Wie viel Steuern der Schweizer Normalverdiener in seinem Leben bezahlt.

Seite 20
18. März 2018
17. Jahrgang | Nr. 11
NZZaS.ch
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Gerichte benachteiligen getrennte Väter

Trotz neuen Regeln zum Kindesunterhalt werden die Mütter begünstigt. Nun wehren sich die Männer
Daniel Friedli
Seit etwas über einem Jahr gilt
das neue Unterhaltsrecht, nun
ziehen die Männer dazu eine ver-
nichtende Bilanz. Nach wie vor
würden die Gerichte die Väter bei
Trennungen benachteiligen, klagt
der Verband Männer.ch in einer
Resolution. Sie hätten es schwer,
die geteilte Obhut zu erstreiten;
oft bleibe ihnen nur die Rolle als
Zahlvater, der zudem teilweise
absurd hohen Unterhalt beglei-
chen müsse. «Uns sind Fälle be-
kannt, wo ein Mann 50 oder mehr
Prozent der Betreuungsarbeit ge-
leistet hat – und trotzdem bekam
nach der Trennung die Frau die
Obhut, während er wieder voll
arbeiten musste», sagt Co-Ge-
schäftsleiter Nicolas Zogg.
Zumindest in diesem Punkt
wird die Kritik der Männer nach
den ersten Erfahrungen mit dem
neuen Recht auch in der Fachwelt
geteilt: Sind sich Mutter und
Vater über die Betreuung nicht ei-
nig, sind die Chancen der Väter
klein. Auch Praktiker haben fest-
gestellt, dass eine Mutter faktisch
die geteilte Obhut verhindern
kann, wenn sie es darauf anlegt.
Doch nicht nur deswegen ist
das neue Recht umstritten. Eine
erste Bilanz zeigt etwa, dass vie-
lerorts ganz unterschiedlich be-
urteilt wird, ab wann der betreu-
ende Elternteil auch selber wie-
der einer Erwerbstätigkeit nach-
gehen muss. Je nach Kanton und
Behörde wird die Grenze hier
beim 3., dem 6. oder aber erst
dem 10. Geburtstag des jüngsten
Kindes gezogen. Und auch die fäl-
ligen Unterhaltsbeiträge werden
überall wieder etwas anders fest-
gesetzt. Die Präsidentin der Stadt-
berner Kesb, Charlotte Chris-
tener, hat ausgerechnet, dass
deren Höhe bei einem Paar mit
zwei Kindern und durchschnitt-
lichem Einkommen je nach ver-
wendeter Methode zwischen
2276 und 2780 Franken liegt. Bei
Paaren mit hohem Einkommen
reicht die Spanne gar von 3486
bis zu rund 5540 Franken – damit
muss ein Unterhaltspflichtiger je
nach Wohnort bis zu über 2000
Franken mehr bezahlen.
Jonas Schweighauser, Profes-
sor für Familienrecht, sagt dazu,
die Politik hätte den Gerichten
wohl etwas engere Leitplanken
setzen sollen. Den Männern rät
Schweighauser, sich schon wäh-
rend der Beziehung ihre Rolle in
der Familie gut zu überlegen.
Denn bei einer Trennung würden
die Gerichte oft das bisher gelebte
Modell fortführen. Laut dem
Männerverband ist dies eben
nicht gegeben. Darum fordert er,
dass nun die geteilte Obhut als
Regelfall festgeschrieben wird.
Seite 9

So plante SVP-Vize
REUTERS

Martullo-Blocher
ihre Politkarriere
SVP-Nationalrätin Magdalena
Martullo-Blocher stellt ihren
politischen Aufstieg als
Pflichtübung dar. Doch sie hat
gezielt darauf hingearbeitet.
Lukas Häuptli,
Andreas Schmid
Mit der Wahl zur Vizepräsidentin
soll Magdalena Martullo-Blocher
am nächsten Samstag zur neuen
starken Frau in der SVP werden.
Die Chefin der Ems-Chemie wan-
delt damit in ihrer Politlaufbahn
auf den Spuren ihres Vaters Chris-
toph Blocher. Dabei betont die
Bündner Nationalrätin mit Wohn-
sitz in Meilen (ZH), wie gering
KEYSTONE
ihre politischen Ambitionen
seien. Doch Verschiedenes deutet
darauf hin, dass sie den Weg nach
Bern von langer Hand geplant
hat: Sie baute ihre Nähe zum
Bündner Stimmvolk gezielt auf.
So hat die Ems-Chemie der
Klosterkirche in Disentis eine
grosszügige Spende zukommen
lassen. Für die Orgel in der Kathe-
drale Chur wiederum zahlte sie
1,6 Millionen Franken. Und recht-
zeitig auf die Nationalratswahlen
2015 hin kaufte Martullo-Blocher
ein Ferienhaus in Lenzerheide.
Beobachter nehmen es der
Nationalrätin denn auch nicht ab,
dass sie keine Bundesratskandi-
datur anstrebe. Sie hoffe nicht,
dass sie das machen müsse, sagte
Martullo-Blocher diese Woche.
Ems-Chemie-Generalsekretär

Peter Dietrich dementiert einen

Zusammenhang zwischen Spon-
soringaktivitäten der Firma und
Martullo-Blochers politischer
Karriere. Das Unternehmen spon-
sere seit vielen Jahrzehnten un-
zählige Veranstaltungen und Ver-
eine mit. «Diese Engagements
sind reine Spenden und Unter-
stützungsprojekte», sagt er.

Magdalena Martullo-Blocher Seite 8

Gebühren: Raiffeisen
zählt zu den Teuersten
Kunden der Genossenschafts-
bank Raiffeisen bezahlen im
Branchenvergleich hohe Gebüh-
ren. Zu diesem Schluss kommt
eine Analyse des Vergleichs-
diensts Moneyland.ch. Unter-
sucht wurden die Kosten für
einen durchschnittlichen Kunden
mit Privat- und Sparkonto, der
über eine Debit- sowie eine Kre-
ditkarte verfügt. Demnach ver-
rechnet Raiffeisen dem Kunden
jährliche Gebühren von 228 Fran-
ken, womit die Bank auf Platz 11
von 15 ausgewerteten Instituten
liegt. Am günstigsten schneidet
die Postfinance ab, bei welcher
11
geschäften zu den teuren Anbie-
tern, sagt Moneyland-Geschäfts-
führer Benjamin Manz. Ähnlich
lautet der Befund des Ver-
gleichsportals Comparis bei den
Hypotheken: Offenbar seien die
EulenfürdenFrieden
Kunden bereit, einen Aufpreis zu Dank der Schleiereule werden im Nahen Osten Nagetiere auf den Feldern dezimieren. Schleier-
zahlen, weil sie die regionale Ver-
ankerung der Bank schätzten.
tiefe Gräben zwischen jahrzehntealten Feinden eulen sind sehr sozial und kooperativ – und
Raiffeisen habe die Bedürf- überwunden. In einem gemeinsamen Projekt darum zu einer Metapher für die erfolgreiche
nisse der regionalen Genossen-
stellen Israeli, Jordanier und Palästinenser im Zusammenarbeit in einem Konfliktgebiet
schaften allerdings zunehmend
aus den Augen verloren, kritisiert Jordantal Nistkästen für die weissen Raubvögel geworden. Unterstützung erhält die Eulen-
der ehemalige Banken-Chef Felix auf. Die Mäusejäger sollen die schädlichen Diplomatie aus der Schweiz. Wissen, Seite 49
Walker. Der Vorgänger des kürz-
lich verhafteten Pierin Vincenz
plädiert aus diesem Grund für ein

der gleiche Kunde 53 Franken be- Umdenken: «Der Zweck der Raiff-
zahlt. Auch die Grossbanken Cre- eisen ist die gemeinsame Selbst- Sport Kultur Hintergrund
9 771660 085003

dit Suisse und UBS haben tiefere hilfe. Dieses genossenschaftliche

Gebühren als die Genossen-
schaftsbank.
Prinzip muss den Mitgliedern die-
nen und nicht den Führungs- Federer rettet sich Bier und Sex: Wenn Im Kopf des Mörders
Während Raiffeisen beim Zah-
lungsverkehr im Mittelfeld ran-
organen.» (sal.)
in den Final 45 Ekel zu Lust wird 57 von Rupperswil 18
giere, gehöre sie bei den Börsen- Seite 25
Aktuell
16 Migranten
ertrunken
Auf dem Weg von der türkischen
Küste zu einer griechischen Insel
ist ein Holzboot mit Migranten
untergegangen. Etwa 20 Perso­
nen sollen an Bord gewesen sein,
wie die griechische Küstenwache
gestern Samstag mitteilte. Nur 3
erreichten das rettende Ufer der
Insel Agathonisi. Beim ersten
grossen Flüchtlingsunglück in
der Ägäis seit Jahresbeginn
ertranken mindestens 16 Migran­
ten. Unter den Opfern waren
auch 4 Kinder. Der griechische
Migrationsminister Dimitris
Vitsas machte Schleuser für das
Unglück verantwortlich. (dpa)
China baut Schiff für
«Polar-Seidenstrasse»
Die chinesische Regierung
macht ernst mit ihrer jüngst
vorgestellten neuen Politik
für die Arktis. Victor Merten
Die Erderwärmung öffnet durch
Eisschmelze neue Schifffahrts-
wege im nördlichen Eismeer. Das
sieht auch China als Chance. Das
Land hat darum mit dem Bau sei-
nes ersten Schiffes für Polarexpe-
ditionen begonnen, wie die Nach-
richtenagentur Xinhua am Sams-
tag berichtete. Der 104 Meter
lange Eisbrecher mit elektri-
schem Antrieb soll bereits im Au-
gust 2019 fertiggestellt sein.
Erst Ende Januar hatte China
erstmals ein Weissbuch für eine
Arktis-Politik vorgestellt. Darin
meldete der Staat, der kein Ark-
tisanrainer ist, seinen Anspruch
an, bei der Entwicklung und Ver-
Millionen Facebook-Daten für
US-Wahlkampf gestohlen
Das politisch umstrittene Big-
Data-Unternehmen Cambridge
Analytica soll widerrechtlich die
privaten Informationen von
50 Millionen Facebook-Nutzern
erlangt haben. Laut einem Be-
richt der «New York Times»
konnte die Firma damit bei den
US-Zwischenwahlen 2014 die
republikanische Seite gezielt im
Wahlkampf unterstützen. Für
Facebook wäre es eines der gröss-
ten Datenlecks der Geschichte. Es
sperrte am Samstag das Konto
von Cambridge Analytica.
Das amerikanische Unterneh-
men mit engen Verbindungen
nach Grossbritannien hatte so-
HISTORY IS STILL BEING WRITTEN ...
Die graue Flut: Spaniens Rentner
demonstrieren in Massen
Zehntausende Rentner haben in
ganz Spanien für eine Anhebung
ihrer Pensionen demonstriert.
In Madrid versammelte sich am
Samstag trotz strömendem Regen
eine riesige Menschenmenge. An
die Adresse von Regierungschef
Mariano Rajoy stand auf vielen
Schildern: «Rajoy, Dieb, du stiehlst
meine Pension.» In den letzten
Wochen waren die Rentner schon
mehrfach auf die Strassen ge­
gangen. Die spanischen Medien
betiteln die Proteste als «graue
Flut». Ein Mann erhält in Spanien
durchschnittlich 1247 Euro Alters­
bezüge, eine Frau 797 Euro. (dpa)
waltung des Meeres mitzureden.
Peking will zudem den Jahrhun-
dertplan einer neuen Seiden-
strasse von Staatschef Xi Jinping
auf die Arktis ausweiten. Um
diese «Polar-Seidenstrasse» zu er-
schliessen, sollen Unternehmen
ermuntert werden, in der Region
Infrastruktur zu bauen und Ver-
suchsfahrten durchzuführen.
Mit der neuen Seidenstrasse
will Präsident Xi an alte Glanz-
zeiten Chinas anknüpfen, als das
Netz der antiken Seidenstrasse
Ostasien mit dem Nahen Osten
und Europa in regem Handel ver-
band. In ihrer neuen Form soll sie
65 Länder mit knapp 70 Prozent
der Weltbevölkerung auf dem
Land- und Seeweg verbinden. Die
nötigen Strassen, See- und Flug-
häfen sowie Schienen- und Was-
serwege dürften laut Schätzun-
gen 26 Billionen Dollar kosten.
wohl den Präsidentschaftswahl-
kampf Donald Trumps 2016 als
auch die Brexit-Befürworter im
gleichen Jahr unterstützt. Dessen
psychografische Modelle erlau-
ben eine zielgruppengenaue
Wahlwerbung im Internet.
Cambridge Analytica hatte in
der Vergangenheit mehrfach
dementiert, widerrechtlich Face-
book-Daten verwendet zu haben.
Gegenüber der «New York Times»
räumte das Unternehmen dieses
Vorgehen aber ein. Zugleich ver-
sicherte es am Samstag in einer
weiteren Erklärung, die Daten
nicht für die Trump-Kampagne
verwendet zu haben. (maz.)
C L A S S I Q U E 7 147
FRANCISCO SECO / AP
Demo-Pensionär in Madrid.
Massenflucht in Syrien
Das Regime und die Türkei bombardieren die Zivilbevölkerung
Inga Rogg, Istanbul
Zehntausende von Zivilisten sind
gestern Samstag aus der Rebel-
lenhochburg Ost-Ghuta nahe
Damaskus und der kurdischen
Hochburg Afrin im Nordwesten
des Landes geflohen. Dabei for-
derten die Angriffe des syrischen
Regimes auf Ost-Ghuta und der
Türkei auf Afrin Dutzende von
Toten. In der Rebellenenklave
nahe der Hauptstadt wurden
nach Angaben von Ärzten seit
Freitag mehr als 80 Zivilisten ge-
tötet. In der Region um Afrin
waren es nach Angaben von Hel-
fern mindestens 20 Personen.
Ende Februar hatte der Uno-Si-
cherheitsrat einen Waffenstill-
stand für ganz Syrien gefordert.
Doch sowohl das Regime von
Bashar al-Asad und seinem russi-
schen Verbündeten als auch der
türkische Präsident Recep Tayyip
Erdogan haben die Forderung
ignoriert. Beide begründen ihre
Haltung mit dem Kampf gegen
«Terroristen», die von der Waf-
fenruhe ausgenommen sind.
Doch weder die islamistischen
Aufständischen, die bis vor kur-
zem einen Grossteil Ost-Ghutas
kontrollierten, noch die kurdi-
sche Volksverteidigungseinheit
(YPG) in Afrin stehen auf der
Uno-Liste der Terrorgruppen.
Kühl liessen Damaskus und
Ankara die Appelle der Uno sowie
der Amerikaner und Europäer ins
Leere laufen. Stattdessen ver-
stärkten sie die Angriffe. Der Fall
von Ost-Ghuta und Afrin scheint
nur noch eine Frage der Zeit.
Dem Regime ist es in den letz-
ten Wochen gelungen, mehr als
Schönheitswettbewerb gegen die
Ausgrenzung von Albinos in Afrika
In Simbabwe ist zum ersten Mal
KEYSTONE
eine «Miss Albino»gekürt worden.
Preisträgerin ist die 22­jährige
Sozialarbeitstudentin Sithembiso
Mutukura. Gesamthaft 13 Frauen
nahmen an dem ungewöhnlichen
Schönheitswettbewerb im Süd­
osten Afrikas teil. Ziel war, gegen
das Stigma von Albinos anzu­
kämpfen. Bei den betroffenen
Personen ist die Bildung des Pig­
ments Melanin gestört, was zu
heller Haut führt. In etlichen Län­
dern Afrikas werden sie diskrimi­
niert. Viele werden Opfer von
gewalttätigen Angriffen. Man­
cherorts existiert auch der Aber­
Familien bringen sich aus Ost-Ghuta in Sicherheit. (15. März 2018)
zwei Drittel der Region östlich der
Hauptstadt zurückzuerobern. Die
verbliebenen Gebiete sind inzwi-
schen dreigeteilt. Rücksichtslos
bombardieren syrische und rus-
sische Kampfjets auch die Zivil-
bevölkerung. Der Präsident des
Internationalen Komitees vom
Roten Kreuz, Peter Mauer, der
diese Woche Ost-Ghuta besuchte,
sagte, die Menschen, die er ge-
troffen habe, seien erschöpft von
den Bomben und Raketen. «Wie
lange werden die Mächte, die
hinter den Kämpfen stehen, zu-
lassen, dass sie sich hinziehen?
Sie müssten doch wissen, dass
ein Krieg der Rache ein Krieg
N A P O L É O N B O N A PA R T E ( 1 76 9 - 1 82 1 )
L E G E N D Ä R E R B R E G U E T K U N D E – W W W. B R E G U E T. C O M
Sithembiso Mutukura (Mitte).
glaube, dass die Körperteile von
Albinos magische Kräfte besäs­
sen. Seit 2006 kam es darum
laut dem Uno­Menschenrechts­
büro in 28 Ländern südlich der
Sahara zu mehr als 600 Angrif­
fen auf Albinos. (dpa)
SANA / AP
ohne Ende ist, in dem jeder ver-
liert», sagte er.
Doch Asad wähnt sich auf der
Siegerstrasse. Ost-Ghuta reiht
sich damit in die Liste der Städte
wie Aleppo oder Homs sowie
Gebiete in Nord-, Zentral- und
Süd-Syrien ein, die der Despot
mit nackter Gewalt, Hungerblo-
ckaden und Waffenstillständen
in die Knie gezwungen hat. Ge-
schwächt und verzweifelt schlos-
sen sich am Samstag nach russi-
schen Angaben 11 000 Personen
dem Exodus aus Ost-Ghuta an. In
den letzten Tagen hatten bereits
mehr als 30 000 Einwohner die
Region verlassen.
NZZ am Sonntag 18. März 2018
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Artikel der Woche
Die Steuern der Schweizer sind
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Machtzentren der Zukunft
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messen berührt – dann haue ich
ihm eine runter!» nzz.as/top5
Im Schatten der Grossoffensive
auf Ost-Ghuta setzt die Türkei im
Norden alles daran, der kurdi-
schen Selbstverwaltung ein Ende
zu bereiten. Dabei stellt Präsident
Erdogan den Angriff auf Afrin,
das bisher weitgehend vom Krieg
verschont geblieben war, als «Be-
freiung» dar. Nach Angaben der
Syrischen Beobachtungsstelle für
Menschenrechte sind seit Mitt-
woch rund 200 000 Zivilisten vor
den Luft- und Artillerieangriffen
geflohen, allein am Samstag seien
es 50 000 gewesen. Die Einwoh-
ner flohen jedoch nicht in die
mittlerweile von der türkischen
Armee und ihren syrischen Hilfs-
truppen kontrollierten Regionen,
sondern in Gebiete nördlich von
Aleppo, die sich unter Regime-
kontrolle befinden. Laut der Uno
kamen dort seit Freitag mehr als
15 000 Familien an. Angesichts
der fast vollständigen Einkesse-
lung der Stadt Afrin halte der
Exodus an, twitterte Sajjad Malik,
Leiter des Uno-Flüchtlingshilfs-
werks in Syrien. «Einige erreich-
ten Nubul, Nord-Aleppo, nach
einem gefährlichen Marsch zu
Fuss, andere mussten bezahlen,
um in Sicherheit zu gelangen.»
Derweil dauerten die Luft-
angriffe und Kämpfe rund um
Afrin Stadt an. Ankara hat in den
letzten Wochen die Truppen noch
einmal massiv verstärkt. Der Ein-
marsch in die Stadt stehe kurz be-
vor, sagte Erdogan am Samstag.
Anstelle der YPG und ihres poli-
tischen Arms will er seine syri-
schen Verbündeten installieren,
unter ihnen viele Islamisten, und
so sein Einflussgebiet in Nord-
syrien weiter ausdehnen.
NZZ am Sonntag 18. März 2018
International USA 3

Trump zerschlägt den Staat

Entlassungen am Laufmeter, Unterbesetzungen in der Verwaltung, Sparprogramme bei Sozialem und
Bildung: Der US-Präsident verfolgt einen grossen Plan. Von Andreas Mink, New York

D
iese Woche traf es Aussenminister
DREW ANGERER / GETTY IMAGES

Rex Tillerson und Wirtschaftsberater

Gary Cohn. Bald soll auch der Natio-
nale Sicherheitsberater H.R.McMas-
ter an die Reihe kommen. US-Präsident
Donald Trump wechselt seine Minister aus
wie seine Krawatten. Auch der Stuhl von
Stabschef John Kelly soll wackeln und jener
von Veteranen-Minister David Shulkin. An-
geblich sind die Kabinettsmitglieder für Woh-
nungsbau, Umwelt, Inneres und Bildung
ebenfalls bei Trump in Ungnade gefallen.
Trump hat punkto Personalverschleiss einen
Rekord aufgestellt. Laut einer Analyse des
Brookings-Institutes hat der US-Präsident
43 Prozent seiner Führungsriege in der Regie-
rung ausgetauscht. Ronald Reagan, der bis-
herige Rekordhalter in dieser Disziplin, hatte
im gleichen Zeitraum weniger als halb so viele
auf dem Gewissen.
An die Stelle der Geschassten setzt Trump
Loyalisten. So übernimmt der CIA-Chef Mike
Pompeo das Aussenministerium von Tiller-
son. Der Republikaner aus Kansas gilt als
Nationalist und Hardliner nach dem «America
First»-Geschmack Trumps. Pompeo hat bisher
ohnehin kaum Zeit am CIA-Hauptquartier
ausserhalb Washingtons verbracht. Viel lieber
zeigte er sich im Weissen Haus. Trump rühmte
bei Pompeos Ernennung die «gute Chemie»,
die ihn mit Pompeo verbinde. Grundlage da-
für sollen dem Vernehmen nach jedoch vor
allem Pompeos Schmeicheleinheiten sein.
Lob und Bestätigung für Donald Trump sind
der beste Weg zu dessen Gunst. Als Meister
dafür gelten Vizepräsident Mike Pence und
Finanzminister Steve Mnuchin. Auch der als
Nachfolger von McMaster gehandelte Ex-
Diplomat John Bolton lobt Trump ständig auf
dem konservativen TV-Sender Fox News. Aus-
serdem hat der ultra-konservative Hardliner Beamte im Weissen Haus können sich ihrer Stelle nicht mehr sicher sein. Trump baut ab, wo er nur kann. (Washington, 9. Juni 2017)
mehrfach mit Trump diniert. Eliot Cohen, ein
Veteran des Aussenministeriums unter
George W.Bush, schreibt dazu im angesehe- Bereits im Wahlkampf len Netzes. Entsprechende Gesetzentwürfe positionen vakant, ermutigte Kündigungen
Geschasst,
nen Politmagazin «The Atlantic», Trump um- für die «Privatisierung» staatlicher Renten und strich Stellen. Von 640 Spitzenpositionen
gebe sich mit einem «Team von Schleimern».
kündigte Trump an: «Ich und Krankenversicherungen liegen beim Kon- in Ministerien und im Weissen Haus, die einer gegangen
werde Bürokraten in gress. Das Weisse Haus hat im Budget für 2019 Bestätigung durch den Senat bedürfen, sind
Schulden machen, abbauen
Doch hinter der Leichtfertigkeit, mit der
einem so hohen Tempo bereits eine radikale Kürzung von Beihilfen
für Wohnen, Ernährung und Bildung vorge-
bisher nur 275 besetzt. Für 217 Stellen hat er
anhin nicht einmal Kandidaten aufgestellt.
Trump sein Top-Personal feuert, steckt mehr feuern, dass den Leuten sehen. Parallel dazu reduziert Trump die Rol- Laut dem von Ex-Aussenminister James
als blosse Eitelkeit. Ausser mit Schmeichlern der Kopf schwirrt.» le des Staates in der Gesellschaft durch die Ab- Baker gegründeten Baker Institute waren bei
besetzte Trump Ministerposten auch mit In- schaffung von Auflagen. Dazu kommt die Ministerien Ende Januar nur etwa die Hälfte
kompetenten, Industrielobbyisten und ideo- Freigabe und womöglich der Verkauf födera- der oberen Ränge besetzt. Besonders hart be-
logischen Staatsfeinden. Das ist kein Zufall, gängig gemacht werden. Seit Ronald Reagan len Bodens an Öl-Konzerne, Minen-Betreiber troffen ist der diplomatische Dienst. Dort gibt
sondern Strategie. Wie die Politologen Jacob ist der Abbau von Steuern und Staat das und Landwirte. Dies ist ein wichtiges Anlie- es für fast ein Drittel von 188 Botschafter-Posi-
Hacker und Ira Katznelson gegenüber der grösste Anliegen der Republikaner. Trumps gen für Konservative wie die Gebrüder Charles tionen nicht einmal Kandidaten, und ein Aussenminister
«NZZ am Sonntag» erklären, kam Trump mit Ex-Berater Steve Bannon will dabei besonders und David Koch, die dafür Prozesse führen Zehntel wird von Platzhaltern besetzt. Des- Rex Tillerson
einem ehrgeizigen Ziel in das Weisse Haus: der weit gehen. Er prägte die griffige Formel «Zer- und politisches Lobbying betreiben. halb fehlen äusserst wichtige Fachleute für musste gehen.
Zerschlagung des seit den 1930er Jahren aus- störung des Verwaltungsstaates». Die Personalpolitik auf Verwaltungsebene Krisenherde wie Nordkorea.
gebauten US-Staatsapparates. Der demokrati- Mit den massiven Steuersenkungen für hat das gleiche Ziel: Sie lautet Kahlschlag.
sche Präsident Franklin D.Roosevelt hatte Konzerne und Wohlhabende vom Dezember Trump will über Haushaltskürzungen die ins- Militär wird ausgenommen
nach der Weltwirtschaftskrise mit seinem hat Trump die Weichen für eine langfristige gesamt zwei Millionen Beamten der föderalen Die grosse Ausnahme bei dem Kahlschlag sind
New Deal Steuern erhöht und die Schaffung Umsetzung dieses Ziels gestellt. Die Staats- Behörden um mindestens zehn Prozent redu- Militär und Geheimdienste. Ein Präsidenten-
eines sozialen Netzes eingeleitet, das Lyndon schulden liegen schon heute bei 20 Billionen zieren. Bereits im Wahlkampf hatte Trump an- Sprecher sagte dazu jüngst, die Regierung sei
B.Johnson 1965 mit der Einführung staat- Dollar. Damit schaffen Trump und seine Ver- gekündigt: «Ich werde Bürokraten in einem so dabei, die Verwaltung zu verschlanken. Fort-
licher Krankenversicherungen für Senioren bündeten im Kongress die Rechtfertigung für hohen Tempo feuern, dass den Leuten der an hätten Militär und Heimatschutz Vorrang
und Bedürftige vollendet hat. Das soll rück- die Beschneidung oder Beseitigung des sozia- Kopf schwirrt.» So liess Trump viele Spitzen- beim Haushalt.
In Bundesministerien kam es zudem zu Wirtschaftsberater
einem Massenexodus von Fachleuten, weil Gary Cohn ging auf
ihnen verboten wird, über Klimapolitik zu re- eigenen Wunsch.
John Bolton den, oder weil ihre Vollmachten beschnitten FOTOS: AP, IMAGO, REUTERS
werden. 71 000 Beamte verliessen im ersten
Halbjahr der Trump-Präsidentschaft ihre Pos-

«Der gefährlichste Mann in der Bush-Regierung»

Der Hardliner John Bolton ist
laut US-Medien im Gespräch,
H. R.McMaster als Nationalen
Sicherheitsberater zu ersetzen.
Als Uno-Botschafter unter US-
Präsident George W.Bush 2005
war er einer der eifrigsten Ver-
fechter des Irakkrieges, heute ist
Anwalt für Rechtsethik. «Ihn als kommission in Genf mit einem
Nationalen Sicherheitsberater Menschenrechtsrat zu ersetzen,
einzustellen, wäre eine Ein- zu untergraben versucht.
ladung zum Krieg», schreibt Seit Trumps Ankündigung,
Painter auf Twitter. offen für direkte Gespräche mit
Der schnauzbärtige Bolton war Nordkoreas Diktator Kim Jong Un
im Dienst mehrerer konservati- zu sein, hat Bolton jedoch eine
ver US-Regierungen und gilt als Aufgabe für Genf: Im Palais des
GETTY
Vertreter rührte das Schreiben
aber nicht an, die Verhandlungen
platzten, und die USA begannen
den Kriegseinsatz «Desert Storm».
«Dieser Konferenzsaal würde
Kim Jong Un die richtige Bot-
schaft senden», sagte Bolton in
einer amerikanischen Radio-
ten, doppelt so viele wie im Vergleichszeit-
raum unter Barack Obama. Bis im September
gaben 6800 oder neun Prozent der Festange-
stellten bei der Steuerbehörde IRS ihre Posten
auf. Das Amt für Arbeitssicherheit ist durch
Pensionierungen und den Einstellungsstopp
seit dem Herbst nicht mehr zu effektiver Pressesprecherin
Arbeit fähig, wie der ehemalige Direktor sagte. Hope Hicks wollte
Die Personalwechsel und die Unterbesetzung auch nicht mehr.
haben jedoch Folgen. So sind Demoralisie-
rung und Burnout beim Personal im Weissen
Haus verbreitet. Selbst Vertraute wie die

er Kommentator auf Trumps
Lieblingskanal Fox News.
Noch ist McMaster im Amt.
Dass Bolton aber für den Job,
den so einflussreiche Männer
wie Henry Kissinger oder Brent
Scowcroft besetzten, überhaupt
in Erwägung gezogen wird, löst
bei vielen, die ihn aus seiner
bisherigen Arbeit kennen, Ent-
setzen aus.
«John Bolton war mit Abstand
der gefährlichste Mann, den wir
in den acht Jahren der Bush-
Regierung hatten», warnte etwa
Richard Painter, unter Bush
Meister der Hinhaltetaktik. So Nations soll das Treffen zwi- sendung vergangene Woche. Pressesprecherin Hope Hicks haben Trump
schützte er die Reagan-Regierung schen Trump und Kim statt- Ein langes Gespräch zwi- inzwischen erschöpft verlassen. Das Interes-
als junger Staatsanwalt vor den finden, und zwar in jenem schen Trump und Kim sei se, im Umfeld von Trump zu arbeiten, nimmt
Ermittlern in der Iran-Contra- Konferenzraum, in dem die nicht nötig. Der Präsi- ab. Und auch wenn er Posten besetzen will,
Affäre. Er sprach den Beamten USA 1991 mit dem Irak Frie- dent brauche dem Nord- hat der Präsident laut Experten wachsende
die nötige Befugnis zur Einsicht densverhandlungen führ- koreaner bloss zu sagen, Probleme bei der Kandidatensuche.
in gewisse Dokumente ab. ten. Auf dem Tisch wenn dieser nicht Wohin das Sparen und der Abbau führen,
Bolton ist ausgesprochener lag laut Bolton sofort mit der voll- hat unlängst der Historiker Timothy Snyder in
Gegner des Multilateralismus damals ein Brief ständigen einem düsteren Ausblick beschrieben.
und der Vereinten Nationen. von George Denuklearisie- «Irgendwann werden wir einen Punkt errei-
Während seiner Zeit als Bot- H.W.Bush an rung anfange, chen, wo Demokratie keinen Sinn mehr er-
schafter in New York hatte er den iraki- liessen sich die gibt.» Menschen am Boden der Gesellschaft
dem damaligen Schweizer Amts- schen USA andere dächten, dieses System bringe ihnen ohnehin
kollegen Peter Maurer viel Kopf- Regenten Mittel einfallen. nichts mehr, und sie wälzten sich in ihrer Wut.
zerbrechen bereitet und das Saddam Hus- Roman Elsener, Und Menschen an der Spitze hätten Demokra-
Bestreben, die Menschenrechts- sein. Dessen New York tie ohnehin nicht nötig.
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NZZ am Sonntag 18. März 2018
«Londongrad» fürchtet sich
Nach neuem Mordanschlag warnt die Polizei Exilrussen – Moskau weist 23 britische Diplomaten aus
Martin Alioth, Dublin
Die russische Regierung hat am
Samstag 23 britische Diplomaten
ausgewiesen und die Schliessung
der britischen Sprach- und Kul-
turinstitute in Russland verfügt.
Sie reagierte damit auf entspre-
chende britische Sanktionen vom
letzten Mittwoch. Auslöser dieser
diplomatischen Konfrontation
war ein Mordanschlag mit einem
Nervengas vom Typ Novitschok
am 4. März in der englischen
Stadt Salisbury. Seither ringen der
ehemalige Doppelagent Sergei
Skripal und seine Tochter Yulia
um ihr Leben. Ein ebenfalls kon-
taminierter Polizist schwebt nicht
mehr in Lebensgefahr.
Die britische Regierung hat den
russischen Präsidenten Wladimir
Putin direkt für den Mord-
anschlag verantwortlich ge-
macht, da dieses Nervengift in
den Laboratorien der einstigen
Sowjetunion entwickelt worden
war. Die britische Premierminis-
terin Theresa May wiederholte
ihre Vorwürfe am Samstag in
einer Rede vor ihrer Partei.
Die britische Polizei hat nun
Kontakt mit weiteren Exilrussen
in London aufgenommen, um
ihre Schutzvorkehrungen zu ver-
bessern. Jewgeni Tschitschwar-
kin, der sein Vermögen in Russ-
land mit frühen Mobiltelefonen
gemacht hatte, erzählte der «New
York Times», er werde immer
noch beschattet. Tschitschwarkin
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International
betreibt inzwischen den teuers-
ten Weinladen in London, ge-
nannt Hedonism. Belustigt be-
richtet er, seine Verfolger entlarv-
ten sich, weil sie Sonnenblumen-
kerne kauten – offenbar ein russi-
scher Zeitvertreib.
In der Londoner «Times» be-
stätigte ein namentlich nicht ge-
nannter Russe im Londoner Asyl,
er habe seit dem Giftanschlag auf
die Skripals permanent einen
Polizeiwagen vor seinem Haus.
Der Giftanschlag auf Vater und
Tochter weckte Erinnerungen an
die Vergiftung des einstigen rus-
sischen Agenten Aleksandr Litwi-
nenko im Jahr 2006. Damals hat-
ten zwei russische Agenten in
London das radioaktive Isotop
Polonium 210 verwendet. Litwi-
nenko war ein Günstling des rus-
sischen Oligarchen Boris Bere-
sowski gewesen, der seinerseits
2013 unter dubiosen Umständen
verstorben war. Am Freitag über-
raschte die Terrorabwehr von
Scotland Yard die britische
Öffentlichkeit mit einer dürren
Meldung: Auch der Tod des Exil-
russen Nikolai Gluschkow in Lon-
433
So viele reiche Russen sicherten
sich zwischen 2008 und 2014
ein britisches Golden Visa –
gegen 1 Million Pfund.
don am Montag sei nun Gegen-
stand einer Morduntersuchung.
Alte Rechnungen
Gluschkow, der britisches Asyl-
recht genoss, war ebenfalls ein
Freund Beresowskis gewesen. Er
hatte stets bezweifelt, dass sein
einstiger Arbeitgeber Selbstmord
verübt hat. Wie ein weiterer
Freund der beiden, der Mikrobio-
loge Alexander Goldfarb, briti-
schen Medien am Samstag erklärt
hat, hatte Gluschkow als Finanz-
chef der russischen Fluggesell-
schaft Aeroflot in den neunziger
Jahren Hunderte von Spionen
entlassen und dubiose Bank-
konten geschlossen. Damit zog er
sich den Zorn der russischen Ge-
heimdienste zu. Britische Medien
meldeten am Samstag unter Be-
zug auf Polizeiquellen, Glusch-
kow sei erwürgt und anschlies-
send aufgehängt worden, um
einen Selbstmord vorzutäuschen.
Auf dieselbe Weise, so glaubte
Gluschkow selbst, war Beresow-
ski umgebracht worden. Letztes
Jahr veröffentlichte die russische
Botschaft in London eine Liste
mit 22 Personen, deren Ausliefe-
rung Russland verlangt. Glusch-
kows Name stand zuoberst.
Die britische Innenministerin
Amber Rudd beauftragte diese
Woche die Polizei damit, umstrit-
tene Todesfälle unter Exilrussen
und ihren britischen Anwälten
neu aufzurollen. Die britischen
Behörden haben in den letzten
Spurensicherung im Fall Nikolai Gluschkow. (New Malden, 14. 3. 2018)
Jahren auffällig oft natürliche
Todesursachen, Unfälle oder
Selbstmorde registriert, wenn die
Indizien auf äussere Gewaltein-
wirkung hindeuteten. Das alles
signalisiert einen britischen Kurs-
wechsel: Die zahme Reaktion auf
die spektakuläre Ermordung Lit-
winenkos habe das Putin-Regime
zur Unverfrorenheit ermutigt, be-
haupten Kritiker.
5
Fünftel aller Immobilien im Wert
PETER NICHOLLS / REUTERS
von über fünf Millionen Pfund
endeten in russischen Händen.
Die britische Regierung bot
den Oligarchen bereitwillig
Unterschlupf. Zwischen 2008
und 2014 erkauften sich 433 Rus-
sen das Niederlassungsrecht. Sie
brauchten bloss eine Million
Pfund in britischen Schuldver-
schreibungen anzulegen. Die Her-
kunft dieser Mittel wurde nicht
überprüft, aber das Geld wurde
verzinst und nach der Erteilung
der Niederlassungsbewilligung
zurückbezahlt. Erst 2015 wurden
die Verfahren verschärft.
Der Wind dreht
Vor gut einem Jahr verhängte die
britische Finanzaufsicht der
Deutschen Bank eine Rekord-
busse von 163 Millionen Pfund.
Die Moskauer Filiale hatte zwi-
schen 2012 und 2015 rund zehn
Milliarden Dollar aus Russland
nach London geschleust – ohne
die Vorschriften gegen Geld-
wäscherei anzuwenden.
In den exklusiven Londoner
Gemäss Schätzungen leben in- Quartieren Chelsea und Mayfair
zwischen nahezu 150 000 Russen schwelgen diese Exilrussen in un-
in London. Die Oligarchen und ermesslichem Luxus. 2015 wid-
die Putin-Kritiker bilden nur eine mete das russische Fernsehen
kleine Minderheit. Doch die rei- diesem Gebaren eine Kriminal-
chen Russen mit dubioser Ver- komödie unter dem Namen «Lon-
gangenheit wurden umworben. dongrad». Doch nun will das
Der Nobelmakler Knight Frank Unterhaus die Herkunft dieser
bezeichnete Russen als die wich- Vermögen durchleuchten. Es
tigste Gruppe von Käufern von wird ungemütlich für die Bewoh-
Luxusimmobilien in London. Ein ner von Londongrad.
geschenkt
6 International
«Orban und Putin geben Wählern das
Gefühl des absoluten Sieges»
Der Westen war einst Vorbild der Osteuropäer. Doch heute halten sie Europa für dekadent. Sie wollten den
Kontinent zur demokratischen Autokratie machen, sagt Politologe Ivan Krastev. Interview: Gordana Mijuk
NZZ am Sonntag: In Ihrem Buch
«Europadämmerung» schreiben
Sie, dass die Flüchtlingskrise für
Europa das ist, was für die USA
der 11. September 2001 war.
Ivan Krastev: Die Flüchtlings-
krise hat uns gezwungen, die
Welt mit anderen Augen zu
sehen. So wie es die Amerikaner
nach 9/11 tun mussten. Für das
westliche Europa schien seit
dem Ende des Kalten Krieges nur
eine Frage relevant: Wie kann
der Rest der Welt den Westen am
besten nachahmen und in libe-
rale Demokratien umgewandelt
werden? Nun aber versteht der
Westen und insbesondere
Europa plötzlich, dass die Frage
eine ganz andere ist. Sie lautet:
Wie können wir verhindern, dass
uns andere verändern? Was wir
einst lobten, etwa die Anzie-
hungskraft Europas, entpuppt
sich jetzt als Bedrohung. Eine
Welt, in der jeder nach Europa
kommen will, macht den Men-
schen in Europa Angst.
Und plötzlich sieht die EU, dass
sie ein Problem an der Aussen-
grenze hat.
Die EU war bisher nie an Aus-
sengrenzen interessiert, weil sie
expandieren wollte. Die EU
grenzte jahrelang sozusagen an
potenzielle Mitgliedstaaten. Das
war im Falle des Balkans so, der
Türkei, der Ukraine. Die Attrakti-
vität Europas bestand gerade
darin, weiche Grenzen zu
ziehen. Die Devise für angren-
zende Länder lautete: Wenn ihr
euch verhaltet wie wir, könnt ihr
Teil von uns werden. Die EU
definierte sich als politische Idee
und über ihre Institutionen. Die
Flüchtlingskrise allerdings
machte Europa über Nacht von
einer Idee zu einem Ort. Und mit
dem Ort kamen auch die Pro-
bleme mit den Aussengrenzen
und die Frage, wie man diese
schützen kann. Auch wenn der-
zeit die Zahl der Flüchtlinge
abnimmt, die Flüchtlingskrise
hat Europa für immer verändert.
Vor allem politisch?
In der EU ist eine Renationali-
sierung zu beobachten. Schauen
Sie zum Beispiel nach Italien.
Hier hat sich die Lega von einer
einst regionalen separatistischen
Partei Lega Nord zu einer natio-
nalistischen Partei gewandelt.
Weshalb? Weil der Ort zentral
wird in der Politik. Die Flücht-
lingskrise hat generell eine Ver-
schiebung der Wähler von Mitte-
links nach rechts und zur extre-
men Rechten ausgelöst. Die
Sozialdemokraten sind im freien
Fall, auch dies haben die Wahlen
in Italien bestätigt. Die Argu-
mente haben sich ebenfalls
gewandelt. Früher war es der
Linken sehr wichtig, dass man
Menschen in anderen Welt-
gegenden, etwa in ländlichen
Gemeinden in Indien, ja nicht
unsere Lebensweise aufzwingt.
Heute sagt die Mittelklasse in
Westeuropa: Wir haben auch das
Recht, unsere Lebensweise zu
beschützen.
In Osteuropa war man von
Anfang an vehement gegen
Flüchtlinge. Weshalb?
Die Flüchtlingskrise brachte
etwas ans Licht, was wir bis
anhin nicht gesehen haben: die
Ost-West-Spaltung. Europa ist
entzweit, nicht nur durch die
unterschiedlichen Geschichten,
sondern durch ihre verschiede-
«Die Flüchtlingskrise ist das 9/11 Europas»: Ivan Krastev. (Röszke, Ungarn 27. 8. 2015)
nen Gesellschaften. In Ost-
europa ist die Bevölkerung äus-
serst homogen. Polen ist eines
der homogensten Länder in der
Welt. 98 Prozent der Bevölke-
rung sind ethnische Polen, 0,1
Prozent sind Muslime. Die Polen
bilden eine kulturelle Einheit.
Auch in Ungarn leben vor allem
Ungarn. Schauen Sie dagegen
nach Wien, dort hat die Hälfte
der Schulkinder einen Elternteil,
der nicht in Österreich geboren
wurde. Diese Differenz sorgt für
die grösste Spaltung zwischen
Ost und West.
Was sind die Folgen?
Nehmen Sie den Rechtsrutsch
in Europa. Es gibt ihn im Westen
und im Osten. Aber was ist die
Rechte im Westen? Und was im
Osten? Die Konservativen im
Westen sind ein Produkt einer
kulturellen und religiösen Diver-
sität des Westens. Es überrascht
im Westen niemanden, wenn ein
Parteichef der extremen Rechten
homosexuell ist. Gehen Sie in
den Osten, sieht dies anders aus:
Dort geht es in erster Linie um
die Nation, nicht um das Indivi-
duum. Dort bedeutet Konserva-
tismus, gegen Minderheiten zu
sein: sexuelle, ethnische, reli-
giöse oder politische.
Sind die Konservativen im Westen
weniger rechts?
Ich gebe Ihnen noch ein Bei-
spiel: Konservative im Westen
haben Probleme mit jenen, die
sich nicht integrieren wollen, aus
politischen oder religiösen Grün-
den. Konservative im Osten
glauben dagegen überhaupt
nicht an Integration. Sie fürchten
sich vor Integration. Die Ost-
europäer wollen ihre Situation
der ethnischen Homogenität
beibehalten. Für die westeuro-
päischen Konservativen ist das
gar keine Option mehr. Hier ist
eine Konfrontation absehbar.
Sie meinen zwischen der Rechten
im Westen und jener im Osten?
Ja. Sie teilen zwar die Ängste
gegenüber dem Fremden. Doch
sie haben unterschiedliche Aus-
gangslagen.
Wie geht diese Fremdenfeindlich-
keit zusammen mit der Tatsache,
dass ein grosser Teil der Bevölke-
rung in Polen und Ungarn selbst
ausgewandert ist?
Nach dem Ende des Kalten
Krieges gab es in Osteuropa vor
allem einen Wunsch: zur Norma-
lität zurückzukehren. So zu
werden wie der Westen oder am
besten so zu werden wie die
Deutschen. Viele wollten nicht
BERNADETT SZABO / REUTERS
warten und emigrierten quasi
über Nacht. Die ersten Auswan-
derer waren prowestlich einge-
stellt, wollten mit der kommu-
nistischen Vergangenheit bre-
chen. Das hat zu einem eigent-
lichen Exodus geführt. Die meis-
ten osteuropäischen Länder mit
der Ausnahme von Slowenien,
der Slowakei und in einem
gewissen Grad Polen haben
heute eine kleinere Bevölkerung
als 1989. Sie schrumpfen und
altern. Osteuropa ist traumati-
siert von der Auswanderung.
Hinzu kommt eine Art geistige
Emigration: Ein Teil der Bevölke-
rung denkt darüber nach,
irgendwann ebenfalls das Land
zu verlassen. Das verändert eine
Gesellschaft grundlegend.
Die Länder gehen so zugrunde.
Natürlich. Die Regierungen
sahen sich gezwungen, etwas zu
tun gegen diese Abwanderung.
Sie machten aus ihrem Land ein
heiliges Land, ein Land, das man
nicht verlassen soll: Um ein
guter Bulgare zu sein, muss man
in Bulgarien bleiben, um ein
guter Pole zu sein, bleibt man in
Polen. Man muss der Welt
zudem zeigen, dass man das
Opfer der Welt ist. Die nationalis-
tische osteuropäische Rhetorik
kann man verurteilen, aber man
sollte verstehen, woher sie
kommt. Die Regierungen ver-
suchen, ihre Länder wieder auf-
zuwerten. Das eigene Land mag
arm sein, aber es ist rituell von
Bedeutung. Die Heimat ist der
einzige Ort, in dem man richtig
glücklich sein kann.
Gehört dazu auch das Holocaust-
gesetz in Polen, das unter Strafe
stellt, von polnischen Konzentra-
tionslagern zu sprechen?
Natürlich. Polen muss dieser
einzigartige unbefleckte Ort der
Identität sein. Dazu gehört in
Polen und Ungarn auch die Idee
des Christentums, auch die Reli-
gion soll Identität schaffen und
eine Gemeinschaft. Dabei sind
weder Victor Orban in Ungarn
noch Jaroslaw Kaczynski in
Polen besonders religiös. Doch
das spielt keine Rolle, geht es
Ivan Krastev doch um Identität.
Ist es gelungen? Sind diese Länder
inzwischen heilig geworden?
Ich habe dazu ein interessan-
tes Erlebnis gehabt. Es ist Usus
im Osten, dass Exilbulgaren in
den Sommerferien in ihre
Heimat zurückkehren, Familie
und Freunde treffen und die Zeit
Der 53-jährige Bulgare ist Vor- zusammen geniessen. Vor drei
sitzender des Centre for Liberal Jahren sprach ich in einem sol-
Strategies in Sofia und Perma- chen Sommer mit einem bulgari-
nent Fellow am Institut für die schen Freund. Er sagte mir, er
Wissenschaften vom Men- könne gar nicht erwarten, dass
schen in Wien, wo er den diese Ferien endlich zu Ende
Schwerpunkt «Die Zukunft der gingen und all diese fremden
Demokratie» leitet. 2017 Bulgaren das Land wieder ver-
erschien sein Buch «Europa- lassen würden. Sie meckerten
dämmerung». Krastev schreibt nur und kritisierten, wie korrupt
regelmässig Analysen für die in ihrer Heimat alles sei. Er
internationale Ausgabe der könne es nicht mehr hören.
«New York Times». Damals verstand ich, dass sich
etwas grundlegend verändert.
Was denn?
Wie ich vorhin sagte, wollte
der Osten nach 1989 vor allem
eins: Normalität. Normal war der
Westen mit seiner Marktwirt-
schaft, mit der Demokratie, mit
dem hohen Lebensstandard.
Doch plötzlich fing der Osten an,
den Westen als abnormal wahr-
zunehmen. Mit seinen Homo-
NZZ am Sonntag 18. März 2018
Ehen, seiner Dekadenz. Der
Osten merkte plötzlich, dass er
den Westen gar nicht versteht.
Der Psychiater und Philosoph
Karl Jaspers sagte einst: Das
Vaterland ist ein Ort, den du
verstehst. Osteuropa ist Teil
eines Europas, das es nicht ver-
steht.
Doch es bleibt ihnen nichts ande-
res übrig. Ein Alleingang wäre für
Osteuropa auch keine Alternative.
Osteuropäer wissen sehr
wohl, dass sie den Rest Europas
brauchen, dass sie nicht einfach
wegrennen können. Deshalb ist
ihr Plan ein anderer. Osteuropa
will Europa neu gestalten,
umbauen. Europa braucht aus
ihrer Sicht ein Remake. Vorreiter
dieser Denkweise ist der ungari-
sche Ministerpräsident Viktor
Orban, ein äusserst talentierter
Politiker. Im Sommer 2017 sagte
er in einer Rede sinngemäss: Die
letzten 25 Jahre war Europa für
uns das Vorbild. Jetzt sind wir
das Vorbild für Europa. Europa
ging es vor allem darum, die
Rechte von Minderheiten zu
schützen. Wir sind eine Demo-
kratie, welche die Rechte der
Mehrheiten schützt.
Wie ist das zu erklären?
Was wir im Moment sehen, ist
eine Reaktion auf Demokratisie-
rungswellen. Diese Gegenwellen
waren stets autokratisch. Was
wir jetzt aber zum ersten Mal
sehen, ist, dass aus so einer
Gegenreaktion eine demokrati-
sche Alternative zur liberalen
Demokratie entstehen kann.
Eine demokratische?
Es ist eine Art demokratische
Autokratie.
Das tönt nicht sehr demokratisch.
Es gibt freie Wahlen, aber
keine Kontrolle, keine Gewalten-
teilung. Es ist ein politisches
System und eine politische
Atmosphäre, in der es die Oppo-
sition schwer hat, Wahlen zu
gewinnen. Es sind elektorale
Autokratien, in denen die Mehr-
heit ohne Bedingungen, ohne
Grenzen regiert. Das ist auch das
Problem. In der Türkei sehen wir
das zum Beispiel oder in Russ-
land. Populisten nehmen zudem
einen Teil der Bevölkerung
heraus und behaupten, es sei die
ganze Bevölkerung. Sie sprechen
dann zum Beispiel für das ganze
bulgarische Volk, für die wahren
Bulgaren. Das ist gefährlich.
Weshalb geben Polen ihrer Regie-
rung so viel Macht und lassen zu,
dass sie Gewaltenteilung und die
Rechtsstaatlichkeit aushöhlt?
Da muss man sich in die
Wähler versetzen, die seit 25
Jahren verschiedenste Parteien
wählen, aber immer wieder die-
selbe Politik vorgesetzt bekom-
men. Und jedes Mal hören sie
von Politikern dasselbe: Leider
könnten sie ihre Wahlverspre-
chen nicht einhalten, weil es die
Gerichte verhinderten oder die
Zentralbank oder die Europäi-
sche Union. Der einzige Weg, die
Regierung verantwortlich zu
machen, ist, ihnen die ganze
Macht zu geben. Dann haben sie
keine Ausrede mehr. Mit Irratio-
nalität hat das nichts zu tun.
Das ist nachvollziehbar, doch ist
es auch klug?
Die Wähler im Osten fühlen
sich zunehmend machtlos. Sie
 7

ERIC VIDAL / REUTERS

KACPER PEMPEL / REUTERS

KACPER PEMPEL / REUTERS

MIKHAIL KLIMENTYEV / EPA

Viktor Orban Jaroslaw Kaczynski Recep Tayyip Erdogan Wladimir Putin

sehen in der Gewaltenteilung Das Schlüsselwort ist: siegen. erlaubten zwar keine freien dent Jean-Claude Juncker sagte Zeiten, in denen alles verscho-
eine Verschwörung der Eliten. Liberale Demokratien geben der Wahlen, beschränkten die Macht einmal, wenn die Wirtschaft ben ist.
Früher handelte der grosse poli- politischen Mehrheit das Recht, ihrer Führer jedoch auf zwei wieder spure, dann verschwinde
tische Streit zwischen den Syste- die Regierung zu stellen, sie Amtszeiten. Indem sich Xi nun das Problem. Falsch. Populismus Sie sagten einst, Europa sitze im
men von der Wirtschaft, so schützt aber auch Minderheiten, als lebenslänglicher Herrscher ist eine kulturelle Bewegung. Die Zug Richtung Desintegration.
wurden die politischen Lager in und diese haben bei den nächs- installiert, sagt er der Welt nichts Die Wähler im Opposition versuchte auch, mit Bricht die EU auseinander?
links und rechts geteilt. In der ten Wahlen die Möglichkeit, anderes als das: Die Demokratie Osten sehen die dem Finger auf die Inkonsistenz Es gibt Zeiten, in denen es vor
EU sind nun sehr viele wirt-
schaftliche Entscheidungen
erneut anzutreten. Liberale
Demokratien ermöglichen
hat verloren. Mein Volk soll
gerade in den heutigen konfron-
Gewaltenteilung der Populisten zu zeigen. Doch
es geht auch nicht um die Logik
allem darum geht, zu überleben.
In dieser Situation befindet sich
nicht mehr im Ermessen des keinen endgültigen, vollständi- tativen Zeiten wissen, dass ich als Verschwörung der Argumente. Es geht um die die EU jetzt. Wenn sie einfach
Elektorats, sondern Teil der Ver- gen Sieg. Populisten wie Putin da bin und bleibe. der Eliten. Leidenschaft, um Intensität. überlebt, ist das die beste Recht-
fassung. Die Wähler merken, oder Orban geben den Wählern Wichtig ist für die Populisten, fertigung ihrer Existenz. Je
dass sie Regierungen wählen, die das Gefühl des absoluten Sieges. Weshalb gelingt es der Opposition nicht wie ein normaler Präsident länger sie überlebt, desto legiti-
machtlos sind. In Polen sagte US-Präsident Trump sagte im nicht, gegen die neuen Autokraten auszusehen. Die Botschaft ist: mer ist sie. Dasselbe gilt übrigens
Jaroslaw Kaczynski, er wolle das Wahlkampf: «Wir siegen nicht anzukämpfen? Ich bin anders. für den Nationalstaat, der ja eine
System der «legalen Impossibili- mehr. Früher haben wir gesiegt, Zumal auch die eigene Bevöl- junge Erfindung ist.
tät», einer Demokratie ohne jetzt nicht mehr.» Seine Vor- kerung manches, was sie ent- Siehe Trump.
Wahlmöglichkeit, zerstören. gänger hätten die Welt als Win- scheiden, fürchterlich findet. In Gewöhnliche Menschen iden- Sind Sie heute optimistischer?
win-Situation gesehen. So habe Ungarn gibt es ausserdem tifizieren sich mit Trump, wegen Wenn das demokratische
Die EU bedingt aber Regeln. man aber bloss eine Welt berechtigte Klagen wegen Kor- all jener Dinge, für die ihn die System intakt bleibt, gehen wir
Im Westen kann man Regie- geschaffen, in der China ruption. Seit 1956 haben nie so Elite verachtet. Trump ent- derzeit vor allem durch chaoti-
rungen auswechseln, nicht gewinne. viele Menschen Ungarn verlas- spricht eigentlich dem Stereotyp sche Zeiten. Als Bulgare weiss
jedoch die makroökonomische sen wie unter Orban. eines wütenden schwarzen ich, was das heisst. Ich hatte ein
Politik. Im Osten, in Russland Apropos China. Xi Jinping kann Mannes. Er ist impulsiv, er flippt Leben lang mit Trump-Typen zu
oder China kann man dagegen nun schalten und walten, wie er Und dennoch klappt es nicht, sie ständig aus. Er will sofortige tun. Es ist Teil des Problems
leichter die Politik ändern als die will. Ein Leben lang. Ist das die zu verdrängen? Wieso? Befriedigungen. Obama hin- westeuropäischer Eliten, dass sie
Regierung. nächste Stufe? Die liberale Opposition hat nie gegen entspricht einem typi- im erfolgreichen und technokra-
In einer Welt, in der die Demo- wirklich verstanden, worum es schen «Wasp», einem weissen tischen Europa ihre Gelassenheit
Mir fällt es schwer, zu glauben, kratie noch dominant war, muss- bei der populistischen Bewe- anglosächsischen Protestanten. verloren haben. Und die Geduld
dass die Bevölkerung freiwillig ten auch die Führer der chinesi- gung geht. Es geht eben nicht in Er wird nie emotional, er argu- für ein Durcheinander. Demo-
Macht aufgibt, damit einer frei schen kommunistischen Partei erster Linie um Globalisierungs- mentiert konsistent. Er hat alles kratien sind jedoch per Defini-
schalten und walten kann. Konzessionen machen. Sie verlierer. EU-Kommissionspräsi- unter Kontrolle. Wir leben in tion chaotische Systeme.

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8 Schweiz
Die Macht des
Martullo-Prinzips
Die neue starke Frau der SVP
erweckt den Eindruck, sie erfülle
nur einen Auftrag der Partei. Doch
Magdalena Martullo-Blocher hat
ihre Politkarriere genau geplant
Lukas Häuptli,
Andreas Schmid
Magdalena Martullo-Blocher liess
es sich nicht nehmen, die «frohe
Botschaft» selbst zu verkünden:
Ihre Firma Ems-Chemie zahle
110 000 Franken an die Restau-
rierung der Klosterkirche Disen-
tis. Der Medienmitteilung der
Ems zum «grosszügigen Beitrag»
waren Fotos angehängt, die Mar-
tullo-Blocher mit dem Abt und
dem Kloster-Komitee-Präsiden-
ten zeigten. Zur freien Verwen-
dung, liebe Medienschaffende.
Das war im August 2015, und
die folgende Berichterstattung
der regionalen Medien über die
«einmal mehr spendable Ems-
Chemie» kam Magdalena Mar-
tullo-Blocher gerade recht. Sie
befand sich im Wahlkampf um
einen der fünf Bündner Natio-
nalratssitze. Anderthalb Monate
später war Magdalena Martullo-
Blocher gewählt; sie holte für die
SVP überraschend einen zweiten
Sitz. Seither sitzt sie, die millio-
nenschwere Zürcherin aus der
Goldküstengemeinde Meilen, als
Volksvertreterin des Bergkantons
Graubünden im Nationalrat.
Zweieinhalb Jahre nach dem
Start der politischen Karriere
folgte deren vorläufiger Höhe-
punkt. Vor zehn Tagen schlug die
SVP-Führung Martullo-Blocher
als Vizepräsidentin der Partei vor.
Ihre Wahl an der Delegiertenver-
sammlung vom nächsten Sams-
tag ist reine Formsache, womit
die 48-Jährige dasjenige Amt
übernimmt, das schon ihr 77-jäh-
riger Vater jahrelang innehatte.
Man muss kein intimer Kenner
des SVP-Machtgefüges sein, um
zu ahnen: Damit löst Tochter
Blocher Vater Blocher als zentrale
Figur der Partei ab.
Ein wenig mehr Tochter
Magdalena ist die Tochter von
Christoph Blocher. Ja, sagen man-
che, sie sei sogar ein wenig mehr
Tochter als ihre beiden jüngeren
Schwestern Miriam und Rahel.
Und als ihr jüngerer Bruder Mar-
kus Sohn ist. «Für Christoph war
Zugfahren mit Apps ist nicht immer beste Wahl
Simpler Kauf, optimaler Preis.
So bewirbt die ÖV-Branche
ihre neuen Ticket-Apps fürs
Smartphone. Doch diese
Aussage stimmt nicht in
jedem Fall.
Daniel Friedli
Einfach, schnell und elektro-
nisch. So sieht die ÖV-Branche
das Ticket der Zukunft. Und dar-
um setzen mehrere Anbieter
schon heute auf Ticket-Apps, mit
denen die Kunden das passende
Billett per Klick im Zug lösen kön-
nen: Man steigt ein, loggt sich mit
dem Smartphone über die App
ins System ein, erhält dadurch ein
gültiges Ticket und meldet sich
beim Aussteigen wieder ab. Da-
nach rechnet das System selb-
ständig die gefahrene Strecke ab,
und zwar zum optimalen Preis,
wie die Betreiber werben. «Dank
Bestpreis-Systematik wird immer
stets klar, dass Magdalena in sei-
ne Fussstapfen tritt», erzählt eine
Person, welche die Familie seit
Jahrzehnten kennt. Dazu passt,
was Martullo-Blocher am letzten
Mittwoch in der Sendung «Rund-
schau» des Schweizer Fernsehens
sagte: «Irgendwie ergab der Le-
benslauf, dass es in den gleichen
Zügen weitergeht.» In den glei-
chen Zügen wie beim Vater, ver-
steht sich.
2004 wurde sie Ems-Chefin,
2015 Nationalrätin, 2018 rückt sie
in die SVP-Spitze auf – alles als
Nachfolgerin ihres Vaters. Sowohl
Aussehen als auch Auftreten
mahnen an ihn, vor allem aber
das: Welches Amt auch immer
Martullo-Blocher antritt, stets be-
hauptet sie, sie habe es nicht an-
gestrebt, sondern dazu überredet
werden müssen. Am Schluss
übernimmt sie den Posten – als
«Auftrag» von irgendetwas unbe-
stimmtem Höherem. Schon Vater
Christoph hatte in seinem Buch
«Das Blocher-Prinzip» von 2007
geschrieben: «Wer führt und Ver-
antwortung trägt, hat stets nach
dem Auftrag zu fragen.»
Allerdings: Vieles deutet
darauf hin, dass Magdalena
Martullo-Blocher ihre politische
Karriere punktgenau geplant hat.
Und zwar von Anfang an. So kan-
didierte sie, die in Meilen (ZH)
aufgewachsen ist und dort noch
immer wohnt, nicht etwa als Zür-
cher, sondern als Bündner Natio-
nalrätin. Ihr Unternehmen ist der
grösste Arbeitgeber in Graubün-
den; 3000 Personen arbeiten für
die Ems-Chemie. Keine schlechte
Grundlage für eine Politkarriere
der Chefin.
Als ob die Zürcherin ihre Nähe
zu den Bündner Wählern bewei-
sen wollte, kaufte sie im Januar
2014 ein Ferienhaus in Lenzer-
heide (GR). Wie oft sie sich dort
aufhält, ist nicht bekannt. Be-
kannt ist aber, dass die «Schwei-
zer Illustrierte» die Familie Mar-
tullo-Blocher im Ferienhaus ein
paar Wochen vor den Wahlen
«exklusiv» besuchte. Im Bericht
sah man die fünfköpfige Familie
beim Zvieri in der Bündner Alpen-
das optimale Ticket verrechnet»,
heisst es auf der Internetseite von
Fairtiq, einer App, mit der ver-
schiedene Verkehrsverbünde zu-
sammenarbeiten. Und bei Lezz-
go, der Ticket-App der BLS, wird
die Funktionsweise im Erklär-
video so beschrieben: «Am Ende
des Tages werden alle Fahrten zu-
sammengezählt. Zum besten
Tarif für dich.»
Doch dieses Versprechen kön-
nen die Apps nicht immer einhal-
ten. Denn in die Berechnung der
Preise fliessen nicht alle erhält-
lichen Tickets ein. So fehlen zum
Beispiel die Sparbillette der SBB,
welche die Bundesbahnen in
immer grösserer Zahl anbieten
und mit denen die Fahrt zu ge-
wissen Zeiten um bis zu 50 Pro-
zent günstiger wird. Und die
Lezzgo-App der BLS klammert bei
ihrer Preisberechnung auch die
City-Tickets aus, die je nach Stre-
ckenwahl eine günstigere Option
Die neue SVP-Vizepräsidentin Magdalena Martullo-Blocher bei einer Betriebsführung in der Ems-Chemie. (15. Juli 2016)
Vor den Nationalratswahlen
2015 spendete die Ems-Chemie
110 000 Franken für die
Restaurierung der Kloster-
kirche Disentis. Der Ort ist eine
CVP-Hochburg. (22. 12. 2014)
sein können. Der Grund dafür
liegt in der Natur solcher Ange-
bote, wie beide Betreiber erklä-
ren: Bei Sparbilletten etwa erhal-
ten die Kunden einen Rabatt, weil
sie das Ticket im Voraus und für
eine bestimmte Verbindung be-
zahlen. Bei Benützung der Apps
wird demgegenüber die gefah-
rene Strecke erst hinterher abge-
rechnet und bezahlt.
Zur Frage, ob die Angebote an-
gesichts dieser Einschränkungen
den Kunden nicht etwas Falsches
suggerierten, sagt der Geschäfts-
führer von Fairtiq, Gian-Mattia
Schucan: «Wir verrechnen das
zum Zeitpunkt der Reise best-
mögliche Ticket.» Denn der Kun-
de reise mit Fairtiq immer im
«Jetzt». Schucan will nun aber
prüfen, ob man die Einschrän-
kung bei den Sparbilletten allen-
falls genauer deklarieren müsste.
Die BLS ihrerseits antwortet, dass
sie im Internet auf der Einstiegs-
NZZ am Sonntag 18. März 2018
GIAN EHRENZELLER / KEYSTONE
lena Martullo-Blocher selbst auch die Zuwendungen ans Bis-
GIAN EHRENZELLER / KEYSTONE
stammt aus einer reformierten tum Chur kaum zufällig.»
Familie). So unterstützte die «Die Ems-Chemie hat die
Ems-Chemie neben der Kloster- katholische Kirche mit ihrem Bei-
kirche Disentis die Kathedrale trag für die neue Orgel der Kathe-
in Chur: Sie zahlte 1,6 Millionen drale in Chur bereits 2007 unter-
Franken für eine neue Orgel. Bei stützt», sagt Peter Dietrich, Gene-
deren Einweihung im Jahr 2007 ralsekretär des Unternehmens.
dankte der erzkonservative Das zeige, dass es keinen Zusam-
Bischof Vitus Huonder höchst- menhang zwischen den Zuwen-
persönlich für «die grosszügige dungen und der politischen Kar-
Finanzierung» der Ems, wie diese riere der Ems-Chefin gebe. «Das
in einer Medienmitteilung fest- Engagement hat sich auch seit der
hielt. Dazu passt, dass Magdale- Nationalratskandidatur von Mag-
nas Mann Roberto Martullo (der dalena Martullo-Blocher nicht ge-
Katholik ist) seine Kirchensteuer ändert.» Dietrich verweist darauf,
seit 2017 nicht mehr an die Kirche dass die Ems-Chemie «seit vielen
welt. Und Magdalena Martullo- Meilen zahlt, sondern in einen Jahrzehnten unzählige Veranstal-
Blocher erzählte: «Gestern genoss Fonds des Bischofs. tungen und Vereine unterstützt,
ich hier den Vollmond und schau- Zumindest mit der Zuwendung um den Nachwuchs in Sport,
te in die Berge.» So tönt Heimat- für die Klosterkirche Disentis Musik und Kultur in Graubünden
verbundenheit im Illustrierten- zielte Magdalena Martullo-Blo- zu fördern». Dazu gehörten etwa
Format. cher direkt auf ein katholisch- der FC Ems, Tambourenverein
konservatives Elektorat. Disentis Domat/Ems, die Schlossoper
Bündner Gefälligkeiten und das Bündner Oberland, in Haldenstein oder die Opera Viva
Vor allem aber nützt das Sponso- dem das Dorf liegt, gehören zu in der Surselva. «Diese Engage-
ring der Ems-Chemie der politi- den CVP-Stammlanden. Die Par- ments in Millionenhöhe sind rei-
schen Karriere von Magdalena tei erreicht hier Stimmenanteile ne Spenden und Unterstützungs-
Martullo-Blocher. In der Lenzer- von 70 und mehr Prozent. Da projekte», sagt Dietrich.
heide etwa zahlte das Unterneh- konnte einer SVP-Kandidatin ein Das alles ist Martullo-Blochers
men Beiträge an den «Zauber- wenig Aufmerksamkeit nicht politischer Karriere aber sicher
wald», einen mehrtägigen Kultur- schaden. «Die Spende der Ems- nicht abträglich. Womöglich en-
anlass, sowie an eine aufwendig Chemie kurz vor den National- det diese einmal im Bundesrat –
hergerichtete Anlage mit mehre- ratswahlen war fast schon wie diejenige des Vaters. Sie
ren Eisfeldern im Ferienort. plump», sagt der frühere Bündner selbst sagte am Mittwoch in der
Schliesslich sind schon nächstes SP-Nationalrat Andrea Häm- «Rundschau» dazu zwar: «Ich
Jahr wieder Nationalratswahlen. merle. Und er ergänzt: «Magda- hoffe nicht, dass ich das machen
Auffallend sind auch die Zu- lena Martullo-Blocher steht den muss.» Aber man weiss ja: Bei
wendungen ihres Unternehmens katholisch-konservativen Kreisen Blochers steht der Auftrag über
an die katholische Kirche (Magda- ideologisch nahe. Deshalb sind allem.
seite sowie auch bei den Fragen
CHRISTIAN BEUTLER / KEYSTONE
zur App darauf verweise, auf wel-
chem Ticket-Sortiment die Be-
rechnung beruhe. Und fügt an:
«Wir trauen unseren Kunden zu,
selbst abwägen zu können, wel-
ches Ticket für sie das günstigste
ist: Kennen sie ihren Reiseweg im
Voraus, lohnt sich unter Umstän-
den ein Sparticket oder ein stre-
ckenbezogenes City-Ticket.» Was
optimal ist, muss der Kunde also
doch noch selber wissen.
Dessen ungeachtet, scheinen
die Angebote bei den Kunden gut
anzukommen. Lezzgo kann man
seit Januar testhalber für Fahrten
in der ganzen Schweiz gebrau-
chen, die Nachfrage danach sei
gross, heisst es beim Unterneh-
men. Und über Fairtiq lassen sich
seit zwei Wochen Fahrten im
nationalen Verkehr abrechnen.
Seither hat sich die Nutzung auf
ungefähr 5000 Fahrten pro Tag
Sparbillette nicht enthalten: die Ticket-App Fairtiq. verdoppelt.
NZZ am Sonntag 18. März 2018
Schweiz Unterhaltsrecht 9

Väter fühlen sich als Verlierer

Beim Streit um Kinder und Unterhalt haben die Männer trotz neuem Gesetz meist das Nachsehen. Die
Gerichte entscheiden sich lieber für die traditionelle Rollenverteilung. Von Daniel Friedli

K
napp 15 Monate haben die Männer
GETTY IMAGES

zugeschaut, nun haben sie genug.

Das neue Unterhaltsrecht, es gilt seit
2017, werde «diskriminierend umge-
setzt», protestiert der Verband Männer.ch in
einer Resolution, die er nächste Woche verab-
schieden will. Salopp gesagt meint er damit:
Trotz Reform bleiben die Männer bei einer
Trennung zu oft die Verlierer und werden zu
machtlosen Zahlvätern degradiert.
Dabei, so der Verband, wäre das neue Ge-
setz durchaus progressiv. Sein Ziel war es,
allen Kindern denselben Unterhaltsanspruch
zu gewähren, ganz gleich, ob die Eltern ver-
heiratet waren oder nicht. Dazu beschloss die
Politik vorab zwei Neuerungen: Sie führte ers-
tens den sogenannten Betreuungsunterhalt
ein. Dieser soll die Kosten jenes Elternteils de-
cken, der die Betreuung übernimmt und da-
her nicht selber für sich sorgen kann. In der
Praxis führt er häufig dazu, dass auch unver-
heiratete Männer für die Leistung der Ex-Part-
nerin Geld überweisen müssen, was zuvor
nicht der Fall war. Als Gegenstück setzte das
Parlament ein Zeichen, um die Betreuungslast
gleichmässiger zu verteilen. Es trug den Ge-
richten auf, auf Antrag auch die Option der
alternierenden Obhut prüfen, bei der sich
Mutter und Vater die Betreuung teilen.

Absurd hoher Unterhalt

Das klinge zwar gut, funktioniere aber gar
nicht, findet nun Männer.ch. Der Verband hat
dazu zahlreiche Fälle studiert, aus denen er
folgende Schlüsse zieht: Vielen Vätern gelingt
es nicht, die geteilte Obhut zu bekommen, ob-
schon dies dem Kindeswohl am besten ent-
spräche. Im Streitfall wird der Mutter die Be-
treuung und dem Vater die Arbeit zugeteilt,
was wiederum dazu führt, dass auch die Väter
den Betreuungsunterhalt zu leisten haben.
Dieser wird zudem überall anders berechnet
und erreicht teilweise absurde Höhen. Der-
weil werden die Mütter davor geschützt, sel-
ber rasch wieder arbeitstätig zu werden.
Von diesem Lamento wird zumindest ein
Punkt allgemein anerkannt: Es herrscht Wild-
wuchs. «Das neue Unterhaltsrecht zeichnet
sich vorerst namentlich dadurch aus, dass
die Praxis äusserst unterschiedlich ist», sagt
Rechtsprofessor Thomas Geiser. Dies zeigt
sich etwa bei der Berechnung dieses neuen
Betreuungsunterhalts. Einige Kantone gehen
dazu von Pauschalen und Betreuungsquoten
aus, andere machen eine Rechnung aus tabel-
larisch berechneten Lebenshaltungskosten
und Einkommen. Und in seltenen Fällen wird
einfach ein fixer Anteil des Einkommens,
etwa 27 Prozent, als Unterhalt festgesetzt.
Das Ergebnis ist je nach Modell sehr unter-
schiedlich, vor allem bei unverheirateten Paa-
ren. Die Präsidentin der Stadtberner Kesb,
Nach der Trennung Charlotte Christener, hat ausgerechnet, dass
nicht selbstver- der Unterhalt bei einem Paar mit zwei Kindern
ständlich: Ein Mann, und mittlerem Einkommen zwischen 2276
der seine Tochter und 2780 Franken variiert – eine Differenz
betreut. von 504 Franken oder 22 Prozent. Noch kras-
ser ist es bei Eltern mit hohen Löhnen. Dort
kann der Unterhaltsbeitrag für zwei Kinder
auf bis zu 5540 Franken steigen. Das sind
2050 Franken oder 59 Prozent mehr als beim
günstigsten Modell. «Solche Unterschiede
sind extrem», sagt Christener. «Man sollte hier
eine einheitlichere Praxis entwickeln.»
Sehr unterschiedlich wird auch beurteilt,
wann dem betreuenden Elternteil wieder eine
Erwerbstätigkeit zugemutet werden kann. Ein
Leitfaden der Zürcher Gerichte postuliert die
10/16-Regel des Bundesgerichts: Demnach ist
für den betreuenden Elternteil eine Erwerbs-
tätigkeit von 50 Prozent zumutbar, wenn das
jüngste Kind 10 Jahre alt ist. In St. Gallen etwa
besteht man schon ab dem 6. Altersjahr des
Kindes auf einem Teilzeiterwerb von 35 Pro-
zent. Und manche Kindesschutzbehörden er-
warten bereits im 3. Lebensjahr des Kindes die
Suche nach einer Arbeit.
Sind damit nun also die Männer die Verlie-
rer der Reform? Die Antwort aus der Fachwelt
fällt differenzierter aus. Am meisten Einigkeit
besteht darüber, dass es für Männer schwierig
ist, die geteilte Obhut zu erhalten. «Im Streit-
fall wird sich kaum ein Gericht dafür entschei-
den», sagt der Berner Anwalt und Familien-
rechtsexperte Remo Gilomen. Andere werden
noch deutlicher: Wenn die Mutter wirklich
will, kann sie diese Option blockieren – und so
dem Vater das Gros des Unterhalts aufbürden.
Eigene Rolle überdenken
Umgekehrt beobachten die Experten einen
Trend dahin, Frauen früher einen Job zuzu-
muten. «Der Druck auf die Frauen, eine Arbeit
zu suchen, ist gestiegen», sagt die Fachfrau
einer Kesb. Und dies, obwohl es in vielen
Branchen fast keine Stellen zu den geforder-
ten tiefen Pensen gebe. Für Jonas Schweig-
hauser, Professor für Familienrecht, fällt die
«Wenn die Mutter
wirklich will, kann sie
die geteilte Obhut
blockieren – und so dem
Vater das Gros des
Unterhalts aufbürden.»
erste Bilanz darum gemischt aus. Sicher sei
das neue Gesetz nicht perfekt, sagt er. Und tat-
sächlich habe das Parlament den Gerichten
etwas viel Spielraum gelassen. Aber auch der
Aufschrei der Männer ertönt in seinem Urteil
nun etwas gar laut, auch wenn es anerkann-
termassen um viel Geld gehe. Schweighauser
rät den Vätern daher vor allem eines: «Sie soll-
ten sich schon während der Beziehung gut
überlegen, welches Betreuungsmodell sie
wählen.» Denn davon wird auch stark abhän-
gen, welche Rolle sie nach einer Trennung
noch spielen.

Familie Nicolas Zogg

Nur noch jede dritte Ehe

wird geschieden «Im Fall einer Trennung büssen die Männer»
Gute Nachrichten für Ehepaare: scheint, als würde nach einer Beim Start des neuen Unter- unter gewissen Rahmenbedingun- heiratete Männer ihren finan-
GETTY IMAGES

Nie mehr seit fast 20 Jahren
waren ihre Chancen besser, eine
Scheidung zu vermeiden. Laut
dem Bundesamt für Statistik ist
die zusammengefasste Schei-
dungsziffer letztes Jahr auf noch
36,1 Prozent gesunken. Dies
bedeutet, dass noch wenig mehr
als ein Drittel aller Ehepaare
einmal auseinandergehen
werden. Oder anders gesagt: Bei
64 Prozent der Ehen darf man
heute prognostizieren, dass erst
der Tod sie scheiden wird. Noch
vor zehn Jahren musste man
davon ausgehen, dass jede
zweite Ehe durch Scheidung
beendet wird.
Der Trend zu wieder mehr
Beständigkeit hat 2011 einge-
setzt und sich zuletzt nochmals
verstärkt. 2017 liessen sich
schweizweit noch 14 900 Paare
scheiden, fast 13 Prozent weni-
ger als im Vorjahr. Auf die Frage,
was hinter diesem Trend steht,
nennt der Soziologe Ueli Mäder
mehrere Erklärungsansätze. Ihm
Periode starker Individualisie-
rung das Pendel nun wieder
etwas zurückschlagen. Die Ehe
sei lange Zeit eine Art gesell-
schaftliches Korsett gewesen.
Als die sozialen Fesseln dann
fielen, hätten viele Freiheit und
Unverbindlichkeit gesucht,
wodurch auch die Scheidungs-
rate gestiegen sei. Nun, wo
einem alle Optionen offenstün-
den, sehnten sich die Menschen
vielleicht wieder nach mehr
Beständigkeit.
Daneben kann sich Mäder
auch vorstellen, dass da und
dort monetäre Überlegungen
mitspielen. Und schliesslich stellt
der emeritierte Professor auch
fest, dass jüngere Generationen
generell und auch in ihren Bezie-
hungen besser mit Ambivalenz
und Widersprüchen umgehen
können als noch ihre Eltern.
Daher stellten sie vielleicht an
ihre Ehe auch nicht mehr den
Anspruch, dass sie allein alle
Träume zu erfüllen habe. (dli.)
haltsrechts hat Männer.ch die
Reform als modern bezeichnet,
nun sprechen Sie von Diskrimi-
nierung. Wieso dieser Wandel?
Der eigentlich fortschrittliche
Gedanke, dass beide Elternteile
Verantwortung in der Erziehungs-
und der Erwerbsarbeit überneh-
men sollen, wird leider kaum um-
gesetzt. Stattdessen wird das
traditionelle Modell fortgeschrie-
ben, in dem der Mann Ernährer
und Finanzierer ist. Wir fordern
daher, dass die alternierende
Obhut zum Regelfall wird.
Häufig entscheiden die Richter
eben so, wie das Paar schon
während der Beziehung gelebt
hat. Die Männer sind also selber
schuld an ihrem Schicksal.
Das ist zu einfach gedacht. Uns
sind auch Fälle bekannt, wo ein
Mann 50 oder mehr Prozent der
Betreuungsarbeit geleistet hat –
und trotzdem bekam nach der
Trennung die Frau die Obhut,
während er wieder voll arbeiten
musste. Zudem hat sich ein Paar ja
gen für seine Rollenteilung ent-
schieden. Endet die Beziehung,
ist dieser Rahmen nicht mehr der-
selbe. Wir finden, dass man dann
auch das Betreuungsmodell neu
aushandeln darf.
Ist es nicht oft so, dass der Vater
erschrickt, weil er plötzlich so
viel zahlen soll, und vor allem
darum mehr Betreuungsarbeit
übernehmen will?
Solche Fälle mag es geben. Ge-
nauso gibt es aber viele junge
Männer, die sich gerne schon wäh-
rend der Beziehung mehr um die
Kinder gekümmert hätten, was
aber beispielsweise die finanzielle
Situation der Familie nicht zuliess.
Im Fall einer Trennung büssen die
Männer dann dafür, indem sie
keine Obhut bekommen und die
Kinder nicht gleichberechtigt
mitbetreuen können.
Sie kritisieren die Höhe der Zah-
lungen an die betreuenden Müt-
ter. Es ist aber ein erklärtes Ziel
des Gesetzes, dass auch unver-
Nicolas Zogg ist Leiter Politik
beim Verband Männer.ch.
ziellen Beitrag leisten sollen.
Uns geht es um eine faire Teilung
der Verantwortung. Es ist richtig,
dass sich der Mann am Betreu-
ungsunterhalt beteiligt, auch
wenn das Paar unverheiratet war.
Wir sehen aber, dass diese Be-
träge manchmal fast so hoch sind
wie bei einer Scheidung. In sol-
chen Fällen hat die Frau nur wenig
Anreiz, so weit als möglich für sich
selber zu sorgen. Das ist falsch.
Immer mehr Gerichte verlangen
aber, dass die Frau auch selber
und trotz Betreuungspflicht
wieder arbeitet.
Es gibt hier etwas Bewegung, aber
zu wenig. Noch gilt vielerorts die
10/16-Regel, nach der der betreu-
ende Elternteil erst Teilzeit arbei-
ten muss, wenn das jüngste Kind
10 Jahre alt ist, und Vollzeit, wenn
es 16 ist. Das ist wahrlich nicht
mehr zeitgemäss. Wir finden, dass
hier die Gerichte oder sonst die
Politik bald neue Vorgaben ma-
chen müssen.
Interview: Daniel Friedli
10 Schweiz NZZ am Sonntag 18. März 2018

Weko will
Blochers
Deal prüfen
Die Wettbewerbskommission
wird einen allfälligen Tausch
der «Basler Zeitung» gegen das
«Tagblatt der Stadt Zürich»
unter die Lupe nehmen.
René Donzé
Noch ist der Deal nicht offiziell
unter Dach und Fach. Doch diese
Woche haben sich die Anzeichen
verdichtet, dass alt Bundesrat
Christoph Blocher seine «Basler
Zeitung» (BaZ) dem Zürcher
Medienunternehmen Tamedia
verkaufen will. Im Gegenzug da-
für soll er das «Tagblatt der Stadt
Zürich» erhalten. Anfang Woche
berichtete Radio SRF, dass BaZ-
Chefredaktor Markus Somm der
Belegschaft einen Abschluss im
Verlauf der Woche in Aussicht ge-
stellt habe. Am Samstag aber
blieb Tamedia-Verwaltungsrats-
präsident Pietro Supino in einem
Interview mit SRF noch immer
vage: «Die Basler Zeitung würde
hervorragend zu uns passen»,
Öffentliche Ausschreibungen:
Die SBB verstehen nur Deutsch
Westschweizer fordern neue Vorschriften – der Bundesrat verweist auf Sparvorgaben
Andrea Kučera Parlament von mangelndem technischen Spezifikationen und nur zum Teil erkläre. Weitere Fak- seiner Botschaft zur Totalrevision
Respekt für die Mehrsprachigkeit Pflichtenhefte. Und es gibt keine toren seien die kulturell unter- schreibt der Bundesrat, der Ruf
André Lasserre traut seinen und fragte: «Was hält der Bundes- Verpflichtung, Antworten in allen schiedliche Wahrnehmung der nach Übersetzung der Ausschrei-
Augen nicht, als er auf der Platt- rat von den Methoden der SBB?» Amtssprachen zu akzeptieren. Komplexität öffentlicher Aus- bungsunterlagen stehe im Wider-
form für öffentliche Beschaffun- Die Landesregierung sehe keinen Dass Unternehmen aus der schreibungen sowie die Ballung spruch zu den Sparvorgaben des
gen «Simap.ch» auf eine Aus- Handlungsbedarf, antwortete lateinischen Schweiz unter der Bundesämter im Raum Bern. Parlaments. Auch spricht sich die
schreibung der SBB stösst und Bundesrätin Doris Leuthard. diesen Voraussetzungen einen Um wenigstens die Sprach- Regierung dafür aus, dass für die
sieht: Eingaben sind nur auf In der Tat verlangen weder schwereren Stand haben als jene barriere auszuräumen, machen Eingaben weiterhin eine Sprache
Deutsch zugelassen. Es geht um Bundesgesetz noch Verordnung aus der Deutschschweiz, ist un- Westschweizer Parlamentarier vorgegeben werden darf.
die Herstellung und Lieferung über das öffentliche Beschaf- bestritten. Erhebungen haben ge- nun Druck: Sie fordern, dass die
von Kabelkanälen und Kabel- fungswesen, dass Ausschreibun- zeigt: Westschweizer und Tessi- Bestimmungen im Rahmen der Die SBB lenken ein
deckeln. Auch die technischen Er- gen des Bundes und staatsnaher ner Firmen sind gemessen am laufenden Totalrevision des Bun- Einen Teilsieg kann André Las-
läuterungen zum Auftrag, der am Betriebe systematisch mehrspra- wirtschaftlichen Gewicht der desgesetzes über das öffentliche serre immerhin verbuchen: Auf-
19.Februar veröffentlicht wurde, chig sein müssen. Zwar müssen lateinischen Schweiz bei öffent- Beschaffungswesen dahingehend grund seiner Intervention haben
sind nur auf Deutsch abrufbar – die meisten Aufträge in wenigs- lichen Aufträgen untervertreten. abgeändert werden, dass Ein- die SBB inzwischen angekündigt,
die Unterlagen füllen zwei Bun- tens zwei Amtssprachen ausge- Doch liegt dies nur an der Sprach- gaben in allen Amtssprachen zu- die Ausschreibungsunterlagen
desordner. Lasserre ist empört. schrieben werden. Doch in eini- barriere? Eine Studie, die das gelassen und die technischen Er- für den Kabelkanal-Auftrag auf
Vor wenigen Monaten hat sein gen Fällen genügt schon die Spra- Beschaffungswesen des Bundes, läuterungen mehrsprachig publi- Französisch zu übersetzen und
Unternehmen, die Freiburger che des Bauortes. Vor allem aber nicht aber die Praxis der bundes- ziert werden. Das revidierte Ge- auch Angebote auf Französisch
Baufirma Bétontec Gram, einen gibt es keine Vorgaben, in welcher nahen Betriebe durchleuchtete, setz wird in der Sommersession entgegenzunehmen. Ausserdem
Rechtsstreit gegen die SBB ge- Sprache die Ausschreibungs- kam 2014 zum Schluss, dass zwar im Nationalrat beraten. Das An- wurde die Eingabefrist verlän-
wonnen. Es ging um eine Aus- unterlagen publiziert werden eine Sprachbarriere existiere, liegen der Westschweizer hat gert. Der Zug für Bétontec Gram
schreibung für Betonschwellen, müssen, also die umfangreichen diese die Untervertretung aber jedoch einen schweren Stand: In ist noch nicht abgefahren.
bei der ebenfalls um Antworten
auf Deutsch gebeten wurde, und
auch damals waren die Aus-
THOMAS HODEL / KEYSTONE

sagte er. «Wir würden uns wahn- schreibungsunterlagen zunächst

sinnig freuen, wenn sie unter
unser Dach käme.» Zu den Ver-
handlungen sagte er nichts.
Nun zeigt sich, dass ein solcher
Deal kaum ohne Segen der Wett-
bewerbshüter vonstatten ginge:
«Eine Übernahme der ‹Basler Zei-
tung› durch die Tamedia müsste
von der Wettbewerbskommission
wohl geprüft werden», sagt Fré-
déric Schäfer, Referent bei der
Kommission. Grund ist, dass die
Tamedia in der Westschweiz be-
reits eine marktbeherrschende
Stellung hat. «Übernahmen auf
benachbarten, vor- oder nachge-
lagerten Märkten müssen daher
der Weko gemeldet werden», sagt
Schäfer. Offen lässt er, ob die
Weko bereits informiert wurde.
Für die Stadt Zürich würde der
Handel bedeuten, dass ihr amt-
liches Publikationsorgan «Tag-
blatt» ganz in die Hände von SVP-
Exponenten überginge: 35 Pro-
zent gehören bereits der Lokal-
info AG von alt Nationalrat Walter
Frey, die restlichen 65 Prozent
gingen an Christoph Blocher. Erst
kürzlich hat die Stadt mit der Tag-
blatt AG einen Fünfjahresvertrag
abgeschlossen. Dieser würde
durch den Deal nicht berührt,
heisst es bei der Stadt. Die Zei-
tung sei vertraglich der Ausge-
wogenheit verpflichtet.
nur auf Deutsch verfügbar. Das
Bundesverwaltungsgericht hiess
die Beschwerde von Bétontec
Gram im Juli 2017 gut und ver-
pflichtete die SBB, die Unterlagen
zu übersetzen sowie Antworten
auf Französisch zuzulassen. Dass
die SBB – eine Aktiengesellschaft
im Besitz des Bundes – trotz Urteil
jetzt wieder gleich handeln, ist
für Lasserre eine Frechheit. Er hat
am 9. März erneut Einsprache
gegen die SBB eingereicht. «Die-
ses Vorgehen ist eine Diskriminie-
rung der Westschweizer Firmen
gegenüber den Deutschschweizer
Konkurrenten», sagt er. «Wir ver-
lieren mindestens vier Wochen
mit Übersetzen.»
Lateiner kommen zu kurz
Sukkurs erhält der Freiburger
Unternehmer von Westschweizer
Politikern: «Fühlen sich die SBB
nicht an das Urteil des Bundes-
verwaltungsgerichts gebunden?»,
fragt der Neuenburger SP-Natio-
nalrat Jacques-André Maire in
einer Interpellation, die von sie-
ben weiteren französischsprachi-
gen Nationalräten unterzeichnet
wurde. Und der Waadtländer
FDP-Nationalrat Fathi Derder,
Chefredaktor der Wirtschafts-
zeitung «Agefi», die den Fall
publik gemacht hat, sprach im Westschweizer stellen die SBB an den Pranger: Bei Ausschreibungen seien französischsprachige Firmen im Nachteil. (Freiburg, 6. Juli 2015)

Genf distanziert sich von Puigdemont Classe politique

Erstmals äussert sich Genfs rungsfreiheit ist eines der wich- Jean-René Fournier, animal gen – nicht hart anziehen. Die
STEPHANIE LECOCQ / EPA

Regierungspräsident zu
Carles Puigdemonts Besuch
in der Schweiz. Er übt Kritik
am Vorgehen des Katalanen.
Andrea Kučera
Heute Sonntag tritt Carles Puig-
demont am Genfer Filmfestival
und Forum für Menschenrechte
auf. Geplant ist eine Diskussion
mit der ehemaligen Bundesrätin
und Aussenministerin Micheline
Calmy-Rey zum Thema Selbst-
bestimmung. Der Besuch in der
Schweiz des im letzten Herbst
von der Madrider Regierung ab-
gesetzten und nach Brüssel emi-
grierten Ex-Präsidenten der auto-
nomen Provinz Katalonien hat in
den letzten Tagen zu zahlreichen
tigsten Menschenrechte.» Das
Vorgehen der Genfer Regierung
ist mit dem Aussendepartement
in Bern abgesprochen. Dieses hat
am Mittwoch offiziell verlauten
lassen, Puigdemont dürfe sich im
Schengenraum frei bewegen –
also auch in der Schweiz. Es sei
ihm erlaubt, hier politische Re-
den zu halten, «solange er sich
dabei an die schweizerische
Rechtsordnung hält».
Aus Sicht des Aussendeparte-
ments ist die Katalonien-Frage
eine interne Angelegenheit Spa-
Darf in der Schweiz politische Reden halten: Carles Puigdemont. niens, «die im Rahmen der spani-
schen Verfassungsordnung gelöst
werden muss». Puigdemont und
seinem Besuch.» Aus Sicht der präsidenten ist klar, dass Puigde- seine Mitstreiter drängen freilich
Genfer Regierung hat der Kata- mont mit seinem Besuch ver- in eine andere Richtung: Die kata-
lane keine offizielle Funktion: suche, «von der Ausstrahlung lanischen Separatisten sind an
politique, lenkt die Aufmerksam-
keit der Politik auf die wichtigen
Fragen: Wie viele Armeepferde
braucht die Schweiz für ihre
Landesverteidigung? 38, befand
der Bundesrat und wollte den
Bestand von heute 65 Tieren aus
Kostengründen drastisch redu-
zieren. Per Motion preschte aber
der Walliser CVP-Ständerat der
Regierung in die Parade und
forderte, den Mindestbestand
an staatlichen Equiden auf 65
festzuschreiben. Der Ständerat
trabte brav hinterher. Und auch
der Nationalrat mochte die
finanziellen Zügel bei den Pfer-
den – anders als bei den Emp-
fängern von Ergänzungsleistun-
FOTOS: KEYSTONE
Motion sei richtig, befand die
Mehrheit, begnügte sich aber
mit einem Mindestbestand von
55 Armeerossen. Verpasst hat es
der Rat hingegen, von der Ver-
waltung einen Prüfbericht zur
Frage anzufordern, ob sich allen-
falls Amtsschimmel für den Mili-
tärdienst umschulen liessen.
Isabelle Chevalley, Feinschme-
ckerin, rief diese Woche im Par-
lament zu mehr Souplesse im
Umgang mit Ablaufdaten auf.
Die GLP-Nationalrätin schwenkte
eine Konserve mit Erbsen und
rief in den Saal: «Diese Konserve
läuft am 31. Juli 2019 ab. Und
was passiert in der Nacht auf
den 1. August? Es ist wirklich
mysteriös, über Nacht wird der

Diskussionen geführt.
Erstmals nimmt nun François
Longchamp, Regierungspräsi-
dent des Kantons Genf, zur um-
strittenen Visite Stellung. Puig-
demont sei von einem privaten
Filmfestival eingeladen worden,
hält er fest: «Der Kanton hat da-
mit nichts zu tun und übernimmt
auch keine Verantwortung bei
«Gesprächspartner der Schweiz
und des internationalen Genfs ist
Spanien, kein Vertreter einer Un-
abhängigkeitsbewegung», sagt
Longchamp. Und er geht zur Poli-
tik des katalanischen Separatis-
ten auf Distanz: «Wir heissen das
Vorgehen von Herrn Puigdemont
gegenüber Madrid keineswegs
gut.» Für den Genfer Staatsrats-
Genfs als Hauptstadt der Men- einer möglichst breiten, inter- Inhalt plötzlich schlecht.» Natür-
schenrechte und der Diplomatie nationalen Diskussion interes- lich nicht. Aber es ist mit Konser-
zu profitieren, um seinem An- siert. So reiste mit Anna Gabriel ven wie mit den Sesselklebern
liegen einen internationalen An- im Februar eine weitere katalani- im Parlament: Dass das Ablauf-
strich zu geben». sche Politikerin nach Genf, kurz datum längst vorbei ist, merkt
Gleichwohl werden die Behör- bevor sie in Spanien vor einem man oft erst, wenn sich die
den den Auftritt dulden: «Selbst- Gericht hätte erscheinen müssen. Büchse immer stärker bläht und
verständlich darf er sich hier in Nach Ankunft in der Schweiz Jean-René Isabelle bläht – und der Inhalt längst
Genf frei äussern», sagt Long- legte sie in ausführlichen Inter- Fournier Chevalley völlig ungeniessbar ist.
champ. «Die Meinungsäusse- views ihre Sicht der Dinge dar.
NZZ am Sonntag 18. März 2018
Initiative gegen Quälprodukte
Schlagkräftige Allianz fordert Verbot des Imports von Stopfleber und Froschschenkeln
Stefan Bühler
Die Tierschützer schalten einen
Gang höher. Am 27.März konsti-
tuiert sich ein Initiativkomitee,
das den Import von tierquälerisch
hergestellten Produkten verbie-
ten will. Bei dem Volksbegehren
geht es beispielsweise um um-
strittene Delikatessen wie Stopf-
leber und Froschschenkel, deren
Produktion in der Schweiz unter-
sagt ist. Aber auch um Pelz- und
Lederwaren, deren Herstellung
nicht den Normen des Schweizer
Tierschutzgesetzes entspricht.
Die Allianz ist breit aufgestellt
und schlagkräftig. Wie Michael
Gehrken von der federführenden
Alliance Animal Suisse erklärt,
haben sich bereits über 50 Orga-
nisationen dem Unterstützungs-
komitee angeschlossen. Darunter
«Vier Pfoten», die Fondation
Franz Weber, Animal Rights Swit-
zerland, die Ligue contre la Vivi-
section sowie kantonale Tier-
schutzvereine, etwa jener aus
Zürich. Dank den Beiträgen meh-
rerer Organisationen seien für die
Lancierung der Initiative gegen
300 000 Franken beisammen,
sagt Gehrken; zudem stünden
viele junge Leute und Sympathi-
santen für die Unterschriften-
sammlung bereit. Im Initiativ-
komitee nehmen Nationalräte
aller Parteien Einsitz, unter ihnen
Matthias Aebischer (sp.), Doris
Fiala (fdp.), Karl Vogler (csp.), Isa-
belle Chevalley (glp.) und Barbara
Keller-Inhelder von der SVP.
Fragen zum Schächtfleisch
Mit der Initiative reagieren die
Tierschützer auf eine Niederlage
im Ständerat im vergangenen
November. Nationalrat Aebischer
hatte mit einer Motion ein ent-
sprechendes Importverbot von
sogenannten Quälprodukten ver-
langt und im Juni im Nationalrat
zunächst eine Mehrheit dafür er-
rungen, auch mit Unterstützung
des Bauernverbands.
Aebischer begründete seinen
Vorstoss mit einem Argument,
das er auch jetzt wieder ins Feld
führt: «Wir setzen unseren Bau-
ern im Tierschutzbereich klare
Grenzen, konkurrenzieren sie je-
doch mit nichtkonformer Billig-
ware aus dem Ausland – das geht
gar nicht!» Ebenso wenig komme
infrage, die Schweizer Standards
den tieferen ausländischen Nor-
men anzupassen. Deshalb brau-
che es das Importverbot. Nach
Tessiner Gastronomie
Gobbi streicht dem Grotto die Pommes frites vom Menu
Trattoria, Osteria, Pizzeria, Birre-
ria, Grotto, Caffè oder einfach
Ristorante. Wen im Tessin der
Hunger plagt, der hat punkto
Lokalität die Qual der Wahl.
Wobei diese Qual wohl häufig
darin besteht, dass er gar nicht
so richtig versteht, wodurch sich
diese Lokale wirklich unter-
scheiden. Kein Grund zur
Scham: Sogar der Tessiner Regie-
rung geht es so. Sie ist jedenfalls
zum Schluss gekommen, dass
die aktuellen Definitionen der
kantonalen Gaststätten veraltet
und zu kompliziert seien, eine
Vereinfachung tue Not. Und für
diese Vereinfachung hat Justiz-
direktor Norman Gobbi (Lega)
den denkbar einfachsten Weg
gewählt: Er macht Tabula rasa.
Künftig soll also jeder Wirt
sein Lokal so anschreiben
dürfen, wie es ihn am besten
dünkt. Er dürfte also in der Piz-
zeria auch vorwiegend Raclette
servieren und in der Trattoria
bedenkenlos Pizze auftischen.
Schweiz
In der Schweiz nicht erlaubt: Angestellter stopft Enten in einer französischen Foie-gras-Fabrik. (Soultz les Bains, 18. November 2014)
50
So viele Tierschutzverbände
haben der Initiative gegen
Quälprodukte bereits ihre
Unterstützung zugesagt.
dem Ja des Nationalrats erwachte
insbesondere in der Romandie
der Widerstand: Das Importver-
bot betreffe die in der West-
schweiz zur Esskultur gehörende
Foie gras, die Stopfleber. Es dürfe
nicht sein, dass Deutschschwei-
zer Parlamentarier den welschen
Feinschmeckern den Menuplan
vorschrieben.
Hinzu kam, dass ein solches
Verbot auch den Import von
koscherem Fleisch betreffen
könnte und damit die Religions-
freiheit der jüdischen Bevölke-
rung zu verletzen drohte. Im
November lehnte der Ständerat
die Motion ab: Der Import tier-
Dass der Gast dadurch vollends
den Überblick verliert, fürchtet
Gobbi nicht. Über jene Beizer,
die ihre Freiheit zu stark miss-
brauchen, werde der Markt
schon richten, schreibt er in
seinem Gesetzesentwurf.
Nur eine Lokalität ist von
dieser unsichtbaren Hand des
Marktes ausgenommen und
wird stärker der behüten-
den Hand des Staates
unterstellt: das Tessiner
Grotto. Diese traditionelle
Gaststätte soll gewisser-
massen eine geschützte
Bezeichnung erhalten, für
die sie dann aber auch etwas
bieten muss. So wird vom
Grotto ein rustikales und ein-
faches Ambiente erwartet,
zudem soll es Tessiner Charakter
ausstrahlen und wenn möglich
etwas abseits und schattig
liegen. Vor allem aber dürfen die
Wirte ihren Gästen nicht einfach
irgendetwas vorsetzen. Verlangt
wird nun definitionsgemäss,
quälerisch hergestellter Produkte
könne aufgrund geltender Be-
stimmungen schon heute einge-
schränkt, an Deklarationspflich-
ten geknüpft oder gar verboten
werden, wurde argumentiert.
Die heiklen Fragen um kosche-
res Fleisch und eine allfällige Be-
vormundung der Westschweizer
Gourmets beim Stopfleber-Ge-
nuss werden auch bei der Initiati-
ve zu reden geben. Dessen sind
sich die treibenden Kräfte aus der
Tierschutzbewegung bewusst.
«Grundsätzlich zielt das Volks-
begehren nicht auf einzelne Pro-
dukte ab», sagt Gehrken: «Es ist
also weder eine Initiative spezi-
fisch gegen Foie gras noch gegen
Schächtfleisch.» Zudem verweist
auch er auf die Bauern, dass die
Schweiz nichts importieren solle,
«was unsere landwirtschaftlichen
Betriebe nicht auch selbst produ-
zieren dürfen».
Hört man sich allerdings im
Initiativkomitee um, gehen die
Meinungen auseinander. Aebi-
scher wie auch FDP-Nationalrätin
dass «überwiegend» Tessiner
Mahlzeiten und Getränke auf der
Karte stehen. Also: Polenta e
brasato oder Luganighe ja,
Pommes frites oder Vitello ton-
nato – nein.
Gobbis Pläne haben im Tessin
Fiala wollen die Einfuhr von
Schächtfleisch nicht unterbin-
den. Für jene Gruppe strenggläu-
biger Juden, die aufgrund ihres
Glaubens nur Schächtfleisch es-
sen dürften, müsse eine Aus-
nahme möglich sein, sagt Aebi-
scher. Und Fiala erklärt: «Ich
stehe der jüdischen Gemeinde
nahe, aus diesen Gründen geht
für mich die Religionsfreiheit in
dieser Frage vor.» Es gebe aber
verschiedene Luxusprodukte, bei
deren Herstellung die Würde der
Tiere verletzt werden: «Das will
ich bekämpfen.»
Unübliche Initiativ-Form
Geht es hingegen nach SVP-Natio-
nalrätin Keller-Inhelder, «sollen
auch religiöse Kulturen ihre Ritu-
ale und Traditionen überdenken,
wenn es um die Qual von Tieren
geht». Die grünliberale Isabelle
Chevalley sagt, sie wisse, dass
man sich rasch dem Vorwurf des
Antisemitismus aussetze. Doch
ihr gehe es nicht um religiöse Fra-
gen, sondern darum, das Leiden
reges Interesse ausgelöst, zumal
die Grotti im Kanton ein belieb-
tes Diskussionsthema sind. Gut
so, kommentieren die einen,
denn um das Grotto sei es gene-
rell schlecht bestellt: Schlimm
genug, dass man dort primär
Deutschschweizer
antreffe. Doch
mittlerweile frit-
tierten viele Wirte
im Grotto auch
noch schamlos
Pommes, tauten
Lasagnes auf oder
böten gar Nouvelle
cuisine an – so,
dass sich die
Nonna im Grabe
umdreht. Auch der
Branchenverband
Gastro Ticino beklagt,
etliche Beizer schrieben
ihr ganz kommunes Lokal
gerne als Grotto an, um vom
guten Namen zu profitieren.
Andere sorgen sich der-
weil vor zu strengen staat-
11
In Kürze
Behinderte fordern
Gleichstellung
FREDERICK FLORIN / AFP
Rund 30 Personen haben am
Samstag in Bern für die Gleich-
stellung von Behinderten
demonstriert. 20 Jahre nach
einer Grosskundgebung dafür
sei es Zeit für eine Neuauflage,
verkündeten die Organisato-
ren. Es gebe nach wie vor noch
viele Hindernisse für Behin-
derte, obwohl 2004 die
gesetzliche Gleichstellung
erreicht worden sei. In der
Bildung, der Arbeit, beim
Wohnen und in der Gesund-
heitsversorgung sei eine volle
und selbstbestimmte Teilhabe
weiterhin nicht gegeben. (sda)
Juso mit Plan für
Steuergerechtigkeit
Die Jungsozialisten (Juso)
haben am Samstag an ihrer
Jahresversammlung in Bern
einen 10-Punkte-Plan für mehr
Steuergerechtigkeit verab-
schiedet. Dieser soll der SP-
Delegiertenversammlung vor-
gelegt werden. Die Juso ver-
langen laut einem Communi-
qué, das Kapital höher zu
besteuern als die Löhne und
die Unternehmenssteuern zu
harmonisieren. (sda)
Brand zerstört
Lagerhalle für Obst
der Tiere zu mindern. Könne je- In der Nacht auf Samstag hat
mand kein Fleisch essen, das ein Grossbrand in Egnach im
nicht von geschächteten Tieren Kanton Thurgau die Lagerhalle
stamme, könne er auch «darauf eines Obsthändlers zerstört. Es
verzichten, Fleisch zu essen», entstand ein Millionenschaden.
oder auf Fisch ausweichen. Wie die Polizei bekanntgab,
Wissend um diese Differenzen, hat sie Hinweise auf Brandstif-
die auch unter den beteiligten tung. Das Feuer beschädigte
Tierschutzorganisationen be- gegen 30 000 im Freien
stehen, schlagen Gehrken und gelagerte Behälter für die
sein Komitee voraussichtlich Lagerung von Äpfeln und griff
einen unüblichen Weg ein: «Weil auf eine Kühlhalle mit Obst
es um einen Grundsatz und nicht über. Die Feuerwehr brachte
um einzelne Produkte geht, prü- den Brand nach gut zwei Stun-
fen wir auch, ob die Initiative an- den unter Kontrolle. (sda)
stelle eines ausformulierten Ver-
fassungstextes einfach nur als Streit in Martigny
‹allgemeine Anregung› lanciert
werden soll», sagt er. Die Formu-
endet tödlich
lierung des Verfassungsartikels Bei einer Auseinandersetzung
bliebe dem Parlament überlassen. ist am Freitagabend in Marti-
Diese Form der Initiative ist gny im Wallis eine Person so
beinahe in Vergessenheit geraten: schwer verletzt worden, dass
Von den bisher rund 300 lancier- sie im Spital ihren Verletzun-
ten Volksbegehren hatten nur 11 gen erlag. Wie die Polizei am
die Form der «allgemeinen Anre- Samstag mitteilte, sucht sie
gung». Bei allen andern wurde nach der zweiten am Streit
dem Volk ein ausformulierter Ver- beteiligten Person. (sda)
fassungsartikel vorgelegt.
Zwei Tote
aus Lawine
lichen Menuplänen. Mit Salami
und Polenta allein könne man
geborgen
kein rentables Lokal betreiben.
Und wie wolle man noch Fami- Eine Lawine hat am Freitag bei
lien ins Grotto locken, wenn die Riddes im Kanton Wallis sechs
Kinder statt Pommes frites nur Skifahrer verschüttet. Zwei von
Ofenkartoffeln bekommen? Und ihnen wurden bis am Samstag-
schliesslich wollten auch die nachmittag tot geborgen, zwei
Tessiner nicht immer nur Merlot weitere werden weiter vermisst.
trinken, sondern hie und da auch Die anderen Wintersportler hat-
einen guten Italiener. ten am Freitag aus den Schnee-
Wie gut die Politik Gobbis Plan massen befreit werden können.
verdaut, wird sich noch weisen. Wie die Polizei mitteilte, war die
Die Vernehmlassung dazu ist Lawine fast 400 Meter lang und
diese Woche eben erst abgelau- 150 Meter breit. Gelöst hatte sie
fen. Zumindest in den Diskus- sich auf 2200 Meter über Meer.
sionsforen im Internet war das Die Suche nach den Vermissten
Echo bisher eher positiv. Und musste am Samstag wegen des
wem auch die neuen Regeln schlechten Wetters zeitweilig
noch zu kompliziert sind, der unterbrochen werden. Die
macht es am besten wie Gobbi Lawine hat nach Polizeiangaben
selber: Der einst stämmige keine markierte Skipiste erreicht.
Staatsrat hat dank strikter Diät Die Verschütteten trugen keine
mit Kiwi und Fenchel gut 40 Kilo Suchgeräte auf sich. 30 Rettungs-
abgenommen – und so ganz kräfte waren im Einsatz, um die
nebenbei bewiesen, dass es auch Skifahrer zu finden. Für die Suche
ohne Grotto geht. wurde auch ein Helikopter mit
Daniel Friedli Peilsender verwendet. (sda)
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NZZ am Sonntag 18. März 2018
Das Scheinwerferlicht auf einen
Mordprozess ist sinnvoll
Das Gerichtsverfahren um den
Vierfachmord von Rupperswil
wurde zum Medienspektakel.
Doch für den Rechtsstaat
und die Demokratie ist es
eminent wichtig, dass
Strafprozesse öffentlich sind,
meint Christine Brand
Ein Herz
für Kiffer
Heinz Siegenthaler, Bauer und
Nationalrat, hielt Cannabis
zuerst für etwas Furchtbares.
Jetzt will er ihn anbauen und
legalisieren. Wie er wirkt, hat
er selbst ausprobiert.
Von Michael Furger
Geld in der Liebe
Wer zahlt, regiert
auch die Familie 16
I
m Minutentakt haben Journalistinnen
und Journalisten letzte Woche aus dem
Gerichtssaal im aargauischen Schafis-
heim getickert. Die Artikel über das
Verfahren zum Vierfachmord von Rup-
perswil füllten tagelang die Zeitungs-
seiten. Die privaten TV-Stationen produzier-
ten Sondersendungen. Der Prozess wurde
zum Medienspektakel. Es war mitunter
schwierig, die neusten Entwicklungen, die
Anträge, die jüngste Reaktion des Beschul-
digten nicht in Echtzeit mitzukriegen.
Muss ich das wirklich alles wissen?, mag
sich der eine oder die andere gefragt haben,
während manche nicht genug Informations-
schnipsel auffangen konnten, um ihre Neugier
zu befriedigen. Wie viel Information über ein
Gerichtsverfahren ist nötig, und kann es auch
zu viel davon sein? Zum Beispiel dann, wenn
die Informationspflicht zur Befriedigung der
Sensationslust verkommt? Dann, wenn die
Schlagzeilen vor allem Wutbürgern Munition
liefern für unreflektierte Kommentare in den
sozialen Netzwerken, wo sie unverhohlen
fordern, den Täter an die Wand zu stellen oder
an den nächsten Baum zu knüpfen?
Aller Kritik am Medienrummel und an der
Informationsflut zum Trotz: Es ist nicht nur
richtig, dass Gerichtsprozesse von der
Öffentlichkeit mitverfolgt werden, es ist von
eminenter Wichtigkeit. Der Grundsatz der
Justizöffentlichkeit ist in der Europäischen
Menschenrechtskonvention verankert. Und
er ist, wie auch das höchste Gericht der
Schweiz festhält, «von zentraler rechtsstaat-
licher und demokratischer Bedeutung». Man
kann sogar behaupten, dass das Öffentlich-
keitsprinzip, das mit der Französischen
Revolution Einzug hielt, in Europa den
Beginn der Rechtsstaatlichkeit markiert.
Weil Heimlichkeit und Kontrolle einander
ausschliessen. Weil die Kabinettsjustiz ein
Ende fand und Richter nicht länger unter
M
it vierzig Jahren war es so
weit. Er war an einer Party,
und jemand hatte Studen-
tenschnitten mit Haschisch
gebacken. Da dachte sich
Heinz Siegenthaler: Wenn
ich das schon anbaue, dann will ich auch
wissen, wie es wirkt.
So wie es aussieht, ist ihm der Hasch-
kuchen ziemlich eingefahren, jedenfalls
berichtet Siegenthaler noch heute von
seinem «Mega-Flash». Mittlerweile ist er 62
Jahre alt geworden, seit letztem Jahr ist er
Nationalrat für die BDP Bern. Im Nadel-
streifenanzug sitzt er in der Wandelhalle und
sagt: «Ich habe mich toll gefühlt.»
Heinz Siegenthaler ist Landwirt aus Rüti
bei Büren, einem jener Orte in der Schweiz,
für die man das Navigationsgerät erfunden
hat: 848 Einwohner irgendwo zwischen Solo-
thurn und Biel; eine Dorfbeiz, eine Bäckerei,
eine Hundeschule und rundherum viel Wald
und Ackerflächen. Dort pflanzt Siegenthaler
Zuckerrüben, Sonnenblumen, Raps und
Getreide an. Und er würde auch gerne wieder
Cannabispflanzen anbauen. So wie damals
vor zwanzig Jahren, als der Hanfanbau in der
Schweiz noch erlaubt war und Siegenthaler
ein Pionier. Diese Woche hat er eine Motion
eingereicht, die Anbau, Handel und Konsum
von Cannabis erlauben soll.
Klar, für die Hanf-Legalisierung kämpfen
andere Politiker auch, aber sie kommen nicht
aus dem Milieu von Heinz Siegenthaler. Auf
dem elterlichen Bauernhof wächst er auf und
macht die Meisterprüfung zum Landwirt.
Bald übernimmt er den Hof, wird Oberleut-
nant im Militär, Kommandant der Ortsfeuer-
wehr, Mitglied im Schützenverein und tritt
der SVP bei. Die klassische ländlich-konserva-
tive Karriere. Von Drogen wie Cannabis hat er
vage etwas mitbekommen: «Etwas Furchtba-
SANDRA NIEMANN
res», denkt er – bis er in den neunziger Jahren
in der Bauernzeitung auf ein Inserat stösst:
ein Informationsanlass über den Hanfanbau.
Abrechnung
ILLUSTRATION: THALMANN
Wie viel Steuern das
Leben kostet 20
sich sind, sondern ihre Entscheide öffentlich
begründen und somit rechtfertigen müssen.
Die Öffentlichkeit der Gerichtsprozesse
schafft Transparenz. Die Medien, die als
Stellvertreter der Bürger die Verfahren mit-
verfolgen, übernehmen eine Wächterauf-
gabe, eine Kontrollfunktion. Sie beobachten,
ob alle am Verfahren beteiligten Parteien
korrekt behandelt und gesetzmässig
beurteilt werden. Andererseits ermöglicht
erst ihre Berichterstattung, nachzuvollzie-
hen, ob und wie die Justiz funktioniert. Und
sie verschaffen dem Gerichtsverfahren und
dem Urteil die nötige Signalwirkung. Es ist
also im ureigensten Interesse der Justiz, dass
sie unter dem Auge des Volkes agiert. Das
Wesentliche am Strafrecht ist nämlich nicht
das Gesetz, sondern das Verfahren. Erst in
diesem zeigt sich, was der Rechtsstaat taugt.
Dass es vor allem Neugier und Voyeuris-
mus sind, die die Zuschauer in den Gerichts-
saal locken und den Medien hohe Quoten
bringen, ist nicht per se schlecht. Es liegt in
der Natur des Menschen, dass er sich für das
Böse, den Normbruch interessiert. Gerichts-
prozesse sind daher auch kollektive Verar-
beitungsprozesse. Gerade wenn ein schweres
Gewaltdelikt verübt wurde, ist das Bedürfnis
gross, an diesem Verarbeitungsprozess teil-
zuhaben. Es ist ein Versuch, das Unfassbare
fassbar zu machen, das Unverständliche zu
verstehen, eine Art Schlussstrich zu ziehen
– selbst wenn dadurch nichts wiedergut-
gemacht werden kann. Das Gerichtsverfah-
ren stellt die gesellschaftliche Ordnung
wieder her, die aus dem Lot geraten ist.
Trotzdem birgt die mediale Überaufmerk-
samkeit, die spektakulären Gerichtsfällen
zukommt, auch Gefahren. In einer Zeit, in
der die Informationen im Sekundentakt auf
uns einprasseln, in der sich nur mehr wenige
die Mühe machen, sich vertieft mit einem
Thema auseinanderzusetzen oder auch nur
Siegenthaler fährt hin und ist begeistert. Er
liest Bücher, sucht nach Saatgut und bestellt
mit einer alten Zuckerrübensämaschine
Nachts
schon bald sein erstes Cannabisfeld. Es
dauert nicht lange, und bei den Jugendlichen
in der Region kursieren Wegbeschreibungen
knatterten die zu Siegenthalers Feld. Nachts knattern sie mit
Jugendlichen dem Töffli heran und bedienen sich. Was
mit dem Töffli übrig bleibt, verkauft Siegenthaler einem
Cannabisbauern im Kanton Freiburg, der
zu seinem bald in einem aufsehenerregenden Prozess
Hanffeld und des Drogenhandels beschuldigt wird. Die
bedienten sich. Gesetzeslücke wird geschlossen, Siegentha-
lers Karriere als Hanfbauer ist vorerst zu
Ende. Doch begriffen hat er das Cannabis-
verbot nie. Dass so etwas nichts bringe, habe
Ausnahmetäter
Wie ein junger Mann
zum Mörder wird 18
darüber nachzudenken, ist es einfach, mit
Schlagwörtern Stimmung zu machen. Viele
glauben, man könne über das Strafrecht
Sicherheit produzieren. Aber das funktio-
niert nicht. Etliche meinen, im Strafprozess
Es liegt in der gehe es um Rache, die der Staat für sie
Natur des ausübe. Dem ist nicht so. Ein Strafverfahren
Menschen, wird nicht geführt, um dem Opfer Genug-
tuung zu verschaffen, sondern weil der Täter
dass er sich für
das Böse, den
Gesetze verletzt hat. Überdies muss man
wegkommen von der falschen Überzeugung,
Normbruch dass es möglich sei, in jedem Fall das einzig
interessiert. richtige und für alle stimmende Urteil zu
Gerichts­ fällen, und erst recht von der fatalen Erwar-
tung, dass die Justiz nicht weniger als
prozesse sind Gerechtigkeit schaffe. Ein Gericht kann
daher auch zwar Recht sprechen, Gerechtigkeit her-
kollektive stellen kann es nicht.
Verarbeitungs­ Das Wutbürgertum wird – spätestens
wenn etwas passiert, das nicht hätte passie-
prozesse. ren dürfen – teils von Medien, teils von Poli-
tikern gezielt mit Skandalisierung und Auf-
regung bewirtschaftet. Und die Öffentlich-
keit kann durchaus Druck ausüben und die
Unabhängigkeit der Justiz tangieren. Darum
stehen im Spannungsfeld zwischen der
modernen und schnellen Medienwelt und
der Justiz beide Seiten in der Verantwortung:
Die Medien müssen abwägen, wie weit ihre
Informationspflicht geht und ab wann sie
nur noch die Sensationsgier stillen. Und die
Richter haben sich unvoreingenommen und
unbeeinflussbar an das Strafgesetzbuch zu
halten – unabhängig davon, wie laut das Volk
nach Härte schreit. Denn während die Bürger
nach wie vor in erster Linie von der Tat
berührt werden, hat der Richter differenziert
nach der Schuld des Täters zu fragen.
Strafe ist die Zähmung der Wut und der
Rache. Es ist eine grosse Errungenschaft der
Zivilisation, dass diese an den Staat delegiert
wird, der mit seinem Strafrecht die Ordnung
sichert und private Rache verhindert.
sich schon bei der Alkoholprohibition in den
USA gezeigt, sagt er. Man müsse eine clevere
Regulierung finden. Produktion, Verkauf und
Genuss von Cannabis solle denselben Richt-
linien folgen wie der von hochprozentigem
Alkohol, verlangt er.
Für die Linken ist Siegenthaler so zum
beliebten Partner für die Legalisierungs-
debatte geworden. Dabei geht es ihm gar
nicht nur um die Konsumenten, sondern
auch um die Bauern. Sollten nur schon die
derzeit diskutierten Legalisierungsversuche
in Städten möglich werden, dann müsse der
Stoff von Schweizer Hanffeldern kommen,
sagt er. Schweizer Qualitätscannabis. Er hat
das bereits beim Bund deponiert.
Dass in der SVP Drogenliberalisierer wenig
Gefolgschaft haben, muss ihn nicht mehr
kümmern. Siegenthaler hat längst mit seiner
einstigen Partei gebrochen. Das war nach der
Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bun-
desrat 2007. Die SVP-Spitze wollte Eveline
Widmer-Schlumpf und Samuel Schmid aus-
schliessen, da gab Siegenthaler, damals SVP-
Fraktionschef im Berner Kantonsparlament,
ein Zeitungsinterview. Die Propaganda und
die Führungsmethoden der SVP-Leitung
erinnerten ihn an die Nationalsozialistische
Partei Deutschlands, sagte er – und noch
andere markige Sätze. Siegenthaler erhielt
Applaus – und Morddrohungen. Man werde
seinen Hof abfackeln. Freunde boten ihm
einen Wachhund an oder ihre Ferien-
wohnung als Versteck. Der Krach in der SVP
leitete die Gründung der BDP ein.
Nach seinem Flash hat Siegenthaler nie
mehr Hanf konsumiert. Zum Ausspannen
bevorzuge er Wein und Single-Malt-Whisky.
Den selbstgebrannten Obstschnaps nutzt er
für medizinische Zwecke – so wie andere den
Hanf. Nachdem er letzten Sommer vom Dach
seines Gartenhauses gefallen war, rieb er
seine Prellungen und Schürfungen mit
Schnaps ein. Und spülte mit einem Schluck
aus der Flasche den Schmerz weg.
14
In der DDR war
der Frauentag
wenigstens
ernst gemeint
Der 8. März ist zu einem Tag
geworden, an dem Firmen bei
Frauen für Konsum und
Karriereberatung werben
Katja Rost
I
ch erinnere mich noch gut an die Frauen-
tage in der DDR. Wochenlang bastelten
wir Geschenke und übten Lieder für
unsere Mütter, Lehrerinnen und die
Frauen der Patenbrigade. Berufstätige
Frauen hatten an diesem Tag ab Mittag frei.
Am Nachmittag veranstalteten die Betriebe
ein Fest für ihre Frauen. Organisiert von den
Männern. Mit dem Mauerfall verschwanden
Frauentag, Sozialismus und Kinderkrippen.
Der sozialistische Feiertag erfährt nun
aber ein Revival. Am 8. März bekam ich zahl-
lose Glückwunschmails von Frauenvereini-
gungen und Beratungen, die mich klassen-
kämpferisch an die stagnierenden Frauen-
quoten im Management erinnerten. Ausser-
dem wird der Tag zu einer Art Valentinstag
fürs Frausein. Frau kann sich selbst beschen-
ken: mit Rabatten auf Weiterbildungen,
Botox-Behandlungen oder Champagner.
Diese Entwicklung steht in eklatantem
Widerspruch zu meinem Verständnis des
Frauentags von früher. Der Frauentag in der
DDR war weder ein Klassenkampftag des
Medienkritik
Wenn Journalisten Richter spielen
Peer Teuwsen
Diese Woche stieg bei den Boulevard-
medien eine mörderisch geile Party. Und
weil der Charakter des Boulevardesken
unterdessen die meisten Medien erfasst
hat, herrschte Grossandrang. Nicht nur im
Gerichtssaal in Schafisheim, wo auf einen
Zuschauer fast drei Medienschaffende
kamen. Nein, auch sonst überquollen die
digitalen wie analogen Kanäle mit journa-
listischen Erzeugnissen zum Prozess, der
dem vierfachen Mörder von Rupperswil
gemacht wurde.
Es war vorauszusehen, dass sich der
gerechte Volkszorn an diesem Einzeltäter
sein Mütchen kühlen würde. Schliesslich
hat dieses friedliche Land so eine brutale
Tat nur sehr selten zu bieten – umso
unbarmherziger muss «die Bestie» («Blick»)
aus der Gesellschaft entfernt werden. Zum
Glück unterbanden die meisten Medien
deshalb von Anfang an ihrem Publikum die
Möglichkeit, ihre Berichterstattungswelle
zu kommentieren – ausser Facebook, Twit-
ter, «Blick» und «Watson», die sich diese
Quoten-Chance denn doch nicht entgehen
lassen wollten. Es wimmelte dort natürlich
sofort von Menschen, die für ihren Mit-
Meinungen
obersten Prozents der Frauen noch ein Kon-
sumanlass. Nein, er war ein Ehrentag für alle
Frauen und ihre Leistungen.
Die Emanzipation der Frau war in der DDR
weiter fortgeschritten, als dies heute der Fall
ist. Hausfrauen gab es nicht. Stattdessen Wie Frauen-
waren die Frauen in Vollzeit berufstätig. Dies förderung als
war einerseits die Folge unzähliger Landes- Mäntelchen
fluchten und veralteter Technologien, die zu
missbraucht
einem Mangel an Arbeitskräften führten.
Anderseits unterstützte man aber auch die wird, zeigt
Karrieren von Frauen. So gab es etwa eine aktuell die
pädagogisch hervorragende, kostenlose deutsche CSU.
Kinderbetreuung ab dem Kleinstkinderalter.
Auch der Fakt, dass Frauen trotz Berufstätig-
keit weiterhin den Grossteil der Hausarbeit
erledigten, wurde vom Staat aufgegriffen.
Jeder Frau stand monatlich ein bezahlter
Haushaltstag zur Verfügung. Zudem beför-
derte man begabte Frauen gezielt mit Weiter-
bildungsprogrammen in das Management.
Meine Mutter, eine Kindergärtnerin, war
eine dieser Frauen. Als Alleinerziehende
stieg sie innert vier Jahren zur Direktorin
einer Fachhochschule für Kindergärtnerin-
nen auf. Durch eine Promotion in der Sowjet-
union wollte man sie sogar noch weiter nach
oben befördern. Ihr 4-jähriges Kind sollte sie
für diese Zeit in einem Kinderheim der DDR
hinterlassen. Meine Mutter entschied sich
gegen den beruflichen Aufstieg. Wie viele
andere Frauen. Fazit: Auch in der DDR blie-
ben die Spitzenpositionen männlich domi-
niert. Allerdings entwickelten Frauen und
menschen die Todesstrafe oder gleich eine
standrechtliche Erschiessung forderten.
Aber auch andere liessen sich nicht
lumpen. Die «Aargauer Zeitung» rollte mit
allen verfügbaren Kräften an. Ihr Liveticker
zum Prozess zeigte aber die Tücken dieser
Erfindung: keine Einordnung und Zusam-
menhänge, nur Schlagzeilen und Banalitä-
ten. Da konnte man dann etwa auch lesen:
«Da es im abgesperrten Prozessbereich des
Gebäudes keinen Getränke- oder Snack-
automaten gibt – was vorgängig auch so
angekündigt worden war –, wird unter
Medienschaffenden und Zuschauenden
fleissig mit den mitgebrachten Farmerstän-
Den geln, Dar-Vida und Kaugummis gedealt.»
Tiefpunkt Den Tiefpunkt der Berichterstattung
der Bericht- setzte, einmal mehr, der «Blick». Abge-
sehen von martialischen Begrifflichkeiten
erstattung wie «Killer-Anwältin» oder «Wahnsinnstat»
setzte, einmal und der Sorge um die jetzt herrchenlosen
mehr, der Hunde des Täters (Stilmittel, die zum
«Blick». Handwerk dieses Metiers gehören),
schwang sich Gerichtsreporter Viktor
Dammann in Videobeiträgen zum Richter
und Psychiater auf. Was die Verteidigerin
erzähle, sei «Blödsinn», mit dem Satz «So
tickt halt dieser Mann» übertrumpfte er alle
Sachverständigen, um schliesslich eine
lebenslange Freiheitsstrafe zu fordern. Da
war einer, der professionelle Distanz halten
sollte, von den eigenen Emotionen
übermannt worden. Man kann das ver-
stehen, vor allem mit Blick auf die Hinter-
bliebenen. Allein, es ist zu unterlassen. Vor
allem bei einem Fall, wo die Volksseele
ohnehin schon überkocht.
ILLUSTRATION: GABI KOPP
Männer ein anderes Verständnis füreinander.
Im gesellschaftlichen Ansehen waren die
Frauen den Männern mindestens gleich-
gestellt. Männer würdigten die Doppelbelas-
tung und damit die ausserordentlichen Leis-
tungen der Frauen. Diese Haltung kam im
Frauentag zum Ausdruck.
Das Revival des sozialistischen Frauen-
tages erscheint vor diesem Hintergrund
befremdlich. Gewürdigt werden heute nicht
die Leistungen der Frau. Stattdessen wird
der Tag für das Marketing missbraucht. Mit
Gleichstellungsthemen versuchen sich die
Protagonisten der Öffentlichkeit als beson-
ders fortschrittlich zu präsentieren. Hinter
den Kulissen ist man von der Idee einer ega-
litären Gesellschaft jedoch weit entfernt.
Wie Frauenförderung als Mäntelchen
missbraucht wird, zeigt aktuell die deutsche
CSU. Sie vergab ihre drei Ministerposten in
der grossen Koalition ausschliesslich an
Männer. Die einzige weibliche Anwärterin
speiste man mit einem zusätzlich geschaffe-
nen Amt als Staatsministerin für Digitalisie-
rung ab. Sie hat in diesem Amt weder Mit-
arbeiter noch Ressourcen. Ein Mann hätte
das Angebot nicht angenommen. Trotzdem
wird Dorothee Bär öffentlichkeitswirksam
als erfolgreiche CSU-Karrierefrau präsentiert.
In Wahrheit kocht Frau Bär weiterhin Kaffee.
Da gibt es nichts zu feiern.
Katja Rost ist Soziologieprofessorin an der
Universität Zürich.
Grenzerfahrung
Tod einer Madonna
Barbara Hofmann
E
s war eine heitere Marienfigur, die
oberhalb der Hauptstrasse bei Gor-
dola über das Verzascatal bis zum
Langensee hinunter lächelte. Mit
ihrem bezaubernden Wonneproppen von
Jesuskind sass sie über 300 Jahre lang in
ihrer kleinen Wegkapelle und spendete den
Reisenden Trost und Zuspruch. Diese baten
sie um Schutz, denn wie leicht konnte man
auf den schmalen Pfaden ins Tal vom Pferd
in den Tod stürzen. Bis zum heutigen Tag
kamen Gläubige zu der Kapelle, schmückten
sie mit frischen Blumen und fanden wahr-
scheinlich Trost im Lächeln der braungelock-
ten jungen Tessinerin, die der Künstler dort
als Madonna verewigt hatte.
Doch der schönen Madonna widerfuhr
Schreckliches. Eine Tessiner Baufirma, die
oberhalb der Kapelle eine Überbauung
errichtet, machte das Zeugnis der Volks-
religion kurzerhand platt. Dies, obwohl es
gemäss den Bauplänen ausdrücklich erhal-
ten werden sollte. Das Entsetzen in der
Bevölkerung ist gross. Selbst der Gemeinde-
rat der Lega der Ticinesi, nicht unbedingt als
fromm bekannt, rang nach Worten.
Es gibt unzählige Zeugnisse des Volksglau-
bens im Tessin. Für die Schreibende am ein-
NZZ am Sonntag 18. März 2018
Showdown
Francesco Benini
W
ir alle kennen den
Schmetterlingseffekt.
Er besagt, dass eine
kleine Änderung in
einem System an
einem anderen Ort
grosse Auswirkungen haben kann. Der
Flügelschlag eines Schmetterlings in Bra-
silien kann einen Tornado in Texas aus-
lösen. Ein in Peking umgefallenes Fahrrad
kann in einer weit entfernten Raiffeisen-
bank zu einer Krise führen. Bundesrat
Schneider-Ammann hält eine Rede, und
rundherum sind plötzlich alle schläfrig.
Der Schmetterlingseffekt ist tückisch. Das
erfuhr ich am eigenen Leib. Ich verpasste
eine S-Bahn und dann auch den Zug nach
Bern. Ich war perplex, hatte ich meine
Wohnung doch pünktlich verlassen.
Überpünktlich sogar. Zumindest nach der
Digitaluhr am Ofen, auf die ich mich seit
Jahren verlasse. Was war da los? War die
Ofenuhr defekt? Tage später verbreiteten
die Medien die Nachricht, dass in Europa
Radiowecker, Backofen- und Mikrowel-
lenuhren um bis zu sechs Minuten nach-
gingen. Und zwar wegen einer Unterver-
sorgung im kosovarischen Stromnetz. Das
ist kein Scherz! In Kosovo war die Strom-
versorgung instabil, darum ging meine
normalerweise hochpräzise Ofenuhr zu
langsam. Ich verpasste den Goldküsten-
express an den Zürcher Hauptbahnhof,
wo mir dann der Intercity nach Bern vor
der Nase abfuhr, sodass das Treffen mit
dem Bundesrat ins Wasser fiel. Das war
insofern schlecht, als Beratungen über
eine Rettung des Rahmenabkommens mit
der EU traktandiert waren. Jetzt wird sich
der Konflikt zwischen der Europäischen
Union und der Schweiz weiter verschär-
fen. Gegenseitige Wirtschaftssanktionen
führen zu einem Konjunktureinbruch
und einem starken Anstieg der Arbeits-
losigkeit. Und das alles wegen einer
Strompanne auf dem Balkan. Man stelle
sich vor, was geschieht, wenn im Sommer
in Kosovo Schmetterlinge herumfliegen.
drücklichsten ist eine kleine Wegkapelle im
Bavonatal. Oberhalb des Weilers Foroglio
befindet sich diese neben einem riesigen
Felsbrocken, auf dem eingeritzt ist, was der
Tessiner Autor Plinio Martini in seinem
Roman «Nicht Anfang und nicht Ende»
beschreibt: «Da war der arme Knabe, der
oben über Frodone 35 Stunden lang im Ster-
ben lag, weil ihm ein Felsbrocken, den man
nicht wegwälzen konnte, die Beine bis zur
Leiste zerquetscht hatte...» Solche und
andere Unglücke habe es im Bavonatal so oft
gegeben, schreibt Martini, dass «sich die
Angehörigen, wenn man einen mit einer
Lungenentzündung vom Berg herunter-
schaffte, damit trösteten, sie hätten ihn
wenigstens in seinem Bett sterben gesehen.»
Die Wegkapellen sind genauso wie die
Votivtafeln in den Kirchen – die eindrück-
lichsten befinden sich in der Wallfahrts-
kirche Madonna del Sasso oberhalb von
Locarno – ein wichtiges Zeugnis der Tessiner
Geschichte. Sie spiegeln das Leben der
Tessiner Bevölkerung in den vergangenen
Jahrhunderten. Man muss nicht gläubig sein,
um berührt zu werden von diesen Darstel-
lungen und Hochachtung zu empfinden
gegenüber dem harten Leben dieser Men-
schen. Antike und religiöse Mahnmale zu
zerstören – das pflegen auch Islamisten zu
tun, in den Ländern, in denen sie Krieg
führen – zeugt hingegen von Verachtung und
Respektlosigkeit dem Empfinden all jener
Menschen gegenüber, die sich der Vergan-
genheit noch bewusst sind.
Barbara Hofmann ist Korrespondentin für
deutschsprachige Medien im Tessin.
NZZ am Sonntag 18. März 2018
Meinungen
Frauenquote
Die Volksmehrheit muss im
Bundesrat vertreten sein
Eins vorweg: Quoten sind kein Patentrezept, um schnell
ein paar Frauen nach oben zu befördern. Sie räumen
weder Karrierehindernisse in der Wirtschaft aus dem
Weg, noch füllen sie die Pipeline an weiblichen Talenten
im oberen Kader. Firmen brauchen die besten Fach-
kräfte, sie haben nicht den Auftrag, die Bevölkerung zu
repräsentieren. Anders der Bundesrat: Die Verfassung
hält ausdrücklich fest, dass in der Exekutive die Landes-
gegenden und Sprachregionen angemessen vertreten zu
sein haben. Der Bundesrat ist kein Gremium von Spit-
zenkadern, er ist ein Gremium des Ausgleichs: Er sorgt
für einen Ausgleich zwischen Parteien, Regionen,
Sprachen. Was notorisch fehlt, ist der Ausgleich zwi-
schen den Geschlechtern. Frauen regieren nicht besser
als Männer. Sie regieren anders. Genauso, wie Romands
oder Tessiner aufgrund anderer Erfahrungen in der
Regierung andere Akzente setzen als Deutschschweizer.
Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung verdient es, im
Bundesrat angemessen vertreten zu sein. Genau so hat
es der Ständerat diese Woche überraschend beschlos-
sen. Das Geschlecht bekäme damit im Verfassungsarti-
kel zur Bundesratswahl den Stellenwert, den die Regio-
nen schon haben. Ein Ausgleich, der nötig ist: In den
letzten 35 Jahren haben die Parteien 31 Männer ins
Rennen geschickt, aber bloss 17 Frauen. (na.)
Giftanschlag
Putin lässt den Westen
plötzlich wieder aufleben
Es sind keine guten Zeiten für Europa und den Westen:
Macron und Merkel haben die Präsentation ihrer
Reformpläne für die Euro-Zone gerade auf Juni verscho-
ben; für mehr Europa scheinen die EU-Bürger derzeit
kaum zu gewinnen zu sein, und seit dem Amtsantritt
Donald Trumps haben sich die Bande über den Atlantik
spürbar gelockert. Doch gleichsam über Nacht mussten
sich nun Europäer und Amerikaner zusammenraufen,
um im Streit um den Giftanschlag von Salisbury dem
russischen Präsidenten Putin die Stirn zu bieten. In
seltener Einigkeit haben Trump, Merkel, Macron und
May gemeinsam gegen Putin Stellung bezogen.
Gesundet Europa etwa an den Zumutungen der Auto-
kraten – egal, ob sie nun Putin oder Erdogan heissen?
Finden Europa und die USA ausgerechnet in der
Aussen- und Sicherheitspolitik zusammen, jener
Domäne, wo nationale Souveränität besonders gross
geschrieben wird? Noch ist unklar, wie weit die neue
Einigkeit trägt und ob der Putin-Versteher Trump an
Bord bleibt. Aber es ist gut, dass die Verbündeten ein
kräftiges Lebenszeichen von sich gegeben haben. Die
gemeinsame Abwehr äusserer Bedrohungen hatte
schon immer den grössten Integrationseffekt. (lzb.)
SBB
Du, das ist anbiedernd
Die SBB bieten ihren Angestellten das Du an. Über alle
Hierarchiestufen soll man sich im Konzern künftig
duzen, wie die Firma per Twitter mitteilte. Auch wenn
niemand dazu verpflichtet wird, ist dieser plumpe
Annäherungsversuch von oben an das Personal pein-
lich. Der Rangierarbeiter fühlt sich CEO Andreas Meyer
nicht enger verbunden, weil er mit ihm per Du ist. Ein
offenes Ohr für die Anliegen der Mitarbeiter würde
Kollegialität und Loyalität viel mehr fördern. Doch hier
sind bittere Klagen zu vernehmen. An der SBB-Spitze
erhöre man ihre Alltagssorgen nicht, sagen Bähnler.
Kader und untere Stufen entfremdeten sich. Damit ein
Unternehmen auf Du und Du zusammensteht, braucht
es Wertschätzung. Mit Duzen ist es nicht getan. (asc.)
Chappatte
Der externe Standpunkt
Wichtiger Grund für die Revolte von
1968 war – die Demografie
Sozialismus, Frauenbefreiung, sexuelle Revolution: Das waren die
Ideen von 1968. Vorangetrieben wurde die Jugendrevolte aber durch
den Geburtenüberschuss nach 1945, meint Gunnar Heinsohn
I
n Sils Maria formuliert Friedrich Nietz-
sche 1882 seine Einsicht in Revolten:
«Wie explosionsbedürftig die Kraft
junger Männer daliegt. [...] Was sie reizt,
ist der [...] Anblick der brennenden Lunte.
[...] Die feineren Verführer verstehen sich
deshalb darauf, ihnen die Explosion in Aus-
sicht zu stellen und von der Begründung
ihrer Sache abzusehen: mit Gründen gewinnt
man diese Pulverfässer nicht!» («Die fröh-
liche Wissenschaft», Aphorismus 38).
Und ein Jahr später ergänzt Preussens
Infanterielehrer Colmar von der Goltz in
«Das Volk in Waffen»: «Leicht trennt nur die
Jugend sich vom Leben. [...] Die Sehnsucht
nach Erlebnissen macht sie kriegslustig. [...]
Sie tritt mit Freude und Sorglosigkeit in den
Kampf, die beide zu der blutigen Arbeit noth-
wendig sind.»
Solche Erkenntnisse lassen sich damals
nur erahnen. Heute können wir zwischen der
Gewaltbereitschaft, die sich in Rebellionen
und Revolten äussert, und dem Anteil junger
Männer an der Gesamtbevölkerung einen
Zusammenhang herstellen. Zur Quantifizie-
rung dieses Phänomens habe ich einen ein-
fachen Kriegsindex entwickelt. Dieser misst
die Relation zwischen 55- und 59-jährigen
Männern, die sich auf die Rente vorbereiten,
und 15- bis 19-jährigen Jünglingen, die den
Lebenskampf aufnehmen und für sich
gesellschaftliche Positionen anstreben.
Deutschland hat heute einen Kriegsindex
von 0,66. Auf 1000 alte folgen 666 junge
Männer. Der Kriegsindex im Gazastreifen
oder in Afghanistan ist zehnmal so hoch. Auf
1000 alte folgen über 6000 junge Männer.
Zwischen 1800 und 1914 springt Europas
Menschenzahl von 180 auf 480 Millionen,
der Kriegsindex auf dem Kontinent liegt stets
bei 3 bis 5. Weil es längst nicht genügend frei
werdende Positionen gibt, suchen die vielen
jungen Männer einen Ausweg in Heroismus
durch Heldentod oder Sieg. Kriegsverluste
beim Siegen und Kolonisieren in Übersee
sowie durch Seuchen und Kriege daheim
werden umgehend ausgeglichen bei Geburts-
zahlen zwischen 4 und 8 Kindern pro Frau.
Und die Gewalt nimmt kein Ende, denn die
demografischen Daten bleiben kritisch. Zwi-
schen 1914 und 1945 fallen Europas Geburts-
zahlen, bleiben aber beträchtlich. Und
zusätzlich zu den von Nazis und Kommunis-
ten verübten Genoziden werden auf dem
Kontinent auch noch 24 Millionen junge
Männer auf den Schlachtfeldern getötet.
Das hat dramatisch gekehrt, Europa ist ein
Kontinent des Friedens geworden. Seine
Kinderzahl liegt heute bei durchschnittlich
1,5 pro Frau, während das Durchschnittsalter
seiner Bevölkerung von 20 auf 42 Jahre
steigt, der Kriegsindex unter 1 sinkt und die
Alte Welt als Machtfaktor entfällt.
Nur einmal noch reicht es zu einer – zwar
nicht kriegerischen, aber doch gewaltsamen
– Bewegung, deren Träger auch demo-
grafisch als 68er bezeichnet werden können.
Sie entspringen jenem Babyboom, der zwi-
schen den späten vierziger und sechziger
Jahren des 20. Jahrhunderts zum bisher letz-
Gunnar Heinsohn
Gunnar Heinsohn, 74, ist promovierter
Soziologe und Wirtschaftswissenschafter.
Der emeritierte Professor für Sozialpädago-
gik hat an der Universität Bremen 1993
Europas erstes Institut für vergleichende
Völkermordforschung aufgebaut. Seit
2012 lehrt Heinsohn Militärdemografie am
Nato Defense College in Rom.
15
ten Mal seit dem 19. Jahrhundert eine spür-
bare Steigerung der Kinderzahlen beschert.
Die 1948 Geborenen werden zu den demons-
trierenden Studenten von 1968. Nach 1985,
als die letzten starken Jahrgänge erwachsen
sind, klingt der Rausch der Revolte ab. Weil
Jungvolk ausbleibt, beendet selbst Deutsch-
lands Terrororganisation Rote-Armee-Frak-
tion 1992 das Töten.
Die Entwicklung lässt sich mit Zahlen
zeigen: Der Kriegsindex der Babyboomer
wächst in Deutschland von 1,63 (1955) auf
2,43 im Jahr 1975, um bis heute auf 0,65 zu
sinken. In Italien steigt er von 1,34 (1970)
auf 1,93 (1975; heute 0,70). Auf der östlichen
Seite des Eisernen Vorhangs liegt Polen
vorne. Zwischen 1960 und 1975 springt das
Land von 1,53 auf 3,57 (heute 0,71).
In der Tat gewinnt man Pulverfässer nicht
mit Gründen, wie Nietzsche sagte. Ideolo-
gien sind meist nachgeschoben. Das zeigt
gerade der Vergleich mit Polen schön. Wäh-
rend man sich im Westen am Ende der sech-
ziger Jahre über Freiheit und Kapitalismus
empört, fordert der Osten die kommunisti-
sche Diktatur heraus, als 1970 in Danzig
gegen hohe Preise und zehn Jahre später für
freie Gewerkschaften gestreikt wird.
Verglichen mit dem 19. Jahrhundert, als
der Kriegsindex in der Spitze doppelt so hoch
lag, bleibt die Waffenlust der 68er allerdings
gebremst. Es muss ja auch niemand mit vier
bis acht Gleichaltrigen um einen Posten
kämpfen. Von dem Schicksal der 1,7 Milliar-
den Menschen in den derzeit 81 Staaten mit
Kriegsindex-Werten zwischen 2,5 und 8
bleibt man verschont.
Die 68er haben gleichzeitig mitgeholfen,
die Demografie dauerhaft zu ändern: Mit der
sexuellen Revolution, welche unter anderem
auch der Geburtenkontrolle zum Durchbruch
verhalf. Und mit Selbstverwirklichung auf
dem Arbeitsmarkt, wo längst mehr Vorteile
hat, wer kinderlos bleibt. Beliebt wird 1968
der Slogan make love, not war. Heraus kommt
make love, not babies. Im Ergebnis nützt auch
das dem Frieden.
16
49 Prozent
Drum rechne, wer sich ewig bindet
Patrick Imhasly
S
eit bald 40 Jahren ist die Gleichstel-
lung von Männern und Frauen in der
Verfassung der Schweiz festgeschrie-
ben, seit zwanzig Jahren liefert ein
Gesetz die rechtlichen Grundlagen zur Ver-
wirklichung dieser Vorgabe. Tatsächlich ver-
dienen Frauen heute für eine vergleichbare
Arbeit gemäss Untersuchungen immer noch
7,4 Prozent – oder jährlich 7000 Franken –
weniger als Männer. Das muss jetzt ein Ende
haben, sagen die einen und fordern soziale
Gerechtigkeit für die Frauen, während die
andern versuchen, die festgestellten Lohn-
unterschiede als statistische Fehlkalkulation
wegzuerklären. An dem Dilemma wird sich
so schnell nichts ändern, hat doch der
Ständerat jüngst einen Vorstoss zur Über-
arbeitung an eine seiner Kommissionen
zurückgewiesen. Der Vorstoss wollte grös-
sere Firmen darauf verpflichten, geschlech-
terbedingte Lohnunterschiede wenigstens
zu erfassen und zu dokumentieren.
Bei dieser Diskussion geht es um die Aus-
wirkungen von Lohndifferenzen auf einer
gesellschaftlichen Ebene. Was aber bedeuten
Unterschiede in der pekuniären Entschädi-
Die E-Mail-Debatte
«Verwahrung ist Freiheitsentzug für
unbewiesene künftige Straftaten»
Wie gut ist unser Strafrecht? Mattea Meyer kritisiert die Verpolitisierung der
Strafjustiz. Andrea Caroni möchte den Mordtatbestand verschärfen
Andrea Caroni
Geschätzte Kollegin, der Vierfachmord von
Rupperswil bewegt die Schweiz. Der Straf-
prozess dieser Woche bot Anlass, über den
richtigen Umgang einer Gesellschaft mit
gefährlichen Verbrechern nachzudenken.
Welche Erwartungen haben Sie an unser
Strafrecht und an die Strafjustiz?
Mattea Meyer
Geschätzter Kollege, der Vierfachmord
offenbart tiefste, menschliche Abgründe.
Unvorstellbar, als Angehörige der Opfer
einen solchen Strafprozess ertragen zu
müssen. Kein Strafrecht kann Gerechtigkeit
schaffen und kein Strafrecht kann den
Wunsch nach absoluter Sicherheit erfüllen.
In seltenen Fällen, wenn Therapieversuche
gescheitert sind, finde ich eine Verwahrung
angezeigt, um die Öffentlichkeit zu schüt-
zen. Es soll aber jährlich überprüft werden,
ob nach wie vor Gefahr besteht oder eine
bedingte Entlassung möglich ist. Schweiz-
weit gibt es rund 150 solcher hochgefähr-
licher Täter. Das Problem sehe ich vielmehr
darin, dass die Strafjustiz verpolitisiert wird:
Aus Angst, Fehler zu machen, steht der abso-
lute Sicherheitsgedanke über dem Anspruch,
Kriminelle wieder zu resozialisieren. Wie
sollen wir mit Menschen umgehen, die
immer wieder gewalttätig werden?
Andrea Caroni
Das Strafrecht kann zwar weder absolute
Gerechtigkeit noch absolute Sicherheit brin-
gen, aber immerhin von beidem ein Stück.
Mit der Strafe drücken wir als Gesellschaft
unsere Missbilligung der Tat aus, verschaffen
den Opfern ein wenig Genugtuung und ver-
hindern durch Abschreckung (und allenfalls
durch Einsperrung) zumindest einen Teil
möglicher künftiger Taten. Dabei misst sich
die Strafe an der Schuld des Täters. Ganz
anders die Verwahrung: Sie kommt zur Strafe
hinzu und bemisst sich allein am öffent-
lichen Sicherheitsbedürfnis. Anders gesagt:
Verwahrung ist Freiheitsentzug für – unbe-
wiesene – künftige Straftaten. Wie Sie zu
Meinungen
gung für das, was jemand im Job leistet, im
Kleinen – in einer Beziehung oder einer
Familie? Ein Luxemburger Ökonom geht
dieser Frage seit Jahren nach und hat jüngst
erste Schlussfolgerungen seiner Forschung
präsentiert. Er hat festgestellt, dass zumin- Frauen sollten
dest in den USA der Einkommensgraben ihr Beute-
zwischen Männern und Frauen seit 1980 schema nicht
um einen Viertel zurückgegangen ist. Würde
auf Männer
er vollständig verschwinden, so seine Pro-
gnose, arbeiteten mehr Frauen Vollzeit im ausrichten, die
Beruf und rund sieben Stunden pro Woche besonders viel
weniger lange im Haushalt. verdienen.
Dahinter stecken zwei Mechanismen. Ein
höheres Einkommen verleiht den Frauen
mehr ökonomische Macht, von der allerdings
die ganze Familie profitiert: Die Krippe oder
eine Nanny lassen sich leichter finanzieren.
Und wenn die Frauen grössere wirtschaft-
liche Verantwortung übernehmen, verändert
das auch die Möglichkeiten der Männer: Sie
können etwa von sich aus kündigen und sich
ein paar Monate lang ausklinken, bevor sie
sich einen neuen Job suchen. Wer zahlt, der
befiehlt, das gilt auch in der Familie, deshalb
stärkt ein höheres eigenes Einkommen
zusätzlich die Verhandlungsmacht der
Frauen, etwa wenn es darum geht, zu ent-
scheiden, ob der nächste Badeurlaub nach
Rimini oder auf die Seychellen führt. Sind
hingegen die Einkommensunterschiede zwi-
schen Männern und Frauen ausgeprägt, sei
es weil die Frauen in einer Branche grund-
sätzlich schlechter bezahlt sind, in kleineren
Pensen berufstätig sind oder Berufe wie die
Pflege ausüben, die oft schlecht bezahlt sind,
Recht sagen, ist die Praxis hier sehr streng,
Debattierer denn Verwahrte kommen praktisch nie mehr
raus. Das ist bei Tätern, die ihre verdiente
Strafe abgesessen haben und an sich keine
Gefahr mehr darstellen würden, ein harter
Eingriff. Aber verständlicherweise will nie-
mand den umgekehrten Fehler machen.
Würden Sie als Gesetzgeberin denn die
Regeln lockern?
Mattea Meyer
Ich glaube, die Regeln sind weniger das Pro-
Mattea Meyer, 30, blem als vielmehr die bereits beschriebene
ist Nationalrätin der Verpolitisierung der Justiz: Vor wenigen
SP aus dem Kanton Jahren wurde darüber diskutiert, ob Richte-
Zürich. Sie ist rinnen und Gerichtspsychiater verantwort-
Co-Präsidentin der lich gemacht werden sollen, wenn ein von
SP Winterthur ihnen freigelassener Täter wieder straffällig
und Co-Präsidentin wird. Damit wird versucht, etwas auszumer-
der Sans-Papiers- zen, was zum Leben dazugehört: das Risiko.
Plattform Schweiz. Auch der beste Richter ist kein Hellseher. Mit
psychiatrischen Gutachten kann zwar die
Gefährlichkeit eingeschätzt werden, die von
einer Person für die Öffentlichkeit ausgeht –
aber menschliches Handeln bleibt unbe-
rechenbar. Ich finde es problematisch, wenn
von Resozialisierungsmassnahmen wie Haft-
urlaub, bedingter Entlassung oder Ausgang
weniger Gebrauch gemacht wird, weil das
Gericht sich scheut, einen Fehlentscheid
treffen zu können. Damit beginnt die
Andrea Caroni, 37,
ist FDP-Ständerat
Wiedereingliederung auch später. Es stellt
sich die Frage, ob das wirklich ein Gewinn
für die Gesellschaft ist?
aus dem Kanton
Appenzell Ausser- Andrea Caroni
rhoden. Er arbeitet In der Tat: Im Idealfall können wir ursprüng-
als Rechtsanwalt lich gefährliche Täter im Strafvollzug wieder
und ist Vizepräsident auf ein straffreies Leben in der Gesellschaft
der FDP Schweiz. vorbereiten. In diesem Fall gewinnen alle:
Die Gesellschaft ist sicher, der Staat muss
keine teuren Verwahrungsplätze zahlen,
dem Täter wird nicht mehr Freiheit entzogen
als nötig und seine Angehörigen haben ihn
wieder. Gerade aber weil es keine Hellseher
gibt, besteht aber auch immer das Risiko
eines Fehlentscheids zulasten künftiger
Opfer. Wollten wir allerdings null Risiko,
droht den Frauen der Sturz in die Armuts-
falle. Nämlich dann, wenn sie nach einer
Trennung irgendeinmal gezwungen sind,
beruflich wieder Fuss zu fassen; von den
gravierenden Lücken in ihrer Altersvorsorge
gar nicht erst zu sprechen.
Frauen sollten deshalb das Schiller-Zitat
«Drum prüfe, wer sich ewig bindet» neu
interpretieren. Sie sollten ihr Beuteschema
nicht auf Männer ausrichten, die besonders
viel verdienen, sondern auf solche, die ein
vergleichbares Einkommen erzielen wie sie
selbst, Aufstiegschancen im Beruf haben
wie sie und auch sonst in möglichst vielen
Belangen ähnlich ticken.
Auf den ersten Blick mag eine solche
Strategie ökonomisch unsinnig erscheinen,
langfristig zahlt sie sich aus. Unter diesem
Preis sind wirklich egalitäre Rollenmodelle
in einer Beziehung – ob mit oder ohne Kinder
– jedenfalls nicht zu haben. Das gilt übrigens
nicht nur aus der Perspektive der Frauen,
sondern auch aus jener der Männer. Die Vor-
stellung, dass meine Frau eine Investment-
bankerin wäre und fünf Mal mehr verdienen
würde als ich, hat ehrlich gesagt schon etwas
Verlockendes – wie entspannt könnte ich das
Leben angehen! Doch ich befürchte, dass ich
mir unter solchen Umständen bald einmal
als Würstchen vorkäme oder mich langwei-
len würde. Da setze ich mich doch lieber
jeden Morgen in den Zug und pendle zur
Arbeit von Bern nach Zürich.
Patrick Imhasly ist Redaktor im Ressort
Wissen bei der «NZZ am Sonntag».
müssten wir auch alle frei herumlaufenden
potenziellen Ersttäter einsperren – unter
Ihnen auch Sie und mich –, und dann könn-
ten wir immer noch auf andere Insassen los-
gehen. Die Balance bei der Verwahrung ist
schwierig zu finden. Aber vielleicht könnten
wir sie uns ja zumindest bei den schlimms-
ten Mördern sparen, wenn wir längere Stra-
fen aussprechen könnten, von etwa 30 oder
mehr Jahren. Bei der heutigen lebenslangen
Freiheitsstrafe kommt man ja nach 15 Jahren
raus, wenn man keine Gefahr mehr darstellt.
Mattea Meyer
Weder eine Psychiaterin noch ein Richter
können 20 oder mehr Jahre vorausschauen.
Entscheidend ist doch, ob ein brutaler Täter
auch nach Ende der Haftstrafe noch als
Gefahr für die Gesellschaft eingeschätzt wird
oder ob Therapien Wirkung gezeigt haben.
So wichtig die Diskussion um unser Straf-
recht ist, so zentral finde ich aber auch, dass
wir dabei nicht den Blick auf die Opfer und
Angehörigen vergessen. Wer einen Übergriff
erlebt oder einen geliebten Menschen durch
eine Straftat verliert, durchlebt Schlimmstes.
Opferhilfestellen können da helfen, dass sich
die Betroffenen nicht vergessen und im Stich
gelassen fühlen. Ich war schockiert, als die
SVP letztes Jahr in der Budgetdebatte Geld
für die Opferhilfe kürzen wollte. Es braucht
nicht weniger, sondern mehr und bessere
Unterstützung. Wo sehen Sie hier Nachhol-
bedarf?
Andrea Caroni
Die Schuld für die bereits begangene Tat
kann aber durchaus eine Strafe von mehr als
20 Jahren rechtfertigen. Zu den Opfern: Ich
kenne beide Seiten, da ich – im Militär –
sowohl als Strafverfolger als auch im Opfer-
recht engagiert bin. Ich war dafür, dass wir
die Opferrechte mehrfach ausbauen würden.
Wer aber ohne jede Unterstützung leidet, das
sind die Kinder, Partner und Eltern der Täter.
Das ist ein weiterer Grund, Menschen nicht
länger einzusperren, als Schuld und Gefähr-
lichkeit es verlangen.
NZZ am Sonntag 18. März 2018
Alles, was Recht ist
Die Klägerin
bleibt ein
Bankkunde
Markus Felber
E
ine achtzigjährige Rentnerin
aus dem Saarland streitet ver-
bissen darum, dass sie in
Bankformularen als Kundin
und Kontoinhaberin ange-
redet wird und nicht als
Kunde und Kontoinhaber. Die Bank
lehnte das Ansinnen aus Gründen der
Praktikabilität ab. Obwohl im Schreiben
als «Sehr geehrte Frau» angeredet, will
diese ihren Kampf wider das generische
Maskulinum durch alle Instanzen ziehen.
Bis jetzt vergeblich: Diese Woche ent-
schied der Bundesgerichtshof und wies
die vom Landgericht Saarbrücken zuge-
lassene Revision der streitlustigen Dame
ab. Sie habe keinen Anspruch darauf, in
Bankformularen «ausschliesslich oder
zusätzlich mit grammatikalisch weib-
lichen Personenbezeichnungen erfasst zu
werden», heisst es im Urteil aus Karls-
ruhe. Sie erleide durch die Verwendung
des generischen Maskulinums keine Dis-
kriminierung als Frau. Denn massgeblich
dafür sei nicht ihre eigene subjektive
Wahrnehmung, sondern «die objektive
Sicht eines verständigen Dritten». Und
von solcher Warte aus betrachtet, können
grammatikalisch männliche Bezeichnun-
gen nach Auffassung der Richter des Bun-
desgerichtshofs auch Personen umfassen,
«deren natürliches Geschlecht nicht
männlich ist». Solche Personen würden
daher durch einen solchen Sprach-
gebrauch auch nicht geringgeschätzt.
Das Verdikt der Richter, die nicht alle
männlichen Geschlechts sind, darf in
unserer politisch korrekten Zeit als mutig
und von gesundem Menschenverstand
beseelt bezeichnet werden. Zudem hebt
sich das Sprachverständnis wohltuend ab
von den unseligen Bemühungen des
Gesetzgebers, die ohnehin fragwürdige
Juristensprache durch gendergerechte
Floskeln vollständig zu ruinieren.
Dass der Bundesgerichtshof seine Aus-
führungen zum generischen Maskulinum
auch im Alltag ernst nimmt, zeigt übri-
gens seine Homepage. Dort wird darauf
hingewiesen, dass Informationen zur
Präsidentin unter dem Navigationspunkt
«Präsident» aufgelistet seien.
Markus Felber war NZZ-Bundesgerichts­
korrespondent.
Strittis Schlagzeile
Zu den Mordversuchen mit Gift
aus Russland.
Giftzwerg
Wladimir.
Hermann Strittmatter ist Gründer und Leiter
der Werbeagentur GGK in Zürich.
NZZ am Sonntag 18. März 2018
Nachruf
Am Himmel zu Hause
Harry Hofmann, der viele Swissairflüge mithilfe der Sterne ans Ziel navigierte und
später Piloten ausbildete, ist 99-jährig gestorben. Von Thomas Isler
E
s war stockdunkel und wolkig, kein
einziger Stern war zu sehen. Auch
das Funknavigationssystem per
Langwelle funktionierte nicht, als
Harry Hofmann 1956 seinen Prüfungsflug als
Navigator in einer DC-4 der Swissair nach
New York absolvierte. Ihm blieb nur eine
Methode: Er mass die Druckunterschiede,
versuchte so, die Tiefdruckzonen zu bestim-
men und das normale Abtreiben des Flug-
zeuges zu berechnen. Plötzlich sah Hofmann
das Leuchtsignal an der Südspitze Grön-
lands, die Maschine war 70 Meilen vom Kurs
abgekommen! Der Experte schaute streng.
«Himmel Herrgott, dass mir das passieren
muss!», dachte Hofmann. Nach der Landung
in New York überprüfte er nochmals fiebrig
seine Rechnungen. Alles richtig. Schliesslich
zeigte sich, dass auch ein nachfolgendes
Flugzeug 70 Meilen vom Kurs abgekommen
war. Der Grund: Ein seltenes Wetterphäno-
men. Hofmann bestand und flog als alleini-
ger Navigator in die Schweiz zurück.
Meistens navigierte Hofmann die Swis-
sairflüge aber mit Sternen und Sextant über
den Atlantik. «Wenn ich nachts auf einer
Wiese liege und zu den Sternen hochschaue,
ist es, als sähe ich Freunde oder Kollegen»,
erzählte Harry Hofmann im Dokumentarfilm
«Der letzte Navigator», den Ueli Meier über
ihn gemacht hatte. «Und ich erinnere mich,
dass ich diesen oder jenen Stern bevorzugt
zum Navigieren genommen habe.»
Geboren wurde er 1918 in Wetzikon, sein
Vater führte einen Laden und reiste zudem
als Vertreter für Tabakwaren. Harry war ein
Einzelkind, das gerne mit Freunden experi-
mentierte und morste. Er besuchte die Kan-
tonsschule in Zürich, entweder mit dem Velo
oder mit der Bahn – dann musste er um 5 Uhr
aufstehen. Sein Vater starb, als er im Teen-
ageralter war. Er machte die Matur. Aber das
Geld wurde knapp, ans Studieren war nicht
zu denken. Hofmann wurde Fliegerfunker
im Militär und lernte danach Peilbeamter auf
dem Flughafen Dübendorf.
1942 heuerte Hofmann bei der Schweizer
Hochseeflotte an, die seit Kriegsausbruch
das Land mit lebenswichtigen Gütern ver-
sorgte. Mit dem Zug reiste er durch Frank-
reich und Spanien nach Lissabon. Dort
machte er die Marineschule und tat dann
Dienst als Bordfunker auf der «Lugano».
Das historische Bild Srebrenica, 12. Juli 1995
Der Völkermörder trinkt vergnügt mit
jenem Mann, der die Getöteten hätte
beschützen sollen. Dass sich Ratko Mladic,
ganz links, dabei fotografieren liess, hatte
nur einen einzigen Zweck: die Demütigung
von Thomas Karremans, dem Kommandan­
ten mit dem Schnauz und dem blauen Béret
in der Beintasche, der hier die Uno vertrat.
Nichts zeigt schonungsloser das Versagen
der Vereinten Nationen in Srebrenica.
Die niederländischen Blauhelmsoldaten
hatten im Jugoslawienkrieg den Auftrag
erhalten, das zu einer Schutzzone für bosni­
sche Muslime gewordene Srebrenica zu
sichern. Sie besassen aber kein Kampf­
mandat, und sie waren auch nicht entspre­
chend ausgerüstet. Sie verfügten über
leichte Waffen – zur Selbstverteidigung.
Als die bosnischen Serben die Enklave am
11. Juli 1995 angriffen, bat der niederländi­
sche Oberstleutnant Karremans die Uno um
Luftunterstützung. Vergeblich. Srebrenica
wurde überrannt, ein niederländischer
Soldat erschossen. Die Blauhelme ergaben
sich faktisch. Gleich danach begannen die
Deportationen für den Genozid, bei dem
rund 8000 muslimische Bosnier – vorwie­
gend Männer und Buben – massakriert
wurden. Gleichzeitig bestellte Mladic
Karremans zum Schnapstrinken.
Die Verhöhnung der Weltgemeinschaft
blieb lange ohne Antwort. Über 22 Jahre
lang. Am 22. November 2017 wurde der
75­jährige Mladic zu einer lebenslangen
Freiheitsstrafe verurteilt. (tis.)
SIPA / DUKAS
Meinungen
Nebenbei unterrichtete der sprachgewandte
Mann die Schiffsjungen aus Moçambique.
Die Angst vor Angriffen durch Flugzeuge
oder U-Boote war stets da. Eines Tages
forderten Morsesignale die «Lugano» plötz-
lich auf, ihre Geschwindigkeit zu drosseln.
«30 Meter neben uns tauchte ein deutsches
U-Boot auf», erzählte Hofmann. «Der Kapi-
tän verlangte von uns, die Bordpapiere an
einer Leine hinüberzufieren. Ich hörte, dass
er fast wie wir redete und rief: ‹Bisch vo
Waldshut?›» Das Eis war gebrochen. Das
U-Boot erhielt von der «Lugano» noch ein
paar Flaschen Brandy und entfernte sich.
In Lissabon lernt Hofmann seine künftige
Frau kennen, mit der er später zwei Söhne
hat. Als er aber auch noch die Kapitänsschule
machen will, interveniert sie. Das Paar geht
zurück in die Schweiz. Hofmann beginnt als
Lotse im Tower des Flughafens. Später wird
er aushilfsweise zum Bordfunker. 1956
macht er die Navigatorenschule.
Für den Rest seines Berufslebens war er
Navigator bei der Swissair, berechnete im
Cockpit mit Sternen und Sextant Position
und Kursabweichung. Fliegen war ein Aben-
teuer. Einmal führten sie in einer DC-6 einen
lebenden Löwen im Frachtraum mit, den sie
mit Wienerli fütterten. Und das Überqueren
des Äquators auf der Südatlantikroute mit
einem Flugzeug ohne Druckkabine erfolgte
in so geringer Höhe, dass stets durch die Tur-
bulenzen der sogenannten intertropischen
Front geflogen werden musste.
Flugzeuge und Navigationsmittel wurden
immer besser. Hofmann reagierte auf Neue-
rungen stets aufgeschlossen und ohne Bitter-
keit. Er hatte auch Glück: Die Abschaffung
des Navigators bei der Swissair fiel genau mit
seiner Pensionierung zusammen.
Er lehrte fortan zahllose Piloten die Astro-
navigation, bis er 83 Jahre alt war. Er erteilte
auch Privatunterricht, etwa dem Dirigenten
Herbert von Karajan, der auch eine Piloten-
lizenz hatte. Von 1987 bis 1992 engagierte er
sich für ein Uno-Projekt als Ausbildner für
Linienpiloten im westafrikanischen Gabun.
Hofmann hatte ein pädagogisches Talent.
Seine Zeit als Pensionierter war mit zahl-
reichen Verpflichtungen ausgefüllt: Er half
bei Ausgrabungen in China mit, hielt Vor-
träge im Planetarium des Verkehrshauses
und engagierte sich bei der Sternwarte
FOTO: DVD WWW.DERLETZTENAVIGATOR.CH
Der Arbeitsplatz Bülach. Und als die Swissair 2001 unterging,
des Navigators: nahm er das sehr nüchtern. Er trauerte nie
Harry Hofmann im den alten Zeiten nach: «Das ist gewesen»,
Cockpit einer DC­8. sagte er zu Kollegen, die bei ihm jammerten.
(Zirka 1970) Er verbrachte seine letzten Jahre in einer
Seniorenresidenz am Pistenrand in Rümlang.
Dort waren seine Geschichten sehr gefragt.
Noch mit 96 nahm er mit Kollegen an einer
Führung bei der Swiss teil. Als den Männern
im Cockpit eines Airbus A 340 die Instru-
mente erklärt wurden, strahlte Hofmann
und sagte: «Hier bin ich zu Hause.»
17
Hubert de Givenchy, 91
E
r hat das wohl berühmteste Kleid der
Filmgeschichte entworfen, das nicht
nur die Trägerin, sondern auch ihn
selbst unsterblich gemacht hat. Der
französische Modeschöpfer Hubert de
Givenchy ist der Vater des berühmten
kleinen Schwarzen, das Schauspielerin
Audrey Hepburn in «Breakfast at Tiffany’s»
trug. Das Original ist auch eines der teuers-
ten Kleider der Welt. Vor ein paar Jahren
wurde es für fast 700 000 Euro versteigert.
Geboren wurde Graf Hubert James Marcel
Taffin de Givenchy 1927 in eine Adelsfamilie.
Er wuchs nach dem frühen Tod des Vaters
mit der Mutter bei den Grosseltern auf, die
ihn protestantisch erzogen. Zeitlebens führte
er seine Arbeitsmoral und Disziplin darauf
zurück. An der Weltausstellung in Paris 1937,
im Alter von zehn Jahren, entdeckte er seine
Liebe zur Mode. Er begann, Recht zu studie-
ren, wechselte aber bald an eine Kunsthoch-
schule. Zu Beginn der fünfziger Jahre eröff-
nete er seine Modeateliers, 1957 kleidete er
Audrey Hepburn für den Film «Sabrina» ein
– der Beginn einer lebenslangen Freund-
schaft und Zusammenarbeit. Givenchy, der
auch Kleider für Jacqueline Kennedy oder
Grace Kelly entwarf, prägte wie kein Zweiter
den Stil der sechziger Jahre und baute eine
Weltmarke auf. In einem seiner letzten Inter-
views kritisierte er die heutige Mode: «Es
wird zu dick aufgetragen», sagte er. Hubert
de Givenchy ist zu Hause gestorben. (tis.)
Louise Slaughter, 88
I
ch glaube, es gibt nichts Schlimmeres für
die Frauen in den USA, als zusehen zu
müssen, wie Männer in dunkelblauen
Anzügen über dieses Thema reden»,
sagte Louise Slaughter. Sie meinte die
Abtreibung. Die Demokratin kämpfte ein
Leben lang für die freie Wahl der Frauen
beim Schwangerschaftsabbruch – ebenso wie
für viele andere Frauenthemen. «Wer Louise
Slaughter kannte, der kannte eine Natur-
gewalt», sagte ihr Stabschef. Slaughter war
die allererste Frau an der Spitze des einfluss-
reichen House Committee on Rules, das seit
1789 existiert.
Louise Slaughter wurde 1929 in Kentucky
in bescheidenen Verhältnissen geboren. Sie
studierte Mikrobiologie, heiratete und hatte
drei Töchter. 1986 wurde sie in Niagara, New
York, zum ersten Mal ins Repräsentanten-
haus gewählt, wo sie bis am Schluss ihres
Lebens politisierte. Dort, in Washington, ist
sie nun im Spital an den Folgen eines Sturzes
gestorben, mitten in ihrer 16. Amtszeit von
zwei Jahren. (tis.)
 18
SovielRaffinesse,sovielHi
Weil er im realen Leben versagte, baute sich
der pädophile Thomas N. ein Lügenkonstrukt.
Er verlor sich so sehr in den Manipulationen,
dass er ein abscheuliches Verbrechen beging.
Von Christine Brand
A
ufrecht steht er da. Ein
grauer Strickpullover über
dem Hemd, dunkle Jeans,
gepflegter Dreitagebart.
Ausnehmend gutausse-
hend. Die Hände vor sich
gefaltet, den Blick auf den
Boden gerichtet. Kurz schliesst er die Augen.
Mehr nicht. Keine Regung, kein Zucken in sei-
nem Gesicht, als Gerichtspräsident Daniel
Aeschbach das Urteil verliest: Schuldig des
mehrfachen Mordes. Schuldig der mehr-
fachen räuberischen Erpressung, der mehr-
fachen Geiselnahme, der sexuellen Hand-
lungen mit Kindern. Schuldig auch in allen
weiteren Anklagepunkten.
Das Bezirksgericht Lenzburg verurteilt
Thomas N. zu einer lebenslänglichen Frei-
heitsstrafe und ordnet eine Verwahrung an
sowie eine ambulante therapeutische Mass-
nahme, weil er am 21. Dezember 2015 in Rup-
perswil vier Menschen auf abscheuliche Wei-
se gequält, erpresst, missbraucht, ermordet
hat. Der 34-Jährige zeigt keine Reaktion. Als
würden die Worte des Richters an ihm abpral-
len, deren Inhalt ihn nicht berühren. Doch
was sich in seinem Innern abspielt, weiss nie-
mand. Er ist ausgesprochen gut darin, einen
falschen Schein zu wahren.
Staatsanwältin Barbara Loppacher über
Thomas N.: «Er war, ist und bleibt eine Black-
box. Niemand von uns, und ich behaupte,
auch seine beiden psychiatrischen Gutachter
nicht, kann sich vorstellen, wie es in ihm drin
aussieht. Er kann sich sozial und adäquat ver-
halten und dann auf Knopfdruck umstellen.
Das macht ihn so gefährlich.»
Er war nicht immer gefährlich. Lange Zeit
war Thomas N. erschreckend normal. Der un-
auffällige Junge von nebenan. Seine Biografie
liest sich so ganz anders als jene vieler anderer
Krimineller, anderer Mörder, deren Lebens-
läufe oft vollgepackt sind mit Brüchen und
kleineren oder grösseren Katastrophen.
Thomas N. ist fünf, als er mit den Eltern
und dem zwei Jahre älteren Bruder in das
neue Einfamilienhaus in Rupperswil zieht; ein
ehemaliges Bauerndorf zwischen Aarau und
Lenzburg, ein Ort, wo man sich gegenseitig zu
kennen glaubt, wo vieles Schweizer Durch-
schnitt ist. «Ich hatte ein liebevolles Eltern-
haus und eine behütete Jugend», sagt N. Kei-
ne frühkindlichen Entwicklungsstörungen,
keine Hinweise darauf, dass er aus einem pro-
blematischen Umfeld stammt, keine Gewalt-
erfahrung in der Familie, keine Aussenseiter-
rolle in der Schulzeit, keine Mobbingerfah-
rung, keine Schwierigkeiten: So fasst der
forensische Psychiater Elmar Habermeyer in
seinem Gutachten die Jugendzeit von Thomas
N. zusammen. «Er hat mir gesagt, bis dahin sei
er mit seinem Leben zufrieden gewesen.»
Thomas N. ist seinem älteren Bruder intel-
lektuell überlegen, er ist der Vernünftigere der
beiden, jener Sohn, in den die Eltern grosse
Hoffnungen setzen. Er hat die besten Start-
bedingungen ins Leben. Doch etwas stimmt
nicht mit ihm. Er realisiert früh, schon in der
Schulzeit, schon als Teenager, dass er anders
ist. Dass er so ist, wie man nicht sein darf.
Thomas N. in seiner ersten Einvernahme
bei der Polizei: «Ich weiss es schon lange. An
Mädchen hatte ich kein Interesse. Am Anfang
hatte man Interesse an gleichaltrigen Jungs,
mit der Zeit wurde man älter, aber die Interes-
sen blieben. Ich merkte dann: Scheisse, du
bist pädophil.»
Spricht Thomas N. über sich, braucht er oft
das Wort «man» statt «ich». Was nicht sein
kann und nicht sein darf, lässt er nicht zu. In
der Schule merkt niemand, dass er anders
tickt. Spätestens jetzt beginnt sein Versteck-
spiel vor der Wahrheit und vielleicht auch vor
sich selbst. Der Schein bleibt gewahrt, vorerst.
Er schliesst die Kantonsschule Aarau erfolg-
reich ab, schreibt eine Maturaarbeit über
Usama bin Ladins Motive für seine Terror-
Hintergrund Mordfall Rupperswil NZZ am Sonntag 18. März 2018
anschläge. Danach will Thomas N. Jus studie-
ren. Er bricht ab. Er startet einen weiteren Stu-
dienversuch: Geschichte. Es klappt nicht. Ins-
gesamt vier oder fünf Anläufe unternimmt er,
um zu studieren, Medizin soll es am Ende
sein, doch er scheitert. Immer wieder. Aus
dem ehrgeizigen, fast schon spiessigen Sohn,
der zu Hause so sehr gefallen will, wird ein
Versager. Nur erfährt das keiner.
Staatsanwältin Barbara Loppacher über
Thomas N.: «Nach der Tat war von Monstern
die Rede. Von der ‹Bestie von Rupperswil›.
Umso überraschter waren auch wir, als uns
nach der Verhaftung ein Mann gegenüber
sass, der in guten familiären Verhältnissen
aufgewachsen war, der auch in den Einver-
nahmen stets den Eindruck eines höflichen
und eigentlich netten jungen Mannes machte,
und der auch von den anderen so geschildert
wurde: ein netter Kumpel, netter Sohn, netter
Fussballkollege. Jemand, der an der Fussball-
WM alle Nachbarn orientiert, wenn er im Gar-
ten Freunde zum Match schauen einlädt.»
Lügen, manipulieren, betrügen
Thomas N. ist Mitte 20. Er kapselt sich zuneh-
mend ab und baut um sich herum ein Lügen-
konstrukt auf, das immer grösser wird. War-
um? «Scham», sagt er, davon ist oft die Rede,
von der Angst, das Gesicht zu verlieren. Er
fälscht Diplome und Urkunden, versieht sie
mit dem Logo der Universität Luzern und mit
falschen Unterschriften realer Professoren,
um seiner Mutter weiszumachen, er habe er-
folgreich abgeschlossen. Im Nachhinein kom-
men einem diese Urkundenfälschungen vor
wie ein makabres Training, wie eine bestan-
dene Generalprobe; später wird sich Thomas
N. mit einem gefälschten Schreiben und einer
ebenso raffinierten wie hinterhältigen Lügen-
geschichte Zugang ins Haus seiner Opfer ver-
schaffen. Durch jahrelanges Praktizieren wird
er ein Grossmeister im Lügen, Manipulieren,
Betrügen, Vertuschen. Thomas N. (Mitte) «Ich weiss nicht. Ich habe wohl eine zu en- Baghira spazieren geht, läuft er oft daran vor-
Psychiater Elmar Habermeyer über Thomas neben seiner amt- ge Beziehung zu ihr. Mit 30 noch bei der Mut- bei. Thomas N. provoziert «zufällige» Begeg-
N: «Der Narzisst neigt dazu, viele Dinge lichen Verteidigerin ter zu wohnen, ist wohl schon nicht normal.» nungen mit dem Jungen. Nie spricht er ihn an.
der Sorge vor dem Gesichtsverlust unterzu- Renate Senn im Es sind nicht nur die Lügen über seine an- Richter Aeschbach: «Wenn Sie Davin ge-
ordnen. Für Thomas N. war diese Angst, be- provisorischen gebliche akademische Karriere. Es ist auch sehen haben, hat das bei Ihnen ein Glücks-
schämt zu werden, sich eingestehen zu müs- Gerichtssaal in sein Trieb, den er versteckt hält, über den gefühl ausgelöst?»
sen, dass er zwölf Jahre verkorkst und seine Schafisheim. er mit niemandem spricht. Hilfe holen geht Thomas N.: «Das ist korrekt.»
Mutter angelogen hat, das Schlimmste.» nicht. Warum? «Scham.» Dass er ausgerechnet «Erleben Sie das Glücksgefühl heute noch?»
Der Vater stirbt. Ein Herzinfarkt, ganz un- Trainer der Fussballjunioren wird, so behaup- «Nein.»
erwartet. Thomas N. ist 28 und wohnt noch tet er, habe nichts mit seiner Pädophilie zu «Streben Sie noch nach diesem Glücks-
immer zu Hause. 20 Minuten lang versucht er, tun. Tatsächlich kommt es während seiner gefühl?»
seinen Vater zu reanimieren. Er scheitert. Arbeit bei der Seetal Selection, einem Ver- «Nein. Ich bin extrem enttäuscht, dass mir
Selbstvorwürfe. Die Beziehung zum Vater, bund des SC Seengen und des FC Sarmenstorf, die Therapeutin gesagt hat, dass man Pädo-
ETH-Ingenieur und ehemaliger Aargauer Kan- zu keinen sexuellen Übergriffen. Dafür taucht philie nicht heilen kann. Mein Ziel war immer,
tonsangestellter, soll nah gewesen sein, die er ab in eine Welt, wo es alles gibt: ins Inter- keine solche Gefühle mehr zu haben.»
Passion Fussball verband die beiden. Die Be- net, ins Darknet. Er lädt Bilder herunter,
ziehung zur Mutter wird jetzt noch enger, die Videos mit kinderpornografischem Inhalt. Ein extremer Perfektionist
Verantwortung, für sie da zu sein, noch grös- Massenhaft. Es wird zur Sucht. Als die Polizei Auch dieses Ziel wird er nie erreichen. Statt-
ser. Auch die finanzielle Situation ändert sich, seinen Computer beschlagnahmt, findet sie dessen spielt er in seinem Kopf ein Szenario
jetzt, wo der Vater fehlt; Thomas N. finanziert darin rund 1000 Videos und 10 000 Bilder. durch: Davin entführen, ihn missbrauchen,
sich sein Leben mit dem Geld der Mutter, das Thomas N. bei der ersten polizeilichen Ein- von dessen Mutter Geld erpressen. Irgend-
sie mit ihrer Arbeit im Spital verdient. Er ver- vernahme: «Es ging immer weiter, Texte, Bil- wann ändert er das Skript, entwirft das Dreh-
bringt all seine Ferien mit ihr. Laut Psychiater der, Videos, es gibt Millionen solcher Videos, buch für eine unbegreifliche Tat, die er immer
Habermeyer nimmt die Mutter Thomas N. als es tönt beschissen, aber irgendwann war es wieder in Gedanken durchspielt, wochenlang,
verlässlichen Helfer wahr. Er spricht von eine Sammelwut, man schaut nicht mehr alles monatelang. Zwischen Sommer und Novem-
einem «emotionalen Partnerersatz». an, man stellt es einfach in eine Mediathek. ber 2015 kauft er Kabelbinder, Fackelöl, Sex-
Richter Aeschbach zu Thomas N: «Wer sind Ich habe sicher zehnmal alles auf dem Com- spielzeug, ein Küchenmesser, silbernes Klebe-
Ihre Bezugspersonen?» puter gelöscht und dachte, jetzt kommt dann band. Er erstellt ein falsches Schreiben von
Thomas N.: «Das ist die Mutter.» die Polizei. Es kam aber niemand». der Schule Buchs, stellt sich eine Visitenkarte
«Sonst keine weiteren Personen?» Doch es kommt ein Gedanke: Geld beschaf- als Schulpsychologe Dr. Sebastian Meier aus.
«Nein.» fen. Thomas N. behauptet, die Idee eines So viel Raffinement, so viel Hinterhältigkeit
«Sie versuchen bis heute, Ihrer Mutter zu Raubüberfalls sei zuerst da gewesen. Weil das und Verschlagenheit. Er ist ein extremer Per-
gefallen. Ist dieses Verhalten in Ihrer Wahr- Leben auf Kosten der Mutter schwieriger fektionist. Alles ist genau durchdacht.
nehmung normal?» wurde. Und da ist auch eine andere Phantasie: Psychiater Josef Sachs über Thomas N.:
Er träumt davon, einen Jungen aufzunehmen, «Ich glaube, dass das sexuelle Motiv, das ge-
der ausgerissen ist, ihn zu adoptieren. mäss seiner Aussage erst später dazukam,
Thomas N. sagt, kurz Thomas N. bei der polizeilichen Einver- schon viel früher in seinem Kopf war. Vorder-
nach der Tat habe es nahme: «Irgendwann fing man an, sich vorzu-
stellen, wie es mit einem richtigen Kind ist.»
gründig war das Geld das Motiv, die Scham,
dass sein Lügenkonstrukt auffliegen könnte.
wieder «zu rattern» Und dann begegnet er Davin. Dem Buben Aber ich gehe davon aus, dass der Aspekt Geld
begonnen. Er sucht sich aus der Nachbarschaft, der ihm ausserordent- und Scham nicht so gross war, dass dies die
lich gut gefällt. Thomas N. wohnt nur 500 Tat erklärt hätte. Das war nur die Verpackung
neue Buben, die Davin Meter vom Haus von Davins Familie entfernt. für die Tat – die eigentlichen Motive waren:
auffällig ähnlich sehen. Wenn er mit seinen beiden Huskys Lumi und sexuelle Motivation und Macht ausüben.»
 19

interhältigkeit
Lebenslang weggesperrt

Ein
Viele Stimmen haben sie gefor- chen, wenn die Strafe allein
dert, die Mehrheit des Bezirks- nicht genügt, um weitere Taten
gerichts Lenzburg hat sich durch den Täter zu verhindern.

seltenes
dagegen entschieden:
Thomas N., der in Rupperswil
vier Menschen ermordet hat,
wird nicht lebenslang verwahrt.
Mit der lebenslangen Frei-
heitsstrafe wird Thomas N. also
für sein Verbrechen bestraft.
Lebenslang heisst in der Schweiz

Urteil
Weil die Mehrheit des Gerichts
zu Recht anerkennt, dass die
Voraussetzungen dafür nicht
erfüllt sind: Für eine lebenslange
Verwahrung müssten zwei unab-
hängige psychiatrische Gutach-
ter Thomas N. als für immer
untherapierbar einstufen. Das
tun sie aber nicht, im Gegenteil:
Beide Psychiater kommen zum
Schluss, dass Thomas N. thera-
pierbar ist, auch wenn dies lang-
wierig und schwierig sein mag.
Darum entschied sich das
Gericht für ein Verdikt, das äus-
serst selten ist: Es verurteilte
Thomas N. zu einer lebensläng-
lichen Freiheitsstrafe, zusätzlich
sprach es eine ordentliche Ver-
wahrung aus und ordnete eine
vollzugsbegleitende ambulante
Therapie an.
Bildlich gesprochen, sperrt es
Thomas N. lebenslang in eine
Hochsicherheitszelle, die sich
innerhalb einer Verwahrungs-
zelle befindet, und für den Fall,
dass jemand die beiden Zellen-
türen wider Erwarten doch
irgendwann wieder aufschlies-
sen sollte, verschreibt es ihm
auch noch eine Therapie, um
seine Gefährlichkeit zu mindern.
Bei der Betrachtung des
Urteils gilt es zu unterscheiden
zwischen der Strafe für die
begangenen Taten – das Gericht
hat Thomas N. in allen Anklage-
ILLUSTRATION: MELK THALMANN
grundsätzlich ein Leben lang, bis
zum Tod. Ein Täter kann frühes-
tens nach 15 Jahren eine vorzei-
tige Entlassung beantragen.
Zusätzlich zu dieser Strafe hat
das Gericht gleich zwei Siche-
rungsmassnahmen angeordnet:
Die ordentliche Verwahrung,
weil es glaubt, dass eine Thera-
pie bei Thomas N. in absehbarer
Zeit keine oder wenig Wirkung
zeigt. Gleichzeitig hat das
Gericht ihm aber auch eine
ambulante Therapie verschrie-
ben, was widersprüchlich ist.
Auch eine Verwahrung in
Kombination mit einer lebens-
länglichen Freiheitsstrafe ist
eher unüblich. Denn ein Täter
wird nur dann aus der lebens-
länglichen Freiheitsstrafe ent-
lassen, wenn von ihm keine
Gefahr mehr ausgeht – in diesem
Fall erfüllt er aber auch die
Bedingungen für eine Verwah-
rung nicht länger.
Die Staatsanwältin hatte eine
lebenslange Verwahrung gefor-
dert. Die Verteidigerin sprach
sich auch gegen eine ordentliche
Verwahrung aus. Beide prüfen,
ob sie das Urteil anfechten
wollen. Christine Brand

punkten schuldig gesprochen

– und den Massnahmen, die
nichts mit Sühne zu tun haben,
Der ganze Fall
sondern der Sicherung der Die gesamte Berichterstattung
Gesellschaft vor dem Täter zum Vierfach-Mord in Rupperswil
dienen. Eine Massnahme wird nzz.as/rupperswil
gemäss Gesetz dann ausgespro-

Am Morgen des 21. Dezembers 2015 läutet
Thomas N. an der Tür der Familie Schauer. Er
lügt Carla Schauer vor, an Davins Schule sei es
zu einem Suizid gekommen, es gebe Mobbing-
vorwürfe, er müsse mit dem Jungen reden. Sie
bietet ihm Kaffee an. Lässt ihn später mit
Davin allein. Er setzt ihm ein Messer an die
Kehle. Zwingt die Mutter, auch ihren 19-jähri-
gen Sohn Dion zu wecken und zu fesseln, wie
auch dessen 21-jährige Freundin Simona.
Thomas N. nötigt Carla Schauer, Geld abheben
zu gehen, schwindelt ihr vor, es gebe einen
Komplizen, der sie beobachten werde. Als sie
zurückkommt, lässt er seine Geiseln nicht wie
versprochen frei. Er vergeht sich am 13-jähri-
gen Davin sexuell. Dann bringt er sie alle um,
bedeckt sie mit Kleidern, zündet sie an.
Er verlässt das Haus, nimmt zu Hause eine
Dusche. Geht gemeinsam mit der Mutter mit
den Hunden spazieren. Am Abend trifft er sich
mit zwei Fussballerkollegen im Casino Zürich.
Hundert Franken des erbeuteten Geldes
braucht er fürs Essen, hundert verspielt er bei
Blackjack. Später wird er sich eine teure Sport-
jacke kaufen, Skifahren gehen und seiner
Mutter eine gemeinsame Reise nach Paris
schenken. Einer seiner Kollegen geht an die-
sem Abend früher nach Hause; weil er erfährt,
dass seine Kollegin Simona tot ist. Er muss
weinen. Thomas N. bleibt und spielt weiter.
Richter Aeschbach: «Wie haben Sie sich
gefühlt, als Sie getötet haben?»
Thomas N: «Bei der Tötung selber war ich
wie nicht anwesend. Es waren keine Gefühle
da, die man so definieren kann. Es ist, als
wenn ich mir selbst gegenüber gestanden
hätte. Wie ein Schock.»
«Steigerten Sie sich in einen Blutrausch?»
«Nein.»
«Wie fühlten Sie sich, als Sie gingen?»
«Leer.»
Die beiden forensischen Psychiater Elmar
Habermeyer und Josef Sachs, die Thomas N.
begutachten, ihn mehrmals besuchen, über
zehn Stunden mit ihm reden, stellen ähnliche
Das Verdikt Diagnosen: Kernpädophilie, Persönlichkeits-
störung – für Habermeyer ist es eine narzissti-
Lebenslänglich sche, für Sachs eine zwanghafte. Thomas N.
Die lebensläng- wirke rational, technisch, emotionsarm, fast
liche Freiheits- autistisch. Er pflege Routinen, achte auf eine
strafe dauert ein bestimmte Ordnung. Er könne nicht von sei-
Leben lang, also nem Lebensplan abweichen, habe das zwang-
bis zum Tod. Nach hafte Bedürfnis, Erwartungen zu erfüllen. Ein
15 Jahren kann typischer Fall eines erfolglosen Narzissten.
erstmals eine vor- Eine ausgesprochene Fähigkeit, in einer Phan-
zeitige Entlassung tasiewelt zu leben und Szenarien zu ent-
geprüft werden, wickeln. Menschen zu täuschen. Legenden zu
falls vom Täter bilden und aufrechtzuerhalten. Verdacht auf
keine Gefahr mehr eine sexuell-sadistische Störung.
ausgeht.
Es beginnt wieder zu rattern
Verwahrung Thomas N. sagt, kurz nach der Tat habe es
Eine ordentliche wieder «zu rattern» begonnen. Er sucht sich
Verwahrung wird neue Buben, die Davin auffällig ähnlich se-
auf unbestimmte hen. Er trägt ihre Namen in sein schwarzes
Zeit ausgespro- Notizbuch ein, klebt ihre Bilder dazu, peinlich
chen. Es wird aber darauf bedacht, dass der Zeilenabstand immer
regelmässig ge- gleich ist. Zwei Familien, eine im Kanton Bern,
prüft, ob sie in eine im Kanton Solothurn, beginnt er auszu-
eine Therapie um- spionieren. Beobachtet sie. Ruft sie an, hängt
gewandelt oder auf. Er übermalt die Flecken von Davins Blut
aufgehoben wer- auf seinem Rucksack mit schwarzem Filzstift
den kann, falls der und packt ihn neu. Kauft dieses Mal auch Seile
Täter nicht mehr
als gefährlich ein-
zum Fesseln, Brandbriketts, weil die einfacher
anzuzünden sind. Wieder fälscht er Papiere
gestuft wird. der entsprechenden Schule. Wieder erstellt er
eine falsche Visitenkarte. Und macht sich auf
zur Familie im Kanton Solothurn. Noch
schlägt er nicht zu, er kehrt nach Hause zu-
rück. Am Tag darauf, am 12. Mai 2016, wird
er im «Starbucks» in Aarau verhaftet.
Staatsanwältin Barbara Loppacher: «Meine
Damen und Herren, der Täter war auf dem
klassischen Weg zu einer Serientäterschaft.
Thomas N. manipulierte und manipulierte
und manipulierte. Er ist geradezu ein Meister
der Manipulation, gegenüber Therapeuten,
gegenüber den Leuten im Gefängnis, aber
auch gegenüber dem Gericht, in anderen Wor-
ten, gegenüber uns allen.»
Nur ganz selten blitzt es auf, das andere Ge-
sicht, von dem die Staatsanwältin spricht. Als
flüchtiger Schatten nur. Wenn Thomas N. da-
mit konfrontiert wird, dass die Art, wie er sei-
nen Opfern die Kehle aufgeschnitten haben
will, nicht ganz mit der Fundsituation am Tat-
ort übereinstimmt: Sie weisen zusätzliche
Stichwunden auf. Wenn ihm entgegengehal-
ten wird, dass man ihm nicht glaubt, wenn er
nun plötzlich behaupte, dass er nicht wieder
habe töten wollen. Trotz blitzt dann auf in sei-
nen Augen. Doch sofort hat er sich wieder im
Griff, antwortet sachlich, emotionslos, kühl.
Die beiden Psychiater sind sich einig, dass
bei Thomas N. ein ausgesprochen hohes Rück-
fallrisiko besteht. Und dass ein Fall wie seiner
selbst für Experten wie sie, die je über 1000
Täter begutachtet haben, eine Seltenheit ist.
«Dass so jemand ein solches Delikt begeht,
hat auch mich überrascht, das ist schon sehr
aussergewöhnlich», sagt Elmar Habermeyer.
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Josef Sachs erklärt: «Es ist ein einmaliger Fall.
Ich persönlich hatte noch nie einen Fall,
in dem eine Person eine Tat von diesem
Schweregrad beging, die bis dahin strafrecht-
lich nicht in Erscheinung getreten ist. Darum
ist es auch schwierig, Prognosen zu machen,
weil man diesen Fall nicht mit anderen Fällen
vergleichen kann.»
Richter Aeschbach: «Warum, Herr N., hat es
zu diesen Tötungen kommen müssen?»
Thomas N.: «Das ist eine schwierige Frage.
Die Tat vertuschen. Aus Angst vor Schande.
Das waren die Hintergedanken am Anfang.»
«Sie hatten sich erhofft, zirka 30 000 Fran-
ken zu erbeuten – und dafür mussten vier
Menschen sterben. Gibt es da Worte dafür?»
«Krank.»
«Krank mit welcher Diagnose?»
«Für mich persönlich habe ich keine Dia-
gnose. Es ist unmenschlich. Ein normaler
Mensch macht so etwas nicht.»
«Welche Strafe würden Sie sich geben?»
«Ich weiss es wirklich nicht.»
 20 Hintergrund Wirtschaft
Ich,der
Steuerzahler Wie viel Steuern zahlt ein Normalverdiener in seinem ganzen Leben?
Und was kann der Staat mit dem Geld finanzieren, das ein einzelner
Bürger über all die Jahre abliefert? Reicht das für ein neues Polizeiauto?
Von Daniel Meier (Text) und Elisa Forster (Infografik)
S
tellen wir uns ein siebenjähriges
Kind vor, das einen Einfränkler
in der Hand hält. Vielleicht hat es
zum ersten Mal Sackgeld bekom-
men. Lange steht das Kind vor
dem Kiosk und kauft sich dann
zwei Schleckstengel. Das ist die
Geburtsstunde eines neuen Steuerzahlers.
Von dem Franken gehen 2,5 Rappen als Mehr-
ANZEIGE wertsteuer an den Bund. Wann immer dieser
Mensch künftig Geld ausgibt oder verdient,
fliesst ein Teil davon an den Staat.
In diesen Tagen müssen sich die Schweizer
wieder mit der Steuererklärung auseinander-
setzen. Endlich hat man sich hingesetzt und
alle Unterlagen beisammen, da geht plötzlich
FAST ZU HÜBSCH diese Frage durch den Kopf: Wie viel Steuern
habe ich wohl in meinem Leben schon be-
zahlt? Und was ist mit allen anderen Abgaben,
ZUM VERSTECKEN die über die Jahre anfallen? Lässt sich das zu-
sammenzählen? Ein Gedankenspiel beginnt.
Soweit vorhanden, orientieren wir uns bei
allen Berechnungen an statistischen Durch-
schnittswerten oder auch an Empfehlungen.
spruengli.ch/shop Auf das Sackgeld während der Schulzeit folgt
der Lehrlingslohn oder ein Ferienjob neben
dem Gymnasium. In vielen Kantonen bleiben
kleine Einkommen noch steuerfrei. Doch die
Konsumsteuern steigen weiter: Der Jugend-
liche kauft sich Kleider, ein Velo, er geht zum
Coiffeur oder mit Freunden zu McDonald’s.
Bei einem Monatsbudget von 400 Franken
kommen grob geschätzt etwa 300 Franken
pro Jahr an Mehrwertsteuern zusammen. Die
meisten Bürger erreichen noch vor der Voll-
jährigkeit die Grenze von 1000 Franken auf
ihrem Lebenskonto der Steuern. Allerdings
gibt der Staat bis dahin für jeden Jugendlichen
weit mehr aus. Allein der Anteil an den Leh-
rerlöhnen für die neun Jahre Volksschule
dürfte über 80 000 Franken kosten.
Ein Durchschnittstyp aus Aarau
Spätestens mit der ersten Stelle gilt es ernst.
Unser Steuerzahler ist ein durchschnittlicher
Typ. Er wohnt in Aarau, wo die Steuerbelas-
tung weder besonders hoch noch besonders
tief ist. Bei seiner ersten Arbeitsstelle verdient
er pro Monat knapp 5200 Franken. Das ent-
spricht dem Schweizer Medianlohn. Das
heisst, die eine Hälfte aller Bürger bekommt
mehr, die andere weniger. Der Medianlohn
liegt tiefer als der Durchschnittslohn.
Die wichtigste Spielregel, um die Rechnung
einfach zu halten: Wir ziehen keine histori-
schen Daten heran, um die Verhältnisse der
Vergangenheit nachzustellen, sondern ver-
wenden ausschliesslich aktuelle Steuersätze.
Einstige Modelle wie etwa die Warenumsatz-
steuer bleiben ebenso unberücksichtigt wie
der Einfluss der Teuerung auf die Preise. Wir
stellen uns also vor, das heutige Niveau gelte
über das ganze Leben. Damit es nicht zu kom-
pliziert wird, heiratet unser Steuerzahler nicht
und hat keine Kinder. Wie die meisten ist er
Mieter. Somit versteuert er keinen Eigenmiet-
wert und macht keine Abzüge für Hypozinsen.
Als Autofahrer wird er mehrfach zur Kasse
gebeten. Schon für den ersten Gebraucht-
wagen für 7000 Franken werden 539 Franken
an Mehrwertsteuer fällig. Später folgt alle
zehn Jahre ein Neuwagen, der zusätzlich mit
NZZ am Sonntag 18. März 2018
einer Automobilsteuer von 4 Prozent belastet
ist. Hinzu kommen Vignette, Motorfahrzeug-
steuer sowie Mineralölabgaben auf dem Ben-
zin. Die Fahrleistung von 10 000 Kilometern
pro Jahr und der Verbrauch von 9 Litern pro
100 Kilometer entsprechen Durchschnitts-
werten. Nach der Pensionierung fährt unser
Steuerzahler deutlich weniger, mit 80 Jahren
gibt er das Auto und den Fahrausweis ab. Zu
diesem Zeitpunkt wird er 68 000 Franken an
Steuern nur fürs Autofahren bezahlt haben.
Der Lohn macht keine Sprünge, aber über
die 45 Jahre Berufstätigkeit steigt er stetig von
62 000 auf 89 000 Franken pro Jahr brutto.
Auch hier halten wir uns an den Medianlohn
nach Altersklasse. Bis zur Pensionierung hat
sich das Einkommen des Steuerzahlers auf gut
3,7 Millionen Franken summiert – eine Zahl,
die vielen Normalverdienern erstaunlich hoch
vorkommen dürfte. Auf diesen 3,7 Millionen
zahlt die Person während des Erwerbslebens
406 000 Franken an Einkommenssteuern,
was einer Steuerlast von knapp 11 Prozent ent-
spricht. Anders wäre das Bild, wenn unser
Bürger Karriere machen würde. Bei einem
Bruttojahreslohn von 150 000 Franken steigt
die Steuerbelastung auf über 18 Prozent. Ein
Grossverdiener mit einer halben Millionen pro
Jahr zahlt rund 30 Prozent. Aufgrund dieser
Progression leisten Personen mit hohem Salär
einen grösseren Beitrag an die Allgemeinheit.
Es erfolgt eine Umverteilung.
Auch Lohnabzüge bewerten wir als Steu-
ern, weil man sie in staatliche Fonds einzahlt,
mit denen wiederum staatliche Leistungen er-
bracht werden. Berücksichtig werden nur die
Arbeitnehmerbeiträge, obwohl man sich auf
den Standpunkt stellen könnte, dass mancher
Arbeitgeber einfach tiefere Löhne zahlt und
auf diesem Weg seinen Anteil an den Beiträ-
gen finanziert. Dieses Problem stellt sich oft
bei Steuerfragen, lösen lässt es sich kaum.
Nicht als Steuer gezählt werden Pensions-
kassenbeiträge. Es handelt sich um Zwangs-
sparen, aber das Geld landet auf einem per-
sönlichen Konto. Krankenkassenprämien, die
man in anderen Ländern über die Steuer be-
zahlt, rechnen wir ebenfalls nicht mit.
In der Schweiz beträgt eine Erbschaft im
Schnitt rund 1 Million Franken, allerdings er-
folgt die Verteilung ungleichmässig. Mit 52
Jahren erbt unser Steuerzahler eine halbe Mil-
lion. Die Vermögenssteuer wächst spürbar auf
rund 1000 Franken pro Jahr. Sonst steigen sei-
ne Ersparnisse nur schleppend.
Die Mehrwertsteuer bleibt ein stetiger Be-
gleiter. Anhand der Statistik über die üblichen
Haushaltsausgaben berechnen wir Abgaben
auf Lebensmittel, Kleider, Handyabo, Bahn-
billette und so weiter. In normalen Jahren be-
laufen sich die Mehrwertsteuern auf 2000
Franken. Stehen Anschaffungen wie ein Auto
Als junger Mann rauchte
er ein Päckchen pro Tag.
Hätte er sein Leben lang
geraucht, wäre allein die
Tabaksteuer auf 125 000
Franken gestiegen.
 21

Das Leben eines Steuerzahlers

Alter
5 Wie die Steuerrechnung wächst
7-jährig: Beim ersten Einkauf aus dem Sackgeld
Für jedes Lebensjahr werden die
wird erstmals die Mehrwertsteuer fällig jeweiligen Steuern dargestellt.
10
Der Balken wächst jeweils um
die Belastung des entsprechenden
Jahres. Somit stellt der unterste
Balken die Summe aller Steuern dar:
15
1,14 Mio. Fr. Dieser Betrag bezieht
sich auf einen Normalverdiener, der
19-jährig: Mit dem Eintritt ins Erwerbsleben in seinem Leben 3,7 Mio. verdient.
20 steigt die Steuerlast

Einkommenssteuer
25 Lohnabzüge
Mehrwertsteuer
29-jährig: Der Lohn steigt, aber
30 die Einkommenssteuer auch Diverse Autosteuern
Diverse Steuern
Billag, Tabak-, Spirituosen-,
Hundesteuer, Feuerwehr-
35 ersatzabgabe

Kirchensteuer
40 Vermögenssteuer

45

50
52-jährig: Nach einer Erbschaft erhöht
sich die Vermögenssteuer
55

60

65-jährig: Nach oder Möbel an, ist es weit mehr. Das Lebens-
65 der Pensionierung total der Mehrwertsteuer: 140 000 Franken.
Das Finanzamt
muss die Rente
Und dann wären da noch etliche kleine Ab- sagt danke
als Einkommen
versteuert werden gaben. Eine Zeitlang hat unser Steuerzahler
70 einen Labrador – macht jährlich 120 Franken Unsere Rechnung
Hundesteuer. Als junger Mann raucht er ein zeigt, wie viel ein
Päckchen pro Tag, jedes davon wird mit über Steuerzahler in
75 5 Franken besteuert. Nach einigen Jahren hört seinem Leben leistet.
er auf. Hätte er bis ans Lebensende geraucht, Selten wird einem
wäre allein die Tabaksteuer auf 125 000 Fran- dafür gedankt. Nicht
80 ken gestiegen. Da er es nicht so mit der Feuer- so im Kanton Aargau.
wehr hat, drückt er sich vor der Dienstpflicht. In diesem Jahr hat
Das darf man, aber man muss eine Ersatz- der Finanzvorsteher
abgabe entrichten: total 2800 Franken. Und Markus Dieth zum
0 Fr. 100 000 200 000 300 000 400 000 500 000 600 000 700 000 800 000 900 000 1 000 000 1 100 000
obwohl er selten in die Kirche geht, kommt ersten Mal einen Brief
ein Austritt für ihn nie infrage. Insgesamt verschickt. Darin hält
zahlt er 39 000 Franken an die katholische er fest, das Ausfüllen
der Steuererklärung

1 144 000 Fr.

Kirchgemeinde. Nicht zu vergessen die Billag:
Lebenslang unterstützt er den öffentlich- und das Bezahlen von
Steuern sei Pflicht:
Steuern total: rechtlichen Rundfunk mit 29 000 Franken.
Auch solche Summen läppern sich zusam- «Gleichwohl ist es mir
men. In der Bilanz nicht mitgezählt sind die ein Anliegen, Ihnen
Gebühren für all die Dienstleistungen, die der im Namen des
Staat offensichtlich nicht als Grundangebot Regierungsrats dafür
Wohin das Geld fliesst. Diese Gesamtsumme verteilt sich auf Bund, betrachtet und extra verrechnet: zum Beispiel zu danken, dass Sie
Kanton, Gemeinde, Sozialwerke, Kirche und so weiter. eine Heirat oder einen neuen Pass. diese Pflicht erfüllen.»

Sozialwerke Gemeinde Was der Staat mit dem Geld macht

241 000 Fr.
318 000 Fr.
Rechnet man sämtliche Abgaben über die 84
Jahre zusammen, ergibt sich eine Gesamt-
aus Einkommens- und
summe von 1,14 Millionen Franken – quasi die
aus Lohnabzügen für AHV und Nichtbetriebsunfall Vermögenssteuer
Lebensleistung unseres Steuerzahlers. Macht
sowie Anteilen von Mehrwert-, Spirituosen- ihn das wütend oder sogar stolz? Ist das viel
und Tabaksteuer oder wenig? Die Zahl erscheint zunächst hoch,
insbesondere aus Sicht eines Normalbürgers,
der dieses Geld erarbeiten muss. Ihr gegen-
über stehen jedoch alle staatlich finanzierten
Leistungen, von Infrastruktur über Bildung
bis zu Sicherheit und Gesundheit. Setzt man
die 1,14 Millionen ins Verhältnis zu den 3,7
Millionen Einkommen, ergibt sich ein Wert
von 30,8 Prozent. Dieser liegt leicht unter der
Schweizer Staatsquote von 33 Prozent.
Das reicht für drei Einsatzfahrzeuge Bleibt die Frage, was der Staat mit dem Bei-
Damit lässt sich eine durch- der Stadtpolizei, Marke BMW. trag eines einzelnen Bürgers anfangen könnte,
schnittliche AHV-Rente während wenn das Geld nicht über viele Jahre, sondern
gut 13 Jahren finanzieren. auf einen Schlag eingehen würde. Dazu teilen
Bund wir die 1,14 Millionen auf die Ebenen Bund,
194 000 Fr. Kanton, Gemeinde und so weiter auf. In unse-
rem Beispiel würden 241 000 Franken an die
Kanton aus Mehrwert- und
Wohngemeinde Aarau fliessen. Damit könnte
Einkommenssteuer

295 000 Fr.

die Stadt drei Polizeiautos anschaffen. Oder
und Mineralölabgabe
die Bibliothek drei Monate lang betreiben. Oder
aus Einkommens-, Vermögens-, Motorfahrzeug-, einen Grossteil der Kosten für das traditionelle
Hundesteuer und Feuerwehrersatzabgabe Jugendfest «Maienzug» bezahlen. Der Kanton
Aargau wiederum, der von unserem Steuer-
zahler 295000 Franken erhält, könnte damit
ein Jahr lang die Lohnkosten für den Volks-
Zum Beispiel für Kampfkleidung, schulunterricht von 28 Schülern decken. Oder
Schutzwesten und Tragesysteme ein Stück Bach revitalisieren. Oder den Belag
von 65 Soldaten der Armee. von 300 Metern Kantonsstrasse sanieren.
Soweit bekannt, wurde eine solche lebens-
lange Steuerbilanz noch nie gemacht. Wirt-
Kirche Billag schaftsprofessor Kurt Schmidheiny von der
39 000 Fr. 29 000 Fr. Universität Basel, der sich die Resultate ange-
So viel kosten zwei schaut hat, sagt: «Es ist faszinierend, zu se-
Folgen von «Glanz & Gloria».
hen, wie viel Steuern wir in einem Leben zah-
Das reicht
Mit dieser Summe kann ein Bach zum Beispiel Strassenbau len und auf welches stolze Total sich diese
auf einer Länge von 1 km für eine Kirch- 28 000 Fr.* summieren. Zum Glück können wir über die
glocke. Damit kann man 36 cm Verwendung dieser Steuereinnahmen mitent-
revitalisiert werden. Autobahn bauen.
scheiden – und auch darüber, auf welche
Quelle: Eidgenössische Steuerverwaltung, Bundesamt für Statistik * aus Automobilsteuer, Vignette, Mineralölabgaben Automarke die Gemeindepolizei setzen soll.»
22
Bildung
So lernen wir.
Nächster Infoabend
5./6. Primar-, Sekundar-
stufe und 10. Schuljahr:
Di 27. März, 18 Uhr
Waldmannstrassse 9
8001 Zürich
www.ffesz.ch
043 268 84 844
INFOANLASS
FÜR LERNENDE
& IHRE ELTERN
Dienstag
Chunnsch
au is
20. März
Gymi?
19.30 Uhr
Private Maturitätsschule Gymnasium Immensee
Tagesschule und Internat CH-6405 Immensee Wir bitten um Anmeldung:
Erfolgreiche Lernformen Bethlehemweg 12 info@gymnasium-immensee.ch
Individuelle Begleitung Tel +41 (0)41 854 81 81 Individuelle Termine:
Zweisprachiger Unterricht info@gymnasium-immensee.ch Tel +41 (0)41 854 81 81
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in Spendenaufruf:
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Hilfe für Flüchtlinge aus Syrien
Solidar Suisse hilft syrischen Flüchtlingen
mit Nahrungsmittelpaketen und
Hygieneartikeln.
Ihre Spende zählt:
Postkonto: 80-188-1
Online-Spende:
www.solidar.ch/syrien
NZZ PODIUM
Der Staat, den keiner wollte – 100 Jahre Österreich
Glücklich hiess einst Österreich, weil es heiratete statt Kriege zu Datum
führen, um ein Imperium aufzubauen. Karl V. gebot über ein Donnerstag, 22. März 2018
Reich, in dem die Sonne nie unterging. 1918, nach der epochalen 18.30 Uhr bis 20.30 Uhr
Niederlage im Ersten Weltkrieg, fand die k. u. k. Vielvölkerherr- (Türöffnung um 18.10 Uhr)
lichkeit ein jähes Ende. Wo die Untertanenvölker euphorisch
Nationalstaaten gründeten, blieb Österreich als der ungeliebte Ort
Rest mit der viel zu grossen Hauptstadt Wien übrig. Freudlos NZZ-Foyer, Falkenstrasse 11, 8008 Zürich
entwickelte sich die Erste Republik. Aus der Polarisierung der
politischen Extreme ging der faschistische Ständestaat hervor, der Tickets
1938 mit dem «Anschluss» an Hitlerdeutschland sein Ende fand. Normalpreis Fr. 50.–
Das Desaster des Zweiten Weltkriegs lastete schwer auf dem Land, Abonnentenpreis Fr. 40.–
das seit 1955 eine souveräne Republik und seit 1995 Mitglied der
EU ist. Bis heute bildet Österreich eine eigene Entität, mit sich und Anmeldung
seiner Geschichte aber ist es immer noch nicht wirklich im Reinen. podium.nzz.ch
044 258 13 83
Einleitungsreferat
Armin Thurnher, Journalist und Publizist
Diskussionsteilnehmer
Prof. Dr. Manfried Rauchensteiner, Historiker
Meret Baumann, NZZ Österreich-Korrespondentin
Moderation
Dr. Martin Meyer, Leiter NZZ-Podium
Partner
NZZ am Sonntag 18. März 2018
Leserbriefe 23

«Vorleben anstatt
vortragen»
«Wir sollten Querdenken zum Schulfach
«Der richtige Artikel zur richtigen Zeit»
machen»
NZZ am Sonntag vom 11. März

ILLUSTRATION: ALAN MARSHALL

Dennis Lück stellt fest, dass unsere Kaser-
nen-Schulorganisation aus dem vorletzten
Jahrhundert reformbedürftig ist. Seiner For-
derung nach mehr Kreativität in der Schule
ist zuzustimmen. Doch möchte ich seiner
Analyse einen Punkt hinzufügen. Wenn in
der selben Zeitung zu lesen ist, dass durch-
schnittlich täglich zwei Stunden und sech-
zehn Minuten in den sozialen Netzwerken
zugebracht werden, wird uns eine einfluss-
reiche Normierungsinstanz vorenthalten.
Ein solches Verhalten verspielt ein mögliches
Fundament, auf dem die Schulen später auf-
bauen sollten. Wo können Grundlagen zu
Fehlerkultur, Teamfähigkeit und Lösungs-
orientiertheit nachhaltiger gelernt werden
als auf dem Spielplatz? Daraus leitet sich eine
zweite Forderung ab, denn Kinder lernen
eher, was man ihnen vorlebt, als was man
ihnen vorträgt.
Raphael Wallimann, Schötz (LU) Almaty, die grösste
Metropole Kasach-
Mit Freuden teile ich Ihnen mit, dass das stans, könnte im
Schulfach «Handarbeit/Werken» oder neu Jahr 2121 ein grünes
TTG (Textiles und technisches Gestalten) die Paradies sein. Das
von Dennis Lück gewünschten Querdenker ist die Vision des
bereits fördert. Seine Wünsche sind also Wissenschafters
keine Wunschträume, sondern wir arbeiten Alan Marshall.
bereits jetzt Tag für Tag daran, mit geeigne-
ten Inhalten und Vermittlungsformen die
Heranwachsenden nicht mit vorgefertigten «Alle Macht den Städten» weniger Sinn ergäbe so ein Unterfangen in aber weitgehend urban. Um «saubere» Erklä-
Schulinhalten vollzustopfen wie eine Weih-
So schreiben NZZ am Sonntag vom 11.März Genf, so klein, wie der Kanton ist. Und auch rungen für die im Bericht aufgezeigten Ten-
nachtsgans, sondern sie mit geeigneten Pro- Sie uns Das ist der richtige Artikel zur richtigen in Zürich mit gerade mal 400 000 Einwoh- denzen geben zu können, sollten deshalb
jekten einzeln wie auch in Gruppen auf krea- Zeit: Das bürgerliche Augenreiben über die nern würde das eher wenig Sinn machen. Als passgenaue Abgrenzungen der als städtisch
tive Lösungsfindungen vorzubereiten. Gerne Leserbriefe müssen rot-grünen Städte hat damit eine überzeu- Ballungsgebiet eventuell schon eher. Denn bezeichneten Räume vorgenommen werden.
lade ich Herrn Lück dazu ein, sich einmal bei bis Donnerstag- gende Antwort bekommen: Man kann mit zwischen Wollishofen (Stadtgrenze) und Rainer Duss
einem Schulbesuch ein eigenes Bild von mittag eintreffen alten Stereotypen nicht auf neue Entwick- Kilchberg/Rüschlikon (Land) ist der Über-
diesem Unterrichtsfach zu machen. Leider und mit der voll- lungen reagieren. gang heutzutage dermassen fliessend, dass Das Ende des Nationalstaats wurde immer
wird mit dem Lehrplan 21 gerade beim TTG ständigen Post- Die Ironie der Geschichte besteht ja darin, man überhaupt keinen Unterschied merkt. wieder herbeigewünscht und herbei-
auf der Mittelstufe die Stundenzahl von drei adresse des Absen- dass der (zwinglianische) Liberalismus die Dito zu Zollikon oder Leimbach/Adliswil. Ich geschrieben. Er wird als bisher einzige
auf zwei Lektionen reduziert. ders versehen sein. Tore für ein hemmungsloses Wachstum öff- bin zum Beispiel von Kilchberg aus schneller Staatsform, die Demokratie und Menschen-
Barbara Steiner, Winterthur (ZH) Sie sollten sich auf nete – dies aber konnte nur mit einer über- bei der Oper als jemand aus Seebach. rechte für alle auf seinem Zuständigkeits-
die letzte Ausgabe proportionalen Einwanderung unterhalten Auch finde ich die Pauschalaussage, dass gebiet garantieren konnte, auch diesen
Manchmal beschleicht mich der Eindruck, beziehen. Publiziert werden. Längs meiner Lebensachse hat sich global alle Städte per se linksliberal seien Gedanken überleben.
die Ideen, mit denen Schule immer wieder werden auch damit die Einwohnerzahl verdoppelt (von 4,2 und dies auch bis in alle Zukunft, ein wenig Natürlich ziehen gewisse Arten von
aufs Neue beglückt werden soll, sind seit Reaktionen, die auf auf 8,5 Millionen). Weil dabei die Staatsfläche gewagt. Und in der Stadt Zürich stimmt das Lebensräumen auch Menschen mit einer
Generationen dieselben geblieben. Es nzz.ch/nzzas , auf magere 42000 km2 begrenzt blieb, muss- auch nur in der Summe. Zoomt man in die bestimmten Einstellung an. Städte ziehen
kommt mir vor, als ginge es um die Reform Facebook und ten zwangsläufig die Städte so wachsen, dass Bezirke, dann gibt es ja Kreise, die eher bür- zurzeit eher Menschen an, die sich im Kol-
der Schule, in die ich selbst, Jahrgang 59, Twitter erschie- sie nicht mehr zu unserer bäurischen Landes- gerlich sind und andere wiederum eher links lektiv wohlfühlen, überdurchschnittlich auf
noch gegangen bin. Ist denn wirklich nix nen sind. Bearbei- kultur passten. Der anhaltende Erfolg des aussen. Ich denke, Stadtkantone ergeben – die Leistungen anderer angewiesen sind und
passiert seither? Das Ideal, die Erziehung tungen sind vorbe- Linksliberalismus erwischt dabei die Schweiz innerhalb heute definierter Stadtgrenzen – für die Gleichheit wichtiger ist als Freiheit.
zum Selberdenken, ist nicht neu. Ebenso halten. auf dem falschen Fuss: Sie ist sowohl rat- wie nicht wirklich Sinn in der Schweiz. Entsprechend wählen sie links.
wenig das zu erzielende Endprodukt: der auch hilflos, denn auf eine derartige städti- Zet Winter Was zu tun wäre, wäre, den Städten den
kreative, sich selbst und die Welt stets und sche Entwicklung war sie nicht vorbereitet. Zugang zum erarbeiteten Einkommen und
stetig neu erfindende, uns allen den Weg aus Nun entgleiten der Schweiz die Städte, und Den Ausführungen wohnt ein beachtlicher ersparten Vermögen jener zu erschweren, die
dem Dschungel der Unübersichtlichkeit und dabei zeigt sich, dass die zu spät gekommene Reiz inne, und man kann ihnen zu grossen eher auf individuelle Leistung und Verant-
Unsicherheit bahnende Mensch. Mit anderen «Nation» Schweiz nur mühsam zusammen- Teilen zustimmen. Ein Problem sollte aller- wortung setzen und ihre Freiheit ausserhalb
Worten: Dringend gesucht ist eine Genera- gehalten werden kann. dings bedacht werden: Es sind nicht die der Städte suchen. Ein neuer Finanzaus-
tion junger Retter, Erlöser und Heilsbringer, Als Aargauer des ehemals bernischen Städte in ihren herkömmlichen Verwaltungs- gleich mit radikal geringeren Transferleis-
die den Ausweg finden soll aus dem Schla- Untertanengebietes kann ich Ihnen anver- grenzen, sondern die in Deutschland schon tungen könnte Abhilfe beim derzeitigen
massel, den ihr die Generation ihrer Eltern trauen: In Brugg hat man dem Staat Schweiz früher für sozioökonomische und soziopoli- Missstand schaffen, dass sich rot-grüne
eingebrockt hat. Und richten solls, wie nie vergeben, dass er vom Unterdrücker Bern tische Vergleiche herangezogenen Stadt- Administrationen ihre Luxus-Utopie-Pro-
immer, die Schule. Das Projekt ist unter angeführt wird. Meine Vorfahren waren nur regionen (in der Schweiz wohl als Stadt- jekte auf Kosten der Agglomerationen und
anderem deshalb zum Scheitern verurteilt, dem Befreier Napoleon herzlich zugetan. Die kantone oder Stadtdistrikte bezeichnet), Landgebiete finanzieren.
weil – entgegen der Analyse des Autors – der Schwächung des Nationalstaates Schweiz innerhalb deren sich die aufgezeigten Ent- Dimitri Papadopoulos
post-schulische Ernst des Lebens in Gestalt durch die aufstrebende Macht Zürich (Stadt) wicklungen abspielen.
des Arbeitsmarkts nach wie vor den strom- käme deshalb sehr willkommen. Sie haben Hauptursache für eine solche Abgrenzung Städte waren schon immer die treibende
linienförmig abgerichteten, anpassungsfähi- diesbezüglich Hoffnung verbreitet! ist der schon seit Jahrzehnten erkennbare Kraft beim Fortschritt, egal ob technologisch,
gen, bieg- und bildsamen Arbeitnehmer prä- Jürg Keller, Rheinfelden (AG) Urbanisierungsprozess jenseits der Stadt- politisch oder ethisch. Die Demokratie
feriert. Selber denkende Lehrerinnen grenzen. Abgeschreckt durch hohe Grund- wurde in Städten erfunden, genauso die
erhöhen die Chance für selberdenkende Das sind zwar interessante Gedanken- stücks- und Wohnungspreise sowie Grund- Kanalisation und das Frauenstimmrecht.
Schüler. Und Schule endet (gottlob) nicht mit spiele, aber ergibt das in dieser kleinräumi- stücksknappheit, zieht es bereits seit den Die treibende Kraft ist die hohe Dichte an
dem Tag, da sich Schultore hinter uns gen Schweiz wirklich Sinn, wenn man sie 1970er Jahren junge Familien wie kleine Menschen. Sie zwingt zum rationalen
schliessen. noch weiter zerstückelt? Auch sind die Unternehmen immer wieder in das soge- Umgang mit Ressourcen, sie fördert Innova-
Peter Fellinger, Inkwil (BE) Städte hierzulande sehr klein. Ein Vergleich nannte Umland oder den nicht weniger tion, und sie führt dazu, dass Menschen mit
mit New York finde ich da schon ziemlich despektierlich bezeichneten «Speckgürtel» unterschiedlichen Ansichten sich weniger
sportlich. In der NYC leben so viele Men- um die Städte herum. Die politischen Ein- ausweichen können.
«Ego-Mentalität» schen wie in der ganzen Schweiz. Noch viel stellungen und das Sozialverhalten bleiben Thomas Bruderer

«Eine Abtreibungsdebatte? Noch einmal?»

NZZ am Sonntag vom 11. März
Nicole Althaus kritisiert in ihrer letzten 51 menz (zu Recht) ablehnen, der Schutz des über «die Klinge» springen müssen, zeigt das links regiert werden. Dies trifft nicht zu,
Prozent-Kolumne zu Recht, dass in gewissen ungeborenen Lebens nicht so wichtig zu wahre Gesicht dieser Ego-Mentalität. weder im Allgemeinen noch bei der Reform
Ländern der Zugang zu Verhütungsmitteln sein. Ungeborene Kinder sind nach dieser Luca Meier, Wiler (BE) des Finanzausgleichs (NFA) im Speziellen.
(wieder / immer noch) erschwert wird. Hin- Lesart keine Menschen und verfügen dem- Der Verband spricht parteiungebunden im
gegen erscheint mir eine Debatte zur Abtrei- zufolge weder über eine Würde, die gemäss Interesse seiner 132 Mitgliedsstädte und
bung nötiger denn je in einer Zeit, in der bald
jeder dreibeinigen Stubenfliege mehr Empa-
Art. 7 der Bundesverfassung (BV) geschützt
werden müsste, noch über ein Recht auf
«Städteverband spricht -gemeinden. Im 16-köpfigen Vorstand sind
die Parteien ausgewogen vertreten. Deshalb
thie entgegengebracht wird als einem unge- Leben, wie es Art. 10, Abs. 1 der BV garan- nicht für linke Städte» kann die Forderung des Städteverbandes
borenen Kind (in der Schweiz werden jähr- tiert. Präzisierung zum Artikel «Streit ums Geld: Schreiben Sie an: nach einer gleichmässigen Abgeltung beim
lich mehr als 10 000 Kinder – mit und ohne Urs Zeindler-Dettling, Schwyz Rote Städte gegen SVP» NZZ am Sonntag, Lastenausgleich, die dieser schon lange so
Behinderung – abgetrieben). Erstaunlicher- NZZ am Sonntag vom 11. März Leserbriefe, vertritt, nicht als Position der «roten Städte»
weise scheint denselben Kreisen, welche Die Meinung von Nicole Althaus trifft den Der Artikel erweckt in seiner Titelgebung Postfach, bezeichnet werden. Der Ressourcenaus-
sonst bei jedem Kindervergewaltiger und Zeitgeist reichlich gut. Das Einzige, was den Eindruck, dass die politische Position CH-8021 Zürich. gleich wird vom Städteverband ausdrücklich
Massenmörder auf die Wahrung von dessen zählt, ist das Ich. Dass als Resultat dabei auch des Schweizerischen Städteverbandes jene leserbrief.sonntag unterstützt.
Würde pochen und die Todesstrafe mit Vehe- völlig unschuldige – ungeborene Kinder - der grossen Städte sei, welche mehrheitlich @nzz.ch Redaktion «NZZ am Sonntag»

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Wochenrückblick
International
Premierministerin Theresa May
macht Russland für die Vergif-
tung des russischen Ex-Agenten
Sergei Skripal mit dem Chemie-
kampfstoff Nowitschok verant-
wortlich. 23 russische Diploma-
ten werden ausgewiesen. Vor-
gesehen sind zudem eine Ver-
stärkung der Spionageabwehr,
schärfere Grenzkontrollen
und die Einfrierung russischer
Guthaben. Die wichtigsten
Verbündeten stellen sich hinter
London. Moskau widerspricht
und weist seinerseits 23 briti-
sche Diplomaten aus. Skripal
und seine Tochter befinden sich
weiter in ernstem Zustand im
Spital. Derweil wird in London
ein weiterer Exilrusse tot in
seiner Wohnung aufgefunden.
Die Anti-Terrorismus-Polizei
nimmt Mordermittlungen auf.
Die US-Regierung verhängt erst-
mals Sanktionen gegen Moskau
wegen Einmischung in die Präsi-
dentenwahl 2016, obschon sich
Amtsinhaber Donald Trump
bisher gesträubt hat, diese ein-
zuräumen. Die Strafmassnah-
men gelten auch russischen
Hackerangriffen und richten
sich gegen 5 Unternehmen
und 19 Einzelpersonen.
Derweil entlässt Trump
Aussenminister Rex Tiller-
son (Bild rechts), den er
schon mehrfach
blossgestellt hat.
Dabei begnügt er
sich mit einer Twit-
termitteilung. Als
Nachfolger ernennt er
Mike Pompeo, den
Leiter des Geheim-
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NZZ am Sonntag 18. März 2018
Schweiz
Der Mörder von Rupperswil sicherten observieren lassen, betrieben und wollten einen in
NEIL HALL / EPA
wird zu lebenslänglicher Frei- Ton- und Bildaufnahmen der Schweiz lebenden Mann
heitsstrafe mit anschliessender machen und sogar GPS-Tracker entführen. Die Bundesanwalt-
Verwahrung verurteilt. Zudem oder Drohnen einsetzen. Ange- schaft ermittelt wegen politi-
ordnet das Bezirksgericht Lenz- ordnet werden können solche schen Nachrichtendienstes und
burg eine ambulante Therapie Massnahmen durch die Direk- versuchter Entführung durch
an. Das Gericht sieht von einer tionsmitglieder der Versicherer. einen Staat ins Ausland. Staats-
lebenslänglichen Verwahrung sekretärin Pascale Baeriswyl
ab, weil der Täter gemäss psych- Türkische Agenten haben auf protestiert beim türkischen
iatrischen Gutachten nicht als Schweizer Boden Spionage Aussenministerium gegen die
untherapierbar gilt. Das Urteil ist Verletzung der Schweizer
noch nicht rechtskräftig – sowohl Souveränität.
REUTERS
die Staatsanwältin als auch die
Verteidigerin lassen offen, ob sie Die Frauenvertretung im Bun-
den Fall weiterziehen. desrat soll nicht mehr dem Zufall
überlassen werden. Der Stände-
Das Bundesparlament schafft die rat spricht sich überraschend für
Britische Soldaten suchen nach Giftspuren. (Salisbury, 4. März 2018) gesetzliche Grundlage für den die Einführung einer Geschlech-
Einsatz von Sozialdetektiven. terquote in der Landesregierung
Bei Verdacht auf Missbrauch aus. Nun geht das Geschäft in
dienstes CIA, der im Unterschied tritt zurück, doch seine Smer- dürfen Versicherungen ihre Ver- Pascale Baeriswyl protestiert. den Nationalrat. (rd.)
zu Tillerson auf seiner Linie Partei stellt weiterhin den Regie-
liegt. rungschef.
Mit nur 364 bei 355 nötigen Stim- Präsident Rodrigo Duterte er- Wirtschaft
men wird Angela Merkel vom klärt, die Philippinen zögen sich
deutschen Bundestag als Kanz- vom Internationalen Strafge-
lerin wiedergewählt. Sie tritt richtshof in Den Haag zurück. Er Die EU-Kommission reagiert auf hoch ein. An dem seit Januar Sesselrücken in der Geschäfts-
damit ihre vierte Amtszeit an. begründet dies mit Angriffen auf die von den USA verhängten 2015 geltenden Negativzins leitung von Novartis: Schweiz-
Von den wichtigsten Minister- seine Person. Das Gericht hat Strafzölle auf Aluminium und halten die Währungshüter fest. Chef André Wyss verlässt den
posten gehen nur jene für Wirt- eine Voruntersuchung gegen Stahl, die am 23. März in Kraft Sie stellen den Kantonen aber- Pharmakonzern aus Basel auf
schaft und Verteidigung an ihre Duterte wegen seines Drogen- treten sollen, mit einer Liste von mals eine Gewinnausschüttung eigenen Wunsch. Neu sind im
CDU. Die CSU übernimmt kriegs angekündigt, dem seit möglichen Gegenmassnahmen. in Milliardenhöhe in Aussicht. Führungsgremium Bertrand
das Innenministerium, Mitte 2016 Tausende Personen Demnach sollen amerikanische Bodson als Leiter Digital, Steffen
die SPD Finanzen, Äusse- zum Opfer gefallen sind. (vmt.) Produkte wie Whisky, T-Shirts, Der insolvente Spielzeughändler Lang als Technikchef und Shan-
res und Justiz. Orangensaft oder Motorräder Toys’R’Us löst seine 885 Filialen non Klinger als Risiko- und
Der slowakische mit Einfuhrzöllen belegt werden. in den USA auf. Weder gelang es Ethikverantwortliche vertreten.
Ministerpräsident Die EU plant zunächst eine Klage dem Unternehmen, einen Käufer
Robert Fico zieht vor der WTO und erwägt zudem zu finden, noch konnte eine Der Sankt-Galler SP-Politiker
die Konsequen- Schutzmassnahmen gegen einen Einigung mit den Gläubigern zur und Ständerat Paul Rechsteiner
zen aus der massiven Anstieg der Stahl- und Umschuldung gefunden werden. kündigt seinen Rücktritt vom
Ermordung des
Journalisten Jan
Unser Newsletter Aluminiumeinfuhren in die EU. Betroffen sind rund 33 000
Beschäftigte in den USA. Auch in
Präsidentenamt im Schweizeri-
schen Gewerkschaftsbund an.
Kuciak, der seinem Stimmt Sie schon am Freitag aufs In ihrer jetzigen Lagebeurteilung anderen Ländern sind Laden- Der 65-Jährige steht seit bald
Büro Mafiaverbin- Wochenende ein. Jetzt anmelden! schätzt die Schweizerische schliessungen wahrscheinlich. zwanzig Jahren an der Spitze des
dungen vorge- nzz.as/newsletter Nationalbank die Risiken am Toys’R’Us betreibt in der Dachverbandes der Arbeitneh-
worfen hat. Er Immobilienmarkt als weiterhin Schweiz noch zehn Geschäfte. merorganisationen. (dst.)
Fr, 06.04 Theater Duo Fischbach Küssnacht am Rigi SZ Premiere
Sa, 07.04 Häbse-Theater Basel Basel BS
So, 08.04 Theater Duo Fischbach Küssnacht am Rigi SZ Zusatzvorstellung
Sa, 14.04 Trottentheater Neuhausen am Rheinfall SH
Mi, 25.04 Kinotheater Madlen Heerbrugg SG
Do, 03.05 Theater am Käfigturm Bern BE
Fr, 11.05 Weisser Wind Zürich ZH
Mi, 06.06 Cinema 8 Schöftland AG
Do, 14.06 Turbine Theater Langnau am Albis ZH
Fr, 07.09 Obere Mühle Dübendorf ZH Chrüz & Quär Festival
Sa, 08.09 Zeltainer Kleintheater Unterwasser SG
Fr, 14.09 Gemeindesaal Zollikon Zollikon ZH
Fr, 21.09 Kultur im Bären Häggenschwil SG
Sa, 22.09 Kultur im Bären Häggenschwil SG
Fr, 19.10 Saalbau Reinach Reinach AG
So, 11.11 Alti Moschti Mühlethurnen BE
Sa, 17.11 Chesselhuus Pfäffikon ZH
We ih na cht s Pro gram m
Sa, 08.12 Kultur im Zelt Ursenbach BE
So, 09.12 Casino Wohlen Wohlen AG
Mi, 12.12 Landgasthof Bären Ersigen BE
Mi, 19.12 Central Uster ZH
Do, 20.12 Theater Duo Fischbach Küssnacht am Rigi SZ
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NZZ am Sonntag 18. März 2018
Reverenz an den Gründer der Genossenschaft: Friedrich Wilhelm Raiffeisen thront über der Generalversammlung der Bank Gäu-Bipperamt. (Egerkingen, 10.März 2018)
Ex-Raiffeisen-Chef fordert mehr
Macht für die Genossenschafter
Felix Walker, Vorgänger von Pierin Vincenz, plädiert für ein Umdenken. Die Bank
müsse zu ihren genossenschaftlichen Wurzeln zurückkehren. Von Albert Steck
L
andauf, landab führen die 255 Genos­
senschaften ihre Generalversammlun­
gen durch. Doch die Harmonie ist
gestört. Trotz dem währschaften Drei­
gangmenü, das die Gäste serviert bekommen.
Überall ist die Verhaftung des früheren Chefs
Pierin Vincenz das grosse Thema. So vor
Wochenfrist bei der Raiffeisen Regio Laufen­
burg: «Mehr als 11 000 Mitarbeitende haben
hervorragende Arbeit geleistet», rief Präsident
Urs Siebenhaar in den Saal mit 800 Genossen­
schaftern, «aber einer hat jetzt alles versaut.»
Der Schaden der Affäre sei enorm.
Doch mit der strafrechtlichen Untersu­
chung ist es nicht getan. «Der Genossen­
schaftsgedanke muss wieder höher gewichtet
werden», fordert zum Beispiel der Präsident
der Raiffeisen Wegenstettertal, Jascha Schnei­
der. Diese Überzeugung hat auch Felix Walker,
den Vorgänger von Pierin Vincenz, dazu be­
wogen, seine Stimme zu erheben. Der ehema­
lige CVP-Nationalrat spricht vielen Genossen­
schaftern aus dem Herzen, wenn er sagt: «Der
Zweck der Raiffeisen ist die gemeinsame
Selbsthilfe. Dieses genossenschaftliche Prin­
zip muss den Mitgliedern dienen und nicht
den Führungsorganen.»
Rekordgewinn sorgt für Skepsis
Raiffeisen muss sich wieder stärker von den
renditegetriebenen Banken unterscheiden.
Die Forderung gewinnt unter den 1,9 Millio­
nen Genossenschaftern an Gewicht. Sie führt
zur zentralen Frage: Wie viel Gewinn soll
Raiffeisen überhaupt erzielen? CEO Patrik
Gisel rühmte sich bei der Präsentation der Jah­
Firma Huawei
Wieso sich die USA
vor ihr fürchten 26
reszahlen Anfang März, die Bank habe einen
rekordhohen Profit von 917 Mio. Fr. erwirt­
schaftet. Das ergibt den stolzen Betrag von
485 Fr. pro Genossenschafter – wobei diese als
Besitzer der Bank nichts davon sehen.
Dagegen zahlt die genossenschaftliche Ver­
sicherung Mobiliar einen Teil des Gewinns an
ihre Kunden aus. In fünf Jahren summierten
sich diese Ausschüttungen auf 730 Mio. Fr.
«Auch eine Genossenschaft muss Gewinn er­
zielen», betont Walker, «doch dieser ist nicht
das einzige Kriterium. Entscheidend ist eben­
so der erzielte Nutzen für die Mitglieder.»
Bei Raiffeisen beschränken sich die Vorteile
für die Genossenschafter primär auf vergüns­
Markanter Lohnanstieg
Personalaufwand pro Vollzeitstelle
150 000 Fr.
125 000
100 000
75 000
50 000
25 000
0 tes. Die Kunden sind offenbar bereit, einen
2000 2005 2010 2015 17
Quelle: Raiffeisen
Handelskrieg
SALVATORE VINCI
USA zielen eigentlich
auf China 29
tigte Tickets für Konzerte, Museen oder Sport­
anlässe – ähnliche Gefälligkeiten bietet
mittlerweile jede Bank. Zwar profitieren die
Mitglieder vom höheren Zins der Raiffeisen­
Anteilsscheine, meistens 3%. Doch ist die
Investition auf wenige tausend Franken be­
schränkt. Das Sparkonto für Genossenschafter
zahlt einen mageren Zins von 0,1%, kaum
mehr als die 0,05% für normale Kunden.
Auch bei den Gebühren kann sich Raiff­
eisen nicht mehr positiv abheben. Der Online­
Vergleichsdienst moneyland.ch hat die Preise
der wichtigsten Anbieter für ein Bankpaket
verglichen. Berücksichtigt wurde ein Kunde
mit Debit­ und Kreditkarte, der 10 000 Fr.
auf dem Privatkonto und 50 000 Fr. auf dem
Sparkonto besitzt. Für einen Durchschnitts­
nutzer belaufen sich die Gebühren bei Raiff­
eisen auf 228 Fr., während der gleiche Kunde
bei der Postfinance 53 Fr. bezahlt. Credit
Suisse und UBS schneiden ebenfalls günstiger
ab als die Genossenschaftsbank (vgl. Tabelle).
«Im Zahlungsverkehr und bei den Kredit­
karten rangiert Raiffeisen im Mittelfeld», sagt
Moneyland­Geschäftsführer Benjamin Manz,
«bei den Börsengeschäften und der Vermö­
gensverwaltung gehört sie eher zu den teuren
Anbietern.» Zu einem ähnlichen Befund
kommt Bankenexperte Dominik Weber vom
Portal Comparis bei der Analyse der Hypothe­
karkredite: «Die Richtzinsen der Raiffeisen
liegen leicht über dem Durchschnitt des Mark­
Aufpreis zu zahlen, weil sie die Nähe zur
Filiale und die regionale Verankerung der
Bank schätzen.» Das Argument der Kunden­
Thomas Buberl
Wo der Axa-Chef
zulegen will 27
PATRICK LÜTHY
Hohe Gebühren
Jährliche Kosten abzüglich Zinsertrag für
ein Bankpaket mit Kredit- und Debitkarte
Bank Konto Fr./Jahr
Postfinance Privatkonto Plus 53.15
Credit Suisse Bonviva Silver 61.00
Genfer KB BCGE Set 95.35
UBS UBS Individual 115.15
NAB My NAB Silber 117.85
Valiant Trend Set Lila Plus 149.85
Thurgauer KB Servicepaket Comfort 173.35
Waadtländer KB Formule Premium 184.85
Berner KB Privatkonto Plus 196.15
Zürcher KB Basic-Bankpaket 213.15
Raiffeisen* Privatkonto Plus 228.35
Neuenburger KB BCN Pack Solo 249.85
Schaffhauser KB KB Plus-Paket 263.10
Glarner KB Glarner Set 267.35
Schwyzer KB Basis-Set 270.65
*Konditionen der Niederlassung Zürich
Guthaben Privatkonto 10 000 Fr.; Sparkonto 50 000 Fr.
Angaben für einen Durchschnittsnutzer im ersten Jahr.
Quelle: moneyland.ch
nähe sticht allerdings je länger desto weniger.
Seit 2000 ist die Zahl der Geschäftsstellen von
1300 auf 900 gesunken. CEO Gisel hat zudem
einen Abbau auf 750 Filialen angekündigt.
Hart getroffen hat es zum Beispiel die Raiff­
eisenbank Oberes Emmental mit 8000 Mit­
gliedern und einer Bilanzsumme von 550 Mio.
Fr. Im letzten November hat die Bank auf
einen Schlag drei der fünf Geschäftsstellen
geschlossen – trotz Ertrags­ und Gewinn­
wachstum. An der Generalversammlung diese
Woche im Tigersaal Langnau platzte einigen
Genossenschaftern der Kragen. Während die
Zentrale einen Rekordgewinn bejuble, werde
in den Regionen gespart. «Als Mitbesitzer der
Bank will ich diese Politik nicht schlucken»,
wetterte ein Genossenschafter. Obwohl sich
die Schliessung wohl kaum rückgängig
machen lässt, verlangte eine Mehrheit im
Saal, dass die Bankleitung nochmals über die
Bücher geht.
Ein Konzern im Kaufrausch
Nun rächt sich, dass die Zentrale in St. Gallen
das Kapital über Jahre mit beiden Händen aus­
gegeben hat: 600 Mio. Fr. kostete allein der
überhastete Kauf der Bank Notenstein. Teuer
war ebenso die Beteiligung am Derivatehaus
Leonteq, wo sich Pierin Vincenz als Präsident
vergolden liess. Und für das Investmentvehi­
kel Investnet bezahlte Raiffeisen geschätzte
100 Mio. Fr. Die Hintergründe dieses Deals
prüft nun die Staatsanwaltschaft.
Ins Auge springt zudem der grosszügige
Felix Walker Lohnanstieg. Seit 2000 kletterte der Personal­
aufwand um 50% (vgl. Grafik). Auch hier pro­
fitierte vor allem der zentrale Bereich von
Raiffeisen Schweiz, welcher über 2000 Perso­
nen beschäftigt. Wer dort arbeitet, garniert im
Schnitt 175 000 Fr., während das Gehalt in­
klusive Vorsorgeleistungen in den regionalen
Genossenschaften auf 140 000 Fr. kommt.
Für Kritik in den Regionen sorgte überdies
der Lohn des nun abgetretenen Präsidenten
Der gebürtige Walli- Johannes Rüegg­Stürm. Innert vier Jahren
ser war zehn Jahre stieg dieser für sein 50%­Pensum von
bis 1999 Chef der 300 000 Fr. auf 480 000 Fr. – hinzu kamen
Raiffeisen. Danach 100 000 Fr. für Sozialleistungen. «Solche
sass er bis 2006 für Saläre machen mich wütend», sagt ein lang­
die CVP St.Gallen im jähriger Bankleiter aus dem Thurgau, «sie sind
Nationalrat. einer Genossenschaft nicht würdig.»
Die Affäre Vincenz hat viele Raiffeisen­Mit­
glieder aufgerüttelt. Eine wachsende Zahl will
sich nun, als Besitzer der Bank, Gehör ver­
schaffen und fordert eine Rückbesinnung auf
die genossenschaftlichen Werte. «Das tra­
gende Fundament der Raiffeisen sind die
regionalen Genossenschaften», sagt der ehe­
malige Raiffeisen­Chef Felix Walker, «diese
Basis braucht aber mehr Einfluss.»
Noch ist diese neue Bewegung unkoordi­
niert. Ob sie eine Machtverschiebung zuguns­
ten der Genossenschafter erreichen wird, lässt
sich schwer abschätzen. Ein solcher Vorstoss
müsste an der Versammlung der 164 nationa­
len Delegierten eine Zwei­Drittels­Mehrheit
erreichen. Immerhin aber zeigen die opposi­
tionellen Stimmen schon jetzt: Eine Bank wie
jede andere ist Raiffeisen noch nicht.
Mitarbeit: Ueli Kneubühler
26
Vor dieser Firma fürchten sich die USA
Der chinesische Telekom-Ausrüster Huawei hat einen kometenhaften Aufstieg hinter sich. In Europa wird er
mit offenen Armen empfangen. In den USA jedoch warnt der Staat eindringlich vor Huawei. Zu Recht?
Markus Städeli
Welche Firma hat letztes Jahr
beim Europäischen Patentamt die
Rekordzahl von 2395 Patente an-
gemeldet? War es Novartis oder
Siemens? Weder noch. An die
Spitze der erfindungsreichsten
Unternehmen setzte sich der
Handy-Hersteller und Telekom-
netz-Ausrüster Huawei: Ein Sinn-
bild für den kometenhaften Auf-
stieg der chinesischen Firma, die
auch in der Schweiz 350 Mitarbei-
ter beschäftigt.
In Europa gibt es wenig Kritik
an Huawei, deren Produkte uni-
sono gelobt werden. Dies, obwohl
hier mit Ericsson und Nokia jene
Firmen beheimatet sind, die am
unmittelbarsten unter der Kon-
kurrenz der Chinesen leiden.
In der Schweiz arbeiten die
Telekomfirmen Sunrise und
Swisscom intensiv mit Huawei
zusammen. Aber auch Schindler
setzt weltweit auf Huawei-Tech-
nologie, um seine Rolltreppen
und Aufzüge mit dem Internet zu
verbinden. In Europa kooperieren
die Grossen der Branche wie
Deutsche Telekom oder Vodafone
mit der Firma.
Ganz anders in den USA. Hier
werden die Chinesen offen ange-
feindet: vom Weissen Haus, vom
Kongress, von der Bundespolizei
FBI und den Geheimdiensten. Das
führte im Januar zu einem Eklat.
Auf Druck der Politik zog sich der
US-Telekomkonzern AT&T Knall
auf Fall von einer Vereinbarung
mit Huawei zurück. AT&T hatte
sich eigentlich bereit erklärt, das
Handy-Spitzenmodell der Chine-
sen in seinen Filialen verkaufen.
Verbotene Übernahme
AT&T hätte es besser wissen müs-
sen. Huawei ist zwar in den USA
nicht verboten. Bereits vor der
Ära Trump hatte aber ein Ge-
heimdienstausschuss des Reprä-
sentantenhauses US-Firmen
ziemlich unverhohlen gedroht:
mit einem Ausschluss von staat-
lichen Aufträgen für den Fall,
dass diese auf die Idee kommen
sollten, auf die Dienste Huaweis
zurückzugreifen. Und US-Behör-
den dürfen nun ganz offiziell
keine Produkte von Huawei mehr
anschaffen.
Auch der Paukenschlag dieser
Woche geht indirekt auf das
Konto von Huawei. Donald
Trump untersagte die 146Mrd.$
schwere Übernahme des Compu-
terchip-Herstellers Qualcomm.
HURR3A!
3 clevere Köpfe, eine konkurrenzlos günstige
Säule 3a, verpackt in einer simplen App - das ist VIAC!
Empowered by WIR Bank Genossenschaft!
Wir freuen uns mit VIAC über den 2. Platz als Early
Stage Startup of the Year an den Swiss Fintech
Awards 2018.
Wirtschaft NZZ am Sonntag 18. März 2018
Diese enorme Summe wollte ein
DAVID PAUL MORRIS / BLOOMBERG
Die Chinesen kommen
Konkurrent aus Singapur locker
machen. Trump schritt ein, weil Marktanteile beim Bau von
er die USA in der Telekommuni- Mobilfunknetzen (weltweit)
kation hinter China zurückfallen
sieht, was die nationale Sicher- 100%
heit bedrohe. Er beruft sich bei Andere
seinem überraschenden Über- 80 Samsung
nahmeverbot auf ein Kriegsmate- ZTE
rialgesetz aus Zeiten des Korea-
60 Nokia
krieges.
Doch wie hat sich Huawei den
Zorn Washingtons eingehandelt? 40 Ericsson
Die privat gehaltene Firma mit
ihren 180 000 Mitarbeitern er- 20
wirtschaftete letztes Jahr einen
Huawei
Umsatz von 92Mrd.$. Sie stellt
0
Smartphones her, die mit jenen 2007 09 11 13 15 2017
von Apple und Samsung Schritt
halten können. Quelle: IHS Markit, «Economist»
Strategische Technologie
Vor allem aber ist die Firma in den US-Firma Cisco bedient. «Wir
Startlöchern, um mit einer Reihe müssen davon ausgehen, dass
von Telekomanbietern – in der nicht nur China, sondern auch die
Schweiz zusammen mit Sunrise – USA und andere Hintertüren zur
die superschnellen mobilen Daten-Ausleitung einbauen, sei
Datennetze der 5.Generation (5G) dies bei Mobilfunk-Ausrüstung
zu bauen. Das ist nicht irgendeine oder anderer Netzwerk-Hard-
Infrastruktur: Experten sind sich ware», sagt etwa Balthasar Glättli,
einig, dass 5G von strategischer der technologieaffine Nationalrat
Bedeutung für die nächsten Jahr- der Grünen (ZH).
zehnte ist. Unter anderem, weil Im Moment werde die nationa-
diese Technologie selbstfahren- le Strategie zum Schutz der
den Autos den Weg ebnen dürfte. Schweiz vor Cyber-Risiken über-
Mit 5G werden bald auch Milliar- arbeitet. Falls darin keine griffi-
den von Sensoren und Maschinen gen Schutzmassnahmen vorge-
ans Internet angeschlossen. sehen seien, werde er allenfalls
Für Huawei ist 5G die «Chance einen Vorstoss machen, so Glättli.
des Jahrhunderts», schreiben die «Die Grundproblematik ist aber,
Analysten der Bank Jefferies. Bei dass es sich bei vielen Produkten
den letzten Versionen der Mobil- im Netzwerkbereich um Oligo-
funktechnologie (3G und 4G) hat- pole handelt, und man entspre-
ten Huawei und ZTE – der klei- chend nur auswählen kann, wel-
nere Lokalkonkurrent – noch we- chem potenziellen Risiko man
nig zu melden. sich ausliefert.»
Doch mit dem Technologie- Ins gleiche Horn bläst ein Rats-
wechsel ändert sich das. Huawei kollege: «Eigentlich sollte man
hat schon Hunderte von Millio- sich bei jedem Chip und jedem
nen in die Erprobung von 5G ge- Huawei-Chef Richard Yu präsen- und den USA aufmacht, verweist Beispiel, es gibt einen Krieg. Netzwerkteil fragen, ob diese
steckt und bringt sich stark in den tiert das Mate-10-Smartphone. in diesem Zusammenhang mehr- China entscheidet, Taiwan zu nicht Daten weitergeben können
Standardisierungsprozess ein. (Las Vegas, 9. Januar 2018) fach auf die Bedeutung von 5G. überfallen, und so wird auch Aus- oder dem Hersteller erlauben,
Gemäss Jefferies waren Huawei In den USA wird Huawei keine tralien plötzlich zum Feind. manipulierend einzugreifen»,
und ZTE Anfang 2017 im Besitz 5G-Netze bauen. Und auch in Selbst wenn wir an Huaweis Un- sagt Marcel Dobler, IT-Unterneh-
von 10% aller 5G-Patente. Qual- Australien gibt es jetzt eine abhängigkeit glauben, irgend- mer und FDP-Nationalrat (SG).
comm – die Firma, deren Verkauf Debatte darüber, ob man chinesi- wann könnte die Firma der Kon- Spannend finde er, dass dies nicht
Trump untersagte – besass zu sche Firmen von Aufträgen aus- trolle der chinesischen Regierung grundsätzlich diskutiert werde,
jenem Zeitpunkt 15% des geisti- schliessen sollte, welche diese unterworfen werden.» sondern primär dann, wenn es
gen Eigentums am neuen Mobil- Zukunftsnetze betreffen. Diesen Vielleicht ist Europa mit seiner um Huawei gehe. «Ich habe die
funkstandard. Monat sind mehrere kritische entspannten Haltung gegenüber Vermutung, dass diese Firma be-
Das chinesische Regime freut Medienartikel zum Thema er- Huawei und ZTE naiv. Wahr- wusst in ein negatives Licht ge-
sich zweifellos über die Fort- schienen. In einem Beitrag der öf- scheinlicher ist, dass man seit der stellt wird.»
schritte seiner Firmen, ist es doch fentlich-rechtlichen «ABC» kam Enthüllungen Edward Snowdens Bei Huawei selber verweist
erklärtes Ziel, bis 2025 in allen letzten Sonntag etwa Fergus Han- über die Abhöraktivitäten der US- man auf den Umstand, dass
Schlüsseltechniken zum Westen son vom regierungsnahen Think Geheimdienste sämtliche Illusio- Regierungen und Kunden in 170
aufzuschliessen. Der «Econo- Tank Australian Strategic Policy nen punkto IT-Sicherheit ver- Ländern der Firma vertrauten.
mist», der seine jüngste Ausgabe Institute zu Wort. Er begründete loren hat. Schliesslich haben sich Man stelle kein grösseres Cyber-
mit dem «Kampf um die digitale seine ablehnende Haltung gegen- die Spione unter anderem Sicher- Risiko dar als irgendeine andere
Vorherrschaft» zwischen China über «ABC» so: «Sagen wir zum heitslücken in den Produkten der ICT-Firma.
viac.ch/appstore viac.ch/playstore
<wm>10CAsNsjY0MDQx0TUxMja2NAAAW1cbGA8AAAA=</wm>
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Daniel Peter Jonas Gusset Christian Mathis
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NZZ am Sonntag 18. März 2018
Thomas Buberl: «Die Möglichkeit, sich medizinische Absicherung zu leisten, wird für viele Menschen zunehmend unerschwinglich.» (Winterthur, 1. März 2018)
«Cyberangriffe haben kaum
abschätzbare Zerstörungskraft»
Thomas Buberl ist Chef einer der weltweit grössten Versicherungskonzerne. Der Axa-Manager über die
Konkurrenz der Tech-Giganten, Cyberangriffe und das Gesundheitswesen. Interview: Ueli Kneubühler
NZZ am Sonntag: Thomas
Buberl, Sie planen für rund
15 Mrd. $ die Übernahme des
US-Schadenversicherers XL
Group, die grösste Akquisition in
der zweihundertjährigen Axa-
Geschichte. Kritiker bemängeln
den hohen Preis, die steigende
Verschuldung und XLs bescheide-
nen Track-Rekord. Was sagen Sie?
Thomas Buberl: Wir ergänzen
uns ideal und werden zum füh-
renden globalen Schadenver-
sicherer für Unternehmens-
kunden. Der Kaufpreis ist ange-
sichts der Qualität und Breite des
Portfolios fair. Zudem erwarten
wir durch die Integration
beträchtliche Kapitalsynergien.
XL hat in den vergangenen
Jahren solide und steigende
Gewinne erwirtschaftet.
Sie werden sich stark verschulden.
Wir werden den Zukauf mit
Cash finanzieren, ohne Kapital-
erhöhung. Die Verschuldung
wird dadurch zwar vorüber-
gehend steigen, bis 2020 sollte
sie aber wieder auf ein nachhal-
tiges Niveau sinken.
Sie sagen, dass die Konkurrenten
von morgen Amazon, Google,
Facebook oder Apple sind, und
kokettieren immer mal wieder mit
Partnerschaften. Nun akquirieren
Sie einen klassischen Firmenver-
sicherer. Haben die Tech-Gigan-
ten kein Gehör für den Mann aus
der alten Versicherungswelt?
Die Tech-Giganten sind uns
zwar in einem wesentlichen
Punkt voraus: Sie erreichen die
digitalen Endkunden besser. Wer
Versicherungen anbieten will,
braucht jedoch Versicherungs-
Know-how, um Daten zu inter-
pretieren und Risiken richtig
einschätzen zu können, und eine
gute Reputation. Für Tech-Fir-
men ist es darum nicht ganz so
einfach, das Versicherungs-
geschäft zu kopieren. Wir sind
lange da, wir sind zuverlässig,
uns wird vertraut.
Wirtschaft
Und das heisst?
Ich glaube daher nicht, dass
uns Amazon und Co. konkurren-
zieren werden, sondern dass wir
miteinander Partnerschaften
eingehen werden.
Schliessen wir also dereinst tat-
sächlich Versicherungen über Siri
oder Alexa ab?
Wenn wir den Versicherungs-
verkäufer durch Siri ersetzen,
gewinnen wir am Ende des Tages
nichts. Zentraler ist: Die Axa ist
mehr als eine blosse Zahlstelle
von Schäden, hinter unserem
Geschäft steckt eine Community
von Versicherten. Wenn wir
diese orchestrieren, können wir
Themen wie Prävention einbrin-
gen. Es geht nicht um das gegen-
einander Ausspielen von Siri und
dem Versicherungsagenten, son-
dern wie man eine Community
managen kann. Hier sind wir
wieder beim Thema Facebook.
Das Versicherungsgeschäft funk-
tioniert konventionell: Agenten
verkaufen Versicherungen. Die
Digitalisierung wird die Wert-
schöpfungskette grundlegend
verändern.
Das hängt von der Betrach-
tung ab. Kunden, die einen Scha-
den melden, brauchen Schnellig-
keit und Digitalisierung. Dort
wird es zu verstärkter Automati-
sierung und zu mehr digitalen
Diensten kommen, was weniger
Personal benötigt. Aber nur bei
20% unserer Kunden treten
Schäden ein. Bei 80% treten
keine oder kaum Schäden ein.
Ihre Lösung?
Für diese Kunden müssen wir
neue Services entwickeln. Dort
sehe ich massives Wachstums-
potenzial. Mein Traum ist des-
halb, dass wir am Ende des Tages
mehr Mitarbeiter in der Branche
haben als heute.
Versicherer haben ein grund-
legendes Problem: Ihre Kunden
schliessen eine Versicherung ab
und wollen dann nichts mehr zu
tun haben mit ihnen.
Falsch. Je weniger Kontakt
man mit den Kunden hat, desto
schlechter ist die Kundenzufrie-
denheit.
Sie verkaufen den Kunden
unnötige Zusatzleistungen?
Nein. Gerade im Bereich der
eigenen Gesundheit besteht bei
den Kunden ein grosses Bedürf-
nis. In England zum Beispiel
haben wir interne Präventions-
lösungen für Firmen lanciert. Die
Unternehmen setzen alles daran,
dass die Mitarbeiter gesund und
glücklich am Arbeitsplatz sind.
Oder nehmen Sie unseren Tele-
medizin-Service, den wir vor
zwei Jahren lanciert haben und
der heute weltweit 10 Mio.
Kunden hat. In 70% der Fälle
lösen wir das Problem bereits am
Telefon. In diesem Bereich
können wir noch massiv wach-
sen.
Das bieten die Krankenversiche-
rer längst an.
Aber zu wenig effizient. Das
Problem der Branche ist, dass die
Kosten der Gesundheit zwei- bis
dreimal so stark wachsen wie
das Bruttoinlandprodukt. Die
Möglichkeit, sich medizinische
Absicherung zu leisten, wird für
viele Menschen zunehmend
unerschwinglich. Irgendwann
müssen wir uns die Frage stel-
len, ob wir das sozial und ethisch
noch vertreten können.
Die meisten,
die einen
Cyberangriff
erleiden, reden
nicht darüber.
Was schlagen Sie vor?
Heute hinterfragen die Patien-
ten ihre Behandlungskosten viel
zu wenig, und gewisse Spitäler
scheinen grösseres Gewicht auf
die Hotellerie zu legen, als sich
die Frage zu stellen, wie der
Patient rasch wieder in den
Alltag integriert werden könnte.
Diese Ineffizienz führt zur Kos-
tenexplosion. Da wir als Ver-
sicherer die Schäden bezahlen,
sind wir ganz nah dran und
können so den Kunden helfen,
die Kosten zu senken. Hier sehen
wir ein grosses Potenzial.
Wie gross?
Extrem gross. Es ist überall
das gleiche Problem. In den USA
zum Beispiel haben wir im
Januar die Plattform Maestro
Health gekauft, mit der Firmen
die Krankenversicherungsleis-
tungen ihrer Mitarbeiter verwal-
ten und optimieren können.
Kurz nach der Akquisition haben
sich Amazon, J. P. Morgan und
Berkshire Hathaway aus den
gleichen Gründen zusammen-
getan und gesagt, dass die
Gesundheitskosten zu reduzie-
ren sind. Das begrüsse ich.
Weshalb?
Das Trio geht in die richtige
Richtung. Das Gesundheits- und
Kostenmanagement ist für diese
Firmen ein Riesenthema. Die
sagen sich: Wir müssen die
Kosten runterbringen. Sie bauen
deshalb für ihre Angestellten
eine eigene Kasse auf, die später
vielleicht auch Dritten offen-
stehen wird. Das ist für uns ein
interessanter Ansatz.
Real sind auch Gefahren, die von
unserer vernetzten Welt aus-
gehen. Vor kurzem haben Hacker
die Systeme der deutschen Regie-
rung angegriffen. Sind solche
Risiken für Regierungen ver-
sicherbar?
Wir bieten in der Schweiz
bereits Lösungen für Einzel-
27
SALVATORE VINCI
Thomas Buberl
Deutscher zwischen
Paris und Zürichsee
Nächste Woche wird Thomas
Buberl 45. Der Deutsche ist seit
September 2016 Chef des fran-
zösischen Versicherers Axa. Ab
2005 war er Mitglied der
Geschäftsleitung der Winter-
thur, danach Schweiz-Chef der
«Zürich». 2012 kehrte er zu Axa
zurück, unter anderem als
Deutschland-Chef. Buberl stu-
dierte BWL und promovierte
an der Uni St. Gallen. Er lebt
mit Frau und zwei Kindern in
Paris, weilt aber oft in seinem
Haus am Zürichsee. (knu.)
Übernahmepläne kommen personen und Unternehmen an.
schlecht an Erstmals besteht aber ein echtes
globales Risiko, das viele betrifft
Aktienkursentwicklung von Axa und bei dem wir nur wenige
seit einem Jahr Datengrundlagen haben. Die
Versicherungsbranche muss
28 € zuerst definieren, was cyber ist
und was nicht und gemeinsam
27 versuchen, Daten zu generieren.
Denn die meisten, die einen
26
Cyberangriff erleiden, reden
25 nicht darüber. Es braucht also
neue Risikomodelle, die der glo-
24 balen Dimension von Cyber-
angriffen Rechnung tragen.
23
Angegriffene Unternehmen outen
22
2017 2018 sich höchst ungern.
Das müssen wir ändern. Wer
Quelle: Swissquote betroffen war, sollte das öffent-
lich machen. Das hilft der
Gemeinschaft. Cyberangriffe
haben kaum abschätzbare Zer-
störungskraft. Im letzten Jahr
etwa war ein Süsswarenprodu-
zent Ziel eines Angriffs, bei dem
eine Formel verändert wurde.
Die Bedrohungslage ist gross.
Wenn nun das Kanzleramt bei der
Axa anklopft und sich gegen
Cyberattacken versichern will,
was sagen Sie dann?
Jedes Risiko ist versicherbar;
es ist eine Frage des Preises.
Gerade bei solchen Fällen wird
es extrem teuer. Lösungen für
diese Risiken werden in irgend-
einer Art und Weise von der
öffentlichen Hand und den pri-
vaten Versicherern gemeinsam
getragen werden müssen.
Ähnlich wie bei Atomkraftwerken,
wo öffentlich-rechtliche Pool-
Lösungen bestehen?
Genau. Es ist eine zweistufige
Lösung. Einerseits ein Pool, in
den die Versicherungskonzerne
einzahlen, und andererseits eine
staatliche Garantie. Ich glaube,
bei Cyberattacken wird es
schliesslich ähnlich laufen. Bis
es so weit ist, bleibt das Risiko
der deutschen Regierung daher
sehr schwierig versicherbar.
28 NZZ am Sonntag 18. März 2018

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Quelle: Swiss Fund Data AG E-Mail: helpdesk@swissfunddata.ch

Reihenfolge Fondsinformationen: Fondsname, Rechnungswährung, Konditionen Ausgabe / Rücknahme, Kursbesonderheiten, Inventarwert, Ausgabepreis
oder Börsenschlusskurs (Werte vom Freitag, 16.03.2018, Abweichungen siehe Besonderheiten), Performance 2018 in %, Jahreshöchstwert und Datum

Banque Cantonale
de Genève
Tel. 058 211 21 11
bcge.ch/funds
BLACKROCK ASSET MANAGEMENT SCHWEIZ AG CARMIGNAC SUISSE SA FRANKFURTER BANKGESELLSCHAFT (SCHWEIZ) AG FRANKLIN TEMPLETON SWITZERLAND LTD
Tel. +41 800 08 80 20 Tel. 041 560 66 00, www.carmignac.ch Tel. 044 265 44 44 Tel +41 44 217 81 81
BANQUE CANTONALE DE GENÈVE www.blackrock.com/ch Vertreter in der Schweiz: www.frankfurter-bankgesellschaft.ch www.franklintempleton.ch
Tel. +41 58 211 21 11 – bcge.ch/funds CACEIS (Schweiz) SA

Obligationenfonds Obligationenfonds Geldmarktfonds Strategiefonds Obligationenfonds

Synchrony Swiss Government Bonds CHF 4/3 e 107.96 -2.2 110.72 08.01. BGF AsTigBd A2 USD USD 2/1 el 40.01 -1.5 40.78 16.01. Carmignac Capital Plus A EUR Acc EUR 1/1 e 1172.54 -0.2 1184.86 24.01. FBG CHF Managed CHF 1/1 e 71.91 -1.4 73.56 22.01. Franklin European TR A (Acc) EUR 1/1 b 15.12 -0.4 15.24 08.01.
Aktienfonds BGF FixedIncGlbOpps A2 USD USD 3/1 el 14.06 0.4 14.20 29.01. Carmignac Sécurité A EUR Acc EUR 1/1 e 1763.92 0.7 1765.68 07.02. FBG Global Bal. Strategy EUR 1/1 e 49.31 -1.5 50.90 24.01. Franklin GCC Bond A (acc) USD 1/1 e 12.72 -0.8 12.89 01.02.
Synchrony All Caps CH A CHF 1/1 e 186.35 -3.1 197.44 09.01. Aktienfonds Obligationenfonds FBG Global Managed CHF 1/1 e 75.42 -2.2 78.37 09.01. Templeton Global Bond A (Acc) USD 1/1 e 29.27 -0.0 29.87 19.01.
Synchrony Emerging Equity A USD 4/3 f 122.97 3.2 128.88 26.01. BGF Asian Dragon A USD USD 2/1 el 47.52 3.7 50.23 26.01. Carmignac Unconstr.Glbl Bd A EUR AccEUR 1/1 e 1418.45 1.2 1429.54 07.02. FBG Global Return Strategy 1 EUR 1/1 e 45.59 -1.3 46.51 09.01. Templeton Global TR A (Acc) USD 1/1 e 30.30 0.0 30.92 19.01.
Synchrony Europe Equity A EUR 4/3 f 174.16 -1.8 183.71 23.01. BGF Asian Grwth Lead Fd A2 USD 1/1 e 21.61 2.4 22.91 26.01. Aktienfonds Templeton Global TR A CHF-H1 CHF 1/1 e 14.24 -0.6 14.58 19.01.
Synchrony High Div. Swiss Stocks A CHF 1/1 e 102.46 -2.1 107.01 09.01. BGF China A2 USD USD 1/1 e 22.56 9.2 23.78 26.01. Carmignac Comm. A EUR Acc EUR 1/1 e 293.02 -5.1 326.65 12.01. Aktienfonds
Synchrony Small & Mid Caps CH A CHF 1/1 e 227.65 0.6 237.33 19.01. BGF Glbl MA Income Fd A2 USD 1/1 e 13.20 -0.8 13.52 24.01. Carmignac Emerg.Disc. A EUR Acc EUR 1/1 e 1524.39 -0.5 1596.15 26.01. Franklin India A (Acc) USD 1/1 e 39.90 -5.6 43.94 23.01.
Synchrony Swiss Equity CHF 4/3 e 149.84 -4.8 161.69 09.01. BSF EM Eq Strat A2 USD 1/1 e 175.03 6.9 185.27 25.01. Carmignac Emergents A EUR Acc EUR 1/1 e 930.55 -2.1 981.74 09.01. Franklin Technology A (acc) USD 1/1 e 19.55 14.0 19.67 12.03.
Synchrony US Equity A USD 4/3 e 206.38 3.8 213.78 26.01. BSF EM Flexi Dynamic A2 USD 1/1 e 118.74 -0.6 121.62 01.02. Carmignac Euro-Entrepr A EUR Acc EUR 1/1 e 373.69 0.1 388.57 23.01. Templeton Asian Smaller Co A (acc) USD 1/1 e 51.34 2.4 52.98 26.01.
Immobilienfonds BSF Glbl Event Dr A2 USD 1/1 a 109.30 1.3 109.64 28.02. Carmignac Grande Eur. A EUR Acc EUR 1/1 e 195.34 -1.5 205.57 23.01. Templeton EM Smaller Co A (acc) USD 1/1 e 13.08 2.1 13.49 26.01.
Synchrony Swiss Real Est FoF A CHF 1/1 a 109.39 -3.0 113.12 04.01. BSF MMAS A2 USD 1/1 e 102.98 0.5 103.71 02.02. Carmignac Invest. A EUR Acc EUR 1/1 e 1252.58 3.8 1279.71 26.01. Templeton Euroland A (acc) EUR 1/1 e 24.35 1.3 25.24 23.01.
BSF Style Adv A2 USD 1/1 e 107.30 -2.0 111.73 31.01. Strategiefonds Andere Fonds
Strategiefonds Carmignac Emerg.Pat. A EUR Acc EUR 1/1 e 120.75 0.3 123.94 26.01. Franklin Global Convert Sec A (Acc) USD 1/1 e 14.25 7.5 14.29 14.03.
BGF GlobAll A USD USD 2/1 e 57.70 0.9 59.60 24.01. Carmignac Euro-Patr. A EUR Acc EUR 1/1 e 369.79 3.5 372.12 07.03. Franklin K2 Alternative Strat A (acc) USD 1/1 e 11.26 1.0 11.37 26.01.
Carmignac Patrimoine A CHF Acc Hdg CHF 1/1 e 113.44 0.3 117.04 26.01.
Carmignac Patrimoine A EUR Acc EUR 1/1 e 652.31 0.4 672.65 26.01.

JPMorgan Asset Management (CH) GmbH LB(SWISS) INVESTMENT AG PIMCO (SCHWEIZ) GMBH
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Obligationenfonds Aktienfonds Obligationenfonds Aktienfonds Andere Fonds

JPM EM Corp Bond A acc USD USD 2/2 e 152.35 -1.0 155.02 12.01. Swiss Opportunity Fund - P CHF 1/1 e 256.16 -0.9 269.91 23.01. Capital Securities Fd Inst acc CHF 2/2 e 15.30 -0.8 15.71 26.01. PvB Swiss Equity Futures Fund A CHF 1/1 b 108.09 -9.6 118.16 31.01. rA Fair Agriculture B1 CHF 2/2 b 97.52 0.1 97.52 28.02.
JPM Flexible Credit Fd A Acc USD USD 4/4 e 15.40 -0.7 15.60 29.01. Diversified Income Inst Hdg CHF 1/1 e 13.19 -1.7 13.43 16.01. PvB Swiss Equity Futures Fund I CHF 1/1 b 112.60 -9.4 122.99 31.01. rA Fair Agriculture B2 EUR 2/2 b 99.95 0.1 99.95 28.02.
JPM Income Opp A(Perf)acc CHF (h) CHF 3/1 e 97.97 -0.3 98.52 29.01. Emerging Local Bond Inst Unhdg CHF 1/1 e 9.67 1.5 9.76 12.01. Immobilienfonds rA Micro and SME FF B USD 4/1 b 155.09 0.3 155.21 31.01.
Aktienfonds Euro Bond Inst Hdg CHF 1/1 e 33.68 0.0 33.72 08.01. Synchrony Swiss Real Est FoF A CHF 1/1 a 109.39 -3.0 113.12 04.01. rA Micro and SME FF H CHF CHF 4/1 b 123.73 -0.2 124.09 31.01.
JPM Asia Growth A acc-USD USD 2/2 el 33.26 4.3 34.48 26.01. Global Bond Inst Hdg CHF 1/1 e 32.53 -0.8 32.81 08.01. Synchrony Swiss Real Est FoF I CHF 1/1 a 99.48 -2.0 101.83 04.01. rA Micro and SME FF H EUR EUR 4/1 b 138.65 -0.1 139.00 31.01.
JPM EM Opportunities A acc USD USD 4/4 el 321.60 4.8 335.20 26.01. Global High Yield Bd Inst Hdg CHF 1/1 e 16.24 -1.5 16.61 09.01. Alternative Investments
JPM Euroland Dyn A(Perf)acc EUR EUR 4/4 e 240.43 -1.5 259.79 22.01. Global Inv Grade Credit Inst Hdg CHF 1/1 e 16.72 -1.7 17.02 08.01. PvB Andante - Emg Mkts K (CHF) CHF 2/1 bf 12757.40 4.2 12757.40 31.01.
JPM Europe Dynamic A acc-EUR EUR 2/2 el 23.46 -2.2 25.13 29.01. Income Fund Inst (Hdg) acc CHF 2/1 e 11.22 -1.2 11.38 08.01. PvB Andante - Emg Mkts K (USD) USD 2/1 bf 16330.95 4.0 16330.95 31.01.
JPM Europe Eq A acc-EUR EUR 2/2 el 18.22 -2.4 19.41 24.01. Total Return Bd Inst Hdg CHF 1/1 e 11.01 -2.1 11.24 03.01. PvB Andante - Global K (CHF) CHF 2/1 bf 11146.75 2.3 11146.75 31.01.
JPM Europe Eq Plus A(Perf)acc EUR EUR 2/2 el 16.73 -2.3 17.77 19.01. Aktienfonds PvB Andante - Global K (USD) USD 2/1 bf 13928.65 2.3 13928.65 31.01.
JPM Europe Tec A acc-EUR EUR 2/2 el 42.51 3.6 44.00 22.01. MLP & Energy Infrastructure Inst acc USD 2/1 e 7.49 -6.1 8.75 23.01. Andere Fonds
Strategiefonds PIMCO RAE Fdtl PLUS EM Inst acc USD 4/4 e 14.66 4.8 15.62 26.01. PvB Asset-Backed Securities Fund A USD 2/3 b 3687.86 0.9 3694.25 31.01.
JPM Global Income A div CHF (h) CHF 3/1 el 118.31 -1.9 122.23 24.01. PIMCO RAE Fdtl PLUS Gbl Dev Inst accUSD 4/4 e 15.53 1.1 16.49 26.01. PvB Asset-Backed Securities Fund I CHF 2/3 b 1654.66 0.3 1659.79 31.01.
JPM Global Macro Op A Acc CHF CHF 4/4 el 122.69 5.3 123.46 19.01. PIMCO RAE Fdtl PLUS US Inst acc USD 4/4 e 17.09 1.4 18.08 26.01. PvB Asset-Backed Securities Fund I USD 2/3 b 1674.94 1.0 1676.45 31.01.
Strategiefonds PvB Asset-Backed Securities Fund S USD 2/3 b 258.61 0.9 259.06 31.01.
Global Multi-Asset Inst acc USD 1/1 e 17.19 0.7 17.84 26.01.

Erklärung Indizes
Konditionen bei der Ausgabe und Rücknahme von Anteilen:
Die erste Ziffer verweist auf die Konditionen bei der Ausgabe von Anteilen:
1. keine Ausgabekommission und/oder Gebühren zugunsten des Fonds (Ausgabe erfolgt zum Inventarwert)
2. Ausgabekommission zugunsten der Fondsleitung und/oder des Vertriebsträgers
SCHRODER INVESTMENT MANAGEMENT
(kann bei gleichem Fonds je nach Vertriebskanal unterschiedlich sein)
(SWITZERLAND) AG, LUX-SICAV 3. Transaktionsgebühr zugunsten des Fonds (Beitrag zur Deckung der Spesen bei der Anlage neu zufliessender Mittel)
www.schroders.ch, Tel. 0800 8 4444 8 WYDLER ASSET MANAGEMENT AG 4. Kombination von 2) und 3)
contact@schroders.ch www.wydlerinvest.ch 5. Besondere Bedingungen bei der Ausgabe von Anteilen
Die zweite, kursiv gedruckte Ziffer verweist auf die Konditionen bei der Rücknahme von Anteilen:
Obligationenfonds Obligationenfonds 1. keine Rücknahmekommission und/oder Gebühren zugunsten des Fonds (Rücknahme erfolgt zum Inventarwert)
Em Mkts Dbt Ab Return A Acc USD 2/2 e 28.84 2.2 29.32 25.01. Wydler Global Bond Fund CHF 1/1 e 131.89 -0.3 134.58 23.01. ANLAGEFONDS – 2. Rücknahmekommission zugunsten der Fondsleitung und/oder des Vertriebsträgers
(kann bei gleichem Fonds je nach Vertriebskanal unterschiedlich sein)
EURO Corporate Bond A Acc EUR 2/2 e 22.29 -0.5 22.49 23.01. Aktienfonds
3. Transaktionsgebühr zugunsten des Fonds (Beitrag zur Deckung der Spesen beim Verkauf von Anlagen)
Gl Cred.Dur.Hgd A Acc EUR 2/2 e 112.69 -0.7 114.47 05.02. Wydler Global Equity Fund CHF 3/3 a 238.10 2.0 248.16 23.01. TRANSPARENTE UND 4. Kombination von 2) und 3)
Global Corporate Bond A Acc USD 2/2 e 11.06 -1.6 11.25 08.01. 5. Besondere Bedingungen bei der Rücknahme von Anteilen
Strategic Bond A Acc USD 2/2 e 148.06 2.2 149.09 06.03. BEWÄHRTE FINANZ-
Besonderheiten:
Aktienfonds a) wöchentliche Bewertung
Emerging Markets A Acc USD 2/2 e 17.54 5.2 18.23 29.01.
PRODUKTE. MEHR UNTER: b) monatliche Bewertung
c) quartalsweise Bewertung
European Large Cap A Acc 258.23 -1.1 275.31 23.01.
European Value A Acc
EUR 2/2 e

EUR 2/2 e 64.93 -2.6 70.21 24.01.

WWW.SWISSFUNDDATA.CH d) keine regelmässige Ausgabe und Rücknahme von Anteilen
e) Vortagespreis
Gl Climate Change Eq A Acc USD 2/2 e 15.17 2.0 15.80 25.01. f) frühere Bewertung
Global Energy A Acc USD 2/2 e 15.78 -3.8 17.94 25.01. g) Ausgabe von Anteilen vorübergehend eingestellt
h) Ausg. und Rückn. von Anteilen vorübergehend eingestellt
Global Equity A Acc USD 2/2 e 26.13 2.9 27.37 29.01.
i) Preisindikation
Middle East A Acc USD 1/1 e 12.64 4.9 12.90 25.01. l) in Liquidation
Swiss Equity Opp. A Acc CHF 2/2 e 193.59 -4.3 208.67 24.01. x) nach Ertrags- und/oder Kursgewinnausschüttung
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NZZ am Sonntag 18. März 2018
Wirtschaft 29

Stahlzölle: Wo Trump ein wenig recht hat

Der US-Präsident geht im Handelsstreit auf Konfrontationskurs mit China und zwingt Europa mitzumachen
Birgit Voigt

INA FASSBENDER / REUTERS

USA erheben weniger Zölle
Donald Trump hat die Lunte an- Zölle für importierte Waren
gezündet. Sein Beschluss, ab dem in den USA und in der EU (ohne
23. März deutlich höhere Import- Agrarprodukte)
zölle auf Stahl und Aluminium zu
erheben, bringt die globale Han- Abgabestufe
delsordnung ins Wanken. Die zollfrei
Attacke ist hierbei offenbar nur 0,1–5%
der Auftakt für eine Kraftprobe
5–10%
mit China, bei der Europa in eine
unterstützende Rolle gezwungen 10–15%
werden soll. Die jüngsten Ent- 15–50%
wicklungen im Streit um die
Stahltarife bieten jedenfalls Argu- 4,8%
2,2%
mente für diese These.
Die Drohkulisse beim Stahl
lässt vorerst einmal alle betroffe-
nen Interessengruppen fieberhaft 16,7%
bei der US-Regierung weibeln,
um eine Ausnahmeregelung zu
erhalten. Kanada und Mexiko als
USA* 48,4%

grossen Stahlimporteuren stellte

Trump schon eine in Aussicht –
wenn sie beim Freihandels-
abkommen Nafta Zugeständnisse
machen.
Martin Naville von der Schwei-
zerisch-Amerikanischen Handels-
kammer erwartet, dass es weitere
Ausnahmen für offiziell verbün-
dete Nationen geben wird, wenn
sie im Gegenzug etwas anbieten.
Trotz der allgemeinen Empörung
sei es ein Fakt, dass die USA eher
tiefere Importschranken hätten
als alle anderen: «Die Art des Vor-
gehens ist nicht diplomatisch-
höflich, aber zeitigt Erfolge.»
EU hat eher tiefe Zölle
Gemäss Statistiken der Welt-
handelsorganisation WTO schüt-
zen die Europäer ihre Waren mit
Einfuhrzöllen in der Höhe von
4,2%, die Amerikaner im Gegen-
zug nur mit 3,2%. Protektionisti-
scher ist Europa bei landwirt-
schaftlichen Produkten: Einfuh-
ren sind mit 11% verteuert, in den
USA nur mir 5%. Das von Trump
vorgebrachte Argument der un-
gleich langen Spiesse hat für
China mehr Berechtigung. China
schützt die eigenen Unterneh-
men vor ausländischen Übernah-
men und belegt Nichtagrargüter
durchschnittlich mit 9% Einfuhr-
zoll, Agrarprodukte mit 15,5%.
Doch auch die Amerikaner sind
nicht ohne Fehl und Tadel. Sie be-
legen zwar normale Autos nur mit
geringen Einfuhrsteuern in Höhe
von 2,5%, doch auf sogenannte
Pick-up-Trucks und Vans schla-
gen sie 25% drauf. Die US-Tabak-
farmer können sich hinter Tarifen
in Höhe von durchschnittlich 19%
verstecken. Auf manchen Rauch-
waren lastet ein Zoll von 350%.
Simon Evenett, Professor für
internationalen Handel und wirt-
schaftliche Entwicklung an der
Universität St. Gallen, hält fest:
«Grundsätzlich sind die Zölle, die
die USA und die EU im gegenseiti-
gen Warenhandel erheben, sehr
tief. Was Präsident Trump da über
‹sehr hohe Zölle› sagt, ist falsch.»
Beide Seiten hätten eine geringe
Ein Funkenregen begleitet die Stahlschmelze im grössten Stahlwerk Europas, betrieben von Thyssen-Krupp. (Duisburg, 6. Dezember 2012)
Mexiko für Freihandel
Der Ausbruch der Finanzkrise
2008 hat viele Industrienatio-
nen dazu bewogen, die eigene
Wirtschaft durch Handels-
barrieren zu schützen, wie die
Autoren Simon Evenett und
Johannes Fritz im «21st Global
Trade Alert Report» schreiben.
Mexiko schwamm gegen den
Strom mit 7620 Zollsenkungen
und nur 556 Erhöhungen. China
hat in der gleichen Zeit 437-mal
Einfuhrzölle erhöht und 472-mal
auf anderen Produkten gesenkt.
Die USA steigerten in den letz-
ten 10 Jahren nur 63-mal Ein-
fuhrzölle auf bestimmten
Gütern und senkten sie auf 112
Warengruppen. (vob.)
Zahl an «Ausreissern», die das
praktisch fertig ausgearbeitete
Transatlantische Handelsabkom-
men TTIP beseitigt hätte. Doch
Trump beerdigte das Projekt.
Der Wirtschaftsprofessor sieht
die Massnahmen vor allem
innenpolitisch motiviert, denn
im Herbst stehen Neuwahlen für
das gesamte US-Repräsentanten-
haus und einen Teil der Sitze im
Senat an: «Der vermeintliche
Schutz für die US-Stahlproduk-
tion soll die Kernwähler von
Donald Trump mobilisieren.»
Aus welcher Motivation auch
immer: Die US-Regierung spielt
mit Gusto auf der Klaviatur der
Emotionen und schürt Ängste der
Betroffenen. Die Nation der Auto-
bauer erlitt letztes Wochenende
geradezu eine Panikattacke, als
Trump drohte, Gegenmassnah-
men der EU mit Strafzöllen auf
deutsche Autos zu kontern.
In den letzten Tagen kamen
nun aber ganz neue Töne aus
Washington. Nach der Peitsche
ein Krümel Zuckerbrot. Trumps
Handelsberater Robert Lighthizer
liess bei Gesprächen in Brüssel er-
kennen, man werde der EU eine
Ausnahme von den Zöllen gewäh-
ren, wenn sich die Europäer mit
den Amerikanern zusammen
gegen «unfaire chinesische Han-
delspraktiken» wehrten.
Widerwillig gegen China
So oder so haben die Amerikaner
Europa zumindest im Stahlkon-
flikt bereits gegen China in Stel-
lung gebracht. Denn für die Euro-
päer ist der Zugang zum US-Markt
zwar wichtig, aber selbst wenn
der gesichert werden kann, kom-
men Probleme auf die Stahl-
kocher zu. Sie fürchten, der euro-
päische Heimmarkt könnte von
jenen chinesischen, russischen
und indischen Anbietern geflutet
werden, die aus dem US-Markt
gedrängt werden.
Besonders China stelle staat-
lich subventioniert viel mehr
Stahl her, als es selbst verbrauche,
heisst es aus der deutschen Stahl-
industrie. Der Lobbyverband
Wirtschaftsvereinigung Stahl for-
dert deshalb Schutzzölle für den
EU-Raum und übernimmt damit
aus Eigeninteresse einen Teil der
Forderungen der US-Regierung.
Während die globale Aufmerk-
samkeit noch auf diesen Brand-
herd gerichtet ist, arbeitet die
26,3%
1,6%
7,3%
26,4%
27,1%
EU
37,6%
* Die zur Verfügung gestellten Zahlen
ergeben total nur 98,4% statt 100%
Quelle: WTO
Trump-Administration offenbar sen ein Viertel der erzielten volks-
an neuen Sanktionen, die sich wirtschaftlichen Gewinne aus
ganz direkt gegen China richten. dem Handel vernichten würde.»
Die Chinesen setzen fast ein Kommt es zu dieser Eskala-
Fünftel ihrer Exporte in den USA tion, wird auch die hiesige Wirt-
ab. Daraus entsteht für die USA schaft leiden. Im letzten Jahr ver-
ein Handelsbilanzdefizit von rund kauften Schweizer Firmen Waren
347 Mrd. $ jährlich. Laut «Wall für 45 Mrd. Fr. nach Deutschland,
Street Journal» visiert die US-Re- für 36 Mrd. Fr. in die USA und für
gierung nun chinesische Importe 24 Mrd. nach China. Das ergibt
im Wert von mindestens 30 Mrd. mehr als ein Drittel aller Exporte.
$ an, die sanktioniert werden sol- Beim Staatssekretariat für
len. Bisher hat Peking zurückhal- Wirtschaft (Seco) beschäftigt sich
tend auf alle Drohungen reagiert. eine Expertengruppe vorerst nur
Doch der Riese wird sich Ein- mit den Folgen der angedrohten
schnitte nicht ohne Gegenwehr Importzölle auf Stahl und Alumi-
gefallen lassen. nium. Grundsätzlich seien sie
Wirtschaftsprofessor Ralph aufgrund des eher geringen Han-
Ossa von der Universität Zürich ist delsvolumens wohl klein, sagt
Spezialist für globalen Handel. Er Seco-Sprecher Fabian Maien-
plädiert mit Nachdruck dafür, das fisch: «Dennoch könnten diese
bestehende Freihandelssystem Zölle für einzelne Firmen ein-
mit seinen etablierten Handels- schneidend sein.» Die Schweiz
und Konfliktlösungsregeln zu be- werde die amerikanischen Behör-
schützen. «Das heisst nicht, dass den deshalb um eine Befreiung
die betroffenen Länder sich nicht von Handelsschutzmassnahmen
wehren sollen, aber dies sollte ersuchen. Darüber hinaus prüfe
innerhalb des etablierten Prozes- die Schweiz alle Optionen, um
ses der WTO geschehen.» Ein ihre Interessen zu verteidigen.
weltweiter Handelskrieg hätte «Denn die von den USA angekün-
«verheerende» Folgen. «Meine digten Massnahmen sind ein An-
Forschung legt nahe, dass die Er- griff auf den freien Handel und
richtung von globalen Hemmnis- das macht uns Sorgen.»
KMU-HSG.CH

Der Praxisbezug, der Austausch mit den Teilnehmenden

sowie die vermittelten Instrumente verweben sich
während des Intensivstudiums KMU zu einer ganz-
heitlichen Betrachtungsweise – wertvolle Impulse für

Weiterbildung für unternehmerische meine tägliche Arbeit als Standortleiterin.

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Mitglied der GL, Itten + Brechbühl AG
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30 Wirtschaft NZZ am Sonntag 18. März 2018

Personenund Mein Standpunkt Beat Kappeler

Unternehmen Netze bringen Nutzen ohne Kosten. Das ist auch
ohne Kommunikationsstudium zu verstehen
Yoox Net-A-Porter. Der Verwaltungsrat

der italienischen Online-Verkaufs-
plattform Yoox Net-A-Porter (YNAP) hält
das Übernahmeangebot des Schweizer
Luxusgüterkonzerns Richemont für
angemessen. Der Preis von 38 € für jede
im Rahmen des Angebots angediente
Stammaktie von YNAP sei «aus finanziel-
ler Sicht angemessen», teilte YNAP
in der Nacht auf Samstag. Richemont hält
bereits 49% an YNAP. (awp.)
Loanboox. Die Zürcher Firma wurde an
den Swiss Fintech Awards Night als bestes
Fintech-Startup der Schweiz ausgezeich-
net. Loanboox betreibt eine Finanzie-
rungs-Plattform für die Bedürfnisse der
öffentlichen Hand und befindet sich in
voller Expansion. In der Kategorie bestes
Startup der Frühphase gewann die Block-
chain-Firma Proxeus. (stä.)
Sennheiser. Der Markt für Kopfhörer
boomt, Modelle mit Umgebungslärm-
unterdrückung oder ohne Kabel besche-
ren den Herstellern höhere Umsätze.
Trotzdem muss die deutsche Edelmarke
Sennheiser nun auf die Sparbremse
treten, wie das «Handelsblatt» berichtet.
Der Familienkonzern
baut 182 Stellen ab
und will 25 Millionen
Euro weniger aus-
geben. Offenbar
leidet das Traditions-
unternehmen unter
Konkurrenten, die
nicht unbedingt
einen besseren Klang,
aber ein cooleres
Design liefern. (mju.)
D
ie Netze prägen Wirtschaft und
Gesellschaft, aber den meisten
deutschsprachigen Professo-
ren und Autoren fehlt die Ein-
sicht in den zentralen Punkt
der Netze. Dieser Punkt heisst
ganz einfach, dass Netze nichts kosten, um
sich auszudehnen, weder für die Erfinder
noch für die Nutzer. Netze haben externe,
positive Wirkungen für alle Beteiligten,
«positive Externalitäten». Wir kennen nega-
tive externe Wirkungen aus der Umwelt-
diskussion. Viele private Tätigkeiten wälzen
manche Kosten auf andere ab, schlechte
Luft, Lärm, Artenverlust etwa. Netze aber
bringen ökonomischen und gesellschaft-
lichen Nutzen, ohne dass er kostet. Deshalb
explodieren ihre Nutzerzahlen, deshalb
werden die Erfinder und Betreiber reich.
Einfache Mathematik wäre da in den Lehr-
büchern anzuführen, wie es der amerikani-
sche Erfinder Bob Metcalfe schon in den
siebziger Jahren tat. Netze schaffen, grob
gesagt, Kontaktmöglichkeiten im Ausmass
der Anzahl Nutzer hoch zwei. Oder man
nehme die schöne Rechnung, wie viel Mal
hundert Leute an einem «Networking»-
Apéro sich die Hände schütteln. Dieses
«Netz» kommt auf 99-mal 50 Händedrücke.
Kein deutschsprachiges Buch, das in der
Universitätsbibliothek Bern zu Netzen oder
Medien steht, scheint diesen einfachen Sach-
verhalt zu kennen und zu lehren.
Ausserdem sollten sie die Netze auch öko-
nomisch ausleuchten – Netze haben keine
Grenzkosten. Die Kosten des letzten noch
angebotenen Kontakts sind immer noch null,
während sie in der klassischen Güter- und
Dienstewirtschaft mit der Zeit stark anstei-
gen. Das ist mit einem Schuhgeschäft zu
vergleichen. Es stellt einen Verkäufer für
50 000 Franken ein, der im Jahr zweitausend
Stück verkauft und damit 25 Franken Lohn-
kosten pro Paar verursacht. Wenn es gut
läuft, wird ein zweiter angestellt, und sie
verkaufen vielleicht dreitausend Paare. Die
Lohnkosten der zusätzlich verkauften
Schuhe sind nun aber 50 Franken, die Grenz-
kosten steigen an. Irgendwann rechnet sich
die Expansion nicht mehr, das Geschäft
bescheidet sich mit dem, was gut läuft.
Die völlig anders laufenden Gesetzmässig-
keiten erklären die Expansion und die Domi-
nanz der Netze. Eine Kommunikationslehre,
welche den Studenten nicht erklären kann,
wie das läuft, bereitet sie schlecht auf die
modernen Zeiten vor.
Autoren, etwa Manfred Fassler, faseln von
«Babylonisierung und Debabylonisierung»
oder Helmut Schanze von «medientech-
nisch-medialem Apriori». Es herrscht die
übliche verdrehte, vermeintlich wissen-
schaftliche Sprache. Es werden kaum angel-
sächsische Autoren zitiert, dafür viele ver-
blasste Philosophen wie Platon, Kant, Hegel,
Barthes, Walter Benjamin – alle tot lange vor
dem Internet. Die erwähnten, einfachen
mathematischen Muster anzuführen, scheint
unter der Würde solcher deutschsprachiger
Uni-Lehrgänge zu sein. Hingegen taucht
sofort der moralische Warnfinger auf. Welt-
weiter Gedächtnisverlust würde folgen,
Fragen um Migranten oder Gender seien zu
diskutieren, Desinformation drohe an jeder
Ecke, eher, mit jedem Klick. Es erinnert mich
an die frühere Klosterschule, wo die Patres
eindringlich gegen die Gefahren «der
Moderne» warnten.
Angelsächsische Autoren schreiben besser.
Kevin Kelly vom Heft «Wired» schrieb 1998
alles Wesentliche fast zeitgleich mit der Aus-
breitung des Internet in «New Rules for the
New Economy». Der Titel sagt alles, der
Was nützt den Inhalt bringt es, einfach und eingängig ver-
Studenten ein fasst, ohne Rückgriff auf Platon oder Hegel.
lückenhaftes Der amerikanische Autor Lewis Hyde
hatte schon 1983 geahnt und geschrieben,
Studium von dass dank der Fülle neuer Zeiten ein
Kommunika- Geschäftsmodell «in der Gabe» liege, dass oft
tion? Junge das Hauptprodukt gratis abgeben werde, um
Leute haben parallel das Geld zu verdienen. Das verwirk-
Besseres ver- licht sich heute zulasten der Druckmedien,
weil Inhalte gratis auf Netzen zirkulieren,
dient. Sie aber mit Werbung, Veranstaltungen, Versand
sollten ein parallel verdient wird. Solches zeigen viele
präzises Fach Lehrbücher hierzulande aber nicht oder nur
studieren – mit Warnfinger.
Es ist auch deshalb klar, warum die neuen
Geologie, Jura, Netze, Millionäre und Modelle nicht aus
Ökonomie, Europa kommen, sondern aus der angelsäch-
Literatur. sischen Welt. Die Autoren Metcalfe, Kelly
und Hyde drapierten sich nie als Professoren,
sondern waren in der praktischen Internet-
Welt oder in Medien tätig.
Der Schluss daraus: Was nützt den Hun-
derten von Studenten in der Schweiz und
den Tausenden in Europa ein lückenhaftes
Studium von Kommunikation? Oder ist es
eine schlechte Bibliothek in Bern? Die jungen
Leute haben Besseres verdient. Sie sollten
ein präzises Fach studieren – Geologie, Jura,
Ökonomie, Literatur. Oder Berufsleute sollen
in die Medien gehen, weil auch sie Fach-
wissen haben. Das bisschen Anwendung
lernt man schnell «on the job», auch durch
Fehler und Versagen. Dafür hat man einen
Schulsack auch für anderes, für alle Fälle.

Baselworld füllt Hallen nur zur Hälfte

Das mit Steuergeld finanzierte Messezentrum muss fünf Jahre nach dem Bau Abschreibungen vornehmen
Franziska Pfister Platz zu schaffen, waren zudem Kritische Nachfragen aus dem
GEORGIOS KEFALAS / KEYSTONE

mehrere Bauten abgerissen wor- Kantonsparlament parierte die

Nie pulsiert Basel mehr als zur
Uhren- und Schmuckmesse. Jede
Kammer bis weit ins Umland ist
belegt, die Wirte winken bei An-
fragen für Tische nur müde ab.
Zumindest war es so.
Wenn die Baselworld am Don-
nerstag die Tore öffnet, herrscht
trotz dem Aufschwung in der
Uhrenbranche eher Unmut statt
Euphorie. Denn dieses Jahr reisen
nur halb so viele Aussteller an wie
zuletzt – obwohl die Hausherrin
MCH Messe Schweiz die Stand-
miete im Vorfeld um 10% gesenkt
und die Veranstaltung um zwei
Tage verkürzt hatte.
Neben der Kunstmesse Art
Basel ist Baselworld das wich-
tigste Standbein des Messeunter-
nehmens. Der Schwund der Mes-
se drückt das parastaatliche
Unternehmen in die roten Zah-
len: 2017 fällt ein Verlust von
110 Mio. Fr. an, weil bereits fünf
Jahre nach Eröffnung des neuen
Messegebäudes in Basel Ab-
schreibungen vorgenommen
werden müssen. Das Projekt hat
annähernd einen Jahresumsatz
verschlungen: Statt der budge-
tierten 350 Mio. Fr. kostete das
Bauwerk 430 Mio. Fr. Nun, fünf
Jahre nach der Fertigstellung,
muss das Unternehmen rund ein
Viertel davon abschreiben.
In der Stadt am Rheinknie gibt
das zu reden. Schliesslich hatte
die öffentliche Hand wegen der
«grossen volkswirtschaftlichen
den, darunter die denkmal-
geschützte Rundhofhalle.
Trotz den staatlichen Beihilfen
entging Messe Basel den üblicher-
weise an sie geknüpften Auf-
lagen. Ein Architekturwettbe-
werb blieb aus, der Auftrag ging
direkt an das Basler Architektur-
büro Herzog & de Meuron. Die mit
dem Bau verbundenen Aufträge
wurden ebenfalls nicht öffentlich
ausgeschrieben. Schon damals
stand die Frage im Raum, warum
der Staat eine kotierte Gesell-
schaft unterstütze, die regel-
mässig Dividenden ausschüttete
und Gewinn schrieb.
Dennoch reüssierte das Projekt
in beiden Basel an der Urne. Das
lag wohl nicht zuletzt an der
Drohkulisse, welche Politik und
Messe Basel aufgebaut hatten.
Die Baselworld könne überall auf
der Welt durchgeführt werden,
sagte Messe-Schweiz-Chef René
Kamm vor der Abstimmung.
Werde nicht gebaut, drohten mit-
telfristig eine Halbierung der
jährlichen Wertschöpfung auf
900 Mio. Fr. des Messebetriebs
und der Verlust von bis zu 5000
Arbeitsplätzen in der Region,
warnte der Basler Regierungsrat.
Offenbar hatte niemand kom-
men sehen, dass Messen in Zeiten
der Digitalisierung weniger Zu-
lauf haben. Umso irritierender ist,
dass Messe Schweiz dies im
Februar 2018 selbst einräumte:
«Schon seit Jahren zeichnet sich
Regierung stoisch. Nein, Bau-
nebengewerbe, Hotellerie, Gas-
tronomie und Verkehrsunterneh-
men würden in Zukunft «nicht
mehr in gleichem Ausmass» von
der Baselworld profitieren wie in
den letzten Jahren, räumte die
Regierung im Dezember ein. «Der
Regierungsrat schliesst sich der
Meinung der Messeverantwort-
lichen an, dass die Marktverände-
rungen noch nicht abgeschlossen
sind [...]», heisst es in einer Stel-
lungnahme von Dezember 2017.
Die Strategie von Messe Schweiz
sei jedoch aus Sicht der Regierung
plausibel.
Hier spiegelt sich das Grund-
problem der Trägerschafts-Struk-
tur: Mangels unternehmerischer
Expertise im Messegeschäft müs-
sen sich die Behörden dem
Management anschliessen. Und
Letzteres tappt offenbar im Dun-
keln: Die Entwicklung der Basel-
world über das laufende Jahr hin-
aus sei «nur schwer abschätzbar»,
heisst es.
Die Messe Schweiz bewegt sich
im Grenzbereich zwischen Privat-
wirtschaft und öffentlich-rechtli-
cher Gesellschaft. So profitiert die
Firma bis Ende 2020 von einer
teilweisen Steuerbefreiung.
Die vier staatlichen Aktionäre
halten zusammen eine Beteili-
gung von 49%. Das Unternehmen
Blick Richtung Event-Halle des vor fünf Jahren eröffneten Messgebäudes in Basel. (13. Februar 2013) hat einen elfköpfigen Verwal-
tungsrat, und das bei einem Um-
satz von knapp 500 Mio. Fr. Die

Bedeutung» des Messebetriebs
den Grossteil der Baukosten über-
nommen. 310 Mio. Fr. schossen
die vier Hauptaktionäre, die Kan-
tone Basel-Stadt, Baselland,
Zürich und die Stadt Zürich in
Form von Darlehen und Investi-
tionsbeihilfen vor. Davon waren
90 Mio. Fr. à fonds perdu, also ein
Geschenk der Steuerzahler. Um
ab, dass das wirtschaftliche Um-
feld für das nationale Messe- und
Eventgeschäft zunehmend
schwieriger wird.» Die Messe-
branche befindet sich laut den
Basler Behörden in einem «tief-
greifenden Umbruch», den weder
die Messebetreiberin noch sie
selbst beeinflussen könnten. Die
Veränderungen dürften sich in
den nächsten Jahren fortsetzen;
wie es für die Baselworld weiter-
gehe, sei schwer abschätzbar.
Dennoch beurteilt der Kanton
die öffentlichen Investitionen
rückblickend als sinnvoll. Der
Neubau sei trotz Redimensionie-
rung «ein Erfolg», erklärt Brigitte
Meyer, Generalsekretärin des
baselstädtischen Departements
für Wirtschaft, Soziales und
Umwelt. 2007 hatte es noch ganz
anders getönt: Eine Redimensio-
nierung würde zu einem «mar-
kanten Bedeutungsverlust des
Standorts Basel im Messegeschäft
führen und hätte spürbare wirt-
schaftliche Folgen für die ganze
Region», schrieb die Regierung
damals.
102
öffentliche Hand ist mit sechs
Personen vertreten. Grösste
Aktionärin ist Basel-Stadt mit
Mio.Fr. einem Drittel, Kanton und Stadt
Zürich kontrollieren weitere
muss die MCH Group im ab- 7,7%. Das soll so bleiben: Eine
gelaufenen Geschäftsjahr Veräusserung der Beteiligung an
abschreiben. Das führt zu einem MCH sei «derzeit nicht oppor-
Verlust von 110 Mio. Fr. tun», antwortet die Basler Regie-
rung auf Anfrage eines Grossrats.
NZZ am Sonntag 18. März 2018
Wirtschaft Kryptowährungen 31

Digitales Geld

HANNA ANDRESDOTTIR / EPA

hat Zukunft,
Bitcoin kaum
Die Kryptowährung Bitcoin genügt
den Ansprüchen eines modernen
Finanzsystems nicht – die digitale
Technologie dahinter wird sich
durchsetzen. Von Daniel Heller*

Auf Island werden Bitcoin geschürft: Der Strom für die Computer in dieser Anlage kostet 1 Mio. € im Monat. (Fitjar, Reykjanes, 17. 2. 2018)

N
och ist kein Ende des Hypes um die
digitale Währung Bitcoin abzu-
sehen. Sonst eher bedachte Profes-
soren, Zentralbanker und hoch-
rangige Finanzexperten halten sich nicht zu-
rück mit markigen, oft negativen Aussagen
über Bitcoin. Dem gegenüber stehen die Vor-
hersagen von Vertretern der Kryptoszene, die
staatlich herausgegebenes Geld als Auslauf-
modell sehen. Auch die Banken- und Markt-
aufsichtsbehörde Finma hat neuerlich eine
Wegleitung erlassen, welche gewisse Aspekte
der Herausgabe digitaler Münzen regeln soll.
Bitcoin ist im Grunde nichts anderes als ein
neuartiges Zahlungsmittel für das Publikum,
das es erlaubt, Zahlungen im Internet ohne
einen Intermediär abzuwickeln. Im Geschäfts-
feld der Massenzahlungen kämpfen traditio-
nelle Anbieter wie Kreditkartenfirmen gegen
neue Anbieter von mobilen, App-basierten
Anwendungen. Bedeutend einschneidendere
Veränderungen sind eher von der Art und
Weise zu erwarten, wie der Aktien- und Obli-
gationenhandel oder Interbankengeschäfte in
Zukunft abgewickelt werden.
Geldüberweisung ohne Bank
Bitcoin basiert auf einem ingeniösen Konzept.
Anstelle eines Intermediärs (Bank, Clearing-
stelle) werden Zahlungen direkt zwischen
Käufer und Verkäufer über das Internet abge-
wickelt. Die Zahlungsaufträge sind verschlüs-
selt und werden von einer Vielzahl unabhän-
giger Buchprüfer auf ihre Echtheit überprüft.
Nach erfolgter Validierung speichert jeder
Bitcoin-Kurs Buchprüfer die Transaktionen in identischen
seit einem Jahr Datensätzen (blockchains) auf seiner Fest-
platte ab. Dies führt zu einer dezentralen
Datenbank (distributed ledger technology).
20 000 Fr. Der Vorteil dieser Verarbeitungsweise liegt
darin, dass durch die dezentrale Speicherung
15 000 identischer Daten Angriffe von Cyberkrimi-
nellen oder Terroristen die Funktion des Sys-
tems kaum beeinträchtigen. Heutige zentral
10 000 organisierte Finanzmarktinfrastrukturen, die
meistens auf zwei identischen Rechenzentren
5000 beruhen, sind verwundbarer und ihre tempo-
räre Nichtverfügbarkeit wahrscheinlicher.
Trotz diesen Vorzügen ist Bitcoin ein rudi-
0
mentärer Prototyp, der den Anforderungen
2017 2018
des modernen Finanzsystems nicht gerecht
Der Wert von zu werden vermag. Die Liste gravierender
Bitcoin ist hoch Schwächen ist lang: Das System ist viel zu
volatil: Im Dezem- langsam und zu schwerfällig, um grosse Volu-
ber kletterte er auf men zu verarbeiten. Durch seine offene Netz-
über 18 000 Fr., werkarchitektur ist es unmöglich, den Zugang
gestern Samstag zum System ausreichend zu kontrollieren. So
lag er bloss noch können nicht alle Buchprüfer identifiziert und
bei 7650 Fr. bei Fehlverhalten zur Rechenschaft gezogen
werden. Letztlich machen die massiven Preis-
schwankungen Bitcoin als Zahlungsmittel für
Finanzmarkt-Transaktionen ungeeignet.
Die durch Bitcoin eingeführte Verschlüsse-
lung von Transaktionen und ihrer dezentralen
Speicherung in einer Blockchain lässt sich auf
praktisch alle Vermögenswerte und Finanz-
aktiva anwenden. So können auch Aktien,
Obligationen oder Kredite mit derselben
Technologie bilateral zwischen Marktteilneh-
mern ausgetauscht werden. Nicht nur die Ab-
wicklung, das heisst die Übertragung von
Eigentum der Finanzaktiva, sondern auch der
Handel kann dank Blockchain oder Distribu-
ted Ledger Technologie dezentral erfolgen.
Dies bedeutet, dass Börsen und zentrale Wert-
schriftenverwahrer möglicherweise nicht
mehr benötigt werden. In den letzten Jahren
haben Technologiefirmen wie Amazon, Goo-
gle, Microsoft und IBM sowie Startups und
neu gegründete Konsortien enorme Anstren-
gungen unternommen, um Lösungen zu ent-
wickeln, die Transaktionen mit Wertpapieren
und anderen Finanzaktiva über dezentrale
Netzwerke ermöglichen.
Verfrühte Prognosen
Ob und wie weit das künftige Finanzsystem
dezentralisiert sein wird, ist noch unklar. Die
Vorhersagen der Krypto-Enthusiasten, dass
ein radikaler Umbruch unmittelbar bevor-
stehe, sind heute eindeutig verfrüht. Das
Finanzsystem wird ja nicht auf einer grünen
Wiese neu gebaut, und die bestehenden Insti-
tutionen und Prozesse werden nicht plötzlich
verschwinden. Es ist aber gut möglich, dass
einige Abläufe schon bald auf die Blockchain
migriert werden. Das Potenzial der Block-
chain-Technologie kann hingegen nur dann
voll ausgeschöpft werden, wenn auch die Be-
zahlung mit derselben Technologie erfolgt. So
können Wertschriftengeschäfte am effizien-
testen und sichersten abgewickelt werden,
wenn Geld und Titel auf zwei separaten, aber
für die Eigentumsübertragung verbundenen
Blockchains gespeichert sind.
Die Frage ist, wer künftig ein digitales Zah-
lungsmittel auf der Blockchain für Abwick-
lungszwecke bereitstellen soll. Die internatio-
nalen Standards und das Schweizer Gesetz se-
hen vor, dass das Zahlungsmittel in system-
relevanten Finanzmarkt-Infrastrukturen keine
oder nur geringe Kredit- und Liquiditätsrisi-
ken aufweisen darf. Diese Bedingungen soll-
ten auch für blockchainbasierte Finanztrans-
aktionen gelten. Im Prinzip könnte die Geld-
seite über die Bitcoin-Blockchain abgewickelt
werden. Aufgrund der beschriebenen Risiken
kommt diese Lösung aber kaum in Frage. Um
den Ansprüchen der Regulatoren zu genügen,
ist zu erwarten, dass Blockchain-Geld für die
Abwicklung von Finanztransaktionen in
einem geschlossenen Netz mit klar definier-
ten Buchprüfern herauszugegeben wäre.
Ein offensichtlicher Kandidat für die Be-
reitstellung von blockchainbasiertem Geld für
die Abwicklung von Finanzmarkt-Transaktio-
nen sind Zentralbanken. Diese haben stets
darauf hingewirkt, dass systemrelevante
Finanzakteure ihre Transaktionen in Zentral-
bankgeld oder einem sehr nahen Substitut ab-
wickeln. Möglich ist auch, dass dereinst pri-
vate Anbieter wie Technologiefirmen oder
Konsortien von Finanzinstituten, überwacht
von der Zentralbank, digitales Blockchaingeld
herausgeben werden. Tech-Firmen und Uni-
versitäten forschen gegenwärtig daran.
*Daniel Heller forscht am Peterson Institute for Internatio-
nal Economics in Washington. Zuvor war er exekutiver
Direktor und Vertreter der Schweiz beim Internationalen
Währungsfonds und in Kaderposition bei der Nationalbank.

ETH-Professor Hans Gersbach

Soll die Nationalbank einen « Kryptofranken» herausgeben?

Verschiedene Zentralbanken be-
schäftigen sich ernsthaft damit,
selbst eine Kryptowährung aus-
zugeben. Um was geht es dabei?
Zuerst muss man definieren, was
eine solche Währung überhaupt
sein sollte. Es kann sich nur um
eine weitere Form des Schwei-
zerfrankens als gesetzliches Zah-
lungsmittel handeln, deshalb
nennen wir sie «Kryptofranken».
Sie würde aber im Unterschied
zu Banknoten nur digital existie-
ren, und Transaktionen würden
in neuesten Formen von dezen-
tralen Kontenbüchern (Block-
chains), die Teilnehmern des
Netzwerks Schreib- und Lese-
berechtigungen erlauben,
geführt und verifiziert werden.
Technisch wäre eine von der
Zentralbank ausgegebene
Kryptowährung grundsätzlich
möglich, aber viele Fragen müss-
ten zuvor geklärt werden: So die
Bestimmung des Kreises der
Marktakteure, welche Trans-
aktionen verifizieren können,
Transparenzanforderungen und
ob Zinszahlungen auf der Geld-
haltung und auf Schuldverschrei-
bungen auf der Kryptowährung
ermöglicht werden sollen.
Was könnte der «Kryptofran-
ken» leisten? Das heutige Geld
besteht aus Banknoten und grossen Teil aus jederzeit fälligen schätzung der Folgen von geld- Mandat und die Geldpolitik dann
Bankeinlagen. Die jederzeit fälli- Bankeinlagen besteht, würde politischen Instrumenten noch ausgestaltet werden können, ist
gen Bankeinlagen sind der wich- sich anders aufbauen, da der komplexer, da sich das Verhalten noch Thema der Forschung.
tigste Teil, sie haben in der Kryptofranken die Banknoten zwischen Kryptofranken und Angesichts der Probleme und
Schweiz ein Volumen von über und -einlagen verdrängte. Damit Bankeinlagen je nach Lage ungeklärten Fragen um Stabilität
500 Mrd. Fr. Bankeinlagen sind würde die Rolle von Bankein- ändern kann. Ob in einer Kon- und Steuerung der neuen Wäh-
bereits eine Form von Geld in lagen, welche bei der Vergabe stellation mit Bargeld, Krypto- rungsarchitektur ist es ratsam,
digitaler Form. Sie sind aber ein- von Bankkrediten und somit im franken und Bankeinlagen die auf das Experiment des Krypto-
fach Forderungen der Marktteil- Geldschöpfungsprozess entste- Geldpolitik effektiv gestaltet frankens vorläufig zu verzichten.
nehmer auf Banknoten und hen, wohl deutlich verkleinert. werden kann und wie das Hans Gersbach
werden durch Geschäftsbanken Der Weg zu einer neuen Wäh-
bei der Kreditvergabe erzeugt. Hans Gersbach, Professor für rungsarchitektur mit Bargeld,
Man könnte Kryptofranken als Makroökonomie an der ETH. Kryptofranken und Bankein- ANZEIGE
Ersatz für Banknoten anbieten. lagen wäre einem disruptiven
Diese haben aber klare Vorteile: Wandel ausgesetzt, mit Gefahren
Zahlungen mit Bargeld sind ein- tofrankens auf die gesamte Wäh- für die Stabilität des Banken-
fach und endgültig, Leistung und rungsarchitektur und vor allem systems, da sich Banken durch
Gegenleistung erfolgen simultan, auf die Geldschöpfung der ihre zeitlich gebundene Kredit-
Bargeld ist robust gegenüber Geschäftsbanken, auf die Geld- vergabe nicht schnell an einen
technischen Fehlern und erlaubt
eine bessere Selbstkontrolle. Nur
aggregate, die Finanzstabilität
und die Geldpolitik.
raschen Rückgang der Einlagen
anpassen könnten. Das Banken-
Die Führende.
Bargeld gewährleistet absolut Der Kryptofranken würde im system stünde vor einer kom-
anonyme Zahlungen und schützt Reifezustand zu einem engen pletten Änderung der Währungs-
so die Persönlichkeitsrechte. Im Ersatz für die Einlagen bei den architektur. Zudem müssten sich
Prinzip könnte die Krypto- Banken. Damit würde zwar das neue Arten der Kreditvergabe
währung helfen, Zahlungen Vertrauen in das Finanzsystem entwickeln, weil die traditionelle
schneller abzuwickeln und die gestärkt, da die Kunden bei man- Finanzierung durch Bankkredite
Kosten von Überweisungen zu gelndem Vertrauen in die Ban- zurückgehen würde.
senken. Allerdings handelt es ken zur Kryptowährung wech- Auch die Geldpolitik würde
sich bei der möglichen Kosten- seln könnten. Doch grosse struk- schwieriger: Neben den bisheri-
einsparung um Grössen, die turelle Veränderungen und neue gen geldpolitischen Instrumen-
höchstens marginal wären – und Stabilitätsrisiken für das Banken- ten wäre auch die Ausgabe und
heute noch nicht realisiert system würden folgen. Das Geld- die Steuerung der Kryptofran-
werden können. Viel massiver aggregat M1, das zum kleinen ken-Menge eine wichtige Auf-
wäre aber der Einfluss des Kryp- Teil aus Banknoten und zum gabe. Zudem würde die Ein-
Invest
Die Tech-Unternehmen Dropbox
und Spotify gehen an die Börse
Im Erfolgsfall werden sich rasch weitere Firmen mit Milliardenbewertungen dem
Publikum öffnen. Doch die Risiken sind hoch. Von Sophie Schimansky, New York
S
eit Wochen spekulieren Anleger und
Medien, wann die Cloud-Plattform
Dropbox an die Börse geht. Die Nach-
richtenagentur Reuters schrieb hastig,
es sei diese Woche so weit – ein Fehler. Der
Börsengang ist erst für nächsten Freitag ge-
plant. Wenn Technologieunternehmen an die
Börse gehen, ist die Aufregung besonders
gross. «Der Börsengang dürfte ein Meilenstein
werden», sagt Matt Kennedy von Renaissance
Capital, einer auf Börsengänge spezialisierten
Analysefirma. Die Unternehmen sind be-
kannt, alle kennen sie, viele nutzen die
Dienste selbst. Und dann tragen sie auch noch
einen eingängigen Namen. Man taufte sie Ein-
hörner, weil private Technologieunterneh-
men mit einer Marktbewertung von mehr als
1 Mrd. $ einst ein seltenes Phänomen waren.
Dropbox und Spotify sind demnach bereits
Decacorns. In privaten Finanzierungsrunden
hat die 2007 gegründete Dropbox bereits 10
Mrd. von Investoren eingesammelt. Spotifys
Bewertung liegt dank privaten Investoren bei
Betrüger können heute alles – ausser Deutsch
Geldspiegel
Jürg Meier
O
nlinebetrüger haben es besonders
auf Bankkunden abgesehen.
Erschleichen sie sich E-Banking-
Angaben, können sie ganze Konten
leerräumen. Derzeit warnt die Raiffeisen-
bank Kunden inständig vor Internetkrimina-
lität. Öffnet man das E-Banking, begrüsst
einen gleich ein roter Warnhinweis.
Laut der Bank werden die Methoden der
Gangster immer dreister. Stimmt: Sie schaf-
fen es, gefälschte Websites fast wie echt aus-
sehen zu lassen, wie ein von Raiffeisen ver-
etwa 19 Mrd. $. Doch beide Börsengänge ber-
gen Risiken. Sowohl Dropbox als auch Spotify
haben mächtige Konkurrenten: Mega-Kon-
zerne wie Apple, Google, Microsoft. Die sind
alte Hasen an der Börse und bieten sowohl
Musikstreaming als auch Cloud-Sharing an,
jeweils nur als Teile ihres breiten Portfolios.
Hinzu kommt, dass weder Spotify noch
Dropbox profitabel sind. Spotify machte in
2017 einen Verlust von 1,5 Mrd. $. Und auch
Dropbox weist noch keine Gewinne vor,
sondern machte 111 Mio. $ Verlust in 2017.
Gründer und CEO Drew Houston sagt, der
Weder Spotify noch
Dropbox sind profitabel.
Zudem haben beide
mächtige Konkurrenten
wie Apple, Google und
Microsoft.
öffentlichtes Beispiel zeigt. Nur eines
können die Betrüger noch nicht: richtiges
Deutsch.
Auf die Gefahr hin, einen allenfalls von
den Gangstern engagierten Korrektor in
Schwierigkeiten zu bringen, hier ein paar
Beispiele: Die Kriminellen versuchen derzeit,
mittels einer gefälschten Website an ein
Dokument zu gelangen, auf dem farbiges
Mosaik aufgedruckt ist. Raiffeisenkunden
benutzen es zur Identifikation. Worum es
sich genau handelt, erklären die Verbrecher
so: «Das ist ein Papierblatt mit der Abbildung
der grafischen Mosaik, die die Bank Ihnen
per Post zugeschickt hat.» Dieses Schreiben
solle nun bitte kopiert und übermittelt
werden, dazu gibt es folgende Ermahnung:
«Die Abbildung der grafischen Mosaik soll
lesbar sein.»
In einem anderen Fall bitten die Kriminel-
len um die Übermittlung der Kopie einer
Sicherheitskarte, die für das Einloggen nötig
ist. «Die Tabelle mit den Passwortzusätze (!)
soll lesbar sein», fügen sie an.
Die Texte sind nicht nur voller Fehler,
sondern sehr oft auch flapsig formuliert.
«Hallo, mein Name ist Patrick Sägesser, ich
Fokus liege auf Wachstum, nicht Gewinn. «Im
privaten Markt wird das toleriert, anders sieht
es die Börse», sagt Kathleen Smith von Renais-
sance Capital. Für börsengelistete Unterneh-
men besteht die Pflicht, jedes Quartal Zahlen
transparent darzulegen. Ein Verlust lässt sich
da nicht verbergen.
Das letzte Jahr hat gezeigt, dass Anleger vor
diesen Risiken zurückschrecken. Im März
2017 stieg Snap an der New Yorker Börse ein,
das Unternehmen hinter der Video-App Snap-
chat. Der IPO-Preis lag bei 17 $. Das Allzeit-
hoch von 27 $ erreichte die Aktie am zweiten
Handelstag. Inzwischen ist sie unter den Ein-
stiegspreis gefallen. Auch die Aktie von Blue
Apron hat seit dem Börsengang im Juni 2017
etwa 80% an Wert verloren. Die Firma bietet
Kochrezepte an und liefert die benötigten
Lebensmittel gleich nach Hause.
Diese Beispiele halten Unternehmen vom
Börsengang ab. In 2017 starteten nur 37 Tech-
Unternehmen an der Börse, sie nahmen insge-
samt 9,9 Mrd $ ein – 2014 waren es noch 56
vertrete die Kriminalpolizei», beginnt eine
gefälschte E-Mail. Aber hallo – ein Schreiben
der Polizei, das mit der Anrede «Hallo»
beginnt? Wer kann auf so etwas schon rein-
fallen?
Offenbar einige, sonst würden die Raiff-
eisenbank ihre Website nicht mit Warnungen
zupflastern. Die Erfahrung zeige, dass
Kunden immer wieder solchen Betrügern auf
den Leim gingen, sagt ein Sprecher von
Raiffeisen. Derzeit nehmen die Angriffe auf
Finanzinstitute generell zu.
Für Bankkunden kann das böse enden. Sie
haben Sorgfaltspflichten und dürfen etwa
E-Banking-Unterlagen und Passwörter nicht
herausgeben. «Werden diese Sorgfaltspflich-
ten verletzt, trägt der Kunde den daraus ent-
stehenden Schaden grundsätzlich selbst»,
sagt der Raiffeisen-Sprecher. Jeder Fall
werde aber «individuell beurteilt».
Aus Sicht der Raiffeisen liegt das Problem
nicht beim eigenen E-Banking-System.
Dieses genüge «den höchsten sicherheits-
technischen Anforderungen». Das wird sich
spätestens bei der nächsten Eskalationsstufe
zeigen: wenn die Kriminellen auch noch
fehlerfreies Deutsch beherrschen.
NZZ am Sonntag 18. März 2018
Ein gemischtes Bild
Die letzten grossen Tech-Börsengänge
Datum Firma/Tätigkeit Performance
23. 1. 2018 PagSeguro Digital 67,16%
Online-Zahlungsdienste
für Firmen in Brasilien
8. 11. 2017 Sogou –26,76%
Suchmaschine in China
19. 10. 2017 Sea –24,66%
Online-Gaming- und Shopping-
Plattform in Südostasien
5. 10. 2017 Switch –12,11%
Bietet Serverhousing-Services
19. 9. 2017 Despegar.com 27,23%
Führendes Online-Reisebüro
in Lateinamerika
28. 6. 2017 Blue Apron Holdings –78,50%
Mahlzeitenlieferservice
in den USA
1. 3. 2017 Snap 3,00%
Social-Media-Plattform Snapchat
Quelle: Renaissance Capital
IPO, die es insgesamt auf 32,9 Mrd. $ brachten.
So sind die beiden wertvollsten Startups Ame-
rikas noch in privater Hand. Fahrservice-App
Uber hat eine Marktbewertung von 72 Mrd. $,
die Miet-Plattform Airbnb ist Nummer zwei
mit 31 Mrd. $.
Das hat noch einen weiteren Grund. Der
private Markt ist bequemer denn je für Unter-
nehmen. In Zeiten von niedrigen Zinsen
fliesse das Wagniskapital privater Investoren
besonders reichlich, sagt Smith. Laut der Ana-
lysefirma CB Insights tummeln sich so derzeit
228 Startups im privaten Markt, jedes mit
einer Bewertung von über 1 Mrd. $. Es gebe so
viel Kapital, sagt Smith, dass es einen regel-
rechten Bieterkrieg der Investoren gebe, um
in der nächsten Finanzierungsrunde dabei zu
sein. Vor allem aber gibt es inzwischen grosse
private Investoren, die auch noch sehr spät
bereit sind, grosse Summen zu investieren.
«Das führt zu diesen hohen Bewertungen»,
sagt Smith.
Spotify hat sich für einen Mittelweg ent-
schieden. Es wird seine Anteile in einem
direkten Listing anbieten, einer seltenen Form
eines Börsenganges. Dabei wird kein neues
Kapital geschaffen. Stattdessen werden be-
reits bestehende Anteile, bis heute in Hand
Musik hören, nicht von privaten Anlegern, öffentlich gehandelt.
besitzen: Spotify «Das ist risikoreich», sagt Kathleen Smith von
hat die Art und Renaissance Capital. Denn Spotify braucht
Weise, wie Musik eigentlich neues Kapital. Ausserdem wird der
konsumiert wird, Ausgabepreis nicht von Banken ermittelt, auf
auf den Kopf Basis von im Voraus ermitteltem Verhältnis
gestellt. von Angebot und Nachfrage. Die Banken kau-
fen bei einem gewöhnlichen IPO selbst
Aktien, um so Nachfrage zu schaffen. Bei Spo-
tify soll sich der Preis alleine durch Nachfrage
und Angebot in den ersten Handelsminuten
ergeben. Spotify verspricht sich davon eine
faire Preisfindung, bei der «niemand bevor-
zugt wird». Ausserdem spart das Unterneh-
men so die Gebühren, die Investmentbanken
für ihre Beteiligung verlangen.
Mit den Börsengängen von Dropbox und
Spotify kommt frischer Wind in den IPO-
Markt. Nicht nur die Investoren, auch andere
Einhörner werden sich die beiden Börsen-De-
buts und die Reaktionen der Märkte genau an-
schauen. Wenn es gut läuft, könnten dieses
Jahr noch weitere folgen, sagt Smith.
Die beste Woche hatte ...
Michael Hilti
Umsatz geknackt, der Gewinn
KEYSTONE
legte um 15% zu, 1800 Mit-
arbeiter wurden neu einge-
stellt. Hilti profitierte nicht nur
vom Bauboom und von Fir-
menzukäufen, sondern auch
von der grossen Nähe zu den
Kunden. Die Firma vertreibt
Die roten Koffer des Liechten-
ihre Produkte selber, unter
anderem in rund 730 Hilti-
steiner Werkzeugherstellers Stores. Das ist zwar teuer, sorgt
Hilti gelten auf den Baustellen aber für stetige Rückmeldun-
dieser Welt als Goldstandard. gen der Benutzer und damit für
Die Bohrer etwa sind so durch- immer neue Verbesserungs-
schlagskräftig, dass einer vor ideen. Das Resultat dürfte Ver-
drei Jahren sogar von Kriminel- waltungsrat Michael Hilti dop-
len eingesetzt wurde, um die pelt freuen. Der letzte Vertreter
dicken Wände eines Londoner der Gründerfamilie im Unter-
Banksafes zu durchlöchern. nehmen ist gleichzeitig Stif-
(Für Kenner: Es war eine Hilti tungsrat der wohltätigen Hilti
DD350.) Dem Konzern geht es Foundation, in die 2% des
hervorragend. Er hat 2017 erst- Umsatzes des Unternehmens
mals die Grenze von 5 Mrd. Fr. fliessen. (mju.)
 33

Unternehmen der Woche Fünf Fragen

an Mark Davids
Pharmazulieferer Siegfried ist
auf Wachstumskurs
Mark Davids
verwaltet den Asia
Growth Fund von
J.P. Morgan Asset
Management.

M
it Spannung wurden am vergan-
genen Mittwoch die Ergebnisse
von Siegfried erwartet. Immerhin
gehörte die Aktie im vergangenen
Er lebt in Hong-
EBITDA von 15,2% liegt das Unternehmen kong.
erstmals seit zwei Jahren wieder im eigenen
Zielbereich von 15 bis 20%. Der Reingewinn Wie würden Sie die wirtschaftliche Lage
liegt bei 39,7 Mio Fr. (plus 42%). der Schwellenländer beschreiben?

Jahr dank einem Anstieg von 52% zu den
Top-Performern in der Schweiz. Innert drei
Jahren legte der Titel gar um 150% zu. CEO
Rudolf Hanko trat denn auch selbstbewusst
im Hotel Renaissance in Zürich vor die Presse
und beantwortete ausdauernd die Fragen,
welche die vielen TV-, Print- und Radio-Jour-
nalisten stellten.
Das Wichtigste zuerst: Der Umsatz stieg
um 4,6% auf 750 Mio. Fr. Damit hat sich der
Umsatz innert drei Jahren verdoppelt. Mit
1
Dieser wäre noch höher gewesen, hätte Das Umfeld ist sehr erfreulich. Das
nicht ein Einmaleffekt von 8 Mio. Fr. das Wirtschaftswachstum verstärkt sich,
Ergebnis getrübt. Eine Steueränderung des gleichzeitig fällt die Inflation. Diese
Trump-Regimes Ende Jahr ist dafür verant- Kombination sahen wir zuletzt in den Jah-
wortlich. Auch für die Zukunft gibt sich ren 2004 bis 2006, in diese Periode fällt
Rudolf Hanko optimistisch: «Wir rechnen auch der letzte Bullenmarkt in den Schwel-
mittelfristig mit einem Umsatz von rund 900 lenländern. Mit einem Preis-Buchwert-Ver-
Mio. Fr. und einer EBITDA-Marge von rund hältnis von 1,8x liegt die Bewertung histo-
20% in 2020.» risch gesehen im Durchschnitt.
In den vergangenen drei Jahren hat sich
einiges getan bei der Siegried-Gruppe mit Wo sehen Sie Risiken?

einer Betriebsgewinnmarge auf Stufe Sitz in Zofingen. Dank der Übernahme von
Produktionsstätten des Chemieriesen BASF
wurde die notwendige kritische Grösse
Zur Freude der Aktionäre erreicht. Mit einem Werk in Nantong, China
hat es seine Konkurrenzfähigkeit weiter aus-
Kurs der Siegfried-Aktie seit einem Jahr gebaut. Dieser Standort ermöglicht es, kos-
tengünstig zu produzieren und Aufträge von
350 Fr. Kunden anzunehmen, die vorwiegend preis-
affin sind. In den Werken in Deutschland
325 und der Schweiz hingegen ordern in erster
Linie Pharmafirmen, die ihr Augenmerk auf
300 eine hohe Qualität der Produkte legen. Neun
Standorte zählt Siegfried derzeit – mit 2300
Produktionsanlage Philipp Gamper, Analyst bei der ZKB. «Wir
bei Siegfried. haben unsere Schätzungen nach oben ange-
passt.» Sein Bewertungsmodell ergibt für
Siegfried einen fairen Wert von 397 Fr. pro
Aktie, was einem Kurspotenzial von 15%
entspricht. Weniger optimistisch ist Carla
Bänziger, Finanzanalystin bei Vontobel. «Die
2
Wir müssen genau beobachten, wie
sich die von den USA gestarteten pro-
tektionistischen Massnahmen weiter-
entwickeln. Zurzeit gehen wir nicht davon
aus, dass es zu einem Handelskrieg kom-
men wird. Ein weiteres Risiko ist das
schwächere Wachstum der Wirtschaft Chi-
nas. Das Land hat begonnen, die starke Zu-
nahme der Firmenkredite einzuschränken.
Die Anleger sollten auf jeden Fall nicht
selbstgefällig werden.
Wie meinen Sie das?

3
275 Mitarbeitern. Weitere Akquisitionen sind Profitabilität blieb deutlich hinter unseren 2 017 war ein aussergewöhnlich ruhi-
angedacht. Das nötige Geld ist vorhanden, und den Konsenserwartungen zurück. Dies ges Jahr. Schwellenländer-Aktien
250 dank einer Eigenkapitalquote von 63%. ist angesichts der Beschleunigung des haben 34% an Wert gewonnen, der
M A M J J A S O N D J F M «Obwohl das Ergebnis 2017 unter den Umsatzwachstums etwas enttäuschend.» Sie grösste innerhalb des Jahres gemessene
2017 2018 Erwartungen ausfiel, konnte Siegfried erheb- bestätigt ihr Hold-Rating und will das Kurs- Wertrückgang lag bei bescheidenen 5%.
Quelle: Swissquote liche operative Fortschritte erzielen» sagt ziel überprüfen. Carmen Schirm-Gasser Seit 1990 lag der grösste Rückschlag pro
Kalenderjahr aber im Durchschnitt bei
20%! Wir müssen also davon ausgehen,
dass dieses Jahr wieder grössere Schwan-
A Small World geht am Geheimniskrämerei um Dividende kungen auftreten werden. Wir sehen diese
aber als Kaufgelegenheit.
Dienstag an die Börse schickt Dufry-Aktie auf Talfahrt Sie haben in viele Bankaktien investiert,
was ist der Grund dafür?

Diese Art eines Börsengangs ist rar: das
direkte Listing ohne Bankbegleitung und
ohne Ausgabe neuer Aktien zur Kapitalauf-
nahme. Das soziale Netzwerk A Small World
hat diesen Weg gewählt, den auch der Musik-
streaming-Dienst Spotify voraussichtlich
nach Ostern verfolgt. Bei dem in Zürich
domizilierten Unternehmen A Small World
ist es bereits am Dienstag so weit. Dann
sollen die rund 8 Mio. Aktien erstmals
gehandelt werden, wie Präsident Patrick
Liotard-Vogt und Chef Jan Luescher am Don-
Zwar ist der Reisedetailhändler Dufry im
letzten Quartal weniger stark gewachsen als
zuvor. Über das ganze Jahr wies Dufry aber
einen soliden Zahlenkranz aus. Der Umsatz
legte um mehr als 7% auf rund 8,4 Mrd. Fr.
zu, der Betriebsgewinn um 7,7%, für das
aktuelle Jahr zeigt sich Dufry zuversichtlich.
Zudem haben die Basler mehr gespart als
geplant. Das führte zu einer etwas tieferen
Verschuldung. Denn Dufry war in den ver-
gangenen Jahren auf grosser Einkaufstour. In
Der Kopf hinter zwölf Jahren verleibte man sich zehn Unter-
Neuigkeiten gab es zur HNA-Beteiligung. Der
chinesische Konzern ist laut Börsenbetreibe-
rin SIX mit rund 21% zweitgrösster Aktionär.
Doch am Markt geht man davon aus, dass
HNA keine Dufry-Aktien mehr hält und diese
verkauft hat. HNA steckt in akuten finanziel-
len Schwierigkeiten. (knu.)
Abgestraft
Aktienkursentwicklung von Dufry
4
Finanzwerte in Schwellenländer sind
so günstig bewertet wie schon lange
nicht mehr. Damit diese Aktien gut
abschneiden, braucht es eine wachsende
Wirtschaft, eine stabile Inflation und stei-
gende Zinsen. Längerfristig sehen wir aus-
serdem Wachstumspotenzial, weil noch
viele Menschen eingeschränkten Zugang
zu Finanzprodukten haben.
Die Aktien der grossen asiatischen Inter-
netfirmen, sind sie nicht schon zu teuer?

nerstag bekanntgegeben haben. Der fest-
gesetzte Preis entspricht einer Kapitalisie-
rung von fast 80 Mio. Fr. Das Unternehmen
hat im vergangenen Jahr 5 Mio. Fr. Umsatz
erzielt. Zuletzt wies A Small World 2015
einen Gewinn aus. Mit der Kotierung wolle
man den Handlungsspielraum erweitern und
den Bekanntheitsgrad stärken. Jährlich 30%
will das soziale Netzwerk in den nächsten
fünf Jahren wachsen. Bis 2022 soll sich die
Zahl der Mitglieder von 28 500 auf 100 000
erhöhen, der Umsatz soll auf 20 Mio. Fr.
wachsen. Das ist sportlich. (knu.)
5
A Small World: nehmen ein für insgesamt 8,8 Mrd. Fr. und in dieser Woche Sie sind sicher nicht günstig bewertet,
Präsident Patrick machte sich zum grössten Player in der Bran- aber im vergangen Jahr haben einige
Liotard-Vogt. che. Trotz guten Resultaten verlor die Aktie 140 Fr. Firmen die Gewinnschätzungen der
am Tag der Bekanntgabe des Ergebnisses Analysten um mehr als 50% übertroffen.
zeitweise fast 10%. Auf Wochensicht zählten 135 Das zeigt, dass zu grosse Skepsis verfehlt
die Valoren mit einem Minus von 3,7% zu ist. Wenn die Aktien aus Festlandchina in
den Verlierern. Eine eigentlich positive die Aktienindizes aufgenommen werden,
Nachricht stiess viele Investoren vor den 130 dann werden noch einige sehr interessante
Kopf. Dufry kündigte an, erstmals seit 2008 Firmen ins Rampenlicht treten. Wir haben
eine Dividende auszahlen zu wollen, aller- 125 aber unsere Investments in die Hersteller
dings ohne eine konkrete Höhe zu nennen. Mo 12. Di 13. Mi 14. Do 15. Fr 16. von Hardware zurückgefahren.
Der Verwaltungsrat werde am 5. April dar- März 2018 Interview: Eugen Stamm
über befinden, sagte CEO Julián Díaz. Keine Quelle: Swissquote

Wall Street

Die zwei Gesichter der Wall Street

gen Kundentermin verpasste, zog Bear
Stearns die Reissleine. In den vergangenen
Jahren startete Kudlow eine Karriere als Kom-
mentator für den TV-Sender CNBC. Fast täg-
lich schwärmte er in den vergangenen Wochen
von der Steuerpolitik der US-Regierung.
Die Märkte treibt seit Wochen das Thema
Jens Korte, New York Strafzölle um. In dieser Frage äusserte sich
Kudlow vehement gegen die Importzölle auf
men Broadcom wollte den Halbleiterkonzern
für 117 Mrd. $ schlucken. Es wäre die grösste
Übernahme in der Geschichte der IT-Industrie
geworden. So direkt hat sich selten ein Präsi-
dent in die Geschicke von Corporate America
eingemischt.
Auch ein weiterer Deal könnte von
Washington blockiert werden. Wie der Nach-
richtendienst Bloomberg meldete, wird die
Die politischen Turbulenzen schoben die
Investoren zur Seite. Donnerstag und Freitag
stiegen die Kurse. Für den Dow blieb ein
Wochenminus von rund 1,5%. Gemischte
Signale kommen derweil von der US-Wirt-
So direkt hat schaft. Die Absatzzahlen im US-Detailhandel
sich selten ein sind überraschend den dritten Monat in Folge
Präsident in gefallen. Zudem kündigte die Spielzeugkette
Toys’R’Us an, die über 700 Filialen zu schlies-
die Geschicke

D
as Personalkarusell in Washington
dreht sich munter weiter. Auf dem
Parkett der New Yorker Börse zogen
die Händler die Augenbrauen in die
Höhe. Präsident Donald Trump hat Larry Kud-
low zum neuen Wirtschaftsberater und Nach-
folger von Gary Cohn ernannt. Kudlow ist an
der Wall Street bestens bekannt. Der 70-Jäh-
rige arbeitete bereits Anfang der 80er Jahre
unter Ronald Reagan im Weissen Haus. Ende
der 80er Jahre wechselte er zu Bear Stearns.
Bei der Investmentbank wurde sein Kokain-
konsum legendär. Als Kudlow einen wichti-
Stahl und Aluminium. Ob der TV-Mann den
Präsidenten und seinen engeren Kreis von
dem Kurs abbringen kann, bezweifeln viele
Händler auf dem Parkett. Am kommenden
Freitag sollen die Zölle in Kraft treten. Konti-
nuitiät kehrt mit Kudlow im Weissen Haus in-
des nicht ein. Offenbar will Trump nun auch
seinen Sicherheitsberater austauschen.
In der vergangenen Woche wurde vor allem
der Ton gen China rauer. Das verunsicherte
die Wall Street in den ersten drei Handels-
tagen der Woche. Zudem blockierte Donald
Trump die geplante Übernahme von Qual-
comm. Das in Singapur ansässige Unterneh-
Übernahme von Monsanto durch die
Bayer AG nicht so ohne weiteres durch-
gewinkt. Nachdem Syngenta und Chem China
sowie Dow Chemical und DuPont für ihre
Zusammenschlüsse grünes Licht von den
US-Behörden erhalten haben, steht der Mon-
santo-Deal auf der Kippe. Wie es aus Firmen-
kreisen heisst, muss Bayer nachlegen. Es
müssten grössere Teile des fusionierten Kon-
zerns abgespalten werden, um die Regulierer
zu beruhigen. Für Bayer könnte das Geschäft
dadurch unattraktiver werden. Die Aktie von
Monsanto knickte um rund 4% ein. Es war der
grösste Kursrutsch seit zwei Jahren.
sen. Rund 30 000 Arbeitsplätze sind betrof-
von Corporate fen. Die jüngsten Zahlen zur Konsumenten-
America einge- stimmung passten nicht zu diesem Bild. Die
mischt. vorläufig für März veröffentlichten Zahlen er-
reichten das höchste Niveau seit 14 Jahren.
Vor allem die Amerikaner im unteren Einkom-
menssegment werden zuversichtlicher.
Für die kommende Notenbanksitzung
dürfte das ein weiterer Mosaikstein sein, um
den nächsten Zinsschritt zu rechtfertigen. Am
Mittwoch wird der neue Notenbankchef Jero-
me Powell seine erste Notenbanksitzung ab-
halten. Es gilt als ausgemacht, dass der Leit-
zins um 25 Basispunkte angehoben wird.
34 NZZ am Sonntag 18. März 2018

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InvestImmobilien 35

FREDERIK BUGGLIN / PRO LITTERIS

Wettbewerbe

Sinnliche Dimension
Kunst ist nicht Kunst, und über Geschmack
lässt sich gut streiten. Ist Kunst am Bau
Vorgabe für ein Projekt, gilt es, die Auswahl
regelkonform und professionell umzuset-
zen. Der Berufsverband der visuell schaf-
fenden Künstlerinnen und Künstler in der
Schweiz (Visarte) hat hierfür Muster und
Anleitungen für Ausschreibung und Durch-
führung von Wettbewerben entwickelt.
«Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen
Raum sind kein überflüssiger Luxus», meint
der Verband. Vielmehr lasse sich so «eine
sinnliche Dimension in die funktionalen
Umfelder von Gebäuden» bringen. Grund-
lage für die Zusammenarbeit mit Künstlern
ist ein entsprechender Werkvertrag. (dst.)

sind selten. Dass Kunst oft aneckt, stellt für

Jutta Langhoff kein Problem dar. «Im Gegen-
teil: Sie soll etwas sein, das den Geist über den
Alltag hinaus beschäftigt! Nur so kann sie
langfristig einen Mehrwert in einem attrakti-
ven Umfeld schaffen.»
Auch viele Architekten setzen sich für
Kunst am Bau ein. Einer von ihnen ist der Zür-
cher Bob Gysin. Seine Kunstaffinität geht so
weit, dass er 1971 eine eigene Galerie eröff-

Kundenbindung dank Farbe

nete. Sie wird heute von Marion Wild geleitet.
«Arbeitet das Architekturbüro von Gysin an
einem Bauprojekt, diskutieren wir, ob Kunst
integriert werden kann», sagt sie. Es gebe Bau-
herren mit grossem Interesse; oft sei die Be-
geisterung aber nur am Anfang spürbar.
Um Wohn- und Lebensraum aufzuwerten und Mieter langfristig zu halten, Müsse gespart werden, falle die Kunst schnell
weg. «Das ist bedauerlich, denn Kunst am Bau
investieren Immobilienentwickler vermehrt in Kunst am Bau kann viel dazu beitragen, dass sich die Nutzer
mehr mit dem Bau identifizieren», sagt Wild.

Marius Leutenegger
Kunst am Bau war einst selbstverständlich –
zumindest bei der Spitzenarchitektur: Alte
Kirchen sind eigentliche Kunstmuseen, und
ein Barockschlösschen ohne Büsten und Sta-
tuen ist schwer vorstellbar. Aber auch viele
Wohnhäuser gewöhnlicher Leute wurden
einst mittels Kunst aufgewertet, man denke
etwa ans Engadinerhaus mit seinen Sgraffiti.
Die moderne Architektur allerdings setzt auf
Schlichtheit, und Kunst am Bau ist zum Son-
derfall geworden: zum solitären Zusatzele-
ment an oder bei einem Bauwerk.
Bei der Entwicklung der heutigen Form von
Kunst am Bau spielte Kunstförderung eine
wichtige Rolle. Nach dem Ersten Weltkrieg
am Bau. Künstler zu unterstützen, steht dabei
aber selten im Vordergrund.
Manche grosse Unternehmen wollen durch
Kunst am Bau ihr Image verbessern; dazu ge-
hören etwa die Raiffeisenbanken oder die Hel-
vetia-Versicherung. Man begegnet Kunst am
Bau aber auch beim genossenschaftlichen
oder privaten Wohnungsbau, wo sie vor allem
zur positiven Wahrnehmung eines Gebäudes
beitragen soll. Hervorgetan hat sich in diesem
Bereich auch Mobimo, eine der grossen
Immobiliengesellschaften im Land.
Zuständig ist Jutta Langhoff, eine Architek-
tin mit Kunst-Master. «Die ersten Projekte
entstanden, als Andreas Hämmerli bei uns
Entwicklungsleiter wurde», sagt sie. «Er enga-
gierte sich schon zuvor für Kunst und regte
um, Architektur zu verbessern, sagt Jutta
Langhoff. «Aber wir wollen nicht einfach Be-
ton verbauen, sondern ein stimmiges und
lebenswertes Gesamtumfeld schaffen.»
Kunst am Bau könne einen wohl kleinen,
aber wichtigen Beitrag zu einem qualitäts-
vollen Ort leisten. Zwar miete kaum jemand
eine Wohnung allein wegen eines Kunst-
objekts. «Aber wenn das Gesamtumfeld
stimmt, ist die Fluktuation der Mieter gerin-
ger – und als Eigentümer sind wir an langfris-
tigen Mietverhältnissen interessiert.»
Beziffern lasse sich der Beitrag der Kunst
zum Gesamtumfeld nicht, Rückmeldungen
CHRISTIAN GONZENBACH
Bedruckte Fassade Finanziell ist alles möglich
mit einem Werk von Gut sei, wenn man Kunstschaffende von Be-
Annelies Štrba an ginn weg in den konzeptionellen Prozess ein-
einem neuen Wohn- binde. Die Wahl der richtigen Leute sei nicht
gebäude von einfach – denn Kunst am Bau dürfe zum Bei-
Mobimo in Zürich. spiel zwar zum Nachdenken anregen, aber
doch nicht zu kontrovers sein. «Manche
Künstlerinnen oder Künstler sagen: ‹Das ma-
che ich nicht, weil ich zu wenig frei bin.›
Andere übernehmen solche Aufträge gern,
weil sie den Dialog mit dem Ort und den Bau-
herren als gute Ergänzung zur Arbeit im Ate-
lier sehen.» Erhalte sie den Auftrag für ein
Kunst-am-Bau-Projekt, gehe es erst darum,
den Ort dafür auszuwählen. «Will man etwas
mit Licht in der Tiefgarage machen? Oder
etwas im Eingangsbereich? Ich setze mich mit

ging es den Kunstschaffenden in Deutschland
so schlecht, dass sich das Innenministerium
1928 veranlasst sah, ihre Lage durch Aufträge
bei öffentlichen Bauten zu verbessern.
Pflicht bei öffentlichen Bauten
In den USA wurde im Jahr 1934 bestimmt,
dass bei öffentlichen Bauten 1% der Bau-
summe in Kunst am Bau investiert wird. Da-
mals wie heute waren viele Künstler nicht auf
Rosen gebettet. Ähnliche Regelungen gibt es
heute rund um den Globus. In der Stadt Zürich
etwa sind bei Neu- und Umbauten öffent-
licher Gebäude 0,35% bis 1,5% der Anlage-
kosten für Kunst reserviert – mit dem aus-
drücklichen Ziel der Kunstförderung. Auch
manche private Bauherren setzen auf Kunst
an, sie bei grösseren Projekten zu integrie-
ren.» Heute warten über zwei Drittel aller
Neuentwicklungen von Mobimo mit Kunst am
Bau auf. Die Palette der Interventionen ist
breit, sie reicht von grossen Skulpturen im
Freiraum über Lichtinstallationen bis zu far-
big bedruckten Bauteilen.
Der Entwicklungsprozess wurde in den
letzten Jahren professionalisiert. Fällt der
Entscheid, bei einem Projekt Kunst zu inte-
grieren, werden ausgewählte Kunstschaf-
fende zu einem Ideenwettbewerb eingeladen.
Die Planung erfolgt frühzeitig, Kunst wird
nicht einfach auf ein fertiges Gebäude ge-
pappt, sondern ins Gesamtprojekt integriert.
Warum betätigt sich Mobimo in diesem Be-
reich? Es gehe weder um Dekoration noch dar-
der Situation auseinander – und schlage dann
drei, vier passende Künstler vor.»
Die Möglichkeiten seien unbegrenzt, sagt
Marion Wild. «Wir haben schon mit einem
Budget von 15 000 Franken gearbeitet, nach
oben ist alles möglich.» Der finanzielle Einsatz
lohne sich, ist sie überzeugt – und sie führt
dieselben Argumente an wie Jutta Langhoff:
«Kunst kann zum Heimatgefühl beitragen. Als
Bauherr will ich ja, dass sich die Menschen,
die das Gebäude nutzen, darin wohlfühlen.»
Warum setzen denn dann nicht alle Inves-
toren auf solche Kunst am Bau? «Es braucht je-
manden in der Geschäftsleitung, der einen Be-
zug zur Kunst hat – und davon überzeugt ist,
dass sie das Lebensgefühl positiv beeinflusst»,
Christian Gonzenbachs «Curry & Paprika». sagt Langhoff.

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erra
Les
 NZZ am Sonntag 18. März 2018

FC Basel im Blues Arme Meister

Die Meisterschaft Der Titel im Eishockey Freizeit-
sport
scheint verloren, das bringt zwar Ruhm und Yoga für
Imperium wankt. Ehre, aber kein Geld. Senioren
41 43 47
FOTOS: MIKE NE3LSON / EPA, MARK. J. TERRILL / AP

Der Maestro und seine prominenten Fans (von links): Microsoft-Gründer Bill Gates, Tennislegende Rod Laver, Box-Ikone Sugar Ray Leonard und Software-Milliardär Larry Ellison.

17SiegezumSaisonstart:
NiewarFedererbesser
Seite 45
 38 Sport Motorsport NZZ am Sonntag 18. März 2018

SchweizerShow
Ein Rennstall und ein Einzelkämpfer versuchen, in den Topserien der Auto- und der Motorrad-WM zu bestehen.

Team Sauber in der Formel 1

Zurück am Start

V
or dem Wochenende der
IMAGO

Wahrheit kommt die Woche

der Zuversicht. Das Sauber-
Team, das weiter mit Ferrari-
Leihmotoren in der Formel 1
an den Start geht, aber auch
unter dem Markennamen
und mit dem Logo von Alfa Romeo, hat gera-
de einen Video-Trailer verschickt. Titel: «Es ist
nur der Anfang...» Ein kluges Motto, bezeich-
net es doch zumindest genau die Ausgangs-
lage für die am kommenden Sonntag in Mel-
bourne beginnende Grand-Prix-Saison. Nach
dem Rettungsjahr 2016 und dem Konsolidie-
rungsjahr 2017 wird 2018 ein weiteres Über-
gangsjahr. Das klingt zunächst nicht span-
nend, ist es aber. Denn so ohne weiteres wird
man die rote Laterne in der Königsklasse nicht
los, auch wenn die Kasse jetzt stimmt und die
Stimmung besser wird.
Teamchef Frédéric Vasseur, mittlerweile
seit einem Dreivierteljahr in Hinwil im Amt,
geht es darum, den Anschluss zu finden ans
Mittelfeld. Der Franzose ist ehrgeizig, aber vor
allem Stratege, seine Planungen reichen weit
über dieses Jahr hinaus. Das betrifft den Per-
sonalaufbau, die Ressourcen, die Erwartun-
gen. Vasseur sagt: «Erfolg ist nach meiner Mei-
nung immer die Addition von vielen Details.»
In einer vorsichtigen Bilanz spricht der Fran-
zose davon, dass der Fortschritt mittlerweile
richtig sichtbar werde.
Eine Platz-Parole gibt er nicht aus für das
neue Rennjahr, aber er fordert die Rückkehr
zu jenem Rennsportgeist, der Sauber seit
einem Vierteljahrhundert in der Elite hält.
«Wir brauchen den gleichen Druck in unserer
Fabrik, wie ihn die Leute bei Mercedes spü-
ren», sagt der 49-Jährige, «denn nur Druck
macht einen erfolgreich, und Erfolg ist die
Zukunft des Teams. Wenn wir den Anschluss Die Sauber-Renn- Italien zustande kommt, muss sich zeigen. zwei Neulingen in der Formel 1, und als For- Wie gross wird die Hilfe
schaffen, werden wir mehr und mehr attrak- wagen sind mit Wenn, dann würde dieser direkt mit Ferrari mel-2-Champion wird ihm eine grosse Kar-
tiv für Ingenieure, für Fahrer, überhaupt für einem prominenten erfolgen. Die Idee, dass Sauber auch offiziell riere prophezeit. Der 20-Jährige ist Mitglied
aus Italien sein? Für die
alle werden.» Die Zeichen stehen auf Auf- Logo von Alfa eine Art Junior-Team für Maranello wird, läge der Ferrari-Nachwuchsakademie und wird Idee, dass Sauber eine
schwung, zumindest auf neuen Schwung.
Auf mehr als 150 Millionen Franken wird
Romeo unterwegs.
Doch die Motoren
nahe. Einerseits spricht die grosse Ausbil-
dungstradition in Hinwil dafür, dazu hat man
von Nicolas Todt, dem Sohn des Automobil-
verbands-Präsidenten, gemanagt. Damit stim-
Art Junior-Team von
der Jahresetat des Sauber-Teams mittlerweile kommen weiterhin mit Vasseur einen ausgewiesenen Talentent- men schon einmal die Voraussetzungen. Ferrari wird, spricht
geschätzt, da spielt das Alfa-Branding ebenso von Ferrari. (Barce- decker geholt, und andererseits ist bei Ferrari Gradmesser wird für Leclerc zunächst das einiges.
eine Rolle wie die Investoren von Longbow lona, 6. März 2018) die Erkenntnis gereift, dass es besser ist, sich Duell gegen den Skandinavier im eigenen
Finance, etwa ein Drittel davon kommt aus das Personal stärker selbst heranzuziehen. Team sein, der in seine fünfte Saison geht und
der Gewinnausschüttung der Formel-1-Ver- Vasseur spricht von einem vielversprechen- noch keinen einzigen WM-Punkt geholt hat.
marktung. Finanziell ist man damit nicht den Langzeitprojekt und davon, dass die Leclerc ist bei den Testfahrten mit dem sehr
mehr Schlusslicht, sondern schon im vorde- Kooperation für beide Partner sinnvoll sei. zuverlässig wirkenden C37 in Barcelona ein
ren Mittelfeld. Ein Fragezeichen, zumindest In diesem Zusammenhang ist die Verpflich- paarmal im Kiesbett gelandet, aber das gibt
nach aussen hin, ist die Intensität der Verbin- tung von Charles Leclerc als zweitem Fahrer nur die einzig mögliche Richtung für den
dungen zu Alfa Romeo. Auf der Teamkleidung neben dem durch die schwedischen Investo- Rookie und für den ganzen Rennstall vor:
wirkt diese massiv, ob ein stärkerer Technik- ren gesetzten Marcus Ericsson zu sehen. Der voll ans Limit gehen.
beziehungsweise Techniker-Austausch mit Monegasse ist in dieser Saison einer von nur Elmar Brümmer, Melbourne

Fakten zur Rennserie

Alle auf der

PA IMAGES / IMAGO

LAT PHOTOGRAPHIC / IMAGO

REUTERS

REUTERS

Jagd nach
Überflieger
Hamilton
Der Star: Lewis Hamilton kann
locker um einen neuen Vertrag mit
Mercedes pokern, jenseits der
30-Millionen-Franken-Grenze. Der
Titelverteidiger ist der einzige
Rennfahrer, der auch ausserhalb
der Rennstrecke als Superstar gilt.
Der 33 Jahre alte Brite strebt den
fünften Titel an. Hamilton macht
was er will, und das Team lässt
ihn gewähren – denn er ist in der
Form seines Lebens.
Der Newcomer: Sergei Olego- Die Topteams: Seit Beginn der Die Boliden: Nach dem Regle- Die Vermarkter: Für gut vier
witsch Sirotkin, der als Teenager Hybrid-Ära kann Mercedes nur mentschnitt im letzten Jahr unter- Milliarden Franken hat der Holly-
mit Sponsoren-Millionen Sauber Ferrari einigermassen das Wasser scheiden sich die Rennwagen 2018 wood-Konzern Liberty Media die
retten sollte, ist jetzt mit Unter- reichen. Gelingt mit Sebastian in zwei markanten Details von den Macht übernommen und Bernie
stützung eines Ölkonzerns beim Vettel in diesem Jahr der letzte Vorgängern: Die lange Finne zum Ecclestone verdrängt. Die
Traditionsteam Williams ange- Schritt auf dem Weg nach oben? Heck, ideal für Werbebotschaften, Teams erwarten nun mehr Preis-
dockt. Der Russe, inzwischen 22, Red Bull, dominierend zu Anfang ist weg. Und über dem Cockpit geld. Die Filmfirma will mehr
ist damit der zweite Bezahlfahrer des Jahrzehnts, will zumindest schwebt ein Sicherheitsbügel, Show, mehr Familienfreundlich-
des Rennstalls. Der Pole Robert der Spielverderber sein und setzt tatsächlich Halo, also Heiligen- keit und zeigt erstmals einen
Kubica, spektakulärer und schnel- neben dem Marketingetat auf schein, genannt. Für die 21 Rennen Trailer. Der Slogan: «engineered
ler Rückkehrer in die Formel 1, darf Jungstar Max Verstappen und muss jeder Fahrer jetzt mit nur insanity», übersetzt: konstruier-
als Testpilot nur zugucken. Designguru Adrian Newey. noch drei Motoren auskommen. ter Wahnsinn. (elb.)
 39

imPS-Zirkus
Der Weg an die Spitze ist für beide sehr weit. Von Elmar Brümmer und Friedemann Kirn

Tom Lüthi in der MotoGP

Auf sich allein gestellt

T
om Lüthi ist ein starker Fahrer
BENJAMIN SOLAND / BLICK / FRESHFOCUS

mit einem guten Team, und vor

20 Jahren hätte seine Leistung
ausgereicht, in die besten fünf
der MotoGP-Kategorie vorzu-
stossen. Damals war der Kampf
um die Spitze wenigen Werks-
teams mit einer Handvoll auserwählter Welt-
klassefahrer vorbehalten, der grosse Rest an
Privatfahrern lieferte nur die Kulisse. Wenn
heute Sonntagabend in Katar die Saison 2018
beginnt, steht der 31-Jährige auf Platz 18 der
Startaufstellung. Seine 23 Gegner sind fast
ausnahmslos Weltmeister wie er selbst. Sie
sind so gut und konstant, dass kleine Fahr-
fehler erbarmungslos in der Rangliste erkenn-
bar sind. «Ich bin angekommen bei den Welt-
besten, und das spürt man natürlich. Die ma-
chen ihren Job perfekt», sagt Lüthi.
Sechs Werke liefern sich im Hintergrund
ein technisches Rennen, in dem die kleineren
Hersteller wie Suzuki, Aprilia und KTM dank
einem klugen Regelwerk auf Augenhöhe
gegen die Super-Teams von Honda, Yamaha
und Ducati antreten. So sorgen Einheitsreifen
von Michelin dafür, dass der Wettbewerb zwi-
schen Fahrern und Marken stattfindet und
nicht vom Grip in der Kurve abhängt. Einheit-
liche Bordcomputer mit der gleichen Software
für alle haben dem Wettrüsten beim elektro-
nischen Motormanagement einen Riegel ge-
schoben, sonst hätten Ducati, Honda und
Yamaha gegenüber den Newcomern der Klas-
se einen uneinholbaren Vorsprung.
Trotz unterschiedlichen Konzepten sind
die Maschinen, die bis zu 350 km/h erreichen,
über eine Runde so gut wie gleichwertig. Auch
die offiziellen Werksmotorräder und die ge-
leasten Kundenmaschinen gleichen sich fast
wie ein Ei dem anderen. Lüthi fährt wie Welt-
meister Mar Márquez eine Honda. Doch der Der Rookie steht im dem italienischen Teamkollegen Franco Mor- ebenfalls topfit, doch die Gemeinschaft der Tom Lüthi fährt wie
grosse Unterschied zu dessen Werksteam liegt Fokus: Tom Lüthi bidelli ist Marc VDS wieder ein reines Kunden- Südeuropäer, die Beruf und Hobby auf selbst-
im Budget. Neben den Mechanikern in der erklärt einem team, das alle Abstimmungsdaten selbst er- verständliche Weise miteinander mischen,
Marc Márquez eine
Box stehen bei der Honda Racing Corporation Schweizer TV-Team arbeiten muss. Lüthi kann Brems- und Be- teilt er nicht. Nicht nur, weil er verletzungs- Honda. Doch auf die
Dutzende an Ingenieuren Spalier, die mit
ihrem Detailwissen auf jeden Kommentar des
seine MotoGP-
Honda. (Katar,
schleunigungspunkte, Schräglagen und Kur-
venlinien mit dem Teamkollegen vergleichen,
bedingt auf die ersten Tests im November ver-
zichten musste, sondern auch, weil ihm das
Abstimmungsdaten des
Fahrers reagieren können und ständig an Ver- 16. März 2018) nicht aber mit dem grossen Star Márquez. Umfeld der Spanier und Italiener fehlt,muss Weltmeisters hat sein
besserungen arbeiten. Ausserdem liess es sich Zu ihm und den anderen Südeuropäern Lüthi noch härter an sich und seiner Fahr- Team keinen Zugriff.
Honda 15 Millionen Euro pro Jahr kosten, den klafft noch eine andere Lücke. Márquez trai- weise arbeiten. Denn beim ersten Etappenziel
Vertrag mit dem derzeit besten und schnells- niert an freien Tagen zu Hause in Spanien mit soll es nicht bleiben. Lüthis Manager Daniel
ten MotoGP-Fahrer um zwei Jahre zu verlän- seinen Freunden auf der eigenen Dirt-Track- Epp fügte viele Steine zu einem Mosaik zu-
gern. Der Tisch ist reich gedeckt für den insge- Piste, der Superstar Valentino Rossi auf seiner sammen, um das Unmögliche möglich zu ma-
samt siebten Titel von Márquez. Ranch in Italien mit den Mitgliedern seines chen und seinem Fahrer aus einem Land ohne
In Lüthis Marc-VDS-Team sind die Mecha- VR46-Nachwuchsteams, zu dem auch Morbi- Motorradindustrie und ohne grosse Sponso-
niker auf sich selbst gestellt. Vom letzten Jahr delli gehört. Das Fahren auf losem Untergrund ren die Tür in diese Klasse aufzustossen. Jetzt
liegen noch einige Computerdaten vor, weil schärft die Reflexe für die Rennstrecke, Már- geht es darum, dass sie nach Ende dieser Sai-
der damalige Fahrer Jack Miller einen offiziel- quez, Rossi, Morbidelli und viele andere sind son nicht schon wieder ins Schloss fällt.
len Honda-Vertrag hatte. Doch mit Lüthi und stets rennbereit und austrainiert. Lüthi ist Friedemann Kirn, Katar

Fakten zur Rennserie

Big Business
FOTOS: KEYSTONE, REUTERS

für Fahrer,
Werke und
Veranstalter
Der Star: Marc Márquez mag der Der Newcomer: 2017 war es Die Topteams: Rund 70 Millionen Die Motorräder: MotoGP-Maschi- Der Vermarkter: Vor 26 Jahren
beste Fahrer sein, doch der Welt- Johann Zarco, der als MotoGP- Euro pro Jahr lassen sich die nen haben über 280 PS. Um diese hat die spanische Firma Dorna
star heisst Valentino Rossi. Mit Rookie das erste Rennen in Katar Werke von Honda, Yamaha und auf den Boden zu bringen, wird die Rechte an der Töff-WM über-
einem Anteil an den Sponsorge- anführte, bis er nach sechs Ducati ihr Engagement pro Jahr die Leistung über ein elektroni- nommen und die Serie in
schäften des Yamaha-Werksteams Runden stürzte. Nun setzt sich kosten, ein Investment, das sich sches Motormanagement in MotoGP umgetauft. Nach radi-
ist er nicht nur der am besten Alex Rins in Szene, der letztes Jahr allein dank Abermillionen verkauf- engen Kurven und in unteren kalen Änderungen floriert das
verdienende, er ist auch der mit wegen einer Rückgratverletzung ter Mopeds in Südostasien und Gängen gedrosselt. Ausserdem Geschäft wie nie zuvor. 300
Abstand populärste Töff-Renn- die halbe Saison verpasste. der MotoGP-Begeisterung auf gibt es Programme, die bei der Millionen Euro nimmt die Dorna
fahrer. Der 39-Jährige hat seinen Wieder in Bestform, treibt der diesen Märkten lohnt. Private wie Traktion und beim Abheben des jährlich ein, die Hälfte durch
Vertrag um weitere zwei Jahre schlaksige Aussenseiter die 2017 Lüthis Marc-VDS-Team mit zwei Vorderrades eingreifen. Grund- TV-Rechte, 30 Prozent durch
verlängert und will auch mit 41 hinterherhinkende Werks-Suzuki Fahrern operieren mit rund acht regel: Je mehr Elektronikkontrolle, Gebühren der Veranstalter und
Jahren noch Gas geben wird. plötzlich auf Spitzenplätze. Millionen Euro. desto langsamer der Fahrer. 20 Prozent durch Werbung. (fki.)
40 Sport NZZ am Sonntag 18. März 2018

«Dashat
URS LINDT / FRESHFOCUS
mirnicht
gefallen»
Das Nationalteam sortiert sich
zehn Tage lang für die WM. Gelson
Fernandes war nie eine prägende
Figur – und wird dennoch Einfluss
nehmen. Von Stephan Ramming

Unter Pfiffen an die WM: Gelson Fernandes herzt nach dem 0:0 in der Barrage gegen Nordirland Fabian Schär. (Basel, 12. 11. 2017)

D
er letzte Eindruck bestimmt
die Wahrnehmung. Der letzte
Eindruck ist ein 0:0, ein dür­
res, torloses Remis. Gegen
Nordirland. Es bedeutete
zwar die Qualifikation für die
WM, immerhin die vierte in
Serie. Aber statt Bilder von einem rauschen­
den Freudenfest im ausverkauften St. Jakob­
Park ist anderes geblieben: die Misstöne eines
gellenden Pfeifkonzertes kurz vor Spielende,
als Haris Seferovic ausgewechselt wurde.
Mittendrin: Gelson Fernandes. Von der Er­
satzbank aufgesprungen, gestikulierte er ins
Publikum, beruhigte den heulenden Haris,
redete mit aufgerissenen Augen nach allen
Seiten. Am Ende lief Gelson in der Daunen­
jacke aufs Spielfeld zum Feiern. Das Schluss­
bild wirkte trotzdem schief, denn durch die
Pfiffe hatte sich nicht nur Unmut über einen
glücklosen Stürmer artikuliert, sondern auch
über den ausgebliebenen Sieg, über die Mann­
schaft, ihre Spielweise, ihre Ausstrahlung.
Vier Monate ist das her. Wie denkt Gelson
heute über die Pfiffe an jenem Abend? «Gleich
wie damals», sagt er, «das hat mir nicht gefal­
len, das geht einfach nicht, in der National­
mannschaft sind wir wie Brüder, wie eine
Familie. Haris hat wie alle anderen alles ge­
geben in diesem Match und in der ganzen
Qualifikation. Spielen wir schwach, kann man
uns auspfeifen, okay. Aber das war nicht so,
und wir haben die WM-Quali geschafft. Das
darf nicht selbstverständlich sein.»
Zum dritten Mal hatte sich der 31-Jährige
für eine WM qualifiziert. Das ist bemerkens­
wert. Und es passt zu Gelson und seiner Ge­
schichte im Nationalteam, dass er den Abend
auf der Ersatzbank verbrachte und von dort
aus versuchte, Einfluss zu nehmen. Denn auf
dem Platz war Gelson nie eine prägende Figur.
Einmal hatte er einen grossen Auftritt, vor fast
acht Jahren, als ihm an der WM in Südafrika
gegen Spanien der Siegtreffer gelang. Sonst
war Gelson halt einfach da, wenn ihn Ottmar
Hitzfeld und danach Vladimir Petkovic auf
dem Platz brauchten. Neben dem Platz aber
scheint Gelson Fernandes Qualitäten zu besit­
zen, die ihm eine wichtige Rolle im Team ge­
ben: als Mittler zwischen Stamm­ und Ergän­
zungsspielern, als Coach für die Jungen, als
Kümmerer und manchmal auch einfach als
Gute­Laune­Onkel.
«Mit meiner Erfahrung und meiner Art
muss ich der Mannschaft helfen», sagt er. Das
sagt er auch über seine Aufgabe im Klub. Der­
zeit ist er bei Eintracht Frankfurt engagiert,
seinem zehnten Verein. So treu Gelson dem
Nationalteam sein mag, so flatterhaft ist seine
Klubkarriere. Ein wenig spielt er auch so,
etwas übereifrig und manchmal hektisch,
wenn er im Mittelfeld die Räume eng macht
Die Misstöne? «Vorbei
und vergessen, sie
werden keine Rolle
mehr spielen», sagt
Gelson. Ob das stimmt,
ist eine andere Frage.
oder zum Tackling ansetzt. Auch in Frankfurt
wurde er zuletzt oft nur eingewechselt, trotz­
dem schwärmt er von Eintracht­Trainer Niko
Kovac. Gelson sagt: «Ich kann nicht sagen,
dass ich mit meiner Situation zufrieden bin.
Aber ich bin ganz ruhig. Ich versuche, bereit
zu sein, wenn ich der Mannschaft helfen soll.»
Auch in Frankfurt schätzt man Gelsons Art,
stets positive Energie in den Teamalltag zu
bringen. Auf den fröhlichen Sonnenschein mit
dem Dauerlachen will er sich jedoch nicht
reduzieren lassen. «Eigentlich müssen das an­
dere beurteilen, aber vielleicht besitze ich
Sozialkompetenz.» Ottmar Hitzfeld sagte ein­
mal, er habe nie einen Spieler kennengelernt,
der sich mehr für das Team einsetze als Gel­
son. Und Christian Streich, Gelsons ehemali­
ger Trainer in Freiburg, sprach von dessen
«Lern­ und Wissensgier» und von einem «ganz
besonderen Menschen mit einem einzigarti­
gen Energiehaushalt».
Denn Energie braucht es nicht nur auf dem
Platz, sondern auch dann, wenn man nicht
spielt. Das Nationalteam war in dieser Bezie­
hung eine harte Schule für Gelson. In zehn
Jahren spielte er nur 11­mal während 90 Minu­
ten, 35­mal blieb er ohne Einsatz auf der Bank
sitzen. Das mag ein Zeichen sein für Sozial­
kompetenz, vor allem aber für Frustrations­
toleranz. «Früher war ich vielleicht auch
selbstbezogener, egoistischer, aber das hat
sich gelegt», sagt er. Gelson im Team zu haben,
bedeutet, ein Beispiel für die anderen im Ka­
der zu haben. Ein Beispiel dafür, dass sich Ge­
duld lohnt, dass man mit Beharrlichkeit und
guter Laune zu vier Endrunden und 64 Län­
derspielen kommen kann. Nicht wie Pirmin
Schwegler oder Fabian Lustenberger, die ähn­
Weg nach
liche Qualitäten als Fussballer besitzen, dem Russland
Nationalteam aber den Rücken gekehrt haben.
Gelson dagegen ist noch immer da. Zusam­ Athen, Luzern. Ab
men mit Behrami, Lichtsteiner, Djourou und Montag trainieren die
Dzemaili gehört er zu den erfahrenen über Schweizer in Athen,
Dreissigjährigen, die wohl zum letzten Mal an am Freitag testen sie
eine Endrunde fahren. Gelson sagt: «Man gegen Griechenland
muss jeden Tag alles geben, um fit zu sein, da­ und am übernächsten
mit man mit Spass Fussball spielen kann. Man Dienstag gegen
muss von Anfang an wissen, welch grosses Panama in Luzern.
Glück es ist, wenn man Fussballer sein darf.»
Das ist seine Botschaft an die Jungen, an die Lugano, Villarreal.
Ungeduldigen, an diejenigen, die nicht regel­ Die WM-Vorbereitung
mässig spielen, aber trotzdem dazugehören, beginnt am 28. Mai
«wie Brüder, wie eine Familie». in Lugano. Am 3. Juni
Vor zwei Jahren spürte auch Gelson, dass testen die Schweizer
das Familienleben strapaziert war. Die in Villarreal gegen
Schweizer standen vor der Euro in Frankreich, Spanien, am 8. Juni in
sie verloren gegen Irland und gegen Bosnien­ Lugano gegen Japan.
Herzegowina. Schlechte Resultate, dürftige
Leistung, miese Stimmung. «Diese zwei Spiele Toljatti, Rostow. Am
damals waren ein Signal, dass wir etwas 10. Juni nehmen die
ändern müssen», sagt Gelson. In den kom­ Schweizer Quartier in
menden zehn Tagen wird es neben den Par­ Toljatti, am 17. findet
tien gegen Griechenland in Athen und gegen in Rostow der erste
Panama in Luzern wieder wichtig sein, her­ WM-Match gegen
auszufinden, was funktioniert und was weni­ Brasilien statt.
ger – auch neben dem Platz. «Nach vier Mona­
ten im Verein müssen wir uns wieder um
unseren Teamgeist kümmern», sagt Gelson.
Die Misstöne? «Vorbei und vergessen, sie wer­
den keine Rolle mehr spielen», sagt Gelson.
Ob das stimmt, ist eine andere Frage. Gelson
weiss, welcher sein Job sein wird.

Wer soll für die Schweiz treffen?

In der Offensive muss Petkovic in den Experimentierkasten greifen

Wenn sich am Montag die Natio­ Premier League im Abstiegs­ lern aufwiegen, die bis anhin Behrami bereit. Die Innenvertei­ achten, Experimentieren und
ALEXANDER WAGNER / FOTO-NET

nalmannschaft im Flughafen
Kloten für das Trainingslager in
Athen besammelt, fehlen einige
bekannte Gesichter. Admir Meh-
medi erholt sich derzeit von
einer Operation am Fuss, die
WM-Teilnahme ist allerdings
nicht gefährdet. Eren Derdiyok,
den Nationaltrainer Vladimir
Petkovic im Herbst nicht mehr
aufgeboten hatte, ist nach einer
Kapselverletzung noch nicht fit.
Abgemeldet hat sich Xherdan
Shaqiri. Er sei sehr müde und
zudem zwicke wieder einmal die
Wade, soll Shaqiri zuhanden von
Nationalcoach Vladimir Petkovic
ausgerichtet haben. Der Angrei­
fer von Stoke City steckt in der
kampf, befand sich in den letz­ noch keine grosse Rolle gespielt diger Fabian Schär (La Coruña) guter Aussendarstellung. Hilf­
ten Wochen aber in guter Form. haben. Rückkehrer Josip Drmic und vor allem Johan Djourou reich dafür wären gegen Grie­
Das Gegenteil gilt für Haris sammelt nach überstandener (Antalyaspor) erfüllten zuletzt chenland und Panama positive
Seferovic. Der 26-Jährige war in Knieverletzung Spielpraxis und nicht, was Petkovic immer Resultate und schwungvolle
der Qualifikation stets gesetzt als Selbstvertrauen, gestern traf der wieder als wichtigste Forderung Auftritte. Unabhängig davon,
Stürmer. Seit der Barrage gegen 25-Jährige nach langer Zeit an seine Spieler anmahnt: Spiel­ wird es Petkovic aber vor allem
Nordirland aber macht es den wieder einmal für Mönchen­ praxis. Schär und Djourou spiel­ darum gehen, Aufschlüsse zu
Anschein, als hätten ihn die gladbach. Breel Embolo kommt ten in den vergangenen Monaten bekommen über den mentalen
Pfiffe bei seiner Auswechslung bei Schalke 04 allmählich in zu wenig, immerhin scheint Zustand der Mannschaft.
aus dem Tritt gebracht – in Fahrt. Der 20­jährige Dimitri Djourou in der Südtürkei seine Die Spieler sind wie immer im
seinem Klub Benfica Lissabon Oberlin darf eine Schnupper­ physischen Probleme überwun­ März mit den Gedanken bei
wurde er seit Dezember nur Woche absolvieren, auch Mario den zu haben. Mit Manuel Akanji ihren Klubs. Das macht die Auf­
noch fünfmal eingewechselt und Gavranovic (Dinamo Zagreb) steht ein junger Innenverteidiger gabe nicht einfach für den
spielte total lediglich 32 Minu­ bekommt wieder einmal eine bereit, der sich im neuen Klub Coach. Er wird die Zeit nutzen,
ten. Was ist los mit Seferovic? Chance. Borussia Dortmund bereits gut um mit Blick auf die WM-Vorbe­
Darauf wird nicht nur Petkovic Sind im Angriff viele Fragen zurechtfindet. reitung Ende Mai Justierungen
Antworten erhalten wollen. offen, so sind im Mittelfeld­Zent­ Petkovic wird in den kom­ vorzunehmen. Erst dann beginnt
Die fehlende Erfahrung im rum die Routiniers Granit Xhaka, menden zehn Tagen einen Weg die Kampagne für das Abenteuer
Angriff muss Petkovic mit Spie­ Aus dem Tritt: Haris Seferovic. Blerim Dzemaili und Valon finden müssen zwischen Beob­ in Russland. (ram.)
NZZ am Sonntag 18. März 2018
Wenndas
Imperiumeinstürzt
K
ommt es wirklich so weit,
dann war es gut, dass sich die-
ses Gefühl heranschlich,
Nacht für Nacht, Spiel für
Spiel. Dass es nicht wieder
Knall auf Fall eintraf, wie der
FC Basel den Meistertitel ver-
lor. Dass er Mitte März bereits 19 Punkte hinter
YB zurücklag. Dass die Basler Zeit bekamen,
sich damit abzufinden.
Als das Imperium des FCB letztmals ein-
stürzte, waren alle überrascht. Die Basler
hatten zwar erst zwei Titel aneinandergereiht
(2004, 2005), aber eigentlich galt als ge-
sichert, dass sie die Meisterschaft schon da-
mals, na ja, ungefähr achtmal in Serie gewin-
nen würden. Doch es kamen der FC Zürich
und der 13. Mai 2006, die Preisgabe des Meis-
tertitels in letzter Minute und schlimme Zu-
schauerausschreitungen, die Verschlechte-
rung des Images, der Verlust von Identität.
Der FCB wusste nicht mehr, wer er war – und
er fand es erst unter neuer Führung wieder
heraus. Unter der Leitung Bernhard Heuslers
löste sich der FCB vom Modell der Privatfinan-
zierung durch Gigi Oeri und vom totalen An-
spruch, jährlich den Meistertitel zu gewinnen,
was darin mündete, dass er finanziell florierte
und jährlich den Titel gewann.
Vermutlich ereilt den FCB im Fall des Ver-
passens des Titels 2018 wieder ein Selbstfin-
dungsprozess, eine Verschärfung dieses Vor-
gangs, der im vergangenen Sommer begonnen
hat mit dem umfassenden Führungswechsel:
neuer Präsident (Bernhard Burgener), neuer
Sportdirektor (Marco Streller), neuer Trainer
(Raphael Wicky). Die Neuorientierung ver-
läuft harzig, nicht bloss der jüngsten Resultate
wegen – es geht wieder um Identitätsfragen.
PR oder Fehleinschätzung?
Ein erstes Beispiel: Als der FCB vor der Saison
zur Pressekonferenz lud, sassen auch zwei
Spieler auf dem Podium: Matias Delgado, der
Captain, und Dominik Schmid, ein Youngster.
Viele hatten Schmid bis dahin kaum gekannt,
doch plötzlich sollte er für das neue Konzept
des FCB stehen, das Burgener den Mitgliedern
im Frühling feilgeboten hatte: verstärkte
Regionalisierung und geschärfter Fokus auf
die eigene Jugend. Man wollte Schmids Qua-
litäten nicht kleinreden, doch der Ruf eines
Basler Grosstalents eilte ihm gewiss nicht vor-
aus – und es beschlich einen der Gedanke,
dass Schmid auch ein PR-Instrument war.
Als der FCB am vergangenen Mittwoch in
Lausanne spielte, nur 1:1, der nächste Rück-
schlag, ja, da stand Schmid auf dem Platz,
aber im Team von Lausanne, wohin er im
Winter ausgeliehen worden war. Und Delgado
trottete vom Feld – als Assistenztrainer. Er war
im Sommer, nach nur einem Spiel, plötzlich
zurückgetreten. An Schmid und Delgado zeigt
sich: Die Neuausrichtung des FCB hat etwas
Unberechenbares, für Aussenstehende, aber
auch für den FCB selber.
Ein zweites Beispiel: Der FCB beabsichtigte,
mit zwei eigenen Junioren als drittem und
viertem Stürmer durch die Saison zu gehen
(Neftali Manzambi, Afimico Pululu) – und auch
in diesen Fällen fragt man sich heute, was es
eher war: PR oder Fehleinschätzung? Pululu
hat bisher 19 Minuten gespielt, Manzambi 21.
Ein drittes Beispiel: Der FCB griff im Sep-
tember korrigierend ein mit der Rückholung
des ausgeliehenen Stürmers Cedric Itten. Aber
im Winter fürchtete Itten bereits wieder, nicht
allzu viele Einsätze zu erhalten. Er liess sich
nach St. Gallen ausleihen – und hat 2018 in der
Liga schon viermal getroffen, einmal mehr als
das ganze FCB-Team.
Vor den heutigen Krisen-Kulissen ist es ein-
fach, auch die Winter-Zuzüge der früheren
Meisterspieler Fabian Frei und Valentin Sto-
cker zu hinterfragen – PR oder Überzeugung?
Aber all dies lenkt vom grössten Einschnitt ab:
vom Abgang Manuel Akanjis nach Dortmund.
Sport 41
Der neunte Meistertitel in Folge ist für den FC Basel in weite Ferne gerückt. Jetzt
wird auf die Probe gestellt, wie homogen der Klub nach dem Führungswechsel
schon ist. Es geht wieder um Identitätsfragen. Von Benjamin Steffen
dass Burgener den FCB als «Marke» bezeichne
PASCAL MULLER / FRESHFOCUS
Ein Team, und die Fans als «Kunden». Wäre der Klub
zwei Gesichter schon wieder homogen genug, um mit einem
Misserfolg umzugehen?
Die einen sagen: «Ja, ja.» Die anderen: «Ich
würde die Situation nicht unterschätzen.»
Es gibt etwa Roland Suter, Autor, Kabaret-
tist und Regisseur, mit Dauerkarte bei den
Hardcore-Fans der «Muttenzer Kurve». Er
glaubt, die Leute aus seinem Umfeld würden
Nie zuvor war der den Verlust des Meistertitels «relativ locker»
FC Basel in der nehmen, als brauche es ein Jahr des Innehal-
Champions League tens. Suter sagt, es wäre für niemanden gut,
so stark: Vier Siege wenn der FCB YB auch diesmal wieder ein-
in der Gruppenphase holte, «auch jetzt noch», trotz diesem Rück-
brachten stand – wenn auch dieses Kunststück gelänge,
den Vorstoss in die «hätten wir ja definitiv keine Ziele mehr».
Achtelfinals, wo Als Suter kürzlich an einem Champions-
der Klub zwar League-Abend mit ein paar Freunden zusam-
ausschied, aber mensass, merkten sie, dass der FCB gegen
Manchester City aus- 14 der anderen 15 Achtelfinal-Teilnehmer in
wärts 2:1 besiegte. den letzten Jahren schon einmal gespielt hat
– was will der FCB noch mehr? Wer beim Aus-
wärtsspiel gegen Manchester City gewesen
sei, in einem Tempel des Kommerzes, der
wünsche sich Reisen an Orte, wo Fussball
noch gelebt werde, so sagt es Suter. «Natür-
lich tut es weh, wenn wir in Luzern verlieren
oder daheim gegen Lugano und St. Gallen» –
Die Rückrunde der aber es habe auch «etwas Beruhigendes»,
Meisterschaft in der dass das Basler Fussball-Leben dank Champi-
Super League läuft ons-League-Millionen nicht einfach zum
bisher miserabel. Selbstläufer werde.
In fünf Partien er-
reichten die Basler Olympique Lyon, Rosenborg
nur einen Sieg und In Gesprächen mit langjährigen FCB-Beglei-
ein Unentschieden. tern schimmert diese Überzeugung durch:
Sie schossen dabei dass 2018, wenn der Titel wirklich verloren
bloss drei Tore. ginge, ein Übergangsjahr wäre – dass der FCB
2019 den Anspruch des Branchenleaders be-
stimmt wieder einlösen würde. Suter sagt:
«Ja, diesen Optimismus und dieses Selbst-
verständnis haben wir.» Doch darin liegt auch
eine Gefahr: dass die Lage unterschätzt wird.
Sogar Basler weisen anerkennend darauf hin,
wie gut bei YB derzeit gearbeitet werde.
Und es gab andere berühmte Meisterserien
in Europa. Olympique Lyon etwa, französi-
scher Meister 2002 bis 2008 – doch nach der
Entthronung kehrten die Lyonnais nie mehr
auf Rang 1 zurück. Oder Rosenborg Trond-
heim, norwegischer Meister 1992 bis 2004 –
danach aber nur alle paar Jahre einmal wieder,
zuletzt immerhin wieder 2015 bis 2017.
Es ist verlockend, die Saison 2018 als Aus-
rutscher zu sehen, als Nebenwirkung dieser
Selbstbeschränkung des letzten Jahres. Aber
diese Optik würde auch bedeuten, sich einer
vertieften Analyse zu verweigern. Es gibt
Leute, die durchaus glauben, dass mindestens
ein gravierender Personalentscheid gefällt
würde – aus simplem Grund: dass es ein popu-
listisches Projekt war, mit dem Burgener die
FCB-Mitglieder für sich gewann, der Name
Wo ist die Leichtigkeit von früher? Michael Lang (l.) und Tomas Vaclik. (Lausanne, 4. 3. 2018) des Konzepts: «Für immer rot-blau». Ergo
wird Burgener so eingeschätzt, dass er reagie-
ren würde, wenn Volkes Stimme Konsequen-
Es ist verlockend, 2018 Wenn der Trainer Wicky gegen einen einzigen zen forderte. Die naheliegenden Gedanken
als Ausrutscher zu Transfer das Veto hätte einlegen dürfen, es führen zum Trainer Wicky, aber ein Insider
wäre der Verkauf des spielerisch starken denkt nicht minder an «die Stufe unter Burge-
sehen. Aber diese Optik Innenverteidigers gewesen, davon ist auszu- ner». Doch es ist wieder so eine Identitäts-
würde auch bedeuten, gehen. Aber es gab Überlegungen, die stärker frage: Wer ist unter Burgener? Streller, das Ge-
sich einer vertieften wogen: die gesicherten Einnahmen von mehr
als 20 Millionen Franken, nicht erst im Som-
sicht des neuen FCB? Oder doch Jean-Paul
Brigger, der Delegierte des Verwaltungsrats?
Analyse zu verweigern. mer, sondern ein halbes Jahr früher. Ihm fehlte es zuerst an Akzeptanz – und wenn
Vordergründig mag es in diesen Fällen um der frühere Fifa-Mitarbeiter mit etwas ange-
personelle Details gehen, aber sie stehen für priesen werden konnte, so waren es seine
die drängenden Fragen im FCB, für Unsicher- internationalen Beziehungen. Brigger schien
heiten. Was bestimmt den Kurs: monetäre zumindest prädestiniert, die Kooperation mit
oder sportliche Überlegungen? Wie schwer internationalen Spitzenklubs aufzugleisen,
wiegt eine andere Ankündigung Burgeners, noch so ein Wahlversprechen Burgeners.
nämlich: dass im finanziellen Erfolgsfall die Doch was ist eigentlich damit?
Ausschüttung einer Dividende denkbar sei? Das Meisterrennen ist womöglich zu Ende,
Mitte Februar schrieb die «Tageswoche»: aber die Saison noch nicht. Und bestimmt ist
«Burgeners FC Business irritiert die Fans.» es für den FCB noch ein Rennen gegen zu viele
Tage zuvor war ein Flugblatt kursiert, in dem Zweifel – die nächsten Wochen entscheiden,
Fans etwa dem Befremden Ausdruck gaben, wie sehr er sich mit sich selber befassen muss.
© shutterstock.com

SÜDAMERIKA NZZ-REISEN EXKLUSIV

• 5-tägige Kap-Hoorn-Umrundung mit Cruceros Australis

Unberührte Natur und

• Fachbegleitung durch den Meeresbiologen Dr. René Urs Altermatt
• Besuch der Estancia von Dieter Meier

pulsierende Metropolen
• Besuch des Club Suizo in Buenos Aires

IHRE BEGLEITUNG
in Argentinien, Chile DR. RENÉ URS ALTERMATT
Dr. René Urs Altermatt ist studierter Zoologe und hat

und Brasilien sich in Meeresbiologie spezialisiert. Er leitet und orga-

Südamerika – der Kontinent der Gegensätze und Extreme:
tropische Naturparadiese, schneebedeckte Berggipfel, gewaltige
Wasserfälle, einsame Wüsten, mächtige Gletscher, endlose
Traumstrände, pulsierende Metropolen, verträumte Kolonial-
städte und eine einmalige Tier- und Pflanzenwelt.
Termin: 11.11.–01.12.2018
Preis: Fr. 16 480.– (Einzelzimmerzuschlag Fr. 4690.–)
Kleingruppenzuschlag 12–14 Personen Fr. 500.– p. P.
Teilnehmer/innen: Min. 12, max. 20 Personen
Tag 1 und 2: Zürich–Buenos Aires
Am Abend Flug mit Edelweiss nach Buenos Aires. Transfer zum Hotel
«The Brick». Willkommensabendessen.
Tag 3: Buenos Aires und Club Suizo
Stadtrundfahrt durch Buenos Aires. Mittagessen in einem typisch argen-
tinischen Restaurant. Abendessen im Club Suizo.
nisiert seit rund 25 Jahren Naturerlebnis- und Kultur-
reisen und war rund 15 Jahre im Bereich Arten- und
Lebensraummanagement tätig. Aktuell engagiert er
sich in der Wissenschaftskommunikation und im Wissenstransfer.
LEISTUNGEN
• Langstreckenflüge in der Economy-Klasse mit Edelweiss
• Inlandflüge in der Economy-Klasse mit LAN und Aerolineas Argentinas
• Unterkunft in ****- und *****-Hotels, Basis Doppelzimmer
• Eintrittsgebühren zu den im Programm erwähnten Sehenswürdigkeiten
• Transfers gemäss Programm
• 5-tägige Expeditionsfahrt mit der Cruceros Australis in einer Kabine der
Kat. AA inkl. ausgewählten Getränken, Zodiacanlandungen, Fachvorträgen
an Bord (Englisch/Spanisch) durch lokale Lektoren
• Mahlzeiten gemäss Detailprogramm
• Begleitung durch lokale Deutsch sprechende Reiseleitung
• Ausführliche Reisedokumentation
• Fachreiseleitung durch den Meeresbiologen Dr. René Urs Altermatt

Tag 4: Buenos Aires–El Calafate

Flug nach El Calafate. Übernachtung im Hotel «Kosten Aike».

Tag 5: Perito-Moreno-Gletscher
Ausflug zum Perito-Moreno-Gletscher, der seine 5 km breite Gletscher-
zunge in den Lago Argentino schiebt.
© shutterstock.com

Tag 6: El Calafate–Ushuaia
Flug nach Ushuaia, in die südlichste Stadt der Welt. Übernachtung im
Hotel «Los Cauquenes».

Tag 7–11: Schiffspassage

Stadtrundfahrt in Ushuaia und Einschiffung auf die MV «Ventus Australis».

Tag 8: Kap Hoorn und Wulaia-Bucht

Murray-Kanal und die Nassau Bay. Bei gutem Wetter gehen Sie am Kap
Hoorn an Land. Am Nachmittag Landgang in der Wulaia-Bucht.

Tag 9: Pia- und Garibaldi-Gletscher

Sie kreuzen im Beagle-Kanal. Landgang beim Pia-Gletscher. Am Nachmit-
tag fahren Sie an der Südspitze Feuerlands in die Garibaldi-Bucht ein.

Tag 10: Agostini-Sund–Águila und Condor-Gletscher

Einfahrt in den Agostini-Sund. Spaziergang entlang des Gletschersees.
Am Nachmittag nähern Sie sich dem Condor-Gletscher.

Tag 11: Isla Magdalena–Punta Arenas–Nationalpark Torres del Paine

Isla Magdalena, einst wichtiger Versorgungshalt für Seefahrer. Heute lebt
hier eine Kolonie von Magellanpinguinen. Ausschiffung in Punta Arenas.

Tag 12: Nationalpark Torres del Paine

Rundfahrt durch den Nationalpark, herrliche Ausblicke auf die beiden
Granitdome, die das Wahrzeichen des Parks bilden.

Tag 13: Puerto Natales–Santiago de Chile

Flug von Punta Arenas nach Santiago de Chile. Übernachtung im Hotel
«The Singular».

Tag 14: Santiago de Chile

Stadtrundfahrt inklusive Fahrt auf den Cerro San Cristobal, von dessen
Gipfel aus die Marienstatue die Stadt überblickt.

Tag 15: Weingut Santa Rita

Neben der Verkostung der leckeren Weine besichtigen Sie auch das hausei-
gene Museum, das die Zeit nach der spanischen Eroberung nachzeichnet.

Tag 16: Andenüberfahrt

© shutterstock.com

Über atemberaubende Andenpässe fahren Sie heute nach Mendoza in

Argentinien. Übernachtung im Hotel «Park Hyatt Mendoza».

Tag 17: Bodega Ojo de Agua

Stadtrundfahrt, dann Bodega «Ojo de Agua» von Dieter Meier für ein
köstliches Mittagessen.

Tag 18: Mendoza–Iguaçu

Direktflug, mit Zwischenlandung in Salta, nach Iguaçu. Abendessen und
Übernachtung im Hotel «Dos Cataratas».

Tag 19: Iguaçu

Ausflug zu den imposanten Iguaçu-Wasserfällen auf der brasilianischen
und der argentinischen Seite.

Tag 20 und 21: Iguaçu–Rio de Janeiro–Zürich

Flug nach Rio de Janeiro. Stadtbesichtigung. Abschiedsessen im «Fogo de
Chao Botofago». Transfer zum Flughafen und Direktflug nach Zürich.

Anmeldung und Informationen:

reisen.nzz.ch reisen@nzz.ch 041 500 25 18

Organisierender Reiseveranstalter: Lohri Reisen AG

NZZ am Sonntag 18. März 2018
Ein volles Haus garantiert noch keine volle Kasse: Fans des SC Bern im Play-off-Fieber. (15. März 2018)
SovielRuhm,
sowenigGeld
Während der Play-offs steigt die Temperatur im Schweizer Eishockey. Alle wollen
den Meistertitel – aber reich hat er noch keinen Klub gemacht. Von Nicola Berger
E
s bedarf eines grossen Porte-
monnaies, um im Schweizer
Eishockey Meister zu werden.
Seit 1998 haben die wirtschaft-
lichen Schwergewichte aus
Bern, Lugano, Davos und
Zürich alle Titel unter sich auf-
geteilt. Der SC Bern, Meister der Jahre 2016
und 2017, stemmt inklusive diverser Neben-
geschäfte ein Budget von mehr als 60 Millio-
nen Franken. Bei den ZSC Lions beträgt der
Gesamtumsatz über 27 Millionen. Und selbst
nominelle Mittelfeldteams wie der EHC Biel
wenden inzwischen 14 Millionen Franken auf.
Der Unterhalt eines National-League-
Teams ist teuer und bei weitem nicht in allen
Fällen gewinnbringend. Klubs wie Genf/Ser-
vette, der EHC Kloten und Ambri-Piotta
schreiben auch in dieser Saison tiefrote Zah-
len; bei Servette beträgt das Defizit 6,8 Millio-
nen. Die meisten der besser situierten Vereine
spielen um den Titel mit oder wollen zumin-
dest die Illusion aufrechterhalten, dass sie
es tun. Und klar: Ein Titel macht unsterblich,
er bringt Ruhm und Ehre. Doch finanziell
gesehen ist der Ertrag überschaubar.
Null Franken für den Meister
Das gilt zunächst für die Klubs – und hat meh-
rere Gründe. Swiss Ice Hockey schüttet für
den Cup-Sieg zwar total 225 000 Franken aus,
aber für den Meistertitel gibt es null Franken
extra. Und bei den Erträgen aus der Zentral-
vermarktung (TV-Rechte usw.) spielt es keine
Rolle, ob ein Team Meister wird oder sich erst
in der Liga-Qualifikation den National-
League-Platz sichert: Alle zwölf Klubs erhal-
ten in dieser Saison 1,655 Millionen Franken.
2018/19 wird der Betrag auf 1,792 Millionen
erhöht. Zum Vergleich: Bei den Fussballern
der Super League sind die Beträge gestaffelt.
Der Meister erhält 3,3 Millionen, der Absteiger
1,8 Millionen. In der National League ist eine
solche Verteilung auf Liga-Ebene noch nicht
einmal diskutiert worden. Patrick Lengwiler,
Sport
der CEO des EV Zug, sagt: «Es gibt einen Kon-
sens darüber, dass die Klubs untereinander
solidarisch sind. Es braucht zwölf Teams, da-
mit die Liga funktioniert und lebt. Würden wir
die Beiträge an Erfolge koppeln, würde die
Schere zwischen Arm und Reich noch weiter
auseinandergehen.»
Im Fussball winkt für den Meister nicht mit
dem TV-Geld der grosse Reibach, sondern mit
dem Erreichen der Champions League, die
dem FC Basel 2017/18 allein 12,7 Millionen
Euro Startgage einbrachte. Auch im Eishockey
winkt die Teilnahme an der Champions
League, doch die Wettbewerbe lassen sich
nicht vergleichen. Die Mehrzahl der Klubs
schreiben aufgrund hoher Reisekosten und
dem geringen Zuschauerinteresse einen klei-
nen Verlust oder erreichen knapp eine ausge-
glichene Rechnung. Auch Transferentschädi-
gungen fallen im Eishockey weg, man kann
nicht einfach den Play-off-Helden für eine
aberwitzige Summe ins Ausland oder an die
Konkurrenz verkaufen. Transfers aus laufen-
den Verträgen hinaus gibt es kaum – und
wenn, dann ohne Ablösesumme. Es gibt auch
keinen Transfervertrag mit der NHL, der dem
Klub im Falle eines Wechsels 200 000 US-
Dollar garantieren würde.
Geld verdient man mit dem Eishockey-
Play-off somit nur durch Erfolgsprämien von
Sponsoren, den Einnahmen aus Ticket- und
Merchandisingverkäufen sowie der Stadion-
gastronomie. Pro Play-off-Heimspiel beträgt
der Umsatz je nach Klub und Serie zwischen
150 000 und 300 000 Franken. Nach allen Ab-
Transfergelder gibt es
nicht. Ein Klub kann
nicht einfach den
Play-off-Helden für eine
aberwitzige Summe ins
Ausland verkaufen.
zügen fällt für einen Klub im Meisterjahr im
Idealfall ein mittlerer sechsstelliger Betrag ab.
Das entspricht ungefähr jener Summe, die für
einen Schweizer Nationalspieler pro Saison
aufgewendet werden muss. Ein Klubpräsi-
dent sagt: «Es ist besser als nichts. Aber reich
hat ein Meistertitel noch keinen Klub ge-
macht.» Ein anderer sagt: «Ein Titel ist senti-
mental viel wert, aber nicht finanziell.»
Ein Mercedes für Alan Haworth
Was für die Vereine gilt, trifft auch auf die
Spieler zu. Es gab über die Jahre sehr unter-
schiedliche Meisterprämien: Beim ZSC betrug
der Bonus 1961 bloss 100 Franken. Der Vertei-
diger Alan Haworth liess sich im SC Bern in
den 1980er Jahren einen Mercedes verspre-
chen, und um die Jahrtausendwende wurden
Beträge von über 50 000 Franken locker-
gemacht. Heute lassen die meisten Klubs ihre
Profis prozentual am Erfolg teilhaben; vieler-
orts gilt ein Bonus/Malus-System. Das heisst:
Verpasst ein Team wie der HC Davos das Play-
off, erhalten die Spieler de facto für den Monat
April keinen Lohn. Gelingt aber die Qualifika-
tion für den Play-off-Halbfinal, partizipieren
sie an den Heimspieleinnahmen. Die Beträge
sind überschaubar, es handelt sich beim Gros
der Profis um niedrige vierstellige Summen,
aber das Paradoxon bleibt: Für die Profis ist es
finanziell lukrativer, eine Play-off-Serie statt
mit 4:0 mit 4:1 oder 4:2 zu gewinnen.
Richtig lukrativ wird es für die Spieler auch
im Falle einer Meisterschaft nicht – bezie-
hungsweise erst dann, wenn bei der nächsten
Vertragsverhandlung dank starken Leistun-
gen auf eine Lohnerhöhung gepocht werden
kann. Klassische Meisterprämien haben fast
alle Klubs aus ihren Standardverträgen
gestrichen. Der Zuger CEO Lengwiler sagt:
«In einem Play-off-Final brauchen die Spieler
keine Extra-Motivation, das Geld ist nicht
der Hauptfaktor.» Anders als im Fussball gilt
der zweite Teil des Satzes im Eishockey
auch für die Vereine.
43
Fall Mertesacker
URS LINDT / FRESHFOCUS
Experten,
wo man
hinschaut
JAN HUEBNER / IMAGO
Anlass für Meinungen: Per Mertesacker.
I
m Laufe seiner Karriere als Fussballer,
Trainer und Experte hat Lothar Mat-
thäus, 56, so manches über sich lesen
müssen. Aber so etwas? Dass er
unmenschlich sei? Ja sogar ein Populist? Weil
er gesagt hatte, er könne nicht verstehen,
dass eine Weltmeisterschaft von einem
Nationalspieler nicht als Ereignis, sondern
als Belastung empfunden wird?
Dass er dieses Gefühl gehabt habe, das
hatte der ehemalige Nationalspieler Per Mer-
tesacker dem «Spiegel» gebeichtet – und
damit eine Diskussion ausgelöst, in deren
Mittelpunkt bald nicht mehr er allein, son-
dern auch der angeblich so empathielose
Matthäus stand.
Matthäus ist eines jener Gesichter, die
Woche für Woche die Bundesliga analysie-
ren. Experten wie er gehören zur Inszenie-
rung dazu, sie sorgen in manchen Momenten
für prägnante Analysen, in besonders guten
aber können sie eine Diskussion anstossen.
Und der deutsche Fussball kennt viele
Experten. Dabei handelt es sich um einen
vergleichsweise jungen Berufszweig. Die
Geschichte der TV-Experten ist gar nicht so
lang, wie man zunächst glaubt. Als es sie
noch nicht gab, war es vor allem der Trainer
Max Merkel, der via «Bild»-Zeitung seine
Grüsse an die Bundesliga übermittelte. Doch
mit dem Aufkommen des Privatfernsehens
Die Prämien zum veränderten sich auch die Darstellungs-
Meisterpokal formen: Fussball wurde nicht mehr einfach
nur angesagt wie in der «Sportschau». Es
3,75
wurde darüber geredet.
Einer der Ersten, die in neuen Formaten
auftraten, war Günter Netzer, doch dem stets
distanziert wirkenden Niederrheiner lag das
Plauderformat von RTL nicht. Anders ver-
Millionen Dollar hielt es sich ein paar Jahre später, als Netzer,
zahlt die NHL dem befragt von Gerhard Delling, für die ARD zu
Gewinner des einem Glücksfall wurde. Das launige Zusam-
Stanley-Cups. menspiel mit dem stets an der Grenze zur
Dreistigkeit fragenden Delling vertrug sich
0,29
bestens mit Netzers kühler Art. Gemeinsam
sorgten sie im Jahr 2003 für einen TV-Höhe-
punkt: DFB-Teamchef Rudi Völler echauf-
fierte sich nach einem 0:0 gegen Island über
die Einwände Netzers, über die «Gurus und
Millionen Franken Ex-Gurus».
erhielt 2016/17 der Netzer galt fortan als das Ideal des Exper-
KHL-Champion SKA ten. Ein solcher muss nicht unbedingt elo-
St. Petersburg. quent sein, aber er muss Erfolge vorweisen
können, am besten Welt- oder Europameis-
0
ter sein. Mehmet Scholl, der sich im letzten
Sommer mit der ARD überwarf, verstand es
ebenso wie Netzer, zu polarisieren. Dass das
deutsche Expertenwesen nach wie vor
gedeiht, hat vor allem damit zu tun, dass die
Franken wird der Sender mittlerweile aus Generationen von
Bonus für den erfolgreichen Spielern schöpfen können. Die
Schweizer Meister Generation von Franz Beckenbauer und
2018 betragen. Netzer, Weltmeister des Jahres 1974, war bis
vor gar nicht allzu langer Zeit am Fernsehen
präsent. Lothar Matthäus steht für die
Champions von 1990. Auch titellose Genera-
tionen wie jene von 2002 sind in der weiten
Welt der Experten vertreten: mit Bayerns
Ex-Goalie Oliver Kahn und dem ehemaligen
Verteidiger Christoph Metzelder, der an der
Seite von Mertesacker im Nationalteam ver-
teidigte. Sie alle sorgen dafür, dass die
Grundversorgung des Fussballfans mit
Expertenmeinungen auf Jahre hinaus
gewährleistet ist.
Stefan Osterhaus, Berlin
44
Gelbe Karte
Es zwickt mal wieder was, und
überhaupt ist Xherdan Shaqiri
zu müde, um für die Nati zu
spielen. Bei Stoke aber steht er
in der Startformation. Wir
mögen keine faulen Ausreden.
Eishockey Play-offs
.
1 Freiburg
5. Rossi.
3 Lugano
4. Lapierre, 29. Lajunen, 40. Cunti.
Gottéron - Lugano ist die Serie
zwischen Westschweiz und Tes-
sin, zwischen dem routinierten
Freiburger Torhüter Barry Brust
und dem talentierten Elvis Merz-
likins, zwischen dem tschechi-
schen Künstler Roman Cervenka
und dem kanadischen Brecher
Maxim Lapierre. Nach vier Spie-
len haben die Freiburger zwar
mehr Schüsse aufs Tessiner Tor
abgefeuert, sie hatten am Sams-
tag ein Chancenplus und trafen
viermal die Torumrandung.
Lugano aber gewann 3:1 und steht
einen Sieg vor der dritten Halb-
finalqualifikation in Folge.
Die Luganesi verschafften sich
den entscheidenden Vorteil im
Mitteldrittel, als Jani Lajunen und
Luca Cunti 45 Sekunden vor der
Pause im Powerplay zwei Tore zur
3:1-Führung erzielten. Im Mittel-
punkt der Partie standen zwei
Protagonisten, die die Serie prä-
gen: Brust liess die Scheibe vor
dem 1:2 abprallen und brach
damit das Momentum seines
Teams. Auf der Gegenseite er-
zielte Lapierre den Führungstref-
fer, der die Luganesi nach der
Niederlage vom Donnerstag in die
Serie zurückbrachte.
Lapierre ist der Dreh- und
Angelpunkt im Tessiner Spiel. Er
ist nicht mehr nur der Provoka-
teur der ersten Jahre in der
Schweiz, sondern prägt das Spiel
der Luganesi als bisher bester
Play-off-Skorer auch in der Offen-
sive. Es mag ein Zeichen des Tes-
siner Stilwechsels sein. Luganos
schwedischer Künstler Linus Kla-
sen jedenfalls spielte im vierten
Match zum ersten Mal, blieb aber
ohne Einfluss.
Daniel Germann
Arno Del Curto und der Mut zum Risiko
.
4 Davos
2. Dino Wieser. 22. Walser. 29. Nygren.
60. Rödin.
2
Biel
27. Fabian Sutter. 35. Forster.
Unter dem Trainer Arno Del Curto
ist der HC Davos ja seit je ein Bio-
top für Experimente. Der perfek-
tionistische Del Curto pflegt seine
Ideen radikal umzusetzen, er ist
nicht für Kompromisse und schon
gar nicht für konservatives Coa-
ching bekannt. Beim dritten Play-
off-Viertelfinalspiel vom Don-
nerstag gegen den EHC Biel war
Del Curtos Flair für Wagnisse wie-
der einmal zu bestaunen: Der
Coach liess den HCD freiwillig mit
bloss drei Ausländern antreten,
weil er mit den Leistungen des
tschechischen Stürmers Robert
Kousal nicht zufrieden war. Da-
vos verlor mit 3:5, das Team be-
zahlte auch für seine Unerfahren-
heit, doch es ging um mehr, um
ein Signal: Lustlosigkeit wird
nicht geduldet, sonst nimmt der
Sport NZZ am Sonntag 18. März 2018
Aufgefallen Zahl Podestfahrerin
13
Usain Bolt, Scharfmacher Wendy Holdener
AP
300 000 Dollar bekam der Der letzte Frauenslalom des
Sprinter früher pro Start – Winters war ein Abbild der
schnell verdientes Geld, wenn ganzen Saison. Im 1. Rang:
man bloss knapp zehn Sekun- Mikaela Shiffrin. Im 2. Rang:
den dafür arbeitet. Nach dem Wendy Holdener. Dahinter: der
Rücktritt braucht Bolt neue Rest. Für Holdener war es der
Einnahmequellen. Deshalb ist er elfte Podestplatz der Saison.
in die Nahrungsmittelindustrie So viele Erfolge hat Marcel Hir- Nach dem ersten Lauf war sie
eingestiegen. In Australien wird scher diesen Winter errungen. noch im fünften Rang klassiert.
unter dem Namen «Usain’s Gewinnt er auch den Slalom von «Ich hätte nicht gedacht, dass es
Insane» eine verrückt scharfe heute Sonntag, ist er alleiniger noch reicht», sagte sie später. Es
Sauce angeboten. (reg.) Rekordhalter an Saisonsiegen. reichte. Wie zuletzt so oft. (sta.)
Der ZSC bringt Zug in Not
.
5 ZSC Lions
ALADIN KLIEBER / KEYSTONE
35. Miranda. 40. Shore.
44. Korpikoski. 48. Suter. 50. Shore.
0 EV Zug
Die ZSC Lions überraschen weiter.
Sie schlagen den EVZ zum dritten
Mal hintereinander und liegen im
Viertelfinal nun 3:1 vorne – noch
ein Sieg fehlt ihnen bis zum Ein-
zug in den Halbfinal. Die Zuger
wiederum, die immerhin als
Zweiter der Qualifikation und
Favorit in die Serie starteten,
wirken zunehmend ratlos. Ein
Rezept, wie der immer mehr auf-
kommenden Dynamik der Zür-
cher beizukommen ist, fanden sie
abermals nicht.
Im ausverkauften Hallen-
stadion lieferten sich die beiden
Kontrahenten einen typischen
Play-off-Kampf. Im Bemühen,
um keinen Preis in Rückstand zu
geraten, wurde zäh um jeden
Zentimeter gerungen. Der EVZ
startete zwar dynamischer als in
den beiden Spielen zuvor, die
Zürcher hielten jedoch gut da-
gegen. In der Folge trug die Partie
Züge eines Schachspiels: viel Tak- ZSC-Spieler Mike Künzle (rechts) stürmt auf Zugs Torhüter Tobias Stephan zu.
tik, viel Spannung und Tempo –
und dies bei aufgeladener Atmo-
sphäre. Kaum war die Sirene zur Die Zuger waren als spielern schlug in der 35. Minute mit dem 5:0 noch nach. Zuvor chern eine Leistung gelang, die
ersten Pause erklungen, entlud zu. Marco Miranda verwertete ein hatten Pius Suter und der Finne überzeugte. Sie waren geduldig,
sich die Spannung in einigen
Favorit in die Serie sehr schönes Zuspiel des Centers Lauri Korpikoski getroffen – aus standen sicher und skorten kalt-
Scharmützeln. Generell jedoch gestartet, wirken Raphael Prassl zum 1:0. Richtig dem ausgeglichenen Schachspiel blütig. Das sah vor einer Woche
lief das Spiel intensiv, aber nicht
mit unkontrollierten Emotionen
aber zunehmend dick kam es für den EVZ kurz vor
der zweiten Pause. In einem ein-
war immer mehr eine einseitige
Angelegenheit geworden. Der
noch anders aus, als sie in Zug 1:4
verloren hatten. Seither zeigt ihre
ab. Der EVZ hatte nur in der ers- ratloser. zigen Einsatz kassierte er drei EVZ, bei dem der Captain Raphael Formkurve nach oben. Sie fanden
ten Hälfte Phasen, in denen er das Strafen. Die Überzahl liessen sich Diaz nach einem Match verlet- die nötigen Emotionen und konn-
Kommando übernahm. Aber es die Lions nicht entgehen, Drew zungsbedingter Pause wieder ten reagieren. Nun haben sie alle
gelang ihm nie, die sichere Lions- Shore traf zum 2:0. Wie bei spielte, konnte nie mehr auf den Vorteile auf ihrer Seite. Schon am
Abwehr zu knacken. Miranda zuvor war dies erst sein Zürcher Vorsprung reagieren, er Dienstag in Zug können sie in die
Das rächte sich. Der vierte Zür- zweiter Treffer der Saison. Und blieb im letzten Drittel ausgespro- die Halbfinals einziehen.
cher Block mit den Nachwuchs- der Amerikaner doppelte später chen harmlos, während den Zür- Ulrich Pickel, Zürich
Sport im TV
Ski alpin
nächste Junior den Platz der Jäger, Dominic Weder und Yan- der Tessiner schied im ersten bei fünf gegen fünf Feldspielern 9.35 SRF 2: Riesenslalom Frauen in Åre,
Stammkraft ein.
Am Samstag wurde Kousal be-
nick Frehner; allesamt Jünglinge
mit überschaubarer Erfahrung.
Drittel verletzt aus. Der HCD mag
dezimiert sein, aber er schlägt
Vorteile verzeichnete. Doch Gilles
Senn, der junge HCD-Torhüter,
1. Lauf.
10.40 SRF 2: Slalom Männer in Åre,
1. Lauf.
gnadigt, aber an der Jugendlich- Und nach dem Captain Andres sich wacker. Am Samstag resul- gewann das Goalieduell gegen 12.40 SRF2: Riesenslalom Frauen in
Åre, 2. Lauf.
keit des HCD änderte das nichts, Ambühl verlor der HCD mit Dario tierte ein insgesamt glückhafter den früheren Davoser Meister-
es stürmten unter anderem Ken Simion die nächste Stammkraft, 4:2-Sieg über einen EHC Biel, der goalie Jonas Hiller. Um Hiller hat-
13.25 SRF 2: Slalom Männer in Åre,
2. Lauf.
ten sich unter der Woche hitzige
Diskussionen entzündet, denn Langlauf
der Goalie hatte für eine der kon-
GIAN EHRENZELLER / KEYSTONE
Play-off-Viertelfinal troversesten Szenen im bisheri- 11.25 SRF 2: Verfolgung Frauen in Falun.
14.15 SRF 2: Verfolgung Männer in Falun.
gen Play-off gesorgt, indem er
Serie Runde sich am Donnerstag zu einer ver- Tennis
1 2 3 4 5 6 7 störenden Schwalbe hinreissen
Bern (1) 3 7 5 5 1 - - - liess. Die Simulation Hillers, eines 21.00 SRF 2: ATP-1000-Turnier in Indian
Genf/Servette (8) 1 0 2 1 4 - - - Wells, Final: Federer - Del Potro.
Veteranen von 36 Jahren, mit Ver-
Zug (2) 1 4 4 2 0 - - - gangenheit in der NHL und an
ZSC Lions (7) 3 1 5 3 5 - - - Motorrad
Olympia, sorgte für hitzige Dis-
Biel (3) 2 2 3 5 2 - - - kussionen. Die Frage war, ob ein 15.10 SRF 2: GP Katar, Moto2 in Katar.
Davos (6) 2 5 1 3 4 - - - 16.55 SRF info: GP Katar, Moto GP in
Mann wie er eine solche Aktion
Lugano (4) 3 6 5 3 3 - - - Katar.
nötig habe. Die Gemüter beruhig-
Freiburg (5) 1 2 2 4 1 - - -
ten sich erst, als sich Hiller in
Fussball
holprigem Englisch auf Twitter
entschuldigte und sagte, er 15.45 SRF 2: Super League, Thun -
Placierungsrunde schäme sich. Vergleichbare Eklats Lausanne.
18.00 SRF 2: Super League – Goool.
blieben dem Publikum am Sams-
tag erspart. Stattdessen wurde Allgemein
SCL Tigers - Ambri-Piotta 4:1
die Serie mit dem erst zweiten
Lausanne - Kloten 6:0 Heimsieg erneut neu lanciert. 18.30 SRF 2: Sportpanorama.
Der Experimente noch immer nicht müde: HCD-Trainer Del Curto. Nicola Berger, Davos
NZZ am Sonntag 18. März 2018
Gewinner
IMAGO
Fussball Super League
.
2 St. Gallen
48. Sigurjonsson. 82. Ben Khalifa.
1 GC
51. Rhyner.
Rache ist süss. Das muss sich
Runar Mar Sigurjonsson nach
Spielschluss gedacht haben. Er
formulierte es so: «Mir geht es
prächtig.» Im Herbst hatte ihn der
GC-Trainer Murat Yakin öffent­
lich kritisiert, aufs Abstellgleis ge­
stellt und schliesslich im Winter
nach St. Gallen abgeschoben. Und
nun rechnete der Isländer beim
ersten Aufeinandertreffen gna­
denlos ab. Sein Rachezug begann
schon vor der Partie. Im «St. Gal­
ler Tagblatt» hatte er Yakins Geba­
ren als «Kindergartenspiel» be­
zeichnet. Er wolle zeigen, dass
der GC einen Fehler begangen
habe, ihn wegzuschicken.
Gesagt, getan. Sigurjonsson
zerstörte das GC-Spiel mit leiden­
schaftlichen Tacklings sowie zwei
entscheidenden Finessen: Zuerst
wuchtete er aus rund dreissig
Metern den Ball in den Winkel
zum 1:0 und später lieferte er mit
einem präzisen Seitenwechsel
den Assist zu Nassim Ben Khali­
fas Siegestor.
So wandte sich ein vermeint­
lich gewonnener Machtkampf
wie ein Bumerang gegen Yakin
selbst. Und wer weiss, wie wei­
tere schwelende Konflikte enden
werden. Laut «Blick» soll Yakin
mit dem Rücktritt gedroht haben,
dürfe er nicht wieder mit seinem
Intimus Roland Klein weiterar­
beiten, dem derzeit suspendier­
ten GC-Vize. Die Klub­Führung ist
zutiefst gespalten in eine Yakin­
und Nicht­Yakin­Fraktion, das
Team schlingert.
Michele Coviello, St. Gallen
Bundesliga
.
0 Wolfsburg
1 Schalke 04
86. Knoche (Eigentor)
Die Entscheidung im Titelkampf
ist de facto gefallen, fraglich ist
bloss, wann die Bayern den Titel
gewinnen werden. Heute Sonn­
tag wird dies nicht sein, denn
Schalke sorgte mit einem 1:0 in
Wolfsburg dafür, dass es den Bay­
ern selbst bei einem Sieg in Leip­
zig nicht möglich ist, die nötige
Punktzahl zu erreichen.
Es war ein ereignisarmes Spiel,
geprägt von beidseitiger Vorsicht,
so dass es nicht verwunderte dass
die Entscheidung spät fiel. Wolfs­
burgs Robin Knoche lenkte eine
Hereingabe von Breel Embolo ins
eigene Netz. Zuvor nutzte Schal­
kes Goalie Ralf Fährmann das
Spiel um, sich für Pannen der jün­
geren Vergangenheit schadlos zu
halten: Er pariere einen Penalty
von Paul Verhaegh. Schalke be­
legt den zweiten Tabellenplatz
vor dem BVB. Coach Tedesco hat
die Chance, in der ersten Schalke­
Saison direkt in die Champions
League einzuziehen.
Stefan Osterhaus, Berlin
Sport
Oksana Masters
Vor 28 Jahren kam sie in der
Ukraine mit Geburtsfehlern auf
die Welt. Die Beine mussten ihr
amputiert werden, zwischen
Fingern und Zehen waren ihr
Schwimmhäute gewachsen.
Es waren offenbar Folgen der
nuklearen Katastrophe von
Tschernobyl. Masters kämpfte
sich ins Leben – an den Paralym-
pics in Südkorea gewann sie nun
zwei Goldmedaillen. (sta.)
YB gewinnt in Zürich mit Glück
.
1 Zürich
65. Rodriguez (Penalty).
2
YB
61. Assalé. 67. Hoarau (Penalty)
Eine meisterliche Vorstellung lie­
ferten die Young Boys auf dem
Weg zu ihrem achten Ligasieg in
Serie nicht ab. Sie haben in die­
sem Jahr schon weit überzeugen­
der, dominanter, stilsicherer ge­
spielt als in dieser Regennacht im
Letzigrund. Aber in einem gewis­
sen Sinn war es eben doch der
Auftritt eines kommenden Meis­
ters – einer Mannschaft, die auch
gewinnt, wenn sie nicht mal gut
spielt, auf jeden Fall nicht besser
als der Gegner.
Auch der YB-Trainer Adi Hüt­
ter stellte fest, «dass wir das Spiel
nur Anfang erster und dann wie­
der Anfang zweiter Halbzeit im
Griff hatten. Insgesamt können
wir uns beim sehr starken Marco
Wölfli bedanken, dass wir drei
Punkte holten». Entsprechend
der Leistung hätte der FCZ einen
Punkt sicher verdient. Vor allem
aber sei mit diesen drei wichtigen
Punkten der FC Basel heute Sonn­
tag wieder unter Zugzwang.
Es war ein Match, in dem beide
Teams Fehler begingen und beide
ihre Chancen hatten. Aber YB traf
einmal mehr und beging den
einen Fehler weniger. Fehler, wie
sie dem jungen Zürcher Fabian
Rohner unterliefen, ehe Guil­
laume Hoarau als Vorbereiter und
Roger Assalé als cooler Skorer das
0:1 bewerkstelligten. Oder wie die
zwei Penaltys für YB zustande
Tennis Indian Wells
Roger Federer wacht zur richtigen Zeit auf
Federer (SUI)
Coric (CRO)
Diesmal flog er nicht zum Sieg
wie schon so oft in diesem Jahr,
aber vielleicht hatte Roger Fede­
rers Sieg am Samstag im Halbfinal
von Indian Wells gegen Borna
Coric (5:7, 6:4, 6:4) gerade des­
halb eine besondere Bedeutung.
Fast zweieinhalb Stunden lang
machte der junge Kroate ihm das
Leben schwer, doch mit einer
Mischung aus Kampfgeist und
Geduld setzte sich Federer am
Ende durch. Heute wird er nun
gegen den Argentinier Juan Mar­
tin del Potro im 147. Final seiner
Karriere um den 98. Titel spielen
(Beginn nicht vor 21 Uhr MEZ),
die magische Zahl von 100 rückt
also immer näher.
Nachdem er im Laufe des Tur­
niers am frühen Nachmittag, am
späten Nachmittag und am Abend
gespielt hatte, musste Federer
diesmal schon um 11 Uhr morgens
ran, und es sah eine Stunde lang
so aus, als sei das nicht seine Zeit.
Zitiert
«Er war der Einzige,
der heute zeigte,
dass er Eier hat.»
Peter Sagan gratulierte auf Twitter seinem
Konkurrenten Vincenzo Nibali zu dessen Sieg im
Veloklassiker Mailand–San Remo.
ANFY MÜLLER / FRESHFOCUS
Starker Rückhalt: YB-Goalie Marco Wölfli schnappt sich einen Ball von Raphael Dwamena (links).
YB spielt wie ein
künftiger Meister:
ein Team, das siegt,
auch wenn es nicht
besser ist.
566
744
«Keine verrückten Dinge versuchen»: Federer (links) über sein Spiel.
Mit Problemen beim ersten Auf­
schlag, mit einer Erfolgsquote
von nur 50 Prozent und deutlich
mehr Fehlern im Vergleich zu den
Spielen zuvor, machte er keinen
souveränen Eindruck. Aber den
grössten Einfluss auf das Spiel
kamen, nach doch eher plumpen
Aktionen Alain Nefs gegen Assalé
oder Rohners gegen Christian
Fassnacht. Den ersten nutzte
Hoarau zum 1:2, seinem
20.Penaltytor in der Super
League. Der zweite landete am
Pfosten. Es war Hoaraus zweiter
Fehlschuss vom Punkt in der Liga.
hatte der extrem starke Auftritt
von Coric, der kein bisschen
nervös wirkte. Der Gegner werde
nach den Siegen zuvor sicher
mit grossem Selbstvertrauen ins
Match gehen, hatte Federer vor­
her gesagt. Genau so sah es aus.
Alle Ergebnisse
im Internet unter
nzz.ch/sport
45
Entdeckt
Fellaini aka Mickey Mouse
Wir haben ja schon viel gesehen
bezüglich Fussballerfrisuren.
wirken. Der Belgier Marouane
Fellaini zeigt sich auf Insta-
gram verspielt und selbst-
Aus den 1980er Jahren
sind uns verstörende
Bilder in Erinnerung,
ironisch. Es ist
jedoch zu hoffen,
dass nun nicht
furchtbare Vokuhilas
oder Stirnfransen
zum Seehundschnauzer.
alle seine Kolle-
gen meinen, sie
müssten an der WM
Heute scheint es, dass mit ähnlichen Kreatio-
Fussballer so lange vor nen auflaufen. Der Grat
dem Spiegel stehen, bis zwischen lustig und doof
sie nur noch affig ist schmal. (reg.)
Super League
26. Runde: St.Gallen - Grasshoppers 2:1
(0:0). Zürich - Young Boys 1:2 (0:0).
Sonntag: Basel - Sitten. Lugano -
Luzern. Thun - Lausanne (alle 16.00).
1. Young Boys 26 61
2. Basel 24 42
3. St.Gallen 26 42
4. Zürich 25 35
5. Luzern 25 34
6. Lugano 25 31
7. Grasshoppers 26 31
8. Lausanne 25 27
9. Sitten 25 24
10. Thun 25 24
zum Ausgleich, durch einen Elf­
meter Roberto Rodriguez’ nach
einem Foul Wölflis an Dwamena.
Vorausgegangen war allerdings
ein Abseits Dwamenas. Vom 0:1
zum 1:2 vergingen nur sechs
Minuten.
Dennoch sah der FCZ-Trainer
Ludovic Magnin bei aller Enttäu­
schung spielerische Fortschritte
seines Teams, es sei mutiger ge­
wesen als in den Partien zuvor. Es
war nachvollziehbar, dass er noch
Wölflis Anteil war in der Tat die sagte: «Wenn man Erster ist, hat
auffallendste Einzelleistung des man auch die Kleinigkeiten auf
Abends. Etwa in jener Szene nach seiner Seite.» Dinge wie dieses:
78 Minuten, als er einen Ball dass der Schiedsrichter schon in
Raphael Dwamenas aus bester
Position abwehrte. Wer gegen den
der ersten Halbzeit einen Elf­
meter für den FCZ hätte pfeifen
Leader punkten will, darf solche sollen, nach Kasim Nuhus Foul an
Chancen nicht auslassen. So Dwamena.
reichte es dem FCZ nur einmal Hansjörg Schifferli
ter. Er gab auch das erste Auf­
MIKE NELSON / EPA
schlagspiel des zweiten Satzes ab,
und mit diesem Rückstand gegen
den fast optimal spielenden Coric
wurde die Aufgabe immer grös­
ser, immer gefährlicher.
In dieser Phase, so sagte er
nach dem Spiel, sei ihm nichts
anderes übrig geblieben, als zu
kämpfen, im böigen Wind keine
verrückten Dinge zu versuchen
und darauf zu hoffen, dass der
andere vielleicht irgendwann ein
bisschen nervös werden würde.
Und genau das passierte. Mit
einem Fehler gab Coric sein Auf­
schlagspiel zum 4:4 ab, mit einem
weiteren Aufschlagverlust verlor
er den zweiten Satz, aber er hielt
weiter beeindruckend gut mit.
Als es vorbei war, hatte der Titel­
verteidiger das Gefühl, jetzt sei
er wirklich wach. Roger Federer
Mit einem Break ging Coric 6:5 stellte sich vor die Mikrofone der
in Führung, und mit seinem Auf­ Reporter und sagte: «Es war wirk­
schlagspiel schnappte er sich den lich nicht leicht heute. Aber es
ersten Satz. Es war der vierte soll ja auch nicht immer leicht
Satz, den Federer in diesem Jahr sein.» Es war gestern die beste
verlor, und die Sache wurde Zeit um aufzuwachen.
gleich noch ein wenig komplizier­ Doris Henkel, Indian Wells
ImFokus
Fünf Jahre lang hat Novak Djokovic den Tennis-Zirkus auch dank seiner mentalen Stärke dominiert. Nun
stellt sich der Serbe auf einmal Fragen. Das ist kein gutes Zeichen. Von Daniel Germann
A
m 7. März, unmittelbar
vor seinem ersten Spiel
am Masters-1000-Turnier
in Indian Wells hat Novak
Djokovic auf Facebook
ein Bild gepostet. Es zeigt
ihn, im Schneidersitz am
Abgrund des Grand Canyon sitzend. Dazu
schreibt der Serbe: «What a humbling place
to visit and recharge before practice.»
Djokovic ist ein gläubiger Mann. Man
weiss von ihm beispielsweise, dass er wäh-
rend des Wimbledon-Turniers gelegentlich
einen buddistischen Tempel besucht, um zu
meditieren. Er hat einst gesagt, die Medita-
tion helfe ihm, im Hier und Jetzt zu bleiben.
Das sei gerade im Tennis ungeheuer wichtig.
Hier und Jetzt. Wer weiss, ob Novak Djo-
kovic diesen Ort heute noch liebt, ob er noch
in ihm verweilen will. Anfang Woche nach
seiner Niederlage im ersten Spiel von Indian
Wells gegen den Japaner Taro Daniel jeden-
falls wollte er nur noch weg. Weg aus der
kalifornischen Oase, weg aus dem Tennis-
zirkus, weg von all den Fragen, auf die er
selber keine Antwort weiss.
Djokovic leidet. Seit er vor nun bald zwei
Jahren erstmals in Roland-Garros gewann
und damit seine Grand-Slam-Titelsammlung
komplett machte, ist zumindest im Tennis-
leben des Serben nur noch wenig so gelau-
fen, wie er sich das vorgestellt hat und auch
gewohnt war. Statt Titel sammelte er plötz-
lich Niederlagen. Seine Fähigkeit, sich auf
den Moment zu konzentrieren, war auf
einmal weg. Stattdessen begann er, sich
Sinnfragen zu stellen. Er suchte Rat bei
einem obskuren spanischen Mentaltrainer,
brach deswegen mit seinem Trainer Boris
Becker und holte stattdessen Andre Agassi
ins Team. Auch der Amerikaner war während
seiner Karriere dem spirituellen Gedanken-
gut nicht abgeneigt.
Vom Körper verlassen
Dazu kamen körperliche Probleme. Der Ell-
bogen begann zu schmerzen, monatelang
kämpfte er sich mit den Beschwerden durch
die Turniere. Im vergangenen Sommer in
Wimbledon, als die Schmerzen im Viertel-
final gegen Tomas Berdych so heftig wurden,
dass er aufgeben musste, entschloss er sich,
die Saison abzubrechen. Bis kurz vor dem
Australian Open zögerte er, in den Circuit
zurückzukehren. Er tat es dann doch,
und bald darauf waren auch die Schmerzen
zurück. Anfang Januar unterzog er sich
deshalb in Basel jenem Eingriff, den er so
beharrlich zu verhindern versucht hatte. Auf
Facebook schrieb er, er habe darauf vertraut,
dass sein Körper einen natürlichen Weg
finden werde, um sich selber zu heilen. Er
hatte sich getäuscht.
Und nun also trat Djokovic nur sechs
Wochen nach dem Eingriff in Indian Wells
bereits wieder an und verlor prompt gegen
Die Sportwoche Von Benjamin Steffen
Was, wenn sich der Magen dreht? Lass dich inspirieren!
Wenn es ihr wieder einmal schlechtgeht,
COLORSPORT / IMAGO
wenn die Skifahrerin Lindsey Vonn zu ihrem
Vater sagt: «Ich kann grad nicht, es ist zu
viel» – dann sagt er: «Was würde Roger tun?»
So stand es diese Woche in der «Anna-
belle» – und für den Fall, dass Sie nur Zlatan
auch ohne Nachnamen erkennen, den einst
weltbesten Fussballer, oder Beat, den welt-
besten Abfahrer: Bei Roger handelt es sich
um Roger Federer, einen Schweizer Tennis-
spieler und vierfachen Vater, 36 Jahre alt.
Auch Stephan scheint ihn sehr zu mögen,
Stephan Lichtsteiner, der Captain der
Schweizer Fussballer und zweifache Vater,
34 Jahre alt. Lichtsteiner sagte im «Blick»,
Federer sei «eine grosse Inspiration für jeden
Profisportler. Ein extremes Vorbild.» Federer
selber sagte am Donnerstag in der NZZ: «Bei
den eigenen Kindern ist wichtig, für sie da zu
sein, wenn es ihnen nicht gutgeht.» Er ist
eine grosse Inspiration für jeden vier-, drei-,
zwei-, einfachen Vater. Ein extremes Vorbild.
einen krassen Aussenseiter. Zumindest
öffentlich mochte er sich die Frage nicht
stellen, ob er zu ungeduldig gewesen, zu
schnell zurückgekommen sei. «Ich schaue
nicht zurück. Ich habe ein Turnier gespielt,
mehr nicht.» Die Frage wird wohl erst die
Zukunft beantworten. Bereits nächste Woche
beginnt in Miami das nächste Turnier. Djoko-
vic ist eingeschrieben. Ob er aber auch spie-
len wird, ist offen. Nach seiner Niederlage
fuhr er nach Las Vegas zu seinem Trainer
Agassi, um weiter am Comeback zu arbeiten.
Wie der erste Match
Er habe sich, sagte er nach der Niederlage
gegen Daniel, wie an seinem ersten Match
auf der Tour gefühlt. «Wenn man in den ver-
gangenen neun Monaten nur ein paar Mat-
ches gespielt hat, kämpft man auch gegen
die eigenen Gedanken, egal ob man sich
fit fühlt oder nicht. Selbst wenn man keine
Schmerzen mehr spürt, sind sie noch im
Kopf. Speziell wenn man sich zuletzt mehr
als zwei Jahre lang mit ihnen herumschlagen
musste.»
Djokovic hat sich sein Comeback wohl
einfacher vorgestellt. Wie Stan Wawrinka,
wie Andy Murray mag er Roger Federer vor
Augen gehabt haben, der nach seiner halb-
jährigen Pause zurückkehrte und gleich
das Australian Open gewann. So einfach ist
das nicht. Federer selber hatte sich damals
in Melbourne in den ersten beiden Partien
gegen Jürgen Melzer und Noah Rubin auf
einer dünnen Linie bewegt.
Djokovic wird im Mai 31 Jahre alt. Wird er
wieder fit, hat er im Minimum noch vier, fünf
gute Jahre vor sich. Die Art, in der er Tennis
spielt, beansprucht seinen Körper stärker
als etwa jene von Federer. Doch der härteste
Gegner auf dem Weg zum Comeback wird
wohl sein Kopf werden. Der Serbe findet sich
unversehens in jener Rolle wieder, in der er
schon einmal war: im Schatten von Roger
Federer, im Schatten auch von Rafael Nadal.
In Melbourne und nun auch in Indian Wells
hat er wiederholt gesagt, wie er die ganze
Tennisszene vermisst habe, wie froh er sei,
zurück zu sein. Je öfter er das sagte, desto
mehr fragt man sich, wen er damit überzeu-
gen will: seine Zuhörer oder nicht doch eher
sich selber. Novak Djokovic grübelt. Kurz
nach seiner Niederlage in Indian Wells pos-
tete er ein Bild, das ihn am Show-Set des
Magiers David Copperfield zeigt. Wer weiss:
Vielleicht hilft ja der.
«Wenn man nur ein paar
Matches gespielt hat,
kämpft man auch gegen
die eigenen Gedanken,
egal, ob man sich fit
fühlt oder nicht.»
NZZ am Sonntag 18. März 2018
DerGrübler
JOHN CORDES / ICON SMI / IMAGO
Novak
Djokovic
Der Serbe domi-
nierte das Tennis in
der ersten Hälfte
dieses Jahrzehnts.
Er war 223 Wochen
lang die Nummer 1
und beendete von
2011 bis 2015 jedes
Jahr auf dieser Posi-
tion des ATP-Ran-
kings. Djokovic
gewann 12 Grand-
Slam-Titel und
schlug dabei drei-
mal im Final Roger
Federer. Insgesamt
errang er bisher 68
Turniersiege auf der
ATP-Tour und ge-
wann über 100 Mil-
lionen Dollar an
Preisgeld. Nun ist er
auf Rang 13 der
Weltrangliste abge-
stürzt.
Es will einfach nicht klappen: Novak Djokovic hadert in Indian Wells. (11. März 2018)
Nicht ohne meine Letzthin sagte der deutsche Fussballer 2017 zu ihm ins Bett gekrochen seien. Dass
Familie: Mirka Per Mertesacker im «Spiegel», dass sich vor sie über ihn definiert werden? Und dass er
Federer mit Kindern Spielen sein Magen drehe, «als müsse ich am Wochenende womöglich schlecht
auf der Tribüne an mich übergeben»; der Druck habe ihn «auf- gespielt hat? Interessiert keine Sau, weil er
einem Spiel von gefressen». Es interessiere «grundsätzlich grundsätzlich eine grosse Inspiration ist.
Roger Federer 2017 keine Sau, ob du zehn gute Spiele abgeliefert Hans tritt zurück – Hans Flatscher, der
in Wimbledon. hast. Es zählt immer nur das aktuelle Spiel.» Trainer der Schweizer Skifahrerinnen und
Federer wiederum sagte dieser Tage: «Du dreifache Vater, 49 Jahre alt. Er will öfter zu
bist immer nur so gut wie dein letztes Spiel.» Hause sein, es sei ihm «ein Anliegen, meine
Dieselbe Aussage – bei Mertesacker wirkt Kinder in den nächsten Jahren enger beglei-
sie bedrückend, bei Federer «philosophisch» ten zu können». Federer wiederum reist oft
(«Tages-Anzeiger»). mit der Familie, er erzählt vom Homeschoo-
Mertesacker tritt bald zurück, auch den ling, «das funktioniert wunderbar», und über
beiden Söhnen zuliebe. «Ich will nicht, dass den Rücktritt habe er mit seiner Frau erst
sie über mich definiert werden oder sie sich einmal geredet, «es war mehr en passant».
in der Schule anhören müssen, wenn ich am Was würde Roger tun, dieses extreme
Wochenende schlecht gespielt habe.» Fede- Vorbild? Alles ganz einfach, wenn sich der
rer wiederum plaudert munter über seine Magen dreht und dich der Druck auffrisst.
Kinder, wie er die Buben in die Skischule So, ich müsste. Draussen rufen, schreien,
begleitete, dass die Mädchen Klavier spielen. kreischen die Kinder. Vielleicht sollte ich für
Im «Magazin» vom Samstag stand, dass die sie da sein. Aber du bist immer nur so gut wie
Kinder (alle vier?!) vor dem Wimbledon-Final deine letzte Kolumne.
Freizeitsport 47

Und plötzlich rennt die

Grossmutter wieder auf den Bus Sportberatung
Romana
Mit Yoga kann man auch im
fortgeschrittenen Alter noch
Feldmann
beginnen. Das hilft, standsicher
zu bleiben, beugt Beschwerden Grenzen
vor und erhöht die Lebenslust.
Von Karin Reber setzen beim
«Ich bin heute zum Bus gerannt», erzählte
mir einmal strahlend eine Yogaschülerin.
Training in
Diese auf den ersten Blick unspektakuläre
Begebenheit war für die 68-Jährige ein gros- der Gruppe

I
ser Moment. Wegen ihrer anhaltenden
Rückenschmerzen hatte sie vor langer Zeit
aufgehört, schnell durch die Stadt zu gehen. m Frühling scheinen viele
Dadurch, dass sie auf der Yogamatte gelernt Läufer wie aus dem Win-
hatte, aus dem Stand in eine Grätsche zu terschlaf zu erwachen und
springen, wuchs ihr Selbstvertrauen. Als sie sind wieder regelmässig in
an diesem Tag den Bus kommen sah, rannte Laufgruppen anzutreffen.
sie los, ohne lange zu überlegen. In Fitnesszentren lassen
Eine andere Schülerin, 70-jährig, ging sich Sportfans das ganze Jahr zu
kürzlich zum ersten Mal allein in den Kopf- lauter Musik und passenden
stand hoch, nachdem ich ihr zuvor immer Beats in der Gruppe zu Höchst-
geholfen hatte. Einmal tief durchatmen, ein leistungen antreiben. Gemeinsa-
bisschen Mut, mehr Schwung – und oben mer Sport hat viele positive
war sie. Seither hat sie nie mehr meine Hilfe Seiten, wie etwa der soziale Kon-
gebraucht und geht mit gelassener Selbst- takt und das Gefühl von Verbun-
verständlichkeit an die Stellung heran. denheit, was zu den mensch-
lichen Grundbedürfnissen zählt.
Die Königin im Kopfstand Vielleicht haben Sie aber auch
Das biologische Alter ist kein Hinderungs- schon die Erfahrung gemacht,
grund, um Yoga zu üben. Die Idee, man sei sich in solchen Trainingseinhei-
zu alt, um etwas Neues zu lernen, ist nur ein ten mit anderen besonders
Gedankenkonstrukt. Selbst im hohen Alter zu verausgaben? Ein roter Kopf
kann man mit Yoga beginnen, wie die belgi- beim Duschen, zu hohe Puls-
sche Königinmutter Elisabeth 1958 bewies. bereiche bei der Trainingsaus-
Die damals 85-Jährige hatte noch nie Yoga wertung oder Muskelkater am
geübt. Trotzdem verlangte sie vom grossen Folgetag – kennen Sie das?
Yogameister B.K.S. Iyengar, dass er sie den Erklären lässt sich dieses
Kopfstand lehre. Er tat dies mit einem gewis- Die Idee, man sei zu alt, um wo die eigenen Grenzen liegen. Es ist eine satz zu Walking nicht nur die körperlichen Phänomen mit dem Stichwort
sen Unbehagen, doch wer sagt schon Nein zu etwas zu lernen, ist nur ein Ge- der grossen Qualitäten des Yoga, dass man Fähigkeiten verbessert, sondern auch das soziale Anerkennung: Sich in
einer Königin. Diese praktizierte den Kopf- dankenkonstrukt: Frauen in der mit regelmässigem Üben immer mehr vom geistige Wohlbefinden steigert. Anwesenheit von anderen
stand danach noch manches Jahr. Iyengar, Yoga-Stunde. Kopf in den Körper kommt und diesen besser besonders anstrengen und sich
der den Yoga, wie wir ihn heute kennen, wahrzunehmen beginnt. Auch so gesehen, Individuelle Anpassungen dadurch einen gewissen Status
massgeblich geprägt hat, sagte denn auch: ist Yoga Prävention: Man spürt den Rücken Entscheidend ist, dass die Yogastellungen erarbeiten; oder sich besonders
«Yoga kennt kein Alter.» nicht erst, wenn man sich kaum mehr bewe- den körperlichen Möglichkeiten angepasst anstrengen, um nicht negativ
Mit Yoga beginnen kann man in jedem gen kann, sondern nimmt früher wahr, wie werden. In jedem gut ausgerüsteten Yoga- aufzufallen. Zusätzlich ist ent-
Alter und Gesundheitszustand. Wenn man zusammengestaucht man sitzt – weil man studio gibt es Hilfsmittel wie Blöcke, Gurte, scheidend, welche Normen im
älter wird, ist der Einstieg sogar besonders das Gefühl der Länge in der Wirbelsäule Decken oder Stühle. Sie helfen, wenn zum jeweiligen Umfeld herrschen.
sinnvoll. Denn das Yoga verlangsamt den kennt, die zum Beispiel entsteht, wenn man Beispiel die Arme nicht lang genug sind, Mottos wie «Wir sind die Besten»
Alterungsprozess und beugt den mit dem sich am Boden liegend sanft dehnt. damit die Hände den Boden berühren. Oder oder «Je härter, desto besser»
Alter einhergehenden Beschwerden wie Achtsamkeit bedeutet auch, dass man sich wenn es schwierig ist, aufrecht auf dem verstärken das Verhalten, sich in
Rückenschmerzen, Problemen mit dem nicht überfordert. Wenn man seine Aufmerk- Boden zu sitzen. Viele Stellungen können der Gruppe bis über die eigenen
Gleichgewicht oder Haltungsschäden vor. samkeit nicht nur darauf lenkt, was man tut, mithilfe eines Stuhls ausgeführt werden. Grenzen hinaus anzustrengen.
Mit Yoga wird nicht nur der Körper kräftiger sondern wie man es tut, ist man ganz bei sich, Heute werden viele Kurse für Yoga im In vielen Fällen ist ein intensi-
und flexibler, wir aktivieren auch das Gehirn: und es ist völlig egal, was die Mattennachba- Alter angeboten. Ob man sich dafür entschei- ves Training hie und da nicht
In der Baumstellung auf einem Fuss zu rin gerade macht. Yoga ist ein Weg und es det oder in eine normale Klasse geht, ist schädlich, sondern gibt dem
stehen oder in einer Drehhaltung zwischen geht nicht darum, an einem Ziel – einer äus- Geschmackssache. Für Neulinge ist es sinn- Körper einen entsprechenden
rechts und links zu unterscheiden, erfordert serlich schönen Stellung – anzukommen. voll, einen altersgerechten Kurs zu besu- Trainingsreiz. Kommt dies
Konzentration und Fokussiertheit. Studien belegen, wie gut Yoga tut. Auch chen. Wenn man aber schon lange Yoga übt jedoch häufig vor, oder Sie
Um mit Yoga anzufangen, muss man zum Thema Yoga und Alter wird geforscht. oder körperlich fit ist, gibt es keinen Grund, fühlen sich nach dem Training
weder besonders fit noch gelenkig noch Dabei zeigte sich, dass Yoga die Standsicher- nicht in eine allgemeine Klasse zu gehen. Ich schlecht, können Sie folgende
gesund sein. Im Gegenteil – viele beginnen heit, den Gleichgewichtssinn und die Beweg- kenne Seniorinnen, die viel gelenkiger und Tipps ausprobieren:
mit Yoga, gerade weil sie gesundheitliche lichkeit deutlich verbessert und hilft, mit der kräftiger sind als junge Schülerinnen. In der Regel erläutert die
Probleme haben. Entscheidend ist, dass man Angst vor dem Fallen besser umzugehen. Leitung zu Beginn das Ziel des
sich den Stellungen achtsam annähert und Zudem hat eine Studie mit Teilnehmenden Karin Reber ist Journalistin und Trainings. Falls nicht, fragen Sie
gut hinspürt, wie sich der Körper anfühlt und über 65 Jahren gezeigt, dass Yoga im Gegen- Yoga-Lehrerin. nach, und erkundigen Sie sich
nach Varianten wie Abkürzun-
gen oder weniger Gewichte.
Setzen Sie sich persönliche Ziele
Yoga für Immer mehr Yoga-Studios bieten Kurse für
Kinder und Jugendliche an. Yoga kann gegen
vor dem Training, etwa ein regel-
mässiger Blick auf die Pulsuhr,
Kinder und Stress und Aggressionen helfen, bei Ess-,
Entwicklungs- oder Lernstörungen und soll
stets noch sprechen können,
Pausen oder Streckenabschnitte
Jugendliche sogar bei Autismus oder motorischen Stö- nutzen, um bewusst auf die
rungen zu positiven Effekten führen. Kein Atmung zu achten oder zu trin-
Wunder, buchen viele Eltern Kurse für ihre ken. Zudem könnte ein Leitsatz
Kinder, die immer häufiger Verhaltensauffäl- wie «Ich respektiere meine Gren-
ligkeiten und Stresssymptome aufweisen. zen» helfen, den vorherrschen-
«Mindfulness» und «Stillness» kann da den Normen entgegenzuhalten.
nicht schaden. Zumal Yoga für die meisten Fordern Sie nur so viel von sich,
Kinder etwas ganz Natürliches ist. Die wie es Ihrem Trainingsstand
«Happy-Baby-Pose», der «Squat» oder die entspricht.
«Child’s-Pose» sind Haltungen, die Kinder Und falls Sie zu jenen
beim Spielen ganz selbstverständlich ein- gehören, die sich vielleicht aus
nehmen. Sie dehnen sich, wann immer Scham erst gar nicht auf ein
ihnen danach ist. Sie stemmen sich in die Training in der Gruppe einlas-
Brücke, ohne mit der Wimper zu zucken, keines besser als das andere, will er damit an allen Schulen gelehrt oder zumindest als sen: Versuchen Sie es trotzdem!
und üben mutig den Kopfstand. Die Yoga- sagen. «Die Sonne scheint für jeden gleich», Freifach angeboten werden.» Blank unter- Konzentrieren Sie sich auf sich
Philosophie lehrt zudem Respekt und schreibt er auf seinem Blog und lehrt damit richtet seit vier Jahren Teenager und stellt selber. Und lachen Sie ruhig auch
Toleranz im Umgang mit sich und den ande- in seinen Stunden ein bisschen Demut. In fest: Sie werden offener, konzentrierter und einmal über sich. Denn jeder
ren. Verhaltensweisen, die sich viele Eltern seinen Klassen herrscht ein wertfreier Raum, aufmerksamer. «Mich fasziniert es, ihnen hadert mit seinen Problemen,
für ihre Kinder wünschen. die Kinder korrigiert er nicht. Greville ist Übungen beizubringen, mit denen sie ihren und verloren hat nur, wer sich
Greville Henwood ist einer von denen, die überzeugt: Yoga gehörte auch an die Schule. Stress und ihr Gefühlschaos besser bewälti- unnötig selber limitiert.
Yoga zu den Kindern bringen. Er unterrichtet «Yoga hat einen positiven Einfluss auf das gen können.» Es geht aber auch zu Hause
seit über zwanzig Jahren und bildete über allgemeine Wohlbefinden, den Bezug zum ganz einfach. Bücher, Audio-CDs oder DVDs Romana Feldmann ist
900 Yoga-Lehrer und -Lehrerinnen rund um eigenen Körper und den Umgang mit den bieten hilfreiche Unterstützung für das Üben selbständige Sportpsychologin
den Globus aus. «Every child is groovy», Mitmenschen», sagt auch Angela Blank, der Asanas, von Körperreisen oder Medita- und bietet Coachings und Referate
lautet sein Slogan. Jedes Kind ist wertvoll, Yoga-Lehrerin aus Zürich. «Deshalb sollte es tion. Marah Rikli für Sportler und Personen aus
der Privatwirtschaft an.
Mobilität
Dieselskandal
Die Neuzulassungen von Dieselautos
sind zurückgegangen
I
m vergangenen Jahr wurden
in der Schweiz geringfügig
weniger Autos neu zugelas-
sen als 2016. Rund 314 000
Neufahrzeuge sind es 2017
gewesen und damit ein Prozent
weniger als im Vorjahr, meldet
die Vereinigung der Schweizer
Automobil-Importeure Auto
Schweiz. Schaut man sich aber
die Motorisierungen bei den
Neufahrzeugen an, dann zeigt
sich deutlich, dass die Kunden
auf das Fehlverhalten der Her-
steller reagieren: die Neuzulas-
sungen mit Dieselmotoren sind
im Jahresvergleich um fast ein
Zehntel zurückgegangen. Für
das laufende Jahr rechnet die
Vereinigung mit einem weiteren
Rückgang aufgrund des Diesel-
skandals, aber auch, weil ein
Diesel bei kleineren Autos wegen
der hohen Kosten für wirksame
Abgasreinigungsanlagen zu
teuer wird. Diese werden not-
wendig, um die neuen gesetz-
lichen Verbrauchs- und Emis-
sionswerte einzuhalten.
Keine Fahrverbote
Der Vertrauensverlust durch die
Schummelsoftware in Diesel-
motoren ist offensichtlich. «Die
Leute fühlen sich belogen und
betrogen und sie sind verun-
sichert, denn sie befürchten wei-
tere Betrügereien», sagt Kurt
Egli, Autoexperte im Verkehrs-
club der Schweiz (VCS). Dennoch
sei der Diesel nicht tot, stecke
allerdings tief in einer Krise.
Volvo hat angekündigt, den Die-
selmotor nicht mehr weiterzu-
entwickeln. Audi streicht diese
Motorisierung beim A1, und
auch andere Hersteller reagieren
bei ihren kleinen Modellen so.
Das sind Zeichen für einen wei-
teren Rückgang dieser Motoren-
art. In grossen Fahrzeugen
werde der Diesel noch einige Zeit
überleben, meint Egli. «Wenn
diese Technologie tatsächlich
sauberer wird, zieht die Nach-
frage auch wieder an.»
Fahrverbote drohen nach
seiner Meinung in der Schweiz
nicht. Es gebe zwar einen politi-
schen Vorstoss vom VCS, dass
Kantone Fahrverbote ausspre-
chen dürften. «Die Aussicht auf
eine kurzfristige Umsetzung ist
allerdings unrealistisch.» Beim
Neukauf eines Dieselautos
empfiehlt Egli, keines unter der
neuesten Abgasnorm Euro 6d
temp. zu kaufen. «Bei älteren
B E STE LL SC H E I N
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Immer mehr Autohersteller wenden sich vom Diesel ab und setzen zunehmend auf Elektro-Modelle.
Weniger Diesel
Neuzulassungen von Diesel-
Fahrzeugen in der Schweiz
125 000
100 000
75 000
50 000
25 000
0
2000 05 2010
Quelle: Auto-i-Dat, Astra/Mofis 2018
Dieseln kauft man eventuell ein
Auto, das man später nur mit
überdurchschnittlichem
Abschreiber verkaufen kann.»
Vor dem Kauf gebrauchter
Diesel rät er zudem gänzlich ab:
«Solche Fahrzeuge wird man
wohl nie mehr los.»
Im September 2017 wurde ein
neues Prüfverfahren für den
Kraftstoffverbrauch und die
Emissionswerte eingeführt. Alle
neuen Fahrzeugtypen müssen
diesen Test bestehen, um geneh-
migt zu werden. Dann erfüllen
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sie die Norm 6c. Freiwillig
können die Automobilhersteller
ihre Autos seit demselben Zeit-
punkt auch schon nach der
Abgasnorm 6d temp. typisieren
lassen. In diesem Fall werden
Verbrauchs- und Abgaswerte
dann nicht nur am Prüfstand,
sondern im tatsächlichen Fahr-
betrieb gemessen und müssen
auch entsprechende Grenzwerte
einhalten. «Das führt zu einer
realistischeren Einschätzung der
Emissionen», sagt Thomas
15 17
Bütler, Leiter der Forschungs-
gruppe Fahrzeugsysteme an der
eidgenössischen Material-
prüfungs- und Forschungs-
anstalt Empa. Im September
2018 wird der reale Test zur
Pflicht.
Ab 2020 dürfen Autos maxi-
mal 95 g CO2/km ausstossen.
Gegenwärtig sind es durch-
schnittlich 130 g CO2/km. «Um
die gesetzlichen Vorgaben zu
erfüllen, sind auch Dieselfahr-
zeuge für die Hersteller wichtig»,
sagt Bütler. Denn Diesel sind im
Vergleich zu Benzinern effizien-
ter und verursachen daher weni-
ger CO2-Emissionen. Das ist ins-
besondere bei den grossen und
Erfahrungen
Zurück in die Zukunft
Wer hat nicht den Film «Back to
the Future» gesehen, in dem
Michael J. Fox 1985 versucht, das
Familienleben seiner Eltern im
Jahr 1955 in Ordnung zu bringen!
Als Inspiration für das Drehbuch
TONI BADER / AUTO BILD
diente den Autoren die Frage,
wie es wäre, in die Vergangen-
heit zu reisen und dort zu
prüfen, wie ihre Eltern als
Jugendliche waren. Der Film, der
1985 mehr als 380 Millionen
Dollar einspielte, verhalf auch
einem Fahrzeug zu Weltruhm,
das letztlich im Desaster endete:
dem DeLorean DMC-12. Vom
Ex-GM-Manager John DeLorean
entworfen und mit erheblichen
Steuermitteln der britischen
Regierung gebaut, entpuppte
sich der DMC-12 trotz seiner
spektakulären Flügeltüren als
wenig sportliches Gefährt, dem
der von Renault gelieferte
2,8-Liter-V6-Motor mit seinen
132 PS nicht wirklich zu überzeu-
genden Fahrleistungen verhelfen
konnte. Nach rund 9000 gebau-
ten Fahrzeugen war das Unter-
nehmen pleite, und John DeLo-
rean, der mit Rauschgiftschmug-
gel Geld organisieren wollte,
versuchte ausgerechnet FBI-
Agenten Kokain zu verkaufen
und marschierte ins Gefängnis.
Heute sind die DeLorean-Mo-
delle Kult, und letzte Woche
stand ich in Estero bei Naples bei
schweren SUV wichtig, von
denen es immer mehr gibt. Oder News
bei Autos, die viel gefahren
werden, Flottenfahrzeugen von
Unternehmen zum Beispiel.
Audi geht in die
Mehr Gewerbekunden Elektro-Offensive
Etwa 65 Prozent der Neuwagen-
verkäufe in der Schweiz sind Pri- Ab 2020 will Audi einen elektro-
vatleute, 35 Prozent Gewerbe- nischen Gran Turismo mit
kunden. «Aktuell verschmäht der
Privatkunde den Diesel, der
reinem Elektroantrieb auf die
Strasse bringen. Der Hersteller
Gewerbekunde bevorzugt ihn kündigt den viertürigen e-tron
nach wie vor», sagt René GT an der Bilanzpressekonferenz
Mitteregger von Auto-i-Dat, als «sportliche Speerspitze» an
einem Schweizer Unternehmen und will mit ihm «Sportlichkeit
für Fahrzeugdaten. Der Diesel- sehr progressiv interpretieren».
anteil bei den Geschäftskunden Zuvor kommt bereits dieses
ist im vergangenen Jahr stark Jahr der e-tron quattro auf den
gestiegen, der bei den Privat- Markt. Der SUV soll in weniger
kunden deutlich gefallen. Weil als einer halben Stunde aufge-
mit Firmenwagen viel gefahren laden und langstreckentauglich
wird, sind Diesel durch den gerin-
geren Spritverbrauch im Unter-
halt die günstigere Version als der
Benziner. Beim Handel mit
Gebrauchtdieseln hat Auto-i-Dat
2017 im Vergleich zum Vorjahr
nur geringe Veränderungen fest-
gestellt: Die Standzeiten eines
Diesel beim Händler waren
etwas länger, der Preis war etwas
niedriger. Peter Ilg Audi e-tron GT.
DATUM / UNTERSCHRIFT
PLZ / WOHNORT
NZZ am Sonntag 18. März 2018
Der DeLorean DMC-12 aus dem
Film «Back to the Future».
Gulfcoast Motorworks, dem
grössten DeLorean-Händler und
Restaurator. In der Halle nicht
weniger als etwa 30 Fahrzeuge,
vom schäbigen Restaurierungs-
objekt für 20 000 Dollar bis hin
zum 100-Punkte-Auto, auf
dessen Preisschild die Ziffer
100 000 stand. Nicht zu verkau-
fen war der erste DMC-12-Proto-
typ, dessen Interieur absolut
unique war. Eine Fahrt offen-
barte dann, dass der DeLorean
zwar wie ein Sportwagen aus-
sieht, jedoch kein Sportwagen
ist: zu schwer, zu hecklastig, zu
wenig Leistung. Aber ein Blick
auf den einzigartigen Wagen mit
seiner unlackierten Stahlkaros-
serie machte klar: Dieser Back-
to-the-Future-Ikone verzeiht
man alles, man möchte sie sofort
in die Garage stellen.
Jürgen Lewandowski
sein und 80 000 Euro kosten.
Bis 2025 will Audi über 20
elektrifizierte Modelle im Ange-
bot haben und damit einen Drit-
tel seiner Verkäufe bestreiten.
Rückruf von 1,3 Mio.
Ford-Modellen
Fahren ohne Lenkrad ist zwar
schon lange keine Science-Fic-
tion mehr, bei den jüngst zurück-
gerufenen Modellen von Ford
war dies aber nicht die Idee. Der
Konzern ruft in Amerika Modelle
des Lincoln MKZ und des Ford
Fusion zurück, weil sich mit der
Zeit der Befestigungsbolzen des
Lenkrads lockern und dieses
daraufhin abfallen könnte.
In Europa wird der Ford
Fusion als Mondeo verkauft.
Dieser wird aber im spanischen
Valencia gebaut und ist nicht
betroffen. Die meisten zurück-
gerufenen Fahrzeuge wurden in
den USA verkauft, der Rest in
Kanada und Mexiko. (ses.)
N Z Z- LI B RO.C H

INTERTOPICS
Kosmopolitischer Raubvogel mit Vorliebe für schädliche Nagetiere: Schleiereule.
DiplomatiederEulen
Mit der Hilfe von Schleiereulen bekämpft der Lausanner Ornithologe Alexandre Roulin im
Nahen Osten Mäuseplagen – und fördert die Völkerverständigung. Von Josie Glausiusz
B
ei einem Besuch im Natur-
historischen Museum Wien
erspähte Alexandre Roulin
ein seltenes Exponat: eine
ausgestopfte Schleiereule,
die Erzherzog Franz Ferdi-
nand – ein Vogeljäger mit
Leib und Seele – geschossen hatte, der sei-
nerseits am Vorabend des Ersten Weltkriegs
bei einem Attentat in Sarajevo ermordet
wurde. Es ist nicht der einzige seltene
Vogel, den sich Roulin angeschaut hat: Als
weltweit führender Experte von Schleier-
eulen hat der Lausanner Ornithologiepro-
fessor Schleiereulensammlungen in 144
naturhistorischen Museen auf der ganzen
Welt, von Barcelona bis Bulawayo in Zim-
babwe, besucht. Auf der langen Liste seiner
Museumsbesuche steht auch das American
Trockenheit
Grundwasser wird
weltweit knapp 52
Museum of Natural History in New York, das
927 ausgestopfte Schleiereulen beheimatet
– einen Bruchteil der 280 000 Exemplare, die
das Museum 1931 dem besessenen Vogel-
sammler Lionel Walter Rohschild abgekauft
hatte. «In New York gibt es Schleiereulen aus
allen Ecken der Welt; man kann sich Vögel
aus Papua-Neuguinea, Australien oder Süd-
amerika anschauen», sagt Roulin. «Diese
Vielfalt! Man fühlt sich in Darwins Zeiten
zurückversetzt.»
Roulin weiss wie kein anderer über die
Vielfalt von Schleiereulen Bescheid: Bereits
als Teenager hat er die Gene der Schleier-
eulen studiert, ihre Geschwisterbeziehun-
gen, ihr soziales Verhalten, hat sich in die
Reproduktionsbiologie eingelesen und sich
mit deren Gefiederfarbe und Eroberung gros-
ser Teile der Welt auseinandergesetzt. Er hat
Stephen Hawking
Der Preis seiner
Prominenz 53
NZZ am Sonntag 18. März 2018
49
«In New York gibt es 143 wissenschaftliche Arbeiten über
Schleiereulen verfasst, bald erscheint seine
Schleiereulen aus allen umfassende Studie über deren Verhalten
Ecken der Welt. Diese und Biologie, «Barn owls, Evolution and
Vielfalt! Man fühlt Ecology», im britischen Universitätsverlag
Cambridge University Press.
sich in Darwins Zeiten «Alexandre Roulin hatte Schleiereulen
zurückversetzt.» bereits studiert, bevor er sein Studium der
Biologie begonnen hat», sagt Susanne
Jenni-Eiermann, die an der Vogelwarte
Sempach den Stoffwechsel von Zugvögeln
erforscht. Sein heutiges «umfangreiches
Wissen» verdanke er seiner jahrzehnte-
langen Beschäftigung mit dieser Vogelart.
Seit 2010 ist Roulin zudem einer der wich-
tigsten Mitarbeiter eines länderübergrei-
fenden Programms im Nahen Osten, das
Fortsetzung Seite 50
Wandern Babys überwachen
Technik-Gadgets für Big Brother im
die nächste Tour 54 Kinderzimmer 55
50 Wissen NZZ am Sonntag 18. März 2018

Diplomatie ...

PHOTOSHOT / VISUM
Fortsetzung von Seite 49

zum Ziel hat, in Israel, Jordanien und den

Palästinensergebieten Gifte zur Bekämpfung
von Nagetieren durch Schleiereulen zu erset-
zen. Dank ihrem unersättlichem Appetit – ein
Schleiereulenpaar kann pro Jahr 2000 bis
6000 Ratten, Mäuse und Wühlmäuse ver-
schlingen – konnte der Einsatz von Rodenti-
ziden auf landwirtschaftlichen Flächen in
Israel um 40 bis 60 Prozent reduziert
werden, seit das Programm 2008 ins Leben
gerufen wurde.
Die Schleiereule, Tyto alba, ist ein kosmo-
politischer Raubvogel mit Wurzeln im Nahen
Osten: Nach der letzten Eiszeit verteilten
sich die Schleiereulen kreisartig um den Mit-
telmeerraum und bewohnen heute bis auf
die Antarktis jeden Kontinent. Ihr feines
Gehör, ihre scharfen Krallen und Schnäbel,
die weisse Färbung – die bei Mäusen eine
Schockstarre auslöst – und der praktisch
lautlose Nachtflug machten sie zu einer «Kil-
lermaschine», so Roulin. Nacht für Nacht legt Alexandre Roulin: «Ein bisschen träumen.»
eine Eule auf Beutesuche durchschnittlich
26 Kilometer fliegend zurück

Ruf eines Unglücksboten

Auch was das Nisten und die Paarung anbe-
langt, gehen die Vögel äusserst effizient vor.
Sie legen bis zu zwölf Eier aufs Mal. Die
Küken schlüpfen eins ums andere alle zwei
bis drei Tage während eines Monats. Mithilfe
eines GPS hat Roulin festgestellt, dass die
Hälfte aller Muttervögel ungefähr 25 bis 40
Tage nachdem das erste Küken geschlüpft
ist, das Nest verlassen und den Vätern die
Futterbeschaffung und Aufzucht überlassen,
während sie bis zu 100 Kilometer weit flie-
gen, um sich ein jüngeres Männchen zu
suchen. Wenn sie fündig werden, produzie-
ren sie im selben Brutjahr ein zweites Gelege.
Vielleicht liegt es an ihren seltsam ent-
rückten Schreien und Zischlauten, dass der
Schleiereule der Ruf eines Unglücksboten
anhaftet. Dabei ist sie überaus kooperativ,
weshalb sie sich besonders gut für die Nage-
tierkontrolle in bewohnten Gebieten eignet.
«Sie brütet oft in Menschennähe», in von
Bauern aufgestellten Nistkästen, berichtet
Roulins israelischer Teamkollege Motti Char-
ter, ein Wildtierforscher am Shamir Research
Institute der Universität Haifa. Schleiereulen
lassen es auch zu, dass Artgenossen in ihrer
Nähe brüten. Kükengeschwister verhalten
sich ausgesprochen sozial und verteilen die
gefangenen Nager untereinander, je nach-
dem, welches Küken gerade am meisten
Hunger hat – «eine höchst seltene Verhal-
tensweise bei Tieren», wie Roulin betont.
Dank ihrem kooperativen Verhalten sei die
Eule zu einer «Metapher» für die grenzüber-
schreitende Zusammenarbeit in einem Kon-
fliktgebiet wie dem Nahen Osten geworden,
sagt Roulin. Aufmerksam geworden auf das
israelische Programm zur biologischen
Schädlingsbekämpfung mit Schleiereulen ist
er an einer wissenschaftlichen Tagung 2008,
als er dessen Gründer Yossi Leshem kennen-
lernte. 2010 lud ihn der Vogelzug-Experte
von der Universität Tel Aviv an eine Konfe-
renz ein, an der Israeli, Palästinenser und
Jordanier zusammenkamen. «Damals ent-
schied ich mich, mich künftig mehr auf die
menschlichen als auf die wissenschaftlichen
Aspekte zu konzentrieren», sagt Roulin.
«Viele Leute sind von dem Projekt begeistert.
Mir wurde klar: Die Menschen brauchen
Symbole und müssen ein bisschen träumen.»
Seit 2008 stellen Israeli, Jordanier und
Palästinenser gemeinsam Nistkästen für
Schleiereulen auf Landwirtschaftsflächen im
Jordantal auf, einem von allen geteilten
Gebiet. Rund 4000 solche Kästen stehen in
Israel und mehrere hundert in Jordanien und
Palästina. Doch schon mehrmals musste das
Projekt wegen aufflammender Konflikte
unterbrochen werden. In den Palästinenser-
gebieten, wo das Programm von Imad Atrash
koordiniert wird, dem Leiter der palästinen-
sischen Wildlife Society mit Sitz in Beit
Sahour, sind immer wieder Probleme aufge-
taucht, nicht zuletzt, weil viele der Nistkäs-
ten mutwillig beschädigt wurden.
Aus diesem Grund könne Roulin in seiner
Rolle als «neutraler Partner» aus der Schweiz
«die Bedeutung des Projekts erhöhen und
dessen Reichweite vergrössern», sagt Amélie
Dreiss, die fast zehn Jahre lang als Postdok-
torandin und wissenschaftliche Mitarbeite-
rin in Roulins Team gearbeitet und die Ver-
handlungsstrategien unter Schleiereulen-
geschwistern studiert hat.
Im Rahmen einer Co-Autorschaft bei
einem kürzlich erschienenen Fachartikel
über die grenzüberschreitenden Umwelt-
schutzprogramme im Nahen Osten unter
dem Titel «Nature Knows No Boundaries»
(«Die Natur kennt keine Grenzen») war Dreiss
auch am Schleiereulenprojekt im Nahen
Osten beteiligt und hat dafür verschiedene
«Unser Projekt hat
nichts mit Tradition,
Kultur oder Religion zu
tun. Die Menschen
können problemlos
diskutieren.»
Interessenvertreter getroffen sowie Förder-
mittel aufgetrieben.
«Roulin», sagt sie, «bemüht sich sehr
darum, verschiedene Schweizer Institutio-
nen zum Mitmachen zu motivieren.» Nach
einer Sitzung mit Schleiereulenforschern aus
Israel, Palästina, Jordanien, Zypern, Grie-
chenland und Marokko in Jordanien im
Januar lud das Eidgenössische Departement
für auswärtige Angelegenheiten Roulin nach
Bern ein, an ein Treffen «vers une diplomatie
des chouettes», wie es das Departement for-
mulierte. Als neutraler Staat kann die
Schweiz direkt mit den Palästinensern ver-
handeln und das Misstrauen, das zwischen
Israel und Palästina herrscht, umgehen.
Treffen in der Schweiz steht an
«Das erste Ziel ist es, wieder einen Ausgleich
zu schaffen, denn im Moment wird in Israel
mehr für die Eulen getan als in Palästina und
Jordanien», so Roulin. Er hofft, zwischen
einer halben und einer Million Franken auf-
zutreiben, damit er mindestens 500 Nistkäs-
ten in den Palästinensergebieten bauen,
Schulungen durchführen und einen unab-
hängigen, Arabisch sprechenden Projekt-
koordinator anstellen kann.
Zudem ist er damit beschäftigt, ein Treffen
mit den Forschern, die im Januar in Jorda-
Unersättlicher nien tagten, in der Schweiz zu organisieren.
Appetit: Ein An dieser im Mai stattfindenden Konferenz
Schleiereulenpaar will er sie detailliert darüber instruieren, wie
verzehrt pro Jahr man mit Schleiereulen arbeitet, etwa wie
2000 bis 6000 man Nistkästen baut und aufstellt oder wie
Mäuse oder Ratten. sich Daten systematisch erfassen lassen.
Trotz den Spannungen, die im Nahen Osten
herrschen, betont Roulin, dass die Wissen-
schafter einander freundlich begegneten:
«Meiner Meinung nach sind wir deshalb so
erfolgreich darin, verschiedene Gemein-
schaften zusammenzubringen, weil unser
Projekt nichts mit Tradition, Kultur oder
Religion zu tun hat. Die Menschen können
problemlos diskutieren.»

Schleiereulen in der Schweiz

In harten Auch hiesige Mäuse müssen sich Artenförderungsprojekt. «Wir Bevorzugt im Flachland sie dann sogar ganz. In guten
in acht nehmen, wenn es dun- vereinheitlichen und analysieren Jahren, gerade wenn es auch im
kelt. Im Schweizer Mittelland die von den ehrenamtlichen Wo in der Schweiz Schleiereulen vorkommen Frühling nicht allzu kalt und

Wintern leben heute 1000 bis 2500

Schleiereulenpaare. Zu Beginn
Mitarbeitern gesammelten
Daten», sagt Stephanie Michler
feucht ist, können sie die Ver-
luste aber dank grösseren Gele-

nimmt der
der 1960er Jahre waren die von der Vogelwarte Sempach. Schaffhaus
Schaffhausen gen kompensieren. Die Wander-
nächtlichen Jäger aber noch viel Dabei zeigte sich, dass sich die Base
Ba
Basel
sel freudigkeit der Tiere sorgt
häufiger. Mit der Intensivierung Schleiereulen vor allem in der zudem dafür, dass einst verlas-

Bestand ab
der Landwirtschaft setzte dann
ein Bestandesrückgang ein, denn
in Landwirtschaftsgebieten ohne
Buntbrachen und Hecken gibt es
weniger Mäuse zu jagen. Zudem
fehlte es den Eulen an geeigne-
ten Brutplätzen.
Die Population stabilisierte
sich erst, nachdem Freiwillige
begonnen hatten, Nistkästen an
Scheunen zu montieren und den
Bruterfolg der Schleiereulen zu
überwachen. Seit 2002 koordi-
niert die Vogelwarte Sempach
diese Bemühungen in einem
Westschweiz wohlfühlen.
In schneereicheren Regionen,
etwa der Innerschweiz, fällt es
den Vögeln schwerer, sich zu
etablieren. Oberhalb von 700
Metern über Meer kommen sie
praktisch nicht vor. Liegt über
den Äckern und Wiesen eine
Schneedecke, gelangen die
Raubvögel nicht mehr an ihre
Beutetiere. In harten Wintern
verkleinert sich deshalb nicht
nur die Gesamtpopulation der
Schweizer Schleiereulen, in ein-
zelnen Gebieten verschwinden
Zürich
sene Gebiete schnell wieder
besiedelt sind.
Biel Sempach
«Die Bedingungen in den letz-
Bern
Bern ten beiden Wintern kamen den
Schleiereulen entgegen», sagt
Stephanie Michler. Ihr Bestand
ist hierzulande aber noch immer
Lausanne auf einem bescheidenen Niveau,
sie gelten als potenziell gefähr-
Genf det. Wer sich als Helfer im Arten-
Martigny
Martign
Mar förderungsprojekt engagieren
50 km oder einen Nistkasten aufstellen
möchte, kann sich laut Michler
deshalb gerne bei der Vogelwarte
Quelle: Schweizerische Vogelwarte melden. Martin Amrein
NZZ am Sonntag 18. März 2018
Wissen 51

Neues aus der Wissenschaft

Sterben Elefanten,
ändert sich der Wald
In Zentralafrika sind die
Bestände der Waldelefanten
(Loxodonta cyclotis) vor allem
wegen der Wilderei seit 2001 um
mehr als 60 Prozent zurück-
gegangen. Das bedroht aber
nicht nur die Existenz der
Rüsseltiere, sondern auch jene
des zentralafrikanischen Regen-
walds. Bis zu 96 Prozent dieser
Wälder könnten künftig völlig
anders aussehen als heute,
erklären Forscher der Duke Uni-
versity in einer Studie («Conser-
vation Biology», online). Wegen
ihrer Grösse und Mobilität ver-
breiten die Elefanten Samen
massiger Früchte, die von ande-
ren Tieren nicht verschleppt
werden können. Zudem vertei-
len die Dickhäuter mit ihrem
Dung Stickstoff im nährstoff- des tödlichen Pilzes. Jetzt haben
armen Regenwald, und wenn sie Forscher festgestellt, dass
durch das Unterholz trampeln, gesunde Ameisen in einem Nest
schaffen die Elefanten Platz für anders als bisher gedacht nicht
Pflanzenarten, die sonst gar in der Lage sind, ihre infizierten
nicht spriessen könnten. Fielen Artgenossen zu erkennen und zu
die Elefanten als Gärtner des isolieren («Plos One», online).
Waldes weg, ändere sich deshalb Der parasitäre Pilz vermag also
seine Zusammensetzung grund- das Abwehrsystem der ganzen
legend, so die Forscher. (pim.) Kolonie zu unterlaufen. (pim.)
Ameisen erkennen Neuer Ansatz im
infizierte Tiere nicht Kampf gegen Malaria
Befällt der Pilz Ophiocordyceps Malaria ist noch immer eine der
eine im Osten der USA vorkom- gefährlichsten Krankheiten der
mende Holzameisen-Art (Cam- Welt: Fast eine halbe Million
ponotus castaneus), ändert er das Menschen sterben jedes Jahr
Verhalten der betroffenen Tiere. daran. Erreger der Krankheit ist
Sie verlassen das Nest, beissen ein einzelliger Parasit, der von
sich an der Unterseite eines Blat- Stechmücken übertragen wird.
tes fest – und sterben. Ihr Körper Nun haben Forscher des Schwei-
dient dann als eine Art Schleuder zerischen Tropen- und Public-
für die Verbreitung der Sporen Health-Instituts in Basel ein
Protein gefunden, das den Fort-
pflanzungszyklus des Erregers
MICK BAINES & MAREN REICHELT / KEYSTONE
Schon Babys
denken logisch
Bisher dachte man, die Fähigkeit
des Menschen zu logischen
Schlussfolgerungen entwickle
sich erst im Zusammenhang mit
dem Sprechen. Jetzt haben For-
scher festgestellt, dass schon
Babys im Alter von nur 12 bis
19 Monaten, welche das Reden
noch nicht beherrschten, sehr
Je mehr Kinder, desto
weniger Zähne
«Jedes Kind kostet einen Zahn»,
lautet die Volksweisheit, die
allerdings nicht einfach zu über-
prüfen ist. Jetzt haben Forscher
die Daten von knapp 35 000
Personen aus 14 europäischen
Ländern analysiert. Die Betref-
fenden waren im Durchschnitt
67 Jahre alt, ihnen fehlten
durchschnittlich 10 Zähne
(«Journal of Epidemiology &
Community Health», online). Mit
einem innovativen statistischen
Verfahren konnten die Forscher
nachweisen, dass die Geburt
Schluss-Strich von Nicolas Mahler
eines Kindes tatsächlich zu über-
durchschnittlich häufigem Zahn-
verlust führt. So wiesen Mütter
mit drei Kindern im Schnitt vier
Zähne weniger auf als Mütter mit
nur zwei Kindern. Bei den Vätern
fand sich kein Zusammenhang
zwischen der Anzahl Kinder und
der Anzahl Zähne. Über die
Ursachen für das erhöhte Risiko
des Zahnverlusts gibt die Unter-
suchung allerdings keinen Auf-
schluss. Nach den Autoren soll
man sich des Risikos bewusst
sein, während der Schwanger-
schaft auf sorgfältige Mund-
hygiene achten und regelmässig
zum Zahnarzt gehen. (tlu.)

steuert («Science»). Dieses wirkt wohl ein durchaus rationales

wie ein Schalter, der den im Verhalten an den Tag legen
menschlichen Blutstrom vor- können. Darüber berichten die
handenen Parasiten in eine Wissenschafter aus Spanien und
Form umwandelt, die durch Polen in der Wissenschaftszeit-
Mücken übertragbar ist. Wäre schrift «Science» (Bd. 359,
es möglich, diesen Mechanis- S. 1263). In Experimenten liessen
mus zu blockieren, könnte die die Forscher vor den Augen der
Übertragung der Krankheit in Kinder Gegenstände verschwin-
Zukunft verhindert werden. den. Tauchten diese plötzlich
Eine konkrete Lösung dafür wieder auf, reagierten die Klei-
bietet die neue Studie noch nen mit Konfusion und sichtba-
nicht. Sie zeigt aber, wie sich die rem Unverständnis. Also aufge-
ansteckende Form des Parasiten passt, liebe Eltern: die Kleinen
künstlich erzeugen lässt, was kriegen mehr vom Familien-
für dessen weitere Erforschung leben mit, als man denken
zentral ist. (mna.) würde. (pim.)

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52 Wissen NZZ am Sonntag 18. März 2018

Aufdem
ATTA KENARE / AFP
Trockenen
Weltweit entleeren sich die
Grundwasserspeicher. Das kann
die Ernährung der halben
Erdbevölkerung beeinträchtigen.
Von Ori Schipper

«Habenichtse in der künftigen Wasserlandschaft»: Verdorrte Pistazienbäume im Süden Irans. (14. August 2016)

D
as Anthropozän ist angebro-
chen. Der derzeitige Schlüs-
selbegriff der Erdwissen-
schaften steht für das vom
Menschen geprägte Erdzeit-
alter – und den Umstand,
dass wir unseren Planeten
tiefgreifend verändern. Im Fokus steht zwar
der Klimawandel, der allenthalben die
Gemüter erhitzt. Doch die Verengung auf
dieses Thema lenkt davon ab, dass wir uns
mit einer womöglich viel unmittelbareren
und essenzielleren Krise zu beschäftigen
haben, die sich unsichtbar im Untergrund
zuspitzt: Die wichtigsten Grundwasserspei-
cher der Welt entleeren sich zusehends.
Mehr als zwei Milliarden Menschen
nutzen das Wasser in diesen Speichern als
Trinkwasser, ihr Leben hängt also sehr direkt
vom unterirdischen Nass ab. Aber Grund-
wasser spielt auch in der Landwirtschaft eine
entscheidende Rolle, mehr als die Hälfte des
zur Bewässerung der Felder verwendeten
Wassers stammt aus den Tiefen des Bodens.
Zwar werden etwa 80 Prozent aller Grund-
wasserspeicher – im Jargon: Aquifere – der
Welt nachhaltig genutzt. Das sonst so
schwammige Wort steht hier für eine ein-
fache Rechnung: Den Speichern wird nur so
viel entnommen, wie natürlicherweise
wieder nachströmt.
Im Westen der USA Raubbau betrieben. So verschwindet etwa
sank der Grund- am oberen Ganges fünfzigmal mehr Wasser
wasserspiegel in aus dem Grundwasserspeicher als wieder in
den Jahren 2011 bis ihn hineinsickert. Und weil in Zukunft in
2013 um mehrere niederschlagsreichen Regionen mit mehr, in
Zentimeter (rot ein- trockenen Regionen aber mit weniger Regen
gefärbte Regionen). gerechnet wird, zeichne sich jetzt schon ab,
wer «in der zukünftigen Wasserlandschaft zu
den Habenden und wer zu den Habenichtsen
zählen wird», hält die Fachzeitschrift
«Nature Climate Change» in einem Kommen-
tar fest (Bd. 4, S. 945).
Diese Ungleichverteilung wird durch den
internationalen Lebensmittelhandel noch
verschärft. Das zeigen Modellrechnungen,
die die weltweiten Ströme des sogenannten
Fast alle der global bedeutenden Brot-
körbe liegen in Regionen mit sinkenden
Grundwasserspiegeln. Die Abhängigkeit von
Lebensmitteln aus den USA, Indien oder
Pakistan bedeutet, dass die Ernährungs-
sicherheit von mehr als der Hälfte aller Men-
schen auf der Welt gefährdet ist, wenn sich
das unterirdische Nass dem Ende zuneigt.
Tatsächlich nehmen die weltweiten
Grundwasserreserven rapide ab, wie Dichte-
messungen unseres Planeten nahelegen.
Dabei richten Satelliten ihren Blick bis tief
unter die Erdoberfläche – und zeigen, dass
das weltweite Grundwasserdefizit (also der
Unterschied zwischen der maximal mög-
lichen und der tatsächlich gemessenen
Gesamtmenge des in allen Aquiferen der
Welt gespeicherten Wassers) zwischen den
Jahren 2000 und 2010 um 20 Prozent grös-
ser geworden ist.
Wie lange die Reserven noch ausreichen,
ist unklar, weil die derzeit verfügbaren Mess-
methoden keine Aussage über die Tiefe der
Speicher zulassen. «Eigentlich setzt der
Kreislauf genügend Wasser um, um den
weltweiten Bedarf zu decken. Doch die Nie-
derschläge fallen regional und saisonal sehr
unterschiedlich aus. Deshalb gibt es mehr
oder weniger von Wasserarmut bedrohte
Regionen», sagt Carole Dalin vom Institut für
nachhaltige Ressourcen am University Col-
lege in London, die Erstautorin der zuvor
erwähnten Studie über die virtuellen Was-
serströme im internationalen Lebensmittel-
handel («Nature», Bd. 543, S. 700).
Neue Bewässerungsmethoden
Zu den Ländern mit dem grössten Risiko für
Ausfälle in der Lebensmittelversorgung
zählen neben den USA, auch Mexiko, Iran,
Saudiarabien und China, weil sie nicht nur
ihre eigenen Grundwasserspeicher aufbrau-
chen, sondern auch zu den wichtigsten
Importeuren von Lebensmitteln aus anderen
Ländern mit zunehmender Grundwasser-
knappheit gehören.
Mögliche Lösungen, um den drohenden
Wassermangel zu entschärfen, gäbe es
sowohl auf der Seite der Produzenten wie
auch der Konsumenten, sagt Dalin. Bei den
Produzenten stehen neue Bewässerungs-
methoden im Vordergrund – etwa mit am
Boden verlegten Schläuchen, die mit Sen-
soren versehen sind und das kostbare Nass
tröpfchenweise und gezielt verteilen.
«Bei den Konsumenten hingegen drängen
sich zwei Massnahmen auf», sagt Dalin. Ers-
tens: weniger Lebensmittel wegwerfen. Dass
mit kostbarem Wasser produzierte Nah-
rungsmitteln im Müll landen, sei unsinnig.

Raubbau
virtuellen Wassers nachzeichnen. Darunter «Die meisten Leute Zweitens: Reduktion des Fleischkonsums.
versteht man Wasser, das für die landwirt- Essgewohnheiten seien sehr schwierig zu
Doch in den grössten und wichtigsten Was- schaftliche Produktion von Lebensmitteln
wissen nicht, dass sie ändern, sagt Dalin. Aber in einem ersten
serspeichern der Welt – etwa am oberen verbraucht wird. Die Wasserressourcen beim Essen viel mehr Schritt gehe es darum, überhaupt Bewusst-
Ganges in Indien und Pakistan, dem persi-
schen Aquifer in Iran oder dem High-Plains-
exportierender Länder werden dadurch
überdurchschnittlich belastet – «virtuell»
Wasser verbrauchen sein für das Problem zu schaffen. «Die meis-
ten Leute wissen nicht, dass sie beim Essen
Aquifer in den USA – geht diese Rechnung exportieren sie Wasser, das sie in der Land- als beim Baden und viel mehr Wasser verbrauchen als beim
nicht auf. Dort wird am unterirdischen Nass wirtschaft eingesetzt haben. Duschen.» Baden und Duschen.»

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ganzes Dorf
zum
Schmelzen..
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© swisstopo (BM17028

Milchtechnologe Jean-Pierre Zenhäusern von der Augstbord-

käserei ist einer von mehr als 3000 lokalen Produzenten, die für
Volg «Feins vom Dorf»-Produkte herstellen. Seine Käsespezia-
litäten sind im Volg Turtmann (VS) erhältlich. Eine davon ist der
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NZZ am Sonntag 18. März 2018
AllemIrdischen
enthoben
Stephen Hawking war
Physiker und Pop-Star.
Doch für seine Rolle
als moralische
Institution zahlte
nicht nur er einen
hohen Preis. Von
Andreas Hirstein
Wissen
D
er Kosmologe Stephen Haw-
king war neben Einstein der
vielleicht einzige Pop-Star,
den die Wissenschaft her-
vorgebracht hat. Er traf
Könige, Präsidenten und
den Papst. Er war in den
Fernsehserien «Star Trek» und «The Big Bang
Theory» zu sehen und gehörte zum Personal
der Zeichentrickserie «The Simpsons».
Für die Medien war er das Orakel von
Cambridge, das sich zu allen Gefahren der
modernen Welt äusserte. Eine Art Frühwarn-
system für Untergangsszenarien aller Art. Ob
es um die Gefahren des Klimawandels ging,
um die Gentechnik oder die künstliche Intel-
ligenz. Zuverlässig lieferte Hawking die
gewünscht düsteren Prognosen.
Wie ein Allwissender wurde der an einen
Rollstuhl gefesselte Physiker verehrt. Seit
einem Luftröhrenschnitt im Jahr 1985
konnte er nicht mehr sprechen. Zuletzt
waren es nur noch Bewegungen seiner
Augen, mit denen er einen Sprachsynthesi-
zer bediente, um mühsam Sätze zu bilden.
So wurde er zu «einem Symbol des Trium-
phes des Geists über die Materie», wie sein
Kollege, der berühmte Mathematiker Roger
Penrose, diese Woche im «Guardian» schrieb.
Je schwerer seine Behinderung wurde, desto
weiter schien Hawking allem Irdischen ent-
hoben und desto grösser wurde die ihm ent-
gegengebrachte Ehrfurcht.
Ein Ziel im Leben
Sein schreckliches Schicksal aber war nicht
die einzige Voraussetzung für Hawkings
Reputation als Genie und moralische Institu-
tion. «Stephen Hawking wäre nie Stephen
Hawking geworden, wenn er mit der Behin-
derung geboren worden wäre», schrieb vor
einigen Jahren der selbst seit Geburt behin-
derte Autor Alex Taylor. Bei Hawking wurde
die Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Late-
ralsklerose) im Alter von 21 Jahren diagnosti-
ziert. Seine bedeutendsten Arbeiten in den
sechziger und frühen siebziger Jahren
konnte der aus einem privilegierten Akade-
mikerhaushalt stammende Physiker leisten,
noch bevor ihm die Krankheit die schlimms-
ten Einschränkungen auferlegte.
Gleichzeitig scheinen erst die Behinde-
rung und der befürchtete frühe Tod seinem
Leben und seinem Studium ein Ziel gegeben
zu haben. Die Einschränkungen würden ihm
helfen, sich auf die wichtigen Dinge zu kon-
zentrieren. «Ich genoss das Leben mehr als
zuvor», sagte er einmal. Und vielleicht war es
für den von Kindesbeinen an schwächlichen
Hawking, der von seinen Mitschülern biswei-
len gemobbt worden war, auch eine Befrei-
ung, endlich dem Wettstreit mit seinen
Altersgenossen zu entkommen.
Das war 1963 im Alter von 21 Jahren. Etwa
zur gleichen Zeit lernte Hawking die Sprach-
studentin Jane Wilde, eine Freundin seiner
Schwester, kennen. 1965 heiratete das Paar
und bekam bis 1979 drei Kinder. Jane führte
den Haushalt und vor allem widmete sie sich
der Pflege ihres zunehmend hilfsbedürftigen
Mannes. Sie hob ihn aus dem Bett, sie wusch
ihn und sie kleidete ihn an. Und er machte
Karriere. Aus Einsteins Gravitationstheorie,
der allgemeinen Relativitätstheorie, folgerte
er, dass Raum und Zeit in einem Urknall ent-
standen sind. Die Erforschung Schwarzer
Löcher führte ihn zur Erkenntnis, dass diese
kosmischen Phänomene nicht perfekt
schwarz sind, sondern Strahlung aussenden.
Das erste populärwissenschaftliche Buch
Hawkings, «Eine kurze Geschichte der Zeit»,
erschien 1988. Es wurde millionenfach ver-
kauft und in 40 Sprachen übersetzt. Das
Hawking-Figur bei den «Simpsons».
Sein Ziel war «das
Verständnis des
Universums». Er wollte
wissen, «warum es ist,
wie es ist, und warum es
überhaupt existiert».
53
ZERO GRAVITY CORPORATION HANDOUT / EPA / KEYSTONE
Stephen Hawking
erlebt die Schwere-
losigkeit: Parabel-
flug mit einer
Boeing 727.
(Cape Canaveral,
26. April 2007)
Werk machte Hawking zu einem reichen
Mann – zu einer öffentlichen Figur, die sich
Eine kurze
Geschichte
immer weiter von der Familie entfernte. 1995
fand die Scheidung von Jane statt, und noch
im gleichen Jahre heiratete Hawking seine
langjährige Pflegerin Elaine Mason.
Doch auch diese Ehe scheiterte und wurde
1942
2006 geschieden. Zuvor waren in der Öffent-
lichkeit Missbrauchsvorwürfe gegen Mason
Hawking wird am
8. Januar 1942 in
erhoben worden. Die Pflegerin soll Hawking
verbal erniedrigt und ihm Verletzungen
Oxford geboren,
exakt 300 Jahre nach
zugefügt haben: von Prellungen, Schnitt-
wunden, einem blauen Auge und sogar von
Galileo Galileis Tod.
Beide Eltern hatten
einem gebrochenen Handgelenk war die
Rede. Die Anschuldigungen waren vielfältig
an der Universität
Oxford studiert.
und konkret, aber die Ermittlungen der Poli-
zei wurden eingestellt, unter anderem, weil
Hawking jedwede Misshandlung bestritt.
Übernatürliche Aura
1963
Ärzte stellen bei
In der Öffentlichkeit hatte Hawking längst Hawking die Nerven-
den Status eines fast unfehlbaren Geistes erkrankung ALS fest,
erreicht. Er war der perfekte Nerd; sein die in der Regel innert
Körper schien nur noch einem einzigen weniger Jahre zum
Zweck zu dienen: ein brillantes Gehirn am Tod führt.
Leben zu erhalten. Dass ihm die Ärzte schon
1963 den baldigen Tod angekündigt hatten,
verstärkte seine übernatürliche Aura zusätz-
lich. Hawking hat seine Popularität genossen
und an der Inszenierung seiner Person in
2018
Stephen Hawking
Filmen und Werbespots mitgewirkt. Ein aus- stirbt am 14. März
geprägtes Ego hat ihn ausgezeichnet, und für in seinem Haus in
Familien und Umwelt war sein bisweilen Cambridge, 55 Jahre
despotisches Verhalten eine Last. Wenn ihn nach der Diagnose
eine Person verärgerte, soll er ihr manchmal von ALS. Für den
mit dem schweren Rollstuhl über die Füsse atypischen Verlauf
gefahren sein. Opfer dieser Attacken konnten der Krankheit haben
Studenten sein oder Prominente wie Prinz Mediziner bis heute
Charles. Denn andere Mittel, sich zur Wehr keine Erklärung.
zu setzen, blieben Hawking nicht.
Trotzdem habe Hawking sein Leben und
seine Arbeit fast immer genossen, schreibt
Roger Penrose. Seine Popularität verdankt er
auch einem Forschungsthema, mit dem er
direkt an die Arbeiten Albert Einsteins, des
zweiten wissenschaftlichen Megastars des
Jahrhunderts anknüpfte. Hätte er über die
Fortpflanzungsstrategien des Fadenwurms
geschrieben, hätte ihm vermutlich kaum
jemand zugehört.
Sein Ziel aber war «das vollständige Ver-
ständnis des Universums». Er wollte wissen,
«warum es ist, wie es ist, und warum es über-
haupt existiert». Eine Antwort auf diese
Fragen hat Hawking, wie andere Physiker vor
ihm, nicht gefunden. Aber die Suche danach
hat Hawking am Leben gehalten und ihm
seinen Überlebenswillen geschenkt.
Computer&Technik
NZZ am Sonntag 18. März 2018

HightechamBerg
Beim Wandern und Trekking spielen digitale Gadgets eine immer grössere Rolle. Mehr Sicherheit und mehr
Komfort, lauten die Versprechen. Doch manches ist reine Spielerei. Von Jochen Bettzieche

D
er meteorologische Frühling Die Menschen möchten

WWW.BARTLETT.NET.AU
Unterwegs
ist zwei Wochen alt, und
jetzt wird wieder aufgerüs-
in fremde Welten
tet in den Wanderruck-
säcken. Die Menschen
wollen zurück zur Natur und
23 000 gehen, aber die
Absicherung sollte
auf rauen Berggipfeln und in Beim Wandern oder wie zu Hause sein.
unbekannten Tälern ein wenig Abenteuer Bergwandern
verletzten sich im
Abenteuer ohne Risiko.
erleben. Das Risiko jedoch soll kalkulierbar
bleiben. Deswegen bringen sich derzeit die Jahr 2014 fast
Anbieter und Teilnehmer von Trekking- 23 000 Menschen in hen. Thuraya betreibt zwei Telekommunika-
touren auf den neuesten technischen Stand. der Schweiz. In fast tions-Satelliten, die Empfang in Europa,
Zum sinnvollen Equipment für extremere zwei Dritteln der Nord-, Ost- und Zentralafrika, Asien und
Touren gehört sicherlich die Druckaus- Fälle sind Frauen die Australien ermöglichen. Das Mobiltelefon
gleichskammer. Wenn es in die Höhe geht, Opfer. Bei fast allen verbindet sich per WLAN mit dem SAT-
führen professionelle Reiseanbieter eine anderen Sportarten Sleeve. Dann kann eine Verbindung über den
solche mit. Sollte ein Kunde unter der trifft es dagegen Satelliten hergestellt werden. Eine rote Taste
Höhenkrankheit leiden und nicht schnell ins eher die Männer. benachrichtigt im Notfall eine Telefon-
Tal gebracht werden können, kommt er in zentrale, die den Hilferuf an einen vorab

diese Kammer. Das Ganze sieht aus wie eine
menschengrosse Wurst aus PVC. Die Bedie-
nung ist einfach: Reissverschluss öffnen,
hineinklettern, Reissverschluss schliessen.
Durchsichtige PVC-Streifen im Kopfbereich
ermöglichen den Blickkontakt mit den Men-
schen ausserhalb. Im Innern riecht die
Kammer wie ein neues Schlauchboot. Aufge-
pumpt wird sie mit einer Fusspumpe. Einen
Druck von zwei PSI baue man so binnen fünf
Minuten auf, erklärt Santosh Giri, Bergführer
in Nepal, wo Wanderer selbst bei einfachen
Touren schnell oberhalb von 4000 Höhen-
metern unterwegs sind: «Mit der Kammer
bringen wir den Patienten rasch um gefühlte
1500 Höhenmeter nach unten.»
Leben und Tod
Insbesondere bei schlechtem Wetter, wenn
der Helikopter nicht sofort kommen kann,
kann das den Unterschied zwischen Leben
und Tod bedeuten. Ständiges Betätigen der
Pumpe hält den Druck im Innern der
Kammer konstant. Bevor der Patient die
Kammer wieder verlässt, muss der Druck
langsam reduziert werden. Andernfalls fühlt
es sich für ihn so an, als ob er innert Sekun-
den um 1500 Höhenmeter nach oben kata-
pultiert würde – mit allen Risiken.
Zunehmend beliebt werden derzeit bei
den Reisenden auch Pulsoximeter. Mit
diesen kleinen, kostengünstigen Geräten
kann sich jeder den Puls und den Sauerstoff-
gehalt des Bluts selber messen. Dabei wird
die Absorption von Licht bestimmter Wellen-
längen durch einen Körperteil wie Finger
oder Zeh gemessen. Auf Basis des Ergebnis-
ses ermittelt das Gerät den Sauerstoffgehalt
des Bluts. Tatsächlich geht dieser in der
Höhe zurück. Gleichzeitig steigt der Puls. Die
Geräte zeigen daher unter anderem an, wie
der Reisende mit der Höhe zurechtkommt.
Kari Kobler, Chef des Schweizer Reiseanbie-
42
hinterlegten Partner des Reisenden weiter-
leitet. Internetfähig ist das Smartphone über
die Satellitenverbindung auch.
Internet auf dem Berg
Todesfälle wurden Internet über Satellit kann jedoch teuer
im Durchschnitt der werden. Als Kari Kobler 2015 im Everest-Ge-
Jahre von 2012 bis biet aus Sicherheitsgründen eine Internet-
2016 beim Wandern verbindung offenhielt, glichen zwei Geräte
registriert. Hier ist eines Kunden miteinander Daten ab. Die
das Geschlechter- Quittung kam bei der Endabrechnung:
verhältnis umge- 40 000 Franken kostete der Spass.
kehrt. Männer sind Eher Spielerei als wichtige Ausrüstung
zu 75 Prozent be- sind Geräte oder Apps, die beispielsweise
troffen. anhand von GPS-Daten messen, wie viele
Kilometer die Trekker am Tag zurückgelegt
haben. Das ist eine nette Zusatzinformation,
aber nicht überlebenswichtig.
Ähnliches gilt für die Höhenmesser-Funk-
tion der Armbanduhr. Denn wenn die Rei-
senden ihr Kartenmaterial richtig lesen
können, dann wissen sie in der Regel auch,
auf welcher Höhe sie sich befinden. Der
Höhenmesser erleichtert die Lokalisierung,
er hilft auch, am Abend die tatsächlich erlau-
fenen Höhenmeter zu bestimmen, aber er ist
kein Muss. Zumal die Geräte vor dem Auf-
bruch richtig eingestellt werden müssen.
Sonst können mehrere Höhenmesser in einer
Gruppe zu hitzigen Diskussionen führen,
Wirksam gegen die Höhenkrankheit: ein Druckluftzelt. welche Höhe die Reisenden tatsächlich
erreicht haben.
Doch auch wenn sich die Branche mittler-
ter Kobler und Partner, hält die Geräte durch- Menschen möchten in fremde Welten gehen, weile technisch perfekt aufgerüstet hat,
aus für sinnvoll, doch rät er zur Vorsicht: «Es aber die Absicherung sollte wie zu Hause gelten auf Trekkingtouren nach wie vor noch
passiert schnell, dass Gruppen sich selber sein. Abenteuer ohne Risiko. die gleiche Voraussetzungen, die auch vor
hochschaukeln und die Messung der Sauer- Das gilt auch für die Verbindung zur Aus- hundert Jahren schon gegolten haben: kör-
stoffsättigung oder des Pulses in eine Art senwelt. Standard sind heute Zusatzgeräte perliche Fitness, ausreichende Vorbereitung,
Wettbewerb ausartet.» für Smartphones, mit denen man eine Ver- gut sortiertes Kartenmaterial beziehungs-
Ohnehin betrachtet er den Trend zu bindung zu Satelliten eines spezialisierten weise ein Bergführer und entsprechende
immer mehr Technik unterwegs mit Anbieters wie Thuraya herstellen kann. Erfahrung. All diese Punkte können weder
gemischten Gefühlen. Die Angst sei ein gros- Knapp 200 Gramm wiegen diese SAT-Slee- App noch technische Ausrüstung ersetzen,
ser Begleiter geworden, sagt Kobler: Die ves, die wie eine Handyschutzhülle ausse- höchstens ergänzen.

Noch bessere Bilder News

Die neuen Smartphones von
Samsung überzeugen vor allem
durch ihre Kamera. Aber auch
beim Preis geht es aufwärts.
Äusserlich unterscheidet sich das neue
Galaxy kaum vom Vorgänger. Das fast rand-
lose Display hat Samsung schon vor einem
Jahr eingeführt. Die beiden neuen Modelle
S9 und S9+ haben einen an den Kanten abge-
rundeten Amoled-Bildschirm in den Grössen
5,8 und 6,2 Zoll. Neu ist die Position des kriti-
sierten Finger-Scanners. Dieser liegt nun in
der Mitte unter der Kamera, womit er deut-
ANZEIGE
lich besser zu ertasten ist als früher. Opti-
miert hat der Marktführer auch die biometri-
sche Sicherung. Praktisch ist die Option
«Intelligent Scan» zum Entsperren, welche
die Stärken des Iris-Scans und der Gesichts-
erkennung kombiniert. Das erstmalige Erfas-
sen von Iris und Gesicht gestaltet sich
unkompliziert. Im Test funktionierte die
Entsperrung gut, wenn Winkel und Abstand
zum Gesicht stimmen.
Einiges investiert hat Samsung in die
Kameraleistung. Neben der Frontkamera
(8 MP) haben beide Modelle eine Haupt-
kamera mit einem Dual-Pixel-Sensor (12 MP).
Das Weitwinkelobjektiv hat als Premiere
zwei Blendenöffnungen (f/1.5 und f/2.4), um
die Lichtausbeute zu optimieren. Man kann
die Wahl dem Smartphone überlassen oder
im Pro-Modus der vielseitigen Kamera-App
namens Live-Fokus nutzt wie der Porträt-
Modus des iPhones beide Objektive, um den
Hintergrund unscharf zu stellen. Das neue
Galaxy 9 bietet nun auch eine Super-Slow-
motion mit 960 Bildern pro Sekunde, ausser-
dem kann es auch bewegte Emojis erstellen.
Nachgebessert haben die neuen Galaxys
bei der Audioqualität: Sie besitzen nun einen
Stereo-Lautsprecher, der wie der mitgelie-
ferte In-Ear-Ohrhörer von AKG stammt und
mit vollem Klang überzeugt. Das Smart-
phone unterstützt neben dem verlustfreien
Musikformat Flac neu Surround Sound der
Technologie Dolby Atmos.
Handlungsbedarf hatte Samsung beim
Sprachassistenten Bixby. Dieser operiert nun
Mindestens 899 Fr. zuverlässiger und erlaubt, viele Funktionen
verlangt Samsung des Handys per Sprache zu steuern. Aller-
für das Galaxy S9. dings versteht er immer noch kein Deutsch.
Edge-Browser für das iPad
Microsoft entwickelt seine Büro-Software
längst nicht mehr nur für das eigene
Betriebssystem Windows, sondern auch für
Android und iOS. Das gilt auch für den bisher
mässig erfolgreichen Browser Edge. Jetzt
erscheint Edge auch speziell für das iPad,
nachdem in der iOS-Welt bisher nur das
iPhone unterstützt wurde. Die Entwicklung
ist vor allem für Nutzer interessant, die auf
dem PC Edge nutzen. (hir.)
Apple arbeitet an einer
tastenlosen Tastatur
Apple will laut einem Bericht der Website
heise.de eine Tastatur patentieren, die ohne
mechanische Tasten auskommt. Stattdessen
soll das Eingabegerät über druckempfind-
liche Bereiche verfügen, die beim Berühren

9
selber wählen. Im Vergleich mit dem Dafür gibt es vorgefertigte Aktionen, für die ein haptisches Feedback – vermutlich eine
neu iPhone X fiel auf, dass das Galaxy Aufnah- man persönliche Sprachbefehle abspeichern Vibration – erzeugen. Die Entwicklung würde
men bei knappem Licht besser meistert. Die kann. Die mit Android 8.0 (Oreo) laufenden das Problem klemmender Tasten beheben,
BANANA Fotos sind etwas schärfer und weniger ver- Galaxys sind 100 Franken teurer geworden: die bei den heute flachen Notebook-Tastatu-
BUCHHALTUNG
WINDOWS - MAC - LINUX - ANDROID - IOS
rauscht. Wer viel mit dem Handy knipst, Mit 64 GByte Speicher kostet das S9 nun ren immer wieder Ärger verursachen. Aus-
sollte sich für die getestete Version S9+ ent- 899 Franken, das S9+ 999 Franken. Das S9+ serdem wäre die Tastenbelegung in Zukunft
Für kleine Unternehmer, scheiden. Diese ist mit einem zweiten Objek- mit 256 GByte kostet mit 1145 Franken fast so vollkommen frei wählbar und könnte jeder
Freiberufler, Vereine und Private
nur CHF
tiv für den Telebereich (Blende f/2.4) viel wie das teuerste iPhone X. Sprache und jedem neuen Software-Pro-
www.banana.ch 129.- bestückt. Ein neuer Aufnahmemodus Claude Settele gramm angepasst werden. (hir.)
Mensch& Medizin
Was Big Brother im
Kinderzimmer bringt
Sollen Eltern Herzschlag und Atmung ihres Babys überwachen? Von Michael Vogel
E
s soll Zeiten gegeben haben, in
denen Babys ganz ohne Über-
wachungsgeräte nicht nur die
ersten Lebenstage wohlbehalten
überstanden haben, sondern es
tatsächlich bis in die Pubertät
schafften, in der bekanntlich das Risiko für
Leib und Leben entwicklungsbedingt dras-
tisch steigt.
Diese Zeiten sind vorbei. Schon seit langem
geht in vielen Familien mit der Geburt die
Anschaffung eines Babyphones einher. Bald
darauf folgten Geräte, die Bewegung und
Atmung eines Säuglings überwachen, teil-
weise noch ergänzt um Infrarotkameras für
die visuelle Inspektion des Nachwuchses.
Auslöser für solche Systeme war die Angst vor
dem plötzlichen Kindstod, der in Risikogrup-
pen eine nicht zu verharmlosende Gefahr für
das Leben eines Säuglings ist.
Doch in den USA zeichnet sich ab, dass
Digitalisierung und smarte Technologien
auch vor dem Bett des gesunden Babys nicht
haltmachen. Eine regelrechte Start-up-Szene
hat sich der Überwachung des Kindswohls
verschrieben. Zum Beispiel Owlet: Das
Unternehmen bietet eine smarte Socke an,
die Puls und Blutsauerstoffgehalt des Babys
misst. Der Säugling trägt das Gerät am Fuss.
Die Daten gelangen per Bluetooth und inter-
netfähige Basisstation zur App auf dem elter-
lichen Smartphone. Treten aussergewöhn-
liche Werte auf, schlägt die App Alarm. Kos-
tenpunkt: 300 US-Dollar.
Bei der Firma Cocoon wiederum gibt es
eine Nachtsichtkamera, die einen HD-Vi-
deostream des Babys aufs Smartphone
schickt. Die Eltern sehen ihr Kind nicht nur,
sondern bekommen auch eine optische Dar-
stellung seiner Atemzüge pro Minute – per
Algorithmus abgeleitet aus den Videodaten.
Fast schon banal mutet dagegen der Schnul-
ler «Pacif-i Smart Dummy» von BlueMaestro
an. Er löst auf dem Smartphone einen Alarm
aus, wenn das Baby Fieber kriegt. Es sind nur
Beispiele. Die Überwachungsgeräte sitzen an
der Ferse, am Handgelenk oder sind in die
Kleidung integriert. Die Atemüberwachung
gibt es auch per Radar.
Vor einem Jahr haben US-amerikanische
Wissenschafter im «Journal of the American
Medical Association» über diese Umtriebe
ein vernichtendes Urteil gefällt: «Trotz dem
Fehlen öffentlich zugänglicher Belege für die
Sicherheit, Genauigkeit, Wirksamkeit und
Funktion dieser Überwachungsgeräte für
gesunde Kleinkinder gibt es einen regen Ver-
kauf solcher Produkte, und der Markt expan-
diert derzeit», schrieben sie. Es gebe keine
medizinischen Befunde, die für die Über-
wachung gesunder Kleinkinder im heimi-
schen Umfeld sprächen, so die Autoren. Die
Amerikanische Akademie für Kinderheil-
kunde habe sich klar gegen Geräte zur Über-
wachung von Herzschlag und Atmung im
WENN ES UMS HERZ
GEHT: VERTRAUEN
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KOMPETENZ, DIE VERTRAUEN SCHAFFT.
heimischen Umfeld als Strategie gegen den
plötzlichen Kindstod ausgesprochen. Ein-
schlägige Anbieter-Websites vermieden
direkte Aussagen, dass die beworbenen Pro-
dukte Erkrankungen erkennen, behandeln
oder vorbeugen könnten, «doch ihre bewor-
bene Funktion ist die Alarmierung der
Eltern, wenn etwas mit Herzschlag und
Atmung ihres Kleinkinds nicht stimmt».
Es sei ein Geschäft mit der Angst, findet
auch Andrea Weber-Käser, Geschäftsführerin
des Schweizerischen Hebammenverbands in
Bern. «Gerade Eltern, die ein Kind durch
plötzlichen Kindstod verloren haben, sind
verunsichert, wenn ein weiteres Kind auf die
Welt kommt.» Die Ursachen des plötzlichen
Kindstods sind bis heute nicht voll verstan-
den. Allerdings gibt es unter Kinderärzten
und Hebammen einen weitgehenden Kon-
Das Unternehmen
bietet eine smarte
Socke an, die Puls und
Blutsauerstoffgehalt
des Babys misst.
sens darüber, wie Eltern vorbeugen können:
Rückenlage beim Schlafen, keine Decken
oder Kuscheltiere, Schlafen im Elternschlaf-
zimmer, Frischluftzufuhr, ein kühler Raum,
Stillen, rauchfreier Haushalt.
«Jede Hebamme, die Wochenbettbetreu-
ung macht, hat schon Familien erlebt, die
Überwachungsgeräte nutzen», sagt Weber-
Käser. «Nach einer gewissen Zeit stellt sich
aber ein Grundvertrauen ein, und die aller-
meisten Eltern legen das Gerät von allein
weg. Manchmal begünstigen unzählige Fehl-
alarme diesen Schritt.»
Dass solche Technologien verstärkt auf
den Markt kommen, dürfte kein Zufall sein.
Wer selbst einen Fitness-Tracker trägt, um
aus den erfassten Daten zu erfahren, ob er
schlecht geschlafen hat, der neigt womöglich
auch eher dazu, sein Kind von klein auf zu
(ver)messen. Anscheinend traut er ja nicht
mal seiner eigenen Körperwahrnehmung.
Wie sollte er sich da auf seine Wahrnehmung
bei einem Säugling verlassen können? «Es ist
wichtig, dass Eltern ein Grundvertrauen ins
Leben und in ihr Kind entwickeln», sagt
Weber-Käser. Hier helfen Nähe, Wärme,
Bestärkung – Fähigkeiten, die Eltern für
gewöhnlich mitbringen.
55
Rettender
Schmerz
THOMAS JACKSON / GETTY IMAGES
Diagnose
Andrea Six
E
igentlich ist der junge Mann
wegen Bauchschmerzen zum
Arzt gegangen. Wenn er die
Beschwerden nicht ernst
genommen hätte, wer weiss,
wie die Geschichte ausgegan-
gen wäre. So aber sitzt der 19-Jährige
nichtsahnend in der Praxis und wartet
lediglich auf ein Schmerzmittel. Er wird
jedoch mehr als eine einfache Tablette
benötigen.
Der Arzt der brasilianischen Gemeinde
untersucht den 19-Jährigen. Er vermutet,
dass es sich um ein Geschwür im Zwölf-
fingerdarm handelt. Mit einem Mittel
gegen Darmgeschwüre wird der 19-Jäh-
rige heimgeschickt.
Doch der junge Mann bleibt hartnäckig.
Wenige Tage später steht er wieder beim
Arzt in der Praxis und klagt über Schmer-
zen. Diesmal stellt der Arzt allerdings
auch Fieber und geschwollene Lymph-
knoten am ganzen Körper fest. Beunru-
higt schickt er den Mann ins Spital, wo
man bemerkt, dass seine inneren Organe
geschwollen und auf seiner Haut braune
Flecken zu sehen sind. Die Mediziner
befürchten, dass der Mann an Krebs
erkrankt ist, eine Form von Leukämie
Das Babyphone war möglicherweise. Sie entnehmen Gewebe-
gestern. Heute gibt proben aus den Lymphknoten und ferti-
es immer mehr gen Röntgenbilder an.
Geräte zur Über- Bis das Gewebe untersucht ist, bleibt
wachung von Babys. Zeit, die Aufnahmen aus der Radiologie
auszuwerten. Tatsächlich sind viele
Organe von kleinen Knoten überzogen.
Wuchern hier tatsächlich bösartige
Tumore? Dass die Mediziner damit nur
teilweise richtig liegen, beweisen die
Laborergebnisse: In den Lymphknoten ist
zwar kein Tumor aber ein äusserst bös-
artiger Pilz zu finden. Der Erreger hat sich
im gesamten Körper verbreitet und die
sogenannte südamerikanische Blastomy-
kose ausgelöst. Die Pilzinfektion kann
unbehandelt zum Tod führen.
Der 19-Jährige aber wird wieder
gesund, zeigen die ersten Reaktionen auf
das Pilzmedikament. Nun muss er die
äusserst langwierige Behandlung mit
schweren Medikamenten komplett
durchführen, damit sich der Pilz nicht
erneut ausbreiten kann.
Quelle: «Medical Mycology Case Reports»,
2018, online.
HIRSLANDEN
A MEDICLINIC INTERNATIONAL COMPANY
56 NZZ am Sonntag 18. März 2018

Veranstaltungen

OPER THEATER KONZERTE Eine Agenda für alles: www.kulturzüri.ch

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044 268 66 66, opernhaus.ch 044 225 81 10, gessnerallee.ch Achtungg, fertigg, Tromppete!
So 18. März, 18.00. Gottesanbeter_Innen.
Anouar
So 18. März, 14.00, Der flieggende Holländer. So 18. März, 14.15/17.00, Tonhalle
Oper von Richard Wagner. 20.00, K.U.R.S.K Maag

Brahem
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Mo 19. März, 19.00, Liederabend Diana MILLER’S «music:eyes@Tonhalle Maag»
Damrau 044 387 99 79, millers.ch Tonhalle-Orchester Zürich
Mi 21. März, 19.00, Der flieggende Holländer. Sa 24. März, 20.00. Sarah Hakenbergg – Yi-Chen Lin, Leitung
Oper von Richard Wagner Nur Mut! Beethoven «
«Blue Maqams» Holland t
with
Fr 23. März, 19.30. Camerata Schweiz (KV))
Do 22. März, 19.00, Petruschka/Sacre.
Choreografien von Marco Goecke – Couch Konzert
Mo 19. März, 19.30, Tonhalle Maag
Série jeunes
DeJohnette
und Edward Clug. Musik von Igor
THEATER NEUMARKT Daniel Lozakovich, Violine Bates
Strawinsky Alexander Romanovsky, Klavier Einziges Konzert in der Schweiz
Fr 23. März, 19.00, Lunea. Oper von 044 267 64 64, theaterneumarkt.ch Mozart,, Schubert,, Beethoven
Heinz Holliger Mo 19. März, 19.30, Krypta im Gross-
Mi 21./Do 22./Fr 23. März, 19.30, Tonhalle
Mi 11.4.18, Tonhalle Maag Zürich 20.00
Sa 24. März, 19.00, Der flieggende Holländer. münster, Zwingliplatz. Judas von Lot
Vekemans Maag Billettkasse Tonhalle 044 206 34 34
Oper von Richard Wagner Tonhalle-Orchester Zürich
So 25. März, 11.15, Einführunggsmatinee 20.00, Saal. Einggerockt und ausggesunggen. www.ticketcorner.ch www.allblues.ch
Ein fernes Lied aus Zwinglis Kindheit. David Zinman, Leitung (Ehrendirigent)
«Maria Stuarda». 14.00, Lunea. Oper von Krystian Zimerman, Klavier
Heinz Holliger. 19.30, Wolf-Ferrari/ Mit Jürg Kienberger
Di 20. und Mi 21. März, 20.00, Saal. Brahms,, Bernstein
Dvořák . 5. Philharmonisches Konzert.
Der österreichische Geiger Benjamin Biedermann und die Brandstifter von Max Do 22. März, 12.15, Klubsaal im Kauf-
Schmid spielt mit der Philharmonia Frisch leuten
Zürich unter der Leitung von Gustavo Lunchkonzert
Gimeno THEATER RIGIBLICK Musikerinnen und Musiker des TOZ
Klugghardt,, Liszt,, Waggner
044 361 80 51, theater-rigiblick.ch
THEATER So 18. März, 18.00. Heimat - Damaskus. So 25. März, 11.15, Miller’s Theater
Eine Erinnerungg mit Schriftsteller und Literatur und Musik

Inserat gesponsert
Filmer Rudolph Jula, Andrea Zogg, Musikerinnen und Musiker des TOZ
SCHAUSPIELHAUS ZÜRICH Bahur Ghazi. Konzept: Georg Kohler Elke Heidenreich, Einführung

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So 18. März, 11.00, Schiffbau. Öffentliche
Führungg für Familien und Kinder ab 9
Jahren
18.00, Schiffbau/Matchbox. Liebe
Grüsse... oder Wohin das Leben fällt. Regie:
Theo Fransz. Anschl. Publikumsge-
spräch
19.00, Pfauen. Am Königgswegg von
Elfriede Jelinek. Regie: Stefan Pucher
Mo 19. März, 20.00, Pfauen. Die Phyysiker
von Friedrich Dürrenmatt. Regie:
Herbert Fritsch
Do 22. März, 20.00, Pfauen. Homo faber
nach dem Roman von Max Frisch.
Regie: Bastian Kraft
BERNHARD THEATER
044 268 66 99, bernhard-theater.ch
So 18. März, 11.30. Bernhard Matinée.
Gastgeber Moritz Leuenberger be-
grüsst Gäste
Di 20. März, 20.00. Goethes «Faust» Delia Mayer, Lesung
Erzählt in 90 Minuten mit Songs aus Saint-Saëns,, Hindemith,, Poulenc,, Baum
Rock und Pop. Mit Daniel Rohr und
Silvester von Hösslin
Mi 21. März, 20.00. Die Besetzungg. The- DER GEMISCHTE CHOR ZÜRICH
aterstück von Charles Lewinsky. Mit www.gemischter-chor.ch
Andrea Zogg und Anne Hodler Do 29., 19.30 und Fr 30. März, 16.00,
Do 22. März, 20.00. Azzurro. Un dramma Tonhalle Maag Zürich
giocoso con grandi emozioni mit Johann Sebastian Bach: Johannes Passion
Daniel Rohr und Dietmar Loeffler Thomas Michael Allen (Evangelist),
Fr 23. März, 20.00. Mendocino. Hits Dietrich Henschel (Jesus), Ralf Lukas
aus den 70ern. Mit Daniel Rohr und (Bassbariton), Mirella Hagen (Sopran),
Dietmar Loeffler Marie-Claude Chappuis (Alt)
So 25. März, 20.00. Die Geschichte einer Tonhalle Orchester Zürich
Heiliggen. Erzählung von Gabriel
García Márquez mit Musik von Astor
Joachim Krause: Leitung Ein Weg in die Zukunft
Piazzolla. Mit: Eriko Kagawa, Daniel
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TONHALLE-ORCHESTER ZÜRICH A. Bruckner: Messe Nr. 2 in e-Moll
044 206 34 34, tonhalle-orchester.ch Berner Kammerorchester SMS PAF 50 an Nr. 339
So 18. März, 11.30, GZ Seebach Florian Helgath, Leitung
Stiftung PC 60-12948-7
PRO ADELPHOS
Christliches Hilfswerk für Osteuropa
052 233 59 00
proadelphos.ch

NZZ-REISEN EXKLUSIV
FRANKREICH Eine aussergewöhnliche Annäherung an Gastronomie
und Weine des Bordelais
Kulinarische und • NZZ-Weinredaktor Peter Keller begleitet die Reise und belebt sie mit sei-
nem Wissen, seiner Fachkenntnis, Erfahrung, Anekdoten und Insidertipps

önologische Höhenflüge • Unterkunft im Hotel Bayonne Etche Ona**** in Bordeaux und auf Châ-
teau Grand Barrail***** im Saint-Emilion

im Bordeaux! • Besuch des Marktes von Bordeaux inkl. Austerndegustation

• Besuch des Weinmuseums «Cité du Vin» inkl. Apéro
• Besuch von drei bekannten Weingütern mit Degustation
Termin: 19.10.– 22.10.2018 • zwei Bistrot-Mahlzeiten inkl. Weinbegleitung, ausgewählt durch Peter Keller
Preis: Fr. 3600.– (Einzelzimmerzuschlag Fr. 400.-) • drei Gourmet-Mahlzeiten inkl. exklusiver Weinbegleitung, darunter auch
Teilnehmer/innen: Min. 12, max. 18 Personen ein von Parker mit 100 Punkten benoteter Jahrgang

Tag 1: Zürich – Bordeaux IHRE BEGLEITUNG

Linienflug mit Swiss nach Bordeaux. Nach Ankunft Besuch der Markt- PETER KELLER
halle von Bordeaux, wo die Spitzenköche ihre Spezialitäten einkaufen. Peter Keller ist Weinredaktor der «NZZ am
Anschliessend Stadtrundgang und Besuch des neuen Weinmuseums Sonntag» und Autor zweier Weinbücher und
«Cité du Vin». Welcome-Apéro über den Dächern der Weinmetropole. leitet als Weinakademiker Weinseminare für
Abendessen in einem der traditionsreichsten Bistrots der Stadt und NZZ-Leser.
Übernachtung im Erstklasshotel Bayonne Etche Ona.

Tag 2: Spitzenweine im Médoc

Heute lernen Sie zwei der Lieblings-Châteaux von Peter Keller und ihre
edlen Gewächse kennen: Château Pichon-Baron und Château Gruaud-
Larose. Lunch im bekannten Café Lavinal. Die nächsten zwei Tage sind
Sie im Château Hôtel Grand Barrail zu Gast, wo Sie zum Auftakt mit
einem Dîner verwöhnt werden.

Tag 3: Saint-Emilion
Bei Château Faugères hat Stararchitekt Mario Botta für den Schweizer
Unternehmer und Weinsammler Silvio Denz einen imposanten Weinkeller
gebaut. Am Abend sind Sie auf einem Château zu einem Privat-Dîner
geladen, das von den besten Tropfen des Hauses begleitet wird.

Tag 4: Cheval Blanc und Sauternes

Ganz nahe beim Schloss Grand Barrail liegt das berühmte Château Cheval
Blanc, wo wir heute zu einer Degustation geladen sind. Anschliessend
Fahrt nach Sauternes, wo wir auf Château Lafaurie-Peyraguey, das
ebenfalls Silvio Denz gehört, sozusagen als Dessert der Reise, zu einem
Lunch mit abschliessendem Sauternes geladen sind. Am Nachmittag
bleibt noch etwas freie Zeit im Stadtzentrum von Bordeaux, am Abend
Rückflug nach Zürich.

Anmeldung und Informationen:

reisen.nzz.ch reisen@nzz.ch 041 418 00 00

Organisierender Reiseveranstalter: Imbach Reisen AG


LustundEkel
sindverwandt
Das erste Bier schmeckt scheusslich. Von der ersten Zigarette wird
uns schlecht. Der erste Sex ist eine traurige Komödie. Warum machen
wir trotzdem weiter?, fragt Manfred Papst
TINE BUTTER / PLAINPICTURE
S
chon mit unserer Geburt fängt
das Drama an. Schreiend und
hilflos kommen wir zur Welt.
Wir wollen nicht hinaus ins
Leben. Die erste Muttermilch
spucken wir mit letzter Kraft
aus. Wir müssen gedrängt
werden, am Nippel zu saugen. Was Wunder,
wo er doch auch Brustwarze heisst! Vor der
seligen Zufriedenheit des Säuglings, die uns
so entzückt, stehen Ekel und Unvermögen.
Früh muss er lernen, dass Leben bedeutet,
sich selbst zu überwinden. Es folgt zwar eine
Phase, in der es dem Kleinkind vor gar nichts
graust und es sich alles in den Mund steckt,
auch Kot und Würmer. Doch dabei bleibt es
nicht. Plus minus drei Jahre, dann ist es
schon vorbei.
Schlimm ist sodann die Pubertät. Was
müssen wir da nicht alles lernen! Zum Bei-
spiel, dass Bier besser ist als Fanta, dass man
sich nach dem Rauchen erst mit der Zeit
nicht mehr erbrechen und beim Sex tapfer
üben muss, wenn er mit der Zeit doch noch
etwas Spass machen soll. Warum ist das so?
Mutproben mit Gleichaltrigen
«Das elementare Muster des Ekels ist die
Erfahrung einer Nähe, die nicht gewollt
wird», hat Winfried Menninghaus in seinem
Standardwerk «Ekel. Theorie und Geschichte
einer starken Empfindung» (Suhrkamp 1999)
geschrieben. Hinzu kommen biologische
Faktoren. Säuglinge lieben Süsses und verab-
scheuen Bitteres. Sauer macht sie gar nicht
lustig. Erst durch Sozialisation und Erzie-
Maja Oeri M4Music
Die Mäzenin über Das Festival fördert
Bruce Nauman 58 Talente 61
Erst hält man den
Widerwillen aus wie ein
Indianer den Schmerz,
dann merkt man, dass er
auf dem Rückzug ist und
man ihn besiegen kann.
hung erweitert sich das Spektrum des
Geschmacks. Gesellschaftliche Faktoren
spielen ebenfalls mit. Die erste Zigarette, das
erste Bier: Das sind Erfahrungen, die man
meist unter Gleichaltrigen macht. Es sind
Mutproben und Initiationsriten. Wer nicht
als Feigling gelten will, verzieht keine Miene,
zuckt nicht mit der Wimper. Erst hält man
den Widerwillen aus wie ein Indianer den
Schmerz, dann merkt man, dass er auf dem
Rückzug ist und man ihn besiegen kann.
Man überwindet ihn wie einen hartnäckigen
Schluckauf. Allmählich obsiegt die Gewöh-
nung, und aus dem Ekel wird eine Lust, die
wiederum zur Sucht führen kann.
Was die Eltern tun oder sagen, spielt dabei
kaum eine Rolle. Wenn sie selbst qualmen
und trinken, wachsen die Kinder in diese
Welt hinein. Kalter Rauch und Alkohol-
schwaden bedeuten ihnen Heimat. Und
wenn die Eltern abstinent leben, gerät der
Konsum verbotener Dinge zum Akt der
Rebellion. Dafür, dass man die Eltern ärgern
kann, nimmt man den Ekel in Kauf, mehr
noch: Man geniesst ihn, weil er für ein
gefährliches, eigensinniges Leben steht, und
Jüdischer Hacker Total unkorrekt
Wie Ulcan im Internet Neue Serien kennen
Nazis terrorisiert 61 keine Tabus 63
NZZ am Sonntag 18. März 2018
57
Tintenfisch ist
keine Augenweide,
gilt aber als
Delikatesse.
integriert ihn, um nochmals mit Winfried
Menninghaus zu sprechen, in eine «Ökono-
mie der Lust». Man lernt, dass es ein Men-
schenrecht ist, sich selbst zu schaden, fühlt
sich bei jeder Gauloise als Existenzialist
und pflegt nebenbei ostentativ seinen
Weltekel. Schliesslich ist Jean-Paul Sartres
Roman «Der Ekel» (La nausée) ein Haupt-
werk des Existenzialismus.
Kutteln und Schnecken
Wir kennen die Schmerzlust (etwa im Sado-
masochismus) und die Angstlust (beim
Krimi, ohne den die Mimi nie ins Bett geht,
auf der Achterbahn, bei Extremsportarten),
aber auch die Lust am Ekel auf verschiede-
nen Gebieten. Bei den Speisen fängt es an.
Den einen dreht sich der Magen um, wenn
sie die Saugnäpfe einer am Stück gebrate-
nen Krake sehen oder eine Auster schlürfen
sollen, den andern läuft das Wasser im
Mund zusammen. Wieder spielt die Soziali-
sation eine wichtige Rolle: Was Hänschen
gelernt hat, muss Hans nicht mehr lernen.
Wer mit dem Verzehr von Kutteln und
Schnecken aufgewachsen ist, kann nicht
verstehen, dass andere sich da ekeln. Daran
dachte zweifellos auch Gottfried Keller, als
er seiner verehrten Wiener Freundin Marie
Exner, die gerade mit einem Söhnchen
niedergekommen war, schrieb, sie solle
diesem in Rotwein getunkte Läckerli an
den Schnuller binden, damit das Kind sich
früh an den Trank gewöhne. Wenn Hans
Fortsetzung Seite 59
58 Kultur NZZ am Sonntag 18. März 2018

Radikalsichselbst
verpflichtet
Bruce Nauman gilt vielen als der wichtigste zeitgenössische Künstler. Im Schaulager bei Basel hat er eine
grossartige Retrospektive eingerichtet, die erste seit 25 Jahren. Von Gerhard Mack

M
it Speck fängt man
Mäuse, sagt ein Sprich-
wort, Bruce Nauman
macht mit ihnen Kunst:
«Auslöser für diese
Arbeit waren Mäuse.
Im Haus und im Atelier
hatten wir diesen Sommer eine wahre Feld-
maus-Plage. Es waren so viele, dass es
schliesslich selbst der Katze reichte», teilte er
mit. Der Künstler lebt seit den späten siebzi-
ger Jahren abgeschieden auf einer Farm in
New Mexico und züchtet dort Pferde. Im
Sommer 2000 stellte er während 42 Nächten
eine Videokamera auf und liess sie an einer
von sieben Positionen jeweils eine Stunde
laufen. Die mit Farbfiltern getönten Aufnah-
men umfangen in einem Raum des Schau-
lagers nun die Besucher, als wären sie im
Atelier. Zu sehen ist nicht viel. Gelegentlich
fliegt ein Falter durchs Bild, eine Maus huscht
über den Boden, wir hören einen Kojoten
heulen oder einen Zug vorbeifahren.
Diese Arbeit enthält vieles, was Bruce
Nauman seit fünf Jahrzehnten zum vielsei-
tigsten und einflussreichsten lebenden
Künstler macht: Da sind das Überwachen
und unser Voyeurismus, da sind aber auch
die Leere und Stille; eine fast vollständige
Ereignislosigkeit, die so zerdehnt wird, dass
nicht gross genug, um die ausgewählten BRUCE NAUMAN / © PRO LITTERIS
Werke zeigen zu können.
Bruce Nauman
Wie im Atelier sind die frühesten Arbeiten
ausgelegt. Sie zeigen Bruce Naumans Experi-
mentierlust und stupende Offenheit für neue
Materialien, Techniken und Formen. Fiber-
glas, Latex, Performance, Film und Video hat
er Mitte der sechziger Jahre als einer der
Ersten benutzt. Nach seinem letzten gemal-
ten Bild wollte er den Körper einbringen,
Kunst wurde Handlung. Dass der Künstler
dabei Formen für seine Abwesenheit und Der Künstler wurde
Metaphern für eine existenzielle Leere fand, 1941 in Indiana
hat der Ausstellung den Titel «Disappearing geboren, wuchs in
Acts» gegeben. Ludwig Wittgenstein, Marcel Wisconsin auf, stu-
Duchamp, Samuel Beckett lassen grüssen. dierte in Kalifornien
Bereits die erste Arbeit «Venice Fountain» und lebt mit seiner
am Eingang zur Ausstellung rückt das Atelier Frau, der Malerin
und den Künstler ins Zentrum dieser Kunst. Susan Rothenberg,
Sie zeigt zwei Waschbecken, wie man sie von auf einer Farm in
Naumans Atelier kennt, und verbindet sie New Mexico.
über Schläuche mit Abgüssen vom Kopf des
Künstlers, aus denen Wasser sprudelt. Der
Künstler als Quelle ist halb ironisch, halb
sehnsuchtsvoll gemeint. Denn Kunst hat für
Nauman durchaus mit Moral zu tun. Er ist der
Meister der Paradoxie und fragt nach gutem
und schlechtem Verhalten bis dahin, wo es
keine allgemeinen Normen gibt, aber jeder
aufgefordert ist, sie für sich selbst zu finden. Oben: Blick in die
BRUCE NAUMAN © PRO LITTERIS

sie kaum zu ertragen ist. Da ist ein Faible für
neueste technische Entwicklungen. Und da
ist vor allem die intime Atmosphäre des Ate-
liers. Es ist im Unterschied zu vielen Künst-
lern heute für Nauman ein entscheidender
Ort. So erklärte er einmal: «Ich folgerte also,
dass ich ein Künstler in einem Atelier war
und dass demnach alles, was ich dort tat,
Kunst sein musste.»
Das Atelier und die Frage danach, was ein
Künstler sei, zieht sich wie ein roter Faden
durch die Ausstellung, die das Schaulager auf
Initiative von Maja Oeri mit dem New Yorker
Museum of Modern Art erarbeitet hat. Rund
170 Werke hat Kathy Halbreich mit den Ko-
Kuratorinnen Heidi Naef und Isabel Friedli
ausgewählt. Zwei grossartige Installationen
sind im Kunstmuseum Basel zu sehen. Denn
für einmal war selbst das riesige Schaulager
In der Installation «Good Boy Bad Boy» Ausstellung mit der
schreien eine Frau und ein Mann ihre Sätze neusten Skulptur
über Gut und Böse bis zur Erschöpfung. «Leaping Foxes»
Die Ausstellungsmacherinnen schreiten (vorne).
die zentralen Phasen des Werks fast chrono- Unten: Reverenz an
logisch ab. Die Auseinandersetzung mit der Marcel Duchamp:
Rolle des Künstlers mündet in die Aktivie- «Myself as a Marble
rung des Betrachters in engen Korridoren und Fountain», 1967.
Modellen für Tunnels, die man sich nur vor-
stellen kann. Neonarbeiten und Zeichnungen
führen die Doppelbödigkeiten der Sprache
vor. Immersive Bildinstallationen konfrontie-
ren mit dem Körper als Ausgangspunkt jeder
Erfahrung. Nur von ihm aus sind gesell-
schaftliche Fragen sinnvoll: Da sind das
Gefangensein in endlosen Wiederholungen,
die Enge und der Lärm, mit denen wir uns
herumschlagen und gegen die Nauman in
einer Sound-Installation wütet: «Get out of

Mäzenin Maja Oeri äussert sich erstmals zu ihrer Sammelleidenschaft für Bruce Nauman

«Er lotet
NZZ am Sonntag: Frau Oeri, die wir sie erwerben wollen – das ist einer tiefen Verbundenheit mit dend war – und bis heute ist! –, und Skulpturen, an die Neon-
Emanuel-Hoffmann-Stiftung einzigartig für diese der Gegen- Künstlerinnen und Künstlern. ist die Tatsache, dass Nauman arbeiten, die Korridore, die
sammelt in der dritten Generation wart verpflichtete Sammlung. Meine Mutter hat die Stiftung keinen Stil pflegt, sondern stets Videos, die Soundarbeiten.

stets
Werke von Bruce Nauman. Wie ist
es dazu gekommen?
Maja Oeri: Meine Grossmutter
war bereits Mitte siebzig, als sie
eher aus einem Pflichtgefühl neue Grenzen auslotet und diese Immer, wenn wir etwas ver-
Was stand am Anfang dieser Fas- heraus weitergetragen. Sie hatte sofort wieder überschreitet. Dies stehen, uns an etwas gewöhnt
zination? in Jean-Christophe Ammann nicht nur im Denken, sondern haben, überholt er uns links.
Bis in die 1960er Jahre kaufte einen ausgezeichneten Berater. auch in der Realisierung, mit den

Grenzen
Bruce Nauman für die Stiftung die Stiftung Gemälde und Skulp- Durch ihn kamen Werke wie die Materialien und Medien, in Wo haben Sie bei Erwerbungen
entdeckte. Sie stand im ständi- turen. Dann aber geschah völlig Gips-Skulptur «Square, Triangle, denen er seine Ideen umsetzt. Akzente gesetzt?
gen Austausch mit Franz Meyer Neues: In Deutschland arbeitete Circle» oder die Neonarbeit «Sex Denken Sie an die frühen Filme Für mich ist es wichtig, Arbei-

aus»
und Dieter Koepplin, die das
Werk des damals sehr jungen
Amerikaners für das Kunst-
museum ankauften. Als Erstes
erwarb die Emanuel-Hoffmann-
Stiftung 1973 eine Gruppe von
Zeichnungen. Es folgten Filme
und Skulpturen und später dann
Neons und Videoinstallationen.
Dass aber die Werke eines Künst-
lers über jetzt schon 45 Jahre
immer wieder als so aktuell und
relevant angesehen werden, dass
Joseph Beuys mit bis dahin
kunstfremden Materialien, aus
Amerika kamen minimalistische
Tendenzen. Meine Grossmutter
spürte instinktiv, dass es hier
langging, und begann, sowohl
Beuys als auch Nauman und
Zeitgenossen zu sammeln.
Haben Ihre Grossmutter und Ihre
Mutter jeweils anders gesammelt?
Meine Grossmutter war selbst
Bildhauerin und sammelte aus
and Death by Murder and Sui-
cide» in die Sammlung.
Was hat Sie persönlich an Nau-
mans Werk überzeugt?
Nauman war für mich zuerst
ganz selbstverständlich da. Als
ich 1977 in den Stiftungsrat der
Emanuel-Hoffmann-Stiftung
kam, besass diese schon eine
gewichtige Werkgruppe mit
Zeichnungen, Filmen und Skulp-
turen. Was dann aber entschei-
ten zu sammeln, die im Œuvre
des Künstlers einen Wendepunkt
markieren. Das war bei den Gips-
skulpturen ebenso der Fall wie
bei der Video-Installation
«Shadow Puppets and Instructed
Nauman ist total Mime» oder 2009 bei der berüh-
renden Ton-Arbeit «Days» und
aktuell, ohne dass der 7-Kanal-Videoinstallation
er auf politische «Contrapposto Studies», die ich
im vergangenen Jahr gemeinsam
Themen Bezug mit dem Museum of Modern Art
nimmt. erwerben konnte.

my mind, get out of this room.» Da ist die destens zu schmunzeln beginnt. Wie der
Dressur, die er beim Zureiten von Pferden auf Clown auf dem WC mit grosser Geste Papier-
freundliche und bei Kommandos für eine blätter abreisst und in eine Illustrierte auf
Schauspielerin auf brutale Weise vorführt. Da seinen Knien legt, ist perfekter Zirkus.
sind die Kameras, die das leere Atelier über- Am Ende dieser grossartigen Ausstellung
wachen. Und da sind Folter und Tod, auf die kehrt man wieder zu Nauman und in sein
Hängeskulpturen mit Stühlen und Kunst- Atelier zurück. Da ist er in zwei Sälen auf vier
stofftierkörpern verweisen. Die jüngste Wänden zu sehen, wie er im Kontrapost geht.
wurde gerade im Schaulager angefertigt. Die sieben Teile sind ein Echo auf eine frühe
Während sich das Werk im Erdgeschoss in Videoperformance. Nauman bewegt sich
grosser Ernsthaftigkeit bis zum Crescendo darin mit dem Wechsel von Stand- und Spiel-
von Gewalt und Krieg entfaltet, darf man im bein aus der klassischen Skulptur. Die neuen
Untergeschoss Luft holen. Nicht dass da Bilder zeigen ihn von allen Seiten. Nauman
Nauman der Ernst abhandengekommen beschönigt nichts. Die Jahre haben sich dem
wäre. Kunst ist für ihn nie Spiel gewesen. Körper eingeschrieben. Die Figur ist fülliger
Aber hier kommt sein schwarzer Humor geworden, der Hüftschwung nicht mehr so
deutlicher zum Tragen. Die Clowns in der rund wie einst. Mit jeder Sequenz wird das
Mehrkanalinstallation «Clown Torture» Bild des Körpers weiter zerlegt. Zuletzt ist es
schreien und winden sich, aber Nauman hat in sieben Teile zerschnitten, die zueinander
das so überdreht, dass man irgendwann min- versetzt werden. Das Bild des Künstlers als
Wie haben Sie gekauft? Beim als ich 2009 anlässlich der Bien-
Künstler oder über Galerien? nale in Venedig mit ihm sprach,
Am Anfang stand der Düssel- um ihn von meinem Wunsch, im
dorfer Galerist Konrad Fischer, Schaulager eine Ausstellung
der sich als Erster in Europa für auszurichten, zu überzeugen.
Nauman einsetzte und von dem Nauman wusste ganz genau, was
lange Zeit Arbeiten erworben die Hoffmann-Stiftung ist und
wurden. Bis heute kaufe ich über welche Arbeiten wir besitzen. Er
Naumans Galerien. Er selbst war dankbar, dass wir ihn so früh
kümmert sich nicht um die Ver- unterstützten, als man ihn in
marktung seiner Arbeiten. Maja Oeri (*1955) ist Amerika noch weitgehend igno-
Präsidentin der rierte, und dass wir sein Schaffen
Hat Nauman bei Ankäufen mit Emanuel-Hoffmann- über damals fast vierzig Jahre
überlegt und beraten? Stiftung und leitet begleitet hatten.
Das ist gar nicht der Fall. das Schaulager.
Nauman lebt ganz zurückgezo- Hat sich Ihr Blick auf Naumans
gen und alles, was er möchte, ist Werk im Laufe der Zeit verändert?
arbeiten. Ich kannte ihn zwar, Möglicherweise schaue ich
und er war bei Begegnungen heute weniger unbekümmert auf
immer sehr freundlich, aber ich seine Arbeiten. Zu gross ist der
war mir nicht einmal sicher, ob Respekt vor diesem Giganten der
er wusste, wer ich war. Umso Kunst und vor der Präzision, mit
mehr war ich dann aber erstaunt, welcher er auf scheinbar selbst-
59
Lust und Ekel . . .
BISIG & BAYER / © BRUCE NAUMAN / PRO LITTERIS
Fortsetzung von Seite 57
Vor und nach dem Sex
säubert sich der
Mensch. Dazwischen
sucht er das Abgründige
und will seine
Phantasien ausleben.
aber (wie einst Johannes der Täufer) sich von
Heuschrecken ernähren soll, muss er sich
erst einmal überwinden. Auch bei den
Schimmelkäsen, die manche Gourmets
reifen lassen, bis sie nur noch nach Salmiak
und somit nach Pissoir riechen, wendet sich
Otto Normalverbraucher ab mit Grausen. Es
geht hier jedoch um mehr als Mutproben.
Hier werden Lust und Ekel eins. Man kann
die Situation auch noch anders deuten: Das
Essen von Speisen, die Fäkalgerüche aus-
strahlen, in sozial unverdächtiger
Umgebung, beispielsweise im Nobelrestau-
rant, erlaubt es dem Menschen, coram
publico seiner Perversion zu frönen.
Im «Märchen von einem, der auszog, das
Fürchten zu lernen» der Brüder Grimm ruft
der Held ein ums andere Mal «Ach, wenn’s
mir doch gruselte!» Weder Gespenster noch
Gehenkte am Galgen noch Tote, die mit
Schädeln kegeln, schaffen das. Erst als er alle
Prüfungen bestanden und die zum Preis
ausgesetzte Prinzessin heimgeführt hat,
lernt er das Gruseln doch noch: nämlich, als
seine Frau ihm einen Eimer kalten Wassers
mit Fischen darin ins Gesicht schüttet. Das
Märchen hat einen tiefen Sinn und führt
direkt in unsere Moderne. Das Gruseln – eine
Mischung aus Angst und Ekel – ist in der
gleichsam virtuellen Welt der Gespenster
und Untoten etwas ganz anderes als in der
irdischen Realität. Vor einem realen glitschi-
gen Fisch im Gesicht ekeln wir uns mehr, als
wenn wir uns ein Splatter-Movie ansehen.
Sigmund Freud wusste es
Auch dass Sex ein Vergnügen sein kann,
müssen wir mühsam lernen. «Der natürliche
Gebrauch, den ein Geschlecht von den
Geschlechtsorganen des anderen macht, ist
ein Genuss, zu dem sich ein Teil dem ande-
ren hingibt», hat Immanuel Kant mit der ihm
eigenen Sinnlichkeit in § 25 seiner «Metaphy-
sik der Sitten» (1797) geschrieben. Doch zu
diesem Genuss kommt man nur, indem man
den Ekel überwindet. Penis und Vulva sehen
weder aus wie eine Rose, noch duften sie wie
diese. Und warum der Mann als Krone der
Schöpfung mit einem Hodensack herumlau-
eines alten Mannes ist fragmentiert, er ist zur Umkreist mit fen muss, ist in ästhetischer Hinsicht auch
endlos animierten Figur geworden. Piktogrammen und nicht so recht erklärlich.
Nauman hat das Motiv ein Jahr später in Wörtern in Neon die Hier liegt ein Paradox: Vor und nach dem
3-D übersetzt. Nun treten nicht nur die Bild- Ambivalenz unserer Sex säubert sich der Mensch. Dazwischen
flächen, sondern die Räume auseinander. Existenz: Bruce sucht er das Abgründige, Grenzüberschrei-
Die Beine gehen ganz nah an die Wand, den Nauman, hier mit tende. Er will seine Phantasien ausleben.
Oberkörper sehen wir aus grösserer Entfer- «Sex and Death by Pasteurisierter Sex führt schnurstracks in die
nung. Beide sind oft zueinander verdreht. Murder and Langeweile. Das hat auch Sigmund Freud so
Nebenbei hält die Kamera das Atelier fest, Suicide», 1985. gesehen. Wiederholt hat er gesagt, dass Ekel
mit all seinen Abfällen und Zufälligkeiten. und Libido zusammenhingen. Dass das so
Daraus entstehen Werke. Nahe am Leben. ist, zeigt übrigens auch der Erfolg von
Wer etwas über Kunst erfahren will, dem Büchern wie Charlotte Roches 2008 erschie-
kann man diese Ausstellung nur empfehlen. nenem Roman «Feuchtgebiete».
In ihren Klängen, in ihren Räumen, vor ihren Hier geht es also nicht bloss um die Über-
Objekten ist zu erleben, auf welch wanken- windung eines anfänglichen Widerwillens
dem Boden wir stehen. Eine Grundlektion in wie beim Biertrinken, sondern darum, die
Zeiten der demagogischen Vereinfacher. Spannung von Lust und Ekel aufrechtzuer-
halten. Der brave Bankangestellte und die
Schaulager: Bruce Nauman – Disappearing gewissenhafte Bibliothekarin müssen im
Acts, Münchenstein/Basel, bis 26. 8. Bett zu Ungeheuern werden, um füreinander
ein Geheimnis und damit interessant zu blei-
ben. Immerhin scheint die Natur hier mitzu-
helfen: Zahlreiche Studien haben nach-
gewiesen, dass im Zustand sexueller
Erregung der Ekel ausgeschaltet wird.
Ekel ist indes nicht nur ein Affekt, sondern
verständliche Weise seit Jahr- Wir haben versucht, eine gül- auch ein Instinkt. Er bewahrt uns davor,
zehnten eins aufs andere auf- tige Retrospektive zu zeigen, von unzuträgliche oder gar giftige Substanzen zu
baut und weiterentwickelt. den frühen Zeichnungen bis zur uns zu nehmen. Doch oft sind Neugier und
neuesten 3-D-Projektion, die im Abenteuerlust stärker. Wenn wir nichts
Wieso finden Sie ihn für unsere Schaulager Weltpremiere hat. Es wagen wollten, könnten wir uns tagein,
Zeit besonders wichtig? ist über 25 Jahre her seit der letz- tagaus von Apfelmus und Kartoffelbrei
Nauman ist ein total aktueller ten solchen Übersichtsausstel- ernähren. «Himmel und Erde» hiess das
Künstler, ohne dass er auf kon- lung. Obwohl Naumans Name in Gericht in Kindertagen. Doch wir wollen
krete politische Themen Bezug aller Munde ist, sind viele Werke wissen, wie Surströmming, der vergorene
nimmt. Gleichzeitig tritt er aber nur von Abbildungen bekannt. Fisch in Schweden, und der englische Blut-
immer einen Schritt zurück und Eine ganze Generation kann das pudding schmecken. Wir fragen uns dabei,
zeigt: Hier, in diesem unüber- Œuvre neu entdecken. Natürlich wer das als Erster ausprobiert hat und unter
schaubaren Weltgefüge stehe sind uns Grenzen gesetzt: Besit- welchen Gefahren. Wie viele Todesopfer hat
ich, der Mensch, mit meinen zer wollen fragile Werke nicht es gefordert, bis wir wussten, welche Pilze
alltäglichen Problemen und ausleihen. Und die teils riesigen essbar sind und welche nicht?
Befindlichkeiten. In dieser Installationen sprengen sogar Oft ist darauf hingewiesen worden, dass
Ambivalenz stehen wir alle, die Dimensionen des Schau- Ekel ein relativer und kulturspezifischer
gerade in der heutigen Zeit. Ich lagers. Deshalb zeigen wir zwei Begriff sei. Gibt es da also gar keine anthro-
hoffe, dass sich dies in der Aus- dieser Installationen im Kunst- pologischen Universalien? Das denn doch
stellung vermitteln wird. museum – ein Gewinn für beide. nicht. Die Gerüche von Tod und Verwesung
gelten in allen Gesellschaften als widerlich.
Welche Schwerpunkte werden Sie Das Interview wurde von Gerhard Doch in den meisten Lebensbereichen sind
mit der Ausstellung setzen? Mack schriftlich geführt. Ekel und Lust ineinander verschlungen.
Bruce
Nauman
DISAPPEARING ACTS
17. MÄrz – 26. August 2018
NZZ am Sonntag 18. März 2018
Kultur 61

M4MUSIC

M4Music: Hippe
Sounds im Zürcher
Schiffbau.

HierspieltderNachwuchs
Seit 20 Jahren fördert das M4Music-Festival junge Schweizer Musikerinnen und Musiker. Es ist viel
bedeutender als die pompöseren Swiss Music Awards. Von Murièle Weber

D
ie Swiss Music Awards
(SMA) mussten auch dieses
Jahr wieder Prügel ein­
stecken. Jahrelang hat sich
der Grossanlass kaum für
Frauenförderung interes­
siert, und nun organisierte
er ein Panel zur Frage, ob die Schweizer Pop­
Musik ein Frauenproblem habe. Hohn und
Spott aus den Reihen der Musikjournalisten
und des aufmerksamen Publikums war den
Veranstaltern genauso sicher wie das Stirn­
runzeln in der Musikbranche.
Die Kritiker spielten die Swiss Music
Awards gegen ein anderes Festival aus: das
M4Music. Jedes Jahr organisiert das Migros­
Kulturprozent an drei Tagen ein Festival, an
dem Schweizer Musik im Zentrum steht. Am
Donnerstag ist der Anlass jeweils in Lau­
sanne präsent, wobei die Sender Couleur 3
und Virus die Konzerte übertragen, und am
Freitag und Samstag trifft sich das gut
gestylte Partyvolk im Zürcher Schiffbau.
Aber was macht das M4Music richtig, dass so
viele Kritiker des Lobes voll sind?
Während die SMA ein Anlass der grossen
Labels sind, den die People­Journalisten
ausschlachten, treffen sich am M4Music vor
allem die kleineren Labels und Künstler. Und
da gibt es viel zu reden. Seit seinen Anfängen
1998 setzt das Festival nachmittags deshalb
auch auf Panels und Workshops, die öffent­
lich und gratis sind. Und seit die Musik­
tauschbörse Napster 1999 online ging, als
Acts am nur wenige voraussahen, wie sich der Musik­
M4Music konsum entwickeln würde, organisiert das
M4Music Panels zur Digitalisierung der
Musik. 2011 wurde dann auch Peter Sunde
vom Internetportal The Pirate Bay, das Musik
gratis zugänglich macht, eingeladen.
«Die Musikbranche hat mich fast
erwürgt», erzählt Festivalleiter Philipp
Schnyder, «niemand wollte dem Feind
zuhören.» Er und sein Festival bewiesen
jedoch mit der Einladung Weitsicht, sie ver­
Zeal & Ardor Der standen, wohin sich die Musik bewegte.
Basler bietet Gospel Während letztes Jahr noch viele Zeitungen in
und Black Metal. das immergleiche Klagelied einstimmten,
Streaming raube der Musik die Seele, stellte
das M4Music ein Panel zusammen, das die
Vorteile und die Chancen davon aufzeigte.
«Wir verwenden viel Zeit darauf, die Confe­
rence vorzubereiten», erklärt Schnyder.
Und was sagen die Leute aus der Musik­
branche? Die schätzen den Anlass vor allem
als Treffpunkt, an dem fast jeder aus dem
Schweizer Business und sogar einige Vertre­
Danitsa Die Genferin ter aus dem Ausland anzutreffen sind, was
brilliert mit R’n’B- und bei einem kleinen Land wie der Schweiz
Hip-Hop-Songs.
nicht selbstverständlich ist. Und doch wird
moniert, das M4Music möge sich noch etwas
mehr um Kontakte zum Ausland bemühen.
«Anfangs haben wir sehr europäisch
gedacht», gesteht Schnyder. Dann sei ihnen
bewusst geworden, dass sie zuerst die Leute
aus der Schweiz an einem Ort vereinen
mussten. Von Anfang an setzten sie auch auf
gute Kontakte in die Romandie, Branchen­
vertreter aus dem Ausland kamen dann spo­
radisch dazu.
Wichtig war den M4Music­Organisatoren
von Anfang an, dass abends ebenfalls inter­
nationale Acts auftraten, was natürlich auch
mit der Attraktivität zu tun hat. Ohne die
Unterstützung des Migros­Kulturprozents
wäre der Anlass nicht möglich. Aber die
Karten müssen trotzdem verkauft werden,
da braucht es Namen, die ziehen. «Wir woll­
ten aber auch, dass die hiesigen Künstler sich
mit internationalen Acts vergleichen und
messen können. Und wir haben extra einen
grossen Backstagebereich, wo sich die ver­
schiedenen Musiker treffen. So sollen auch
neue Kontakte entstehen», erklärt Schnyder.
Denn die Künstler reisen mit Management
und Agenten von Veranstaltern an, die sich
oft auch die anderen Konzerte anhören.
Und was tut das Festival für den Nach­
wuchs? Da hat sich die Demotape Clinic eta­
Was sagen die Leute aus
der Musikbranche? Sie
schätzen den Anlass vor
allem als Treffpunkt, an
dem fast jeder aus dem
Business anzutreffen ist.
bliert. Jedes Jahr reichen 700 bis 800
Schweizer Künstler ihre Songs ein, dieses
Jahr waren es 797. Diese Demos werden dann
von drei Jurys beurteilt, die voneinander
unabhängig sind. Die erste M4Music­interne
Jury wählt für alle vier Kategorien – Pop,
Rock, Electronic und Urban – jeweils die 15
vielversprechendsten Songs aus, welche an
den Nachmittagen in Zürich live der zweiten
Jury jeder Kategorie vorgespielt werden.
Diese diskutieren die Lieder vor Publikum
und wählen dann das beste aus. Die dritte
Jury schliesslich wählt aus allen vier Gewin­
nern das Demo of the Year.
«Das ist ein sinnvolles Gefäss», sagt David
Burger von der Musikagentur Radicalis, «weil
es sich vertieft mit dem derzeitigen Befinden
der Schweizer Musiklandschaft auseinander­
setzt und eigentlich immer ein sehr direktes
Bild zeigt, in welche Richtung sich das musi­
kalische Schaffen weiterentwickelt.» Radica­
lis ist deshalb wie andere Agenturen und
Labels am Festival auf der Suche nach neuen
Künstlern. Letztes Jahr hat es auf diese Art
Meimuna entdeckt, die Gewinnerin der Kate­
gorie Pop, welche dieses Jahr am M4Music
auftritt. Wer also wissen möchte, was die
Branche beschäftigt und was die musikali­
sche Jugend macht, sollte deshalb bereits am
Nachmittag in den Schiffbau pilgern.
Das M4Music findet vom 22. bis 24. März in
Zürich statt.

Er lehrte Antisemiten das Fürchten

Der militante Zionist Ulcan
sagt, Juden seien einfache
Opfer, weil sie sich nicht
wehrten. Er selber schlägt
zurück – als Hacker im Internet.
Von Christian Jungen
Antisemitismus war lange eine Gefahr von
rechts, die von Neonazis ausging. Inzwi­
schen ist der Judenhass zunehmend auch
eine Gefahr von links. In keinem europäi­
schen Land zeigt sich dies drastischer als in
Frankreich, wo die Zahl der Übergriffe auf
Juden von muslimischen Einwanderern, die
von linken Politikern gerne als «Opfer» prote­
giert werden, massiv zugenommen hat. Wie
schwierig es für Juden geworden ist, zeigt
der Dokumentarfilm «The Patriot» über den
militanten Zionisten Gregory Chelli, der nun
am Filmfestival Yesh! in Zürich zu sehen ist.
Chelli ist in einer Pariser Banlieue aufge­
wachsen und hat sich radikalisiert, weil sein
Kippa und Zizit (Schaufäden am Gebets­
mantel) tragender Bruder von Muslimen
schikaniert wurde – Handyaufnahmen aus
dem Alltag zeigen, wie der Bruder in Paris
auf Schritt und Tritt angepöbelt wird.
Um sich nicht alles gefallen zu lassen,
schlug Gregory Chelli zurück – alias Mon­
sieur Ulcan im Internet. Er hackte Hunderte
von Websites, etwa jene des antisemitischen
Komikers Dieudonné, der mit seinem in
vollen Stadien gegrölten Song «Shoananas»
die Opfer des Holocaust verhöhnt. Das wahre
Kampffeld sei heute das Internet, weil dort
dem Hass keine Grenzen gesetzt würden,
rechtfertigt sich Chelli. «The Patriot» von
Daniel Sivan, der aus Clips gestaltet ist und
wie ein Youtube­Film wirkt, verdeutlicht
dies mit Bildern von Neonazis, die vor einem
ehemaligen KZ den Hitlergruss machen, oder
von Muslimen, die an einer Hochzeit und vor
Synagogen mit gestreckten Armen posieren.
Während man zu Beginn des Films Ulcan,
der als Homeboy mit Davidstern auf dem Cap
und mit Joint posiert, noch für seine Zivil­
courage bewundert, verstört einen der Akti­
vist immer mehr, weil er die Grenzen der
Legalität überschreitet. Er rächt sich nach
dem «Auge um Auge»­Prinzip an den Anti­
semiten und schont auch deren Angehörige
nicht. So ruft er die Mutter der Frau eines
Rechtsradikalen an, gibt sich als Arzt aus und
sagt der alten Frau, ihre Tochter liege im
Sterben. Oder er ruft von der Nummer des
belgischen Holocaust­Leugners Laurent
Louis aus die Polizei an, und sagt, er habe
gerade seine Frau und seine Tochter ermor­
det, worauf eine Sondereinheit der Polizei
das Haus des Politikers stürmt.
Da Antisemiten in Frankreich oft mit dem
Tarnmäntelchen der Israelkritiker auftreten,
begann Ulcan auch Pro­Palästina­Aktivisten
zu terrorisieren. Nachdem er den Eltern
eines Journalisten die Polizei ins Haus
schickte, verstarb der Vater des Mannes an
einem Herzinfarkt. Chelli wurde des Mordes
angeklagt und flüchtete nach Israel. Frank­
reich verlangt seine Auslieferung, Jerusalem
verweigert sie.
Der Film ist starker Tobak, er lässt uns in
die dunkelsten Abgründe des Antisemitis­
mus blicken, aber auch in die kriminellen
Praktiken von Ulcan, der die Feinde des
Judentums mit ihren eigenen Waffen schla­
gen will. Der Film wirft viele Fragen auf: Soll
man Antisemiten wie Dieudonné zensurie­
Gregory Chelli, 1982 ren und totschweigen? Soll man zwecks Auf­
in Paris geboren, klärung zeigen, was sie sagen – auf die
lebt heute in Israel. Gefahr hin, dass ihre Botschaften erst recht
verfangen? «The Patriot» ist ein inhaltlich
krasser, nach dem journalistischen Prinzip
«beschreiben, was ist» gestalteter Film, der
in Israel hohe Wellen geworfen hat und auch
bei uns zu reden geben wird.
«The Patriot» wird heute Sonntag um 10.30 Uhr in Anwe-
senheit von Produzent Zafrir Kochanovsky im Kino Uto in
Zürich gezeigt, Gregory Chelli wird per Skype zugeschaltet.
Weitere Vorführung am 19.3. um 19 Uhr im Kino Houdini.
62 NZZ am Sonntag 18. März 2018

Cinema

KINO
Basel
Capitol 1+2 kitag.com
Kinok
am SONNtag
Das Erste und das Letzte
Les gardiennes
11
1
kinok.ch
Dialekt
F/d
„Dem fleissigen und aufrechten
Steven Spielberg ist der Film
der Stunde geglückt.“ -NZZ
Molly’s Game 2 E/d/f Bis ans Ende der Träume 3.45 Ov/d
Peter Hase 2 D Die Gentrifizierung bin ich. 5.30 Ov/d
Black Panther 5/8 E/d/f Beichte eines Finsterlings
Shape of Water – Das Flüstern des Wassers 5 E/d/f Apricot Groves 7.30 Ov/e
Winchester – Das Haus der Verdammten 8 E/d/f
Rex Studio 1–3 kitag.com
kult.kino atelier 1–5 kultkino.ch Maria Magdalena 2.15/5.15/8.15 E/d/f
Die vierte Gewalt 10.40 Dial/d/f Ella & John – Das Leuchten der Erinnerung 2.30/8.30 E/d/f
A Long Way Home 11 Ov/d/f The Post – Die Verlegerin 2.30/5.30/8.30 E/d/f
Phantom Thread 11.15 E/d/f Molly’s Game 5.15 E/d/f
Maleika 11.45 D Scala 1–6 kitag.com
Leaning into the Wind 12.10 E/d/e
Der Klang der Stimme 12.30/6.30 Dialekt Black Panther – 3D 2/8 D
L’amant double 12.30 F/d Fünf Freunde und das Tal der Dinosaurier 2 D
Di chli Häx 1.45 Dialekt Tomb Raider – 3D 2.15/5.15/8.15 D 8.30 E/d/f
Les gardiennes 1.45/8.15 F/d Early Man – Steinzeit bereit 2.30 D
Brüder Löwenherz 2 D Wunder 2.30/5 D
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri 2/6.15/8.30 E/d/f Di chli Häx 2.45 Dialekt
Ella & John – The Leisure Seeker 2.30/6.15/8.20 E/d/f Red Sparrow 5/8 D
Call Me by Your Name 3.45/8.40 E/d/f Darkest Hour – Die dunkelste Stunde 5.30 E/d/f
Le sens de la fête – C’est la vie 4/8.50 F/d/f Three Billboards Outside Ebbing, Missouri 5.30 E/d/f
Early Man – Steinzeit bereit 4.15 D Death Wish 5.45 D
Wajib 4.20/6.20 Arab/d/f Shape of Water – Das Flüstern des Wassers 8.30 E/d/f
Eldorado 4.45/6.45 D/d Winchester – Das Haus der Verdammten 8.45 E/d/f
kult.kino camera 1+2 kultkino.ch Winterthur
Ex Libris: The New York Public Library10.45 E/d Kiwi Center 1–11 kiwikinos.ch
D’après une histoire vraie 11.15 F/d Tomb Raider – 3D 2/5.30/8.30 D
Matar a Jesús – Killing Jesús 1.30/9 Sp/d/f Wendy 2 – Freundschaft f für immer 2 D
Darkest Hour 2.15/6 E/d/f Di chli Häx 2.15 Dialekt
Weit – Ein Weg um die Welt 3.30/8.30 D/Ov/d
Mario
Lucky
4.45
7.10
Dialekt
E/d/f
Die Biene Maja – die Honigspiele
Early Man – Steinzeit bereit
Hilfe, ich habe meine Eltern geschrumpft
2.15
2.30
f 2.30
D
D
D
A Steven Spielberg Film
Neues Kino neueskinobasel.ch Peter Hase 2.30/4.45 D
Keine Vorstellungen Fünf Freunde und das Tal der Dinosaurier 2.45 D
Maria Magdalena 2.45/5.15/8 D
Pathé Küchlin 1–8 pathe.ch Wunder 2.45/6 D
Early Man – 10.15 E/d/f I, Tonya 3/5.45/8.30 D
Steinzeit bereit 12.15/2.15/4.15/6.15 D Molly’s Game 5/8.30 D
Tomb Raider – 3D 10.20/8.15 E/d/f 3.15/5.45 D Darkest Hour – Die dunkelste Stunde 5.15 D
Maria Magdalena 10.30 D 3/5.30/8 E/d/f Jumanji: Willkommen im Dschungel 5.30 D
Peter Hase 10.30/12.45 D The Post – Die Verlegerin 5.30/8.15 D
Black Panther – 3D 10.40/5.40 D 8.20 E/d/f Game Night 5.45/8.15 D
Red Sparrow 11.10/2 D 8 E/d/f Ella & John – Das Leuchten der Erinnerung 6 D
Di chli Häx 11.30/1.45/4 Dialekt Black Panther 8 D
Fünf Freunde und das Tal der Dinosaurier 11.45/2/4.10 D Red Sparrow 8.15 D
Ferdinand – Geht STIERisch ab! 12.50 D Shape of Water – Das Flüstern des Wassers 8.15 D
Die Biene Maja – die Honigspiele 1 D f y Shades of Grey – Befreite Lust 8.30
Fift D
Game Night 1.20/8.45 D Death Wish 8.45 D
Wendy 2 – Freundschaft f für immer 3 D Kiwi Loge 1–3 kiwikinos.ch
Winchester – Das Haus der Verdammten 3.30/6.30 D 8.50 E/d/f
Molly’s Game 5 D Ella & John – Das Leuchten der Erinnerung 2.30/5.30/8.15 E/d/f
Death Wish 5.30 D Darkest Hour – Die dunkelste Stunde 2.45 E/d/f
Shape of Water – Das Flüstern des Wassers 6.10 E/d/f Eldorado 3/6 Ov/d
f y Shades of Grey – Befreite Lust 7.50
Fift D Der Klang der Stimme 5.45 Dialekt
The Post – Die Verlegerin 8.45 D Call Me by Your Name 8 E/d/f
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri 8.30 E/d/f
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Tomb Raider 2.30/5.30/8.30 E/d/f Maxx 1–6 kitag.com

Weiterhin im Kino
The Post – Die Verlegerin 3/6/9 E/d/f Early Man – Steinzeit bereit 2 D
Peter Hase 2 D
Stadtkino stadtkinobasel.ch Black Panther – 3D 2.15/5 D
Haarig 1.30 D Di chli Häx 2.15 Dialekt
There Will Be Blood 3.15 E/d Fünf Freunde und das Tal der Dinosaurier 2.15 D
Playtime 6.15 F/d Tomb Raider – 3D 2.30/5.45/8.45 D 8.15 E/d/f
Der verborgene Stern 8.30 Bengali/d/f Red Sparrow 5/8.15 D
Death Wish 5.30/8.30 D
Bern Game Night 5.30 D
Alhambra Maria Magdalena 5.30/8.30 D
Winchester – Das Haus der Verdammten 8.30 D
Eröffnung am 22. März 2018
CineABC quinnie.ch zürich
Maleika 1.30 D Abaton 1–10, a+b kitag.com
Bis ans Ende der Träume 3.45 Ov/d/f Black Panther – 3D 2/5/8 D 5.15/8.15 E/d/f
I, Tonya 5.45 E/d/f Ferdinand – 3D 2 D
Darkest Hour 8.15 E/d/f Peter Hase 2 D
CineBubenberg quinnie.ch Tomb Raider – 3D 2.30/5.30/8.30 D
2.45/5.45/8.45 E/d/f
Three Billboards Outside Ebbing, 3.30/6/8.30 E/d/f 4DX: 2/8 D 5 E/d/f
Missouri Death Wish 2.15/8.15 D
CineCamera quinnie.ch Early Man – Steinzeit bereit 2.15 D 8.30 E/d/f
Fift
f y Shades of Grey – Befreite Lust 2.15/8.15 D
Fünf Freunde und das Tal der Dinosaurier 1.30
The Post – Die Verlegerin 3.45/6.15/8.45
D
E/d/f Di chli Häx 2.30 Dialekt VOM REGISSEUR VON ‚LION‘ UND DEN PRODUZENTEN
Fünf Freunde und das Tal der Dinosaurier 2.45 D
CineClub
Opera – Don Carlos 10
quinnie.ch
F/d
Wendy 2 – Freundschaft
Molly’s Game
f für immer 2.45
5/8
D
D
VON ‚THE KING’S SPEECH‘
Red Sparrow 5/8 D
ROONEY MARA JOAQUIN PHOENIX
Mary Magdalene 3.30/6/8.30 E/d/f
Shape of Water – Das Flüstern des Wassers 5.15 D
Cinématte cinematte.ch Wunder 5.15 D
Ouaga Girls 4.30 F/Moré/e Operation: 12 Strong 5.30 D
Under the Sun 6.30 Korean/d Winchester – Das Haus der Verdammten 5.30/8.45 D
Jumanji: Willkommen im Dschungel 5.45 D
CineMovie 1–3 quinnie.ch Game Night 8.45 D
Ella & John – Das Leuchten der Erinnerung 11.50/5.30 E/d/f
La ch’tite famille 12 F/d Arena Cinemas 1–19 arena.ch
Eldorado 12.30/6.15 D/d Coco 10.45/2 D
Di chli Häx 2.10 Dialekt/f Di chli Häx 10.45/1.30 Dialekt
Der Klang der Stimme 2.15 Dialekt/f Early Man – Steinzeit bereit 10.45/1.30/4/6.30 D
Call Me by Your Name 2.45/8 E/d/f Ferdinand – Geht STIERisch ab! 10.45/2.10 D 2.30 E/d/f
Early Man – Steinzeit bereit
Leaning into the Wind
Die vierte Gewalt
4.15
4.25
6.25
D
E/d
Dial/d/f
Fünf Freunde und das Tal der Dinosaurier
Hilfe, ich habe meine Eltern geschrumpft
Papa Moll
f
10.45/1.25/3.50
10.45/1.30/4
10.45/3.45
D
D
Dialekt
„INT E L L IGE NT U ND
Mario
The Shape of Water
8.30
8.40
Dialekt/f
E/d/f
Peter Hase
Die Biene Maja – die Honigspiele
10.45/1.30/2.50/3.55
1.35 E/d/f
1.30
4DX: 1.25 D
D
D
NAC H D E NK L IC H S T IM ME ND“
gotthard kitag.com Die Dschungelhelden 1.30 D THE TIMES
Tomb Raider – 3D 2/5/8 E/d/f Wunder 2 D
Jumanji: Willkommen im Dschungel 2D: 2.15 3D/4DX: 2.20 D
Jura 1–3 kitag.com Fack Ju Göhte 3 2.30 D
Early Man – Steinzeit bereit 2.15 D Tomb Raider 3D/4DX: 3.40/6.20/9 D
Fünf Freunde und das Tal der Dinosaurier 2.15 D 5.10 E/d/f
Di chli Häx 2.30 Dialekt 2D: 4/5.35/8.30 D 6.20 E/d/f
Darkest Hour – Die dunkelste Stunde 5.15 E/d/f Paddington 2 3.55 D
Molly’s Game 5.15/8.15 E/d/f Wendy 2 – Freundschaft
f für immer 3.55 D
Black Panther – 3D 5.30/8.30 E/d/f Maria Magdalena 4.50/8 D 6.20 E/d/f
The Post – Die Verlegerin 8.15 E/d/f Black Panther 2D: 5/8.10 D 8 E/d/f
3D/4DX: 8 D
Kellerkino kellerkino.ch I, Tonya 5 D
IHRE GESCHICHTE MUSS ERZÄHLT WERDEN

MARIA
La Novia del Desierto 11 Sp/d/f The Post – Die Verlegerin 5.10 E/d/f 6.20/8.55 D
D’après une histoire vraie 12.45 F/d Maze Runner – Die Auserwählten 5.25 D
Matar a Jesús – Killing Jesús 3/8.30 Sp/d in der Todeszone
Dene wos guet geit 5 Ov/d/f The Greatest Showman 6 D
Lucky 6.30 E/d/f C’est la vie – Das Leben ist ein Fest 6.10 D
Game Night 6.20/8.50 D
Kino in der Reitschule kino.reitschule.ch Death Wish 8 D
Keine Vorstellungen Red Sparrow 8.15 D
Lichtspiel lichtspiel.ch Dieses bescheuerte Herz 8.20 D
Molly’s Game 8.35 D
Kurze Filme aus dem Lichtspiel-Archiv 8 Ov Hot Dog 8.50 D
Pathé Westside pathe.ch The Commuter 8.50 D
Criminal Squad 8.55 D
Ferdinand – Geht STIERisch ab! 9.45/12.15/2.45 D Fift
f y Shades of Grey – Befreite Lust 9 D
Red Sparrow 9.45/3.30/5.30/8.45 D Winchester – Das Haus der Verdammten 9 D
Early Man – Steinzeit bereit 10/12/2/4/6.15 D
Tomb Raider 3D: 10/12.45/6.15/9 2D: 3.30 D Arthouse Alba arthouse.ch

MAGDALENA
Shape of Water – Das Flüstern des Wassers 10.15 D Maria by Callas 11.10 E/F/d/f
Black Panther – 3D 10.45/5.45/8.30 D Mary Magdalene 1.30/6/8.30 E/d/f
Fünf Freunde und das Tal der Dinosaurier 10.45/1/3.15 D Early Man 4 E/d/f
Wunder 10.45/1.15 D Arthouse Le Paris arthouse.ch
Dieses bescheuerte Herz 11 D
Game Night 11/3.45/6.10/8.30 D La ch’tite famille 12.15 F/d
Di chli Häx 11.15/1.15/3.45 Dialekt Ella & John – The Leisure Seeker 3/5.45/8.15 E/d/f
Peter Hase 12.45/3 D Arthouse Movie 1+2 arthouse.ch
Hilfe, ich habe meine Eltern geschrumpftf 1 D Darkest Hour 11.30 E/d/f
Wendy 2 – Freundschaft f für immer 1.15 D Das Erste und das Letzte 11.30 Dialekt
Die Biene Maja – die Honigspiele 1.30 D Wajib 1.30/6.30 Ov/d/f

JETZT IM KINO
f y Shades of Grey – Befreite Lust 1.30/6/8.15
Fift D Leaning into the Wind 2 E/d
Death Wish 3.15/5.30/8 D The Post 3.40/8.35 E/d/f
Winchester – Das Haus der Verdammten 3.30/6/8.15 D Matar a Jesús – Killing Jesús 4/8.10 Sp/d/f
The Post – Die Verlegerin 3.45/8.15 D Eldorado 6.10 D/d
Molly’s Game
Maze Runner – Die Auserwählten
5.10/8
5.45
D
D Arthouse Piccadilly 1+2 arthouse.ch
/ MariaMagdalena.Film © WATER PRODUCTIONS LIMITED AND SPIRIT FILM HOLDINGS PTY LIMITED 2017

in der Todeszone – 3D Call Me by Your Name 10.45/3.55/8.35 E/d/f

Jumanji: Willkommen im Dschungel – 3D 6.30 D Opera – Le nozze di Figaro 11 I/d
Criminal Squad 8.45 D Three Billboards Outside Ebbing, Missouri 1.30 E/d/f
Operation: 12 Strong 9 D Der Klang der Stimme 4.10/6.35 Dial/d
Weit – Ein Weg um die Welt 6 D
Rex 1+2 rexbern.ch Mario 8.25 Dial/D
Ex Libris: The New York Public Library 10.30 E/d/f
Rudolf Häsler – Odisea de una vida 10.45/6.30 Ov/d Arthouse Uto arthouse.ch
Mademoiselle 12.30 Ov/d D’après une histoire vraie 3 F/d
Wajib 2/6.30 Arab/d/f L’amant double 8.30 F/d
Weit – Ein Weg um die Welt 2.30/8.30 Ov/d Yesh! – Filmtage www.yesh.ch / www.arthouse.ch/yesh
L’eclisse 4 I/d Capitol 1–6 kitag.com
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Peter Hase 2.45 D Maria Magdalena 2.30/5.30/8.30 E/d/f
Red Sparrow 2.45/8.45 E/d/f Three Billboards Outside Ebbing, Missouri 2.30/5.30/8.30 E/d/f
Shape of Water – Das Flüstern des Wassers 5.45 E/d/f Ailecek Saskiniz 5 Türk/d
Tomb Raider – 3D 5.45/8.45 D Game Night 5/8 E/d/f
Red Sparrow 5/8 E/d/f
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Leaning into the Wind 11.20 E/d Shape of Water – Das Flüstern des Wassers 2.15/5.15/8.15 E/d/f
Eldorado 11.40 D The Post – Die Verlegerin 2.45/5.45/8.45 E/d/f
Call Me by Your Name 1.20/8.30 Ov/d/f Molly’s Game 5/8 E/d/f
Mary Magdalene 1.20/3.50/8.50 E/d/f Winchester – Das Haus der Verdammten 5.15/8.15 E/d/f
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Die Braut von Glomdal
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3
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Early Man 4/8.30 E/d/f Robert Battle
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Artistic Director
Schweizer und
The Post 6.20 E/d/f Darkest Hour – Die dunkelste Stunde 2/5/8 E/d/f
Three Billboards Outside Ebbing, 6.20 E/d/f I, Tonya 2.30/5.30/8.30 E/d/f
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Missouri
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Wajib 6.20 Arab/d/f
Mary Magdalene 11.30/4.20/6.50 E/d/f Associate Artistic Director Einzelne Kunstwerke,
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Red Sparrow
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11.30/6.20
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Darkest Hour – Die dunkelste Stunde 5
Ella & John – Das Leuchten der Erinnerung 5.15
Molly’s Game 5.15/8.15
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Molly’s Game 5.30 D Three Billboards Outside Ebbing, Missouri 4.15/6.45/9.15 E/d/f
Operation: 12 Strong 5.45 D The Florida Project 4.30/8.50 E/d/f
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Fünf Freunde und das Tal der Dinosaurier 2.45 D Le sens de la fête – C’est la vie 9 F/d

Bilder aus Paris

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Molly’s Game
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NZZ am Sonntag 18. März 2018
Wirmüssenreden
Hollywood ist keusch geworden, und an vielen Unis kann eine falsch verstandene
Bemerkung Karrieren beenden. Doch nun zelebrieren US-Serien den Verstoss gegen
Tabus – sie sind das neue Ventil gegen die Political Correctness. Von Denise Bucher
E
rregt von den Bildern im Auf-
klärungsunterricht, versucht
Andrew, sein imaginäres Hor-
monmonster zu vertreiben,
das ihn bedrängt. «Wenn ich
nicht real bin, wie kommt es
dann, dass ich gerade all das
Blut in einen Penis pumpe?», fragt dieses
und grinst hämisch. «Du weisst, was du tun
musst, um mich loszuwerden. Wenn wir
nicht jetzt gleich zum Klo verschwinden,
Jackson-Pollock-en wir deine Hose voll!»
In der Netflix-Zeichentrickserie «Big
Mouth» dreht sich alles um die Nöte von
hormongefluteten Pubertierenden, wobei
die Autoren Andrew Goldberg und Nick Kroll
nichts verurteilen und alles beim Namen
nennen. Als Andrew glaubt, er sei schwul,
erscheinen ihm seine Kameraden in der
Umkleidekabine als sprechende Penisse;
später führt Andrews Kameradin Jessi einen
anregenden Dialog mit ihrer Vulva. «Big
Mouth» ist schamlos, aber nie vulgär, weil
die Autoren ihre Figuren ernst nehmen und
deren emotionale Nöte genauso zur Sprache
bringen wie die körperlichen Probleme. Doch
manchen ist so viel Explizitheit zu viel.
Als Terry Gross, Moderatorin des Podcast
«Fresh Air», Goldberg und Kroll zum Inter-
view zu Gast hatte, spielte sie einen Aus-
schnitt aus dem Song «Everybody Bleeds»
vor, der angelehnt ist an den R.E.M.-Hit
«Everybody Hurts». In der Serie wird er vor-
getragen von einem Tampon mit den
Gesichtszügen von Michael Stipe. Terry
Gross schickte voraus: «Es war nicht einfach,
eine saubere Stelle zu finden, die wir im
Radio spielen durften.» Das heisst, eine
Stelle, die frei ist von Wörtern wie «Eierstö-
cke», «Menstruation» und «Vagina».
Zu explizit fürs Radio
«Big Mouth» ist eine von mehreren neuen
Serien, die sich mit erfrischender Offenheit
Tabuthemen annehmen, über die im ameri-
kanischen öffentlichrechtlichen Fernsehen
und Radio so nicht gesprochen wird.
Diese aus europäischer Sicht schwer nach-
vollziehbare Angst vor angeblich Verletzen-
dem führte beim Podcast «This American
Life» zu einer besonders absurden Situation:
«Dies ist eine Geschichte über anstössige
Wörter. Folglich werden hier ganz viele
davon genannt», warnte der Moderator Ira
Glass vor der Sendung «Words You Can’t
Say». Und weiter: «Diese Geschichte aner-
kennt nicht nur, dass Menschen Sex haben,
es ist auch von Körperteilen die Rede, die
dabei zum Einsatz kommen.» Es ging in der
Folge um Laci Green, eine junge Frau, die auf
Youtube berühmt wurde für ihre Erklär-
videos über Sex und Beziehungsprobleme.
Seit einigen Jahren wird Green zuneh-
mend von Antifeministen und Empfindlich-
keits-Polizisten bedrängt. Dass sie «dyke»
sage, eine saloppe Bezeichnung für Lesbe,
belege ihre Homophobie, finden diese. Als
sie in einem Video über Transsexuelle das
Wort «tranny» brauchte, hiess es, sie sei
transphob. Manche wollten ihr schliesslich
sogar «male» und «female» zu sagen verbie-
ten, weil das jene diskriminiere, die sich zu
keinem der beiden Geschlechter zugehörig
fühlen. «Wie soll ich meinen Zuschauern
erklären, was Intersexualität ist, wenn ich
nicht von ‹männlich› und ‹weiblich› sprechen
darf?», fragte Laci Green.
Sie ist das Opfer einer Verhaltensregel, die
man gemeinhin Political Correctness nennt,
ohne dass aber klar wäre, was dieser Begriff
genau bedeutet. Privilegierte missbrauchen
ihn als Machtmittel. Der US-Präsident macht
seit dem Wahlkampf vor, wie das geht: Man
wirft Andersgesinnten Political Correctness
vor, um Diskussionen mit diesen zu vermei-
den, während man selbst lustvoll gegen jede
Anstandsregel verstösst. Auch problematisch
ist die Tendenz, dass aus dem, was ursprüng-
lich als Respektsbekundung den Unterdrück-
ten und Minderheiten gegenüber gedacht
Kultur
Die Mutter strengt
sich umsonst an.
Andrew aus
«Big Mouth» will
nicht von ihr lernen,
wie das mit den
Kondomen geht.
Schwarz, tuntig, war, in gewissen Milieus rigorose Sprach-
dick: Früher wären regeln entstanden sind, die an Zensur erin-
die Figuren aus nern.
«Heathers» Aussen- Die Autorin Chimamanda Ngozi Adichie,
seiter gewesen, in die zwischen ihrer Heimat Nigeria und den
der neuen TV-Serie USA pendelt, hat erlebt, was es bedeutet,
sind sie cool. wenn man gegen diese Regeln verstösst. Im
Gespräch mit dem Magazin «The New
Yorker» erzählte sie von ihren amerikani-
schen Freunden, die ihr Blumen schickten
und ihr Unterstützung zusicherten, nachdem
sie in einem Interview gesagt hatte, es gebe
einen Unterschied zwischen transsexuellen
Frauen und Frauen, die weiblich geboren
wurden. «Da wurde mir klar, dass ich etwas
Falsches gesagt und damit gegen die ortho-
doxen Gesetze der Linksliberalen verstossen
hatte.» Adichie, die sich in ihrem Werk mit
Rassismus in den USA befasst, findet, das
Land sei «in Ideologien verhaftet». Vor lauter
Streben nach Inklusion stelle man die Kom-
plexität der Realität in Abrede.
Die Serie «Heathers» von Jason Micallef,
beruhend auf dem gleichnamigen High-
School-Filmklassiker von 1988, macht genau
das zum Thema und führt damit die Absurdi-
täten der Political Correctness vor. Statt eine
eigene Identität zu entwickeln, tragen Schü-
lerinnen und Schüler die Zugehörigkeit zu
«Nerds sind cool. Auch
Trans-Kids. Die
Schwarzen hatten einen
guten Lauf. Aber die
Schwulen und die Juden
sind längst passé.»
Ethnien oder sexuellen Ausrichtungen wie
Labels vor sich her. «Du brauchst einen
‹Brand›, eine Marke, Mädchen», sagt eine
Lehrerin zu Veronica (Grace Victoria Cox),
aus deren Perspektive die Geschichte erzählt
wird. Sie soll für ihre Bewerbung fürs College
ankreuzen, «was» sie ist.
Während im Originalfilm die drei schönen
Blonden – Heather, Heather und Heather –
die beliebtesten Mädchen der Schule waren
und die Dicken und Freaks die Aussenseiter,
so ist es jetzt umgekehrt: Die übergewichtige
Heather Chandler (Melanie Field) ist die
Königin auf dem Campusflur. Ihr Hofstaat
besteht aus Heather Duke, der Frauenkleider
trägt, und der lesbischen Afroamerikanerin
Heather McNamara. Veronica möchte zur
Clique dazugehören, aber sie ist hübsch und
heterosexuell und passt darum nicht dazu.
Die alte Generation versteht diesen
Wandel nicht. In einer entlarvenden Szene
fragt der Schulleiter: «Was, jetzt sind Dicke
beliebt?» – «‹Body positive› ist die korrekte
Bezeichnung», wendet eine Lehrerin ein. Der
Schulleiter: «Und die Nerds sind jetzt auch
cool?» – «Ja», sagt ein Kollege. «Und auch die
Trans-Kids. Die Schwarzen hatten einen
guten Lauf, die Schwulen und die Juden sind
natürlich längst passé. Aber ein Schüler, den
sie ‹gender-queer› nennen, soll zurzeit ganz
gut ankommen.»
Schweigen macht alles schlimmer
Die drei Heathers würden so eine Sprache
niemals tolerieren. Müssen sie auch nicht.
Sie haben entdeckt, wie man gewisse an
Zensur grenzende Sprechregeln einsetzt,
um sich an früheren Unterdrückern zu
rächen. So zwingt Königin Heather ihren
Mitschüler Ram – weiss, Sportler, Macho
– vor versammelter Schule, sein «Remington
Squaws»-T-Shirt auszuziehen, weil «Squaws»
ihrer Meinung nach beleidigend ist für den
einen Schüler, der zu einem Sechzehntel
natives Blut hat. Obwohl das jenen gar nicht
stört, muss Ram sich fügen. Er verhindert
damit, dass Heather die Foto von ihm in
63
diesem T-Shirt mit ihren 245 000 Followern
teilt, ihn am Online-Pranger als Rassisten
diskreditiert und damit seine Aussichten auf
einen Platz an der Uni ruiniert. Niemand
getraut sich, Heather zu widersprechen, sie
selber hält sich für allen überlegen. Aber das
ist ein Irrtum. In den bis jetzt zur Verfügung
stehenden Folgen stellt «Heathers» jene
bloss, die Political Correctness als Macht-
mittel missbrauchen.
Neben «Heathers» und «Big Mouth» sorgt
auch «The Mortified Guide» für den Ein-
druck, dass diese Sendungen ein Ventil sind
für all die Sprechverbote, die Amerika
beherrschen, von den Universitäten über die
Politik bis hin zum Hollywoodkino; dieses ist
so keusch wie schon lange nicht mehr. In der
Doku-Serie «The Mortified Guide» lesen
Mutige auf einer Bühne aus ihren Teenager-
Tagebüchern vor, das Publikum kreischt vor
Lachen oder applaudiert mit Tränen in den
Augen, wenn jemand von Schwierigem wie
einem Comingout erzählt.
Man merkt: Hier hat sich etwas angestaut.
Von Sprechverboten gehen Rassismus, Sexis-
mus und Homophobie nicht weg. Im Gegen-
teil. Das Bedürfnis, darüber zu reden und
auch lachen zu dürfen, wird umso grösser.
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in Freienbach am Zürichsee
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 Tipps
Musik und Theater
Nicht dekorativ, sondern agil: Muppet-Show-Figuren im Schauspielhaus.
Donald Trump,
der Froschkönig
Theater ★★★★✩
Elfriede Jelinek: Am Königsweg.
Schauspielhaus Zürich, Pfauen,
bis 25. April.
Es ist ein Stück der Stunde, keine
Frage. Und keine geringere Wort-
macht als die Schriftstellerin
Elfriede Jelinek (*1946) hat es
geschrieben. Kaum war Donald
Trump zum amerikanischen
Präsidenten gewählt, entwarf sie
einen Prosatext, der von einem
Regisseur, der daraus einen
Schauspielabend machen will,
ungemein viel abverlangt. Stefan
Pucher fühlt der Sprache zu
Beginn sehr einfühlsam nach,
weiss aus repetitiven Wort-
Getrickst und
Bücher
geflunkert
Kinderbuch
Salah Naoura: Der Ratz-Fatz-x-
weg 23. Mit Bildern von Maja
Bohn. Beltz & Gelberg, Weinheim
2018. 216 S., Fr.18.90 (ab 8 J).
Frau Pittel putzt wie nie zuvor.
Der neue Staubsauger «Ratz-
Fatz-x-weg 23» hat Wunder-
kräfte, dass man als Leser nur
staunt, weshalb das Modell nicht
XXL heisst. Aber was ihre Toch-
ter berichtet, ist noch unglaub-
licher und macht ab den ersten
Seiten neugierig. Laura schreibt
in ihr Entschuldigungsheft, dass
sie die Hausaufgaben nicht ma-
chen konnte, weil sie zusammen
mit ihrer Freundin Gerti den
«Ratz-Fatz» umtauschen
musste. Die Firma sei weit weg,
«ungefähr bei Australien».
Wer da an die Südseeaben-
teuer in «Der 35. Mai» denkt,
liegt nicht falsch. Wie Erich
Kästner in seinem Kinderroman
fürs Flunkern plädiert, so klärt
Salah Naoura die Frage nach der
Wahrheit, indem er noch mehr
übertreibt. Als der Schulleiter
Laura und Gerti zu sich bestellt,
drehen die beiden erst richtig
auf. Ihre Reise in einem Paket
klingt unglaublich und ist doch
gespickt mit pragmatischen
Details. Ja, die Sachlichkeit des
Abstrusen steigert die Span-
nung. Das findet auch der Schul-
leiter, der seinerseits jeden er-
denklichen Trick anwendet, um
Pause für
Pause die
Ge-
sprächs-
zeit zu
verlän-
gern.
Es wird
also getrickst
und geflunkert,
und zugleich
verzahnt Naoura
die beiden Ebe-
nen, denn die
Mädchen näh-
schlangen Details herauszu-
pflücken, lässt sie aufblühen und
gibt ihnen Farbe und Klang.
Doch nach einer Stunde wird
Puchers Furor erdrückt von den
Wortsalven, immer blasser und
eindimensionaler wird der Text.
Doch dieser Zürcher Abend ist
ein Gesamtkunstwerk, die Bühne
von Barbara Ehnes kein dekorati-
ves, sondern ein agiles Element:
Sie bietet Ein- und Ausblicke,
lässt Videoinstallationen auf eine
Weise zu, dass sie dem Spiel
durchaus eine Note geben, aber
nie die Szene beherrschen. All
der Zauber, mit Muppet-Show-
Puppen – Fozzie-Bär, Waldorf
und Statler oder einem gefähr-
lich hinterhältigen Kermit –,
Musikeinlagen, Chorsprechen
und famosen Einzelleistungen
der sechs Schauspielerinnen, ist
ren ihre Phantasie in der Wirk-
lichkeit der Rahmengeschichte.
Und wir erkennen das, geniessen
es und sind die lachenden Drit-
ten. Hans ten Doornkaat
Berlin - New York
Literatur
Friedrich Christian Delius: Die
Zukunft der Schönheit. Rowohlt,
Berlin 2018. 96 S., um Fr. 25.–.
In glasklaren Erzählungen leuch-
tet Friedrich Christian Delius
(*1943), Büchnerpreisträger des
Jahres 2011, Aspekte seiner Bio-
Gewalt auf der
Strasse hinter
Glas im Museum
Diorama – Erfindung einer Illu-
sion. Hrsg. von Katharina Dohm
(u. a.). Snoeck, Köln 2017. 352 S.,
320 Abb., Fr. 52.90.
Jazz, Pop, Rock
TANJA DORENDORF / T+T FOTOGRAFIE
Kurz und knapp
CD Schiff hoch 2 ★★★★★
Dreimal B – Sonaten von Bach,
Beethoven und Busoni – und
mit der Geigerin Yuuko Shioka-
wa und Pianist András Schiff
gar ein Ehepaar: Anstelle eines
Auftrumpfens ist ein inniges
Miteinandergehen zu bestau-
nen, wobei Schiff seine über-
ragende Kunst nicht verbergen
kann. Die Harmonie wird
dadurch nie zerstört. (bez.)
Klassik Tränenvoll ★★★★★
Prächtig: Man geht zum Zür-
cher Festival «Alte Musik», und
links und rechts fliessen Trä-
nen, als wäre man an einem
Verdi-Festival. Im Stummfilm
«La Passion de Jeanne d’Arc»
(1928) von Carl Theodor Dreyer
blieb die Heldin standhaft und
erhaben – und das «Orlando
Consort» untermalte im Film-
podium die Bilder live mit
nötig, denn parallel zu Puchers
nachlassender Übersetzungslust
Musik aus der Zeit um 1400. «In
Paradisum» hiess das Festival-
verlieren auch Jelineks Sätze ihre thema, Totenmessen von alten
Kraft. Erst treffen sie wie Amazo- Meistern waren zu hören. Heu-
nen-Pfeile: verletzen und te Sonntag dirigiert Peter Sieg-
schmerzen. Doch bald ist klar, wart in der Kirche St. Peter
wie die Pfeile fliegen, die Salven André Campras (1660–1744)
gegen Rechtspopulismus und «Messe des Morts». (bez.)
den bösen Kapitalismus plump-
sen vor dem Ziel zu Boden.
Die fiese kleine Trump-Puppe
ist hinterhältig, gegen ihre Macht
jedes Wort machtlos. «Wir haben
ausgeredet, wir sind mit dem
Reden zwar noch nicht fertig,
aber uns wurde das Wort im
Munde abgeschnitten», heisst es
folgerichtig. Das anfängliche
erschrockene Auflachen der
Zuschauer wird zum Kichern –
schliesslich zum stummen Hof-
fen auf ein furioses Finale. André Campra
Christian Berzins
grafie und seiner Familien- blick ortet er in dieser flutenden
geschichte aus. Am schönsten ist Nacht ein Erweckungserlebnis:
ihm das im «Bildnis der Mutter Er spürte eine Verwandtschaft
als junge Frau» (2006) gelungen. zu Ayler, weil dieser mit seiner
In seinem neuen Band blickt er wilden Musik gegen den Krieg in
zurück auf die Berliner Unruhen Vietnam anspielte, so wie Delius
von 1966, als 2500 Studenten gegen die Generation der
vor dem Amerikahaus am Berli- schweigenden Väter, die aus
ner Zoo gegen die USA und deren dem Weltkrieg zurückgekom-
Vietnamkrieg demonstrierten. men waren, anschrieb. In asso-
Delius gehörte zu ihnen. Wenig ziativen Satzkaskaden, wach
später war er in New York und und wütend erinnert sich der
hörte in einem Jazzklub an der Autor an beschämende Szenen
Lower East Side den ekstati- in seiner Jugend in der hessi-
schen Avantgarde-Saxofonisten schen Provinz. Seine Prosa
Albert Ayler. Die Musik irritierte nimmt dabei den Rhythmus des
ihn zunächst, doch dann schlug Jazz auf, den er vor einem hal-
sie ihn in den Bann. Im Rück- ben Jahrhundert hörte. (pap.)
Dioramen sind möglichst realis-
tisch arrangierte Schaukästen
Überzeugungseffekt nutzen
auch politische Systeme und
in naturhistorischen Museen, gesellschaftliche Gruppierun-
die uns Lebenswelten fremder
oder ausgestorbener Tiere vor
gen. So sind im National Great
Blacks in Wax Museum in Balti-
Augen führen. Malerei, Skulp- more Szenen aus dem afro-
tur, Installation finden zu einer amerikanischen Alltag nach-
Illusion zusammen und machen gestellt. Der Band lässt die viel-
die historische Darbietungs- fältige Geschichte der Dioramen
form bis heute sehr beliebt. Den farbenreich aufleben. (gm.)
NZZ am Sonntag 18. März 2018
Begnadeter Gitarrist: Joe Pass.
Musik aus der Reha
Joe Pass Quartet & Septet: Walking Up.
2 CD. Phono/Musikvertrieb.
An den amerikanischen Gitarristen Joe Pass
(1929–1994) erinnern wir uns in vieler Hin-
sicht. Seine späten Soloaufnahmen, seine
Duetts mit Ella Fitzgerald, seine Trio-Auf-
nahmen mit Oscar Peterson, alle beim Label
Pablo erschienen, zeigen einen Musiker, der
atemberaubende Virtuosität mit genuiner
Musikalität und Empathie verbindet. Seine
makellose Technik hatte Pass, mit vollem
Namen Joseph Anthony Jacobi Passalacqua,
sich früh angeeignet: Der ehrgeizige Vater
hielt schon den Neunjährigen an, sieben bis
acht Stunden pro Tag zu üben. Morgens um
sechs begannen die Exerzitien, erst mit dem
Schlafengehen endeten sie. Pass sagte 1974
in einem Interview, dass er diesen Drill ge-
hasst habe und lieber Ball gespielt hätte oder
Velo gefahren wäre; doch der Vater kannte
kein Pardon.
Mit vierzehn Jahren ging Pass bereits mit
verschiedenen Bands auf Tournee. Doch bald
zeigten sich persönliche Probleme, die wie bei
vielen Jazzmusikern jener Zeit zu einer schwe-
ren Heroinsucht führten und die ganzen
1950er Jahre überschatteten. Die Wende
brachte ein zweieinhalbjähriger Aufenthalt im
Drogenzentrum Synanon in Santa Monica, das
Pass’ erstem Album als Leader, «Sounds of
Synanon», den Namen gab. Es wurde 1962
veröffentlicht und zeichnet sich durch ver-
schiedene Besonderheiten aus. Da ist zum
einen die originelle Septett-Besetzung inklu-
sive Trompete, Baritonhorn und Bongos, da
ist aber vor allem der Umstand, dass sämtliche
Musiker Patienten im Center waren. Bis auf
den Pianisten Arnold Ross hat man von ihnen
später nie mehr etwas gehört. Doch die Musik
überzeugt. Offensichtlich hatte das Septett
viel Zeit zum Üben.
Ergänzt wird die legendäre LP auf dieser
Doppel-CD durch eine reiche Auswahl der
Quartettaufnahmen, die Pass auf seinen frü-
hen Aufnahmen als Leader einspielte, unter
anderem mit den Pianisten Clare Fisher und
Les McCann. Sie zeigen den Gitarristen als
Meister des Bebop, der auf seinem Instru-
ment, einer Gibson ES-175, sowohl kräftige
Basslinien als auch filigrane Läufe und kräf-
tige Akkorde spielte, die er immer wieder auf
überraschende Weise erweiterte. Seine spe-
zielle Technik heisst im Jazz «Chordal Impro-
visation». Sie erlaubt Gitarristen, Thema und
Begleitung gleichzeitig zu spielen. Das Reper-
toire der Quartettaufnahmen, die alle 1963
eingespielt wurden, umfasst vor allem Stan-
dards: Von Duke Ellingtons «Mood Indigo»
über «Bag’s Groove» von Milt Jackson bis zu
«Sister Sadie» von Horace Silver spannt sich
der Bogen. Kern der Doppel-CD bleiben indes
die «Sounds of Synanon». Manfred Papst
Kurz und knapp
Jimi Hendrix: Both Sides of the Sky. Sony.
Im Nachlass des genialen Gitarristen
(1942–1970) findet sich immer wieder ein-
mal etwas. Auf «Valleys of Neptune» (2010)
und «People, Hell & Angels» (2013) folgt nun
eine dritte CD mit teilweise unvollständigen
Studioaufnahmen. Sie sind 1968–1970
entstanden und bringen 13 Tracks, 10 davon
bisher unpubliziert. Die Songs allerdings
kennt man. Mit dabei: Billy Cox, Buddy
Miles, Stephen Stills, Johnny Winter. (pap.)
Chica Torpedo: Corazón Total. Irascible.
Die Berner Kultband um den Sänger, Tres-
Spieler und Komponisten Schmidi Schmid-
hauser versteht sich auf das Paradox der
schleppenden Fröhlichkeit. Latino-Rhyth-
men mischen sich mit Blues. Die Texte sind
bald tiefsinnig, bald witzig, die satten Blä-
sersätze sitzen. Tanzbar ist diese klug arran-
gierte Musik, ein launiger Frühlingsbote. Die
Ohrwürmer kriechen aus der Erde. (pap.)

Kino
Der Film will sie rehabilitieren: Maria Magdalena, gespielt von Rooney Mara.
Du sollst dein
Publikum nicht
langweilen!
Mary Magdalena ★★✩✩✩
Grossbritannien/Australien, 120
Min. Regie: Garth Davis. Mit
Rooney Mara, Joaquin Phoenix.
14 Jahre ist es her, seit Mel Gib-
sons Passionsfilm «The Passion
of the Christ» zum Kassenschla-
ger avancierte, weil er zwei ver-
schiedene Publika ansprach: die
Horrorfilmfans und gläubige
Christen. Diesen Erfolg wird
«Mary Magdalena» nicht wieder-
holen können, denn für die Mul-
tiplex-Besucher ist das religiöse
Biopic etwa so sexy wie die alt-
modisch gewandeten Missionare
des Brüdervereins, die auf den
Strassen Abnehmer für ihre
Traktate suchen.
Der in matten Beige-Tönen
gehaltene Film beginnt einschlä-
fernd langsam. Regisseur Garth
David («Lion») unternimmt
Der Mörder
Home Cinema
unter uns
Serie ★★★★✩
Retribution. Drama. Netflix.
4 Folgen à 60 Min. Von Harry
und Jack Williams. Mit Juliet Ste-
venson, Gary Lewis u. a.
Während strömenden Regens
kommt im nächtlichen schotti-
schen Hochland ein Auto von der
Strasse ab. Die herbeigeeilte
Familie aus der Nachbarschaft
nimmt den verletzten Mann mit
auf ihren Hof und will ihn pfle-
gen, bis ein Krankenauto ein-
trifft. Bald stellt sich jedoch
heraus, dass es sich beim Ver-
letzten wahrscheinlich um den
Mörder des Sohnes der Familie
handelt. Die ebenfalls ermordete
Ehefrau des Sohnes ist die Toch-
Kampf gegen
TV
Killer-Aliens
Edge of Tomorrow
SRF zwei/20.05/Sci-Fi-Film
Spinnenhafte Aliens haben sich
auf dem europäischen Festland
wie ein Flächenbrand verteilt,
demnächst geht der Überlebens-
kampf der Menschheit in die
entscheidende Runde. US-Major
William Cage (Tom Cruise)
kommt über den Atlantik,
jedoch nicht als Kriegsheld. Der
Gockel in Uniform ist vielmehr
eine PR-Fachkraft, wie er auch
General Brigham gegenüber
beteuert, als dieser ihn
an die Front beordern
will. Es nützt nichts: Als
Cage sich drücken will,
lässt der General den
Amerikaner in Hand-
schellen abführen,
keine Anstrengung, einen für das
Leben seiner Titelheldin einzu-
nehmen. Diese verlässt ihre
Fischerfamilie in Judäa, um dem
Täufer Jesus Christus von Naza-
reth nachzufolgen, der seinen
Jüngern erklärt, wie man ins
Reich Gottes kommt. Dass Roo-
ney Mara passiv und blass agiert,
statt Leidenschaft für Jesus
aufflackern zu lassen, macht die
Sache natürlich nicht besser.
Ohnehin trägt der Film den
falschen Titel, er müsste eigent-
lich «Jesus of Nazareth» heissen.
Denn nicht Maria ist hier der
Star, obwohl die biblischen Ge-
schehnisse aus ihrer Sicht er-
Der Australier Garth Davis.
ter der Nachbarsfamilie, die
mitbekommt, wer sich da blu-
tend und verwirrt auf dem Hof
befindet. Jetzt stellen sich die
beiden Familien die Frage: Was
soll mit dem Mörder ihrer Kinder
passieren?
Im Verlaufe der vier Folgen,
die von der BBC produziert wur-
den und nun von Netflix ausge-
strahlt werden, kommen allerlei
verborgene Geheimnisse der
Familienmitglieder ans Licht,
und der Verdacht drängt sich auf,
dass jemand von ihnen an der
Ermordung des Ehepaars betei-
ligt gewesen sein könnte.
Die Schöpfer der Serie, die
englischen Brüder Harry und
Jack Williams, haben bereits so
spannende Serien wie «Liar»
(2017) über einen Arzt, der im
Verdacht steht, ein Vergewaltiger
zu sein oder «The Missing»
bei den Rekruten antraben und
in Kampfmontur über dem
Kampfgebiet abwerfen. Der Ses-
selfurzer hat die erwartet kurze
Lebenserwartung. Dann aber
geschieht das Unerklärliche:
Cage wacht erneut und unver-
sehrt am Tag vor der Schlacht
auf, zu neuem Leben erweckt.
Das geschieht in der Folge wie-
der und wieder, wenn er stirbt.
Mit jedem Mal lernt der Soldat
wider Willen, besser zu überle-
ben, und kommt dem Geheimnis
dabei einen kleinen Schritt
näher, weshalb er in einer End-
losschleife steckt. Und damit hat
die hübsche Kriegsheldin Rita
(Emily Blunt) etwas zu tun. – Die
Mischung aus «Und täglich
grüsst das Murmeltier» und
«Starship Troopers» ist als clever
konstruiertes Genrekino höchst
unterhaltsam, wozu die Action-
szenen ebenso beitragen wie der
Hauptdarsteller Tom Cruise.
zählt werden, sondern der Sohn
Gottes. Er wird von Joaquin
Phoenix mit Charisma und
einem Tremolo in der hohen
brüchigen Stimme verkörpert.
Wenn er mit seiner Gefolgschaft
in Jerusalem einzieht, die Tische
der handelnden Pharisäer im
Tempel umstösst und schliess-
lich ans Kreuz geschlagen wird,
zieht der Film in den Bann und
beschert wohl auch ungläubigen
Zuschauern Hühnerhaut.
Es ist zwar löblich, dass Davis
auf Effekthascherei verzichtet
und die Passionsgeschichte
getreu den Evangelien erzählt.
Aber die Respektierung des
cineastischen Gebots «Du sollst
dein Publikum nicht langweilen»
hätte seinem allzu ehrfürchtigen
und blutleeren Spielfilm gut-
getan. Das Spannendste folgt
erst in den Schlusstiteln, näm-
lich die Rezeptionsgeschichte
von Maria, die einst als Prostitu-
ierte verschrien und erst 2016
von Pontifex Franziskus als
Apostelin der Apostel rehabili-
tiert wurde. Christian Jungen
(2014) über ein Ehepaar dessen
fünfjähriger Sohn im Urlaub
verschwindet, entwickelt und
waren an der bitterbösen Satire-
serie «Fleabag» beteiligt.
«Retribution» (Originaltitel
«One of Us») spielt mit bekann-
ten Motiven, hat aber unter-
Die beiden Familien sind mit dem Mörder ihrer Kinder konfrontiert.
Tipps des Tages
Tatort: Mitgehangen
SRF 1/20.05/Krimireihe
Nach dem Fund einer Leiche in
einem Baggersee ermitteln
Ballauf (Klaus J. Behrendt) und
Schenk (Dietmar Bär) in der
illegalen Auto-Renn-Azene.
Interstellar
ORF 1/20.15/Sci-Fi-Film
Cooper, ein ehemaliger Nasa-
Astronaut (Matthew McConaug-
hey), und die Tochter eines Wis-
senschafters suchen nach einem
bewohnbaren Planeten.
Ku’damm 59
ZDF/20.15/TV-Drama
Berlin, 1957: Monika (Sonja Ger-
hardt) erreicht hochschwanger
die Wohnung der Schöllacks.
Mutter Caterina weist sie ab.
Kurz und knapp
The Shape of Water
★★★★★
Baltimore, Anfang der 1960er:
Die taubstumme Putzfrau Elisa
(Sally Hawkins) freundet sich
mit einem Wassermonster an.
Wunderbares Fantasy-Melo-
drama von Guillermo del Toro
über das Anderssein. Superbe
Kamera, tolle Ausstattung, ver-
fällt trotz Retro-Charme nie der
Nostalgie, 4 Oscars. (cj.)
Molly’s Game ★★★✩✩
Aaron Sorkin hat die Story von
Molly Bloom verfilmt, die nach
einer Verletzung als Skiakroba-
tin ins illegale Pokerbusiness
einstieg und steinreich wurde.
Das Biopic enthält rasant
gesprochene Dialoge, eine
starke Jessica Chastain als
Molly und viel Küchenpsycho-
logie von Kevin Costner als
ihrem Vater. (cj.)
Eldorado ★★★★★
Markus Imhoof verbindet in
diesem Dokumentarfilm das
Schicksal von Flüchtlingen aus
Afrika, die in Italien stranden,
mit seiner eigenen Biografie. Er
zeigt die Überforderung unse-
rer Institutionen mit der
Flüchtlingspolitik der west-
lichen Staaten. Stark und
berührend. (cj.)
Les gardiennes ★★✩✩✩
Xavier Beauvois erzählt in dem
langatmigen Drama von den
Frauen, welche im Ersten
Weltkrieg die französischen
Höfe über die Runden
brachten, während
ihre Männer im
Schützengraben
kämpften. Ein-
drücklich
Natalie Baye
(Bild) als
Matriar-
chin. (cj.)
schiedliche Handlungsstränge
und genügend unerwartete
Wendungen, um das Publikum
zu unterhalten. Ausserdem ist es
beeindruckend zu sehen, wie die
Macher in vier Folgen eine kom-
plexe Geschichte zu erzählen
vermögen. Murièle Weber
Thor – The Dark Kingdom
SRF zwei/22.00/Fantasyfilm
Die Energiequelle der Elfen
ergreift Besitz von der Astro-
physikerin Jane Foster (Natalie
Portman). Um ihr zu helfen und
die mysteriöse Substanz zu
untersuchen, holt ihr Beschützer
Thor (Chris Hemsworth) sie in
seine Welt nach Asgard.
Thor (C. Hemsworth) kämpft.
65
Heimweh
nach dem
Fräulein
Zugabe
Manfred Papst
K
eine Angst, ich
plädiere hier nicht
für die Wiederein-
führung der Anrede
«Fräulein», die bis
in die frühen
1980er Jahre für unverheiratete
Frauen jeglichen Alters in Ge-
brauch war. Aber ich möchte
doch daran erinnern, dass das
Wort seinen Charme und seine
Geschichte hat. Vor dem neun-
zehnten Jahrhundert bezog es
sich ausschliesslich auf Standes-
personen. Wenn Goethe seinen
Faust zu Gretchen sagen lässt:
«Mein schönes Fräulein, darf ich
wagen, / Meinen Arm und Geleit
Ihr anzutragen?», dann ist das
eine galante Schmeichelei. Nur
so ist es zu erklären, dass Gret-
chen antwortet: «Bin weder
Fräulein, weder schön, / Kann
ungeleitet nach Hause gehn.»
Später wurde die Bezeichnung
gebräuchlich für berufstätige
Frauen, und die waren meist
unverheiratet. Denken wir nur
an das Fräulein Rottenmeier, die
Lehrerin im «Heidi»! Im Comesti-
bles-Geschäft meines Gross-
vaters und meines Vaters arbei-
tete während 45 Jahren Fräulein
Rosa Keller als Verkäuferin. Sie
hätte es sich verbeten, mit «Frau»
angeredet zu werden, genauso
wie Fräulein Julia Hartmann,
unsere Stör-Weissnäherin.
Mir selbst ist das Fräulein
ganz konkret begegnet, etwa,
wenn ich als Bub zum Einkaufen
in die Bäckerei geschickt wurde.
Dort stand ein Fräulein hinter
der Ladentheke, das ich hinreis-
send schön fand. Und natürlich
nahm sie mich nicht ernst, wenn
ich in meinen kurzen Hosen
Blickpunkt Winnetou-Brötchen kaufte und
nach den zugehörigen Sammel-
Lisa bildchen fragte. «Fräulein» – das
Brühlmann bezeichnete Unerreichbarkeit.
Zum andern bevölkerte das
Die Zürcherin (*1981) Fräulein die Schlager, die wir
ist die Favoritin bei damals hörten. «Ich sah ein
den Schweizer Film- schönes Fräulein im letzten
preisen, die am Autobus»: So beginnt «Rote
nächsten Freitag in Lippen soll man küssen», die
Zürich verliehen deutsche Fassung von Cliff
werden. Ihr Spiel- Richards Welthit «Lucky Lips»,
filmdebüt «Blue My und in Dorthes unsterblichem
Mind», das bereits Meisterwerk «Sind Sie der Graf
ein Goldenes Auge von Luxemburg?» beantwortet
am Zurich Film der angesprochene Reiter die im
Festival gewann, ist Refrain gestellte Frage mit fol-
für sieben Quartze genden Versen: «Aber Fräulein,
nominiert. Vom 19. Sie sind süss» / sprach er und
bis 25. 3. können alle stieg vom Pferd, / «Der Graf, der
nominierten Titel im lebte in Paris, / bei mir sind Sie
Filmpodium Zürich verkehrt. / Drum sollen Sie
für 5 Franken ge- erfahren, / jetzt werden Sie nicht
sehen werden. Die rot, / seit fast einhundert Jahren
heutige «Stern- / ist dieser Herr schon tot.» Ja,
stunde Kunst» um und von Chris Howland gibt es
11Uhr 55 auf SRF1 sogar einen Song namens «Fräu-
befasst sich eben- lein», nicht zu vergessen die
falls mit den nomi- schweizerdeutsche Fassung des
nierten Filmen. (cj.) River-Kwai-Marsches: «Frollein,
händ Sie mis Hündli gseh?»
Später, im Gymnasium und
während des Studiums, begeg-
neten mir die grossen Fräuleins
der Weltliteratur: «Das Fräulein
von Scuderi» von E. T. A. Hoff-
mann, August Strindbergs
«Fräulein Julie», Arthur Schnitz-
lers «Fräulein Else». Sollen wir
diese Geschöpfe jetzt alle einem
korrekten Sprachgebrauch
opfern? Ich finde nicht. Auch
wenn ich das Wort im Alltag
nicht mehr verwende: Es bleibt
ein Teil unserer Kultur.
Wetter
NZZ am Sonntag 18. März 2018

Wetterprognose Aussichten für kommende Woche

Alpennordseite Aussichten bis Sonntag:

Schaffhausen Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag Sonntag Am Montag stark bewölkt und
ganztags kalt. Im Flachland
0° 3°
Basel vorwiegend trocken, entlang
1° 3° St. Gallen der Alpen noch etwas Schnee.
Im Süden Wetterberuhigung, in
Zürich –3° 0°
den Tälern Nordföhn.
0° 3° 1° 4° 4° 5° 9° 7° 8° Am Dienstag im Norden zuerst
–3° –4° –3° –5° –3° 0° 3° Hochnebelfelder, sonst recht
La Chaux-de-Fonds
Luzern Glarus sonnig. Am Morgen frostig,
–2° 1°
tagsüber leichter Temperatur-
Bern 1° 3° 1° 2°
Alpensüdseite anstieg. Leichte bis mässige
1° 3° Chur Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag Sonntag Bise. Im Tessin mit Nordföhn
Freiburg
1° 5° recht sonnig.
1° 4°
Interlaken Am Mittwoch im Norden
1° 3° hochnebelartige Wolken, etwas
Gotthard
Lausanne St. Moritz Sonne zwischendurch. Nach
Montreux –7° –6° wie vor Bise. Im Süden viel
3° 6° –6° 0°
3° 6° 9° 10° 11° 8° 10° 6° 11° Sonnenschein, in den Tälern
4° 3° 3° –1° –1° 2° 3° föhniger Nordwind.
Genf Sitten Am Donnerstag Mischung aus
2° 7° Locarno
3° 6° Hochnebelfeldern und Sonne,
Martigny 3° 7°
im Süden recht sonnig.
1° 6°
Lugano Sonne und Mond Bergwetter Am Freitag beidseits der
4° 8°
Alpen viel Sonnenschein, nur
Sonne Deutschschweiz harmlose Wolken. Milder.
Aufgang: 6.33 Wind km/h /
/h °C
C Am Samstag und Sonntag im
Allgemeine Lage: Die Schweiz Alpennordseite, Wallis, Nord- Alpensüdseite und Engadin: Im Untergang: 18.35 3000 m S 15 – 35 –11° Westen und Süden Regen, im
befindet sich zwischen einem und Mittelbünden: Der Himmel Süden dominieren ebenfalls die 24 min mehr Sonne 2000 m S 10 – 30 –7° Osten noch zeitweise Föhn.
Italientief und einem Hoch über bleibt meist wolkenverhangen, Wolken, mehr als kurze Auf- als vor einer Woche 1000 m NO 10 – 30 –2°
der Nordsee im Bereich einer einzig in Graubünden gibt es hellungen liegen nicht drin. Trend für übernächste Woche:
Bisenströmung. Auf diesem auch mal grössere Auflocke-
Auflocke Dazu regnet es im Tessin immer Mond Alpensüdseite Noch erheblicher Unsicher-
Weg gelangt markant kältere rungen. Im Flachland überwie-
überwie wieder, die Schneefallgrenze Aufgang: 7.17 Wind km/h/
/h °C heitsbereich. Aus heutiger Sicht
Luft zur Alpennordseite. Im gen bereits die trockenen Ab- variiert dabei zwischen 700 Untergang: 19.38 3000 m S 15 – 35 –11° nach wie vor wechselhaft mit
Süden ist die Luft zwar etwas schnitte, entlang der Berge und 1000 Metern. Im Engadin Zunehmend 2000 m S 10 – 30 –5° der Jahreszeit entsprechendem
milder, aber auch relativ feucht. fallen noch ein paar Flocken. schneit es zeitweise. Füllgrad: 1% 1000 m W 5 – 15 3° Temperaturniveau.

Allgemeine Lage heute Sonntag um 13 Uhr Schneebericht

Tiefdruck- Tal Berg Tal Berg Tal Berg

–3° zentrum Adelboden – 211 cm Flims-Laax 55 cm 483 cm Riederalp 174 cm 232 cm
Tromsö 995 T
T Andermatt 68 cm 500 cm Flumserberge 100 cm 160 cm Saas Fee 120 cm 460 cm
Arosa 130 cm 200 cm Grindelwald – 256 cm Savognin 30 cm 185 cm
Hochdruck-
zentrum
Crans-Montana 40 cm 340 cm Gstaad 20 cm 200 cm Schuls 25 cm 185 cm
9° 1005 Davos 107 cm 243 cm Hoch-Ybrig 40 cm 160 cm St. Moritz 85 cm 175 cm
Reykjavik H Engelberg 10 cm 655 cm Lenzerheide 80 cm 250 cm Verbier 95 cm 345 cm
101
5
Isobaren
Elm 20 cm 290 cm Les Diablerets 40 cm 250 cm Zermatt 145 cm 365 cm
–1° Luftdruck
–1° 1° in hPa
St. Petersburg
Oslo 3° Helsinki
H Stockholm
Wetter gestern / Extremwerte
Kaltfront
1030
2°
Edinburg
1025
1°
–5°
Werte gestern Tagesmin. Tagesmax. Regen
Kopenhagen
Moskau 6 Uhr 12 Uhr Regen Jahr Grad Jahr Grad Jahr mm
1020 Warmfront
1° 0° –2°
Zürich 3,7° 5,6° 0,0 mm 1962 –7,5 2005 21,7 1995 16,3
Dublin 2°1015 2°
London Amsterdam Berlin Warschau Basel 11,8° 4,1° 0,0 mm 1962 –6,9 2005 22,5 1937 26,5
1010 2° Bern 1,9° 6,5° 0,0 mm 1887 –12,9 2005 21,0 1937 36,7
Brüssel –8°
Kiew Okklusion Genf 5,0° 6,6° 1,8 mm 1887 –10,2 2014 22,5 1971 33,6
4° –1°
6° 1005 Paris Prag 1° Lugano 7,3° 6,0° 13,4 mm 1962 –3,0 2005 22,8 1890 48,2
Brest 4°
3° Wien
3° München Budapest 1°
Bern Odessa
10 4°
12°
Bordeaux
00 Belgrad 6°
Bukarest Wetterlexikon: Temperaturumkehr
11° 12°
Nizza Dubrovnik
1015 14°
14° T Normalerweise nimmt die Tem- Bergen wärmer als in den Niede- damit zu tun, dass die kältere
12° Rom 20°
Madrid Barcelona
T Istanbul peratur mit steigender Meeres- rungen. Bei einer Inversion Luft eine höhere Dichte auf-
15° höhe ab. Ist jedoch das Gegenteil besteht zwischen der unteren, weist, was die Durchmischung
15° Palma
Lissabon 17° 18° der Fall, sprechen die Meteorolo- kälteren Luftschicht und der mit der wärmeren Luft unter-
Athen 19°
1020 Palermo Antalya gen von einer Temperatur- oberen, wärmeren ein scharfer drückt. Sammeln sich in der
18°
17° Tunis
Gibraltar 14° 1005 umkehr oder Inversion. Unter Übergang, auch bezeichnet als kalten Luftschicht über Städten
Algier 22°
Nikosia diesen Umständen ist es in den stabile Schichtung. Das hat Schadstoffe, bildet sich Smog.

1010 29°
Tel Aviv MeteoNews AG | Peter Wick | meteonews.ch
Das Schweizer Wetter Fernsehen: meteonews.tv
10 MeteoNews iPhone App: iphone.meteonews.ch
25 Ihre persönliche Wetterberatung: 0900 575 775
(CHF 2.80/Min. vom Schweizer Festnetz)
Der Schweizer Stellenmarkt für Kader und Fachspezialisten, 18. März 2018
Hatten Sie als Kind einen Traumberuf?
Ich habe als Kind viel Sport getrie-
ben und hoffte, dass es für eine Profi-
karriere reichen könnte. Heute bin ich
froh, dass es nicht geklappt hat. Ich war
wirklich nicht gut genug und bin genau
am richtigen Ort gelandet.
Was würden Sie anders machen, wenn
Sie nochmals neu beginnen könnten?
Noch mehr Auslandserfahrung in
meine Laufbahn einbauen. Leider habe
ich jeweils nur wenige Wochen oder
Monate in andern Ländern gearbeitet
oder studiert und so die wichtige Inte-
gration in andere Kulturkreise verpasst.
Wie wurden Sie von Ihren Lehrern ein-
geschätzt?
Als ein Bub mit Schalk und viel
Flausen im Kopf, aber trotzdem sympa-
thisch. Und definitiv als zu laut, was
nicht immer förderlich für die Ruhe in
der Klasse war.
Auf welche ausserschulische Leistung
in Ihrer Jugend sind Sie stolz?
Dass ich bereits im Kindergarten
von einem Mädchen den ersten Kuss
erhalten habe.
Ist die Management-Ausbildung auf
der Höhe der Zeit?
Auf der fachspezifischen Seite ist die Jürg Rimle hat stets versucht, von Personen, die ihn beeindruckt haben, zu lernen.
Ausbildung auf hohem Niveau. Wo es
nach wie vor mangelt, ist beim Bezug
zur Praxis, zum unternehmerischen
«Zu viele Führungskräfte
Denken und bei der strategischen Weit-
sicht. Kandidaten sehen sich in erster
Linie als Angestellte, welche Aufgaben
wollen Risiken minimieren»
vorgegeben bekommen – und weniger
als Unternehmer eines Aufgabenfeldes,
bei dem ich mich jeden Tag frage, wie
ich es weiterentwickeln und noch
erfolgreicher gestalten kann.
33 Fragen an Jürg Rimle, Geschäftsführer Pimco Schweiz GmbH, Zürich
Leiter ICT (w/m)
Hier können Sie auf einer bestens f unktionie-
f bauen – gemeiinsam mit
renden Struktur aufb
einem kompetenten Team – in eine er gesunden,
vorwärtsorientierten und familienngeführten
Unternehmensgruppe.
Die KIBAG Gruppe gehört mit rund 1’80 00 Mitarbei-
tenden zu den führenden Anbieterinnen n von Bau-
leistungen und Baustoffen in der Schweiiz. Die Gruppe
ist mit 13 Kies- und 21 Betonwerken, 17 Baubetrieben
sowie mehreren Recycling- und Entsorgungsunter-
nehmen an über 60 Standorten präsent. Nicht zuletzt
wegen einer verantwortungsbewussten Wachstums-
politik, der schlanken Organisationsstruuktur mit
kurzen Entscheidungswegen, modernen Technologien
und innovativen Lösungen ist die Untern nehmens-
geschichte der Gruppe von kontinuierlich hem Erfolg
geprägt. Nun sind wir beauftragt, Sie alss
Leiter ICT (w/m)
zu finden. Direkt dem CFO unterstellt, sind Sie ver-
antwortlich für die operative Führung und strategi-
sche Weiterentwicklung der Unternehmeensinforma-
tik. Mit Ihrem achtköpfigen Team stellen n Sie eine
integrierte und durchgängige ICT über a lle Geschäfts-
prozesse und Anwendungen sicher. Sie ermitteln die
Bedürfnisse quer durch alle Geschäftsbeereiche, Regio-
nen und Anspruchsgruppen, definieren Leistungs-
portfolio sowie SLAs und sorgen dafür, dass diese mit
effektiven und effizienten Lösungen umg gesetzt bzw.
eingehalten werden. Dabei planen Sie mit Weitsicht,
bringen relevante ICT-Themen in die Geschäftsleitung
ein, steuern das Projektportfolio und steellen das
Qualitäts-, Risiko- und Kostenmanagem ment sicher.
www.kibag.ch
Sie tragen die Budgetverantwortung und optimieren
die Zusammen narbeit mit Partnern und Lieferanten.
Sie verfügen üb ber eine fundierte Ausbildung, bspw.
zum Wirtschaff tsinformatiker FH o. ä., sowie über
mehrjährige Fü ührungserfahrung in einer vergleichba-
ren Funktion in n einem mittelständischen Unterneh-
men mit einer dezentralen Geschäftsstruktur, vorwie-
gend in der Bau u-/Bauzulieferindustrie. Ihre Kom-
petenz im Projektmanagement, Ihre analytischen/
konzeptionelleen Fähigkeiten aber auch Ihre Um-
setzungsstärkee sind genauso gefragt wie Ihre Team-
und Kommunikationsfähigkeit. Sie fordern und för-
dern Ihre Mita arbeitenden und positionieren Ihre
Abteilung als moderne, kundenorientierte Dienst-
leisterin mit scchlankem, kosten-/nutzen-optimiertem
Leistungsportffolio. Dabei verstehen Sie es, adressa-
tengerecht zu kommunizieren, Ideen plausibel dar-
zulegen und In nvestitionen betriebswirtschaftlich zu
begründen. Gu ute Englischkenntnisse und ERP-Know-
how, idealerweeise ABACUS, runden Ihr Profil ab.
Es bietet sich Ihnen ein attraktives Arbeitsumfeld.
Wir freuen unss auf Ihre Bewerbung (PDF-Datei).
kus Theiler
Kontakt: Mark
Sandra von Heermanni
JÖRG LIENERT T AG LUZERN
Hirschmattstraasse 15, Postfach
6002 Luzern
Telefon 041 227 80 30
luzern@joerg-llienert.ch
www.joerg-liennert.ch
Luzern, Zug,
Zürich, Basel, Bern
www.jobs.nzz.ch
Inhalt
Arbeitswelt – Senioren und IT
Von den über Siebzigjährigen getrauen
sich viele nicht, das Internet zu nutzen.
Social Media scheint eine für Junge und
Junggebliebene reservierte Domäne zu
sein. Angebote, die den Älteren Know-
how vermitteln, sind rar. 4
Unternehmensleitung, GL 2
Finanzen 2
Soziales, Pädagogik 4
Weitere Stellenangebote 4
Stellengesuche 4
Anzeigenverkauf
Tel. 044 258 16 98, Fax 044 258 13 70
inserate�nzz.ch
Stellenmarkt www.jobs.nzz.ch
Impressum
Chefredaktion: Eric Gujer. Verantwortlich für
diese Beilage: Walter Hagenbüchle. Redaktion
und Verlag: Neue Zürcher Zeitung AG, Postfach,
NATHALIE TAIANA / NZZ 8021 Zürich, Telefon, 044 258 11 11.
Wo würden Sie in der Führungsschu-
lung andere Akzente setzen?
Beim Thema, mehr Eigenverantwor-
tung zu übernehmen. Zu viele Füh-
rungskräfte verhalten sich heute reaktiv
und nicht proaktiv. Es wird in erster
Linie versucht, Risiken zu minimieren,
und nicht, sie als Chance zu sehen. Ein
Fortsetzung auf Seite 3
Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW ist mit über 12’000 Studierenden und
rund 3’000 Mitarbeitenden eine der grössten Mehrsparten-Fachhochschulen der Schweiz.
Die ZHAW School of Management and Law (SML) ist mit international anerkannten Bachelor- und Master-
studiengängen, einem bedarfsorientierten und etablierten Weiterbildungsangebot sowie innovativen
Forschungs- und Entwicklungsprojekten eine der führenden Wirtschaftshochschulen der Schweiz. Als
erstes Wirtschaftsdepartement einer Schweizer Fachhochschule erfüllt die SML die hohen Standards
der Association to Advance Collegiate Schools of Business (AACSB) und zählt damit zu den besten
800 Business Schools weltweit.
Das Kommunikationsteam Deutsch der ZHAW School of Management and Law (SML) bietet einen
modularen Unterricht an, in dessen Rahmen die Dozierenden einheitliche Modulinhalte vermitteln. Wir
suchen nach Vereinbarung eine Verstärkung für das Team als
Dozent/in Kommunikationskompetenz
Deutsch (60–80 %)
Sie übernehmen folgende Aufgaben:
• Unterricht in Klassen mit bis zu 60 Studierenden im Bereich Kommunikationskompetenz Deutsch auf
Bachelorstufe in den Studiengängen Betriebsökonomie, Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsrecht
• Fachentwicklung im Team (u. a. Erarbeitung von Skripten und Unterrichtsinhalten für die Lernplattform
Moodle, Erstellung und Korrektur von Prüfungen)
Für diese interessante und vielseitige Tätigkeit bringen Sie zwingend einen Universitätsabschluss in Germa-
nistik oder Kommunikationswissenschaften (im Haupt- oder Nebenfach) mit. Weitere Voraussetzungen
sind eine didaktische Qualifikation sowie mehrjährige Unterrichtserfahrung auf Sekundarstufe II oder an
einer Fachhochschule bzw. Universität. Als Kommunikationsprofi mit einem Gespür für die Lehrtätigkeit
verfügen Sie über Auftrittskompetenz, können Unterrichtsinhalte didaktisch überzeugend im Unterricht
umsetzen und arbeiten gerne im Team. Sie haben Freude am Umgang mit Studierenden und sind eine
offene und gewinnende Persönlichkeit.
Wir bieten Ihnen ein spannendes und herausforderndes Arbeitsumfeld, ein kollegiales und motiviertes
Team und viele Gestaltungsmöglichkeiten. Ihr Arbeitsort befindet sich an zentraler Lage in Winterthur
(Nähe Bahnhof)f).
Für fachliche Auskünfte steht Ihnen Jeannette Philipp, Leiterin Kommunikation in Wirtschaft und Recht,
E-Mail: jeannette.philipp@zhaw.ch, gerne zur Verfügung.
Haben wir Ihr Interesse geweckt?
Dann freuen wir uns auf Ihre vollständigen Bewerbungsunterlagen via Online-Plattform an Dagmar Stachl,
HR Consultant am Standort Winterthur. Bitte beachten Sie, dass wir ausschliesslich Bewerbungen via
Online-Plattform (www.zhaw.ch/jobs) berücksichtigen und somit keine Bewerbungen per Briefpost oder
per E-Mail bearbeiten.
Weitere Informationen finden Sie unter www.zhaw.ch.
Zürcher Fachhochschule
2 NZZ am Sonntag 18. März 2018

WALTER BLUM&PARTNER
Business Consulting
www.leister.com

Die Firma Leister mit Sitz in Sarnen kann als Unternehmensperle der
Zentralschweiz bezeichnet werden. Mit ihren Spitzenprodukten im Die ETH Zürich steht für exzellente Lehre, wegweisende Grundlagenforschung und die
Bereich Plastic Welding ist Leister dank jahrzehntelangem Fokus auf Anwendung der Ergebnisse zum Nutzen der Gesellschaft. 1855 gegründet, zählt sie heute
Innovation und Technologie klarer Weltmarktführer. Die Qualitäts-
produkte werden in zahlreichen Bereichen der produzierenden In- zu den weltweit besten technisch-naturwissenschaftlichen Hochschulen. Sie ist Arbeits-,
dustrie sowie in der Bauhauptbranche eingesetzt und in über 130 Forschungs- und Studienplatz von rund 26’000 Menschen aus mehr als 120 Ländern und
Ländern vertrieben. Entwicklungs- und Produktionsstandort ist die
erzielt einen Jahresumsatz von 1.8 Milliarden Franken. Innerhalb des Vizepräsidiums
Zentralschweiz – auch in Zukunft. Im Rahmen der Unternehmens-
entwicklung sind wir beauftragt, Sie anzusprechen für die Funktion Finanzen & Controlling ist die Abteilung Rechnungswesen mitverantwortlich für die Um-
als setzung einer langfristigen, nachhaltigen Finanzpolitik und einer qualitativ hochstehenden
Vice President/Business Unit Leiter (w/m) finanziellen Berichterstattung. Infolge Pensionierung des jetzigen Stelleninhabers suchen
wir für die strategische und operative Leitung der Abteilung mit ihren rund 50 Mitarbei-
Als Mitglied der Geschäftsleitung tragen Sie die Gesamtverantwor- tenden eine unternehmerisch denkende, fachlich überzeugende und führungserfahrene
tung für die Produktentwicklung und den Verkauf der Business
Unit Plastic Welding mit rund 50 Mitarbeitenden. Gemeinsam mit Persönlichkeit als
Ihren Geschäftsleitungskollegen erarbeiten Sie Marktbearbeitungs-
strategien nach Produktgruppen und Marktsegmenten. Daraus set-
zen Sie alle nötigen Verkaufs- und Marketingmassnahmen sowie
das Produktportfolio, mit Fokus P&L, effizient und erfolgreich um. Leiter/in Abteilung Rechnungswesen
Sie fördern und befähigen Ihre Mitarbeitenden aus dem Produktma-
nagement, aus dem Engineering sowie dem internationalen Verkauf.
In Personalunion betreuen Sie die Key Accounts. Durch die perma- → In dieser anspruchsvollen Führungsfunktion sorgen Sie mit Ihren Teams für die
nente Weiterentwicklung und Optimierung der Organisation leisten
Sie einen wesentlichen Beitrag zum Gesamtunternehmenserfolg. ordnungsgemässe und effiziente Abwicklung finanzieller Geschäftsvorgänge, beraten
Weiter wirken Sie bei digitalen Unternehmensprojekten mit und dabei interne Kunden und unterstützen diese bei Projektabrechnungen (Grants Mana-
bringen sich aktiv auf Social-Media-Plattformen ein. Diese Aufgabe
gement), stellen das Tresorerie- und Cash Management sicher und bereiten sämtliche
erfordert eine gewisse Reisebereitschaft weltweit.
notwendigen Informationen für eine umfassende konsolidierte Darstellung der Ver-
Sie haben ein Studium als Elektro- oder Maschinenbauingenieur auf mögens-, Finanz- und Ertragslage nach dem Rechnungslegungsstandard IPSAS auf.
Stufe FH/Uni absolviert und können zusätzlich eine betriebswirt-
schaftliche Weiterbildung vorweisen. Mehrjährige Führungserfah- Als wichtige Schnittstelle zu internen und externen Bezugsgruppen sorgen Sie für die
rung im Verkauf, im Produktmanagement und im internationalen laufende Weiterentwicklung und Harmonisierung des Berichtswesens (Financial Accoun-
Umfeld ist ein Muss. Berufserfahrung aus dem Bereich Werkzeug/ ting, Management Accounting). Im Rahmen der Digitalisierungsstrategie und der damit
Baumaterialien ist ein grosses Plus. Selbstverständlich schreiben
und verhandeln Sie perfekt in Deutsch und Englisch; weitere verbundenen Verbesserung der Prozesseffizienz sind Sie ein/e strategische/r Treiber/in,
Sprachkenntnisse sind willkommen. Bei Mitarbeitenden und Kunden um Neuerungen erfolgreich im eigenen Bereich sowie bei den Kunden, Abteilungen und
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werden Sie als integre und loyale, in allen Belangen kompetente,

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nen Sie weiter aus.

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mit Stakeholdern auf verschiedenen Stufen und bringen sich in hochschulweite Themen
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gezeichnete Deutsch- und Englischkenntnisse in Wort und Schrift sind Voraussetzung,
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Weitere Informationen unter: www.funk-gruppe.ch/karriere

Die Pädagogische Hochschule Schwyz bildet rund 330 Lehrerinnen und Lehrer für die
Kindergarten- und die Primarstufe aus, bietet Weiterbildungen und Beratungen an und
forscht und entwickelt in bildungsnahen Themen.
Auf den 1. April 2019 oder früher suchen wir einen/eine
Leiter/in für das Institut für Professionsforschung Das Amt für Raumplanung berät Gemeinden bei der
und Personalentwicklung <wm>10CAsNsjY0MLQw0DU0MjI0MgAAxlFkcg8AAAA=</wm>

Überarbeitung ihrer Ortsplanungen und stellt dafür die

übergeordneten Grundlagen zur Verfügung. Es erar-
Das Institut forscht zu Anforderungen von pädagogischen Berufen, zur Wirksamkeit von Aus-
<wm>10CFXKKQ6AQBBE0RP1pKqmm60lwREEwWMImvsrFof45ufNc0bB1zgt27QmwQ5GiUI6otTwFJrSq09Uuh4wMFThrvh5IxQO7K8xVKPvDJPseW2jch3nDctM0pNyAAAA</wm>

beitet kantonale Planungen auf Konzept-, Richtplan-

und Weiterbildungen oder zu Personalentwicklungsprozessen in Schulen. Es wird erwartet, und Nutzungsplanebene und koordiniert Bewilligungs-
dass die Institutsleitung zusammen mit ihrem Team ein innovatives Profil mit hoher wissen- verfahren für das Bauen ausserhalb der Bauzonen.
schaftlicher und praktischer Bedeutung weiterentwickelt. Das Amt sorgt sich zudem um den Schutz von Natur und
Landschaft.
Das ausführliche Stellenprofil sowie den Link für Einreichung Ihrer Bewerbung finden Sie
unter www.phsz.ch/jobs. Für das Amt für Raumplanung suchen wir eine/-n
Amtschef/-in, 80-100%-Pensum.
Weitere Informationen erhalten Sie vom Prorektor Forschung und Entwicklung, Prof. Dr. Dominik
Petko, dominik.petko@phsz.ch, Telefon 041 859 05 92. Bewerbungsfrist: 13. April 2018. Aufgabenbereich Sie führen das Amt in personeller
<wm>10CAsNsjY0MDQy1zUyMzU3MAQAMBDwQg8AAAA=</wm>

und fachlicher Hinsicht in seiner ganzen Breite und ver-

<wm>10CFWKKw6AMBAFT7TNe7vdfqgkOIIg-BqC5v6KgkNMRsysa_OAj3nZjmVvBDWLJs9gUyuBQ7WEzNhgNAXLRHcSNdXfLoR6BPr7CExonS4jqHbGHO7zegDSC5qTcQAAAA==</wm>

treten es in kantonalen und interkantonalen Gremien.

Auch tragen Sie im Auftrag des Departementes für be-
sondere Projekte als Projektleiter/-in Verantwortung.
IM DIENSTE DES KANTONS SOLOTHURN

Autonomie und Integration – eine Utopie?

ern
Der SBV setzt alles dran,
dass Visionen wirklich werden.
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Helfen Sie mit! 1125
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Weitere Infos: www.pa.so.ch

www.sbv-fsa.ch PK 80-890-0
 NZZ am Sonntag 18. März 2018 3

«. . . wollen Risiken minimieren»

Fortsetzung von Seite 1
weiterer wichtiger Punkt ist das Erken­
nen der Talente jedes Einzelnen im
Team und entsprechende Unterstüt­
zung. Die Fähigkeit, Mitarbeiter weiter­
zuentwickeln, ist eine Kernkompetenz
erfolgreicher Führungspersönlichkeit.
Wer hat Sie am meisten gefördert?
Ich glaube, die Aufgabe eines Men­
tors ist weniger die direkte Förderung
als vielmehr, jemanden in seinem Weg
zu bestärken. Den Weg sollte indes
jeder selber gehen.
Welches sind die wichtigsten Tugenden
eines Vorgesetzten?
Dem Mitarbeiter genügend unter­
nehmerische Freiheit geben. Ihm das
Gefühl vermitteln, dass er mit seinem
Aufgabenbereich wesentlich zum
Erfolg des Ganzen beiträgt. Das Team­
gefühl stärken, damit eine Atmosphäre
von Erfolgsanspruch, gesundem Ehr­
geiz und Spass an der Arbeit entsteht.
Wichtig ist, dass man stets das Gefühl
hat, man könne von seinem Vorgesetz­
ten noch etwas lernen. Weiter sollte ein
Vorgesetzter ein guter Zuhörer sein.
Welche Eigenschaften Ihrer Mitarbeiten-
den halten Sie für besonders wertvoll?
Unternehmertum, Proaktivität,
Teamfähigkeit, Offenheit, Ehrlichkeit
und nicht zuletzt Humor.
Was bringen Frauenquoten?
Der falsche Ansatz. Ich schätze es,
dass ich Frauen in meinem Team habe.
Und entsprechend bin ich überzeugt,
dass unsere weiblichen Teammitglieder
ein gewisses Extra zum Unternehmens­
erfolg beitragen. Hat mich bei der
Anstellung der weiblichen Mitarbeiter
eine Quote dazu gedrängt? Nein, nur
die Qualität der Bewerbung, unabhän­
gig vom Geschlecht.
Haben sich Ihre Führungsprinzipien
im Lauf der Zeit verändert?
Ich hoffe es. Ich habe stets versucht,
von Personen, die mich während meines
Werdegangs beeindruckt haben, zu ler­
nen und entsprechende Prinzipien zu
adaptieren. Ich habe früher stärker hier­
archisch geführt und allein entschieden,
wogegen ich mich heute mehr als Teil
des Teams betrachte und die verschiede­
nen Mitglieder gemäss ihren Talenten
einsetze. Ich versuche dabei, sie weitge­
hend frei entscheiden zu lassen, was mir
zum Glück immer öfter gelingt.
Die Berufswelt sei hektischer, belasten-
der geworden, geht die Klage.
Das mag zutreffen. Aber man hat
vieles in der eigenen Hand. Hektik im
Beruf hat viel mit einem selbst zu tun.
Und belasten kann einen über die Zeit
nur etwas, was man nicht gerne macht.
Zu viele Leute verharren in einem
Beruf, den sie gar nicht ausüben wollen.
Das Thema Nachhaltigkeit bewegt. Ihr
Beitrag dazu?
Nachhaltigkeit heisst, die richtigen
Werte vorzuleben und weiterzugeben
– generationenübergreifend. Es hat
Bedeutung, wie ich das Thema mit mei­
nen Kindern angehe oder in der Berufs­
welt mit meinen Mitarbeitern. Der
Ansporn in diesem Dialog ist, dass man
jeden Tag etwas tun kann, auch im Klei­
nen und direkt vor der eigenen Haustüre.
Wie spüren Sie die gegenwärtige Wirt-
schaftslage?
Der Aufschwung ist definitiv (noch)
da, aber irgendwie fühlt es sich anders an
als bei vorhergehenden Konjunkturzy­
klen. Ich spüre nach wie vor eine gewisse
Skepsis. Einerseits wohl, weil die
Erholungsphase seit der Finanzkrise nun
schon sehr lange dauert. Andererseits,
weil viele noch das Gefühl haben, dass
der Aufschwung zum grossen Teil der
Unterstützung durch die Notenbanken
zu verdanken ist. Von einer Aufbruch­
stimmung kann nicht die Rede sein.
Worüber haben Sie zuletzt gestritten?
Mit klugen Ratschlägen bei der Kin­
dererziehung oder beim Haushaltsab­
lauf punkte ich definitiv nicht bei mei­
ner Frau. Dann gibt es schon einmal
Schelte für mich. Zu Hause ist meine
Frau der Chef, und das ist gut so.
Welches ist der Stellenwert sozialer
Netzwerke für Sie, beruflich wie privat?
Er ist sehr gering. Meine beiden noch
jungen Töchter haben mir da schon eini­
ges voraus. Ich bin in diesen Dingen eher
konservativ ausgerichtet, bevorzuge den
direkten Kontakt mit Menschen.
Hören Sie auf Ratschläge aus Ihrem
privaten Umfeld?
Auf jeden Fall. Das ist meine Über­
lebensgarantie in einem Frauenhaushalt.
Vertrauen Sie auf Ihr Bauchgefühl?
Immer öfters, aber noch zu wenig.
Wo waren Sie jüngst in den Ferien?
Zum Skifahren in Klosters. Ich liebe
die Berge und bin im Winter fast jedes
Wochenende in diesem Prättigauer Dorf.
Wie gut kochen Sie?
Ich koche gern und tu das auch
öfters an Wochenenden. Ob ich ein
guter Koch bin, müssen Sie meine
Familie und Freunde fragen. So viel sei
klar: Die Welt tut gut, auf ein Restau­
rant mit dem Koch Jürg Rimle zu ver­
zichten . . .
Olympische Spiele, grosse Fussball-
turniere – besondere Tage für Sie?
Auf jeden Fall. Was gibt es Schöne­
res, als mit Freunden im Sommer
gemeinsam bei einem Fussball­WM­
Spiel der Schweiz mitzufiebern, ein
Bier zu trinken und etwas Gutes vom
Grill zu geniessen? Bei Olympia sind
mir als passioniertem Wintersportler
die Winterspiele näher.
Was bringt Ihnen Erholung?
Sport in der Natur. Ob das nun in
einem Pulverschneehang, im Wald beim
Joggen oder am Meer beim Kiten ist,
spielt dabei keine Rolle.
Worüber können Sie sich ärgern?
Über Intoleranz und Engstirnigkeit
– und die damit verbundene Angst, sich
zu öffnen. Und natürlich mehrmals
wöchentlich über mich selbst und selten
über meine Frau.
ZUR PERSON
Jürg Rimle, 48, ist Geschäftsführer der Pimco
Schweiz GmbH. Das Unternehmen ist als Investment-
manager für Obligationen und andere festverzins-
liche Wertpapiere tätig. Mit der Gründung im Jahr
1971 in Newport Beach, Kalifornien, führte es den
Total-Return-Ansatz für Anleihen ein. Seit nunmehr
gut 45 Jahren ist die Firma mit weltweiter Präsenz
und gut 2200 Mitarbeitenden im Geschäft. Der
Schweizer Ableger Pimco Schweiz GmbH beschäftigt
zehn Mitarbeitende und erzielt einen Jahresumsatz
von gut 100 Millionen Franken. Mit rund 10 Prozent
Marktanteil bei der Verwaltung von Obligationenport-
folios für Pensionskassen gehört die GmbH schweiz-
weit zu den grössten institutionellen Asset-Managern.
Jürg Rimle, verheiratet und Vater zweier Töchter, hat
einen MBA der Universität St. Gallen erworben. Frü-
her war er als Finanzanalyst, Unternehmensberater
und Kundenbetreuer für Banken, Versicherungen und
Pensionskassen tätig.
Aus welchem Misserfolg haben Sie
besonders viel gelernt?
Ich habe während der Finanzkrise
zum ersten Mal unfreiwillig einen Stel­
lenwechsel vollziehen müssen. In der
darauffolgenden Auszeit habe ich dar­
über nachgedacht, was ich als Nächstes
tun könnte. Und war überrascht, was
mir alles in den Sinn kam. Das lässt
mich heute viel gelassener sein und gibt
mir den nötigen Abstand.
Auf welchem Gebiet haben Sie sich
zuletzt weitergebildet?
In professionellen Verhaltens­
weisen und Techniken bei anspruchs­
vollen Verhandlungen. Und eine mei­
ner Töchter hat mich kürzlich gelehrt,
wie sie ihre heisse Schokolade mit viel
Schaum gerne von mir zubereitet
hätte.
Welchem Satz misstrauen Sie besonders?
«This time it’s different.» Jeder in der
Finanzbranche kennt diesen Satz; er
hat seit der Finanzkrise wohl Kult­
status erlangt. Wenn ich dieses Dik­
tum höre, bewirkt es bei mir genau
das Gegenteil: Das Risiko ist wohl
weitaus höher – und gerade das
Unwahrscheinliche ist wohl das wahr­
scheinlichste Szenario.
Was missfällt Ihnen als Staatsbürger?
Die zunehmende Bevormundung
durch Behörden und den Staatsappa­
rat. Der Bürger sollte wieder vermehrt
Eigenverantwortung übernehmen.
Und er würde das wohl auch gerne
tun. Je stärker der Staat die Eigenver­
antwortung einschränkt, desto träger
werden die Bürger. Viel Kreativität
und Innovationskraft bleiben so auf
der Strecke.
Interview: Hanspeter Mettler

Eidgenössisches Departement des Innern EDI

Bundesamt für Sozialversicherungen BSV

Eidgenössisches Departement des Innern EDI

Bundesamt für Sozialversicherungen BSV

FACHSPEZIALISTIN / FACHSPEZIALIST IM
BEREICH AUFSICHT UND ORGANISATION
LEITERIN / LEITER DES BEREICHS AUFSICHT UND OR-
DES GESCHÄFTSFELDES AHV, BERUFLI-
GANISATION DES GESCHÄFTSFELDES AHV, BERUFLI-
CHE VORSORGE UND EL
CHE VORSORGE UND EL 80 - 100% / BERN
100% / BERN

«Wir sichern Zukunft»

«Wir sichern Zukunft» Als Mitglied eines interdisziplinären Teams tragen Sie zu Vollzug und Weiterent-
Als Leiterin oder Leiter eines interdisziplinären Teams tragen Sie entscheidend zu Vollzug und Weiter- wicklung der Aufsicht der 1. Säule bei.
entwicklung der Aufsicht der 1. Säule bei.

Ihre Aufgaben Ihre Kompetenzen

Ihre Aufgaben
• Bereichsleitung auf personeller, fachlicher und
organisatorischer Ebene
• Durchführung der Aufsicht über die Aus-
gleichskassen (AHV/IV/EO/EL)
• Verantwortlich für Weisungen zu Organisa-
tion, Buchführung und Rechnungslegung im
komplexen Umfeld der 1. Säule
• Mitarbeit an der Weiterentwicklung der Auf-
sicht der 1. Säule
• Umsetzung von Strategie und Ziele des Amtes
und des Geschäftsfeldes auf Bereichsebene
Ihre Kompetenzen • Aufsicht über die Durchführungs- • Kaufmännische Grundausbildung
• Wirtschaftsprüfer/in oder Hochschulabschluss stellen der 1. Säule mit Fachhochschul- oder Hoch-
(vorzugsweise Wirtschaft oder Recht), Erfah- • Bewilligungen und Zulassungen schulabschluss (mit Vorteil in Wirt-
rungen in Aufsicht • Mitwirkung an der Erarbeitung von schaft) oder Treuhänder/in mit
• Durchsetzungsfähigkeit, Organisationsgeschick Weisungen Fachausweis, gute Kenntnisse der
• Vernetztes und analytisches Denken, Kommu- • Mitarbeit bei der Weiterentwicklung Schweizer Sozialversicherungen
nikationsgeschick, offen und lösungsorientiert der Aufsicht über die 1. Säule • initiativ, offen, belastbar, selbstän-
• Langjährige Erfahrung mit interdisziplinären • Mitarbeit in Projekten dige Arbeitsweise, lösungsorientiert
Aufgaben und in der Personalführung • fundierte Kenntnisse in Buchfüh-
• Gute aktive Kenntnisse zweier Amtssprachen rung/Rechnungswesen
und passive Kenntnisse der dritten Amtsspra- • gute redaktionelle Fähigkeiten
che • gute aktive Kenntnisse zweier
Amtssprachen

Das BSV sorgt dafür, dass das Netz der sozialen Sicherheit einwandfrei funktioniert und neuen Heraus-
forderungen gewachsen ist. Zudem ist das BSV das Kompetenzzentrum des Bundes für Familien-, Kin- Das BSV sorgt dafür, dass das Netz der sozialen Sicherheit einwandfrei funktio-
der und Jugendfragen, Generationenbeziehungen und für Sozialpolitik. niert und neuen Herausforderungen gewachsen ist. Zudem ist das BSV das
Kompetenzzentrum des Bundes für Familien-, Kinder und Jugendfragen, Gene-
rationenbeziehungen und für Sozialpolitik.
Die Bundesverwaltung achtet die unterschiedlichen Biografien ihrer Mitarbeitenden und schätzt deren
Vielfalt. Gleichbehandlung geniesst höchste Priorität.
Die Bundesverwaltung achtet die unterschiedlichen Biografien ihrer Mitarbei-
tenden und schätzt deren Vielfalt. Gleichbehandlung geniesst höchste Priorität.
Onlinebewerbung unter www.stelle.admin.ch, Ref. Code 33183
Onlinebewerbung unter www.stelle.admin.ch, Ref. Code 33182
Weitere Auskünfte erteilt Ihnen gerne Frau Colette Nova, Leiterin des Geschäftsfeldes AHV, berufliche
Vorsorge und EL, Tel. +41 58 462 90 70.
Weitere Auskünfte erteilt Ihnen gerne Frau Beatrice Solida, Bereichsleiterin a.i.,
Tel. +41 58 462 90 80.
Weitere interessante Stellenangebote der Bundesverwaltung finden Sie unter www.stelle.admin.ch

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 NZZ am Sonntag 18. März 2018 4

Arbeitswelt

Die Digitalisierung lässt Senioren alt aussehen

Wenn ältere Semester Digital Natives
bei der Internetnutzung über die Schul-
ter schauen, gesellt sich zum Staunen
über deren spielerischen Umgang oft
auch Resignation. Denn von den über
70-Jährigen bleiben viele auf der Strecke
und getrauen sich gar nicht erst, das Inter-
net zu nutzen oder online einzukaufen.
Twittern, Chatten, E-Mails versenden,
drauflossurfen und online posten – das
scheint eine für Junge und Junggebliebene
reservierte Domäne zu sein. Doch trotz-
dem sind bis heute jene Angebote er-
staunlich rar, die dem älteren Teil der Be-
völkerung entsprechendes Know-how
vermitteln und diffuse Ängste vor der
Digitalisierung abbauen. Diese technolo-
gisch bedingte Abkopplung ist angesichts
der demografischen Entwicklung be-
denklich und verschärft sich sukzessive.
Berührungsängste
Auch die Politik ist gefordert, um dem
riskanten Trend Einhalt zu gebieten.
«Vor dem Hintergrund unserer rapide
alternden Gesellschaft wäre es mehr als
fahrlässig, auf diesem Gebiet weiterhin
so wenig zu tun wie bisher», meint der In-
formatik-Professor Herbert Kubicek
vom Institut für Informationsmanage-
ment Bremen (Ifib), einem der Univer-
sität Bremen angeschlossenen For-
schungsinstitut. Zwar beziehen sich seine
Analyse und seine Schlussfolgerungen
auf Deutschland, aber sie treffen ge-
nauso auf die Schweiz zu.Während näm-
lich der Breitband-Ausbau und die Digi-
talisierung von Schule und Arbeit – nicht
zuletzt dank Konkurrenzdruck zahl-
reicher Anbieter – zügig vorankommen,
negiert der Markt erstaunlicherweise die
dritte Lebensphase nach Ausbildung und
Arbeitsleben weitgehend. Deshalb wer-
den die Bedürfnisse der Senioren weder
prominent thematisiert noch gefördert.
Es ist also nicht erstaunlich, dass viele
von ihnen immer noch offline sind. «Sie
haben Berührungsängste in Bezug auf
diese Technologien oder Sicherheits-
bedenken. Aber anders als Kinder, für
die Milliarden für Digitalisierungsoffen-
siven versprochen werden, erhalten sie
DANIEL STOLLE
kaum Unterstützung», bemerkt Kubicek.
Eine neue Studie, die Kubicek zusam-
men mit der 2002 gegründeten Stiftung
Digitale Chancen durchgeführt hat, be-
leuchtet die Alterslücke und belegt, dass
sich der Abstand zwischen den Nut-
zungsquoten der Jungen und Alten –
eben die erwähnte Alterslücke – seit
2001 nicht verringert hat. Der Wider-
stand der «analogen» Generationen
gegen die Digitalisierung scheint tief zu
wurzeln, wie ein Versuch während der
Studie belegt. In dem Projekt konnten
nämlich 400 ältere Menschen bei Alters-
stubeten und in Begegnungsstätten für
acht Wochen einen Tablet-PC ausleihen
sowie ein Begleitangebot nutzen. Paral-
lel dazu wurden sie zu Beginn nach ihren
Erwartungen sowie am Ende der Aus-
leihzeit zur effektiven Nutzung befragt.
Doch das Resultat war ernüchternd,
denn obwohl viele Seniorinnen und
Senioren – zu Recht – davon ausgingen,
dass ihnen die Tablet-Nutzung Wege er-
spare und sie länger selbständig agieren
könnten, hat tatsächlich nur jeder Vierte
online eingekauft oder andere Trans-
aktionen vorgenommen.
Selbstzweifel bei Senioren
Gerade schwierigere Anwendungen wer-
den mit zunehmendem Alter seltener
ausgeführt. Dabei würden ausgerechnet
diese das Leben erleichtern und wären
bei abnehmender Mobilität wichtig.
Kubicek fragt denn auch nach dem Nut-
zen, «wenn wir auf dem Gebiet von Tele-
medizin und E-Health phantastische
Software und Assistenzsysteme ent-
wickeln – und kein älterer Mensch ist
dann in der Lage, sie zu bedienen und zu
nutzen». Was kann er sich beispielsweise
unter einer Plattform für digitale Dienst-
leistungen (Digital Services Platform,
DSP) vorstellen, mit der soeben einige
Fluggesellschaften ein verbessertes
Reiseerlebnis versprechen, während sie
die DSP-Technologie in höchsten Tönen
als «umfassende Optimierung der digita-
len und mobilen Dienstleistungen für
Kunden» preisen, die im entsprechenden
Netzwerk unterwegs sind? Gedankliche
Modellierung, Prototypisierung und die
Entwicklung von DSP-Funktionen aus
Kundenperspektive seien für die Er-
arbeitung von DSP-Leistungen «von kri-
tischer Bedeutung».
Der Prozentsatz der «analogen» Zeit-
genossen, die die Möglichkeiten der
Digitalisierung nicht oder nur marginal
nutzen, dürfte hoch sein. Einerseits han-
delt es sich um «Offliner», andererseits
um «gelegentliche Minimalnutzer». Da-
bei leiden Ältere unter einem doppelten
Vertrauensproblem. Gehen junge Leute
unbekümmert nach dem Prinzip «trial
and error» vor, zweifeln Senioren an
ihrer Fähigkeit, auftretende Probleme
bei der Internetnutzung lösen zu können.
Also verzichten sie von vornherein dar-
auf. Auch den Tablet-Abendkursen
räumt das Forscher-Duo wenig Nutzen
ein. Denn die Ängste beträfen vor allem
die technische Bedienung, also Registrie-
rung, sichere Passwörter und so weiter.
Anstelle von Kursen in gemischten
Gruppen solle man besser Coachings in
kleinen, homogenen Teams sowie indivi-
duelle Hilfe anbieten.
Ob der Staat private Angebote zur
Internetnutzung durch Senioren unter-
stützen soll, interessiert die wachsende
Zahl jener, die sich in der neuen Medien-
welt nicht zurechtfinden und zu Opfern
der digitalen Spaltung werden. Deckt
der Markt deren Bedürfnisse nicht
durch eine breite Palette zielgruppen-
spezifischer Konzepte ab, fühlen sie sich
verständlicherweise vernachlässigt. In-
folgedessen dürfte der Ruf nach einer
altersgerechten Förderung entsprechen-
der Kompetenzen – das Schlagwort lau-
tet «digitale Inklusion» – noch lauter
werden.
Werner Knecht

Stellengesuche

Erfolgreicher Berater-Trainer-Coach sucht Entlastung auf Abruf

altershalber eine(n) Nachfolger(In) zur Ge-
schäftsübergabe, Know-How Transfer, Nutzung
umfangreichen Tools sowie zur Übergabe von
Die Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW umfasst neun Hochschulen mit rund
wertvollen Kundenkontakten. Das Schwerge-
12’000 Studierenden. Im Institut Kindergarten-/Unterstufe der Pädagogischen Hoch- wicht der Aktivitäten liegt in Führung, Verkauf,
schule mit über 3’000 Studierenden sowie über 30’000 Weiterbildungsteilnehmenden Kundenorientierung und im Kompetenzma-
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fhnw.ch/ph Herausgeberin: Neue Zürcher Zeitung AG
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