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Kultobjekt Sonne

Der Sommer ist mehr als eine Jahreszeit. Die Sonne mehr als die natürliche Quelle von Wärme und
Licht. Gemeinsam versprechen sie uns Freude und Sinnlichkeit. Wie gelingt ihnen, dies Versprechen zu
halten?

Für Sommergäste aus Wüstenzonen gibt es in Mitteleuropa kein schöneres Urlaubsvergnügen als
Starkregen. Wer am Äquator zuhause ist, hat vom Sommer weder Begriff noch Erfahrung, denn Sonne
und Hitze sind dort alltäglich. Ob man den Sommer mit Sonne verbindet, hat geographische
Voraussetzungen, aber nicht nur. Es bedarf kultureller Zuschreibungen, wenn aus dem Naturphänomen
Sommersonne eine kollektive Sehnsucht, eine ganzjährige Zukunftsperspektive und ein Tourismusmagnet
werden soll.

Sonnenkulte gab es lange, bevor Ende des 19. Jahrhunderts der „Urlaub“ als bezahlte Arbeitspause
erfunden wurde. Die Sumerer, Babylonier, Chinesen und Azteken erblickten in der Sonne ebenso ihren
Gott wie die antiken Griechen, Römer und Germanen. Als Objekt eines Kults begleitet die Sonne uns
Menschen seit Jahrtausenden rund um den Globus. Sie tut es bis heute, in modernisierter Form. Auch
wenn wir die Sonne nicht mehr für göttlich halten, sind wir Sonnenanbeter geblieben. Nicht im Tempel,
aber doch am Strand. Mitunter sogar im Solarium.

Der Sommer mag kosmologisch eine Jahreszeit sein, in unserem Alltagsleben ist er treffender als
Kulturphänomen charakterisiert. Es handelt sich um einen temporären Lifestyle, der sich in einer Vielzahl
von Praktiken, Produkten, Bildern und Zeichen manifestiert. Längst haben sich die Repräsentationen des
Sommerkults von ihrer ursprünglichen Zeitspanne gelöst und übers Jahr verstreut. Strandpostkarten
zieren Kühlschränke und Pinnwände. Sonnenbrillen finden zur Winterszeit als Haarreifen Verwendung.
Kabrios werden in Weltgegenden gekauft, die nur zehn Sonnentage pro Jahr verzeichnen. Sommer ist,
worauf die Zeichen des Sommers verweisen. Sie halten ihn präsent, wenn er am weitesten weg ist und wir
seiner am meisten bedürfen. Als Arbeitstrost, Seelenwärmer und Hoffnungsspender. Allemal gilt: der
nächste Urlaub kommt bestimmt!

Weil die Sommersonne im Norden ein knappes Gut ist, konsumieren wir so gerne Waren, die wir
bräuchten, wenn wir im Süden wären. Frieren uns im April in Flipflops die Zehen ab, als könnten wir mit
derlei Opferhandlungen den Sonnengott bestechen, sich unserer frierenden Seelen ein wenig früher als
sonst zu erbarmen. Vor den Cafés werden Tische auf die Straße gestellt, sobald nur der Schnee weg ist.
Sommer scheint – unter anderem - eine heldenhafte Haltung, mehr noch ein heiliges Prinzip zu sein, das
jeder Temperatur zu trotzen vermag. So, wie die Sonne Objekt eines Kults ist, inszeniert sich der Sommer
als nahezu ganzjähriges Theater.

Die Wintersonne kann Sehnsucht nach Skiurlaub wecken, der Sommersonne ist vorbehalten, ein
universales Versprechen von Sinnlichkeit, Körperlichkeit und Erotik in unsere Köpfe zu montieren. Dass sie
es Jahr für Jahr einlösen kann, dankt sie der Kleidung. Unabhängig von jeweiligen Moden reagiert diese
auf wechselnde Außentemperaturen mit mehr oder eben weniger Bedeckung der Haut. Die stärker
werdende Sonne entblößt unsere Körper, lässt uns auf unschuldige Weise einander Haut zeigen. Weil
Nacktheit als Chiffre des Sexuellen gilt, erhält die sommerliche Annäherung an diesen paradiesischen
Naturzustand eine erotische Konnotation. Wenn die Temperaturen steigen, fallen die Hüllen.
Schlüsselreize der Intimität werden öffentlich und ziehen interessierte Blicke auf die Körper. Das macht
den Sommer – auf metaphorischer Ebene – zur sexuellsten unter den Jahreszeiten, auch wenn der
Wunsch, sich die Kleider vom Leibe zu reißen, bloß der klimatischen Erhitzung entsprang.

Von der Funktion des Wärmens befreit, wird Kleidung im Sommer zur Dekoration oder, wie im Falle des
Tangaslips, zum bloßen Zeichen, auch im nackten Zustand als bekleidet und damit als nichtsexuell-sittlich
interpretiert werden zu wollen. In der warmen Jahreszeit erhöht sich die Anzahl der Reize, denen die Haut
ausgesetzt ist. Sie spürt Luftzug, Oberflächen, Sonnenwärme und Körperberührungen, weiß sich
hauthungrigen fremden Blicken ausgesetzt. Der dem Sommer zugeschriebene Begriff Sinnlichkeit
verbindet wie ein Scharnier seine beiden Bedeutungen Sinneswahrnehmung und Begehren zum
Summerfeeling, zum sonnigen Lebensgefühl.

In unserer Sommerkultur wird die Sonne interpretiert, als wäre sie sinnstiftend an die Haut adressiert und
als wäre auch umgekehrt die Haut an die Sonne adressiert. Die natürliche Reaktion der Haut, sich durch
Pigmentierung vor Sonnenstrahlen schützen zu wollen, deuten wir um in ein Zeichen der lustvollen
Öffnung zum Sonnenempfang. Bräune gilt als Dokument eines geglückten Rendezvous mit der
Sonnengöttin, bei dem es zu unmittelbarem Hautkontakt kam. Das relativ junge Wissen um die
destruktive Wirkung jedes Mini-Sonnenbrands hat zwar das Bräunungsverhalten deutlich gemäßigt. Die
Zuschreibung unserer höchsten Werte Natürlichkeit und Gesundheit ist der gebräunten Haut jedoch
erhalten geblieben. Der kulturelle Code ist stärker als die medizinische Einsicht. Wir brauchen die Bräune
als Zeichen, dass wir uns die Sommersonne angeeignet haben. Ihre Spur auf der Haut ist das beste
Souvenir aus dem Süden, der augenfälligste Beweis, dass wir uns Urlaub und Freizeit leisten und gönnen
konnten.

Kulturelle Bedeutungen wurzeln in Traditionen und wandeln sich langsamer als Praktiken. Das Paket
Sommer, Sonne, Süden wurde in den 1950er bis 1980er Jahren geschnürt und standardisiert. Es stand in
scharfem Kontrast zum Rest der Zeit. Arbeitsjahr und Jahresurlaub bildeten ein duales System, in dem der
norditalienische Strandurlaub als Sinn und Zweck aller Arbeit erscheinen konnte. Man packte die Koffer
aufs Dach des Volkswagens und zog über die Autobahn in den sonnigen Süden. Dort legte man sich drei
Wochen lang ruhig auf den Sandboden, als ob man die Nichtarbeit demonstrieren müsse. Zugleich
huldigte man einem Produktionsziel, dem Braunwerden. Ohne täglichen Sonnenschein und ein
entsprechendes Bräunungsergebnis wäre der Urlaub kein richtiger Urlaub gewesen.

Diese Ära ihrer höchsten Bedeutung ist für die Sommersonne schon lange vorbei. Das Thema Ozonloch
hat die Tiefenbräune in Misskredit gebracht und der Sonnenschutzindustrie einen Boom beschert. Wer
heute Sonnenhunger verspürt, braucht nicht mehr auf den Sommer zu warten, sondern bucht einen
Weitstreckenflug. Der klassische Sommerurlaub am Stück findet immer weniger Anhänger. Viele
Kurzurlaube, übers Jahr verstreut, haben ihn abgelöst. Seit Urlaubsbräune im Solarium simulierbar ist, hat
sie ihr Sozialprestige verloren. Reisen ist Alltag geworden, für viele auch Teil des Berufs. Fremde Länder
sind nicht mehr so fremd, seit Globalisierung die Unterschiede eingeebnet hat. Wir haben nicht nur
unsere Kultur exportiert, sondern auch Urlaubsszenarien aus aller Welt importiert. In urbanen Zentren
gibt es nun künstliche Strände mit Sandbeschüttung, Topfpalmen und Liegestühlen. Fremdländische
Küchen sind unsere Alltagskost.

Das ganze Jahr sehnen wir uns nach der Sonne des Sommers, kaum ist sie da, klagen wir, sie sei zu heiß.
Der reale Sommer stört sein kulturelles Konstrukt, seine Vision. Sommersonne genießt man am besten im
Schatten beim Betrachten von Yachten in einem Lifestylejournal.

Wolfgang Pauser Erschienen in: Falstaff Living Sommer 2017

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