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Wilhelm Schapp

Beiträge zur Phänomenologie


derVVahrnehmung

Mit einem Vorwort zur Neuauflage


von
Carl Friedrich Graumann
Unveränderter Nachdruck der 1. Auflage, Halle/S. - Göttingen 1910.
Das Werk wurde 1909 bei Edmund Husserl als Inaugural-Dissertation eingereicht.

Inhalt.
Seite
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . .. . . 1
I. Abschnitt. Durch welche Mittel sich die Dingwelt darstellt.
Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . 10
Kap. I. Wie sich die Welt in Farbe darstellt . . . . • 15
Kap. II. Wie uns Töne eine Außenwelt vermitteln . . . 26
Kap. III. Wie der Tastsinn und die verwandten Sinne uns
eine Außenwelt v:ermitteln . . . . . . 32
Kap. IV. Das Verhältnis der Sinne zu einander 37
Kap. V. Fortsetzung . . . . . . . . . . 41
Kap. VI. Das Dargestellte: Der Raum 42
Kap. VII. Das Dargestellte : Die räumliche Dingwelt 46

16 II. Abschnitt. Die Darstellung der Dingwelt durch Farbe im


Einzelnen. Die Ordnung, die Farbe einhalten muß, um
Dinge darzustellen.
g{)g.J.j{S
Kap. I. Einführung in das Problem. Das Welfbild der
Alten verglichen mit seiner phänomenalen Grundlage.
. 53.?-t Unrichtigkeit dieses Weltbildes, gemessen an den
JCJ1h Phänomenen • . . . . . . . . . . . . . . 57
Kap. II. Die beobachtende Wahrnehmung und ihr Korrelat,
das Ding. Deutlichkeit der Wahrnehmung. Der Er-
kenptniswert der deutlichen Dingwahrnehmung . . . 65
Kap. m.· Wann stellt Farbe Dinge deutlich dar. Die Ord-
nung in der darstellenden Farbe: Die empfundene
Farbe, die gegenständliche durchstrichene Farbe, die
gegenständliche anhaftende Farbe. Farbenform. An-
haftenderFarbe als Eigenschaft des Dinges. Die Form
© 1976 by B. Heymann Verlag GmbH, Wiesbaden. als das Absolute . . . . . . . . . . . . . • 76
Alle Rechte, auch das der fotomechanischen
Wiedergabe (Fotokopie, Mikrokopie), vorbehalten. Kap. IV. Fortsetzung. Die· Abhängigkeit des Dargestellten
Umschlagentwurf: C. Gottschalk. von der Ordnung des Darstellenden, aufgezeigt an der
. Gesamtherstellung: Fuldaer Verlagsanstalt GmbH, Fulda_ Illusion 98
ISBN 3-88055-200-2 Kap. V. Fortsetzung . . . • . . . . . . . . . . 108

'·· , ..
VI
Seite '
Kap. VI. Zusammenfassung 114 Vorwort
Kap. VII. Das Ding selbst . 116
Kap. VIII. Problematisches . . . . . . . 125 "Nur was geschaut ist, gehört in die Phänomenologie." Kaum ein anderes
III. Abschnitt. Die Idee in der Wahrnehmung. Werk wird dieser Maxime so gerecht wie Wilhelm Schapps "Beiträge zur
Kap. I. Das Anschauen in der Wahrnehmung getrennt vo~ Phänomenologie der Wahmehmung" und verkörpert damit so klar die
Meinen in der Wahrnehmung. Idee und Gattung. Die Stärke und die Problematik phänomenologischer Methode. Diese Methode
Eindeutigkeit, Bestimmtheit des in der Idee Wahr- ist für Schapp zuerst einmal eine Geisteshaltung. Als Hingabe an die Sa-
genommenen . . . . . . . · · · · · _· 129 chen selbst, als ein sich in die Sachen Vertiefen, entspricht sie wohl voll-
Kap. 11. Die Stellung der Idee in der Wahrnehmung. Das kommen der von Husserl imperativ geforderten Wende zum Gegenstand.
Verstehen in der Wahrnehmung . . · · · · 143
Vor allem aber wird sie damit auch jene "zarte Empirie" Goethes, "die sich
Kap. III. Das sachliche Verhältnis zwischen Idee und Sinn-
mit dem Gegenstand innigst identisch macht und dadurch zur eigentlichen
lichkeit. Die Grenze. Wie wird die Grenze erfaßt,
149 Theorie wird" (Maximen und Reflexionen).
Grenze bei fläche, Körper . . . . · · ·
Kap. IV. Fortsetzung. Wesen der Grenze. Es. gibt kei~e Für die Philosophie, vor allem für die von Nietzsche verspottete "Uni-
Gattung dazu. Die Grenze ist nichts Psychisches. Die versitätsphilosophie", war diese Phänomenologie eine neue Art zu philo-
Grenze als Funktion der Idee. Die Kategorien · 154 sophieren, ja - wie Schapp es später, rückblickend auf den Göttinger
Kreis der "Urschüler" Husserls, nannte - "eine frohliehe Bewegung". *
War sie fröhlich, weil die ihr verpflichtete· Jugend ihr Denken nicht mehr im
ständig sichemden Rückgang auf Kant oder überhaupt auf philosophische
Autoritäten disziplinierte? Weil sie im Schauen allein letzte Befriedigung
fand? (S. 14) Schapps Phänomenologie der Wahrnehmung, immerhin eine
Göttinger Dissertation aus dem Jahre 1910 (1925 neugedruckt), ist tatsäch-
lich ohne den nicht nur für Doktorarbeiten traditionellen "wissenschaft-
lichen Apparat" geschrieben: Nur wenige Namen werden genannt: Goethe,
Plato, Kant, Regel, Husserl. Nicht auf Veröffentlichungen wird hier Bezug
genommen - nur auf das, was der Autor selbst beobachtend wahrgenom-
men hat, was "leibhaftig" vor ihm stand.
Nicht der über der Auseinandersetzung mit den großen metaphysischen
Systemen schwer und tief gewordene Philosoph ist imstande, eine Phäno-
menologie der Wahrnehmung zu schreiben. Sie muß- so Schapp - "mit
leichter Hand" yorgenommen werden, wie von einem Maler (S. 12). Schapp
wahrt sich diese Leichtigkeü, indem er, alleine dem später von Husserl so
benannten "Prinzip aller Prinzipien", dem Rechtsgrund der originären An-
schauung verpflichtet, sich seine Unabhängigkeit von allen sonstigen Auto-
ritäten bewahrt hat, gegebenenfalls auch von Husserl selbst, wie seine spä-
teren Arbeiten zeigen, vor allem "In Geschichten verstrickt" und seine "Phi-
losophie der Geschichten".

* Vorwort zur 2. Auflage des Werkes, Erlangen 1925.


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Leichtigkeit der Hand charakterisiert nicht gerade die Hauptwerke Hus-
serls und der späteren Phänomenologie, war dann wohl auch nicht mehr dem es um Erkenntnis zu tun ist" (S. 33), und dann wiederum zwischen
gefragt. Unentbehrlich war sie jedoch, als es noch darum ging, eine de- der Wahrnehmung von Dingen und von bloßen Phänomenen, dann nimmt
skriptive Phänomenologie an den Anfang des neuen Philosophierens zu er nicht nur phänomenologisch vorweg, was später und gröber als die Un-
stellen. Denn diese fundierende Leistung· der "Beschreibung dessen, was terscheidung von visueller Welt und visuellem Feld durch J. J. Gibsan in die
vor aller Theorie in unmittelbarer Leibhaftigkeit gegeben und zu finden Allgemeine Psychologie der Wahrnehmung eingeführt wurde. Er zeigt
ist" (S. 38}, hatte ja auch die Psychologie nicht erbracht. Insofern waren auch anhand der Unterscheidung von arbeitender und erkennender Inten-
deren Erkenntnisse über die menschliche Wahrnehmung, über Bewußt- tionalität, was heute als das Kriterium der Selektivität in die Phänomenolo-
sein überhaupt, nicht zu übernehmen. Vielmehr bedurfte die empirische gie und Psychologie des Wahrnehmenseingegangen ist.
Psychologie ihrerseits der phänomenologischen Fundierung als eines recht- Die letzte Frage, um derentwillen Schapps Unters~chung (wie die anderer
verstandenen fundamenturn in re. Galt die originäre Anschauung, die ph~nome~olo~ischer) unternommen wurde, bleibt eine im Kern philoso-
Selbstgegebenheit, als letzte Rechtfertigung wissenschaftlicher Aussagen, phische, .di~ Sich gleichwohl auch eine Psychologie der Erkenntnis vorgeben
was lag näher und war dringlicher, als vor allem anderen die sinnliche muß: Wie Ist Wahrnehmung von Wirklichkeit möglich? Die Antwort die
Wahrnehmung, Prototyp aller Anschauung, auch zum Gegenstand phäno- der Phänomenologe Schapp anzeigt, liegt in einer Philosophie der F~rm,
menologischer Analyse zu machen. der Ordnung von Darstellungsbeziehungen und weist voraus auf heutige
Schapp unterzog sich dieser Aufgabe, indem er die Wirklichkeit, so wie F:agestellungen. Damit, vor allem aber als ein solides Stück phänomenolo-
sie sich unseren Sinnen bietet und in den Grenzen, in denen wir sie wahr- gischer Forschun~, bleiben Wilhelm Schapps "Beiträge" aktuell.
nehmen, zur "Sache selbst" machte. Wir lernen so, mit dem Phänomenolo-
F. C. Graumann
gen Schapp beobachtend oder seine Beobachtungen nachvollziehend, wie
sich im zunächst Gegebenen, in den Farben, Tönen und den Daten des Tast-
sinns die Eigenschaften der Dinge darstellen, wie die Wahrnehmung der
Bewegung der Dinge uns einen unmittelbaren Einblick in deren innere
Struktur vermittelt, und wie schließlich in der Ordnung des Darstellenden
das Dargestellte, die räumliche Dingwelt sich konstituiert. Vorwort.
Vieles von dem, was spätere Wahrnehmungsforscher an deskriptiv-klas-
sifikatorischen Differenzierungen leisteten, finden wir in Schapps "Beiträ- Die Arbeit, die ich hier vorlege, entstammt dem Ideenkreise
gen" bereits - im phänomenologisch wünschenswertem Detail und in E. Husserls. Es sind darin nicht nur die logischen Untersuchungen
phänomengetreuer Begrifflichkeit - beschrieben. Mit Recht greift denn verwertet, sondern auch die Anregungen, die ich während dreier·
Jahre, in denen ich Husserls Kollegs und Übungen besuchte und an
auch der Psychologe David Katz in seinen Monographien über den "Aufbau
manchen persönlichen Besprechungen Husserls und seiner Schüler
der Farbwelt" und den "Aufbau der Tastwelt" ebenso auf Schapp zurück teilnahm, in reichem Maße empfangen habe. Zudem stand mir
wie - sehr vie'l später - der Philosoph Merlau-Ponty in seiner "Phäno- Husserl bei der Abfassung der Arbeit mit seinem Rat zur Seite.
menologie der Wahrnehmung". Aber auch, was Michotte später experimen- Im Einzelnen zu bemessen, wieviel in meinen Ausführungen ~on
tell als Wahrnehmung der Kausalität oder Gestaltpsychologen als Wahr- solchen persönlichen Anregungen herrührt, dazu fühle ich mich ·außer
nehmung der Identität demonstrieren sollten, findet sich als Aufwelis aprio~ Stande.
rischer Strukturen bereits bei Schapp. Wenn Schapp des weiteren zwei ver- Ich hoffe nur, daß ich nichts schrieb, was ich nicht selbst sah.
schiedene Wahrnehmungseinstellungen zu den Dingen unterscheidet, "die
Celle im Juli 1910.
~instellung des werktätigen Menschen und die des theoretischen Menschen.
Wilh elm Schapp.
E i n I e i tu n g.

»Es liegt im Empirismus dies große Prinzip, daß was


wahr ist in der Wirklichkeit sein und für die Wahrnehmung
da sein muß« 1). Erweitern wir den Begriff der Wahrnehmung
in noch näher an~ugebenqer Weise, so führt die Anwendung
dieses Prinzips zu der phänomenologischen Methode und da-
mit zu Resultaten, die schließlich weit von den herrschenden
Lehren des Empirismus und Positivismus abweichen, ja ihnen
direkt entgegengesetzt sind. Der Empirismus verlangt in ge-
wissem Starrsinn, daß ihm alles in der Weise gegeben sei, wie
die Objekte der Außenwelt oder wenigstens wie die Zustände
des Ich. Ihm erscheint es selbstverständlich und evident, daß
alle Gültigkeit im Denken sich ausweisen müsse an dem ab-
solut festen, der Impression. Alles, was gelten will, muß
seine Rechtfertigung aus der Impression schöpfen, etwas anderes
gibt es nicht; es ist höchstens eine umgemodelte Impression
oder Idee. W ora!lf dieses Axiom sich gründe, ob es eine so
unangreifbare Selbstverständlichkeit ist, wird nirgends untersucht.
Der Phänomenologe verfährt anders. Auch er sagt aller-
dings, wenn es so etwas wie Gattungen, Begriffe, Kategorien,
logische Gesetze gibt, wenn es Bedeutungen, Sätze gibt, so
müssen sie ihre Gültigkeit in einem unmittelbar Gegebenen
irgendwie dartun, müssen sie aufgewiesen werden. Es geht
nicht an, mit diesen Begriffen zu operieren, ohne auch für sie
1) So lesen wir bei Hege!, Encyklopädie, Rosenkranz 1870 BI. 62.
1
2
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einen festen Halt zu gewinnen, der in ähnlicher Weise wie die
problerne der Philosophie, insbesondere der Ontologie und der
Impression bei den Gegenständen der Sinnlichkeit das aus-
Erkenntnistheorie, sind vor dem Aufkommen der Phänomeno-
macht, welches jedem vernünftigen Zweifel ein Ziel setzt, der
logie eigentlich nicht methodiscl:( in Angriff genommen. Man
eine letzte Verifikationssphäre bildet. Hat man eine solche
hat nie gewagt, sie fest anzupacken. Man hat zwar hin und
dann aufgewiesen, hat man sich zur Evidenz gebracht, daß der
her überlegt, ob es so etwas wie Dingheit, Substanzialität und
Satz 2 + 2 = 4 ebenso wahr ist, wie der Satz: der Tisch hier
wie die anderen Probleme der Ontologie heißen, geben könne;
ist rot, obwohl man weder die zwei noch das >>und«, noch
aber man hat nie scharf versucht, so etwas aufzuweisen, zu
das >>gleich«, noch die >>vier« sinnlich wahrnehmen kann, wie
Gesicht zu bringen. Man hat mehr Begriffsuntersuchung ge-
man den Tisch und das Rot wahrnimmt; obwohl hier die An-
trieben, sich gefragt, ob Widersprüche in diesen Begriffen ent-
schauung - wenn ich mir den Satz etwa an einer Rechen-
halten. ·seien und dergleichen. Eine gewisse Zagheit gegenüber
maschine zur Evidenz bringe - eine ganz andere Rolle spielt
diesen Gegenständen geht durch die ganze Philosophie. Man
wie bei dem Satz, der Tisch ist rot, so muß man den Mut
i wollte ·die Wahrheit dieser Begriffe oft nicht geradezu leugnen
haben dies festzuhalten. Man darf es sich nicht mehr weg-
'
diskutieren lassen, sondern muß unbefangen weiter prüfen, in-
und fand doch keine. Weise, wie sie zu untersuchen seien.
Die Objektitäten, die zu diesen Begriffen gehörten, waren Ge-
wiefern die Gegenstände - hier die · Zahlen - eine eigen-
spenster, die sich keiner direkt anzufassen getraute. Erst die
tümliche >>Existenz« haben, ganz unvergleichbar mit sinnlicher
Phänomenologie wagt hier eine unbefangene methodische Prü-
Existenz, inwiefern sie auf eigentümliche Art vorstellig werden
fung,· indem. sie sich diese Objektitäten zur Selbstgegebenheit
u. s. f. Und dies, was man hier weiter feststellt, soll zu der-
bringt.
selben Klarheit gebracht werden, wie die .Grundtatsache, daß
Ähnlich lag es mit der Erkenntnistheorie. Es wurde er-
zwei und zwei gleich vier ist. Ja, jene Grundtatsache soll
örtert, inwiefern es ein Denken des Denkens, eine. Wahrneh-
durch diese weiteren Untersuchungen noch tiefer fundamentiert
mung der Wahrnehmung, geben könne, ob so etwas möglich
werden. Sie soll nicht evidenter gemacht werden, wie sie dem
sei und dann aus oft weit abliegenden unsachlichen Motiven
natürlichen Menschenverstande ist, aber sie soll geschützt werden
hierzu Stellung genommen. Auch hier greift die Phänomeno-
vor Umdeutungen und vor Mißdeutungen.
logie direkt auf die Sach~n selbst zurück und versucht die
Man muß voraussetzunglos an die Untersuchung gehen
Wesenszusammenhänge zwischen sinnlicher und nicht sinnlicher
und sich nicht von vornherein durch >>unmittelbare Selbstver-
Anschauung, zwischen Denken und Anschauen, zwischen Psy-
ständlichkeiten«, deren Geltung nie untersucht ist, in der Frei-
chischem und Physischem zur Selbstgegebenheit zu bringen.
heit des Blickes beengen lassen. Der Kosmos läßt sich nicht
Hier ist immer die Phänomenologie ein Vorgehen nach meh-
überall in das dürre entweder oder zwängen. Es ist einfach
reren Fronten. Sie prüft nicht nur, ob sie jetzt wirklich den
nicht wahr, daß alles Seiende entweder psychisch oder physisch
Gegenstand selbst hat, sondern auch, wie sie ihn hat und auch
sein muß, wie der Positivismus behauptet.
noch wie sie dies Haben des Gegenstandes hat. Es zeigt sich
Bei dem Verhältnis zu den idealen Gegenständen ist wohl - ' . .
da, daß Objektitäten verschiedener Sphären auf verschiedene
historisch genommen - zuerst die Phänomenologie als Methode
Weise zur Selbstgegebenheit gebracht werden müssen. Es ent-
angewandt. Bald aber hat sich herausgestellt, daß diese Methode
hüllt sich ein Reichtum von Objektitäten und W esenszusammen-
einen viel weiteren Bereich der Anwendung hat. Die Haupt-
1*
4 5

hängen in demselben Gebiet, wo man vorher mit einigen chung zwei und zwei gleich vier die erste zwei von der
mageren Begriffen glaubte auskommen zu können. - zweiten zwei unterscheidet, inwiefern eine Zahl ein Individuum
Es ist ein altes Problem der Philosophie, wie sich Philo- sein .kann, das alles wird überhaupt nicht gestreift. Das ist
sophie zu den Einzelwissenschaften verhalte. Oft ist die frage kein Mangel der Algebra insofern, als sie ihre Untersuchung
aufgeworfen, ob nicht der Kosmos - worunter man dann zu Ende führen kann, ohne je Probleme der angedeuteten Art
Natur und Psyche verstand - zwischen den Einzelwissen- zu erörtern. Das geht ja schon daraus hervor, daß Mathe-
schaften schon so aufgeteilt sei, daß für die Philosophie nir- matiker, sofern sie sich Gedanken machen über die angedeu-
gends ein Gegenstand der Untersuchung bleibe. Wir wollen teten Probleme, doch in dem ganzen Aufbau des Systems über-
über diesen Gegenstand einiges anmerken, obwohl wir nichts einstimmen, wenn sie auch zu .den Problemen die versc;hie-
Erschöpfendes sagen können, sondern nur. dartun können, daß denste 'Stellung einnehmen. Diese Untersuchungen haben für
in der Tat die Einzelwissenschaften gewissen, an sich lösbaren die Mathematik kein mathematisches Interesse. Sie ist eine
Problemen aus dem Wege gehen. Wir wehren dabei von exakte Wissenschaft, und sie kommt zu immer neuen Ent-
vornherein die Meinung ab, als ob es Sache der Philosophie deckungen, wenn sie auch diese Probleme vollkommen ver-
wäre, solche Reste von Einzelwissenschaften zu untersuchen nachlässigi. Sie bietet aber gerade hiermit der Skepsis einen
Der Gesichtspunkt, unter dem eine solche Untersuchung ge- Anhaltspunkt. Wenn diese behauptet, daß Zahlen etwas .Psy-
schieht, macht deren Würde aus. Ein solcher Gesichtspunkt chisches seien, und daß die Mathematik daher eine anthropo-
wäre etwa der, daß die Einzelwissenschaften trotz aller Exakt- logische Wissenschaft sei, so kann sie nichts aufweisen, womit
heit aus sich selbst nicht imstande sind, der Skepsis, die die sie ihre absolute Geltung, die dem Mathematiker gefühlsmäßig
absolute Wahrheit ihrer Ergebnisse anzweifelt, zu begegnen. über jeden Zweifel erhaben ist, aufzeigte, weil sie sich nie
Ein anderer, etwa der, daß die Einzelwissenschaften ihr Ver- über den Ort, wohin die Zahl eigentlich gehört, und über den
hältnis untereinander nie erschöpfend zum Gegenstand der Sinn, in dem ihr Gegenständlichkeit an sich zukommt, Ge-
Untersuchung machen, wie etwa das Verhältnis von Mathematik danken gemacht hat.
und Naturwissenschaft, das Verhältnis von Psychologie und Ebenso liegt die Sache bei der Naturwissenschaft. Sie
Naturwissenschaft. Und so könnte man viele andere Gesichts- fragt sich nicht, in welchem Verhältnis das Ding des natür_-
. punkte anführen. Iichen Menschen zu den Atomen, Ionen der Physik steht, nicht,
Wir wollen im folgenden nur kurz andeuten, wo sich in welchem Sinne man nicht über Konstatierung von Tatsachen
etwa solche ununtersuchte Restgegenstände der Einzelwissen- hinausgehen kann, nicht, ob die Wahrnehmung absolute oder
schaften, an denen eine Phänomenologie an sich anknüpfen relative ·Geltung - nur für den Menschen - habe, nicht, in-
könnte, befinden. Nehmen wir etwa die exakteste Wissenschaft, wiefern physisches Sein, das doch der Erkenntnis gegenüber
die Mathematik und zwar die Lehre von den Zahlen. Da ein »Transzendentes», ein »Ansich" zu sein beansprucht, in
werden Zahlen schlechthin vorausgesetzt und dann sofort ihre der Erkenntnis zur Gegebenheit kommt, _nicht, ob diese Be-
Eigenschaften, Verhältnisse erörtert. Was aber Zahl selbst sei, ziehung im Sinne einer viel beredeten Korrelativität eine not-
was es heißt, bei einer Zahl von Eigenschaften, wie Teilbarkeit, wendige oder eine zufällige ist.
Unteilbarkeit zu sprechen, ob eine Zahl in demselben Sinne Diese fragen sind phänomenologisch anfaßbar und ent-
Eigenschaften hat wie ein Ding, ferner wie sich in der Glei- scheidbar. Im übrigen ist damit nicht gesagt, daß Phänome-
6

nologie ihre Probleme erst von vorgegebenen Wissenschaften


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Leitfaden. Die Sachen selbst drängen sich schon stärker vor.


Sie stehen noch nicht im Zentrum, aber doch in fühlbarer
entnimmt, und daß sie nicht unabhängig von vorgegebenen Nähe. Aber bald verliert sich auch bei Sokrates selbst die
Wissenschaften sich etablieren könnte. Untersuchung · ins Nebelhafte, Mystische. Der Gegenstand
Wir reden vom unmittelbaren Verhältnis zu den Sachen schwindet ins Unendliche. Die Methode der Behandlung gleicht
selbst, von Selbstgegebenheit, und müssen jetzt näher angeben, dann wieder im Prinzip dem Vorgehen des Pausanias; es ist
was wir darunter verstehen. Wir können da.S nicht erschöpfend keine Methode mehr. Die Freude an reicher Darstellung über-
tun, aber wir müssen doch einige Fingerzeige geben. Gehen wlndet die sachlichen Bedenken. Das Wünschenswerte wird
wir zurück auf die Geschichte der Philosophie. Betrachten zum Wirklichen.
wir etwa Platos Gastmahl. Hier kann man sehen, welche Den letzten schwersten Schritt zu den Sachen selbst tut
Nuancen es gibt in der Beziehung zum Gegenstand der Unter- Plato selten. Die Stellen sind aufzuzählen, in denen er es tut.
suchung. Aber gerade diese Stellen machen in gewissem Sinne die Be-
Bei jeder solchen Untersuchung steht der Gegenstand, den deutung Platos aus. Sie sind die soliden Fundamente seines
man untersucht, im Hintergrunde, das, was über ihn gesagt ganzen Systems. S.ie bewirken es, daß die Werke Platos nicht
wird, bezieht sich irgendwie auf ihn und trifft ihn irgendwie 1). ein Gedicht, sondern eine Philosophie werden. Einige solche
So ist es auch bei Phädros, Agathon, Lysias, Eryximandros Stellen wollen wir hier weiter verfolgen.
im Gastmahl. Aber es fehlt der Ernst der Untersuchung; der Phädon Kap, 18 und insbesondere 19. Plato unterscheidet
Glaube, daß es möglich ist, über den Eros irgend etwas Gül- hier nicht zwischen Gleichheit, wie sie die Mathematik kennt,
tiges auszumachen. Wenn es trifft, was über ihn gesagt wird, und Gleichheit von Gegenständen der Zeit. Seine Überlegungen
so ist es zufällig. Ganz anders ist es bei der Untersuchung treffen bald nur für mathematische Gleichheit, bald nur für
des Sokrates. Er geht auf feste Begriffsbestimmung. Hier empirische Gleichheit, bald für_ beide zu. Aber hiervon ab-
steht der Gegenstand nicht mehr in nebelhafter Entfernung; gesehen, ist das Wertvolle, daß Plato hier zum ersten Male
es wird über ihn ausgemacht, was evident einleuchtet. Dies den Blick darauf lenkt, daß, um modern zu reden, nicht alles
geschieht noch nicht durch Selbstbesinnung, durch direktes mit Impressionen erschöpft ist. Gleichheit ist etwas, und doch
Einfühlen in den Gegenstand, sondern dadurch, daß der Reich- ist es keine Impression, das trifft für beide Arten von Gleich-
. turn einer ausgebildeten Sprache zuerst allgemeine Bestimmungen heit zu. Trotzdem ist Gleichheit so evident gegeben, wie nur
hergeben muß. Es ist hier aber doch nicht so, wie wenn ein Gegenstand gegeben sein kann. Ja wir haben eine feste
bloß Begriffsanaiyse 2) getrieben wäre; die Sprache ist nur der Vorstellung von einer Gleichheit, die nie zwischen den Gegen-
ständen der Erfahrung stattfindet, noch stattfinden kann (mathe-
1) Vgl. das t'ov 7tctvt'os ll(Lct(lt'cXVEw des Sokrates im Phädrus 235. matische Gleichheit), die wir also weder unvermittelt noch ver-
2) Mit dieser Begriffsanalyse, die hier nicht die adäquate Me- mittelt aus der Erfahrung haben können.
thode zur Untersuchung des Eros ist, darf jene andere Untersuchung
nicht verwechselt werden, die es sich zur Aufgabe macht, das Wesen
des Begriffes selbst - nicht den Gegenstand, auf den der Begriff Untersuchende. Diese müßte auch feststellen, inwieweit man durch
Anwendung findet -, zu untersuchen, wie es etwa eine Urteilstheorie jene ersterwähnte Begriffsanalyse die Sache selbst, zu der der Be-
tun müßte. Für diese wäre natürlich der Begriff selbst und sein Zu- griff gehört, erkennen kann.
sammenhang mit dem Gegenstande der Wahrnehmung gerade das zu
8 9

Hier ist Phänomenologie. Plato läßt sich dies nicht weg- durchfors_chen. Es ist in erster Linie abgesehen auf ein ge-
diskutieren. Er sieht die Gegenstände so genau und besser wisses eigentümliches Konstituens der Gegenstände der Wahr-
als seine Gegner die Impressionen sehen. freilich, hiermit nehmung, das weder Impression ist, noch sich irgendwie
hört sein phänomenologisches Interesse auf; er hat aufgezeigt, darauf zurückführen läßt, und das mir für die frage, in
daß es eine Sphäre gibt, die sich nicht auf Impressionen zurück- welchem Sinne die Wahrnehmung Erkenntnis eines Ansich
führen läßt, aber er hat kein Interesse daran, hier exakte Unter- vermittelt, von Bedeutung zu sein scheint.
suchungen anzustellen, sondern benutzt die Schwungkraft, die
ihm dies unmittelbar Geschaute gibt, zu kühnen Konstruktionen.
Aber in jedem Werke fast kehrt Plato wieder zu seinem Fun-
dament zurück und. gibt in aller Kürze eindringliche phänome-
nologische Untersuchungen, so am Schluß des 20. Kapitels im
6. Buche des Staates: Der Mathematiker bedient sich zwar
der sichtbaren Gestalten und bezieht auf diese seine Reden,
unerachtet diese nicht von ihnen handeln, sondern von jenem,
dem diese gleichen und um des Vierecks selbst willen und
seiner Diagonale führt er seine Beweise, nicht um dessentwillen,
welches er zeichnet. - - Immer aber trachtet er jenes selbst
zu erkennen, was man nicht anders sehen kann, als mit dem
Verständnis.
Mit einer solchen Analyse ist ein guter Anfang gegeben
für die weitere phänomenologische Untersuchung der mathe-
matischen Gegenstände. Wir könnten noch manche ähnliche
Stelle anführen über phänomenologische Ausblicke in logischen
und erkenntnistheoretischen Gebieten. Nur wenn man das
. Wesen der Phänomenologie hat, kann man diese Seite Platos
verstehen und seine kühnen Konstruktionen, die sich auf das
offenbar Gegebene aufbauen, im Gegensatz zu Aristoteles' ängst-
lichen Vertuschungsversuchen gegenüber allem offenbar Ge-
gebenen, was nicht Impression ist, genügend würdigen. Soviel
[
wird hieraus klar geworden sein, der Phänomenologe kann
seine Methode nicht demonstrieren, denn er muß auch die ~
'
Methode selbst zum Gegenstand der Untersuchung, des Schauens
machen. Er kann nur anfangen.
Im folgenden wollen wir ver!:!uchen, nach phänomeno-
logischer Methode die Wahrnehmung nach einer Richtung zu
11
dem sehen, was wir zuerst gesehen haben. Wir finden, daß
eine anscheinend unendliche Zahl von Wahrnehmungen zu
dem Tisch gehört, die alle von einander verschieden sind und
doch auf denselben Gegenstand - Tisch - abzielen.
Wir können nun auch den Tisch noch tasten, und haben
dann eine seltsame Gewißheit darüber, daß das getastete und
das gesehene identisch ist, obwohl zwei anscheinend total ver-
schiedene Wahrnehmungen vorliegen.
Hier fragt es sich nun überall, passen diese Sätze, die
I. Abschnitt.
wir hier ableiten, nur für diesen Tisch, oder auch für das
Durch welche Mittel sich die Dingwelt darstellt. Haus, das Tintenfaß, den Aschbecher! Sind es Sätze, die
überhaupt für jede einschlägige Wahrnehmung passen! M. a. W.
V o r b e m er k u n g. liegen ihneil apriorische Beziehungen zu Grunde? Gehört zur
Wir nehmen also die Wahrnehmung als ganzes vor und vollen Wahrnehmung eines körperlichen Gegenstandes über-
untersuchen sie. Wir sehen dabei vollkommen ab von dem haupt eine unendliche Zahl von Wahrnehmungen. Und wieder,
Sinn, den man historisch mit dem Worte Wahrnehmung ver- wenn man auf die Einzelwahrnehmung zurückkommt, welche
bindet und geben diesem Worte dadurch eine feste Bedeutung, Rolle spielen in ihr der Glanz, die Reflexe, die dem Gegen-
daß wir uns auf eine bestimmte Sachlage beziehen etwa auf stand eigentümliche Farbe. Gehört das alles irgendwie a priori
die Sachlage, in der ein Tisch vor uns steht, sei es, daß wir zur Wahrnehmung des Gegenstandes?
ihn »Sehen«, sei es, daß wir ihn »tasten«. Diese Sachlage ist Auf diese apriorischen Beziehungen geht der Phänomeno-
also Gegenstand der Untersuchung; das, was in ihr enthalten loge aus 1). Aber was heißt a priori? Der Ausdruck ist be-
ist, soll behutsam auseinandergelegt, aufgelöst werden. Wir kannt in dem Sinne, den ihm Kant gegeben hat. Und vorerst
gehen dabei ohne jede Voraussetzung zu Werke. Wir wollen kann man sich damit begnügen, daß man a priori in diesem
zusehen, ob hier eine Totalität, ein Ganzes, ein Mikrokosmus Sinne nimmt; denn der Unterschied der apriorischen Sätze
·vorliegt, aus dem man »Teile« herausheben kann, und zugleich von den aposteriorischen Sätzen ist unverkennbar. Aber letztlich
zu Gesicht bringen, wie diese »Teile« zusammenpassen, . zu- genügt diese Unverkennbarkeif nicht. Die Apriorität selbst
sammengehören. Wir wollen das geistige Band, das die Teile muß nach ihrem eigenen Gehalt näher untersucht werden.
zusammenhält, aufweisen. So fällt uns bei der Wahrnehmung
des Tisches, der vor uns steht, auf, daß wir ihn immer nur 1) Dabei ist nicht die einzelne apriorische Beziehung an sich
von einer Seite sehen und daß er doch in gewissem Sinne Gegenstand des Interesses. Sondern es kommt gerade darauf an,
ganz vor uns steht. Wir finden ferner· auf. dem Tisch eigen- - um mit Hegel zu reden - die Vernunft, die den Aufbau, die
Struktur der Wahrnehmung durchzieht, die der Wahrnehmung als
tümliche Reflexe, Lichter, Schatten. Wir finden, indem wir Ganzem erst inneren Halt gibt, aufzudecken, Vernunft hier als Tota-
um den Tisch herumgehen, daß der Gegenstand »Tisch« immer lität der apriorischen Beziehungen genommen. Damit ist schon ge-
derselbe bleibt - der Meinung nach -, obwohl, wenn wir sagt, daß es sich um die Vernunft handelt, die wirklich in der Sach-
schließlich an die Rückseite gelangen, wir nichts mehr von lage liegt, nicht um eine, die man hineinlegen möchte.
12 13

A priori ist eine Beziehung, die im "Wesen« der bezogenen nehmen<< zuvieldeutig, als daß mit solchen allgemeinen Sätzen
Gegenstände begründet liegt, bei der man von Wirklichkeit etwas Bedeutendes gesagt wäre. Sondern, wer so argumentiert,
und Nichtwirklichkeit vollkommen absieht. Eine grundlegende ~ag angeben, was er unter »Denken<< und »Wahrnehmen<<
Untersuchung des a priori wird also eine Untersuchung des versteht. Er wird das nur können, indem er eine Sachlage
»Wesens• selbst enthalten müssen. - aufweist, die er »denken<< und »wahrnehmen<< nennt. Gelingt
Bei der phänomenologischen Untersuchung der Wahr- ihm das, so wird sich ausmachen lassen, ob das Denken des
nehmung kommt es nun in erster Linie darauf an, daß man Denkens sinnlos ist.
sie mit leichter Hand vornimmt. Wer irgendwie dazu neigt, Wenn nicht eine solche Sachlage, sei es signitives Denken,
zu fixieren, wer schnell eine Sache erledigen will, wer rasch sei es Wahrnehmen, zu Grunde gelegt wird, ist jede Diskussion
zu einer Theorie gelangen will, der eignet sich wenig zum ein Streiten mit Worten, ohne jede Bedeutung für die Philo-
Phänomenologen. Der Phänomenol oge muß in gewisser Weise sophie.
die Anlage eines Künstlers und der, der die Wahrnehmung Hat man sich aber über eine solche Sachlage verständigt,
untersucht, Anlage zum Maler haben. Zwar ist die Wegstrecke, so ist damit eine Grundlage gegeben. Aber auch jetzt darf man
die Phänomenologe und Maler zusammengehen, nur kurz, nicht meinen, daß hiermit schon alles getan sei; denn die Zu-
aber es ist gerade ein entscheidender Teil des Weges, nämlich sammenhänge, die hier bestehen, sind so schwierig einzusehen,
das Sichhineinversenken in die sinnliche Welt, die in der daß durchaus nicht gesagt ist, daß jeder sie einsehen könne.
Wahrnehmung erfaßt wird, sich in ihr darstellt. Denn das Wie die Wahrheit mathematischer Sätze nicht davon abhängig
ist für den Phänomenologen die Hauptsache, daß diese Welt ist, daß jeder sie einsehen kann, wie es eine Begabung für
nicht irgendwie schematisch in formein eingezwängt wird, Mathematik gibt, daß man wohl mit Recht sagen kann, daß
sondern, daß sie in der Ursprünglichkeit ihrer Gegebenheits- nur ein geringer Teil der Menschen die schwierigsten Sätze
weise von Anfang bis zu Ende und bei jedem Schritt der der Mathematik und auch dieser Teil sie nur nach langjähriger
Untersuchung gegenwärtig ist. Übung in der mathematischen Geisteshaltung einsehen kann,
Die Wahrnehmung auseinanderlegen und sie doch bei so gibt es auch eine spezifisch phänomenologische Geistes-
diesem Auseinanderlegen streng so lassen, wie sie ist, sich haltung, die nicht allen und selbst nicht sehr klugen und
· immer wieder vergewissern, daß man der Sachlage bei diesem scharfsinnigen Menschen liegen mag.
Auseinanderlegen gerecht wird, darauf komJ1!t es an. Ob dies Die erste Voraussetzung ist eine unbedingte Hingabe, ein
möglich ist, ob Bedenken, die man gegen diese Art der Unter- Vertiefen in die Sachen selbst; nicht ein Reflektieren über die
suchung erheben kann, gerechtfertigt sind, das kann nur die »Sachen<<, sondern ein Aufnehmen, Auskosten der »Sachen<<;
Untersuchung zeigen. Nur darauf ist zu achten: hat man die Sache hier im weitesten Sinne genommen; denn man kann
Untersuchung eine Strecke weit geführt, so müssen die Be- sich nicht nur' in die Dingwelt, in Farben, Töne vertiefen, man
denken direkt an die Untersuchung anknüpfen. Man darf nicht kann ·sich auch in die geistige Haltung, in der Dingwelt, in
glauben, daß man a priori mit einem Schlagwort, - es könne der Farben Töne gegenständlich werden, wieder vertiefen, man
kein Denken des Denkens, keine Wahrnehmung der Wahr- kann sich selbst vertiefen in die Unaufmerksamkeit; jedenfalls
nehmung geben, - die ganze Untersuchung als unmöglich muß man untersuchen, ob es und inwieweit es geht.
hinstellen kann. Dazu sind die Worte »Denken« und "Wahr- Mit dieser Hingabe aber ist es nun nicht getan. Hierzu
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Unterschied jener Sinnesorgane, aber unmittelbar aus ihnen
muß jetzt die Kraft kommen, das, was man gesehen hat, aus- selbst zu· entnehmen ist. Wir meinen die Unterschiede, die
einanderzuschälen; die verschiedenen Schichten loszulösen, man im Auge hat, wenn man sondernd von >>Farbe-, Ton-,
ohne sie zu verletzen; jedem, was man gesehen hat, den Platz Geruchs- und Tastempfindung« u. s. w. spricht. Wir glauben
anzuweisen, den es in dem Ganzen ausfüllt; die Relationen, nicht daß die Rede von >>Empfindung<< hier besonders an-
die es zu anderen Schichten hat, aufzuweisen; es in seiner gebr~cht ist. Aber die Sachlage ist klar. Die Scheidung d:r
lebendigen Funktion zu ergreifen. Empfindungen geht derjenigen der >>Sinne« vorher und pha-
In der ganzen Phänomenologie darf auch nicht eine ein- nomenologisch besagt der Unterschied der Sinne nichts an-
zige Hypothese vorkommen. Sondern alles soll auf direkte deres als daß hier Inhalte einer obersten Gattung >>Sinnes-
Einsicht, auf direktes Erfassen gebaut sein. Man darf nicht inhal~«, vorliegen, die so in Arten zerfällt, daß zwischen
eine Strecke Weges aus dem ganzen Weg konstruieren. Nur diesen stetige Übergänge ausgeschlossen sind. Es ist un-
was geschaut ist, gehört jn die Phänomenologie. Nicht wie denkbar daß zwischen Farbe und Ton, Ton und Geruch,
es vielleicht sein könnte, wie es plausibler Weise ist, ist zu Tastempfindung und Farbe Übergänge stattfinden, wie zwischen
untersuchen, sondern wie es ist; denn sobald man Voraus- Farbe und Farbe, Ton und Ton. Dort liegt eine abgrundtiefe
setzungen einführt, entfällt das eigentliche Interesse, der eigen- Verschiedenheit der Inhalte vor, sind verschiedene Reiche von
tümliche Wert, den gerade das phänomenologische Verfahren Empfindungen vorhanden. Man kann das vieHeicht so aus-
hat. Ja, selbst wenn man mit einem gewissen Fonds von Ge- drücken: Jede Farbe ist mitjeder andern verwandt, jeder Ton
, schautem den Rest konstruieren könnte, so wäre doch die Phä- mit jedem andern Ton, aber Ton und Farbe sind in diesem
nomenologie darum nicht minder notwendig; denn die Ur- Sinne nicht mehr verwandt.
sprünglichkeit des Erlassens, das direkte Verhältnis, das die Welche Bedeutung nun diese Inhalte wie >>Farbe, Ton,
Phänomenologie zu den Sachen selbst anstrebt, hat einen eigenen Tastempfindung« für die Wahrnehmung haben, das woiien
Wert für sich, der durch kein abstraktes Wissen ersetzt wird. wir zuerst im Folgenden untersuchen. Wir werden dabei um
Im Schauen allein liegt letzte Befriedigung. - die Darstellung nicht zn weitläufig zu machen, nicht vermeiden
Wenn wir nt.Jn im Folgenden eine Untersuchung der. können, von sehen, hören, tasten zu reden; aber wir woiien
Sinneswahrnehmung anstellen, so könnte es unerläßlich scheinen, dann mit diesen Ausdrücken nur den Sinn verbunden haben
· daß wir zuvor die Sinnesorgane, vermittels derer wir wahr- >>durch« Farbe, Ton, Tastempfindung wahrnehmen.
nehmen, das Auge, das Ohr, die Tastorgane näher unter-
suchten nach ihrer Struktur und Zusammensetzung. Allerdings
könnte man da einwenden, daß wir die Sinnesorgane selbst ~ Kap. I. Wie sich die Welt in Farbe darstellt.
nur vermittels der Sinne wahrnehmen, daß wir damit also nur Wir woiien hier nun nicht untersuchen, wie der Säugling,
einen Kreis machen. Die Einwendung mag manches für sich wie der operierte Blinde die Welt sieht, sondern wie wir die
haben. Welt sehen und zwar die Welt in heiler Beleuchtung. Dabei
Wir.wollen aber davon absehen, ob sie vollständig durch-· wollen wir davon absehen, daß aus dieser Welt Töne zu uns
schlägt. Auch wenn wir einmal ganz von den Sinnesorgimen dringen, daß wir die Welt mit den Händen greifen können,
absehen, so liegt in den wahrgenommenen sinnlichen Inhalten und uns rein auf das, was wir sehen, beschränken. Wir woiien
selbst ein Unterschied, der anscheinend parallel geht mit dem
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auch fürs erste das Entfernte und die Himmelskörper außer weiß, was klebrig ist, Leim zeigen, oder jemand, der nicht
Acht lassen und uns nur dem kleinen Ausschnitt zuwenden, weiß, was flüssig ist, Wasser zeigen, oder jemand, der nicht
den wir <;deutlich und klar" sehen. weiß, was süß ist, Zucker zu schmecken geben. Das ist alles
In· diesem Ausschnitt nun sehen wir Dinge, - Tische, was wir tun können ; genügt ihm das nicht, so sind wir am
Stühle, Bäume, - kurz, alle Dinge, die nicht durchaus durch- Ende mit unseren Belehrungsversuchen.
sichtig sind, wie die Luft und andere Oase 1). Diese Dinge Was ist uns nun in der farbigen Welt, die wir »sehen«,
sehen wir im Raume neben und hintereinander. sinnlich gegeben, was ist wahrgenommen? Die erste Antwort
Das, was wir so sehen, wollen wir nun skizzieren~ Wir wird sein, »Farbe«. Und die f2rbe nimmt in dieser Welt
wollen dabei vermeiden, das, was wir von den Dingen wissen, sicher einen hervorragenden Platz ein.
das, woran uns die Dinge erinnern, mit in die Skizze hinein- Wie steht es aber mit den Dingen selbst und davor mit
zunehmen. Es kommt uns gerade darauf an, nur das, was dem Raum? Kann man jemand klarer zeigen, was Raum ist,
uns leibhaftig gegenüber steht, was wahrgenommen ist, zu als wenn man ihn hinweist auf die farbige Welt, in der die
verzeichnen. Man kann von vornherein daran zweifeln, ob es Dinge sich befinden. Hat irgend eine andere Anschauung des
möglich ist, diese Absicht durchzuführen; ob nicht die Wahr- Raumes etwas vor dieser voraus? Der Raum ist nicht Farbe
nehmung so verschlungen und durchsetzt mit Erinnerungen, und wird doch in dieser farbigen Welt wahrgenommen. Wir
Erfahrungen ist, daß es praktisch unmöglich ist, daß Wahr- können uns an diesem Raum klar machen, was nebeneinander,
genommene von dem bloß vermeintlich Wahrgenommenen, hintereinander, voreinander eigentlich ist, was eine fläche ist,
dem, was man sich bloß einbildet, zu trennen. Dazu kommt was Dreidimensionalität ist, ebenso wie wir uns, indem wir
noch, daß Wahrnehmung selbst nichts Eindeutiges ist, womit gelb, rot, grün, blau mit einander vergleichen, klar machen,
jeder dasselbe meint. Man unterscheidet Wahrnehmung von daß gelb die größte spezifische Helligkeit, , blau die geringste
der Phantasievorstellung, von der Halluzination, von der Illu- spezifische Helligkeit hat. Das scheint mir ganz unbestreitbar
sion, von Empfindung. Alle diese Unterschiede gehen uns zu sein. Die Anschauung dieses Raumes mag in gewisser
hier nichts an. Wir wollen vorläufig etwas als wahrgenommen Weise unvollkommen sein. Dabei muß man sich aber vor
gelten lassen, wenn es sich selbst uns sinnlich zeigt, »leib- Augen halten, daß auch reines Gelb, reines Blau eigentlich
haftig« vor uns steht, wie Husserl in seinen Vorlesungen zu nicht herstellbar ist. Einen prinzipiellen Unterschied kann ich
sagen pflegt. Was dies heißt, zeigt sich_ etwa, wenn wir hier nicht finden.
vergebens versuchen, einem Dritten durch Worte klar zu machen, Wie es möglich ist, daß wir Raum wahrnehmen, das ist
was etwas ist, und ihm deshalb das, was wir ihm nicht deut- eine Frage für sich, hier wollen wir nur feststellen, daß wir
lich machen konnten, zeigen. Wenn wir jemand, der nicht ihn in der farbigen Welt wahrnehmen und uns mit der Oe-
genbetrachtung; »Öffne ich die Augen, so steht die farbige
Welt 'vor mir, schließe ich sie, so verschwindet sie. Sie wird
1) Gelegentlich sehen wir allerdings auch die Oase. So sieht also durch die Augen wahrgenommen. Durch die Augen
man die zitternde Luft direkt, die sich über der heißen Lampe be-
findet und sich losreißt von der timgebenden Luft, man sieht dort
werden aber nur Farben wahrgenommen vermöge der Licht-
die eigentümliche Elastizität, Zähigkeit der Luft. Die Luft erscheint schwingungen; daher kann der Raum nicht wahrgenommen
dann fast wie eine zähe Flüssigkeit. werden, denn es fehlt an jedem Organ für diese Wahrnehmung«
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nur die form im Groben gemeinsam haben. Bloßes beglei-
- erst später auseinander setzen. Nur soviel möchte ich hier tendes Wissen kann aber aus dem einen Wahrgenommenen
schon als ausgemacht hinstellen, daß der Raum nicht bloß ge- nicht das andere machen. -
dacht ist mit den Farben, sondern daß er auf eigene Artwahr- Der Gelehrte, der fest zu wissen glaubt, daß die Dinge
genommen ist. aus Atomen bestehen, sieht die Atome doch nicht den Dingen
Wenden wir uns nun zu den Dingen im Raum, so steht an, der Mensch, der weiß, daß Zucker süß ist, sieht die Süßig-
auch hier etwas anderes vor uns, als bloß Komplexe von keit nicht im Zucker. Der Mensch, der weiß, daß die Rose
Farben oder Gestalten, Figuren bedeckt mit, erfüllt von Farben. riecht sieht den Geruch nicht in der Rose, der Mensch, der
Man sieht diesen Unterschied, das, was mit den Dingen über weiß,' daß glühendes Eisen warm ist, sieht die Wärme nicht
Farbe hinaus vor uns steht, _genau, wenn man sich zuerst eine dem Eisen an, wie er dem Ding in eigenerWeise Sprödigkeit,
bloße Farbenwelt, ein buntes Schattenreich vorstellt. Ein Elastizität, flüssigsein, seine ganze Struktur ansieht. Die
solches Schattenreich haben wir vielleicht im Nachbild vor flächen des Nachbildes können sich verschieben, ohne daß
uns. - Wir sehen gegen das Fensterkreuz, das sich vom hellen wir die Vorstellung haben, es breche dort etwas auseinander,
Himmel abhebt; dann schließen wir die Augen und haben sie zerlHeßt, ohne daß wir die Vorstellung haben, etwas sei
jetzt das sogenannte Nachbild, ein farbig schillerndes Kreuz, zerstört. .Das hängt unmittelbar damit zusammen, daß wir ein
daß sich vom Augenschwarz abhebt. Vergleichen wir nun das Dino- nichf als bloße Farbe im Raum sehen, sondern es als
b
Fensterkreuz, das wir bei geöffneten Augen wahrnehmen, mit Ding mit seinen Eigenschaften in der farbigen Welt wahrnehmen.
dem Nachbild, so sehen wir, daß hier kein Bild eines Fenster- Aber lassen wir vorläufig jede Theorie beiseite. Mit den
kreuzes vor uns steht. Das wahrgenommene Fensterkreuz Händen in der Tasche können ·wir den Dingen, die sich un-
kommt uns solide, fest, schwer vor. Ebenso würde uns etwa serm Auge bieten, selbst wenn sie sich in Ruhe befinden, eine
das photographierte Fensterkreuz vorkommen. Das Nachbild Anzahl von Eigenschaften ansehen und sehen wir ihnen diese
weist aber von Solidität, Festigkeit, Schwere nichts auf. Mit auch immer an, die ihrem Wesen nach von Farbe und Aus-
ihm steht kein gefaserter Gegenstand vor uns, wie das Fenster- dehnung verschieden sind. Wir sehen, ob ein Ding glatt 1)
kreuz es ist, sondern farbige, gewolkte flächen, Linien, die in ist, wie das Messing der Lampe, ob es raub ist wie unser
nichts zur Vorstellung eines Dinges beitragen. Ist nun da, wo Anzug ob es flüssig ist wie das Wasser oder der Kaffee und
·wir dem Fensterkreuz selbst zugewandt sind, die Festigkeit, die ob es 'fest ist wie die Tasse; ob es homogen ist. wie
Härte, die Starrheit des Fensterkreuzes nicht wahrgenommen,
(. . das
.
Messing oder gemasert wie der Tisch; ob es klebrig 1st w1e
sondern täuscht uns das Wissen um die Festigkeit, die Härte der Horiig ~der ob es leichtflüssig ist wie die Tinte.
diese vor? Von einer solchen Täuschung kann hier, wo wir Sehen wir irgend eine von diesen Eigenschaften beh er-
das Wahrgenommene, das sich in der Weise des »Leibhaft« scheinender Ruhe nicht leibhaftig oder nicht hinreichend de~~­
darbietende rein als solches beschreiben und gar keine fragen lich, so wird sie uns doch oft so deutlich wie nur möglich,
nach der »wirklichen« Existenz des Wahrgenommenen stellen, wenn wir die Dinge in der Bewegung uns ansehen.
keine Rede sein. Das Wahrgenommene ist in den beiden
1) Das' Wort »glatt« hat verschiedene Bed.~utung~n, wie das
Fällen schlechthin verschieden; das eine Mal ist es das wirk-
Wort »raub«. Wir meinen hier die Strukturglatte, d1e zu unter-
liche Fensterkreuz, das andere Mal - kein Bild des Fenster- scheiden ist von der Ebenheit.
kreuzes - sondern farbige Flächen, die mit dem Fensterkreuz 2*
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Wir sehen dort, wie der Honig kleben bleibt an jedem sondern die Weise, in der die objektive Bewegung abläuft,
Ding, mit dem er in Berührung kommt; wie das \X'-asser so- stellt die Eiastizität als objektive Eigenschaft dar.
fort zurückfällt, wie es fließt, und leicht beweglich, flüssig ist. Hierbei ist nun zu beachten, daß uns die Eigenschaften
Wir sehen, wie elastisch das Eisen der Stimmgabel ist; wir wie Glätte, Elastizität so vorstellig werden, daß wir sie leib-
sehen die Leichtigkeit der Feder, des Rauches, die der Wind haftig vor uns haben; so leibhaftig, wie man überhaupt diese
davonträgt. Wir sehen die Konsistenz und Schwere des eisernen Eigenschaften vor sich haben kann, so getreu, daß es keinen
Gewichtes, das sich in den Sand einbohrt. Dies alles steht im Sinn hat, sie noch auf andere Art unmittelbarer wahrnehmen
Sehen leibhaftig vor uns. zu'-;,
wollen.
Die Wahrnehmung der Farbe, der Gestalt, der Bewegung Setzen wir mit der Bewegung ein. Der Naturforscher
der Dinge bietet schon Anlaß zu manchen Erörterungen. kennt nur eine Art Bewegung, die beschleunigt etc. sein kann.
Diese· übergehen wir hier, weil wir sie nicht notwendio· für Wir wollen die Berechtigung dieser Begriffsbildung für natur-
das folgend~ gebrauchen. Im allgemeinen wird man zugeben, "' wissenschaftliche Zwecke nicht bestreiten. In Wahrheit aber
daß man Farbe, Bewegung, Gestalt ,,,sieht<, wenn auch viel- stellen die Bewegungen, die wir in der Welt »Sehen<<, ver-
leicht bezüglich der Gestalt ·als dreidimensionaler räumlicher schiedenartiges dar, je nach der Art, in der sie auftreten. Un.d
Gestalt mancher opponieren wird. Man wird dann aber leicht gerade. diese Art der Bewegung der einzelnen Dinge gibt uns
bereit sein, fortzufahren, daß alles, was man sehen könne, nur einen Einblick in eine sehend erfaßte »innere Struktur« des
Variationen von Gestalt, Bewegung und Farbe sein könnten; Dinges. Zum Bestande des gesehenen Dinges als solchen ge-
daß man also nie mehr sehen könne, als verschieden gestaltete, hört ein Plus von Eigenschaften, die nicht Bewegung gesehener
verschieden schnell, in verschiedenen Richtungen bewegte und farbiger Flächen sind und nicht etwa durch Beziehung auf
verschieden gefärbte, so und so gewölbte etc. Flächen, daß andere Sinnesgegebenheiten »hinzuassoziiert«, >>hinzugedacht«
alles andere aber hinzugedacht, nicht leibhaftig gegeben sei. sind.
Diese Behauptung halten wir für übereilt. Farbe, Bewe- Wir nehmen zuerst den Gegensatz - ein ganzes Ding
gung, Gestalt geben uns, sei es durch die Art ihres Äuftretens bewegt sich - Teile eines Dinges bewegen sich. Der Fall,
oder durch die Art ihrer Darstelluno- im Inhalt der Erscheinuno- wo sich das ganze Ding bewegt, bietet uns wenig Einblick in.
selbst einen unmittelbaren Einblick "'in ein »>nneres des Dino-es«"' die »innere Struktur« des Dinges. Wir sehen dann etwa nur
d. h. zugleich mit Modus und Rhythmus im Ablauf des"' Er- die Lekhtigkel(oder die Schwere der Dinge. Ganz anders im
scheinens werden uns weitere Eigenschaften der Dinge vor- Gegen fall.
stellig. Die Abhängigkeiten, in denen etwas etwas anderes dar- Der Zweig, von dem der Vogel abfliegt, schwingt hin
stellt, sind mannigfacher Art. Hierfür ist der Unterschied in und her. In dieser eigenartigen Bewegung lesen wir unmittel-
dem z. B. »Glätte<< des Dinges und »Elastizität« des Dino-es ' bar die Biegsamkeit des Zweiges, seine Elastizität. Ein dünner
sich darstellt, besonders instruktiv. Die »Glätte« wird daro-e- "' Zweig schwingt anders hin und her wie ein stärkerer Zweig;
stellt durch den eigenartigen Glanz, der über der eigentlichen "' der ranke Zweig der Linde anders wie der Apfelbaumzweig,
Farbe des Dinges verteilt liegt, die Elastizität aber durch die anders wie der zapplige Birkenzweig. Und wieder ganz anders
Weise, wie die Bewegung auftritt, abläuft. Hier ist das Dar- schwingt die Stahlstange bei ähnlichen Gelegenheiten hin und
stellen nicht, wie bei der Glätte, Sache der Erscheinungsweise, her, methodischer und strenger. In dieser Art des Vibrierens
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gibt sich die Elastizität des Körpers kund; obwohl man Elasti-
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feste hat seine eigentümliche Gestalt. Ähnlich wie Kristalle,


zität nicht in ganz eigentlichem Sinne sehen kann, hatman sie
hier doch vor sich, rein in und mit dem Sehen und nicht man mag sie groß oder klein haben, immer dieselbe Gestalt
bloß durch Hinzudenken auf Grund der Sinnesdata anderer haben, hat jede Materie die ihr eigene Gestalt. Das Tuch ist
Sinne. In diesen Zuckungen des Körpers gegen sich selbst faltig; weiches Tuch schlägt andere falten als hartes Tuch,
gewahren wir etwas von seinem Innersten ; wie" er aus seiner Leinwand andere falten wie Kattun. Man kann ein Stück
Ruhe geschüttelt, nach den Seiten hin ausschlä2i: von einer Blech verarbeiten, daß man genau die falten, die weiches Tuch
Seite i~mer _auf die andere geholt wird und schii~ßlich lang- schlägt, nachmacht, aber diese Gestalt, die für das Tuch cha-
sam wieder m Tatenlosigkeit zurücksinkt Wir gewahren, wo rakteristisch ist, paßt zum Wesen· des Eisens nicht mehr, wie
er am stärksten beansprucht ist, wo er an der einen Seite aus- jede beliebige andere Gestalt. Das Holz ist raub, mit kleinen
einandergerissen wird und wo er an der entgegengesetzten Unebenheiten, das Metall ist glatt. Man kann Holz polieren,
Seite sich zusammenkrümmt, aus sich selbst ·heraustritt ·um Metall raub machen, aber man sieht dem Metall immer an,
Platz für die Biegung zu gewinnen. Wir sehen hier 'mehr daß es eigentlich glatt ist, dem Holz, daß es eigentlich raub
wie Elastizität, wir sehen zugleich Festigkeit, Wucht und vieles ist. Diese form, die die Dinge annehmen, die Art, in der sie
andere, wofür es an Worten gebricht. Und aii dies können sie annehmen,· läßt uns unmittelbar ihre Härte, Weichheit, ihre
wir nicht übersehen, es drängt sich uns auf. Es ist undenkbar Zusammensetzung nach gewissen Richtungen- Tuch, Eisen-
daß etwas, was bloß farbig ist, uns so erschiene. . ' sehen.
Ähnlich ist es bei dem Wasser, das - hingegossen _ Nehmen wir hierzu noch die Bewegung des Dinges in
nach allen Seiten auseinander fließt, ganz anders wie etwa bei sich selbst, wie Tuch im Winde flattert, wie Blech hin- und
einem Topf voii Erbsen, der umgestülpt wi~d, die Erbsen aus- herschlägt als ganzes, so läßt uns die .Verbindung von Gestalt
einanderlaufen. Hier sehen wir unmittelbar, was Flüssigkeit und Bewegung über die Zusammensetzung des Dinges schon·
des Wassers bedeutet, obwohl wir es eigentlich nicht »sehen(( sehr viel sehen. .
in dem Sinne, wie wir Farben sehen. Nehmen wir das Ge- In ähnlicher Weise wie Gestalt, Bewegung gibt uns auch
genbeispiel dazu, Syrup, der langsam über den Boden sich Farbe Aufschluß über die innere Struktur des Dinges. Man
. ausbreitet, so haben wir unmittelbar das vor uns, was man könnte hier auch wieder die Meinung vertreten: Alle möglichen
schwerflüssig, zähe nennt. Und so läßt sich die Untersuchung Farben lassen sich. in Reihen ordnen, in die schwarzweiß
weiter fortführen. Reihe,. die gelbrotgrünblau Reihe. Diese Farben zeigen bloß
Nehmen wir nun die Gestalt als form im Raum. Die qualitative farbenunterschiede. Es ist dem Ding zufällig,
Gestalt mathematisch betrachtet, scheint uns keinen Einblick in welche Farbe es gerade hat. Gold könnte ebensogut grün
die :>Natur« des Dinges geben zu können, die Gestalt als Ab- wie goldig aussehen, Silber ebensogut schwarz wie silbern.
zirkelung des Raumes. · Jede Materie kann, scheint es, jede Ge- Die Farbe steht mit der innern Struktur des Dinges in keinem
stalt annehmen; man könnte sogar meinen, dies a priori ver- Zusammenhang. Sie ist nur das, was dem .Blick eine Grenze
tr_eten z~ können. Das ist aber nicht· richtig. Das flüssige setzt· und dadurch den Körper überhaupt sichtbar macht. Da-
mmmt mcht die Gestalt des festen an, es klammert sich immer nach spielte die Farbe gleichsam dieselbe Rolle, wie das färbe-
irgendwie an das feste und gibt ihm nach·. Aber auch jedes mittel in der Biologie. Auch hier färbt ja der Forscher die
farblosen Zellen und Zeiienkerne, um sie unter dem Mikroskop
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sehen zu können, um einen Widerstand für den Blick zu wir ihn auch noch so genau betrachten, noch so sehr ihn in
schaffen. seinen Umwandlungen, die sich vor unsern Augen vollziehen
Wir müssen schon daran zweifeln, ob sich überhaupt alle können, verfolgen. So sehen wir der Rose nicht ihren Geruch
Farben - rein als Oberflächenfarben - auf diese Weise in an, der Glocke nicht den Ton an, den sie von sich o-eben
- "'
ka~n. Dies alles können wir nur »durch besondere Sinne wahr-
Reihen ordnen lassen. Sicher ist dies nicht der Fall bei den
eigenartigen Erscheinungen der Durchsichtigkeit, Trübheit, wo nehmen«; · Aber die Weichheit der Rose sehen wir, wenn sie
der Blick sozusagen noch eine kleine Strecke in den Körper vor unsern Augen zerquetscht wird. ·
einzudringen vermag, wie bei getrübten Flüssigkeiten, bei durch- Und ohne daß wir uns auf andere Sinne beziehen· -
. '
scheinenden Körpern. Ebenso steht es mit dem eigenartigen von den Eigenschaften der Dinge sehen wir am meisten und
Glanz, den Reflexen, die einige Körper mehr, andere Körper die Eigenschaften sehen wir am deutlichsten, wenn wir sehen,
weniger aufweisen. wie sie sich in den verschiedenen Lagen, in die sie kommen
Wir meinen nun, um wieder mit der reinen Oberflächen- können, verhalten; wenn wir zusehe~, wie sich das glühende
farbe zu beginnen, daß uns schon diese Einblick in ein »In- Eisen unter dem Hammer des Schmiedes windet und krümmt
neres des Dinges« verschafft. Es ist gewiß nicht zufällig, daß und wie es Formen annimmt; wie aber das dunkle Eisen
die Metalle wie Silber, Gold eine glänzende Farbe haben, lieber zerspringt, als daß es seine Form verändert; wenn wir
sondern _in dieser Farbe spiegelt sich die Homogenität der sehen, wie das scharfe harte Eisen des Hobels die Späne aus
Metalle wieder, wie in der stumpfen Farbe des Holzes die un- dem weicheren Holz fliegen läßt, wie die Späne sich krümmen
gleichartige Zusammensetzung des Holzes. und J;"eißen; wenn wir sehen, wie das Blei sich abstumpft, wo
Man mag Bedenken haben, ob das, woran man innere es schneiden soll, - kurz, wenn wir zu den einzelnen Hand-
Eigenschaften der Dinge sieht, überall richtig wiedergegeben werken gehen, und zusehen, wie die Dinge bearbeitet werden.
ist; daran daß man diese in den erwähn!en Beispielen leibe Man könnte nun meinen, und die Theorie liegt zu nahe,
haftig vor sich hat, kann der Unbefangene nicht zweifeln. Wer als daß sie nicht aufgestellt wäre, daß man sich hier unwill-
hinsieht, wie sich die Welt vor seinen Augen entfaltet und die kürlich in die Stelle des Schmiedes, des Tischlers, des Eiseu-
natürlichen Veränderungen der Dinge, die sich vor seinen ofenwärters versetzt und fühlt, wie die. Dinge der lebendigen
·Blicken vollziehen, mit verfolgt, kann nicht leugnen, daß er im Kraft, die man ·auf sie verwendet, Widerstand entgegensetzen
Sehen die ;,)Struktur«, :>das Innere« der Dinge leibhaftig vor auf ihre Art und daß diese Hineinversetzung nötig ist, um
sich hat. die Eigenschaften der Dinge zu erfassen. Mir scheint es aber,
Es kommt uns hier nur darauf an - ohne jede Theorie man tut besser, wenn man die Eigenschaften der Dinge sehen
- den Blick für das zu öffnen, was in der farbigen Welt vor will, rein auf das glühende Eisen zu blicken, wie es sich
uns steht, ohne daß wir unser Wissen von den Gegenständen windet, sich krümmt, auf das Holz, welches bearbeitet wird
zu Hilfe nehmen und ohne daß wir uns indirekt auf andere und auf das Blei, welches schneidet. Dort sieht man unmittel-
Sinne zumal auf den Tastsinn beziehen. bar Zähigkeit, Sprödigkett, Härte, Stumpfheit, ohne sich erst
Ohne daß wir unser Wissen zu Hilfe nehmen; -- damit in die Stelle des Arbeiters zu versetzen. Es braucht da keine
meinen wir, am Zucker sehen wir nicht seine Süßigkeit, am Assoziationen oder Schlüsse, kraft derer man folgert, wie die
Essig nicht seine Säure, am Pfeffer nicht seine Bitterkeit, wenn Stoffe beschaffen seien; sondern genaue unbefangene Beob-
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achtung, Zusehen gibt diese Beschaffenheit der Stoffe; und sich in einem Gebiete, das bisher nur beiläufig gestreift und
gar sehr unterscheidet sich das, was wir schließen, woran wir oft mehr wegerklärt als geklärt ist.
0'
uns assoziativ erinnern, von dem, was wir leibhaftig vor uns Wenn wir in Gedanken über Feld gehen, und plötzlich
haben.· den Hammer des Schmiedes hören, leuchtet uns ein Raumstück
Man kann diese Überlegung weiter fortsetzen. Es gibt auf von uns bis dahin, wo wir den Klang herzuhören ver-
dann wohl kaum eine Eigenschaft der Dinge, die sich · nicht meinen. Jeder neue Schlag zaubert wieder diesen Raum her-
in der farbigen Welt offenbart oder bei günstiger Gelegenheit vor. Tritt eine Pause ein in den Schlägen, so hört die Er-
offenbaren kann. scheinung auf, der Raum verschwindet.
Und wenn wir allein auf die farbige Welt angewiesen Dieser eigenartige mit dem Ton in Verbindung stehende
wären, ohne einen andern Sinn zu haben,. so könnten wir Raum umgibt uns fast stets. Die Mücke, die uns vor dem
doch von den Eigenschaften der Dinge unendlich viel wahr- Einschlafen umsummt und in blitzschnellen Wendungen bald
nehmen, unendlich viel ausmachen. Dies direkte Verhältnis zu hierhin bald dorthin fährt, umgibt uns mit diesem Tonraum
der Beschaffenheit der Dinge, das wir in der farbigen Welt und zeichnet Figuren in ihm, ähnlich wie die leuchtende Spitze
haben, müssen wir zunächst festhalten und in uns festigen I). des Halmes, den wir im Dunkeln schnell hin und her
schwingen, Figuren, die wie von einer unsichtbaren Hand so-
fort wieder ~usgewischt werden. Der Vogel, der in unserm
Kap. Il. Wie uns Töne eine Außenwelt vermitteln. Rücken singt, bringt hinter uns einen Raum hervor, wie ihn
Das Reich der Tön~ ist. schon nach verschiedenen Seiten vorne der Blick uns zeigt. Wo die Wand uns den Blick ver-
durchforscht. Ähnlich wie man Farben für sich nach ihrer Ver- sperrt, erschafft die mit dem Geschirr hantierende Magd neue
wandtschaft und Zusammengehörigkeit untersucht hat, hat man Räume für uns. Ziehen wir im finstern über die Landstraße,
Töne als ein Reich eigener Art nach Harmonien, Disharmo- so umgeben uns die Kirchenglocken, die von allen Seiten zu
nien nach Verhältnis von Klangfarbe, Tonhöhe, Laute des uns herübertönen, mit einem gewaltigen Raum, von dem unser
' untersucht. Wie man das Verhältnis der Farben zu den
Tones Blick nichts sieht.
Schwingungen des Äthers, hat man das Verhältnis der Töne Den Tonraum können wir identifizieren mit dem Gesichts-
zu den Schwingungen der Luft untersucht. Mit diesen Unter- raum. Wir können mit dem Auge die Stelle suchen, wo der
suchungen hat unsere folgende . nichts gemein. · Sie bewegt Ton herkommt. Vielleicht finden wir die Stelle, solange wir
den Gegenstand, der den Ton hervorbringt, nicht sehen, nicht
1) Es sei uns an dieser Stelle gestattet, Goethe anzuführe~: genau; wir können aber unter günstigen Wahrnehmungsver-
Entwurf einer Farbenlehre (Didaktischer Teil) Einleitung. • ... Wir hältnissen ungefähr die Stelle bezeichnen. Wir können unsern
sagten, die ganze Natur offenbare sich durch die Farbe dem _Sin~e Blick auf die Strecke richten, die der Ton »durchläuft« und
des Auges ... « und einige Seiten weiter "· .. doch hoffen wir, sie sagen, aus dieser Richtung ist der Ton gekommen, diese
(die Farbe) durch unsere Darstellung und durch die __ vorgeschlagene
Strecke hat er durchlaufen, um zu uns zu kommen.
Nomenklatur wieder zu Ehren zu bringen und die Oberzeugung zu
erwecken daß ein Werdendes Wachsendes, ein Bewegliches, der 'Es fragt sich nun, ob in Wahrheit der Tonraum nur ein
Umwend~ng fähiges nicht betrüglich sei, vielmehr geschickt, die abgeleiteter Raum ist, etwa so, daß der Ton, den wir hören,
zartesten Wirkungen der Natur zu. offenbaren .. ·" ein Phantasiebild des Gesichtsraumes hervorruft und daß wir
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in diesem Phantasieraume -- der aber ein Gesichtsraum ist - man sie hört, wie man sagt, daß man sie sieht. Darüber, ob
dem Ton eine Stelle anweisen. Man ist leicht geneigt, die und inwiefern es Sinn hat, zu sagen, daß man die Schwere
Sache so zu konstruieren, weil fast stets der Ton von einem sieht oder hört, während doch die gemeine Meinung ist, daß
solchen Gesichtsbild begleitet ist. Schwere nur im Heben erlaßt wird - wollen wir später Un-
Diese Konstruktion scheint mir aber unrichtig z~ sein. tersuchungen anstellen.
Die sorgfältige Beobachtung scheint mir aufzuzeigen, daß der Ebenso hört man die Härte eines Gegenstandes, der gegen
Ton uns einen Raum gibt, analog wie die Farbe. Man hört einen andern gestoßen wird, am Klang und die Weichheit um-
unmittelbar, woher der Ton kommt, die Assoziation mit dem gekehrt. Die Dumpfheit des Tones, den Holz von sich gibt,
Gesichtsraum tritt erst später ein, sie kann ganz ausbleiben. der metallene Klat!g des Eisens gibt die verschiedene Struktur
Der Ton scheint mir ebenso ursprünglich einen Raum darstellen beider Gegenstände unmittelbar wieder. Das Plätschern des
zu können wie die Farbe. Nur muß man, -will man dies Wassers gibt uns das flüssigsein des Wassers, das Poltern des
richtig auffassen, allerdings gleich einen Schritt weiter gehen. Donners das Aufeinanderschlagen von Luftmauern wieder.
Die Töne stellen nicht einen eigentlichen Tonraum dar, son- Die Bewegung der Gegenstände im Raum gibt der Ton
dern Gegertstände im Raum und zwar Gegenstände, die nicht wieder analog wie der Blick. Wir nehmen auch unmittelbar
selbst wieder Töne sind. Man kann zwar nicht sagen, daß die Identität .des gesehenen und gehörten Gegenstandes wahr.
das Kikeriki uns einen Hahn, das Schnattern uns eine Ente, Der Wagen, der von uns weg vor unsern Blicken um die
das Pip-pip uns einen Sperling zur Vorstellung bringe, ebenso nächste Ecke biegt, ist zuerst gesehen und gehört, dann nur
wie das Gesicht uns einen Hahn, eine Ente, einen Sperling gehört und zwar als derselbe WaQ'en. Ebenso ist der Warren
zeigt. Hier ist es offenbar ein einschleich~ndes Phantasiebild, "' '
der dem Blick zunächst verborgen~ ist, in seinem Rasseln wahr-
das in fester Assoziation sich zu dem Ton gesellt. Ebenso genommen und wird dann, wenn er um die Ecke fährt und
ist es in unzähligen andern fällen. Hier kann man nicht da- sichtbar wird, identifiziert mit dem zunächst nur o-ehörten
von reden, daß der Ton uns den Gegenstand zur Darstellung Wagen, ohne Zuhilfenahme von Phantasiebildern. "'
bringe, wie man etwa sagen kann, die Farben brächten ihn Wenn uns nun der Ton offenbar Raum und Gegenstände
zur Darstellung. in ihm zur Vorstellung bringt, so tut er dies doch in anderer
In andern Fällen liegt aber phänomenologisch die Sache Weise, als das Gesicht. Er gibt nicht die scharfen Grenzen
anders. Hört man einen mit Eisenstangen beladenen Wagen der Dinge, die das Gesicht gibt, wenn er auch andererseits
über die holprige Straße fahren, ohne ihn zu sehen, so hat nicht alles in eins verschwimmen läßt. Er gibt manches von
man unmittelbar die Holprigkeif der Straße, die Schwere des den .Oegenständen deutlicher und intensiver als das Gesicht
beladenen Wagens, die Menge der geladenen Stangen und . '
manches gibt er vielleicht, was das Gesicht überhaupt in der
andere Bestimmtheiten des Gegenstandes vor sich. Diese hat Art nicht geben kann, aber umgekehrt mag er auch manches
man. deutlicher vor sich, als wenn man den Wagen sieht. Man nicht geben, was das Gesicht gibt.
hat sie auch direkt im Ton vor sich; stellt sich ein Phantasie- Die frage, ob der Gesichtssinn mitwirken muß, um durch
bild des Wagens ein, so verdeutlicht das nicht eigentlich den Assoziation dem Ton gegenständliche Beziehungen zu geben,
Gegenstand, den man hört, in Bezug auf die bemerkten Quali- ist von untergeordneter Bedeutung; denn sicher ist, daß der
äten. Man kann jedenfalls mit demselben Recht sagen, daß Ton zur unmittelbaren Darstellung nicht Gesichtsqualitäten
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bringi - Farben - sondern Qualitäten, deren eigentliche Er- sie verschiedene Auffassungen zu analog, wie die Farben. Dies
kenntnis man dem Tastsinn und den verwandten Sinnen zu- sieht man trefflich, wenn etwa das Sausen im Ofen für Sausen
kommen läßt, die der Gesichtssinn selbst nur vermöge einer des Windes um das Haus gehalten wird und wenn dann plötz-
Assoziation zur Darstellung bringen soll. Die frage fällt also lich der Ton ~und mit ihm der dargestellte Gegenstand sich
in Wirklichkeit damit zusammen, ob nur vermöge einer Asso- verlegi.
ziation der Gesichtssinn uns Schwere, Dichtigkeit, Elastizität Wie weit nun der Ton uns eine Außenwelt gegenständ-
zeigi, oder ob er fähig ist, aus sich diese Eigenschaften zur lich machen kann, ist nicht leicht zu beantworten. Es scheint
Darstellung zu bringen. Zu dem Gesichtssinn selbst steht der mir aber ,bedeutend weiter zu gehen als man im Anfang wohl
Tonsinn jedenfalls nicht in dieser Beziehung. Töne geben uns anzunehmen geneigt ist. Raum und Stellen im Raum gibt der
in der unmittelbaren Weise nie eine Vorstellung von Farben, Ton uns, ob er uns aber - ohne Mithilfe anderer Sinne -
stellen nie unmittelbar Farben dar. Im Donner hören wir un- auch eine Art Dinge im Raum gibt, ist nicht so leicht festzu-
mittelbar das Aufeinanderpoltern, Aufeinanderstürzen von stellen. »Etwas« im Raume und zwar nicht etwa Töne im
Wänden; davon zu reden, daß der Ton in der Art, wie er Raume gibt er sicher. Wenn der Sturm um das Haus fe2i:
und durch_ die Gipfel der Bäume, so erfüllt er für uns den
"'
uns dies Aufeinanderstürzen zeigt, auch die Farbe der Wände
zeige, gibt offenbar keinen Sinn. Der Donner bringt den Blitz Tonraum mit Gebilden. Der Tonraum ist - auch abgesehen
nicht unmittelbar zur Vorstellung. Sofern er dies tut, tut er von den Tönen - nicht leer. Aber im allgemeinen bemühen
es nur assoziativ, ohne die innige Verbindung, mit der er uns wir uns zu wenig, diese »Sprache'' zu lernen und setzen das,
unmittelbar so etwas wie die »Wucht« eines Zusammenstoßes was der Ton gibt, gewöhnlich in Beziehung zu den Gegen-
ständen, wie sie uns die andern Sinne geben, wo der Tonge-
schwerer Gegenstände darstellt.
Wenn nun der Ton uns auf die Außenwelt in mannig- genstand uns dann manche Ergänzung gibt.
facher Weise beziehen kann, uns die Außenwelt auf vielerlei Nur wenn wir direkt das erfassen wollen, was man wohl
Weise crecrenständlich machen kann, so ist damit nicht gesagt, die Natur selbst nennt, wenn wir absehen von den einzelnen
"'"' - formen der Dinge und direkt die Natur im Herzen erfassen
daß jeder Ton dies tut. In der Musik sind wir den Tönen
selbst zugewandt; wenn Töne hier etwas vorstellen, so sind es wollen, meinen wir oft, in der Tonwelt dieser Natur als Wirk-
Leidenschaften, Gefühle, nicht Gegenstände der Außenwelt. lichkeit für sich näher zu kommen wie durch ircrend einen
"'
Wie Töne dies vermögen, lassen wir hier außer Betracht. andern Sinn. Und soviel scheint mir sicher, daß die Töne,
Nur in gewissen Musikstücken wird die Außenwelt mit wenn auch auf verworrene Weise, das, was wir mit äußerer
Absicht - aber nur im Bilde - dargestellt. Im übrigen aber Wirklichkeit im letzten Sinne meinen, Kräfte und Gegenkräfte,
wird es sorgfältig vermieden, in den Tönen das Streichen mit Ringen, Kämpfen von Elementen auf ganz eigene Art zur
dem Geigenbogen, das Durchpressen der Luft durch die In- Darstellung bringen, sozusagen im Großen aber Ungewissen
strumente, das Schlagen auf die Tasten, auf das Kalbsfell ge- das vollbringen, was der Tastsinn, der Gesichtssinn im Kleinen
genständlich zu machen; die Harmonie der Töne lenkt uns und Einzelnen allmählich erschaffen. Dies scheint mir aber
mehr die zufällige Gestaltung zu sein, die die einzelnen Sinne
von diesen Geräuschen ab.
Soweit die Töne Gebilde im Raume zur Darstellung gewonnen haben. Der Ton scheint mir seiner Natur nach
bringen, sind sie auch in gewissen fällen mehrdeutig, lassen
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fähig zu sein, eine Welt darzustellen, ähnlich wie der Gesichts- der Töne für sich, der Farben für sich ohne jeden Zusammen-
sinn, der Tastsinn 1). hang miteinander.
Es ist je(zt die frage, wie es mit der getasteten, gefühlten
Welt steht. Im Gebiete des Tastsinnes und der ihm verwandten
Kap. 111. Wie der Tastsinn und die verwandten Sinne Sinne, wie z. B. des Drucksinnes, muß man zweierlei Ein-
uns eine Außenwelt vermitteln. stellungen zu den Dingen wohl unterscheiden: die Einstellung
Es ist eine alte Meinung, daß der Tastsinn, der Drucksinn des werktätigen Menschen und die des theoretischen des
Menschen; dem es um Erkenntnis zu tun ist. Es ist etwas
'
auf gewisse Weise uns am getreu! ichsten und zuverlässigsten
die Welt, wie sie ist, wiedergibt. Diese Sinne sollen uns die anderes, ob ich taste oder ob ich die Hand auflege. Nur das
eigentl ichsten objektivsten Eigenschaften der Dinge vermitteln, Tasten verschafft mir in einem eigentlichen Sinne »Wahrneh-
wie Härte, Schwere, Elastizität, flüssigsein. Nach dieser Mei- mung« vom Gegenstand, nicht das bloße Handauflegeil oder
nung ist dann die Aufgabe der andern Sinne nur eine er- mit der Hand darüber gleiten. Es ist etwas anderes, ob ich
gänzende; der Gesichtssinn gibt uns nur Farben und etwa noch die Bürde eines Gewichtes schleppe, oder ob ich das Gewicht
die unmittelbar damit verbundene Ausdehnung. - Unsere Auf- wiege, prüfe. Es ist ein Unterschied, ob ich im Wasser
gabe ·ist, ganz davon abzusehen, wie gewisse Sinne dies oder schwimme, plätschere oder ob ich im Druck des Wassers, in
das zu leisten vermögen und nur aus der Art, in der die seinem Verhalten unter meinem Körper, meinem Finger seine
Außenwelt sich uns in den verschiedenen Fällen gibt, zu er- Eigenart wahrnehmen will. Es ist ein Unterschied, ob ich ein
fahren, welches Verhältnis diese Arten ihrer Gegebenheit haben. Fahrzeug ziehe oder ob ich im Zug seine Beweglichkeit erprobe.
Da haben wir nun gesehen, wie wir die Außenwelt im Ton Es ist ein Unterschied, ob ich ein Stück Brot schneide oder
und wie wir sie ähnlich in Farbe und Licht erfahren. Wir im Schneiden die Härte, Weichheit des Brotes erfahre, ob ich
haben gesehen, daß wir dort nicht eine Farben- und Tonwelt ein Stück Tuch zupfe oder ob ich im Zupfen seine Dehnbar-
erfahren, sondern eine Welt, die in Farbe und Ton durch keit erfahre. Und so fort. Hier scheint von außen angesehen
Farbe und Ton erscheint. Wir haben gesehen, daß;~wenn man immer dasselbe vorzuliegen; aber man braucht sich nur auf
von Farben- und Tonwelt für sich redet, man eine ganz andere die bei.den Einstellungen zu besinnen, die Einstellung, die auf
"Welt< meint. Während die durch Farbe dargestellte Welt »Wahrnehmung« ausgeht und die Einstellung, die eine Arbeit
mit jener durch Töne dargestellten identisch ist, sind die Welten verrichten will, so findet man die Verschiedenheit beider.
Man kann stundenlang im Wasser schwimmen, ohne das Wasser
1) Hier diirfen wir uns wieder auf 0 o e t h e berufen: I. c. Vor· im Schwimmen »wahrgenommen« zu haben, man kann einen
wort zur Farbenlehre, (im Anfang) »Ebenso entdeckt sich die ganze
Tag lang den Tornister getragen haben, ohne seine Schwere
Natur einem andern Sinne. Man schließe das Auge, man öffne, man
schärfe das Ohr und vom leisesten Hauch bis zum wildesten Ge- wahrgenommen zu haben usw. Wir haben es hier nur mit
räusch, vom einfachsten Klang bis zur höchsten Zusammenstimmung, der Wahrnehmung im besonderen Sinne zu tun - mit jenem
von dem heftigsten leidenschaftlichen Schrei bis zum sanftesten Worte Prüfen der Dinge, die auf Erkenntnis des Dinges und seiner
der Vernunft ist es nur die Natur, die spricht, ihr Dasein, ihr-? Kraft. Eigenschaften ausgeht, nicht mit der Art, auf die man sonst _)
ihr Leben und ihre Verhältnisse offenbart, so daß ein Blinder, dem in körperliche Berührung mit der Außenwelt tritt. Diese Wahr-
das unendlich Sichtbare versagt ist, im Hörbaren ein unendlich
nehmung ist nun vielfältig durch den Tastsinn, Drucksinn
Lebendiges fassen kann, ..
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möglich. Durch Ziehen, Biegen, Brechen, durch Tasten, durch Dieselbe Elastizität können wir auch fühlen, tasten. Um uns
Heben, durch Drücken kann ich Eigenschaften !des Gegenstandes besser zu konzentrieren, schließen wir die Augen, nehmen eine
wahrnehmen, wenn ich eben auf Wahrnehmung ausgehe. Und Stahlstange und danach einen nicht ganz gerade gewachsenen
diese Wahrnehmung, die im täglichen Leben nicht so häufig Lindenzweig und bringen ihn zwischen Daumen und Finger
ist, wie es den Anschein hat, meinen wir. Der Handwerks- zum Schwingen. In diesem Schwingen haben wir Elastizität
meister, wenn er sein Material abnimmt, sein Leder, sein Holz, vor uns. Die Stahlstange scheint uns gleichmäßig elastisch zu.
sein Eisen, prüft sie einen Augenblick auf ihr~AJüte, auf be- sein; der Lindenzweig, der bald hierhin, bald dorthin kippt,
stimmte Eigenschaften und in diesem Augenblick nimmt er sie ungleichmäßig elastisch. Wir haben also dieselben Unterschiede,
wahr. Aber meistens wird der betreffende Gegenstand danach, wie beim Sehen.
bis er fertig ist, nicht mehr wahrgenommen; sondern später Fragen wir nun, was wir eigentlich wahrgenommen haben,
wird daran geschnitten, gehämmer~ poliert, ohne daß die Eigen- so tragen wir Bedenken, einfach mit »Elastizität« zu ant-
schaften, die hierbei an sich wahrgenommen werden könnten, worten und ähnlich, wie wir beim Sehen sagen würden,
von den Handwerksgesellen wahrgenommen werden. Ja, es »eigentlich haben wir nur Farben, Bewegungen wahrgenommen«,
ist möglich, daß ein aufmerksamer Zuschauer, der zusieht, wie so sind wir versucht, hier zu sagen, daß wir eigentlich nur
das Leder sich schneidet, eine Wahrnehmung von der Zähigkeit einen Druck, ein Ziehen in den Fingern und in unbestimmter
des Leders hat, während der schneidende Handwerker im seihen Weise irgend etwas an der Stelle des Raumes wo die Stano-e
' b
Augenblick mechanisch schneidend von dieser Zähigkeit keine sich befinde~ das sich schwer beschreiben läßt, aber auch dem
Wahrnehmung hat. stärksten Fixieren Stand hält, wahrnehmen können. Ein Etwas,
Dies in Berührungkommen mit den Dingen und sie wahr- das eine bestimmte Raumstelle hervorbringt. Die Versuchung
nehmen ist nicht eine Modifikation desselben, sondern es ist liegt nahe zu sagen, daß dies, was wir hiermit - wenn auch
ein Ruck, wenn man von dem einen zum andern übergeht. ungenau - als eigentlich wahrgenommen bezeichnet haben,
Es liegt kein bloßer Unterschied der Aufmerksamkeit vor, sondern die gleiche Rolle spielt, wie der Ton, wie die Farbe in Bezug
der Strahl der »Intention«, der in der Wahrnehmung zu den auf Darstellung des Gegenstandes.
Gegenständen geht, ist bei dem bloßen Arbeiten an, in Berührung Nehmen wir nun eine Bleifeder und versuchen sie wie
kommen mit den Gegenständen überhaupt nicht vorhanden. die Stahlstange in Schwingungen zu setzen, so gewahren wir
Und gerade weil man das, was die Intentio recht eigentlich unmittelbar die Steifheit der Stange wie wir vorher die Elasti-
ist, sich bei diesem Gegensatze sehr gut klar machen kann und zität wahrgenommen haben. Machen wir weiter dieselbe Unter-
dabei feststellen kann, wie im Sehen, Hören, Tasten dieselbe suchung wie vorhin, so hält dem fixierenden Blick Stand nur
Einstellung zum Objekt vorhanden ist, das »Gerichtetsein« auf der Druck gegen die Finger und ein Etwas im Raum. Der
ein Objekt, ein G egenständl i eh haben, während die un- Druck gegen die Finger ist aber ein anderer wie im vorigen
mittelbar gegenständlichen Inhalte, die Töne, Farben, Data des Beispiel. Er schwi!It nicht in der Weise afr wie dort, sondern
Tast-, Drucksinnes durchaus verschieden sind, deswegen haben es ist ein viel plötzlicherer Druck. Das Ziehen an den Fingern,
wir diesen Gegensatz hier etwas näher erörtert. das wir dort feststellten, ist hier nicht vorhanden.
Wir haben nun gesehen, wie man die Elastizität eines Ebenso ist es mit dem Tasten. Eigentlich haben wir hier
Lindenzweiges, eines Birkenzweiges, einer Stahlstange sieht. nur eine leise Druckempfindung in den Fingern. Wir fahren
3*
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leichter über den Gegenstand hin, je glatter er ist. Bei einem
rauben Gegenstand haken wir an jeder Stelle an und müssen
Kap. IV. Das Verhältnis der Sinne zueinander.
den Druck verringern, um über die Oberfläche tasten zu können. Man wird vielleicht manches von den bisherigen Erörte-
Bei einem ganz glatten Gegenstande aber fahren wir leicht und rungen für zutreffend halten und 1 doch immer von neuem die
ohne Mühe über die Oberfläche hin. Und dies Anhaken einer- frage aufwerfen : Wenn auch das Gesicht mir in gewisse
seits; die Leichtigkeit, mit der wir andererseits über den Gegen- Eigenschaften der Dinge, die nicht direkt auf Farbe und Ge-
stand fahren, gibt uns eine Vorstellung von der Rauhigkeit stalt zurückzuführen sind, einen Einblick gestattet, so ist doch
oder Glätte des Gegenstandes. Die scharfe Ecke erfahren wir der Sinn, der mir in der eigentlichsten Bedeutung eine Vor-
im Druck, den wir an dieser Stelle empfinden, während das-- stellung von Härte, Weichheit, Rauhigkeit, Glätte, Kraft liefert,
zurückstehende einen geringeren oder gar keinen Druck ausübt. der Drucksinn, der Tastsinn; an dem Widerstand, den die Dinge
Die Härte des Gegenstandes erfahren wir im Druck, im mir bieten, wenn ich sie aufheben, brechen, biegen, zusammen-
Klopfen- aber die schmerzhafte »Druckempfindung« für sich, drücken will, ersehe ich ihre Schwere, Härte, Elastizität; und
die wir haben, wenn wir mit dem Knöchel des Fingers auf wenn ich dann sehe, daß die Dinge andern Dingen als mir
die Oberfläche eines Dinges klopfen, hat nichts mit der Härte gegenüber sich ähnlich verhalten, von ihnen aufgehoben, ge-
des Gegenstandes gemeinsam. brochen, gebogen, zusammengedrückt werden, »Schließe« ich
Und so kann man alle Druck-, Tastempfindungen unter- gewohnheitsmäßig dort auf ähnliche Kräfte, assoziiere ich solche
suchen. Nie ist das Ding oder eine seiner Eigenschaften darin dort hinzu.
direkt gegeben. Sondern Druck-, Zug-, Tastempfindung stellt Daß die getreue Beschreibung des sinnlich-leibhaftig Ge-
Eigenschaften des Gegenstandes dar, wi!'! die Farbe, wie der gebenen keine Spur von solchen Assoziationen aufzeigt, sondern
Ton und insofern sind sie den Farben und Tönen koordiniert. vielmehr zeigt, daß wir leibhaftig Elastizität, flüssigsein, Raub-
Damit soll nicht gesagt sein, daß der Weg, auf dem man durch sein im Sehen vor uns haben, wird den, der darauf ausgeht,
die drei Sinne zu dem Dinge kommt, überall der gleiche ist. jede Behauptung an der Anschauung der Sachlage zu bewahr-
Nur daß es überall ein Weg ist, auf dem man zu dem Dinge heiten, vielleicht auf unsere Seite ziehn, zumal wenn er das -
kommt, ist das Wichtige. es muß so sein - das die Theorie ihm entgegenhält, näher
Druck-, Zug-, Tastempfindung lassen sich nicht so ordnen untersucht und er dann bemerkt, wie viele naturwissenschaftliche
wie Farben Töne. Sie sind dumpfer wie Farben und Töne; Hypothesen die Theorie zu ihrer Abrundung gebraucht, wie
man kann bei Druck, Zug wohl nur von Intensitätsunterschieden viel Fehlerqrieiien sie damit einführt. Und zumal, wenn er
sprechen. Daß nun die Data des Tastsinnes - wie wir Druck, bemerkt, daß Theorien, ob nun naturwissenschaftliche über die
Zug in Ermangelung eines besseren Namens vorläufig nennen Eigenschaften der Dinge, oder psychologische über die Wahr-
wollen - uns eine Welt darstellen können, wie die Farbe es nehmung der Dinge ihrem Sinne nach von Gegebenem auf
tut, darüber brauchen wir wohl kaum größere Ausführungen Nichtgegebenes gehen und insgesamt letzte Gegebenheiten un-
zu machen. Wir brauchen nur eine Streichholzschachtel in die mittelbar einsichtiger Art (obschon in verschiedenem Sinne)
Hand zu nehmen und erkennen dann, wie viele Bestimmfheiten voraussetzen. Daß ein Ding dasteht und sich Ieibhaft als das
des Dinges wir durch die Data des Tastsinnes wahrnehmen. oder das darsteilt: das ist ein Tif'el für Vorgegebenheiten, die
vor aiier Theorie über Dinge urid Dingwahrnehmungen liegen.
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jede Theorie würde ihren Sinn verlieren im falle ihrer Leug- ein Ding der natürlichen Welt wie jedes andere Ding auch,
nung. Was wir aber oben getan haben, war eben einfache bedeckt mit einer dicken Farbeschicht - Farbe hier als farbiger
Beschreibung dessen, was vor aller Theorie in unmittelbarer Stoff verstanden. Außerdem aber erfüllen die farbenflecke -
Leibhaftigkeit gegeben und zu finden ist. Farbe hier als absolutes Datum, als bloße Qualität wie in dem
Wenn wir so behaupten, daß Härte, Elastizität, flüssigsein, Worte: rot, grün, gelb, verstanden -- irgendwie die Aufgabe,
Glatt-, Raubsein und viele andere Eigenschaften der Körper einen Ausschnitt aus einer Welt »Bäume Menschen Wiesen
uns vermittels der Data mehrerer Sinne gegeben seien, könnte Hügel« vorzustellen. Sie geben alles das wieder, was wir in
man es für eine notwendige Konsequenz ansehen, daß sie uns der wirklichen Welt der Anschauung sehen, Härte, Schwere,
in derselben Art, wie Wärme, Farbe, Ton gegeben seien. Wenn Elastizität und alles mögliche andere. Dabei wird von dem
man sich vorstellt, wie unmittelbar im Sehen wir das flüssig- Ölg~mälde nur die Farbe als absolutes Datum gebraucht; was
sein wahrnehmen, liegt dieser Gedanke nahe und doch scheint liegt näher als der Schluß, daß wir alles andere, was wir zu
man mir hier einen Schnitt machen zu müssen. Deutlich und sehen vermeinen, hinzudenken, hinzuphantasieren.
leibhaftig ist uns jedenfalls auch das flüssigsein gegeben, aber Wenn diese Theorie uns nachweisen könnte, wo uns denn
doch auf andere Art wie die Farbe. Man kann sich nicht zuerst das flüssigsein und das Starrsein, die Härte und die
etwa die Sache so zurechtlegen: Alle drei behandelten Sinne Festigkeit, die Elastizität und die Sprödigkeit erschiene, wo wir
sind jeder für sich imstande uns neben und zwischen Farben, Anschauung von den Beschaffenheiten, die diese Begriffe aus-
Tönen, Data des Druck-, Tastsinnes noch Elastizität, flüssig-, drücken, haben, so könnte man eher über das summarische
Starrsein, Härte vorzustellen. Es wird also wohl in allen drei Verfahren, das bezüglich der Verbindung dieser Eigenschaften
Sinnen ein gemeinsamer Sinn enthalten' sein, der flüssig, Hart mit der farbigen Welt eingeschlagen wird, hinwegsehen. Aber
so vorstellt, wie das Auge Farbe, das Ohr Töne vermittelt. wennv selbst der Tastsinn Flüssigkeit, Starrheit und all das
Eine solche Folgerung wäre durchaus übereilt und entspricht andere nicht direkt gibt, woher sollen wir denn überhaupt auch
der Sachlage nicht. Denn das ist vorläufig das Wunderbare, nur den Begriff von diesen Bestimmtheiten haben.
daß Töne und Farben, sowie »Tast-Druckempfindungen«, ob- Die Möglichkeit abzubilden kehrt auch in der Tonwelt
wohl sie vorherrschen und das Bestimmteste in den von ihnen und in der Tastwelt wieder. Bezüglich der Tonwelt braucht
· eingenommenen Sinnesgebieten sind, obwohl sie ferner durch- man nur an· das Thf'1ter zu denken, wo Sturm, Gewitter, eine
aus verschieden von einander sind und kein Übergang aus Volksmenge mit den einfachsten Mitteln dargestellt wird. Das
dem einen Gebiet zum andern stattfindet, doch dasselbe - die was hierbei der Ton darstellt, kann in weite fernen rücken, sich
Welt draußen - auf ihre Weise darstellen. Denn die Meinung, allmählich nähern, wieder verschwinden. Es wird damit ein
eigentlich nehme das Auge nur Farben, das Ohr nur Töne Weltausschnitt darge"tellt, den es in Wirklichkeit nicht so gibt,
wahr, alles andere besorge Assoziation und Erfahrung, hat ganz analog wie bei dem gemalten Bilde. Die Analogie läßt
wenigstens insofern eine feste Grundlage, als Farben, Töne in sich leicht vollkommen durchführen.
diesen Welten, die mit ihnen erscheinen, einen besonders aus- Ebenso ist es bei dem Tastsinn, wenn auch sozusagen
gezeichneten Platz einnehmen. die Experimente hier schwieriger anzustellen sind.. Aber durch
Ein kleiner Umweg mag dies mehr verdeutlichen. Denken Reizung der Haut kann ohne Zweifel die Vorstellung wach-
wir an ein etwa in Ölfarbe gemaltes Bild. Dieses ist erstens gerufen werden, als ob die Versuchsperson einen elastischen
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Stab in der Hand halte, ohne daß dieser tastmäßig vorgestellte aus denen das Bild scheinbar erschaffen wird, an, sondern sie
Stab da ist. Die Taschenspieler kennen verschiedene Handgriffe, knüpft an erst an das fertige Bild. Dinge, oder im weiteren
wodurch sie in den Versuchspersonen die Vorstellung wach- Sinne Gegenstände, sind die Voraussetzung für die Bewegung
rufen, als ob sie etwas in der Hand hielten, während in Wirk- insofern, als erst der Gegenstand - und nicht alles, was über-
lichkeit nichts da ist. haupt sichtbar ist, ist in diesem Sinne Gegenstand - bewegbar
Natürlich ist hierbei von der ästhetischen Wirkung, die ein wird. Doch wir nehmen hier etwas voraus, :was späterhin
Bild ausübt, vollkommen abzusehen; es kommt uns hier nur noch deutlicher werden wird.
auf die Illusion und die Mittel der Illusion an. cNU.r dies, daß
etwas durch Farbe, Ton, Druck-, Tastempfindung vorgestellt Wenn wir dies nun überlegen, daß sich flüssigsein, Starr-
wird, was in Wirklichkeit nicht da ist, und daß die getäuschte heit und andere Beschaffenheiten der Dinge in der farbigen
Person sich davon überzeugen kann, indem ·sie das, was sie Welt, der Tonwelt, der Tastwelt zur Vorstellung bringen lassen,
jetzt als wirklichen Gegenstand aufgebaut hat, jet:z;t doch als das ferner diese Beschaffenheiten alle bildmäßig allein durch
etwas anderes wahrnimmt, kommt in Betracht. · Und in dieser Farben, Töne, Tastempfindungen dargestellt werden können,
Beziehung liegen die drei Sachverhalte gleich. so scheLnt damit ein Riß in die Welt, wie sie sich uns vor-
Bei dem gemalten Bilde könnte man noch anführen, daß stellt, zu kommen, indem gewisse Bestimmtheiten, wie Farben,
wenigstens die Veränderung und Bewegung der Dinge, die uns Töne die Vorstellung von andern Bestimmtheiten, flüssig, Starr
schließlich doch den besten Einblick in die Beschaffenheit des in einer gewissen Ordnung mit sich führen, oder was man
Dinges gibt, nicht abgebildet we~den können; aber auch das sonst für einen neutralen Ausdruck gebrauchen will; indem sie
ist nicht richtig. Eine zweckmäßige Aufeinanderfolge der Bilder, ?treng dasselbe zur Vorstellung bringen, ohne die geringste
wie wir sie bei dem Kinematographen finden, gibt auch die Ähnlichkeit mit einander oder mit dem, dessen Vorstellung sie
stetige Veränderung des Dinges wieder. Wir können hier die mit sich führen, zu besitzen, Und doch scheint diese Ordnung
Dinge sehen, wie sie sich biegen, wie sie brechen, sich um- der Welt in zwei Glieder nicht zufällig oder willkürlich zu
formen, ohne daß in Wirklichkeit solche Veränderungen sich sein. Es scheint nicht ohne Ordnung zu sein, daß die einen
vollziehen. Es fragt sich allerdings, wie weit hier die Analogie Bestimnitheiten, die Farben, Töne im ersten Gliede stehen, und
durchzuführen ist. Sie wäre vorhanden, wenn· man anstatt des Starrheit, flüssigsein im zweiten Gliede. Ob je das zweite
bewegten Lebens, das man durch den Kinematographen sieht, Glied irgendwo in das erste Glied vorrücken kann, ob flüssig-
auch - mit einer Änderung der Blickrichtung ähnlich wie bei sein sich selbst ohne Vermittlung von Farbe, Ton vor uns
dem Ölbilde - das was in Wahrheit vorhanden ist, die Auf- hinstellen kann, wollen wir hier noch unentschieden lassen,
einanderfolge von Bildern, sehen könnte, ohne Identifizierung des aber Farbe und Töne selbst scheinen doch nie in das zweite
Bildgegenstandes. Dabei ist interessant, daß im Kinematographen Glied rücken zu können, nie durch etwas anderes, in einem
schon eine höhere Stufe von Verbildlichung vorliegt. Denn andern dargestellt werden zu können. Von Farben, von Tönen
Vorbedingung für das Sehen der Bewegung und Veränderung als absoluten Inhalten gibt es wohl Phantasiebilder, aber keine
ist das Sehen von Bildgegenständen. Ohne Bildgegenstände wirklichen Bilder. Farben kann man nicht abmalen. Man kann
ist keine Bewegurig darstellbar. Die Bewegung setzt Bildgegen- wohl einen farbenfleck, als welcher aus Ölfarbe, aus Wasser-
stände voraus, sie knüpft nicht direkt an die farbenelemente, farben, aus Mennige oder Zinnober besteht, malen, aber man
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kann nicht Farbe selbst malen. Man kann nicht das Rot, das erst durch das Kleid, das ihn umhüllt. Trotzdem ist der Raum
Grün an dem Farbenfleck - als immanenten Inhalt -- malen, aber seinem Wesen nach unabhängig von diesem Kleid, nur
man kann nur ein gleiches Rot, ein gleiches Grün daneben sein gegenständlich werden ist abhängig von dem gegenständ-
setzen, hat dann aber nicht das Recht, das eine, für ein Abbild lich sein des Kleides, der sinnlichen Data.
des andern zu halten. Jede Farbe ist gleich original, gleich Die Umkleidung nun stellt den Raum, den man im Auge
wirklich. Und so auch mit dem Tone sellJst, mit den Data hat, wenn man von dem Raum redet, den die Dinge ausfüllen,
des Tastsinnes selbst. Gemalt werden kann immer nur das, nicht »adäquat« dar, sie gibt einen andern »Raum«, der aber
was im zweiten Gliede steht. Hierbei ist nun allerdings zu in inniger Beziehung zu dem ersten Raum steht. So schrumpft
beachten, daß man schließlich, wenn man Bild und Original der Gesichtsraum in der Entfernung zusammen, sodaß ein
neben einander hält, auch ein Recht hat zu sagen: die Farbe Raum@sschnitt, der in Wirklichkeit so groß ist, wie ein in
des Bildgegenstandes - das Grün des gemalten Rasens -- sei der Nähe befindlicher Raumausschnitt, viel kleiner aussieht als
ein Abbild der Farbe des Originalrasens, insofern es eben zum dieser, und UJ.JSO kleiner, je entfernter er ist. Der Raum, den
Rasen gehört, daß er grün ist, daß er diese Eigenschaft als die Sonne einnimmt, ist für das Auge kleiner als der Raum,
Dingeigenschaft hat. den der Tisch einnimmt.
·Der Tastsinn scheint auch nicht direkt den ersten Raum
Kap. VI. Das Dargestellte: der Raum. darzustellen. Soweit die Hände reichen, fällt dies weniger
Farben, Töne und Data des Tast-, Dr11cksinnes stellen also auf. Tasten wir aber einen Raumabschnitt mit einem Stabe
jede Raum dar. Man spricht in diesem Sinne von Gesichts- aus, so ist uns auf gewisse Weise der betreffende Raum ge-
raum, Tonraum, Tastraum. Diese Sprechweise ist nun sehr
gefährlich und gibt zu Irrtümern manchen Anlaß.· Denn von
hier ist es nur ein Schritt zu der Behauptung: in diesem Raum I geben. Je länger wir den Stab nehmen, auf desto größere
Entfernungen können wir den Raum abtasten; aber schließlich
wird die Drehung des Stabes immer winziger, 'je länger wir
ordnen sich die Töne, die Farben, die »Tastempfindungen«,
der Raum sei für sie ein Prinzip der Ordnung. I den Stab nehmen müssen, und hiermit hängt zusammen, daß
bei größerer Länge des Stabes schließlich der abgetastete
Wenn wir unsere Betrachtungen durchführen , kommen Raum, wenn er auch »objektiv gleich groß« ist, wie ein mit
wir zu einer anderen Auffassung: der eine Raum stellt sich einem kurzen Stabe abgetasteter Raum, doch den Eindruck
im Hören, Sehen, Tasten dar. Farben, Töne, Data des Druck-, erweckt, als ob er winzig wäre.
Tastsinnes bringen ihn jede auf ihre Ai. zur Darstellung. Aber Auch bei dem Tonraum scheinen die Verhältnisse ähnlich
diese Darstellungsarten bedeuten gleichsam nur verschiedene zu liegen, nur ist der Nachweis hier schwieriger zu erbringen.
Wege, auf denen man zum seihen Ziele kommt. Darin steckt, Schließen wir aber diese »Unstimmigkeiten« aus, indem
daß dies Ziel immer auf einem Wege erreicht werden muß, wir uns auf die Darstellung, die die Sinne von einem Teil
daß es nicht direkt vor einem liegen kann; hierbei paßt aller- r des Raumes im günstigsten Fall liefern können, beschränken,
dings das Beispiel vom Wege schlecht. Besser sagt man, der nehmen wir noch hinzu, daß hier, sofern noch "Unstimmig-
Raum zeige sich immer nur in einer Umkleidung, in einem keiten<< vorliegen, diese unmittelbar durch kurze Bewegungen
Gewand ; den nackten Raum für sich bekomme man nirgends korrigiert werden, so liefern die Sinne hier eine Darsteliilng
zu sehen. Sichtbar - besser gegenständlich wird der Raum des Raumes im ersten Sinne.
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Dieser Raum ist nun einer, er ist im strengsten Sinne des Windes auf, der Ton ist immer da, wo das Dargestellte
derselbe identische, der im Tasten, Hören, Sehen erfahren wird. ist. In Bezug auf den Raum folgt er dem. Dargestellten.
Von einem Gesichtsraum, Tonraum, Tastraum zu reden, gibt Entsprechend läßt sich das Verhältnis der Lichter, Reflexe,
danach keinen Sinn. Der Raum ist aber auch für Töne und des Glanzes zu dem Raum feststellen. Auch diese haben
Farben, rein als solche, mittels derer er sich'-.darstellt, kein normalerweise die Aufgabe, Dinge zur Darstellung zu bringen.
Prinzip der Ordnung. Töne, Farben stehen sachlich nicht in Zuweilen scheinen sie zwar, wo sie im Übermaß sich zeigen,
der Beziehung zum Raum, daß der Raum eine form für sie die Darstellung zu beeinträchtigen. Gewöhnlich aber erkennen
ist. In ihnen stellt sich der Raum dar, das ist eine eigene wir da, wo der Glanz liegt und in der unmittelbaren Um-
Beziehung, die jedenfalls keine sachliche, keine Formbeziehung gebling des Glanzes den Gegenstand und seine form am
ist, was sie sonst auch sein mag. deutlichsten, wie man namentlich bei Lampenlicht an jedem
Der Ton stellt uns etwas im Raum vor, das nicht selbst metallenen Ding leicht feststellen kann. Sofern wir nun den
Ton ist, sondern etwas dingartiges. Dies dingartige ist im Glanz - um uns hierauf zu beschränken - für sich be-
Raum an einer bestimmten Stelle, wie eben Dinge im Raum trachten wollen, ohne Rücksicht darauf, daß er das Ding dar-
sind. Das Rauschen, Wehen, Rasseln, Klirren, Poltern, Dröhnen stellt, merken wir bald, daß er sich nicht in Beziehung zum
und alle Worte, die in dieser Weise eine von Geräusch be- Raum setzen läßt, sobald wir ihn von dem Gegenstand, auf
gleitete Veränderung der Außenwelt ausdrücken,. bezeichnen, dem, in dem er zu liegen scheint, trennen. Indem man ihn
wie im Ton hier mehr liegt als bloß Ton, wie der Ton uns selbst räumlich fassen will, versucht man schon wieder, ihn
auf die Außenwelt bezieht. Wie klar oder- unklar die Vor- als Darstellung eines neuen Dinges zu fassen; damit legt man
stellung von dem, was sich im Ton darstellt auch sein mag, ihn bald in unendliche fernen, bald in die Nähe, bald er-
sicher ist es nichts tonartiges mehr, was der Ton darstellt und scheint er einem so fern wie ein Komet, bald so nahe wie
sicher ist es eine, wenn auch verworrene Vorstellung von der der Schrank, dessen Darstellung er vermittelt. Es ist unmög-
Außenwelt und deren Kräften, die der Ton zur Darstellung lich, ihn für sich eindeutig irgendwo im Raum festzulegen,
bringt. Diese Außenwelt nun gliedert sich von selbst im er ist nicht vor und nicht hinter dem andern Glanz, der den-
Raum, der den Ton darstellt. Es ist weitweg oder nahe bei selben Gegenstand umstrahlt. Er ist nicht flächenhaft und
uns, was der Ton darstellt, es ist winzig oder groß. Mit nicht räumlich, nicht groß und nicht klein. Sehe ich ihn
diesem Dargestellten und durch seine Hilfe gewinnt der Ton weit weg, ~o erscheint er ungeheuer groß, sehe ich ihn nahe,
eine Raumstelle, die doch nicht wirklich Raumstelle ist; er so erscheint er klein. Und ich. kann ihn sehen wo ich will.
lagert sich vor oder in das, was er darstellt. Aber er ·gliedert Kurz -- er läßt die Betrachtung, die das Ding zuläßt, nicht
sich selbst nicht weiter im Raum. Sein ganzes Wesen ist zu. Er läßt viele nähere Bestimmungen zu, ohne daß eine
gleichgültig gegen den Raum. Man kann ihn weiter gliedern von diesen Bestimmungen besser auf ihn paßt, wie die andere,
in Haupt- und Nebentöne; aber diese Gliederung ist nicht Anspruch auf mehr Recht macht, wie die andere. Man kann
verbunden mit räumEeher Gliederung. Rein als Ton betrachtet, ihn nicht beobachten , es ist ein Spielen. Er fließt einem
hat er keine Beziehung zum Raum. Nur das, was er darstellt, immer von neuem durch die Finger wie Wasser, sobald man
ist im Raum und damit in anderer Weise auch er selbst als ihm von dem Gegenstand, den er darstellt, trennt. Er läßt
Darstellendes. fassen wir das Sausen des Ofens als Sausen sich auf keine Weise endgültig im Raum festlegen.
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Aber selbst die Farben des Dinges haben nur durch das Iität betrachtet; es findet keinen Platz in. der Welt der Kausa-
Ding Beziehung zum Raum. Als reine farbfnqualität sind lität, wie das Dargestellte.
sie nicht räumlich geformt. Man wird dagegen nicht an- Vermöo-el::>
der Elastizität schnellt der Bogen den Pfeil in
führen; daß die Dingfarben flächenform haben; denn es ist die Weite. Vermöge seiner Härte leistet der Harnisch dem
augenfällig, daß die Dingfarbe irgend wie mit der fläche ver- Pfeil Widerstand, wegen seiner Sprödigkeit zersplittert Glas,
bunden ist, sie bedeckt, erfüllt, aber ebenso leicht ist einzu- wenn.._) der Pfeil gegen das Fenster fliegt. Was bedeuten zu-
sehen, daß sie nicht selbst flächenhaft geformt ist. erst solche Ausdrücke? Man könnte meinen, es gebe keinen
Aber auch Gestalt, Kreis- Dreieckgestalt, hat nicht die Sinn, dem gestreckten Bogen Elastizität als etwas Seiendes zu-
Farbe, sondern nur die in der Farbe dargestellte fläche; die zusprechen, Elastizität bedeute nur, daß der Bogen - gespannt
Farbe selbst für sich genommen ist gleichgültig gegen jede - von selbst in seine vorige Lage zurückspringen könne.
Raumform, sie bringt Raum und Raumformen zur Darstellung, Aber wir sehen auch in der Ruhe die Elastizität. Ähnlich wie
ist aber nicht raumhaft. Nur soweit sie Farbe des Dinges ist, wir einem Menschen, auch wenn er liegt, Geschmeidigkeit
nimmt sie Anteil an dem Raum, den das Ding eingimmt und oder Steifheit ansehen, sehen wir der Stahlstange, die auf dem
den die Dingfarbe bedeckt, erfüllt. Dadurch gewirint sie ge- Boden liegt oder sich gegen die Wand lehnt, ihre Elastizität
wissermaßen einen Ort im Raum. . ·~ an. Zwar ist dies »ansehen« nicht voll eigentliches Sehen.
Ebenso liegt die Sache wohl bei den Data des Tast-, Es weist aber c.doch daraufhin, daß die bloß »angesehene«
Drucksinn es. Elastizität auch noch etwas ist, was wirklich in der Stahlstange
ist, mehr als bloße Möglichkeit. Ähnlich wie der Zornmütige
oder der Sanftmütige, auch wenn er nicht gerade seinen Zorn-
l(ap. Vll. Das Dargestellte: die räumliche Dingwelt. mut, seine Sanftmut beweist, doch sozusagen sich selbst als
Wir haben bis jetzt das Dargestellte derart bestimmt, daß zornmütig, sanftmütig "fühlt<<, eben einen zornmütigen, sanft-
es das sei, was in den verschiedenen Darstellungen zur An- mütigen Charakter hat, auch wenn er sich dessen in keiner
schauung komme. Dies kann nur eine vorläufige Bestimmung Weise licht bewußt ist, ähnlich hat auch der Stahl irgendwie
sein, denn es ist nicht gesagt, daß die eine Art der Darstellung Elastizität, selbst wenn er nicht schwingt. Man ist versucht
alles gibt, was die andere gibt. Wenn wir vom Tastsinn und hier von dauernder realer Möglichkeit, Disposition zu sprechen,
Gesichtssinn vorläufig auch annehmen können, daß beide Sinne man muß dann aber im Auge behalten, daß diese Disposition
dasselbe und gleich viel von ihm geben, so haben wir doch etwas Wirkliches, Zeitliches ist, objektiv im Stahl ist. Und
am Tonsinn gesehen, daß er beträchtlich hinter diesen beiden ebenso die Härte, Sprödigkeit. Erst, wenn man sich dies
anderen zurückbleibt. Ein solches Verhältnis ist auch zwischen Verhältnis klar gemacht hat, ist es möglich, in der frage betr.
Tastsinn und Gesichtssinn nicht ausgeschlossen. Es genügt Konstitution des Dinges einen Schritt weiter zu kommen. -
ein Sinn, um uns etwas darzustellen. Man sieht nun, wie diese Eigenschaften, die wir aufgezählt
Wir kommen aber jetzt zu einer neuen Unterscheidung haben, ihre Rolle spielen in dem Leben, das die wirkliche
von Darstellendem und Dargestellten. Das Darstellende, - Welt erfüllt. Nach diesen Eigenschaften bestimmt es sich, wie
Farben, Töne, Data des Tast-, Drucksinnes, - entfällt nämlich, die Körper aufeinander wirken. Stößt das Spröde gegen das
wenn man die Dingwelt unter dem Gesichtspunkt der Kausa- Weiche, so bleibt es heil, stößt es gegen das Harte, so zer-
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schellt es. Stößt Hartes gegen Hartes, so stößt es sich gegen- ~e Farbe oder Ton oder etwas anderes~ das darstellt oder wie
seitig ab. Das Leichte schwimmt auf dem Schwereren, es Verschiedenheit, Ähnlichkeit der Farbenqualität Mit demselben
versinkt im Leichteren. Das Zähe biegt sich eher, als es Recht könnte man von Härte, Weichheit eine solche Gegeben-
bricht, das Spröde bricht eher, als es sich biegt. Das Klebrige heitsweise fordern und müßte dann dazukommen, daß so etwas
hält das fest, was in seinem Bereich kommt. Das Dünnflüssige wie hart, weich nicht wahrnehmbar sei. Denn Hart und Weich
fließt auseinander. Das kommt von der oder der Eigenschaft, ist auch nicht so unmittelbar gegeben, wie Farbe, Ton. Hat
daß sich der Körper in dieser Lage so verhält. Das feste man aber die Blickrichtung, in der man hart, weich sieht, so
trägt nicht, weil es hart oder schwer ist, sondern weil es fest »sieht« man auch Kausalität. Sie liegt in derselben Sphäre, in
ist, und ebenso das Schwere sinkt nicht unter, weil es hart der diese Eigenschaften liegen. Man >>Sieht« dann, wie etwas
ist, das Spröde zerspringt nicht, weil es schwer ist. von etwas kommt, durch etwas bewirkt wird, von etwas ab-
Man stößt hier also überall auf Relationen ...Dabei hat hängig ist. Man sieht mehr als zeitliches folgen von Er-
man zu beachten, daß das, was wir mit spröde, hart,~ schwer, eignissen, man sieht den Zusammenhang zwischen Ereignissen.
elastisch, zäh, weich, dünnflüssig bezeichnen, direkt aus dem Man bildet sich den Zusammenhang nicht ein, sondern man
Leben genommene Ausdrücke sind, die vielfach nicht die für sieht ihn; er ist leibhaftig gegeben. Ähnlich wie bei dem
eine genaue Untersuchung nötige Schärfe haben. In dieser Zusammenstoß zweier Menschen wir sehen, wie und wodurch
Beziehung könnte man in der Technik und schon in den ein- der eine den andern reizt, in Wut bringt, wie wir dies in
zelnen Handwerken sehr viel genauere Ausdrücke finden, die seinen Zusammenhängen genau verfolgen können und z. B.
aber auch natürlich, weil immer nur für die Praxis geschaffen, bei einer gerichtlichen Verhandlung verfolgen müssen, können
strengen Anforderungen nicht genügen. wir auch bei den Dingen, die aneinandergeraten genau ver-
Man ist nur zu leicht geneigt, diese Sätze, die wir abge- folgen, worauf die Ereignisse zurückzuführen sind. Wir sehen
leitet haben unter dem Einfluß historischer Systeme aus der hier die Zusammenhänge und Abhängigkeiten. Von hier ist
Welt zu schaffen, indem man ihren Inhalt' entweder für selbst- dann allerdings noch mancher Schritt bis zu dem sogenannten
verständlich oder für nicht wahrnehmbar erklärt. für selbst- Kausalitätsgesetz und zur Kausalität im Sinne der Physik zu
verständlich, indem man sagt, »Zäh sein« heiße nichts anderes, tun. Insbesondere kommt hier in Betracht, daß die Wirkung
als sich eher biegen als brechen lassen, »Schwer sein« heiße, unter dem Einfluß anderer Umstände ausbleiben oder verstärkt
untersinken im leichteren Mittel, »Spröde sein« heiße leicht werden kann, wie etwa die bloße Gegenwart einer dritten
brechen. Diese Ansicht müssen wir für Konstruktion erklären. Person, das begütigende Zureden einer dritten Person im er-
fest, zäh, elastisch nehmen wir als Eigenschaften der Dinge wähnten falle den Ausbruch des Wutanfalls verhindern kann.
wahr. Es. ist nicht dasselbe, wie tragfähig, biegbar, vibrierend. Das hindert aber nicht, daß wir im konkreten fall Abhängig-
Im tragen, gebogenwerden, vibrieren zeigt das Ding nur seine keit wahrnehmen können. Ob nun solche Abhängigkeiten
entsprechenden Eigenschaften, die es behält, auch wenn es jedes Geschehen in der Welt durchziehen, ob es Zufall, Frei-
nicht mehr trägt, vibriert. heit gibt, das ist damit noch nicht entschieden, sondern eine
Aber diese Relationen sind auch wahrnehmbar, direkt an- frage für sich, die mit unserer nichts zu tun hat und die wir
schaulich faßbar, sowie es eben Relationen sind. Man kann nicht weiter berühren.
nun allerdings nicht verlangen, daß Kausalität so gegeben sei, Man tut hier gut, immer an bestimmte Kausalitätsverhält-
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nisse zu denken. So hängt der Widerstand, den ein Körper
Taschenspieler uns eine Ursache und Wirkung vortäuschen
dem Eindringen eines andern Körpers, den er dem Zug, dem
kann, wo offenbar eine solche nicht vorhanden ist. Beispiele
Druck, . dem Seheeren , dem Drehen, dem Biegen, der Be-
hierfür sind sehr zahlreich. Man kann eine Kugel auf eine
wegung entgegensetzt, immer wieder von andern Eigenschaften,
Blechplatte fallen lassen, während die Kugel an einer unsicht-
oder von Kombinationen von Eigenschaften wie Härte Schwere
' baren Schnur gehalten die Platte nicht mehr berührt. Dann
Zähigkeit, Elastizität ab. Diese Abhängigkeitsverhältnisse kann'
hat der Zuschauer den Eindruck, als ob die Kugel die Platte
man wahrnehmen, wie man die Eigenschaften und das Ziehen,
durchgebogen habe, obwohl in Wirklichkeit die Kugel die
Drücken, Seheeren selbst wahrnehmen kann. Man kann hier
Platte nicht berührt hat. Mit demselben Recht könnte man
wahrnehmen, wie es bei dem Verhalten eines Körpers unter
sagen, Identität des Dinges sei nicht wahrnehmbar. Wir meinen
bestimmten Umständen auf die eine Eigenschaft oder auf eine
hier nicht jene Identität, die zwischen dem wahrgenommenen
Kombination von Eigenschaften ankommt, wie -etwa auf die
Gegenstand und dem bloß vorgestellten Gegenstand besteht,
Schwere bei der Fortbewegung, auf Härte, Zähigkeit bei dem
vermöge derer wir sagen, wir dachten soeben an das, was
Widerstand gegen das Eindringen anderer Körper, während
wir jetzt leiblich sehen; wie es etwa der fall ist, wenn wir
es auf die andern Eigenschaften, die der Körper daneben ·noch
von einem Bekannten gesprochen haben und dieser uns dann
hat, nicht ankommt. Und zwar handelt es sich hier um Ver-
selbst begegnet. Wir meinen auch nicht die Identität, die das
träglichkeit oder Unverträglichkeit. Es verträgt sich nicht mit
Ding zeigt, wenn wir es von allen Seiten betrachten und ver-
dem Wesen von Härte, Elastizität, Zähigkeit, daß sie irgendwie
möge derer wir dann sagen können, wir sähen dasselbe Ding,
für den Widerstand, den ein Körper der Fortbewegung ent-
bloß von verschiedenen Seiten. Sondern wir meinen die Iden-
gegensetzt, in frage kommen. Die Härte, Elastizität ist so
tität, vermöge derer wir sagen können, wenn wir ein Ding
geartet, daß ihr in diesem Zusammenhang keine Rolle zufallen
eine Stunde lang nicht aus den Augen verloren haben ; das
kann. Es ist hier analog wie bei dem Verhalten des Menschen.
Ding sei noch dasselbe, was wir vor einer Stunde gesehen
Wenn der Mensch auf seine Gutmütigkeit hin beansprucht
häften, selbst wenn es sich in Einzelheiten geändert haben
wird, kommt e5 auf seine Melancholie, seine Ruhe, seine Kühn-
mag. Bezüglich dieser Identität kann uns der geschickte
heit nicht an. Dfese Zustände, Eigenschaften seines Charakters
scheiden hier aus. suchung oder Untersuchung von leeren Möglichkeiten treiben. . E~
Ebenso wie man nun diese Negativen - diese Unver- handelt sich uns vielmehr darum, festzustellen, was man a pnon
träglichkeifen - wahrnehmen kann, kann man die Verträglich- über die Gegenstände der schlichten Erfahrung ausm~chen könne.
A priori in dem Sinne, daß wir an der Anschauung .. d1e:e w_~s~ns­
keit wahrnehmen und diese Verträglichkeit ist Verträglichkeit zusammenhänge feststellen. Was der letzte Grund fur d1e Moghch-
unter dem Gesichtspunkt der Kausalität. . keit solcher Untersuchungen ist, inwiefern die Wesensgesetze schließ-
Man darf nicht gegen die Wahrnehmung von Kausalität lich auch Gesetze für die Wirklichkeit sind, das erfordert eine be-
einwenden, daß Illusionen möglich sind 1), daß ein geschickter sondere Untersuchung für sich. (Gesetz hier natürlich nicht im Sinne
von Naturgesetz, sondern in dem Sinne, was wesensgesetzlich un-
vereinbar ist ist auch in der Wirklichkeit unvereinbar wie etwa : Es
1) Alle unsere Überlegungen gehen nur auf Feststellung von kann nie ei~en Ton geben, der schwer, hart oder elastisch wär~.
W esenszusammenhängen. Die Wirklichkeit scheidet vollkommen aus. Bei der Fortbewegung eines Körpers kann nie seine Härte, Elasti-
Man darf dabei nur nicht glauben, daß wir irgendwie Begriffsunter- zität in demselben Sinne in Frage kommen wie seine Schwere u. s. f.
Ebenso bezüglich des Charakters des Menschen, eines Wesens über-
haupt.)
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Taschenspieler täuschen; er legt das Geldstück unter einem einer irgend wie anders zu fassenden Änderung des Gegen-
Behälter auf den Tisch und zaubert es durch den Tisch, daß standes oder seiner Umgebung setzen. Dem wird man in
wir uns nicht des Eindruckes erwehren können,~,das Geldstück dieser form nicht widersprechen. Man wird aber sagen, der
sei dasselbe, das er auf den Tisch gelegt~ hat, obwohl es in Ton sei ebensogut die Wirkung der Tonwellen wie die ver-
Wirklichkeit ein zweites im Ärmel bereit gehaltenes Geldstück änderte Verhaltungsweise des Dinges Wirkung der Tonwellen
derselben Sorte ist. Ebenso wie bei diesem Beispiel die Möo-- sei. Hiermit haben wir nun ein Beispiel von wahrnehmbarer
lichkeit einer solchen Täuschung nicht dagegen spricht, d;ß und nicht wahrnehmbarer Kausalität neben einander. Daß der
Identität Gegenstand ~er Wahrnehmung sein kann und daß Schlag gegen die Glocke den Glockenrand wegdrängt, daß
das Wesen der Identität an der Hand der Anschauung fest- dieser weiter oben festgehalten zurückschwingt und dann hin
gestellt werden kann, ebensowenig spricht bei ' der Kausalität und her schwingt, dieser Zusammenhang ist wahrnehmbar, ab-
die Möglichkeit einer Täuschung dagegen, daß Kausalität hängig von Elastizität, Härte, Schwere des Metalles. Daß aber
Gegenstand der Wahrnehmung sein kann und daß ihr Wesen dieser . Schlag zugleich einen Ton zur >>Wirkung« hat, das
in der Wahrnehmung feststellbar ist. scheint uns nicht wahrnehmbar zu sein und aut keine Weise
Hiermit ist nun nur behauptet, daß Kausalität ebensogut in einem Wesenszusammenhang mit einander zu stehen. Auf
wie Identität etwas sei, das man wahrnehmen kÖri:ne eine diese Kausalität finden alle Überlegungen, die Hume und an-
'
lebendige Relation zwischen den Dingen, so wie das 'neben dere nach ihm bezüglich der andern gemacht ·haben, An-
»hinter« übereinander gleichsam tote Relationen sind. Sicher wendung, selbst wenn wir W ellenbewegungen, Nervenzellen,
liegen da noch zahlreiche Schwierigkeiten, die wir aber für Veränderung der Moleküle, chemische Veränderungen hinzu-
eine vorläufige Bestimmung der Sachlage nicht zu berühren nehmen. Und es scheint uns, man könne diesen Unterschied
brauchen. der Kausalität nicht übersehen, da ja verursachendes und be-
Mit der Betrachtung der Kausalität rundet sich unser wirktes im letzten fall in keinem Zusammenhang mehr mit
Weltbild, zugleich kommt aber ein gewisser Zwiespalt hinein. einander stehen, kein Verhältnis mehr mit einander haben.
Wir müssen jetzt noch untersuchen, in welchem Verhältnis Daß ein Ton in den Lauf der Dingwelt eingreift, kommt,
Licht und Farbe, Töne, die ja in der Reihe der wirkenden wenn wir die· Lebewesen vorläufig aus unserer Betrachtung
Eigenschaften der Dinge keinen Platz finden, zu der Welt der weglassen, nicht vor. Das umgekehrte kommt vor, daß nämlich
Kausalität stehen; da stellen wir erst negativ fest, es scheine die Dingwelt Töne hervorbringt. Die Art der Wirkung läßt
uns unverträglich, daß ein Ton, eine Farbe, ein Reflex, ein sich nicht mehr verfolgen.
Glanz wirkend in die Ereignisse der Dingwelt eingreifen könne, Es gibt aber einen andern Zusammenhang zwischen Ton,
daß es einen Unterschied in der Wirkung eines Dinges aus- Farbe und der Welt der Kausalität, die überaus wichtig ist
machen könne, ob es belichtet oder unbelichtet, ob es dort, und nicht so undurchsichtig wie der Zusammenhang zwischen
wo Töne klingen, oder an einem andern Ort, wo es still ist, Ton und Luftschwingung.
wirkt. Wenn ein Ding unter solchen Umständen verschieden Bevor wir auf diesen Zusammenhang näher eingehen,
reagiere, so sei kein einsehbarer Zusammenhang zwischen empfiehlt es sich, zu einer Ansicht, die in feinerer oder grobei'er
jenen Erscheinungen und der Veränderung der Wirkung, form zahlreich vertreten ist, Stellung zu nehmen. Nämlich
sondern die veränderte Wirkung müsse man denn auf Rechnung zu der Ansicht, das Ding sei das Produkt von Assoziationen
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von Empfindungen. Die Assoziation ist eine Tatsache, die sammenhang, den die Eigenschaften, vermöge derer die Dinge
sich nicht wegstreiten läßt. Ich hatte in einerT5iskussion über aufeinander wirken; untereinander haben. Er ist auch nicht
die Assoziation behauptet, der Tisch im philosophischen Seminar vergleichbar mit dem Ursache-Wirkungszusammenhang, der in
ließe siCh nicht zusammenfassen mit dem pythagoräischen Lehr- den Ereignissen der Außenwelt zu Tage tritt Da er aber oft
satz. Seitdem steht, so oft ich an den pythagoräischen Lehr- für einen Zusammenhang dieser Art gehalten wird, wollen
satz denke, der lange Tisch im Seminar vor mir. In dieser wir dies etwas weiter ausführen.
Weise assoziieren lassen sich also jedenfalls alle beliebigen Es ist eine beliebte, populäre Vorstellung, die Dinge da
Gegenstände. Durch diese Assoziation aber werden die asso- draußen wirkten durch Wellenbewegung oder Berührung auf
ziierten Gegenstände nicht in einen Zusammenhang mit ein- unsere Nerven ein. Die Nerven leiteten diese Bewegungen
ander gebracht. Man sieht vielmehr klar ein; daß der Tisch fort bis in das Gehirn, dort setzten sich diese Bewegungen
und der pythagoräische Lehrsatz nichts mit einander zu tun in Farbe, Druck, Schwere um und damit stände dann das
haben, daß keine Macht der Erde sie zu einer Efnheit zu Ding vor uns. Diese Theorie gibt es in feineren und gröberen
. '
emem Gegenstande machen kann. Sie stehen sich kühl ge~en- Ausführungen, sie liegt auch manchem philosophischen System
über. Ganz anders liegt die Sache, wenn man Zusammen- zu Grunde. Hier ist also die Wahrnehmung, die wir vom Dinge
gehöriges zusammenfindet Vielleicht ist nicht jeder Körper haben, eine Wirkung des Dinges auf uns. Wir verkennen
schwer, hart, elastisch, aber es paßt zum Körper, · diese Eigen- nicht, daß diesen Vorstellungen ein ernstes Problem zu Grunde
schaften zu haben, während z. B. der pythagoräische Lehrsatz liegt. Aber bevor _man an dies Problem herangehen kann,
ein Ton, ein Geruch unmöglich schwer, hart elastisch sei~ sind andere fragen zu lösen und insbesondere die frage, die
kann. Dies einfache Beispiel verweist uns auf gewisse Gesetz- wir hier behandeln wollen und schon behandelt haben: Weiche
mäßigheiten, Wesenszusammenhänge in der Struktur der Dino-e. W es~nsbeziehungen bestehen zwischen dem Aussehen des Dinges
Hier liegt keine bloße Assoziation vor, sondern ein objekti:er und dem Ding selbst im eigentlicheren Sinne, dem >>lnnern»
Zusammenhang. Indem ich diesen Zusammenhang wahrnehme, des Dinges. Es ist uns gelungen, festzustellen, daß man unter-
vollziehe ich nicht eine bloße Assoziation, sondern folge ich scheiden muß zwischen der Art, wie sich das Ding gib~ der
nur der Gesetzmäßigkeit der Welt mit den Augen. Dieses Art, wie es erscheint und dem Dinge selbst. Wir haben ge-
Ineinanderpassen, Zueinanderpassen von Objektivitäte~ ist so sehen, wie sich iri Farbe, in Ton, in den Data des Druck-,
gut eine Objektivität wie die Objektivitäten, die zusammen Tastsinnes dieselbe Welt, die Welt der Kausalität darstellt. Es
passen. Es ist nicht Willkür oder bloße Gewöhnung, die war uns aufgefallen, daß Farbe, Ton, Data des Druck-, Tast-
mich die Sachen so verbunden sehen läßt, sondern ich sehe sinnes nichts mit einander gemein haben, und doch dasselbe
Dinge und dingliche Zusammenhänge, wie ich Nicht-Dinge, darstellen, zur Vorstellung bringen. Wir wollen jetzt weiter
Töne, Gerüche, wahrnehme.
sehen, ob dies Zufall ist, oder ob darin eine Ordnung, ein
Ein solcher Zusammenhang scheint mir nun auch zwischen System liegt Wir wollen versuchen, den Zusammenhang zu
dem, wie sich ein Ding äußerlich gibt, dem Aussehen, der finden, der zwischen dem Darstellenden und dem Dargestellten
Farbe des Dinges und dem, was das Ding an tieferen und besteht.
eigentlicheren Realitätscharakteren zeige, zu bestehen. Es ist
dies ein Zusammenhang von ganz anderer Art, wie der Zu-
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uns. Die Erde ist in Wirklichkeit rund, ein Himmelsgewölbe
gibt es überhaupt nicht, Sonne, Mond und Sterne sind Welten-
körper wie unsere Erde selbst. Die Erde bildet nicht den
Mittelpunkt der Welt, sie ist ein Trabant der Sonne. So ver-
fälscht die Sinneswahrnehmung uns die wirkliche Welt. Sie
verkleinert nicht nur das weit Entfernte, sie macht es zu einem
II. Abschnitt. andern als es in Wirklichkeit ist. Der rote Mond, den wir
am Himmel sehen, ist nicht ein verkleinertes Abbild des wirk-
Die Darstellung der Dingwelt durch Farbe im
lichen Mondes, er hat mit dem wirklichen, als Weltkörper er-
einzelnen. Die Ordnung, die Farbe einhalten muß, starrten eisigen Mond nicht mehr die geringste Ähnlichkeit
um Dinge darzustellen: oder, wenn das zuviel gesagt sein sollte, nur in der form eine
geringe Ähnlichkeit. So wie die Sinneswahrnehmung uns die
Kap. I. Einführung in das Problem: Das Weltbild der Welt gibt, ist sie nicht, so wie sie ist, gibt sie uns die Welt
Alten verglichen mit sdner phänomenalen Grundlage. Die nicht und es hat die Arbeit vieler Geschlechter gekostet, bis
Unrichtigkeit des Weltbildes, gemessen an den Phänomenen 1). wir uns von ihr frei gemacht haben und auf Umwegen durch
weither entlehnte Überlegungen uns Gewißheit darüber ver-
. . Die Sinneswahrnehmung täuscht uns auf mancherlei Art. schafft haben, wie die Welt in Wirklichkeit ist. Das Organ,
S1~ 1st unzuverlässig und führt den, der auf sie vertraut, irre. das uns zu dieser wahren Erkenntnis der wirklichen Welt ge-
~Ir denken hier zunächst nur an die Täuschung, die unser führt hat, ist der Verstand. Er muß, wollen wir Irrtümer ver-
Bild von der Welt als ganzes fälscht. Sie verleitet uns zu der meiden, stets die Sinneswahrnehmung beaufsichtigen, verbessern,
Vorstellung, die wir im Altertum und Mittelalter als die herr- richtig stellen.
schende finden, wonach die Erde eine große Scheibe ist bedeckt Hiermit haben wir versucht, eine populäre Grundanschauung
mit _de~ riesigen !iimmelsgewölbe, wonach am Himmel~gewölbe über das Verhältnis von Sinnlichkeit und Verstand wiederzugeben .
.zw~1 Lichter ~reisen, ein großes, das den Tag regieret, ein Unzweifelhaft ist bedeutsam daran die Gegenüberstellung von
klemes, das d1e Nacht regieret, und unzählige Sterne funkeln. Wirklichkeit und Schein. Die Welt der Wirklichkeit, die wir
Sonne und Mond stellt sie uns als strahlende Goldscheiben gezeichnet haben, ist die Welt auf eine Ebene gebracht mit
die Sterne als Goldfunken dar. Und in dem allen täuscht si; der näheren Umgebung. Sie ist die Welt, wie wir sie sehen
würden, wenn das Entfernte uns ebenso deutlich gegeben wäre
1) Von hier ab geben wir es auf, unsere Betrachtung für Farben-
Ton- und T~stwelt durchzuführen und beschränken uns auf die Farben:
wie da!) Nahe, - die Welt, wie sie uns die Mittel, mit denen
weit, um hier das Verhältnis zwischen dem Darstellenden und dem wir Entfernungen überwinden - das Fernrohr, die Photo-
D~rge_stellten und das was beides selbst ist,. weiter auszubauen. Auch graphie - erkennen lassen. Mehr können diese Mittel natür-
b_ei dieser Beschränkung kommen wir noch zu ·keinem Ende· aber lich nicht leisten, als daß sie uns im günstigsten Falle das
Sie soll uns ermöglichen,, genauer zu verfahren als wir bis jetzt' getan Entfernte so deutlich zeigen wie das Nahe. Nur um diese
haben.. Das gr_undlegende, was wir hierbei zu sehen bekommen,
muß Sich auf d1e Ton- und Tastwelt übertragen lassen.
Veränderung des Weltbildes handelt es sich uns hier. Von
diesem Gesichtspunkt aus ergibt sich unmittelbar, daß das eine
I
I

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Weltbild, das durch das Fernrohr entdeckte, die Welt so gibt, . es gu~ den Vergleich zwischen unserm Weltbild und dem
wie sie wirklich ist, während das andere ,Weltbild uns eine ihren etwas näher auszuführen. Unsere Welt besteht aus
Welt zeigt, die es in Wirklichkeit nicht gibC~) Dingen; wie weit wir auch gehen, wir können nirgends zu
Wir müssen also zugeben, daß die Sinneswahrnehmung etwas anderm als zu Dingen kommen, wie wir sie in unserer
die Welt nicht so gibt, wie sie in Wirklichkeit ist, sondern Nähe haben. Dinge, im Raume nebeneinander, für sich seiend,
nur einen kleinen Ausschnitt getreu wiedergibt- den Weltteil, in Wechselwirkung mit anderen Dingen. Wie der Tisch neben
der mir gerade am nächsten ist. Damit ist aber noch nicht dem Stuhl steht, wie das Stäubchen in der Sonne fliegt und
gesagt, daß sie wirklich das Weltbild gibt, welches falsch ist, wirbelnd sich um sich selbst dreht, so stehen die Fixsterne
das Weltbild der Alten und de'i Mittelalters. Es wäre ja mög- neben einander, so wirbeln die Planeten um sich selbst und
lich, daß dies Weltbild der Alten eine Konstruktion der Alten um die Sonne. Da ist kein Unterschied. Die Zusammensetzung
wäre, die in der Sinneswahrnehmung selbst, d. h. in der un- mag eine andere sein, die Ordnung, die Kategorie ist dieselbe.
zureichenden Sinneswahrnehmung, nicht die Grundlage fände, Der entfernteste Fixstern ist so gut ein Ding wie das Stäubchen
wie sie das andere Weltbild in der mehr zureichenden Sinnes- in der Sonne; er hat seine Farbe, seine Dichtigkeit, seine Aus-
wahrnehmung findet. Es wäre ja möglich, daß die Alten nur dehnung wie die<;e. Dadurch kommt die große Uniformität
in der Übereilung, in einem gewissen Drange nach Vollständig- zu allererst in unsere Welt und damit ist sie die nächste Vor-
keit und nach einem Abschluß sich dies Weltbild zurechtgelegt läuferin für die absolut eintönige Atomenwelt, Ionenwelt Im
hätten, obwohl die Sinneswahrnehmung, wenn sie verständig wissenschaftlichen Denken bildet diese Dingwelt die notwendige
vorgenommen worden wäre, ihnen gesagt haben würde: "Euer Vorstufe für die Atomenwelt Mit der Dingwelt ist erst vor-
Weltbild ist eine Konstruktion, ich bin unschuldig daran «. läufig aller Gehalt der Welt auf einen Generalnenner gebracht.
Und zwar hier meinen wir die schlichte Sinneswahrnehmung; Dieser Generalnenner fehlt nun vollständig bei den Alten.
wir meinen also nicht, daß die Alten auf Grund nahe liegender Nur die Gegenstände der Erde, die nächste Umgebung im
Schlüsse, Experimente die Verkehrtheit ihres Weltbildes hätten Weltall gilt als Welt mit Dingen. Aber wo das Himmels-
erkennen müssen. Wir meinen hauptsächlich nicht, daß sie gewölbe sich auf die Erde niederlegt, da ist die Grenze der
sich hätten sagen müssen: Die Augen versagen auf weitere Dingwelt und damit das Ende der Dingwelt, da liegt das
. Entfernungen, da dürfe man ihnen nicht trauen; wie sollte man Nebelhaus. Und ebenso nach unten. Dori liegt der Tart1rus,
ihnen also trauen bezüglich des Monde'> und der Sterne, die das Reich der Abgeschiedenen. Und ebenso nach oben, dort
so weit weg seien, daß man ihnen nicht näher komme, auch ist die Heimat der Götter. Sonne und Mond sind Gottheiten,
wenn man auf den höchsten Berg steige. Solche Erwägungen die Sterne sind die Seelen der Verstorbenen. Die Dingwelt
schließen wir ausdrücklich aus. Wir meinen vielmehr, ob nicht ist umgeben von Undingen, von Gespenstern und Gottheiten,
ein treues forschen in den Phänomenen selbst, eine gerechte von Seelen und Geistern.
Beobachtung der Phänomene ohne weitere<; die Verkehrtheit Gewiß, das sind Vorstellungen, die nicht der reine Aus-
dieses W eltbilde'i der Alten gezeigt hätte und ob nicht das druck der Phänomene, die ihnen zug;unde liegen, sind; Gegen-
Weltbild der Alten eine Konstruktion ist, eine Phantasie, die in stände der Phantasie, des religiösen Gefühls, der furcht, der
der Sinneswahrnehmung ihre Grundlage nicht findet. Hoffnung, des Gewissens. Aber sie sind bedeutsam für uns.
Um sich mit diesem Gedanken vertrauter zu machen, ist Die. nächste Umgebung im Tageslicht gibt nicht Raum für
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Gespenster, auch für die Alten nicht. Hier sehen sie die ein Mißgriff des Verstandes wäre, wie die Vergöttlichung ein
Gegenstände scharf und kommen garnicht auf d~m Gedanken, Mißgriff des Gefühls ist. Es wäre möglich, daß jene Erschei-
der Gegenstand möchte in Wirklichkeit nicht das sein, als was nungen uns zuriefen: »Verfahrt sorgfältig mit uns, wir sind
sie ihn sehen. Hier muß die Phantasie schweigen, sie findet nichts in ·uns _klares wie die Erscheinungen der Dinge, die ihr
keine Lücke, wo sie sich einnisten könnte. sonst seht; wir zeigen euch nicht, was wir sind; wenn ihr
Wäre das Entfernte in derselben Weise sinnlich gegeben, sehen wollt, was wir sind, müßt ihr zu uns kommen.<<
wie das Nahe, so würde auch bei ihm die Phantasie schweigen Wir wollen näher angeben, wie wir dies meinen.
müssen. Sähe der Mond genau wie eine Goldscheibe in der Wenn uns etwas klar gegeben ist, so ist es das Ding,
Nähe aus, sähen die Sterne genau aus wie Feuerfunken, die der Stuhl, der Tisch, der Stein, den wir in der Nähe bei guter
Sonne wie ein leuchtender Klumpen Goldes, .so wären alle Beleuchtung sehen. Dies ist die Klarheit, mit der wir uns im
jene Umdeutungen unverständlich, ohne Sinn. Deckte sich das täglichen Leben zufrieden geben, die Klarheit, die den ungläu-
Himmelsgewölbe auf die Erde, wie eine blaue Glasglocke sich bigen Thomas überzeugt. Was wir auf diese Stufe der Klar-
auf eine Scheibe deckt, so wäre für jene Heimlichkeiten kein heit gebracht haben, das ist für uns wirklich. Dies ist auch
Raum. Denn Goldscheiben und Feuerfunken, Goldklumpen die Klarheit, die die Wissenschaften, die das Weltall nach allen
und Glasglocken haben nie Anlaß zu Mythenbildungen ge- Richtungen durchforschen, die Astronomie, die Geographie, die
geben. Es hat also den Anschein, als ob das alles doch un- Biologie, Zoologie, Botanik und in weiterem Sinne auch die
zulängliche Vergleiche seien, Vergleiche, die die Sachlage nicht Chemie und die Physik zu erreichen versuchen, die die Grund-
genau wiedergeben. Worin jene Vergleiche fehlen, das wollen lage, den Anfang für die Untersuchung jeglichen Objektes
wir näher untersuchen, indem wir die Phänomene, Sonne, bildet. Was in dieser Weise nicht von selbst klar gegeben
Mond, Sterne, Himmelsgewölbe, Horizont wieder vornehmen ist, das versucht die Wissenschaft mit hundert Mitteln zu dieser
und nachsehen, inwieweit jene Vergleiche irrig sind. Klarheit zu bringen. Was so winzig ist, daß das bloße Auge
Als erstes Ergebnis dieser Überlegung halten wir fest: Es es nicht sehen kann, wird vergrößert, bis es seine Eigenschaften
kann gewiß nicht behauptet werden, daß die Sinneswahrneh- so klar zeigt, wie mittelgroße Dinge es freiwillig tun. Was
mung für sich allein Anlaß zu jenen Gestaltungen der Mythe zu weit entfernt ist, wird dem Auge durch das Fernrohr nahe
gegeben habe, wie denn auch ja griechische Geister bald die gebracht, bis es die Klarheit des nahen Objektes zeigt. Mikro-
Haltlosigkeit jener Mythen erkannt habtn. Sieht man ab von skop, Fernrohr, Röntgenstrahlen, die ganze Technik des Astro-
dem Gefühlsleben, 'SO bietet der Untergrund der Erde nicht nomen und Biologen gehen darauf aus, Dinge, die nicht deut-
genügenden Anlaß, dort den Tartarus anzunehmen, bietet die lich oder klar genug wahrgenommen werden, in diese Stellung
Sonne, der Mond nicht genügenden Anlaß, sie für Götter zu der Klarheit zu bringen. Niemand kommt auf den Gedanken,
halten. In der bloßen Sinneswahrnehmung liegt nichts der- noch eine andere Klarheit zu verlangen, wie die Klarheit, die
gleichen. Die Mythen enthalten vielmehr Vergöttlichungen, auch das tägliche Leben fordert, abgesehen von dem Philo-
. Vergeistigungen, die der reinen Sinneswahrnehmung fremd sophen, dessen Zweifel eben hier einsetzt. Diese lassen wir
sind. Es wäre nun möglich, daß nach der andern Seite die zunächst beiseite. Dann finden wir, daß die Wissenschaften,
Verdinglichung des Mondes, der Sonne, des Himmelsgewölbes ohne sich viel Gedanken darüber zu machen, diesen Klarheits-
zu Goldscheiben und Lichtern und zu einer Glocke ebenso begriff voraussetzen und mit ihm arbeiten. Der Biologe weiß
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genau, wie weit er das Mikroskop zu schrauben hat, um den Beschränken wir die Untersuchung zunächst auf die Ge-
Gegenstand klar zu haben; er weiß, daß das, was er bei den genstände, die sich auf der Erde befinden.
anderen Einstellungen sieht, verschwommene, unklare » Vorstel- Unsere Behauptung, in einen gebräuchlichen aber mißver-
lungen« des Gegenstandes sind, den er untersuchen will. Er ständlichen. Ausdruck gefaßt, ist diese: Bei der Betrachtung aus
denkt nicht daran, diese "Vorstellungen« für Erpst zu nehmen, der Nähe deckt sich die Vorstellung des Gegenstandes mit
sie wieder für Objekte eigner Art zu halten, die er auch un- dem Gegenstande selbst. Das Haus, das wir auf dem Gipfel
tersuchen könnte. des Berges sehen, neben welchem wir stehen, ist in Wirklich-
Wenn wir nun aber sagen sollen, was das" Wesen dieser keit so, wie es erscheint. Das Haus, das wir tief unten im
Klarheit ausmacht, so geraten wir gleich in Bedrangnis. Wir Tal sehen, ist in Wirklichkeit nicht so, wie es von weitem
sind erst versucht zu sagen, die scharfe Umgrenzung. Aber aussieht. Das, was wir dort sehen, wo in Wirklichkeit ein
wie steht es dann mit den Gegenständen oder Gegenstands- Haus steht, der bläuliche fleck, erweckt aber auch nicht den
teilen, die allmählich sich ineinander verlieren. Wir könnten Anschein, als ob es in Wirklichkeit so wäre, wie es aussieht.
weiter antworten, die Unterscheidbarkeif vieler Eigenschaften Es ist etwas unklares, undeutliches. Es ist nicht so als ob
und Teile; aber es ist gewiß, daß in der undeutlichen, unklaren wir anstaU des Hauses ein anderes Ding, ein Wölkchen ' deut-
Vorstellung sich fast noch mehr. unterscheiden läßt, wie in der lich sehen, sondern es ist so, daß das, was wir sehen, über-
klaren Vorstellung. Wir könnten sagen, die Festigkeit, Kom- haupt nicht den Anschein erweckt, als ob es ein Dino- wäre
paktheit des vorgestellten Gegenstandes zeige uns an, wann das auf eine Stufe gestellt werden könnte mit dem "'Hause,' .
wir den wirklichen Gegenstand haben. Aber damit kommen neben dem wir stehen. Was wir dort unten sehen, erscheint
wir schwerlich weiter bei der Untersuchung von Rauch und nicht so als Wölkchen,. wie das neben uns stehende als Haus
Dunstgebilden. erscheint. Und was die Hauptsache ist, dies kommt nicht da-
Kurz, so sicher wir in dem Gebrauch der »Klarheit« sind, her, weil wir wissen, daß das Aul!e nicht soweit träl!t sondern
so leicht es uns fällt, unter dem Mikroskop den Gegenstand ~ "''
es liegt in dem Wahrgenommenen. Um drastisch zu sein,
in die Stellung, wo er klar wird, zu bringen, so schwer ist es, der einen Vorstellung sieht man an, daß sie deutlich ist, der
nun das eigentliche Wesen dieser Klarheit darzustellen. Aber anderen, daß sie undeutlich ist. Es ist nicht so, daß die
wir wissen jetzt vorläufig, was wir mit Klarheit meinen und zweite Vorstellung nicht unser Vertrauen verdient sondern sie
kehren zurück zu der frage, ob das Weltbild der Alten eine . '
erhebt ihrem eigenen Gehalte nach keinen Anspruch darauf,
Konstruktion, eine Phantasie ist, oder ob sie der getreue Aus- daß man ihr vertraut. Es bedarf keiner weiteren Über!eo-uno-
druck dessen ist, was die Alten von dem Weltall mit ihren
c
es bedarf nur des Zusehens auf das Phänomen selbst. "' "''
Sinnen wahrnahmen. Hat die Wahrnehmung der entfernten Doch wir gehen hiermit vielleicht schon weiter, als wir
Dinge die von uns besprochene Klarheit, gibt sie uns die Ge- für den nächsten Zweck brauchen. Nur soviel scheint uns
genstände so klar, wie die der nächsten Umgebung, so haben unbedingt sicher und fest, das Phänomen da unten bietet dem
die Alten Recht. Es liegt dann eine Wahrnehmung VSJ~Fder aufmerksamen Beobachter etwas, woraus dieser ersehen kann,
man mit. demselben Recht traut, wie man der Wahrnehmung daß da unten nicht ein Ding ist wie das, was er in unmittel-
der nächsten Umgebung traut. Allerdings ist es immer eine barer Nähe hat. Wenn er versucht, es zu verdinglichen, es
trügerische Wahrnehmung. in seiner Eigenart fester zu fassen, so gehört das, was er faßt,
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in eine andere Sphäre als das Ding, welches er neben sich auch diese Phänomene zu Dingen gemacht, indem sie auch
hat. Es ist nicht qualitativ von diesem unterschieden, sondern hier glaubten, diese Farbenerscheinungen stellten direkt Dinge
kategorial; es liegen Abgründe zwischen beiden. Das Phäno- dar, wie die Farbenerscheinungen der Nähe. Sie werden na-
men ist nebelhaft, weich, in sich zerfließend, aber nicht so wie türlich diese Phänomene ebensowenig als Dinge gesehen haben,
ein Ding nebelhaft weich in sich zerfließend sein kann, son- wie wir sie heute als solche sehen. Aber sie haben doch ge-
dern auf eigene Art. Woher das kommt, geht uns hier nichts dacht, es seien in derselben Weise Dinge, wie das, was man
an. Es ist so. Man kann nicht etwa sagen, das komme von in der Nähe sieht, goldene Scheiben, goldene Punkte und zwar
der Entfernung. Es wäre möglich, daß wir gerade das Ent- auf Grund der unmittelbaren Anschauung, die sie von diesen
fernte deutlich, das Nahe undeutlich sähen. Die Dinge werden Phänomenen hatten.
in der Entfernung nicht einfach klein_er, zwerghafter, sie ver- Hieran wollen wir nun anknüpfen. Wohin das Auge
flüchtigen sich vielmehr allmählich für die Wahrnehmung. Da- auch sieht, ob in weite fernen, ob in die Nähe, ob in den
her kann man nicht sagen, die Sinneswahrnehmung täusche hellen Tag, die trübe Dämmerung oder die dunkle Nacht hin-
uns, sondern man gibt die Sachlage nur richtig wieder, wen~ ein, ja selbst bei geschlossenen Augen, überall sieht das Auge
man sagt, sie lasse uns hier im Stich und prätendiere nicht, Farbe - Farbe hier in des Wortes weitester Bedeutung ge-
uns Dinge zu geben. nommen, - aber nicht überall stellt diese Farbe Dinge dar.
Bevor wir hier weiter gehen, müssen wir uns über den Wie kommt es nun, daß die eine Zusammenstellung von Farbe,
Zusammenhang der vorstehenden Überlegung mit den Erörte- die eme Art Farbe Dinge darstellt, während alle anderen Farben-
rungen des ersten Abschnittes klar werden. Im ersteu Abschnitt variationen nur Farbe geben und nicht darstellen, auch nichts
hatten wir den Unterschied zwischen Darstellendem - Farbe, zur Vorstellung bringen, was nicht selbst wieder Farbe ist?
Ton, Data des Tast-, Drucksinnes - und dem Dargestelltem, Diese frage wollen wir näher untersuchen. Wir müssen
dem Ding, im groben bearbeitet; wir waren dabei noch nicht Clabei auch zugleich auf die frage kommen, welcher Zusammen-
auf die Beziehungen zwischen Darstellendem und Dargestellten hang zwischen der Farbe die Dinge darstellt und dem Dinge
im Einzelnen gekommen. Insbesondere hatten wir noch nicht selbst, welches dargestellt wird, besteht.
geprüft, wie Farbe, Ton, Data des Drucksinnes, des Tastsinnes Vorher wollen wir nur noch kurz einiges über die Wahr-
so etwas wie »Dinge darstellen« vermögen, ob hier gesetz- nehmung selbst, in der uns Dinge erscheinen, anmerken.
mäßige Beziehungen bestehen, wonach nicht alles, was Farbe
ist, Dinge darstellt, sondern etwa nur Farbe in bestimmter
Ordnung, in bestimmter form dies vermag. Ähnlich sind die
l(ap. II. Die beobachtende Wahrnehmung und ihr l(orre-
fragen für den Ton, den Druck- und Tastsinn. Diese fragen
lat: das Ding. Deutlichkeit der Wahrnehmung. Der
hatten wir also noch zu beantworten.
Erkenntniswert der deutlichen Ditzgwahrnehmung.
Um hierin nun einen Anfang zu bekommen, haben wir
die Überlegung bezüglich des Weltbildes der Alten angestellt. Wir haben bis jetzt von Wahrnehmung, Anschauung ge-
Dabei sahen wir, die Nähe haben die Alten ebenso gesehen, sprochen, ohne näher angegeben zu haben, was wir damit
wie wir sie noch jetzt sehen; aber in dem sie sich der Ferne meinen. Wir behandeln die Wahrnehmung, die auf Erkenntnis
zuwandte::;, dem Horizont und den Himmelskörpern, haben' sie des Dinges und seiner Eigenschaften, seines Verhaltens und
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schließlich auf Erkenntnis der Dingwelt abzielt. Da ist der wir untersuchen, eine gewisse Bedeutung haben. Hierher ge-
Name Wahrnehmung nicht besonders glücklich gewählt.. Man hört es, daß wir für gewöhnlich nicht wahrnehmen, daß unser
könnte besser sagen: »Beobachtung«. Damit ist besser das Kopf heiß, die Füße kalt sind, daß wir den Druck der Klei-
Ziel, das die von uns behandelte Wahrnehmung erstrebt, aus- dung, die Biegung unserer Glieder nicht wahrnehmen, aber
gedrückt, während Wahrnehmung im gebräuchlichen Sinne jederzeit eine bestimmte Stelle unseres Körpers vermöge solcher
mehr die Bedeutung eines passiven Verhaltens, eines :vahllosen sinnlicher Data, wie warm, kalt, Druck wahrnehmen und be-
Aufnehmens in sich schließt. Dies Ziel ist nicht etwas der obachten können. Daher man wohl mit Recht annimmt, daß
von uns behandelten Wahrnehmung Äußerliches, ihr von dem die sinnlichen Data für unser Bewußtsein jederzeit irgend wie
Willen gesetztes Ziel; sondern es gibt eine eigene Art Wahr- vorhanden sind - empfunden werden, wie man es häufig
nehmung, die überall versucht, die Hemmnisse und Hindernisse, nennt - aber daß weder sie wahrgenommen, noch mittels
die sich ihr entgegenstellen, zu überwinden. Ein Spähen, ihrer der Körper selbst wahrgenommen wird.
Auslugen in die Welt, das die Dämmerung, den Nebel, der Diese Art des Bewußtseins von etwas, die nicht auf sinn-
so oft zwischen den Dingen liegt, durchdringt; das sich nicht liche Data im menschlichen Körper beschränkt ist, schließen
zufrieden gibt mit dem Gebotenen, dem was sich von ·selbst wir auch aus, wenigstens insofern sie nicht für die beobachtende
darbietet, sondern wissen will, wie das, was beobachtet wird, ._ Wahrnehmung Bedeutung hat.
in Wahrheit ist, nicht wie es aussieht, wenn man es in Ruhe Und so könnten wir noch vieles anführen, was gelegent-
auf sich wirken läßt. lich wohl mit der von uns zu behandelnden Wahrnehmung
Andererseits ist das Wort »Beobachten« auch wieder zu verwechselt wird. - Aber wir ziehen es vor, auf diese Wahr-
enge; denn im Wahrnehmen beobachten wir. Das Beobachten nehmung selbst zu kommen und müssen uns ·da nur in Acht
bezieht s!\h immer nur auf einen Teil der Wahrnehmung. Es nehmen, daß wir nicht, ohne es zu wollen, den Gegenstand
ist untrennbar verbunden mit Wahrnehmung im weiteren der Untersuchung wechseln, und uns immer wieder auf diese
Sinne. Aber indem wir das Wort Beobachten einführen, haben Einstellung, die in der beobachtenden Wahrnehmung liegt,
wir doch vieles ausgeschlossen, das wir ausgeschlossen wissen zurückbeziehen.
wollen. Vor allen Dingen ist damit jede ästhetische Anschauung Wir sitzen im Zimmer und halten die Augen geschlossen.
ausgeschlossen; denn mit dieser ist kühle nüchterne Beobach" jetzt richten wir unsern Blick irgendwo hin. Einen Augenblick
tung unverträglich, während die Wahrnehmung im weiteren später steht ein Stuhl vor uns. Es verging eine kurze Zeit,
Sinne, die Wahrnehmung des täglichen Lebens jederzeit in bevor er so ruhig vor uns stand. Es war uns, als ob der
Beobachtung überführt werden kann. ~) Stuhl im Anfang von dem anprallenden Blick eine Erschütte-
Damit soll nicht gesagt sein, daß die ästhetische An- rung erlitten hätte. Zuerst erholte sich die Ecke, auf die ge-
schauung nicht auch in mancher Beziehung einen ähnlichen rade unser Blick fiel von dieser Erschütterung. Während wir
Aufbau hat wie die beobachtende Wahrnehmung. Aber das uns jetzt in dieser Ecke festsetzten, leuchten rechts und links,
kümmert uns hier weiter nicht. vorn hinten allmählich neue Gegenstände auf, ohne daß wir
ferner schließen wir aus eine Untersuchung der petites den Blick auf sie richten. Es kommt einem, dabei so vor, als
percepfions, der unbewußten \Vahrnehmungen, wie man auch ob, nachdem der Stuhl vor einem steht, Arbeit frei geworden
wohl sagi, soweit sie nicht für die Wahrnehmung selbst, die ist, die nicht plötzlich aufhören kann, sondern sich weiter be-
s*
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tätigen muß. Vermöge dieser wahllosen Betätigung >·er- steht, verschwimmt. Das Ganze, was gegenständlich ist, schließt
scheinen,. neben dem Hauptgegenstande, der auch Hauptgegen- aber nicht mit einem Schnitt ab, sondern es geht allmählich
stand bleibt, andere Gegenstände. Sie treten herein, fast wie in das Verschwimmende über.
wenn jemand zur Tür hereintritt. Auch hierbei wiederholen In der beobachtenden Wahrnehmung nun steht das Ding
sich jene Erschütterungen; die Gegenstände kommen erst all- als Ganzes vor uns. Der herausgehobene Teil ist nicht so
mählich zur Ruhe. herausgehoben, wie das Ding aus den übrigen Dingen heraus-
Aber es ist doch ein Unterschied. Vom Hauptgegenstand gehoben ist, oder wie etwa ein Teil eines Dinges, z. B. die
würden wir etwa sagen, daß wir ihn ergreifen, ihn anpacken. Türklinke, aus dem einzelnen Ding herausgehoben ist. Er hat
Die Gegenstände daneben werden leise berührt. ein Zentrum und verblaßt allmählich nach den Seiten hin.
Ist nun das Ganze zur Ruhe gekommen, so stehen uns Darauf beruht die Möglichkeit, die »Krallen« wieder aus dieser
mehrere Gegenstände gegenüber. Wir sehen dann etwa eine Stelle herauszuziehen und sie daneben von neuem einzusetzen.
Reihe zinnerner Teller im Schranke stehen, mehrere Aschbecher Hier paßt allerdings das Gleichnis vom Einkrallen nicht recht.
auf dem Tische, und finden, daß ~ir mit einem Teller vor- Es ist kein Einschlagen, wie beim ersten Male, sondern der
zugsweise beschäftigt sind, daß wir ihn »herausgreifend meinenc, Blick gleitet jetzt allmählich weiter. Oder vielmehr: Man kann
beobachten, während die andern Gegenstände »danebencstehen. unterscheiden, ob man am seihen Gegenstand sich in dieser
Bei diesem »herausgreifend meinen(: ist wieder zu unterscheiden Weise entlang fühlt oder ob man von ihm zu einem nahe
das Anpacken an einer Stelle, das an einer Stelle fassen - dabeistehenden überspringt und wieder, ob man bei demselben
z. B. den Teller fassen wir am Rande oder im Zentrum 1} - Gegenstand die Krallen aus einer Stelle herauszieht, sie eine
und das Meinen im weiteren Sinne, das sich auf den Gegen- Strecke weit den Gegenstand entlang schleifen läßt und dann
stand als Ganzen bezieht. Denn im Anpacken wird der ganze von neuem entert.
Gegenstand zu uns herangezogen, obwohl nur an einer Stelle Diese Art Wahrnehmung scheint uns nun die Erkenntnis
angepackt wird. Wir können immer angeben, welcher Gegen- des Dinges recht eigentlich zu verschaffen 1). In ihr stehen
stand in dieser bevorzugten Stellung vor uns steht und wo
1) Diese Beschreibung der Wahrnehmung ist, für 'unsern Zweck
wir ihn angefaßt halten.
absichtlich, stark schematisiert. Es kann vorkommen, daß mehrere
Die Teller, die neben dem bevorzugten stehen, sind mit Meinungsstrahlen, von der Art des Einkralleus von uns zu den Gegen-
gemeint, sie heben sich auch aus dem Hintergrunde ab, aber ständen gehen. So können wir von den Nippsachen, die auf dem
ohne unser Zutun. Sie warten, ob sie nicht auch angepackt Tische stehen, mehrere in dieser Stellung haben. Wir können ganz
werden. Es ist ein Übergang zu ihnen möglich, unter Wahr- auf einen Gegenstand gerichtet sein und zugleich einen Ton hören,
etwa das Summen der Mücke. Man müßte dabei untersuchen, ob
nehmung der dinglichen Identität des vorher nur noch wahr-
in solchen fällen nicht doch eine kurze Unterbrechung im Einkrallen,
genommenen. Was endlich noch weiter zurück oder zur Seite ein anfängliches Loslassen des Gegenstandes stattfindet, oder wenig-
stens eine Lockerung des Eingekralltseins.
1) Man ist versucht, hier gleichnisweise von einem Einkrallen Es kann auch vorkommen, daß wir so stark auf einen Gegen-
in den Gegenstand oder von einem Entern des Gegenstandes zu stand in der Weise des Einkrallens bezogen sind, daß die ganze
sprechen, um zu bezeichnen, daß eine Stelle, ein Punkt aus dem Umgebung direki verschwimmt, in die letzte von uns besprochene
Gegenstand herausgehoben ist, gerade die Stel!e, wo man »entert«, Sphäre hinabsinkt
während der ganze Gegenstand damit gegriffen wird. Wenn wir tief in Gedanken sind, ist gewöhnlich die Welt der
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uns die Dinge mit ihren Eigenschaften gegenüber, jn ihr ver- rung, dem Nebel und anderen Umständen, die die beobachtende
folgen wir die Veränderungen und Regungen der Dinge unter Wahrnehmung behindern. Während wir nun Dinge ohne
dem Mikroskop oder im Experiment oder wo wir sonst auch Zweifel beobachtend wahrnehmen können, ist es sehr die frage,
im täglichen Leben Beobachtungen anstellen. Jede dieser ob wir die Dunkelhei~ die Dämmerung, die Phänomene der
Wahrnehmungen hat den von uns beschriebenen Anfa~g, daß Entferntheit ebenso zum Gegenstande der beobachtenden Wahr-
sich der Gegenstand erst allmählich setzt und daß neben ihm nehmung machen können. Mir scheint, es geht nicht. Man
dann immer mehr Gegenstände auftauchen und bei jeder dieser kann wohl in die Dämmerung, in die Nacht hineinsehen, man
Wahrnehmungen können wir unterscheiden, ob wir überspringen kann das Augenschwarz gegenständlich haben. Aber man kann
von einem Gegenstand zum andern oder aber, ob wir den hier nichts beobachten. Versucht man es, so ist das Resultat,
Gegenstand langsam durch den Blick gleiten lassen. Dabei daß einem die Augen schmerzen, aber der Beobachter findet
ist es einerlei, ob wir durch die Lupe, durch das .Mikroskop hier keinen Gegenstand, der der Beobachtung ein Ziel böte.
oder mit bloßem Auge sehen. Die Wahrnehmung ist dieselbe. Was wir uns dort schließlich zusammensehen, scheint nur ge-
Nun ist diese Wahrnehmung aber nicht überall möglich; quält in die Stellung uns gegenüber zu rücken. Bei dem
nur in der Nähe und bei heiler Beleuchtung bietet sie Dinge Ding können wir unterscheiden, ob wir es deutlich sehen oder
dar. Ist das Zimmer, in dem wir sitzen, dunkel, ist das Licht nicht, und unterscheiden wir dies in Wahrheit immer. Wir
bei dem Mikroskop nicht eingestellt, so sehen wir - es ist verändern solange das Licht und die Entfernung, bis wir das
schwer auszumachen, was wir da eigentlich sehen, jedenfalls Ding deutlich sehen, wirklich beobachten können. Bei der
sehen wir keine Dinge. Und nun scheint es fast, als ob Dinge, Dämmerung aber scheint es anders zu sein. Hier scheint es
das Korrelat der beobachtenden Wahrnehmung sind. Wir doch fraglich zu sein, ob wir sagen können: Wir sehen zwar
können immer etwas sehen; selbst wenn wir die wu.gen ge- die Dämmerung, aber nur ungenau, wie wir es bei dem Dinge~
schlossen halten, sehen wir etwas schwarzes. Aber Dinge fraglos tun können, ob es für die Dämmerung wieder eine
sehen wir nur unter günstigen Umständen, bei guter Beleuch- »Dämmerung« gibt, die ihre Wahrnehmung beeinträchtigen kann.
tung und passender Entfernung. Was weit weg is~ sehen Die eine Gegebenheitsweise des Dinges ist die deutliche,
wir, wenn wir uns auch noch so anstrengen, nicht in dieser nämlich die im Anfang beschriebene, alle andern sind undeut-
Weise. Dort gleitet der Blick von dem, was gesehen wird, lich. Die Deutlichkeit selbst aber scheint keiner weiteren Aus-
ab. Das Gesehene gestattet kein Eindringen, wie das Ding. legung fähig zu sein oder zu bedürfen. Die Deutlichkeit ist
Wir können uns vielleicht ebenso einstellen, wie bei der Wahr- nicht wieder ein Ding. Sie ist auch nicht Eigenschaft eines
nehmung in der Nähe, aber diese Wahrnehmung gibt kein Dinges, sondern die Wahrnehmung eines Dinges ist deutlich
Resultat, sie ist taub und unfruchtbar; sie gibt uns vor allem oder undeutlich.
nicht Dinge. Ebenso ist es mit der Dunkelheit, der Dämme- Was unterscheidet nun die deutliche Wahrnehmung von
der undeutlichen. Es gibt viele Arten von Undeutlichkeit.
Die Entferntheit, die Dunkelheit gibt schlechte Wahrnehmungen,
Dinge soweit von uns entfernt, daß wir in der extremen Weise über-
haupt nicht auf sie bezogen sind. Es kommt vor, daß wir mit offenen
ebenso das indirekte Sehen. Wir gehen hier nur noch einmal
Augen nichts wahrnehmen, daß alles uns verschwimmt, wie etwa auf den Unterschied zwischen Wahrnehmung in der Entfernt-
vor dem Einschlafen. heit und in der Nähe ein. Das Resultat läßt sich einfach auf
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die andern Umstände, die von Einfluß auf die Deutlichkeit liehen Fältchen auf der Hand werden unter der Lupe zu falten,
sind, übertragen. unter dem Mikroskop zu größeren Vertiefungen. Stäubchen,
die wir mit dem bloßen Auge noch soeben sehen, werden
Sehen wir einen Baum in der Nähe, so steht er deutlich
zu Dingen eigener Art. Lebendige Wesen, Amöben, Bakterien,
vor uns mit einem Schlage. Steht er in einiger Entfernung
die wir mit dem bloßen Auge kaum so deutlich sehen, wie
von uns, so dauert es schon länger, bis wir ihn so deutlich
das weit entfernte Haus, werden zu wunderbar konstruierten
sehen, wie es aus dieser Entfernung möglich ist. Die Zweige
Wesen. Und was steht uns dafür, daß unser Mikroskop nicht
bilden zuerst ein Gewirr, erst allmählich lösen sie sich
wieder durch ein anderes Instrument korrigiert wird, wie es
von einander, erkennen wir, welcher Zweig vorne, welcher
selbst korrigiert. Wo ist da ein Ende zu finden.
hinten ist, und nur mit einiger Mühe verfolgen wir einen
Wie kann man unter der Last dieser Tatsachen behaupten,
Zweig vom Baumstamm bis zu seinen letzten Verzweigungen.
daß eine Wahrnehmung die absolut richtige sei. Es scheint
Je weiter der Baum sich von uns entfernt, desto unentwirrbarer
doch alles relativ zu sein. Ähnlich wie ein Tier stärker ist
werden die Zweige und desto mehr verlieren sie die Rundheit,
wie das andere, ohne selbst das stärkste zu sein, wie der Starke
desto silhuettenhafter, schattenhafter werden sie. I!I~~noch weiterer
immer wieder einen Stärkeren findet, scheint jede Wahrnehmung
Entfernung sehen wir nur ein Gewirr von Strichen -- es ist
eine stärkere zu finden und es scheint lächerlich oder vermessen,
unmöglich, noch einen einzelnen Zweig herauszunehmen. Die
von der absoluten Richtigkeit einer Wahrnehmung zu sprechen.
ganze Krone des Baumes steht wie eine geflochtene Kugel
Hat man alle Wahrnehmungen durchgemacht, so scheint nur
vor uns, Zuletzt wird aus dem Baum ein kleiner bläulich
Entsagung am Platze, schließlich schlägt vielleicht die vermeint-
schwarzer Punkt, der sich schließlich in seiner Umgebung
liche schlechte Wahrnehmung die vermeintlich beste Wahr-
verliert.
nehmung in einem Punkte, an den man nie gedacht hat.
Ähnlich ist es bei dem Hause. Nahe davor sehen wir Und doch scheint hier ein Unterschied vorzuliegen, den
das Kornige. des Steines, die Homogenität des Messings, die man nicht übersehen darf. Die Wahrnehmung durch das
fasern des Holzes und viele andere Bestimmtheiten der Bau- Mikroskop liefert:_ schließlich doch Wahrnehmungen derselben
materialien deutlich. Etwas weiter abgerückt sehen -wir nur Art, wie die Wahrnehmung durch das bloße Auge. Die Amöbe
noch die Farben; wir sehen nicht mehr die einzelnen Bestimmt- sieht etwa aus wie eine Qualle, die Teilung der Amöbe liefert
heiten so genau wie in der Nähe und so geht es weiter, bis Einschnitte, wie wir sie auch mit bloßem Auge sehen, die
aus dem Haus ein kleiner dunkler Punkt wird, der in seiner Spindel, die Kerne alles sieht aus, wie das, was wir mit bloßem
Umgebung verschwindet. Auge deutlich sehen. Ja der Forscher kennt die Amöbe nicht
Man könnte nun die Wahrnehmung in der Nähe fixieren aus der Erfahrung, die er mitbringt, aber er stellt von selbst
und an ihr das suchen, was ihr den Vorrang vor den anderen das Mikroskop so ein, daß ihm das darunter befindliche in
Wahrnehmungen verschafft. Aber diese Wahrnehmung selbst der Art erscheint, wie im täglichen Leben größere Dinge er-
wird wieder scheinbar in derselben ·Weise wie jene Wahr- scheinen. Es ist nur eine Einstellung des Mikroskopes, die
nehmung der Entferntheit korrigiert und umgestoßen durch die ihm diese deutliche Wahrnehmung verschafft. Alle anderen
Wahrnehmung, die uns die Lupe und diese wieder durch die geben verschwommene Bilder. Aber der Forscher geht. ohne
Wahrnehmung, die uns das Mikroskop verschafft. Die undeut- Zögern auf diese Einstellung los, die ihn das Ding so er-
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scheinen läßt, wie das tägliche Leben größere Dinge - Quallen nach immer auf Dinge 1) abzielt und wo sie diese nicht findet,
erscheinen läßt. Er bringt also scheinbar nur den Deutlich- sich müht, durch die Schleier zu dringen, die scheinbar über
keitsbegriff des täglichen Lebens mit und wendet ihn wieder den Dingen liegen. Sie kommt, wo die Dinge günstig gegeben
auf das an, was er durch das Mikroskop sieht. Er sieht die sind, sofort zur Ruhe; wo dies nicht der fall ist, bleibt ein
Dinge unter dem Mikroskop genau so, wie wir .größere Dinge Moment der Unruhe vorhanden. Die Wahrnehmung scheint
r\
im täglichen Leben sehen, in derselben Deutlichkeit, in der- auch in der ferne auf Dinge auszugehen. Sie sucht, daß sie
selben Art. Homogene Dinge aber wie Wasser sieht er über-
1) Es scheint uns sicher zu sein, daß es ein Analogon zu dies er
haupt nicht anders, wie wir sie mit bloßen Augen sehen; nur
Wahrnehmung auch auf andern Gebieten gibt, eine prüfende Wahr-
sieht er noch kleinere Quantitäten, diese aber ebenso, wie wir nehmung z. B. auch bezüglich des menschlichen Geistes, Charakters
größere Quantitäten sehen. und bezüglich der Qualitäten, die nicht Dinge sind, aber Dinge dar-
stellen. Man kann das Gebiet der Töne, der Farben, der Gerüche,
Die Art der Deutlichkeit, der _ Gegebenheitsbeweise der
der Data des Tast-, Drucksinnes und des Geschmackssinnes auch für
Dinge scheint also dieselbe zu sein, die wir im täglichen Leben sich zum Gegenstand der Untersuchung machen. Auch ein Ton, ein
haben, wenn wir eben ein Ding deutlich sehen. Es scheint Geruch, ein Geschmack kann- abgesehen davon, daß er mit beiträgt
also fast, als ob wir Dinge mit groberer Struktur - Dinge, zur Darstellung eines Dinges - für sich untersucht werden. Viel-
die in größeren Stücken homogen sind, mit dem bloßen Auge leicht tragen auch einige von diesen Qualitäten - wir denken vor-
nehmlich an Data des Geruchs-, Geschmacks-, Kalt-, Warmsinnes -
deutlich sehen, während wir Dinge mit feinerer Struktur nicht
wenig zur Darstellung von Dingen bei. Trotzdem gibt es bei all
deutlich sehen mit bloßem Auge, sondern erst mit der Lupe diesen Qualitäten auch eine Art Deutlichkeit und Undeutlichkeit oder
oder dem Mikroskop; mit diesen Mitteln sehen wir sie dann besser Ausgeprägtsein und weniger ausgeprägt sein. Man kann au eh
ebenso, wie die Dinge mit groberer Struktur mit bloßen Augen. diese Qualitäten nur noch soeben· wahrnehmen und andererseits sie
So zeigt uns etwa von den Eigenschaften der Metalle, des deutlich vor sich haben. Aber trotzdem ist es ein großer Unterschied
zwischen der Deutlichkeit, die wir hier finden und der Deutlichkeit,
Wassers die Lupe nichts mehr wie das bloße Auge.
mit der wir Dinge wahrnehmen. Hier scheint es sich mehr um
Aber wie grob ein Ding auch konstruiert sein mag, in Intensitätsverstärkungen zu handeln. Wenn wir einmal einen Geruch
der Entfernung scheint es doch schließlich und zwar bald un- vor uns haben, haben wir die betreffende Qualität etwa Rosengeruch
erfaßt. Wenn der Geruch anschwillt, verstärkt wird, so bleibt doch
deutlich zu werden. Der bläuliche Schimmer, in dem alles
die Qualität dieselbe. Den Unterschied, daß aus einem gegliederten
Entfernte steckt, verbirgt es. Das, was wir in der Entfernung dreidimensionalen Ding in der Entfernung schließlich ein kleiner
sehen, ist kein Ding, wie das was wir in der Nähe sehen. vager Punkt wird, finden wir hier nicht.
Auch Dinge von den größten Dimensionen werden in der Auch bezüglich der Wahrnehmung dieser Data der Sinne gibt
Entfernung undeutlich. Wenn wir das festzuhalten versuchen, es gewiß viele interessante fragen zu lösen, aber mir scheint do eh,
daß die Sachlage hier einfacher liegt und nicht solche Schwierigkeit en
was wir dort vor Augen haben, so ist es nichts Dingliches,
aufweist, wie die frage der Dingwahrnehmung, insbesondere, weil es
sondern etwas Schattenhaftes. Und ebenso ist es mit den an- den Unterschied von darstellendem und Dargestellten hier nicht gibt.
dem Umständen, die die Wahrnehmung undeutlich machen. Von diesen Qualitäten ist streng zu scheiden, das was wir mit
Die Dämmerung umhüllt die Dinge ähnlich wie die Entferntheit. Dämmerung, Nacht, Augenschwarz, Phänomen der Entferntheit be-
zeichnen. Diese Phänomene sind einer Wahrnehmung in dem Sinne,
Es ist, als ob die Wahrnehmung ihrer eigensten Natur wie Töne, Farben, Gerüche nicht zugänglich. Sie bieten der prü-
fenden Wahrnehmung keinen Halt.
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etwas findet, das ihrem Blick standhält. Aber das, woran sie Stimmen sie aber mit ihr überein, so fragt es sich immer, ob
sich in der Entfernung probiert, weicht aus. die Übereinstimmung notwendig oder zufällig ist.
Dabei müssen wir jedoch wohl beachten: Es gibt An- Nun haben wir im ersten Abschnitt gefunden, daß Farbe
schamingsarten, die nicht nach Dingen suchen; zumal ästhetische Dinge darstellt. Soweit das Auge nun blickt und unter welchen
Anschauung. In ihr liegt nicht dies Streben nach Dingen und Umständen es sich umsieht, überall sieht es Farbe ohne Lücke,
Deutlichkeit. Sie fühlt sich wohl in der Undeutlichkeit. Sie ~uch in der Dämmerung, der Nacht und sogar wenn es ge-
ist aber von Grund auf unterschieden von der Wahrnehmung, schlossen ist, aber nicht überall und unter allen Umständen
die wir hier behandeln, und die wir charakterisiert haben - sieht es Dinge. Wie kommt es nun, daß Farbe hier Dinge
von der Wahrnehmung, die jeder anerkannten empirischen· deutlich darstellt, dort aber entweder Dinge undeutlich oder
Wissenschaft zu Grunde liegt - der beobachtenden Wahr- überhaupt nicht darstellt. Warum kann die Farbe der Ent-
nehmung. ferntheit, der Dämmerung das nicht vollbringen, was die Farbe
der Nähe leistet.
Nicht jede Bemalung der. Leinwand, nicht jede Zusammen-
stellung von Klecksen gibt ein Bild von einem Dinge, sondern
Kap. 1!1. Wann stellt Farbe Dinge deutlich dar. Die
nur die Zusammenstellung, die dem,_ was man am Dinge an
Ordnung in der darstellenden I-arbe: Die empfundene
Farbe sieht, gleicht, dieselbe Ordnung einhält wie diese. So
Farbe, die gegenständliche durchstrichene Farbe, die gegen-
muß sich der Maler nach der Wirklichkeit richten, wenn er
ständliche anhaftende Farbe. Farbenjorm. Anhaftende
Dinge darstellen will. Wonach aber richtet sich die Wirklich-
Farbe als Eigenschaft des Dinges. Die Form als das
keit? Ist es Zufall, daß die eine Farbenerscheinung Dinge
Absolute.
darstellt, eine andere Komposition dies nicht vermag. Ist es
Wenn nun auch jede bekannte Verfeinerung der Wahr- Zufall, daß der Schlag gegen das Auge, bei dem uns grün
nehmung durch Lupe und Mikroskop schließlich wieder Dinge und blau vor dem Auge wird, kein Ding darstellt, daß die
zeigt, wie sie die deutliche Wahrnehmung den bloßen Augen Farbenerscheinungen der Dämmerung, der Entferntheil keine
zeigt, und so eine Art Eideshelfer für den Vorzug dieser deut- Dinge darstellen. Wäre es ebensowohl möglich, daß sie auch
lichen Wahrnehmung vor jeder anderen Wahrnehmung abgibt, Dinge darstellten? Oder hat die Wirklichkeit auch Gesetze,
so genügt diese Unterstützung doch nicht, um den Vorzug, die sie befolgen muß, wenn sie Dinge darstellen will; Gesetze,
den die deutliche Wahrnehmung vor der undeutlichen scheinbar die für sie dasselbe bedeuten, wie für den Maler die Wirk-
hat, vor allen Zweifeln zu schützen, oder auch nur die Natur lichkeit, apriorische Gesetze, die in dem Wesen der Wahrneh-
dieses Vorzuges in das rechte Licht zu stellen. mung begründet sind.
Wenn es den Anschein hat, als ob die deutliche Wahr- Wir müssen uns einmal näher den Farben, die Dinge
nehmung eine gewisse absolute Geltung habe, so kann dieser darstellen, zuwenden.
Anschein nie dadurch zur Gewißheit gemacht werden, daß Da unterscheiden wir zunächst die Farben der Dinge in
gewisse Fakta den Anschein unterstützen, mit ihm zusammen- ihrer qualitativen Sonderung durch die ganze Farbenskala hin-
stimmen. Fakta können immer nur die Unrichtigkeit einer durch, weiß, schwarz, gelb, violett. Aber damit ist es nicht
Theorie dartun, wenn sie nicht mit ihr übereinstimmen. getan. Dazu kommen die Beleuchtungseffekte. Wenn wir
diese möglichst genau beschrieben und geordnet haben, werden
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wir sehen, daß die Farbe der Nähe und die Farbe der Ent-
T _,, 79
Ticktack der Uhr aufmerksam gemacht werden, erinnern, daß
ferntheit durchaus verschieden sind, obwohl, beide im weiteren es uns vorher schon irgendwie in den Ohren geklungen hat,
Sinne Farbe sind. obwohl es jetzt ganz anders vor uns steht.
In der Art, wie der naive Mensch und der - sagen wir Wenn also diese Reflexe, Li-chter, Schatten für die Wahr-
vorläufig - Künstler die Dinge sieht, ist ein Unterschied, auch nehmung des Gegenstandes die Rolle spielen, die man ihnen
wenn wir von allem ästhetischen absehen. Der naive Mensch gemeinhin zuschreibt, und die die Technik der Malkunst er-
- und hierzu rechnet auch der Forscher, der unter dem warten läßt, - da die Malkunst uns ja eben durch solche
Mikroskop Beobachtungen anstellt - sieht die Dinge nur in Lichtgebilde mit ein Ding vorstellig machen kann - wenn
der Farbe, die sie scheinbar bei jeder Änderung der Beleuch- ohne solche Lichtgebilde der Gegenstand nicht wahrgenommen
tung behalten, die man wohl auch wirkliche anhaftende Farbe werden kann, so ist andererseits sicher nicht erforderlich, daß
nennt; er sieht nicht die Reflexe, Lichter, die farbigen Schatten, diese Lichtgebilde selbst wahrgenommen werden, wenn der
wo sie nicht ganz aufdringlich sind. Er sieht wohl den Gegenstand vorstellig werden soll. Denn der naive Mensch,
Schatten, den seine Gestalt auf den von der Sonne beschienenen der sie nicht wahrnimmt, sieht den Gegenstand genau wie der
Boden wirft, er sieht auch den Reflex des Handspiegels, mit Künstler mit allen Eigenschaften, die man überhaupt ihm an-
dem man den leuchtenden Widerschein über die Wand tanzen sehen kann. Andererseits aber kann man diese Lichtgebilde
läßt, das Blinken des Helmes im Sonnenschein, das flackern auch wahrnehmen, deutlich vor sich haben, ohne daß man
des Lichtes an den Wänden, wenn das Feuer im Kamin brennt dabei den Gegenstand aus den Augen verliert. Man kann sie
- aber ihm fällt bei trübem Himmel nicht auf, daß auch dann betrachten, wie sie sich am Gegenstande gruppieren, auf ihm
noch alle Gegenstände von diesen Lichtgebilden durchdrungen als Schatten lagern, ihn als Licht durchdringen, an ihm als
sind, ihm fällt nicht auf, daß die Kirsche, das Auge immer Glanz, Sonnenschein sitzen. Allerdings scheint bei dieser Ein-
diesen Lichtfleck haben, wie die Beleuchtung auch sein mag. stellung das Ding ein wenig zu kurz zu kommen. Es scheint
Man muß schon sehr beachtliche Stufen in der Geschichte der mir, als ob man sogar sich so diesen Lichtgebilden zuwenden
Malerei überspringen, bis man diesen Lichtfleck in den Ge- kann, daß der Gegenstand fast verschwindet. Es gibt hier
mälden der alten Meister findet. sicher noch Unterschiede in der Zuwendung zu diesen Licht-
Wenn diese Lichtgebilde ihm nun auch nicht auffallen, gebilden - von der Art, wo man nur die auffälligsten Gebilde
so gebraucht er sie doch im gewissen Sinne und vermißt sie, als solche faßt bis zu der Art, wo sich der ganze Gegenstand
wenn sie nicht da sind. So sieht er doch die eigenartige auflöst in solche Lichtgebilde. Wenn wir von dieser letzteren
Stumnfheit des Auges, wenn der Maler diesen Lichtfleck ver- absehen, so ist dort, wo wir nur Stücke von diesen Licht-
gessen hat. Er merkt, daß irgend etwas fehlt. Man kann also gebilden abschneiden aus dem Ganzen, die frage, ob diese
vielleicht sagen, er sieht diese Lichtgebilde nicht, wie er die nun auf zwei Arten für uns da sind, einmal als wahrgenommene,
Dinge sieht, aber sie sind doch für ihn irgend wie da. Er das andere mal auf die Art, auf die der naive Mensch sie hat,
kann, wenn er be: Betrachtung eines Dinges plötzlich auf als Bausteine für die Wahrnehmung des Dinges - oder was
diesen Lichtfleck aufmerksam gemacht wird, noch gerade kon- dasselbe ist, ob auch das wahrgenommene Lichtgebilde die
statieren, daß er ihn auch schon vorher irgend wie dunkel Aufgabe, ein Ding vorstellig zu machen, erfüllen kann. Das
gehabt hat, ähnlich wie wir uns, wenn wir plötzlich auf das scheint mir nun nicht der fall zu sein. Wenn wir das Ding
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dort, wo gerade das Lichtgebilde sitzt - etwa das Licht an Nehmen wir nun aber ein Stück Baumrinde des nächsten
der Tasse, an dem Teller - möglichst genau sehen wollen, Baumes auf das Korn, so verschwinden die Grenzen der Streifen.
so stört es uns, wenn wir dort das Licht sehen, wir »über- Das Helle und das Dunkle ist noch irgendwie da, aber es ist
sehen« das Licht, wir dringen durch das Licht hindurch, um nicht selbständig mehr, wie der Streifen etwas relativ Selbstän-
den Teller an dieser Stelle genau zu sehen, , ebenso wie der diges ist.
naive Mensch, dem von Anfang an das Licht nicht auffällt. Von dieser Betrachtung müssen wir nun festhalten, daß
Daß man überhaupt Licht und Teller zugleich wahrnehmen die Lichtgebilde für die Wahrnehmung des Dinges wichtig
kann, kommt wohl daher, daß wir nicht im Bereiche des sind, und daß sie selbst ~ahrgenommen werden können, wobei
ganzen Tellers auf Lichtgebilde ausgehen, sondern mir an einer sie dann aber ihre ursprüngliche Aufgabe nur mehr unvoll-
Stelle. Die Wahrnehmung der übrigen Teile des Tellers, die ständig erfüllen. Wir können diese Lichtgebilde also nach
wir mit naiven Augen sehen, muß dann sozusagen dieses Stück zwei Richtungen untersuchen. Erstens können wir zusehen,
des Tellers, bei dem wir dem Licht zugewendet sind, mittragen welche Rolle sie für die Wahrnehmung des Gegenstandes
helfen. spielen; dann aber können wir sie selbst zum Gegenstande
Im übrigen aber scheint mir nicht wohl vereinbar zu sein der Wahrnehmung machen. Die erste Untersuchung ist die
Dingwahrnehmung und Lichtgebildewahrnehmung, sondern zur bei weitem schwierigere und wichtigere. Die zweite Unter-
Wahrnehmung des Dinges gehört es, daß die Lichtgebilde be- suchung ist insofern interessant, ~ls wir an den Lichtgebilden
scheiden in den Hintergrund treten, wo sie unentbehrlich sind. das, was man wohl mit Spielen der Phantasie bezeichnet hat,
Wenn sie sich an dem gehörigen Orte befinden, dann ist beobachten können. Wir können hier sehen, welche Grenzen
Wahrnehmung des Dinges vorhanden. Wo sie so stark hervor- das Formen, Bilden von Gegenständlichkeiten hat - auf wie
treten, daß man sie nicht übersehen kann, da ist die Wahr- verschiedene Weise man dasselbe Material auffassen kann. In
nehmung gestört. Sie sollen den Blick »hinüberleiten« auf das der Beziehung werden wir im nächsten Kapitel Untersuchungen
Ding; der Blick darf sich nicht in ihnen verfangen. anstellen.
Wo wir uns nun den Lichtgebilden zuwenden, dürfen Die Art, in .der die Beleuchtungseffekte in det beobach-
wir nicht glauben, daß wir sie so übernehmen, wie der naive tenden Wahrnehmung für uns vorhanden sind, kann man nicht
Mensch sie hat, sondern mit der Zuwendung versubstantiieren, dahin festlegen, daß man sagt, wir verwenden auf sie geringere
verdinglichen wir sie schon gewissermaßen. Wir ziehen Striche, Aufmerksamkeit, wie man von größerer oder geringerer Auf-
Grenzen zwischen den einzelnen Lichtgebilden, formen sie zu merksamkeit etwa bei der Zuwendung zum Dinge spricht.
Streifen, zu kugelartigen Gebilden, die am, im Gegenstand Wenn wir das Ding beobachten wollen, dürfen wir uns den
sitzen. Wenn wir nun von ·dieser Wahrnehmung übergehen Beleuchtungseffekten nicht zuwenden, sondern diese müssen
zur Dingwahrnehmung, in der nur das Ding Gegenstand un- untertauchen. Und dies nicht etwa darum, weil wir nicht zu-
seres Interesses ist, so merken wir noch gerade, wie diese gleich auf zweierlei achten können, auf das Ding selbst und
Formen, in die wir die Lichtgebilde zwängen, schmelzen. Die auf seine Beleuchtung, sondern, weil wir die Beleuchtungseffekte
Baumreihe an der Landstraße zeigt bei sinkender Sonne gleich- iil dieser untergetauchten Stellung für die Beobachtung des
mäßig helle Streifen an der westlichen, dunkle Streifen an der Dinges gebrauchen; und man kann deutlich feststellen, wie
östlichen Seite, die sich ziemlich scharf von einander abheben. die Beleuchtungseffekte, je schärfer wir beobachten, desto
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mehr untertauchen. Verfolgt man die Teilung der Amöbe irgendwie - wenn auch in untergetauchter Stellung - er-
unter dem Mikroskop, so erinnert man sich überhaupt der forderlich sind, damit ein Ding wahrgenommen und beobachtet
Beleuchtungseffekte nicht mehr. Man hat sie dort nicht gegen- werden kann. Dieser letzte Satz ist hier nicht phänomenologisch
ständliCh gehabt. Andererseits aber hat man sie doch irgend- festgestellt. Dazu würde gehören, daß man in der Beobachtung
wie gehabt, v i e II eicht ist "empfunden<< hier das passende feststellte, wieso die Empfindung der Beleuchtungseffekte mit-
Wort. Sie sind nicht mehr gegenständlich gewesen; aber sie wirkt, damit sich ein Ding darstellt. Wir werden im folgenden
werden nicht weggeschafft in der beobachtenden Wahrnehmung, noch auf Spuren solcher Mitwirkung stoßen. So schon in der
sondern nur untergetaucht in eine andere Bewußtseinssphäre nächsten Bemerkung.
gebracht. Dort sind sie aber nötig. Und man kann feststellen, Wenn wir unter Beleuchtungseffekte all die Lichtgebilde
wie sie, je angespannter die Beobachtung wird, desto mehr als verstehen, die nicht anhaftende Farbe sind, ohne Rücksicht
Gegenständliches verschwinden und in die Sphäre der Emp- darauf, ob sie empfunden, oder ob sie gleichsam wahrgenommen
findung hinuntersinken. werden, so fällt es auf, daß nicht jeder Beleuchtungseffekt sich
Wir können das Ding beobachten und dabei die Beleuch- in die Sphäre, wo er nur empfunden wird, zurückdrängen läßt
tungseffekte »wahrnehmen«, sie gegenständlich haben; und von und daß auch nicht jeder Beleuchtungseffekt für die Darstellung
dieser Wahrnehmung der Beleuchtungseffekte führt eine große des Dinges gleich wichtig ist. So gehört es wohl sicher zur
Reihe von Stufen bis dahin, wo sie nur noch empfunden Darstellung der Zigarrenkiste, daß die drei Seiten, die ich sehe,
werden, nicht mehr gegenständlich sind. Und in dieser Mög- verschieden abgeschattet sind: es kommt nicht darauf an, daß-
lichkeit, die Beleuchtungseffekte durch viele Stufenreihen bis gerade die oberste Seite die hellste ist, aber es ist erforderlich,
vor das klare Bewußtsein zu bringen und umgekehrt, sie aus daß Unterschiede in der Abschattung vorhanden sind. Dagegen
dem klaren Bewußtsein mehr und mehr herauszudrängen - ist der Schatten, den die Kiste auf die Tischplatte wirft, nicht
in der Kontinuität, in der dies geschieht, liegt die Gewähr im seihen Maße erforderlich für die Darstellung der Tischplafte;
dafür, daß sie auch da, wo sie ganz untergetaucht sind, noch die Tischplatte käme auch zur Darstellung, wenn die Stelle,
irgendwie für das Bewußtsein da sind. Ferner darin, daß· je wo der Schatten hinfällt, annähernd gleiche Tönung der Farbe
schärfer die Beobachtung ist, desto mehr die Beleuchtungseffekte aufwiese, wie die ganze Tischplatte. Daher kommt es auch
zurückgedrängt werden, liegt die Gewähr dafür, daß sie nicht wohl, daß wir leicht geneigt sind, den Tisch für an dieser
gegenständlich zu sein brauchen, wenn wir das Ding beob- Stelle gebeizt anzusehen, während dies uns bei der Kiste, wo
achten wollen. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Beleuch- der Schatten zur Darstellung der Kiste dient, nicht leicht passiert.
tungseffekte bei jeder beobachtenden Wahrnehmung soweit Es ist so, als ob wir in den Beleuchtungseffekten wieder
zurückgedrängt werden, daß sie nur noch empfunden werden. unterscheiden könnten zwischen solchen, die zur Darstellung des
Bei glänzenden Gegenständen, bei der Wasserwelle, dem Por- Dinges beitragen, indem sie empfunden werden, und solchen,
zellan, den Metallen bleiben sie wohl immer gegenständlich, die nur in der Welt umherirren, ohne eigentlich zur Darstellung
obwohl sie nicht beobachtet sind; bei stumpfen Gegenständen des 'Dinges beizutragen, die wir daher mehr durchstreichen,
dagegen können sie wohl vollständig untertauchen. Endlich wenn wir beobachten. Bei der Beobachtung ist es ja nicht
liegt darin, daß ohne Beleuchtungseffekte kein Ding darstellbar so, daß der Blick sich in jeder Stelle des Gegenstandes be-
ist, kein Ding gemalt werden kann, die Gewähr dafür, daß sie liebig festsetzen kann, wenn man darauf ausgeht, den Gegen-
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stand zu beobachten; sondern ähnlich wie die Eisenbahn auf ausgenommen nur die Stelle, wo ein weißes Licht an ihm
die Schienenwege, der Wagen auf die Straßen und Wege an- sitzt. Es ist mit ihm also· gerade umgekehrt wie bei dem
gewiesen ist, ist der Blick auf bestimmte Wege am Gegen- Golde.
stande angewiesen, will er das, was vom Gegenstande von Bei metallenen Gegenständen kann man sich am besten
einer bestimmten Stelle aus wahrnehmbar ist, überhaupt wahr- von der Richtigkeit dieser Überlegung überzeugen. Insbeson-
nehmen. Verirrt er sich nach andern Stellen, so gerät er in dere an der brennenden Metaiilampe kann man sehr gut fest-
einen Sumpf, um im Gleichnis zu bleiben. Er nimmt vom stellen, welche Stellen der Blick sich aussuchen muß, um die
Gegenstande nichts mehr wahr, sondern hat Gebilde vor sich, Eigenheit der Lampe wahrzunehmen. Man kann sich da vor-
die mit dem Gegenstand selbst nichts mehr zu tun haben. trefflich zur Anschauung bringen die Ähnlichkeit zwischen
Nun ist freilich unser Blick so sehr geübt im Vermeiden dieser diesem Suchen der richtigen Stelle und dem Suchen nach
Sümpfe, im Finden der sicheren Straßen, daß man kaum merkt, einigen trockenen Punkten, wenn man ohne nasse Füße zu
wie sehr man jeden Augenblick die gefährlichen Stellen ver- bekommen über eine große Pfütze gehen will. Ein allerdings
meidet und sofort wieder die Straße unter den Füßen hat, etwas schematisches Mittel, sich dies zur Anschauung zu bringen,
wenn man wirklich einmal vorbeitritt. Dabei ist jedoch zu ist auch teilweise Verdeckung der Lampe in der Art, daß man
beachten, daß die Wege sich vielfach kreuzen oder vielmehr, nur einen kleinen Teil sieht. Dabei merkt man am besten,
daß es für die Wahrnehmung jeder Eigenheit des Dinges be- wie groß man den Ausschnitt von der Lampe schon nehmen
sondere Wege gibt, so daß eine Stelle, die mir nichts über muß, um einen festen Punkt für die Wahrnehmung der Lampe
die Farbe des Dinges sagt, die Gestalt trefflich zur Darstellung zu finden, während bei kleinerem Ausschnitt ein verschwom-
bringt. An meinem Fenster hier steht ein Blumentopf aus menes Spiegelbild, irgend etwas Leuchtendes, aber nicht das
blauem Porzellan mit goldenen und braunen Streifen. Nach Metall der Lampe vor einem steht.
links ist er dunkel abgeschattet, nach rechts spiegelt er das Die Stellen am Gegenstande, die nun für die Wahrneh-
Tageslicht wieder. Links sehe ich trefflich die Rundung, kon- mung des Gegenstandes wenig ergiebig sind, sind trotzdem
zentriere ich meinen Blick aber auf die Stelle, wo das Helle als Leerstücke notwendig für die Wahrnehmung. Es gelingt
und das Dunkle scharf zusammentreffen, so biegt sich der uns auch oft, hier noch brauchbare Wahrnehmungen zu er-
·Topf scheinbar an dieser Stelle nach innen; ich sehe an dieser zielen, nachdem wir den richtigen Anfang von einer mehr
Stelle die eigentliche Form nur undeutlich oder gar nicht, wenn brauchbaren Stelle her genommen haben.
ich nicht immer von links aus oder von oben aus, wo ich Wenn diese Erscheinung nun auch bei metallenen, glän-
den kreisförmigen Rand sehe, Unterstützung hole. In der zenden Gegenständen am deutlichsten zu Tage tritt, so ist sie
Mitte ungefähr ist eine Blume aufgemalt. Diese ist auch im- doch auch bei anderen Gegenständen zu beobachten. Auch
stande, den Blumentopf zu runden. Ähnlich ist es mit den dort findet man, wie man über dunkle, tiefschattige Stellen hin-
Goldstreifen. Die Goldigkeit sehe ich nur an der Stelle, wo weghuscht mit dem Blicke, wenn man das Innere des Dinges,
ein Licht am Streifen sitzt, während weiterhin der Streifen so seine Struktur wahrnehmen will. Man kann hierbei aber kein
erscheint, daß ich über seine Farbe nichts ausmachen und Schema aufstellen. Ein Schatten, der die Struktur des Gegen-
von ihr nichts sehen kann. Den braunen Streifen dagegen standes - etwa die Holzmasern - verdeckt, hebt andererseits
kann ich ganz verfolgen und in seiner Braunheit wahrnehmen, die Gestalt des Holzes, die Erhabenheit, hervor. Je nachdem,
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was man vom Gegenstande sehen will, muß man immer suchten Farbevariationen Dinge zur Darstellung bringt, so ist
wieder andere Stellen an ihm aufsuchen, andere Erscheinungen doch eine Zusammensetzung von Farbe erforderlich, um Dinge
verwerten. Dieser Zusammenhang ist so vielgestaltig, daß es zur Darstellung zu bringen. Das absolut Einförmige ist un-
schwer ist, ihn erschöpfend zu behandeln. Der Maler kann fähig, Dinge darzustellen.
uns wohl viel hierüber sagen; er weiß, mit welchen Mitteln Unter den Farbevariationen, diE: das Ding zur Darstellung
man Weite des Raumes, Starrheit oder Lebendigkeit des Gegen- bringen, ist nun anhaftende Farbe einerseits und all die Be-
standes zur Darstellung bringt, wir selbst können Experimente leuchtungseffekte auf der andern Seite streng zu trennen und
anstellen, indem wir eine Erscheinung künstlich aufheben und durch einen Abgrund geschieden.
wieder hervorrufen und zusehen, wie sich das, was wir vom Der äußeren Merkmale, worin sich diese Verschiedenheit
Gegenstand erkennen, verändert. Wie die G,estalt undeutlicher kundgibt, sind viele und leicht auffindbare. Die Beleuchtungs-
wird, wenn das Licht gleichmäßig von allen Seiten kommt effekte, dunkle und farbige Schatten, Beleuchtungsfarbe des
wie die Oberfläche des Wassers sichtbar wird, wenn die KorkeJ Feuers, der Sonne, der Lampe, jedes farbigen Lichtes, Glanz,
der Netze darauf schwimmen. Lichter sind beweglich, sie huschen über den Gegenstand hin.
Das Glitzernde, Schimmernde, der Glanz, das Licht, der Bei jeder Bewegung des Gegenstandes verändern sie sich. Der
Schatten, sie stellen nicht immer dar; bei gewissen Gelegen- Gegenstand bewegt sich durch die Lichtzonen hindurch und
heiten verwirren sie die Darstellung mehr als sie sie befördern, wechselt sie. Dreht man den Gegenstand, so wird er dort
aber trotzdem ist deutlich zu erkennen, daß sie bei andern hell, wo soeben Schatten war. Die Lichter springen von einer
Gelegenheiten das ihrige zur Darstellung des Dinges beitragen. Ecke in die andere. Umgekehrt ist die anhaftende Farbe un-
Ohne den Glanz und die Schatten kann sich die Wasserwelle beweglich, sie bewegt sich nur mit dem Gegenstande, sie ist
nicht zur Darstellung bringen, ohne die Schattenahtönung ist fest mit ihm verbunden. · Aber diese Fixierung des Unter-
die Gestalt des Dinges nicht darstellbar, ohne den Lichtfleck schiedes trifft noch nicht den Kern .
. auf der Metallkugel ist die Kugelgestalt nicht darstellbar. Wo Die Hauptschwierigkeit in der Erkenntnis dieses Unter-
die anhaftende Farbe durch die Beleuchtungsfarbe zu stark schiedes liegt darin, daß die anhaftende Farbe uns nie rein
überstrahlt wird, verliert die Struktur des Dinges, die innere gegeben ist. Sie ist immer bedeckt, gestört durch die Beleuch-
Zusammensetzung an Deutlichkeit; aber alle diese Farbevaria- tungseffekte. Selbst die Beleuchtung bei bedecktem Himmel
tionen stehen in Beziehung zur Darstellung der Vielgestaltig- gibt nicht die anhaftende Farbe. Man kann also nie auf die
keit, der Mannigfaltigkeit des Dinges. anhaftende Farbe direkt den Finger legen. Man kann nur
Bei den entfernten Gegenständen nun fehlt dieser Reich- sagen, hier kommt sie mehr, hier kommt sie weniger zu Tage.
tum von Farbenvariationen. Es steht das einförmige Bläuliche Hier ist sie ganz getrübt durch die Beleuchtungsfarbe, daß man
dort vor uns. Dieses kann keine Dinge darstellen. Es liegt nur noch undeutliche Spuren von ihr hat, hier tritt sie fast un-
hier nicht die Möglichkeit vor, anhaftende Farbe und Glanz getrübt zu Tage.. Es gibt mehr Erkennbares, das sich auf diese
zu unterscheiden; hier ist eine Variation der Farbe für sich Weise verbirgt und nur wie durch einen Schleier erkannt
die aber keine weiteren Untervariationen zuläßt. Deshalb kan~ werden kann. Man kann solche Schleier nicht mit Gewalt ab-
sie auch keinen Gegenstand zur Darstellung bringen. Denn heben, sondern muß sich begnügen, so gut es geht, durch sie
wenn auch nicht jede Zusammenstellung der von uns unter- hin durchzusehen.
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Wenn man mit diesem Willen herantritt, scheint man mir bewegt. Ganz abgesehen davon, daß der Lichtfleck nach den
nun sehr gut unterscheiden zu können zwischen der anhaften- Seiten hin allmählich verblaßt, während der farbenfleck für
den Farbe und dem Beleuchtungseffekt, auch ohne auf die gewöhnlich feste Grenzen aufweist. Der Lichtfleck verdrängt
Beweglichkeit der letzteren, die Unbeweglichkeit der ersteren meist die eigentliche Farbe des Gegenstandes vollkommen.
Bezug zu nehmen. Dem Schatten sieht man es an, daß er Nur wenn man genau zusieht, sieht man einige Inseln der
nur Schatten ist, daß nicht da, wo er liegt, der Gegenstand wirklichen Farbe herausragen, einige dunkle Stellen, die dem
dunkler gefärbt ist, eine dunklere anhaftende Farbe besitzt. Lichtfleck Konkurrenz machen. Und dann kann man wohl
Man sieht ihm seine Beweglichkeit und damit das fehlen eines den Eindruck gewinnen, als ob man unter oder über dem
Zusammenhanges zwischen ihm und dem Dinge an, auch wenn Lichtfleck noch die wirkliche Farbe sähe. Meist verdeckt aber
er ruht. Es ist irgend ein schwer in gebräuchlichen Worten der Lichtfleck - hierin anders wie der Schatten - die wirk-
auszudrückender Unterschied vorhanden zwischen dunklerer liche Farbe, aber wir sehen, daß er etwas verdeckt. Dies ist
Färbung und Schatten. Es ist einem so, als ob zwei farbe- ein eigentümliches Phänomen. Bei wirklicher weißer Farbe
schichten da lägen - Schatten und hellere anhaftende fa~be; haben wir nicht den Eindruck, als ob sie etwas verdecke, sie
der Schatten verbindet sich nicht mit dem Gegenstande, auf zeigt uns vielmehr den Gegenstand, etwa das Papier; aber dem
dem er liegt. Ja er liegt auch nicht notwendig auf dem Lichtfleck sieht man an, daß er etwas auslöscht, etwas verdeckt.
Gegenstand, wir können ihn oft in den Gegenstand hinein- Und dann zeigt sich bei dem Lichtfleck dieselbe Widerstands-
zwingen, unter den Gegenstand zwingen, wenigstens bei glatten losigkeit, wie bei dem Schatten. Er liegt nicht notwendig an
flächen. Dann wird plötzlich aus dem Schatten eine Art Spiegel- oder auf dem Gegenstande; wir können ihn in den Gegen-
bild des Gegenstandes, der den Schatten wirft; zugleich hellt stand hineinsehen ; zuweilen fordert er uns direkt dazu auf.
die beschattete fläche sich ein wenig auf. Bei dunklerer Fär- Wir werden dann irre, wo er eigentlich ist, bald scheint er
bung des Gegenstandes gelingt dies nicht. Hierin zeigt sich auf dem Gegenstande, bald im Gegenstande zu sitzen. Bei
die Modifizierbarkeit des Schattens, der geringe Widerstand, weißer Farbe ist dies alles nicht möglich.
den er einer Formung entgegensetzt. Man kann ihn anderer- Hierin tritt · der Unterschied zwischen anhaftender Farbe
seits auch als dunklere Färbung des Gegenstandes auffassen. und den Beleuchtungsfarben zu Tage. Die anhaftende Farbe
. Dann sieht der Tisch, auf den das Tintenfaß den Schatten wirft, ist eindeutig, die Beleuchtungseffekte sind mehrdeutig. Dieser
aus, als wäre er an dieser Stelle verbrannt oder schärfer ge- Unterschied scheint kein qualitativer zu sein. Zu jedem Be-
beizt. Aber umgekehrt läßt die schärfere Beizung sich nicht leuchtungseffekt läßt sich vielleicht eine anhaftende Farbe finden,
oder nur selten als Schatten oder als Spiegelbild auffassen. Es die mit ihm größte qualitative Ähnlichkeit besitzt. Die Technik
scheint ganz in meinem Belieben zu stehen, zu was ich den des Malers besteht ja zum Teil darin, diese Ähnlichkeiten auf-
Schatten machen will, aber die anhaftende Farbe setzt meinem zuspüren. Er muß die Lichter durch weiße wirkliche Farbe,
Belieben größeren Widerstand entgegen. Sie läßt sich nicht den Schatten durch dunklere Farbe darstellen. Der Unterschied
modeln. zwischen den Beleuchtungseffekten und wirklicher Farbe ist
Ebenso ist der Unterschied zwischen dem weißen Licht- ein f o r munter s c h i e d. Die Beleuchtungseffekte entbehren
fleck und einem wirklichen weißen fleck, etwa von einer einer festen form, die wirkliche Farbe ist eindeutig geformt.
färbernasse wohl zu erkennen, auch wenn der fleck sich nicht Sie läßt sich nicht in andere formen gießen.

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Wir möchten nun diesen formenunterschi~d nicht als riellen Zusammensetzung. Die Beleuchtungseffekte aber küm-
eine Schlußfolgerung einführen, etwa derart: wenn zwei gleiche mern sich nicht um diese Struktur des Dinges, sie machen
Qualitäten noch einen Unterschied aufweisen, der kein Unter- das Verschiedenste einfarbig; sie begraben nicht nur die eigent-
schied' der Qualität mehr sein kann, so muß die form der liche Farbe unter sich, ohne ihre Verschiedenheit wiederzu-
beiden Qualitäten verschieden sein. Das wäre keine Phäno- geben; sondern damit machen sie uns auch eine fördersame
menologie. Sondern Wir hoffen, aufgewiesen zu haben, daß Wahrnehmung des Dinges an ~dieser Stelle unmöglich, solange
anhaftende Farbe von anderem Gepräge ist, wie Beleucht,ungs- es uns nicht gelingt, die eigentliche Farbe unter ihr hervorzu-
farbe, daß die Art, auf die beide Farbe sind, verschieden ist; holen. Je ausgeprägter sie auftreten, desto mehr schwindet
daß anhaftende Farbe anders gefügt ist, wie Beleuchtungsfarbe, die Möglichkeit, das Ding in seiner Struktur im einzelnen
daß sie eindeutig, nicht unformbar ist, während die Beleuch- wahrzunehmen. Sie verwischen alle Unterschiede, machen alles
tungseffekte mehrdeutig, formbar sind - dergestalt, daß sie gleich.
unter besonderen günstigen Umständen sich sogar in die form Von dem Standpunkt, auf dem wir hier stehen, können
der wirklichen Farbe pressen lassen, allerdings nicht ohne sich wir nicht anders über die Beleuchtungseffekte urteilen. Wir
bald zu verraten 1). haben aber schon gesehen, wie wichtig sie sind, damit über-
Wenn dies so ist, dann lassen sich hieran zwei wichtige haupt Dinge in ihrer räumlichen Gestalt - und hier ist unter
Bemerkungen knüpfen. Die anhaftende Farbe scheint das Me- räumlicher Gestalt jede Erhöhung, Vertiefung, jede Krümmung,
dium zu sein, um aus den bloßen Lichtgebilden zu Gegen- Schweifung, jede Beule, Blase mit verstanden, - vor uns zu
ständen zu kommen. Sie gehört näher zum Gegenstand, zum stehen kommen. Das verträgt sich aber wohl damit, daß sie,
Ding, als der Beleuchtungseffekt; dieser scheint das Äußerliche, wenn sie diese Arbeit verrichtet haben, in der beobachtenden
das dem Dinge zufällige zu sein, während die anhaftende Farbe Wahrnehmung unliebsame Gäste sind. Wenn sie diese Arbeit
von dem Dinge herkommt, zu ihm gehört. Der Beleuchtungs- verrichtet haben - sagt natürlich zu wenig, denn sie haben
effekt verbirgt das Ding mehr, als daß er es sehen läßt. Er fortwährend die Aufgabe, die Gestalt des Dinges zu erhalten,
stört mehr, als er fördert. Die anhaftende Farbe aber zeigt weiter darzustellen. Aber diese Aufgabe vollziehen sie, ohne
das Ding in seiner Eigenart. Sie zeigt die Maserung des daß wir es sehen, ja so, daß wir es nur eben merken können,
Holzes, die Glätte des Metalls, die Weichheit des Tuches. Sie und es ist ihnen dann nicht immer möglich, zu verhüten, daß
geht der Struktur des Dinges bis in das .Innerste nach. Wo sie an den unrechten Ort kommen, daß sie gesehen werden,
die Farbe gleichmäßig ist, dürfen wir uns darauf verlassen, indem sie aus ihrem Untergrund, in welchem sie beschäftigt
daß das Ding homogen ist, sehen wir diese Homogenität. Wo sind, hervortauchen. Dazu 'kommt noch, daß sie ungerufen
farbenunterschiede sind, sind auch Unterschiede in der mate- eigentlich nicht kommen. Der naive Mensch hat sie nicht vor
sich, er hält sie strenger an den Ort, wo sie hingehören; er
bemerkt sie kaum, solange sie nicht im Übermaß auftret.en.
1) Zu diesem formunterschied der Farbe und ihrer Bedeutung
für die Darstellung des Dinges vergleiche Ooethes Farbenlehre, Didak- für ihn sind es wirklich stumme Diener, die kein Geräusch
tischer Teil, insbesondere den Unterschied von physiologischer, phy· verursachen. Ntir der Mensch, der wie man sich ausdrückt,
sischer und chemischer Farbe (Hesses Verlag, Bd. 41, S. 14) im .Ein- sehen lernt, der es sich zur Aufgabe macht, auf sie zu achten,
zelnen vgl. Nr. 6, 137, 486. oder zu dessen Kunst es gehört, daß er auf sie achtet, der hat
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sie überall um sich und bemüht sich oft vergebens, sie wieder nehmung unter den Licht- und Farbenerscheinungen eine Aus-
dahin zu bringen, wo ihre Stätte ist. Ihm erfüllt sich die wahl trifft; die einen für unwesentlich erklärt, und si~h auf
feste Welt der Dinge mit diesen Lichtgebilden, die wie ,Ge- die andern stützt. Daß sie oft gerade die auffälligsten und
spenster in der wirklichen Welt erscheinen, ohne daß sie eine glänzendsten Lichterscheinungen als unbrauchbar für die Zwecke
bleibende Stätte darin gewinnen . der Wahrnehmung erklärt und den durch diese Lichterscheinungen
. Die eigentliche Farbe aber gehört näher zur Dingwelt. fast verdeckten, zerdrückten Farbenerscheinungen mehr Wert
Es ist nicht zufällig, daß sie den Dingen anhaftet, stets mit für ,die Zwecke der Wahrnehmung zumißt; daß sie immer
ihnen geht; sondern das ist nur der Ausfluß· ihrer Zugehörig- nach der eigentlichen anhaftenden Farbe der Dinge sucht und
keit zum Ding. Im strengen Sinne ist sie nichts Dingliches, nicht eher ruht, bis sie diese gefunden hat.
nichts vom Dinge; aber sie ist doch eng mit dem Dinge ver- Was macht die Würde der anhaftenden Farbe aus? Ist
bunden. Ihre form befähigt sie, in die Gemeinschaft mit dem es ihre Zugehörigkeit zum Ding? Aber wie kommen wir
Dinge zu treten, daß sie als dessen Eigenschaft erscheint, als überhaupt zum Ding. Kann man nicht auch sagen, die Licht-
zum Ding gehörig. Sie ist da nicht bloß das Mittel, etwas gebilde, die Lichter, Schatten, das Bläuliche der Entfernung, ·
sichtbar zu machen, anzudeuten, daß da etwas ist - _das tun Sonne, Mond, wie sie uns aussehen, sind Dinge, so gut wie
die Beleuchtungseffekte ja auch - sondern sie erscheint als Tische, Stühle. Kann man nicht sagen, nur die Erfahrung
etwas vom Dinge. Sie kann ihre Aufgabe nur erfüllen, indem lehrt uns, daß Tische Stühle außer der Eigenschaft der Farbig-
ihr dieser Platz am Ding eingeräumt wird. Dadurch, daß das keit auch noch Starrheit, Härte besitzen, während die Erfahrung
Ding sie aufnimmt, sie an sich nimmt, wird es wahrnehmbar, uns bezüglich der Lichtgebilde zu keinen andern Eigenschaften
erhält es Gelegenheit, sein Inneres an der Oberfläche zu zeigen. als zu Farbe und Licht kommen läßt -- vielleicht nur deshalb,
für die andere Bemerkung, die wir an den Unterschied weil uns für die andern Eigenschaften, die sie möglicherweise
von anhaftender Farbe und den andern Lichtgebilden knüpfen haben, das Organ abgeht.
wollten, sind wir nach der ganzen Anlage unserer Untersuchung Oder - wenn wir uns auf die Dinge selbst beschränken.
schlecht vorbereitet. Wir haben da viel als selbstverständlich Wie kommt es, daß wir gewisse Erscheinungsarten des Dinges
hingesetzt, was historisch nicht als selbstverständlich gegolten hat. für zuverlässiger und richtiger halten als andere. Weichen
Wir meinen hier den Gegensatz von Ding und dem Vorzug hat die Wahrnehmung, die in der Nähe uns das Haus
bloßen Phänomen , den Lichtgebilden, Glanz, Reflex, den mit s~harfen Ecken gibt, von der Wahrnehmnng aus der Ent-
Phänomenen der Entferntheit, den bläulichen Streifen, Massen, fernung, die das Haus mit abgestumpften Ecken gibt. Hat
die die Entfernung anstatt von Dingen gibt. das Haus nun scharfe oder abgestumpfte Ecken? Wenn das
Beschränken wir uns erst auf die farbenwelt, so scheint Ding von uns abrückt, ändert sich die Wahrnehmung des
es doch auf den ersten Blick seltsam, daß nicht alles, was Dinges fortwährend, aus dem deutlich gegebenen Ding wird
Farbe ist, Dinge darstellt, daß wir ohne weiteres sagen können, in unendlichen Zwischenstufen ein kleiner schwarzer Punkt.
die Farbenerscheinungen der Entferntheit, der Dämmerung WelChe Wahrnehmung ist nun die richtige( Kann man sagen,
geben überhaupt keine Dinge, die Lichtgebilde der Nähe je mehr Bestimmtheiten eine Wahrnehmung über dasselbe gibt,
schwirren nur zwischen den Dingen einher, sie haben nicht desto besser ist sie, oder je größer sie den Gegenstand sehen
die Würde von Dingen. Es ist doch seltsam, daß die Wahr- läßt, desto zuverlässiger ist sie: Das letztere gewiß nicht, denn
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ein schlecht eingestelltes Vergrößerungsglas vergrößert das Die Phänomene sehen nicht fest, hart aus, aber warum
Ding viele Male und gibt es doch nur ganz undeutlich. Aber soll das feste, Harte gerade das Wirkliche sein. Die Phäno-
auch das erste nicht, denn das, was sich an der Erscheinung mene zeigen keine feste Umgrenzung, aber warum soll das
des Dinges unterscheiden läßt, ist beide Male eine Unendlich- Wirkliche fest umgrenzt sein. Die Phänomene kommen und
keit, bei der zu zählen anzufangen sich nicht lohnt. gehen, ohne eine Spur zu hinterlassen, aber warum soll das
Wenn wir uns dahin einigen, daß wir in dem, was wir Wirkliche Spuren hinterlassen. Die Phänomene können wir
sehen das eine Dinge nennen - dem gewöhnlichen Sprach- nicht anfassen, nicht wiegen, ~ber warum soll das Wirkliche
o-ebrauch folo-end - alles andere aber, was wir auch sehend anfaßbar, wägbar sein.
"'zu einer rxewissen
"' Einheit zusammenfassen - die Lichtgebilde, Kurz, wir können diese Art Unterscheidungen des Innern
"'
wie Lichter, Schatten, Glanz, das Bläuliche der Entfernung, von Phänomen und Ding und die Unterschiede, in denen sie
Sonne, Mond, so wie wir sie sehen, nicht wie sie sind - wahrgenommen werden, soweit fortsetzen wie wir wollen, wir
mit Phänomen bezeichnen, so kann man lange darüber streiten, finden keinen Rechtsgrund dafür, daß die Dinge das Wirkliche
ob die Dino-e oder die Phänomene wirklicher sind, ob die sind. Wir finden nicht den Rechtsgrund dafür, daß gerade
"'
Welt eine Dingwelt, oder eine Phänomenwelt ist, oder ob sie Tageslicht und Entfernung von einem Fuß uns die Welt so
beides ist, ob das Ding die Hauptsache und der eigentliche darstellt, wie sie ist. Warum sollte nicht Dämmerung und
Gegenstand der Wahrnehmung ist, oder ob dem Phänomen Entfernung von tausend Fuß uns die Welt richtiger darstellen.
diese Rolle zukommt. Ob es Willkür und Zufall ist, wenn Wir finden nur immer eine andere und wieder andere Dar-
wir den Dingen die Hauptrolle zuschreiben oder ob eine Not- stellung von anscheinend demselben, ohne daß wir den un-
wendio-keit dahintersteckt Ob es eine bloße Tatsache ist, daß endlichen Vorzug, den wir der einen Darstellung von der
"' Welt als Dingwelt, und nicht als Phänomenwelt hin-
wir die andern geben, begründen können. . ..
stellen, oder ob es einen Rechtsgrund hierfür gibt. Ob wir Wir haben gesehen, wie die Dingfarbe eine eigene form
mit Recht oder Unrecht den Phänomenen die Aschenbrödel- hat, die sie von allen andern Farbenvariationen unterscheidet.
rolle in der Welt zuschieben. Ob der Anspruch, mit dem die Die Dingfarbe hat diese form von selbst, die andern Farben
Dingwelt als einzig wirkliche Welt vor uns hintritt, nur auf lassen sich durch keine Bemühung in diese form hineinpressen.
unvordenkliche Verjährung sich stützt, oder ob ein Titel für Nur unter besonderen Umständen täuschen uns die andern
diesen Anspruch vorhanden ist. Ob es Gewohnheit ist, daß Farben , indem sie in Dingfarbeform eingehen. Aber sie
wir die Welt als Dingwelt sehen, oder ob es richtig ist, daß bleiben nicht lange darin; in anderer Stellung, bei Änderung
wir sie so sehen. der Beleuchtung werden wir bald . gewahr, daß sich diese
Die Welt als Dingwelt aufgefaßt, läßt eine gewisse Gesetz- Farbenvariationen in die Löwenhaut genäht haben, ohne daß
mäßigkeit und Ordnung erkennen in ihrer Ruhe - Ver- sie ihnen zukommt. In diese form nun springt - wenn wir
änderung. Die Dinge wirken in einer Gesetzmäßigkeit auf- uns des Beispiels vom Mikroskop erinnern - Farbe plötzlich
einander; die Phänomene sind schwer faßbar, verändern sich ein, wenn das Rohr die richtige Stellung erhält, wo wir deut-
uns unter der Hand und wirken nicht aufeinander, aber warum lich sehen; aus dieser form, springt Farbe heraus, wenn wir
soll das Wirkliche nicht schwer faßbar sein? Warum soll das das Rad, das die Einstelhmg regelt, weiter drehen. Farbe ist
Wirkliche aufeinander wirken müssen. immer da, auch etwa dieselbe Qualität, aber die form ist nur
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an einer Stelle da. Sie ist also das feste, Starre. Die Farbe dle. anhaftende Farbe trennen von aller apdern farbigen Qua-
ist geformt oder ungeformt. Aber das »Ungeformt« bedeutet lität, die scheinbar als Schatten über ihr, als Licht an ihr sitzt.
hier wirklich Negation. Ungeformte Farbe entbehrt die form, Wer diese Trennung wahrnimmt, der hat die form der an-
ohne daß etwas anderes an die Stelle· tritt. Wo Farbe aber haftenden Farbe »gesehen« 1).
geformt ist, da ist sie es eben auf die eine Weise als an- Diese form nun muß den Rechtsgrund dafür abgeben,
haftende Farbe. daß wir die eine Wahrnehmung eine gute nennen alle andern
Zwar versuchen wir auch auf mannigfache Art, die un- aber schlechte. Und hier beginnt das Schwierigste. Wenn
geformte Farbe in eine form zu bringen, wenn wir sie zum wir damit uns zufrieden geben könnten, daß Farbe dadurch,
Gegenstand der Untersuchung machen. Aber diese formen daß sie geformt wird, eine unmittelbare Klarheit und faßlich-
sind lose, sie werden nur wie ein weiter Mantel um die Farbe keit erhält, daß sie damit überhaupt erst ein' Gegenstand für
gelegt; oft versuchen wir sie in die form der anhaftenden die Wahrnehmung wird; indem Farbe ohne diese form der
Farbe zu zwingen, aber eine eindeutige Formung läßt sie nicht Wahrnehmung keinen rechten Widerstand zu leisten vermag,
zu. Doch darüber sprechen wir weiter unten noch. sondern vor ihr hierhin und dot thin flüchtet, während an-
Dadurch, daß die anhaftende Farbe fest in die ihr eigene haftende Farbe den Blick zu eti1agen vermag, - so wären
form eingeht, gewinnt sie eine eigenartige Stellung unter Farbe - wir am Ende. Dann hätten wir den Vorzug der einen Wahr-
überhaupt. Die form ist etwas Absolutes. An ihr läßt sich nehmung vor der andern aufgewiPc:;en. Aber wir hatten es
nichts deuteln, von ihr läßt sich nichts wegnehmen. Sie ist auf Wirklichkeit abgpc:;ehen und dann wäre es doch möglich,
das schlechthin einfach'e, qualitätslose, durchsichtige. Die Qua- daß Wirklichkeit gerade verfälscht wird, indem sie in feste
lität läßt sich nie von den Schlacken per Unbestimmtheit rei- formen eingeht, daß die eigentliche Natur des Wirklichen jeder
nigen. Ihre Mannigfaltigkeit schließt in sich eine gewisse Un- form widerstrebt, daß das durch form gezähmte nicht mehr
faßbarkeit. Sie verleugnet nie ganz ihren Ursprung aus der echte Wirklichkeit wäre. Es wäre möglich, daß Wirklichkeit
Sinnlichkeit, dem Chaos. Die form aber nimmt an dieser einfach nicht wahrgenommen werden könnte, daß die Wirk-
Mannigfaltigkeit nicht teil. Sie ist rein von allem Empirischen, lichkeit höher denn alle Wahrnehmung wäre.
Unbestimmten. Sie stammt aus einer andern Sphäre. Sie ver- Auf diese frage hoffen wir im letzten Abschnitt dieser
ändert sich nicht; in der Sphäre der formen gibt es nicht
wie i11- der Sphäre der Qualitäten Kontinuitäten, Reihen. Jede
1) In dieser Form der anhaftenden Farbe gründen gewisse
form ist unüberbrückbar von jeder anderen getrennt. - Diese
Gesetzmäßigkeiten. Schatten kann über der anhaftenden Farbe liegen,
vagen Bestimmungen der form müssen uns vorerst genügen. aber die anhaftende Farbe nicht in derselben Art über dem Schatten.
Indem nun Farbe der form teilhaftig wird, in eine form Der Schatten ist immer das »Oberste«. Der Schatten ist für sich
gefaßt wird, nimmt sie Anteil an der Bestimmtheit der form. beweglich, die anhaftende Farbe ist unbeweglich ohne Ding. Die
Denn die form sitzt nicht irgendwo in der Farbe, sie durch- anhaftende Farbe gehört auf eigene Art zum Ding. Diese Gesetz-
mäßigkeiten entstammen keiner Erfahrung im gewöhnlichen Sinne ;
dringt sie. Damit daß Farbe in eine form eingeht, sagt sie
sie drücken die notwendigen und apriorischen Beziehungen aus, die
sich los von anderer Farbe, die dies nicht vermag, und gewinnt in der Form der anhaftenden Farbe - und soweit Schatten in eine
unter Farbe eine Sonderexistenz. Daher kommt es, daß wir Form eingeht - der Form des Schattens gründen.
nicht einen Knäuel, einen Klumpen von Farbe sehen, sondern 7
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Arbeit, wenn auch keine Antwort, so doch den Anfang zu heiten, die dem' Ton eigen sind. Mein Blick wanderte nun
einer Antwort zu finden. Es scheint uns nämlich, um das an der linken Kante entlang nach unten. Als ich die Kante
hier vorweg zu nehmen, daß der Satz Hegels, der sich ähnlich überschaute, kam sie mir sonderbar vor; sie hatte nicht den
'1\'0hl auch bei Plato finden läßt, daß das Wirkliche vernünftig brüchigen Rand, den man bei Ton findet, sie schien glatt ge-
sei, unter Ideen stehe und nur in sofern »etwas« sei, als es schnitten. Aber ich sah ja deutlich, daß es Ton war.
an · den Ideen teilhabe und durch Ideen aufgefaßt werden Mein Blick wanderte weitet; unten war der Ton gekrümmt,
könne, sich phänomenologisch bezeugen lasse. Die- Ordnung er hatte sich vollständig verbogen.
der Farbe - und in dieser Ordnung nimmt di~ anhaftende Aber so kann sich Ton ja nicht biegen!
Farbe einen hervorragenden Platz ein - stellt Dinge dar, und ja, ich hatte mich vollständig versehen, es war ein Stück
die Dinge wieder, die durch diese Ordnung dargestellt werden, Speckschwarte, was dalag, für die Hühner hingeworfen. jetzt
sind nur dadurch Dinge, daß sie an den Ideen teilnehmen. sah ich ebenso deutlich, wie vorher die Tonscherbe, die Speck-
Die Ideen erscheinen uns nur in und mit den Dingen. Indem schwarte. Die Glasur verwandelte sich in fettglanz, die Härte
also Farbe Dinge darstellt, bringt sie uns Ideen zur Erscheinung. in Elastizität; an die Stelle der festen Tonmasse trat die von
An diesen Ideen findet die Ordnung der Farbe ihren letzten · Poren durchzogene Masse einer Schwarte. Die Kanten waren
festen Halt. Damit, daß sie etwas vernünftiges darstellt, etwas geschnitten, nicht gebrochen. Die ringförmige Vertiefung an
das an den Ideen teil hat, tut sie sich vor allen andern, was der oberen Kante wurde zum Abdruck des Bindfadens, mit
Farbe ist, hervor und gewinnt eine eigene Würde. dem man einen Schinken vielfach umwindet, um ihn besser
Bevor wir an diese frage herangehen, wollen wir die aufhängen zu können.
Abhängigkeit der Dingdarstellung von der Farbenordnung noch Während die Tonscherbe ein natürliches Oben und Unten
näher prüfen. gehabt hatte, verschwand dieser Unterschied, denn ein Oben
und Unten hatte hier keinen Sinn; nur das »Außen« blieb,
indem ich sowohl beim Ton wie bei der Schwarte die äußere
Kap. IV. Fortsetzung. Die Abhängigkeit des Dargestellten Seite sah.
von der Ordnung des Darstellenden, aufgezeigt an der Die ganze Umwandlung geschah von unten her mit einem
Illusion. Ruck,_ wie wenn eine Umschaltung erfolgt wäre. Nun ist
sicher, im zeitlichen Verlauf stehen uns hier an derselben
Ich sah neulich auf einem Hofe ein viereckiges, leicht ge- Stelle zwei verschiedene Gegenstände gegenüber, die sich uns
wölbtes, bräunliches Ding mit scharfen Kanten liegen. Ich einfach aufzwingen. Wir können sie nicht wegschaffen. Sie
sah es für eine Tonscherbe, etwa von einem Blumentopfe an. stehen da, ob wir wollen oder nicht. Wodurch die Um-
Oben, dicht an der Kante, lief eine kleine Vertiefung herum, wandlung erfolgt, . lassen wir offen. Eine kleine Änderung in
wie man sie bei den gewöhnlichen Blumentöpfen findet. Ich der Anschauung, ein Bemerken irgend einer Sonderbarkeif ge-
sah es ganz deutlich, da ich mich darüber beugte, um es mir nügt scheinbar, um das Ganze plötzlich als einen andern Gegen-
näher anzusehen. Ich sah nicht nur die Farbe, sondern auf stand zu sehen.
eigene Art auch die Härte des gebrannten Tones, die Glasur, Wie ist es nun aber mit dem »folgen« der Gegenstände?
die über den Ton sich legte und noch viele andere Bestimmt- folgen sie sich wirklich so, wie zwei Gegenstände, die nichts
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mit einander zu tun haben, etwa dieselbe Raumstelle einnehmen gliedern, soweit wir wollen; wir können alle Eigenschaften der
im zeitlichen Verlauf? Dinge aufzählen, Härte, Schwere, Elastizität, Sprödigkeit; wir
Nein, denn wir beobachten direkt eine Um~andlung. können die Weise, in der sich die beiden Dinge darstellen,
Nun haben die beiden Gegenstände nichts mit einander ge- die Farben, Reflexe, Flämmchen, den Glanz, die Gestalt dazu
meinsam. Wir behalten bei der Speckschwarte kein Stückehen nehmen, wir können den Raum, den die Dinge einnehmen,
von. der Tonscherbe; beide sind total verschieden ihrem Wesen mit einbeziehen, und doch finden wir in all diesem nicht das,
nach. Selbst die Farbe wird eine andere. Es findet auch kein was wir suchen - das Identische in der Umwandlung, -
kontinuierlicher Übergang von dem einen zu dem andern statt. das, was sich jetzt als Tonscherbe, jetzt als Speckschwarte vor
Das wäre widersinnig. Was für einen Sinn hat denn hier uns hinstellt oder vielmehr, das, was jetzt eine Tonscherbe,
Umwandlung. Wir täuschen uns doch nicht in ihr. Aber jetzt eine Speckschwarte vor uns hinstellt, das Identische in
wenn die Gegenstände total verschieden sind, was soll Um- bei den.
wandlung denn heißen. Und wir können von vornherein sagen, daß wir es auf
Es muß dann doch wohl etwas anderes außer den Gegen- diesem Wege nicht finden können: denn alles, was uns bei
ständen noch da sein, das bei allen Umwandlungen sich erhält dieser Betrachtungsweise gegenständlich ist, bezieht sich eng
und die Grundlage der Umwandlung ist. auf das Ding Tonscherbe - auf das Ding Speckschwarte.
Was soll dies sein? Können wir '~ zu Gesicht bringen Und diese beiden Dinge sind zwei verschiedene Dinge, die in
oder müssen wir uns mit diesem: es muß da sein; begnügen? nichts Identisches aufweisen. Zwar haben sie Ähnlichkeit,
Was meinen wir denn damit, wenn wir sagen, das, was eben teilweise Gleichheit mit einander. Aber das hilft uns nicht
als Tonscherbe erschienen sei, stelle sich jetzt als Speckschwarte weiter. Denn Ähnlichkeit ist etwas ganz anderes, wie Identität.
heraus. Dies »das, was« soll doch eine Identität ausdrücken. Und diese Identität, daran müssen wir festhalten, haben wir
Sollte es dasselbe sein, was wir als Grundlage der Umwandlung gesehen. Wir haben gesehen, wie das, was zuerst als Ton-
suchten? scherbe gegenständlich war, jetzt als Speckschwarte erscheint.
Nach dieser Betrachtung richten sich einige Verlegenheits- . Es handelt sich nur noch um eine eingehende Erörterung, um
antworten selbst. Man könnte nämlich sagen, der Raum, in eine treffende Fixierung dieses »das, was«.
dem das Ding stände, bliebe ja derselbe. Es ist klar, daß wir Und hier erinnern wir uns des Unterschiedes zwischen
mit der Grundlage jener Umwandlung, mit dem, was sich jetzt Darstellendem und Dargestelltem. Das Dargestellte ist hier total
so, jetzt so darstellt, nicht den Raum meinen. Man könnte verschieden; in sich selbst weist es nichts auf, wodurch wir
ferner die Gestalt als das sich gleich bleibende einführen von dem einen zu dem andern kommen könnten. Aber das
wollen. Aber erstens verändert sich die Gestalt mit dem Darstellende müssen wir näher darauf ansehen, wie es die
Gegenstande. Die Zacken gewinnen je nach dem Gegens+1nde, Umwandlung ermöglicht.
den man sieht, eine andere Bedeutung. Die Gestalt des zer- Und da scheint es mir nun, wenn wir die Ordnung, die
brochenen Tons wird anders gesehen, wie die Gestalt der ge- wir in dem Darstellenden finden und die formen wegnehmen
schni(ienen Schwarte. Und dann meinen wir auch sicher nicht, könnten, oder wenn wir von diesen absehen, daß dami etwas
daß die Gestalt jene Grundlage sei. übrig bleibt, was - form- und ordnungslos - identisch ist
Wir können die Dinge, Tonscherbe - Speckschwarte zer- in den beiden Gestaltungen, die es annehmen kann. Es scheint
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mir, als ob die Verschiedenheit der form und der Ordnung, in suchen. Selbst die pechschwarze Nacht ist nicht formlos, aber .
die dieselbe »Materie« -Farbe---,- eingeht, die Verschiedenheit die form ist hier lose verbunden mit dem, was die form hat.
des Gegenstandes zur folge habe. Wenn wir die »Materie« Wir merken hier, wie es uns nicht gelingt, - lassen wir den
hier als das Identische bezeichnen, so ist damit Identität in Ausdruck vorläufig zu - zu formen. Es stellt keine fläche
einem besonderen Sinne gemeint. Es ist natürlich nicht Ding- dar, was wir hier sehen und auch nicht richtig Raumhaftes.
identität oder sonstwie Gegenstandsidentität, als welche Identität Bald suchen wir es in diese form, bald in jene Form zu
des durch geformte geordnete Materie Dargestellten ist. Positiv zwingen. Es ist in sich gestaltlos und doch nicht ohne Unter-
aber das Wesen dieser Identität, die wir vor uns gehabt haben, schiede. Dann gelingt es uns einen Augenblick, hier ein flim-
darzulegen, ist nicht leicht. Vielleicht wird ihr Wesen im merndes, graues Wölkchen festzuhalten, im nächsten Augenblick
Fortgange der Untersuchung deutlicher werden: ist es aufgelöst. Es ist nicht wolkig, nicht fest, nicht flüssig,
Die frage ist nun, wie wir das, was uns richtig zu sein was wir sehen, aber bald nähert es sich dieser, bald jener
scheint, :t~äher ausmachen können. Es wäre erwünscht, wenn Form.
uns das; was Dinge darstellt, den Gefallen täte; daß es uns Aber warum lassen wir das, was wir hier sehen, nicht so,
bald als bloße formlose Materie erschiene, bald in form und wie es ist? Warum muß es durchaus etwas festes, flüssiges
Ordnung Dinge darstellte. Wenn das von der Art, wie wir oder Wolkiges, Raumhaftes oder flächenhaftes darstellen, warum
die Dinge betrachten, abhinge, könnten wir uns einmal auf die kann es nicht etwas besonderes sein. Als ob das an uns läge
Materie einstellen und dann mit der Umwandlung der Ein- oder an dem Versuche, die Phänomene zu beschreiben!
stellung zugleich erfahren, wie sich diese Materie mit form Das Ding in deutlicher Stellung steht vor uns, ohne daß
durchzieht, e~wa analog wie ein Luftballon, aufgeblasen, seine wir daran drehen oder deuteln können, durchaus eindeutig.
form annimmt, wie das erstarrende formen annimmt und was Es· zwingt sich uns so auf, wir können es nicht anders sehen.
man sonst für Gleichnisse heranziehen mag. So einfach ist Die schwarze Nacht aber verändert sich unter unsern Blicken.
leider die Sache nicht. Das Darstellende läßt sich in dieser Sie gibt sich bald so, bald so, ohne sich auf eine Daseinsweise
Weise nicht auflösen. festzulegen. Es ist nicht so, daß wir das, was wir sehen,
Und doch haben wir eine gewisse Vorstellung vom form- schwer beschreiben können; das könnte seinen Grund darin
. losen, vom Chaos. haben, daß die uns geläufigen Begriffe nicht recht zu diesem
Zwar scheint es mir kein Gebiet von Gegenständlichem Gegenstande passen, sondern es ist so, daß wir ihn nicht
zu geben, wo das reine Chaos erschiene; aber doch sind nicht ordentlich wahrnehmen können. .Wir können ein Ding, irgend
alle Gegenständlichkeiten so mit form durchtränkt wie das, eine besondere Eigenschaft des Dinges vollkommen erlaßt
was Dinge darstellt. Sehen wir von den Körpergefühlen, wie haben, ohne daß uns das zugehörige Wort einfallen will. Das
Hunger, Müdigkeit, Erma,tung ab, weil. sie etwas ferner liegen, kommt hier garnicht in Betracht; denn es fehlt an der Vor-
- obwohl sie in gewissem Sinne wohl formlos genannt bedingung, wir können die Nacht nicht fassen, nicht wahr-
werden können, - so müssen wir uns den Erscheinungen der nehmen wie das Ding. Das, was wir wahrnehmen, straft das,
Außenwelt zuwenden, wo die deutlichen Unterscheidungen ver- was wir soeben wahrgenommen haben, fortwährend Lügen.
schwinden. Das Dunkel der Nacht, die Trübheit des Entfernten Dies kommt auch nicht daher, daß der Gegenstand sich stetig
kann uns hier einen gewissen Anhalt geben für das, was wir verändert, denn wir können hier kaum unterscheiden, ob eine
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Änderung des Gegenstandes vorliegt, oder ob eine Änderung zu ihnen. Die farbigen Phänomene selbst haben nur eine ge-
der Form, oder wie man eher verstehen wird, - der Auffassung wisse Rezeptivität für die Formen, vermöge derer eine Form,
vorliegt. eine Stelle in der Ordnung besser auf sie paßt, als eine andere.
Hier haben wir also etwas dem, was wir bei der Um- Damit ist aber nicht ausgeschlossen, daß sie sich gelegentlich
wandlung der Dinge als das ·Identische, Formlose suchten, in eine andere Form, in eine andere Stelle der Ordnung ver-
Ähnliches, aber in viel deutlicherer Weise. Wir sehen hier, irren. Und dies erklärt die Illusion.
daß die Identität, von der man hier allein sprechen kann, nicht So mögen wir bei der Illusion, die uns eine Tonscherbe
die Identität des Dinges ist, das sich in der Veränderung als für eine Speckschwarte vorstellt, Farbe, die Schatten oder Reflex
identisches behauptet. Die Nacht, wenn wir so die Dunkelheit war, als anhaftende Farbe gesehen haben, und dadurch in eine
nennen, hat nicht in diesem Sinne Identität. Es ist nicht in verkehrte Bahn bezüglich der Auffassung des ganzen Gegen-
demselben Sinne dieselbe Nacht im zeitlichen Fortgang wie ein standes gelenkt sein.
Ding im zeitlichen Fortgang dasselbe ist. Ein Ding geht unter, Natürlich ist damit nicht das ganze Phänomen der Illusion
wird zerstört, die Nacht weicht. Sie kommt von nirgends und erklärt; aber es ist ein Anfang damit gemacht. Wir wollen
sie geht nirgendwo hin. Ihre Dauer ist etwas anderes als jetzt hierin fortfahren und aufweisen, wie die Ordnung und
Dingdauer. ·form der Farbe das, was sich darin als Gegenstand darstellt,
Es scheint uns nun, als ob das Identische in der Um- beeinflußt. Wir nehmen zu diesem Zweck zu unserm Beispiel
wandlung, soweit die Umwandlung das Darstellende, hier also von der Illusion noch zwei ähnliche Beispiele hinzu, von denen
»Farbe« trifft, wohl zu vergleichen ist mit dem Formlosen, als aus eine genauere Aufklärung der bis jetzt behandelten Illusion
das wir das Dunkel, die Farbe des Entfernten, die Dämmerung, möglich ist.
das Augenschwarz uns vorstellen. Freilich sind ja auch diese Jedem, dem die Wäscherin das weiße Taschentuch mit
Phänomene nicht ohne jede Form. Mindestens sind sie gegen- Rostflecken versehen zurückbringt, passiert es wohl gelegentlich,
ständlich und schon darin liegt eine Form. Aber sie sind nicht daß er das Taschentuch aus der Tasche zieht und plötzlich
mit Form gesättigt, wie das, was Dinge darstellt. Sie sind erschrickt, wenn er das Tuch ansieht. Es sind frische, noch
unbestimmt im Anfang, wo wir uns ihnen zuwenden, sie bleiben flüssige Blutstropfen darin. Man sieht genauer hin und man
·unbestimmt, wie lange wir uns auch ihnen zuwenden mögen. entdeckt, es ist nur ein Rostfleck Man hat aber wenigstens
Die Farbe, die Dinge darstellt, scheint mir nun im Anfang der einen Augenblick lang frische Blutstropfen gesehen, Bluts-
Wahrnehmung, wo noch kein Ding in klarer Bestimmtheit tropfen, ein wenig erhaben mit den weißen Lichterchen, die
durch sie dargestellt wird, - wir erinnern hier an die Über- für jede Flüssigkeit charakteristisch sind. Diese Lichterehen
legung, wie jede Wahrnehmung im Anfang etwas Unbestimmtes wird der naive Mensch kaum bemerkt, aber doch empfunden
hat - in ähnlicher Weise chaotisch zu sein, wie das Augen- haben, während der Künstler sie auch gewissermaßen gesehen
schwarz, die Dunkelheit. Aber sie vermag sich zu entwickeln. hat. Die Bluttropfen verwandeln sich nun, indem man länger
sich zu gliedern, in Formen und in eine Ordnung einzugehen. hinsieht, in gelblich rötliche Rostflecke, durch die weiße Fäden
Das können jene Phänomene nicht. Diese Formen und diese des Leinens hindurchschimmern, über die sich solche von der
Ordnung aber sind nicht untrennbar mit der Farbe, die Dinge Seite legen.
darstellt, verbunden, sondern sie kommen von irgendwo her Wir wählen dies Beispiel mit Absicht. Es ist allerdings
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insofern ungünstig, als die Täuschung meist sofort entdeckt Tropfens verwandelt. Zugleich können wir noch merken, daß
wird und, auch wenn man es will, nicht lange aufrecht erhalten die eine form sich besser der Materie anschmiegt als die an"
werden kann. Es gibt aber Fälle, wo die Täuschung sich dere, daß sie die naturgemäße Form ist, während die andere
länger aufrecht erhält, wo wir je nach der Einstellung bald mehr gekünstelt erscheint, auch wenn wir zu ihr übergehen
dies bald das "sehen können. Günstig erscheint uns aber das können.
Beispiel deshalb, weil - wegen der Verwunderung oder wegen Wenn wir Beleuchtungsfarbe in der Form der anhaftenden
des Schrecks über den Blutstropfen - diese Art Täuschung Farbe sehen und wenn das umgekehrte der Fall ist, so sehen
am meisten bemerkt wird und wohl den meisten Lesern eine wir nicht nur die Farben falsch, aber den Gegenstand richtig,
solche Täuschung in der Erinnerung sein wird. sondern damit ist der Grund gelegt zu den weitestgehenden
Bevor wir an die Deutung dieser Täuschung gehen, nehmen Täuschungen über den Gegenstand selbst. Eine verschiedene
wir noch ein zweites ähnliches Beispiel. Lagerung der Farben, eine unrichtige Formung der Farben
Auf dem weißen Papier sehen wir an einer Stelle einen gibt Anlaß zu weiteren falschen Wahrnehmungen bezüglich
gewölbten tiefschwarzen flüssigen Tintentropfen. Wir sehen des Gegenstandes. Eine falschP. Formung zieht weitere falsche
die eigentümlichen Lichter, die am Rande und auf der Mitte Formungen nach sich, daß schließlich der Gegenstand als ein
dieses Tropfens sitzen. Wir blicken länger hin und vor unsern anderer, wie er eigentlich ist, vor uns steht. Die Folge dieser_
Augen verwandelt sich der Tintenfleck in einen tiefschwarzen falschen Formung der Farbe ist also nicht nur, daß wir das
Schatten, durch den da, wo das Papier eine kleine Unebenheit Ding in einer ihm nicht zukommenden Farbe sehen, sondern
zeigt, die Weiße des Papiers hindurchschimmert. Wir sehen wir sehen ein total anderes Ding, wie wir eigentlich sehen
den Schatten auf dem hellen Papier. Wir können uns jetzt sollten. Daraus erfolgt weiter, daß gerade das Vorhandensein
auch wieder in die erste Einstellung zurückversetzen und statt von Schattenform und Farbeform die Voraussetzung für diese
des Schattens auf dem weißen Papier den gewölbten schwarzen Art Wahrnehmungstäuschung ist. Wir können nicht anhaftende
Tintentropfen sehen. Und indem wir dies tun, werden wir Farbe mit anhaftender Farbe, Schatten mit Schatten verwechseln.
uns der Abhängigkeit bewußt, die zwischen der Ordnung Rot kann uns nicht als Grün erscheinen, schwarzer Schatten
in der >>Farbe« in Bezieh u n g zu unserm Bewußtsein tritt, nicht als gelber Schatten.
einerseits und dem Gegenstand, der durch diese Farbenordnung Also zweierlei sehen wir hieran, erstens, daß es eine Ord-
dargestellt wird, andererseits besteht. Die Änderung der Farben- nung gibt, in der "Farbe« in Beziehung zum Bewußtsein tritt
ordnung hat Änderung des dargestellten Gegenstandes als un- und zum andern, daß von der Ordnung das, was durch Farbe
mittelbare Folge. Und zugleich werden wir dessen bewußt, dargestellt wird, abhängig ist.
daß in diesem Fall "Farbe« als ungeformtes, ungeordnetes Wir dürfen hier nicht unerwähnt lassen, daß diese Ab-
identisch sich erhält, daß nur die Ordnung, die Form von hängigkeiten von uns hiermit nicht vollständig klargestellt sind.
Farbe wechselt. Wir bemerken, wie das »weiß« das eine Mal Dazu müßte man im einzelnen zeigen, wie Farbe Raum und
als anhaftende Farbe des Papiers »geformt« wird, das »Schwarz« Gestalten im Raum, und wie die Gestalt wieder Eigenschaften
als Schatten und wie dasselbe weiß das andere Mal als ein des Dinges darstellt, teils durch das Mittel der Bewegung gegen
Lichtchen, das auf dem Tropfen liegt, empfunden wird und sich selbst, teils unmittelbar, wie wir im ersten Abschnitt solche
zugleich das schwarz :sich in eine Art anhaftende Farbe des Beziehungen roh umrissen haben. Eine solche vollständige

I
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Untersuchung haben wir uns hier nicht als Ziel gesetzt. Wir wo sich nicht gerade die Fenster spiegeln. Dort ist der Glanz
zweifeln aber nicht, daß sie durchführbar und am Ende auch so stark, daß die eigentliche Farbe des Schrankes vollständig
nicht so sehr schwierig sein wird. Eine weitere Beziehung unterdrückt wird und die Maserung des Holzes kaum erkenn-
zwischen Farbe und Raum liegt ziemlich offen zu Tage. Die bar ist. Wenn es sich nun einer Stelle in günstiger Beleuch-
Beziehung zwischen anhaftender Farbe und Fläche. Eine tung zuwendet, so wird es die anhaftende Farbe des Schrankes
Fläche als bestimmte Raumfläche kann nur die Variation an- sehen und die Beleuchtungseffeh.(e bloß empfinden. Jedenfalls
haftende Fläche, aber keine andere Variation von Farbe dar- wird dann die Wahrnehmung die beste sein. Dies gehört also
stellen. Das Augenschwarz, das nächtliche Dunkel, die trübe mit zur Wahrnehmung, daß die anhaftende Farbe dem Bewußt-
Farbe der Entfernung stellen keine Flächen dar und können sein gegenüber eine andere Stellung einnimmt, als die Be-
es auch nicht. Farbe muß in die Form der anhaftenden Farbe leuchtungsfarbe. Darin spricht sich eine Gesetzmäßigkeit, eine
eingehen, dann stellt sie notwendig Fläche dar. Dann scheint Ordnung aus.
weiter eine Verbindung zwischen anhaftender Farbe und dem Weiter müssen dann die Reflexe, Lichter, die· sich nicht
Phänomen der Durchsichtigkeit zu bestehen. Ohne durch- untertauchen lassen, die gegenständlich bleiben ähnlich wie die
sichtiges kann sich anhaftende Farbe nicht konstituieren und anhaftende Farbe, von der anhaftenden Farbe getrennt sein.
Raumfläche darstellen. Anhaftende Farbe ist notwendig von Diese Trennung beruht auf der Form der anhaftenden Farbe.
uns durch einen Zwischenraum getrennt. Das nächtliche Die so getrennten Lichter müssen ferner durchstrichen sein, in
Dunkel, das Augenschwarz aber umspült uns, liegt direkt auf uns. ihrer Beziehungslosigkeit zum Ding, als nicht hineingehörig in
Solange man aber diese Beziehungen nicht im einzeinen die Dingwelt dastehen. Dies Durchstrichensein ist etwas auf-
aufgeklärt hat, kann man von der Illusion, in der uns eine weisbares, z. B. wenn man sagt, das »blendet«, ist man für
Tonscherbe für eine Speckschwarte sich darstellt, auch keine gewöhnlich im Begriff, zu durchstreichen. Oft gelingt es einem,
erschöpfende Erklärung geben. Denn offenbar ist hier die das »blendende« wegzuschaffen, um es herum, durch es hin-
Gestalt im einzelnen, die Struktur durch Farbe verschieden durch zu sehen, es zurüchuschieben; sonst verändert man
dargestellt und damit auch die innere Wesenheit des Gegen- seinen S+·mdpunkt so lange, bis es nicht mehr blendet.
standes Tonscherbe-Speck,schwarte. Genau so ist es bei der Anschauung eines gemalten oder
photographierten Gegenstandes, wenn wir hier den Bildgegen-
stand beobachten wollen. Wir haben schon öfter erwähnt,
Kap. V. Fortsetzung.
daß die ästhetische Anschauung eigener Art ist; von ihr sehen
Die Farbenordnung ist Ordnung der Darstellung oder wir hier vollkommen ab. Wir nehmen also, um sicher alles
auch der Wahrnehmung. Vom Ding aus gesehen ist es Ord- ästhetische auszuschließen, die Einstellung, mit der der Forscher
nung der Darstellung, von uns aus gesehen ist es Ordnung etwa Photographien von Himmelskörpern, von Mikroorganismen
der Wahrnehmung. Die Wahrnehmung ist nicht etwas ein- beirachtet. Dann ·unterscheiden wir auch bei dem photo-
faches, sondern sie ist von sehr komplizierter Struktur. Wenn graphierten Gegenstand anhaftende Farbe. und Beleuchtungs-
wir jetzt die Untersuchung etwas konkreter gestalten, so können effeh.~. Auch hier muß der Beleuchtungseffekt eine andere
wir sagen: Das Wesen, welches diesen polierten Schrank durch Stellung dem Bewußtsein gegenüber einnehmen, als die an-
Farbe wahrnehmen will, muß den Blick einer Stelle zuwenden,
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haftende Farbe, auch hier werden gewisse Lichtgebilde durch- nur, daß es sonst rätselhaft wäre, wie eine Formenumwandlung
strichen. sich vollziehen sollte, sondern die Verknüpfung tritt zu Tage,
Wenn nun ein Wesen Farbe in dieser Ordnung hat, dann man merkt sie. freilich ist es nicht so, daß man in der einen
sieht es Gegenstände, Dinge und solange es Farbe nicht in Hand die Materie in der andern die formen hätte und diese
dieser Ordnung hat, sieht es keine Dinge, sondern hat nur jetzt durcheinander schüttelte. Denn für gewöhnlich vollzieht
irgendwie Farbe. Das ist ein apriorischer Satz. sich die Verknüpfung unmerkbar, nur in den fällen der Illusion,
Nun haben wir die Ordnung bis jetzt nach zwei Rich- der behinderten Wahrnehmung zeigt sich das, was man als
tungen untersucht, Ordnung in der Stellung zum Bewußtsein Verknüpfung bezeichnen darf.
und die form, die das in dieser Stellung befindliche hat. Weiter ist zu bemerken, daß die Materie als Materie eine
Beide müssen wohl unterschieden werden. Die letztere - gewisse Empfänglichkeit für eine form hat, daß eine form
Schattenform, form der anhaftenden Farbe - ist etwas der auf die Materie paßt, während die anderen formen ihm schlecht
Farbe eigenes und zwar der Farbe, die gegenübersteht.. Und sitzen. Wir merken dies unmittelbar, wenn wir darauf achten,
wie diese Farbe kein Teil meines Bewußtseins ist, sondern wie es uns oft Mühe kostet, statt eines Schatten dunklere Fär-
Gegenstand des Bewußtseins ist, so ist auch die farbenform bung, statt eines Bildgegenstandes Kleckse oder anstelle von
Gegenstand, Objekt des Bewußtseins. Wenn wir also gesehen Klecksen einen Bildgegenstand zu sehen. Es scheint dann so,
haben, daß »dieselbe Farbe" oft mehreren formen zugänglich als ob die verkehrte form nicht vollständig das Material er-
ist, indem wir sie z. B. entweder als Schatten mit durchleuch- schöpft, durchdringt. So merken wir oft eine eigentümliche
tender anhaftender Farbe oder als dunklere anhaftende Farbe Leere, ein Manko, wenn wir statt eines Schattens dunklere
ohne Schatten sehen, so ist es doch grundverkehrt, deswegen Färbung sehen; uns fehlen dann die Lichtreflexe, Beleuchtungs-
anzunehmen, daß das Bewußtsein die form aus ihrem eigenen effekte, die dem Gegenstand eine eigentümliche Nüance geben;
Inhalt irgend wie an die Farbe heranbringe, diese formen aus der Gegenstand steht ohne sie eigenartig steif vor uns.
sich selbst schöpfe. Sondern die form ist Objekt für das Es sind ferner nur Ausnahmefälle, wo wir Farbe in ver-
Bewußtsein - etwas dem Bewußtsein gegenüberstehendes. kehrter form sehen.
Aber wohl mag Bewußtsein die form und das, was in diese Wir meinen hiermit also, daß Farbe als bloßes Material
·form eingeht, auf verschiedenen Wegen empfangen und erst schon von ·selbst an den Platz im Bewußtsein und in die
in der Wahrnehmung selbst verknüpfen. Wir haben schon form, die ihm zukommt, rückt. Es liegt in der Eigenart
viel gefunden, was hierfür spricht. gewisser Beleuchtungseffekte, daß sie in der Wahrnehmung des
Zuerst dauert es eine gewisse Zeit, bis Farbe geformt vor Dinges so nahe an das Bewußtsein rücken, daß sie :>empfunden«
uns steht und ein Ding darstellt. Es dauert länger bei be- werden, und von dort aus den Gegenstand mit darstellen; es
hinderter Wahrnehmung, es vollzieht sich sehr schnell bei liegt in der Eigenart anderer Beleuchtungseffekte, daß sie sich
unbehinderter Wahrnehmung, aber es vergeht immer eine Zeit durchstreichen lassen, es liegt in der Eigenart der anhaftenden
darüber. Und während dieser Zeit scheint sich die Verknüpfung Farbe, daß sie dem Bewußtsein gegenständlich ist und in feste
von farbenform und Farbenmaterie zu vollziehen. Zuweilen form eingeht, es liegt in der Eigenart des Schattens, daß er
wird beides verkehrt verknüpft, wie wir erörtert haben an der sich von der anhaftenden Farbe abhebt und diese durch-
Illusion. Auch darin tritt dies Verknüpfen zu Tage. Nicht
112 113

schimmern läßt, daß er selbst für das Bewußtsein in den malen. Er ist daher teilweise auf unsern guten Willen an-
Hintergrund tritt 1). gewiesen, daß wir die Farbenflecke in die Formen hinein-
Bei dem Bilde ist es ebenso. Auch hier muß ein Teil zwingen, die sie haben müssen, um Gegenstände darzustellen.
der Farbe empfunden, ein Teil durchstrichen, ein Teil als an- Wenn wir zum ersten Male, etwa als Kinder, Bilder betrachten,
haftende Farbe geformt gesehen werden. Auch hier muß man ist es in der Tat so, daß wir die Farbenflecke erst in die ihnen
den Schatten von der anhaftenden Farbe getrennt sehen. Dabei vom Maler zugedachte Stellung hineinzwingen müss~n. Sonst
kann nun aber der Maler die besondere Rezeptivität, die die · sehen wir nur die Ölfarbenflecke. Bei manchen Bildern kostet
Farbe, welche Gegenstände darstellt, für die eine oder andere es auch dem, der schon viele Bilder gesehen hat, noch Mühe,
Form hat, die Eigenart, wodurch sie befähigt wird, empfunden die Farbenflecke in die ihnen vom Maler zugedachte Stellung
zu werden oder gegenständlich zu sein, nur unvollkommen mit zum Bewußtsein, in die ihnen zugedachte Form zu bringen,
so etwa bei den Freilichtgemälden der alten oder der neuen
1) Von hier aus ist es noch ein Schritt rückwärts, dann kommt Meister.
man an das Problem, wie Farbe überhaupt erst zum Bewußtsein in
Für gewöhnlich allerdings merkt der, der Bilder oft be-
Beziehung tritt, wo sozusagen ihr GebUI ,sort ist. Hieran knüpft sich
dann die weitere frage, ob Farbe etwas subjektives ist; ob es Sinn trachtet, nicht, daß er erst - und zwar auf andere Art wie
hat, von Farbe zu reden, die in keiner Weise Gegenstand eines Be- bei den Gegenständen der Außenwelt - eine gewisse Arbeit
wußtseins ist. Es ist kein Widerspruch, wenn man sagt, Farbe sei verrichten muß, um das Bild. als Bild zu sehen. Dies erklärt
Objekt für das Bewußtsein und doch im letzten Grunde subjektiv. sich dadurch, daß auch diese Bildbetrachtung mit der Zeit sich
Allerdings muß man dabei die Vieldeutigkeit des Wortes subjektiv
immer müheloser vollzieht unter dem Einfluß der Übung.
im Auge behalten. faßt man subjektiv als realen Inhalt, Teil des
Bewußtseins, des Ich, so kann gegenständliche Farbe und auch schon Trotzdem bleiben immer Unterschiede zwischen dem Bildgegen-
empfundene Farbe, nicht realer Inhalt des Bewußtseins sein. Und , stand und dem wirklichen Gegenstand. Wir wollen hier nur
doch wird die Vorstellung, Farbe sei im letzten Sinne etwas aus an eins erinnern. Den Vollschatten, der auf einem wirklichen
dem ich herausprojiziertes und stets von diesem Ich gehaltenes' und Gegenstand liegt, kann ich als Schatten sehen; dann sehe ich
erhaltenes, ihre Berechtigung haben. Aber die Fäden des Zusammen-
wenig von dem, was unter dem Schatten liegt. Ich kann aber
hangs hier zu finden, dürfte nicht leicht sein -. Dagegen läßt sich
die form sicher nicht in dieser Ar( weiter in dem Bewußtsein, in auch durch das Dunkel des Schattens hindurchdringen und den
·engerer Verbindung mit dem Bewußtsein suchen. Sie ist schlechthin Gegenstand, wie er unter dem Schatten liegt, in seiner Farbe
Objekt und es hat keinen Sinn, sie in irgend einer Weise als Inhalt und in seiner Struktur wahrnehmen. Bei einem Bilde ist oft
des Bewußtseins zu denken. Bezüglich der Farbenmaterie gibt aber die zweite Einstellung nicht möglich. Hier darf man dann
der Umstand, daß selbst anhaftende Farbe - man erinnere sich an
nur in der ersten Einstellung herangehen. Ich sehe hier z. B.
das anhaftende Weiß des Papiers im Beispiel betreffend die Illusion
Tintentropfen-Schatten - in der Art empfundener Farbe zum Bewußt- eine Photographie von einem Jugendbildnis Rembrandts. Die
sein in Beziehung treten kann, begründeten Anlaß, den Geburtsort Nase wirft einen tiefen Schatten auf die Mundpartie, ebenso
der Farbe im Bewußtsein selbst aufzusuchen. Dabei fragt es sich sind die Lippen tief im Schatten. Will ich nun durch diesen
allerdings gleich, was dies denn heißt. Empfundene Farbe ist nicht Schatten hindurchsehen, so wird das Bild zu einer Karrikatur.
Inhalt des Bewußtseins, sie ist vom Bewußtsein empfunden. Aber
Ich sehe nur Kleckse, die kein Durchsehen gestatten. Das Bild
es mag noch innigere Verknüpfungen zwischen Farbe und Bewußt-
sein geben -Verknüpfungen von einer Innigkeit, daß man ein Recht darf nicht von dieser Stelle aus in dieser Einstellung betrachtet
hat zu sagen, Farbe sei im Bewußtsein. werden, wenn man es als Bild sehen will. Bei einem wirk-
8
114 115
Iichen Menschen aber würde ich durch diese Schatten hindurch - als das, wohin wir' immer drängen, worin wir Ruhe und
die Haut und ihre Struktur, die Fältchen der Lippe, den Ab- Befriedigung finden, - so gehört jene Empfindung mit zur
satz der Nase von der Wange und von der Lippe wohl sehen Wahrnehmung oder Wahrnehmung gliedert sich in eigentliche
können, wie man sich leicht überzeugen kann. Dasselbe gilt Wahrnehmung und Empfindung. Beides ist aber hier noch
von den Reflexen, Lichtern; auch sie verlieren - gemalt - nicht auf das Ding selbst bezogen, sondern auf Farbe; auf das
etwas von jener Umwandlungsfähigkeit, die sie in der Dar- Darstellende und zwar auf dieses, sofern es darstellt. Ein Teil
stellung der wirklichen Welt haben. des Darstellenden muß empfunden werden, ein Teil muß wahr-
Die Unterschiede der farbevariationen, den Unterschied genommen werden, wenn Dinge - hier müssen wir nun einen
von Farbe als Schatten, Farbe als anhaftende Farbe, Farbe als neuen Ausdruck nehmen - vor uns stehen sollen. Aber die
Licht, Farbe als empfundene, als gegenständliche Farbe - diese Dinge stehen auf andere Art vor uns, wie die Farbe, es fehlt
Unterschiede, die in der Farbe als Materie schon ausgeprägt hier das direkte Verhältnis, das zwischen Farbe und Empfindung,
sind, kann der Maler nur unvollkommen wiedergeben. Farbe und Wahrnehmung besteht.
Innerhalb der Wahrnehmungsstufe drängte sich uns der
Kap. VI. Zusammenfassung. Unterschied von anhaftender Farbe und bloßem Beleuchtungs-
effekt _ Schatten, Reflex - auf. Wir sahen, daß formen-
Wenn wir nun das zusammenfassen, was wir gesehen unterschiede vorlagen, daß die anhaftende Farbe vor allen an-
haben, so ergibt sich folgendes. Farbe schlechthin ist das, was deren Farbevariationen eine feste. eindeutige form hat. Wir
uns Dinge darstellt. Aber es genügt nicht, daß Farbe da ist, fanden ferner, daß die Beleuchtungseffekte ihre Aufgabe auch
um Dinge darzustellen. Sondern dazu gehört, daß Farbe sich erfüllen, wenn sie nicht wahrgenommen werden; daß es, damit
ordnet, sich gliedert und in formen eingeht. Farbe in gewissem ein Ding gegenständlich wird, nicht erforderlich ist, daß Be-
Sinne ist alles, was wir hier abgehandelt haben; auch das, leuchtungseffekte wahrgenommen werden; es genügt, daß sie
was der naive Mensch nicht recht wahrnimmt,_ aber doch in bloß empfunden werden und es ist auch nötig, daß sie emp-
gewissem Sinne hat, ist schon auf dieser Stufe der Anschauung funden werden.
Farbe, wie man aus der Möglichkeit, dies unterirdische in die Vermittelst dieser Farbenordnung nun wird uns Raum
. Oberwelt zu heben, feststellen kann. Aber es gehört als Farbe und Gestalt vorgestellt. In Bezug auf Farbe ist Raum also
nicht in die Oberwelt. Es gehört seiner Natur nach in die etwas Dargestelltes. Farbe selbst ist nicht dargestellt, sie ist
andere Sphäre. Wir waren geneigt, dies in Verbindung mit direkt gegeben, aber sie stellt Raum und formen im Raum
ihrer Formlosigkeit zu bringen. Aber andererseits kann man dar. Die genaue Ableitung dieser Beziehung zum Raum haben
dies geradezu wieder als besondere form auffassen. Darin wir nicht gegeben. Wir erinnerten hier nur an die Technik
spricht sich eine Ordnung aus, daß diese Variation von Farbe des Malers, sowie an die Wahrnehmungstäuschungen, woraus
nicht eigentlich für die Wahrnehmung da ist, sondern nur für sich das Bestehen eines solchen Zusammenhanges mit Sicher-
die Empfindung. Eine Ordnung in Bezug auf die Art, wie heit ergibt. Die Gestalt ihrerseits stellt nun wieder das Ding
sie erfaßt wird. Sie gehört zur Empfindung. Die anhaftende mit seinen Eio"enschaften dar. Sie ist noch nichts zum Dinge
Farbe gehört zur Wahrnehmung. Nehmen wir nun weiter die "'
gehörendes, auch nicht unmittelbar eine form des Dinges,
Dingwahrnehmung als das eigentliche Ziel jeder Wahrnehmung, sondern ein Dargestelltes, welches wieder darstellt. Die natür-
8*
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liehe Gestalt des Dinges stellt uns Eigenschaften des Dinges Wir sehen diese Eigenschaften vom Dinge nun am besten,
in reichem Maße dar, wie wir im ersten , Abschnitt gesehen wenn sie erprobt werden, wenn die Schwere auf der Wag-
haben, schale, die Härte, Festigkeit unter dem Hammer,· die Elastizität
Außerdem stellt aber die Farbe selbst, ohne Vermittlung bei Anspannung sich ausweist. Aber auch schon vorher haben
durch den Raum, Eigenschaften des Dinges dar, odet; wenigstens wir einen gewissen Eindruck von diesen Eigenschaften. Es
das Verhalten des Dinges. Hier kommt in erster Linie die ist, als ob jedes Ding seine Geschichte habe und als ob diese
anhaftende Farbe in Betracht. D\e Beleuchtungsfarbe ändert Geschichte Spuren in ihm hinterlasse. Diese Spuren, zuweilen
sich fortwährend, ohne daß sich im Dinge etwas ändert; von erscheinen sie uns fast wie Narben, verstehen wir zu lesen; un-
jeder Seite sieht die Beleuchtungsfarbe anders aus und zu jeder mittelbar darin sehen wir, was es mit dem Dinge ist. Wir sehen,
Tageszeit. So kann sich das Ding auch ändern, ohne daß wie das Holz geschnitzt ist, sehen darin sein Verhalten unter
sich die anhaftende Farbe ändert; aber wenn sich die an- dem Messer; wir sehen, wie die goldene Uhr feine Schrammen
haftende Farbe ändert, so tritt darin eine Veränderung des aufzeigt und sehen damit die Weichheit des Goldes. Jedes
Innern vom Dinge zu Tage. Die Veränderung . des Eisens Ding zeigt immer in seiner zufälligen Gestaltung das, was es
unter der Einwirkung von Wärme ist begleitet von einer Än- schon durchgemacht hat und damit seine Geschichte, seine
derung der Farbe - von Rotglut bis zur Weißglut. Eigenart, die Art, wie es seine Schicksale überstanden hat.
Die Dinge sind ja nicht, wenn wir sie zum ersten Male sehen,
l(ap. VII. Das Ding selbst. wie aus der Schachtel genommen - sie haben ihre Schick-
sale - und die Spuren ihrer Schicksale tragen sie immer mit
Wir haben in dem, was uns in der Wahrnehmung gegen- sich: Und wenn sie frisch aus der Fabrik kommen, so zeigen ·
übersteht, unterschieden zwischen Darstellendem und Dargestellten. sie doch, wie sie bearbeitet sind.
Die Farbe, die Gestalt, die Bewegung bringen uns das Ding Am wenigsten von diesen Spuren zeigen die Flüssigkeiten.
zur Darstellung. Eigentlich aber bringen sie uns vom Dinge Das Schiff hinterläßt im Wasser nur vorübergehende Spuren,
nur Eigenschaften zur Darstellung, und als diese Eigenschaften und so ist es bei jeder tropfbaren Flüssigkeit. Damit hängt
stehen Härte, Schwere, Festigkeit, Elastizität alle auf einer Stufe. unmittelbar zusammen, daß uns Flüssigkeiten - in größeren
. Man ersieht ohne weiteres, daß diese Eigenschaften in einem Mengen oder in Tropfen - verhältnismäßig wenig über ihre
andern Verhältnis zum Ding stehen, als Farbe, Gestalt. Letz- Eigenart ersehen lassen, wenn sie sich in Ruhe befinden. Ein
tere sind dem Dinge selbst äußerlich, jene ersten aber belehren Tropfen unterscheidet sich vom andern nur durch seine Farbe;
uns darüber, was im Dinge steckt. ein Eiseniropfen, ein Wassertropfen, ein Quecksilbertropfen
Es folgt aber weiter daraus, daß der Raum und die Ge- zeigen, abgesehen von der Farbe, im Ruhezustande wenig Ver-
stalt nicht eine form für das Ding selbst ist. Denn alle jene schiedenheit. Die Verschiedenheit tritt erst zu Tage, wenn die
Eigenschaften des Dinges stehen in keiner Beziehung zum Tropfen zerquetscht, zerdrückt werden und mehr noch, wenn
Raum. Es hat heinen Sinn, Härte, Schwere sich irgendwie sie erhärten.
räumlich verteilt, räumlich gestaltet vorzustellen. Und das Ding Dasselbe gilt in noch höherem Maße von den Oasen, die
selbst für sich, abgesehen von seinen Eigenschaften, ist nichts erst recht keine Spuren aufnehmen. Bei den festen Dingen
mehr, was noch räumlich sein kann. aber ist es anders, hier finden wir Spuren.
118 119

Um sich hier ganz hineinzudenken, ist es wertvoll, einen unterschiedliche Eigenschaften ähnlich der Härte, Sprödigkeit,
Vergleich aus einer ganz andern Welt zu Hilfe zu nehmen, Festigkeit vorhanden sind, und auch wohl noch weiter bei gas-
die in mancher Beziehung überraschende Ähnlichkeifmit dieser förmigem Zustande.
Dingwelt hat. Kehren wir aber zu den festen Dingen zurück; ihnen
Das Ding erscheint uns als Individualität unter andern. sehen wir also ihre Eigenart an und sie verhalten sich im
Während wir es sehen, schlafen vielleicht seine Eigenschaften; Verkehr mit anderen Dingen nach ihrer Eigenart. Nehmen
sie wirken nicht. Aber plötzlich wird das Ding gereizt, es wir nun drei Menschen. Allen ist in das Gesicht ihr Cha-
fängt an, seine Eigenschaften voll zu entwickeln. Haben wir rakter eingeschrieben. Man sieht dem einen seine Sanftmut,
ein Bündel Watte, eine eiserne Kugel, eine hölzerne Kugel in den andern beiden ihre Härte, ihren ausfallenden Charakter an.
Ruhe, so sehen wir auf gewisse Weise die Weichheit der Sie sitzen ruhig da, aber gewisse Spuren im Gesicht offenbaren
Watte, die verschiedene Härte der eisernen Kugel und der ohne viel Menschenkenntnis ihren Charakter nach dieser und
HolzkugeL Wird jetzt durch einen Zufall die eiserne Kugel nach andern Seiten hin. Ihre Sanftmut, ihre Hä1 ie schreiben
gegen das Bündel Watte gestoßen, so sehen wir, wie die wir ihnen auch jetzt zu, obwohl sie ruhig sitzen und keine
Watte diesen Stoß vermöge ihrer Weichheit in sich aufnimmt, Gelegenheit haben, ihre Sanftmut, ihre Härte zu entfalten. Der
ganz herunterschluckt, ohne ihn viel weiter- oder zurückzu- Sanftmütige hat diese Eigenschaft, auch wenn sie gerade nicht
geben. Die hölzerne Kugel aber gibt den gleichen Stoß zu- beansprucht ist, wie das Eisen Elastizität hat, auch wenn es
rück oder sie gibt ihn weiter an die Wand vermöge ihrer nicht schwingt. Nun lassen wir einen von den harten Menschen
Härte. an den Sanftmütigen geraten und beobachten den Sanftmütigen.
Und wenn wir uns andere Kombinationen ausdenken, ein Der Stoß trifft ihn, aber er gibt ihn nicht weiter und nicht
jedes Ding verhält sich nach seiner Eigenart. zurück. Der Stoß verliert sich in ihm wie der Stoß der eisernen
Bei den festen Dingen ist dies unschwer zu sehen. Bei Kugel in der Watte. Aber der Sanftmütige würgt sich an
den Flüssigkeiten achtet man weniger darauf. Es wäre eine diesem Stoß. Der Stoß ist nicht wirkungslos, wir sehen, wie
interessante Untersuchung, festzustellen, was aus den verschie- der Sanftmütige ihn hinunterschluckt. Lassen wir nun den
denen Eigenschaften der festen Körper wie Zähigkeit, Festig- harten Menschen an den andern harten geraten, so wird der
. keit, Sprödigkeit, Härte wird, wenn der Körper flüssig wird. Stoß kräftig zurückgegeben oder weitergegeben an einen andern,
Sicher lassen sich diese Eigenschaften oder ihnen entsprechende je nach dem weiteren Charakter des harten Menschen. Jeden-
auch im flüssigen Zustande verfolgen. Weil eine solche Unter- falls aber verliert sich der Stoß hier nicht unmittelbar; er wird
suchung scheinbar keine technisch wertvollen Resultate erwarten nicht verzehrt, wie der Stoß der eisernen Kugel in der Watte.
läßt, ist sie wohl bisher nicht angestellt. Es scheint mir aber, Wir sehen hier direkt eine Kausalität, wie bei den Dingen der
daß auch im flüssigen Zustande nicht alle Körper in Bezug Außenwelt. In diesem Verhalten offenbart sich nun erst recht
auf diese Eigenschaften gleich werden. Schon aus der Art, Härte, Weichheit des Menschen. Jeder Mensch steht unter
wie sie flüssig werden, ob in vielen Übergängen, wie das seinem Charakter, er kann nicht anders handeln, als nach den
Eisen durch Weichheit, Zähflüssigkeit hindurch oder ob sie Eigenschaften seines Charakters.
fast unmittelbar von einem Zustand in den andern überaehen Der Vergleich könnte noch viel weiter ausgP<>ponnen
h '
wie Wasser, ergibt sich wohl, daß auch im flüssigen Zustande werden. Wie nicht bei jeder Wirkung zweier Dinge aufein-
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ander alle Eigenschaften mitwirken, sondern etwa nur die auszusetzen. Sie gibt dem Raum eine Bedeutung, die er nicht
Schwere oder die Festigkeit oder die Zähigkeit in Betracht hat, sie erfindet Materie, die es nie und nirgends gibt. Und
kommt, so kommt bei der Wirkung zweier Charaktere aufein- diese beiden Fehler hoffen wir an dem Vergleich mit dem
ander auch etwa nur der Stolz, der Neid, die Zartheit oder Charakter deutlich zu machen und an dem, was uns als Welt
die Sanftmut in frage. Und wie wir weiter bei den Eigen- gegeben ist, aufzuweisen.
schaften der festen Dinge untersuchen können,'~ in welchem Der. Raum ist hier in eine schiefe Stellung gebracht, für
Verhältnis Festigkeit, Zähigkeit, Sprödigkeit, Schwere und alle etwas Wirkliches erklärt. Man geht von dem leeren Raum
andern Eigenschaften stehen, ob sich etwa Abhängigkeiten hier aus und denkt sich Verhärtungen, Knoten dieses Raumes. Denn
konstatieren lassen, können wir genau dieselbe frage bei dem das den Raum Erfüllende, die Materie - insbesondere ihre
Charakter der Menschen aufwerfen. Doch wollen wir dies Abart, die Atome - sind solche Knoten des Raumes. Man
nicht weiter ausführen. - konnte nicht wohl sagen, daß Schwere, Härte, Elastizität den
Wir erkennen also den Charakter des Menschen auf diese Raum »erfülle« - um aber das, woran sich dies zeigt, mit
zwei Weisen, in der Ruhe und überzeugender im Handeln. dem Raum in diese Verbindung zu bringen, erfand man die
Aber wir erkennen immer nur Seiten dieses Charakters - Zorn- Materie, deren einzige Bestimmtheit ist, daß sie den Raum er-
mut, Sanftmut, Gehässigkeit, Freundlichkeit. Man nennt dies füllt. Auf diese Weise wollte man Schwere, Härte im Raum
eben so oft Seiten wie Eigenschaften des Charakters. Aber unterbringen, denn man dachte sich diese jetzt als an der
man gibt sich notwendig mit diesen Seiten zufrieden. Der Materie haftend und damit als im Raum seiend. Das Ding
blanke Charakter, wi·e er an sich sei ohne diese Eigenschaften, war dann ein Stück Materie, ein Ausschnitt aus der Materie.
danach fragt man nicht. Man sucht nicht noch ein besonderes Hiermit hat man den Raum zur Grundlage der Wirklichkeit
Substrat mit besonderen Qualitäten, sondern die Eigenschaften gemacht. Wenn man so mit dem Raum anfängt, kann man
sind eben die Qualitäten des Charakters. Der Charakter hat zu keinem andern Resultat kommen.
nicht noch eine b('SOndere Qualität. Wir fangen aber von einer ganz andern Seite an. Wir
Man kann nun ebensowohl bei dem Dinge von Charakter schieden das Darstellende vom Dargestellt@n, die Farbe, Gestalt
sprechen wie bei den Menschen. Das ist nicht ein Zufall, von der Schwere, Härte, Festigkeit, und. kamen so auf das
daß man dasselbe Wort, aber in anderer Bedeutung auch hier Ding. Die Schwere, Härte nun ist der Charakter des Dinges.
gebrauchen kann, sondern die Sachlage ist dieselbe, der Formen- .Sie sitzen nicht irgendwo im Ding oder durchziehen es,
zusammenhang, die Ordnung ist dieselbe, das Verhältnis von sondern sie sind sein Charakter. Der Charakter des Dinges
Eigenschaft und dem, was diese Eigenschaften hat. aber zeigt sich eben in dieser Härte und Schwere. Es hat
Es ist eine irrige, aber weit verbreitete Vorstellung über keinen Sinn, nun den Charakter für sich noch wieder zu
das Verhältnis von Ding und Eigenschaft, etwa folgende: einer Qualität besonderer Art zu machen. Hier ist das
Der leere Raum ist ausgestopft mit Masse, mit Materie, ähnlich Ende. Wir kennen uns nie ganz aus über den Charakter des
wie ein Sack mit Erbsen gefüllt ist. Diese Materie ist das den Dinges, jeder Tag gibt uns neue Seiten. Insofern ist er ohne
Raum Erfüllende. Sie hat gewisse Eigenschaften ; sie ist hart, Grenzen. Die Gestalt des Dinges im Raum und die Raum-
schwer, beweglich usw. Ohne alle diese Eigenschaften ist sie stelle, die das Ding zufällig einnimmt, gehört nicht mit zu
doch Masse, Materie. An dieser Theorie haben wir zweierlei seinem Charakter. jedes Ding kann jede Gestalt annehmen,
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jede Raumstelle einnehmen. Die Gestalt, die das Din<Y hat Charakter, weder eine bestimmte Größe der Ausdehnung noch
stellt uns in mannigfacher Art seinen Charakter dar, gibt un~ eine Gestalt der Ausdehnung, noch der Ort, an dem das Ding
Aufschluß über seinen Charakter; aber man darf das Dar- sich gerade befindet.
stellende nicht mit dem Dargestellten verwechseln. Die Beziehungen df's Raumes zum Ding sind mannig-
Aper die Dinge verändern doch fast beständig ihre Größe faltige - aber die Beziehung, daß das Ding irgendwie den
im Raum und diese Veränderung ist doch oft das Wichti<Yste Raum erfüllt, gibt es nicht. Die Materialität des Dinges ist
am Dinge. Darin scheint doch eine unmittelbare Bezieh~n()" eine Fabel. Auch alle ähnlichen Bilder, cdaß jedes Ding einen
zum Raume zu liegen. Eisen wird größer, wenn es erhit; Herrschaftsbereich habe im Raum, daß es jedem andern Dinge
wird; das ist doch eine Eigenschaft des Eisens, daß es sich diesen Raum verwehre, ihn gegen jedes andere Ding vet teidige,
ausdehnt. Kurz, wo bleiben alle diese Eigenschaften die die entsprechen nicht der Sachlage. Das Ding erhält nur seine
Körper bei wechselnder Erwärmung zeigen und die' eben in Individualität, nicht seinen Raum gegen die andern. Es lebt
Vergrößerung, Verkleinerung bestehen? gemäß seinem Charakter mit den andern.
Der Einwand ist nicht stichhaltig. Die Formen der Eigenschaften des Dinges und des Dinges
Der Schatten, den ein Gegenstand wirft, ändert sich bei - selbst ff'stzustellen, ist ohne Voruntersuchungen über die Eigen-
veränderter Stellung des Lichtes. Er schrumpft <Yanz zusammen schaften des Dingf's selbst nicht möglich. Und eine solche
wenn die Sonne im Zenith steht, er wird unübersehbar <Yroß' Voruntersuchung ist noch nie angestellt. Es fehlt sogar an
wenn ·d"te sonne untergeht. Aber darin liegt keinerlei Eigen-
~ ' einer bloßen Aufzählung der Eigenschaften. Wir haben uns
art des Schattens. Das Eisen aber wird nicht ()"rößer wenn bis jetzt mit den dem Leben entnommenen Ausdrücken, wie
es erhitzt wird - :--s sprengt, wenn es erhitzt :,ird, ~s ent- schwer, hart, zäh, fest zufrieden gegeben. Die Technik bietet
faltet Kraft. Das Größerwerden ist dem Eisen nebensächlich schon viel geilauere Ausdrücke. Aber sie achtet auch nur auf
es ist keine Eigenschaft des Eisens. Aber die Kraft, die dari~ Eigenschaften, die technisch wertvoll sein können und gruppiet t
zutage tritt, ist eine Eigenschaft des Eisens. Das Größerwerden sie nach diesem technischen Wert, schmiedbar -- gieß bar.
ist nur das, worin sich diese Kraft darstellt. Dies allein würde Trotzdem wird hier sehr viel Brauchbares zu finden sein.
den inneren Vorgang im Eisen nicht wiedergeben. Der Vor- ? Nach einer umfassenden Untersuchung dieser Eigenschaften
gang zeigt sich erst wirklich im Überwinden von Widerständen. wäre die Aufgabe, ihre Formen zu untersuchen, die Art, wie
Und ebenso ist es mit dem Kleinerwerden, wenn das Eisen sie zusammengehören; die Unterschiede zu untersuchen, wieso
wieder abkühlt. Auch da ist das Kleinerwerden nicht die Ei <Yen- ein Ding Schwere scheinbar immer hat, Elastizität aber nur,
schaft; sondern wenn man sieht, wie das Eisen, wenn es~ er- wenn diese Eigenschaft beansprucht wird. Wie <:>s Schwere
kaltet, etwas nach sich zieht, sieht man, was im Eisen passiert. scheinbar immer behält, seine Elastizität aber verliert, wenn f'S
Ebenso wenn der Zinnteller schmilzt. Die Änderun()" in zu stark beansprucht. wird.
der Gestalt zeigt nur die Änderung der Eigenschaften. ~ Mit dieser Untersuchung wäre die Untersuchung der
Schwere, Härte sind also nicht Eigenschaften von etwas Kräfte, der Wärme, des Lichtes zu verbinden. Sicher hat <:>s
ausgedehntem, von einer Materie und weiter ist auch die Aus- ja keinen Sinn, die Wärme, die wir fühlen, mit der Verände-
dehnung nicht eine Eigenschaft d<:>ssen, wovon Schwere Härte rung d<:>s Aggregatzustandes in Verbindung zu bringen. An-
Eigenschaften sind; die Ausdehnung gehört nicht m;t zum dererseits aber stellt diese Wärme, die wir fühlen, auch nicht
124 125
eine Kraft dar, wie die Farbe ein Ding darstellt. In der
Wärme an sich liegt nichts von der Wirkung, die sie schein- Kap. VIII. Problematisches.
bar ausübt.
Kurz, hier eröffnet sich ein weites Feld für die Unter- Als wir diese Untersuchung begannen, waren wir 1m ge-
suchung. Und hierbei ist es immer von höchstem Wert, sich heimen der Hoffnung, die Welt in Materie und Form aufteilen
einen freien Blick dadurch zu bewahren, daß man die Welt zu können, wie wir es bei dem, was die Dinge darstellt, ver-
sucht haben. Und diese Materie wiederum dachten wir als
g11i1z anderer Ar~ den Charakter des Menschen fortwährend
letzten Endes auf Empfindung rückführbar und damit hofften
zum Vergleich heranzieht und jede Atomtheorie meidet. Wie
z. B. die Trunkenheit den Charakter des Menschen für die wir, die Welt als die gefrorene Empfindung, für die sie jetzt
Dauer der Trunkenheit vollständig ändert, wie der Einfluß von und seit alten Zeiten so vielfach gehalten wird, retten zu können
Stimmungen ihn------ällaert,
------- das findet oft at1ffallende Analogien und hofften nur durch gehörige Sorgfalt in der Untersuchung
l n den Verhaltungsweisen der Dinge in ihren verschiedenen manches neue und insbesondere durch Klarlegung dessen, was
Aggregatzuständen, in der Art, wie sie sich unter dem Einfluß die Form für diese Welt bedeutet, die Art in der die Ern"
pfindung gefriert, besser darlegen zu können.
von Wärme, Licht, Druck verhalten. Nur ist vorläufig das
eine Gebiet so wenig untersucht, wie das andere. Doch da fanden wir bei genauerer Untersuchung, daß
Es gibt so gut eine Ontologie des menschlichen Cha- auf das, was die Welt darstellt, vieles von diesen alten Grund-
rakters wie cie_r Q_ingwelt. Und in wesentlichen Zügen scheinen ansichten der Philosophie zutrifft. Sobald man aber, auf das
beide Welten in ihrer Struktur viel Verwandtschaft aufzuweisen. Dargestellte geht, schwindet die Möglichkeit, diese Ahsicht
Um nun den alten Theorien betreffend die Ontologie der Ding- weiter durchzuführen. -
welt ein Gegengewicht zu bieten, kann diese Vergleichung Wenn unsere Untersuchung betreffs des Tastsinns richtig
hervorragende Dienste tun. ist, wenn Schwere, Härte, Elastizität, Sprödigkeit sich auch im
Aber immer handelt es sich für den Philosophen natürlich Tastsinn nur vermittels Druck, Gegendruck, Zug und ähnlicher
nur um die Ontologie - um die Formenuntersuchung. In- Data des Tastsinnes darstellen und wenn andererseits Schwere
sofern ist der Gegenstand seiner Untersuchung von dem Ge- etwas anderes ist als Druck, Härte als Gegendruck, Elastizität
-genstand der Psychologie und der Naturwissenschaften unter- als Zug, ja mit jenen Data des Sinnes unvergleichbar isf, so
schieden. ist das Ding selbst offenbar etwas anderes, als der substantiierte
Die Ontologie ist immer Formenuntersuchung. Um aber Druck, Zug u. s. w.; und damit entsteht dann die Frage, ob
-- diese Fo~men zu erkennen, ist eine viel schärfere Fixierung das Ding selbst überhaupt sinnlich gegeben ist. Versteht man
der Gegenstände nötig, als sie ilie Naturwissenschaften für ihre darunter, daß es vermittels der Data der Sinnlichkeit gegeben
Zwecke gebrauchen oder wenigstens zu gebrauchen vermeinen sei, so ist sicher, daß es sinnlich gegeben ist. Aber versteht
und anwenden. Das ist kein relativer Unterschied mehr, der man darunter, daß es sinnlich gegeben sei, wie die Farbe,
etwa größere oder geringere Allgemeinheit beträfe - denn der Druck, der Ton selbst, so ist es nicht sinnlich gegeben.
die Formen sind in ihrer Art ebenso individuell wie die Dinge Und damit hängt unmittelbar zusammen, daß man nicht eine
'- sondern es ist ein absoluter Unterschied, der Unterschied diesen Eigenschaften entsprechende letzte Materie finden kann,
zwischen der Form und dem Geformten. ein Chaos, aus dem sie geformt sind; in dem ihnen Ver-
126 127
wandtes umformbar liegt, wie es bei den Farben, den Data Farbe "Raum•< und "Gestalten im Raum« zur Darstellung
des Tastsinnes der Fall ist. bringt. In einer vollständigen Untersuchung wäre das »Wie«
Damit wird die Welt erst recht zum Rätsel, weil das, was dieser Abhängigkeit näher zu erörtern; aufzuzeigen, wie jede
im Leben für das Wirkliche gilt, die Dingwelt, nur durch das Form der Farbe in Zusammenhang steht mit der Darstellung
Unwirkliche sich darstellen kann. Wie leicht wäre sonst das des Raumes und der Gestalt im Raume; welche notwendigen
Weltbild zu konstruieren, wenn die Dingwelt in Wahrheit das Zusammenhänge hier vorliegen. Eine solche Erledigung der
rreordnete Chaos wäre. Statt dessen steht uns jetzt nach urserer Aufgabe halten wir für durchaus möglich. Die Darstellungs-
"'Untersuchung die Dingwelt fremder denn je gegenüber. . Nur
zusammenhänge sind Relationen, die so gut aufgedeckt werden
im Darstellenden fanden wir etwas wie ein Chaos und Ordnung können, wie Relationen anderer Art, wie Relationen von Winkeln,
im Chaotischen. Das Dargestellte selbst steht mit jener Ord- von Zahlen.
nung in Zusammenhang, insofern es ohne diese Ordnung nicht Sind diese Zusammenhänge gefunden und ist ihre Not-
dargestellt wird; es steht aber mit ihm nicht in einem offen wendigkeit dargetan, so kommt man auch in der Frage, in-
Herrenden Wirklichkeitszusammenhang. Es ist möglich, daß es wieweit Farbe nur etwas subjektives sei, einen Schritt weiter.
un~ndlich verschiedene Arten der Darstellung des einen gibt, Denn dann ist offenbar, daß nicht nur für uns die in be-
die alle dasselbe. geben. Aber nie kann das Dargestellte sich stimmter Weise geordnete geformte Farbe Dinge darstellt, son-
selbst darstellen. Nie kann es daher so unmittelbar gegeQen dern, daß die so geordnete geformte Farbe Dinge überhaupt
sein wie das Darstellende. Die Formen und die Ordnung, darstellt. Damit ist gesagt, daß jedes Wesen, welches Farbe
'
die das Dargestellte hat, sind daher auch unvergleichbar mtt
.
in bestimmter Weise geordnet, geformt sieht, auch das sieht,
der Form und der Ordnung des Darstellenden. Während hier was diese Farbe darstellt, den Raum, die Bewegung des Dinges
die Form eben Form dessen, was darstellt ist, ist dort die und seinen Charakter. Dann ist offenbar, daß die Farben-
Form Form des Wirklichen. Das Darstellende ist etwas in ordnung für sich Dinge darstellt, mag sie sehen, wer sie will.
Bezug auf die Erkenntnis des Dinges; das Ding selbst . aber Es gehört dann zu einer bestimmten Farbenordnung, daß sie
scheint unabhängig von diesem, womit es erkannt wird, zu ein bestimmtes Ding darstellt, wie es umgekehrt zu andern
sein. Damit wird die Untersuchung, die wir nur unvollkommen Farbenvariationen gehört, daß sie keine Dinge darstellen. Die
erledigt haben1 notwendig, die Untersuchung, wie etwas »Farbe« Farbe ist dann ein Weg, auf dem man zum Ding gelangen
etwas anderes »das Ding« darstellen kann, ohne selbst dies kann. Es mag unendliche viele solche Wege geben, haben
andere zu sein. Daß Farbe dies. vermag, steht außer Zweifel. wir selbst doch schon mehrere Wege aufgewiesen, aber immer
Die Frage ist nur, wie Farbe dies vermag. Wir haben hier muß es eine Ordnung geben, · in die sich die Materie, die
schon gefunden, daß man unterscheiden muß, wie Farbe den Dinge darstellt, fügt, wenn sie darstellen will. Auch ein un-
Raum, Gestalten im Raum, die Bewegung darstellt und wie endlicher Geist kann mit der Farbenvariation :'Dämmerung«,
all diese zusammen den Charakter des Dinges darstellen. Aber »Dunkelheit<< keine Dinge sich vorstellen; auch ihm können
wie nun die letzte Verbindung zwischen Farbe und Raum, Dämmerung, Dunkelheit keine Dinge zur Darstellung bringen.
Raumgestalt, Ding etwa sein mag, haben wir nicht vollständig Hieran lassen sich weitere grundlegende Probleme erörtern.
aufgezeigt, sondern nur, daß diese Darstellung abhängig isL Wenn z. B. Farbe in bestimmter Ordnung Dinge darstellt, wer
von den Formungen der Farbe insofern, als nur geformte steht uns denn dafür ein, daß diese Dinge überhaupt existieren.
128

Wäre es nicht möglich, daß nur die Farbenordnung wirklich


wäre, und daß dahinter überhaupt keine Dinge steckten, daß
die ganze Welt ein Bild, ein Tongemälde, eine Illusion wäre.
Auch dies Problem wird sich erörtern lassen. Auch bei dem
Bilde muß doch wenigstens Farbe wirklich sein, ·soweit ihr
Wirklichkeit überhaupt zukommt. Und da fragt ('5 sich, ob
nicht die Wirklichkeit der Farbe Wirklichkeit von Dingen ge-
währleistet. Ob ein Wirklichkeitszusammenhang zwischen Farbe III. A b s c h n i tt.
und Ding besteht, wie ihn etwa die naturwissenschaftlichen,
psychophysischen Theorien des Lichtes im Grunde annehmen, Die Idee in der Wahrnehmung.
indem sie die Farbe als. Wirkung von Schwingungen auf die
Nervenzellen hinstellen. Diese frage ist aber mit jener, wie
Kap. I. Das Anschauen in der Wahrnehmung getrennt
vom Meinen in der Wahrnehmung. Idee und Gattung.
Farbe Dinge darstellt, nicht zu verwechseln. Dafu, daß Farbe
Die Eindeutigkeit, Bestimmtheit des in der Idee
Dinge darstellt, gehört es nicht, daß sie als Wirkung von
Wahrgenommenen.
Dingen aufgefaßt wird. Diese Wirkungsbeziehung ist keine
Darstellungsbeziehung. Wir haben uns bis jetzt mit den sinnlich gegebenen Ele-
menten der Wahrnehmung beschäftigt. Was sinnlich gegeben
bei Farbe, Ton heißt, kann wohl kaum näher erklärt werden.
Wenn ich eine Farbe sehe, einen Ton höre, ist die Farbe, der
Ton mir sinnlich gegeben. Dann stehen sie mir leibhaftig sinn-
lich gegenüber.
Dies Gegenüberstehen ist wohl etwas zu eng ausgedrückt,
auch wenn ich Farbe, Ton nicht gegenüber habe, sondern
bloß empfinde, sind sie mir sinnlich gegeben. Und weiter
beschränkt sich dies sinnlich gegeben sein nicht auf die
beobachtende Dingwahrnehmung, auch in der ästhetischen
Anschauung und vieHeicht noch in mancher anderen Modifi-
kation ist mir Farbe, Ton sinnlich gegeben, habe ich direkt
Farbe, Ton.
Wenn atif diese Weise Farbe in· der Wahrnehmung sinn-
lich gegeben ist, so fragt es sich, ob man im selben Sinne
sagen kann, der Raum, den die Farbe darstelle, die Raum-
gestalten, die Bewegung, das Ding mit seinem Charakter sei
sinnlich gegeben. Genau im selben Sinne kann man dies
offenbar nicht sagen ; der Raum ist nicht so sinnlich gegeben,
9
130 131
wie die Farbe es ist. Er leitet seine sinnliche Gegebenheit wie die Tonscherbe sich vor unsern Augen in eine Speck-
von der sinnlichen Gegebenheit der Farbe ab. Aber Farbe schwarte verwandelte. Als ich die Tonscherbe sah auf dem
muß sinnlich gegeben sein, wenn Raum und weiter das Ding Hofe, stand der Gegenstand in seiner Bestimmtheit mit vielen
zur Darstellung kommen soll. Man kann also vielleicht sagen, Eigenschaften vor mir. Ich nahm seinen Charakter wahr. In
Raum, Ding sei indirekt sinnlich gegeben. dieserWahrnehmung stand mir die Tonscherbe leibhaftig sinn-
jedenfalls aber steht der Raum, das Ding uns leibhaftig lich gegenüber. Aber mit diesem sinnlich leibhaftig Gegen-
- durch Farbe vermittelt - gegenüber. Es hat keinen Sinn überstehen ist der Inhalt der Wahrnehmung, die ich hatte,
zu verlangen, daß sie sich uns anders präsentieren, ohne Ver- nicht erschöpft. Es ist noch ein anderes Element in der Wahr-
mittlung. Raum, Gestalt, Bewegung, Ding Fii~ken uns durch nehmung vorhanden, das mit diesem sinnlich leibhaftig Gegen-
Vermittlung der Farbe so nahe, wie sie überhaupt einem Be- überstehen nicht verwechselt werden darf. Die geistige Haltung,
wußtsein nahe kommen können. Insofern sind ~ sie selbst in worin ich dies sinnlich, leibhaftig Gegebene erfahre, nannten
der Wahrnehmung »angeschaut«. Dies- »Angeschautsein« wollen wir Anschauung. Nun wußte ich aber doch, meinte ich
wir als passende Bezeichnung für die durch die sinnliche Ge- doch, daß das, was mir gegenüberstand, eben »Tonscherbe«
gebenheit der Farbe vermittelte leibhaftige Gegebenheit des war. Dies »Tonscherbe sein« kann nicht angeschaut werden,
Dinges selbst einführen. , es kann gemeint werden. Meinen ist etwas anderes als an-
Dann ist aber hiermit die Beschreibung der Wahrnehmung schauen. Wiederum war es auch ein Meinen eigener Art, eng
noch nicht erschöpft. Es fehlt ein eigenartiges Moment, das verbunden mit dem Anschauen. Hätte mir jemand gleich zu
mir von großer Wichtigkeit erscheint für die Wahrnehmung Anfang gesagt: Was ich da sähe, sei eine Speckschwarte, so
selbst, ja was jeder Wahrnehmung erst das eigentümliche Licht hätte ich wohl gewußt und auch - in gewissem Sinne
gibt, ohne welches jede Wahrnehmung, um mit Kant zu reden, - gemeint, daß es Speckschwarte und nicht Tonscherbe
blind wäre und das mit sinnlicher Gegebenheit nichts zu sei ; trotzdem hätte ich - auf andere Weise - weiter das
schaffen hat. Wir wollen dies Moment nur bezüglich des Ding als Tonscherbe gesehen, weiter gemeint, daß es Ton-
Dinges selbst untersuchen, obwohl etwas ihm analoges sich scherbe sei, solange ich nicht eben selbst »gesehen« hätte, daß
auch gewiß schon bei dem, was Dinge darstellt, der Farbe es >>Speckschwarte« sei. Es handelt sich also hier um zwei
dem Ton finden läßt. Denn wenn dies auch der fall ist, so verschiedene Arten von Meinen, die wir in diesem fall über-
hat dies Moment bei Farbe, Ton doch für die Wahrnehmung ~ raschend deutlich neben einander haben und mit einander ver-
des Dinges nicht diese Bedeutung, sondern gewinnt erst Be- gleichen können. Bezeichnen wir das eine mit >>sehend meinen«,
deutung, wenn man Farbe selbst, Ton selbst, ohne Rücksicht wenn wir nämlich den Gegenstand als Tonscherbe sehen, das
darauf, daß sie darstellen, untersucht. andere als »urteilend meinen«, wenn wir nämlich zugleich
Wir meinen hier die Idee in der Wahrnehmung. Mit wissen, daß wir verkehrt sehen.
Idee bezeichnen wir es im Anschluß an Plato. Wir könnten Im >>sehend meinen« sind wir auf den Gegenstand schlicht
statt Idee auch Begriff oder Wesen sagen. Wir wollen nun , bezogen. Er steht als >> Tonscherbe« vor uns. Es ist nicht so,
zuerst zeigen, wie man diese Idee in der Wahrnehmung findet, daß irgend etwas vor uns steht, und wir dies etwas als Ton-
wie man sie sich zur Gegebenheit bringt. scherbe rekognoszieren, sondern in einem Schlage steht uns
Wir müssen hier wieder auf die Illusion zurückgreifen, 9*
132 133
das »Tonscherbesein« mit dem Gegenstande, der »Tonscherbe« trennen. Man kann keinen fall herstellen, wo etwas nur
ist, gegenüber. sinnlich, ohne seine Idee, gegeben wäre und dann zeigen, wie
Man muß sich hier aber davor hüten, das, >>als was« der die Idee dazu kommt; sondern sinnliche Gegebenheit und Idee
Gegenstand gesehen wird, mit dem Gegenstand selbst zu iden- ist in jeder Wahrnehmung untrennbar verbunden; man kann
tifizieren - zu sagen, man könne hier nichts mehr unter- sie nur gedanklich trennen. Die Idee geht dem sinnlich Ge-
scheiden; was einem gegenüberstehe, seiCder Gegenstand und gebenen nach bis in die letzte individuelle Ausgestaltung. Man
sonst nichts. Damit wird man der Sachlage nicht gerecht. kann sich schwer auch nur einen Begriff davon machen, was
Man nimmt den Gegenstand wahr; damit ist der Einheit in das sinnlich Gegebene ohne Idee wäre. Es kommt zum sinn-
der der Gegenstand vor uns steht, ihr Recht geworden. Aber lich Gegebenen als sinnlich Gegebenen nichts hinzu, indem
in der Wahrnehmung kann man das >>Anschauen« wieder die Idee hinzukommt, weder sinnliches Material noch formen
trennen vom >>Meinen<<. Mit dem »Anschauen« faßt man die des Materials. Deshalb ist es auch gewagt zu sagen, daß sie
sinnliche Gegebenheit des Dinges; das »Meinen« aber geht das Licht sei, das sich in der Wahrnehmung über den Gegen-
nicht direkt auf das Ding. Man meint nicht das Ding, sondern stand ausbreite, oder daß sinnliche Anschauung ohne Begriffe
man meint es >>als« Ding, von der oder der Beschaffenheit. blind sei. Und deshalb ist t>'> auch so sehr schwer zu sagen,
Das >>Meinen« bezieht sich auf das, als was das Ding gemeint welche Bedeutung die ·Idee für die Wahrnehmung habe, was
wird, auf das >> Tonscherbesein«. sie für die Wahrnehmung dt>s Gegenstandes leiste.
Wie nun der Wahrnehmung das Ding entspricht, wie Trotzdem glauben wir, die Idee genau bestimmen zu
dem >>Anschauen« das sinnlich Gegebene entspricht, so ent- können und wollen das jetzt versuchen. Das, als was uns
spricht dem >>Meinen« die Meinung, die man von dem Dinge etwas gegenübersteht, ist nicht zu verwechseln mit der Gattung,
hat oder besser, die Idee, der Begriff vom Dinge. Das sinn- unter der das Ding steht. Wir haben zwar gesagt, das Ding
lich Gegebene wird durch eine Idee hindurch wahrgenommen; stehe uns als >> Tonscherbe«, gegenüber - damit ist nicht ge-
damit steht das Ding als wahrgenommen vor uns. meint, daß es uns unter der Gattung Tonscherbe gegenüber-
Wir erinnern hier wieder daran: Im Gebiete des sinnlich stehe. Denn das, als was es uns gegenübersteht, was wir von
Gegebenen befindet man sich, wenn man Farben vor sich hat. dem Dinge meinen, bezieht sich auf die letzte Individualität
und das, was Farben als sinnlich Gegebenes darstellen, Raum- . des Dinges; eine Meinung haben wir von allem, was .uns vom
haftigkeit, Dinghaftigkeit, Charaktere von . Dingen. Im Gebiete Dinge gegenständlich ist, auch von seinen letzten Besonder-
des Begriffs, der Idee befindet man sich, "Yenn man dem, als heiten. Insofern drückt » Tonscherbe« die Idee, die wir vom
»was« das Dargestellte aufgefaßt wird, sich zuwendet, wenn Dinge haben, nicht genau aus. Aber ein passendE''> Wor( fehlt
man sich darauf besinnt, daß man stets eine Meinung von uns. Wir müßten einen Eigennamen haben, wenn wir die
dem Dargestellten hat. Idee ausdrücken wollten, die wir hatten, als wir die Tonscherbe
Die große Schwierigkeit, die einer weiteren Verdeumchung sahen. Aber einen Eigennamen nicht für das Ding - sondern
dieses Unterschiedes von Idee und sinnlich Gegebenen ent- für die Idee, die zum Dinge· gehört. Also nicht einen Eigen-
gegensteht, besteht darin, daß das übliche Mittel der Ver- namen wie Müller oder Köln. Hätten wir· aber für die Ton-
deutlichung hier, wie so oft bei phänomenologischen Unter- scherbe, die wir sahen, einen Eigennamen, so könnten wir
suchungen, fehlt. Man kann nämlich beides nicht faktisch sagen, Idee von diesem Dinge X, wie wir sagen können,. Idee
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von Müller, Idee von Köln. Damit hätten wir das, als was ein wenig, aber sie· wird übersehen. Wir können auch die
uns der Gegenstand gegenübersteht, ausgedrückt. ganze Welt, die wir so am Himmel sehen, auswischen, -
Eine solche Idee gibt es niin von jedem Ding, das wir nicht mit einem Schlage, aber langsam zerfällt die Welt als-
deutlich wahrnehmen und ohne diese Idee können wir kein dann: Und nun können wir eine beliebige neue Welt daraus
Ding wahrnehmen. Man kann dies leicht konstatieren, wie machen. Eisschollen, Kristallhöhlen, Gewänder, wie es gerade
man jegliches, was einem auf der Straße begegnet,~ unter seiner paßt, nicht schrankenlos, aber doch mit großer Freiheit der
Idee wahrnimmt, wie man von allem eine Meinung hat. Dies Bewegung. Und wieder können wir den Blick wenden und
wird zumal deutlich, wenn man sich gelegentlich irrt, wenn jetzt das sehen, was wirklich da ist, Wolken 1).
man etwas unter einer Idee sieht, die ihm nicht zukommt. So Hier kann man nun konstatieren, wie die Meinung wechselt,
ging es uns mit der Tonscherbe, die sich als Speckschwarte wenn man erst ein Ungeheuer, dann eine felsenpartie, dann
herausstellte. In erster Linie wechselt hier zwar der Gegen- bloße Wolken sieht. Hier besteht ja eine gewisse Freiheit in
stand, aber damit verbunden ist der Meinungswechsel, der dem, was man in dem Gegenständlichen sehen will. Man
Wechsel dessen, >>als was« man das, was vor einem steht, kann an das Gegenst'indliche herantreten und sich vornehmen,
auffaßt. Und in diesem Wechsel erfaßt man das, was »Idee« jetzt will ich es als felsenpartie, jetzt als Ungeheuer sehen.
ist, verhältnismäßig noch am leichtesten, obwohl man hier Dabei darf man aber nicht glauben, daß das, was man heran-
auch nicht die »>dee« für sich zu sehen bekommt. bringt an das Gegenständliche, das, als was man ~'"sehen will,
Einen anderen Zugang zur Idee gewinnt man, wenn man identisch sei mit der Idee, unter der man es bei günstiger
sich erinnert, wie man wohl mit den Wolken spielt. Wenn Gelegenheit dann wirklich sieht. Denn die Ausgestaltung im
wir Wolken am Himmel betrachten, so treibt unsere Phantasie, einzelnen vollendet sich erst im Sehen und dementsprechend
wie man gemeinhin zu sagen pflegt, bald ihr Spiel mit den erscheint die Idee erst ganz, wenn wir das Gebilde, das wir
Wolken. Wir sehen bald ungeheure Gebirge mit Schnee be- sehen wollen, vor uns haben. Erst dann ist die dem Gebilde
deckt und tiefe Täler, bald verwitterte Felsen, bald richtige entsprechende Idee vorhanden, wenn es bis auf die letzte Mo-
Ungeheuer, menschen- oder · tierähnlich. Dabei vollzieht sich difikation fertig vor uns steht. Das, womit wir an das Gegenc
ein formen, das sich anscheinend an' dem Gegenstand betätigt, ständliche herangehen, ist hier etwas allgemeinf'<>, das nicht
diese Wolke dahin zieht, von einer andern W ol:Ke abzieht, mit der Einzelidee verwechselt werden darf. Allerdings scheint
um das vierte Bein für das Ungeheuer herauszubekommen; es mir, als ob die Einzelidee das Mittel ist, vermöge dessen
die Verbindung dieser tierähnlichen Wolke mit den andern überhaupt die Gattung sich auf Dinge anwenden läßt. Aber
Wolken löst, obwohl sie an sich zu den andern Wolken zu es ist doch sehr die frage, ob die Gattung mit dem Gegen-
gehören scheint. Ein leerer Zwischenraum wird »übersehen«, stande selbst auf einer Stufe steht oder mit der Idee von dem
beiseite geschoben. Indem wir lösen, trennen, zusammenfassen, Gegenstande. ·Es wäre ja möglich und fast scheint es mir so,
entsteht erst der Gegenstand in roher form, aper als wahr-
genommener am Himmel. Die Schattierung der Wolke wird
1) AUe diese Gegenstände können wir. nach einander sehen,
benutzt, um Perspektive in das Bild hineinzubekommen, un- ohne daß sich das geringste zu ändern braucht in dem Material.
bequeme Schattierung wird beiseite geschoben, ungedeutet ge- Insofern wäre dies Beispiel auch da, wo wir über die Ordnung der
lassen; sie ist dann im direkten Gesichtsfeld enthalten, sie stört Farbe sprachen, zu verwenden gewesen.
136 137

daß es auch zu der Gattung wcieder eine Idee gäbe, wie in dieser Art etwas unter Mensch, Kuh, ;Stein. Solche Sub-
zu dem einzelnen Gegenstande; daß es, wie es zu dem sumtionen nehme ich bei gewöhnlichen Wahrnehmungen selten
einzelnen. Menschen eine Idee gibt, ,auch zu dem - der vor. Aber wenn ich nicht weiß, was ein Ding eigentlich ist,
Mensch überhaupt - eine Idee gäbe, daß also der Mensch das ich vielleicht unvollständig, verdeckt, getrübt sehe, so be-
überhaupt der allgemeine Gegenstand zum Einzelmenschen mühe ich mich, es zu subsumieren, es in die Gattung hinein-
wäre. zubringen, worunter es gehört und vollziehe eine Subsumtion,
Sicher ist jedenfalls, daß erst die Einzelidee die Möglich- wenn nicht mit Worten, so doch in Gedanken.
keit gibt, allgemeine Ideen auf die Gegenstände anzuwenden. Wenn ich nun so einen Gegenstand schlecht wahrnehme,
Und damit sind wir bei einer fundamentalen Funktion der so kann ich entweder durch Schlüsse, auf Umwegen, unter
Einzelidee angelangt. Sofern Wissenschaft Gesetzmäßigkeiten Zuhilfenahme der Erfahrung dazu kommen, daß ich das Ding
nachgeht, ermöglicht die Einzelidee Wissenschaft. Sie bildet subsumiere. Ich kenne z. B. Diamanten und Glassplitter nicht
die Grundlage fllr jede wissenschaftliche Bearbeitung der Ding- auseinander, nehme aber doch ohne weiteres an, daß die
welt. Ohne sie wäre es unmöglich, von den letzten Indivi- Splitter, die ich auf dem Kehrichthaufen sehe, Glassplitter sind.
dualitäten zu Gesetzen zu kommen. Diese Subsumtion hat zweifellos keine echte Wahrnehmung
Aber das wollen wir nur im vorbeigehen sagen. Zuerst zur Grundlage. So gibt es andererseits Subsumtionen, die erst
müssen wir noch näher die Einzelidee bestimmen. Während auf Umwegen auf eine echte Wahrnehmung zurückgehen. So,
man den Gegenstand, das Ding, beobachtet, sieht man die Idee wenn man an der Färbung der Magenwände feststellt, ob je-
nicht, »sehen« natürlich bildlich genommen. Die Idee wird mand an irgend einem ätzenden Gift gestorben ist. Auch
irgendwie gebraucht in der Beobachtung, sie ist aber nicht hier sieht man das Gift ja nicht, an dem der Mensch gestorben
gegenständlich. Das Schicksal teilt die Idee ja mit allem, was ist, sondern nur Wirkungen des Giftes oder sonst etwas.
zur Wahrnehmung gehört, was die Wahrnehmung aufbaut und So mag es noch viele Möglichkeiten geben, einen Gegen-
doch nicht gegenständlich ist, wie wir es ja ausführlicher bei stand begrifflich zu bestimmen. Aber eine Bestimmung gibt
den Reflexen und andern Lichtgebilden behandelt haben. Wie es, die sich gar sehr von allen diesen unterscheidet und die
diese nun sinnlich angeschaut werden können und festgestellt uns deutlich machen kann, was wir unter Idee verstehen ; es
werden kann, welche Rolle sie für die Wahrnehmung des ist die Bestimmung, die sich unmittelbar an die Wahrnehmung
Gegenstandes spielen, ähnlich kann die Idee auch zum Be- des zu bestimmenden Gegenstandes anschließt. Ein Beispiel
wußtsein gebracht werden, natürlich nicht sinnlich angeschaut mag näher erklären, wie wir dies meinen.
werden, denn sie ist ja nichts sinnliches. Und es kommt nur Ich schlief in einem Hotel. Die Decke des Zimmers war
darauf an, möglichst genau die Wege a~zugeben, wie man so geweißt. Als ich morgens aufwachte, fiel mein Blick auf einen
zur Idee kommen kann. hellen Fleck an der Decke. Ich sah - in Zwischenräumen -
Es ist gebräuchlich, von Subsumtion eines Gegenstandes längere Zeit nach diesem Fleck, konnte ihn aber weder als
unter seinen Begriff zu reden. Gewiß ist das eine phänome- Kalkfleck noch als Widerschein der Sonne wahrnehmen. Ich
nologisch noch wenig geklär(e Sachlage. Andererseits ist dies wußte, eins von beiden konnte er nur sein. Ich sah die
die Sachlage, deren Vorhandensein am wenigsten bestritten ist. Helligkeit dieses Fleckes deutlich, das Zimmer war ziemlich
Nur was Begriff hier ist, ist sehr bestritten. Ich subsumiere hell; aber ich konnte den Fleck nicht deutlich wahrnehmen.
138 139

Das, was ich sah konnte der Fleck nicht sein, denn ich konnte Farbe u. s. w. Diese stellte mir dann den Kalkstrich dar. Aber,
ihn weder als Lichtfleck noch als Kalkfleck sehen, noch irgend- ich meine, von diesen Veränderungen kann man leicht unter-
wie sonst als Gegenstand, und er mußte doch eins vc:m beiden scheiden die Änderung, daß jetzt die Idee hinzutritt, daß man
sein. Die Sachlage war auch nicht so,' daß ich ihn abwechselnd plötzlich weiß, was das ist, was man beobachtet und ferner,
als Licht- und Kalkfleck sah, sondern ich sah ihn unbestimmt. daß man dies in der Wahrnehmung weiß - nicht in einem
Daher konnte ich ihn auch weder unter den Begriff »Licht- besonderen Akte. Vorher war auch schon eine Idee vorhanden
fleck« noch unter den Begriff »Kalkfleck« bringen, obwohl ich - was ich sah, sah ich als etwas hellweißes - aber diese
deutlich sah, daß dort etwas weißes war, das nur Lichtfleck Idee erschöpfte das nicht, was da sein mußte; denn abgesehen
oder Kalkfleck sein konnte. von dieser Qualität »hellweiß« war der Gegenstand unbestimmt.
Hätte ich gewußt, daß es ein Kalkfleck war, so hätte ich Diese Unbestimmtheit verlor sich plötzlich, als ich den Vorhang
das, was- ich sah, wohl darunter subsumieren können, aber ich aufzog; aber die Ünbestimmtheit war vorhanden; was ich sah,
hätte es doch nicht als Kalkfleck gt>'5ehen. (Wir brauchen hier hätte sich ebensowohl zu etwas anderm entwickeln können.
wohl kaum zu erwähnen, daß ich möglicherweise, wenn ich Aber es mußte sich zu irgend etwas entwickeln. So wie ich
dies gewußt hätte, den Fleck auch richtig gesehen hätte. jeden- es sah, konnte es nicht sein und das konnte ich a priori fest-
falls ist das nicht sicher.) Dann hätten wir also den Fall - stellen. Dem liegt eine der merkwürdigsten Erscheinungen der
ich sehe etwas und subsumiere e'5 auch richtig, aber nicht allein Wahrnehmung zu Grunde. Wie kann ich zu einer solchen
auf Grund einer Wahrnehmung, sondern unter Zuhilfenahme Feststellung kommen; ich kenne doch nicht alle Gegenstände,
von Erfahrung; denn ich sah dies etwas ja deutlich genug, und kann trotzdem sagen, einen solchen Gegenstand, wie ich
um es in seiner Identität festzuhalten. Als ich die Vorhänge ihn hier vor mir habe, gibt es nicht. Wäre es denn nicht
nun aufzog - die Sonne schien durch das ,Fenster - sah möglich, daß ich hier zum ersten Male einen mir noch durch-
ich, daß es ein Kalkfleck war, ein breiter, länglicher Pinselstrich. aus fremden Gegenstand gesehen hätte? Weshalb ist das aus-
Ich sah jetzt die trockene helle Kalkfarbe, die Kalkspritzer, die geschlossen? Es ist ausgeschlossen, weil das, . was vor mir
sich an beiden Enden des Striches zeigten. Die eigentümliche steht, der inneren Bestimmtheit entbehrt, vieldeutig ist. Von
trockene Kalkfarbe sah ich. jetzt subsumierte ich also wieder, allem was ist, aber fordere ich, daß es bestimmt eindeutig ist.
· aber diesmal allein auf Grund einer unmittelbaren Wahrneh- Wie komme ich nun dazu, der Wirklichkeit solches Ge-
mung. jetzt sah ich nicht nur, daß es ein Kalkfleck war, was . setz vorzuschreiben, diese innere Bestimmtheit Eindeutigkeit von
da an der Decke war, sondern ich sah es als Kalkfleck oder ihr zu verlangen und vorher, was bedeutet diese innere Be-
noch enger, ich sah den bestimmten Kalkfleck in seiner Idee, stimmtheit, Eindeutigkeit.
eindeutig bestimmt. jetzt wußte ich, was das war, was ich Blicken wir noch einmal zurück: Die Dinge, die wir deut-
lange beobachtet hatte. lich sehen, erfüllen diese Forderung, die wir an sie stellen.
Nun ist hier wohl zu beobachte_n: Die Anschauung, das Sie sind eindeutig bestimmt, sie enthüllen sich vor uns und
in der Anschauung sinnlich Gegebene veränderte sich auch. sagen : So sind wir, dies Wesen haben wir. - Das, was wir
Diese Veränderung ist schwer zu beschreiben. Aber sie ist undeutlich sehen, verhüllt uns sein Wesen. Wir können nicht
vorhanden. Dann ging die Farbe,- als die Vorhänge zurück- ausmachen, was es ist; es steht mehrdeutig vor uns. Es kann
geschlagen waren, in Formen ein, in die Form der anhaftenden ein Haus, eine Bretterhütte, ein Busch sein, aber so, wie es
(/

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vor uns steht, ist es noch nichts von allem. Hier liegen noch haupt nicht oder nur vage bestimmen und wahrnehmen. Denn
alle Möglichkeiten offen. Was aber deutlich vor uns steht, dies Chaos hat an keiner Idee teil. Höchstens läßt es sich
dem sind alle weiteren Möglichkeiten abgeschnitten; es gibt mit Mühe unter gewisse Ideen des Kosmos bringen, ohne daß
sich eindeutig, es kann sich nicht mehr in der Wahrnehmung diese Ideen das Chaos ausschöpfen.
entwickeln. Sofern wir aber das Chaos, etwa die Dunkelheit, wahr-
Innerlich bestimmt, eindeutig ist also etwas, wenn es sich nehmend näher zu bestimmen versuchen, finden wir, daß jede
vor unsern Augen auf eine bestimmte Art zu sein, auf ein so Bestimmung eine Vergewaltigung .des Chaos ist, daß das Chaos
oder so sein, auf Tonscherbesein, Speckschwartesein, festgelegt sich gegen jede Bestimmung stemmt, daß nicht irgend eine
hat. Damit ist es an diese Bestimmtheit gebunden. Es kann Bestimmung richtiger ist als die andere. Man kann dies leicht
sich jetzt verändern, aber nur von dieser Basis aus. Es kann an dem Schwarz, das man um sich hat, wenn man die Augen
nicht zu etwas »anderem« werden, ein anderes Wesen annehmen. schließt, oder an dem Dunkel der Nacht ausprobieren. Und
Tut es das, so wissen wir, in einer Art betrügt uns das Ding. wendet man sich von hier zur Dingwelt, so ist es unmöglich,
Es kann nicht Speckschwarte und Tonscherbe sein, weder zu- die Bestimmtheit und Eindeutigkeit, in der diese bei der deut-
gleich noch nach einander. Es kann nur eins von beiden sein. lichen Wahrnehmung vor uns steht, zu übersehen.
Stellt es sich trotzdem in der Wahrnehmung nach einander Und forscht man dann weiter, woran dies liegen mag,
erst als Tonscherbe, dann als Speckschwarte vor uns hin, so da ja hier wie dort Sinnliches - Farbe - gegeben ist, so
fassen wir dies nicht als Veränderung des Dinges, als Ver- findet man, daß das Chaos keine Auffassung als etwas, keine
wandelung des Ding~ auf, sondern erblicken darin eine Täu- Bestimmung als etwas - als Tonscherbe, als Kalkfleck - zu-
schi.mg. Wir streichen die eine Art, in der sich uns das Ding läßt, während der Kosmos diese Bestimmungen in sich auf-
vorstellte, durch und sagen, es ist von Anfang an Speckschwarte nimmt. Und diese Bestimmung ist eine Bestimmung durch
gewesen. Begriffe, Ideen, und zwar durch Ideen, die sich so eng dem
Diese Eindeutigkeit und Bestimmtheit hat das Ding nun, sinnlich gegebenen anschmiegen, daß sie geradezu als Idee
sofern es Tonscherbe, Kalkfleck ist. Das Ding hat in Wirk- · dieses individuellen Dinges, das da vor mir steht, erscheinen.
lichkeit dies Wesen, es nimmt an dieser Idee »Tonscherbe« In dieser Idee nehme ich das Ding wahr, unter dieser
»Kalkfleck« Teil. Sofern es als etwas Sinnliches diese Idee Idee fasse ich es auf. Das ist nicht so zu verstehen,· als ob
verkörpert, sofern ist es eindeutig und bestimmt. Die Idee ist ich hier das Ding und dort die Idee hätte, sondern ich nehme
nich~ ein Abbild des Dinges, etwas sekundäres, sondern sie das Ding in seiner Idee wahr. Ich sehe nicht zweierlei, habe
gehört einer nicht sinnlichen Sphäre an und ist dort etwas auch nicht zweierlei vor mir, sondern habe das Ding in
selbständiges. Die sinnliche Welt aber wird erst zur Welt, seiner Idee vor mir. Weshalb ich mir auch keine Vorstellung
zum »Kosmos«, zu etwas eindeutig bestimmtem, sofern sie davon machen kann, was das Ding ohne seine Idee noch sein
fähig ist, die Idee zu verkörpern, in sich aufzunehmen. Stellt möchte.-
sie sich so vor uns hin, daß sie die Idee nicht aufnimmt, so Wir sind nicht in der glücklichen Lage des Natutforschers,
ist sie nicht Welt, Kosmos im richtigen Sinn, sondern Chaos, der dem Leser eine Photographie des Gegenstandes, den er
wie in der Dunkelheit, in der Entfernung, in der Dämmerung, untersucht, aufweisen kann. Alles was wir können besteht
unbestimmt und vieldeutig. Das Chaos können wir über,. darin, daß wir den Leser in Lagen hineinversetzen, wo die
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Idee auffälliger wird, als in der gewöhnlichen Wahrnehmung.


Kap. II. Die Stellung der Idee in der Wahrnehmung. Das
Solange Menschen wahrnehmen, gebrauchen sie Ideen. dazu
und doch ist es unendlich schwierig, sicher auszumachen, was Verstehen in der Wahrnehmung.
diese Idee eigentlich ist, sie vor Umdeutungen, Verwechselungen Wenn wir nun die Idee selbst bestimmen wollen, so
zu schützen. können wir nicht daran denken, sie zu beschreiben, wie wir
Wenn ich ein Dtng wahrnehme, nehme ich es als etwas Dinge beschreiben. Die Idee hat nicht Eigenschaften wie das
oder was damit gleichbedeutend ist, unter einer Idee wahr. Ding sie hat. Sie verändert sich nicht, wie das Ding sich
Ich habe eine bestimmte Meinung, eine Idee davon. In dieser verändert.
Idee kann ich m_icht täuschen. Das Ding kann unter einer Aber doch läßt sich einiges über sie ausmachen. Das
andern Idee stehen, als unter welcher ich es wahrnehme; so Ding ist in der Zeit, es mag im gewissen Sinne ewig sein,
wenn ich es für Tonscherbe halte, während es Speckschwarte indem alles, was mit ihm vorgeht, nur Veränderung des Dinges
ist. Es wäre Unsinn, diese Idee für etwas psychisches zu halten, ist. Aber indem es sich verändert, gibt es einen Zustand auf
und zwar Unsinn in dem Maße, daß es schwer ist, darüber und diesen Zustand bringt keine Ewigkeit zurück, vielleicht
überhaupt zu diskutieren. Wie soll das, als was ich etwas einen gleichen oder ähnlichen Zustand, aber nicht denselben.
wahrnehme, psychisch sein. Es ist das Wesen oder die Idee Die Zigarre, die ich hier geraucht habe, ist diese Zigarre ge-
des Dinges und hat mit dem psychischen nirgends und nie wesen, sie ist es jetzt nicht mehr. Ich kann mich an sie er-
etwas gemein. Nur wer mit diesem Schema - alles was ist, innern - aber wenn ich gestorben bin, dann ist sie auch in
ist entweder psychisch oder physisch - in die Philosophie der Erinnerung nicht mehr. Ich kann sie malen, photographieren
eintritt, kann je auf den Gedanken kommen, daß das, als was lassen, aber einmal wird auch ihr Bild zerstört werden - kurz,
ich etwas wahrnehme, etwas psychisches sei. Eine andere Er-· es wird eine Zeit kommen, wo von ihrem Zigarrensein nichts
klärung für eine solche Behauptung ist nicht zu finden. mehr Kunde gibt. Aber die Idee, die diese Zigarre verkörpert,
Ebenso wenig diskutierbar ist es, wenn man die Idee für ist ewig und ungestorben. Das, als was ich sie auffasse, wahr-
etwas physisches erklärt. Das, wofür man etwas hält, ist nicht nehme, brennt nicht auf, sondern nur das, was so aufgefaßt,
wieder etwas dingliches oder sonstwie sinnlich gegebenes. Es wahrgenommen ist. Das als was ich etwas auffasse, brennt
ist eben Idee, Begriff, - etwas unsinnliches; und· doch ist es auf, zu sagen, gibt keinen Sinn.
von der größten Bedeutung für die sinnliche Welt. Denn nur Wo bleibt denn aber die Idee, wenn das, was die Ver-
sofern diese an den Ideen teilhat, deren Verkörperung ist, ist körperung der Idee war, zerstört ist! Auch diese frage gibt
sie erkennbar und ist sie überhaupt irgend etwas. Die Idee keinen Sinn. Die Idee hat keine Raumstelle, sie bleibt nicht
ist das, was der Welt erst Sinn gibt, was sie zum Kosmos irgendwo. Sie ist so wenig im Raum, wie in der Seele des
macht. Menschen. Sie ist so wenig Bestandteil der Wahrnehmung,
wie das Ding. Aber wie dieses Gegenstand der Wahrnehmung
ist, so ist die Idee das, als was dieser Gegenstand in der
Wahrnehmung aufgefaßt wird. Auch wenn der Gegenstand
wahrgenommen wird, ist die Idee nicht da, wo der Gegenstand
steht. Aber ich habe sie dann doch in gewissem Sinne vor
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mir, vor meinem Bewußtsein. Sie geht dann in mein Bewußt- ste m unser Bewußtsein eindringt, oder nach einem sinnlichen
sein ein, nicht als ob sie Bestandteil des Bewußtseins würde, Organ zu suchen. Das »Verstehen« ist etwas durchaus eigen-
sondern so, daß sie bewußt, gewußt wird. artiges, das von dem gegenüberhaben - empfinden durchaus
Damit haben wir die beiden Stellen, wo die Idee mit dem verschieden ist. Nur dadurch daß man die Ideen Platos immer
Sinnlichen in Berührung tritt; zuerst nämlich tritt sie mit dem wieder mit den sinnlichen Augen zu sehen versucht hat, ist
Ding in Berührung, welches sie verkörpert, welches an ihr teil zu erklären, daß man Plato nie gerecht geworden ist. Was
hat. Dann tritt sie mit dem Bewußtsein in Berührung, welches man versteht, kann man nicht empfinden, nicht sehen, hören,
die Idee weiß. Aber beide Berührungen sind der Idee zufällig. tasten; dafür· »versteht« man es.
Die Berührung mit dem Bewußtsein, denn sie ist Idee, Wesen Nun ist das »verstehen« heute wie immer in emtgem
von dem Dinge, auch wenn das Ding nicht wahrgenommen Ansehen, umgekehrt wie die Idee und der Begriff. Aber man
wird; die Berührung mit dem Dinge, denn sie ist Idee von sucht vergebens nach einer Untersuchung dessen, was »ver-
ihm, auch wenn das Ding zerstört ist, auch bevor das Ding war. stehen" ist.
Die Berührung der Idee mit dem Bewußtsein nun ist Wir müssen jetzt zusehen, ob es etwas, was man mit
abhängig davon, daß das Ding sinnlich gegeben ist; ohne das Recht als »verstehen« bezeichnen könnte, in der deutlichen
Ding wird die Idee vom Dinge nicht bewußt. Aber diese Wahrnehmung gibt. Kann man wohl die undeutliche Wahr-
Berührung mit dem Bewußtsein ist dann anders wie die Be- nehmung als unverständliche, die deutliche Wahrnehmung als
rührung des Dinges selbst mit dem Bewußtsein. Während ich verständliche bezeichnen und inwiefern! Mir scheint, man
das Ding beobachte, beobachte ich nicht die Idee. ja man kann es mit gutem Sinn. Ähnlich wie eine verworrene Er-
kann die Idee überhaupt nicht beobachten wie das Ding. zählung als unverständlich bezeichnet wird, ist die Wahrnehmung
Durch die Idee wird das Ding aufgefaßt - aber indem man des Entfernten, der in Dämmerung eingehüllten Welt unver-
das Ding auffaßt, wird die Idee nicht aufgefaßt. In der Art ständlich. Aber die deutliche Wahrnehmung versteht man, wie
wie das Ding kann mir die Idee nicht gegenüber stehen. Das man eine gut vorgetragene Erzählung versteht.
Verhältnis des Bewußtseins zum Dinge ist anders wie das So wie man die Idee nicht wahrnehmen kann, kann man
Verhältnis des Bewußtseins zur Idee. Und doch muß es mög- das Ding nicht »verstehen«. Wenn ein Verständnis in der
. lieh sein, die Art, in der die Idee selbst, die in jeder Wahr- Wahrnehmung liegt, so kann sich dies Verständnis nicht auf
nehmung vorhanden ist, in ihr ist, uns näher zu bringen. das Ding beziehen, sondern nur auf den Begriff, die Idee des
Und da scheint es mir, als ob bezüglich der Idee eine Art Dinges. Das Ding wird aufgefaßt als Tonscherbe, aber dies
»verstehen« in der Wahrnehmung enthalten ist. Man versteht »Tonscherbe« wird verstanden, mit dem Verständnis erlaßt.
die Idee, aber nicht das Ding, welches die Idee verkörpert. Dabei ist immer zu beachten, daß dies »auffassen als« ein
Damit erklärt sich auch, daß man, indem man auf das Ding c.. unglücklicher Ausdruck ist; denn dieser Ausdruck wird der
st!lrrt, nie die Idee sich zu Gesicht bringen kann. Man muß Einheit, in der das Ding durch seine Idee erlaßt wird, nicht
vielmehr auf dies »verstehen« achten, . das »Verstandene« ist gerecht. Aber auch der Ausdruck »in der Idee erfassen« ist
dann die Idee, so wie das Ding das Wahrgenommene ist. nicht viel besser und auch wieder mißverständlich.
Und hiermit wird dann auch klar, wie unsinnig es ist, bezüg- Man kann vielleicht das Wort »verstehen« sowohl auf das
lich der Idee nach Strahlen, Schwingungen zu suchen, wodurch Ding wie auf »Begriff, Idee<< anwenden, aber iri etwas ver-
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schierlenem Sinne. Auf den Begriff angewandt bedeutet es, Man hat oft versucht, einen Einblick darin zu gewinnen,
daß ich den Begriff habe, wie ich eben einen Begriff in meinem wie sich der Fortschritt von dem, was wir unverständliche
Bewußtsein haben kann. Auf das Ding angewandt heißt es, Wahrnehmung nennen, zu der verständlichen Wahrnehmung
daß ich das Ding verstehe, indem ich den richtigen Begriff vollzieht. Es scheint sicher, .daß die Wahrnehmung des Neu-
von ihm hab~. Den Begriff kann ich. dann nicht in der Weise geborenen, des operierten Blinden unverständlich ist und es
verstehen, wie das Ding. fragt sich, auf welche Weise der Neugeborene zu der verständ-
Wenn nun aber auch der Begriff in eigener Zuwendung, lichen Wahrnehmung kommt. Man erklärt das mit dem Worte
im Verstehen erfaßt wird, so ist es doch nicht so, daß man »Erfahrung«. Die Erfahrung soll aus der unverständlichen
ihn in dieser Zuwendung weiter behalten könnte, wenn die Wahrnehmung die verständliche machen. Was aber Erfahrurig
Wahrnehmung vorüber ist. Mit der Wahrnehmung schwindet sei, damit hält man sich nicht lange auf ; aber man meint doch
auch das Verstehen dieser Art, daß wir jetzt behandeln. Es damit, daß sich langsam die verständliche Wahrnehmung in
scheint uns wahrscheinlich, daß es in einer Modifikation wieder vielen Zwischenstufen aus der unverständlichen entwickelt.
ins Bewußtsein zurückgerufen werden kann, daß das Verstehen, Nichts scheint mir verfehlter, als diese Theorie. Alles lernen
das wir behandeln, zusammenhängt mit dem, was Husserl - und wir lernen in dem Sinne täglich - ist Erleuchtung.
»ideale Bedeutung« nennt, aber die Bedeutung ist etwas anderes Es ist ein Hineinspringen in die Wahrheit, ein Verstehen.
als der Begriff, durch den etwas aufgefaßt wird. Vielleicht ist Dabei von Stufen zu sprechen, gibt keinen Sinn. Man kann
die Sachlage so, daß auch diese Bedeutung unentwickelt in immer angeben, wo einem zuerst das Verständnis für eine
jeder Wahrnehmung schon ihre Rolle spielt und nur nicht Sachlage aufgegangen ist, wo man zuerst einen Zipfel der
bemerkt wird, weil sie dem Bewußtsein am nächsten sitzt, und Wahrheit erfaßt hat. Natürlich meinen wir hier nicht das
daß sie in einer engen Beziehung zur Idee steht, deren Be- sinnlose Lernen von Versen. Es ist ja bekannt, daß man als
deutung sie· ist. Es scheint uns dann so, als ob diese Be- Kind Verse auswendig »lernt«, ohne sie zu verstehen. Oft
deutung das letzte ist, was von der Wahrnehmung am sichersten erinnert man sich später des Verses und versteht ihn jetzt und
und längsten aufbewahrt wird, woran jede Erinnerung an die weiß zugleich, daß man ihn bis dahin nicht verstanden hat.
Wahrnehmung sich wieder aufbaut. Dieses sinnlose Lernen wollen wir also beiseite lassen. Aber
Die Wahrnehmung, in der etwas verstanden ist, ist damit jedes Lernen, wo es einem um verstehen zu tun ist, jedes
an ihrem Ziel angelangt. Es wäre ohne Sinn, mehr von der Begreifen vollzieht sich nicht in Stufen, wird nicht durch end-
Wahrnehmung zu verlangen oder sich eine Wahrnehmung lose Wiederholungen erreicht, sondern es vollzieht sich plötz-
auszudenken, die mehr leistete 1). lich. Man weiß nicht, woher das Verstehen kommt; es ist
Solange die Wahrnehmung unverständlich ist, ist sie nicht mit einem Schlage da. Man versteht nicht, wie man es so-
Wahrnehmung im echten Sinne; wenn sie verständlich wird, lange übersehen konnte, man empfindet es wie eine Offen-
ist sie echte Wahrnehmung - damit streift sie alles mensch- barung, Erleuchtung. Das ist die Berührung mit den Ideen,
liche ab und erhält Gültigkeit. die sich hier im Verstehen vollzieht. Und sie mag in der Tat
eine Offenbarung sein, denn die Ideen gehören einer andern
1) Vgl. hierzu Husserl Ausführungen über signitives Denken Welt an als die Sinnlichkeit, der sie erst Sinn geben ..
und Erfüllung in den logischen Untersuchungen Bd. II Buch V. Wir meinen, daß jeder, der je geistig gearbeitet hat, diese
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Offenbarung, diese Berührung mit den Ideen täglich und stünd- unvollkommen verstehen. Sogar in der Mathematik ist eine
lich empfindet, in der einfachen Wahrnehmung der sinnlichen Fülle von Irrationellem, Unverständlichem; aber das berührt
Welt, in mathematischen Forschungen, kurz in allen Gebieten nicht das, was wir davon verstanden haben. Wir mögen uns
der Wissenschaften. gelegentlich täuschen, glauben, zu verstehen, wo wir nicht
Es ist, als ob das zu erkennende eine Art Vexierbild ist. verstehen, verkehrt verstehen. Aber schon dies verkehrt ver-
Stundenlang können wir darauf sehen, bevor es uns gelingt, stehen ist wichtig. Damit ist etwas festgelegt, bestimmt, und
die menschliche Gestalt, die der Maler da versteckt hat, heraus- · vermöge der Zusammenhänge, die auf allen Gebieten des Er-
zufinden. Dann plötzlich kommt Sinn in die Wahrnehmung kennbaren bestehen, muß es als so bestimmtes mit allem
hinein, wir sehen eine Hand, und damit ist das Schwerste andern zusammenstimmen. Tut es dies nicht, so entsteht ein
vollbracht. Die Hand zieht den Arm, den Oberkörper, Kopf, Widerspruch, der durch genauere Sorgfalt in der Untersuchung
Füße nach sich. Auch hier ist offenbar ein Verstehen vor- beseitigt werden kann. Insofern ist das Verkehrtverstehen un-
handen, wie in jeder Wahrnehmung. Die Wahrnehmung wird endlich viel höher als das Nichtverstehen. Denn mit diesem
hier plötzlich sinnvoll. kann nichts in Widerspruch treten; während jenes überführt
Und anders kann es auch bei dem heranwachsenden Kinde werden kann in Richtigkeit.
nicht sein. Auch für das Kind wird plötzlich ein Moment
kommen, wo es an irgend einer Stelle einen Sinn in dem,
was es empfindet und sieht, herausbekommt, wo es etwas ver-
steht. Und in dem verstehen ist es an das Ziel gelangt. Kap. 111. Das sachliche Verhältnis zwischen Idee und
Damit wird es Licht um das Kind. Das Verstehen gibt sich Sinnlichkeit. Die Grenze. Wie wird die Grenze erjaßt.
selbst als Licht kund. Es liegt in ihm das, was keine Wieder- Grenze bei Fläche, Körper.
holung geben kann, daß hier ein Ziel erreicht ist, daß man Es kommt uns im folgenden darauf an, auseinanderzulegen,
hier Recht hat, wenn man vertraut, daß hier etwas Absolutes. was »Grenze<< sei. Wir verfolgen dabei zwei Ziele. Grenze
ist, auf das man bauen kann. steht für uns im engen Zusammenhang mit dem, was wir
Absolut soll hier heißen, daß es sich hier nicht mehr um Idee nannten, ja, daraus, daß es so etwas wie Grenze gibt,
· etwas menschliches handelt, etwas, das nur für Menschenc.. gilt, ergibt sich für uns die Richtigkeit der vorhergehenden Über-
sondern um etwas, was in Wahrheit so ist, was wir nur an- legungen. Nun ist aber eine andere Meinung über Grenze
erkennen, verstehen können. Damit ist ausgeschlossen jeder verbreitet, die der unsern sich entgegensetzt, indem sie Grenze
Begriff der Entwicklung. Der kuriose Gedanke, als entwickle und Gestalt identifiziert. Wir wollen uns auch mit dieser An-
sich das Erkennen ähnlich wie das organische Leben - und sicht auseinandersetzen.
alles das was er im Gefolge hat, daß das, was wir verstehen, Es gibt nun zwei Arten der Betrachtung, in deneri uns
im Laufe der Zeit einmal unverständlich, unrichtig, sinnlos Gestalt einerseits, Grenze andererseits erscheint. Erstens sind
werden könne, -- ist in sich unsinnig. Wo wir verstehen, da uns beide ohne besondere Zuwendung z. B. bei jedem Farben-
ist jede Änderung ausgeschlossen. Was für uns sinnvoll ist, fleck gegeben. Zweitens können wir der Gestalt und dem
ist auch an sich sinnvoll. Wohl mag in jedem, was wir ver- Begrenztsein unsere besondere Zuwendung schenken, versuchen,
stehen, ein Rest unverstandenes zurückbleiben. Wir mögen sie uns so deutlich wie möglich zu machen, indem wir alles
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andere, was uns gegenständlich ist, vernachlässigen. Wir nehmen zwei aufeinander nicht zurückführbare Begriffe, nämlich Rich-
die zweite Stellung ein. Wir sehen also an der weißgetünchten tung und das, was die Richtung hat. Beide sind von einander
Wand einen großen braunen Fleck, der etwa die Gestalt eines zu unterscheiden. Die Richtung ist die Norm für das, was
Dreiecks hat, nur daß die Seiten nicht ganz gerade sind. Nun diese Richtung einnimmt, die Seife des Dreiecks. Verbieten
richten wir unsere Zuwendung auf die Gestalt, die die von wir uns, das Wort Richtung zu gebrauchen, so ist eine Be-
der braunen Farbe bedeckte Ebene einnimmt. Wir haken schreibung der Sachlage unmöglich. Denn alle die Begriffe,
unsern Blick an einer Ecke ein. Die Ecke ist spitz. Von, vermittels derer wir die Gestalt des Dreiecks beschrieben haben,
hier aus geht er eine kurze Strecke geradeaus nach links, dann wie »gerade«, »Spitz«, »Zickzack«, "eckig« sind von »Rich-
macht die Seite des Dreiecks in einem spitzen Winkel ein!! tung« abgeleitete Begriffe.
Biegung nach außen und geht in einer Art Zickzack eine Dabei ist »gerade« und »Richtung<< wohl dasselbe. Zeigt
, kurze Strecke weiter, abwechselnd nach außen und innen ge- man jemandem eine Richtung etwa mit der Hand, so ist
richtet. ' selbstverständlich, daß man damit die gerade Richtung meint.
Dann wechselt sie die Richtung und biegt kontinuierlich Eine ungerade Richtung setzt sich also in Wirklichkeit
nach außen bis zum Rande der Seite. Hier wechselt die aus mehreren geraden Richtungen, die einen bestimmten Winkel
Richtung ganz und gar, und in einem spitzen Winkel geht es mit einander bilden, zusammen. So könnte man den Kreis
wieder nach unten. Diese Betrachtung können wir fortsetzen, aus unendlich vielen Richtungen, die sich in gleichen Winkeln
bis wir wieder zu unserm Ausgangspunkt zurückkehren. Ist aneinander schließen, sich klar machen.
die betrachtete Fläche uneben, so bleibt die Betrachtung der Die Richtung ist das Feste. Es hat keinen Sinn, von
Gestalt dieselbe wie vorher, es kommt _nur noch hinzu, daß Drehung einer Richtung zu sprechen, man kann nur etwas,
wir auch das nach vorn und nach hinten gehen der Fläche das in einer Richtung liegt, in eine andere drehen. Die Rich-
mit in die Betrachtung aufnehmen müssen, wenn wir uns die tung ist nicht Eigenschaft von etwas, sondern Norm von etwas,
Gestalt der Fläche deutlich machen wollen. Die Unebenheit und zwar z. B. Norm von Figuren, wie in dem behandelten
der Fläche gehört mit.~ zur Gestalt, ebenso wie der Umriß. Beispiel. Diese beiden Begriffe Richtung und das in der
Sie wird auch auf dieselbe Art verfolgt wie diese, indere man Richtung liegende gebrauchen wir also, um die Gestalt zu be-
in ihr eine beliebige Anzahl Linien annimmt und deren Ab- schreiben.
weichung von der Richtung nach vorn und nach hirtten ver- Und wir können hinzufügen, auch um Gestalten zu sehen.
folgt. Beide sind nicht von einander zu trennen, es ist auch nicht
Bei dieser ganzen Betrachtung ist die Fläche bloß Fläche eins später oder früher. Son9,ern was einmal in einer Richtung
oder Ebene, nicht Oberfläche ei~es Körpers. Wir fassen die liegt, liegt auch notwendig in einer Richtung. Es ist undenk-
Fläche hier nicht als Decke für einen Körper auf, sondern für bar ohne Richtung.
sich, ohne jede Beziehung zum Körper. Wir brauchen bei Nur dadurch, daß es verschiedene Richtungen einnehmen
der Beschreibung dessen, was wir hier sehen, auf diese Funk- kann, gelingt es uns, zu trennen, was in einer Richtung liegt,
tion, die jede Fläche scheinbar annehmen kann, die Funktion, von der Richtung selbst, in der es liegt. Auch kann man
Oberfläche oder Decke zu sein, keine Rücksicht zu nehmen. sich eine Richtung nicht anschaulich machen, ohne etwas zu
Betrachten wir unsere Beschreibung, so finden wir darin nehmen, was in ihr liegt. Sie selbst ist aber unabhängig von
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dem, was in ihr liegt. Die Gesetze über Winkel sind Gesetze Wir wollen jet~t versuchen, den Unterschied von Gestalt
über den Konkurs mehrerer Richtungen. und Grenze auch bei den Körpern zu verfolgen.
Wenn dies zum Wesen der Gestalt gehört, müssen wir Man könnte der Meinung sein, daß die Gestalt eines
zusehen~ ob die Grenze anders konstituiert ist. Wie bekommen Körpers aus ebenen und unebenen begrenzten flächen zu-
wir eine Grenze zu sehert? Wir nehmen wieder denselben sammengesetzt werden könne.
farbenfleck vor, jetzt mit der Absicht, seine Grenze uns deut- Wir wollen zeigen, daß das nicht geht.
lich zu machen. Während wir eben von außen an den fleck faßt man die Gestalt des Körpers als eine fläche, so ist
herankamen und ihn in ein Gewebe von Richtungen legten, klar, daß diese als fläche weder Gestalt noch Grenze hat.
müssen wir jetzt von innen herausgehen mit unserm Blick, Ja, nur dadurch, daß sie gestaltlos und unbegrenzt wird, da-
und indem wir sehen, daß von hieraus gerechnet an einer durch daß sie überall in sich zurückkehrt, scheint sie gerade
Stelle das Braun aufhört und etwas anderes anfängt, haben wir wieder eine Gestalt zu empfangen, und zwar eine mit der
die Grenze. Wir bekommen dabei ein letztes noch Bra.un Gestalt der Fläche unvergleichbare Gestalt, nämlich Körper-
Seiendes und dann ein nicht mehr Braun Seiendes. Dies gestalt. Daraus geht soviel hervor, daß eine einzige begrenzte
»noch« und »nicht mehr<< hat Sinn nur in Bezug auf die fläche nie die Gestalt eines Körpers bilden kann. Nun könnte
Grenze. Es verhilft uns auch zu dem Unterschied der Grenze man aber noch aus mehreren Flächen die Körpergestalt zu-
des »Weiß<< zu der Grenze des »Braun<<. Es ist nämlich sammensetzen wollen, wie etwa den Würfel aus sechs gleichen
nicht die einfache Wahrnehmung von verschiedenen Qualitäten, Seiten. Bewahrt man sich aber bei diesem Versuch die Blick-
die uns die Grenze gibt, sondern man muß es unter dem richtung, die wir oben bei Betrachtung der fläche hatten, so
Aspekt von »nicht mehr« und »noch<< ansehen. findet man, daß man zwar endlos viele Flächen zusammen-
Es genügt also nicht die Wahrnehmung von objektiv ver- setzen kann, daß man aber, wenn man diese streng als flächen
schiedenem, sondern es ist außerdem Wahrnehmung der Ver- auffaßt, nie zu einem Körper kommen kann. Hierzu ist ein
schiedenheit, des Anderssein erforderlich. Und wieder nicht ganz neuer Schritt erforderlich, man muß die Fläche als Ober-
eine beliebige Art von Verschiedenheit" sondern das »noch« fläche, als Decke von etwas ansehen, erst dann erhält man
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und das »nicht mehr<< als eine eigenartige Verschiedenheit, die den Körper. Dann kann man Hauptrichtungen im Körper an-
einem die Grenze gibt. nehmen und nach dem Winkel, den die Seiten des Körpers
Die Grenze des Weiß gegen das Braun finden wir nun, zu diesen Hauptrichtungen einnehmen, die Gestalt des Körpers
wenn wir vom Weiß ausgehend, das letzte Stück unter dem sich näher bringen in ähnlicher Weise wie bei der Fläche.
Aspekt des »noch<< ansehen und das er5te Stück des Braun Zur Grenze des Körpers kommt man dagegen auf andere
unter dem Aspekt des »nicht mehr« Weiß. Weise.
Wir sehen also, daß es zwei verschiedene Wahrnehmungen Man dringt von innen heraus bis zum letzten Partikelehen
sind, die uns die Grenze des Weiß und die entsprechende des Körpers und findet so das >>noch« zum Körper gehörende
Grenze des Braun geben. Wir sehen ferner, daß Grenze und und das »nicht mehr« zum Körper gehörende analog wie bei
Gestalt des Farbenflecks oder der vom farbenfleck bedeckten der Grenze der fläche.
Ebene auf verschiedene Weise deutlich gemacht werden können
und auch an sich verschieden sind.
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Es ist ja nicht nötig, daß man so weitläufige Unter-


suchungen anstellt, um die Grenze zu Gesicht zu bekommen.
Kap. IV. Wesen der Grenze. Es gibt keine Gattung dazu. Jedes Umschauen im Zimmer gibt uns Dinge und damit zu-
Die Grenze ist nichts Psychisches. Die Grenze als Funktion gleich · die Grenze der Dinge. Es ist ja nicht so, daß der
der Idee. Die Kategorien. Weltausschnitt, den wir sehen, wie ein Teig zusammenklebt,
Um die so gewonnene Unterscheidung von Grenze und zusammengeknetet ist, sondern jedes Ding steht für sich da ;
Gestalt zu befestigen, ist es nützlich, die Unterschiede weiter zu · das Tintenfaß neben der Lampe, die Lampe neben dem Asch-
verfolgen. becher und auf dem Aschbecher die Zigarre. Sie alle bilden
Bei der Gestalt hat es Sinn, von Individuum, Art und souveräne Staaten für sich, die in Gemeinschaft untereinander
Gattung zu reden. Das gleichseitige Dreiek AB C, das ich stehen.
mir jetzt zeichne, in welchem ich jetzt Höhe und Transversale Aber gerade diese Gemeinschaft setzt ja sozusagen eine
ziehe, ist ein Individuum, das ich mit andern Dreiecken ver- Art juristische Persönlichkeit, Selbständigkeit, Abgegrenztheit
gleichen kann. Das gleichseitige Dreieck überhaupt ist die voraus.
Art dazu. Das Dreieck überhaupt, worunter auch das gleich- Und so stehen die Dinge vor uns, ohne daß wir erst
schenklige, wie alle unregelmäßigen Dreiecke gehören, ist die nachzudenken brauchen; sie zwingen sich uns se auf.
höhere Gattung u. s. f. 1). Wir können nun zwei Fragen stellen: wie kommt es, daß
Bei der Grenze, dem Aufhören von etwas, ist es unmög- Grenzen vor uns stehen, und was sind diese Grenzen? Man
lich, von Gattung und Art zu reden. könnte nun die erste Frage mit ein"r andern beantworten.
Es gibt keine Zwischenstufen zwischen dem Aufhören Wie kommt es denn, daß wir Rot sehen, daß wir Ausdehnung
eines bestimmten Gegenstandes und dem Aufhören überhaupt. sehen?
Es hat keinen Sinn, zu sagen, das Aufhören überhaupt diffe- Wenn man aber auf die Natur der Grenze, wie wir sie
renziere sich in dies und jenes bestimmte Aufhören. uDies be- erklärt haben, acht gibt, so besteht doch ein großer Unterschied.
.weist, daß das Aufhören etwas durchaus eigenartiges ist, das Gewiß, auch jene zweite Frage mag noch gestellt werden
nicht in eine Reihe gestellt werden darf mit den Gegenständen. können, aber bei der Grenze ist doch das Wunderbare, daß
Man darf diese Bemerkung nicht für gering anseheh; sie wir im seihen Atemzuge sagen, sie sei unsichtbar - weil sie
wird uns für die Einsicht in die eigenartige Stellung, die die weder Farbe noch Ausdehnung, noch irgend eine sinnliche
Grenze hat, gute Dienste leisten. Beschaffenheit hat ~ und sie sei doch da, sei etwas.
Während wir bis jetzt das Wesen der Grenze im Unter- Wir wollen erst eine nahe liegende Möglichkeit durch-
schied vom Wesen der Gestalt betrachtet haben, kehren wir probieren, um dann unsern Blick zu schärfen für unsere letzte
jetzt dazu zurück, welche Stellung die Grenze in der Wahr- Antwort.
nehmung hat. Die Grenze könnte vielleicht nicht in der Welt sein, wir
könnten sie hineinlegen in die Welt. Wir haben ja schon
1) Wir denken die Gattungs- u.nd Artbildungen natürlich aus gesehen, daß es mehrere Arten von Wahrnehmungen gibt.
der sinnlichen Anschauung gezogen und lassen die rein geometrischen Die Grenze könnte nun das Resultat einer besonderen Art von
Begriffe aus dem Spiel. Wahrnehmung sein. So sagt man ja, daß die Aufmerksamkeit
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das mit Aufmerksamkeit Betrachtete heraushebt aus der Um- Bart vom Gesicht, die Türklinke von der Tür usw. bezug
gebung. Dies Herausheben scheidet imn sicherlich das Heraus- nehmen, wo jede andere Deutung versagt.
gehobene von dem nicht Herausgehobenen. Das Herausheben Wir wollen uns aber mit dem bisherigen beschränken:
könnte· nun den Gegenstand begrenzen. Dann müßte man Wer zugibt, daß wir das Ding in seiner Idee sehen,
sagen, so viel Dinge vor uns stehen, so viel besondere Auf- meinen, dem wird, wenn er sich in dies Verhältnis hineinver-
merksamkeitsstrahlen gehen von uns aus, die die Dinge aus setzt, klar, daß die Idee das Ding begrenzt, oder besser, daß
dem angeschauten Weltausschnitt herausheben. Wie verträgt die Grenze, die das Ding irgendwie >>hat«, eine Funktion, um
sich dies aber damit, daß das Licht, welches die Aufmerksam- nicht zu sagen ein Produkt, der Idee ist.
keit auf etwas wirft, notwendig allmählich abblaßt nach den Aus diesem Ergebnis erwächst uns eine große Aufgabe.
Seiten, daß es nicht jäh abschneidet, wie es doch tun müßte, Zunächst ergibt sich unmittelbar, daß die Grenze nicht
wenn es uns die scharfen Grenzen, die die Dinge haben, allein steht, als Funktion von Idee und Sinnlichkeit. Einheit,
wiedergeben wollte. Und weiter damit, daß die Grenzen sich Identität, Totalität des Dinges gehören offenbar ebenso gut
gerade in und nicht an dem Rande des mit Aufmerksamkeit hierher. Wir finden also eine Reihe höchster Gegenständlich-
Betrachteten befinden. keiten, die aus dem Verhältnis von Idee und Sinnlichkeit er-
Und weiter damit, daß wir die Grenzen wiederum mit wachsen.
Aufmerksamkeit betrachten können? Es ist also nur eine Ver- Diese herauszuarbeiten und in ihrem Zusammenhange dar-
legenheitsantwort. Die Grenze kann keine Funktion irgend zustellen, wäre eine Arbeit, die zu einer Tafel der Kategorien
einer Art von Anschauung sein. führte. Wir sehen nämlich gleich, daß diese Gegenstände nicht
Von jedem Ding gibt es eine Idee. aus der besonderen Qualität der Idee und der Sinnlichkeit ent-
Die Idee für sich ist eine strenge Einheit, ohne jede Be- springen, sondern nur Idee und Sinnlichkeit überhaupt voraus-
ziehung zu etwas anderm. Wir sehen das Ding ~n seinem setzen.
Wesen, in seiner Idee. Die Idee begrenzt das Ding.
Indem wir das Ding in seiner Idee sehen, steht_r-es als
Begrenztes vor uns. Nicht das »Sinnliche« hört irgendwie auf,
. sondern die Idee zerschneidet das Sinnliche.
Sofern das Ding die Idee Tintenfaß, Bleistift, Zigarre ver-
körpert, eine Idee, die sich in allen genau gleichen Dingen in
gleicher Weise verkörpert, sofern hat das Ding eine Grenze.
Wir könnten, um dieser Vorstellung leichteren Eingang
zu verschaffen, noch vielerlei anführen, wie die totale Verhält-
nislosigkeit, die das Chaotische, welches nicht .begrifflich ge-
faßt werden kann, zur Grenze hat, sodaß man es weder be-
grenzt noch unbegrenzt nennen kann.
Ferner könnten wir auf die eigenartige Weise, in der sich
selbständige Teile vom Ganzen loslösen, abgrenzen, wie der

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