges, frag
mentarisches Typoskript, numeriert von
3 bis 14, titellos. Beginnt mit »a) Die
nom.-psych. Attribute des Willens als
dessen Möglichkeiten«; uv. YUL.
- »Was heißt >Wert<?«
Entstanden ca. 1928. 7seitiges, fragmen
tarisches Typoskript mit zahlreichen
Korrekturen; uv. YUL.
- »Mittelalterliche und moderne Hypo
thesenbilder«
Entstanden ca. 1928. 9seitiges, fragmen
tarisches Manuskript, uv. YUL.
- »Zeiten zerfallenden Wertes«
Entstanden ca. 1928. 9seitiges, fragmen
tarisches, titelloses Typoskript, begin
nend mit »Zeiten zerfallenden Wertes«;
uv. YUL.
II. Fassungen
1. Fassung
Entstanden 1931. Unter dem Titel »Zerfall
der Werte« eingegangen in den »Huge-
nau«-Teil der Trilogie Die Schlafwandler
(1932).
2. Fassung
Entstanden 1931. Gekürzte und veränderte
Version der ersten Fassung. 19seitiges
Typoskript mit Korrekturen, YUL.
Erstdruck in:
- Frank Thiess (Hrsg.), Wiedergeburt der
Liebe. Die unsichtbare Revolution (Ber
lin: Zsolnay, 1931), S. 361-380.
Ferner in:
- HB, Erkennen und Handeln, a.a.O., S.
45-60.
- dieser Ausgabe.
315
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1932 : 18. »Pamphlet gegen die Hochschätzung des
Menschen«
Erste Fassung
Entstanden ca. 1922. 5seitiges, fragmenta
risches Typoskript; uv. YUL.
Zweite Fassung
Entstanden ca. 1932. 19seitiges Typo
skript, YUL.
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
19. »Leben ohne platonische Idee«
Entstanden 1932. Typoskriptvorlage ver
lorengegangen.
Erstdruck in:
- Literarische Welt, 8. Jg., Nr. 32 (5. 8.
1932), S. 1, 4.
Ferner in:
- Harald Binde (Hrsg.), Hermann Broch -
Der Denker (Zürich: Rhein-Verlag,
1966), S. 31-37.
- dieser Ausgabe.
20. »Zur Geschichte der Philosophie«
/. Vorstudien
- »Wissenschaftliche und philosophische
Probleme«
Entstanden ca. 1927/1928. 19seitiges
Notizheft mit skizzenhaften Aufzeich
nungen, handschriftlich, uv. YUL.
- »Erkenntniskritische Vorbemerkung«
Entstanden ca. 1928. 6seitiges Manu
skript, uv. YUL.
- »Das Individuationsproblem als Haupt
aufgabe«
1. Fassung
Entstanden ca. 1928. 9seitiges Manuskript
mit zahlreichen Korrekturen, Fragment.
Die Gesamtüberschrift lautet: »I. Pro
blemstellung (Das Individuationsproblem
als Hauptaufgabe). A. Kritischer Teil.
1.) Das Individuationsproblem als Ge-
316
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schichte der (platonischen) Philosophie«;
uv. YUL.
2. Fassung
Entstanden ca. 1928. 32seitiges Manu
skript mit zahlreichen Korrekturen, Frag
ment. Die Gesamtüberschrift lautet: »I.
Problemstellung (Das Individuationspro
blem als Hauptaufgabe). A. Kritisch-histo
rischer Teil. 1.) Die Philosophie und die
Philosophie der Empirie«; uv. YUL.
II. Fassungen
1. Fassung
Entstanden ca. 1932. Titelloses, 38seitiges
Manuskript mit Korrekturen, unregelmä
ßig numeriert, YUL.
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
21. »Das Unmittelbare in Philosophie und
Dichtung«
Entstanden ca. 1932. 29seitiges Typo
skript, versehen mit der von fremder Hand
stammenden Überschrift »Das Unmittel
bare«, YUL.
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
1933: 22. »Die Kunst am Ende einer Kultur«
Entstanden im Mai 1933. öseitiges Typo
skript, Radiorede, als solche jedoch nicht
vorgetragen, titellos, trägt die von fremder
Hand stammende Überschrift »Kulturgut«,
YUL. (Den Titel »Die Kunst am Ende ei
ner Kultur« für diese Rede nennt Broch in
einem Brief an Edith Ludovyki-Gyömroi
vom 2. 6. 1933, uv. YUL.)
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
1934 : 23. »Theologie, Positivismus und Dichtung«
Entstanden ca. 1934. 62seitiges titelloses
Typoskript mit handschriftlichen Ände
rungen, YUL; dort unter dem Titel »Wert-
317
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Theorie. Geist der Philosophie« katalogi
siert.
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
24. »Gedanken zum Problem der Erkenntnis in
der Musik«
1. Fassung
Entstanden 1934. Typoskriptvorlage ist ver
lorengegangen.
Erstdruck in:
- Arnold Schönberg zum 60. Geburtstag,
13. 9. 1934 (Wien: Universal-Edition,
1934), S. 49-60 unter dem Titel »Irratio
nale Erkenntnis in der Musik«.
2. Fassung
E n tsta n d e n 1934. F ah n en v o rla g e (S. 5 0 -6 2 )
m it zah lreich en K o rre k tu re n in Y U L . Ü b e r
a rb e ite te und e rw e ite rte V ersio n d e r erste n
Fassung.
Erstdruck in:
- Almanach. >Das 48. Jahr< (Berlin: S. Fi
scher, 1934), S. 53-66.
F e rn e r in:
- HB, Erkennen und Handeln, a.a.O., S.
91-102.
- dieser Ausgabe.
1936: 25. »Werttheoretische Bemerkungen zur Psy
choanalyse«
Entstanden ca. 1936. 24seitiges, fragmen
tarisches Typoskript, YUL.
Erstdruck in:
- HB, Erkennen und Handeln, a.a.O., S.
61-82.
Ferner in:
- dieser Ausgabe.
26. »Erwägungen zum Problem des Kulturto
des. Geschichtsmystik und künstlerisches
Symbol«
1. Fassung
Entstanden 1936. 4seitiges Typoskript, uv.
318
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YUL.
2. Fassung
Entstanden 1936. 6seitiges Typoskript mit
Korrekturen, uv. YUL.
3. Fassung
Entstanden 1936. 15seitiges Typoskript,
YUL.
Erstdruck in:
- das silberboot, 1. Jg., Nr. 5 (Dezember
1936), S. 251-256. Auf S. 256 findet sich
dort der Hinweis, daß dieser Aufsatz
fortgesetzt werde durch den Essay »Ist
Dichtung noch möglich?«, eine Arbeit,
die Broch nicht mehr geschrieben hat.
Ferner in:
- Die Fähre, 1. Jg., 1. Heft (1946), S. 41-
47, unter dem Titel »Geschichtsmystik
und künstlerisches Symbol«.
- HB, Erkennen und Ffandeln, a.a.O., S.
103-110.
- dieser Ausgabe.
1938: 27. »Alfred Polgar, Flandbuch des Kritikers«
Entstanden im Frühjahr 1938. Originalty
poskript ist verlorengegangen.
Erstdruck in:
- Maß und Wert, Heft 5 (Mai Juni 1938),
S. 817-818.
Ferner in:
- dieser Ausgabe.
1939: 28. »Maurice Bergmann, Die Lage der arbei
tenden Klasse in Deutschland«
Entstanden im Juni 1939. lseitiges Typo
skript, DB. Gutachten für die »American
Guild for German Cultural Freedom«.
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
1941: 29. »Autobiographie als Arbeitsprogramm«
Entstanden 1941. Das vollständige Typo
skript, 236 Seiten, befindet sich in YUL,
BMT und DÖL, hier S. 1-10.
319
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Erstdruck in:
- HB, Massenpsychologie, a.a.O., S. 37-45.
Ferner in:
- dieser Ausgabe.
1945 : 30. »Hanns Sachs, Freud, Master and Friend«
Entstanden 1944. Typoskriptvorlage ist
verlorengegangen.
Erstdruck in:
- Aufbau (N. Y.), 11. Jg., Nr. 1 (5. 1.
1945), S. 7.
Ferner in:
- dieser Ausgabe.
1946: 31. »Philosophische Aufgaben einer Interna
tionalen Akademie«
Entstanden 1946. 60seitiges Typoskript
(inkl. »Appendix A«) plus Typoskript mit
dem Titel »Gründungsaufruf« (= »Ap
pendix B«, S. 18-21). Zusätzlich sind einige
kleine fragmentarische Entwürfe erhalten,
die hier nicht abgedruckt werden, da sie in
haltlich keine Abweichungen aufweisen;
YUL.
Erstdruck in:
- Götz Wienold (Hrsg.), HB. Zur üniver-
sitätsreform (Frankfurt am Main: Suhr-
kamp, 1969), S. 7-61.
Ferner in:
- dieser Ausgabe.
32. Ȇber syntaktische und kognitive Einhei
ten«
/. Vorstudien
- »Das mathematische Interesse«
Vgl. 8.II.1. (1920).
II. Fassungen
I. Fassung
Entstanden Ende 1945 Anfang 1946 im
Anschluß an Brochs Selbstkommentar
»Technische Bemerkungen zum Stil im Tod
des Vergil«, vgl. Bd. 4 dieser Ausg., S. 478-
483.48seitigesTyposkript, Fragment, YUL.
320
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Erstdruck in:
- HB, Erkennen und Handeln, a.a.O., S.
151-202.
Ferner in:
- dieser Ausgabe, unter Zugrundelegung
des Originaltyposkripts, da der Abdruck
in Erkennen und Handeln verschiedene
redaktionelle Eingriffe von Hannah
Arendt aufweist. Das Fragment bricht ab
mit »Nichtsdestoweni-«.
33. »Jean-Paul Sartre, L ’Etre et le Neant«
Entstanden Ende 1946. 3seitiges, englisch
geschriebenes Typoskript mit dem Titel
»Report on >L’Etre et le Neant< by Jean-
Paul Sartre«. Verlagsgutachten für die im
Pantheon Verlag seinerzeit erscheinende
»Bollingen Series«; YUL.
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe. Die Übersetzung ins
Deutsche besorgte HF Broch de Rother
mann.
1947: 34. »Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung«
1. Fassung
Entstanden 1947. lseitiges Typoskript, ti
tellos, englisch geschrieben mit Korrektu
ren von fremder Hand, uv. YUL.
2. Fassung
Entstanden 1947. Leicht überarbeitete
Version der ersten Fassung, lseitiges
Typoskript, englisch geschrieben, Gutach
ten für den Pantheon Verlag; YUL. Erst
druck in:
- dieser Ausgabe. Die Übersetzung ins
Deutsche besorgte HF Broch de Rother
mann.
35. »Bemerkungen zu Karl Kerenyis Schrift
Der göttliche A rzt«
Entstanden 1947. öseitiges Typoskript.
Geschrieben als Verlagsgutachten für den
Pantheon Verlag, N. Y.; YUL.
321
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Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
1948: 36. »Julie Braun-Vogelstein, Geist und Gestalt
der abendländischen Kunst«
Entstanden Ende August 1948. 7seitiges
Typoskript mit der Überschrift »Julie
Braun-Vogelstein, Künstlerische Form des
Abendlandes«; geschrieben als Gutachten
für den Pantheon Verlag, N. Y.; YUL.
Erstdruck in:
- dieser Ausgabe.
37. »Frankreichs Regenerationskraft. Werner
Richter, Frankreich. Von Gambetta zu Cle-
menceau«
Entstanden 1947. 7seitiges Typoskript mit
Korrekturen, YUL und BMT.
Erstdruck in:
- Review of Politics, 10. Jg., Nr. 1 (Januar
1948) , S. 141-144, in englischer Über
setzung unter dem Titel »The Vigor of
France«.
Ferner in:
- Schweizer Rundschau, 48. Jg. (März
1949) , S. 1031-1033.
- dieser Ausgabe.
1949: 38. »Geschichte als moralische Anthropologie.
Erich Kahlers >Scienza Nuova<«
Entstanden 1948.18seitiges Typoskript mit
Korrekturen; YUL, DLA, PU.
Erstdruck in:
- Hamburger Akademische Rundschau, 3.
Jg., Nr. 6 (1949), S. 406-416.
Ferner in:
- Eleanor L. Wolff, Herbert Steiner
(Hrsg.), Festschrift Erich Kahler (New
York: Van Vechten Press, 1951), S. 18-
30 unter dem Titel »History as Ethical
Anthropology: Erich Kahler’s >Scienza
Nuova<«, in englischer Übersetzung.
- dieser Ausgabe.
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Auswahlbibliographie zur Sekundärliteratur
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Schönauer, Franz. »Dichtung und Erkenntnis. HB und sein Werk«, in:
Hochland, 48. Jg., Nr. 5 (Juni 1956), S. 473-480.
Schönwiese, Ernst. »Probleme des Wertzerfalls und der Integration«,
in: Wort in der Zeit, 5. Jg., Nr. 12 (Dezember 1959), S. 11-19.
Schwerte, Hans. »Dichter wider Willen. HBs Essays«, in: Zeitwende-
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Verzeichnis der Abkürzungen
325
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Personenregister
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Cauchy, Augustin Louis Bd. l i Bd. 2l 150, 151,207
134. 145 Delaroche, Paul Bd. 24,54,79.
Cezanne, Paul Bd. 2i 5 4 56-59, Denninger, Eric Bd. 21 323
61, 79 Descartes, Rene Bd. l i 162, 174,
Chamberlain, Houston Stewart 1 9 8 ,2 0 1 ,2 1 7 ,2 3 8
Bd. L 7, 24.3,248, 249,312 B d .2: 15.67.78.157.158.217
B d .2 i3 M 236, 298
Chateaubriand, Frangois Rene de Dickens, Charles Bd. 4 236
Bd. U 225-227, 239 Dietzgen, Josef Bd. 4 266, 262
Chirico, Giorgio de Bd. l i 187, Dilthey, Wilhelm Bd. L 115-118,
im 121, 127-129, 142
Choderlos de Laclos, Pierre Am-
broise Francois Bd. 1: 215,239 78,102, 109, 110,202
Christus Bd. 1: 49 Dostojewskij, Fjodor Michailo-
B d .2 : 26 witsch Bd. 1 :2 , 186,230,236,
Cimabue, Giovanni Bd. U 205, 25 0 ,2 5 1 ,3 1 1
238 B d .2 :3 M
Clemenceau, Georges Bd. U 8* Du Bois-Reymond, Paul Bd. 1:
1.34, 146
B d .2 : 222 B d .2 : 219
Cohen, Hermann Bd. _L 202, 267 Dühring, Eugen Bd. L 144 146
Bd. 2: 80. 297 Dürer, Albrecht Bd. 4 207
Cohn, Jonas Bd. 2l 229. 233 Dumas, Alexandre Bd. l i 226,
Comte, Auguste Bd. 4 117. 121. 239
128. 130. 142. 144. 165. 167. Durzak, Manfred Bd. 2: 323
169. 181. 186, 202. 203. 222. Dvorak, Max Bd. 1: 285, 291
2 2 4 .2 2 8 .3 0 4
Bd. 2: 12, 13, 41, 60, 77, 102 Eckart (genannt Meister Eckart)
Condillac, Etienne Bonnot de Bd. L 17.3. 189. 242
Bd. 1: 212, 228, 239 Bd.2: 88, 90, 93
B d.2: 60. 8 0 .8 5 ,8 8 ,2 3 1 ,2 3 3 Einstein, Albert Bd. 2: 138
Cook, Frederick Albert Bd. 1: 28,3 Einstein, Carl Bd. 2; 62, 80
Corot, Camille Bd. 2\ 55, 79 Enfantin, Barthelemy Prosper
Courbet, Gustave Bd. 1: 228,239 Bd. L 224 239
Bd. 2 M i 55* 79 Engel-Janosi, Friedrich Bd.2i223
Couturat, Louis Bd. 1: 170. 189 Engels, Friedrich Bd. 4 2 6 4 -2 6 7 ,
Crelle, August Leopold Bd. 1:146 272,313
B d .2 : 312
Dahn, Felix Bd. L 115, 130 Erasmus von Rotterdam. Bd. h
Dallago, Carl Bd. 1:24& , 2M 2m
Dante Alighieri Bd. 4 204. 205. Eucken, Rudolf Bd. U 115
B d .2 : 27, 68, 29.
Bd. 2 i 12* 14, 94 Eulenburg, Philipp Graf zu Bd. 1_:
Darwin, Charles Bd. L 31 293,297
327
Copyrighted material
Euler, Leonhard Bd. 2 : 242, 245 Gide, Andre Bd. 1: 185.186.190.
Euklid Bd. 2: 292. 292 234
Eyck, Hubert van Bd. 1: 205.238 Gioberti, Vincenzo Bd. h 226,
Eyck, Jan van Bd. 1: 205. 238 239.
Giotto di Bondone Bd. 1:205,238
Ferguson, Adam Bd. 2i 12L17 Goethe, Johann Wolfgang von
Ferry, Jules Bd. h 295, 297 B d .l: 1 5 ,16,20,29,57,58,66,
Feuerbach, Ludwig Bd. 1 :264 bis 180, 184, 185,187, 190,218his
261 2 2 9 , 254, 2 2 % 228
Fichte, Johann Gottlieb Bd. F 3 1 Bd. 2 i 93
36, 4 5, 201 7.48 Gogh, Vincent van Bd. l i 13, 30
Bd. 2: 2 4 ,3 3 ,4 0 ,7 7 ,7 9 . 113* Bd. 2 i 54, 57-61
154. 200. 229.307 Greiling, Kurt Bd. 2 l 2 9 h 2 9 9
Flaubert, Gustave Bd. 1: 230,231 Grimmelshausen, Hans Jakob
Fourier, Jean Baptiste Bd. U 146 Christoffel Bd. h 211
Fragonard, Jean Honore Bd. 2i Grotius, Hugo Bd. 2: 15, 78
55, 80 Guillaume de Lorris Bd. Jj. 238
Frege, Gottlob Bd. 1: 137, 138,
146 _ Haeckel, Ernst Bd. U 15, 29-31
Bd. 2: 276 Bd. 2 i 82
Freud, Sigmund Bd. 1: 8* 273. Hahn, Hans Bd. U 52
274. 2 7 9 .2 9 8 .3 1 3 _ Hardy, Thomas Bd. L_ 236
Bd. 2:173, 177, 178.189.194. Hartmann, Eduard von Bd. 2: 65,
199.262.319 80
Freycinet, Charles Louis de Hauff, Wilhelm Bd. L 224, 226
Saulces de Bd. L 295, 297 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich
Friedjung, Heinrich Bd. 115, Bd. 1: 7 .8 2 .8 9 . 100,168,181,
130 201, 218, 259, 261. 262. 265.
Friedrich Wilhelm IV. Bd. 2i 80 277,299
Fries, Jakob Friedrich Bd. 2i 32. Bd. 2 i 3 3 ,5 9 ,6 7 ,7 8 ,9 4 ,9 6 ,9 9 ,
101, 112, 157, 163, 166, 170,
172, 196. 290. 298. 311
Gambetta, Leon Bd. U_ 8* 292, Heidegger, Martin Bd. 1:276-278
295, 297, 313 Heisenberg, W erner Bd. L_ 88,
Bd. 2: 322 305,311 _
Gauß, Karl Friedrich Bd. 2i 242. Helmholtz, Hermann Ludwig
245 Ferdinand von Bd. U 139. 144
Geliert, Christian Fürchtegott Heraklit Bd. 2 i 225
Bd. le 214* 239. Herbart, Johann Friedrich Bd. 21
George, Stefan Bd. U 190 2 2 1 ,2 3 2 ,2 3 3
Gerhard, Eduard Bd. 2i 80 Herder, Johann Gottfried Bd. 2 i
Gervinus, Georg Gottfried 11, 15,27, 7 7 ,7 9 ,9 4
Bd. 1:115 Herodotos Bd. 2 i 14, 78
Bd. 2 l 99,154 Hesiod von Askra Bd. Ll 284
328
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Hessen, Sergius Bd. 2i 69. 80 Kahler, Erich von Bd. U 2.8.298
Hilbert, David Bd. U 133, 145 bis 311.313
Hippokrates Bd. U 284 Bd. 2: 298. 299. 322. 323
Hitler, Adolf Bd. 1: 293 Kandinsky, Wassily Bd. 2i 54.60.
Bd. 2: 203 19
Hobbes, Thomas Bd. 2: 15 Kann, Robert A. Bd. 2: 323
Hoffmann, Ernst Theodor Am a Kant, Immanuel Bd. L 2*20,20,
deus Bd. L 224, 226 Ä5, 115* 117-119, 123, 15K*
Hoffmann, Josef Bd. 2u7iC&l- 164, 168, 170, 171, 175, 180,
Hofmannsthal, Hugo von Bd. 2: 184, 189, 100* 191, 201, 202,
51, 79 217, 218, 220, 223,2 2 4 , 226,
Hohenlohe-Schillingsfürst, 2 3 E 239* 243-249, 251, 257,
Chlodwig Fürst zu Bd. L_ 293. 261, 262-264, 265, 266, 275,
291 2 7 6 ,2 7 8 ,3 1 2
Holstein, Friedrich von Bd. _L Bd.2: 16.2 0 ,2 5 .4 1 .5 0 ,5 9 ,6 0 .
293.297 6 4 ,7 7 -8 0 ,8 4 ,1 0 6 ,1 0 8 ,154bis
Homer Bd. i i 284 156, 159, 160, 166, 122, 180,
Horst, Karl August Bd. 2: 321 194, 196, 216, 217, 219-224,
Humboldt, Wilhelm von B d .2 :15, 226-229. 233, 266, 291, 296,
16, 78. 94 291
Hume* David Bd. L 70* 164 Kaus, Otto Bd. 1:7.250.251.312
B d .2 : 222 B d .2 : 304
Hund, Wulf D. Bd. 2: 323 Kautsky, Karl Bd. 21 98, 154
Husserl, Edmund Bd. la 91, 118, Keller, Gottfried Bd. L 239
130. 172. 1 7 3 .2 0 2 .2 4 7 ,2 7 6 Kelles-Krauz, Casimir von Bd. U
Bd. 2i 14.18.78.226,233,298 265, 267
Huxley, Aldous Leonard Bd. .L Kepler, Johannes Bd. 1_: 162,164,
234 265
Huysmans, Joris-Karl Bd. U 187, Kerenyi, Karl Bd. 1:2,8,281,284,
190 313
Bd. 2: 321
Immermann, Karl Bd. L_ 224 Kiderlen-Wächter, Alfred von
Ingres, Jean Auguste Bd. L 228, Bd. 1: 293, 297
239 Kirchhoff, Gustav Robert Bd. 2:
16,78 _
Jaspers, Karl Bd. L 276. 278 Kleist, Heinrich von Bd. 1: 224
Jean de Meung Bd. _L 238 Knoop, Gerhard J. O. Bd. 2\ 5E
Jean Paul (Pseud.), d. L Johann 79
Paul Friedrich Richter Bd. i i Kokoschka, Oskar Bd. _L 13, 30
225-227 B d.2: 57
Jeanne d’Are Bd. h 297 Konradin L Bd. _L 13, 30
Joyce, James Bd. U 2, 188. 190. Kopernikus, Nikolaus Bd. L 158
234*304 Bd. 2: 138
B d .2 iZ 2 5 1 Krapoth, Hermann Bd. E 323
329
Copyrighted material
Kraus, Karl Bd. L. 12, 248 Mach, Ernst Bd. L 144,266, 267
Krause, Karl Christian Friedrich Bd. 2: 85, 109,155, 195, 196,
Bd. 2: 94. 154 217-219, 222, 232,233
Kronecker, Leopold Bd. 1: 134, MacMahon, Patrice Maurice de
146 Bd. L 2 2 5 , 292
Bei. 2: 296 Mahler, Gustav Bd. L_ 12, 30
Maine de Biran, F ra n c is Pierre
La Rochefoucauld, Francois de Gauthier Bd. 1: 228, 239
Bd. U 2 1 4 ,2 1 5 ,2 3 2 Manet, Edouard Bd. 2i 57, IR
Lamarck, Jean Bd. L 212, 238 Mann, Thomas Bd. lj_ 190, 234
Lamprecht, Karl Bd. U 115 Bd. 2 : 123, 194
Bd. 2: 96, 98, 102, 154 Manzoni, Alessandro Bd. 1^227,
Lange, Friedrich Albert Bd. U 265 228,239
Bd. 2: 50. 79 Marc, Franz Bd. 2 i 79
Laotse Bd. 2: 90, 93 Marx, Karl Bd. L 79.89,235,255,
Laurent, Frangois Bd. 2 i 13, 78
Leibniz, Gottfried Wilhelm Bd. L Bd. 2: 94. 199. 312
164.170.171.174.175.199 bis Masaryk, Thomas G. Bd. L_ 263.
202. 209. 219, 220. 276 266
Bd. 2: 165. 217. 242 Mehring, Franz Bd. L_ 256
Lenin, Wladimir Iljitsch Bd. U Meinong, Alexius Bd. 2: 79
112 Menges, Karl Bd. 2\ 323
Lichtenberg, Georg Christoph Menzel, Adolf Bd. L 115* 130
Bd. U 248, 249 Metzner, Franz Bd. 2\ 62, 80
Liebert, Arthur Bd. 1: 7,257,261 Meunier, Constantin Bd. U 42,
bis 263, 312 45, 62
Bd. 2: 172,311 Millet, Jean Frangois Bd. 2\ 55,
Liebmann, Otto: Bd. L_ 168,189, 79
263 Moliere (Pseud.), d. i. Jean Bapti-
Locke, John Bd. 1: 239 ste Poquelin Bd. L 211
Bd. 2: 56, 79,227 Mommsen, Theodor Bd. 1: 265
Loos, Adolf Bd. U 7> 23, 32^ 33, Bd. 2: 100, 102, 154
312 Monet, Claude Bd. 2: 55, 79
Bd. 2: 76,304 Montaigne, Michel de Bd. 1: 214
Lotze, Rudolf Hermann Bd. 2j_ 241
94,154 Moser, Kolo Bd. 2^ 80
Lubac, Henri de Bd. L 278 Muir, Willa Bd. L 312
Lützeier, Paul Michael Bd. 1: 2.3 Musil, Robert Bd. U 235
Bd. 2: 2. 3. 323
Ludovyki-Gyömroi, Edith Bd. 2: Natorp, Paul Bd. H 123, 130
317 Bd. 2 i 80
Ludwig XIV. Bd. U 238 Nelson, Leonard Bd. 2: 1R+ 291
Luther, Martin Bd. L l ü 158, Newman, John Henry Bd. 1^235,
1 7 3 ,1 9 7 .1 9 9 .2 2 9 239
330
Copyrighted material
Newton, Isaac Bd. h 265 Racine, Jean Bd. L 211
Bd. 2i 44 Raffaello Santi Bd. lj_27. 30
Niebuhr, Barthold Georg Bd. 2i Raffet, Denis Auguste Marie
99. 154 Bd. 2: 54. 79
Nietzsche, Friedrich Bd. 1_^ 2. 33. Ranke, Leopold von Bd. l i 115,
36.45.117.177.182.203.245. 126, 2 5 6 ,2 5 9 ,2 6 5
Bd. 2 :1 5 , 16, 78, 98-100 ,1 02,
Bd. 2: 102. 205. 219. 222-224. 103,155
226.229. 233 Richter, W erner Bd. L 2 ,8 , 292,
Novalis (Pseud.), d. L Friedrich 294, 2 9 6 ,2 9 7 ,3 1 3
Leopold Freiherr von H arden Bd. 2 : 322
berg Bd. l i 248. 249 Rickert, Heinrich Bd. 1:121,125,
126, 130
Ockham, Wilhelm von Bd. 1:173. Bd. 2; 12* 77, 109, 110, 203,
234 2.33
Oncken, Wilhelm Bd. 1: 115,129 Riehl, Alois Bd. 2 i 4 3 ,7 9
Origines Bd. L 35. 44 Robespierre, Maximilien de
O tto von Freising Bd. 2 l 12. 77 Bd. I i2 1 6
Palladio, Andrea Bd. 1^211.238 Rodin, Auguste Bd. 2 i 62, 80
Parmenides Bd. 2i 142 Rosmini-Serbati, Antonio Bd. L
Pascal, Blaise Bd. 1:174,189,198 228, 239
Paulus Bd. l i 1 5 2 ,1 2 2 , IM Rothe, Wolfgang Bd. 2 : 321
Bd. 2: 172 Rousseau, Jean-Jacques Bd.
Peary, Robert E. Bd. 1^ 29* 31 56, 217, 225, 229, 239, 246 _
Perez, Arvid FL Bd. 2\ 32.3 Bd. 2: 15,94, 224
Philipp von Orleans Bd. l i 238 Russell, Bertrand Bd. 1_22 , 136bis
Piloty, Karl von Bd. 2 i 63. 80 138, 146, 168, 170, 171, 189,
Platon Bd. 1: 22. 29. 30. 158 203,239, 268
Bd. 2: 154. 289 B d .2 : 276, 299
Plotin Bd. 2\ 298
Poggendorff, Johann Christian Sachs, Hanns Bd. L 8, 273, 274,
Bd. U 139. 146 313
Polgar, Alfred Bd. 1: 7. 269. 270 Bd. 2: 319
Bd. 2: 319 Sadi Carnot, Marie Francois
Poincare, Henri Bd. L 138. 146 Bd. U 295. 297
Bd. 2: 2 1 1 ,2 1 3 ,2 3 2 Saint-Pierre, Jacques Henri Ber-
Poincare, Raymond Bd. l i 295. nardin de Bd. L 225, 239
291 Saint-Simon, Claude Henri Bd. h
Pythagoras Bd. 2: 153 146* 202, 224, 239, 265
Salomon, Gottfried Bd. l i 255,
Quint, Josef Bd. 2: 93 256
Sammons, Christa Bd. 2i 334
Rabelais, Francois Bd. U 205 Sartre, Jean-Paul Bd. Ii2 * 8, 275
211.238 bis 278, 313
331
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Bd. 2: 321 Spencer, Herbert Bd. Ja 16, 23.
Savonarola, Girolamo Bd. jg 188 3 0,144, L65, 169, 181,235
Scott, Walter Bd. 1: 225. 227 Bd. 2a 102, 143,205
Schäfer, Wilhelm Bd. Ja 2 M * 1 1 2 Spengler, Oswald Bd. Ja 304,311
Bd. 2: 311 Spinoza, Baruch de Bd. Ja 22,
Scheler, Max Bd. Ja 42*45* 276 150, 162, 199,219,238
Bd. 2iM * 7^ B d .2 :15,18,53,120,158,180,
Schelling, Friedrich Wilhelm Jo 217
seph von Bd. Ja 2 1 , 2 % 218, Stammler, Rudolf Bd. Ig 2 6 6 ,267
Staudinger, Franz Bd. Ja 266,267
Bd. 2: 16.40,78,108,154.157, Stein, Lorenz von Bd. Ja 255,256,
172 312
Schiller, Friedrich von Bd. 1_^224. Bd. 2: 311
276 Steiner, Herbert Bd. 2 i 322
Bd. 2: 64. 79. 85.94. 108. 155 Stendhal (Pseud.), d. i. Henri
Schlant, Ernestine Bd. 2 : 222
Schleiermacher, Friedrich Ernst Stern, Alfred Bd. 2a 98,154
Daniel Bd. 1: 201. 220 Stramm, August Bd. 2a 61, 80
Schlick, Moritz Bd. h 52 Strauss, Richard Bd. 1:12. 26, 30
Schlosser, Friedrich Christoph Suphan, Bernhard Bd. 2: 77
Bd. 1: 115
Bd. 2: 12, 77, 98, 154 Thiers, Adolphe Bd. lg 295, 297
Schmidt, Sigrid Bd. 2\ 323 Thiess, Frank Bd. 2 : 315
Schönberg, Arnold Bd. 2g 234, Thomas a Kempis Bd. 1:213. 238
318 Tizian (italien. Tiziano Vecellio)
Schönwiese, Ernst Bd. 1 324 Bd. 2: 54
Schönauer, Franz Bd. 2 324 Tolstoj, Leo Bd. L 229
Schopenhauer, Arthur Bd. _h 2* Toynbee, Arnold Joseph Bd. 1:
JA 16-18. 20, 24, 2 L 29~31. 304,311 _
191. 244-246. 249. 279 Treitschke, Heinrich von Bd. Ja
Bd. 2: 108, 155, 173, 194,214 115.130
bis 216.219.221-223.232.307 Trendelenburg, Friedrich Adolf
Schubert, Franz Bd. U 26 Bd. 2 :2 2 , 7 3 ,7 8 , 80
Schroeder, Leopold von Bd. 2 9 1 Troeltsch, Ernst Bd. Ja 196, 238
Schwerte, Hans Bd. 2\ 324
Shackleton, Ernest Henry Bd. 1: Vaihinger, Hans Bd. 2 H L 305
28,31 Vasari, Giorgio Bd. Ja 205, 238
Shakespeare, William Bd. Ja 224 Velde, Henry van de Bd. 2a 51,79
Sheridan, Richard Brinsley Bd. 1: Vergil Bd. Ja 298
22& 221 Vernet, Horace Bd. 2a 55, H l
Sigwart, Christoph Bd. 2: 68, 80 Vico, Giovanni Battista Bd. L
Simmel, Georg Bd. 2a 109, 155 304,311
Spaier, Albert Bd. Ja 2 , 2 6 8 7 m B d .2 : 13, 77
Bd. 2: 322 Vogt, Karl Bd. ja 30. 31
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Voltaire Bd. 1:214,215,217,238, Bd. 2: 320, 324
239 Wilhelm, Richard Bd. 2: 93
Vorländer, Karl Bd. 1: 262, 266 Wilhelm II. Bd. 1 :2 9 3 ,2 9 7
Windelband, Wilhelm Bd. 1: 121
Wagner, Richard Bd. 1: 13, 30, Bd. 2: 109, 110, 155
187 Wittgenstein, Ludwig. Bd. 1: 2,
Bd. 2: 63 170, 171, 175, 189, 202, 203,
Waldeck, Peter Bd. 2: 322 235,239
Weber, Max Bd. 1: 115, 130 Wölfflin, Heinrich Bd. 1:285,291
Weierstraß, Karl Bd. 1: 134, 146 Wolf, Hugo Bd. 1: 268
Bd. 2: 296 Bd. 2: 63
Weininger, Otto Bd. 1: 22, 30, Wolff, Eleanor L. Bd. 2: 322
241,248, 249 Woltmann, Ludwig Bd. 1: 266,
Bd. 2: 232 267
Weltsch, Felix Bd. 1: 7, 250, 251, Worringer, Wilhelm Bd. 1: 285,
312 291
Bd. 2: 311 Wundt, Wilhelm Bd. 1: 165, 181
Werfel, Franz Bd. 1: 36, 45
Weyl, Hermann Bd. 1: 136, 137, Xenophon Bd. 2: 14, 78
146
Whitehead, Alfred North Bd. 2: Zola, Emile Bd. 1: 185, 186, 230
276,299 bis 232, 236
Wienold, Götz Bd. 1: 312 Bd. 2: 55, 79, 80
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Editorische Notiz
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Hermann Broch
Kommentierte Werkausgabe in 13 Bänden
(Leinen und suhrkamp taschenbuch)
Herausgegeben von Paul Michael Lützeier
III. Briefe
Band 13/1: Briefe 1913-1938 (st 710)
Band 13/2: Briefe 1938-1945 (st 711)
Band 13/3: Briefe 1945-1951 (st 712)
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Brochs >Verzauberung<
H erausgegeben von Paul Michael Lützeier
s tm . s u h r k a m p ta s c h e n b u c h 2 0 3 9 . 1983
H erm ann Broch. N eue Studien zum 100. G eburtstag des Dichters
H erausgegeben von Paul Michael L ützeier
s tm . s u h r k a m p ta s c h e n b u c h 2 0 6 5 . 1986
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