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Wirtschaft

SPI EGEL-STREITGESPRÄCH

„Die Wahrheit muss auf den Tisch“


Bahn-Chef Rüdiger Grube, 59, und der grüne Verkehrsexperte Winfried Hermann, 58, über wütende
Schwaben, Eieruhren und den Streit um das Großprojekt „Stuttgart 21“

SPIEGEL: Herr Grube, Herr Hermann, noch Grube: Dann passiert in Stuttgart gar rechnen. Ein kostengünstiger Trassen-
nie hat ein Bahnprojekt so heftige Proteste nichts. Das bedeutet ganz konkret: voll- vorschlag verliefe etwa durch das Ha-
ausgelöst wie „Stuttgart 21“, der milliarden- ständiger infrastruktureller Stillstand. fengelände. Wenn Ihre tollen Ingenieure
teure Umbau des Stuttgarter Hauptbahn- SPIEGEL: Kann sich das eine Wirtschafts- 60 Kilometer Tunnel durch die Alb boh-
hofs. Haben Sie eine Erklärung dafür? region wie Stuttgart leisten? ren können, dann werden sie ja wohl
Grube: Als ich 1996 nach Stuttgart kam, gab Hermann: Das sind doch Horrorszenarien noch eine Brücke über den Neckar schaf-
es eine riesige Debatte um die neue Messe, der Bahn. Es gibt sehr wohl intelligente fen.
angeblich kamen 32 000 Demonstranten Alternativen zu Stuttgart 21, die zudem SPIEGEL: Die Grünen, Herr Hermann, ge-
zum Spatenstich. Heute habe ich schon noch günstiger wären. hörten sieben Jahre lang der Bundes-
lange keinen mehr getroffen, der gegen SPIEGEL: Sie spielen auf den „K21“-Vor- regierung an. Warum hat Ihre Partei das
die Messe ist. Das Gleiche hat sich abge- schlag an, der eine Umgestaltung des Projekt damals nicht gestoppt?
spielt beim Bau des Fernsehturms, beim alten Kopfbahnhofs vorsieht. Hermann: Weil unser Koalitionspartner
Pragsatteltunnel und bei der Liederhalle. Hermann: Zum Beispiel. SPD das Projekt stets befürwortete. Wir
Offensichtlich steht man in konnten nur den Kompro-
Stuttgart großen Projekten, miss durchsetzen, dass
vor allem Infrastrukturpro- ganz am Ende, wenn alle
jekten, immer erst einmal Zahlen nach den Planfest-
kritisch gegenüber. Und stellungsverfahren auf dem
jetzt sind wir leider auch Tisch liegen, die Bahn ent-
noch zwischen die Fronten scheidet. Das wäre rational
der Wahlkampfstrategen ge- gewesen. Aber die Große
raten. Koalition hat diese Ent-
Hermann: Aber das wün- scheidung im Aufsichtsrat
schen wir uns doch immer: der Bahn sofort wieder ge-
dass es im Wahlkampf um kippt. Es stimmt, wir Grü-
konkrete Themen geht; nen hätten das Projekt gern
dass die Bürger sich enga- beerdigt, aber diese Macht
gieren. Und was die Dauer hatten wir als kleiner Ko-
des Protests anbelangt, da alitionspartner leider nicht.
werden Sie sich noch um- Heute sähe das anders aus.
gucken. Die Projekte, die Grube: Die Mehrheit des
Sie eben genannt haben, Bundestags hat diesem Pro-
hatten ganz andere Dimen- jekt aber doch 2008 zuge-
sionen. Die Demonstranten stimmt, 2009 wurden die
gegen Stuttgart 21 werden Verträge unterzeichnet. Ich
noch Monate durchhalten, bin Hanseat und ehrbarer
und das wird insgesamt Kaufmann, und ich habe ge-
dem Image der Bahn erheb- lernt: Ein Vertrag wird ge-
lich schaden. schlossen, damit er erfüllt
BAHN / DPA

SPIEGEL: Warum gönnen Sie „Stuttgart 21“-Entwurf wird. Ich werde meinen An-
Stuttgart keinen modernen teil an diesem Vertrag rea-
Hauptbahnhof? lisieren.
Hermann: Es geht bei diesem Streit doch Grube: K21 ist doch nur ein Phantom! Da Hermann: Aber auch hanseatische Kauf-
nicht allein um die Modernisierung eines wird ein komplett durchfinanziertes, plan- leute überprüfen doch die Grundlagen
Bahnhofs. Bei Stuttgart 21 werden Milliar- festgestelltes Projekt wie Stuttgart 21 mit eines Vertrags. Wenn sich herausstellt,
den vergraben, die man bundesweit viel einem Modell verglichen, das nicht ein- dass die Informationen bei der Unter-
sinnvoller in den Güterverkehr investieren mal konzeptionell existent ist. In all den zeichnung nicht vollständig waren, wird
sollte, da gibt es ganz andere Engpässe. Zu- Jahren wurde von Ihnen im Verkehrs- eben nachverhandelt. Die Zahlen und
dem ist das Projekt ökologisch extrem ris- ausschuss nie eine K21-Alternative einge- Gutachten zu den Kostensteigerungen bei
kant: Denken Sie nur mal an die Mineral- bracht. Warum kommen Sie damit erst Stuttgart 21, die uns heute bekannt sind,
wasserquellen unter der Stadt und die Tun- jetzt? lagen uns Abgeordneten damals einfach
nelbauarbeiten in der Schwäbischen Alb. Hermann: Wesentliche Abschnitte von nicht vor. Zugegeben: Es war im Rück-
Grube: Aber es gibt doch gar keine Alter- Stuttgart 21 und der Neubaustrecke sind blick naiv, Ihren schönen Zahlen zu
native. Die Verträge sind längst unter- eben noch nicht rechtskräftig planfest- glauben.
zeichnet und müssen jetzt erfüllt werden. gestellt. Die Bahn und die Landesre- SPIEGEL: Die Bahn spricht bei Stuttgart 21
SPIEGEL: Warum wäre es so schlimm, wenn gierung Baden-Württemberg wollten momentan von Baukosten von rund sie-
Stuttgart 21 gestoppt würde, Herr Grube? doch nie Alternativkonzepte seriös durch- ben Milliarden Euro, inklusive der Neu-
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tun, als seien das schlechtinformierte Psy-
chologen, die sich ins Eisenbahnwesen
verirrt haben, ist schäbig.
SPIEGEL: Herr Grube, wo liegt bei Ihnen
die Schmerzgrenze, ab der für Sie mit
der Neubaustrecke Schluss wäre? Wie teu-
er darf dieser Abschnitt maximal werden?
Grube: Für mich ist das Ziel, dass wir die
eben genannten 2,89 Milliarden einhalten.
Aber ob diese Summe auch in zehn Jah-
ren noch so stehen kann, kann doch heu-
te niemand seriös voraussagen. Auch
Herr Hermann weiß nicht, wie sich die
Stahlpreise entwickeln werden. Da eine
Garantie zu geben ist unseriös.
SPIEGEL: Wenn die CDU-geführte Landes-
regierung in Baden-Württemberg sich heu-
te von Stuttgart 21 verabschieden würde …
Grube: … würde sie vertragsbrüchig …
SPIEGEL: … und Sie, Herr Grube, wären
fein raus.
Grube: Dieses Szenario kann ich mir nicht
vorstellen. Auch wenn ich zugeben muss,
dass ich mir derzeit durchaus wünschen
würde, dass die politischen Verantwort-
lichen in Stuttgart bei ihren Landsleuten
noch einstimmiger und nachdrücklicher
für unser Projekt werben. Aber noch mal:
Ich habe einen Vertrag, und den muss ich
erfüllen, sonst wird man mich verklagen.
Ich kann dieses Projekt nicht mehr um-
kehren.
Hermann: Sie persönlich können das viel-
leicht nicht. Aber die Politik kann es, und
Sie könnten dazu durchaus Ihren Beitrag
leisten. Wenn nach der nächsten Land-
tagswahl die Karten neu gemischt werden,
glaube ich nicht daran, dass eine neue
Regierung zwei Milliarden Euro Landes-
mittel in so ein Wahnsinnsprojekt stecken
wird.
SPIEGEL: Wenn die Grünen nach der Wahl
in Baden-Württemberg mitregieren, wür-
Rüdiger Grube Winfried Hermann de Stuttgart 21 sofort gestoppt?
ist seit Mai 2009 Vorstandsvorsitzender der sitzt dem Verkehrsausschuss des Deut- Hermann: Ja, mit neuer Mehrheit. Wir wol-
Deutschen Bahn AG. Zuvor war der Ingenieur schen Bundestags vor. Der Grünen- len eine preisgünstigere Modernisierung
beim schwäbischen Autobauer Daimler für Abgeordnete kämpft seit Jahren gegen das des bestehenden Kopfbahnhofs.
MAURICE WEISS / DER SPIEGEL

die Konzernentwicklung zuständig. Der Bahnprojekt Stuttgart 21. Von 1992 bis 1997 Grube: Und die wird dann wann fertig?
gebürtige Hamburger Grube lebt seit 1996 war Hermann Vorsitzender der Grünen in 2030?
in der Nähe von Stuttgart. Baden-Württemberg. Hermann: Das wird sicherlich lange dau-
ern. Aber an Ihrem Mammutprojekt wird
garantiert noch sehr viel länger gebaggert
werden.
SPIEGEL: Auch der Ausstieg aus diesem Pro-
baustrecke Wendlingen–Ulm. Die Grü- mit der Berechnung eines Planungsbüros jekt wäre mit hohen Kosten verbunden.
nen haben vor zwei Wochen ein Gut- daher, das unter anderem aus einem Di- Hermann: Absolut. Wir gehen davon aus,
achten vorgelegt, das die Kosten auf plompsychologen besteht, und sagen, al- dass es zwischen 400 und 500 Millionen
etwa zehn Milliarden taxiert. Wie viel lein diese Strecke würde 5,3 Milliarden Euro sein werden. Das sind für Schwaben
wird das Ganze am Ende nun wirklich kosten. Entschuldigen Sie, aber das kann keine Peanuts. Aber besser ein Ende mit
kosten? man doch nicht ernsthaft miteinander ver- Schrecken, als immer noch weitere Mil-
Grube: Wir sollten hier erst einmal über gleichen. liarden hinterherzuschieben.
die Seriosität der angesprochenen Zahlen Hermann: Im dem angesprochenen Gut- Grube: Das ist völlig unrealistisch. Wir
reden. Bei der Berechnung der Kosten der achten von Vieregg-Rößler wird die Stre- rechnen mit 1,4 Milliarden – darin sind
Neubaustrecke Wendlingen–Ulm etwa cke kilometerscharf nachgerechnet. Wir unter anderem die Ausgaben für bereits
haben auf unserer Seite 31 internationale haben diese Gutachter beauftragt, weil begonnene Bauaufträge enthalten, die
Ingenieurbüros mitgewirkt. Weltweite sie auch schon für die Deutsche Bahn ge- Rückabwicklung der Grundstücksverkäu-
Spezialisten für Geologie, für Geotechnik, arbeitet haben und unter anderem Groß- fe inklusive Verzinsung, Vorplanungskos-
für Tunnelbau. Sie kamen auf 2,89 Mil- projekte wie die Transrapid-Strecke in ten. Aber darüber hinaus müssten wir
liarden Euro. Jetzt kommen die Grünen München begutachtet haben. Jetzt so zu noch einmal 1,8 Milliarden finanzieren,
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Wirtschaft

da wir hier von einem Gleisvorfeld spre-


chen, in das seit 15 Jahren nicht investiert
wurde, dazu Abstell- und Behandlungs-
anlagen, die dringend saniert werden
müssen.
SPIEGEL: Gibt es eine einzige Zahl zu Stutt-
gart 21, auf die Sie sich beide einigen kön-
nen?
Grube: Ich halte gern meine Hand hin und
sage das im Namen aller Projektpartner:
Lasst uns an einen Tisch setzen, lasst uns
gemeinsam die Experten anhören. Die
Wahrheit muss endlich auf den Tisch.
Hermann: Da nehme ich Sie gern beim
Wort. Ihre hohen Ausstiegskosten rech-
nen wir nach. Und bitte legen Sie dann
auch gleich die Wirtschaftlichkeitsrech-
nung der Bahn für dieses Projekt mit
dazu. Die hat Ihr Vorgänger nämlich stets
als Betriebsgeheimnis deklariert und nie
rausgerückt.
SPIEGEL: Ein erster Anlauf zu einem Run-
den Tisch ist bereits gescheitert.
Hermann: Ein Baustopp während solcher
Gespräche wäre momentan das Mindeste,
was die Bahn den Gegnern anbieten
müsste. Ich kann doch nicht offen über
ein Projekt diskutieren, während Grube
nebenbei weiter die Grube gräbt.

MAURICE WEISS / DER SPIEGEL

Hermann, Grube, SPIEGEL-Redakteure*


„Da nehme ich Sie beim Wort“

Grube: Der Unterschied zwischen uns ist,


dass durch Ihre Eieruhr nur Sand läuft;
Zeit bis zur Landtagswahl, bei der Sie
von diesem Streit noch profitieren wollen.
Sie denken doch nur an Ihr Wahlergebnis.
Bei mir läuft da Geld durch. Auch das
des Steuerzahlers. Da kann ich keine Ver-
zögerungen verantworten.
SPIEGEL: Herr Grube, einer Ihrer Vorgän-
ger als Bahn-Chef, Johannes Ludewig,
hatte bereits vor elf Jahren das Projekt
beerdigt. Warum kassieren Sie heute ei-
gentlich bereitwillig die Prügel für ein
Vorhaben, das sich längst abgewählte Lan-
despolitiker vor fast zwei Jahrzehnten zu-
sammengeträumt haben?
Grube: Zum dritten Mal: weil wir einen
Vertrag unterzeichnet haben. Und natür-
lich ist Stuttgart 21 auch ein politisch mo-
tiviertes Vorhaben. Am 22. Mai 1992 wur-
de ein Staatsvertrag zwischen Frankreich

* Andreas Wassermann und Simone Kaiser.

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und Deutschland geschlossen, der den
Ausbau des Schienenschnellnetzes vor-
sieht. Die Franzosen haben ihre Strecke
längst ausgebaut, wir müssen jetzt end-
lich nachlegen.
Hermann: Damals hat man geglaubt, dass
man mit Hochgeschwindigkeitsverbin-
dungen zwischen Großstädten der Luft-
fahrt richtig Konkurrenz machen kann.
Dort gibt es allerdings, trotz Milliarden-
subventionen, keine nennenswerten Zu-
wächse mehr.
Grube: Derzeit werden auch in Zürich,
Wien und Malmö veraltete Kopfbahnhöfe
umgebaut. In Stuttgart einen Durchgangs-
bahnhof zu bauen, halte ich also durchaus
nicht für eine Idee von gestern. Ein Kopf-
bahnhof bleibt immer ein enger Flaschen-
hals, und der ist auf einer Magistrale wie
Paris–Stuttgart–Wien–Bratislava nicht zu-
kunftstauglich.
Hermann: Diese Magistrale ist eine Planer-
fiktion. Durch die Tieferlegung des Bahn-
hofs wird der Engpass überhaupt erst ge-
schaffen, weil sich die Gleiszahl verrin-
gert. Wenn wir uns objektiv anschauen,
wo es im deutschen Schienennetz gravie-
rende Engpässe gibt, dann kommen wir
in Stuttgart gar nicht erst auf einen Be-
darf. Dieser Kopfbahnhof funktioniert,
das kann man jeden Tag beobachten, er
gehört zu den Stopps mit den geringsten
Verspätungszeiten.
SPIEGEL: Welche Kriterien sollten in Zu-
kunft für derartige Großprojekte gelten,
die so viele Milliarden binden?
Grube: Sie müssen verkehrswirtschaftlich
notwendig sein. Sie müssen ökologisch
sein. Und sie müssen natürlich finanzier-
bar sein.
Hermann: Danke! Nach diesen drei Krite-
rien wären Stuttgart 21 und die Neubau-
strecke tot.
Grube: Sie beschweren sich, dass Sie nicht
alle Zahlen kennen, aber dass es unwirt-
schaftlich wird, wissen Sie.
SPIEGEL: Wie könnte denn eine friedliche
Lösung des Streits um Stuttgart 21 aus-
sehen?
Grube: Proteste ersetzen keine Demokra-
tie. Wir müssen natürlich miteinander
reden, die Bürger aufklären. Aber wenn
Beschlüsse, die in Parlamenten, Gemein-
deräten, im Bundestag gefasst werden,
nicht mehr zählen, sondern alle Entschei-
dungen durch Volksentscheide rückgän-
gig gemacht werden können, dann wer-
den Sie in Deutschland keine Investoren
mehr finden. Denn die brauchen Pla-
nungssicherheit, alles andere wäre fatal.
Hermann: Ich glaube, es gibt in Wirklich-
keit nur einen Ausweg aus dieser aktuel-
len Misere: eine sofortige Volksbefragung
oder einen Volksentscheid. Wenn das
nicht klappt, hilft nur ein entsprechendes
Wahlergebnis bei der Landtagswahl im
März 2011.
SPIEGEL: Herr Hermann, Herr Grube, wir
danken Ihnen für dieses Gespräch.
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