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56 SS 2009
1. Disponibles Rechtsgut
Der Einwilligende muß verfügungsbefugt sein, über das von ihm preiszugebende
Rechtsgut zu disponieren, d. h. er muß Inhaber des Rechtsgutes sein und eine
Verfügung über das Rechtsgut muß rechtlich zulässig sein. Soweit die Einwilligung in
§ 228 StGB sich ohnehin nur auf Körperverletzungsdelikte bezieht, scheidet eine (auch
analoge) Anwendung der in dieser Norm enthaltenen Einwilligung auch bei anderen
Rechtsgütern entweder aufgrund ausdrücklicher Normierung oder wegen ihrer Schutz-
richtung bzw. aufgrund einer indisponiblen Rechtsgutkomponente von vornherein aus.2
Die Einwilligung in § 228 StGB bezieht sich daher allein auf das Individualrechtsgut
der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit, über die mithin nur der einwilligende
Verletzte als Träger dieses Rechtsgutes verfügen kann und ist somit auf andere
Deliktstypen nicht anwendbar. Soweit solche Straftaten mit einer gemäß § 228 StGB
einwilligungsfähigen Körperverletzung tateinheitlich zusammentreffen, ist bei diesen
Tatbeständen die Frage, ob die Einwilligung die Tat rechtfertigt, selbständig zu prüfen
und zu entscheiden.3 Bereits aus der gesetzlichen Regelung des § 216 StGB folgt dabei,
daß eine Einwilligung in die vorsätzliche Tötung trotz des höchstpersönlichen Cha-
rakters des Rechtsgutes grundsätzlich unbeachtlich ist.4 Gleichwohl wird im Schrifttum
nicht einheitlich beantwortet, welche Formen der Körperverletzung von § 228 StGB
erfaßt werden.
2. Vorsätzliche Körperverletzung
Die in der Vorschrift des § 228 StGB geregelte Einwilligung umfaßt in ihrer Reich-
weite grundsätzlich alle im Strafgesetzbuch genannten Fälle der vorsätzlichen Körper-
verletzung, wie sich dies aus der systematischen Stellung ergibt.5
1
Kühl, Strafrecht AT, § 9 Rn. 30; Otto, Strafrecht AT, § 8 Rn. 119.
2
Leben oder Delikte mit „gemischtem“ Rechtsgüterschutz wie Straßenverkehrsdelikte, welche
neben dem Schutz des einzelnen Verkehrsteilnehmers auch den Schutz der Allgemeinheit inten-
dieren.
3
BGHSt 6, 234.
4
so grundsätzlich RGSt 2, 442; BGHSt 4, 88, 93.
5
LK-Hirsch, StGB, § 228, Rn. 1.
Sie gilt daher nicht nur für die einfache Körperverletzung gemäß § 223 StGB, sondern
auch für die Mißhandlung Schutzbefohlener in § 225 StGB6, die Qualifikationstat-
bestände der gefährlichen Körperverletzung in § 224 StGB und für die in den Bestim-
mungen der § 226 Abs. I und § 227 StGB geregelten Körperverletzungen mit den nicht
gewollten bzw. den beabsichtigten Folgen.7 Für eine mit der Körperverletzung ein-
hergehende Verletzung überindividueller Rechtsgüter, wie es bspw. bei der Verkehrs-
sicherheit in § 315c StGB der Fall ist, hat § 228 StGB keine rechtfertigende Bedeu-
tung.8
3. Fahrlässige Körperverletzung
Darüber hinaus ist § 228 StGB nach heute ganz herrschender Meinung9 auch auf
fahrlässige Körperverletzungen gemäß § 229 StGB anwendbar, wobei die Frage der
Anwendbarkeit der Einwilligung auf fahrlässige Körperverletzungen jedoch nicht zu
jeder Zeit zu Gunsten einer rechtfertigenden Wirkung geklärt war. Nach einer Gegen-
ansicht im älteren Schrifttum10, die einige Zeit sogar als die herrschende Meinung galt,
sollte § 226a StGB a.F. auf fahrlässige Körperverletzungen nicht anwendbar sein, weil
diese Vorschrift aufgrund ihrer systematischen Einordnung im StGB zwar nach den
Fällen der vorsätzlichen, aber vor der in § 230 StGB a.F. geregelten fahrlässigen
Körperverletzung stand11. Dieser Ansicht ist jedoch nicht zu folgen, da sich der Sinn
und Zweck der Vorschrift des § 228 StGB nicht ausschließlich ihrer systematischen
Stellung im Strafgesetzbuch entnehmen läßt. Zwar rangiert § 228 StGB vor der in
§ 229 StGB geregelten fahrlässigen Körperverletzung; dies hat jedoch eher gesetzes-
technische Gründe.
und damit im Ergebnis in eine fahrlässige Tötung15 möglich, wobei auch für konkrete
Lebensgefährdungen der Maßstab des § 228 StGB anzulegen sei.16 Danach käme in
Betracht, daß der Einwilligende zwar den Erfolgseintritt nicht will, ihn aber dadurch in
Kauf nimmt, daß er mit der gefährdenden Handlung, deren mögliche Folgen er voraus-
sieht, einverstanden ist.17 Demgegenüber hält eine in Rechtsprechung und Schrifttum
vertretene Gegenmeinung eine Einwilligung in eine Lebensgefahr mit tödlichem Aus-
gang nicht für möglich und verneint unter Bezug auf § 216 StGB und die Bedeutung
des Lebens als unverzichtbares Rechtsgut die Dispositionsgewalt des Einwilligenden,
in das Risiko seiner Tötung mit rechtfertigender Wirkung einwilligen zu können.18
II. Einwilligungsfähigkeit
Darüber hinaus muß der Einwilligende für eine wirksame Einwilligung die erforder-
liche Einwilligungsfähigkeit besitzen. Kernfrage ist hierbei, welche persönlichen
Voraussetzungen an die Einwilligungsfähigkeit zu stellen sind und wie der Grad der
Selbstbestimmungsfreiheit zu ermitteln ist. Das Reichsgericht in Strafsachen stellte
schon vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches bei medizinischen Heilein-
griffen darauf ab, daß nur der Geschäftsfähige wirksam in eine Körperverletzung ein-
willigen könne19. Im Jahre 1908 änderte das Reichsgericht jedoch seine Rechtsprech-
ung und ermittelte fortan die Einwilligungsfähigkeit nicht mehr anhand der §§ 104 ff.
BGB, sondern stellte allein auf die Umstände des Einzelfalles ab20, ohne daß es auf die
bürgerlich-rechtliche Geschäftsfähigkeit des Einwilligenden oder dessen strafrecht-
liche Handlungsfähigkeit ankommen sollte.21
Die heutige strafrechtliche Rechtsprechung stellt hingegen unabhängig von der Rechts-
geschäftstheorie, der Geschäftsfähigkeit und bestimmten Altersgrenzen allein auf die
konkrete Urteils- und Einsichtsfähigkeit des Einwilligenden ab.22 Insbesondere bei Ein-
griffen in höchstpersönliche Rechtsgüter wie der Körperintegrität genügt für die Wirk-
samkeit der Einwilligung eine von der Geschäftsfähigkeit unabhängige und auch mit
der Schuld- oder Deliktsfähigkeit nicht identische Einsichts- und Urteilsfähigkeit in
dem Sinne, daß der Einwilligende Wesen, Bedeutung und Tragweite des gegen ihn
gerichteten Eingriffs voll zu erfassen imstande ist.23
14
vgl. hierzu Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 6, Rn. 35; Schaffstein, FS-Welzel, S. 557, 566.
15
Schünemann, JA 1975, S. 715, 723.
16
so Ostendorf, JuS 1982, S. 426, 432.
17
OLG Zweibrücken, JR 1994, S. 518, 519 f; Tröndle/Fischer, StGB, § 228 Rn. 5; Herzog/Nestler-
Tremel, StV 1987, 360, 368, wer sich auf die Risikolage einläßt, willigt in das Risiko der Beein-
trächtigung ein, welche er trotzdem zu vermeiden sucht.
18
BGHSt 7, 112, 114; BayObLG, NJW 1957, S. 1245, 146; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 56;
Krey, Strafrecht AT, § 15 Rn. 622 f.; Bickelhaupt, NJW 1967, S. 713 f.
19
RGSt 25, 375, 381; 38, 34, 35; RG, JW 1907, S. 403.
20
RGSt 41, 392, 395; 60, 34, ff.; 71, 349; 72, 399, 400.
21
RGSt 29, 399.
22
BGHSt 4, 90; 5, 362; 12, 379 382; 23, 1; BGH, NJW 1964, S. 1177.
23
Schönke/Schröder/-Lenckner, StGB, Vorbem. zu § 32, Rn. 40.
jedoch die Frage zu beantworten, anhand welcher Kriterien eine Entscheidung als
„individuell vernünftig" zu qualifizieren ist.
35
BGHSt 12, 379; BayObLG, VRS 53, S. 349.
36
Göbel, Einwilligung, S. 76.
37
eingehend hierzu: Geerds, GA 1954, S. 262 ff.
38
vgl. hierzu Amelung, NStZ 2006, S. 317 ff.; BGHSt 12, 379 ff., 382.
39
vgl. BGHSt 4, 88 ff., 90.
40
Schönke/Schröder/-Lenckner, Vorb. zu § 32 ff. Rn. 45; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, § 9 I 2 c, d.
41
BGHSt 16, 309; Kühl, Strafrecht AT, § 9, Rn. 38 f.
V. Einwilligungsrahmen
Schließlich muß sich der Täter bei der Einwirkung auf den Körper des Einwilligenden
nach Art und Maß im Rahmen der Einwilligung halten48 und darf nach h. M. keinen
anderen Zweck als den der Einwilligung zugrundegelegten verfolgen49. Soweit der
Rechtsgutverzicht ausschließlich zur Disposition des betroffenen Einwilligenden steht,
kann dessen Einwilligung nur in dem Rahmen reichen, in dem sie erklärt und gewollt
ist, so daß sie vom Einwilligenden auch eingeschränkt oder begrenzt erklärt werden
kann.50 Darüber hinaus muß der zur Körperverletzung am Einwilligenden bestimmte
Täter aufgrund, zumindest aber in Kenntnis der erklärten Einwilligung handeln.
Ausschließlich dann rechtfertigt die wirksame Einwilligung sowohl die tatsächlich
eintretenden als auch die als möglich erkannten Verletzungen51, anderenfalls die recht-
fertigende Wirkung der Einwilligung ausgeschlossen ist oder lediglich eine Versuchs-
strafbarkeit in Betracht kommt.52
42
vgl. Gropp, Strafrecht AT, § 6, Rn. 43; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 34; a.A. Köhler,
Strafrecht AT, S. 254; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, AT, § 17, Rn. 111, wonach jedweder
Willensmangel die rechtfertigende Wirkung der Einwilligung hemmen soll.
43
Dach, Einwilligung, S. 86.
44
Hansen, Einwilligung, S. 78.
45
Wessels/Beulke, Strafrecht AT, § 9 I 2 f.; Lackner/Kühl, StGB, § 228, Rn. 4.
46
zur mutmaßlichen Einwilligung eingehend LK-Hirsch, StGB, Vor § 32, Rn. 129 ff.
47
BGHSt 17, 359, 360.
48
BGHSt 4, 88, 92; OLG Bremen, NJW 1953, S. 1364; LK-Hirsch, StGB, § 228 Rn. 4.
49
RGSt 77, 350, 356; BGHSt 4, 92, 93.
50
Zipf, Einwilligung, S. 26.
51
OLG Celle, MDR 1969, 69, 70; BayObLG, NJW 1968, S. 665.
52
so die h.M., vgl. Lackner/Kühl, StGB, § 228, Rn. 9.
53
Schönke/Schröder/-Lenckner, StGB, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 51; Otto, Strafrecht AT, § 8, Rn. 117;
Gropp, Strafrecht AT, § 6, Rn. 49.
54
eingehend zum Meinungsstand: Maurach/Zipf, Strafrecht AT, Tb. 1, § 17 Rn. 63, m.w.N.
55
BGH, NStZ 2004, S. 621.
56
heute nahezu allgemein anerkannt, grundsätzlich dazu BGHSt 4, 88, 91; zuletzt ausdrücklich
BGH, NStZ 2000, S. 87, 88; a. A. Frisch in FS-Hirsch, S. 485 ff., 504 ff.
57
Fischer, StGB, § 228, Rn. 2.