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Journal: Die grossen Psychiater

Kultfigur, Guru und Verführer


Jacques Lacan – ein biografisches Porträt

Josef Amrein

Béla Grunberger, französischer Psychoanalytiker

ungarischer Abstammung, sah in Lacan eine

Mutterfigur: «Wir haben in Frankreich eine

Bewegung, die sich für psychoanalytisch (sogar

in ganz exklusiver Weise für freudianisch)

ausgibt und ihren unleugbaren Erfolg dem

unverständlichen Stil ihres Führers verdankt.

Ob es sich um Kunst, um Literatur oder um Jacques Lacan (1901–1981):


französischer Psychiater und
Psychoanalytiker
Psychoanalyse handelt, alles hat heutzutage Erfolg,

wenn es nur unverständlich ist, denn die Ur-Mutter, Lacan (1901–1981) gehört zweifellos
zu den originellsten und umstrittens-
der Sphinx gleich, wird wegen des Mysteriums verehrt, ten Koryphäen seines Fachs. Er war
für die einen Kultfigur, Guru, andere
das sie umgibt …; es zählt allein die Zugehörigkeit zu sprechen abschätzig von einem Dandy,
Verführer oder Scharlatan. Doch La-
dem Kreis, der sich um diese allmächtige Mutter bildet, can war unzweifelhaft mehr: ein
Denker im Spannungsfeld von Philo-
die ihre Kinder an ihrem ‹Mana› teilhaben lässt.» sophie, Sprachwissenschaft und Psy-
choanalyse.
Lacan positionierte sich komplett ge-
gensätzlich zur amerikanischen Rich-
Für die psychoanalytische Jugend im der jeder Hörer die Gewissheit haben tung der Psychoanalyse, der «Ich-Psy-
Frankreich der Fünfzigerjahre wurde konnte, dass der Redner sich allein chologie», der auch die Freud-Tochter
er zum Wortführer einer starken revo- an ihn wandte. Von 1953 bis 1963 war Anna angehörte, die ein autonomes
lutionären Hoffnung: «Für jeden von dieser Ort für alle, die dort verkehr- Ich vertrat, aber auch zum Existen-
uns war Lacan eine Gesellschaft, eine ten: Philosophen, Psychoanalytiker, zialismus Jean-Paul Sartres: Seiner
Aktiengesellschaft, an der wir jeder Schriftsteller, ein wahres Forschungs- Politik der menschlichen und philo-
einen Anteil besassen; umso mehr, als labor. Es herrschte die Atmosphäre ei- sophischen Freiheit setzte er die
zu Anfang der Siebzigerjahre ihr Kurs nes sokratischen Gastmahls», schreibt unbewusste Determinierung, letztlich
nicht aufhören wollte zu steigen», er- die Historikerin und Analytikerin Eli- nicht frei zu sein, entgegen. In der
innert sich ein Berufskollege, der bei sabeth Roudinesco. Zeit der 68er-Bewegung, als die Ab-
Lacan in der Lehranalyse war. Sein lösung der Geisteswissenschaftler
wöchentliches Seminar im Hörsaal Umstrittener Intellektueller durch die Technokraten vonstatten
des Krankenhauses Saint-Anne «war Wer war dieser französische Psych- ging und die sich heute im Trend der
der Ort einer kollektiven Katharsis, in iater und Psychoanalytiker? Jacques biologischen Psychiatrie fortsetzt, 45

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machte er auf «Widerstand» von innen: einem zweimonatigen Praktikum Begehrens») wie folgt auf den Punkt
Der «stummen» Medizin (Psychiater (1930) im Zürcher Burghölzli. Mit sei- bringt: «Überspitzt gesagt: Der Ort des
wissen alles über Neurotransmitter, ner Dissertation («thèse») «Von der andern ist gegenüber der eigenen Psy-
nicht aber mehr, wie man mit Patien- paranoischen Psychose in ihren Be- che keineswegs sekundär, sondern
ten spricht und ihnen zuhört) steht ziehungen zur Persönlichkeit» (1932), primär: Der eigene Vorrat an Gedan-
sein Paradigma, dass es sozusagen einer Falldarstellung von Verfolgungs- ken, Ideen, Vorstellungen muss an-
Krankheiten gibt, die «sprechen», ge- wahn, machte er erstmals auf sich dern entrissen werden.» Roudinesco
genüber. Lacan ist aktueller denn aufmerksam: Marguerite Anzieu, ge- ortet seine Faszination in der «Mi-
je, und seine Schriften, obwohl oft nannt «Aimée», die Patientin seiner schung zwischen einer extremen
schwierig zu verstehen, werden Falldarstellung, verletzte im Wahn Schnelligkeit im blitzartigen Erfassen
längst nicht mehr nur von Insidern eine bekannte Schauspielerin. Lacan von Sachverhalten und einer unend-
gelesen. lotete anhand ihrer an den Prinzen lichen Langsamkeit in seinen Körper-
von Wales gerichteten Gedichte haltungen.»
«Die eigenen Gedanken und Ideen Aimées Biografie aus. Die aggressive Kritiker wie Mikkel Borch-Jakobsen
müssen den anderen entrissen Hassliebe zur Schauspielerin sei nur («Lacan. Der absolute Herr und Meis-
werden» das letzte Glied in der Kette einer ter») monieren in seinen unzähligen
Lacan kam am 13. April 1901 als Sohn Reihe gleichartig organisierter Bezie- Anleihen einen Plagiarismus. Doch,
eines Handelsvertreters für Weinessig hungen und habe im frühkindlichen so muss man einwenden, der kreative
und einer streng katholischen Mutter Verhältnis zur Schwester ihren An- Akt, das Schreiben einer Geschichte,
als Ältester von vier Kindern in Paris fang genommen. Lacan brach mit der geschieht immer (auch) auf der An-
zur Welt. «Jacquot», so sein Rufname, damals herrschenden Auffassung der eignung fremden Wissens, das dann
besuchte das Pariser Collège Stanis- Organogenese zur Entstehung des umgestaltet und verarbeitet wird.
las, wo den Sprösslingen des katholi- Wahnsinns und betonte die Psycho- Lacan selbst litt zeitlebens unter der
schen Bürgertums eine klassische Bil- genese. Die «thèse» wurde von der Angst, plagiiert zu werden. Dies mag
dung vermittelt wurde. «Die Arroganz damaligen Psychiatrie frostig bis ab- mit ein Grund sein, dass sein Werk im
war der Hauptzug dieses Heranwach- lehnend aufgenommen. Freud, dem Unterschied zu Freud im Wesent-
senden, der niemals etwas für die er seine Arbeit zusandte, liess nichts lichen ein mündliches ist. Von den
Spiele der Kinderzeit übriggehabt Weiteres von sich hören als: «Danke insgesamt 26 Seminaren sind erst
hatte», schreibt Roudinesco. Die fran- für die Zusendung.» Umso grösser deren 10 veröffentlicht, und ein gros-
zösische Kinderanalytikerin Fran- war das Echo bei den Surrealisten. ser Teil ist auf Deutsch noch nicht
çoise Dolto bezeichnete Lacan als Lacan umgekehrt hatte sich von den erhältlich.
lebenslanges «narzisstisches und lau- Surrealisten schon länger anregen
nenhaftes Kind». lassen. Ausgangspunkt war Salvador Theorie des «Spiegelstadiums»
Bereits in jungen Jahren interessierte Dalí, für den die Paranoia wie eine Lacans Werk gilt als «Rückkehr zu
er sich für Literatur und traf sich mit Halluzination, das heisst wie eine Freud» (Samuel Weber). «Er las Freud,
Schriftstellern. Der Dadaismus und wahnhafte Deutung der Wirklichkeit wie ihn kein anderer zuvor gelesen
der Surrealismus faszinierten ihn funktionierte. Die dalísche Position hatte», resümiert Widmer. Freud wie
ebenso wie die Philosophie. Eine Lob- diente Lacan als theoretische Grund- Lacan gemeinsam ist eine nichtuni-
rede auf Nietzsche – Lacan soll in ei- lage seiner klinischen Erfahrung der versitäre Karriere. Lacan tat alles, um
ner schweren melancholischen Krise Paranoia. in die elitären Kreise der SPP, später
gesteckt haben – führte zum intellek- Die Vorgehensweise ist typisch: Lacan der IPA, der Psychoanalytischen Verei-
tuellen Bruch mit dem katholischen liess sich inspirieren von Philosophen nigung von Paris beziehungsweise der
Elternhaus. Seine Geschwister wähl- wie Hegel, Nietzsche, Heidegger, Welt, aufgenommen zu werden. Nur
ten einen andern Weg, um dem Platon, vom Linguisten de Saussure widerwillig liess er sich bei einem der
«Klima erstickender Religiosität und oder dem Ethnologen Lévi-Strauss, «besten Lehranalytiker Frankreichs»
ständiger häuslicher Konflikte» (Rou- vom Wissenschaftshistoriker Alex- (Rudolph Loewenstein) analysieren,
dinesco) zu entfliehen: Die Schwester andre Koyré, er traf sich mit den Sur- sodass «seine Situation nicht dieselbe
heiratete einen Geschäftsmann und realisten Breton, Leiris und Bataille, war wie die Freuds» und er sagen
zog nach Indochina, sein Bruder Malern wie Picasso und Balthus. Die konnte, er sei analysiert worden,
wurde Mönch. daraus entstandenen Ideen und An- schreibt Roudinesco.
Lacan wurde Psychiater, später Psy- leihen baute er in sein Denkgebäude Die Unterteilung der Psyche in das
choanalytiker. Zwischen 1927 und ein, bis etwas Neues entstand. Es Bewusste, das Unbewusste oder in
1931 studierte er am Krankenhaus scheint, als hätte er seine Lehre selbst Ich, Es, Über-Ich (Freud) mutiert bei
Sainte-Anne in Paris die Geistes- und praktiziert, die der Zürcher Lacania- Lacan zur Topik des «Imaginären»,
46 Hirnkrankheiten, unterbrochen von ner Peter Widmer («Subversion des des «Symbolischen» und des «Realen».

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Das Imaginäre erläuterte er in der lischen Vaters («Name-des-Vaters»): die Todeserfahrung, das Reale, ein
Theorie des «Spiegelstadiums». 13 Jahre Da der Vater das Kind durch seinen Stück näher bringen.
nach der ersten Fassung hielt er da- Namen benenne, trete er ihm gegen- Lacan litt in den letzten Jahren seines
rüber 1949 in Zürich einen Vortrag: über als der auf, der ihm die Mutter Lebens an Schwerhörigkeit, einer
Das Kind, das im Alter zwischen 6 und wegnehme, ihm den Übergang von Herzgefässerkrankung und einem bös-
18 Monaten erstmals in den Spiegel der Natur zur Kultur ermögliche. La- artigen Darmleiden. Eine Operation
blickt, reagiere, im Gegensatz etwa zu can, der aus erster Ehe drei und aus hatte eine Bauchfellentzündung, Blut-
Schimpansen, mit jubelnder Freude. zweiter Ehe ein Kind hatte, litt darun- vergiftung und unheimliche Schmer-
Was ist passiert? Das durch die «Vor- ter, dass er letzterem, das er abgöttisch zen zur Folge. Wie bei Freud traf der
zeitigkeit» der Geburt sich in Hilflo- liebte, nicht seinen eigenen Namen ge- Arzt die Entscheidung, die für einen
sigkeit und Abhängigkeit befindende ben konnte. Bei der Geburt von Judith sanften Tod erforderliche Droge zu
Kind sehe sich als ganzes Wesen ver- war Lacans zweite Frau Sylvia noch verabreichen. Im letzten Augenblick
gegenwärtigt. Doch der Blick des mit dem Surrealisten Georges Bataille, warf er dem Arzt einen vernichtenden
Andern, der Mutter, oder das eigene einem seiner Freunde, verheiratet. Die Blick zu. Er starb am 9. September
Spiegelbild, die Einheit vermittelten, Ironie des Schicksals wollte es, dass er 1981 und soll gesagt haben: «Ich bin
unterliege der Täuschung, einer illu- gleichzeitig mit der Anerkennung der hartnäckig … Ich sterbe.» ◆
sionären Verkennung: Das Imaginäre Vaterschaft seiner Tochter von der IPA
sei das, was wir uns einbildeten, eine (Internationale Psychoanalytische Ver- Literatur:
Fiktion. Rimbaud zitierend hielt er einigung) ausgeschlossen wurde. Borch-Jakobsen M., Lacan: Der absolute Herr
fest: «Ich ist ein Anderer.» Das Spie- und Meister. Fink-Verlag.
gelstadium ist nicht unbestritten. Der Vollkommenheit ist unmöglich Lang H.: Strukturale Psychoanalyse. Suhrkamp.
deutsche Philosoph Peter Sloterdijk Lacan schrieb weniger eine Entwick- Gondek H.-D., Hofmann R., Lohmann H.-M.:
(«Sphären I») spricht von einem «über- lungspsychologie als vielmehr über Jacques Lacan. Wege zu seinem Werk. Klett
höhten Sonderfall», der nur einen die zwiespältige Struktur des mensch- Cotta.
«pathologischen Grenzwert» bei «ver- lichen Begehrens – Freud sprach vom Pontalis J.-B.: Zusammenfassende Wiedergabe
elendeten Familienstrukturen und in Wunsch: die Ambivalenz zwischen der Seminare IV–VI Jacques Lacan. Turia + Kant.
Milieus mit Neigung zu chronischer dem Begehren nach Einssein und dem Roudinesco E.: Jacques Lacan. Berichte über
Säuglingsvernachlässigung» darstelle. nach Differenz, welche Widmer wie ein Leben, Geschichte eines Denksystems.
Er ortet eine «Fortsetzung des Katho- folgt zusammenfasst: «Die Liebenden Fischer.
lizismus mit scheinbar psychoanalyti- erfahren, dass die Andersheit des an- Weber S.: Jacques Lacans Ent-Stellung der
schen Mitteln», sozusagen ein Relikt dern, die zuvor die fehlende Harmo- Psychoanalyse. Passagen Verlag.
des (katholischen) mütterlichen Er- nie verursachte, doch notwendig ist. Widmer P.: Subversion des Begehrens. Eine
bes: Das Spiegelstadium sei «eine Pa- Denn die Bestätigung kann nur von Einführung in Jacques Lacans Werk. Turia + Kant.
rodie auf die gnostische Lehre von jemandem kommen, der nicht gleich Die Schriften Lacans auf Deutsch sind bei
der Befreiung durch Selbsterkenntnis; ist. Die Liebe kann, zumindest in die- Turia + Kant und Quadriga erschienen.
nach problematischem Vorbild wird ser Form, nicht vollkommen sein.» Es
hier die Erbsünde durch eine Erbtäu- bleibt der fahle Geschmack eines
schung ersetzt». Mangels, einer Leerstelle. Mit dem
Wer im Imaginären, im Narzissti- Konzept des «Realen», dem dritten
schen, einer «Spiegelfechterei» mit Begriff seiner Lehre, das diesseits der
sich selbst stecken bleibe, so Lacan, Sprache steht, versuchte Lacan, das
drohe wie Aimée, dem Wahnsinn zu Nicht-Existierende, das Nichts, das doch
verfallen. Das «Symbolische», die nicht nichts ist, zu denken und in
Sprache sei es, die hinausführe aus seinem Spätwerk in Modellen mathe-
der Welt der dualimaginären Identi- matischer Topologie («Matheme», «Bor-
fikation. Der «Ort der Sprache» situ- romäische Knoten») darzustellen. Dr. med. Josef Amrein
iere sich im Unbewussten, ein für In der psychoanalytischen Behand- Psychiater, Publizist
Lacan ebenso zentraler Begriff wie für lung sei es wichtig, das Imaginäre, Seidenweg 63
Freud. Hier könne das Ich nun als «je», das Symbolische und das Reale zu 3000 Bern 9
im Gegensatz zum imaginären «moi», beachten. In einer Trauerarbeit führe
als wahres Subjekt zum Tragen kom- die Analyse zur Erkenntnis, dass das
men. Das Unbewusste sei wie eine höchste Gut, die Vollkommenheit, un-
Sprache strukturiert, so Lacans zen- möglich sei. In seinen Kurzsitzungen,
trale These: «Es spricht.» Wichtig war wo er als Analytiker über das Therapie-
für Lacan die Funktion des symbo- ende befinde, könne er dem Patienten 47

Psychiatrie & Neurologie 1•2009

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