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„Zu wenig Streit, zu viele Parteien“


Von Jens Wiegmann | Stand: 11:52 Uhr | Lesedauer: 4 Minuten

Ian Shapiro, Professor der Politikwissenschaft an der Universität Yale, in Berlin

Warum ist die Demokratie in der Krise? Weil die Parteien zu oft Kompromisse
eingingen, sagt US-Politologe Ian Shapiro. Die Lösung: zwei Parteien,
knallharter Streit – und freie Hand für den Sieger. ihnen vorwerfen, den
Willen des Volkes nicht mehr umzusetzen, sie als
„Establishment“ verunglimpfen – und für mehr
Basisdemokratie werben. Ian Shapiro, Politikprofessor an der
amerikanischen Eliteuniversität Yale, sieht ebenfalls eine Gefahr für
die Demokrati

Er hat aber eine eigene Lösung: Die klassische liberale Demokratie mit
Parteien und Repräsentation sei das beste System. Volksentscheide
seien nicht die Lösung. Das Problem sei, dass in Demokratien nicht
hart genug gestritten werde.

Nötig sei knallharter Streit zwischen zwei klar unterscheidbaren


Parteien. „Am besten wären zwei starke, zentralisierte Parteien. Oft
gibt es zu viele.“ Am Ende sollte es einen Sieger geben statt
einer Einigung, in der sich alle wiederfinden.

Der Versuch, möglichst viele verschiedene Meinungen an möglichst


vielen Punkten des Entscheidungsprozesses zuzulassen, habe zur
heutigen oft unbefriedigenden Situation geführt, so seine
Diagnose. „Der Ansatz: ‚Wir nehmen uns alle an die Hand und
lösen das Problem gemeinsam‘, ist verlockend“, sagt Shapiro. Aber
er bringe oft nicht die besten Ergebnisse.

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Idealerweise präsentierten diese Parteien ihre Programme und Ideen,


führten hitzige öffentliche Debatten vor den Wählern. Am Ende müsse
es einen Wahlsieger geben, der dann auch seine Ideen umsetze, ohne
stark von seinem Programm abzuweichen. Deshalb ist der 61-Jährige
ein Verfechter des Mehrheitswahlrechts – es gewinnt der, der die
meisten Stimmen hat.

Durch das Verhältniswahlrecht, also der Sitzverteilung nach Prozent


der Stimmen, fühlten sich die Wähler möglicherweise besser
repräsentiert als in einem Zwei-Parteien-System. „Aber das ist eine
Illusion.“ Und ein heute gängiges Missverständnis von Demokratie.
Denn eine Vielfalt von Meinungen abzubilden sei nicht das Ziel eines
politischen Systems: „Entscheidend sind die politischen Lösungen, die
Regierungen tatsächlich umsetzen.“

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Koalitionen zweier oder mehrerer Parteien seien unter diesem


Gesichtspunkt problematisch. Sie realisierten zumeist nur das, was
gerade funktioniert und auf was sich alle Beteiligten einigen können.
Ein öffentlicher, substanzieller Wettstreit ist nicht vorgesehen. „So gibt
es aber keine Weiterentwicklung von politischen Ideen und Lösungen“,
kritisiert Shapiro, der als Gast der American Academy in Berlin war.
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Nun könnte man vermuten, dass für Shapiro das deutsche


Mehrparteiensystem mit seinen Koalitionen ein Gräuel ist – die
Zweiparteienlandschaft der USA und Großbritanniens das Ideal. Aber
so einfach ist es nicht.

Die USA hätten zwar ein Mehrheitswahlrecht und hitzige


Auseinandersetzungen, seien aber ein abschreckendes Beispiel, sagt
Shapiro. Das liege einmal an den Wahlkreisen: Die würden oft bewusst
so zugeschnitten, dass sie sichere Beute für eine der beiden Parteien
seien. Das führe dazu, dass es in den einzelnen Wahlkreisen keine
echte, harte Debatte gebe.

Ein zweites Problem sei das System der Vorwahlen, in denen die
Parteien ihren Kandidaten ermitteln. „Die Vorwahlen dezentralisieren
die Kandidatensuche, schwächen so die Parteien und damit die
Demokratie.“

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Die Vorwahlen demonstrierten das generelle Problem falsch


verstandener Demokratisierung: „Studien zeigen, dass diejenigen, die
sich verstärkt in Vorwahlen, Abstimmungen oder Referenden
einbringen, meist extremere Sichtweisen haben.“ Es findet also kein
gesunder Streit statt, sondern Dominanz durch eine aggressive
Gruppe.

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Das zeige das Beispiel Donald Trump: Die Republikanische Partei verlor
durch die Vorwahlen die Kontrolle über die Kandidatenaufstellung. So
konnte ein Nichtparteimitglied mit nur minimaler Zustimmung
antreten. Auch die Tea-Party-Bewegung sei ein Beispiel. Hier habe eine
kleine radikale Gruppe durch die Vorwahlen unverhältnismäßig großen
Einfluss im Parlament gewonnen, da gemäßigte Kandidaten schon
ganz früh abgeschreckt oder geschlagen werden.

Auch in Großbritannien mit seiner großen demokratischen Tradition


würden die gleichen Fehler gemacht wie in anderen westlichen
Demokratien: Die Briten hätten das eigentlich gut funktionierende
System geschwächt, zum Beispiel durch mehr Macht für das
Oberhaus, zu kleine und damit zu homogene Wahlkreise. Ganz zu
schweigen vom Brexit-Referendum. Bei einem Volksentscheid werde
der klare Streit aus den Parteien ausgelagert und ersetzt durch
extreme Sichtweisen und Stimmungen.

Deutschlands Demokratie funktioniere hingegen trotz der vielen


Parteien gut. In Deutschland gebe es große Wahlkreise: Diese
repräsentierten relativ gut die Bevölkerungsstruktur – weshalb es in
jedem Wahlkreis zu einem echten Streit der Ideen und Interessen
komme. Auch die starke Rolle der Parteien und des Parlamentarismus
sei gut.

Eine große Koalition sieht Shapiro als Zweckgemeinschaft – und


Ausnahme von der Regel. Tatsächlich eine Gefahr sei es aber, wenn
Parteien nicht mehr für klare Positionen stünden. Er sehe die Gefahr,
dass es für die SPD kein Happy End gebe, weil sie programmatisch für
viele Wähler nicht mehr klar verortbar sei. Und die Union sei zu sehr
nach links gerückt im Versuch, die von der SPD verlorenen Wähler
aufzusammeln.

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