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Im Gespräch: Friedemann Schulz von Thun

DER STIMMENENTWIRRER
Wie kaum ein anderer hat der Hamburger Psychologe die Grundlagen unserer Kommunikation analysiert. Er
selbst nennt sich einen »Kontaktmuffel«.

Wieso reden wir so oft aneinander vorbei? Authentizität ist aber auch ein Ideal. Und prob-
Wie kommt es zu Missverständnissen? Und lematisch dazu.
wie löst man die Situation wieder auf? Fra- Schulz von Thun: Genau. Plötzlich sollte man
gen, mit denen sich der Kommunikationsfor- sich benehmen wie in einer Selbsterfahrungs-
scher Schulz von Thun beschäftigt. Seine gruppe. Man kehrte sein Inneres nach außen,
Antwort: »genau hinhören - genau antworten ganz unabhängig davon, wen man wann vor
- und stets achtsam sein«. sich hatte. Mit der Zeit mussten wir lernen, dass
Vor zwanzig Jahren haben Sie das erste Buch auch Authentizität nicht alles ist.
über Kommunikation geschrieben. Warum? Und welches Ideal verfolgen Sie heute?
Friedemann Schulz von Thun: Damals herrschte Schulz von Thun: Mein Ideal ist die Stimmig-
Aufbruchsstimmung. Der Protest galt allem, keit. Stimmigkeit ist doppelt definiert, als Über-
was nach dem alten Obrigkeitsstaat roch: auto- einstimmung mit mir selbst. Und als Überein-
ritären Eltern, Professoren, Lehrern und Vorge- stimmung mit dem Charakter der Situation und
setzten. Das neue Ziel war Partnerschaftlichkeit. dem Anlass, der mich mit anderen zusammen-
Wir führten die ersten Kommunikationstrai- führt. Diese doppelte Übereinstimmung scheint
nings durch und fühlten uns als Pioniere einer mir der Weisheit vorletzter Schluss zu sein. Was
neuen Zeit. Es ging darum, die Demokratisie- der Weisheit letzter Schluss ist weiß ich nicht
rung der Politik und der Institutionen mit der
Demokratisierung des menschlichen Umgangs Gibt es den überhaupt?
zu verbinden. Schulz von Thun: Kürzlich habe ich eine Ge-
Sie waren Missionare schichte von einem alten Bauern gelesen. der
drei Söhne hatte. Als er im Sterben lag, rief er
Schulz von Thun: Ja. Wir glaubten zu wissen, sie zu sich ans Bett und verriet ihnen, dass im
wie gute Kommunikation aussieht und wie man Acker ein Schatz vergraben sei. Nach seinem
sie den Leuten beibringt. Aber wir waren auf Tod buddelten die Söhne nach dem Schatz und
dem Holzweg. fanden nichts. Im nächsten Frühjahr aber stand
Inwiefern? das Getreide in dreifacher Pracht, weil der Bo-
den so gut umgegraben war. - So ist das auch in
Schulz von Thun: Weil man mit dem wahrhaf-
der Kommunikation. Man sucht den Stein der
ten Menschen zu tun haben will, nicht mit ei-
Weisen und kann ihn nicht finden. Aber es ist
nem gerade modernen Führungsgehabe. Die
gut, danach zu buddeln.
Chefs, die unsere Kurse besucht hatten, be-
mühten sich zwar hinterher um einen schönen, Nun hat Ihr Buddeln ja ein ausgeklügeltes Kon-
partnerschaftlichen, wertschätzenden Stil. Aber zept befördert. Passen Diplomatie, Takt, Ach-
ihre Mitarbeiter hat das irritiert. Brüllte der Chef tung zur Stimmigkeit?
ein paar Tage später herum wie gewohnt, waren Schulz von Thun: Eine positive Kraft wie Au-
einige geradezu erleichtert So kamen wir darauf, thentizität gedeiht nur dann zur wirklichen Tu-
dass Authentizität viel wichtiger ist als irgend- gend, wenn sie mit einer Schwestertugend ge-
ein Idealverhalten. Kommunikation muss aus paart ist, zum Beispiel mit Takt. Pur wäre sie
dem Holz sein, aus dem der Mensch geschnitzt rüde, verletzend oder unnötig selbstentblößend.
ist.

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Umgekehrt verkommen Diplomatie. Takt und innere Ratsversammlung abhalten mit dem Ziel,
Taktik zur Fassade, wenn Authentizität fehlt. eine Reaktion zu erfinden, mit der alle drei le-
Gegensätze schließen einander nicht aus, sie er- ben können.
gänzen sich. Wie sieht Ihre Reaktion aus?
Wie kann man lernen. mit den Gegensätzen um- Schulz von Thun: Ich sage zu der Bäckerin. Das
zugehen? ist sehr nett. Aber bei dem einen Lolly sollte es
Schulz von Thun: Den meisten Menschen liegt wirklich bleiben. - Damit honoriere ich die gute
die eine Tugend mehr als die andere. Dann Absicht, verhindere ein größeres Drama und
könnten sie erlernen, was bisher fehlte. Wer oh- zeige zugleich die gelbe Karte. So könnte ein
nehin kein Blatt vor den Mund nimmt, hat in ei- Kompromiss aussehen, der meiner inneren Plu-
nem Kurs zum Thema Authentizität nichts zu ralität gerecht wird.
suchen. Ihm würde ein kleiner Grundkurs Dip- Eigentlich kommt die Vielstimmigkeit doch sel-
lomatie gut tun. Methodisch geht das so. Wir ten vor
stellen zwei Stühle hin. Der Kandidat setzt sich
auf einen und sagt klipp und klar, was in ihm ist Schulz von Thun: Nein, sie ist keine Ausnahme,
zum Beispiel an Verachtung und Zorn für einen sondern der seelische Regelfall. Aber wir sind
anderen Menschen. Danach wechselt er den davon nicht dauernd betroffen, weil die innere
Stuhl und versucht, all das in Worte zu fassen, Teamkonferenz bei Situationen, an die wir ge-
ohne die Würde des Gesprächspartners zu ver- wöhnt sind, bereits stattgefunden hat. Stellen
letzen. Er muss diese Sprache allerdings selbst Sie sich vor, jemand klingelt an der Tür und will
erfinden und erobern, sonst taugt sie nichts. etwas verkaufen. Beim ersten Mal fühlt man
sich vielleicht zugleich belästigt und voller
Aber wie kann man umgekehrt Authentizität er- Mitleid. Dann ist klare Kommunikation auf An-
langen? Wo es doch, wie Sie in Ihrem dritten hieb schwierig. Wenn das zur Standard-situation
Buch beschreiben, so schwierig ist, sich mit sich wird, hat man eine klare Linie und weiß, was zu
selbst auszukennen. Sie sprechen von einer Viel- sagen ist.
zahl von Stimmen. die das Ich bilden, und nen-
nen sie das "Innere Team". Wie kommt der Teamchef im Inneren Team da-
zu, die Führung zu übernehmen? Nach welchen
Schulz von Thun: Der Mensch ist mit sich selbst Kriterien entscheidet er?
nicht ein Herz und eine Seele. Es gibt viele in-
nere Wortmeldungen, die ihr Recht verlangen Schulz von Thun: Wichtig ist, seinen Teamchef
Diese innere Pluralität begegnet mir ganz all- überhaupt wahrzunehmen. Manchmal ist er sehr
täglich. Wenn ich mit meiner Tochter einkaufen schwach. Dann hat man sich nicht in der Hand,
gehe und die Bäckerin ihr einen Lolly schenkt, und die Teammitglieder gehen über Tische und
ist meine Reaktion keineswegs einheitlich. Ei- Bänke. Wer am lautesten brüllt, setzt sich durch.
nerseits erwähnt sich mein Vaterherz über die Die leiseren Stimmen machen einem vielleicht
nette Geste. Gleichzeitig bin ich entsetzt über hinterher die Hölle heiß. Das Oberhaupt hat die
die Verabreichung von Süßkram, wo das Kind Aufgabe. die einzelnen Stimmen liebevoll an-
doch sowieso schon zum Zahnarzt muss. Drit- zuhören. In einem zweiten Schritt muss es die
tens bin ich verärgert über die dreiste Verein- Weisheit, die in jedem der Mitglieder steckt,
nahmung von jungen Kunden. Fragt man sich integrieren. Manchmal geschieht das innerhalb
nach der authentischen Reaktion, hat man eini- von Zehntelsekunden.
ges zu tun. Teilen Sie den Prozess mit?
Diese vielen Wortmeldungen können Sie weder Schulz von Thun: Zuweilen ist das sinnvoll. In
der Verkäuferin noch dem Kind zumuten. der Regel nicht.
Schulz von Thun: Sicher nicht. Ich muss eine

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Weil der Gesprächspartner auf all die einzelnen Ich halte beide Ansätze für richtig. Aber der
Stimmen antworten müsste? Königsweg führt über die innere Wahrhaftig-
keit. Darüber, sich selbst wohlwollend zu entde-
Schulz von Thun: Das wäre sehr kompliziert.
cken. Und dabei auch die eigenen Schattensei-
Für den reibungslosen menschlichen Schnell-
ten anzunehmen.
verkehr taugt das nicht.
Das ist ein ethischer Ansatz.
Ohnehin klingt Ihr Konzept sehr intellektuell
und anspruchsvoll Man muss ins Ich hineinhor- Schulz von Thun: Und psychohygienisch
chen, Begriffe finden, abwägen können. Ist Ihr schlau. Weil die seelische Gesundheit damit
Training darum nur für eine bestimmte Klientel steht und fallt, mit sich selbst im Reinen zu sein.
geeignet? Mit Orientierung am Zweck hat das nichts zu
Schulz von Thun: Nein. Ein Minimum an tun.
Introspektion und Selbstwahrnehmungsfähigkeit Schulz von Thun: Der jeweilige Zweck verlangt
ist natürlich Voraussetzung. Aber darüber ver- auch sein Recht, aber Kommunikation verdirbt.
fügen auch so genannte einfache Leute. Ich be- wenn sie nur auf Optimierung der Wirkung aus
komme Anfragen aus allen Teilen der Gesell- ist. Im ersten Korintherbrief gibt es zum Thema
schaft. Seien es Verkäufer, Polizisten. Zahnärzte Kommunikation eine weise Stelle. Wenn ich mit
oder Bundeswehrsoldaten: Alle beschäftigen Menschen- und mit Engelszungen redete und
sich mit Kommunikation. Ich bemühe mich hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes
sehr, verständlich zu sein. Zu einem Vater, der Erz oder eine klingende Schelle. - Das muss
Probleme mit Seinem Sohn hat, sage ich ein- man heute natürlich anders formulieren. Ich ü-
fach: Sie haben zwei Seelen in Ihrer Brust. Die bersetze es so: Und wäre ich auch rhetorisch ge-
eine möchte auf den Tisch hauen und ihren Zorn schult und dialektisch trainiert, hätte aber kein
herausbrüllen. Die andere hat zugleich ganz viel Herz für mein Gegenüber, kein Gefühl für mich
Verständnis für den Schlingel. Das versteht der selbst und kein Gespür für die Situation, dann
Mann auf Anhieb ganz genau. wäre alle meine Kunst nur eine Optimierung
Ist es denn immer möglich, einen Kompromiss von Sprechblasen ohne eine Verbindung von
zu schließen? Mensch zu Mensch.
Schulz von Thun: Vielleicht nicht. Aber es lohnt Ist Kommunikation für Sie Leben?
sich. Auch für die eigene Entwicklung. Schulz von Thun: Das dürfen Sie einen Kon-
Wie hängen Persönlichkeitsentwicklung und die taktmuffel wie mich nicht fragen.
Entwicklung der Kommunikationsfähigkeit zu- Sie sind ein Kontaktmuffel?
sammen?
Schulz von Thun: Da gilt die alte Universitäts-
Schulz von Thun: Das sind zwei Seiten einer regel: Sage mir, worüber du schreibst. und ich
Medaille. Wenn eine Frau lernen will, nein zu sage dir, womit du dich im Leben schwer tust.
sagen, kann sie dies auf zwei Weisen tun. Die Kommunikation ist für mich nicht alles. Es sei
eine beginnt bei der Kommunikation, sozusagen denn, man fasst den Begriff sehr weit, nimmt
gesprächsstrategisch. Die Frau. könnte lernen, das Selbstgespräch mit hinein und andere Le-
ihre Ablehnung mit einem Gegenangebot zu bensäußerungen. Dann würde ich sagen, die drei
verbinden oder die Zustimmung mit einer Bitte. wichtigsten Dinge im Leben sind: Geburt. Kom-
Der andere Ansatz fragt nach den Gründen. Es munikation und Tod.
gilt das Motto: Willst du ein guter Partner sein,
dann schau erst in dich selbst hinein! Vielleicht
fehlt der Frau nicht eine Kommunikationstaktik,
sondern die innere Fähigkeit, sich selbst wichtig
zu nehmen und dem anderen etwas zuzumuten. Die Fragen stellte Monika Goetsch

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