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Lexikon der indogermanischen Partikeln: Problemstellung

Wortbildung und Flexion der indogermanischen Ur- und Tochtersprachen beruhen auf dem Zusam-
menspiel vier verschiedener Morphemklassen: Wurzeln, Suffixe, Endungen und Partikeln. Davon
sind die ersten drei immer Gegenstand systematischer Untersuchungen gewesen. Suffixe und En-
dungen bilden überblickbare, geschlossene Systeme, die Linguisten immer herausforderten, sie auf-
zuschlüsseln. Auch die an sich weniger systematischen Wurzeln wurden seit 1831 eifrig gesammelt.
Doch trifft das alles für die Partikeln nicht zu. Zu Unrecht galten sie allgemein als unüberblick-
bar, unergiebig, uninteressant. Nach dem von K. Brugmann 1911-6 vorgelegten und leider immer
noch unübertroffenen Überblick über die damals rekonstruierbare Ursprache, die zwangsläufig auch
die Partikeln mitbehandeln musste, wurde keine umfassende Darstellung mehr unternommen. Das
zeigt deutlich, dass ÙSchattendaseinı und Ùtraditionelle Vernachlässigungı der Partikeln nicht nur in
Philologien moderner Sprachen anzutreffen sind (H. Weydt, Partikel-Bibliographie (1987) 1f.), son-
dern auch in der Indogermanistik. Anstatt um ihrer selbst willen studiert zu werden, wurden die Parti-
keln erst dann beigezogen, wenn es galt, irgendwelche Reststücke zu beseitigen, die nach Abzug aller
morphologisch klaren Elemente noch übrig blieben; sonst gerieten sie als unangenehme Nebenpro-
dukte in Vergessenheit. Gelegentlich wurden die Partikeln einer Einzelsprache synchron aufgearbeitet,
aber auch dies geschah eher atomistisch als systematisch. Die Folge dieses Desinteresses ist, dass A.
Schleichers schon 1871 inadäquate Wortstrukturformel Wort = Wurzel (± Suffix) + Endung noch in
den neusten Handbüchern herumspukt. Diese aber ignoriert schlichtweg die seit Aristoteles als Klasse
doch anerkannten Partikeln, die wir hiermit kurz definieren:
Partikeln sind nicht-flektierende, nicht-satzgliedhafte Elemente, die die Bedeutung ihrer Bezugs-
elemente auf verschiedene Weisen modifizieren. Die Flexionslosigkeit unterscheidet sie von den No-
mina, Adjektiva, Pronomina und Verben; zu den Partikeln zählen also Präpositionen, Konjunktionen,
Adverbien, deiktische Elemente. Trotz ihrer Flektierbarkeit ist es sinnvoll, auch geschlechtige Prono-
minalstämme (inklusive ÙArtikelı) dazu zu ziehen. Zwischen Partikeln einerseits und Wurzeln, Suffi-
xen und Endungen andererseits besteht keine Austauschbarkeit, d.h. es besteht eine komplementäre
Verteilung und die Partikeln sind schon allein auf Grund ihrer Distribution von den anderen Mor-
phemklassen zu trennen. Schleichers Wortstrukturformel sollte demnach zu Wort = (Partikel +)
Wurzel (± Suffix) + Endung (+ Partikel) erweitert werden. Von den vier Morphemklassen können
aber nur die Partikeln allein als selbständige Wörter auftreten. Diese kombinatorische Freiheit erfor-
dert eine zusätzliche und grundverschiedene Wortstrukturformel, die rekursiv ist: Wort = (Partikel +)
Partikel (+ Partikel). Schliesslich weisen die Partikeln eine Art Vokalsuppletion auf, die bei keiner
anderen Morphemklasse anzutreffen ist.
Die an sich lange bekannte Tatsache, dass die Partikeln oft Einsicht in frühere Sprachzustände
liefern können, wurde bisher nicht genügend berücksichtigt; ihre grosse Rolle für die Wortstellung hat
die Forschung von ihrer Wichtigkeit für Wortbildung und Flexion abgelenkt. Ihre ausserparadigma-
tische Isolierung erlaubt es ihnen, verblasste, aber höchst bedeutungsvolle flexionelle Archaismen zu
bewahren, die im Paradigma ausgeglichen wurden. So setzt lat. vel Ùoderı die regelmässige 2. Sg. zu
volŒo Ùich willı fort, während das Paradigma an dieser Stelle eine Neuerung (v¥s) aufweist. Viele En-
dungen sind aus postponierten Partikeln entstanden oder durch solche erweitert worden. Die Partikeln
sind demnach von beträchtlicher Aussagekraft für die Geschichte des ganzen Sprachsystems und
bilden eine wertvolle Ergänzung zur üblichen Betrachtung der Paradigmen.
Als Morphemklasse gleicher Kohärenz und inhärenten Wertes wie die Wurzeln, Suffixe und
Endungen verdienen diese sprachlichen Verbinder, Wegweiser und Geschmacksverstärker eine ge-
nauso systematische Behandlung wie die anderen drei schon längst geniessen. Das Fehlen eines sol-
chen Nachschlagewerks äussert sich in widersprüchlichen Äusserungen von sonst gut informierten
Fachleuten zu den Eigenschaften der idg. Partikeln, sogar über Grundsätzliches, wie z.B. über die
Frage, ob sie mit Vokalen anlauten durften. Meist wird stillschweigend vorausgesetzt, dass das, was
für die Wurzeln gilt, auch für die Partikeln gelten müsse.
Eine formalisierte Darstellung der Varianten und Gebrauchsweisen aller rekonstruierbaren
indogermanischen Partikeln, mit Bemerkungen zu den wichtigsten dialektalen Entwicklungen, würde
das Verständnis dieser Morphemklasse und ihres Verhältnisses zu den anderen wesentlich verbessern
und könnte auch sonstige weitreichende Implikationen haben. Ziel des Projektes ist ein Buch, das
gleichwertig neben denen zu den Wurzeln, Tempusstämmen und Suffixen steht.

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