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Hannah Arendt, Erinnerungen an Martin Heidegger, 1969

Video, Teil 1 von 4

Hannah Arendt:
"Meine Damen und Herren, Martin Heidegger ist heute 80 Jahre alt und feiert mit dem 80.
Geburtstag das 50-jährige Jubiläum seiner öffentlichen Wirkung als Lehrer. Plato hat einmal
gesagt: [... (<k>griechisches Zitat</k>)] 'Denn der Anfang ist auch ein Gott, solange [er] unter
den Menschen weilt, rettet er alles.'
Lassen Sie mich also mit diesem Anfang in der Öffentlichkeit beginnen, nicht mit dem Jahre
1889 in Meßkirch, sondern mit dem Jahre 1919, dem Eintritt des Lehrers in die deutsche
akademische Öffentlichkeit an der Universität Freiburg. Denn Heideggers Ruhm ist älter als
die Veröffentlichung von 'Sein und Zeit' im Jahre 1927. Ja, es ist fraglich, ob der
ungewöhnliche Erfolg dieses Buches möglich gewesen wäre, ohne den, wie man sagt,
Lehrerfolg, der ihm voran gegangen war, und den er, jedenfalls in der Meinung derer, die
damals studierten, nur bestätigte.
Um diesen frühen Ruhm war es seltsam bestellt, seltsamer vielleicht noch als um den Kafkas
in den frühen 20-er Jahren oder den Braques und Picassos in Paris in dem davorliegenden
Jahrzehnt, die ja nach dem, was man gemeinhin unter Öffentlichkeit versteht, unbekannt
waren, und die dennoch eine außerordentliche Wirkung ausübten.
Denn es lag in diesem Fall nichts vor, worauf der Ruhm sich hätte stützen können, nichts
Schriftliches, es sei denn Kollegnachschriften, die von Hand zu Hand gingen, und die Kollegs
handelten von Texten, die allgemein bekannt waren. Sie enthielten keine Lehre, die man
hätte wieder- und weitergeben können. Da war kaum mehr als ein Name, aber der Name
reiste durch ganz Deutschland wie das Gerücht vom heimlichen König.
Dies war etwas völlig anderes als die um einen Meister zentrierten und von ihm dirigierten
Kreise wie etwa der George-Kreis, die der Öffentlichkeit wohl bekannt, sich von ihr durch die
Aura eines Geheimnisses abgrenzen, um das angeblich nur die Mitglieder des Kreises wissen.
Hier gab es weder Geheimnis noch Mitgliedschaft. Diejenigen, zu denen das Gerücht
gedrungen war, kannten sich zwar, weil sie alle Studenten waren. Es gab gelegentliche
Freundschaften unter ihnen und später kam es dann wohl hie und da auch zu Cliquenbildung,
aber es gab nie einen Kreis und es gab keine Esoterik.
Wen denn erreichte das Gerücht und was sagte es? Es gab damals nach dem 1. Weltkrieg an
den deutschen Universitäten zwar keine Rebellen, aber ein weitverbreitestes Unbehagen am
akademischen Lehr- und Lernbetrieb in all den Fakultäten, die mehr waren als bloße
Berufsschulen, und bei all den Studenten, für die das Studium mehr bedeutete als die
Vorbereitung auf den Beruf. Philosophie war kein Brotstudium, schon eher das Studium
entschlossener Hungerleider, die gerade darum recht anspruchsvoll waren.
Ihnen stand der Sinn keinesfalls nach Welt- oder Lebensweisheit, und wem an einer Lösung
aller Rätsel gelegen war, dem stand eine reichliche Auswahl in den Angeboten der
Weltanschauung und Weltanschauungsparteien zur Verfügung. Um da zu wählen, bedurfte es
keines Philosophiestudiums.
Was sie nun aber wollten, das wussten sie auch nicht. Die Universtität bot ihnen gemeinhin
entweder die Schulen, die Neukantianer, die Neuhegelianer, die Neoplatoniker und so weiter
oder die alte Schuldisziplin, in der Philosophie säuberlich in Fächern aufgeteilt als
Erkenntnistheorie, Ästhetik, Ethik, Logik und dergleichen nicht so sehr vermittelt als durch
bodenlose Langeweile erledigt wurde.
Gegen diesen eher gemütlichen und in seiner Weise auch ganz soliden Betrieb gab es damals
noch vor dem Auftreten Heideggers einige wenige Rebellen, chronologisch gesprochen
Husserl, und sein Ruf zu den Sachen selbst, das hieß, weg von den Theorien, weg von den
Büchern und Etablierung der Philosophie als einer strengen Wissenschaft, die sich neben
anderen akademischen Disziplinen würde sehen lassen können. Das war natürlich ganz naiv
und ganz unrebellisch gemeint, aber es war etwas, worauf sich erst Scheler und etwas später
Heidegger berufen konnten. Und dann gab es noch in Heidelberg, bewusst rebellisch und aus
einer anderen als der philosophischen Tradition kommend, Karl Jaspers, der, wie sie wissen,
lange mit Heidegger befreundet war, gerade weil ihn das Rebellische in Heideggers Vorhaben
als etwas ursprünglich Philosophisches inmitten des akademischen Geredes
über Philosophie ansprach.
Was diese wenigen miteinander gemein hatten, war, um es in Heideggers Worten zu sagen,
dass sie zwischen einem gelehrten Gegenstand und einer gedachten Sache unterscheiden
konnten, und dass ihnen der gelehrte Gegenstand ziemlich gleichgültig war.
Das Gerücht erreichte damals diejenigen, welche mehr oder minder ausdrücklich um den
Traditionsbruch und die finsteren Zeiten, die angebrochen waren, wussten, die daher die
Gelehrsamkeit gerade in Sachen der Philosophie für ein müßiges Spiel hielten und nur darum
bereit waren, sich der akademischen Disziplin zu fügen, weil es ihnen um die gedachte Sache
oder, wie Heidegger heute sagen würde, um die Sache des Denkens ging.
Das Gerücht, das nach Freiburg zu dem Privatdozenten und etwas später nach Marburg lockte,
sagte, dass es einen gibt, der die Sachen, die Husserl proklamiert hatte, wirklich erreicht. Der
war es, dass sie eine akademische Angelegenheit sind, sondern das Anliegen von denkenden
Menschen und zwar nicht erst seit gestern und heute, sondern seit eh und je, und der, gerade
weil ihm der Faden der Tradition gerissen ist, die Vergangenheit neu entdeckt. Technisch
entscheidend war, dass zum Beispiel nicht über Plato gesprochen und seine Ideenlehre
dargestellt wurde, sondern dass ein Dialog durch ein ganzes Semester Schritt für Schritt
verfolgt und abgefragt wurde, bis es keine tausendjährige Lehre mehr gab, sondern nur eine
höchste gegenwärtige Problematik. Heute klingt Ihnen das vermutlich ganz vertraut, weil es
viele so machen. Vor Heidegger hat es niemand gemacht.
Das Gerücht sagte es ganz einfach: Das Denken ist wieder lebendig geworden, die tot
geglaubten Bildungsschätze der Vergangenheit werden zum Sprechen gebracht, wobei sich
herausstellt, dass sie ganz andere Dinge vorbringen, als man misstrauisch vermutet hat. Es
gibt einen Lehrer. Man kann vielleicht das Denken lernen.
Der heimliche König also im Reich des Denkens, das durchaus von dieser Welt doch so in ihr
verborgen ist, dass man nie genau wissen kann, ob es überhaupt existiert, dessen Bewohner
aber dann doch zahlreicher sind, als man glaubt. Denn wie könnte man sich sonst den
einmaligen und oft unterirdischen Einfluss Heideggerschen Denkens und denkenden Lesens
erklären, der so weit über den Kreis der Schüler und über das, was man gemeinhin
unter Philosophie versteht, hinausgeht.
Denn es ist nicht Heideggers Philosophie, von der man mit Recht fragen kann, ob es sie
überhaupt gibt, sondern Heideggers Denken, das so entscheidend die geistige Physionomie des
Jahrhunderts mitbestimmt hat. Dies Denken hat eine nur ihm eigene bohrende Qualität, die,
wollte man sie sprachlich fassen und nachweisen, in dem transitiven Gebrauch des Verbums
'denken' liegt. Heidegger denkt nie über etwas, er denkt etwas. In dieser ganz und gar
unkontemplativen Tätigkeit bohrt er sich in die Tiefe, aber nicht, um in dieser Dimension
einen letzten und sichernden Grund zu entdecken oder gar zutage zu fördern, sondern um in
der Tiefe verbleibend Wege zu legen und Wegmarken zu setzen.
Dies Denken mag sich Aufgaben stellen, es mag mit Problemen befasst sein. Es hat ja
natürlich immer etwas Spezifisches, womit es gerade beschäftigt, oder genauer, wovon es
gerade erregt ist. Aber man kann nicht sagen, dass es ein Ziel hat. Es ist unaufhörlich tätig
und selbst das Wegelegen dient eher der Erschließung einer Dimension als einem im Vorhinein
gesichteten und darauf ausgerichteten Ziel."

Der Text ist erscheinen in:


Hannah Arendt und Martin Heidegger, Briefe und andere Zeugnisse 1925 bis 1975 (1998); 3.
Auflage, 2002, S. 179-192.

Fortsetzung von "Hannah Arendt, Erinnerungen an Martin Heidegger, 1969":

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