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GESAMTKOMMENTAR
SAMMLUNG WISSENSCHAFTLICHER COMMENTARE
HOMERS ILIAS
GESAMTKOMMENTAR
(BASLER KOMMENTAR / BK)
HERAUSGEGEBEN VON
JOACHIM LATACZ
HERAUSGEGEBEN VON
JOACHIM LATACZ
BAND I
ERSTER GESANG (A)
FASZIKEL 2: KOMMENTAR
VON
JOACHIM LATACZ,
RENÉ NÜNLIST
UND
MAGDALENE STOEVESANDT
ISSN 1864-3426
ISBN 978-3-11-020611-1
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Printed in Germany
Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
INHALT
Kommentar ..................................................................................... 11
Dieser Band ist der erste in einer Reihe von Kommentar-Bänden, die Schritt für
Schritt die ganze Ilias erschließen sollen. Die Reihe ist das Kernstück eines Kom-
mentarwerks, das sich aus drei Teilen zusammensetzt: (1) einem Prolegomena-Band,
(2) einer noch nicht festgelegten Anzahl von Text-/Übersetzungs-Bänden, (3) einer
entsprechenden Anzahl von Kommentar-Bänden. Die drei Einzelteile sind miteinander
verzahnt und bilden eine Einheit. Der Prolegomena-Band faßt in zehn Einzelkapiteln
die Grund-Informationen zusammen, die Text-/Übersetzungs-Bände stellen die Text-
grundlage im Original und in deutscher Übersetzung zur Verfügung, die Kommentar-
Bände liefern unter kontinuierlichem Rückgriff auf die durch Sigel gekennzeichneten
und in Paragraphen eingeteilten Einzelkapitel des Prolegomena-Bandes sowie durch
Lemma-Bezug auf die griechische bzw. deutsche Textgrundlage die Vers-für-Vers-Er-
läuterungen.
Über die Einzelheiten der Organisationsstruktur, der Zielsetzung und des Zielpubli-
kums sowie des inneren Aufbaus des gesamten Kommentarwerks informiert der be-
treffende Abschnitt in der ‘Einleitung’ des Prolegomena-Bandes (HK 36–43). Zur Er-
läuterung der Anlage des vorliegenden Kommentar-Bandes sei das Wichtigste daraus
hier wiederholt:
Im Kommentar-Band ist, um die unterschiedlichen Adressatenkreise und Erklä-
rungsebenen nicht zu vermengen, eine neuartige und, wie zu hoffen ist, benutzer-
freundliche Form der Präsentation angewandt. Über die in klassisch-philologischen
Kommentaren bisher geübte Regelpraxis, Adressatenkreise und Erklärungsebenen
nicht zu trennen und daher unter einem Lemma sämtliche Informationen aneinander-
zureihen, ist von Benutzerseite oft geklagt worden. Um den unterschiedlichen Bedürf-
nissen unterschiedlicher Benutzergruppen besser zu entsprechen, wurde daher ver-
suchsweise eine ‘Etagen’-Form der Kommentierung durchgeführt, die sich als Auf-
bau in vier Stufen präsentiert: (1) Normaldruck (‘Beletage’) – (2) Kleinerer Druck
(‘Parterre’) – (3) Petit-Druck (‘Souterrain’) – (4) ‘Elementarteil’ am Fuß der Seite.
Die Einzelheiten dazu sind unten unter ‘Hinweise zur Benutzung’ dargestellt. Spe-
ziell zum Elementarteil, den viele Benutzer vermutlich als ersten konsultieren wer-
den, sei auch an dieser Stelle ausdrücklich betont, daß in ihm zur näheren Erläute-
rung der homerischen Wortformen und Grammatiknormen in der Regel nicht auf die
VIII Ilias 1
*
Grundlage der Kommentierungsarbeit war die Durchsicht und gegebenenfalls Ver-
wertung der wichtigsten vorliegenden Ilias-Kommentare, angefangen mit den antiken
Scholien. Über die regelmäßig eingesehenen Werke – Kommentare und sonstige
Grundlagenliteratur – gibt der Abschnitt 1 der ‘Bibliographischen Abkürzungen’ (un-
ten S. 185ff.) Auskunft. Hier sei nur das Wichtigste benannt:
Von den neueren Kommentaren wurden regelmäßig konsultiert FAESI, AMEIS-
HENTZE(-CAUER), LEAF, WILLCOCK, KIRK/HAINSWORTH/JANKO/EDWARDS/
RICHARDSON und BEVILACQUA/CERRINA. Wo nötig oder förderlich, wurden auch
die vorhandenen Odyssee-Kommentare herangezogen, vor allem diejenigen von
AMEIS-HENTZE und HEUBECK/WEST/HAINSWORTH/HOEKSTRA/RUSSO/FERNÁN-
DEZ-GALIANO.
Der sprachlichen Erklärung, die den Ausgangspunkt jeder Kommentierung bilden
muß, wurden die synchronische Griechische Grammatik von KÜHNER-GERTH, die
diachronische Griechische Grammatik von SCHWYZER bzw. SCHWYZER/DEBRUN-
NER sowie die Spezialgrammatik zu Homer von CHANTRAINE zugrunde gelegt. Für
die Semantik wurden regelmäßig die betreffenden Artikel im ‘Lexikon des frühgrie-
chischen Epos’ (LfgrE) ausgewertet, für die Etymologie die Lexika von FRISK und
CHANTRAINE, für die Wortbildung das Werk von RISCH, für die homerischen Perso-
nennamen die Bearbeitung von v. KAMPTZ. Von dort aus ist die einschlägige For-
schungsliteratur bis in die jüngste Gegenwart hinein im Bemühen um Vollständig-
keit gesichtet und, wo dies unerläßlich oder förderlich erschien, verwertet oder minde-
stens zitiert worden. Die Formelhaftigkeit der in den homerischen Epen gipfelnden
traditionellen Mündlichkeitsdiktion wird auf vielfältige Weise dokumentiert, wobei
auf der Linie des Kapitels ‘Formelhaftigkeit und Mündlichkeit’ (FOR) im Prolego-
mena-Band nicht nur PARRY und seine Schule, sondern auch die von ihm genutzte
Vorwort IX
Vorgängerforschung des 19. und beginnenden 20. Jh. möglichst breit herangezogen
wird.
Bei der Erklärung der Realien und der mythologischen Tatbestände waren selbstver-
ständlich die ‘Archaeologia Homerica’ und das LIMC unschätzbare Hilfen. Auch hier
wurde die Folgeforschung so tief und breit wie immer möglich weiterverfolgt; daß
jedoch im Kern ein philologischer, nicht ein archäologischer Kommentar vorliegt,
kann nicht geleugnet und muß wohl kaum gerechtfertigt werden.
Viel Mühe wurde darauf verwandt, die Handlungslinien so klar wie möglich her-
auszuarbeiten. Dabei erwiesen sich die Differenzierungen, die durch die relativ neue
Forschungsrichtung der Narratologie ermöglicht wurden, als äußerst hilfreich. Die
Unterscheidung zwischen Erzähler- und Figuren-Sprache, die auf dem konsequenten
Einbezug des mit dem Terminus ‘Fokalisation (focalization)’ samt seinen Ausfaltun-
gen bezeichneten Aspekts basiert, erlaubte in vielen Fällen ein tieferes Verständnis
der Erzähler-Intention in der Figurenzeichnung und im damit verknüpften Handlungs-
aufbau. Zahlreiche Fragen, die gerade aufgrund der dadurch erreichten Verfeinerung der
Deutungsmöglichkeiten neu entstanden, dürften der Erforschung von Homers Subti-
lität weiteren Auftrieb geben.
Die beiden Forderungen nach Gründlichkeit auf der einen und platzsparender Kürze
auf der anderen Seite muß jeder Kommentar aufs neue miteinander zu vereinbaren su-
chen. Kompromisse sind hier unvermeidbar. Die von Fall zu Fall getroffenen Ent-
scheidungen basieren fast überall auf längeren oder kürzeren Diskussionen. Da diese
nicht mitgeliefert werden können, wird manche Entscheidung auf Kritik oder gar auf
Unverständnis stoßen. Um die Zahl dieser Fälle möglichst klein zu halten, ist darauf
geachtet worden, die jeweils zugrunde liegende Forschungsliteratur nicht nur zu zitie-
ren, sondern wenigstens in ihrer Kernsubstanz zu referieren; bloße Verweise deuten
in der Regel an, daß das betreffende Problem dort genauer, differenzierter, materialrei-
cher usw., jedoch im Sinn der Kommentierung abgehandelt wird. Abweichende Posi-
tionen sind vermerkt.
Das Grundproblem jeder Kommentierung ist bekanntlich die Bestimmung der Er-
klärungsbedürftigkeit. In diesem Punkt erschien den Autoren angesichts der Vielfalt
unterschiedlichster Bedürfnisse der Grundsatz ‘eher mehr als weniger’ als die prag-
matischste Lösung. Daß sich die Erläuterungen am Beginn des Gesanges besonders
dicht massieren, liegt allerdings weniger an diesem Grundsatz als in der Konsequenz
der Sache (der erste Gesang der Ilias legt das Fundament der Handlung und legt zu-
gleich bereits fast alle Handlungsfäden an); hohe Erklärungsdichte zu Beginn ist ein
Phänomen schon der antiken Kommentierung. Die dadurch eröffnete Möglichkeit,
‘Erklärungsnester’ zu bilden, die über das an der betreffenden Stelle unbedingt Not-
wendige bewußt hinausgehen, ermöglichte jedoch als Ausgleich vermehrte Rückver-
weise und damit eine spürbare Abnahme der Erklärungsdichte. Dies wird die Kom-
X Ilias 1
*
Die Genese des Kommentarwerks im ganzen ist im Vorwort des Prolegomena-Ban-
des dargestellt, der Anteil der beteiligten Personen und Instanzen an der Realisierung
des Projekts an gleicher Stelle, soweit dergleichen überhaupt in Worten auszudrücken
ist, beschrieben und gewürdigt. Über das dort Gesagte hinaus muß hier einmal mehr
das enorme Engagement der ständigen Projektmitarbeiter Dr. René Nünlist und
lic. phil. Magdalene Stoevesandt herausgehoben werden, denen sich in einer späteren
Arbeitsphase lic. phil. Claude Brügger mit bewährter Umsicht und Verläßlichkeit
hinzugesellte. Ohne ihre Bereitschaft, schon Abgehaktes und Geklärtes immer wieder
neu zu überdenken, sich von Liebgewordenem zu trennen und Neues zu probieren,
Kompromisse einzugehen und sich ganz in den Dienst der gemeinsamen Sache zu
stellen, wäre dieser Band nicht zustande gekommen. Dankesworte können dem, was
hier an intellektueller und psychischer Energie aufgebracht wurde, nicht entfernt ge-
recht werden. Ungesagt dürfen sie dennoch nicht bleiben. – Die ‘flankierenden’ Mit-
arbeiter, die auf dem Titelblatt genannt und in der ‘Einleitung’ des Prolegomena-Ban-
des vorgestellt sind (HK 37), haben durch ständige Ermutigung, vor allem aber durch
das Mitlesen, anregungsreiche Ergänzen, zuweilen auch Korrigieren der vorletzten
Fassung des Band-Manuskriptes einen großen Anteil an der Bereicherung des Kom-
mentars um manchen wichtigen Aspekt, der zuvor nicht klar genug im Blickfeld
war. Besonderen Dank schuldet das Arbeitsteam Prof. Dr. Rudolf Wachter, der das
ganze Manuskript mit mikroskopischem Blick auf sprachwissenschaftliche Korrekt-
heit überprüft hat; was an Irrigem und Schiefem übriggeblieben sein mag, geht al-
lein zu unseren Lasten. – Den wissenschaftlichen Hilfsassistentinnen bzw. -assisten-
ten Hanna-Magdalena Caveng, Andreas Gyr, Rebecca Lämmle und Andrea Suter, die
mit Selbstverleugnung unermüdlich Exzerpte, Listen und Tabellen fertigten, Hunder-
te von Stellen verifizierten und zahllose Hilfsdienste leisteten, verdankt der Band,
falls er sie denn erreicht hat, ein gut Teil seiner Zuverlässigkeit. – Eine bedeutende
Hilfe war die tätige Mitwirkung der Leitung und des Mitarbeiterstabs des Hamburger
‘Lexikons des frühgriechischen Epos’, dessen Sammlungen und Erkenntnisse über
die bereits gedruckten Faszikel hinaus das Basler Arbeitsteam dank elektronischer
Kommunikation ständig mitbenutzen konnte; Prof. Dr. Michael Meier-Brügger und
Dr. William Beck sowie allen Artikelverfassern, darunter inbesondere Dr. Rudolf
Führer und Sebastiaan R. van der Mije, sei dafür herzlich gedankt. – Was hier vorge-
legt wird, wäre nicht zustande gekommen ohne den Entschluß des Schweizerischen
Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF), dem Projekt-
plan eine Chance zu geben; sollte es geglückt sein, sie zu nutzen, bäten wir, dies als
den Ausdruck unsrer Dankbarkeit zu nehmen.
Vorwort XI
Die neuzeitliche Homer-Forschung kann auf eine mehr als zweihundertjährige Ge-
schichte zurückblicken. Sie hat sich in dieser Zeit daran gewöhnt, scheinbar sichere
Erkenntnisse durch neue Entdeckungen, Erkenntnisse und Sichtweisen immer wieder
überholt zu sehen. Daß auch dieser Kommentar nur eine Zwischenstation sein kann,
ist den Autoren dieses Bandes wohlbewußt. Daß er diese Funktion der Zwischensta-
tion dann aber zumindest möglichst gut erfüllen möge, das möchten sie immerhin
hoffen dürfen.
2. Auf die Kapitel des Prolegomena-Bandes wird mit den folgenden Kürzeln verwie-
sen:
FG/FM Zum Figurenbestand der Ilias: Götter/Menschen
FOR Formelhaftigkeit und Mündlichkeit
G Grammatik der homerischen Sprache
HK Einleitung: Zur Homer-Kommentierung
GT Geschichte des Textes
M Homerische Metrik (samt Prosodie)
MYK Wort-Index Homerisch – Mykenisch
xxxP Hochgestelltes ‘P’ hinter einem Begriff verweist auf die Begriffs-
Definitionen in der ‘Homerischen Poetik in Stichwörtern’.
STR Zur Struktur der Ilias
3. Weitere Kürzel:
ORTH verweist auf das Orthographie-Kapitel im Text-Band S. X–XVI.
R verweist auf die ‘24 Regeln zur homerischen Sprache’ im vor-
liegenden Kommentar-Band (unten S. 1ff.).
4. Textkritische Fragen
An einzelnen Stellen neigen die Kommentatoren zu einer anderen Entscheidung
als der Text-Editor. In diesen Fällen erscheint das Lemma in beiden Varianten; die
in den Text aufgenommene Form wird dann in eckigen Klammern vorangestellt.
5. Formelsprache
Nach dem Vorbild des ‘Ameis-Hentze(-Cauer)’ werden wiederholte Verse und
Halbverse regelmäßig registriert (vgl. dazu HK 30); auf andere formelsprachliche
Elemente (bes. Versanfangs- und -endformeln) wird nur so häufig hingewiesen,
daß der Gesamteindruck von der Formelhaftigkeit der homerischen Sprache ver-
tieft wird.
6. Typische SzenenP
Beim ersten Vorkommen wird die Idealform konstituiert, indem eine kumulative,
durchnumerierte Zusammenstellung aller in Ilias und Odyssee vorkommenden
charakteristischen Szenen-Elemente vorgelegt wird; die Ziffern der an der kom-
mentierten Stelle tatsächlich aktualisierten Elemente erscheinen fett. Jede weitere
Stelle verweist auf die Erstbehandlung und verwendet Numerierung und Fettdruck
nach dem gleichen Prinzip.
Hinweise zur Benutzung XV
7. Abkürzungen
(Die allgemein üblichen Abkürzungen und die unter 2. und 3. genannten Kürzel
sind hier nicht aufgenommen. — Die bibliographischen Abkürzungen s. unten
S. 185ff.)
* rekonstruierte Form
< entstanden aus
> geworden zu
| markiert Vers-Anfang bzw. Vers-Ende
↑ verweist vom Elementarteil auf das entsprechende Lemma im Haupt-
kommentar
~ locus desperatus
A 1, B 1 (etc.) bezeichnet Zäsuren im Hexameter (vgl. M 6)
aind. altindisch
akkad. akkadisch
a.O. am (angegebenen) Ort
att., Att. attisch, das Attische
Bed., bed. Bedeutung, bedeutet
Bez., bez. Bezeichnung, bezeichnet
Chrest. Chrestomathie (Inhalts-Angabe des Proklos zum ‘Epischen Kyklos’)
Cypr. Cypria, ‘Kyprien’ (im ‘Epischen Kyklos‘)
ep. episch
fgrE frühgriechisches Epos
fr. Fragment (fragmentum)
gr. griechisch
Hes. Hesiod (Op. = opera, ‘Werke und Tage’; Th. = Theogonie)
‘Hes.’ Hesiod zugeschriebene Werke (Sc. = scutum, ‘Schild des Herakles’;
fr. = Fragmente)
hethit. hethitisch
hom.h. homerische Hymnen (h.Ap.: an Apollon; h.Bacch.: an Bacchus/Dio-
nysos; h.Cer.: an Ceres/Demeter; h.Mart.: an Mars/Ares; h.Merc.:
an Mercurius/Hermes; h.Pan: an Pan; h.Ven.: an Venus/Aphrodite)
Hs., Hss. Handschrift(en)
idg., Idg. indogermanisch, das Indogermanische
Il. parv. Ilias parva, ‘Kleine Ilias’ (im ‘Epischen Kyklos’)
Il. Pers. Iliou Persis, ‘Zerstörung Troias’ (im ‘Epischen Kyklos’)
Introd. Introduction
Lok. Lokativ
myk., Myk. mykenisch, das Mykenische
n. lat. nota (mit ‘15n.’ wird auf den Kommentar zu Vers 15 verwiesen)
Nost. Nostoi, ‘Heimkehrgeschichten’ (im ‘Epischen Kyklos’)
PN Personen-Name
sc. scilicet
Schol. Scholion, Scholien
XVI Ilias 1
R 1 Die hom. Sprache ist eine Kunstsprache, die geprägt ist durch: G
1.1 das Metrum (kann Umgestaltungen aller Art bewirken); 3
1.2 die Technik der oral poetry (für viele häufig wiederkehrende Inhalte 3
werden Formeln verwendet, oft in metrisch unterschiedlich einsetzbaren
Varianten);
1.3 verschiedene Dialekte: Grunddialekt ist das Ionische; dieses ist mit For- 2
men aus anderen Dialekten, insbes. dem Äolischen (sog. Äolismen),
durchsetzt, die oft zugleich Varianten nach 1.1 bzw. 1.2 liefern.
Häufig ist das Digamma bei Homer zudem aus dem Metrum erschließ-
bar, nämlich bei
4.3 Hiat (s. R 5) ohne Elision (1.7: ÉAtre˝dhw te (W)ãnaj); 22
4.4 Hiat ohne Kürzung des langvokalischen Auslauts (1.321: t≈ (W)oi, vgl. 21
R 5.5);
4.5 Bildung von sog. Positionslänge bei Einzelkonsonanz (1.70: ˘w (W)e¤dh). 24
4.6 Teilweise ist Digamma nicht mehr berücksichtigt (1.21: uflÚn •khbÒlon, 26
urspr. Wek-).
R5 Hiat: Zusammenprall von vokalischem Auslaut mit vokalischem Anlaut
(hiatus ‘Klaffen’) wird vermieden durch:
5.1 Elision: Kurzvokale und -ai in Endungen des Mediums werden elidiert 30/
(1.14: st°mmatÉ ¶xvn; 1.117: boÊlomÉ §g≈; 5.33: mãrnasy' ıppot°roi- 37
si), gelegentlich auch moi/soi (1.170). Aus Elision resultierender Hiat
wird belassen (1.2: êlge' ¶yhken).
5.2 Ny ephelkystikon: Nur nach Kurzvokal (e und i), v.a. D. Pl. -si(n); 3. Sg. 33
Impf./Aor./Perf. -e(n); 3. Sg. und Pl. -si(n); Modalpartikel ke(n); Suffix
-fi(n), vgl. R 11.4; Suffix -ye(n), vgl. R 15.1; liefert zugleich metrisch
willkommene Varianten.
5.3 Kontraktion über die Wortfuge hinweg (als Krasis notiert: têlla, 31
x≤me›w).
Hiat ist v.a. zulässig bei:
5.4 Schwund des Digamma (vgl. R 4.3); 34
5.5 sog. Hiatkürzung: langer Vokal/Diphthong im Auslaut wird gekürzt 35
(1.17: ÉAtre˝dai te ka a ‹ êlloo i §#knÆmidew; 1.15 [mit Synizese: R 7]:
xrus°° ƒ
Œ énå skÆptrƒ);
5.6 metrischer Zäsur oder allgemein Sinneinschnitt; 36
5.7 nach -i und ‘kleinen Wörtern’ wie prÒ und ˜. 37
R 10 Adaptation ans Metrum: Drei (oder mehr) kurze Silben hintereinander 49f.
oder eine einzelne zwischen zwei langen (beides unmetrisch) werden
vermieden durch:
10.1 metrische Dehnung (é é —y ãnatow, d *i ogenÆw, o Îrea statt ˆrea; m°nea
pnee ¤ ontew statt pn°-);
10.2 veränderte Wortbildung (polemÆÛow statt pol°miow; flppioxa¤thw statt
flppo-).
Formenlehre
Die hom. Sprache weist teils vom Attischen abweichende, teils zusätzliche Fle-
xionsformen auf:
R 11 Beim Nomen sind insbesondere zu nennen:
11.1 1. Deklination: 68
G. Pl. -ãvn (1.604: Mousãvn) und -°vn (1.273: boul°vn);
D. Pl. -˙si (2.788: yÊr˙si) und -˙w (1.238: palãm˙w);
G. Sg. m. -a—o (1.203: ÉAtre˝dao) und -ev (1.1: PhlhÛãdev);
11.2 2. Deklination: 69
G. Sg. -oio (1.19: Priãmoio);
D. Pl. -oisi (1.179: •tãroisi);
11.3 3. Deklination: 70–
G. Sg. der i-Stämme: -iow (2.811: pÒliow) und -how (16.395: pÒlhow); 76
G./D./A. Sg. der *eu-Stämme: -∞ow, -∞Û, -∞a (1.1: ÉAxil∞ow; 1.9: basi-
l∞Û; 1.23: fler∞a);
D. Pl. -essi bei s- und anderen Konsonantstämmen (1.235: ˆressi);
11.4 G./D. Sg./Pl. auf -fi (1.38: ‰fi; 4.452: ˆresfi); oft metrisch willkom- 66
mene Variante (z.B. b¤hfi neben b¤˙).
R 12 Abweichende Stammbildung (und damit Flexion) zeigen u.a. folgende
Nomina:
12.1 nhËw: G. Sg. nhÒw, neÒw, D. nh˝, A. n∞a, n°a; N. Pl. n∞ew, n°ew, G. nh- 77
«n, ne«n, D. nhus¤, nÆessi, n°essi, A. n∞aw, n°aw.
12.2 polÊw, polÊ (u-Stamm) und pollÒw, pollÆ, pollÒn (o/*a-Stamm) wer- 57
den beide durchdekliniert.
4 Ilias 1
12.3 uflÒw: G. Sg. ufl°ow, uÂow, D. ufl°Û, ufle›, uÂÛ, A. uflÒn, ufl°a, uÂa; N. Pl. 53
ufl°ew, ufle›w, uÂew, G. ufl«n, D. uflãsi, uflo›si, A. ufl°aw, uÂaw.
12.4 ÖArhw: G. ÖArhow, ÖAreow, D. ÖArhÛ, ÖAreÛ, ÖAr˙, A. ÖArha, ÖArhn, 53
V. âArew, ÖArew.
12.5 Ähnlich komplexe Flexionsreihen noch bei gÒnu (G. goÊnatow neben 53/
gounÒw, N./A. Pl. goÊnata nb. goËna), dÒru (doÊratow, -ti etc. nb. 77
dourÒw, -¤ etc.); ZeÊw (DiÒw, Di˝, D¤a nb. ZhnÒw, Zhn¤, Z∞n/Z∞na).
R 13 Ungewohnte Steigerungsformen sind u.a.: xere¤vn, xeirÒterow, xerei- 79
Òterow (neben xe¤rvn); ére¤vn (neben éme¤nvn). Auch zu Substantiven
können Steigerungsformen treten, z.B. basileÊterow, basileÊtatow.
R 14 Abweichende Pronominalformen:
14.1 Personalpronomen: 81
1. Sg. G. §me›o, §m°o, meo, §m°yen (sehr selten: moi, z.B. 1.37)
2. Sg. G. se›o, s°o, seo, s°yen; D. toi
3. Sg. G. eÂo, ßo, ßyen, •yen; D. oÂ, •o›, ofl; A. ß, •°, •, min
1. Pl. N. êmmew; G. ≤m°vn, ≤me¤vn; D. ∏min, êmmi; A. ≤m°aw, êmme
2. Pl. N. Îmmew; G. Ím°vn, Íme¤vn; D. Îmmi; A. Ím°aw, Îmme
3. Pl. G. sfe¤vn, sfevn; D. sfisi, sfi; A. sf°aw, sfe, sfeaw, sfaw
1. Dual N./A. n≈, n«Û; G./D. n«Ûn
2. Dual N./A. sf≈, sf«Û; G./D. sf«Ûn
3. Dual N./A. sfve; G./D. sfvÛn
14.2 Interrogativ-/Indefinitpronomen: 84
G. Sg. t°o/teo; D. Sg. teƒ; G. Pl. t°vn; entsprechend ˜tteo, ˜teƒ etc.
14.3 Demonstrativ-anaphorisches Pronomen (= ‘Artikel’, vgl. R 17): 83
gleiche Endungen wie bei den Nomina (R 11.1–2); N. Pl. m./f. oft mit
anlautendem t (to¤, ta¤).
14.4 Possessivpronomen: 82
1. Pl. èm— Òw
2. Sg./Pl. teÒw Í—mÒw
3. Sg./Pl. •Òw, ˜w sfÒw
14.5 Relativpronomen: 83
Als Relativpronomen fungiert häufig das demonstrativ-anaphorische
Pronomen (14.3).
R 15 Die kasusähnlichen Adverbbildungen stehen im Grenzbereich For- 66
menlehre/Wortbildung. Sie können metrisch willkommene Varianten zu
den echten Kasus bilden:
15.1 ‘Genetiv’: -yen (woher?, s. auch R 14.1), z.B. klis¤hyen (1.391);
15.2 ‘Dativ’: -yi (wo?), z.B. o‡koyi (8.513);
15.3 ‘Akkusativ’: -de (wohin?), z.B. égorÆnde (1.54).
24 Regeln zur homerischen Sprache (R) 5
Syntax
R 19 Kasusgebrauch: 97
19.1 Akkusativ der Beziehung ist besonders häufig (u.a. im sog. sx∞ma kay'
˜lon ka‹ katå m°row: zwei Akkusative bezeichnen je das Ganze und ei-
nen Teil davon, 1.362: t¤ d° s e f r ° n a w ·keto p°nyow;).
19.2 Gelegentlich erfolgen lokale Herkunfts-, Orts- und Richtungsangaben
ohne Präposition (1.359: én°du ... èlÒw; 1.45: tÒjÉ moisin ¶xvn;
1.322: ¶rxesyon klis¤hn).
R 20 Präpositionen:
20.1 Weisen eine größere Formenvielfalt auf: ên (= énã; apokopiert, oft mit 59
Assimilation: ím ped¤on, 5.87; vgl. R 16.1); §w (= efiw); efin, §n¤, efin¤ (=
§n); kãt (= katã; s. zu énã); pãr, para¤ (= parã); prot¤, pot¤ (=
prÒw); jÊn (= sÊn); Ípa¤ (= ÍpÒ).
20.2 Verwendung und Stellung sind unabhängiger (1) in bezug auf das No- 98
men (d.h. eher adverbiell), oft auch nachgestellt als Postposition, sog.
Anastrophe (und dann häufig mit Akut auf der Anfangssilbe: z.B. ⁄ ¶ pi,
1.162); (2) in bezug auf das Verb (d.h. nicht zwingend als Präverb mit
dem zugehörigen Verb verbunden, sog. Tmesis: §p‹ mËyon ¶telle,
1.25); liefert metrisch willkommene Varianten.
R 21 Modusgebrauch: 100
21.1 Der Modusgebrauch und die Verwendung der Modalpartikel (ke/ken =
ên) sind weniger streng geregelt, als in der att. Schulgrammatik be-
schrieben.
21.2 Die Funktionen von Konjunktiv und Futur lassen sich nicht immer
scharf trennen.
R 22 Charakteristisch homerische Konjunktionen sind: 101
22.1 kondizional: afi (= efi);
22.2 temporal: eÂow/e·vw (= ßvw, ebenfalls belegt) ‘während’, ∑mow ‘als’, eÔte
‘als’, ˆfra ‘während, bis’;
22.3 kausal: ˜ ti, ˜;
22.4 komparativ: ±@te ‘wie’;
22.5 final: ˆfra.
R 23 Diathesenwechsel: Bei manchen Verben werden Akt.- und Med.-For- 100
men als metrisch willkommene Varianten ohne erkennbaren Bedeu-
tungsunterschied verwendet, z.B. fãto/¶fh, Ù˝v/Ù˝omai.
R 24 Partikeln mit teilweise vom späteren Gebrauch abweichenden Verwen- 101
dungsweisen:
24.1 êra, êr, =a, =': signalisiert oder suggeriert Evidenz, etwa ‘ja, (denn) al-
so, natürlich’; oft wohl v.a. aus metrischen Gründen gesetzt (bes. =' zur
Hiatvermeidung, vgl. R 5).
24 Regeln zur homerischen Sprache (R) 7
24.2 étãr, aÈtãr (etymolog. zu trennen, aber bei Homer nach metrischen
Gesichtspunkten ohne Bedeutungsunterschied verwendet): ‘aber, doch’;
teils adversativ (1.127: sÁ m¢n ... aÈtår ÉAxaio¤), teils progressiv (1.51:
aÈtår ¶peita), seltener apodotisch (wie d°, s.d.).
24.3 Apodotisches d°: d° kann nach vorausgehendem Nebensatz (Protasis)
den Hauptsatz (Apodosis) einleiten (z.B. 1.58). Gelegentlich werden
auch éllã (z.B. 1.82), aÈtãr (z.B. 3.290, vgl. 1.133) und ka¤ (z.B.
1.494) apodotisch verwendet.
24.4 ∑: ‘wirklich, in der Tat’; fast ausschließlich in direkten Reden. – Abge-
schwächt in den Verbindungen ≥toi (z.B. 1.68), ±m¢n ... ±d° ‘einerseits
... andererseits’ und ±d° ‘und’.
24.5 ke(n): = ên (vgl. R 21.1).
24.6 m°n: Nicht nur als Vorbereitung einer Antithese (mit nachfolgendem
d°), sondern häufig noch in seiner urspr. rein emphatischen Bedeutung
(≈ mÆn, mãn; z.B. 1.216).
24.7 mÆn, mãn: hervorhebend; wenn alleinstehend, bei Homer fast nur in neg.
Aussagen (z.B. 4.512) und bei Imperativen (z.B. 1.302); sonst verstär-
kend bei anderen Partikeln, bes. ∑ und ka¤ (z.B. 2.370, 19.45).
24.8 oÈd°/mhd°: konnektives oÈd°/mhd° steht bei Homer auch nach positiven
Sätzen.
24.9 oÔn: fast nur in Verbindung mit temporalem §pe¤ und …w, ‘(als) nun al-
so’ (z.B. 1.57).
24.10 per: betont das vorangehende Wort; spez. konzessiv, bes. bei Partizipien
(1.586: khdom°nh per ‘wenn auch betrübt’); steigernd (1.260: ére¤osi
±° per Ím›n ‘mit noch Besseren als euch’); limitativ-kontrastierend
(1.353: timÆn per ‘wenigstens Ehre’).
24.11 ‘Episches te’: Steht in generalisierenden Aussagen (z.B. 1.86, 1.218),
bes. häufig auch im ‘Wie-Teil’ von Gleichnissen (z.B. 2.90).
24.12 toi: zur Partikel erstarrter dat. ethicus des Personalpron. der 2. Person
(und oft nicht klar von diesem zu unterscheiden); appelliert an die be-
sondere Aufmerksamkeit des Adressaten, etwa ‘<denk> dir, <sag’ ich>
dir’.
24.13 toigãr: ‘daher’ (von toi ≈ soi zu trennen; das Vorderglied gehört zum
Demonstrativstamm to-, vgl. t≈ ‘darum’); leitet bei Homer stets die
Antwort auf eine Bitte ein (z.B. 1.76).
T ABELLARISCHER Ü BERBLICK
ÜBER DIE H ANDLUNG DES 1. GE S A N G E S
1–12a Prooimion
Thema wird sein der Groll Achills und seine schlimmen Folgen für
die Achaier – der Groll, der sich als Folge eines Streits Achills mit
Agamemnon tief in Achilleus eingewurzelt hat.
223–247a Achilleus legt einen Eid ab: Wenn die Griechen in höchste Gefahr
kommen und ihn dringend brauchen werden, wird Agamemnon sein
Verhalten einst noch tief bereuen.
247b–284 Der greise Nestor sucht zu vermitteln.
285–305 Beide Kontrahenten lehnen Nestors Versöhnungsvorschlag ab und
lösen die Versammlung auf.
1–12a Prooimion: Der Sänger fordert die Muse auf, das von ihm gewählte Thema
(durch seinen Mund) zu singen; in sukzessiver Ausfaltung der an den Anfang gestell-
ten Thema-Benennung skizziert er den stofflichen Großrahmen und den Inhalt seiner
geplanten Themabehandlung und stimmt das Publikum auf die von ihm vorgesehene
Art dieser Themabehandlung ein (1–7). Mit einem kurzen Frage-Antwort-Teil
(8–12a) leitet er zur ErzählungP über.
1–12a Das P r o o i m i o n (“Grundform des Erzähleingangs”: LÄMMERT 1955,
147) stellt durch Selbsteinführung des ErzählersP die Vermittlung zwischen Rea-
litäts- und Erzählungsebene her. Es verbindet die (1) Thema-Angabe (‘Groll des
Achilleus’) mit dem (2) Musen-Anruf (‘Göttin!’). Alle sechs Musen-Anrufe der
Ilias (1–7, 2.484–493, 2.761f., 11.218–220, 14.508–510, 16.112f.) fungieren als
indirekte Appelle des Erzählers an das Publikum (den Narrativen AdressatenP) zu
erhöhter Aufmerksamkeit: DE JONG 1987, 45–53 (so schon schol. AbT, in Auf-
nahme der [urspr. griechischen] rhetorischen Prooimial-Vorschrift ‘den Richter
[Hörer] wohlwollend machen’ (benevolum iudicem [auditorem] facere; s. z.B.
Quintilian 10.1.48: ‘[Homer] stimmt den Hörer wohlwollend durch Anrufung der
Göttinnen, die – wie man glaubte – schützend über den Sängern standen’; vgl.
LAUSBERG § 275a). – S t r u k t u r : Das Prooimion setzt sich aus zwei Ein-
heiten zu je einer Periode zusammen: Einheit 1 (1–7) besteht aus dem schrittweise
sich verlängernden Aufforderungssatz ‘Den Groll sing, Göttin!’, Einheit 2 (8–12a)
aus dem Frage-Antwort-Paar ‘Wer (hat den Groll veranlaßt)?’ – ‘Der!’; das ‘Der!’-
Stück faltet sich in zwei subordinierte Begründungssätze aus, an deren Ende der
Anschluß an die ErzählungP erreicht ist. – In Einheit 1 wird die präzisierungsbe-
dürftige Aufforderung ‘Den Groll sing, Göttin!’ durch drei konkretisierende Appo-
sitionen zu ‘Groll’ mit Sinn gefüllt: A: ‘(den Groll) des Peleus-Sohns Achilleus’;
B: ‘den vermaledeiten’; C: ‘der das und das zur Folge hatte, von dem und dem Au-
genblick an’. Durch A wird die Hauptfigur der Erzählung (Achilleus) eingeführt,
durch B der Grundton der Erzählung angeschlagen (abwehrende Faszination, s.
2n.), durch C dieser Grundton begründet (furchtbare kollektive Folgen einer indivi-
duellen Haltung – vom obersten Gott gedeckt! – seit der Entzweiung des Helden
mit dem Oberkommandierenden). C (53/4 von 7 Vv.) dient durch zunehmend empö-
12 Ilias 1
1 êeide: zur unkontrahierten Form R 6. — yeã: zur Form R 2.2. — PhlhÛãdeŒv ÉAxi-
l∞ow: zur Prosodie R 5.6, zur Synizese R 7. — PhlhÛãdeŒv : zur Flexion R 11.1. — ÉAxi-
l∞ow: zur Flexion R 11.3, R 3; zum Wechsel von -l- und -ll- (vgl. V. 7) R 9.1.
Kommentar 13
thmós: 16.62, 16.202, 16.282): die m *e nis entfaltet als Grundmotiv der Ilias-
handlung ihre ‘rezidivierende’ strukturelle Wirksamkeit: LATACZ (1985) 2003,
153–156. – m*enis (“das Eingangswort der ganzen europäischen Literatur”: FRISK
[1946] 1966, 390) wird in der Ilias (und der Odyssee) sonst nur Göttern beigelegt;
daraus ist wohl nicht auf ‘göttlichen’, ‘numinosen’ (u.ä.) Status des Achilleus zu
schließen (s. die Lit. bei CONSIDINE 1986, 57 mit Anm. 14), sondern eher auf sei-
ne besondere Gottes-, speziell Zeus-Nähe (CONSIDINE 1966, 19); der Wortbed. am
nächsten kommt wohl die Definition CONSIDINEs “not a religious term simply in
the sense that it is characteristically used of divine subjects. In accordance with its
‘numinous’ associations, it is inevitably a solemn term, and its use implies high
seriousness on the part of the being who entertains it, and a response of awe on
the part of its object” (CONSIDINE 1966, 21; 1986, 58). Das Grundmotiv des Epos
wirkt so bedeutungsvoller (solenner) (LfgrE s.v. m∞niw 188.27–30; vgl. auch
MUELLNER 1996).
m ∞ n i w : bezeichnet einen chronischen Erzürntheitszustand (§p¤monow ÙrgÆ: schol. D
zu V. 1; kÒtow poluxrÒniow: Aristarch bei Apollonios, Lexicon Homericum 112.24).
Das gängige ‘Zorn’ ist dafür keine angemessene Wiedergabe (“gemüthserregung der un-
lust, welche […] sich in unwillkürlichen worten und handlungen kräftig äuszert […] und
in der regel rasch entsteht und verläuft”: GRIMM s.v. ‘Zorn’, 92). Am besten entspricht
im Dt. ‘Groll’ (“der nachdruck liegt auf dem begriff des anhaltenden, nicht nachlassen-
den”: GRIMM s.v. ‘Groll’, 433); entsprechend LfgrE: “wrath […]. m. persists […] until it
has punished or been appeased, the time-span being shorter or longer”. ‘Groll’ durchge-
hend auch bei FAESI und AH. – Zu den verschiedenen Wörtern für Nuancen der Erzürntheit
im 1. Gesang s. 81–82n. Grundsätzlich zum Wortfeld ‘Zorn’ bei Homer s. CONSIDINE
1966 (mit lexikalischer Statistik). Etym. Zusammenhang von m∞niw und ma¤nomai (so
CONSIDINE 1986) ist nicht auszuschließen. – Von m∞nin hatte die H o m e r -
A n a l y s e ihren Ausgang genommen: WOLF 1795 hielt die letzten sechs Gesänge
der Ilias für durch die m∞niw thematisch nicht abgedeckt: In 19.75 erkläre der Erzähler
die m∞niw für beendet (s.o.); in den Gesängen 19–24 gehe es um einen neuen Zorn, sie
könnten also nicht vom gleichen Dichter (= Homer) wie der im Prooimion angekündig-
te m∞niw-Werkplan stammen (cap. 27) und müßten eine Appendix irgendeines ingeniö-
sen Rhapsoden der Folgezeit sein (ab aliquo ingenioso rhapsodo proxime insequentis
aevi composita: cap. 31; vgl. STR 12; zum forschungsgeschichtlichen Kontext dieser
schon von F. Hédélin, Abbé d’Aubignac, aufgestellten Behauptung s. LATACZ 1991b,
397–407); die Gegenargumente bei SCHWINGE 1981; 1991; LATACZ 1991b, 405 (“… die
Geschichte entwickelt sich […], der Groll hat Folgen, die ihn einholen und verwan-
deln”); zum Strukturprinzip der nur stückweisen Enthüllung des Gesamtbauplans der
Ilias s. ParalipseP (mit Lit.).
den Groll singe: Die normale Wortstellung wäre auch im Griechischen ‘Impera-
tiv – Objekt’; ihre Umkehrung rückt “das besonders Wichtige in den Vordergrund”
(SCHW. 2.695, mit V. 1 als Beleg; vgl. ebd. 691). Die Anfangsstellung des The-
maworts (wohl schon in der oral poetry traditionell) verfestigt sich nachiliadisch
14 Ilias 1
zur auch literarischen Tradition: ‘Den Mann nenne mir, Muse!’ (Odyssee), ‘Ilios
besing’ ich und das Land der Dardaner’ (Kleine Ilias im ‘Epischen Kyklos’), A r -
m a virumque cano (Vergil, Aeneis), B e l l a per Emathios plus quam civilia cam-
pos | … canimus (Lucan, Pharsalia), Of m a n’ s f i r s t d i s o b e d i e n c e , and
the fruit | of that forbidden tree … | 3 Vv. | sing, Heav’nly Muse (Milton, Paradise
Lost), usw. — Göttin: die Schutzgottheit der Künste und Künstler Muse (“denn
diese [die Musen] sind die einzigen Göttinnen, die singen”: schol. D); ‘Göttin’ und
‘Muse’ wechseln in Sänger-Anrufungen (Inspirationsbitten) ab: vgl. Od. 1.1 mit
1.10 (dazu LfgrE s.v. MoËsa 265.37ff.); bei ‘Muse’ verwenden die Sänger Sg.
(2.761) u. Pl. (z.B. 604, 2.484) “anscheinend ohne Bed.-Unterschied” (LfgrE s.v.
261.34); die später kanonische Neunzahl der Musen bei Homer nur in Od. 24.60,
ihre Individualnamen erst bei Hes. Th. 77–79. – Zu den Musen und zum Musen-
Anruf in der antiken Lit.: MOCKER 1893; MAYER 1933; NILSSON (1940) 1967,
253ff.; weitere Lit.: LfgrE s.v. 260f. Zu den Musen als “Formkonstanten der lit.
Tradition” bis zu Fielding und Blake: CURTIUS (1948) 1954, 235–252. – Das
S i n g e n (aéidein) der Musen – und damit ihrer menschlichen ‘Fortsetzer’, der
‘Sänger’ (aoidói) – bedeutet bewußte Abkehr von der Alltagsnorm menschlicher
Kommunikation und damit Eintauchen in eine Sonderwelt der Uneigentlichkeit
(‘Kunst’). Näheres zu den Sängern und zum Singen s. FOR 37f. — des Peleïa-
den Achilleus: Das Patronymikon (Vatersname), hier gr. P *el*e ïád *e s (zur Bil-
dungsweise: G 56), “(kann) zur genaueren Bezeichnung der betreffenden Person”
schon im Idg. zum Individualnamen, hier Achilleus, hinzutreten (SCHW. 1.634);
schon bei Homer kann der Geltungsbereich des Patronymikons über den Sohn
hinausgehen (Enkel, Abkömmling allgemein). Patronymika zeigen Zugehörigkeit
zur Aristokratie an (Stammbaum). – Die genitivische Junktur ‘des Peleïaden
Achilleus’ erscheint in der Ilias 6x (+ 2x Od.), stets am VE; das Patronymikon hat
also normalerweise Lückenfüllfunktion (s.u.). Hier, zu Beginn der Erzählung, kann
aber (gegen PARRY [1928] 1971, 119. 124, vgl. [1930] 1979, 219) nicht ausge-
schlossen werden, daß mit dem Patronymikon, über die metr. Praktikabilität hin-
aus, auch die Genealogie in Erinnerung gerufen werden soll: durch seinen Vater Pe-
leus ist Achilleus (1) Urenkel des Zeus und gehört er (2) zu dem berühmten (thes-
salischen) Aiakidengeschlecht (s. FM 2): das solenne VE stimmt in Verbindung
mit dem VA (‘Groll’) und der Vers-Mitte (‘Göttin!’) auf einen sozial gehobenen
Handlungsraum ein. – Monographische Behandlung der Figur des Achilleus (mit
Lit.): LATACZ 1995.
PhlhÛãdev ¸ É A x i l ∞ o w : Teil eines Nomen-Epitheton-Formel-Systems, vgl. z.B.
Laertiãde¸v ÉOdus∞ow (Götter und Helden im Gen. zwischen der Zäsur B 1 und dem
VE); Näheres bei PARRY (1930) 1979, 219, der allerdings dort (anders u. richtig [1928]
1971, 119) die ganze Junktur zu einem Lückenfüller erklärt – was wegen der Unentbehr-
lichkeit des gen. subi. ÉAxil∞ow auszuschließen ist; lückenfüllend ist nur PhlhÛãde¸v
(Ó Ó Ó): einziges Attribut Achills, das bei Ende des 1. Kolons in B 1 und VE-Stellung
Kommentar 15
des Gen. ÉAxil∞ow den Raum zwischen B 1 und C 2 auszufüllen imstande ist. Zu Parrys
changierendem Formelbegriff s. FOR 44. – Achills fünf P a t r o n y m i k o n -
V a r i a n t e n (Phle˝dhw 51x; PhlhÛãdhw 9x; Phle˝vn 44x [nur casus obl. im
Schema Ó Ó Ô: Phle˝vna, -i, -ow]; Phl∞ow/Phl°ow uflÒw/ufl° 9x [davon 5x als Vo-
kativ im Schema Ó Ó Ô]; Afiak¤dhw [vokal. Anlaut!] 24x) werden ohne Bed.-Unter-
schied je nach metr. Bedürfnis eingesetzt (DÜNTZER [1864] 1979, 92); auch als Peri-
phrastische Benennung P einsetzbar, decken sie zusammen mit den 371 Belegen von
ÉAxil(l)eÊw ( Ó bzw. Ô Ó Ó) den in den unterschiedlichen Kasus besonders großen
Versifikationsbedarf für den Haupthelden des Epos optimal ab. — m ∞ n i n … É A x i -
l ∞ o w : Das Hyperbaton schafft eine ‘kyklische Spannung’ (LAUSBERG § 716), die durch
die Satzspaltung (SCHW . 2.697) mittels des Vokativs yeã als Mitte des 5-Wort-Satzes
noch gesteigert wird: Die inhaltliche ‘Hochstimmung’ durch m∞niw, yeã und das Patro-
nymikon samt den damit aufgerufenen Assoziationen (s.o.) wird durch die hochelabo-
rierte Satzgestaltung auch formal unterstützt.
Der PN É A x i l e Ê w ist als a-ki-re-we bereits myk. belegt (s. MYK); seine Etym. ist trotz vieler Spe-
kulationen (u.a. NAGY 1976 nach PALMER 1963, 79: zu êxow [so schon schol. AT: diå tÚ êxow –
˜ §sti lÊphn – §penegke›n to›w ÉIlieËsin]) bis heute nicht geklärt; der Name ist vielleicht vorgr.:
v. KAMPTZ 348.
2 den ganz unsel’gen (gr. oulomén*en): Achilleus’ Groll (m*enis) wird durch diese
zweite, mittels progressiven EnjambementsP stark hervorgehobene Konkreti-
sierung (= Apposition B, s. 1–12a n.) vom Erzähler gewertet (s. Figuren-SpracheP;
DE JONG 1987, 143f., und 25n.). Schon die gr. Kommentatoren verstanden oulo-
mén*en als Verwünschung des Grolls durch den Erzähler: “als ob er über seine ei-
genen Angelegenheiten Schmerz empfände, verwünscht er [sc. der Dichter] ihn”
(schol. bT); entsprechend LSJ (unter Hinweis auf 14.84, 19.92, Od. 4.92): ‘accurs-
ed’ (ebenso LEAF, KIRK); ‘perishing’ WILLCOCK; ‘den unseligen’ AH; ebenso
GRIFFIN 1980, 119: “an accursed, a hateful wrath”. Unselige, verwünschte Leiden-
schaften sind ein Lieblingsthema der Weltliteratur. Die Ankündigung, von einer
solchen Leidenschaft erzählen zu wollen, weckt Faszination und erhöht die Span-
nung: warum die Verwünschung? Der folgende Relativsatz gibt die Antwort.
o È l o m ° n h n : adjektivisch verwendetes Ptz. Aor. Med., hier modal getönt (= ˘w ˆloi-
to: SCHW . 1.524, vgl. 2.182; “dem man ˆloio zurufen möchte, sollte u.a.”: SCHW .
2.17, 302; im gleichen Sinne LEAF , aufgenommen von KIRK. Vgl. ÙnÆmenow Od. 2.33
mit WEST z.St.: “of those to [or of] whom one says ˆnaio, ˆnaito, ‘blessed’”). – En-
jambement P mittels (meist viersilbiger) Partizipialformen vor A 4 ist ein technisches
Hauptmittel zur Vermeidung stichischer Monotonie. — m u r ¤ (a a ): bei Homer noch
nicht als Numerale; drückt die ‘Unzählbarkeit’ aus: SCHW . 1.593. Als Numerale
(10 000) sicher belegt erst ‘Hes.’ fr. 278.10 M.-W.
den Achaiern: Einen einheitlichen Gesamtnamen für die Belagerer Troias kennt
die Ilias nicht; statt dessen erscheint abwechselnd je eines der drei Ethnika Achaiói,
2 oÈlom°nhn: 1. Silbe metrisch gedehnt (R 10.1), von ˆllumai (↑ ). — êlge(a): zur un-
kontrahierten Form R 6. — êlgeÉ ¶yhken: zum Hiat R 5.1.
16 Ilias 1
Danaói und Argéioi (die Sammelbezeichnung ‘Griechen’ ist im Dt. erst seit der
Reformationszeit gebräuchlich; vorher mittelhochdt. Kriechen, althochdt. chrechi,
übernommen aus lat. Graeci [GRIMM s.v. ‘Grieche’], womit die Italiker vermutl.
einen westgriechischen Stamm Graikói bezeichneten; das Volk selbst nannte [und
nennt] sich seit der Ausbildung eines neuen Gemeinschaftsbewußtseins nach den
‘dunklen Jahrhunderten’ Héll*enes nach dem mythischen Stammvater Héll*en [wohl
erst vom 7. Jh. an; daher 2.530 mit der singulären Bezeichnung Panhéll*enes wohl
nachhomerisch, vgl. KIRK zu 2.529–30]). Die Bezeichnungen Achaiói und Danaói
sind durch außergriechische (hethitische, ägyptische) Schriftquellen der 2. Hälfte
des 2. Jt. als externe Bezeichnungen für bestimmte Teile des gr. Festlands und der
Ägäis-Inseln belegt (LEHMANN 1991; 1996; HÖGEMANN 1996; LATACZ [2001]
2005, 148ff.), Argéioi ist vom Namen der Zentrallandschaft der Peloponnes, Argos
(später Argolís), abgeleitet. Alle drei Bezeichnungen dürften – wohl synchron zu
entsprechenden historischen Auf- und Abstiegsprozessen und daher zeitlich ge-
schichtet – in die oral poetry des 2. Jt. Eingang gefunden haben, dann, nach dem
Zusammenbruch der myk. Hochkultur, als austauschbare Synonyme vom 2. ins
1. Jt. hineingewandert und dort von den Aoiden als willkommene metrische Vari-
anten beibehalten worden sein (DÜNTZER [1864] 1979, 99f.; PARRY [1928] 1971,
100f.; LATACZ [2001] 2005, 162–165). – Der Zusammenhang der homerischen
Achai[w]-ói (vgl. lat. Ach*ıv*ı), Toponym Achai[w]-ía, mit der hethitischen Reichs-
bezeichnung Ah≠ h≠ ijava gilt heute seitens der Hethitologie (STARKE 1997;
HAWKINS 1998; BRYCE 1998, 59–63. 321–324. 342–344) und Archäologie
(MOUNTJOY 1998; NIEMEIER 1999) als gesichert; die Mykenologie schließt sich
an (PARKER 1999, bes. 497: “communis opinio”), die Gräzistik ist auf dem Wege
(LATACZ [2001] 2005, 338ff.); geographisch ist Ah≠ h≠ ijava (jedenfalls ein Teil da-
von) im 14./13. Jh. “im südlichen/südöstlichen Ägäisraum” (mit Einschluß Mi-
lets) anzusiedeln (LEHMANN 1996, 6 Anm. 6; vgl. MOUNTJOY 1998); Ah≠ h≠ ijavas
“Auseinandersetzungen mit den Großkönigen von Hattusa – eindeutig vom West-
bzw. Südwestrand Kleinasiens aus – (sind) in den hethitischen Palastarchiven ein-
drucksvoll […] dokumentiert”: LEHMANN ebd. 4; Genaueres: STARKE 1997, 450–
454; HAWKINS 1998; BRYCE 1998 passim (Index); NIEMEIER 2007.
É A x a i o › w : myk. a-ka-wi-ja-de /Akhaiwian-de/ (≈ ÉAxaiW¤an-de, ‘nach Achaiwija’; vgl. LEHMANN
1991, 112; 1996, 6 Anm. 6).
3 ≈ 11.55 (s.u.). — starke Leben: Homerisch psych *e (80x Il./Od.) – i.d.R. mit
‘Seele’ wiedergegeben – deckt einen anderen Assoziationsbereich ab als dt. ‘Seele’
und seine modernsprachigen Äquivalente (HELBIG 1840, 27; SNELL [1939] 1975,
3 fify¤mouw: Fem. Formen von ‡fyimow sind bei Homer nur in Verbindung mit Personen
bezeugt. — ÖAÛdi: athematischer Dat. Sg. (nach diesem Bildungsprinzip nur noch Gen.
Sg. ÖAÛdow), ‘Hades’, flektiert sonst thematisch (ÉA˝dhw), vgl. R 11.1. — pro˝acen:
Aor. zu proÛãptv ‘zuwerfen’.
Kommentar 17
18f.). Die hom. psych*e hat eine ‘Drei-Phasen-Existenz’: “1. Lebensprinzip / wert-
voller Besitz im lebenden Menschen; 2. Element des Menschen, das beim Eintritt
des Todes den Körper verläßt und in die Unterwelt gelangt; 3. Vertreter des ganzen
Menschen mit typisch menschlichen Eigenschaften im Hades”: JAHN 1987, 38.
Das Attribut ‘kraftvoll, stark’ zeigt an, daß hier psychái der Phase 1 gemeint sind,
die der Groll aus den Körpern hinaus- (und dann in Richtung auf den Hades zu) be-
fördert (vgl. 5.654 ‘die psych*e dem Hades geben’). Der Ton liegt also auf der (an-
klagenden) Klage über die Vernichtung so vieler kraftvoller Menschenleben, zumal
solcher von Heroen (vgl. JAHN 1987, 32). – Zur rhythmisch ‘sprechenden’ Versge-
staltung s.u.
fif
fi f y ¤ m o u w : ‘kraftvoll, stark’ (vgl. ‰fi 38n.), im fgrE nur von lebenden Personen/Tie-
ren u. ihren Körperteilen (einmal von reißenden Strömen: 17.749): die cuxa¤ sind als
Teile von Lebenden vorgestellt; cuxÆ hat im fgrE nur hier ein adj. Attribut: ‘starke’
eigtl. zu ‘Heroen’ (Enallage). cuxa¤ verschmilzt mit ≤r≈vn zu einem Gesamtbegriff
(etwa ‘Heroenleben’, ‘Heroen-Existenzen’).
c u x ã w : In der Vers-Variante 11.55 erscheint kefalãw; dies las Apoll. Rhod. laut schol. bT auch
hier: auszuschließen, da kefalÆ bei Homer durchgängig seinen Körperteilcharakter bewahrt und
daher niemals, wie cuxÆ, in Gegensatz zu aÈtÒw treten könnte, das das Ganze des Körpers (mit
Kopf) bezeichnet. Vgl. 4n.
Hades: Die im Dt. eingebürgerte Form mit anlautendem /h/ ist sekundär (vermut-
lich erst attisch: SCHW. 1.266). Homer verwendet nur unaspirierte Formen (*Aïs,
Aïdv *es, Aïd*onéus; zu den Formen s. G 53), deren Bed. etymologisch durchsichtig
erschien: A-wid(-*es) (vgl. lat. vid*ere), ‘der Un-sicht(-bare)’, als Gott und Herrscher
in der Unterwelt neben Zeus (Oberwelt/Erde) und Poseidon (Oberwelt/Wasser; zur
Dreiteilung der Welt: 15.188); fast niemals (Ausnahmen allenfalls 8.16, 23.244)
ist H. Bezeichnung einer Lokalität (dafür steht regelmäßig ‘in des Aïdv *es Haus’,
‘jenseits des Aïdv *es-Tores’ u.ä.) (s. auch FG 14).
Ö A Û d i p r o ˝ a c e n : Der Gott ist als empfangende Person gedacht; der Versuch, zw.
ÉA˝dhw = ‘Gott der Unterwelt’ und *ÖAÛw = ‘Unterwelt’ < ‘Unsichtbarkeit’ zu unter-
scheiden (THIEME [1952] 1968), “läßt sich nicht ohne Willkür aufrechterhalten” (FRISK I
s.v., vgl. III s.v.); vgl. ÉAÛdvn∞Û proÛãcein 5.190. — p r o ˝ a c e n : pro- hat die
“Grundbedeutung ‘vorwärts-, voran-’ […]; die Bewegung nach vorn kann von einer Per-
son oder Sache weg […] führen”: SCHW . 2.505; also etwa ‘zum Hades hinschleudern’
(Zeitpunkt des Abwurfs). Gegenüber ‘normalem’ cuxØn ÖAÛdi didÒnai (5.654 =
11.445, 16.625), efiw ÉA˝dao p°mpein [tinã] (21.48) und efiw ÉA˝dao prop°mpein [ti-
nã] (8.367) stellt proÛãptein eine die Gewaltsamkeit betonende Steigerung dar. – Die
Struktur des Verses scheint den erzählten Vorgang rhythmisch nachbilden zu wollen:
1. Vers-Teil: Ó Ó Ó Ó Ó Ó Ó (pollåw dÉ fify¤mouw cuxãw: Verhaltung durch Spondeen +
Pausensetzung an den Normstellen A 3, B 1, C 1: die strotzend vitalen cuxa¤ werden so
lange wie möglich im Körper festgehalten); – 2. Vers-Teil: Ó Ó Ú (ÖAÛdi pro-
˝acen: Beschleunigung durch Übergang in die rein daktylische Bewegung: die cuxa¤
werden fortgeschleudert).
18 Ilias 1
4 von Helden (eigtl. ‘Heroen’): Die im (progressiven) EnjambementP bis über die
Versgrenze hinausgezögerte Besitzerangabe stellt nachträglich eine Hyperbaton-
Spannung her (nicht irgendwelche Leben – Leben von Heroen!): der Wert der verlo-
renen psychái wird erneut gesteigert. – In myk. Zeit vermutlich lebendiger Spezial-
titel innerhalb der Hierarchie, fungiert h*er*os in der Ilias-Erzählung nur noch als all-
gemeine Bezeichnung der adeligen Handlungsträger der Vorzeitgeschichte (meist
dem Eigennamen vorangestellt: z.B. h*er*os Idomenéus, etwa ‘Edler Herr Idome-
neus’), zielt also nicht auf eine individuell erbrachte überragende Leistung, sondern
zeigt als Statusbegriff die Zugehörigkeit zur obersten Gesellschaftsformation, der
Herrenschicht, an. ‘Heroen’ evoziert so beim Publikum zugleich ‘historische’ und
‘soziale’ Vorstellungen von einem Menschentypus längstvergangener singulärer
Qualität (urspr. viell. ‘Herr, Meister’: RUIJGH 1995, 75 Anm. 267). — sie
selbst: Als Gegensatzbegriff zu ‘Leben’ (3) bezeichnet ‘selbst’ die leblosen Kör-
per der Heroen, die nach dem Austritt der im Moment des Todes dem Hades zuge-
schleuderten psychái als leere Behältnisse (≈ Leichname) auf dem Schlachtfeld zu-
rückbleiben.
a È t o Ê w : Die (im Attischen etablierte) anaphorische Funktion der obliquen Kasus von
aÈtÒw (= Personalpronomen der 3. Person) ist bei Homer erst im Entstehen begriffen
(z.B. 7.204); im Vordergrund stehen die Bed. der “Ausschließlichkeit oder Gegensätz-
lichkeit als ‘selbst’ (lat. ipse) und – seltener – [die] Bed. der Identität als ‘der selbe, der
gleiche’ (lat. idem)”: SCHW . 2.211 (danach CHANTR. 2.155–158). Die hier betonte “op-
position du corps et de l’âme” (CHANTR . 2.156) wird besonders erhellt durch 23.65f.
∑lye dÉ §p‹ (zu Achill) cuxØ Patrokl∞ow … | pãntÉ aÈt“ … efiku›a (vgl. auch Od.
11.602): aÈtÒw bezeichnet den Menschen in seiner Körperlichkeit. — • l ≈ r i a : hom.
hapax P (Imitation: Apoll. Rhod. 2.264; Oppian, Halieutica 4.429); wohl metrisch be-
dingte -ion-Erweiterung zum sonst üblichen Neutrum ßlvr, Pl. ßlvra, zu •le›n (etwa
‘Greif-, Faß-Stück’): SCHW . 1.105, 470 (“Augenblicks-Plur.”). — t e Ë x e : ‘bereitete
zu’, vgl. 11.624 to›si d¢ teËxe kukei« §#plÒkamow ÑEkamÆdh, 19.208 teÊjesyai
m°ga dÒrpon , ferner 1.467 = 2.430 = 7.319 tetÊkontÒ te da›ta; hier mit affiziertem
Obj. (aÈtoÊw): ‘bereitete sie zu als’, fast schon ‘machte sie zu’.
für Hunde: Die Vorstellung, als unbestatteter Leichnam von Hunden (und Vö-
geln) zerfleischt und gefressen zu werden, ist eine Horrorvision für die hom. h*er*oes
(und stellt daher die entsetzlichste Drohung im Munde des Feindes dar): 2.393,
8.379, vgl. ferner 13.831, 17.241, 22.335, 22.354, 24.411 (Hunde und Vögel);
18.271, 22.42 (Hunde und Aasgeier); 11.818, 13.233, 17.558, 18.283, 22.66ff.,
22.89, 22.339, 22.348, 22.509, 23.182f., 24.211 (Hunde allein); vgl. SEGAL
1971, bes. 9ff. Als Norm gilt eine Waffenstillstandsvereinbarung am Ende des
Kampftags zur Bergung der Leichen.
Die Verse 4 und 5 wurden von Zenodot laut schol. A athetiert; Grund unbekannt (Vermutungen bei
PFEIFFER [1968] 1978, 143); schon das Schol. wendet zu Recht ein: g¤netai d¢ tÚ proo¤mion kÒlon;
Nachweis der Unentbehrlichkeit der beiden Verse u.a. bei VON DER MÜHLL 1952, 14 Anm. 5.
5 und für die Vögel zum Bankett: gr. dais bezeichnet bei Homer nicht die All-
tagsmahlzeit (déipnon, auch bei Tieren: 2.381/383), sondern ein festliches, oft
offizielles Gemeinschaftsmahl (vgl. 9.487: ‘zur dais gehen’ vs. ‘zu Hause essen’);
in der Regel wird man zur dais eingeladen (424, 4.343f., 9.70, 9.90 usw.). Die
dais ist die Vorläuferin des späteren sympósion (LATACZ [1990] 1994, 359–361)
mit allen seinen gesellschaftlichen Funktionen. Demgemäß wird dais in der Regel
nicht zur Bezeichnung von reinen Nahrungsaufnahmevorgängen verwendet. Hier
bereitet die m*enis Achills den Raubvögeln ein (seltenes) Festmahl (ähnlich noch
das Gleichnis 24.43): der Sarkasmus dieses letzten Worts in der Aufzählung der
m *enis-Folgen krönt die Emotionalisierung (s. 1–12a n.). Sarkastische Wortver-
wendungen sind bes. in der ‘Militärsprache’ häufig; zu Homer s. LATACZ 1977,
167 Anm. 70 (weiterführend JANKO zu 13.290–1). An eine Wiedergabe mit ‘ban-
quet’ hatte schon LEAF z.St. gedacht. – Das makabre Tableau – an den Leichen
zerrende Hunde und festlich ‘tafelnde’ Vögel – machte tiefen Eindruck: noch bis auf
uns sind 4 Zitate der 1. VH in Stücken der drei großen Tragiker Athens im 5. Jh.
gelangt: Aischylos, Hiketiden 800f.; Sophokles, Antigone 29 (verschleppt in
Phoinissen 1634, s. PFEIFFER [1968] 1978, 142 Anm. 29); Euripides, Ion 504f.,
Hekabe 1078.
p ç s i ] d a › t a : Drei der Tragiker-Stellen (Aischyl.: kus‹n … ßlvra képixvr¤oiw |
[p
ˆrnisi de›pnon ; Soph.: n°kun … | §çn … êklauton, êtafon, ofivno›w borãn ; Eur.
Ion: ptano›w | … yo¤nan | yhrs¤ te foin¤an da›ta) zeigen, indem sie nach dem jewei-
ligen Wort für ‘Vögel’ ein Nomen (mit der Bed. ‘Mahl’) bieten, daß im 5. Jh. die Homer-
Vulgata da›ta aufwies (mit dem Chiasmus •l≈ria kÊnessin – ofivno›si da›ta). Für
da›ta sprechen auch die parallelen Gebrauchsweisen von teÊxein (s. 4n.). da›ta
schrieb laut Athenaios 1.12 f auch Zenodot (der die Verse 4–5 aus anderen Gründen aus-
scheiden wollte). Aristarch verwarf da›ta, weil dieses Wort bei Homer nie von tieri-
scher Nahrungsaufnahme gebraucht werde (in 24.43 zog er da›ta vermutlich zu bro-
t«n, s. LEHRS [1833] 1882, 87; PFEIFFER [1968] 1978, 143 Anm. 34; RICHARDSON zu
24.41–3), und ersetzte es durch pçsi (dessen Herkunft unbekannt ist: alte Lesart? alte
Konjektur? Konjektur Aristarchs selbst?), das allein dann in die Homer-Überlieferung
Eingang fand. pçsi, das WEST im Text hält und unter Hinweis auf Aristoph. Av. 1117 u.
Soph. Aias 830 als “good idiom” verteidigt (WEST 2001, 173), gilt i.d.R. als “flat and
inaccurate, seeing that only certain birds, such as vultures, would be interested [!]”
(WILLCOCK). WILAMOWITZ 1884, 20, sah durch NAUCKs (1877, Xf.) Verwerfung von pç-
si “die aristarchische schlechte conjektur ofivno›s¤ te pçsi für da›ta aus dem prooemi-
um der Ilias für alle nicht unfreien köpfe vertrieben” und verurteilte Aristarchs Argumen-
tation als eine “torheit” (ebd. 386); ebenso seit AH (Anh. zu V. 5) die Mehrheit der
deutschsprachigen Homer-Philologen (umfassend durchargumentiert bei PFEIFFER
5 ofivno›si: zur Flexion R 11.2. — §tele¤eto: zu tele¤v, ep. Nebenform von tel°v.
20 Ilias 1
[1968] 1978, 142–146, mit dem Ergebnis: “In 1.5 folgte Zenodot einer Lesart des fünf-
ten Jahrhunderts”; vgl. auch RENGAKOS 1993, 30 Anm. 1). Die Klimax der aufgezählten
Schrecklichkeiten (mur¤É ... êlgea 2, pollåw – fify¤mouw – cuxåw ÖAÛdi pro˝acen |
≤r≈vn 3/4, aÈtoÁw … •l≈ria … kÊnessin 4: de¤nvsiw, s. LAUSBERG § 257.3c) würde
nach verbreiteter Ansicht durch ein komisch wirkendes ‘und den Vögeln allen’ zunichte
gemacht.
Zeus’ Wille war’s, der sich darin erfüllte: ‘Zeus’ Wille, Ratschluß, Plan’
(Diós boul*e) erscheint als handlungslenkender Faktor noch 12.236, 12.241,
13.524, 20.15, 20.20: an allen Stellen sind werkinterne Planungen bzw. Entschei-
dungen des Zeus gemeint. Schon die alexandrinischen Philologen (Aristophanes v.
Byzanz und Aristarch nach schol. D) setzten demgemäß den hier genannten Zeus-
Ratschluß mit der in 522–530 berichteten Willensbekundung des Zeus an Achills
Mutter Thetis (Zunicken) gleich, ihrem von Agamemnon gedemütigten Sohn Ge-
nugtuung zu verschaffen (= interne ProlepseP). Die Gegendeutung, mit Diós boul*e
sei nicht 522–530 gemeint, sondern ‘eine vorgängige (d.h. eine vor Beginn der
Ilias-Handlung getroffene) Entscheidung des Zeus gegen die Griechen’ (= externe
AnalepseP), wies Aristarch als ‘Erfindungen (Phantastereien, Fiktionen) der Neue-
ren’ (schol. A) zurück; mit den ‘Fiktionen’ (plásmata) dürfte er die Erzählung des
nachhom. kyklischen Epos ‘Kyprien’ (fr. 1.7 Bernabé/Davies) gemeint haben, der
zufolge die Diós boul*e darin bestand, den Troianischen Krieg aus Mitleid mit der
übervölkerten Erde als ‘Liquidationsmaßnahme’ anzuzetteln; in neuerer Zeit wurde
diese Deutung vor allem von der ‘Neoanalyse’ wieder aufgegriffen (KULLMANN
[1955; 1956] 1992, 11–37), fand aber innerhalb des Hauptstroms der Forschung
keinen Anklang (s. z.B SCHADEWALDT [1938] 1966, 146; LESKY 1967, 93;
HEUBECK 1974, 56; WILLCOCK; KIRK): In der Klimax der kausalen Undurchsich-
tigkeit, die das Prooimion spannungs- und empörungssteigernd bis zur ‘Explosion’
des Fragestaus in V. 7 (s.d.) aufbaut, bildet die (unerwartete) Begründung der anein-
andergereihten Schrecklichkeiten ‘… und alles das war der Wille des Zeus!’ den
Gipfelpunkt. Worin dieser ‘Zeus-Wille’ besteht und wie er zustande kam, wird
durch die Erzählung selbst schrittweise aufgedeckt werden (zu dieser hom. Erzähl-
strategie s. ParalipseP).
D i Ú w d É § t e l e ¤ e t o b o u l Æ : Der mit ¥ (V. 2) beginnende Rel.-Satz (= Apposition C
zu m∞nin V. 1, s. 1–12a n.) läuft bis zur Zeitbestimmung 6f.: ‘seit der Entzweiung von
Agamemnon und Achilleus’ (s. 6n.). In diesen Rel.-Satz eingeschoben ist als ‘Mesothe-
se’ (SCHW . 2.706) die Erklärung DiÚw dÉ §tele¤eto boulÆ. Gemeint also: ‘In der Berei-
tung der Leichenmahlzeit für Hunde und Vögel (d.h. in der Entsetzlichkeit des Todes un-
zähliger Achaier) durch den Groll Achills erfüllte sich Zeus’ Wille’. Die persönliche Un-
terstützung des Zeus für die Gegner der Griechen wird damit bereits hier als Triebkraft der
Ilias-Handlung festgelegt (für die Identität der DiÚw boulÆ mit der §paggel¤a prÚw Y°-
tida weist schon schol. T auf den Vers ZeÁw m¢n êra Tr≈essi ka‹ ÜEktori boÊleto
kËdow [13.347] hin).
Kommentar 21
d › o w É A x i l l e Ê w : VE-FormelP (55x Il.; ka‹ d›ow ÉAxilleÊw außer hier noch 20.160);
d›ow (generisches EpithetonP) ist Beiwort “irgendeines Nomens etwa alle 70 Verse ein-
mal”: PARRY [1930] 1979, 215f.; vgl. 249 zur Pionierrolle DÜNTZER s ([1863] 1872;
[1864] 1979, bes. 100f.) bei dieser Erkenntnis; zur metr. Praktikabilität von d›ow s.
noch PARRY [1928] 1971, 94. 146f. 151f. (vgl. FOR 2, Anm. 4). – Im Myk. ist d›ow in
den Formen di-u-jo bzw. di-wi-jo belegt und bedeutet dort noch ‘appartenant à Zeus’, bei
Heroennamen wohl ‘descendant de Zeus’; bis zu Homer sinkt es in die reine Formelhaf-
tigkeit (‘bien né, noble’) ab: RUIJGH 1995, 81 Anm. 280 (vgl. schon DÜNTZER [1864]
1979, 100: Ausdruck der “höchsten Vortrefflichkeit”, mit dem keine spezifische Bed.
assoziiert wird; ähnlich LfgrE s.v.). Die dt. Wiedergabe ‘göttlich’ ist analog nur als fa-
çon de traduire zu verstehen. Ob die ursprüngliche Aussagekraft vom Hörer an Stellen
wie dieser revitalisiert werden kann (in diesem Sinn AH), muß offen bleiben (s. zu Ph-
lhÛãdev 1n., u. vgl. FOR 39 mit Anm. 25). Zu den Möglichkeiten, Revitalisierung
(mit Wahrscheinlichkeit) zu diagnostizieren, s. grundsätzlich DE JONG 1998.
8 Wer von den Göttern …: Suggestivfrage, scheinbar “aus der Seele des Hörers”
(AH; DE JONG 1987, 91); wird nicht an die Muse gerichtet, sondern ist “ein in die
Rede hineingenommener fingierter (also monologischer) Dialog [sc. mit dem Au-
ditorium] mit Frage und Antwort […] zur Belebung der Gedankenfolge” (LAUS-
BERG § 771); leitet zum geplanten Erzählungsbeginn über. — Streit (gr. éris):
Streit als Auseinandersetzung ist das Kernmotiv von Heldendichtung (BOWRA
[1952] 1964, Kap. II; VAN WEES 1992), als Kampf entweder (1) gegen Feinde oder
(2) gegen Widersacher (Rivalen) im eigenen Lager (VAN WEES 1992, bes. 109–
125). – Die Ilias unterscheidet sich vom Normaltyp des Kriegs-Epos durch die Un-
terordnung der 1. unter die 2. Form, s. 6n. Diese Auseinandersetzung – ‘der Streit’
– beherrscht die ersten zwei Drittel der Ilias (8–305: Entstehung und Eskalation des
Streits als zunächst Wortstreits bis zum Bruch; 306–19.74: Auswirkungen des
Bruchs, für die beiden Kontrahenten selbst, die sie tragende Gemeinschaft und den
gesamten Kriegsverlauf); nach der (formalen) Beilegung des Streits im 19. Gesang
(19.75) ist das letzte Epos-Drittel der Regulierung der Streit-Folgen gewidmet.
[tt ¤ w t ã r ] t ¤ w t É ê r : Zu t(e) + êra nach Fragepronomina (“Steigerung der Lebhaftig-
keit” mit “folgernder Bedeutung”: “wer hat sie denn nun [also] entzweit?”) s. K.-G.
2.240, 323; vgl. SCHW . 2.559; RUIJGH 1971, 805 (“force emphatique”; “la combinai-
son ‘interrogatif + tÉ êr’ remonte à une époque antérieure à Homère”). Zur Schreibung
tãr (nach RUIJGH a.O. Zusammenziehung, wie bei gãr < gÉ êr; nach WATKINS 1995,
150f., und KATZ 1996 eigene Partikel, verwandt mit luw. -tar, zur Einleitung bes. bedeu-
tungsvoller Aussagen) s. ORTH 4. Zu êra s. GRIMM 1962 (vgl. R 24.1). — s f v e : Zur
Entstehung dieser unbetonten Akk.-Form s. S CHW . 1.603 Anm. 2. — ¶ r i d i : direkt-
finaler Dativ zu jun°hke: ‘zum Streit (zusammenhetzen)’ (vgl. 7.210, 20.66, 20.134,
21.394 [AH]): SCHW . 2.140; mãxesyai ist final-konsekutive Ergänzung (‘zum Kämp-
8 t¤w … ye«n: zu verbinden. — sfve: Akk. Dual des Pers.-Pron. der 3. Pers., ≈ aÈtoÊw
(R 14.1). — jun°hke: Aor. von jun-·hmi (vgl. 48n.), jun- = sun- (R 20.1).
24 Ilias 1
fen’): AH, K.-G. 2.2. — m ã x e s y a i : bei Homer weit überwiegend ‘physisch kämpfen’
(das Deverbativum mãxh immer so, vgl. TRÜMPY 1950, 128); von 269 Belegstellen im
fgrE nur 9 (davon 3 von der Kontroverse Agamemnon-Achilleus: LfgrE s.v. 55.6ff.) mit
der Bed. ‘mit Worten kämpfen’; offenbar (als Steigerung von §r¤zein) die bes. Vehe-
menz einer verbalen Auseinandersetzung betonend.
9 Der Leto und des Zeus Sohn: Apollon (s. FG 5; Kenntnis der Genealogien
der ‘großen’ Götter wird vorausgesetzt). Apollon wird nur hier so raumfüllend um-
schrieben, kaum aus rein versifikatorischen Gründen (KIRK): Apollon steht in der
Troia-Gesamtgeschichte, zusammen mit Aphrodite (FG 4) und Ares (FG 6), auf
seiten der Troianer; an diese seine Grundsatzposition wird gleich zu Beginn der
Ausschnitts-Erzählung ‘Ilias’ einprägsam erinnert: Verursacher des hier themati-
sierten ‘Streites’, der Troia begünstigt und Troias Fall retardiert, ist Apollon. —
Leto: s. FG 18. — Zeus: s. FG 24. — zornig auf den König: Zum Motiv
des Götterzorns als Ursache menschlicher Leiden s. IRMSCHER 1950. — zornig:
gr. chólos bez. urspr. die Galle; die entsprechende Zornempfindung ist ein jähes
Aufwallen: ‘Jähzorn’ (vgl. ‘Choleriker’); vgl. dagegen m*enis (1n.) und kótos (81–
82n.). — König: gr. basiléus ist im Mykenischen Amtstitel lokaler Funktionäre
(PERPILLOU 1973, 392; dem Zentralherrscher bleibt der Sondertitel wánax vorbe-
halten, s. 7n.) und lebt in prinzipiell gleicher Bed. bei Homer weiter: ‘König’ kann
sowohl jeder Lokal- bzw. Regional-Obere einzeln heißen (in Titelkumulation na-
türlich auch der wánax / hom. ánax) als auch jedes Mitglied eines kollektiven loka-
len oder regionalen Führungsgremiums, eines ‘Rates’ (boul*e); ‘der König’ könnte
hier also theoretisch sowohl Agamemnon (bzw. Menelaos) als auch Achilleus sein
(so schon mykenisch: “Clearly the title alone is not enough to identify the per-
son”: YAMAGATA 1997, 13); das (fehlleitende) Mißverständnis ‘Achilleus’ wird in
der Sinn-Einheit 9–12a durch ‘der Atreïde’ ausgeschlossen, ‘Menelaos’ durch das
Vorwissen des Publikums (7n.). – Zu den Unterschieden in der Verwendung von
wánax und basiléus im Myk. s. PALAIMA 1995, bei Homer YAMAGATA 1997.
Zur Diskussion über Herrschaftstitel und Herrschaftsformen von der myk. bis zur hom. Gesellschaft
s. GSCHNITZER 1991 (Forschungsüberblick) u. RAAFLAUB 1991; 1993; 1997.
10 sandt’ eine Seuche …: ProlepseP der Schilderung 44–52. — Seuche (tradi-
tionell auch ‘Pest’): gr. nósos bez. Krankheiten jeglicher Art, nicht speziell Seu-
chen. Der Seuchencharakter der hier gemeinten Krankheit wird durch die durative
Verbform olékonto (‘sie kamen ununterbrochen um’) signalisiert. – Zu Apollon
als Seuchenbringer s. 38n., 39n., 43–52n. – Die Spezies der Seuche interessiert
9 LhtoËw ka‹ DiÚw uflÒw: = Apollon. — ˘ gãr: zur anaphorischen Funktion von ˜, ¥, tÒ
R 17. — basil∞Û: zur Flexion R 11.3, R 3.
10 noËson: = nÒson (R 10.1). — Œrse: Aor. von ˆrnumi. — Ùl°konto: ohne Aug-
ment, zu Ùl°kv, Nebenform von ˆllumi (↑ ). — lao¤: zu la —W Òw (↑ ), ion.-att. le≈w (mit
Quantitätenmetathese: R 3).
Kommentar 25
hier nicht; entscheidend ist ihre Bösartigkeit (‘eine schlimme’), ihr epidemischer
Charakter (ergriffen werden Mensch und Tier), ihre Unaufhaltsamkeit und ihr regel-
mäßig tödlicher Ausgang (mit der Konsequenz der fortschreitenden Dezimierung
des Belagerungsheers).
é n å s t r a t Ò n : stratÒw (str≈nnumi/stor°nnumi ‘ausbreiten, lagern’) bez. primär
das gelagerte, selten das kämpfende Heer (z.B. 13.308, Od. 2.42), énã bez. (wie katã,
das als konsonantisch anlautende Wechselform fungiert, s. 229n.) die horizontale li-
neare Erstreckung im Raum (‘über – hin’): SC H W . 2.441, vgl. 433. — n o Ë s o n …
k a k Æ n : kakÆn, noch jenseits der Mittelzäsur B 2 als Nachtrag fast satzwertig gesetzt
(‘und das war eine schlimme!’; vgl. FRÄNKEL [1926] 1960, 114) und unmittelbar vor die
entsprechende Folge (‘um kamen sie’) gestellt, konstituiert einen bes. effektvollen Typ
des Hyperbatons (ähnlich noch 24.219, 24.528); das EpithetonP ist hier demgemäß
nicht ornamental (‘particularized’: PARRY [1928] 1971, 163). — Ù l ° k o n t o d ¢
l a o ¤ : VE-Formelvariante (ste¤nonto d¢ l., épofyinÊyousi d¢ l., usw.). — Ù l ° -
k o n t o : Das k-Präsens betont den ‘erfolgreichen’ Abschluß des Verbalvorgangs; das
Impf. drückt die aus individueller Wiederholung resultierende lange Andauer dieses Vor-
gangs aus: SCHW . 1.702 mit Anm. 5, danach CHANTR . 1.329. — Ù l ° k o n t o d ° : Die
bei Homer noch sehr häufige Parataxe mittels d° statt der Hypotaxe mittels logisch ver-
deutlichender Nebensatzkonjunktionen ist genetisch aus der einfacheren Handhabbar-
keit beim improvisatorischen Sprechen zu erklären (SCHW . 2.633f.; BAKKER 1993;
B AKKER 1997a, 297–299); d° kann dabei Kausal-, Konsekutiv- (wie hier, s. CHANTR .
2.358 u. vgl. 3.115, Od. 4.446 usw.), Temporal- u.a. -Beziehungen abdecken. —
l a o ¤ : Bereits im Myk. vielverwendeter Terminus des öffentl. Lebens (s. MYK), be-
zeichnet das Kollektivum laÒw bei Homer das ‘Volk’, die ‘Bevölkerung’ in Frieden und
Krieg, in der Ilias themabedingt weit überwiegend das ‘(männl.) Volk unter Waffen,
Truppe, Heer, Kriegsvolk’ (dagegen d∞mow entweder geschlechts-, alters- u. schichten-
indifferent die ‘Wohnbevölkerung’, das ‘Wohnquartier’, oder sozial herabstufend das
‘niedere Volk’, z.B. 2.198); der Pl. lao¤ bez. in der Ilias überwiegend als milit. t.t. die
einzelnen ‘Männer unter Waffen, Kämpfer, Krieger, Soldaten’ (oft am einfachsten wie-
derzugeben mit ‘die Leute’), nie etwa ‘Völker’. Zur genaueren Begriffsbestimmung und
-entwicklung (bis zu dt. ‘Laie’) s. HEUBECK 1969; VAN E FFENTERRE 1977; WELSKOPF
1981; LfgrE s.v.
11 diesen Chryses … einen Priester: hochelaborierte sprachliche und rhyth-
mische Versgestaltung (s.u.): Chryses erhält in der Form einer im Hyperbaton
nachgetragenen und ans betonte VE gestellten Apposition (SCHW. 2.615) eine er-
läuternde Berufsangabe; überdies wird sein Name eingeführt durch ein ‘präsentie-
rendes’ Dem.-Pron. (wörtlich: ‘dén: den Chryses’), das ihn als Neuling in der Ge-
schichte vorzustellen scheint (vgl. PARRY [1928] 1971, 163); Chryses, Chryseïs
und Chryse erscheinen in der Ilias nur im 1. Gesang, in Auslöserfunktion für den
Apollon-Zorn. Das Namensystem ‘Chryses (Vater) – Chryse (Stadt) – Chryseïs
(Tochter)’ ist nach traditionellem Muster gestaltet: Salmoneus von Salmon hat ei-
ne Tochter Salmonis (REINHARDT 1961, 51 Anm.); die Allerweltsbedeutung der
Namensbasis (der Goldmann von Goldstadt hat eine Tochter Goldchen) scheint je-
doch auf ad hoc-Erfindung hinzudeuten (REINHARDT 1961, 62), wie bei den ‘klei-
nen Kämpfern’ der Ilias, die (einschließlich Herkunftsort und Genealogie) vom Er-
zähler als morituri erfunden werden, um aus der Geschichte folgenlos wieder ausge-
schieden werden zu können. Die umgekehrte Sicht (unsere Ilias setzt eine in vor-
hom. Epik erzählte Chryses-Geschichte voraus) – lange favorisiert von der Neo-
Analyse (KULLMANN 1960, 287ff.; [1965] 1992, 177–179) – verliert an Boden
(KULLMANN [1991] 1992, 113f.; vgl. auch 366n.). Zum Komplex der Reimna-
men (Chryseïs – Briseïs usw., s. 184n.) s. REINHARDT 1961, 50–57. – Zum Um-
gang späterer gr. Autoren mit den Chryses-‘Informationen’ s. 37–38n. (Chryse),
366n. (Chryseïs).
o Ï n e k a … é r h t ∞ r a : ganz auf Präsentierung angelegter 5-Wörter-Vers als versus
spondiacus: Ó Ó A|4 Ó Ó B|1 Ó Ó C|2 Ó Ó Ó Ú: deiktisches tÒn (im longum!) wird vom
Namen durch Zäsur abgesetzt (ist also nicht ‘praepositiv’, vgl. FRÄNKEL [1926] 1960,
144f.), der Name wird betont vor die Mittelzäsur gestellt, die nähere Kennzeichnung der
neuen Figur (érht∞ra) folgt nach C 2 als versschließendes spondeisches ‘Schweres
Wort’ (s. FRÄNKEL [1926] 1960, 107. 111); vgl. PARRY (1928) 1971, 163 (‘particular-
ized epitheton’: “Chryses, who was a priest”). — o Ï n e k a : in der Ilias bis auf 11.21
(‘daß’) immer zur nachdrücklichen Betonung von Kausalität: ‘deswegen, weil’; erst all-
mählich zu einfachem ‘weil, da’ abblassend: SCHW . 2.661f. — [†tt Ú n X r Ê s h n ] t Ú n
X r Ê s h n : ˜, ¥, tÒ ist bei Homer noch das reguläre (anaphorische oder, wie hier, vor-
ausweisend-präsentierende) Demonstrativum (sog. ‘dér-Deixis’: SCHW . 2.207; vgl.
G 99 u. R 17); reine Artikelfunktion ist noch sehr selten, z.B. Od. 19.372, viele Fälle
sind umstritten (s. CHANTR . 2.165); ˜de und otow sind weniger häufig (neue Theorie
dazu: BAKKER 1999). Vergleichbar sind Stellen wie 8.532 e‡ k° mÉ ı Tude˝dhw … | …
ép≈setai ‘ob mich dér: der Tydide …’; 23.465 ±¢ tÚn ≤n¤oxon ‘oder dén: den [ur-
sprünglich führenden] Wagenlenker …’; weitere Stellen bei SCHW. 2.21f. (“Einführung
von etwas Neuem”); zur “fonction, non de définir, mais de mettre en accent, de présen-
ter” s. CHANTR . 2.162, 165; hier sorgt tÒn auch dafür, daß das ˜ in 12 nicht auf ÉAtre˝-
dhw bezogen wird. Textänderungen scheinen daher unnötig. Anders WEST 2001, 173:
“(the article) is intolerable [...] No convincing emendations.” — X r Ê s h n : der PN ist
vom vorgr. Ortsnamen XrÊsh abgeleitet: v. KAMPTZ 303.
nicht geachtet hatte: gr. a-timáz*o, ‘nicht-ehren’, bezeichnet einen Normbruch:
Der höchste Wert im Wertesystem der Akteure von Heldendichtung ist tim*e, ‘Ehre,
Anerkanntheit’ (zur Untrennbarkeit von ‘Held’ und ‘Ehre’ in aristokratischer heroic
poetry s. BOWRA [1952] 1964, Kap. III; zur zentralen Bedeutung des Motivs in der
Ilias vgl. 159–160n., 173–187n., 353n.); wer einen anderen ‘nicht-ehrt’, negiert
dessen Anspruch auf diesen Wert und macht ihn so öffentlich ‘ehr-los’, ‘wert-los’.
Insofern Priester in der Ilias durchweg Adlige sind (Chryses, Dares, Onetor, Dolo-
pion, Theano [FM 9]: vgl. GRAF 1997, 474), sind sie bereits vom Sozialstatus
Kommentar 27
55, 43) oder folgen (z.B. 33), aber auch weiter entfernt stehen und muß dann aus dem Zu-
sammenhang erschlossen werden (rückweisend z.B. 29 tÆn, vorausweisend z.B. 488–
489 ˜); dabei kann sich, wie hier mit ÉAtre˝dhw, zwischen Bezugswort und Pronomen
ein zwar grammatikalisch, nicht aber logisch beziehbares Nomen einschieben: ˜, ¥, tÒ
bezieht sich auf die jeweils thematische Person oder Sache, hier XrÊshn.
zu den … Schiffen der Achaier: erste Bezugnahme auf den Schauplatz der
Handlung: zusammen mit ‘Heer’ in V. 10 ergibt sich die Bestimmung ‘milit.
Flottenexpedition’. Auf deren Ort und Zeitpunkt sowie auf die milit. Konstellation
wird jedoch erst 17–21 (indirekt und Selbstverständlichkeit suggerierend) einge-
gangen: der Erzähler rechnet mit einem allein durch die Kombination von Namen
(Achilleus, Achaier, Atreïde) und Stichwörtern (Groll, Streit) bereits ausreichend
aktivierten allgemeinen Schauplatz-Vorwissen des Publikums: Troia-Expedition
(vgl. LATACZ [1985] 2003, 90–92). — schnellen: Die Schiffe liegen aufge-
schleppt am Strand, sind also z.Z. bewegungslos. Schon die antike Homer-Philo-
logie hat die überwiegend dekorative Funktion der meisten hom. EpithetaP erkannt
(“nicht in diesem Augenblick, sondern von Natur aus”: Aristarch, s. PARRY
(1930) 1979, 247; zur ganzen Problemgeschichte s. FOR). Zu ‘Schiff/Schiffe’ ver-
fügt die Sängersprache über 23 verschiedene Epitheta (die natürlich grundsätzlich
zu ‘Schiff’ passen; bevorzugt aufgegriffene Schiffs-Eigenschaften sind Funktion:
‘schnell’, Farbe: ‘schwarz’, Bauform: ‘hohl, gewölbt, bauchig’: GRAY 1974, 97f.)
mit insgesamt 70 Flexionsformen, von denen nur zwei metr. gegeneinander aus-
tauschbar sind (PARRY [1928] 1971, 112f.); die Formen bilden so zusammen mit
den verschiedenen Kasusformen von ‘Schiff/Schiffe’ ein perfektes System, das dem
Sänger den Einbau des Begriffs ‘Schiff’ an jeder beliebigen Versposition innerhalb
des Hexameters mit geringstmöglichem Suchaufwand ermöglicht (s. ALEXANDER-
SON 1970; GRAY 1974, 96, mit Tabelle). — Schiffen der Achaier: Benen-
nung des Standorts der zweiten der beiden Kriegsparteien, der Belagerer; ersetzt das
ganze Werk hindurch eine topographische Bezeichnung (vgl. LfgrE s.v. nhËw
386.59–61). Die (laut ‘Schiffskatalog’, 2.484–759, insgesamt 1186) an Land ge-
zogenen und in Reihen-Staffelung nebeneinander aufgeschleppten Schiffe sind als
halbkreisförmiger, weit ins Land hineinreichender Schutzwall (analog zu einer
Stadtmauer) vorgestellt, innerhalb dessen die Lager-Unterkünfte (‘Zelte’, s. 185n.)
nach dem Modell einer Polis (mit Versammlungsplatz, Verbindungswegen usw.)
errichtet sind (LATACZ 1977, 112; JANKO zu 15.653–4, 15.406–9; HÖLKESKAMP
1997, 5–8); zur Position der einzelnen Schiffskontingente (Aias zuäußerst links,
Agamemnon und Odysseus in der Mitte – zwischen beiden in 2. Reihe Nestor –,
Achilleus in der ehrenvollsten Position zuäußerst rechts) s. CUILLANDRE 1943,
23–34; Skizzen (in Nachfolge Aristarchs, s. JANKO zu 13.681) bei HAINSWORTH
zu 11.5–9 und JANKO zu 13.681 (im wesentlichen übereinstimmend). – Die seit
1981 laufenden Tübinger Ausgrabungsarbeiten um und in Troia haben ergeben, daß
jede Belagerung Troias von See her aufgrund der topographischen Verhältnisse im
Kommentar 29
2. Jt. v. Chr. nur von der heutigen Behik-Bucht (vor der südl. Dardanellen-Einfahrt)
her erfolgt sein könnte (KORFMANN 1984, 167; 1986, 311–314; LATACZ 1988).
y o å w § p ‹ n ∞ a w É A x a i « n : VE-Formel P (9x Il.; yoåw §p‹ n∞aw Ô Ó Ú: 5x Il.), vgl.
auch 371n.
13 um loszukaufen seine Tochter: Frauen als Kriegsbeute (ergriffen bei Aus-
schaltungsfeldzügen gegen Orte im Hinterland Troias [vgl. TAPLIN 1986], z.B.
2.226–228, 9.128–130, 18.339–342) dienen den Belagerern als Arbeitskräfte und
Sexualpartner (WICKERT-MICKNAT 1982, 11–13), vgl. 31n. Ihr Freikauf ist, wie
bei allen Kriegsgefangenen (vgl. 21.102, 21.34–119), vom Einverständnis des
neuen Besitzers abhängig. Zum ganzen Komplex s. THORNTON 1984; RICHARD-
SON zu 21.34–138; PARKER 1999. — eine hohe Freikaufsumme: wörtl.
‘Ab-geltung’: eine Offerte (keine starr festgelegte Menge), die angenommen oder
abgelehnt werden kann; die Höhe ist ein Schätzwert aus ‘Verkehrswert’ (z.B.
1 Frau ≈ 1 Dreifuß-Kessel oder 4 Rinder: WICKERT-MICKNAT 1982, 12 Anm. 56)
+ geschätzter Wert für den neuen Besitzer + Möglichkeiten des Bieters. Im Nor-
malfall werden Edelmetalle und/oder Kleinodien offeriert (2.229f., 6.48, 22.50 u.ö.
[AH]); Maximum einer Abgeltung in der Ilias: 24.228–235 (Priamos’ Offerte für
seinen [toten] Sohn Hektor, Troias ‘Kronprinzen’). — hohe: gibt gr. aperéisi(a)
wieder, das zwar wörtl. ‘ohne (angebbare) Grenze, unermeßlich’ bedeutet, aber mit
ápoina eine feste Formelverbindung eingegangen ist (s.u.) und daher nur noch
‘viel’ ausdrückt.
l u s Ò m e n Ò w t e … f ° r v n t (ee ): die Beiordnung der Partizipien wohl durch Formel-
modifikation bedingt, vgl. 24.502. — é p e r e ¤ s i (a a ): épere¤siow (metr. gedehnt
statt *éper°siow zu *ép°retow, vgl. pe¤rv usw.: RISCH 124; s. G 49) bildet mit épei-
r°siow “metr. Wechselformen” (LfgrE). épere¤siÉ êpoina ist VE-FormelP (11x Il.), auf
einen besonders hohen Wert der Chryses-êpoina soll also schwerlich hingewiesen
werden (vgl. 23n. zu églaã); Hervorhebung eines besonders hohen Wertes wird viel-
mehr durch Formelsprengung erreicht: 24.594: oÎ moi éeik°a d«ken êpoina von der
Priamos-Offerte. — ê p o i n a : Haplologie für *épÒ-poina, gebildet mit Suffix -no-,
wie ßdna (RISCH 97; LfgrE).
14–15 das Kranzgebinde … an goldnem Stab: Priester-Insignien als Fried-
fertigkeits- und Immunitätssignal zur Absicherung des gefährlichen Bittgangs ins
Lager des Landesfeindes (vgl. 24.352–360). Der Stab (sk*eptron, ‘Szepter’) ist das
Würdezeichen hoher Amtsträger (Könige, Feldherrn, Richter, Herolde, Priester, Se-
her); er beeindruckt durch ehrwürdiges Alter und wertvolles Material (s. 234n.,
245f., 2.100–108; vgl. den goldenen Stab des Sehers Teiresias Od. 11.90f.); Chry-
ses’ Stab ist am oberen Ende mit einem Gebinde (stémmata) aus Lorbeerblättern
umwunden; Lorbeer ist das Attribut Apollons (erster expliziter literarischer Beleg:
h.Ap. 396 [8./7. Jh. v. Chr.: CLAY 1997, 501]): Chryses ist als Apollon-Priester
erkennbar.
14 ferntreffenden: Apollon sendet mit seinen Pfeilen Krankheit und Tod, s.
37n., 43–52n. — Apollon: Der Erzähler läßt in der Ilias beide Parteien dieselben
Götter verehren. Außer epischer Konvention dürfte dahinter die gr. Überzeugung
stehen, für ein und dieselben (universellen) Götter hätten die einzelnen Sprachge-
meinschaften nur unterschiedliche Namen (s. FG 3). – Zum religionsgeschichtli-
chen Problem der Herkunft des Gottes Apollon (nicht bezeugt in Linear B, ebenso-
wenig wie Aphrodite) und zum Problem seines Namens (BURKERTs Herleitung
vom dorischen t.t. apélla ‘Volksversammlung’ [1975, vgl. HEUBECK 1987] bleibt
umstritten: GRAF 1996, 1824) s. FG 5. Zu Apollons Rolle in der Ilias s. 9n.
s t ° m m a t (a
a ) … É A p Ò l l v n o w : Hyperbaton als feste Umklammerung des Verses,
zur Spezifizierung des jeweiligen Besitzers bzw. Agens (CHANTR. 2.60; vgl. V. 1 m∞nin
… ÉAxil∞ow, 2.53 boulØn … gerÒntvn u.ö.): Es ist (nicht irgendein, sondern) das
(signifikante) Gebinde Apollons. Apollons st°mmata sind aus Lorbeer (vgl. z.B.
Aristoph. Plut. 39 Fo›bow ¶laken §k t«n stemmãtvn mit h.Ap. 396 [Fo›bow ÉApÒl-
lvn] xre¤vn §k dãfnhw). Entsprechend LSJ z.St.: “esp. of the priest’s laurel-wreath,
wound round a staff”; die Erklärung ‘Wollbinde(n)’ (AH z.St. und Anh. z.St., danach
LEAF, WILLCOCK, KIRK) ist aus schol. Soph. Oid. T. 3 herausgesponnen. — • k h b Ò -
l o u É A p Ò l l v n o w : deklinierbare VE-FormelP (-ƒ … -i / -on … -a, insges. 6x Il., 2x
Hes., 4x hom.h.), wechselt mit ÉApÒllvnow •kãtoio ab. — • k h b Ò l o u : Etymologie
des Vorderglieds umstritten; von den ep. Sängern (u. dann nachhom.: DE S IMONE 1970)
mit •kãw, ßkayen ‘fern, von fern’ verknüpft und auf das Bogenschießen Apollons bezo-
gen (s. 48n.); bildet zusammen mit •kathbÒlow, •kathbel°thw, ßkatow und •kãer-
gow ein metr. System (RISCH 220; LfgrE s.v. •kãergow).
15 x r u s ° ƒ
Œ é n å s k Æ p t r ƒ : Die prosodische Irregularität (Kombination von Synize-
se und Hiatkürzung) wird gemildert bei Einsetzung der (wahrscheinlichen) myk. Form
des Adj., k h r *us(j)*oi (o.ä.): HEUBECK 1978, 69–76; RUIJGH 1995, 84; 1997, 591; WEST
1998, XXXVIf. — é n å s k Æ p t r ƒ : énã mit Dat. (Lok.) bezeichnet die Ruhelage:
‘oben an’ (AH; SCHW . 2.441). — l ¤ s s e t o : in der Ilias weit überwiegend von Bitten
von Mensch zu Mensch bzw. Gott zu Gott (LfgrE), stets von eindringlich (oft instän-
dig, flehentlich: 5.358, 6.45, 15.660; andernfalls afit°v, afit¤zv, ênvga, keleÊv)
vorgetragenen inhaltsschweren Bitten (vgl. 283, 394, 502). — p ã n t a w É A x a i o Ê w :
vorgestellt ist eine Heeresversammlung (AH).
16 die Atriden beide: Agamemnon und Menelaos, die beiden einzigen Söhne des
Atreus, s. FM 2. Menelaos, Auslöser und ‘zweiter Mann’ (LfgrE s.v. Men°laow
128.61) des ganzen Troia-Unternehmens, ordnet sich seinem Bruder Agamemnon,
dem Oberfeldherrn, mit seinem Kontingent (60 Schiffe, Agamemnon: 100) milit.
freiwillig unter (vgl. 2.408, 2.586f.), wird aber von Agamemnon nicht als Unter-
gebener, sondern als Bruder und Mitfeldherr (und unentbehrliche Sinngarantie des
Unternehmens, s. 4.172) behandelt (s. 4.148–197). — Heer-Gebieter: gr. kos-
m*et*or (zu kósmos ‘schöne Ordnung’) bezeichnet den milit. Anführer als “Organisa-
tor der Heeresaufstellung” (LfgrE), den ‘Ordner’ (vgl. 2.704, 2.727, 12.87 usw.);
urspr. wohl eine milit. Rangbezeichnung (wie ‘Herr der Männer’, s. 7n.); zur
milit. Gebrauchsweise im einzelnen s. KERSCHENSTEINER 1962, 4ff.; LATACZ
1991b, 385; zur Etymologie: NEUMANN 1995.
É A t r e ˝ d a … d Ê v : logisch abundantes dÊv beim Dual als der Bezeichnung der Paa-
rigkeit ist seit Homer gängig (SCHW . 2.48f.). — l a « n : s. 10n. – Der Gen. Pl. vor-
nehmlich am VE in Titulaturen (für Könige und polit.-milit. Führer): neben kosmÆtore/
-i la«n (16 = 375, ferner 3.236, Od. 18.152) noch ˆrxame la«n (11x Il./Od.), ko¤ra-
ne la«n (4x Il.), ≤gÆtora la«n (20.383), po¤meni/-a la«n (passim, vgl. 263n.);
wo la«n prosodisch unmöglich, wird es durch éndr«n ersetzt, z.B. ˆrxamow éndr«n;
vgl. WITTE (1912) 1979, 113f., und FOR 23.
17–21 Chryses richtet an die Führungsspitze Agamemnon und Menelaos sowie an
die Gesamtheit der Achaier die offizielle Bitte, seine kriegsgefangene Tochter gegen
Entschädigung freizugeben. Die Parallelität dieser Szene (bis 32) und der Szene
‘Priamos vor Achill’ (24.553–570) ist stets gesehen worden (s. z.B. Eustathios zu
24.557), ihre Deutung (Imitation zwecks Verklammerung von Werkanfang und
-ende, also Indiz für zwei verschiedene Dichter? Indiz für ‘synchrone’ Ausarbeitung
des Gesamtwerks durch ein und denselben Dichter? u.a.) spiegelt Grundpositionen
der Homer-Interpretation wider (s. REINHARDT 1961, 63–68; LOHMANN 1970,
169–173. 204–209). – Die Bitte folgt dem nur wenig modifizierten Muster des
‘Gebets’ (s. 37–42n.): (1) Namensnennung des/der Adressaten (mit Ehrenbezeu-
gung); (2) Hinweis auf eigene Verdienste (hier als Erfolgswunsch); (3) Bitte (mit
dezenter Warnung vor Nicht-Erfüllung). – Formelle öffentliche Bitten haben An-
trags-Charakter und stehen unter dem Schutz des Zeus (vgl. 9.502–512: die ‘Bit-
ten’, Litái [FG 38], sind Töchter des Zeus; wer sie starrsinnig zurückweist, dem
lassen sie durch ihren Vater Zeus Unglück schicken); vgl. LATEINER 1997, 264).
17 = 23.272, 23.658. — Achaier mit dem guten Beinschutz (ëukn *e mides
Achaiói): VE-FormelP (31x Il., 5x Od., 1x Hes.). Beinschienen (vom Knöchel bis
über die Knie reichend) aus Metall, gefüttert mit Filz oder Stoff, sind seit dem
15. Jh. v. Chr. archäol. bezeugt; im 13. und 12. Jh. gehörten sie zur Standard-
Ausrüstung des myk. Kriegers (Fresken, Vasenmalerei) und tauchen seit dem frü-
hen 7. Jh. in der Vasenmalerei wieder auf (CATLING 1977a, mit Annahme latenter
Kontinuität; KUNZE 1991); im fgrE fungiert das Adj. wohl nur noch als metrisch
nützliches ‘heroisches’ Epitheton.
É A t r e ˝ d a i : Die Überlieferung bietet in 16 Dual und in 17 Plural. Vereinheitlichungsversuche (16
ÉAtre˝daw Zenodot, 17 ÉAtre˝da Bentley) scheinen überflüssig: der Wechsel ist begründet im Unter-
32 Ilias 1
schied zw. Erzähler- und Figurenrede (FigurP): Für den Erzähler sind ‘die Atriden’ traditionell ein
stehendes Paar (s. 7n.), bei der Figur Chryses würde eine in der Dual-Anrede implizierte Vertraut-
heit mit den inner-achaiischen Verwandtschaftsverhältnissen die Plausibilitäts- (jedenfalls aber An-
stands-) Grenze überschreiten.
18–20 Í m › n m ° n – p a › d a d ° : Erwartet wird Ím›n m°n – §mo‹ d°; durch die Nennung
des Wunschziels der Adressaten: Priãmoio pÒlin, verschiebt sich der Gegensatz von
den Personen auf die Objekte: ‘euch … die Stadt – die Tochter … mir’; zu diesem Phäno-
men allgemein K.-G. 2.267f. — d o › e n … l Ê s a i t e … d ° x e s y a i : Der Wunsch wird
begonnen im Optativ (Kupitiv: SCHW . 2.321), der gegenüber funktional gleichwerti-
gem Konjunktiv bzw. Imperativ “milder, unbestimmter, verbindlicher” ist (SCHW .
2.322, vgl. 321); die Fortsetzung mit imperativischem Inf. entspricht einem verbreite-
ten Sprachgebrauch (SCHW . 2.381; vgl. ähnlich Il. 3.458f.) und bedeutet keine Ver-
schärfung des Tones (die antike Konjektur lËsa¤ te würde Änderung von tå dÉ in tã tÉ
erfordern und der eigentlichen Bitte [l¤sseto 15n.], das Mädchen loszugeben, unange-
messene Schärfe verleihen, s. PEARCE 1996, 292ff., der deswegen seinen Vorschlag,
lËsa¤ te zu lesen, mit ‘Status-Gleichwertigkeit’ des Apollonpriesters Chryses begrün-
den muß).
18–19 Euch mögen gern die Götter …: Erfolgswunsch, der dem Element 6
(‘Vorleistung’, s. 37–42n.) des Gebetsschemas entspricht; insofern damit das Ma-
ximalziel der Invasoren unterstützt wird, stellt der Wunsch aus dem Munde eines
schwer geschädigten (s. 365–369) Einheimischen eine Unterwerfungserklärung
(keine “formality”: KIRK) dar.
18 die Götter, die Olymp-Bewohner: Ólumpos (vorgr. Bez. für den je höch-
sten regionalen Berggipfel; das /y/ wurde /u/ ausgesprochen) lebt in Berg-, Ge-
birgs- und Ortsnamen Griechenlands und Westkleinasiens bis heute fort. Der (hier
gemeinte) festlandgriechische thessalisch/makedonische Olymp ist ein steiler
(5.868) Nordwest-Südost-Gipfelgrat mit zahlreichen Gipfeln (s. 499); der höchste
(heute Mytikas) erreicht 2918 m; die obersten Gipfel sind bis tief in den Sommer
hinein schneebedeckt (532) und meist dunkel umwölkt (vgl. die entspr. Attribute
des Zeus, 354n.). Das Massiv gilt als Göttersitz (“O. bleibt bei Homer […] auch
als Götterwohnsitz der […] thess. Berg”: LfgrE s.v. ÖOlumpow 665.30f.), mit
Häusern (d*omata) für die Einzelgottheiten, erbaut von Hephaistos (606–608 u.ö.),
vorgestellt nach dem Modell einer hochgelegenen myk. Zentralpalastanlage (NILS-
SON [1940] 1967, 350–354, danach BEVIL.-CERR. zu 605); das höchstgelegene
Gebäude ist Sitz des wánax, hier Zeus (499), davon abgesetzt und absteigend die
Häuser der Herrschersöhne und -töchter sowie der Würdenträger (vgl. die Beschrei-
bung der Zitadelle von Troia, 6.242–250). Zur Vorstellung der ‘auf dem Olymp
wohnenden’, also ‘olympischen’ Großfamilie der ‘Olympier’ s. GRAF 1997, 496–
498. Der Olympos ist Regierungssitz des Beherrschers des Himmels (15.187–195)
Zeus (‘Himmel’ und ‘Olympos’ daher oft verkürzend gleichgesetzt, z.B. 8.19/21/
25; 24.97/104, vgl. auch 497n.), der als zuoberst Herrschender die Suprematie
auch über die Erde (mit Meer und Unterwelt) hat: 8.18–27. – Zum evtl. orientali-
Kommentar 33
schen Ursprung dieser Vorstellung s. WEST 1997, 112. – Anzahl und Identität der
‘olympischen’ Götter sind bei Homer noch nicht festgelegt (die spätere Zwölfzahl
zuerst h.Merc. 128, Pindar Ol. 10.49, die Namen erst seit dem 6. Jh. belegt); zu
den homerischen ‘olympischen’ Göttern s. FG 2–24.
É O l Ê m p i a d ≈ m a t É ¶ x o n t e w : flektierbare VE-FormelP (¶xontew, §xÒntvn, ¶xou-
sai, ¶xousi[n]; insges. 10x Il., 3x Od., 11x Hes., 5x hom.h.), sowohl attributivisch/
appositionell (nach/vor yeo¤/éyãnatoi) als auch substantivisch für ‘die olympischen
Götter’ (so immer in der Odyssee).
y e o¸ ¤ : Unter 207 Belegen des Nominativs im fgrE nur hier mit Synizese; auch in anderen Kasus ist
Synizese bei y. selten (yeo¸ ›sin Od. 14.251; ye¸«n h.Cer. 55 u. 259, Hes. Th. 44; ye¸oÊw h.Cer. 325); vgl.
G 46. ‘Emendations’-Versuche (z.B. Îmmi yeo‹ m¢n do›en Bentley) dennoch kaum geboten.
19 Priams Stadt: Erste Erwähnung des Handlungsorts, aus dem Mund einer Fi-
gurP, nicht-thematisch und in umschreibender Form: Vorausgesetzt wird, daß die
Identifizierung des Handlungsorts durch das Publikum bereits erfolgt ist (entweder
allein anhand der Thema-Angabe oder anhand der Vv. 1–7) und daß die Identität von
‘Priams Stadt’ mit Ilios/Troia bekannt ist. – Zusammen mit ähnlichen Umschrei-
bungen (‘Troer-Stadt’ in mehreren Varianten) dient diese Umschreibung der Stadt-
namen Ilios und Troi*e (dazu s. 71n.) vornehmlich der Versifikationserleichterung;
ob Formel-Revitalisierung aus stilistischen oder inhaltlichen Gründen möglich ist
(hier etwa vorsichtige Distanzierung: ‘Es ist Priamos’, nicht meine Stadt!’), muß
offenbleiben. – Zum Begriff der Polis im 8. Jh. s. HÖLKESKAMP 1997 (bes. 4–9);
MITCHELL/RHODES 1997; HÖLSCHER 1998. — Priams: Zur Person s. FM 8.
Der Name ‘Priamos’ ist nicht-griechisch (v. KAMPTZ 45, 138, 343f.); zur seit lan-
gem vorgeschlagenen (LAROCHE 1972, 126 Anm. 32) Gleichung mit dem luwi-
schen PN-Kompositum Priıamuua- (Prijamuwa-) ‘hervorragenden Mut habend’ s.
WATKINS (1986) 1994, 709ff.; HÖGEMANN 1996, 23; STARKE 1997, 458;
BRYCE 1998, 394f.; durch den Fund eines hieroglyphenluwisch beschrifteten Sie-
gels 1995 in Troia (dazu HAWKINS/EASTON 1996; LATACZ [2001] 2005, 71–95)
ist die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs gestiegen.
§ k p ° r s a i : §k- drückt die restlose Vollendung aus: ‘austilgen’ (SCHW . 2.462;
C HANTR. 2.97, mit Belegsammlung).
20 mein Kind …, das liebe (páida … phíl*en): Die außergewöhnlich weite Sper-
rung von Substantiv und Attribut (bei ‘liebe Tochter’, ‘lieber Sohn’ in der Ilias
sonst stets Kontaktstellung: 447, 2.713, 7.44, 16.460, 16.568, 18.147, 20.210,
24.619) postiert die beiden Begriffe an “Kraftstellen des Satzes” (K.-G. 2.600; hier
an den VA und zw. B 2 und C 1): während phílos (‘alles, was der eigenen Sphäre
des Sprechers angehört bzw. von ihm dazugerechnet wird’: ADKINS 1997, 706–
708) sonst bei natürlicher Zugehörigkeit (Körperteile, Verwandte u.ä.) zu rein pos-
sessivem, oft formelhaftem (z.B. 9.555) ‘mein’ abgeblaßt ist (s. aber 441n.), kehrt
hier das Hyperbaton die inhärente affektive Konnotation (‘mir lieb’) stark hervor
(vgl. PARRY [1928] 1971, 163: ‘particularized epithet’, und FOR 39).
t å d É ê p o i n a : ‘präsentierender’ Gebrauch des Artikels (CHANTR . 2.162): ‘dás da: das
Lösegeld’; vgl. 11n.
21 è z Ò m e n o i : “das Hauptmotiv für die Gewährung der Bitte”: AH. Der Appell an die re-
ligiöse Scheu vor der Gottheit (ëzomai zur gleichen Wurzel wie ëgiow ‘geheiligt’
[DELG]; dazu NILSSON [1940] 1967, 70) läßt eine Ablehnung der Bitte als Selbstgefähr-
dung erscheinen – “a message Agamemnon fails to grasp”: KIRK. èzÒmenoi begründet
also lÊsaite (tå dÉ êpoina d°xesyai ist fast parenthetisch): das Materielle wird,
wenn der Bittende Priester ist, zweitrangig (Erfüllung einer Konvention).
25 éf¤ei: Impf. (dagegen Präs. pro¤ei 2.752, mey¤ei 10.121). — §p‹ mËyon ¶tellen:
sog. Tmesis (R 20.2).
36 Ilias 1
verhüllten Todes-Androhung (WITTWER 1970, 57). Die guten Wünsche des Bitt-
stellers werden ignoriert, die Bitte selbst wird strikt abgelehnt, für das Mädchen
wird das äußerste Gegenteil der erbetenen Freiheit: wirtschaftliche und sexuelle
Ausbeutung, in Aussicht gestellt; der priesterliche Anspruch (s. 11n.) wird ver-
höhnt (28). Vergleichbar sind Reden der Freier in der Odyssee gegenüber dem Bett-
ler Odysseus und Vertretern der Odysseus-Partei (z.B. 17.446–452, vgl. 2.178–
207). – Inhalt und Ton des Bescheids sind von den Mit-Adressaten der Bitte (Mene-
laos, die Heeresversammlung: 17) nicht nur nicht autorisiert, sondern laufen ihrem
soeben erklärten Willen klar zuwider.
Aristarchs Begründung seiner Tilgung der Vv. 29–31, ein Angehöriger des Hochadels und oberster
Heerführer sage ‘solche Dinge’ nicht, projiziert die höfischen Sitten des ptolemäischen Alexandreia
auf Homer zurück und ist mit diesem Ansatz Vorbild für die über die ‘Querelle’ bis ins 19. Jh. hin-
einreichende unhistorische Interpretationsweise Homers (vgl. AH, Anh. z.St., und grundsätzlich
PFEIFFER [1968] 1978, 281–283).
26 Alter: gr. gér*on ist überwiegend positiv konnotiert (assoziiert mit Ehrwürdig-
keit – vgl. géras ‘Ehrengeschenk’ – und polit. Führungskompetenz, z.B. als Mit-
glied des Rats der gérontes, gerousía [vgl. lat. senex, senator u.ä.; s. LfgrE]); die
Anrede ist demgemäß gewöhnlich respektvoll gemeint (etwa “Senior!”, vgl. Señor,
Signore); gezielt despektierlich ist sie nur Od. 18.10 (herablassend-spöttisch etwa
Od. 2.178, 2.192, vgl. 2.201); hier dagegen scheint der Erzähler nicht Beleidi-
gungsabsicht (so AH) suggerieren, sondern – wie oft – (in Nutzung der natürlichen
Ambivalenz altersbezogener Anreden) die Bewertung dem Hörer überlassen zu wol-
len. — bei den hohlen Schiffen: vgl. 12b n.
§ g ≈ : Die konfrontative Ich-Betonung (im Griechischen bis heute funktional unverän-
dert: SCHW . 2.187) setzt die Linie des autokratischen Verhaltens (und damit der Selbst-
isolation) Agamemnons fort.
27 sei’s jetzt … oder später: Die formvollendete höfliche Bitte wird mit einem
rüden ‘Hinauswurf’ beantwortet: eine Unverhältnismäßigkeit der Reaktion, die das
Ausmaß der vom Priester erbetenen Vergeltungsmaßnahme: tödliche Krankheit für
alle Achaier (42), verständlich machen kann. – Der Konfliktverlauf bereitet den
Ablauf des Agamemnon-Achilleus-Konflikts vor (AntizipationP): (1) legitime In-
tervention – (2) unverhältnismäßig schroffe Ablehnung – (3) Einschaltung einer
göttlichen Instanz – (4) überharte Vergeltungsmaßnahme, die den Ablehnenden in
seinen Leuten trifft.
28 Die Drohung wird ironisch als Befürchtung formuliert (AH).
m Æ n Ê t o i o È : Befürchtungssatz (‘[ich fürchte,] daß dir dann wirklich nicht …’): AH
(ausführlich begründet im Anh.; vgl. K.-G. 1.224; SCHW . 2.317), also kein vom ersten
26 mÆ (+ Konj.): ‘daß nicht ...’ (drohend, vgl. 28). — ko¤l˙sin: zur Flexion R 11.1. —
nhus¤: Dat. Pl. von nhËw (R 12.1). — kixe¤v: Konj. Aor., ‘erwischen, antreffen’.
27 aÔtiw: = aÔyiw.
28 mÆ (+ Konj.): 26n. — xra¤sm˙: Konj. Aor. — toi: = soi (R 14.1).
Kommentar 37
mÆ-Satz (26) abhängiger Finalsatz (‘damit dir dann nicht …’). — n u : “leise folgernde
Konjunktion” (K.-G. 2.118). — s t ° m m a y e o › o : hier Sg. vor Konsonant, gegenüber
14 Pl. vor Vokal: üblicher metrisch bedingter Numerus-Wechsel, insbes. bei Neutra der
1. Dekl. (R 18.2; neben tÒjon : tÒja häufig z.B. d«ma : d≈mata, ërma : ërmata
usw.) (ELLENDT [1861] 1979, 62ff.; DÜNTZER [1864] 1979, 94; FOR 20); ausgetüftelte
Differenzierungsbemühungen (Pl.: einzelne Teile, Sg: der einheitliche Begriff: so AH)
sind bei der Rekonstruktion der vorhistorischen Entwicklungsgeschichte der idg. Nu-
merus-Kategorie (s. SCHW . 2.39ff.) am Platze, nicht aber bei der Funktions-Analyse der
gr. hexametr. Versifizierungspraxis (so schon SCHW . 2.44).
29 Chryses hatte alle Achaier (15) um Freigabe gebeten (20), Agamemnon fällt die
Entscheidung – den Willen der Gesamtheit (22) diskussionslos übergehend (vgl.
54n.) – allein.
g ∞ r a w ¶ p e i s i n : vgl. den ähnl. Ausdruck Od. 1.218, auch 11.196; die Bed. liegt zwi-
schen ‘herantreten an jn.’ (18.546) und ‘angreifen’ (13.482 u.ö.). g∞raw hier pointiert
‘Greisenalter’ (sonst “Lebensabschnitt ab 40 Jahre”: LfgrE), als zynische Kränkung des
Vaters: ‘sie wird bei uns sogar noch (ka¤: DENNISTON 293) zur grh@w werden!’ (grh@w
nur von Frauen in abhängiger Stellung, meist Sklavinnen: LfgrE).
30 bei uns im Haus: gr. óikos bezeichnet kein Einzelhaus, sondern den gesam-
ten Wirtschaftsbereich, das ‘Landgut’ (MURRAY [1980] 1995, 53–63; vgl. LfgrE
s.v. o‰kow); ‘bei uns’ meint vorzugsweise das Besitzer-Ehepaar, die ‘Herrschaft’
(3.233 Helena–Menelaos, 7.363 Paris–Helena, usw.); implizit deutet Agamemnon
an, daß das Mädchen auch Klytaimestra wird dienen müssen (vgl. 6.456f.). —
Argos: vorgr. unspezifisches Toponym (später als ‘Flachland, Ebene’ gedeutet);
kann bei Homer je nach Zusammenhang sechs verschiedene gr. Gebiete bezeich-
nen, s. LfgrE. Hier ist das Herrschaftsgebiet Agamemnons (die spätere Argolís) ge-
meint.
≤ m e t ° r ƒ § n ‹ o ‡ k ƒ : betonte Anfangsstellung des Poss.-Pron.: ‘in unserem (nicht
deinem/ihrem) Haus’ (vgl. LfgrE s.v. o‰kow 569.41f.: “emphatisch hervorgehobene Ei-
gentumsbez.”); die folgende schrittweise Präzisierung ‘das ist, notabene, in Argos, und
das wiederum ist, notabene, weit weg von ihrer Heimat (und von dir)’ malt genüßlich die
Unerreichbarkeit der Tochter für den Vater aus. — t h l Ò y i p ã t r h w : VE-FormelP (5x
Il., 1x Od.).
31 Webstuhl … Bett: Kriegsgefangene Frauen werden (1) als Arbeitskräfte, v.a.
Textil-Arbeiterinnen, verwendet: WICKERT-MICKNAT 1982, 41f. (zu ‘Textiles as
Metaphors for Women’ s. REEDER 1995, 200–202), und sind (2) “ihrem Kriegs-
herrn [auch] sexuell unterworfen”: WICKERT-MICKNAT 1982, 84 (mit den Bele-
gen). Agamemnon läßt je nach Gesprächspartner offen, ob er die Chryseïs als Kon-
kubine (pallakís) oder Nebenfrau vorgesehen hat (vgl. WICKERT-MICKNAT 1982,
84 Anm. 457). Hier kehrt er gegenüber dem Vater (anders als gegenüber den Achai-
ern, 113ff.) den Konkubinen-Status hervor: ‘Deine Tochter ist zu ökonomischer
und sexueller Ausbeutung vorgesehen’.
flfls
s t Ú n § p o i x o m ° n h n : Weben erfolgt im Stehen, indem die Frau sich regelmäßig zum
Webstuhl hin (§po¤xomai) und von ihm weg bewegt; Näheres zur Technik s. LfgrE s.v.
flstÒw 1252.68ff. und s.v. kan≈n (mit Lit.). — l ° x o w : allgemein ‘Bettlager, Bett-
statt’; mit speziell erotischer Konnotation auch 3.411 (Helena u. Paris), 15.39 (Hera u.
Zeus), Od. 8.269 (Ares u. Aphrodite): LASER 1968, 4–7. — l ° x o w é n t i Ò v s a n : én-
tiãv mit Akk.-Obj. ≈ ‘regelmäßig aufsuchen’ (“venant, quand je l’appelle, prendre
place dans mon lit”: CHANTR . 2.46; zum Akk. statt des sonst üblichen Gen. ebd. 49;
ebenso LfgrE). Zur Sache vgl. 8.291 (l°xow efisanaba¤nein).
32 é l l É ‡ y i : “partikelhaft erstarrt[es] … ‘wohlan!’” (SCHW . 2.583f.; vgl. êge, êgrei,
f°re u.ä.; weitere Beispiele s. LfgrE s.v. e‰mi 462.64ff.): ‘Aber geh her, jetzt reiz mich
nicht länger!’ Vgl. dagegen ¶rre ‘verschwinde’ (z.B. 8.161). — § r ° y i z e : ‘reizen’ im
Sinne von ‘zu Gewaltanwendung provozieren’, vgl. 24.560 (Priamos den Achilleus),
Od. 9.494 (Odysseus den Kyklops). — s a ≈ t e r o w : Komp. mit der (bei den -tero-Bil-
dungen ursprünglichen) kontrastierenden Bed. (vgl. ≤m°terow, prÒterow, égrÒterow,
Ùr°sterow usw.), aber leicht gradierendem Nebenton: ‘auf daß du noch einigermaßen,
noch eben heil zurückkommst’: S CHW . 2.184; WITTWER 1970, 56f. — À w k e n ° h a i :
ke modifiziert den urspr. voluntativen Konj. (gewollte Verwirklichung) zum prospek-
tiven Konj. (subjektiv erwartete Verwirklichung): SCHW . 2.665, vgl. 2.309ff. —
n ° h a i : n°(s)omai hier in der urspr. Bed. ‘zum Ausgangspunkt zurückkehren’ (vgl.
aind. násate ‘vereint sich glücklich [zu Hause] mit jm.’, nÒstow ‘Heimkehr’, myk. ne-
ti-ja-no /Nestij-*an*or/ [PN], s. MYK), also nicht ‘partir’ (so CHANTR . 2.270).
33–42 Chryses verläßt verängstigt das Achaierlager und bittet seinen Gott Apol-
lon, die Achaier insgesamt seinen Schmerz entgelten zu lassen.
33 = 24.571; 1. VH = 568, 3.418, 10.240, 24.689 (bis g°rvn). – Die Wiederho-
lung in 24.689 gilt als ostentativster Appell des Erzählers, die Szenen ‘Chryses
bittet Agamemnon’ im ersten und ‘Priamos bittet Achilleus’ im letzten Gesang in
Beziehung zu setzen (vgl. 17–21n.): REINHARDT 1961, 220; RICHARDSON zu
24.571 sowie zu 24.552–95, ferner Introd. 4–7, 18. — So sprach er: Ab-
schlußformel (vgl. 25n., 68n.) in (normalem) Halbvers-Umfang.
Õ w ¶ f a t É : ¶ d d e i s e n d (°° ): Variante eines Rede-Abschlußschemas (vgl. Õw fãto,
gÆyhsen d° / me¤dhsen d° / =¤ghsen d°), das Vers-Komplettierung mittels Nomen-Epi-
34 ék°vn: ‘schweigend’ (↑ ).
35 pollã: mit ±rçyÉ zu verbinden; Quantität bezeichnet oft Intensität (↑) . — ép-êneu-
ye(n): komponiertes Adv. (hier) bzw. Präposition mit Gen., Basis: êneu ‘ohne, abseits
von, fern von’ (↑). — ki≈n: Ptz. des Prät. kie›n ‘gehen’.
40 Ilias 1
aber allgemeinere Bed. hat (s. 91n.), vgl. bes. 6.304 eÈxom°nh dÉ ±rçto und s. CITRON
1965, 97; LATACZ 1969. — ı g e r a i Ò w : “metr. Wechselform zu g°rvn”: LfgrE; oft,
wie hier, anstelle des Eigennamens, und dann zugleich VE-FormelP (3.191 u.ö. [Pria-
mos], 11.632 u.ö. [Nestor]). Zur Funktion des ı s. 33n.
36 2. VH = 19.413, Od. 11.318; ≈ h.Ap. 178. — zum Herrn Apollon, Sohn
der Leto mit den schönen Locken: Das Element 3 des Gebetsschemas (s.
37–42n.) wird bei erzählten Gebeten häufig zwischen Erzähler und betender Figur
aufgeteilt (meist je 1 ganzer Vers, s. z.B. 6.305/306, 7.200/202, Od. 6.323/324).
– Füllung eines ganzen Verses allein mit der Benennung einer Person signalisiert
Bedeutsamkeit der betr. Person für die Erzählung, vgl. 69, 102, 489, 538. Zum da-
hinterstehenden allg. Prinzip mündlicher Dichtung s. PARRY (1933) 1979 (‘Whole
Formulaic Verses’). — Leto: s. FG 18. — mit den schönen Locken: gr. *e ú-
komos ist generisches EpithetonP von göttl. und menschl. Frauen (allgem. zu den
Schönheits-Epitheta s. 143n.), von Leto noch 3x in gleicher VE-Formel, s. LfgrE.
37–42 Antike Gebete sind dreigeteilt: (A) Anrufung (invocatio) – (B) Legitimie-
rung des Wunsches (pars epica) – (C) Wunsch (preces): GRAF 1997, 463. – Die
hom. Typische SzeneP ‘Gebet’ (überwiegend direkte Rede) kann 9 Szenen-Ele-
mente umfassen: (1) Benennung der Gebetsgeste (meist Hochstrecken der Arme),
(2) Nennung des Verbs des Betens, (3) Nennung der Gottheit, (4) Aufforderung an
die Gottheit, herzuhören, (5) Anrufung der Gottheit (mit Nennung ihrer Titel, ihrer
Abkunft, ihrer Attribute und Kultorte), (6) Nennung früher erbrachter oder empfan-
gener Leistungen, (7) Wunschbitte, (8) formelhafter Abschluß, (9) Nennung der
Reaktion der Gottheit (meist positiv). – Formale Analyse der hom. Gebete: MOR-
RISON 1991, im Anschluß an AREND 1933 und FENIK 1968, 8 (Chryses-Gebet als
Musterbeispiel: 86 % aller hom. Gebete zeigen denselben Typus). – Gebete (wie
Prophezeiungen u.ä.) nutzt der Erzähler zur Strukturierung der Hörer-Erwartung
(“zukunftsungewisse antizipierende Vorausdeutungen”: LÄMMERT 1955, 181–184;
vgl. ProlepseP und Falsche ProlepseP).
37–38 = 451f. — der du über Chryse … Killa … Tenedos: Umschreibung
für den Südteil der Troas, südl. des Ida-Gebirges, von der Insel Tenedos (heute Boz-
caada; westlichster Punkt) bis nach Killa (laut Strabon 13.612f. in der Ebene von
Adramyttion; östlichster Punkt); Chryse (nach COOK 1973, 232–235, an der Küste
beim späteren Hamaxitos) ist offenbar als ‘Mitte’ vorgestellt.
37 Gott mit dem Silberbogen: Der Bogen ist neben der Kithara wichtigstes
Attribut Apollons (s. h.Ap. 131); er führt ihn als Beschützer (s.u.), aber auch als
Tod- und Krankheitenbringer: Abwehr wie Sendung von Übeln ist seine wohl älte-
ste Funktion (GRAF 1997, 492f.). Aus Silber ist der Bogen, weil “man sich die
36 ÉApÒllvni (W)ãnakti: zur Prosodie R 4.3. — tÒn: in der Funktion von ˜n (R 14.5).
37 klËyi: 2. Sg. Imp. Aor., 1. Silbe metr. gedehnt (R 10.1). — émfib°bhkaw: 2. Sg.
Perf. zu émfi-ba¤nv ‘sich schützend über etwas stellen’.
Kommentar 41
Gegenstände aus der Götterwelt als aus kostbarem Metall bestehend vorstellte, oh-
ne Rücksicht auf die reale Brauchbarkeit” (LfgrE s.v. érgurÒtojow 1217.15ff. mit
weiteren Beispielen).
k l Ë y ¤ m o i : Gebetsanruf-Formel, außer hier noch 451, 5.115, 10.278, Od. 2.262,
4.762, 6.324; klËyi (zur Form G 63) immer in der Bed. ‘erhöre (mich)!’ (LfgrE). —
É A r g u r Ò t o j (ee ): Distinktive EpithetaP können selbständig für den Gottesnamen ste-
hen (vgl. ÑEkhbÒlow, ÉHrig°neia, Glauk«piw u.a.); ‘Silberbogner’ für Apollon noch
451, 5.517, 21.229, 24.56, h.Merc. 318. – êrgurow nicht metaphorisch, sondern ma-
teriell: ‘aus Silber’ (érgureo›o bio›o 49, 24.605). — é m f i b ° b h k a w : eigtl. ‘mit ge-
spreizten Beinen über einem stehen’ (um ihn zu beschützen): Übertragung aus der Tier-
welt (vgl. z.B. 17.4–6). Das ‘überspreizte’ Gebiet kann kleiner (Od. 9.198: Apollon
ÖIsmaron émfibebÆkei) oder größer als hier sein (Il. 16.777: Helios m°son oÈranÚn
émfibebÆkei).
m o i : Die Überlieferung schwankt zwischen moi und meu; außer in 37 = 451 bietet jedoch die Mehr-
zahl der Hss. moi. Da idg. *moi, *toi, *soi syntaktisch offenbar sowohl als Dat. wie als Gen. fungie-
ren konnten, ist auch für gr. moi (toi, ofl) an Stellen wie dieser (s. auch klËt° moi Od. 6.239 u. k°klu-
t° moi h.Ap. 334; vgl. auch 16.531) fortwirkende Gen.-Funktion angenommen worden (SCHW. 2.148,
189f.; WACKERNAGEL [1924] 1928, 77f.; CHANTR. 2.70 [der aber in 37 meu liest: 2.196]; MEIER-
BRÜGGER 1986; danach WEST im Text [dazu 1998, XXXII]).
38 z a y ° h n : generisches EpithetonP , ebenso wie ±gãyeow nur bei namentlich genann-
ten Städten, Inseln und Heiligtümern; zusammen mit flerÒw und d›ow bilden die beiden
Epitheta ein metr. System zur Bez. einer typischen Eigenschaft von Städten bei Homer:
“Sacredness is a condition of Homeric cities”: SCULLY 1990, 19–23 (Zitat: 22) u. 137–
140. — T e n ° d o i Ò t e ‰ f i é n ã s s e i w : dagegen h.Ap. 29 pçsi ynhto›sin énãsseiw
(Apollon): mit Gen. bez. é. die Suprematie über etwas, mit Dat. die Regierungstätigkeit
im Interesse js. (LfgrE). Der Gott wird hier also als oberster Gebietsherr angerufen. —
‰ f i : (W)›fi (W)anãssein ist wohl myk. Formel, die reale dynastische Herrschaft bez.
(LfgrE), vgl. ÉIfiãnassa; zu ‡w als wahrscheinlich myk. Titel-Bestandteil (flerØ ‚w Th-
lemãxoio) s. WEST 1988, 158.
39–41a Zum Gebets-Element 6 (s. 37–42n.) – also zum do ut des-Prinzip – s.
PARKER 1998, der die griechische Form des Reziprozitäts-Prinzips wegen der in
solchen Bitten zentralen Rolle des gr. Wortes cháris (samt Ableitungen) treffend
als “a kind of charm war” (109) bezeichnet.
39 Smintheus: Der speziell diese Region schützende (Apollon) Sminthéus (be-
reits myk., s. MYK) erscheint nur im 1. Gesang, ist also Lokalgott (vom 4. bis
zum 24. Gesang erscheint Apollon als Gott der Pergamos von Troia: LfgrE s.v.
ÉApÒllvn 1102.15–20). Falls von einem Dialektwort smínthos ‘Maus’ abgeleitet
40 mhr¤(a): Neutr. Pl., ‘Schenkelknochen (von Opfertieren)’. — ¶kha: Aor. von ka¤v.
Kommentar 43
43–52 Apollon erhört Chryses und bringt eine Seuche über die Achaier.
43–52 Persönlich in die Angelegenheiten der Menschen einzugreifen ist für die Göt-
ter (ausgenommen Zeus) ‘normal’. Falls der Eingriff nicht aus der Ferne (z.B. 55)
oder unvermittelt physisch erfolgt (z.B. 3.373ff., 5.311ff.), wird die ihm vorausge-
hende Ortsveränderung der Gottheit (‘Reise’) als Typische SzeneP ausgestaltet und
kann die folgenden Elemente enthalten: (1) Anlaß des Eingriffs, (2) Reisevorberei-
tung, (3) Wegbeschreibung, (4) Gleichnis (zur Veranschaulichung von Aspekten
wie ‘Schnelligkeit’ u.ä.), (5) Ankunft und Realisierung der Eingriffsabsicht (Mu-
ster: Od. 5.28–148; die Elemente (2) und (3) sind hier durch eine Beschreibung der
drohenden Erscheinung des Gottes ersetzt). – Zum Szenentypus allg. CALHOUN
1933, 15 Anm. 46 (Stellensammlung); KRISCHER 1971, 19–23 (zu den Gleich-
nissen); SCOTT 1974, 15–20; zur vorliegenden Stelle: EDWARDS 1980, 9–11. –
Zum universell verbreiteten Volksglauben, Krankheiten würden durch unsichtbare
Geschosse übernatürlicher Wesen (auch Zauberer usw.) verursacht, s. NILSSON
(1940) 1967, 541. – Die Funktion des Seuchen-Gotts (dazu SCHRETTER 1974,
182–215) könnte vom altorientalischen Gott Resep (ebenfalls Pfeil und Bogen als
‘Werkzeuge’) auf Apollon übertragen sein: SCHRETTER 1974, 151ff. 221ff.; BUR-
KERT 1975a (bes. 71–74); 1977, 228; WEST 1997, 348f. – Apollon und seine
Schwester Artemis als Bringer eines plötzlichen Todes (6.428, 24.605f. [Niobe-
Mythos], Od. 3.279f. u.ö.): HOEKSTRA zu Od. 15.411.
Emphatische (nicht formelhafte: GRIFFIN/H AMMOND 1982, 134) Häufung sinnverwand-
ter Wörter auf engem Raum: Zorn: xvÒmenow (44), xvom°noio (46); Bewegung: b ∞
(44), kinhy°ntow (47), ≥Ûe (47), §p–xeto (50); Schultern: moisin (45), §pÉ mvn
(46); Klang: ¶klagjan (46), klaggÆ (49). Die herannahende Gefahr kündigt sich an in
41 ±d(°): ‘und’. — krÆhnon: 2. Sg. Imp. Aor. zu kraia¤nv < *kraa¤nv, ep. zerdehnt
(R 8) aus kra¤nv.
42 te¤seian: zu t¤nv. — Danao‹ §mã: zur Prosodie R 5.6. — so›si b°lessin: zur Fle-
xion R 11.2, R 11.3.
44 Ilias 1
der Häufung der Waffenbezeichnungen: tÒja (45), émfhref°a far°trhn (45), ÙÛsto¤
(46), fiÒn (48), bio›o (49), b°low §xepeuk°w (51) (zum Wortfeld s. TRÜMPY 1950, 66–
68); damit wird b°lessin am Ende des Chryses-Gebets (42) weitergeführt.
43 = 457, 16.527; ≈ 5.121, 10.295, 16.249, 23.771, 24.314, Od. 3.385, 6.328,
9.536, 20.102 (= 12 von 19 erhörten Gebeten bei insgesamt 30 formellen Gebeten
in Ilias u. Odyssee: MORRISON 1991, 147f. mit Anm. 14); h.Cer. 39. — Phoi-
bos: Beiwort Apollons ungeklärter Herkunft (Zusammenhang mit spartanischen
Initiationsriten an einem ‘Phoibeion’ genannten Ort?). Die Verbindung mit dem
Licht-Gott Apollon ist für das fgrE noch nicht relevant: s. insgesamt BURKERT
1975, 14f. Anm. 56; 1977, 227. 233.
e È x Ò m e n o w : s. 91n. und 35n. — ¶ k l u e : korrespondiert mit klËyi (37) zu Beginn
des Gebets (ebenso in den meisten IteratversenP ). — F o › b o w É A p Ò l l v n : VE-For-
mel P (32x Il., 2x Od., 4x Hes., 13x hom.h.).
44 ≈ 2.167 (seinerseits = 4.74, 7.19, 22.187, 24.121; Od. 1.102, 24.488). —
Olympos: 18n.; zum Gegensatz zwischen lokal gebundener Kultpraxis (Apol-
lons Kultorte in der Troas: 37–39) und panhellenischer epischer Religion (Apollon
kommt vom Olymp): SOURVINOU-INWOOD 1978, 101–103; 1990, bes. 300. —
Zorn im Herzen (ch *o ómenos): vgl. ‘zornig’ 9n. (chol*othéis), im Unterschied
zum tiefer sitzenden ‘Groll’, m*enis (1n.).
b ∞ d ¢ k a t (ã
ã ): besonders häufige VA-Formel für das Herabsteigen eines Gottes: 10x
Il., 2x Od. (einschließlich Iterata); vgl. b∞ dÉ §j (8.410, 15.79). — x v Ò m e n o w k ∞ r :
VE-Formel; k∞r, das den Zorn Apollons ‘im Innern’ ansiedelt, ist an dieser und an ande-
ren Stellen “als bloßer Zusatz ohne semantischen Eigenwert inhaltlich [gemeint: sach-
lich] überflüssig” (JAHN 1987, 208 mit Anm. 42; vgl. 24n.).
45 é m f h r e f ° a : hom. hapax; verbales Rektionskompositum (émf¤, §r°fv: RISCH
81–83. 210): ‘auf beiden Seiten geschlossen’ (oben wird der Köcher mit einem p«ma
verschlossen: 4.116). – Überbrückung von C 2 und Länge von -a sind auffällig. Andere
-hrefÆw-Komposita (§p-, kat-, Íc-) nehmen mehrfach die gleiche Position ein, oft
mit ‘positionslanger’ letzter Silbe (z.B. 9.582, 12.54, vgl. aber 18.589): wohl For-
melzwang (vgl. M 14).
46–47 Zenodots Athetese der Verse 46–47, von Aristarch abgelehnt (nach schol. A: oÈ kal«w) und
ohne Einfluß auf die Textüberlieferung (einschl. Papyri: HURST 1990, 31f.), basiert vermutlich auf
stilistischen Bedenken gegen die Wortwiederholungen (NICKAU 1977, 123ff.). In der Neuzeit rich-
ten sich die Bedenken vor allem gegen aÈtoË (47n.).
46 ¶ k l a g j a n : Die onomatopoet. Wörter klãzv und klaggÆ (49) bezeichnen nicht-
artikulierte Laute besonderer Intensität (LfgrE).
47 der Nacht gleich: Dieser effektvolle Nachtvergleich im fgrE noch Od. 11.606
(Schatten des Herakles in der Unterwelt), Il. 12.463 (Blick des anstürmenden Hek-
tor) und h.Merc. 358. ‘Nacht’ konnotiert häufig Unheimlichkeit, Bedrohlichkeit,
Tod (13.425, 16.567, Od. 20.351ff.).
a È t o Ë : hier nicht in der regulären Gegensatzfunktion (CHANTR . 2.156), sondern zur
Unterstreichung der in persona-Aktion (‘höchstpersönlich, höchstselbst’, wie 137),
wofür die Versposition spricht, schwerlich in der abgeschwächten anaphorischen Ge-
brauchsweise (‘als er …’; so LfgrE s.v. 1667, 1672); zu beiden – gut homerischen –
Verwendungen s. CHANTR . 2.155f. Athetesenvorschläge (Zenodot gefolgt von Bentley,
Bekker u.a.; vgl. LEAF u. KIRK) haben keinen durchschlagenden Sachgrund. — a È t o Ë
k i n h y ° n t o w : Zum Übergang dieses Partizipgebrauchs in die gen. abs.-Funktion s.
C HANTR . 2.323f.
48 Nahm seinen Sitz: Bogenschießen im Sitzen (falls nicht ‘sich hinkauern’ ge-
meint: vgl. LfgrE s.v. ßzesyai 407f.) ist ungewöhnlich; vgl. aber Odysseus in
der Bogenprobe Od. 21.420 (dazu DECKER 1995, 37, der die ägyptischen Darstel-
lungen des mit gespanntem Bogen in der Hand thronenden Pharao [dazu KEEL
1977, bes. 153–167] heranzieht): Die Haltung soll wohl die überlegene Macht des
Schießenden unterstreichen (ähnlich schon KURZ 1966, 53f.).
¶ p e i t ' é p ã n e u y e n e « n : nimmt ¶peit' épãneuye ki≈n (35) auf (BEVIL .-C ERR .);
Apollon trifft die Nichtsahnenden aus der Ferne (vgl. •khbÒlow, 14n.; diese Epitheton-
Sippe ist hier ‘inszeniert’). — m e t ã : in Verbindung mit ·hmi sonst im Sinne von ‘ab-
lassen’ für “the subject’s withdrawal from involvement”, hier dagegen in der Bed.
‘mitten hinein’: “shot among” (LfgrE s.v. ·hmi 1155.24ff.). — fiÚ fi Ú n ß h k e n : Der erste
Schuß (ßhken Aor., dann Imperfekte) markiert den Beginn der Seuche.
49 Ton, der ausging von dem Silberbogen: Das akustische Signal hat pro-
leptische Funktion (vgl. 4.125: Pfeilschuß des Pandaros; Od. 21.411: Odysseus’
Meisterschuß unmittelbar vor dem Freiermord) (KRAPP 1964, 307; KAIMIO 1977,
21).
d e i n Æ : effektvolle Wortstellung (ähnlich 16.104). — é r g u r ° o i o : vgl. ÉArgurÒ-
toj(e) (37n.). — b i o › o : maskulines Pendant zu aind. j(i)y*av ‘Sehne (des Bogens)’
(DELG). Bei Homer synonym mit tÒjon für ‘Bogen’ verwendet (4.124f. in Gegenüber-
stellung mit neurÆ); nachepisch nur noch im Wortspiel Heraklits (VS 22 B 48) belegt.
50 Maultiere … Hunde: Haustiere, die ständig um den Menschen sind (RICH -
TER 1968, 76–83; LILJA 1976, 14–21), werden bei Seuchen häufig als erste er-
faßt; neuere medizinhistorische Analyse der Krankheit: URSO 1993.
53–100 Nach neun Tagen Pest im Schiffslager beruft Achilleus eine Krisenver-
sammlung des Gesamtheers ein. Er schlägt Agamemnon vor, die Ursache von Apol-
lons Zorn durch Befragung eines ‘Kultfunktionärs’ zu ergründen. Der Seher Kalchas
deckt auf: Schuld an Apollons Zorn ist Agamemnon! Chryseïs muß ihrem Vater –
nach Chryse – zurückgebracht, Apollon durch ein feierliches Opfer versöhnt werden.
51 aÈto›si: betont, ‘auf sie selbst’, die Menschen im Gegensatz zu den Tieren. —
b°low: kollektiver Sg. — b°low §xepeuk°w: zur Prosodie ↑.
52 bãll(e): durativ. — afie¤: = ée¤. — yameia¤: vom Adv. yamã (‘in dichter Folge,
oft’) abgeleitet; hier räumlich: ‘reihenweise’.
Kommentar 47
53 §nn∞mar: ‘neun Tage lang’ (§nn°a + ∑mar, als Sg. den Gesamtzeitraum bezeich-
nend: ↑). — yeo›o: zur Flexion R 11.2.
54 égorÆnde: zur Form R 2, R 15.3 (↑). — kal°ssato: zum Fehlen des Augments
R 16.1, zur Doppelkonsonanz R 9.1. — laÒn: 10n.
48 Ilias 1
-de: SCHW . 1.624; Homer verwendet 67 verschiedene Nomina mit “de latif” (C HANTR.
1.247), vorwiegend im Schema (Ô) Ô Ó Ô: metr. bequeme Fügungen. — k a l ° s s a t o :
Medium bei ‘zur Versammlung rufen’ nur hier u. Od. 3.137; eine besondere Ausdrucksab-
sicht (“ließ berufen, durch die Herolde; vgl. 2.50”: AH, also ‘kausatives Medium’) liegt
trotzdem nicht vor (ein ‘kausatives [nicht-redupl.] Med.’ kennt Homer nicht: K.-G.
1.108f.; die Bed. ist ‘sich jn. rufen’, wie in 270, s. CHANTR . 2.177; G 100).
55 hatte das in seinen Sinn gelegt … Hera: In handlungsrelevanten Situa-
tionen läßt der Erzähler häufig Götter eingreifen (s. 43–52n.). Dahinter steht weder
nur poetische Regie (‘Götter-Apparat’) noch ein Prädeterminationsglaube (“echte,
eigene Entscheidungen des Menschen kennt Homer noch nicht”: SNELL [1939]
1975, 28), sondern eine bewußte Verschränkung von menschl. und göttl. Motiva-
tion des menschlichen Handelns (Doppelte MotivationP), bei der die Götter dem
Menschen lediglich den Gedanken, die Tat, das Verhalten in den Sinn legen, zu de-
nen er selbst schon disponiert war; es ist seine ‘Eingebung’ (s. auch 188–222n.;
LATACZ [1984] 1994, 89–93; Aufarbeitung des gesamten Problemkomplexes:
SCHMITT 1990). – So nachdrücklich, wie der Erzähler gleich zu Beginn Apollons
Sympathie für die Troer betont hat (9n.), betont er hier Heras Sympathie für die
Achaier: auch auf der göttlichen Handlungsebene sind damit die Hauptkontrahenten
benannt. – Hera animiert Achilleus als Repräsentanten “aller anderen Achaier” (22)
zu seiner Initiative; die Folgen (Entzweiung, Boykott, Achill-Thetis-Bitte, Zeus-
Versprechen) läßt sie der Erzähler nicht voraussehen (vgl. 555ff.). — die Göttin
mit den hellen Armen Hera (gr. theá leuk *olenos H *er*e, 19x Il., 3x Hes.): No-
men-Epitheton-Formel vom Typus ‘Versschließung durch Subjektbenennung’: der
für das VE vorgesehene Eigename (H*er*e) wird durch Vorschaltung von Attributen
rückwärts bis zur Zäsur B 2 verlängert (vgl. etwa polyvtlas dios Odysséus 38x, ánax
andr*on Agamémn*on 37x, usw.: PARRY [1928] 1971, 39. 182; FOR 30). — hel-
len Armen: eigtl. ‘mit weißen Ellenbogen’: einziges Farb-Adjektiv zur Charak-
terisierung weibl. Schönheit (LfgrE; WICKERT-MICKNAT 1982, 121f.; vgl. Od.
18.196); 39x von Göttinnen (davon 37x von Hera), 12x von Gattinnen/Tochter
von ‘Königen’ (dazu s. 9n.), 3x von Dienerinnen am ‘Königshof’: signalisiert so-
ziale Gehobenheit (Gebräuntheit [= Arbeit im Freien] ist Kennzeichen niederen
Standes). – Allg. zu den Schönheits-Epitheta: 143n.
§ p ‹ f r e s ‹ y ∞ k e : ‘Eingebungs’-Formel (‘legte ihm in den Sinn’ o.ä.), vgl. 8.218,
Od. 5.427, immer vor B 2 oder (y∞kÉ) B 1, mit Füllung des Vers-Restes durch Nomen-
Epitheton-Verbindung (yeå glauk«piw ÉAyÆnh, [ÉAgam°mnoni] pÒtnia ÜHrh); der
eingegebene Gedanke erscheint im Inf. (ÙtrËnai 8.219) oder ergibt sich aus dem Sinn-
zusammenhang. Anders §n(‹) fres‹ y∞ke(n) (z.B. 21.145, Od. 14.227): ‘jm. etw. ver-
leihen’ (AH). — f r e s ¤ : Zu fr°new (i.d.R. wiedergegeben mit ‘Zwerchfell’, vgl. 103n.)
als (metr. austauschbarem) Signal für ‘im Inneren’ s. 24n.
56 k Æ d e t o : Die permanente Furcht vor einer Schwächung ‘ihrer’ Partei zwingt Hera zu
dauernden Eingriffen, deren Effekte sich dann verselbständigen, s. 55n. u. vgl. 196n.
57 = 24.790, Od. 2.9, 8.24, 24.421. — sich … versammelt hatten und ver-
eint beisammen waren: nachdrückliche (‘amtssprachliche’) Feststellung der
hergestellten Öffentlichkeit durch Präsenz aller Betroffenen: HÖLKESKAMP 1997,
11 mit Anm. 46 (vgl. 9.11); zur Erzielung von Nachdruck durch synonymische
Doppelung allgemein s. 160n.
58 = 19.55; 1.VH = 9.52. – Die Rede-Einleitungs- und AbschlußformelnP können
durch leichte Modifikationen an die jew. Dialogsituation angepaßt werden (zu jm.
in einer Gruppe sprechen, jn. als erster ansprechen, zu jm. antwortend sprechen, zu
jm. in einem bestimmten Ton antwortend sprechen, usw.); s. dazu grundsätzlich
PARRY (1928) 1971, 8–16; (1933) 1979, 272–278; Näheres: EDWARDS 1970; DE
J ONG 1987, 195–208. — der mit den Füßen hurtige Achilleus: gr. pódas
*okyvs Achilléus (30x Il.): VE-FormelP vom gleichen Typus wie die H*er*e-Formel in
55 (s.d.), hier bis C 1 zurückreichend. Fast alle ‘Übersetzungen’ stehender Epithe-
taP wie pódas *okyvs (urspr. wohl Kristallisationen bestimmter Mythen-Erzählun-
gen) müssen wegen des Fehlens vergleichbarer metrisch bedingter Ausdruckstradi-
tionen in den modernen Sprachen fremdartig bis komisch wirken; s. FOR 45 mit
Anm. 28.
59–67 Achilleus stellt den Antrag, den drohenden Fehlschlag des gesamten Troia-
Unternehmens durch Ergründung der Pest-Ursache zu verhindern. Seine Rede,
formgerecht an die Adresse des Oberkommandierenden gerichtet, gliedert sich in (1)
Lage-Analyse (59–61), (2) Vorschlag zur Überwindung der Krise (62–67). Der Ton
ist sachlich (“perfectly unprovocative”: KIRK), der konkrete Vorschlag schlüssig. –
Die ‘Wir’-Form (59, 67), hier noch mit Selbstverständlichkeit die Einheit der Ge-
meinschaft voraussetzend, wird 60 Verse später (127f.) dem ‘Wir–Du’-Gegensatz
gewichen sein.
59 2. VH ≈ Od. 13.5. — É A t r e ˝ d h : in der Ilias 23x (+ 4x v.l.) als Rede-Anfang, davon
8x in der Ganzvers-Titulatur ÉAtre˝dh kÊdiste, ênaj éndr«n ÉAgãmemnon (vgl.
122n.), 4x allein am VA stehend; zwischen der Kurz- u. der Langform ist ein Unter-
schied im Respektierungsgrad nicht erkennbar (LfgrE). – “Bloßes -hw bez. in der Ilias
60 êc: (< ép- + -s) verstärkt épo- in éponostÆsein: ‘weg, fort, zurück’ (↑ ). — ken: =
ên (R 24.5).
61 damò: fut. contractum.
52 Ilias 1
(GRAF a.O.). Achills Vorschlag läuft also (ob bewußt oder unbewußt, bleibt offen)
auf Kalchas hinaus.
62 é l l É ê g e d Æ … § r e ¤ o m e n : Imperativischer Konj. der 1. Pers. ist bes. häufig
nach Aufforderungsformeln (éllÉ êge, êgete, deËte usw.): CHANTR . 2.207. — t i n a :
in seiner (nicht regulären: K.-G. 1.665) Voranstellung betont tina (auffällig) die Un-
wichtigkeit der Identität der Befragungsperson.
63 Zu Traum und Traumdeutung bei Homer s. LATACZ (1984a) 1994, 447–467
(mit Lit.); (1992) 1994, 205–226; WALDE 2001, 19–72. – Ein ‘Träumedeuter’
kann entweder (als ‘Medium’) eigene Träume oder die Träume anderer deuten; in
beiden Fällen muß er mit der Mantik vertraut sein (vgl. 72n.).
ˆ n a r § k D i Ò w § s t i n : szenisch ausgeführt zu Beginn des 2. Gesangs (KeimP).
Sowohl Zenodots Athetese des Verses (s. app. crit.) als auch Aristarchs Interpunktion nach §re¤omen
62 (s. KIRK) sind angesichts der Aussageabsicht des Erzählers (s. 62–63n.) unbegründet.
64 in solchen Zorn geraten ist Phoibos Apollon: Welche Gottheit ihnen
(wahrscheinlich) zürnt, erschließen die Betroffenen in eindeutigen Fällen (wie die-
sem) aus den feststehenden Zuordnungen von Wirkungsfeldern und Gottheiten (vgl.
bes. Hes. Th. 885).
˜ w k É e ‡ p o i : In Rel.-Sätzen mit finalem Sinn betont ke(n) beim Opt. regelmäßig die
erwartete, weil wahrscheinliche, Konsequenz (CHANTR. 2.249), also: ‘der dann ja wohl,
wie er soll, sagen wird, warum …’ — ˜ t i : Akk. der Beziehung: ‘in bezug worauf Apol-
lon …’ → ‘weswegen Apollon’ (CHANTR. 2.285); vgl. Od. 5.215 mÆ moi tÒde x≈eo
(L EAF ). — F o › b o w É A p Ò l l v n : s. 43n.
65 ob er wohl … einklagt: Die Götter haben Anrecht auf regelmäßig und regel-
gerecht dargebrachte Opfer (vgl. 5.177f., auch 21.457); die allererste Ursachenver-
mutung geht daher in diese Richtung; gr. epimémphetai bedeutet eigentlich ‘Feh-
lendes haben wollen’ (LfgrE s.v. m°mfomai); was evtl. gefehlt haben könnte, ist
unbekannt. Das anschließende Angebot (‘makellos’) verspricht daher Behebung
sämtlicher evtl. Mängel durch ein bes. sorgfältiges Opfer. – Strukturell wird hier
bereits die Gesandtschaft nach Chryse (308–312, 430–487) vorbereitet.
e È x v l ∞ w : bezeichnet ‘das, was man der Gottheit angibt/devovet’ (eÎxesyai, s. 35n.
zu ±rçt[o]), d.h. ein Versprechen, etwas für sie zu tun, vgl. 9.499. — • k a t Ò m b h w :
Poss.-Kompositum ‘100 Rinder habend’ (RISCH 186); das Vorderglied •katÒn bedeutet
bald nur noch eine “große runde Zahl” (LfgrE) – in 6.115/274 z.B. sogar nur 12 Tiere –,
das Hinterglied ist “wohl schon früh verdunkelt, daher öfter (auch) von and. Opfertieren,
sogar mit gen. mat.” (LfgrE), hier érn«n und afig«n (66).
62 êge: urspr. Imp. zu êgv, in Verbindung mit Imp. oder adhort. Konj. auffordernd: ‘auf,
los’. — §re¤omen: kurzvokal. Konj. (R 16.3). — ±(°): ‘oder’. — ±' fler∞a: zum Hiat (oh-
ne Hiatkürzung) R 5.1. — fler∞a: zur Flexion R 11.3, R 3.
63 t(e): generalisierendes ‘episches te’ (R 24.11).
64 e‡poi ˜: zur Prosodie R 5.6. — ˜ ti: ‘worüber, warum’ (R 22.3). — tÒsson: zur Dop-
pelkonsonanz R 9.1.
Kommentar 53
[ee ‡ t a r ] e ‡ t É ê r (a
a ) … ± d (°° ): Die normale Form der Disjunktion ist bei Homer e‡te … e‡te (das
erste e‡te oft verstärkt u.a. durch êra): K.-G. 2.300; SCHW . 2.559. Für das erste Glied stimmt die
Überlieferung damit (in verschiedenen Schreibweisen) überein. Für das zweite Glied bietet die
Hauptüberlieferung statt e‡te die sonst nicht belegte Variante ±d(°) (die WEST in den Text nimmt); da
klassisch neben e‡te … ≥ auch e‡te … efi d° gut belegt ist (K.-G. 2.301), wird hier eine Mischform
e‡te … µ d° ‘ob wohl deswegen … oder aber – noch eher anzunehmen – deswegen’ vorliegen.
66–67 a ‡ k e n … b o Ê l h t (a a i ): Mit e‡ (a‡, ≥) ke(n) + Konj. (bzw. Opt. nach Neben-
tempus) eingeleitete indirekte Fragesätze sind Doppelfragen, deren zweites Glied (‘oder
nicht’) nicht ausgesprochen wird (K.-G. 2.533f., vgl. CHANTR . 2.295); sie hängen oft
von einem nur durch den Zusammenhang nahegelegten Ausdruck des Wissenwollens ab
(K.-G. 2.534 Anm. 16), hier: ‘laßt uns einen Seher befragen, der uns den Grund für
Apollons Zorn sagen kann – Gelübde oder Hekatombe –, <damit wir erfahren,> ob er
vielleicht ein Opfer wird annehmen wollen’ (der a‡ ken-Satz hängt also nicht von §re¤-
omen ab; ähnlich FAESI).
66 é r n « n … a fifigg « n t e : “Schafe sind […] die gewöhnlichsten Opfertiere” – Ziegen
gehören in die gleiche Kategorie: ‘Ovicapriden’ –, “Boviden sind wesentlich teurer”:
G RAF 1997, 460. — k n ¤ s h w : ‘Fettduft’ als “göttl. Anteil am Opfer(mahl)”: LfgrE. –
Zur Durchführung des Opfers s. 447–468n. — t e l e ¤ v n : Das Opfer verlangt absolute
Reinheit, d.h. Makellosigkeit (GRAF 1997, 464f.); t. ist daher wohl t.t. und normaler-
weise formelhaft (vgl. 24.34), hier aber möglicherweise kontextbedingt revitalisiert:
sollte an früheren Opfern etwas auszusetzen gewesen sein (§pim°mfetai), so wird nun
mit t., ‘absolut vollkommen’ (auf beide Tierarten zu beziehen: AH), Behebung des Feh-
lers angeboten.
67 é n t i ã s a w : eigtl. ‘aufsuchen (um teilzuhaben)’, vgl. Od. 1.25, 3.436; hier mit dem
Nebenbegriff ‘teilhaftig werden’ (LfgrE s.v. 920.56f., 70ff.). — ≤ m › n é p Ú l o i g Ú n
é m Ë n a i : Zum Rhythmusschema s. 25n.; (épÚ) loigÚn émËnai ist flektierbare VE-
Formel P (14x Il.; zum Prinzip: WITTE [1912] 1979, 109ff.). — l o i g Ò n : bez. nie ein
vorübergehendes Unglück, sondern den definitiven Untergang (LfgrE); nimmt hier yã-
naton (60) wieder auf.
68 = 101, 2.76, 7.354, 7.365, Od. 2.224; 1. VH ≈ Il. 15.100, Od. 7.153, h.Merc.
365. Formelhafter Rede-AbschlußversP in Versammlungsschilderungen; vgl. 58n.
t o › s i … é n ° s t h : ‘unter denen erhob sich (sc. um zu reden’: égorÆsato 73): das den
Redner umgebende Publikum erscheint regelmäßig im Lokativ, vgl. 571 (égoreÊein),
5.420 (mÊyvn ∑rxe), usw.; zuweilen verdeutlicht durch §n (CHANTR. 2.80f.).
69–73 Der Seher Kalchas wird mit aufwendigem Beglaubigungsapparat eingeführt
(vgl. LATACZ [1981] 1994, 190): (1) Ganzvers-Bezeichnung (zur Funktion dieses
Typus s. 36n.), (2) sprechender Vatersname (Thestoríd*es = Sohn des Thestor, d.h.
des ‘Beters’: v. KAMPTZ 33; spätere Seher-Genealogien [s. app. crit.] bis zurück zu
Apollon, s. Schol. zu Apoll. Rhod. 1.139–144a, sind wohl mythographische Er-
findungen; Kalchas’ Name selbst ist ohne sichere Etymologie: v. KAMPTZ 375),
der Flotte ‘den Weg frei gemacht’). Die gleiche Leistung wird jetzt erneut von K.
erwartet. — Ilios: erste Nennung des Namens der belagerten Stadt (davor nur Um-
schreibung: ‘Priams Stadt’, s. 19n.; das Wissen, daß beide Bez. geogr. identisch
sind, wird vorausgesetzt). – Von den 125 Belegen des Namens in Ilias und Odyssee
sind 39 eindeutig Fem., nur einer eindeutig Neutr. (15.71, von Aristarch wegen der
neutr. Form für unecht erklärt; als Regelform erscheint Ilion erst bei den Tragikern
im 5. Jh. v. Chr.). – In der Ilias ist Ilios 106x belegt, davon 50x in metr. Positio-
nen, die anzeigen, daß das Wort ursprünglich konsonantisch begann, in weiteren
41 Fällen ist konsonantischer Anlaut möglich, in nur 15 Fällen ausgeschlossen:
der Name begann urspr. mit /w/ (‘Digamma’): Wílios (CHANTR. 1.152; zur Ver-
wandtschaft des Ortsnamens Ilios [auch für die Propontis, Thrakien und Thessalien
bezeugt] mit dem Personennamen Oiléus [Vater des Kleinen Aias, s. FM 3], der
im Etruskischen als Vilatas erscheint, s. v. KAMPTZ 296 und LfgrE s.v. ÖIliow).
– Die schon von KRETSCHMER 1924 vermutete Identität von Wílios mit dem in
hethitischen Texten des 15.–13. Jh. v. Chr. häufig auftretenden Toponym
Wilus(s)a (Adj. Wilusija, ‘Wilusische <Region>’) kann aufgrund neuen hethiti-
schen Textmaterials inzwischen geogr. und, soweit bisher beurteilbar, auch sprach-
lich als gesichert gelten: STARKE 1997 (zum Sprachlichen s. bes. 468f. Anm. 4);
HAWKINS 1998; LATACZ (2001) 2005, 97ff. 335ff. – Im äolischen Strang der ep.
Tradition dürfte Wílios spätestens seit dem 11. Jh. v. Chr. besungen worden sein:
JANKO, Introd. 19. – Bei Homer alterniert Ilios – primär metr. bedingt: VISSER
1997, 88–94; vgl. FOR 24 – mit Troi*e (zuerst 129, s.d.) und verschiedenen Aus-
drucksvarianten für ‘Priamos’ Stadt’ (vgl. 19n. und LfgrE s.v. ÖIliow 1189.3–6).
Ö I l i o n e ‡ s v : VE-FormelP (17.159, 17.163, 18.58, 18.439, 24.145; Od. 19.182,
19.193; ‘Hes.’ fr. 23(a).19 M.-W.); e‡sv ist Adv. (‘nach drinnen’: SCHW . 2.456, 547;
vgl. LEAF), das postpositiv als Präp. fungiert (LfgrE s.v. 491.30ff., 39ff.).
72 2. VH = 11.353; ≈ 15.441, ‘Hes.’ fr. 33(a).29 M.-W. — Seherkunst: gr.
mantosyvn*e, die Fähigkeit, durch richtige Deutung von Zeichen verborgene Kausal-
zusammenhänge zu erschließen und so vergangene, gegenwärtige und zukünftige
Abläufe und Geschehnisse in ihrer Zusammengehörigkeit geistig vor sich zu se-
hen; als bes. zeichenhaltig gelten: (1) Vogelflugverhalten (Vögel sind ‘Zwischen-
reichbewohner’ zw. Göttern und Menschen; sie sind Göttertiere [Adler ~ Zeus, Eu-
le ~ Athene, Bär ~ Artemis, usw.]; Götter erscheinen in Vogelgestalt, wozu GRAF
1991, 351f.), (2) Träume (werden von den Göttern gesandt, vgl. 63), (3) Wetter-
phänomene (Donner, Blitz usw. kommen von Zeus), (4) unbewußt situationsüber-
schreitende menschl. Äußerungen (können göttl. Eingebungen sein): LfgrE s.v.
mãntiw 32.17ff. — verliehen hatte … Apollon: Seherkunst ist gottgegebene
Auszeichnung (und zieht daher auch polit. Einfluß nach sich: LfgrE s.v. mãntiw
72 ¥n: Poss.-Pron. (R 14.4). — tÆn: in der Funktion von ¥n (R 14.5). — ofl: = aÈt“
(R 14.1). — pÒre: defektiver Aor., ‘geben, verschaffen, besorgen’.
56 Ilias 1
32.38–44); Apollon ist der Orakel-Gott schlechthin (Delphi, Didyma, Klaros) und
zugleich der Heilgott (Pai*e*on als Beiname Apollons allerdings erst h.Ap. 272; vgl.
aber 473n.): s. FG 5/21 und GRAF 1996a, 362; 1997, 491–493.
73 Rede-EinleitungsP-Formelvers (s. 58n.), 9x Il., 6x Od.
˜ : s. 12b n. — s f i n ¶ # f r o n ° v n : ¶# (zur Form ORTH 2; WEST 1998, XXf.) ist Akk.
des Inhalts: ‘Gutes sinnend’, d.h. ‘das Situationsangemessene im Kopf habend’ (nicht
‘wohlmeinend’), vgl. égayã, f¤la, kakã, Ùloã usw. frone›n. – sfin, als Enklitikon
regelgerecht weit an den Satz-Anfang zurückgezogen, gehört eigtl. zu met°eipen (‘unter
ihnen sprach’: CHANTR . 2.116), vgl. 68n., kann aber infolge seiner wortstellungsbe-
dingt zustande gekommenen Kontaktstellung schon früh (vor Homer) als dat. commodi
auf frone›n bezogen worden sein (LEUMANN 1950, 115–118, danach CHANTR . 2.70
Anm. 2 u. LfgrE s.v. §@ 765.19ff.). — é g o r Æ s a t o : Denominativum von égorÆ (da-
zu 54n.): ‘in der Versammlung das Wort ergreifen’; 24x Il./Od. in der VE-Formel égo-
rÆsato ka‹ met°eipen (bis auf 2x folgt stets direkte Rede). Zur synonymischen Doppe-
lung vgl. 57 und s. 160n.
74–75 Kalchas bezieht Achills Vorschlag direkt auf sich (s. 69–73n.) und verleiht
ihm zunächst durch eine komprimierende Reformulierung besondere Inhaltsschwe-
re. Beantworten wird er Achills Fragen (64–67) erst in 93ff.
74 Zeusgeliebter: gr. dií-philos (eigtl. ‘dem Zeus lieb’: generisches EpithetonP)
wird als freie Ergänzung zur Überbrückung des Raums zwischen B 2 und C 2 ein-
gesetzt (Beispiele: PARRY [1928] 1971, 66; vgl. bes. 10.49, 10.527); ähnliche
Bildung: ‘Ares-geliebter’ (ar*eï -v philos). Eine Wiederbelebung der im Epitheton
nicht mehr gehörten Ursprungsbed. kann durch Epitheton-Sprengung mittels ver-
baler Umschreibung erfolgen: 9.117 ‘ein Mann, den Zeus von Herzen lieb hat’
(LfgrE s.v. di¤filow).
Œ É A x i l e Ë : 5x Il., 1x Od., immer am Rede-Anfang. Die Interjektion Œ (bei Homer vor
Vokativ noch relativ selten, Proportion in der Ilias 1 : 8, in der Odyssee 1 : 5) drückt
Vertraulichkeit und starke emotionale Beteiligung aus (SCHW . 2.61; CHANTR . 2.37),
von Unmut bis zu Gequältheit; hier etwa: ‘O je, o je … (du weißt ja gar nicht, was du da
in Gang setzt!)’, vgl. etwa 19.216 (s. aber 442n.). — k ° l e a i : Kalchas deutet Achills
allg. Aufforderung in V. 62 geschickt in einen an ihn persönlich gerichteten Befehl um
und sichert sich dann gegenüber Agamemnon und dem Heer (schol. AbT) zuallererst
durch Berufung auf ‘Weisungsgebundenheit’ ab. — m e : Die Unbetontheit zeigt erneut
die Selbstverständlichkeit an, mit der Achills Seher-Vorschlag allg. auf Kalchas bezo-
gen wurde, vgl. 69–73n. — m u y Æ s a s y a i : “mantic: ‘interpret, expound, foretell’”:
LfgrE s.v. 270.10ff. (vgl. bes. Od. 2.159, 8.79).
73 sfin: = aÈto›w (R 14.1). — ¶#: = eÔ. — met°eipen: ¶eipe(n) (< *¶Weipe[n]) ist ältere
Aorist-Form neben e‰pe(n).
74 Œ ÉAxileË: zur Prosodie R 5.7, zum einfachen -l- R 9.1. — k°leai: k°lomai bei Ho-
mer häufig für keleÊv; zur unkontrahierten Form R 6.
Kommentar 57
10.244, Od. 2.387) bis zu ‘zugeneigt, zugewandt’ (z.B. 10.290, Od. 5.161). — ¶ p e -
s i n k a ‹ x e r s ¤ n : ‘mit Rat und Tat’; Polares BegriffspaarP (auch als ¶pow – ¶rgon,
¶pow – b¤h, ¶pow – ¶gxow, s. LfgrE s.v. ¶pow 663.53ff. und s.v. ¶rgon 674.73ff.); die
¶pea sind die Vor- u. Warnstufe vor dem Ernstfall, vgl. 16.630 und s. 395n.; zum gei-
stesgeschichtlichen Hintergrund des Begriffspaars s. KEMPER 1960.
7 8 – 7 9 ê n d r a … ˘ w m ° g a p ã n t v n | É A r g e ¤ v n k r a t ° e i k a ¤ o fl p e ¤ y o n t a i
É A x a i o ¤ : Den Namen Agamemnon umgeht Kalchas (im Typus etwa des Odyssee-An-
fangs) durch Umschreibung (und überläßt seine Nennung dem Achilleus: 90). Daß alle
Anwesenden nur ‘Agamemnon’ verstehen können, ergibt sich aus der (aufsteigenden)
Reihung ‘Argeier-Herrscher’ (30n.) – ‘Achaier-Kommandant’ (7n.): Tautologie der bei-
den Ethnika ist an dieser Stelle ausgeschlossen (s. LfgrE s.v. ÉArge›(ow) 1193.34ff. und
s.v. ÉAxaiÒw 1737.57). Das verbreitete Mißverständnis ‘einen [statt: den] Mann’ (Le-
xika, Übersetzungen) macht aus einer vorsichtigen Umschreibung eine Verrätselung
(richtig KIRK: ‘that I shall anger the man who …’). Kalchas sagt zudem nur, daß er Aga-
memnon durch seine Enthüllung in Rage bringen werde; worin die Enthüllung bestehen
wird, läßt er vor dem Garantie-Erhalt (80–83n.) wohlweislich offen.
m ° g a … | … k r a t ° e i : m°ga ist adverbiell verwendeter erstarrter Adj.-Akk. (ererbt, vgl. aind.
máhi: SCHW . 2.87); bei Verben des Herrschens wohl am ehesten ‘sehr’ (‘der sehr überlegen …
herrscht’; möglicherweise als Komparativverstärkung beim komparativischen krat°ein: SCHW .
2.185): LfgrE s.v. m°gaw 77.29ff. – Die Versgestaltung (3 Zäsuren: A 2 / B 2 / C 2, dazu ein seltener
Einschnitt nach dem 2. Daktylos) scheint die zögernd-stockende Redeweise vermitteln zu wollen
(AH).
78 Ù ˝ o m a i : 59n. — ê n d r a x o l v s ° m e n : Neben dem intrans. Med. xolÒomai ‘zür-
nen’ steht regelgerecht (SCHW . 2.233f.; CHANTR . 1.364) das kausative xolÒv ‘zürnen
machen’ (vgl. 18.111 §m¢ … §xÒlvsen … ÉAgam°mnvn).
79 und gehorsam sind ihm die Achaier: (Schweigender) Gehorsam (gr. péi-
thesthai) ist nach Agamemnons Auffassung von Führerschaft die Machtbasis eines
Heerführers, die durch immer erneute Niederschlagung von Widerspruch und Wider-
stand (des Gesamtheers in 22f., des Kalchas in 106ff., des Achilleus von 138 an)
gesichert werden muß; nach Achilleus’ Auffassung hingegen muß péithesthai auf
innerer Zustimmung beruhen (vgl. 150n.), die nicht erzwungen, sondern erarbeitet
werden muß: HAMMER 1997.
k a ¤ o fl p e ¤ y o n t a i É A x a i o ¤ : ofl (= aÈt“) ersetzt nach üblichem ep. Sprachgebrauch
das zu erwartende Rel.-Pron. ⁄: CHANTR. 2.243.
80–83 Kalchas begründet seine Garantie-Bitte mit der Lebenserfahrung: gekränkte
Machthaber lassen ihren Zorn an Niederen mit Verzögerung aus. Mit dieser Refle-
xion charakterisiert der Erzähler auf indirekte Weise Agamemnon (s. 79n.) und deu-
tet zugleich auf Agamemnons Taktik gegenüber Achilleus voraus.
85 mãla (W)eip°: zur Prosodie R 4.3. — mãla: ‘nur zu!’ (↑ ). — yeoprÒpion: zur Pros-
odie M 4.6. — ti (W)o›sya: zur Prosodie R 4.3.
86 oÌ mã (+ Akk.): Schwurformel, ‘Nein/Nicht, bei XY’ (↑ ). — ÉApÒllvna: 1. Silbe
metrisch gedehnt (R 10.1). — ⁄ te: ‘episches te’ (R 24.11). — Kãlxan: Vokativ.
88 oÎ tiw: = oÈde¤w. — §m°Œo : = §moË (R 14.1).
Kommentar 61
versuche (schol. AbT: Achill macht einen Vorbehalt; AH: Achill spricht mit dro-
hendem Unterton) verkennen den Schwurformel-Charakter.
§ m ° oŒ z « n t o w k a ‹ § p ‹ x y o n ‹ d e r k o m ° n o i o : Variante des üblichen z≈ein k a ‹
ırçn fãow ±el¤oio (18.61, 24.558): ‘(ich bürge) bis zu meinem Tode’. – Zur Schrei-
bung von §m°Œo s. 273n.
89 k o ¤ l ˙ w : zu den Schiffs-Epitheta 12b n.; zur Dativ-Endung 238n. — b a r e ¤ a w :
dient bei xe¤r/xe›rew (11x fgrE) zur Charakterisierung der ‘aggressiven Kampfhand’
(LfgrE; vgl. z.B. 23.687 [Boxkampf]); hier proleptisch-resultativ (K.-G. 1.276): ‘kei-
ner wird seine Hände, so daß sie schwer lasten …’; vgl. 39n. — § p o ¤ s e i : ‘die Hände
auf jn./etw. aufbringen, gewaltsam Besitz ergreifend’, vgl. 16.438 u. bes. 19.261
(‘habe sie nicht angerührt’).
90 Das ‘keiner’ (88) wird mit Nachdruck (progressives EnjambementP) ausgefaltet:
(1) ‘(keiner) von allen Danaern zusammengenommen’ (vgl. LfgrE s.v. ëpaw
995.5–14), (2) ‘selbst ihr allerhöchster Repräsentant nicht – Agamemnon’: keine
Hyperbel (so schol. A), da Achill an diese Möglichkeit dann selbst nicht glauben
dürfte (LAUSBERG §§ 909f.), sondern wohl eine für die anderen als Hyperbel ge-
tarnte definitive Ermutigung an den Seher, nun getrost die ungeschminkte Wahr-
heit zu sagen. – ‘Auch nicht, wenn du Agamemnon nenntest’ bed. wohl nicht ‘kei-
ner wird dir etwas antun, falls du Agamemnon als den an der Pest Schuldigen nen-
nen solltest’ (so AH), sondern ‘auch Agamemnon wird dir nichts antun, falls du
eine Pest-Ursache nennst, die ihn erzürnt, so daß er auf dich losgeht’ (vgl. 78–
79n., ebenso FAESI und KIRK zu 85–91; vgl. ferner HAMMER 1997, 5: “… he
guarantees protection from anyone who would seek to injure Kalchas, even Aga-
memnon”).
o È d É µ n É A g a m ° m n o n a e ‡ p ˙ w : Der Gedanke oÈdÉ ÉAg. so‹ xe›raw §po¤sei, µ n
toioËtÒn ti e‡p˙w Àste aÈtÚn xe›rãw soi §po¤sein m°llein wird vereinfacht zu oÈdÉ
µn ÉAg. e‡p˙w (so schon FAESI). Allerdings schließt die Formulierung auch die Deutung
oÈdÉ µn ÉAgam°mnona (a‡tion) e‡p˙w (toË loimoË) nicht aus: mit gewollter Zweideu-
tigkeit muß in diesem ambiguösen Achilleus–Kalchas-Dialog gerechnet werden. Der
oÈdÉ ≥n-Satz ist im bewußten Durchbrechen von Kalchas’ Umschreibungstaktik in 78
(s.d.) ein für die Glaubwürdigkeit der Garantie-Erklärung entscheidendes Unerschrocken-
heitssignal an alle (anders KIRK zu 85–91 u. 90–91: “gratuitous addition” und “insult”).
91 ≈ 2.82. — der jetzt ja von sich sagt: gr. éuchomai (s. auch MYK) bed. ‘ei-
ne offizielle Angabe über sich machen’; je nach Kontext, Adressat usw. können
sich daraus die Schattierungen ‘geloben’ (> ‘beten’) oder ‘angeben’ (≈ ‘prahlen’) er-
geben (LATACZ 1969, 353). Hier bed. éuchomai vordergründig nur die Feststel-
lung einer anerkannten Tatsache (vgl. 2.82 und LfgrE s.v. êristow 1295.9–26);
89 ko¤l˙w: zur Flexion R 11.1. — nhus¤: Dat. Pl. von nhËw (R 12.1).
90 ÉAgam°mnona (W)e¤p˙w: zur Prosodie R 4.3.
91 pollÒn: zur Flexion R 12.2.
62 Ilias 1
wegen der Zweideutigkeit des Begriffs ‘angeben’ (s. LfgrE s.v. (§p)eÊxomai
822.35–37) kann das Wort in Achills Mund aber auch ironisch verstanden werden
(WILLCOCK; KIRK; HAMMER 1997, 6): hier um so näherliegend, als der Erzähler
den Achilleus in 244 sich selbst als den ‘Besten’ unter den Achaiern sehen läßt.
‘Bester’ ist im allgemeinsten Sinne gemeint (weder nur sozial noch nur leistungs-
bezogen usw.): ‘der Spitzenmann’, vgl. 173–187n. und LfgrE s.v. êristow 1288–
1290, 1295.9ff.
n Ë n : wohl leicht ironisch einschränkend: ‘zur Zeit, gegenwärtig (noch)’; der Gegen-
satz Ïsteron (vgl. 27) kann mit herausgehört werden.
92 der edle Seher: gr. amy vm *o n (116x Il./Od.) ist eines der häufigsten generi-
schen EpithetaP der ep. Sprache (PARRY [1928] 1971, 145–153; mißglückte Wi-
derlegung: PARRY 1973); “typisches Attr. des durch äußere Vorzüge ausgezeichne-
ten Adligen”: LfgrE s.v. émÊmvn 645.56f.; vgl. FOR 29. Die Wiedergabe mit
‘untadelig, edel’ u.ä. ist rein konventionell.
93–100 Kalchas antwortet auf Achills Frage von V. 64: (1) der Grund von Apol-
lons Zorn ist Agamemnons Behandlung des Apollon-Priesters Chryses, (2) Apol-
lon wird die Epidemie erst dann von den Achaiern nehmen, wenn sie die Chryseïs
in Chryse dem Chryses zurückgegeben und Apollon ein großes Opfer dargebracht
haben.
93 Wiederaufnahme von V. 65: (verzögerte) Catchword-TechnikP. Die in V. 64 ge-
stellte Frage war mit den Vermutungen von V. 65 in der Schwebe geblieben. Die-
se Vermutungen werden jetzt – in spannungssteigernder Vorbereitung der richtigen
Antwort (Priamel-Technik) – als falsch zurückgewiesen. Die richtige Antwort
steht immer noch aus. Sie folgt im nächsten Vers.
94–95 entehrt: vgl. 11; das dort in der ProlepseP vom Erzähler gefällte Urteil
wird nunmehr im Binnenraum der Handlung bestätigt. Gesamtheer (22f.) und Ge-
schädigter selbst (42) hatten bereits in die gleiche Richtung gezielt. Das aus Seher-
mund kommende ‘entehrt’ bringt Agamemnons Handlungsweise definitiv auf den
Begriff und wird zur verbindlichen ‘Sprachregelung’ werden.
ß n e k É é r h t ∞ r o w : Gedachtes Prädikat ist nicht das (mit einfachem Gen., nicht ßne-
ka, konstruierte) §pim°mfetai 93 (so fälschlich die Schol.), sondern das mit korre-
spondierendem toÊnek(a) 96 eingeleitete êlgeÉ ¶dvken 96 (FAESI ), das seinerseits
§x≈sato 64 wiederaufnimmt (und präzisiert). Die Formulierung ‘wegen des Priesters’
meint – logisch locker – die im folgenden Rel.-Satz nachgeschobene ‘Entehrung des
Priesters’, umfaßt also als interne AnalepseP den Inhalt von 26–32. — ˘ n ± t ¤ m h s (ee )
… | o È d É é p ° l u s e y Ê g a t r a k a ‹ o È k é p e d ° j a t É ê p o i n a : ˜n leitet drei Rel.-
Sätze ein: ˘n ±t¤mhse – ka‹ <o> tØn yÊgatra oÈk ép°luse – ka‹ <parÉ o> t å
100 §w: = efiw (R 20.1). — min: = aÈtÒn (R 14.1). — fllassãmenoi: zur Doppelkonso-
nanz R 9.1. — pep¤yoimen: redupl. Aor. (Opt.) zu pe¤yv.
101 ≥toi ˜: zur Hiatkürzung R 5.5.
Kommentar 65
103 voll Unmut: gr. achnyvmenos, durch das progressive EnjambementP und den
scharfen Einschnitt nach der Zäsur A 4 emphatisch hervorgehoben. Das Wort be-
zeichnet häufig einen Zustand, in dem sich Resignation (Trauer oder Enttäuschung
über Unabänderliches: Agamemnon erkennt, daß er sich Kalchas’ Weisung fügen
muß) und Aggression miteinander verbinden (LfgrE s.v. êxnumai 1767f.; MAWET
1979, bes. 327; vgl. auch 188n.). — Erregung: gr. ménos bedeutet allg. ‘Ener-
gie, Drang’, spez. aggressive Energie (LfgrE s.v. m°now 137f.; JAHN 1987, 41ff.).
In der Ilias sonst meist positiv von der “körperliche[n] drängende[n] Kraftempfin-
dung” eines durch göttlichen Einfluß oder eine Kampfparänese inspirierten Kriegers
(LATACZ 1966, 22); negativ von gegen Angehörige der eigenen Gemeinschaft ge-
richteten Aggressionen 3x in Il. 1 (hier und 207, 282), sonst selten (LfgrE s.v.
m°now 137.39ff.).
f r ° n e w : fr°new bez. (wie yumÒw u.a., vgl. 24n.) urspr. einen Körperteil (‘Zwerchfell’,
‘Lunge’ oder eher vage die “entities situated in the region extending from the top of the
chest to the mid-abdomen”: SULLIVAN 1988, 21ff. [das Zitat S. 26]; vgl. JAHN 1987,
9ff.); hier ist diese konkret-körperliche Bedeutung noch faßbar. — é m f ‹ m ° l a i n a i :
bildet mit fr°new eine VE-FormelP (im Nom. noch Od. 4.661, Akk. Il. 17.83, 17.499,
17.573). émf¤ ist wohl (mit schol. AbT und gegen die meisten Hss., die émfim°lainai
in einem Wort schreiben) als adverbiale ‘Präposition’ (G 98, SCHW. 2.421ff.) aufzufas-
sen: 3.442 ¶rvw fr°naw émfekãlucen, 6.355 pÒnow fr°naw émfib°bhken u.a. bele-
gen die Vorstellung, daß Emotionen sich ‘rings’ (od. ‘auf beiden Seiten’) um die fr°new
legen (CHANTR. 2.86f. u. KIRK z.St.; anders LfgrE s.v. émfim°lain(a) und WEST zu Od.
4.661–2). – m°lainai ist kaum ornamentales EpithetonP (so schol. A und WILLCOCK ),
sondern proleptisch-resultativ (vgl. 39n. und dt. Wendungen wie ‘sich schwarz är-
gern’): ‘so daß sie dunkel wurden’, an allen 5 Stellen infolge heftiger Erregung; vermut-
lich physiologisch zu deuten: die Emotion läßt das Blut (bei Homer oft m°lan od. ke-
lainÒn: 303n.) in die fr°new strömen (LfgrE a.O.; COMBELLACK 1975; vgl. SULLIVAN
1988, 44ff.).
104 seine Augen wurden einem Feuer gleich: ein Zeichen von ménos
(103n.), vgl. 200n., in Rüstungs- und Kampfszenen 12.466, 13.474, 15.607f.,
19.16f., 19.365f. (KIRK, vgl. CONSTANTINIDOU 1994, 5ff.; zu Feuer-Gleichnis-
sen und -VergleichenP und der durch sie illustrierten zerstörerischen Energie allg.
FRÄNKEL 1921, 49ff.; LEINIEKS 1986, 6ff.).
dingte Neigung eines Menschen zu einer bestimmten Sache, vgl. (u.a.) 177 = 5.891,
2.796, Od. 8.248f., 14.224f., ähnl. 13.294f. (LANDFESTER 1966, 99ff.).
108 § s y l Ò n : ‘gut, vorteilhaft’; bei Sachen ohne erkennbaren Bedeutungsunterschied
zu égayÒw (LfgrE s.v. §sylÒw 734.45f.). — e ‰ p e w ¶ p o w : geläufige figura etymologi-
ca (im frgE 35x); geht wohl auf die idg. Dichtersprache zurück (SCHMITT 1967, 264f.).
109 2. VH ≈ 2.322, Od. 2.184. — Danaern: vgl. 2n. (zu ‘den Achaiern’).
k a ‹ n Ë n : öfter Ausdruck des Tadels oder Ärgers (‘wieder so ein Fall!’); vgl. 2.239,
4.12, 5.604, 15.292. — § n D a n a o › s i : d.h. ‘öffentlich’, was die Situation für Aga-
memnon noch verschärft (BEVIL .-CERR.; vgl. 520n.).
110–112a Eine in signifikanter Weise verkürzte Wiedergabe von Kalchas’ Worten
93ff. (in Tertiärer FokalisationP; z.St. DE JONG 1987, 175f.): Agamemnon über-
geht den entscheidenden Punkt, die Entehrung des Priesters (vgl. 11n., 21n., 23n.),
und reduziert den Tatbestand auf seinen ‘kommerziellen’ Aspekt. Die bloße Zu-
rückweisung eines Bittflehenden und seines Lösegeldes wäre in der Tat noch kein
Frevel gewesen (13n.; vgl. 6.45ff., 11.130ff., 21.71ff., wo keine göttlichen Sank-
tionen folgen; dazu PEDRICK 1982, 129ff.).
110 ihnen: Agamemnon spricht von der Seuche, als betreffe sie ihn persönlich
nicht; vgl. dagegen die Wir-Form in Achills Rede (59–67n.).
d Æ : ironisch, “implying, at most, that what follows is false: at least, that it is not un-
questionably true” (DENNISTON 233). — Ñ E k h b Ò l o w : 14n.
111 ich: gr. betontes eg*o; Agamemnon gibt zu verstehen, “that [he] finds it hard
to believe that the misery of all Greeks is caused by his individual behavior” (DE
J ONG 1987, 176). — Chryseïs: hier zum ersten Mal namentlich genannt; als
Eigenname verwendetes Patronymikon (vgl. 11n.).
112–117 Häufung von Verben des Wollens: oÈk ¶yelon (112), boÊlomai (112), pro-
b°boula (113), §y°lv (116), boÊlom(ai) (117). Agamemnon betont seine souveräne
Entscheidungsfreiheit.
112 da ich …: unvermittelter Übergang von der Wiedergabe der Kalchas-Rede zur
Verteidigung des eigenen Standpunktes (von Tertiärer zu Sekundärer Fokalisa-
tionP): DE JONG 1987, 176.
108 pv (W)e›pew (W)°pow: zur Prosodie R 4.4, R 4.5. — §t°lessaw: zur Doppelkonso-
nanz R 9.1.
109 ka‹ nËn: ‘<und so> auch jetzt’. — §n: ‘unter’. — Danao›si: zur Flexion R 11.2. —
yeoprop°vn: unkontrahiertes Ptz. Präs. (R 6).
110 dØ toËd' ßneka: ironisch, ‘natürlich, offenkundig darum’ (↑ ). — sfin: = aÈto›w
(R 14.1).
111 oÏnek(a): Krasis für o ßneka (R 5.3), ‘weil’. — koÊrhw: zur Form R 2, R 4.2. —
églã' êpoina: zum Hiat R 5.1.
112 polÁ boÊlomai: ‘will viel lieber’. — aÈtÆn: ‘sie selbst’, Gegensatz zu êpoina.
68 Ilias 1
113 ka¤: zu KlutaimÆstrhw, ‘sogar’. — gãr =a: ‘denn ... ja’ (R 24.1, ↑ ).
114 kourid¤hw: ‘ehelich’ (↑ ). — élÒxou, §pe¤: zum Hiat R 5.6. — oÎ (W)eyen: zur
Prosodie R 4.4. — •y°n: = aÈt∞w (R 14.1). — xere¤vn: = xe¤rvn (R 13).
115 d°maw, fuÆn usw.: Akkusative der Beziehung (R 19.1). — ti (W)°rga: zur Prosodie
R 4.3.
Kommentar 69
und 18.248f.; ganz anders, freilich in intimerem Rahmen, Il. 9.342f. Achill über
Briseïs). Vgl. GREENBERG 1993, 202f.
d ° m a w , f u Æ n : d°maw ‘Körperbau, Statur’ (zu d°mv) und fuÆ ‘Wuchs’ (zu fÊomai) bil-
den zusammen mit e‰dow und morfÆ ein Wortfeld, dessen (metrisch unterschiedliche)
Glieder semantisch nahe beieinander liegen (LfgrE s.v. d°maw). — f r ° n a w : in Aus-
drücken der Über- und Unterlegenheit steht frÆn/fr°new prägnant in der Bedeutung ‘In-
tellekt, Verstand’ (hier u. 13.432, 13.631 u.ö.; ebenso bei Verben des Wegnehmens
und Vernichtens: 6.234, 7.360 u.ö.). In dieser Funktion ist es nach metr. Bedürfnis mit
nÒow und prap¤dew austauschbar (vgl. 15.643, Hes. Th. 656 u.ö.), nicht aber – wie in
seinen typischeren Verwendungsweisen (55n., vgl. 24n.) – mit den übrigen Lexemen
des Wortfelds ‘Seele – Geist’ (vgl. 205n.; JAHN 1987, 295 Anm. 90).
116 1. VH = Od. 5.219.
117 ich: gr. betontes eg*o, ‘wenn es auf mich ankommt’ (AH); Agamemnon weist
indirekt den Vorwurf des Sehers zurück (vgl. 111: ‘weil ich …’), indem er hervor-
hebt, daß er das Wohl der Gemeinschaft über sein persönliches Interesse stellt.
l a Ò n : 10n. — s Ò o n : so die Vulgata gegen Aristarchs s«n. Zerdehntes sÒon ist die
übliche hom. Form (LEUMANN [1957] 1959, 266 Anm. 3); die kontrahierte Form sonst
nur 22.332 (dort metrisch notwendig) und Od. 5.305.
Zu Zenodots (verfehlter) Athetese NICKAU 1977, 243–245, und KIRK.
118–129 Ehrgeschenk (gr. géras): Beuteanteil aus Kriegs- und Raubzügen, der
vor der gleichmäßigen Verteilung der übrigen Beute unter alle Krieger für einzelne
Helden (i.d.R. die Anführer) ‘herausgenommen’ wird (s. 369); von der Gemein-
schaft (doch vgl. 162–168n.) als Zeichen der Anerkennung für besondere Leistun-
gen – auch Herrschaftsausübung – verliehen, vgl. 162, 276, 11.626f., Od. 7.10f.
u.ö. (LfgrE s.v. g°raw 134f.; BOTTIN 1979; DONLAN 1981, 158ff.; NOWAG
1983, 36ff.; SCHEID -TISSINIER 1994, 234ff.; etwas anders VAN W EES 1992,
299ff.). – Daß ein Held sein géras verliert, ist im hom. Epos ohne Parallele. Die
Situation führt zu einem Normen-Konflikt (RIEDINGER 1976, 260): Angesichts
der zentralen Bedeutung, die das géras als Statussymbol hat, ist es ‘durchaus nicht
angemessen’ (oude éoiken, 119), wenn ausgerechnet der oberste Heerführer ohne
Ehrgeschenk ist (doch vgl. 119n.); insofern ist Agamemnons Forderung nach Er-
satz an sich berechtigt. Deren sofortige (autíka, 118) Erfüllung ist jedoch ihrerseits
nicht ohne einen Verstoß gegen die Norm möglich, wie Achill Agamemnon entge-
genhält: Die Beute aus den Städten in Troias Umgebung (125n.) ist verteilt, und es
wäre ebenfalls ‘nicht angemessen’ (ouk epéoike, 126), eine einmal durchgeführte
Verteilung auf Kosten des Heeres rückgängig zu machen.
116 dÒmenai pãlin: ≈ épÚ ... dÒmenai (98); zur Flexion R 16.4.
117 laÒn: 10n. — sÒon: = s«n ‘heil, unversehrt’ (vgl. s–zv); zur ep. Zerdehnung R 8
und ↑. — ±(°): = ≥.
70 Ilias 1
g ° r a w : urspr. “la part d’honneur réservé au g°rvn” (DELG, vgl. 26n.; anders BENVE -
NISTE 1969, 43ff.).
118 für mich: gr. betontes emoí (wie eg *o in 117); Agamemnon impliziert, daß
man ihm das neue géras als Gegenleistung für seinen Verzicht und die dadurch
ermöglichte Rettung des Heeres schulde.
119 2. VH = 23.493; ≈ 12.212, Od. 5.212, 21.319. — ehrgeschenklos (agéra-
stos): hom. hapaxP (im fgrE sonst nur noch Hes. Th. 395); charakteristisch für
Agamemnon (die meisten Wörter, die sich ausschließlich in Agamemnon-Reden
finden, beziehen sich auf Status und Besitz: GRIFFIN 1986, 51; vgl. Figuren-Spra-
cheP). Wohl rhetorisch übertrieben, da Agamemnon nach 166ff. u. 2.226ff. noch
andere Ehrengaben besitzen dürfte (TAPLIN 1992, 60f.). — wäre … nicht pas-
send: gr. éoike(n) bezeichnet einen durch “common opinion or social precedent”
sanktionierten “standard of appropriateness” (LONG 1970, 135f.); speziell (wie
hier) im Bezug auf Konventionen bei der Zuteilung von Gütern gebraucht, die
einem auf Grund von Leistungen od. sozialer Position zustehen, vgl. etwa 23.537
(Wettkampfpreis), Od. 1.278 (Mitgift), Od. 24.273 (Gastgeschenke) (TURRINI
1977, 551–554).
120 l e Ê s s e t e : ‘ihr habt klar vor Augen’ (LfgrE).
121 ≈ 18.181; 1. VH 48x Il., 24x Od., 2x h.Ven.; 2. VH 21x Il. – Der Vers wird ohne er-
kennbaren Bedeutungsunterschied zu den Antwortformeln tÚn/tØn d' épameibÒmenow
pros°fh pÒdaw »kÁw ÉAxilleÊw (12x Il., vgl. 84n.) und tÚn d' aÔte pros°eipe pod-
ãrkhw d›ow ÉAxilleÊw (24.668) gebraucht; zu diesem ‘Verstoß’ gegen das Prinzip der
FormelP-Ökonomie s. EDWARDS 1969 und OLSON 1994. — p o d ã r k h w : zu érk°v,
wohl in der Bed. ‘ausreichen’, also etwa ‘mit den Füßen <seiner Aufgabe> gewachsen’
(B ECHTEL 1914, 279f.; anders FRISK). Das Wort hat sich bei Homer neben dem metrisch
gleichwertigen pod≈khw (das in versch. Formeln, als EpithetonP Achills außer 18.234
aber nur in obliquen Kasus verwendet wird) ausschließlich in der vorliegenden VE-For-
melP (21x Il.) erhalten (BERGSON 1956, 69).
122–129 Obwohl nicht direkt angesprochen (vgl. 105–120n.), ergreift Achilleus
erneut die Initiative und tritt – wie schon in 54ff. – Agamemnon gegenüber als
Anwalt der Gemeinschaft auf (LATACZ 1995, 46f.); dadurch lenkt er dessen Zorn
auf sich.
122 1. VH (‘Atride, majestätischster’) 10x Il., 2x Od.; statt der üblichen Fortset-
zung ‘Herr der Männer Agamemnon’ (z.B. 2.434) folgt hier – in scharfem Kontrast
zu der konventionellen Anrede – das überraschende philoktean*otate pánt*on ‘besitz-
versessenster von allen’ (wodurch ein schwerer Vier-Wort-Vers entsteht: vgl.
75n.). Besitzstreben an sich wird in der homerischen Gesellschaft, in der sich Sta-
tus ganz wesentlich auf Reichtum gründet (STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 43ff.),
nicht negativ gewertet (also nicht: ‘habgierigster von allen’: christliche Wertvor-
stellungen sind fernzuhalten, vgl. LOHMANN 1970, 136 Anm. 68); Achills Vor-
wurf zielt darauf, daß Agamemnon in seiner ‘Besitzversessenheit’ so weit geht, daß
er die berechtigten Ansprüche der anderen übersieht.
k Ê d i s t e : Superlativ zu kudrÒw, ‘mit höchstem kËdow ausgestattet’; kËdow bezeich-
net die Göttern – besonders Zeus – eigene bzw. von ihnen verliehene übernatürliche
Stärke, Ausstrahlung und Autorität (LfgrE s.v. kËdow). kÊdistow (meist Vok.) steht im
fgrE 12x bei Agamemnon, 8x bei Zeus, 2x bei Anchises und je 1x bei Athene, Hera und
Leto.
123 [tt ã r ] t ' ê r : 8n.; zur Variante gãr s. RUIJGH 1971, 807f. — m e g ã y u m o i : gene-
risches EpithetonP, ‘mit großer Energie, hochgemut’; steht bei verschiedenen Heroen-
und Völkernamen (LfgrE).
124 Gemeinschaftsgut: d.h. noch unverteilte Beute (vgl. 118–129n.).
j u n Æ Û a : zur Wortbildung (nach presbÆÛon) RISCH 127f.
125 aus den Städten: Städte in der Umgebung Troias, die die Achaier im Laufe
der ersten neun Kriegsjahre erobert haben, vgl. 163ff., 366ff., 9.328ff. u.ö. Zur
Bedeutung dieser Beutezüge als Teil der Ilias-Vorgeschichte TAPLIN 1986.
t å m ¢ n … t ã : Das erste tã ist relativ, das zweite demonstrativ. Voranstellung eines
mit ˜ ¥ tÒ eingeleiteten Relativsatzes ist wegen der urspr. anaphorischen Funktion des
Pronomens bei Homer noch selten (nur hier und Od. 4.349 = 17.140), wird aber später
geläufig (SCHW . 2.642); Grund zu einer Konjektur (y' ì m°n: MONRO [1882] 1891, 231;
vgl. WEST zu Od. 4.349) besteht nicht.
126 wär’ nicht passend: Catchword-TechnikP: Achill nimmt Agamemnons
Worte aus 119 auf (vgl. 118–129n., 119n.).
l a o Ê w : in betonter Anfangs-Stellung; Subjekts-Akk. (kaum Objekt zu §page¤rein [so
von KIRK im Anschluß an LEAF erwogen: ‘to gather up again from the army’]): Um ein
neues g°raw für Agamemnon auswählen zu können, müßten die lao¤ selbst ihre eigenen
Beuteanteile wieder einsammeln und zusammentragen. — § p ° o i k e : in der unpersönli-
chen Bed. ‘es ist angemessen’ ohne erkennbaren Unterschied zum Simplex gebraucht
(LfgrE s.v. ¶oika 622.45f.; vgl. TURRINI 1977, 554 Anm. 50).
124 oÈd°: wie 119. — pou (W)¤dmen: zur Prosodie R 4.4. — ‡dmen: 1. Pl. zu o‰da. —
junÆÛa: Neutr. Pl., ‘gemeinsame Dinge’, d.h. noch unverteilte Beute. — pollã: zu ke¤-
mena (‘haufenweise’).
125 tå m°n: tã in der Funktion von ë (R 14.5; ↑ ). — pol¤vn: zur Flexion R 11.3. —
§jeprãyomen: starker Aor. zu §k-p°ryv (in 19 dagegen s-Aor.); hier ‘erbeuten aus’,
sonst (mit Städten als Objekt) ‘erobern, zerstören’. — d°dastai: zu dat°omai ‘ver-
teilen’; das Perf. betont die Endgültigkeit.
126 laoÊw: Subjekts-Akk. (↑ ). — pal¤lloga ... §page¤rein: ‘wieder einsammeln und
zusammentragen’.
72 Ilias 1
127 Mit seiner öffentlichen Aufforderung an den obersten Heerführer begeht Achil-
leus an und für sich keinen Verstoß gegen die Etikette (vgl. Diomedes’ Worte über
die Redefreiheit in der Heeresversammlung 9.32ff.); doch im Vergleich mit dem
Bemühen um Diplomatie, das Nestor (254–284n., 9.69ff.), Odysseus (19.172ff.)
und Achilleus selbst (23.156ff. u. 890ff.) in analogen Situationen an den Tag le-
gen, wirkt sein Vorgehen hier ungeduldig und direkt. Ein diplomatischer Zug ist
nur sein Hinweis darauf, daß Agamemnon, wenn er nachgibt, ja nicht etwa dem
von ihm verabscheuten Kalchas nachgibt, sondern dem Gott: eine goldene Brücke.
é l l å s Ê : VA-FormelP (35x Il., 10x Od.); leitet meist eine Aufforderung ein, die sich
aus der vorangehenden Argumentation ergibt (D ENNISTON 14). — s Á … É A x a i o ¤ :
Agamemnon wird der Gemeinschaft gegenübergestellt (in die Achilleus selbst sich ein-
schließt: 128 épote¤somen).
128 dreifach und vierfach: In 213 (s.d.) verspricht Athene Achill als Ausgleich
für seine tiefe Demütigung ‘dreifachen’ Ersatz, eine offenbar als großzügig angese-
hene Entschädigung (vgl. 21.80); seiner Einschätzung Agamemnons als philoktea-
n*otatos (122n.) entsprechend geht Achill mit dem steigernden ‘und vierfach’ noch
darüber hinaus (obwohl es sich im vorliegenden Fall um Ersatz für einen selbstver-
schuldeten Verlust handelt). Zur Wendung vgl. das hyperbolische ‘zehn- und zwan-
zigfach’ in 9.379, 22.349; zu Parallelen im semit. Sprachraum WEST 1997, 259f.
a ‡ k ° p o y i Z e Ê w : formelhafte Wendung (6.526, 7x Od., an versch. Stellen im Vers).
129 ≈ 8.241. — Troia: vielleicht gleichzusetzen mit dem in den Annalen des
hethit. Königs Tudhaliya I/II. (ca. 15./14. Jh. v. Chr.) genannten Land Taru(w)isa
(GÜTERBOCK 1986, 35. 39ff.; vorsichtig zustimmend STARKE 1997, 455;
B RYCE 1998, 394–396); vgl. 71n.; LATACZ (2001) 2005, 335–338; LATACZ /
STARKE 2006, 62f.
d « s i : zur Orthographie WEST 1998, XXXI. — T r o ¤ h n : von Aristarch (laut schol. A)
als Adj. aufgefaßt (pÒlin Tro˝hn, ‘eine Stadt in der Troas’), doch vgl. 8.287f.,
9.135f.: neue Beute ist offenbar nur noch aus Troia selbst zu erwarten. — e È t e ¤ x e o n :
Epitheton P Troias (und einmal von Lyrnessos); gehört mit §@dmhtow, eÎpurgow, afi-
pÊw/afipeinÒw u.a. zu den Beiwörtern, die die Wehrhaftigkeit der Stadt betonen. Zugun-
sten einer kontextspezifischen Verwendung dieser Epitheta-Gruppe (meist in direkten
Reden von Achaiern in Verbindung mit Verben der Bed. ‘erobern, zerstören’) argumen-
tiert SCULLY 1990, 49. 69ff.; die Analyse bei VISSER 1997, 83ff., läßt jedoch generell
auf eine primär versifikatorische Funktion der Troia-Epitheta schließen. – Zur Wortbil-
dung (-eow neben s-Stamm) s. RISCH 133: eÈte¤xeon “ist eine hiattilgende Umgestal-
tung von eÈteix°a” (pÒlin eÈteix°a p°rsaw, 16.57).
127 tÆnde: = Chryseïs. — aÈtãr: nimmt m°n auf, ‘doch, aber’ (R 24.2).
128 épote¤somen: Fut. zu épot¤nv ‘Ersatz leisten’. — a‡ ke: = §ãn (R 22.1, R 24.5).
— poy¤: = pou.
129 d«si: 3. Sg. Konj.
Kommentar 73
131 dÆ: verstärkt die Negation. — §≈n: Ptz. von efim¤ (R 16.6).
132 mØ kl°pte: konativ. — nÒƒ, §pe¤: zur Prosodie M 12.2. — nÒƒ, pareleÊseai: zu
den unkontrahierten Formen R 6.
133 ∑ §y°leiw: zum Hiat R 5.7. — ∑ §y°leiw ... aÈtår §m(°): ‘Willst du wirklich, um
selbst dein g°raw zu behalten, daß ich dagegen ...?’ (↑).
134 deuÒmenon: = att. deÒmenon. — k°leai: 74n.
74 Ilias 1
Herstellung der logischen Beziehung (‘und forderst mich deshalb auf, sie herzugeben’:
vgl. AH, LEAF) bleibt dem Hörer überlassen (vgl. 10n.).
135–137 e fi m ¢ n d ≈ s o u s i … e fi d ° k e m Ø d ≈ v s i : Bei zwei koordinierten Kondi-
zionalsätzen wird die Apodosis des ersten häufig weggelassen (K.-G. 2.484f.; CHANTR.
2.274f.). – Der Moduswechsel (efi + Ind. Fut.: neutrale Fallsetzung; efi … ke + Konj.:
Ausdruck einer bestimmten Erwartung) macht deutlich, daß der Sprecher die zweite Mög-
lichkeit für die wahrscheinlichere hält (HENTZE 1908, bes. 133; WAKKER 1994, 210).
135 geben … die hochherz’gen Achaier: Catchword-TechnikP : Agamemnon
nimmt provokativ Achills Worte aus 123 auf.
136 ê r s a n t e w k a t å y u m Ò n : ‘es passend herrichtend nach meinem Herzen, es mei-
nen Wünschen anpassend’. Aus dem handwerklichen Bereich übertragen (vgl. Od. 14.23
émf‹ pÒdessin … érãriske p°dila): Agamemnons g°raw soll für ihn ‘maßgeschnei-
dert’ sein (vgl. LfgrE s.v. érar¤skv 1181.55ff.). — ˜ p v w : final, mit Fut. wie Od.
1.57 (CHANTR . 2.273; SCHW . 2.671).
137 ≈ 324. — k e n a È t Ú w ß l v m a i : Agamemnon betont seine Autonomie (LfgrE s.v.
aÈtÒw 1637.65ff.), formuliert die Drohung aber etwas vage: Der prospektive Konj. (im
Hauptsatz fast nur bei Homer: SCHW. 2.310f.) ist Ausdruck einer subjektiven Erwartung,
etwa: ‘dann sollte ich mir wohl selbst nehmen’.
138 Aias (der Telamon-Sohn; sein Namensvetter, Sohn des Oileus, spielt in der
Ilias eine geringere Rolle) und Odysseus gehören zu den bedeutendsten Helden nach
Agamemnon und Achilleus (FM 3); ihre Ehrengeschenke würden am ehesten einen
gleichwertigen Ersatz für Chryseïs darstellen.
139 Und der wird bittre Wut empfinden …: charakteristisch für Agamem-
nons Kurzsichtigkeit; der Erzähler läßt ihn die Folgen, die der Zorn des seines Eh-
rengeschenkes Beraubten für ihn selbst haben könnte, nicht voraussehen.
ê j v : zu êgv in der Bed. ‘(mit Gewalt) wegführen’ vgl. 184, 19.273 (wie hier mit Be-
zug auf Briseïs) und 367, 4.239, 16.153 u.ö. (bewegliches Beutegut nach der Eroberung
einer Stadt) (LfgrE s.v. 119f.). — k e n k e x o l ≈ s e t a i : Der prospektive Ind. Fut.
(bzw. Perfektfut.) mit Modalpartikel wird ohne wesentlichen Bedeutungsunterschied
zum prospektiven Konj. (137n.) gebraucht; fast ganz auf die homerische Sprache be-
schränkt (CHANTR . 2.225f.; vgl. SCHW . 2.351f.).
Zu Aristarchs (verfehlter) Athetese s. KIRK und LÜHRS 1992, 29ff.
135 efi m°n ...: Kondizionalsatz ohne Apodosis (↑ ); erg. ‘dann ist es gut’ o.ä.
136 êrsantew (von érar¤skv) katå yumÒn: ‘es meinen Wünschen anpassend’ (↑ ). —
˜pvw: final (↑ ).
137 d≈vsin: 3. Pl. Konj. — §g∆ d°: apodotisches d° (R 24.3). — ßlvmai: Konj. Aor.
zu aflr°omai ‘sich nehmen’, prospektiv (↑).
138 teÒn: Poss.-Pron. der 2. Pers. (R 14.4). — ÉOdus∞ow: zur Flexion R 11.3, R 3; zum
Wechsel von -s- und -ss- (vgl. 145) R 9.1.
139 ken kexol≈setai: prospektiver (↑ ) Ind. Perfektfutur zu xolÒomai ‘zürnen’. — ˜n
... ·kvmai: flkn°omai steht meist mit präpositionslosem Akk. des Ziels (vgl. R 19.2).
Kommentar 75
144 bÆsomen: kausativer s-Aorist zu ba¤nv. — érxÒw ist Prädikatsnomen, énØr bou-
lhfÒrow Apposition zu eÂw ... tiw.
147 ¥min: unbetonte Nebenform zu ≤m›n. — fllãsseai: 2. Sg. Konj. Aor. von fllãsko-
mai ‘gnädig stimmen’ (R 6, R 9.1, R 16.3).
Kommentar 77
Verbindung flerå =°zein bezeichnet bei Homer regelmäßig das (feierliche) Opfer ein-
schließlich der dazugehörigen Zeremonie (CASABONA 1966, 48ff.; RUDHARDT [1958]
1992, 253ff.).
148 = 22.260, 22.344, 24.559; 1. VH (mit leichten Varianten) 17x Il., 9x Od. —
von unten blickend: Ausdruck der Empörung über die Verletzung von sozialen
Normen und Verhaltensregeln (stets in Rede-EinleitungenP); vgl. 2.245, 4.411,
5.888 u.ö. und s. insges. HOLOKA 1983.
Í p Ò d r a fid
fi d ≈ n : eigtl. ‘mit einem Blick von unten schauend’; ÍpÒdra < *ÍpÒ-drak
zu Ípod°rkomai (FRISK).
149–171 In Achills Reaktion äußert sich eine offenbar seit langem aufgestaute
Enttäuschung: Wie sollen die Achaier einem Mann wie Agamemnon noch bereit-
willig gehorchen (149–151)? Nur um seiner und seines Bruders verletzter Fami-
lienehre willen wird dieser Krieg geführt (152–160); zu deren Wiederherstellung hat
Achill mehr als alle anderen geleistet, ohne je die verdiente Anerkennung dafür zu
erhalten – und ausgerechnet ihm droht Agamemnon mit der Wegnahme seines Eh-
rengeschenks (161–168); er wird die Konsequenzen ziehen und nach Hause fahren
(169–171). – Damit gewinnt der Streit eine neue Dimension: Achill stellt die
scheinbare Selbstverständlichkeit des ganzen Troia-Unternehmens in Frage und
führt Agamemnon vor Augen, daß er für dessen erfolgreiche Durchführung auf die
Hilfe anderer – besonders die seine – angewiesen ist und durch sein autokratisches
Auftreten der Kooperation ihre Grundlage entzieht (TAPLIN 1992, 55ff.; zum Auf-
bau der Rede LOHMANN 1970, 45ff. 131ff.).
149 Unverschämtheit: genauer: ‘Mangel an aid*os’ (an-aidéi*e, 158 als Adj. wie-
derholt). aid*os bezeichnet im hom. Epos generell die Scheu, andere zu verletzen
oder ihr Mißfallen zu erregen, spez. ein Gefühl für die anderen zukommende Ehre
(vgl. 23n.); als ein unerläßliches Korrektiv zum Streben des Einzelnen nach per-
sönlicher Ehre bildet sie sozusagen “the cement of homeric society” (CAIRNS
1993, 48ff., bes. 87ff.; vgl. 275n. u. LATACZ 1995, 47f.).
’ m o i : Ausdruck versch. negativer Emotionen, vgl. 414 (Schmerz), 7.96 (Empörung),
11.404 (Angst), hier wohl empörte Fassungslosigkeit angesichts der von Agamemnon
an den Tag gelegten énaide¤h (zur Situationsbedingtheit der Bedeutungsnuancen von
Interjektionen allg. SCHW. 2.601). – Zur Orthographie (’ mit i subscr.) ORTH 4; WEST
1998, XXXVII. moi ist Dat. der Zugehörigkeit, vgl. dt. ‘weh (werde [od. geschieht])
mir’, lat. vae mihi (SCHW . 2.143). Die Wendung ist möglicherweise semitischen Ur-
sprungs (W EST 1997, 263). — é n a i d e ¤ h n § p i e i m ° n e : ‘gekleidet in, angetan mit
énaide¤h’, so noch 9.372 u. h.Merc. 156; vgl. h.Merc. 245 efilum°now §ntrop¤˙si
und die geläufigere Metapher (§pi)eim°now élkÆn (Il. 7.164 u.ö.). Möglicherweise ein
148 ÍpÒdra (W)id≈n: zur Prosodie R 4.3. — pÒdaw: Akk. der Beziehung (R 19.1).
149 §pieim°ne: Vok. des Ptz. Perf. Med. von §pi°nnumi (mit Hiat im Wortinnern, da <
*§piW°nnumi).
78 Ilias 1
Semitismus, vgl. etwa Psalm 73.6 (über die Gottlosen): “Darum ist Hoffart ihr Halsge-
schmeide, Gewalttat das Gewand, das sie umhüllt” (WEST 1997, 238f.). — k e r d a l e Ò -
f r o n : nur hier und 4.339; k°rdow bed. (im Gegensatz zu ˆfelow) durchgehend ‘advan-
tage for oneself’ (DE J ONG 1987a), kerdaleÒfrvn also ‘nur auf den eigenen Vorteil
bedacht’ (LfgrE). Der Vorwurf liegt auf derselben Linie wie filoktean≈tate pãntvn
(122n.).
150 Wie soll denn einer der Achaier …: Achill fühlt sich mit der Achaierge-
meinschaft einig, indem er sich von Agamemnon distanziert (REINHARDT 1961,
47), hat aber v.a. seine eigene Situation im Blick (152ff.: 1. Sg.). — gern: gr.
próphr*on, s. 77n. Achill stellt nicht grundsätzlich Agamemnons Befehlsgewalt in
Frage, wohl aber dessen Fähigkeit, sich die aktive Unterstützung seiner Herrschaft
durch die Achaiergemeinschaft auf die Dauer zu erhalten (HAMMER 1997, 4f.). Die
Gefahr einer Autoritätseinbuße Agamemnons erweist sich im weiteren Verlauf der
Iliashandlung als durchaus real (vgl. 79n.; 13.109ff.,14.49ff.); zur prekären Macht-
position homerischer basil*ees allg. s. ULF 1990, 85ff.; RAAFLAUB 1997, 633f.
t o i … ¶ p e s i n : eine Art sx∞ma kay' ˜lon ka‹ katå m°row, ‘deinen Worten’ (vgl.
S CHW . 2.189f. Anm. 5). – Zum ‘positionsbildenden’ ny ephelkystikon 388n. — p e ¤ -
y h t a i : zum prospektiven Konj. im Fragesatz (verwandt mit dem deliberativen Konj.
des Attischen, aber freier im Gebrauch) s. CHANTR. 2.210.
151 ı d Ò n : ıdÒw bezeichnet als nomen actionis einerseits Botengänge und Gesandt-
schaften (ließe sich hier also u.a. auf die Fahrt nach Chryse beziehen), andererseits mi-
litärische Unternehmungen (worum es Achill im folgenden geht) (LfgrE s.v. 496.15ff.).
— ‰ f i m ã x e s y a i : VE-FormelP (7x Il.).
152–155 Emphatische Häufung von Negationen (oÈ, oÎ ti, oÈ … pv, oÈd¢ m°n, oÈd°
pot') und Pronomina der 1. Person (152 §g≈ ‘was mich betrifft’, 153 moi, 154 §mãw: Ge-
gensatz zu so¤ in 158).
152 a fifixx m h t ã v n : ‘Lanzenkämpfer’; steht als formelhafte Apposition bei versch. Per-
sonen- und Völkernamen (LfgrE).
153 a ‡ t i o ¤ e fis
fi s i n : VE-FormelP (= 3.164, Od. 2.87). – a‡tiow ist, ‘wer (jm.) etwas (an-)
getan hat’; feststellende (nicht moralisch wertende) Bezeichnung für den Urheber eines
Übels (LfgrE).
154–157 Viehraub als Anlaß kriegerischer Auseinandersetzungen ist ein in der
indo-europäischen Heldendichtung weit verbreitetes Motiv – ein Reflex histori-
scher Realität in den auf Viehwirtschaft ausgerichteten frühen Gesellschaften
(PARRY [1933] 1979, 268f.; BADER 1980, 17ff. 31). Im Griechenland des ausge-
henden 8. Jh. werden Konflikte um Landbesitz zum wichtigsten Kriegsanlaß, doch
im Epos bleiben die – offenbar als heroischer empfundenen – Raub- und Beutezüge
ein dominantes Motiv; vgl. etwa 11.671ff., 18.520ff., 20.188ff., Od. 20.49ff.,
21.15ff., 23.357 (RAAFLAUB 1991, 222ff.; vgl. auch JACKSON 1993).
154 b o Ë w : im Pl. meist fem. (LfgrE). — ≥ l a s a n : hier (wie 5.236 u.ö.) in der Spe-
zialbed. ‘(Beutetiere) wegtreiben’; vgl. die Ableitung bohlas¤h (LfgrE s.v. §laÊnv
516.21ff., 517.40ff.).
155 in Phthia: Landschaft in Thessalien, Heimat Achills. Der Erzähler läßt
Achill den Gedanken, die Troer hätten ihm persönlich Schaden zufügen können, ad
absurdum führen; ähnl. 5.483f. der troische Bundesgenosse Sarpedon gegenüber
Hektor.
§ r i b ≈ l a k i b v t i a n e ¤ r ˙ : zur asyndetischen Epitheta-Reihung LA R O C H E 1897,
175ff. 181ff. (Stellensammlung); K.-G. 2.341f. – §rib«laj ‘mit großen Schollen’ (zu
dem verstärkenden Präfix §ri- s. WILLI 1999) ist ein generisches EpithetonP fruchtbarer
Landschaften (LfgrE). bvtiãneira ‘Männer ernährend’ (von bÒskv), iliad. hapax P und
nur hier bei einem Landschafts-Namen (sonst im fgrE 4x Beiwort zu xy≈n), steht
anstelle der geläufigeren VE-Formel mht°ri/-a mÆlvn (8x fgrE, davon 2x in Verbin-
dung mit §rib≈laki/-a und 3x von Phthia: Hinweis FÜHRER ), hat also hier wohl kon-
textsensitive Funktion: die Leute aus Phthia sind Männer!
156 § p e ‹ ∑ : ≈ §peidÆ, mit einem gewissen Nachdruck; steht in Verbindung mit mãla
(hier u. Od. 10.465), polÊ (169 u. häufig), ka¤ (20.437, Od. 16.442): DENNISTON 286.
157 Zur Vers-Struktur vgl. 20.392 (ebenfalls im Munde Achills): ÜUllƒ §p' fixyuÒenti
ka‹ ÜErmƒ dinÆenti. Zur euphonischen Elaboriertheit solcher Verse GRIFFIN 1980, 75.
— s k i Ò e n t a : ‘schattenreich’, d.h. ‘beschattet, dunkel’ oder ‘Schatten werfend’
(F RISK ; zugunsten der ersten Möglichkeit argumentiert TREU [1955] 1968, 115ff.);
steht auch bei n°fea und m°gara. — ± x Æ e s s a : nur hier Beiwort des Meeres, wohl
‘tosend’ (AH; vgl. das häufigere Meer-EpithetonP polÊfloisbow, 34n.); sonst in der
Bed. ‘widerhallend’ von Bergen und von den Hallen großer Häuser.
158 zutiefst schamloser Mensch: vgl. 149n. — damit du Freude hättest:
Achill kennzeichnet sein Verhältnis zu Agamemnon als ein “auf Freundschaft ba-
sierendes freiwilliges Gefolgschaftsverhältnis” (LATACZ 1966, 91).
Œ : vgl. 74n.
159–160 die Ehre (tim *e ) wiederzugewinnen suchend … von den Troia-
nern: derselbe Gedanke 5.552f., 17.92, Od. 14.70, 14.117. tim*e bez. einerseits
die ‘Ehre’, die einer genießt (zentraler Wertbegriff der hom. Gesellschaft, da Maß-
stab für die soziale Einordnung eines Menschen; vgl. 11n.), andererseits aber auch
die ‘Buße’ od. ‘Genugtuung’, die zur Wiederherstellung verletzter Ehre erforderlich
ist (vgl. 175n., 3.286ff., Od. 22.57; die epischen Sänger brachten tim*e und das zu-
gehörige Verb tí*o mit tín*o/-omai ‘Buße zahlen/eintreiben’ in Verbindung: HEU-
BECK [1949] 1984, 126f.; ADKINS 1960a; 1997, 705f.; wohl volksetymologisch:
LEJEUNE 1979, 60f.). — Menelaos: s. FM 2; vgl. 16n.
159 k u n « p a : Vok. zu mit -hw erweitertem kÊnvc (LEUKART 1994, 127; vgl. SCHW .
1.561f.) oder erstarrter Akk. (wie eÈrÊopa: RISCH 38, vgl. 498n.); das Mask. nur hier
(225 umschrieben), das Fem. kun«piw 3.180 (Helena über sich selbst), 18.396 (He-
phaistos über Hera) und 3x Od.; teilweise mit Bezug auf dieselben Figuren, also wohl
funktionsgleich verwendet wie kÊneow (z.B. 9.373: Achill über Agamemnon) und kÊvn
(z.B. 6.344, 6.356: Helena über sich selbst) (FAUST 1970, 25; LfgrE s.v. k Ê v n
1602.21ff.). Der Hund galt als Verkörperung der Schamlosigkeit (vgl. 9.372f. und die
Schol. zu 1.225, 21.394 u.ö.: FAUST 1970, 25ff.; etwas anders GRAVER 1995).
160 ≈ 12.238. — p r Ú w T r ≈ v n : durch das progressive EnjambementP mit scharfem
Einschnitt nach A 4 hervorgehoben: Die Exzeptionalität der Solidaritätsaktion – Hilfe
im Kampf gegen einen weit entfernt wohnenden Gegner (156f.), mit dem Achilleus
selbst nichts zu tun hat (152) – wird vorwurfsvoll gesteigert. — o Î t i m e t a t r ° p e '
o È d ' é l e g ¤ z e i w : Synonymische Doppelungen sind bei Homer häufig. Sie dienen pri-
mär der Emphase, haben aber auch versifikatorische Funktion: der zweite Begriff füllt
die Lücke bis zur nächsten Zäsur oder (meist) bis zum Vers-Ende; vgl. z.B. éll' eÔ ofl
fãsyai pukinÚn ¶pow ±d' Ípoy°syai (11.788) und formelhafte Wendungen wie égo-
rÆsato ka‹ met°eipe (73), katå fr°na ka‹ katå yumÒn (193); dazu O’NOLAN 1978;
HAINSWORTH, Introd. 18f.; vgl. auch 192n.
161 Achill legt Agamemnon auf seine Drohung fest, indem er 137f. explizit auf
sich bezieht und den Rückzieher 140ff. ignoriert (vgl. 131–139n.).
m o i : zu éfairÆsesyai (Verben des Wegnehmens mit Dat.: SCHW . 2.146) oder/und zu
épeile›w. — a È t Ò w : vgl. 137n.
162–168 Ehrengeschenke werden offiziell von der Gemeinschaft verliehen (118–
129n.), worauf Achill sich in 162 beruft (wenn Agamemnon Achill sein géras
wegnimmt, macht er einen vom Kollektiv sanktionierten Beschluß rückgängig).
De facto scheint der oberste Anführer, der beim Verteilungsprozeß wohl eine Lei-
tungsfunktion für das Volk wahrnimmt (LfgrE s.v. g°raw 134.76f.), freilich einen
erheblichen Einfluß auf den Vorgang zu haben (vgl. 8.289ff., 9.130, 9.332ff.,
9.367f.); in 163ff. impliziert Achill, daß Agamemnon seine Autorität (und die
Passivität der Achaier: vgl. 231n., 299n.) auch vor jener Drohung schon regelmä-
ßig zu seinen eigenen Gunsten genutzt und ihn dabei übervorteilt habe. – Zum
Problem DONLAN 1981, 158–163 und NOWAG 1983, 48–50 (mit gegensätzlichen
sozialhist. Erklärungsversuchen); SCHEID-TISSINIER 1994, 237ff.
162 um das ich viel gelitten: Der Kampf erscheint bei Homer oft als mühe-
volle Arbeit: 4.470f., 13.343f. u.ö. (WULFERT 1958, 68ff.; LATACZ 1966, 126f.).
u  e w É A x a i « n : VE-FormelP (im fgrE 40x Nom., 24x Akk.). Periphrastische Kollek-
tiv-Bezeichung für die Achaier, bes. die Troia-Kämpfer (LfgrE s.v. ÉAxaiÒw 1737ff.);
vokalisch anlautendes Pendant zu koËroi ÉAxai«n (FOR 23; WITTE [1912] 1979, 114;
zum ganzen Formelsystem PARRY [1928] 1971, 100f.). Möglicherweise ein Semitis-
mus, vgl. das biblische ‘die Kinder (genauer: Söhne) Israel’ (BURKERT [1984] 1992, 46;
W EST 1997, 226).
163 von gleichem Wert: Achill nimmt mit Selbstverständlichkeit an, daß ihm
das angesichts seiner, wie er meint, größeren Leistungen für das Troia-Unterneh-
men (165f.) eigentlich zustände; zu Agamemnons ganz anderer Sicht der Dinge (die
einen Normen-Konflikt innerhalb der homerischen Gesellschaft offenbart) 173–
187n., 186n., 187n.
164 ≈ 2.133, 13.380; 2. VH = 9.402. — e Ô n a i Ò m e n o n : generisches EpithetonP von
Städten: ‘wo sich’s gut wohnt’ (LfgrE s.v. na¤v 297.57ff.).
165 p o l u ã Û k o w p o l ° m o i o : VE-FormelP (= 20.328, Od. 11.314); poluãÛj (Wurzel-
kompositum zu é˝ssv: RISCH 194) bed. ‘vielstürmend, heftig’.
167 s o ‹ … § g ≈ : durch die Stellung hervorgehoben. — t Ú g ° r a w : tÒ in ‘präsentie-
render’ Funktion (CHANTR . 2.162; vgl. 11n.); unterstreicht den Gegensatz zu tÚ m¢n
ple›on ... pol°moio in 165. — m ° z o n : zur Form ORTH 2 und WEST 1998, XX, s.v.
êsson. — Ù l ¤ g o n t e f ¤ l o n t e : ‘klein, aber fein’ (zu te in kontrastierender Funk-
tion s. RUIJGH 1971, 55. 799f.); zur Redewendung vgl. dÒsiw d' Ùl¤gh te f¤lh te Od.
6.208 = 14.58 (dort im Munde des Gebenden: ‘klein, aber mit Liebe’ [AH]).
168 § p e ¤ k e k ã m v : so Aristarch (nach schol. A ≤ sunÆyhw énãgnvsiw); die Mehr-
zahl der Hss. hat §pÆn ke kãmv bzw. §pØn kekãmv, doch (1) die Verbindung der beiden
Modalpartikeln in §pÆn ke ist nicht regulär (CHANTR. 2.345, vgl. 348); (2) für einen re-
duplizierten Aor. kekãmv (außer hier nur noch v.l. in 7.5 u. 17.658) fehlen sichere Be-
162 ⁄ ¶pi: zum Hiat R 5.7; = §f' ⁄ (R 20.2). — uÂew: zur Form R 12.3.
163 so¤: zu ‰son, ‘ein gleiches wie du’. — pote (W)›son: zur Prosodie R 4.3. — ıppÒ-
t(e): zur Doppelkonsonanz R 9.1.
164 §kp°rsvs(i): prospektiver Konj. (iterativ), bei Homer auch ohne Modalpartikel
(R 21.1). — ptol¤eyron: ep. Wort, expressive Erweiterung von pÒliw; zum pt-Anlaut
R 9.2.
165 tÚ ... ple›on: ‘den größeren Teil’; ple›on = pl°on (vgl. R 13). — pol°moio: zur
Flexion R 11.2.
166 étãr: ‘doch, aber’ (R 24.2).
167 Ùl¤gon te f¤lon te: ‘klein, aber fein’ (↑ ).
168 kãmv: prospektiver Konj. Aor. (iterativ) von kãmnv, mit polem¤zvn zu verbin-
den: ‘mich müde gekämpft habe’.
82 Ilias 1
lege (vgl. LEAF z.St.; anders VAN DER VALK 1964, 135f.). Zur Zäsur zwischen den beiden
Kürzen des 4. Metrons (gegen die ‘Hermannsche Brücke’: M 9) vgl. 2.475, 21.575,
22.509.
169–171 Derselbe Gedanke 9.356ff., 9.393ff.; ähnlich 17.154f. der troische Bun-
desgenosse Glaukos gegenüber Hektor. – Achills Heimkehr nach Phthia ist im
Rahmen der epischen Tradition ebenso undenkbar wie der vorzeitige Abbruch des
ganzen Troia-Unternehmens, auf den die Iliashandlung immer wieder zuzusteuern
scheint (59ff., 2.155ff., 4.14ff. u.ö.); zum Spiel des Erzählers mit solchen Fal-
schen ProlepsenP , die Alternativen zum dargestellten Handlungsverlauf in den
Blick kommen lassen, s. MORRISON 1992 passim, bes. 30. 60f.; vgl. SCHADE-
WALDT (1938) 1966, 153f.; NESSELRATH 1992, 18ff.
§ p e ¤ …: parenthetisch; die eigentliche Begründung folgt – parataktisch angeschlos-
sen – in 170f. (KIRK ; vgl. 10n.).
169 2. VH = Od. 12.109, 21.154; ≈ Il. 4.307.
170 k o r v n ¤ s i n : Schiffs-Epitheton P (15x Il., 2x Od.), stets im Dat. Pl. zwischen B 2
u. C 2 (ALEXANDERSON 1970, 15f.). Zu kor≈nh ‘Seekrähe, Kormoran’, eigtl. ‘Haken’
(die Vogelbezeichnung nach der Form des Schnabels), auch ‘Höhepunkt, Spitze; Kro-
ne’; also wohl zugleich ‘gekrümmt’ und ‘hochragend’: das Epitheton “vergegenwärtigt
die gebogene Linie, welche der ganze Schiffskörper mit seinen hochemporragenden En-
den dem Auge darbot” (AH; vgl. KURT 1979, 37ff., u. LATACZ [1986] 1994, 634). —
Ù ˝ v : vgl. 59n.; hier ein understatement.
171 ungeehrt: vgl. 11n.
ê f e n o w k a ‹ p l o Ë t o n : emphatische synonymische Doppelung (vgl. 160n.). —
é f Ê j e i n : ‘schöpfen’, Objekt sonst meist Wein; hier übertragen, mit nicht ganz kla-
rer Nuance (LfgrE s.v. 1733.5ff.): vielleicht analog zum ofinoxÒow, also ‘wie ein Die-
ner’ (ähnlich LEAF); oder durch kontinuierliches ‘Schöpfen’ eine Menge zusammenbrin-
gen (vgl. dt. ‘Wertschöpfung’); die Wahl des Verbums möglicherweise auch durch
ploËtow ‘Überfluß’ nahegelegt (zu pl°[W]v ‘schwimmen, fließen’ [FRISK, DELG]; vgl.
2.670 ploËton kat°xeue Kron¤vn, ferner Od. 15.426 ÉArÊbantow … =udÚn éfnei-
o›o [zu =°v]).
172 = 10.86, 14.103; Variante zu 130 und zu 9.114 (vgl. 121n.). — ê n a j é n d r « n
É A g a m ° m n v n /-oo n : VE-Formel P (36x Nom., 11x Vok.; insges. 44x Il., 2x Od., 1x
Hes.). Zur Verbindung ênaj éndr«n s. 7n.
173–187 Agamemnon weist Achills Anspruch, dank seiner überlegenen Kampf-
kraft für das Troia-Unternehmen unentbehrlich zu sein und darum im Grunde glei-
che Ehre zu verdienen wie der oberste Heerführer, auf das schärfste zurück. Aus sei-
ner Drohung, sich gegebenenfalls für den Verlust der Chryseïs am Ehrengeschenk
eines anderen schadlos zu halten, wird jetzt die Ankündigung eines speziell gegen
Achilleus gerichteten exemplarischen Strafaktes, mit dem Agamemnon seine Über-
legenheit demonstrieren und die hierarchischen Verhältnisse ein für allemal klar-
stellen will. – Damit rückt die Kernfrage des Streites ins Zentrum des Interesses:
Welches Kriterium bestimmt die soziale Rangordnung in erster Linie – politische
Macht oder individuelle (milit.) Leistung? Vgl. dazu LATACZ 1977, 152ff.;
D ONLAN 1979; COLLINS 1988, 89ff.; ULF 1990, 1ff.; VAN W EES 1992, 72ff.
122ff. 307ff.; LOWENSTAM 1993, 59ff. (weitere Lit. dort S. 62 Anm. 4).
173–174 Ich … mir zulieb … mir: eine pointierte Antwort auf 158f. (‘dir …
damit du Freude hättest … dir’); im Griechischen steht an beiden Stellen 3x das be-
tonte Personalpronomen (vgl. AH).
173 f e Ë g e : wie 2.74, 2.140 = 9.27 ≈ 9.47, 8.511 u.ö. in der Bed. ‘abziehen, den
Kriegsschauplatz (unverrichteter Dinge) verlassen’ (womit hier wohl weniger der Vor-
wurf der Feigheit [so AH] als der mangelnder Solidarität impliziert ist; das Verb feÊgein
an sich muß noch keinen Tadel implizieren: TRÜMPY 1950, 212f.). – Zum Präsens (statt
erwartbaren Aorists) s. SC H W . 1.797 mit Anm. 5. — e ‡ t o i y u m Ú w § p ° s s u t a i :
ähnl. 9.42 Diomedes zu Agamemnon (nach dessen ernst gemeinter Aufforderung zum
Abzug); vgl. 6.361, 9.398, Od. 10.484 und Wendungen wie yum“ e‡jaw (9.109f.), yu-
mÚw §potrÊnei ka‹ én≈gei (6.439, 15.43) u.ä. (LfgrE s.v. yumÒw 1084.56ff.). yumÒw
steht hier prägnant zur “Betonung des selbständigen, persönlichen Moments beim Ab-
laufen innerer Aktivitäten” (JAHN 1987, 229f.).
174 l ¤ s s o m a i : 15n. — e · n e k (a
a ): myk. e-ne-ka beweist, daß der Anlaut efl- nicht
(wie früher allgemein angenommen) auf den Schwund eines Digammas, sondern auf ein-
fache metrische Dehnung zurückzuführen ist (WYATT 1969, 88f. [mit Lit.]). — e · n e k '
§ m e › o : nimmt ˆfra sÁ xa¤r˙w (158) auf.
175 die Ehre rückerobern werden: sc. von den Troianern, mit Bezug auf 159f.
(AH); vgl. 159–160n. (tim *e ≈ ‘Genugtuung’) und 454, 505, 2.4 u.ö. (timá *o ≈
‘Genugtuung verschaffen’). — vor allen andern Zeus: in seiner Eigenschaft als
Beschützer der basil*ees, unter denen Agamemnon die erste Stellung einnimmt
(KIRK ; vgl. 278–279n.), und als Hüter der Rechtsordnung, spez. des von Paris
(FM 8) verletzten Gastrechtes (vgl. 13.623ff. und s. allg. LLOYD-JONES [1971]
1983, 5ff.). Agamemnons (angesichts seiner Position prinzipiell berechtigte)
Überzeugung, Zeus auf seiner Seite zu haben, wird sich als eklatante Fehlein-
schätzung erweisen – auch wenn ihm die Eroberung Troias am Ende gelingen wird:
zuvor muß Zeus Achills verletzte Ehre an Agamemnon rächen (vgl. 15.69–77).
173 mãl(a): ‘nur zu’. — §p°ssutai: Perf. Pass. zu §pis(s)eÊv ‘treiben, drängen’.
174 e·nek(a): 1. Silbe metr. gedehnt (R 10.1; ↑ ). — §me›o: = §moË (R 14.1). — pãr(a):
≈ pãreisi.
175 ke ... timÆsousi: R 21; vgl. 139n. — mht¤eta: Nom. Sg. der a-Dekl. auf -≠a , ‘reich
an m∞tiw’ (↑).
84 Ilias 1
(13.726ff., vgl. 9.37ff. u. Od. 8.166ff.). In diesem Sinne wäre 178 zu verstehen (mit
Akzent auf tÒ g(e) statt auf yeÒw): “If (as I grant) you are very strong, then that has been
given to you by the [oder: a] god, I suppose (but not supreme command; that has been
given to me)” (VAN DER M IJE 1987, 263). So explizit Nestor in 280f.; in dieselbe Rich-
tung weist Agamemnons polemische Frage in 290f. (vgl. 287–289).
179 ≈ 183, Od. 3.323, 9.173; vgl. auch Od. 1.182, 11.113, 11.161, 12.140. — s ª w
. . . s o › w : Zu den Endungen -˙w und -oiw s. G 68f. und 238n.
180a Myrmidonen: Bewohner von Phthia (155n., vgl. FM 2 mit Anm. 11);
‘den Myrmidonen’ steht gr. in betonter Anfangsstellung, d.h. “keinem sonst!”
(AH mit Hinweis auf 287ff. u. Od. 2.178); impliziert ist wohl auch ein Seitenhieb
auf Achill in seiner Rolle als ‘Duodez-Fürst’ (vgl. KIRK).
180b–181 o È k é l e g ¤ z v , | o È d ' ˆ y o m a i k o t ° o n t o w : nimmt in Catchword-Tech-
nikP t«n oÎ ti metatr°pe' oÈd' éleg¤zeiw aus 160 auf: In der Meinung, daß ihm die Wut
eines ‘Untergebenen’ nichts anhaben könne (vgl. 139n.), prätendiert Agamemnon eine
majestätische Unabhängigkeit, wie sie in der Ilias faktisch nur Zeus zukommt; vgl.
8.477f. (Zeus zu Hera) u. 15.106f. (Hera über Zeus). — é p e i l Æ s v : nimmt épeile›w
(161) auf. Zum Fut. in Absichtserklärungen s. CHANTR. 2.202.; häufig (wie hier) in Ein-
leitungsformeln zu Drohungen, vgl. ¶k toi §r°v (204 u.ö.), œde går §jer°v (212n.).
182–184 … w …: Der Gedanke ist: ‘so wie Apollon mir mein Mädchen nimmt (in Ord-
nung, die schick’ ich also ab), <so> nehm’ ich dir deines weg’ (womit Agamemnon zu
suggerieren scheint, daß er so hoch über Achill stehe wie Apollon über ihm selbst: KIRK
im Anschluß an schol. bT). Der Nebengedanke tØn m¢n §g∆ … p°mcv ist dem Hauptge-
danken §g∆ d° k' êgv parataktisch vorangestellt; vgl. 16.450ff. (mit AH zu 16.451);
ähnl. 169–171 (s.d.).
182 Phoibos: 43n.
183 mit meinem Schiff und meinen Kampfgenossen: in pointiertem Ge-
gensatz zu 179 (zu den Iterata s.d.); Agamemnon unterstreicht, daß ihn nichts mehr
mit Achilleus verbindet: sie sind ‘geschiedene Leute’.
184 Briseïs: wie ‘Chryseïs’ (11n., 111n.) ein als Eigenname verwendetes Patro-
nymikon (‘Tochter des Briseus’: 1.392), mit dem Ortsnamen ‘Brisa’ auf Lesbos zu
verbinden (v. KAMPTZ 152. 289; WATHELET 1988, 368. 1254). Brisa spielt als
Herkunftsort der Briseïs in der Ilias jedoch keine Rolle (Briseïs wird in Lyrnessos
erbeutet, wohin sie verheiratet ist: 19.295, vgl. 366n.; Spuren einer vorhom. Sa-
genversion vermuten REINHARDT 1961, 50ff., und HEITSCH 1980, 51ff.). Die
analoge Bildung der Namen ‘Briseïs’ und ‘Chryseïs’ (die sich infolge ihrer identi-
schen metrischen Struktur auch mit demselben Epithethon – ‘schönwangig’ – ver-
binden: 143n.) unterstreicht die Parallel-Funktion der beiden FigurenP in der Erzäh-
lung (REINHARDT ebd.).
188–247a Achill erwägt die Tötung Agamemnons; eine Intervention Athenes be-
wirkt die Umwandlung der handgreiflichen in eine verbale Attacke.
188–222 Athene hindert Achill am Königsmord (vorderoriental. Parallele: WEST
1997, 350f.): Die Szene gehört zu den Kristallisationspunkten der Debatte um die
188 fãto: ohne Augment (R 16.1); zum Medium R 23. — Phle˝vni: Phle˝vn ist
Nebenform zu Phle˝dhw (vgl. 1n.). — §n ... stÆyessin (189): ‘drinnen ... in der Brust’
(R 20.2, R 19.2). — d° (W)oi ∑tor: zur Prosodie R 4.3, R 5.5. — ofl: = aÈt“ (R 14.1).
88 Ilias 1
189 2. VH = 8.167, 13.455. — in der behaarten Brust: Die behaarte Brust ist
ein “signe de force et de courage” (DELG); vgl. 18.415 (Hephaistos).
Vier-Wort-Vers (75n.). — s t Æ y e s s i n : prägnant “in Achills Innerem verborgen”
(JAHN 1987, 235), vgl. aber allg. 24n.
190 2. VH = 21.173, Od. 9.300, 10.126, 10.294, 10.321, 10.535, 11.24, 11.48. —
f ã s g a n o n : Wie 194 zeigt, werden fãsganon und j¤fow (und êor) als metrische
Varianten verwendet (DÜNTZER [1864] 1979, 97). – Zum archäol. Befund FOLTINY 1980,
232ff. 269ff.
191 t o Á w m ° n : Am ehesten sind die Leute um Agamemnon gemeint (AH), die versuchen
könnten, Achill am Totschlag zu hindern. énastÆseien bedeutet daher wohl ‘zum Auf-
stehen bewegen’ (≈ in Aufruhr bringen, wegjagen). – toÁw m°n läßt als Gegensatz zu-
nächst ÉAtre˝dhn d° erwarten, die vorliegende Fortsetzung (˘ d°) hat aber gute Paralle-
len (4.491, 5.148, 8.119 u.ö.: CHANTR . 2.159, vgl. 18–20n.). — § n a r ¤ z o i : ‘töten’
(die urspr. Bed. ‘die Rüstung abnehmen’ ist verblaßt); zum Formelsystem der Verben des
Tötens (ßle, kte›ne, ¶ktane, ¶pefne, §nÆrato etc.) VISSER 1987 (speziell 68 und 75f.)
und 1988.
192 Die Unterdrückung des (Jäh-)Zorns vermag die Spannung nur oberflächlich und
vorläufig zu lösen (vgl. 80–83 mit n.): Der Übergang vom (Jäh-)Zorn (chólos)
zum Groll (m *e nis) des Achilleus (488) wird proleptischP angedeutet. – In für
mündliche Dichtung typischer Redundanz bringen die beiden Vershälften chiastisch
den gleichen Grundgedanken zum Ausdruck (vgl. 160n., 492n.).
x Ò l o n : 81–82n. — § r h t Ê s e i ° t e y u m Ò n : Zur Wendung vgl. 9.462, 9.635,
13.280 (dort jeweils medio-pass.).
193 = 11.411, 17.106, 18.15, Od. 4.120, 5.365, 5.424; ≈ 10.507, Od. 6.118;
2. VH = 4.163, 5.671, 6.447, 8.169, 15.163, 20.264 + 7x Od., 1x h.Ap. – Sum-
maryP-FormelversP: kündigt indirekt einen Szenenwechsel bzw. neuen Auftritt an.
Außergewöhnlich ist, daß das ‘Überlegen’ von einer zweiten Handlung (Ansatz
zum Ziehen des Schwerts; zur RetardationP 220n.) begleitet ist und der Neuauftritt
erst in 194b erfolgt.
ß v w : < *∏ow; trochäisch (ÓÔ) zu lesendes ßvw und (nur vor konsonantisch anlautendem
Wort) spondeisch (ÓÓ) zu lesendes e·vw (bzw. te¤vw) sind die in den Hss. fast einhellig
überlieferten Formen (WEST 1967). Dagegen ist Hermanns Konjektur eÂow in den Hss.
nur schwach und an wenigen Stellen bezeugt, das von vielen Editoren in den Text ge-
189 stÆyessin: zur Flexion R 11.3, zum Plural R 18.2. — las¤oisi: ‘zottig, behaart’;
zur Flexion R 11.2. — diãndixa: Adv., ‘in zwei Richtungen, zwiespältig, hin und her’.
190 ±(¢) ... ∑e (192): ‘ob ... oder ob’. — ±' ˜: zum Hiat (ohne Hiatkürzung) R 5.1. —
˜ ge: Achill (ebenso ˘ d(°) 191). — ÙjÁ (W)erussãmenow: zur Prosodie vgl. R 4.3. —
§russãmenow: Aor. zu §rÊv ‘ziehen’, Med.: das eigene Schwert; zur Doppelkonsonanz
R 9.1.
193 ßvw: ‘während’ (R 22.2); zur Prosodie ↑ . — Àrmaine: durativ (Hintergrundhandlung,
gegenüber Aor. im Hauptsatz).
Kommentar 89
setzte ∏ow überhaupt nicht. Wie die Aoiden selbst ihre Epen vorgetragen haben, ist un-
sicher: mit unmetrischem ßvw (WEST 1967)? mit trochäisch gesprochenem ßvw (JANKO,
Introd. 18)? doch mit ∏ow (HOEKSTRA zu Od. 13.315)? Die prosodische ‘Irregularität’
wird dadurch gemildert, daß ßvw meist wie hier am VA steht, der besondere prosodische
Freiheiten erlaubt (WEST zu Od. 4.90f.; zu den Freiheiten M 15).
194–195 vgl. 17.544f. (inkl. EnjambementP ÉAyÆnh | oÈranÒyen).
194 Erster Auftritt Athenes (FG 8) in der Ilias. Stark modifizierte Variante der Ty-
pischen SzeneP ‘Botengang/Ankunft’ (320–348a n.; AREND 1933, 57). Die Modi-
fikation ist durch den Kontext bedingt: Athenes Auftritt muß plötzlich erfolgen
(KURZ 1966, 121). Die nachgereichte Begründung ihres Auftritts (195) steht in
leichtem Widerspruch zum Prinzip der kontinuierlichen ZeitP. – Allg. zu den Göt-
terbewegungen 43–52n.
Neuauftritte und Szenenwechsel nach der Zäsur C 2 sind ein Charakteristikum der hom.
Poetik (EDWARDS , Introd. 44; Stellensammlung: EDWARDS 1966, 172–175), vgl. 247,
318, 348, 430b n. (ohne Szenenwechsel 68, 220); zum Zusammenhang mit der formel-
sprachlichen Improvisationspraxis VISSER (1987, 80–102. 233ff.: der Kerngedanke ist
häufig vor C 2 abgeschlossen, daher nach C 2 entweder ‘Füllung’ oder ‘Neueinsatz’).
195–196 Die scheinbar überflüssige Doppelung der Verse (hier und 208–209) – sie ist
typisch für oral poetry (s. IteratversP) – verleitete Zenodot und Aristarch zu gegensätzli-
chen Athetesen, Aristarch an der vorliegenden Stelle, weil die Verse angeblich nicht in
den Erzähler-TextP passen (schol. A: ˜ti oÈk Ùry«w §k toË poihtikoË pros≈pou l°-
gontai); vgl. 208–209n.
195 ≈ 208; 2. VH = 55 (s.d.); ≈ 18.168. — Erste Gemeinschaftsaktion von Hera
und Athene (vgl. 2.155ff., 4.7ff., 5.418ff., 5.711ff., 8.350ff., 20.313ff., 21.418ff.
und allg. REINHARDT 1961, 68ff.). – Ähnlich wie Zeus greift Hera selten persön-
lich in die Handlung ein. — vom Himmel her: vgl. 18n. — mit den hellen
Armen: vgl. 55n.
196 = 209. — Heras gleichmäßig verteilte Sympathien hängen mit ihrer grundsätz-
lich pro-griechischen Haltung zusammen (vgl. auch 55f., mit n.). Die Tötung
Agamemnons würde Heras Fernziel, die Zerstörung Troias, nachhaltig gefährden.
f i l ° o u s ã t e k h d o m ° n h t e : Zur (leicht redundanten) Verbindung der beiden Verben
vgl. 7.204, 9.342, Od. 3.223, 14.146 und allg. 160n.
197–198 Es gibt drei Typen von Götterauftritten: (1) ohne Verwandlung, wie hier
(vgl. z.B. 2.167ff., 11.196ff., 15.243ff., 20.330ff., 20.375ff., 22.214ff.,
194 e·lketo: Impf., ‘schon daran war, zu ziehen’. — Das erste d(°) ist konnektiv (den
Nebensatz fortführend), das zweite apodotisch (R 24.3). — koleo›o: ‘Scheide’; zur Fle-
xion R 11.2.
195 prÚ ... ∏ke: sog. Tmesis (R 20.2). — yeã: zur Form R 2.2.
196 êmfv ım«w: zur Hiatkürzung R 5.5. — êmfv: zu fil°ousa und khdom°nh (das
sonst mit Gen. konstruiert wird). — ım«w: = ımo¤vw, ‘gleichermaßen’. — fil°ousa: zur
unkontrahierten Form R 6.
90 Ilias 1
24.169ff.). Daß nur Achill Athene sehen kann, ist zwar nur hier – mit einem rhe-
torisch Polaren AusdruckP – eigens gesagt (vgl. immerhin Od. 16.159ff.), soll
aber wohl auch an den anderen genannten Parallelstellen verstanden werden (vgl.
HAINSWORTH zu 11.199 und allgemein FENIK 1968, 75, zur epischen Konven-
tion, die unmittelbare Umgebung bei solchen Auftritten zu ignorieren). (2) Die
Gottheit verwandelt sich und bleibt unerkannt (z.B. 5.461ff., 5.784ff., 13.215ff.
u.ö.). (3) Die verwandelte Gottheit wird während des Gesprächs oder nachträglich
erkannt (z.B. 3.383ff., 13.43ff.).
197 VA = 16.791 (Apollon tritt an Patroklos heran), 17.468. — Athenes physi-
sche Intervention ist ebenso effizient wie außergewöhnlich (vgl. immerhin Apol-
lons ‘Attacken’ gegen Patroklos 16.703f., 16.791–793 und Diomedes 5.437). —
blonden: Blond ist als Haarfarbe bei den Griechen selten (MARINATOS 1967, 4)
und gilt als besonders schön (h.Cer. 275ff., h.Ven. 202ff.); im fgrE von Menschen
(meist Männern, v.a. Menelaos, dessen stehendes EpithetonP es ist), von der Göt-
tin Demeter und von Pferdemähnen.
k Ò m h w : speziell das ‘Haupthaar’ mit der Konnotation ‘geordnete Frisur’ (LASER 1983,
54).
198 Das Motiv ‘A als einziger … x, alle anderen … y’ (vgl. 6.402f., 11.74f.,
19.344f., 21.515–518 u.ö.) variiert die häufigere Form (mit vorausgehender Folie)
‘alle anderen … x, A (als einziger) … y’ (vgl. 22–24, 2.1f., 2.211f., 5.877–879
u.ö.). Stellensammlung: LfgrE s.v. êllow 558–561.
199 Weitere ‘Drei-Verben-Verse’: 4.125, 17.13 und (mit Wechsel des Subjekts)
14.270, 17.33, Od. 24.513, h.Ap. 61. — wußte auf der Stelle: Athene er-
scheint Achill hier also nicht zum ersten Mal; weitere Begegnungen: 22.214ff.,
auch 18.203ff., 21.284ff. Zur Frage, ob er sie an den Augen erkennt, 200n.
y ã m b h s e n : bezeichnet das Erlebnis des Unheimlichen bei numinosen Erscheinungen
(LfgrE). Dennoch führt das yãmbow hier nicht wie oft zu einer passiven Haltung, im Ge-
genteil: Achill (und nicht wie sonst in Ankunftsszenen der Neuankömmling: EDWARDS
1980, 14) eröffnet das Gespräch und präsentiert sich der Göttin Athene von gleich zu
gleich (AUBRIOT 1989, 257). — a È t ¤ k a d É ¶ g n v : VE-FormelP (3x Il., 2x Od.).
200 1. VH = Od. 3.42, 13.300, hom.h. 11.1, 28.1. — furchtbar funkelte es
da in seinen/ihren Augen: Das Pers.-Pron. hoi (‘ihm, ihr’) kann sich auf
197 jany∞w ... kÒmhw: gen. part. zur Bezeichnung des ergriffenen Körperteils. — ˆpi-
yen: = ˆpisyen.
198 oÎ tiw: = oÈde¤w. — ırçto: metrisch bedingtes Medium (R 23).
199 yãmbhsen, §trãpet(o), ¶gnv: ingressiv. — metå dÉ §trãpet(o): Tmesis (R 20.2).
200 ÉAyhna¤hn: Nebenform zu ÉAyÆnhn (194). — dein∆ ... ˆsse: Duale; vgl. 104n.
— d° (W)oi: zur Prosodie R 4.3. — ofl: = aÈt“ oder aÈtª (↑). — fãanyen: = §fãnyhsan
(Nebenform zu §fãnhsan); zur Flexion R 16.2, zur ep. Zerdehnung ↑, zum Nebeneinander
von Dual und Plural R 18.1.
Kommentar 91
Athene oder Achill beziehen: Entweder erkennt Achill Athene an ihrem Blick (vgl.
206n., so z.B. AH, WILLCOCK), oder Achill ist ungehalten über die ‘Störung’
(NÖRENBERG 1972, ähnlich BEVIL.-CERR.). – Blitzen der Augen als Zeichen von
Aggressivität: 104n.
P a l l ã d É É A y h n a ¤ h n : “Die Göttin [hat] den Namen von der Stadt, sie ist die Pallas
von Athen”, wobei die Bedeutung von Pallas unklar ist (BURKERT 1977, 220, mit Lit.
und einer Reihe von Deutungen; andere verfechten eine Abfolge Athene > Athen, s. PÖT-
SCHER 1997, 5 mit Lit. in Anm. 18). – Erwogen wurde auch eine Verbindung von Pal-
lãw mit semit. ba‘alat (= pÒtnia) (CARRUBA 1968), aber der Name erscheint im Myk.
als Qa-ra 2 (JA N K O zu 15.610–14). — ˆ s s e f ã a n y e n : vgl. 19.16f. §n d° ofl (sc.
ÉAxil∞Û) ˆsse | deinÚn ÍpÚ blefãrvn …w efi s°law §jefãanyen. — f ã a n y e n : Der
Aor. faãnyhn ist ep. Zerdehnung für *fa°nyhn (G 48; SCHW. 1.723; CHANTR . 1.81).
201–219 Die drei Reden folgen dem Muster A–B–A (vgl. allg. RedenpaarP).
201 Formelhafte Rede-EinleitungP: 21x Il. (davon 3x sfeŒa w statt min, 3x fvnÆsasÉ),
30x Od. (2x sfeŒa w, 7x fvnÆsasÉ, 6x proshÊdvn), 2x hom.h. (1x sfeŒa w, 1x fvnÆ-
sasÉ); 2. VH: zusätzlich 34 x Il., 29x Od., 3x Hes., 5x hom.h. — p t e r Ò e n t a : (wie
ein Pfeil) ‘gefiedert’, d.h. sicher dahinfliegend und daher treffsicher (LATACZ [1968]
1994; DELG s.v.). Die mit Voß eingebürgerte Übersetzung ‘geflügelte’ Worte ist irre-
führend, weil sie an ‘Vogel’ denken läßt. Zu idg. und semit. Parallelen für das Pfeil-Bild
s. WEST 1997, 230f.; NÜNLIST 1998, 143. — p r o s h Ê d a : (ohne ‘positionsbildendes’
pr- [vgl. M 4.5], anders pros°eipe 206) geht wohl auf äol. potaÊda zurück (SCHW .
1.237; CHANTR . 1.108; vgl. Stesichoros fr. 264 Page).
202 warum … wieder: Zu dieser indignierten (vielleicht nur rhetorischen: LfgrE
s.v. aÔte 1583.55ff.) Frage vgl. 20.16 (Poseidon zu Zeus), 21.394 (Ares zu
Athene: d.h. unter Gleichgestellten, vgl. 199n.).
a fifigg i Ò x o i o D i Ú w t ° k o w : Formel von A 3 bis C 2 (8x Il., 2x Od.), nur von Athene,
immer im Vokativ. – Die Verwendung von (älterem) t°kow anstelle von t°knon be-
schränkt sich im wesentlichen auf Formeln und ist im fgrE im Schwinden begriffen
(JANKO, Introd. 14 Anm. 19); zu den metrischen Wechselformen t°knon/t°kow DÜNTZER
(1864) 1979, 93. — a fifigg i Ò x o i o : distinktives EpithetonP des Zeus; Bedeutung und
Etymologie unsicher: Es wird entweder mit *W°xv verbunden (WEST zu Hes. Op., S.
366–368, im Anschluß an Bechtel u.a., mit germanischen und [WEST 1997, 115] mit
vorderasiatischen Parallelen; Übersetzung: ‘riding on a goat’); oder Wendungen wie
afig¤dÉ ¶xvn/-ousa (15.361, 2.447) deuten auf eine (etymologisch vielleicht ‘falsche’)
Verbindung mit ¶xv (HOOKER 1979); die traditionelle Bedeutung ‘Aigis-haltend’ wäre
demnach synchron richtig; vgl. auch JANKO zu 15.18–31 und 15.308–11 (u.a. afig¤w ur-
sprünglich = ‘thunderbolt’).
203 2. VH = 2.9, 3.193, 7.176, 9.178, 9.226, 14.137, 19.241, 4x Od. — Der
Sprecher beantwortet seine soeben gestellte Frage gleich selbst mit einer rhetori-
schen Frage (‘wirklich?’, ‘etwa?’; vgl. 7.26, 17.445, Od. 4.710, 13.418; SCHW .
2.564, DENNISTON 283), nicht selten ironisch, indem absichtlich eine nicht zu-
treffende Antwort suggeriert wird. Hier: Achill begreift, daß Athene kommt, um
ihn am Königsmord zu hindern, und argumentiert schon im voraus dagegen.
Ï b r i n : (in der Il. nur hier und 214, 15x Od.) bezeichnet “the moral and social offen-
siveness of an act of deliberate, major, public, humiliation, committed explicitly to in-
crease the agent’s sense of his own superiority” und enthält “a further suggestion that
such hybris ought to produce a penalty and repayment sanctioned by formal community
procedures, and supported by divine powers”, ist aber kein spezifisch religiöser Begriff
(F ISHER 1992, 152f.). Ïbriw ist typisch für die stärker wertende Figuren-SpracheP (im
hom. Epos bei 17 Belegen nur 3x im Erzähler-Text).
204 ≈ 212 (s.d.); 1. VH = 233, 2.257, Od. 2.187, 17.229, 18.82, 19.167, h.Ap.
261. – Die Differenz zur Formulierung in 212 ist darin begründet, daß Achill als
Mensch gegenüber einer Gottheit nur mit Zurückhaltung über die Zukunft spre-
chen kann (schol. bT zu 212); vgl. 100n.
§ r ° v : zum Futur 180b–181n. — Ù ˝ v : 59n.
205 durch eigne Überheblichkeit: Das im Griechischen an den VA gestellte
Poss.-Pron. (h*eis) bildet den Kern der Voraussage (vgl. Od. 1.34, 1.7, Il. 4.409):
Agamemnon wird (trotz Athenes Intervention) auf jeden Fall durch eigene Schuld
zu Schaden kommen – auch ohne Achilleus’ Zutun. Dessen Rückzug (216) ist hier
bereits angedeutet.
Í p e r o p l ¤ ˙ s i : hom. hapax P , vgl. Íp°roplon ¶eipen/-ew 15.185, 17.170 (jeweils zu
Beginn einer direkten Rede). Das Substantiv ist vom Adj. abgeleitet (RISCH 116f.), das i
(-¤h) infolge metr. Dehnung lang. — t ã x (a a ) ê n : (+ Konj.) hat die Funktion eines
emphatischen Futurs (vgl. CHANTR . 2.209): Steigerung des prospektiven Konj. Zwi-
schen ên und ken besteht in der Regel kein semantischer oder funktionaler Unterschied
(metrisch-prosodische Varianten: ELLENDT [1861] 1979, 81). Versuch einer Differenzie-
rung in Verwendungsweisen wie der vorliegenden bei CHANTR . 2.212; NEUBERGER -
D ONATH 1977. — y u m Ú n Ù l ° s s ˙ : VE-FormelP (mit variierenden Verb-Endungen): 8x
203 ∑ ·na ...: ‘etwa damit’; ∑ leitet öfter Scheinfragen ein. — ∑ ·na Ïbrin: zur Pros-
odie R 5.7. — ‡dhÉ: = ‡dhai, 2. Sg. Med. Konj. (vgl. p¤yhai 207); das Medium hier Aus-
druck der inneren Beteiligung, ‘um dir anzusehen’. — ÉAtre˝dao: zur Flexion R 11.1.
204 toi (W)er°v: zur Prosodie R 4.4. — toi: = soi (R 14.1). — §r°v: Fut. ‘werde sagen’
(att. §r«, vgl. R 6). — tel°esyai: Fut. Med. — Ù˝v: ohne nachweisbaren Bedeutungsun-
terschied zum Medium (R 23).
205 √w: Poss.-Pron. (R 14.4); zur Flexion R 11.1. — Íperopl¤˙si: zur Flexion R 11.1,
zur metr. Dehnung des (ersten) i R 10.1; der Pl. geht auf die einzelnen Äußerungen der Ei-
genschaft ‘Überheblichkeit’. — tãx(a): ‘bald’. — ên ... Ùl°ss˙: Konj. in der Funktion
eines emphatischen Futurs (↑).
Kommentar 93
Il., 1x Od.; yumÒn hier kontextspezifisch (‘Leben’), in Abweichung vom Prinzip der
metrischen Austauschbarkeit von ‘Seele-Geist-Wörtern’ (115n.).
206 Allg. zu Rede-EinleitungsP-Formeln 58n.; vgl. auch 121n.
y e å g l a u k « p i w É A y Æ n h : VE-Formel (19x Il., 32x Od., 4x Hes.); glauk«piw ist
distinktives EpithetonP der Athene, vermutlich ‘mit den hellen/glänzenden Augen’
(LfgrE, dort auch Lit. zur ungeklärten Frage, ob und in welcher Richtung eine Verbin-
dung zu glaËj ‘Eule’ besteht; dazu auch PÖTSCHER 1997).
207 falls du: ein understatement (vgl. Od. 1.279: Athene zu Telemachos), Athene
zweifelt nicht wirklich am Erfolg ihrer Mission. (Dagegen betont SCHMITT 1990,
90, Achills völlige Entscheidungsfreiheit.)
t e Ú n m ° n o w : (zur Bedeutung 103n.) Athene strebt nicht die (letztlich erst 19.56ff. er-
folgende) Beendigung von Achills emotionaler Erregung an, sondern die Anwendung
ausschließlich verbaler Streitmittel (192n., 224n.). Athene verfolgt die zweite der in
192 (dort mit xÒlon) erwogenen Handlungsalternativen. Achills Zorn wird nicht für un-
berechtigt erklärt, sondern in eine andere Richtung gelenkt. — a ‡ k e : (+ Konj.) hier
mit ‘finaler’ Nebenbedeutung, ‘damit vielleicht’ < ‘ob du wohl’; dazu ausführlich
W AKKER 1994, 365–379. — a ‡ k e p ¤ y h a i : VE-FormelP (auch in der 3. Pers.): 1.420,
11.791, 21.293, 23.82, Od. 1.279.
208–209 Zenodots Athetese der Verse wegen ihrer scheinbar überflüssigen Doppe-
lung (195–196n.) ist unnötig. Die Figur Achill kann die Begründung des Erzählers
nicht kennen (DE JONG 1987, 218; sonst läge ein Fall von ParalepseP vor); Athene
beantwortet seine Frage (202) nicht einfach mit dem Hinweis auf das, was er ohne-
hin sieht, sondern auf die größeren hinter ihrer Mission stehenden Interessen. Bei
Wegfall der Verse könnte Achill 216 überdies nicht wissen, daß es zwei Gottheiten
sind, die an der Verhinderung des Königsmords beteiligt sind (schol. A zu 216). –
Eine ähnliche logisch motivierte Wiederholung z.B. 21.40/58.
208 d ° : hier anstelle von gãr (vgl. 195), wie oft bei Homer (DENNISTON 169); die Para-
taxe überwiegt gegenüber der logischen Subordination (10n.).
210 ¶ r i d o w : Die unmittelbar anschließende Differenzierung führt hier auf die Bedeu-
tung ‘handgreifliche Auseinandersetzung’ (LfgrE, vgl. Od. 8.210, 18.13, 20.267,
anders Il. 1.319).
211 é l l É ≥ t o i … m ° n : 140n. — Ù n e ¤ d i s o n : Wörter des Stamms Ùneid- gehören
zur Figuren-SpracheP (bei 18 Iliasbelegen 13x in direkter Rede, 4x in [sekundär foka-
213 ka¤: zu tr‹w tÒssa, ‘sogar’. — tÒssa, par°ssetai: zur Doppelkonsonanz R 9.1.
214 Ïbriow: zur Flexion R 11.3. — e·neka: 1. Silbe metrisch gedehnt (R 10.1). — ‡s-
xeo: Imp. Med. zu ‡sxv, ‘halt an dich’. — ≤m›n: Athene und Hera.
215 pÒdaw: Akk. der Beziehung (vgl. R 19.1).
Kommentar 95
216 xrÆ: eigtl. nominal, ‘<es besteht die> Notwendigkeit’. — m°n: emphatisch (≈ mÆn:
R 24.6). — sfv˝teron: Dual des Poss.-Pron. der 2. Pers. — yeã, (W)°pow: R 4.4. —
efirÊssasyai: Aor. zu ¶rumai ‘bewahren, achten’; zur Dehnung der Anfangssilbe R 10.1.
217 per: konzessiv (R 24.10).
218 t(e): ‘episches te’ (R 24.11). — ¶kluon: gnomischer Aorist.
219 ∑: 3. Sg. Impf. zu ±m¤ ‘sagen’. — sx°ye: poet. Nebenform zu ¶sxe, ‘hielt an, hielt
zurück’.
220 êc: ‘wiederum’. — kouleÒn: = koleÒn (vgl. 194n.); zur metr. Dehnung R 10.1. —
Œse: Aor. zu »y°v. — oÈd' ép¤yhse: zu oÈd(°) R 24.8; ép¤yhse ist Aor. zu épiy°v (=
épeiy°v), bei Homer nur in Litotes: ‘war nicht ungehorsam’.
96 Ilias 1
221 OÎlumpÒnde: 1. Silbe metr. gedehnt (R 10.1); zur Form R 15.3. — bebÆkei: Plpf.
zu ba¤nv (nicht vorzeitig), ‘schritt, ging’ (↑ ).
222 d≈mat(a): zum Plural R 18.2. — §w: = efiw (R 20.1); zur Stellung R 20.2. — metã
(+ Akk.): ‘mitten unter, zu’.
223 §jaËtiw: aÔtiw = aÔyiw; das Kompositum nur episch.
Kommentar 97
o fin
fi n o b a r ° w : hom. hapax P, präzise Nuance schwer bestimmbar; dagegen ofinobare¤vn
(Od. 9.374, 10.555, 21.304) stets von tatsächlicher Trunkenheit; vgl. auch o‡nƒ be-
barhÒtew (Od. 3.139, Streit der Atriden) und Od. 19.122.
226–230 Entfaltung von 163–168. Dort sagte Achill, daß Agamemnon jeweils
den Löwenanteil erhalte, obwohl die militärische Hauptlast auf ihm, Achill, liege.
Den dort nur implizierten Gedanken spricht er hier aus: Agamemnon, der militäri-
sche Führer, leiste im Grunde militärisch überhaupt nichts.
226–227 Differenzierung von zwei Formen des Kampfes: (a) der offenen Feld-
schlacht (pólemos) mit dem Hauptheer; (b) dem Spezialeinsatz, der der Elite vorbe-
halten ist. Dieser lóchos (‘Hinterhalt’) wird oft positiv bewertet, weil der Kämpfer
dort seine wahre ‘Bestheit’ (aret*e) unter Beweis stellen kann (vgl. v.a. 13.275–286;
ausführlich EDWARDS 1985, 18–41). – In der zur Übertreibung neigenden Streit-
Rhetorik (106–108n.) läßt Achill Agamemnon weder am einen noch am anderen
beteiligt sein (vgl. dagegen 4.223ff.), womit er auch auf dessen Vorwurf (177n.)
antwortet (BEVIL.-CERR.).
226 1. VH = 491; ≈ 2.202, 12.214. — y v r h x y ∞ n a i : ‘sich rüsten’, mehrfach wie hier
metonymisch verkürzter Ausdruck für ‘in den Kampf ziehen’, dagegen nie im speziellen
Sinn ‘den Panzer (y≈rhj) anlegen’ (LfgrE).
227 2. VH (nach B 2) = 7.184, 9.421, Od. 24.86. — mit den Besten d e r
Achaier: Durch die Behauptung, für die Teilnahme am Spezialeinsatz der Füh-
rungsschicht (arist*ees ≈ áristoi) sei er zu feige, wirft Achill Agamemnon vor, dem
Anspruch an einen áristos nicht gerecht zu werden (vgl. dagegen Agamemnons –
formal gerechtfertigte – Selbsteinschätzung in 91 mit n.; zum Streitpunkt allg.
275–284n. und 173–187n.). Zum Spezialeinsatz (lochos) vgl. (außer 13.276ff.)
Od. 14.217ff., speziell zur Todesangst (228) Il. 13.283 gegenüber Od. 14.219.
é r i s t Æ e s s i n : éristeÊw ist in bezug auf Wortbildung und soziale Konnotation zu
vergleichen mit lat. optimas (LATACZ 1977, 152 Anm. 54).
228 das kommt für dich dem Tod gleich: d.h. ‘ist dir verhaßt wie der Tod’
(vgl. 3.454, auch Od. 17.500), mit der Implikation ‘das meidest du wie die Pest’,
während er als Anführer des Troia-Feldzugs an vorderster Front mitkämpfen müßte
(LATACZ 1977, 175–177).
t ° t l h k a w y u m “ : Zu den Begriffen des Wortfelds ‘Seele-Geist’ s. 24n.
229–230 Der in 122 bereits aufblitzende Vorwurf der Raffgier wird hier mit bei-
ßender rhetorischer Ironie ausgefaltet. Achills Vorwurf an Agamemnon wird
9.332f. wiederaufgenommen.
Möglicherweise “eine Parodie auf die typische Schilderung eines wirklichen Helden, der
vor die breite Front des feindlichen Heeres tritt (und nicht, wie Agamemnon hier, vor
seine eigenen Achaier), um […] yumÚn éfaire›syai (vgl. 20.436) ˜stiw toË gÉ ént¤on
¶ly˙ (5.301, 17.8)” (FRÄNKEL [1951] 1962, 32 Anm. 9).
229 k a t å / m e t å / é n å s t r a t Ú n e È r Á n É A x a i « n : Die VE-Formel P (478, 484,
2.439, 4.209, 4.436, 19.196) hat hier prägnante Bed. (‘im Lager’); denn das Kampfge-
schehen spielt sich eben nicht dort ab.
230 dir zu widersprechen: Replik auf 187 (Catchword-TechnikP), der Auftritt
Athenes ist ja allen außer Achill verborgen geblieben (198) und wird daher für die
Haupthandlung ignoriert.
˜ w t i w … e ‡ p ˙ : Verallgemeinernder Relativsatz: es handelt sich nicht um einen Ein-
zelfall. Mit tiw kaschiert der Sprecher (wie 289), daß er in erster Linie von sich selbst
spricht. — é n t ¤ o n e ‡ p ˙ : vgl. die mit ént- gebildeten ‘Konfrontationswörter’ ên-
thn (187), éntif°resyai (589). — é p o a i r e › s y a i : (= éfaire›syai) mit Hiat im
Wortinnern (G 41); die ‘regelmäßige’ Form dagegen z.B. 161 (vgl. CHANTR. 1.92); das
Nebeneinander dient der metrischen Flexibilität.
231 Volksschmarotzerkönig: eigtl. ‘volkverzehrender König’; der gängige
Vorwurf an die Adresse der basil*ees, das Allgemeingut zu verzehren (Hes. Op.
260–264, Il. 24.262, 17.225f., 17.250, vgl. auch die Umkehrung des Arguments
in 18.300f. und EDWARDS z.St.), wird von Achill gesteigert: Agamemnon ‘fresse’
das Volk selbst ‘auf’. — denn: die du regierst, sind zu nichts nutze: Aga-
memnon kann ungestraft ein ‘volkverzehrender König’ sein, weil die Achaier als
‘Nichtsnutzige’ (outidanoí, vgl. 293n., 11.390) gar nicht in der Lage und willens
sind, ihn daran zu hindern. Die Stelle spiegelt Achills Enttäuschung über die Pas-
sivität der andern wider (vgl. 299n.) und ist Ausdruck seiner wachsenden Isolation.
Gleichzeitig repliziert er damit auf 180 (BEVIL.-CERR.): ‘ich herrsche über Myrmi-
donen, du über Nichtsnutzige’.
d h m o b Ò r o w : verbales Rektionskompositum (RISCH 207); zu d∞mow, nicht (wie die
seit den D-Scholien geläufige Übersetzung ‘Volksgut verzehrender’ suggeriert) zu
dÆmiow, weil Agamemnon “die für die ‘Gaben’ zu leistenden Aufgaben nicht erfüllt (s.
V. 226), damit das Volk ausbeutet, nicht weil er ihm als König zukommende Abgaben
mißbraucht” (LfgrE gegen AH u.a.; dazu kritisch EIDE 1988 und KEIL 1998, 73–75, die
der materiellen Implikation von 229f. aber nicht gerecht werden). Zum Nom. in der
Funktion eines Ausrufs CHANTR. 2.36.
16.496, 16.833, 19.151, Od. 13.300, 15.126, 16.301), hier als Ausdruck des
Selbstwertgefühls. — Sehnen: Die sich nach ihrem Heerführer sehnende Truppe
ist ein stehendes Motiv, vgl. z.B. 2.778, 6.362, 17.690, 17.704 (auch 11.471).
Speziell zum Verlangen der Achaier nach Achill: LATACZ (1985) 2003, 154ff.
241–243 Das Absurde der Situation wird bis zum Extrem gesteigert: In einer Hee-
resversammlung, die dem aktuellen Massensterben Einhalt gebieten soll, wird das
nächste Massensterben bereits antizipiert.
241 (ab tÒte) ≈ 588. — zusammen über alle: Das progressive EnjambementP
(mit Zäsur nach A 4) und die Bedeutung von sympas (vgl. 90n.) unterstreichen
Achills Argument (‘auch dich, Agamemnon, der du jetzt glaubst, auf mich verzich-
ten zu können’). Unterschwellig dürfte auch ein Appell bzw. eine Warnung an das
Gesamtheer mitschwingen, über dessen Passivität Achill enttäuscht ist (231n.).
é x n Ê m e n Ò w p e r : häufige Junktur (8x Il., 5x Od.; im Pl. 7x Il., 2x Od., 2x h.Cer.);
zur Bed. von é. 103n.
242 Erste, eher beiläufige (schol. bT) Erwähnung Hektors (FM 8), das Epitheton
‘männermordend’ hat proleptischeP Funktion. – In der Frage, ob solche Kurzein-
führungen auf Traditionalität der Figur (und damit Vorwissen des Publikums)
schließen lassen, ist die Forschung uneins; vgl. auch 307n. – Näheres zu Hektor s.
DNP s.v.
x r a i s m e › n : ‘die Beschützerfunktion ausüben’, eine der wichtigsten Aufgaben, durch
die die Stellung des obersten Heeresführers legitimiert wird (Hinweis FÜHRER ). — e Ô t É
ê n : (+ Konj.; je 4x Il. und Od.) bez. “un moment déterminé de l’avenir” (CHANTR .
2.258). Achill zweifelt keinen Moment, daß die heraufbeschworene Situation Wirklich-
keit werden wird. — Ü E k t o r o w é n d r o f Ò n o i o : 9x am VE (8x Il., 1x Hes.), 3x am
VA (nur Il.); éndrofÒnow ist generisches EpithetonP (Hektor, Ares, Lykurgos), ebenso
das metrische Äquivalent flppodãmoio, mit dem es bei Hektor wechselt. Das Ökonomie-
prinzip der Epitheta ist nur scheinbar durchbrochen: flppÒdamow wird nur vom Erzähler
(und einmal von Apollon) verwendet, die Griechen nehmen Hektor ausschließlich als
éndrofÒnow wahr (SCHEIN 1984, 125 Anm. 30, von PARRY [1928] 1971, 186, nicht
berücksichtigt); vgl. insbesondere 16.840, wo Hektor Achill ‘zitiert’.
243 é m Ê j e i w : ‘zerkratzen’, hier metaphorisch (JAHN 1987, 13. 15); ein äußerlicher
Trauergestus (19.284f. zerkratzt Briseïs aus Trauer um den toten Patroklos Hals, Gesicht
und Brust) wird gleichsam nach innen (¶ndoyi) verlegt. Zum Gedanken ‘das eigene Herz
verzehren’ 491n.
244 (ab ˜ tÉ) ≈ 412, 16.274. — Die Frage, die die ganze Achill-Agamemnon-Szene
242 xraisme›n: Inf. Aor., hier absolut verwendet (↑ ). — eÔt(e): ‘wenn, sobald’
(R 22.2).
243 ynπskontew: durativ. — p¤ptvsi: Präs. bezeichnet Gleichzeitigkeit von Neben-
satz- und Hauptsatz-Handlung. — ¶ndoyi: = ¶ndon (vgl. R 15.2).
244 xvÒmenow: zur Prosodie M 4.6. — ˜ t(e): ‘daß’. — oÈd°n: mit Emphase. — ¶tisaw:
zu t¤v ‘ehren’.
102 Ilias 1
wie ein roter Faden durchzieht: gibt (soziale) Stellung oder (militärische) Leistung
den Ausschlag? (vgl. 173–187n.), wird von Achill zum Abschluß noch einmal
wirksam auf den Punkt gebracht – mit unüberhörbarer Implikation, wie seiner
Meinung nach die Antwort lauten muß und welche Konsequenzen sich daraus für
Agamemnon ergeben.
˜ t É : Mit ˜ t(e) eingeleitete Nebensätze werden üblicherweise als faktische Ergän-
zungssätze (‘daß’, vgl. lat. quod) bzw. kausal (‘weil’) gedeutet (SCHW. 2.645, CHANTR.
2.288f.). Freilich gibt es für die Existenz einer eigenen Konjunktion ˜ te in der Antike
keine Stütze. Dazu ausführlich RUIJGH 1971, 810ff.: Die Getrenntschreibung sei erst im
19. Jh. von Bekker an Stellen eingeführt worden, an denen ˜te kausale (Neben-)Bedeu-
tung habe (ca. 25x bei Homer). Die antike Zusammenschreibung ˜te sei beizubehalten
(so VAN T HIEL in seiner Ausgabe). Die vorliegende Stelle übersetzt RUIJGH mit ‘mainte-
nant que’.
245–246 Durch das Zu-Boden-Schleudern des Stabs unterstreicht Achill empha-
tisch seinen Schwur mit anschließender Prophezeiung. “[H]e gives vivid form to
his rejection of his whole position among the Achaeans. […] It (sc. the sceptre) is
the symbol of the community and its sanctities: he rejects the community” (GRIF-
FIN 1980, 11f.), d.h. er entsolidarisiert sich. Mit der provokativen Geste, der aber
nicht der sofortige Abgang folgt, sondern eine immer noch abwartende Verhand-
lungsbereitschaft, signalisiert Achilleus, daß Agamemnon sich sehr anstrengen
muß, wenn er ihn jetzt noch in die Gemeinschaft zurückholen will. Doch Aga-
memnon verharrt in grollender Passivität (247).
245 ≈ Od. 2.80.
246 1. VH = 11.633 (Nestors Becher). — Auf den ausdrücklichen Hinweis, daß der
Sprecher sich setzt, folgt im Normalfall das Aufstehen des nächsten Redners un-
mittelbar (z.B. 7.354, 7.365); hier tritt ein kurzer Stillstand der Handlung ein
(RetardationP ), der erst mit ‘sprang auf’ aufgehoben wird (vgl. 248n.). — mit
goldnen Nägeln: Die Köpfe der Nägel/Nieten sind mit Edelmetall verkleidet
(FOLTINY 1980, 237). Beim Stab haben sie lediglich dekorative Funktion.
247a 1. VH = 17.138. — grollte (em *enie): Das Nomen m *enis (vgl. 1n.) wird in
der Ilias nur mit Bezug auf Achill und die Götter verwendet. Diese Beschränkung
(für das stammverwandte Verb m*ení*o gilt sie nicht) dürfte eher mit der Thematik
der Ilias zu tun haben, als auf eine besondere religiös-göttliche Sphäre von m*enis
und damit eine quasi-göttliche Stellung Achills zu deuten (LfgrE s.vv. gegen
WATKINS [1977] 1994 u.a.).
• t ° r v y e n : signalisiert regelmäßig einen Szenen- (5.668, 7.419 u.ö.) oder (wie hier)
Perspektivenwechsel (7.311, 8.55 u.ö.). Meist geht ein Personen-/Völkername (als
245 pot¤: = prÒw (R 20.1); bei Bewegungsverben auch mit dat. loci des Ziels.
246 peparm°non: zu pe¤rv ‘durchbohren, beschlagen’.
247 §mÆnie: durativ. — to›si: ‘unter ihnen’ (vgl. R 19.2); zur Flexion R 11.2.
Kommentar 103
Subjekt oder Objekt) voraus: Name + dÉ •t°rvyen bzw. Name + dÉ aÔyÉ •t°rvyen (bei
spondeischen Namen).
249 Der Honig-VergleichP unterstreicht die angenehme Wirkung von Nestors Wor-
ten auf seine Zuhörer, die Fließ-Metapher charakterisiert seine regelmäßige, ‘flüs-
sige’ Vortragsweise. Für beide Bilder gibt es zahlreiche Parallelen; vgl. etwa Od.
12.187, Hes. Th. 39f. u. 96f. (= hom.h. 25.4f.), Hes. Op. 582f., hom.h. 19.17f.;
im außergriechischen Bereich Psalm 45.3, Rigveda 1.190.1 u.ö. (Fließ-Metapher);
Psalm 119.103, Rigveda 8.24.20, 9.17.3 u.ö. (Honigvergleich) (NÜNLIST 1998,
Kap. 8 und 18; vgl. WEST 1997, 229f.).
t o Ë k a ¤ : ka¤ in Relativsätzen “emphasizes the fact that the relative clause contains
an addition to the information contained in the main clause”, vgl. 2.827, 2.866 u.ö.
(DENNISTON 294f.).
250–252 Nestor hat die Generation seines Vaters und seine eigene ‘überlebt’ (seine
Brüder sind von Herakles getötet worden: 11.690ff.) und herrscht jetzt über die sei-
ner Kinder, die mit ihm vor Troia kämpfen (schol. AbT); er ist also eine Genera-
tion (nach gr. Vorstellung: rund 30 Jahre) älter als die übrigen Achaier-Anführer
(vgl. 9.57f.).
250 m e r Ò p v n : EpithetonP zu ênyrvpoi (VE-FormelP im Gen. Pl.: 7x Il., 2x Od., 6x
Hes., 2x hom.h.; im Nom. nur Il. 18.288 [dort unmetrisch: M 14]) und 1x zu broto¤
(2.285). Etymologie und Bedeutung sind nach wie vor ungeklärt (LfgrE). – Allg. zu den
Epitheta der Menschen DÜNTZER (1864) 1979, 104f.
251 t r ã f o n : Der starke Akt.-Aor. (¶)trafon wird bei Homer intransitiv gebraucht
(C HANTR . 1.390); das hier u.ö. überlieferte Pass. trãfen (= §trãfhsan, R 16.2) dürfte
eine Modernisierung darstellen (WEST 1998, XXXVI). — t r ã f o n ± d ' § g ° n o n t o :
VE-Formel P (= Od. 4.723, 14.201; ≈ Od. 10.417); zum hysteron proteron (LAUSBERG
§ 891) vgl. auch Od. 2.134 yr°casa tekoËsã te.
252 1. VH = Od. 4.599; ≈ Od. 2.308, 4.702, 5.20, 14.180, h.Merc. 216. — ± g a y ° ˙ :
‘hochheilig’, generisches EpithetonP verschiedener Ortsnamen (vgl. 38n.); mit metr.
Dehnung aus *égã-yeow (zum verstärkenden éga- vgl. êgan; égãnnifow, 420n.; ±-
anstelle von langem é- wohl in Analogie zu ±nemÒeiw, ±mayÒeiw: WYATT 1969, 107;
zurückhaltender DARMS 1978, 332).
253 = 73 (s.d.).
254–284 Nestor beginnt seine Rede mit einem Appell an das Verantwortungsge-
fühl der beiden Kontrahenten für die gemeinsame Sache, den er geschickt mit einer
captatio benevolentiae verbindet: Die Entzweiung der beiden Besten gefährdet das
249 toË: in der Funktion von o (R 14.5); abhängig von gl≈sshw. — =°en: zur unkon-
trahierten Form R 6.
250–251 t“ ... §fy¤at(o): t“ ist dat. eth., §fy¤at(o) = ¶fyinto (R 16.2); ‘dem waren
dahingeschwunden, der hatte dahingehen sehen’. — o· (W)oi: zur Prosodie R 4.4. — ofl: =
aÈt“ (R 14.1); zu ëma. — prÒsyen: Adv., ‘früher, seinerzeit’. — trãfon: intrans., ‘auf-
gewachsen waren’ (↑).
252 PÊlƒ ±gay°˙: Hiatkürzung (R 5.5). — tritãtoisin: = tr¤toiw.
253 = 73 (s.d.).
Kommentar 105
257 m a r n a m ° n o i Û n : von einer verbalen Auseinandersetzung nur hier (vgl. 8n. zu mã-
xesyai).
258 im Rat … im Kämpfen: Kampf und Rat sind in der Ilias u.a. Kriegsepik
die beiden wichtigsten Bewährungsfelder heroischer Tüchtigkeit (9.438ff., vgl.
1.490f., 2.200ff., 6.77ff. u.ö.; dazu KEMPER 1960, 13ff.; BARCK 1976, 88ff.;
SCHOFIELD [1986] 1999, 6ff. [mit Belegen auch aus dem ‘Rolandslied’ und ‘Beo-
wulf’]). Vollkommene Souveränität auf beiden Gebieten ist jedoch ein in der Ilias
von keinem Helden erreichtes Ideal (vgl. 178n., 259n.); im Rat zeichnen sich fak-
tisch weder Agamemnon noch Achilleus besonders aus (was Achilleus für seinen
Teil in 18.105f. offen zugibt). Nestors Worte sind mithin als diplomatisches
Kompliment und wohl auch als ein Appell an die beiden zu verstehen, sich auf die
von Männern in ihrer Position erwartete Umsicht zu besinnen (SCHOFIELD [1986]
1999, 28f.); indem Nestor beiden Kontrahenten gleiche Qualitäten zuspricht, unter-
streicht er zugleich seine Unparteilichkeit (GUNDERT 1974, 62).
b o u l Ø n … m ã x e s y a i : koordinierte Akkusative der Beziehung, vgl. 15.642 ±m¢n
pÒdaw ±d¢ mãxesyai (SCHW . 2.360, für den Inf. auch instrumentale Funktion erwä-
gend).
259–274 Nestors wiederholte Erzählungen von Heldentaten seiner Jugend (vgl.
7.132ff., 11.670ff., 23.629ff.), oft als Prahlerei oder Ausdruck seniler Geschwät-
zigkeit mißverstanden, haben paradigmatischeP Funktion (AUSTIN 1966, 299ff.;
HEBEL 1970, 8ff.; vgl. Prinzip der ausführlichen DarstellungP). Hier untermauert
Nestor die Autorität, die ihm sein Alter gibt (259n.), durch eine Argumentation a
fortiori (GUNDERT 1974, 62f.): Schon damals, als er noch jung war, haben bessere
Männer als Achill und Agamemnon seinen Rat befolgt. – Zum charakteristischen
ringkompositorischenP Aufbau des Paradeigmas s. WILLCOCK: 259/274 bilden ei-
nen äußeren, 260f./269ff. einen inneren Ring um die mythologische Reminiszenz
in 262ff.
259 Beide seid ihr jünger doch …: Die durch Lebenserfahrung erworbene
Überlegenheit der Älteren im Rat (die in gewisser Weise einen Ausgleich für die
Abnahme ihrer physischen Kräfte darstellt) ist in der hom. Gesellschaft allg. an-
erkannt, vgl. 3.108ff., 4.320ff., 9.53ff., 19.216ff. u.ö. (dazu ULF 1990, 74ff.;
DICKSON 1995, 10ff.).
d ° : parataktisch angeschlossener Begründungssatz, vgl. 10n., 208n.
257 sf«Ûn: Gen. Dual des Pers.-Pron. der 2. Pers. (R 14.1), ≈ Ím«n. — puyo¤ato: = pÊ-
yointo (R 16.2), mit Gen. der Person (‘von, über’) u. Akk. der Sache. — marnam°noiÛn:
Gen. Dual.
258 per‹ ... §st° (+ Gen.): ‘über(legen) seid’; zur sog. Tmesis R 20.2; zum Wechsel von
Plural (§st°) und Dual (§stÒn in 259) R 18.1. — mãxesyai: wie boulÆn Akk. der Bezie-
hung (R 19.1).
259 êmfv, nevt°rv: Duale. — d°: statt gãr (↑ ). — §me›o: = §moË (R 14.1).
Kommentar 107
260 Í m › n : so Zenodot und die meisten Hss.; Aristarchs Argumentation für dezenteres
≤m›n ist verfehlt: Ím›n steht im Gegensatz zu §g≈ (aufgegriffen in 269: §g∆ meyom¤le-
on); Nestor legitimiert sich ja gerade durch seine Zugehörigkeit zu den Helden der gro-
ßen Vorzeit als über den beiden Kontrahenten stehender Schlichter (LEAF).
261 é y ° r i z o n : bei Homer nur hier und Od. 8.212, 23.174, stets negiert. Von den
Scholien (bT) vermutlich korrekt von éyÆr (‘taube Ähre, Granne’, Pl. ‘Spreu’) herge-
leitet, also ‘jn. als eine taube Ähre einschätzen, geringachten’, vgl. lat. flocci facio
(LfgrE; SCHW . 1.480 Anm. 4); nach anderen dagegen von *êyerow = aind. ádhara- ‘un-
ten befindlich’ (FRISK).
262–270 Anspielung auf den Mythos vom Krieg der Lapithen (thessalischer
Volksstamm, vgl. 2.738ff., 12.128ff.) gegen die Kentauren (Mischwesen aus Pferd
und Mensch, seit dem frühen 9. Jh. in der bildenden Kunst bezeugt: LIMC s.v.
Kentauroi et Kentaurides; SCHEFOLD [1964] 1993, 25). In der später geläufigen
Version des Mythos (Olympia-Giebel, Ovid met. 12.210ff. u.a.) kommt es bei der
Hochzeit des Peirithoos nach Übergriffen der betrunkenen Kentauren auf die Lapi-
then-Frauen und -Knaben unmittelbar zur Entscheidungsschlacht; die hom. Zeug-
nisse weisen dagegen auf längere Kämpfe, für die die Episode im Hause des Peiri-
thoos nur den Anlaß bot (267: iteratives Impf.; vgl. 2.742ff., Od. 21.295ff.; dazu
BARRON 1972, 25f.). Nestors Beteiligung an diesen Kämpfen als von auswärts
herbeigeholter ‘Experte’ ist möglicherweise eine ad hoc-Erfindung Homers (WILL-
COCK 1964, 142f.).
262 o È … p v : hier in der wohl ursprünglichen Bed. ‘nicht … über irgendeinen Zeit-
raum hin’, also ‘<sonst> nie’ (BECHERT 1964, 24 Anm. 1 mit Hinweis auf SCHW . 2.163,
579 [der die vorliegende Stelle 2.579 allerdings schon unter ‘noch nicht’ einordnet]).
— o È … p v ‡ d o n … o È d ¢ ‡ d v m a i : vgl. Od. 6.201 ≈ 16.437 oÈk ¶sy' otow énØr
… oÈd¢ g°nhtai. Der Diathesenwechsel ist wohl metrisch bedingt (ELLENDT [1861]
1979, 76ff.; vgl. FOR 21 und G 100; anders BECHERT 1964, 24f., und LfgrE s.v. fide›n
1118). Zum prospektiven Konj. in der Funktion eines emphatischen Futurs s. CHANTR .
2.209 (vgl. R 21.2 u. G 100).
263 p o i m ° n a l a « n : VE-FormelP (Dat. u. Akk. Sg., insges. 44x Il., 18x Od., 9x Hes.;
vgl. 16n. und FOR 23). Titel von Herrschern und Heerführern; zu oriental. Parallelen
COLLINS 1996, 21ff.; WEST 1997, 226f.
264 Zum Versbau vgl. 145n. — é n t ¤ y e o n : generisches EpithetonP versch. Helden
(auch der Penelope) und Völker (LfgrE).
260 ére¤osin: zu ére¤vn ‘besser’ (R 13). — ±°: = ≥. — per: steigernd, ‘mit noch Bes-
seren als euch’ (R 24.10).
262 oÈ ... pv: ‘<sonst> nie’ (↑ ). — to¤ouw: = toioÊtouw. — én°raw: 1. Silbe metrisch
gedehnt (R 10.1); = êndraw. — oÈd¢ (W)¤dvmai: zur Prosodie R 4.3. — ‡dvmai: pro-
spektiver Konj. (≈ Fut.: R 21.2); zum Medium (neben Akt. ‡don) R 23 und ↑.
263 l a « n : vgl. 10n.
108 Ilias 1
265 = ‘Hes.’ Sc. 182. — Der Vers fehlt in den meisten Handschriften (einschl. zehn
Papyri) und wird von den Scholien nicht kommentiert. Offenbar handelt es sich um eine
Interpolation (aus ‘Hes.’ Sc. 182, wo der Vers wohl genuin ist: BOLLING 1925, 14. 16;
vgl. WALKER 1995, 4), die dem athenischen Nationalhelden Theseus einen Platz in der
Ilias sichern sollte (zur Rolle Athens in der Überlieferungsgeschichte vgl. GT 5). Der
Theseus-Mythos ist dem Iliasdichter sonst fremd (3.144 ist mit Aristarch zu athetieren,
vgl. KIRK z.St.): Als Anführer der Athener kennt er nur Menestheus (2.552), nicht die
laut späterer Überlieferung ebenfalls am Troia-Unternehmen beteiligten Theseus-Söhne
(Il. parv. 20 Bernabé / 23 Davies; Il. Pers. 6 Bernabé / 4 Davies). Siehe im einzelnen
D IHLE 1970, 29–34. 103; anders KULLMANN 1960, 76ff.; (1977) 1992, 205ff.
266 Erdenmännern: epichthónios ‘auf der Erde lebend’ gehört neben ‘sterblich’
und ‘brot-essend’ zu den Epitheta, die den Gegensatz zwischen Menschen und Göt-
tern hervorheben (SEILER 1952/53, 228; LfgrE s.v. énÆr 834, 868.63ff.; vgl.
272n., 339n.).
267 m ° n : emphatisch, oder auch m¢n … ka¤ statt m¢n … d°; vgl. 10.458f., 12.258 u.ö.
(DENNISTON 374).
268 F h r s ¤ n : f∞rew ist die äol. Form von y∞rew (G 13); vom Iliasdichter, der sie nur
hier und 2.743 verwendet, offenbar als ein älterer Name der Kentauren aufgefaßt (SCHW.
1.300; vgl. HOEKSTRA 1965, 152f.). — Ù r e s k – o i s i : iliad. hapax P (von den Kentau-
ren noch ‘Hes.’ fr. 79.5 M.-W.); ‘in den Bergen hausend’, aus ˆrow und ke›mai mit o-
Abtönung (wie dorussÒow zu se¤v): FRISK. Der Ausgang -“ow wird unterschiedlich er-
klärt (FRISK : Längung metrisch bedingt, RISCH 198: nach z“on aus *ÙreskoiÒw umge-
staltet). — § k p ã g l v w : vgl. 146n.
269 k a ‹ m ° n : “Ka‹ m°n, like ka‹ mÆn, introduces a new point, or develops and ampli-
fies an old one” (hier: Rückgriff auf 260f.); vgl. 273, 6.27, 24.488 u.ö. (DENNISTON
390; von anderen wohl zu Unrecht adversativ aufgefaßt: DENNISTON 391). — § g ≈ : vgl.
260n.
270 1. VH = Od. 7.25. — é p ¤ h w : nur in der FormelP §j ép¤hw ga¤hw (vgl. 3.49, Od.
7.25, 16.18); ‘entfernt, entlegen’, wohl zu épÒ wie ént¤ow zu ént¤ (DELG, LfgrE).
271 k a t ' ¶ m ' a È t Ò n : ‘für mich (gesondert), allein’ (SCHW . 2.477), d.h. wohl als un-
abhängiger Einzelkämpfer (AH, LEAF ); ähnl. 2.366 katå sf°aw (jedes Kontingent für
sich).
272 von denen, die jetzt sterblich sind …: vgl. Od. 8.221ff. (Odysseus will
es im Bogenkampf mit jedem seiner Zeitgenossen außer Philoktet aufnehmen, mit
den großen Helden der Vorzeit aber nicht konkurrieren); mit derselben FormelP
hebt der ErzählerP die physische Überlegenheit der Troia-Kämpfer über die Men-
schen seiner eigenen Zeit hervor: 5.302ff., 12.381ff., 12.447ff., 20.285ff. (stets in
Steinwurf-Szenen: Felsbrocken als ‘urtümliche’ Waffe). Der Degenerations-Gedan-
ke wird jedoch im hom. Epos differenziert (TREU [1955] 1968, 28ff.): (1) durch das
heroische Erziehungsideal, daß ein Sohn seinen Vorfahren an Tüchtigkeit gleich-
kommen, ja sie sogar noch übertreffen solle (6.207ff., 6.476ff., vgl. 15.641ff.);
(2) durch Hinweise auf eine zivilisatorisch-moralische Überlegenheit der Troia-
Kämpfer gegenüber den gottverachtenden Helden der Vorzeit (4.403ff., 5.647ff.,
Od. 8.223ff.; vgl. den Hesiodeischen Zeitaltermythos: der kontinuierliche Degene-
rations-Prozeß wird durch das Heroen-Geschlecht unterbrochen [Hes. Op. 106–201
mit WEST z.St.]).
b r o t o ¤ : Verbaladj. zur idg. Wurzel *mer- ‘sterben’ mit äol. Lautung (DELG; G 15),
vgl. lat. mortuus; kennzeichnet den Menschen als ein Mängelwesen, das mehr im Ge-
gensatz zu den Göttern als zu den Tieren gesehen wird (LfgrE s.vv. énÆr 834f. u. bro-
tÒw; vgl. 266n., 339n.).
m a x ° o i t o : die epische Nebenform zu mãxomai im Präsensstamm nur hier, 344 (s.d.) und 3x Od.
(CHANTR. 1.351); unterschiedl. erklärt: max°omai sekundär vom Fut. maxÆsomai abgeleitet (FRISK);
mãxomai wegen der Aor.-Form §maxesãmhn in die Klasse der Verben vom Typus tel°v aufgenom-
men, was willkommene metr. Varianten ergab (WYATT 1969, 135); max°omai vom Hinterglied eines
Kompositums (prÒmaxow, égx°maxow u.a.) abgeleitet wie etwa pory°v von ptol¤poryow (TUCKER
1990, 168, vgl. 154).
273 k a ‹ m ° n : vgl. 269n.; unterstreicht den ringkompositorischen P Rückgriff auf
261b. — § m ° Œo : zur Schreibung GT 7 (vgl. ORTH 3; WEST 1998, XXIIf.); s. aber auch
G 45 mit Anm. 25. — b o u l ° ˛v n : Zur Synizese s. G 39/46 (vgl. R 7) u. CHANTR. 1.65.
274 zu folgen ist ja besser: Die Begründung konkreter Aufforderungen mit
Gnomen ist charakteristisch für Sprecher mit einem gewissen Autoritätsanspruch
(vgl. dagegen den nur implizierten Aufforderungscharakter der Gnomen in 80 und
218 [s.d.]); bes. häufig ist sie in Reden Älterer an Jüngere, vgl. etwa 278f.,
8.143f., 11.793, 23.315ff. (Nestor); 2.24f. = 61f. (Trug-Traum in Nestors Ge-
stalt); 9.497ff. (Phoinix): LARDINOIS 1997, 226f.; vgl. MARTIN 1989, 102ff.
275–284 Nestor sucht beiden Seiten gleichermaßen gerecht zu werden (auch äußer-
lich: 2+3 Verse an Agamemnon, dazwischen 5 Verse an Achill). In der Sache gibt
er Achilleus recht (275f. greift 162 auf); in der ideologischen Frage, ob politischer
Macht oder militärischer Leistung die höhere soziale Anerkennung zukomme
275 §≈n: Ptz. von efim¤ (R 16.6). — époa¤reo: < époair°eo, mit Ausfall eines e; Imp.
Präs. von éf-aflre›syai (vgl. 230n.): ‘bestehe nicht darauf, wegzunehmen’ (↑ ). — koÊ-
rhn: zur Form R 2, R 4.2.
276 g°raw: prädikativ, zu koÊrhn.
277 §riz°menai: zur Form R 16.4. — basil∞Û: zur Flexion R 11.3, R 3.
Kommentar 111
alöphe (G 32) zu sprechen; prosodisch einfacher wäre Phle˝dh, y°l' (vgl. app. crit.),
doch im fgrE steht (§)y°lv regelmäßig mit prothetischem e (schol. Ab; DEBRUNNER
1954, 87). — § r i z ° m e n a i : ‘aufbegehren, opponieren’, wie 2.247, 13.109, Od. 1.79
u.ö. (LfgrE s.v. 696.25ff.).
278–279 Der Akzent liegt auf dem Nachsatz ‘dem Zeus Majestät (kyvdos) verliehen
hat’ (AH, KIRK): basil*ees genießen wegen ihrer exponierten Stellung (wie die in
keine Gemeinschaft eingebundenen Fremden und Bettler) den besonderen Schutz
des Zeus (FG 24); für Agamemnon als den Leiter des Gesamtunternehmens (der
den Titel kyvdiste ‘majestätischster’ mit Zeus teilt: 122n.) gilt das mehr als für die
anderen basil*ees, vgl. 9.37f., 9.69, 9.96ff. (dazu ULF 1990, 85f. [mit Lit.]). – Die
Vorstellung von der Gottgegebenheit menschlicher Herrschaft läßt sich im Nahen
Osten bis ins 3. Jt. v. Chr. zurückverfolgen (WEST 1997, 132ff.).
278 é n t i b ¤ h n : unterschiedlich gedeutetes Kompositum (Adj. ént¤biow, dazu Adv. én-
t¤bion u. éntib¤hn als erstarrte Akkusative: RISCH 358f.); am ehesten wohl urspr. ‘wo
Kraft gegen Kraft steht’, wobei sich der adverbiale Gebrauch aus einer Wendung wie én-
t¤bion pÒlemon polem¤zein (3.435) entwickelt haben könnte (LfgrE). Meist vom zere-
moniellen Zweikampf od. Einzelkampf Mann gegen Mann, also ‘in offener Konfronta-
tion’ (5.220, 7.40, 11.386 u.ö.), übertragen auf verbale Auseinandersetzungen hier (wo
es offenbar ênthn aus 187 aufgreift) und als Adj. zu ¶pow in 304, 2.378, Od. 18.415 =
20.323. — o Î p o y ' ı m o ¤ h w : ‘niemals gleichartiger’, d.h. stets höherer Ehre teil-
haftig; eine Art Litotes, vgl. 5.441 (AH; LfgrE s.v. ımo›ow 695.6ff., 29ff.).
279 Szepter: zur Funktion des ‘Szepters’ 14–15n., 234n.
s k h p t o Ë x o w b a s i l e Ê w : VA-Formel P (= Od. 2.231, 5.9; Plural: Il. 2.86, Od. 8.41).
— k Ë d o w ¶ d v k e n : VE-Formel (= 8.216, 11.300, 18.456, 19.204, 19.414; Plural:
13.303).
280 1. VH ≈ 178 (s.d.). — Göttin: Thetis (vgl. FG 20).
y e å d ° s e g e ¤ n a t o m Æ t h r : ≈ 21.109 (die VE-FormelP ge¤nato mÆthr außerdem 5x
Il., 1x Od., 2x hom.h.). yeã ist Apposition mit quasi-adjektivischer Funktion (dem
Sinne nach ≈ 17.78, éyanãth t°ke mÆthr: LfgrE s.v. 982.37ff.), vgl. SCHW . 2.614
zu Wendungen wie yugãthr pary°now, graËw gunÆ. – Zur Argumentationsfigur vgl.
178n.
281 f ° r t e r o w : 186n. — § p e ‹ p l e Ò n e s s i n é n ã s s e i : vgl. 2.576ff. (gegenüber
2.685) u. 3.182ff.
2 8 2 – 2 8 3 a m ° n o w : 103n. — a È t å r § g ≈ g e | l ¤ s s o m ' É A x i l l ∞ Û m e y ° m e n x Ò -
l o n : ÉAxill∞Û ist dat. commodi zu mey°men bzw. incommodi zu xÒlon (vgl. Od.
21.377f.; Il. 14.49f.); mey°men xÒlon bedeutet ‘den Zorn fahren lassen’ (wie 15.138,
Od. 1.77f.; die von VAN B ENNEKOM 1984 vorgeschlagene Übers. ‘ich flehe dich aber an,
Achill seinen Zorn[ausbruch] zu verzeihen’ ist daher auszuschließen). aÈtår §g≈ ge
markiert hier einen formalen Gegensatz zum Vorhergehenden: Übergang von der direk-
ten Aufforderung (Imperative in 274ff.) zur persönlichen Bitte, mit der Nestor dem letz-
ten Appell besonderen Nachdruck verleiht (EISENBERGER 1985). — l ¤ s s o m (a a i ): 15n.
283b–284 m ° g a p ç s i n | … k a k o › o : Die Adjektive sind durch die VE-Position und
die verschränkten Hyperbata (pçsin … ÉAxaio›sin / m°ga … ßrkow … pol°moio ka-
ko›o) hervorgehoben. — ß r k o w : Die Grundbed. ist ‘(schützende) Einfriedung’ (Zaun,
Mauer); übertragen ‘Schutzwehr’, von Defensivwaffen (4.137 u.ö.) und Kriegern (vgl.
3.229, 6.5, 7.211 [vom Verteidigungskämpfer Aias] und 4.299; zu Parallelen im Alt-
germanischen SCHMITT 1967, 282f.; WEST 1988, 154 Anm. 27). — É A x a i o › s i n : zum
‘positionsbildenden’ ny ephelkystikon 388n.
285 = 130 (s.d.).
286–291 Agamemnon zollt Nestors Worten äußerlich Anerkennung (286n.), geht
aber auf die ihm selbst geltenden Teile der Rede (275f. und 282–284) explizit nicht
ein; statt dessen unterstellt er, daß der Versöhnungsversuch wegen Achills Überle-
genheitsanspruch zum Scheitern verurteilt sei. Damit legt er seinen Kontrahenten
auf eine unversöhnliche Haltung fest. Daß er ihn in einer Art ÜbereckgesprächP in-
direkt angreift, bedeutet eine zusätzliche Demütigung.
286 = 8.146, 24.379; ≈ 10.169, 23.626, Od. 4.266, 18.170, 20.37, 22.486; vgl.
auch Il. 15.206, Od. 8.141. – Die FormelP dient i.d.R. als captatio benevolentiae,
auf die der Sprecher seine eigene (von der des Vorredners abweichende) Meinung
oder eine Aufforderung folgen läßt (LfgrE s.v. mo›ra 247.60ff.).
g e : einschränkend; bereitet é l l ã (287) vor. — g ° r o n : 26n. — k a t å m o › r a n
¶ e i p e w : VE-Formel (2. Pers. 7x Il., 7x Od.; 3. Pers. 4x Od.). mo›ra bed. ‘Anteil, der
jm./einer Sache zugeteilt wird’, in der Wendung katå mo›ran normativ: ‘nach Maß-
gabe dessen, was jm./einer Sache zukommt’; mit Verben des Redens je nach Kontext
‘den Tatsachen entsprechend, wahrheitsgemäß’ (z.B. Od. 4.266) oder (wie hier) ‘der
Situation u. den sozialen Normen entsprechend, wie es recht ist’ (LfgrE [mit älterer Lit.,
bes. LUTHER 1935, 68f.]; RABAU 1995, 282).
287–289 Übertreibungen gehören zur Streitrhetorik (vgl. 106–108n.); provoziert
ist der Vorwurf wohl v.a. durch Achills Forderung an Agamemnon, Chryseïs auch
ohne Aussicht auf sofortigen Ersatz herzugeben (121ff.), und seine wiederholten
Hinweise auf seine überlegene Kampfkraft (165f., 240ff., vgl. auch 88ff.). 289
nimmt außerdem Bezug auf 150: Agamemnon antwortet auf Achills Kritik an sei-
nem Führungsstil mit einem entsprechenden Gegenangriff.
Dem Vorwurf wird rhetorischer Nachdruck verliehen durch die chiastische Wortwieder-
holung §y°lei … pãntvn – pãntvn … §y°lei, das Polyptoton pãntvn … pãntessi
… pçsi (wohl eine gereizte Antwort auf Nestors Gebrauch des Wortes in 283: Catch-
word-TechnikP) und die Häufung sinnverwandter Verben: per‹ … ¶mmenai ‘über sein’,
krat°ein ‘(durch überlegene Kraft) unterdrücken, majorisieren’, énãssein ‘beherr-
schen’, shma¤nein ‘(als Befehlshaber) kommandieren, Befehle erteilen’ (vgl. LfgrE
s.v. krat°v).
287 ˜ d ' é n Æ r : énÆr mit Dem.-Pron. steht “oft umschreibend an Stelle des Namens;
der Gefühlston ist dann meist pejorativ” (LfgrE s.v. 857.69ff.; vgl. Periphrastische Be-
nennungP).
289 t i n (ã ã ): wie das folgende Ù˝v (vgl. 59n., 170n.) ein understatement: Agamemnons
Worte suggerieren den Schluß, daß einem autokratischen Anführer wie Achilleus keiner
mehr werde folgen wollen (am wenigsten Agamemnon selbst).
2 9 0 – 2 9 1 vgl. 178n.
290 a fix fi x m h t Æ n : ‘Lanzenkämpfer’, auch ohne EpithetonP “Bezeichnung des hervorra-
genden Einzelkämpfers schlechthin” (LfgrE); vgl. 5.602, 7.281 u.ö. — y e o ‹ a fi ¢ n
§ Ò n t e w : VE-FormelP (4x Il., 4x Od., 1x Hes.).
291 2. VH = 20.246. — erlauben sie ihm damit …: Auf dem Hintergrund der
Athene-Szene (bes. 211) gelesen, ist die rhetorische Frage nicht ohne Dramatische
IronieP.
p r o y ° o u s i n : zwei Möglichkeiten der Form-Analyse: (1) Aristarch (schol. A, vgl.
L EAF) faßte offenbar Ùne¤dea als Subjekt zu proy°ousin (von proy°v ‘voranstürmen’)
auf, etwa: ‘stürmen ihm darum die Schmähungen hervor, so daß er sie ausspricht?’; der
Ausdruck wirkt jedoch reichlich gezwungen. – (2) Die Mehrzahl der Kommentatoren
versteht yeo¤ als Subjekt und sieht in proy°ousi die sonst nicht bezeugte Form eines
Verbs der Bedeutung ‘freistellen, erlauben’ oder (schärfer) ‘auftragen, zur Aufgabe ma-
chen’. Ältere Versuche, die Form als Ind. Präs. von prot¤yhmi zu erklären, vermögen
nicht zu überzeugen (s. LEAF , der den Vers seinerseits für “hopelessly corrupted” hält,
und CHANTR . 1.459 Anm. 1). Am ehesten handelt es sich um einen kurzvokalischen
Konj. Aor. zu äol. proy¤hmi = att. pros¤hmi (SC H W . 1.687 Anm. 4) oder auch zu
prot¤yhmi (CHANTR . a.O., der für die Bed. ‘auftragen’ auf Soph. Ant. 216 verweist:
nevt°rƒ tƒ toËto bastãzein prÒyew). Der kurzvokal. Konj. der 3. Pl. Akt. (*-o-nsi >
287 per‹ ... ¶mmenai (+ Gen.): ‘überlegen sein’; zur sog. Tmesis R 20.2.
288 krat°ein: zur Form R 16.4, R 6.
289 ë: Akk. des Inhalts, ‘worin’. — tin(ã): Subjekts-Akk., ‘mancher, man’. — Ù˝v:
Aktiv ohne erkennbaren Bedeutungsunterschied zum Medium (R 23).
290 min: = aÈtÒn (R 14.1).
291 toÊneka: 96n. — toÊnekã (W)oi: zur Prosodie R 4.3. — proy°ousin: Die Form ist
nur hier bezeugt; viell. Konj. Aor. zu äol. proy¤hmi = att. pros¤hmi, ‘sollten sie ihm dar-
um erlauben ...?’ (↑).
114 Ilias 1
-ousi) hat sich in der Überlieferung sonst i.d.R. nicht gehalten, da metrisch nicht von
der späteren Normalform auf -vsi unterschieden; die Ausnahme erklärt sich vielleicht
damit, daß man proy°ousi schon früh als Ind. Präs. von proy°v mißverstand (vgl.
C HANTR. 1.454). Zum Konj. in der unwilligen rhetorischen Frage (‘sollten sie ihm dar-
um etwa erlauben / zur Aufgabe machen …?’) vgl. 150n.
292 dem fiel ins Wort: ein singulärer Verstoß gegen die Etikette der Agora (vgl.
54n.) und die ep. Konvention überhaupt.
Í p o b l Æ d h n : hapax P; Adv. zu Ípobãllv/Íbbãllv, offenbar in der Bed. ‘einen Ein-
wurf machen, unterbrechen’ (schol. bT zu 19.80: ÍpokroÊesyai yorÊbƒ tÚn l°gonta;
vgl. LfgrE s.v. bãllv 35.35ff.).
293–296 Achill stimmt Agamemnon scheinbar zu, wendet dessen Kritik aber fak-
tisch gegen ihn selbst (was durch den wörtlichen Anklang von 296 an 289 unter-
strichen wird): Seine Antwort – er sei in der Tat nicht bereit, sich Agamemnon in
allen Dingen zu fügen – impliziert den Vorwurf, daß Agamemnons absoluter
Kommandoanspruch unangemessen sei (vgl. 150n., 158n.).
293 Schwächling: gr. deilós, dessen Bedeutungsspektrum bei Homer von
‘schwächlich, minderwertig’ bis ‘beklagenswert, unglücklich’ reicht; hier nahe an
der etymologisch zu erschließenden Grundbedeutung ‘furchtsam’ (vgl. déid*o ‘sich
fürchten’), d.h. ‘(psychisch) schwach, ohne Zivilcourage’ (LfgrE). — Nichts-
nutz: gr. outidanós; Achill distanziert sich implizit von der schweigenden Mehr-
heit der Agamemnon-Untertanen, die er in 231 als outidanói bezeichnet hatte (s.d.;
das Wort begegnet in der Ilias außer 231/293 nur noch 11.390) (WARRIOR 1992,
320f.; LATACZ 1995, 51).
294 ˜ t t ¤ k e n e ‡ p ˙ w : konjugierbare VE-Formel P (2. Pers. nur hier; 1. Pers. 4x Il., 9x
Od.; 3. Pers. 2x Il., 1x h.Ap.).
295 ê l l o i s i n … § m o ¤ g e : in emphatischer Klammerstellung; durch ge betontes §g≈
(mit vorangehender Negation) noch in 296 und 298. — t a Ë t (a a ): sc. sich dir in allem
unterzuordnen.
296 s Æ m a i n ' : o È … p e ¤ s e s y a i Ù ˝ v : ein ‘Zitat’ von Agamemnons understatement
in 289 (vgl. 293–296n.; die Catchword-Technik P ist hier besonders effizient einge-
setzt). – Der Vers wurde von Aristarch (gefolgt von AH, FAESI u.a.) ohne hinreichenden
Grund athetiert (KIRK).
297 = 4.39, 5.259, 9.611, 16.444, 16.851, 21.94, und 7x Od. (1. VH außerdem
4x, 2. VH 3x im fgrE). – Die FormelP dient weniger der Einleitung eines völlig
neuen Gedankens als der nachdrücklichen Unterstreichung der jew. folgenden Aus-
sage (oft einer Drohung, Warnung oder Anweisung) (vgl. JANKO zu 16.444–9).
§ r ° v : zum Fut. 180b–181n.
298–303 Achill befindet sich in einem Dilemma: Athenes Gebot und eigene Ein-
sicht hindern ihn daran, sich mit physischer Gewalt gegen die Wegnahme der Bri-
seïs zu wehren – wodurch er zumindest für den Moment (d.h. bis Agamemnon die
Folgen seiner Kampfesenthaltung zu spüren bekommt) in seiner Widerstands-Hal-
tung unglaubwürdig zu werden droht (vgl. den Vorwurf des Thersites 2.241f. [≈
1.231f.!]). Daher sucht er sein Nachgeben in diesem Punkt zu rechtfertigen, indem
er das Schweigen der Gemeinschaft zu Agamemnons Drohung als Zustimmung in-
terpretiert, so als habe er sich einem Gemeinschaftsbeschluß zu fügen (299n.), und
seinem Kontrahenten wenigstens für den Fall eines weiteren Übergriffs auf seinen
persönlichen Besitz blutige Rache ankündigt – eine verbale Ersatzhandlung für die
Tötung Agamemnons.
298 2. VH ≈ 2.377; vgl. 9.637, 19.58.
299 Die Achaier haben (aus verständlicher Furcht, vgl. 79n.) zu Agamemnons Dro-
hung geschwiegen, obwohl die Verfügungsgewalt über das Beutegut offiziell bei
ihnen liegt (vgl. 162–168n.). In Achills testender Unterstellung (‘da ihr … genom-
men habt’) liegt ein Appell an ihr Verantwortungsgefühl. Dessen Vergeblichkeit
trägt zur Motivierung der weiteren Handlung bei: Die Gemeinschaft wird erneut –
wie nach der Entehrung des Priesters Chryses, für den sie zunächst sogar eingetre-
ten war – für das Fehlverhalten ihres Anführers mitzuleiden haben. Möglicherweise
liegt hierin ein Appell des Dichters an das kollektive Verantwortungsbewußtsein
seiner zeitgen. Zuhörer: RAAFLAUB 1988, 208ff. (≈ 1989, 14ff.); NICOLAI 1993,
332ff. – Vgl. auch 54n., 231n., 241n.
300 2. VH = Od. 15.258, h.Ap. 497. 511; ≈ Il. 19.331, Od. 2.430, 3.61, 10.244,
10.332, h.Bacch. 35. – Formelhafte Verbindung der beiden häufigsten Schiffs-
Epitheta (vgl. 12b n., 141n.).
t « n d ' ê l l v n : im Gegensatz zu koÊrhw und nicht (wie erwartet) zu xers‹ m°n (298);
gibt dem Gedanken eine überraschende Wendung (vgl. LEAF zu 298). — n h ˛ m e l a ¤ -
n ˙ : flektierbare VE-Formel (Dat./Akk., insges. 10x Il., 35x Od., 1x Hes., 6x hom.h.).
302 1. VH ≈ 8.18; 2. VH = 23.610. — e fi d ' ê g e … p e ¤ r h s a i : efi steht beim Impe-
rativ (meist in Verbindung mit êge, doch vgl. 9.46 u. 9.262) wie beim kupitiven Opta-
298 toi: hier verstärkende Partikel (≈ dat. eth. zu sÊ) (R 24.12). — maxÆsomai: Fut.
von max°omai (vgl. 272n.). — e·neka: zur metrischen Dehnung R 10.1.
299 tƒ: = tini.
301 t«n: ≈ toÊtvn (R 17). — é°kontow: < éW°kontow, = êkontow. — §me›o: = §moË
(R 14.1), bildet mit é°kontow einen gen. abs.
302 efi d' êge: emphatische Einleitung des Imp. (vgl. 62n.; ↑ ). — mÆn: betont den Impe-
rativ (R 24.7). — pe¤rhsai: Imp. des medialen Aor. zu peirãomai (att. deponens pass.).
— gn≈vsi: zur unkontrahierten Form R 6.
116 Ilias 1
304–348a Achilleus zieht sich zurück. Agamemnon schickt Chryseïs mit einer
Sühne-Gesandtschaft nach Chryse und ordnet Reinigungsrituale vor Troia an; darauf
läßt er Briseïs durch seine Herolde abholen.
304 Nachdem sie so den Kampf geführt …: SzenenP-Wechsel werden häufig
durch zusammenfassende Abschlußformeln vorbereitet (vgl. 318a n., 16.1 mit
schol. bT z.St. u.ö.) – eine Orientierungshilfe für den Hörer des mündlichen Vor-
trags wie die regelmäßig wiederkehrenden Rede-AbschlußformelnP (RICHARDSON
1990, 31f.).
é n t i b ¤ o i s i : vgl. 278n. — m a x e s s a m ° n v : 8n. — § p ° e s s i n : zur Form G 70.
305 Achill und Agamemnon schließen die Versammlung, indem sie sich beide er-
heben; homerische Versammlungen werden nicht mit einem “formal adjournment”
durch den Versammlungs-Leiter beendet, sondern durch eine Geste des letzten Spre-
chers oder der zuletzt erwähnten Handlungsfiguren; vgl. z.B. 2.807f., Od. 2.252ff.
(MOREAU 1893, 235f.; BASSETT 1930/31).
306–348a Die Entzweiung der beiden Hauptfiguren findet ihren Ausdruck in einer
Handlungsgabelung: 306ff. markieren die Trennung eines Achilleus-Myrmidonen-
Strangs von einem Agamemnon-Hauptheer-Strang, auf dem im folgenden die
Haupthandlung verlaufen wird; der durch Aktionslosigkeit gekennzeichnete Achil-
leus-Strang wird die Haupthandlung zwar wesentlich beeinflussen, aber erst mit der
Groll-Absage in 19.54ff. wieder in sie einmünden (vgl. 1n.; STR 22). – In 308ff.
teilt sich der Agamemnon-Strang in drei Nebenlinien: (1) Entsendung der Sühne-
Gesandtschaft nach Chryse (308ff.), (2) Beginn eines Reinigungsrituals innerhalb
des Hauptheeres (313ff.), (3) Abholung der Briseïs durch die Herolde Agamem-
nons. (1) und (2) laufen als gleichförmige Handlungen verdeckt weiter, während (3)
sofort zu Ende erzählt wird und zum Achilleus-Strang überleitet (LATACZ [1981]
303 §rvÆsei: ‘wird aufspritzen’ (↑ ). — dour¤: Dat. Sg. von dÒru (R 12.5).
304 t≈ ... maxessam°nv: Duale. — maxessam°nv (W)ep°essin: zur Prosodie R 4.4.
305 énstÆthn: 2. Pers. Dual Aor. von én¤stamai, mit Apokope (vgl. R 20.1). —
nhus¤n: Dat. Pl. von nhËw (R 12.1).
Kommentar 117
1994, 187f.). – Die Reihenfolge der Handlungen trägt zur Charakterisierung Aga-
memnons bei: Der Dichter läßt ihn seine Drohung gegen Achill in die Tat umset-
zen (und damit neues Unheil über das Heer bringen), noch bevor die Sühnung des
ersten Unrechts zum Abschluß gekommen ist (SEGAL 1971a, 102f.).
306 k l i s ¤ a w k a ‹ n ∞ a w : 9x Il., stets in derselben Position im Vers; zu vergleichen
sind die VE-FormelnP ne«n (bzw. nh«n) êpo ka‹ klisiãvn (8x), klis¤˙ ka‹ nh˛
mela¤n˙ (4x) und klis¤aw te n°aw te (2x) (ALEXANDERSON 1970, 27). — k l i s ¤ a w :
185n. — n ∞ a w § ˝ s a w : VE-Formel (8x Il., 3x Od.). §˝sh (nur fem.) ist ep. Nebenform
zu ‰sow (mit prothetischem e [CHANTR. 1.144] oder durch falsche Trennung aus pãntose
W¤shn entstanden [BEEKES 1969, 65f.]); bei Schiffen in der Bed. ‘gleichmäßig gebaut,
gut proportioniert’ (LfgrE s.v. ‰sow 1230.14ff. mit Hinweis auf schol. AbT zu 5.62).
307 Menoitios’ Sohn: Achills Freund Patroklos (FM 2) wird beiläufig und nur
mit seinem Patronymikon eingeführt; der Name fällt erst in 337, in unmittelbarer
Nähe zum Patronymikon erstmals in 9.201f. Das legt den Schluß nahe, daß die
FigurP dem Publikum bekannt war (KULLMANN 1960, 44; vgl. KIRK). Anders
SCODEL 1997, 208: wer Patroklos nicht kenne, könne aus 307 entnehmen, daß der
‘Menoitios-Sohn’ Achills vertrautester Gefährte ist, und aus Patroklos’ Rolle in
337ff. schließen, daß dieselbe Person gemeint ist.
Nach Ansicht der Neoanalyse hat Homer die Patroklos-Gestalt wenn nicht erfunden, so
doch ihre Rolle durch Motiv-Übertragungen aus dem Aithiopis-Stoff stark aufgewertet;
s. HEUBECK (1950) 1991, 462f.; KULLMANN (1981) 1992, 72; (1991) 1992, 114ff.;
JANKO S. 312–314. – Zur ganzen Diskussion um die Genese der Patroklos-Figur zusam-
menfassend LfgrE s.v. Pãtroklow.
308–312 Ausführung des 141ff. von Agamemnon Angekündigten (s.d.), im Erzäh-
ler-TextP Punkt für Punkt und unter Verwendung der gleichen Stilmittel (‘Tmesis’-
Häufung, 2x integrales Enjambement), aber nicht wörtlich wiederholt (ein Ver-
gleich der beiden Stellen zeigt die Flexibilität der Formelsprache: CHANTRAINE
1932, 125f.). Wiederholungen dieser Art sind ein Stilmittel des Heldenepos
(BOWRA [1952] 1964, 281ff.; speziell zu Homer DE JONG 1987, 208ff.; vgl. Ite-
ratversP). – Die ‘Abfahrt zu Schiff’ gehört zu den Typischen SzenenP und kann fol-
gende Elemente umfassen (AREND 1933, 81–85): (1) Die Besatzung wird ausge-
wählt; (2) man begibt sich zum Schiff; (3) das Schiff wird ins Meer gezogen (die
Reihenfolge von (1) und (3) ist hier ausnahmsweise vertauscht); (4) das Schiff wird
zur Fahrt bereit gemacht; (5) die Ladung wird an Bord genommen; (6) das Schiff
306 n∞aw: Akk. Pl. von nhËw (R 12.1). — §˝saw: ‘ebenmäßig gebaut’; §˝sh (nur fem.)
ist ep. Nebenform zu ‰sow ‘gleich’ (↑).
307 ≥Ûe: Impf. zu e‰mi. — ka‹ (W)o›w: zur Prosodie R 4.4. — oÂw: Poss.-Pron. (R 14.4).
— •tãroisin: ßtarow ist Nebenform zu •ta›row; zur Flexion R 11.2.
308 ëlade: Richtungsadverb zu ëlw (R 15.3). — pro°russen: Aor. zu proerÊv ‘(vor-
wärts) ziehen’, hier kausativ; zum Fehlen des Augments R 16.1, zur Doppelkonsonanz
R 9.1.
118 Ilias 1
wird bestiegen; (7) die Haltetaue werden gelöst; (8) ein Gott sendet günstigen
Wind; (9) Vorbereitungen zum Segeln; (10) Schilderung der Fahrt. – Die ‘Abfahrt’
erscheint in der Ilias nur hier und 478ff. (vgl. ‘Landung’ 432–437n.). Die beiden
Fassungen ergänzen einander und überschneiden sich kaum.
309 § e ¤ k o s i : zum prothetischen Vokal G 25; CHANTR . 1.182.
311 Odysseus: Odysseus ist wegen seines diplomatischen Geschicks unter den
145f. genannten FigurenP für die Übernahme der Mission offensichtlich am geeig-
netsten (polyvm*etis ‘findig’ gehört zu seinen Standard-Epitheta [18x Il., 68x Od.];
vgl. die Charakterisierung 3.191ff.).
312 = Od. 15.474, ≈ Od. 4.842. — é n a b ã n t e w : zusammenfassend, ‘nachdem sie an
Bord gegangen waren’ (LfgrE s.v. ba¤nv 14.54ff.). — § p ° p l e o n : Das Imperfekt
(nach den Aoristen in 308ff.) markiert den Übergang in eine gleichförmige Handlung,
die bis 430f. (Ankunft der Gesandtschaft in Chryse) verdeckt weiterläuft (vgl. 306–
348a n.). — Í g r å k ° l e u y a : VE-FormelP (außer hier 4x Od., 1x h.Ap.), ohne signi-
fikanten Bedeutungsunterschied zu den metrisch gleichwertigen Formeln eÈr°a pÒnton
(6.291, Hes. Op. 650) u. èlmurÚn Ïdvr (Od. 9.227, 9.470) (LfgrE s.v. k°leuyow).
313–318 Die Vorstellung, daß Krankheit auf (oft durch religiöse Verfehlung verur-
sachte) ‘Befleckung’ zurückzuführen und durch rituelle Reinigung zu beseitigen
sei, läßt sich weltweit belegen (BURKERT 1996, Kap. 5, bes. 123 mit Anm. 89;
das gr. Material ist umfassend aufgearbeitet bei PARKER 1983, 207ff.). Das hier
beschriebene Verfahren hat seine nächsten Parallelen in Vorderasien (BURKERT
[1984] 1992, 62). – Auf das eigentliche Reinigungsritual folgt ein Opfer, das die
gestörte Kommunikation zwischen den Menschen und der Gottheit wiederherstellt
(die Riten im Heerlager ergänzen das Opfer in Chryse 447ff.).
313 é p o l u m a ¤ n e s y a i : ‘die Befleckung (lÊmata, 314n.) von sich abtun, sich rei-
nigen’. — ê n v g e n : älteres Präteritum zu ênvga (neben der jüngeren Plpf.-Bildung auf
-ei): DELG; SCHW. 1.776f.
314 so reinigten die sich …: gleichförmige Handlung, synchron zur Gesandt-
schaft nach Chryse (vgl. 306–348a n., 312n.); das Sühn-Ritual vor Troia (dessen
Ende nicht eigens berichtet wird) muß so lange fruchtlos bleiben, bis die in 97ff.
309ff. §n ... ¶krinen, §w ... b∞se, énå ... eÂsen, §n ... ¶bh: sog. Tmesis (R 20.2).
309 §e¤kosin: = e‡kosin. — §w: = efiw (R 20.1).
310 b∞se: kausativer s-Aor. zu ba¤nv (dagegen ¶bh in 311 intrans. Wurzelaor.). —
ye“, énã: zur Prosodie M 12.2.
311 eÂsen: Aor. zu ·zv. — érxÒw: prädikativ.
312 §p-°pleon: durativ (↑ ). — k°leuya: (neutr.) Pl. zu ≤ k°leuyow ‘Weg, Bahn’.
313 laoÊw: 10n. — ênvgen: Präteritum zum präsentischen Perf. ênvga ‘ich befehle’
(↑).
314 épeluma¤nonto, ¶ballon usw.: durativ (↑ ). — ka‹ efiw: zur Hiatkürzung R 5.5.
Kommentar 119
genannten Bedingungen zur Versöhnung Apolls erfüllt sind (LATACZ [1981] 1994,
188f.).
l Ê m a t (a
a ): in der Grundbed. ‘Schmutz’ 14.171; bezeichnet hier das Reinigungswasser
und allfällige andere in dem rituellen Prozeß verwendete Mittel, die die Befleckung in
sich aufgenommen haben. Diese müssen außerhalb menschlicher Reichweite verborgen
werden, vgl. Hippokrates morb. sacr. 1.42 Grensemann: ka‹ tå m¢n t«n kayarm«n
[≈ lumãtvn] gª krÊptousi, tå d¢ efiw yãlassan §mbãllousi , tå d¢ §w tå oÎrea
épof°rousin, ˜p˙ mhde‹w ëcetai mhd¢ §mbÆsetai (PARKER 1983, 229f.).
315 ≈ 2.306, 8.548. — ¶ r d o n : 147n. — t e l h ° s s a w • k a t Ò m b a w : VE-FormelP (3x
Il., 5x Od., außerdem 5x hom.h.). Die exakte Bedeutung von telÆeiw ist unsicher; am
ehesten synonym zu t°leiow ‘vollkommen’, d.h. vom Hundertopfer ‘vollständig, voll-
zählig’ (nicht selbstverständlich, s. 65n.; etwas anders t°leiow in 66 von den einzel-
nen Opfertieren, s.d.) (Hinweis GRAF ). Zur Wortbildung s. die divergierenden Hypothe-
sen bei SCHW . 1.527, LEJEUNE (1972) 1987, 135f., und RUIJGH 1995, 66ff. (wenig
wahrscheinlich).
316 1. VH = 41; 2. VH = 327, Od. 10.179, h.Bacch. 2; ≈ Od. 8.49. — é t r u g ° t o i o :
Epitheton P verschiedener Wörter für ‘Meer’ (im fgrE 12x bei pÒntow, 9x bei ëlw, 4x bei
yãlassa, in versch. FormelnP; vgl. 34n.); außerdem 4x Beiwort zu afiyÆr (17.425,
h.Cer. 67 u. 457, ‘Hes.’ fr. 150.35 M.-W., jeweils VE-Formel im Gen.). Possessivkom-
positum der Bed. ‘mit viel Geräusch, mit viel Brandung’ (LEUKART 1986): a copulati-
vum oder a als Schwundstufe von §n- mit augmentativer Funktion, ‘bei/in sich habend’,
+ *trugetÒw ‘Rauschen, Getöse, Brandung’ (nomen actionis zu trÊzv). (Bei afiyÆr in
17.425 resultativ zu verstehen, d.h. auf den zum Himmel aufsteigenden Kampflärm be-
zogen, und an den anderen drei Stellen wohl nur noch formelhaft verwendet.)
3 1 7 k n ¤ s h : 66n.
318a Õ w o „ m ° n : VA-Formel P (26x Il., 23x Od., seltener Sg. Õw ˘ m°n), i.d.R. mit
einem Verb im Impf. verbunden; bereitet Szenen-Wechsel oder (z.B. 5.274) Perspekti-
ven-Wechsel innerhalb einer SzeneP vor (vgl. 304n.). Dabei signalisieren das Impf. und
die adversative Verknüpfung (m¢n … d°/oÈd°/aÈtãr), daß die nacheinander erzählten
Handlungen simultan verlaufen oder sich mindestens zeitlich überschneiden: Hier läuft
das Reinigungsritual als gleichförmige Handlung verdeckt weiter, während sich die He-
rolde zu Achilleus begeben (vgl. 306–348a n.; RICHARDSON 1990, 115ff.; RENGAKOS
1995, 7f.; vgl. Prinzip der kontinuierlichen ZeitP [mit weiterer Lit.]). — p ° n o n t o :
‘machten sich zu schaffen’; p°nomai wird bei Homer meist von der Mahl-Zubereitung
u.a. häuslicher Arbeit gebraucht (vgl. 18.558, 24.124 u.ö. und die Verwendungsweise
von pÒnow in 467).
318b–325 Agamemnon läßt Briseïs durch seine Herolde abholen. Daß der Erzähler
ihn entgegen der Ankündigung in 184f. nicht selber zu Achill gehen läßt, hat wohl
primär erzählstrategische Gründe (eine zweite Konfrontation kurz nach der großen
Streit-Szene wäre eine Antiklimax), paßt aber auch zum Charakter Agamemnons,
der schwierige Aufgaben gern anderen überläßt (vgl. die Bittgesandtschaft zu Achill
im 9. Gesang). Die Drohung 324f., notfalls doch noch selber zu kommen, dann
aber mit Verstärkung, enthält ein unfreiwilliges Eingeständnis seiner Feigheit (wo-
von auch die nachgeschobene Floskel ‘für ihn nur um so schlimmer’ nicht abzu-
lenken vermag).
318b o È d ' É A g a m ° m n v n : im Gegensatz zu o„ m°n; ähnl. 24.25, Od. 3.143, 13.125
(vgl. DENNISTON 191). Zum Neueinsatz nach der Zäsur C 2 vgl. 194n.
319 l ∞ g ' ¶ r i d o w : ¶riw hier allg. ‘Streit-Verhalten, Konfrontationskurs’, vgl. 277n.
(etwas anders 210, s.d.). — p r « t o n : ‘(nun) einmal’, unterstreicht die Unumstöß-
lichkeit von Agamemnons Entschluß (vgl. 6n., 235, 276n.); in ähnlichem Kontext Od.
13.125ff.
320–348a Der ‘Botengang’ ist eine Sonderform der Typischen SzeneP ‘Ankunft’
(dazu 496b–502n.) und verläuft nach folgendem Grundschema (AREND 1933, 54–
61, vgl. 28ff.): (1) Auftragserteilung; (2) der Bote bricht auf, (3) kommt an,
(4) findet den Gesuchten (Situationsschilderung), (5) tritt heran und (6) richtet sei-
nen Auftrag aus. (5) und (6) sind hier durch Elemente ersetzt, die sonst dem Typus
‘Besuchsszene’ angehören: Die Herolde bleiben vor der Behausung des Achilleus
stehen (332); dieser begrüßt sie freundlich und lädt sie ein, näherzutreten (334f.).
Der Wechsel des Szenentypus unterstreicht die unerwartete Selbstbeherrschung und
Freundlichkeit, die der Erzähler Achill in dieser Situation an den Tag legen läßt
(EDWARDS 1980, 16f.; vgl. LATACZ 1995, 61f.).
320–321 Die Herolde Talthybios und Eurybates gehören zu Agamemnons persön-
lichen Gefolgsleuten, stehen aber zugleich im Dienste des Gesamtheeres (7.274ff.
handelt Talthybios selbständig als ‘Herold der Achaier’; vgl. auch Od. 18.424). Zu
Funktion und sozialer Stellung homerischer Herolde allg. s. LfgrE s.v. kÆruj
1410.36ff.; vgl. 321n., 334n.
320 ˜ g e : 97n. — T a l y Ê b i o n : Der Name bed. ‘mit blühendem Leben’ (MEIER -B RÜG -
GER briefl.) oder ‘mit strotzender Kraft’ (v. KAMPTZ 87; Talyu- < *Yalyu-, vgl. ya-
lerÒw); viell. ein generischer Heroldsname (so KIRK mit Hinweis auf die bei Herodot
7.134 erwähnte spartanische Heroldsfamilie der Talthybiaden, deren Ahnherr aber auch
nach der homerischen Figur benannt sein kann). — E È r u b ã t h n : sprechender Name
(vgl. Etymologisierung P), spielt auf die Läufertätigkeit der Herolde an (‘der Weitaus-
schreitende’: v. KAMPTZ 26, 77); Odysseus’ Herold heißt ebenso (2.184 u. Od. 19.247).
319 tÆn: in der Funktion von ¥n (R 14.5). — ÉAxil∞Û: zum einfachen -l- R 9.1, zur
Flexion R 11.3, R 3.
320 pros°eipen: 73n.
Kommentar 121
321 ≈ Od. 1.109. — Knappen: gr. theráp*on bezeichnet anderen auf Dauer oder
Zeit untergebene, aber wohl durchgehend persönlich freie Männer unterschiedlichen
sozialen Ranges (von einfachen Bediensteten bis zu stellvertretenden Befehlshabern
eines Kontingents wie Patroklos) (LfgrE). Die Stellung der Herolde dürfte etwa in
der Mitte dieser Skala liegen.
k Æ r u k e : Das Wort begegnet im Mykenischen als ka-ru-ke /k*ar*ukei/ (Dat.) (s. MYK),
wo es einen religiösen Würdenträger zu bezeichnen scheint; idg. Erbwort, bis auf die -k-
Erweiterung identisch mit vedisch k *arú- ‘Sänger, Verkündiger, Dichter’ (FRISK; MAYR-
HOFER 1992, 340f.). Möglicherweise gehen der gr. Herolds- und der vedische Sänger-
Beruf auf ein gemeinsames idg. Amt zurück; die ursprüngliche Einheit der verschiedenen
Funktionen “wäre […] in der Kenntnis der (religiösen) Hymnen (Gebete, Opferformeln),
Riten u. Etikette (Verhandlungsablauf usw.) u. der – auch phys. – Fähigk., sie sprachl.
zum Ausdruck zu bringen, zu suchen” (LfgrE s.v. 1410.60ff.; vgl. MONDI 1979).
322 Vier-Wort-Vers (75n.).
322–323 ¶ r x e s y o n … é g ° m e n : Nachdrückliches Asyndeton ist bei Befehlen häu-
fig, vgl. 2.8ff., 8.399, Od. 10.320 u.ö. (SC H W . 2.633; vgl. 105n.). — P h l h Û ã d e v
Œ
É A x i l ∞ o w : 1n. — B r i s h ˝ d a k a l l i p ã r h o n : VE-Formel P (184n.).
324 ≈ 137. — d ≈ h s i n : zur Orthographie ORTH 4; WEST 1998, XXXI.
325 2. VH ≈ 563.
326 2. VH = 25 (s.d.), 379, 16.199; zur Charakterisierung einer vorausgegangenen
Rede nur hier (doch vgl. 8.29, 9.431, 9.694).
327 ≈ 34 (s.d.); 2. VH = 316; Od. 10.179; h.Bacch. 2; ≈ Od. 8.49. — widerwil-
lig: Die Reaktion der Herolde ist ein erstes Anzeichen dafür, daß Achill mit seiner
Warnung aus 150 (s.d.) recht behalten wird: Durch die Entehrung seines besten
Mitkämpfers bringt Agamemnon seine eigenen Leute gegen sich auf, was auf die
Dauer zu einer Gefährdung seiner Machtposition führen muß (vgl. Il. 2 passim,
13.109ff., 14.49ff.).
321–347 Für die beiden Herolde sind Duale im Wechsel mit vereinzelten Pluralformen
gebraucht (R 18.1).
321 t≈ (W)oi: zur Prosodie R 4.4. — ofl: = aÈt“ (R 14.1). — ¶san: = ∑san (R 16.6). —
Ùtrhr≈: ‘schnell, flink’ (vgl. ÙtrÊnv ‘antreiben’).
322 ¶rxesyon: Imp. Dual zu ¶rxomai. — klis¤hn: zur Form R 2; Akk. der Richtung
(R 19.2). — PhlhÛãdeŒv ÉAxil∞ow: zur Prosodie R 5.6, zur Synizese R 7.
323 ég°men: imperativischer Inf.; zur Form R 16.4.
324 ≈ 137 (s.d.). — d≈hsin: 3. Sg. Konj. Aor. (R 16.3).
325 pleÒnessi: zur Flexion R 11.3. — tÒ (W)oi: zur Prosodie R 4.3. — =¤gion:
‘schrecklicher’; Komp. zu =›gow ‘Frost, Fieberschauer’ (vgl. R 13).
326 ≈ 25 (s.d.).
327 é°konte: = êkonte (301n.), Dual zu êkvn. — bãthn: = (§)bÆthn (3. Pers. Dual
Aor. zu ba¤nv).
122 Ilias 1
328 = 9.185; ≈ 9.652. — Myrmidonen: 180a n.; ihre Schiffe bilden den einen
Flügel des Lagers (8.225f. = 11.8f.; vgl. 12b n.).
k l i s ¤ a w k a ‹ n ∞ a w : 306n.
329–333 Dem Szenentypus ‘Botengang’ (320–348a n.) entsprechend schildert der
ErzählerP die Situation zunächst in Sekundärer FokalisationP aus der Sicht der An-
kommenden (Szenen-Element 4, ‘den fanden sie …, wie er da saß’; vgl. DE JONG
1987, 107ff.). Der Übergang zum Typus ‘Besuchs-Szene’ geht darauf mit einem
dreimaligen raschen Perspektiven-Wechsel einher (330b: Achilleus – 331f.: Herol-
de – 333: Achilleus).
329 ≈ 10.74; 2. VH = 9.654, 13.267 (vgl. 306n.).
330 g Æ y h s e n : zur Grundbedeutung u. zur Abgrenzung von xa¤rv 255–256n.; zur Nu-
ance an der vorliegenden Stelle (‘wurde nicht [gerade] froh’) LATACZ 1966, 145.
331 dem Fürsten: Periphrastische BenennungP Achills aus der Perspektive der
beiden Herolde, die – obwohl selbst Träger der vom obersten Heerführer ausgehen-
den Amtsgewalt – vor dem Höhergestellten achtungsvolle Scheu empfinden (aido-
mén*o; zum aid*os-Begriff 23n., 149n.).
t a r b Æ s a n t e : tarbe›n ist “opposé à yars°v, mais distingué chez Hom. de foboË-
mai qui signifie proprement ‘fuir’ et de la famille de de¤dv qui s’applique à une crainte
réfléchie” (DELG; zum Gegensatz tarbe›n – yarse›n vgl. Od. 7.51 u. 18.330f.). Meist
absolut (‘erschrecken, verzagen’), seltener transitiv gebraucht (‘erschrecken vor, sich
fürchten vor’, 17.586 u.ö.); kann also, muß aber nicht mit auf basil∞a bezogen wer-
den.
332 ≈ 8.445; vgl. Od. 23.106; 2. VH ≈ Od. 10.109. — sagten nichts u n d
stellten keine Frage: emphatische Umschreibung des Gesamtbegriffs ‘sie
schwiegen’; eine Art Polarer AusdruckP, in dem das zweite Glied semantisch wenig
Eigengewicht hat (vgl. KEMMER 1903, 209ff.). – Die negative Ausdrucksweise
(‘sagten nichts’ statt ‘schwiegen’) unterstreicht das Moment des Unerwarteten: Ver-
liefe die Typische SzeneP normal, müßten die Herolde an dieser Stelle als erste das
Wort ergreifen (320–348a n., Element 6; vgl. DE JONG 1987, 63).
s t Æ t h n : durch das integrale EnjambementP und den folgenden Einschnitt (A 3) her-
vorgehoben: Die Vers-Struktur unterstreicht den momentanen Handlungs-Stillstand.
333 = 8.446; ≈ 22.296, vgl. 16.530. – Der Vers wird in sehr unterschiedlichen
Kontexten verwendet – ein Beispiel für die “almost unlimited adaptability of the
repeated line” (CALHOUN 1933, 7).
√ s i n § n ‹ f r e s ¤ : Zu den prägnanten Funktionen der Seele-Geist-Lexeme gehört die
“Betonung einer persönlichen, selbständigen Komponente beim Ablaufen innerer Akti-
vitäten”: Achill begreift “schon von selbst, ohne daß Worte nötig wären, worum es
geht” (JAHN 1987, 238).
334–344 Im ersten Teil seiner Rede (334–338a) richtet sich Achilleus zunächst an
die Herolde, dann an Patroklos. Der zweite Teil hat den Charakter einer (vorder-
gründig weiter an Patroklos, faktisch aber an eine unbestimmte Allgemeinheit ge-
richteten) ‘Verlautbarung’, die an den ‘Eid’ in 233–244 erinnert; wie dort folgt auf
eine in feierlich-offiziellem Ton gehaltene Einleitung (338b–339) ein Ausbruch
leidenschaftlicher Wut (340–344).
334 ≈ 7.274. — Zeus’ Boten und der Menschen: Herolde sind als Träger ei-
nes öffentlichen Amtes, zu dem auch die Vermittlung zwischen Angehörigen ver-
schiedener Gemeinschaften gehört (7.274ff. u.ö.), in ähnlicher Weise exponiert wie
die basil*ees einerseits (vgl. 278–279n.) und die in keine Gemeinschaft eingebunde-
nen Schutzflehenden und Bettler andererseits (mit denen sie Od. 19.134f. in einem
Atemzug genannt werden); daher stehen sie wie diese (unmittelbar, nicht nur in ih-
rer Eigenschaft als Diener der basil*ees) unter dem Schutze des Zeus (FG 24; vgl.
HIRZEL 1907, 73f.). Achill macht gleich in seiner Anrede deutlich, daß er das re-
spektiert, und entlastet die Herolde ausdrücklich von der Verantwortung für ihren
Auftrag (vgl. LATACZ 1995, 61f.); der Gegensatz zu Agamemnons Verhalten ge-
genüber Kalchas (106ff., vgl. 78ff.) ist unübersehbar.
335 § p a ¤ t i o i : hom. hapax P; wohl Poss.-Kompositum zu afit¤h, ‘auf dem Schuld liegt’
(S CHW . 2.465); viell. aber auch Determinativkompositum zu a‡tiow ‘haftbar’ (RISCH
213, vgl. 114); oder ¶p' a‡tioi zu schreiben: ‘verantwortlich in dieser Sache’ (erwogen
im LfgrE s.v. mit Hinweis auf SCHW. 1.435 Anm. 5 zu ¶pi mãrturow).
337–338a Achilleus wahrt seine Würde und nimmt der Situation etwas von ihrer
emotionalen Schärfe, indem er sich zur Übergabe der Briseïs eines Vermittlers be-
dient (statt sie selber herauszuführen oder – wie es Agamemnons Vorstellung ent-
sprochen hätte [vgl. 323] – direkt von den Herolden ‘abführen’ zu lassen).
333 ˘ ¶gnv (W)ªsin: zur Prosodie R 5.7, R 4.4. — ¶gnv: absolut: ‘begriff’. — √sin:
Poss.-Pron. (R 14.4, zur Flexion R 11.1). — §n¤: = §n (R 20.1).
335 êsson: Komp. zu êgxi, ‘näher’. — Îmmew: = Íme›w (R 14.1).
336 ˜: ≈ ˜w. — sf«Û: Akk. Dual des Pers.-Pron. der 2. Person (R 14.1), ≈ Ímçw. — pro-
˝ei: 3. Sg. Präs. (= pro˝hsi). — e·neka: zur metrischen Dehnung R 10.1. — koÊrhw: zur
Form R 2, R 4.2.
124 Ilias 1
337 gottentsproßner: gr. diogenés, eigtl. ‘von Zeus abstammend’; steht aber als
generisches EpithetonP (wie dios, vgl. 7n.) auch bei Heroen, deren Genealogien zu-
mindest bei Homer nicht mit Zeus in Verbindung gebracht werden (5x bei Patro-
klos [vgl. FM 2 mit Anm. 13], 32x bei Odysseus, 5x bei Aias I [vgl. FM 3])
(LfgrE).
P a t r Ò k l e i w : vgl. 307n.; zur Namensform (Patrokl°hw neben der geläufigeren
Kurzform Pãtroklow, 345 u.ö.) s. G 56; MEIER-B RÜGGER 1992, 2.42.
338b sei’n: gr. Imperativ der 3. Person (ést *o n); wird bei Homer öfter für Auf-
forderungen an Anwesende verwendet, bes. wo ein Wechsel der angeredeten Person
innerhalb einer Rede (hier: ein erneuter ausdrücklicher Adressatenwechsel nach 337,
vgl. 334–344n.) vermieden werden soll; vgl. 9.427, 11.513 u.ö. (HENTZE 1910,
125). — selber: emphatisch; “die Vollstrecker des Unrechts sollen selbst dieses
Unrecht und die Berechtigung von Achills künftigem Verhalten bezeugen” (AH).
339 ≈ Od. 9.521, h.Merc. 144, h.Ven. 35, ‘Hes.’ fr. 25.31, 204.117, 229.11
M.-W. — Beide Glieder des Polaren AusdrucksP haben hier semantisches Eigenge-
wicht; also nicht abstrakt zu fassen wie dt. ‘vor Gott und der Welt’, sondern ‘Göt-
ter’ und ‘Menschen’ als “die Gesamtheit der thatsächlich in Betracht kommenden
Wesen” (unter denen Agamemnon in 340 noch eigens hervorgehoben wird):
K EMMER 1903, 79f.; vgl. LfgrE s.v. ênyrvpow 882.62f., 883.53ff., 884.57ff.
Ähnlich 18.107 u.ö., anders 548 (s.d.). — glücksel’gen: gr. mákar ist meist
EpithetonP der Götter (in der Ilias an 14 der 17 Belegstellen); die Konnotation ist
wohl in erster Linie ‘sicher und sorglos lebend’, vgl. 6.138ff. und Od. 6.42ff.
(LfgrE; DE HEER 1968, 4ff.).
y n h t « n é n y r ≈ p v n : VE-FormelP , gelegentlich erweitert zu kataynht«n ényr≈-
pvn (6x Il., 10x Od., 14x Hes., 17x hom.h.; seltener in anderen Kasus).
340 dem schroffen: Die Grundbed. von gr. ap*en*es (6x Il., 5x Od., nur in direk-
ten Reden: Figuren-SpracheP) ist unsicher; etwa: ‘nicht umgänglich’, meist mit
dem Beiklang ‘rechthaberisch, selbstherrlich’ (LfgrE).
k a ‹ p r Ú w t o Ë …: “L’article sert […] à souligner un terme après une particule copula-
tive comme ka¤, ±d°, ka‹ gãr […]: ‘et devant ce roi intraitable’” (CHANTR . 2.161);
vgl. z.B. 15.36f.
337 êge: 62n. — diogen°w: 1. Silbe metrisch gedehnt (R 10.1). — PatrÒkleiw: < Pa-
trÒkleew, Vok. zu Patrokl°hw (Vollform neben der geläufigeren Kurzform Pãtro-
klow).
338 sfvÛn: Dat. Dual des Pers.-Pron. der 3. Person (R 14.1), ≈ aÈto›w. — mãrturoi: =
mãrturew (vgl. R 12). — ¶stvn: Imp. Dual (u. Pl.) der 3. Person von efim¤ (↑).
340 éphn°ow: zur Form R 6. — efi ... g°nhtai (341): Eventualis, bei Homer auch ohne
Modalpartikel (R 21.1). — aÔte: ‘später einmal, eines Tages wieder’.
Kommentar 125
341 xrei≈: = xre≈ (< *xrh-≈) ‘Bedürfnis’. — §me›o: = §moË (R 14.1); gen. obiectivus.
342 går ˜ (ÓÔ): zur Prosodie M 4.6. — Ùloiªsi: zur Flexion R 11.1; ÙloiÒw ist (metr.
bequeme) Nebenform zu ÙloÒw ‘verderblich, heillos’. — yu¤ei: = att. yÊei ‘ist rasend’ (↑).
343 ti (W)o›de: zur Prosodie R 4.3. — prÒssv, Ùp¤ssv, ˜ppvw (344): zur Doppelkon-
sonanz R 9.1.
344 ofl: = aÈt“ (R 14.1). — sÒoi: 117n. — maxeo¤at(o): 3. Pl. Opt. zu max°omai
(272n.; ↑ ).
126 Ilias 1
345 = 9.205, 11.616; ≈ Od. 19.14, 22.108, 22.393. – Daß eine FigurP der Auffor-
derung einer anderen ohne weitere Diskussion Folge leistet, stellt den Normalfall
dar; vgl. die gängige Rede-AbschlußformelP ‘so sprach er/sie, und XY war nicht
ungehorsam’ (22x Il., 2x Od., 2x h.Cer.; auch unabhängig vom Autoritätsgefälle:
2.441, 4.68 u.ö.). Patroklos wird hier also nicht als Subalterner charakterisiert.
346–347a Die Ausführung einer Aufforderung wird im ep. Stil häufig nicht nur
konstatiert, sondern (hier u.ö.: zusätzlich) im einzelnen berichtet; vgl. 308–312n.,
443–444n. und 446ff., ferner 4.68ff., 11.516ff. u.ö.
347b a Ô t i w ‡ t h n : ‘machten sich auf den Rückweg’, absolut ohne Angabe des Ziel-
punktes wie 27, 10.468 u.ö. (etwas anders LfgrE s.v. aÔtiw 1612.15ff./63ff., doch s.
die folgende n.). — p a r å n ∞ a w : steht in der Ilias regelmäßig (8x) in der Bed. ‘am
Schiffslager entlang’ (8.220, 9.657, 11.805 u.ö.; also auch hier nicht ‘zu den Schif-
fen’: Achills Schiff ist Teil des Achaierlagers, vgl. 12b n.).
348a widerwillig: Briseïs’ Reaktion entspricht der der Herolde in 327: Agamem-
non setzt sich mit seinem Willkürakt über die Gefühle aller Beteiligten hinweg.
Zum Verhältnis zwischen Briseïs und Achilleus vgl. ihre Rede in 19.287ff. (dazu
DE JONG 1987b, 110ff.) und Achills – seiner komplexen Situation entsprechend
ambivalente – Äußerungen in 9.341ff., 9.393ff., 19.59f.
∂ d (¢¢ ) … g u n Æ : ¥ steht zugleich anaphorisch zu Brish˝da (346) und vorausweisend
auf gunÆ: ‘sie aber …, die Frau’ (CHANTR. 2.161; vgl. 409n.).
345 fãto: zum Medium R 23. — f¤lƒ §pepe¤yet(o): zur Prosodie M 12.2.
347 aÔtiw ‡thn parå n∞aw: ‘machten sich auf den Rückweg entlang den Schiffen’ (↑ );
aÔtiw = aÔyiw, ‡thn = 2. Pers. Dual Impf. von e‰mi.
348 é°kous(a): = êkousa. — k¤en: 3. Sg. Präteritum des defektiven Verbums kie›n
‘gehen’.
349 dakrÊsaw: ingressiv. — •tãrvn êfar: ‘entfernt von den Freunden’ (↑ ), •tãrvn:
= •ta¤rvn. — liasye¤w: Ptz. Aor. Pass. von liãzomai ‘sich entfernen’.
Kommentar 127
350 y¤nÉ ¶fÉ: = §p‹ yin¤ (R 20.2). — èlÒw: das Meer an der Küste; Gegensatz: pÒntow
(↑ ). — poli∞w: zur Form R 2. — ırÒvn: zur ep. Zerdehnung R 8. — §p‹ (W)o¤nopa: zur
Prosodie R 4.3.
128 Ilias 1
kommene Varianten vor (LAMBERTERIE 1992, 203, mit Hinweis auf RUIJGH 1967, 68
Anm. 97). — § g g u a l ¤ j a i : (wörtlich) ‘einhändigen’, in der Ilias vorwiegend von
Zeus, der Übermacht (krãtow) oder Ruhm (kËdow) verleiht.
354 1. VH = 12.68, 14.54, 16.121, Od. 5.4, 23.331, Hes. Th. 601 (vgl. 568),
Op. 8, ‘Hes.’ fr. 204.97 M.-W., h.Merc. 329; 2. VH ≈ ‘Hes.’ fr. 276.3 M.-W. —
Zeus als die Instanz, die Ehre verleiht bzw. vorenthält (Thetis’ an Zeus gerichtete
Bitte um Vergeltung [407ff., 505ff.] wird vorbereitet), wird durch das progressive
EnjambementP ins Zentrum gerückt.
Í c i b r e m ° t h w : Wettergott zu sein gehört zu den Hauptfunktionen des Zeus (FG 24).
Insgesamt 9 seiner 61 hom. Beiwörter sind Wetter-EpithetaP (DEE 1994, 59ff.): érgi-
k°raunow (3x Il.), ésterophtÆw (580, 609; + 2x Il., 1x Hes.), §ribrem°thw (1x Il.),
§r¤gdoupow (7x Il., 3x Od., 1x Hes., 1x hom.h.), kelainefÆw (397; + 7x Il., 3x Od.,
3x Hes., 8x hom.h.), nefelhger°ta (511, 517, 560; + 25x Il., 8x Od., 7x Hes., 1x
Titan., 3x hom.h.), sterophger°ta (1x Il.), terpik°raunow (419; + 7x Il., 7x Od., 3x
Hes., 5x hom.h.) und Ícibrem°thw (s. Iterata, mit Ausnahme von Hes. Th. 568 immer
im Nom.). – Zur Gleichsetzung des obersten Gottes mit dem Wettergott in vorderasiati-
schen Texten WEST 1997, 114–116.
354b–356 Gemäß Achilleus’ Darstellung ist Zeus mindestens insofern ‘mitschul-
dig’, als er das Unrecht geschehen ließ. — nicht ein bißchen: emphatische Be-
tonung der Größe des Ehrverlusts.
n Ë n d (°° ): Die Wendung (dazu K.-G. 2.117) ist charakteristisch für die Sprache Achills
(vgl. Figuren-SpracheP ). Sie ist “consistent with his combination of imagination and
realism; his mind goes out into a world of possibility, and then abruptly returns to the
situation before him” (FRIEDRICH/REDFIELD 1978, 283); sonst besonders häufig am VA.
— o È d ° m e t u t y Ò n : oÈd° in der Bedeutung ‘auch nicht, nicht einmal’ steht in der
Regel unmittelbar vor dem Wort, das es negiert; Ausnahmen sind selten (DENNISTON
199), hier wohl bedingt durch Wortstellungsregel bei enklitischen Pronominalformen
(S CHW . 2.186).
355 Der Vers enthält auch sprachlich ein Ungleichgewicht zwischen der Position des
Achilleus (mÉ) und der des Agamemnon (ÉAtre˝dhw eÈrÁ kre¤vn ÉAgam°mnvn: 102n.).
Agamemnons volle Titulatur könnte daher von Achill ironisch gemeint sein. — ∑
g ã r : nachdrückliche Hervorhebung (vgl. 78): ‘wahrlich, in der Tat’; 16x Il., 18x Od.,
davon nur 1x (Il.) bzw. 2x (Od.) im Erzähler-TextP; in der Ilias an einer der insgesamt
seltenen Stellen, an denen der Erzähler deutlich wertet (16.46); vgl. DE JONG 1987, 144;
G RIFFIN 1986, 45.
356 = 507, 2.240; ≈ 9.111. — Der Vers bringt die Entstehung des Streits prägnant
auf den Punkt; er wird daher leitmotivartig mehrfach wiederholt (vgl. zusätzlich zu
den Iterata auch 430, 9.131, 19.89). — beraubt der Ehre: Komposita vom Bil-
dungstyp ‘unehr-, ehrlos’ (atim-) sind typisch für die (deutlicher wertende) Figuren-
SpracheP. In der Ilias erscheint ein Wort dieses Stamms nur einmal im Erzähler-
Text, und zwar im Prooimion (11n.), das den Erzähler besonders deutlich hervortre-
ten läßt (DE J ONG 1987, 45–53. 143f.). — nahm mir fort … höchstpersön-
lich: Achills Darstellung stimmt überein mit Agamemnons Ankündigung 184f.,
steht aber im Widerspruch zur tatsächlichen Ausführung 320ff. (dazu 318b–325n.).
Entweder bringt Achill hier zum Ausdruck, daß Agamemnon die volle Verantwor-
tung für sein eigenmächtiges Handeln trägt, oder es liegt eine rhetorische Übertrei-
bung vor (wie mehrfach in dieser Szene, 387n., und zuvor: 106–108n., 226–227n.
u.ö.); vgl. auch SCODEL 1999, 74, mit Lit.
± t ¤ m h s e n : integrales EnjambementP mit effektvoller Anfangsstellung des zentralen
Begriffs und anschließendem Einschnitt, der durch das ungewöhnliche Wortende nach
dem zweiten Trochäus (gegen das erste Meyersche ‘Gesetz’: M 11.1) zusätzlich betont
ist (vgl. FRÄNKEL [1951] 1962, 34 Anm. 17; so schon schol. A). — é p o Ê r a w : das
Ptz. immer am VE (9x Il., 1x Od.), finite Formen fast immer (27 von 31 im fgrE).
357 1. VH = Od. 24.438; 2. VH ≈ 43 (s.d.). – Zum Rede-AbschlußP mit ähnlicher
Fortsetzung vgl. 13.417 = 14.458, 14.486.
Õ w f ã t o ) d ã k r u x ° v n : (zur Schreibung in zwei Wörtern WEST 1998, XXVIII)
(Õ
ersetzt die nach Gebeten übliche Rede-Abschlußformel (Õw ¶fatÉ) eÈxÒmenow, “to
express Achilles’ sadness with particular force”, wodurch gleichzeitig der informell-
familiäre Charakter des Gebets (Sohn – Mutter) zum Ausdruck kommt (MUELLNER 1976,
23). — t o Ë d É ¶ k l u e …: Die Wendung steht regelmäßig, wenn Gebete erhört werden
(43n., 37n.; anders 18.35: êkouse d¢ pÒtnia mÆthr). Auch das erweist die Rede als
Gebetsvariante (vgl. 351–357n.). — p Ò t n i a m Æ t h r : Der schon im Myk. bezeugte
Ehrentitel pÒtnia (‘Herrin’) erscheint im fgrE fast ausschließlich in Verbindung mit
zweisilbigen Appellativa oder Eigennamen am VE (mit mÆthr: 21x Il., 13x Od., 3x
h.Cer., vgl. 551n.), immer von Göttinnen oder hochangesehenen Frauen (Ausnahme:
Od. 18.5).
358 = 18.36; 2. VH = 17.324. — bei ihrem Vater, dem uralten: dem Mee-
resgott Nereus (FG 20); wird bei Homer nie namentlich genannt (WEST zu Od.
4.349).
≤ m ° n h : Von den 43 Belegen des Ptz. im fgrE stehen 38 am VA; ∏syai hier (wie meist)
in der Bedeutung ‘sich befinden, sich aufhalten’ (vgl. 416n.).
359 sie tauchte … auf: Zu den Götterbewegungen vgl. 43–52n.
p o l i ∞ w è l Ò w : 7x im fgrE belegt, immer zwischen B 1 und C 2. – Zu den EpithetaP des
Meeres 34n., 350n. — ± @ t É Ù m ¤ x l h : ±@te (nur bei Homer und Nachahmern) bezeich-
357 fãto: zum Medium R 23. — toË: zur demonstrativ-anaphorischen Funktion von ˜,
¥, tÒ R 17.
358 b°nyessin: zur Flexion R 11.3.
359 karpal¤mvw: ‘schwungvoll, behend’. — poli∞w èlÒw: Gen. der Herkunft (R 19.2).
— Ùm¤xlh: ‘Nebel, Dunst’.
Kommentar 131
net einen VergleichP (‘wie’: SCHW . 2.564), nicht eine Gleichsetzung (‘als’: KIRK). Wo
genau der Vergleichspunkt liegt, ist unsicher (FRÄNKEL 1921, 30 Anm. 2).
360 ≈ 500. — setzte gegenüber sich vor ihn: Gegenübersitzen zeugt von In-
timität (NEUBERGER-DONATH 1977a).
k a y ° z e t o : formelhaft zwischen B 2 und C 2 (11x Il., 3x Od.), vgl. M 10.2; konfek-
tives kata- bezeichnet die “Erreichung des Ziels des Verbalinhaltes” (SCHW. 2.476).
361 = 5.372, 6.485, 24.127, Od. 4.610, 5.181; 1. VH = Od. 13.288; 2. VH (Rede-
EinleitungP) weitere 13x Il., 24x Od., 2x h.Ven. — streichelte ihn: Geste des
Trostes und der Zuneigung, in der Ilias nur zwischen engen Vertrauten (Mutter-
Kind-Beziehungen und Ehepartner), vgl. HENTZE 1902, 332f. Anm. 6 (mit zu star-
ker Betonung der Unterschiede zur Odyssee).
k a t ° r e j e n : ist trotz der semantischen Differenz mit ¶rdv/=°zv ‘tun, handeln’
(147n.) zusammenzustellen (DELG, mit Hinweis auf CASABONA 1966, 44f.). — ¶ k t É
Ù n Ò m a z e n : Die ursprüngliche Bedeutung ‘nannte js. Namen’ ist in dieser VE-FormelP
verblaßt (WEST zu Od. 2.302); zu dieser Entwicklung ausführlich D’AVINO 1969.
362–363 Nachdem in den Eingangsszenen der Ilias eher scharfe Töne vorgeherrscht
haben, führt Thetis’ Sorge um ihren Sohn zu einem deutlichen Stimmungsum-
schwung. – Semit. Parallelen zu dieser Szene bei WEST 1997, 351f.
362 = 18.73; VE = 24.708, Od. 23.224. — t ° k n o n : in der Ilias als Anrede nur bei tat-
sächlich bestehender Verwandtschaft (anders in bezug auf Telemachos in der Odyssee),
vor allem Thetis (7x) und Hekabe (4x) in den Mund gelegt. — t ¤ k l a ¤ e i w : vgl. Od.
8.577 (Alkinoos zu Odysseus) efip¢ dÉ ˜ ti kla¤eiw (gleiche Versposition). — t ¤ … t ¤ :
Wiederholung des Fragepronomens findet sich oft bei Fragen mit starkem Affekt (FEH -
LING 1969, 189). — t ¤ … · k e t o p ° n y o w : vgl. die ähnliche Wendung ˜tti min ·keto
p°nyow (18.64, Thetis über Achill). — p ° n y o w : Im Unterschied zum spontan-impul-
siv-unreflektierten êxow (188n.) bezeichnet p°nyow “un sentiment mûri, durable, déjà
bien établi depuis l’événement qui l’a produit” (MAWET 1979, 392). p°nyow verhält
sich zu êxow wie m∞niw zu xÒlow; vgl. 1n., 254n.
363 = 16.19 (Achilleus zu Patroklos); 1. VH = 18.74 (jeweils mit gleichem/ähnli-
chem Rede-AbschlußP wie hier: 364n.). Adaptiert: h.Cer. 394. — Sprich’s aus
… damit wir beide darum wissen: Die Aufforderung ist (trotz 365) ernst ge-
meint. Thetis weiß hier ebensowenig vom Streit zwischen Achill und Agamem-
non wie 18.63f. vom Tod des Patroklos.
365 t¤h: ‘warum’. — taËta (W)idu¤˙: zur Prosodie R 4.3. — fidu¤˙: Ptz. von o‰da
(mask. efid≈w). — taËta ... pãnt(a): Obj. zu fidu¤˙ und zu égoreÊv, vgl. 10.250. —
égoreÊv: Konj. (deliberativ).
366 §w: = efiw (R 20.1).
367 dieprãyomen: starker Aor. zu dia-p°ryv ‘zerstören’.
368 dãssanto: Aor. von dat°omai ‘verteilen’; zur Doppelkonsonanz R 9.1. — sf¤sin
(Akzent!): = •auto›w (R 14.1). — uÂew: Nom. Pl. zu uflÒw (R 12.3).
Kommentar 133
e Ô d ã s s a n t o : Durch den Übergang von der 1. Pl. zur 3. Pl. hebt Achilleus die Beute-
verteilung von der persönlichen Ebene auf die der Gemeinschaft (vgl. schol. b), ähnlich
bereits 123, 125, 162. Er betont dadurch den ‘Offizialcharakter’ dieser Verteilung, die
außerdem ‘zur Zufriedenheit aller’ (eÔ) erfolgt war: Auf diesem Hintergrund erscheint
Agamemnons nachträgliches Eingreifen in die Verteilungsverhältnisse noch ungerech-
ter. — u  e w É A x a i « n : VE-FormelP , 162n.
369 § k d É ß l o n : Ausdruck für das Auswählen eines besonders ehrenvollen Teils (vgl.
§ja¤retoi 2.227) der Kriegsbeute (über den normalen Anteil hinaus) für eine Respekts-
person (LfgrE s.v. aflr°v 364.4ff.; vgl. 11.627, 16.56 = 18.444, Od. 7.10). — X r u -
s h ˝ d a k a l l i p ã r h o n : 143n.
370–392 Mit Vers 370 erfolgt der Übergang von der externen kompletiven Ana-
lepseP zur internen (weitgehend) repetitiven Analepse. Sie stellt in Sekundärer Fo-
kalisationP die gleichen Ereignisse dar wie 12b–347a im Erzähler-Text. Dadurch,
daß mit Achilleus eine stark involvierte Figur fokalisiert, erfährt die Darstellung
zwangsläufig signifikante Veränderungen.
370 Chryses: 11n.
a Ô t (ee ): 237n. — • k a t h b Ò l o u É A p Ò l l v n o w : 14n.
371 ∑ l y e y o å w § p ‹ n ∞ a w É A x a i « n : = 12 (s.d.), aber in der 2. VH (yoåw §p‹ n∞aw
ÉAxai«n ist VE-FormelP in 2.8, 2.17 = 2.168, 6.52, 10.450, 10.514, 11.3, 24.564;
vgl. auch CHANTRAINE 1932, 136); §. n. ÉA. in gleicher Versposition auch 14.354,
15.305, 24.203, 24.519. — É A x a i « n x a l k o x i t ≈ n v n : VE-Formel (22x Il., 2x
Od., 1x Hes.). – In bezug auf den xit≈n präsentiert das hom. Epos kein einheitliches
Bild: einerseits bezeichnet xit≈n ein (unter dem ehernen Panzer, y≈rhj) zu tragendes
Kleidungsstück (z.B. 3.358ff.) aus Stoff (? mit Bronzeverstärkungen?), andererseits
nimmt das Epitheton xalkox¤tvn eher auf den Panzer selbst Bezug (vgl. auch xãlkeow
xit≈n 13.439); ausführl. dazu KIRK zu 5.112–13 und aus archäol. Perspektive CATLING
1977, 74–118, bes. 79f.; LORIMER 1950, 208f.; PAGE 1959, 245–248. — x a l k o x i -
t ≈ n v n : vermutlich ein in myk. Zeit geprägtes EpithetonP (JANKO zu 13.438–41).
372–379 Achill läßt die direkten Reden (Chryses’ Bitte: 17–21; Agamemnons
Antwort: 26–32) weg. Damit rafft er seinen Bericht und legt die Betonung auf sei-
nen Konflikt mit Agamemnon. – Weder 374b (= 15b, lísseto) noch 379b (= 25b,
kraterón d’ epi myvthon étellen) sind formelhafte Rede-EinleitungenP, die zwingend
eine direkte Rede nach sich ziehen (vgl. 25n.); durch den Ausfall der direkten Reden
entsteht daher kein Anstoß. – Achills Raffungen sind nicht nur auf der Figuren-
Ebene psychologisch und rhetorisch gut begründet (380–392n., 387n.), sie erspa-
ren auch dem Erzähler (und dem Rezipienten) eine längere Wiederholung von Be-
kanntem. (Wiederholungen anderen Typs sind fester Bestandteil der oral poetry:
FOR 12 mit Anm. 14; IteratversP.)
388 ˜: in der Funktion von ˜w (R 14.5). — dÆ: ‘wie man sieht’ (die Partikel dÆ sugge-
riert Evidenz, vgl. R 24.1).
389 tØn m°n: = Chryseïs. — yoª (W)el¤kvpew: zur Prosodie R 4.4.
390 d«ra (W)ãnakti: zur Prosodie R 4.3. — ênakti: = Apollon.
391 n°on: adverbiell. — klis¤hyen: zur Form R 15.1. — ¶ban: 3. Pl. Wurzel-Aor.
(statt ¶bhsan: R 16.2).
392 koÊrhn: zur Form R 2, R 4.2. — Bris∞ow: zur Form R 11.3. — tÆn: in der Funk-
tion von ¥n (R 14.5).
Kommentar 137
393 deinen Sohn: Ähnlich wie zu Beginn seines Gebets (352n.) streicht Achil-
leus die Bedeutung der verwandtschaftlichen Beziehung heraus, hier, indem er von
sich in der dritten Person spricht.
é l l å s Ê : 127n. — e fi d Ê n a s a ¤ g e : Im allg. signalisiert ein indikativischer Kondi-
tionalsatz, daß der Sprecher in bezug auf die Realisierbarkeit eine neutrale Haltung ein-
nimmt. Er kann aber auch verwendet werden “in a rather manipulative way, when the
speaker knows for sure that the addressee is able to perform the state of affair involved:
‘if you can, do p; and I know that you can, so you must do it’” (WAKKER 1994, 264). —
• ∞ o w : Seit den antiken Scholien (vgl. LfgrE s.v. §@w) ist umstritten, ob das Wort zu
§@w ‘gut’ oder zum Poss.-Pron. •Òw zu ziehen ist. Dazu ausführlich NUSSBAUM (1998,
85–159: von §@w ‘gut’), samt Erklärung, wie es zu der Verwendung als Poss.-Pron. kam
(100f.): Aoiden haben in Analogie zur VE-Formel der 1. und 3. Person (paidÚw/uÂow
§mo›o/•o›o) die Form •∞ow (von §@w) als vokalisch anlautende (metrisch willkommene)
Variante zu teo›o umgedeutet (so schon JANKO zu 15.138).
394 D ¤ a l ¤ s a i : Das Verb ist hier absolut verwendet wie 374, der eigentliche Inhalt der
Bitte wird erst 408–412 genannt. Davor liegt die Begründung von Thetis’ Anspruch auf
Erfüllung der Bitte. – Zu l¤ssomai s. 15n., vgl. 502. — e ‡ p o t e d Æ : Achilleus ver-
fällt gleichsam in den Gebetsstil, vgl. 39, 40, 453, 503, 5.116, 14.234, 15.372,
16.236, 22.83.
395 mit einem Wort … Werk: ein im fgrE geläufiger, alliterierender Polarer
AusdruckP (vgl. LfgrE s.v. ¶rgon 674.73ff.); vgl. 77n., 504.
n h s a w : Ùn¤nhmi hat hier die seltenere Bedeutung ‘erfreuen’ (LfgrE). — k r a d ¤ h n
D i Ò w : Umschreibung (zwischen B 1 und C 2) für kürzeres D¤a (schol. D), vgl. DiÚw
nÒon (z.B. 8.143) und allg. b¤h ÑHraklhe¤h (11.690) etc. — µ … ± ¢ k a ¤ : Die zwei-
te Alternative wird durch ka¤ etwas herausgehoben (DENNISTON 306). Daß die Meeres-
göttin Thetis dem Göttervater Zeus mit einer Tat geholfen haben soll, wirkt zunächst
überraschend (AH), doch genau darauf wird die Erfolgsaussicht ihrer Bitte basieren.
396–406 Achilleus begründet Thetis’ Erfolgsaussichten mit einem ParadeigmaP:
Die geschilderte Revolte unterscheidet sich dadurch von anderen Anschlägen gegen
Zeus (15.18–24, 14.249–259, vgl. 1.589–591, 8.10–27), daß der höchste Gott
hier auf fremde Hilfe angewiesen ist; das steht im Gegensatz zu seiner souveränen
Position in der Ilias. Ungeachtet dieses Unterschieds hat die Szene auch prolepti-
scheP Funktion, weil die Gewährung der Thetis-Bitte (528–530) zu neuen Ausein-
andersetzungen mit den griechenfreundlichen Göttern führen wird. – Die Revolte
und ihre Unterdrückung durch den hundertarmigen Briareos (402n., 403n.) sind aus
393 sÊ, efi: zur Prosodie R 5.6. — per¤sxeo: Imp. Aor. Med. von peri°xv ‘umfassen,
beschützen’. — •∞ow: Poss.-Pron. der 2. Pers. (Gen.), ‘deines’ (↑).
394 OÎlumpÒnde: 1. Silbe metrisch gedehnt (R 10.1), zum Suffix R 15.3. — D¤a (l)l¤-
sai: zur Prosodie M 4.6. — l¤sai: Imp. Aor. Med. von l¤ssomai.
395 µ (W)°pei: zur Prosodie R 4.4 (aber nicht ka‹ (W)°rgƒ im gleichen Vers: R 4.6). —
nhsaw: Aor. von Ùn¤nhmi ‘nützen, helfen’, hier: ‘erfreuen’ (↑). — ±°: = ≥.
138 Ilias 1
396 seo: (= sou: R 14.1) Obj. zu êkousa. — §n¤: = §n (R 20.1). — §n‹ (m)megãroisin:
zur Prosodie M 4.6. — megãroisin: zur Flexion R 11.2.
397 eÈxom°nhw: (etwa) ‘stolz verkünden’. — ¶fhsya: 2. Sg. (R 16.2). — kelainef°Û:
zur unkontrahierten Form R 6. — Kron¤vni: ‘Kronossohn’ (ausschließlich von Zeus ge-
sagt), vgl. Kron¤dhw (498 u.ö.); der Dativ gehört zu loigÚn émËnai (398).
398 éyanãtoisin: 1. Silbe metrisch gedehnt (R 10.1). — éeik°a: zur unkontrahierten
Form R 6.
Kommentar 139
403 BriãreŒv n: Akk. Sg. — yeo¤, êndrew: zur Prosodie R 5.6. — d° te: ‘episches te’
zur Bezeichnung einer generalisierenden Aussage (R 24.11).
404 b¤hn: Akk. der Beziehung (R 19.1), ‘an Kraft’. — o: Poss.-Pron. (R 14.4).
406 Íp°ddeisan: < Íp°d(W)eisan, zur Prosodie R 4.5.
Kommentar 141
FormelP zwischen B 1 und C 2 (5x Il., 6x Od., 2x Hes.); zur Bedeutung 339n. — o È d É
¶ t É ¶ d h s a n : Text und Bedeutung sind umstritten (401n.); entweder: ‘fesselten nicht
mehr länger’ (vgl. WEST zu Hes. Op. 174); oder: ‘fesselten ihn nicht’, wobei t(e) nach-
träglich zur Vermeidung eines vermeintlichen Hiats für ursprüngliches oÈd° WÉ (‘ihn’)
¶dhsan in den Text gesetzt wurde: RUIJGH 1971, 706; vgl. SCHW . 2.576; CHANTR .
1.119, 2.342f. — Í p ° d d e i s a n … ¶ d h s a n : Die nahezu identische Lautfolge und
die ungleiche Verteilung der Silben auf longum und biceps (M 5) deuten auf ein Wort-
spielP (AH).
407 2. VH ≈ 500. — Daran … erinnernd: Mit einem SummaryP kehrt Achil-
leus zu seiner eigentlichen Bitte zurück. — setze dich zu ihm: vgl. 360n. —
Knie: 500n.
408 den Troern beizustehen: Der zuvor nur angedeutete Racheplan (z.B.
240ff., 340ff.), Agamemnon durch Prävalenz des Gegners und damit Verluste bei
den eigenen Truppen zu Schaden (und Einsicht) kommen zu lassen, wird erstmals
explizit ausgesprochen. Da Achilleus sich der Ungeheuerlichkeit seines Rache-
plans, der die Aufgabe von Zeus’ neutraler Haltung notwendig macht, bewußt ist,
hat er zunächst ausführlich seine Gründe dargelegt.
a ‡ k ° n p v w § y ° l h s i n : ‘in the hope that he may somehow be willing’ (WA K K E R
1994, 374); vgl. 420n. — § y ° l h s i n : zur Orthographie 324n. — T r ≈ e s s i n é r ∞ -
j a i : VE-FormelP (mit diversen Verbformen: 521, 5.507, 14.192). — § p ‹ … é r ∞ -
j a i : Meist ist die begünstigte Partei (im Dativ) eine der beiden Kriegsparteien, mit der
Implikation, daß die andere bekämpft wird (LfgrE). – §p¤ bei érÆgv nur verstärkend
(S CHW . 2.466).
409 Niederlage und Tod der eigenen Verbündeten wird zunächst (fast euphemistisch)
durch den Einschluß zwischen Schiffslager und Meer (vgl. 18.294) umschrieben.
Um so wirkungsvoller ist das progressive EnjambementP zum nächsten Vers
(410n.). – Der Hinweis auf das griechische Schiffslager ist ein Leitmotiv (LATACZ
1995, 101 Anm. 143).
t o Á w … É A x a i o Ê w : kein Hyperbaton, sondern ÉAxaioÊw Apposition zum demon-
strativen, vorausweisend-präsentierenden (11n., 391n.) toÊw (CHANTR . 2.160f.; vgl.
348a n.).
410 im Massensterben: Der entscheidende (und in gewisser Weise anstößige)
Punkt von Achilleus’ Bitte wird wirkungsvoll zurückgehalten und als runover
word (EnjambementP) an den Anfang des nachfolgenden Verses gesetzt. – Zum
407 par°zeo: zur unkontrahierten Form R 6. — goÊnvn: Gen. Pl. < *gÒn(W)v n
(R 12.5, vgl. R 4.2), Gen. zur Bezeichnung des Körperteils, der berührt wird (vgl. 197n.).
408 afi: = efi (R 22.1). — ken: = ên (R 24.5). — a‡ k°n pvw (+ Konj.): ‘ob vielleicht’.
— §y°lhsin: 3. Sg. Konj. (R 16.3).
409 émf(‹) ëla: ‘am (Ufer des) Meer(es)’. — ëla (W)°lsai: zur Prosodie R 4.3. —
¶lsai: Inf. Aor. von efil°v ‘zusammendrängen’.
410 §paÊrvntai: Konj. Aor. von §paur¤skomai ‘Nutzen haben’.
142 Ilias 1
Formalen 2n. — auf daß alle doch genießen: Sarkastisch (schol. T) im Sinn
von: ‘Nicht nur ich (Achilleus) soll (durch die Wegnahme des géras) von unserem
basiléus ›profitieren‹, sondern alle Achaier (indem sie sterben).’ Das gleiche Verb
(epaurískomai) ebenfalls in ironischem Kontext: 6.353, 15.17, Od. 18.107. —
Königs: 9n.
411–412 = 16.273–274.
411 und selbst der Atreïde: Die Formulierung macht deutlich, daß Achill nicht
primär die Achaier, sondern durch sie Agamemnon treffen will: dieser wird zur Ein-
sicht (die ihm so sehr fehlt: 343n.) kommen müssen, einen großen Fehler gemacht
zu haben (LATACZ [1985] 2003, 126f.; 1995, 52).
É A t r e ˝ d h w … : 7n., 102n.
412 wie blind er war: im Griechischen nominal formuliert, ‘Verblendung’ (át*e);
damit bezeichnen die FigurenP (das Wort erscheint nur 16.805, 24.28, 24.480 im
Erzähler-TextP) im nachhinein das, was Anstoß zu einer törichten Handlung mit
katastrophalen Folgen war, die der Figur nun völlig unerklärlich erscheint. Der in
át*e befangene Mensch denkt eben nicht an die möglichen Konsequenzen seines
Handelns (vgl. dazu speziell Achills Vorwurf 343). át*e wird von den Figuren auf
die Götter zurückgeführt, ohne daß sie sich dadurch ihrer Verantwortung für die
Handlung entziehen würden. Vgl. (mit ausführlichen Literaturangaben) EDWARDS
zu 19.85–138; FINKELBERG 1995; PADEL 1995, 167–187; HERSHKOVITZ 1998,
128ff. – Agamemnon wird seine ‘Verblendung’ später tatsächlich eingestehen:
9.115f., 19.85ff. (ein erstes Schuldeingeständnis bereits 2.378ff.).
˜ t É ê r i s t o n …: ≈ 244 (s.d.; ebenfalls am Schluß von Achilleus’ Rede). Trotz mög-
licher Formelhaftigkeit handelt es sich um eine signifikante repetitive AnalepseP (dazu
grundsätzlich PARRY [1930] 1979, 217): Sie bringt Achilleus’ zentrales Argument zum
Ausdruck und stellt gleichsam die Quintessenz des ersten Ilias-Buchs dar.
413 = 18.428; ≈ 18.94. – Zur Rede-EinleitungP allg. 121n. améibomai (‘antwor-
ten’) wird nur hier (und im Iteratvers) durch ein Ptz. modifiziert (PARRY [1928]
1971, 15; MONTIGLIO 1996, 172 Anm. 28). — Thetis: (FG 20) Achilleus’
Mutter wird hier erstmals beim Namen genannt (vgl. 351n.). — und weinte da-
bei: Die enge Mutter-Sohn-Beziehung schlägt sich auch in der übereinstimmenden
Reaktion nieder (vgl. 349, 360).
k a t å ) d ã k r u x ° o u s a (und andere Formen des Ptz., auch mask.): VE-FormelP: 15x
(k
Il., 13x Od., 1x Hes. (einschließlich Iterata).
414–427 Thetis’ Rede besteht aus zwei Teilen: (1) einer allgemeinen Klage über
Achilleus’ Lebenslos und indirekt ihr eigenes Los als Mutter (414–418, ringkom-
positorischP abgesetzt: t°knon/tekoËsa – t°kon); (2) einer konkreten Bezugnah-
me auf die Bitte (419–427). Der zweite Teil ist seinerseits geprägt von einer Ring-
komposition (‘ich gehe zu Zeus’: 419f. und 426f.), die sich um die proleptischeP
Handlungsanweisung (‘Enthalte dich des Kampfs’: 421f.) und um die kompletive
AnalepseP (‘Zeus ist nämlich gerade bei den Aithiopen’: 423–425) schließt.
414–418 Thetis nimmt scheinbar nicht direkt Bezug auf Achilleus’ Bitte. In
Wahrheit ist sie in Gedanken bereits bei den Konsequenzen der Bitte, die sie – wie
aus 419ff. vollends deutlich wird – erfüllen wird.
414 1. VH = Od. 11.216; 2. VH ≈ 22.431. — Zum Stoßseufzer vgl. 18.54 (Thetis
spricht).
’ m o i : 149n. — t ° k n o n : 362n. — t ¤ n u : ‘warum nur, wozu nur?’ (K.-G. 2.119;
S CHW . 2.571), hier (wie 22.431: Hekabe nach Hektors Tod) in resigniertem Ton; dane-
ben auch ungehalten: 16.859, 21.474 (vgl. 4.31). Zur Bedeutung von nu für die Versifi-
kation RUIJGH 1957, 60ff. — a fin fi n ã : entweder adverbiell (‘auf schreckliche Weise ge-
boren’), wie Od. 16.255, 22.447 (wozu SCHW . 2.77; LfgrE; CHANTR . 2.44) oder als
Akk. des Ergebnisses aufzufassen (SCHW. 2.79): ‘etwas Schreckliches geboren’. Anders
22.431 afinå payoËsa (wo Aristarch ebenfalls tekoËsa lesen wollte): ‘Schreckliches
erlitten’. Vgl. Stesichoros S13.2f. Davies.
415–417 Thetis akzeptiert Achills Argument (352f.), daß er angesichts seines kur-
zen Lebens etwas Besseres verdient hätte als Tränen und Leid.
415 VA = 3.40, 18.86. — tränenlos und leidlos: angesichts von 357 und 360
durchaus wörtlich zu verstehen. – Zum beliebten Stilmittel der Doppelung von At-
tributen (beide negiert durch alpha privativum [≈ dt. un-]: a-dákrytos, a-p*em*on) s.
99n. und allgemein FEHLING 1969, 235ff.
ˆ f e l e w : 353n. — p a r å n h u s ¤ n : 12b n., 344n.
416 2. VH = 13.573, Od. 22.473. — Nur kurz …, währt lang nicht: eigtl.
‘kurz nur, keineswegs sehr lange’: beliebte Stilfigur (rhetorisch Polarer Aus-
druckP); Näheres: FEHLING 1969, 272f.
∏ s y a i : hier unspezifisch-kolloquial ‘sich befinden, sich aufhalten’, vgl. 358n.; denn
Thetis weiß ja nur zu gut, wie schwer es Achill fallen wird, bei den Schiffen wirklich zu
sitzen (422n.). — § p e ¤ n Ê t o i a ‰ s a m ¤ n u n y ã p e r , o Î t i m ã l a d Æ n : erg. §s-
t¤n: Nominalsatz mit adverbialen Prädikaten (CHANTR . 2.2, 9; vgl. Il. 4.466, 6.130f.);
a‰sa hier ‘Anteil an Lebenszeit’ (> ‘Lebenslos’): LfgrE s.v. m¤nunya. Zur Konstrukti-
on s. SCHW . 2.413, 414f. – Nominalsätze sind nur bei zu ergänzendem Verb im Präsens
möglich und daher bei Homer ein Spezifikum der direkten Reden (CHANTR. 2.2). – Zum
Formelsystem von a‰sa HOEKSTRA 1965, 122f. — § p e ¤ n Ê t o i a ‰ s a : vgl. §pe¤ nÊ
417 per¤ (p°lesya¤ tinow): ‘mehr (so und so geworden sein) als (XY)’.
418 ¶pleo: 2. Sg. Ind. Aor. von p°lomai. — t≈: Aus alter Instrumentalendung -v gebil-
det (wie ênv etc.), ‘so (habe ich) denn’. — kakª a‡s˙: zur Prosodie M 12.2.
419 toi (W)er°ousa (W)°pow: zur Prosodie R 4.4 und 4.3. — §r°ousa: zu §r°v ‘werde
sagen’ (att. §r«, vgl. R 6).
Kommentar 145
423–425 Thetis’ Gespräch mit Zeus wird die Gewährung der Bitte und damit den
unmittelbaren Beginn der Kampfhandlungen (im 2. Gesang) zur Folge haben. Vor-
aussetzung dafür ist jedoch die Versöhnung Apollons. Die Gesandtschaft, die dieses
Ziel verfolgt, befindet sich aber zeitgleich (390n.) mit dem Achilleus-Thetis-Ge-
spräch erst auf dem Hinweg. Der Dichter löst das dadurch entstehende chronologi-
sche Problem durch Einschub einer Wartezeit in die Vordergrund-Erzählung (wobei
er Thetis bereits ihre eigene Wartepflicht und -zeit kennen läßt), und greift dafür
zum topischen Mittel der Götter-Reise zu den Aithiopen (LATACZ [1981] 1994,
198f.; allg. zu solchen Reisen, die Raum für notwendige Komplettierungen schaf-
fen: LÄMMERT 1955, 120). – Der Passus stellt eine Ausnahme von der Regel dar,
daß kompletive interne AnalepsenP vom Erzähler vorgenommen werden.
423 zum Okeanos, hin zu den edlen Aithiopen: Okeanos ist der Ring-
strom, der um die (als Scheibe gedachte) Erde fließt und das ‘Ende der Welt’ be-
zeichnet (WEST zu Hes. Th. 133). Die Aithiopen (in der Antike volksetymolo-
gisch gedeutet als ‘Brandgesichter’: BEEKES 1995/96) werden in der frühgr. Lit.
unterschiedlich lokalisiert; sie wurden wohl weithin für ein mythisches Volk ge-
halten (WEST zu Od. 1.22, mit Lit.). – Die Bewirtung der Götter durch die Aithio-
pen ist ein Topos des fgrE: 23.205–207, Od. 1.22–26. Vgl. LATACZ (1981) 1994,
200 Anm. 35.
é m Ê m o n a w : 92n.
424 2. VH ≈ 533, 24.327. — d a › t a : 5n. — ë m a p ã n t e w : “ëma ist mit pãntew fast
zu einer Begriffseinheit verschmolzen, die in ihrer Bedeutung dem Pl. des etym. auf die
gleiche Vorstellungskombination zurückführbaren ë-paw nahekommt” (LfgrE s.v.
ëma 600.56fff.), vgl. z.B. 495, 533.
425 am zwölften Tag: Zwölf ist im fgrE eine Typische ZahlP . Die Ankündi-
gung ist eine ProlepseP von 493ff. – Diese 12-Tage-Frist des ersten hat eine struk-
turelle Analogie in der 12-Tage-Frist des letzten Ilias-Buchs (24.667); zu der Ver-
mutung, die Ilias könnte durch diese Einschnitte von der größeren Troia-Gesamt-
geschichte als Einschub abgesetzt sein, vgl. STR 23. – Vorderoriental. Parallelen
für durch 3 teilbare ‘Wartefristen’: WEST 1997, 176.
426 2. VH = 21.438, 21.505, ≈ 14.173; vgl. auch Od. 8.321, 13.4. — t Ò t É ¶ p e i t a :
nur scheinbar redundanter Übergang, bei Homer gut bezeugt (immer an der gleichen
Versstelle): 5.114, 11.563, Od. 10.531 ≈ 11.44, 23.195; mehrfach zu Beginn der Apo-
dosis: 478, Od. 4.415, 5.391, 9.438, 12.400, 17.2. — p o t ‹ x a l k o b a t ¢ w d « : VE-
Formel P (Stellen s. Iterata); die Bedeutung des EpithetonsP ist nicht völlig geklärt (‘mit
eherner Schwelle’ oder ‘mit ehernem Fußboden’: HOEKSTRA zu Od. 13.4); nach RISCHs
Vermutung (84) z.B. nach Íceref¢w d« (VE, Od. 10.111) gebildet; wohl ohne Entspre-
chung in der Realität (in der Ilias nur von Götterpalästen) (vgl. DRERUP 1969, 110f.). –
Zu einsilbigen Substantiven am VE mit vorausgehendem choriambischen Attribut s.
W ITTE (1912) 1979, 111f. — d « : ‘Haus’; wegen myk. do-de ‘zum Haus’ eher zu d°mv,
dÒmow, d«ma (FRISK; vgl. WEST zu Od. 1.176, HEUBECK zu Od. 24.115, mit Lit.) als zu
einem mißverstanden Allativ -de (RISCH 359f.) gehörig; vgl. LE FEUVRE 1997.
427 fleh’ ihn an bei seinen Knien: nimmt Achills Anweisung in 407 auf; zur
Bedeutung der Gestik: 500n. — und glaub’, ich überred’ ihn: Thetis schließt
ihre Rede mit dem rhetorischen Kunstgriff des understatement ab, wodurch die Pro-
lepseP (Zeus nimmt die Bitte an – mit allen Konsequenzen) an Bedeutung gewinnt
(die unerwartete Verzögerung, die dann in 511–513 eintreten wird, gehört zur Tech-
nik der ‘stückweisen Enthüllung’, vgl. ParalipseP).
k a ¤ m i n … k a ¤ m i n : “Thetis offsets her frustrating news of delay with some nicely
persuasive expressions, especially in the intimately reassuring and emphatically ba-
lanced toi of 425 […] and 426 […]; also in the confident spondaic repetitions of 427”
(KIRK).
430b–487 Chryseïs wird ihrem Vater zurückgegeben und Apollon zusätzlich mit
einem Sühneritual besänftigt.
Die Schilderung folgt dem Prinzip der ausführlichen DarstellungP. Nach hom.
Konvention erfordert nicht nur die Verärgerung Apollons, sondern auch seine Ver-
söhnung eine angemessene Darstellung (vgl. 423–425n.). Die seit Lachmann ver-
schiedentlich verfochtene Athetese der Verse (Nachweise: LATACZ [1981] 1994,
184) ist daher nicht gerechtfertigt.
430b a È t å r É O d u s s e Ê w : VE-Formel P (2x Il., 26x Od.); zum Neueinsatz nach der
Zäsur C 2 vgl. 194n., 318, 247, 348, hier ein nicht vorbereiteter Szenenwechsel
(R ICHARDSON 1990, 117, mit lediglich sechs Beispielen in Anm. 17 [S. 230]; das Phä-
nomen ist allerdings, wie er selbst schon vermutet hat, häufiger).
431 2. VH ≈ 99. — erreichte Chryse: Die 312 suspendierte gleichförmige
Handlung wird wieder aufgenommen (vgl. schol. T). Die Delegation hat während
der Achilleus-Thetis-Szene (DeckszeneP) ihr Ziel erreicht. – Zum Ort 37–38n. —
Hekatombe: 65n., 66n., vgl. 99.
· k a n e n : oft wie hier auch im Präsensstamm konfektiv (SCHW . 2.259), metr. gleich-
wertig mit der 3. Pl. Aor. ·konto (LfgrE s.v. 1172.5ff.), vgl. 484 (vor B 2 wie hier).
432–437 Die Typische SzeneP ‘Landung zu Schiff’ kann folgende Elemente um-
fassen (AREND 1933, 79–81): (1) Zeitangabe; (2) Ankunft; (3) Einfahrt in den Ha-
fen; (4) Beschreibung des Hafens; (5) Segel bergen; (6) Mast umklappen;
(7) Schiff an Land rudern; (8) Ankersteine auswerfen; (9) Achterleinen festbinden;
(10) Aussteigen; – als Alternative zu (8) und (9) sind möglich: (8a) Schiff an Land
ziehen; (9a) Schiff sichern (zur Landetechnik: KURT 1979, 187–199, bes. 192). –
Die ‘Landung zu Schiff’ erscheint in der Ilias nur hier und 484ff. Daß sie in der
Odyssee häufiger ist, beruht auf der unterschiedlichen Thematik der beiden Epen
und liefert weder für den Stil (‘odysseeisch’) noch für die Datierung (‘odysseeisch’
= ‘jung’: CHANTRAINE 1932, 148) der vorliegenden Stelle ein Argument.
432 = Od. 16.324. — Hafenrund: Das hom. Epos unterscheidet zwischen dem
‘Hafen(becken)’ (lim*en) und der eigentlichen Landestelle (hórmos 435, vgl. schol.
b), beide ohne eigens errichtete Kunstbauten (KURT 1979, 188, mit Lit. in Anm.
5).
o „ d É ˜ t e d Æ : VA-FormelP (21x Il., 3x Od.); immer in (Formel-)Versen, die das Errei-
chen des Schauplatzes konstatieren, an dem sich die nächste Szene abspielt (Über-
gangsformel). — p o l u b e n y ° o w : Possessivkompositum, ‘viele Tiefen habend, sehr
tief’; formelhaftes Epitheton P von limÆn (zusätzlich zum Iteratum: Od. 10.125,
16.352: gleiche Wendung l. p. §., aber am VE), einmal vom Meer (Od. 4.406).
433–434 Das Verstauen des Segels und das Umklappen des Mastes deuten darauf,
daß Odysseus’ Delegation mit einem längeren Aufenthalt rechnet; vgl. dagegen Od.
3.10f. mit WEST z.St.
433 fls
fl s t ¤ a : Der Pl. bezeichnet ein einzelnes Segel, das sich aus mehreren Bahnen zu-
sammensetzt (LfgrE). — s t e ¤ l a n t o : bed. in Verbindung mit flst¤a ‘bergen’; die Art
des Bergens wird jeweils aus dem Kontext ersichtlich (vor dem Umklappen des Mastes
muß das Segel entfernt werden: Od. 15.496; dagegen wird es Od. 3.10f. lediglich an die
Rah hochgezogen). Das Medium (im Unterschied zu Od. 3.11, 16.353) ist metrisch be-
dingt. — n h ˛ m e l a ¤ n ˙ : vgl. 300n. (VE-Formel); zur Bed. von mela¤n˙ 141n.
434 = h.Ap. 504. — fls fl s t o d Ò k ˙ : (hom. hapax P ) ‘Mastbock, -galgen’; “ein achtern ste-
hendes Gestell, auf dem der oberste Teil des umgeklappten Mastes auflag” (KURT 1979,
173, vgl. 18f. und schol. A). — p r o t Ò n o i s i n : ‘Stagen’; zur Abspannung des Mastes
nach vorne, aus zwei Tauen bestehend, im Unterschied zum einfachen Achterstag, §p¤-
tonow (KURT 1979, 18f. 164; LATACZ [1986] 1994, 633).
435–437 = Od. 15.497–499.
435 ˜ r m o n : eigtl. ‘der angestürmte (Platz)’ > ‘Auflaufstelle’: KURT 1979, 191–195;
L ATACZ (1986) 1994, 634f. — p r o ° r e s s a n : Beim Landen wird das Schiff meist nach
einer Volldrehung heckvoran auf die Anlaufstelle aufgerudert. Dabei blicken die Ruderer
anders als sonst in Fahrtrichtung: daher pro- (KURT 1979, 192 Anm. 22). Wenn die
Umstände es erlauben, kann man das Schiff auch bugvoran auf den Sand gleiten lassen
(Od. 9.148f., 9.546 u.ö.). — § r e t m o › w : zur Endung 238n.
436–439 Die vierfache Anapher von §k d(°) am VA bringt durch die rhetorische Über-
höhung (unterstützt durch die Assonanz der Verben ¶balon, ba›non, b∞san, b∞), in-
dem sie Dringlichkeit und Tempo suggeriert, die Vorstellung der ‘Hinaus!’-Bewegung
zum Ausdruck (KIRK). Das, was das Schiff verläßt, folgt dem Muster einer Klimax: An-
kersteine – Besatzung – Hekatombe – Chryseïs (die letzten drei haben bereits in glei-
cher Reihenfolge das Schiff bestiegen: 309–311). – Weitere VA-Anaphern (dreifach):
2.382–384, 13.730–732 (die Authentizität von 731 ist freilich umstritten: JA N K O
z.St.). Stellensammlung anaphorischer Präverbien: FEHLING 1969, 194–197.
436 = Od. 15.498; vgl. auch Od. 9.137. — e È n ã w : wörtl. ‘Betten’, wohl metaphorisch
aufgrund der Funktion (LfgrE; dagegen plädiert SZEMERÉNYI 1986 für ein semit. Lehn-
wort); eÈna¤ sind “keilförmig zugehauene [Anker-]Steine, die nahe der Kante mit einem
Loch versehen sind, durch das die Trosse gezogen wird” (KURT 1979, 174). – Das Schiff
wird heckvoran an Land gerudert (435n.). Der im Wasser verbleibende Bug wird mit (ins
Wasser geworfenen) Ankersteinen gesichert (KURT 1979, 19). – Im Schiffswrack von
Ka h (14./13. Jh.) wurden zwölf Ankersteine gefunden (BASS 1989, 12). — p r u m n Æ -
s i (a
a ): urspr. Adj. (pr. pe¤smata ‘Heck-Taue’); “häufigste Bezeichnung für die Leinen,
mit denen das Heck der Schiffe an Land festgemacht wurde” (KURT 1979, 178f.).
437 = Od. 15.499, h.Ap. 505; ≈ Od. 9.150, 9.547, 12.6. — b a › n o n : Das Impf. fällt in
der von Aoristen (ste¤lanto, y°san, p°lasan, pro°ressan, ¶balon, ¶dhsan, ba› -
non , b∞san, b∞) beherrschten Landungsszene aus dem Rahmen; da in den drei Iterat-
versen mit 1. Pl. erwartungsgemäß Aor. steht (b∞men), liegt hier metrischer Zwang vor
(LfgrE s.v. 13.71ff., KIRK , so schon DÜNTZER [1864] 1979, 94; der Versuch einer kon-
textsensitiven Erklärung bei SCHW . 2.278 schlägt demgegenüber nicht durch). — § p ‹
= h g m › n i y a l ã s s h w : VE-FormelP (§p¤/parã/ohne Präp.; zusätzlich zu Iterata: 3x
Il., 6x Od., 2x hom.h.); der Dativ nach Verben der Bewegung bezeichnet das Ziel:
C HANTR . 2.108. — = h g m › n i : ‘Brandung’: die Stelle, an der die Wellen sich brechen
(=Ægnusyai, vgl. 4.425: schol. AbT zu 1.437).
438 • k h b Ò l ƒ É A p Ò l l v n i : VE-Formel (3x Il., 1x Hes.); zur Bedeutung des Epi-
thetons P 14n.
439 Chryseïs: 11n., 13n.
435 tÆn: erg. naËn, zur demonstrativ-anaphorischen Funktion des Artikels R 17.
436 §k ... ¶balon: sog. Tmesis (R 20.2).
437 ka‹ aÈto¤: zur Hiatkürzung R 5.5. — §p‹ (W)rhgm›ni: zur Prosodie R 4.5.
438 §k ... b∞san: kausativer s-Aor. (vgl. intrans. Wurzelaor. b∞ 439): wörtl. ‘gehen
machen’. — ÉApÒllvni: 1. Silbe metrisch gedehnt (R 10.1).
439 nhÒw: Gen. Sg. von nhËw (R 12.1). — pontopÒroio: zur Flexion R 11.2.
150 Ilias 1
d ¢ X r u s h ˝ w : Muta cum liquida ‘bildet’ selten ‘Position’ (M 3.2, 4.5), wenn (1) die
gelängte Silbe sich im biceps (M 5) befindet und (2) Vokal und Konsonantengruppe auf
zwei verschiedene Wörter verteilt sind (CHANTR . 1.108). — p o n t o p Ò r o i o : stehen-
des Schiffs-EpithetonP (vgl. 421n.), prosodische Wechselform zu »kÊporow (DÜNTZER
[1864] 1979, 102), immer am VE, außer im Nom. (pontopÒrow nhËw, Od. 12.69,
13.95, 13.161, 14.339); vgl. 12b n .
440 Die führte zum Altar dann hin: Die Rückgabe der Chryseïs wird als reli-
giös-rituelle Handlung dargestellt und ist somit bereits Bestandteil des folgenden
Entsühnungsrituals. — der findige Odysseus: 311n.
441 ≈ 585. — gab … in die Hand: Die bedeutsame Geste (zur Hervorhebung
wiederholt: 446) bringt die Umkehrung der ‘Besitzverhältnisse’ zum Ausdruck, wie
23.597, Od. 8.406 (an beiden Stellen ebenfalls als Teil einer Versöhnung).
f ¤ l ƒ : 20n.; Argumente gegen die possessive Deutung von f¤low bei ROBINSON 1990.
— p r o s ° e i p e n : formelhafte Rede-EinleitungP (75x Il.), immer vor der Zäsur B 2 oder
am VE wie hier.
442–445 Odysseus’ Rede ist höflich, aber kurz und nüchtern. Ein ausdrückliches
Schuldeingeständnis seitens Agamemnons und/oder der Achaier ist darin nicht ent-
halten.
442 2. VH = 172 (s.d.). — Geschickt hat mich: Von einem ausdrücklichen
Auftrag Agamemnons ist 308–311 zwar nicht die Rede, er ergibt sich aber ohne
weiteres aus dem Kontext; vgl. 183f., 308.
Œ X r Ê s h : In der Ilias steht Œ nur bei 73 von 701 Vokativen und wird nie von Men-
schen an Götter gerichtet (SCOTT 1903). Nach der traditionellen Erklärung signalisiert
Œ gesteigerte emotionale Beteiligung (z.B. SCHW . 2.61; CHANTR . 2.37); dagegen jetzt
D ICKEY 1996, 199–206. — p r Ò : 3n.
443–444 Das Verspaar enthält nochmals (mit wörtlichen Anklängen) die Quintes-
senz der Anweisungen, die Kalchas (98–100) gegeben hatte. Dies entspricht hom.
Konvention bei Aufträgen und Botengängen, vgl. 308–312n.
444 opfern … versöhnen: 100n., 147n.
445 VE = 21.524. — p o l Ê s t o n a k Æ d e É § f ∞ k e n : kÆdea bedeutet ‘Tod(esfall),
Leid’; oft (wie hier) von den Göttern verhängt (LfgrE s.v. 1399.42ff.). – Das Verb §f-
¤hmi (vgl. 51, 382) und das Adj. polÊstonow (15.451 vom Pfeil, vgl. b°lea stonÒ-
enta [5x fgrE] und stonÒentew ÙÛsto¤ [2x Od.]) deuten darauf, daß hier immer noch an
die Pfeile Apollons gedacht ist. – Zur VE-FormelP vgl. kÆdeÉ ¶yhken: 21.525,
Od. 23.306; kÆdeÉ §f∞ptai/-o: 2.15, 2.32, 2.69, 6.241; kÆdeÉ ¶teuxen: 13.209. Zur
441 f¤lƒ §n: zur Prosodie M 12.2. — min: = aÈtÒn (R 14.1). — pros°eipen: zur Form
73n.
444 ˆfr(a) (+ Konj.): final (R 22.5). — fllasÒmesya: kurzvokal. Konj. (R 16.3);
-mesya = -meya (R 16.2). — fllasÒmesya (W)ãnakta: zur Prosodie R 4.3.
445 kÆde(a): zur unkontrahierten Form R 6.
Kommentar 151
é n ° l o n t o : ‘nahmen (die Gerstenkörner) auf’, aus dem Korb, in dem sie (z.B. Od.
3.441f.) zum Altar gebracht werden (VAN STRATEN 1995, 34).
450–457 Typische SzeneP ‘Gebet’ (37–42n.): Von den 9 Szenen-Elementen sind 8
realisiert (3 fehlt).
450 ≈ 3.275. — t o › s i n d ° : zu ‘positionsbildendem’ -n 388n. — x e › r a w é n a -
s x ≈ n : VE-FormelP: 5x Il., 3x Od.; zur Bedeutung: 351n.
451–452 = 37–38. Trotz Formelsprache und relativ fester Gebetstypologie (vgl.
37–42n.) hat die genaue Entsprechung hier besondere Bedeutung, weil das vorlie-
gende Gebet den früheren Fluch, auf den 453f. Bezug nehmen, aufheben soll.
453–455 = 16.236–238 (236 mit leichter Variation).
453 ≈ 16.236 (vgl. 14.234). — Hast ja schon einmal: typische Gebetssprache
(NICKAU 1977, 81 Anm. 48); im Unterschied zu ‘wenn ich dir jemals …’ (39–40)
ist die vorliegende Formel von mehr Zuversicht geprägt, da sie sich auf einen un-
zweifelhaften (erzählten) Präzedenzfall beruft.
± m ¢ n d Æ p o t É § m ° oŒ p ã r o w ¶ k l u e w : möglicherweise eine ‘jüngere’ Adaptation
von ±m¢n dÆ potÉ §mÚn (W)°pow ¶kluew (JANKO zu 16.236); zu §m°Œo 273n.
454 = 16.237. — Die beiden Konsequenzen des 43 erhörten Chryses-Gebets werden
in Polarer AusdrucksweiseP benannt.
Zum Asyndeton 105n. — t ¤ m h s a w : Zur Bedeutung der timÆ für das ganze erste Ilias-
Buch s. 11n.; vgl. 175n. — ‡ c a o : (zu einem Verbalstamm ‡pt-: RISCH 282) ‘unter
Druck setzen, bedrängen’ (von ‰pow ‘Presse’: LfgrE s.v. ‡cao). — l a Ú n É A x a i « n :
flektierbare VE-FormelP (Akk.: 20x Il., Nom.: 4x Il.). – Zu laÒw: 10n.
455 = 16.238; 2. VH ≈ 41, 504, 8.242, Od. 17.242. — ± d É ¶ t i k a ‹ n Ë n : typische
Gebetssprache (neben dem Iteratum vgl. noch 14.234). — § p i k r Æ h n o n : Die Paral-
lelen (s. Iterata) zeigen, daß §pi- rein metrisch bedingt ist (Hinweis FÜHRER , anders
LfgrE).
456 Der 42 ausgesprochene Fluch wird ausdrücklich aufgehoben.
≥ d h n Ë n : immer in direkter Rede und immer in Verbindung mit einem Imperativ (4
von 5x am VA); der Ursprung von ≥dh aus ∑ dÆ ist noch erkennbar (DELG). —
é e i k ° a l o i g Ú n ê m u n o n : VE-Formel (341n.); zu éeik°a 97n.
457 = 43 (s.d.).
458–461 = 2.421–424.
1992, 62). Vgl. auch RAMERSDORFER 1981, 44f. — dunklen Wein ließ er
tropfen drauf: Als symbolischer Akt bringt die Weinspende (zusammen mit
dem Gebet) die im Opfer sich vollziehende Kommunikationshandlung zwischen
Menschen und Göttern besonders deutlich zum Ausdruck (Hinweis GRAF).
462 = Od. 3.459. — a ‡ y o p a : ‘funkelnd, glutfarben’, auch von Metallen, dann auch
übertragen verwendet (z.B. von Tieren); a‡yopa o‰non ist VE-FormelP: 8x Il., 8x Od.,
1x Hes.
463 = Od. 3.460. — Das Braten der Innereien (splánchna 464n.) erfolgt gleichzeitig
mit dem Verbrennen des Götteranteils (VAN STRATEN 1995, 131). Hier wird das
Braten impliziert; denn in 464 sind die Innereien bereits zum Verzehr als ‘appe-
tizers’ bereit.
p a r É a È t Ò n : in dieser formelhaften Wendung äquivalent mit einem Dativ (CHANTR .
2.122). Zur Bedeutungsentwicklung von aÈtÒw 4n., 47n. — p e m p ≈ b o l a : (iliad. ha-
paxP) fünfzinkiges gabelartiges Instrument, an dem die splãgxna gebraten werden
(B UCHHOLZ 1973, 167 mit Anm. 614; BRUNS 1970, 39).
464–469 = 2.427–432.
464–465 = Od. 12.364f.
464 = 2.427, Od. 3.461, 12.364, vgl. auch Od. 3.9. — die Innerei’n geges-
sen: Die splánchna (Innereien: Herz, Lunge, Leber, Milz und Niere) sind gebraten,
werden in Stücke geschnitten und an die Teilnehmer des Opfers zum Verzehr ver-
teilt (VAN STRATEN 1995, 131).
k a t å m ∞ r É § k ã h : m∞r(a), Neutr. Pl. neben ı mhrÒw (z.B. 460), bezeichnet kollek-
tiv den Götteranteil (LfgrE), dessen Zubereitung in 460f. geschildert wird und der inzwi-
schen verbrannt ist. – Aristarchs katå m∞re kãh deutet auf einen Text ohne scriptio
plena (Hinweis FÜHRER).
465–468 = 7.317–320 (mit leichter Variation in 7.317).
465–466 = 24.623f. (mit leichter Variation in 24.623).
465 = 2.428, Od. 3.462, 12.365, 14.430; ≈ Il. 7.317, 9.210, 24.623, Od. 14.75,
19.422. — Der Formelvers markiert den Übergang zur Desakralisation (447–
468n.): “In the Homeric descriptions of a sacrifice there is a clear dichotomy of the
post-kill phase of the ritual. The first part is concerned with the god’s portion,
[…] the second part is introduced with the standard formula [sc. 465]. […] This
rest, in fact the best part of the animal, is then carefully roasted […]. In Homer, in
this second part the ritual aspect of the sacrifice is no longer very much in the
foreground, and […] the same is largely true for the iconographical material” (VAN
STRATEN 1995, 144f.).
462 sx¤z˙w: zur Flexion R 11.1. — a‡yopa (W)o›non: zur Prosodie R 4.3.
464 §kãh: Aor. Pass. von ka¤v ‘verbrennen’. — §pãsanto: Aor. von pat°omai ‘ver-
zehren’.
465 têlla: = tå êlla (R 5.3). — émfÉ Ùbelo›sin: ‘an die Bratspieße’ (↑ ).
Kommentar 155
470 = 9.175, Od. 1.148, 3.339, 21.271. — Knaben (kóuroi): zu ihrer Bed. beim
Opfer (Iterata und 20.404f.) 462–463n.; vgl. allgemein JEANMAIRE 1939, 26–43.
§ p e s t ° c a n t o : Die Mischkrüge werden mit dem üblichen Gemisch aus Wein und Was-
ser bis zum Rand gefüllt, so daß der Eindruck eines (Schaum-)Kranzes entsteht (schol.
AbT: Íp¢r tÚ xe›low §plÆrvsan …w doke›n §st°fyai t“ Ígr“); vgl. 8.232 krht∞-
raw §pistef°aw o‡noio.
471 = 9.176, Od. 3.340, 21.272; ≈ 7.183 (n≈mhsen statt -san); 1. VH ≈ Od. 13.54,
18.425; 2. VH ≈ Od. 18.418, 21.263. — § p a r j ã m e n o i d e p ã e s s i n : §pãrxomai
ist t.t. der Ritual-Sprache: In der ‘Libation’ (ausführlichste Beschreibung: Od.
18.418ff.) gießt der Weinschenk zunächst ein paar Tropfen Wein in den Becher, die der
Teilnehmer den Göttern spendet (vgl. den aus Knochen und Fett bestehenden Götteran-
teil beim Tieropfer: 460–461n.). Der Ausdruck wurde möglicherweise aus *êrjanto
§pin°montew depãessin verkürzt (LfgrE s.v. êrxomai 1389.32ff., nach AH).
472–474 Üblicherweise wird die ‘Libation’ mit einer Abschlußformel (z.B. 9.177,
= Szenen-Element 4) beendet. Hier wird statt dessen von der Libation zu einem
summarischP erzählten ‘Sing- und Tanzritual zu Ehren Apollons’ übergeleitet. –
Die mehrfach thematisierte Versöhnung Apollons (vgl. die Wörter vom Stamm
hilask- 100n., 147, 386, 444) wird mit dem ganztägigen Ritual innigst erbeten
und schließlich erreicht. An der grundsätzlich troianerfreundlichen Haltung Apol-
lons ändert sich dadurch allerdings nichts.
472 1. VH = Od. 3.486, 15.184; ≈ Il. 18.209. — Zum ganztägigen Versöhnungsritual
vgl. h.Cer. 292: a„ m¢n pannÊxiai kudrØn yeÚn fllãskonto, und WEST 1997, 353. —
m o l p ª : ‘Gesang’, zu dessen Begleitung getanzt wird (vgl. Od. 6.101). — y e Ú n
fll
fl l ã s k o n t o : zur VE-Formel 386n.
473 ≈ 22.391; 1. VH ≈ Od. 19.519 ≈ Cypr. fr. 5.5 Bernabé/Davies. — Paian: ist
hier und 22.391 die Bezeichnung für ein (von Tanz begleitetes) Lied. In 22.391 ist
es ein Siegeslied (ohne Bezug auf Apollon), hier ein Heilslied, das die Besänfti-
gung Apollons und die Vertreibung der Seuche bewirken soll (schol. AbT; BUR-
KERT 1977, 127. 135f.; KÄPPEL 1992, 32). – Als Göttername (schon im Myk.
belegt) bezeichnet Paieon (= Paian) bei Homer (5.401f., 5.899ff., Od. 4.231f.) den
Götterarzt. Die Gleichsetzung mit Apollon ist nachepisch, noch für ‘Hesiod’ (fr.
307; vgl. Solon fr. 13.57 West) handelt es sich um zwei verschiedene Gottheiten.
Vgl. FG 5/21.
k o Ë r o i É A x a i « n : VE-FormelP (7x Il., 2x Od., 1x Hes.), konsonantisch anlautendes
Pendant zu uÂew ÉAxai«n (162n.; WITTE [1912] 1979, 114; FOR 20), bezeichnet also
im Unterschied zu koËroi (470) alle anwesenden Griechen; syntaktisch Apposition zu
o„ d° (472); zur Sperrung vgl. 16.67–69. – Zum Klang des Verses 604n.
478 ka¤: apodotisch (vgl. R 24.3). — metã (+ Akk.): ‘mitten unter, zu’.
479 ‡kmenon oÔron: ‘günstiger Wind’. — ·ei (W)ekãergow: zur Prosodie R 4.4.
481 pr∞sen: Aor. von prÆyv ‘blasen’.
Kommentar 159
Zur Verteilung von Nomen (‘Welle’ kyvma) und (präd.) Adj. auf zwei Verse vgl.
17.360f., Od. 13.84f. und PARRY (1928) 1971, 164f.
s t e ¤ r ˙ : ‘Vorsteven’, der die Bugwelle aufwirft (KURT 1979, 89f.). — ‡ a x e : nicht
‘rauschen’, sondern (ingressiv) ‘aufschreien, -heulen’ (LfgrE s.v. 1114.38ff.). —
n h Ú w fifioo Ê s h w : metrisch gleichwertig mit der VE-FormelP nhÚw §˝shw (1x Il., 4x Od.,
1x hom.h.; in anderen Kasus: 14x fgrE); vgl. 445n.
483 = Od. 2.429; 2. VH ≈ Od. 2.213, h.Merc. 200 (vgl. Il. 14.282, 23.501, Od. 13.83,
h.Ven. 67). — ¶ y e e n : wörtlich ‘rannte’, regelmäßig von mühelos dahingleitenden
Schiffen (LfgrE s.v. 1031.61ff.). — k a t å k Ë m a : ‘mit der Welle’, d.h. in der gleichen
Richtung (vgl. hom.h. 6.4); das Schiff fährt ‘vor dem Wind’ (vgl. 481n.).
484–486 Kurzfassung der Typischen SzeneP ‘Landung zu Schiff’ (432–437n.):
(2) Ankunft; (8a) Schiff an Land ziehen; (9a) Schiff sichern. – Die Varianten (8a)
und (9a) werden verwendet, weil die Aufgabe der Chryse-Expedition erfüllt ist.
Die kurze Fassung wird in Pap. 53 durch interpolierte Verse, die mit der ‘Landung’ in
h.Ap. 503ff. kontaminiert sind, erweitert (WEST 1967a, 32–35); s. app. crit.
484 1. VH = Od. 17.85, 17.178; 2. VH = 229 (s.d.); ≈ 478.
485 = Od. 16.325; ≈ Od. 8.51, 16.359, h.Ap. 488 (vgl. auch Hes. Op. 624). Der gleiche
Vers mit èlÚw b°nyosde anstelle von §pÉ ±peiro›o bezeichnet Od. 8.51 das Ziehen des
Schiffs ins Meer; zum Formelsystem HOEKSTRA 1965, 60f.
486 ≈ h.Ap. 507; 1. VH ≈ 23.853. — Die Schiffe werden nicht unmittelbar am
Ufer vertäut, sondern an ihren Langzeitstandort (‘hoch auf dem Sand’) zurückge-
schleift und dort gesichert: die Schiffsexpedition nach Chryse ist auch äußerlich ab-
geschlossen.
ß r m a t a : Balken, die die Seite entlang unter den Schiffsrumpf gestemmt werden (tã-
nussan), um das Schiff aufrecht zu halten (MÜLLER 1974, 68f., mit Abbildung).
487 2. VH ≈ 14.392. — zerstreuten … sich: Daß jeder sich ‘nach Hause’ be-
gibt, wird meist im Anschluß an Versammlungen geschildert (19.277, 23.3,
24.1f., Od. 2.258) und signalisiert ‘Szenen-Ende’. Ein Ruhepunkt ist erreicht (‘das
eine Problem ist gelöst’), von dem aus ein Neueinsatz erfolgen kann.
k a t å k l i s ¤ a w t e n ° a w t e : katã distributiv (SCHW . 2.477); zur VE-Formel 306n.;
zur Bedeutung von kl. 185n.
485 n∞a: Akk. Sg. zu nhËw (R 12.1). — ±pe¤roio (W)°russan: zur Prosodie R 4.3. —
¶russan: zur Doppelkonsonanz R 9.1.
486 ßrmata: ‘Schiffsstützen’.
487 n°aw: Akk. Pl. zu nhËw (R 12.1).
160 Ilias 1
rung. Die weitere Ilias-Handlung (bis zum 19. Buch: 1n., 8n.) baut auf diesem
Boykott auf (zu seiner implizierten Dauer 422n.; ProlepseP, vgl. schol. T zu 490–
491); vgl. ingesamt LATACZ (1981) 1994, 193–196.
488 2. VH = 421. — sitzend: 349n.
˘ … u flÒ
fl Ò w (489): vgl. 409n. — m Æ n i e : (zur Bedeutung 1n., 247a n.) Achill erfüllt
Thetis’ Auftrag (422).
489 Ganzvers-Formel: 36n. — der gottentsproßne (diogen*es): von Achill nur
noch 21.17; zur Bedeutung 337n.
P h l ∞ o w u flflÒÒ w : als Vokativ (Phl∞ow ufl°) an der gleichen Versstelle belegt in 16.21
= 19.216 (Ganzvers-Anrede). Das prosodische Problem wird meist durch eine iambische
Auffassung von uflÒw (ÔÓ) gelöst (CHANTR . 1.168, 228f.; WEST 1998, XXXIV; anders
J ANKO zu 16.21). — p Ò d a w » k Á w É A x i l l e Ê w : das stehende EpithetonP (58n.) hier
wohl revitalisiert (LATACZ [1992a] 1994, 243f.); dazu grundsätzlich FOR 39.
490–492 p v l ° s k e t o … f y i n Ê y e s k e … p o y ° e s k e : Die iterativ-frequentativen
Verben (G 60) signalisieren die ‘iterative Erzählung’ (488–492n.).
490–491 Zum Begriffspaar ‘Rat – Kampf’ vgl. 258n.
Zur Anapher von oÎt° pot(e) vgl. 5.700f., h.Ap. 344f.
490 1. VH ≈ Od. 3.127. — Zum Asyndeton 105n. — k u d i ã n e i r a n : sonst nur in der
VE-Formel P mãx˙/-hn ¶ni/énå/§w kudiane¤r˙/-an (8x Il.) belegt. Die Bedeutung von
k. égorÆ wird in 9.440f., wo ebenfalls Kampf und Rat parallelisiert sind, geradezu er-
läutert (AH, nach schol. bT): Phoinix hat nach Troia begleitet Achill, den nÆpion, oÎ
pv efidÒyÉ ımoi˝oo ptol°moio, | oÈdÉ égor°Œv n, ·na tÉ êndrew ériprep°ew tel°you-
sin.
491 1. VH = 226; ≈ 2.202, 12.214; 2. VH ≈ Od. 10.485. — f y i n Ê y e s k e : transitiv
wie Od. 10.485 (fyinÊyousi f¤lon k∞r): ‘verzehren, zugrunde richten’; vgl. auch fr°-
naw ¶fyien (18.446). Allg. zum Gedanken ‘das eigene Herz verzehren’: 24.129, 6.202,
4.513 und die Adjektive yumobÒrow, yumodakÆw, yumofyÒrow. — f ¤ l o n k ∞ r : VE-
Formel (4x Il., 8x Od.); zu f¤low 20n., 441n.; zu k∞r 24n.
492 2. VH ≈ 6.328, 14.37, 16.63, hom.h. 11.3. — sehnte ständig sich: Für
die Charakterisierung Achills ist signifikant, daß er nur den einen der beiden boy-
kottierten Bereiche vermißt (258n., 18.105f.). Außerdem fällt auf, daß derjenige,
der 240 die ‘Sehnsucht’ des griechischen Heeres (sc. nach ihm) heraufbeschworen
hat, nun selbst als erster Sehnsucht erleidet.
493 to›o: ≈ toÊtou; zur Flexion R 11.2. — duvdekãth: = dvdekãth (vgl. 425). —
g°net(o): ohne Augment (R 16.1). — ±≈w: 477n.
494 ka¤: apodotisch (vgl. R 24.3). — ‡san: Impf. von e‰mi. — yeo‹ afi°n: zur Hiatkür-
zung R 5.5. — afi°n: = ée¤. — §Òntew: Ptz. Präs. zu efim¤ (R 16.6).
495 §fetm°Œv n: zur Flexion R 11.1, zur Synizese R 7.
162 Ilias 1
496 •oË: Poss.-Pron. (R 14.4). — •oË, éllÉ: zur Prosodie R 5.6. — énedÊseto: ‘auf-
tauchen’, hom. Aor. (428n.), hier mit Akk. (359 mit ablativischem Gen.).
497 ±er¤h: ‘frühmorgens’ (↑ ); zur Form R 2. — OÎlumpon: 1. Silbe metrisch gedehnt
(R 10.1).
498 eÈrÊopa: (wohl) ‘mit breitem Gesichtsfeld, mit weitem Blick’. — Kron¤dhn: vgl.
397n. — êter: ‘getrennt von, ohne’ (mit Gen.).
Kommentar 163
Z e Ë p ã t e r : VA-FormelP (21x Il., 11x Od., 1x Hes., 1x hom.h.); wird als Anrede von
Göttern und Menschen benutzt (vgl. die VE-Formel patØr éndr«n te ye«n te 544n.).
— e ‡ p o t e d Æ : typische Gebetssprache (394n.). — m e t É é y a n ã t o i s i n : formel-
haft nach B 2 (6x Il., 6x Od., 1x Hes., 11x hom.h.). — ˆ n h s a : vgl. Achills Anwei-
sung 395 ( nhsaw), hier aber in der Grundbed. ‘nützen, helfen’.
504 1. VH = h.Cer. 65; 2. VH = 41; ≈ 455, 8.242, Od. 17.242. — Wort …
Werk: zum Begriffspaar 77n., 395n.
505 t ¤ m h s o n : vgl. 175n. — » k u m o r ≈ t a t o w : vgl. 417n.
506 2. VH = 172. — ¶ p l e t (oo ): im Unterschied zu 418 (s.d.) hier nicht ingressiv,
sondern mit Bezug auf die Vergangenheit: »kumor≈tatow … ¶pleto wird kontrastiert
mit nËn ge … ±t¤mhsen: ‘war (ohnehin schon) schnellststerblich …, aber jetzt hat ihn
(auch noch) Agamemnon entehrt’.
507 = 356 (s.d.), 2.240; ≈ 9.111.
508 é l l å s Ê p e r : (am VA, mit Imp.) vgl. 16.523, Od. 4.379, 4.468; allg. zu éllå
sÊ 127n. — É O l Ê m p i e m h t ¤ e t a Z e Ë : die Halbvers-FormelP nur hier, vgl. ÉOlÊmpie
nach B 2 (15.375, 19.108, Od. 1.60) und die VE-Formel mht¤eta ZeË (175n.). Ähn-
liche Halbvers-Formeln sind ÉOlÊmpiow ésteropÆthw (z.B. 580, s.d.) und ÉOlÊmpiow
eÈrÊopa ZeÊw (Od. 4.173, Hes. Th. 884), vgl. MUREDDU 1983, 56.
509–510 Taktisch geschickt (vgl. 503n.) ‘versachlicht’ Thetis Achills Bitte (408–
412), indem sie die konkreten Konsequenzen (Achaier müssen sterben) und die rhe-
torischen Spitzen gegen Agamemnon und die Achaier wegläßt. – Dadurch, daß
Zeus der Bitte später (524ff.) zustimmt, wird das Verspaar zu einer signifikanten
(wenn auch in den Einzelheiten wenig konkreten) ProlepseP der weiteren Ilias-
Handlung.
509 VE = 15.232. — t Ò f r a … ˆ f r (a a ): Häufiger geht die ˆfra-Protasis voraus,
doch vgl. 10.325, 11.754, 15.232 + 3x Od. (CHANTR . 2.262 Anm. 2). — k r ã t o w : in
der Bed. ‘Übermacht, Überlegenheit’ jeweils auf die aktuelle Situation bezogen, hier
(vgl. Präs. t¤yei) für eine längere Zeitspanne (LfgrE s.v. 1527.64ff.).
510 Zur Doppelung des Gedankens 160n. — Ù f ° l l v s i n : Ùf°llv ‘vermehren’ ist ho-
monym mit Ùf°llv ‘schulden, sollen’ (DELG), vgl. 353n. (auch zur Frage des Tempus
von ˆfel(l)on).
511 ≈ 4.401, 5.689, 6.342, 8.484, 21.478, Od. 20.183. — Die ausdrückliche Er-
wähnung des Ausbleibens einer Antwort (außer Iterata auch Od. 9.287, 11.563,
h.Cer. 59) steigert die Spannung, die ausgeht von Zeus’ beredtem Schweigen
(512), während dessen er die Konsequenzen der Bitte bedenkt (ERBSE 1986, 226).
In diesem Schweigen spiegelt sich die Folgenschwere der Bitte (vgl. 15.598).
n e f e l h g e r ° t a : mit 47 Belegen im fgrE das mit Abstand häufigste (Wetter-)Epithe-
tonP des Zeus (354n.); urspr. wohl Vokativ (vgl. 175n.).
512 1. VH ≈ Od. 23.93; 2. VH ≈ 15.76. — é l l É é k ° v n : VA-FormelP (1x Il., 5x Od.),
auch fem. (ék°ousa: 1x Il., 1x hom.h.); vgl. 34n. — … w … À w (513): Das erste …w ist
relativ, das zweite demonstrativ (CHANTR . 2.255): ‘wie <sie> einmal …, so …’.
513 2. VH ≈ Od. 9.354. — festgewachsen: Der physische Kontakt ist für die
Hikesie konstitutiv. Reißt der Kontakt ab (z.B. 6.62f.), ist die Hikesie gescheitert
(GOULD 1973, 80f.). — setzte dann erneut an: Daß zwei unmittelbar aufein-
ander folgende direkte Reden von der gleichen Figur gesprochen werden, ist in der
Ilias sonst nur üblich bei: (a) Wechsel des Adressaten (571–594, 4.188–197,
8.172–197, 17.169–187, 17.500–515, 18.127–144, 20.424–429, 23.438–445;
zum Adressatenwechsel innerhalb einer Rede 105–120n.); (b) dazwischenliegendem
Handlungsfortschritt (z.B. 5.276–285); (c) einer Kombination von (a) und (b). Der
momentane Handlungsstillstand wird also hier betont.
¶ x e t É § m p e f u u › a : ‘hielt sich hineingewachsen fest’; zu dieser Vegetations-Meta-
phorik vgl. die Rede-Einleitung §n tÉ êra ofl/moi fË xeir‹ ¶pow tÉ ¶fatÉ ¶k tÉ ÙnÒma-
zen (6x Il., 5x Od.). — e ‡ r e t o : hier ‘in Erfahrung zu bringen suchen’ (es folgt eine
Bitte, nicht eine Frage; LfgrE). — d e Ê t e r o n a Ô t i w : VE-Formel (1x Il., 4x Od.), mit
einer Ausnahme immer in Rede-EinleitungenP (vgl. auch 3.191 und 3.225); zur Redun-
danz vgl. Wendungen wie pãlin aÔtiw (2.276 u.ö.), íc dÉ aÔtiw (8.335 u.ö.), måc aÎ-
tvw (20.348 u.ö.).
514 Nicken: sichtbares, verbindliches Zeichen der Zustimmung; urspr. wohl
rechtsverbindliche Geste vor Zeugen (HAVELOCK 1963, 68); vgl. die Etymologie
von krai(ái)no < kraaino (z.B. 41, 504) ‘zustimmend mit dem Kopf nicken’ > ‘er-
füllen’. Zur Bedeutung des Nickens allg. SCHWABL 1976.
n h m e r t ° w : (< Privativpartikel *nâ + èmartãnv: RISCH 216) zielt nicht auf die Zuver-
lässigkeit des allfälligen Versprechens, sondern darauf, daß Zeus klar seine Meinung
zum Ausdruck bringen soll (LfgrE s.v. 364.17ff.). — m ¢ n d Æ : (beim Imp.) K.-G.
2.129, 142. — Í p Ò s x e o k a ‹ k a t ã n e u s o n : flektierbare VE-FormelP : 2.112, 9.19,
12.236, 13.368 (mit ‘Tmesis’), 15.374, Od. 4.6, 13.133, 24.335.
515 bist furchtfrei ja: Furcht (déos) empfinden sonst die Menschen vor den
Göttern (zumal vor Zeus: 7.478f., 8.75–77; vgl. das Adj. theoud*es ‘gottesfürch-
tig’); Thetis’ Argument enthält eine unverkennbare rhetorische Spitze (vgl. mit et-
was anderer Nuance 12.246).
é p Ò e i p (ee ): zum Nebeneinander von elidierten und nicht-elidierten épo-Komposita
C HANTR . 1.135; vgl. 230n. — ¶ p i d ° o w : vgl. Od. 8.563 (ebenfalls zwischen B 2 und
C 2). — ˆ f r É e Ô e ‡ d v : sarkastisch; zu VE-Formel und Akzentsetzung 185n.
516 geringstgeehrte: Noch einmal verwendet Thetis den Ehrbegriff: Mit einer
Ablehnung der Bitte würde Zeus zusätzlich zur ‘Ehrminderung’ ihrer Familie bei-
tragen. Dagegen verzichtet Thetis auch im zweiten Anlauf darauf, die Briareos-Epi-
sode ins Spiel zu bringen (vgl. 503n.).
517 = 4.30; ≈ 7.454, 8.208, 15.184, 16.48, 17.18, 18.97, 19.419, 22.14, Od. 4.30,
4.332, 15.325, Hes. Th. 558. — m ° g É Ù x y Æ s a w : bezeichnet eine Entladung von
emotionalem Druck, weil die Figur gezwungen ist, anders zu handeln, als sie es gerne
tun würde (LfgrE s.v. Ùxy∞sai, mit Lit.).
518–527 Zeus’ Antwort ist zweiteilig: (1) Die Gründe für seine Bedenken; (2) Ge-
währung der Bitte. – Der erste Teil ist auf den ersten Blick überraschend, weil man
erwarten könnte, daß Zeus Pro und Contra der Thetis-Bitte abwägt. Aber Thetis’
Vorleistung scheint für ihn so bindend zu sein, daß er sich fast nur mit der Frage
beschäftigt, wie er die Bitte erfüllen wird (sc. gegen den Widerstand Heras). Thetis’
Vorschlag 514f. erweist sich vollends als eine Wahlmöglichkeit, die keine ist. –
Die Auseinandersetzung mit Hera 536ff. kündigt sich proleptischP an.
518 1. VH = 573. — ∑ d Æ : stark affirmative Wendung, immer in direkten Reden, je-
weils im ersten Vers (am VA oder nach Interjektion am VA: 9x Il., 2x Od.). — l o ¤ g i a :
nur in direkten Reden, subjektiv wertend (‘schlimm’), immer prädikativ (LfgrE); zum
Nominalsatz 416n. — ˜ t e … § f Æ s e i w : faktischer Subjektsatz (AH mit Hinweis auf
244 und 16.274), anders CHANTRAINE 2.289: kausaler Adverbialsatz. Allgemein zur Pro-
blematik ˜ te / ˜te vgl. 244n. — § x y o d o p ∞ s a i : (hapax P ) ‘feindselig verfahren ge-
gen’; Deverbativum von einem Adj. §xyodopÒw (Soph. Aias 931), offenbar äolisch für
§xyo-da-pÒw (zu vergleichen mit éllo-da-pÒw ‘fremd’, wohl < ‘anderswo Haus [-da-
< *dmâ ] besitzend’): ‘draußen in der Fremde befindlich und daher feindlich’, also eigtl.
‘jn. jm. feindlich machen’ (LEUMANN 1950, 158 Anm. 1).
515 ±' épÒeip(e): zum Hiat (ohne Hiatkürzung) R 5.1. — épÒeip(e): (< époWeipe) =
êp-eipe. — ¶pi: = ¶pestin. — ¶pi d(W)°ow: zur Prosodie R 4.5. — ˆfr(a) (+ Konj.): final
(R 22.5). — eÔ (W)e¤dv: zur Prosodie R 4.4. — e‡dv: Konj. von o‰da.
516 ˜sson: zur Doppelkonsonanz R 9.1.
518 ∑: emphatisch, ‘wahrlich, in der Tat’ (R 24.4). — lo¤gia (W)°rg': zur Prosodie
R 4.3. — ˜ te: ‘daß’ oder ‘weil’ (↑).
Kommentar 167
nellen Beteuerungs-Formeln, die oft redundant sind (vgl. ‘die Wahrheit und nichts
als die Wahrheit’ und 526–527n.); vorderoriental. Parallelen: WEST 1997, 354. –
Die Verse 524–527 sind ringkompositorischP abgesetzt (kephal*ei katanéusomai –
kephal*ei katanéus*o).
526–527 p a l i n ã g r e t o n … é p a t h l Ò n … é t e l e Ê t h t o n : auffällige Häufung
seltener Wörter (palinãgreton und épathlÒn sind hom. hapax legomenaP, sonst nur
‘Hes.’ Sc. 93 bzw. h.Mart. 13; ételeÊthton bei Homer nur noch 4.175). Die Reihung
hat die für Verträge typische Form einer feierlichen Beteuerung (FEHLING 1969, 237).
526 t ° k m v r : hier in seiner urspr. Bed. ‘Zeichen’ (FRISK , DELG); zu m°giston | t°kmvr
vgl. m°gistow | ˜rkow Od. 5.185f.
528–530 = hom.h. 1.13–15. — Die Klimax der ganzen Szene kommt sowohl in
der sprachlichen Stilhöhe (“the solemn affirmation is described in Homer’s gran-
dest style, aided by the use of splendid and sonorous words and phrases”: KIRK) als
auch in der feierlichen Gestik zum Ausdruck (zu bedeutungsvoller Gestik vgl.
245f.: Achill schleudert den Stab zu Boden).
528 = 17.209, hom.h. 1.13. — Die mehrfache Erwähnung des Nickens (514, 524,
527, 528) beruht auf dem Prinzip der ausführlichen DarstellungP: Auf Zeus’ Zu-
stimmung basiert die weitere Handlung. – Die Bedeutung der Brauen ergibt sich
aus der gegenteiligen Bewegung: Ablehnung wird (noch heute in Griechenland)
durch das leichte Hochziehen der Brauen bei gleichzeitiger Aufwärtsbewegung des
Kopfes (ana-néuo statt kata-néuo) signalisiert.
∑ , k a ¤ : 219n. — k u a n ° ˙ s i n : ‘dunkel’, ist ‘göttliches’ Äquivalent zu ‘menschli-
chem’ m°law (WEST zu Hes. Th. 406); von den Augenbrauen (außer Iterata) auch 15.102,
vom Haupthaar 22.402; zur Haarfarbe auch 197n. — § p É Ù f r Ê s i n e Ë s e : sog. Tmesis
(K.-G. 1.533), vgl. 9.620, Od. 16.164, 21.431 (AH).
529 = hom.h. 1.14. — § p e r r ≈ s a n t o : =≈omai (zu =≈nnumi: DELG [‘avec vigueur’]?
od. zu =°v: FRISK) bezeichnet jedenfalls eine “schnelle, eifrige Bewegung” (KURZ 1966,
139; vgl. RISCH 330): ‘flossen/fielen nach vorne’.
530 = hom.h. 1.15; 1. VH = hom.h. 32.4; 2. VH ≈ Il. 8.199. — Zeus’ Beschluß
bringt den Olymp buchstäblich ins Wanken; zu diesem Motiv vgl. (außer Iterata)
8.442f. (Zeus setzt sich); 8.199 (Hera wirft sich auf dem Thron hin und her); Hes.
Th. 842f. (Zeus geht energisch über den Olymp; vgl. auch das von Poseidon verur-
sachte Erdbeben vor der Götterschlacht: 20.55ff.). Vergleichbar sind Texte aus dem
Vorderen Orient (GRIFFIN 1980, 27 Anm. 70; WEST 1997, 354).
533–570 In der Götterversammlung stellt Hera Zeus zur Rede, was dieser mit
einer unverhohlenen Drohung quittiert.
In der Streitszene zwischen Zeus und Hera ist diejenige zwischen Agamemnon und
Achilleus kontrastiv gespiegelt. “Zeus’ powers are evidently of the type Agamem-
non would like to possess” (LOWENSTAM 1993, 69).
533–535 Der Auftritt des höchsten Gotts gestaltet sich ‘standesgemäß’, indem alle
Götter sich von ihren Sitzen erheben (vgl. 15.84–86). Darin deutet sich bereits an,
daß und auf welche Weise die nachfolgende Auseinandersetzung zu Zeus’ Gunsten
ausgehen wird. – Für die Götterversammlungen 1.533ff., 4.1ff., 15.84ff.,
22.166ff., 24.31ff. “wird eine besondere Motivierung nicht gegeben; sie werden
einfach als Grundsituationen der betreffenden Szenen angesetzt” (KURZ 1966, 52).
– Der (rhetorisch) Polare AusdruckP ist außergewöhnlich, weil auf die Abfolge ‘po-
sitiv – negativ’ noch eine weitere positive Aussage folgt: ‘alle – keiner – alle’.
533 2. VH ≈ 424 (s.d.). — Z e Á w d ¢ • Ú n p r Ú w d « m a (sc. êlto im Sinn von ¶bh):
Das Zeugma ist bemerkenswert, aber nicht ohne Parallele (z.B. 12.319f., s. SCHW .
2.710). Brandreths Konjektur ZeÁw dÉ ‡e ˘n prÚw d«ma ist daher nicht zwingend. – Zur
Prosodie von d¢ •Òn (< *WWÒn < *hwon < *swon) CHANTR. 1.146, G 22.
534 s f o Ë p a t r Ú w § n a n t ¤ o n : Die Periphrastische BenennungP ‘ihrem Vater’ und
ént¤oi (535) erweisen die ganze Szene als von den Göttern aus fokalisiert (LfgrE s.v.
531 t≈ ... bouleÊsante: Duale (vgl. R 18.1). — di°tmagen: 3. Pl. Aor. Pass. (R 16.2)
von diatmÆgv ‘sich trennen’.
532 êlto: Aor. von ëllomai ‘springen’.
533 d¢ (W)eÒn: zur Prosodie ↑ und R 4.3. — •Òn: Poss.-Pron. (R 14.4). — én°stan:
3. Pl. Aor. (R 16.2).
534 •d°vn: zur unkontrahierten Form R 6. — sfoË: Poss.-Pron. (R 14.4).
170 Ilias 1
535 me›nai §perxÒmenon: zur Hiatkürzung R 5.5. — §perxÒmenon: zur Prosodie M 4.6.
536 oÈd°: auch nach positiven Sätzen (R 24.8). — min: = aÈtÒn (R 14.1). — ÜHrh:
zur Form R 2.
537 ˜ti (W)oi: zur Prosodie R 4.3. — ofl: = aÈt“ (R 14.1). — sumfrãssato: augment-
loser Aor. (R 16.1), zur Doppelkonsonanz R 9.1.
538 èl¤oio: zur Flexion R 11.2. — g°rontow: = Nereus.
539 kertom¤oisi (sc. §p°essi): zur Flexion R 11.2. — Kron¤vna: 397n. — pros-
hÊda: vgl. 92n.
Kommentar 171
545 §pi°lpeo: Imp. von §pi-¶lpomai (< *§piWelpomai), zur unkontrahierten Form R 6.
546 efidÆsein: Inf. Fut. von o‰da.
547 Konstruktion: éllÉ ˘n m°n k(e) §pieik¢w (erg. ¬, Eventualis) ékou°men (erg. ti-
nã), tÒn ... — k(e): = ên (R 24.5). — ékou°men: Inf. Präs. (R 16.4).
549 §g≈n: = §g≈. — §y°lvmi: 1. Sg. Konj. Präs.
550 taËta (W)°kasta: zur Prosodie R 4.3. — metãlla: kontrahierter Imp. Präs. von
metallãv ‘fragen nach’.
Kommentar 173
(s. Iterata), auch als Inf. (mit vertauschter Wortstellung) metall*esai kai erésthai
(Od. 3.69, 3.243, 14.378, 15.362, 16.465).
t a Ë t a : Die Parallelkonstruktion ˘n m°n (547) … tÒn g(e) (548) … ˘n d° (549) …
wird zum Schluß aufgebrochen. Dadurch vermeidet Zeus, sagen zu müssen ‘das wirst auch
du nicht erfahren’. — ß k a s t a d i e ¤ r e o : ‘die Einzelheiten der Reihe nach ausfragen’
(vgl. SCHW . 2.450); appositionelles ßkasta bei Homer mehrfach mit di-Kompositum
(LfgrE s.v. 498.14ff.: 10.432, 11.706, Od. 12.16). — m e t ã l l a : (etym. Verbindung
mit m°tallon unsicher: LfgrE) nur in direkter Rede (außer 5.516).
551 = 4.50, 16.439, 18.360, 20.309. — b o « p i w : generisches Schönheits-EpithetonP
(vgl. 143n.), in der zeitgenössischen Kunst als ‘großäugig’ gedeutet (LfgrE, mit Lit.);
von Hera immer in der VE-FormelP bo«piw pÒtnia ÜHrh (14x Il., 3x h.Ap.). Zur Frage
des Bezugs auf den Kontext und damit verbundenem Wechsel von bo«piw p. ÜH. und
yeå leuk≈lenow ÜH. s. BECK 1986 (b. nie, wenn im Kontext andere Tiere erwähnt
sind; vgl. auch JANKO zu 15.92). Zur Frage, ob die Form (in Verbindung mit ‘Wernickes
Gesetz’: M 10.3) ursprünglich lang (bo≈p* i w) war, vgl. SCHW . 1.463 Anm. 5. — p Ò t -
n i a Ü H r h : uralte VE-Formel (25x Il., 4x h.Ap.); der Hiat (ohne Elision des kurzen
-a) resultiert aus dem Schwund des im Myk. anlautenden h (HÆra) (RUIJGH 1995, 75–
77; G 38).
552 = 4.25, 8.462, 14.330, 16.440, 18.361 (Sprecherin immer Hera); 2. VH = 8.209.
— m Ë y o n ¶ e i p e w : VE-Formel, auch in 1. und 3. Sg. (33x Il., 20x Od., 3x Hes., 7x
hom.h.); in der Odyssee nur als formelhafte Rede-EinleitungP (außer 18.422).
553 2. VH ≈ 550 (s.d.). — frag’ dich … nicht aus und such’ nichts zu er-
gründen: in typischer Catchword-TechnikP ‘zitiert’ Hera Zeus.
k a ‹ l ¤ h n : (immer in direkter Rede) bringt emphatische Zustimmung zum Ausdruck
(‘ja ganz gewiß’), die folgenden Negationen sind daher unerwartet. — p ã r o w g (ee ):
darauf liegt der Nachdruck, das Gegenstück ist nËn d(°) … (555; LfgrE s.v. 989.25ff.);
pãrow auch mit Verb im Präs.: WACKERNAGEL (1920) 1926, 47. 158; SCHW . 2.273f.
554 ungestört: (éuk*elos ‘in aller [Seelen-]Ruhe’) gemessen an Heras jetzigem
und allen weiteren Interventionsversuchen (8.350ff., 14.153ff.; vgl. auch 1.521f.)
wohl mit leichter Übertreibung gesprochen (vgl. ‘ganz schrecklich’ in 555): mit
ironischem oder heuchelndem Unterton.
e Î k h l o w : (und ßkhlow) bei 23 Homer-Belegen 21x in direkter Rede.
555 1. VH = 18.261, Od. 24.353 (bis fr°na); ≈ Il. 9.244, 10.538, h.Ap. 70. — d e ¤ -
d o i k a … m Æ … p a r e ¤ p ˙ : Bei Homer steht auch die Befürchtung, daß etwas bereits
eingetreten ist, mit Konj. (später Ind.: SCHW . 2.675; CHANTR . 2.299).
563 2. VH ≈ 325. — Das ‘Zitat’ von 325 verstärkt den Spiegelungseffekt mit der
Agamemnon-Achill-Szene (533–570n.). — noch mehr: Das Verhältnis ist ohne-
hin schwierig, vgl. 518ff.; die dort proleptischP geäußerten Befürchtungen haben
sich bestätigt; vgl. auch 5.893.
m ã l l o n : zum Akzent ORTH 2 und WEST 1998, XX, s.v. êsson.
564 Die Formulierung ist bewußt vage gehalten. Zeus bestätigt den konkreten In-
halt von Heras ‘Vermutung’ (558f.) nicht ausdrücklich.
m ° l l e i : ‘es steht zu erwarten, ist anzunehmen’ (SCHW . 2.293f.), hier sarkastisch
(LfgrE mit Hinweis auf BASSET 1979, 76). — m ° l l e i f ¤ l o n e ‰ n a i : Diese Wendung
wird nur mit Bezug auf Zeus verwendet (2.116, 9.23, 13.226, 14.69; dreimal ist der
Sprecher Agamemnon); nur hier von Zeus über sich selbst, wodurch sie besonders
selbstherrlich wirkt. Zeus reagiert damit auch auf Heras Vorwurf in 541f.
565 2. VH = 4.412 (bei gedanklich ähnlicher 1. VH wie hier). — é l l É é k ° o u s a : zur
VA-Formel 512n. — § m “ d É § p i p e ¤ y e o m Ê y ƒ : vgl. 33: Chryses §pe¤yeto mÊyƒ (sc.
Agamemnons Drohrede). – Zum Impf. 33n.
566 1. VH ≈ 28 (s.d.); 2. VH = 5.877, 8.451; ≈ 18.429. — daß dir nur nicht
…: ein weiteres Agamemnon-‘Zitat’, diesmal aus der Chryses-Szene (28, vgl.
563n.). — die Götter im Olympos: Zeus deutet an (und warnt gleichzeitig
davor), daß die anderen Götter von Hera in eine Verschwörung gelockt worden sein
könnten (vgl. 15.33 mit JANKO z.St.). Zu Verschwörungen gegen Zeus vgl. auch
396–406n.
567 Zu Zeus’ Androhung von physischer Gewalt vgl. 8.12, 8.403–405, 15.17 und
588n.
ê s s o n fifiÒÒ n t (a
a ): understatement für eine Attacke wie 15.105, 22.92; zum Akzent
von êsson ORTH 2; WEST 1998, XX. — é ã p t o u w x e › r a w : Das Attribut (bei Homer
11x in direkter Rede, 3x im Erzähler-Text, davon 1x sekundär fokalisiertP) kommt im
fgrE nur in dieser Verbindung vor und geht nur hier voraus (vgl. konsonantisch anlau-
tendes bare¤aw xe›raw 89); sonst bildet xe›rew/-aw êaptoi/-ouw eine VE-FormelP (10x
Il., 3x Od., 4x Hes.). – Die Aoiden verbanden êaptow möglicherweise mit ëptomai:
‘unberührbar’ > ‘unwiderstehlich’; tatsächlich handelt es sich um episch zerdehntes
*îptow < ê(W)eptow ‘unaussprechlich’ (LfgrE, JANKO zu 13.317–18). Aristophanes v.
Byzanz las é°ptouw (schol. A).
568–569 Hera gibt – wie Chryses – aus Furcht vor der Drohung nach, ohne sich
wirklich umstimmen zu lassen.
568 ¶fat(o): zum Medium R 23. — ¶ddeisen: < ¶d(W)eisen, zur Prosodie R 4.5.
569 kay∞sto §pignãmcasa: zur Prosodie R 5.6.
Kommentar 177
571 Erster Auftritt des Schmiedegotts Hephaistos (FG 15; BURKERT 1977, 260–
262); Schilderung, wie er in der Werkstatt seinem Handwerk nachgeht: 18.372–
379, 410–420, 468–477.
t o › s i n … ∑ r x É é g o r e Ê e i n : formelhafte Rede-EinleitungP mit einer Kombination
aus Subjekt + Epitheton (bzw. Apposition) um die Mittelzäsur B 1: 7.347, 18.249, Od.
2.15, 16.345, 18.349, 20.359, 22.461. — ÜH H f a i s t o w k l u t o t ° x n h w : Formel P
zwischen A 3 und C 2 (sonst im Akk.: 18.143, 18.391, Od. 8.286, hom.h. 20.5; im
Nom. ‘Hes.’ fr. 141.4 M.-W. am VE); klutot°xnhw (‘berühmt durch seine Kunstfertig-
keit’) ist distinktives EpithetonP .
572 1. VH ≈ 578. — mit hellen Armen: 55n.
Daß zwischen Rede-Einleitung (571) und direkte Rede noch ein ganzer Vers eingescho-
ben wird, der die Intention der Rede andeutet, ist für die Ilias außergewöhnlich (vgl. aber
Od. 18.349f.). Deshalb wird gelegentlich Hera als Adressatin der Rede angesehen (z.B.
F INGERLE 1939, 10). Die Rede richtet sich aber allgemein an die Götter, unter denen
Zeus und Hera gemeinsam und ohne Apostrophe angeredet werden (sf∆ … §rida¤neton
574; vgl. Nestors Rede 254ff.). Nur die letzten zwei Verse sind direkt an Hera gerichtet.
Zum Adressatenwechsel innerhalb einer Rede 105–120n. — m h t r ‹ f ¤ l ˙ : 585n. —
∑ r a : < *Whr-, ‘Gefallen, Freundlichkeit’ (vgl. §r¤hrew •ta›roi), verwandt mit lat.
uerus, dt. ‘wahr’ oder mit hethit. warr(a)- ‘Hilfe’ (LfgrE); nur noch in der Formel ∑ra
f°rvn/-ontew/-ousin (mit vorausgehendem Dativobj.), vgl. JANKO zu 14.130–2.
573–574 Die Formulierung ∑ dØ lo¤gia … efi dØ sf∆ … §rida¤neton erinnert an Ne-
stors ∑ ken ghyÆsai Pr¤amow … | efi sf«Ûn … puyo¤ato marnam°noiÛn (255–257).
573 1. VH = 518 (s.d.). — l o ¤ g i a … o È d É ¶ t É é n e k t ã : (rhetorisch) Polarer Aus-
druck P . — o È d É ¶ t É é n e k t ã : vgl. oÈk°tÉ énektÒw/-«w (8.355, 10.118, 11.610, Od.
9.350, immer VE).
574–575 Hephaistos gibt unmißverständlich zu verstehen, daß weder der Streitge-
genstand noch der Tonfall sich für das Götterpaar schickt.
574 wegen Sterblicher … streitet: Zum Gedanken vgl. 8.427ff., 21.462ff.
(AH); zur Semantik von ‘streiten’ (eridáineton zu éris) 8n.
y n h t « n : substantiviert wie oft, bes. im nachhom. Epos (LfgrE s.v. 1051.8ff.).
575 k o l ƒ Ò n : (zu koloiÒw ‘Dohle’) bezeichnet das Kreischen (wie) von Dohlen
(LfgrE); vgl. das Verb §kol–a (2.212, von Thersites). — § l a Ê n e t o n : singuläre
Bed., möglicherweise als Metapher vom Wagenlenken: ‘(voran)treiben’ (LfgrE s.v.
517.66ff.), vgl. dt. ‘eine Attacke reiten’.
576 = Od. 18.404 (das VE in 575 = Od. 18.403). — Zur beeinträchtigten Stimmung beim
Essen vgl. Od. 17.446 (der ‘Bettler’ Odysseus ist für die Freier eine daitÚw én¤h). —
§ s y l ∞ w … x e r e ¤ o n a : Das Gegensatzpaar hat deutlich soziale Konnotationen (vgl.
z.B. 14.382). — § p e ¤ …: Temporales §pe¤ (mit Konj.) kann auch ohne Modalpartikel
ên/ke stehen (CHANTR. 2.256), hier mit kondizionalem Nebensinn: ‘wenn’.
577 2. VH ≈ 23.305. — sie … selber: Hephaistos faßt nur in Worte, was Hera
selbst auch schon klar ist (Appell an common sense als captatio benevolentiae).
Die Anrede in der 3. Pers. zeigt, daß Hephaistos in der Götterversammlung ‘für die
Allgemeinheit’ (im Interesse aller) spricht (vgl. ‘uns’ in 579).
p a r ã f h m i : (+ Dat.) ‘jm. (gut) zureden, raten’ (im Interesse der angeredeten Figur:
LfgrE s.v. ëptv 1124.18ff.). — a È t ª p e r n o e o Ê s ˙ : ‘der es selbst doch auch schon
klar ist’ (LfgrE s.v. no°v 412.40ff.). Vgl. die flektierbare VE-FormelP pinutÆ per §oË-
sa Od. 20.131, 21.103, 23.261.
578 1. VH ≈ 572. — damit nicht nochmals: Heras regelmäßige Streitigkeiten
mit Zeus (520f.: das Verb hier ebenfalls neikéin) enden immer gleich: mit ihrer
Niederlage (587ff.) und Zeus’ Verstimmung. Gleichzeitig richtet Hephaistos indi-
rekt (durch ein ÜbereckgesprächP) die Bitte an Zeus, jetzt auf diese übliche Reak-
tionsweise zu verzichten.
579 s Á n … t a r ã j ˙ : ‘die Ordnung zerstören, durcheinanderbringen’ (vgl. 8.86).
580–581 Ein Hauptsatz, der den Gedanken des Kondizionalsatzes zu Ende führte,
fehlt (vgl. 135–137n.). Statt dessen deutet ein parataktisch verbundener Kausalsatz
die zunächst offen gelassene Konsequenz an (CHANTR. 2.275, mit Hinweis auf
21.567 und Od. 21.260).
580 1. VH ≈ 2.123, 8.205, Od. 18.318; 2. VH = 609, 12.275, Hes. Th. 390. — é s t e -
r o p h t Æ w : distinktives Wetter-EpithetonP (354n.), immer am VE (außer Iterata noch
7.443 im Dat.).
581 2. VH ≈ 2.769. — denn er ist ja viel stärker: Das Argument (vgl. 281,
dazu 275–284n.) stellt eine weitere Analogie zwischen Zeus und Agamemnon her,
mit dem signifikanten Unterschied, daß Zeus politisch und physisch dominiert.
§ j • d ° v n : = 534; hier schwingt die Bedeutung ‘(Götter-)Wohnsitz’ (z.B. Od. 6.42)
mit (vgl. Zeus’ Vorgehen gegen Hephaistos: 591–594). — s t u f e l ¤ j a i : ‘mit Schlä-
gen vertreiben’ (§k: von der Stelle), vgl. 22.496, Od. 17.234. — f ° r t e r o w : vgl.
186n.
605–611 Die Nachtruhe signalisiert, daß das Szenen-Ende naht. Der Ort für das
Buch-Ende (nicht ursprünglich: GT 5; STR 21 Anm. 22) ist gut gewählt; dennoch
wird auch hier ein Kontinuum unterbrochen. – Zeus wird aus der Gruppe der übri-
gen Götter (606) herausgehoben, wodurch der Erzähler den Neueinsatz vorbereitet
(2.1ff.: dort ausdrücklich mit dem Motiv ‘alle andern … x, A als einziger … y’:
198n.). Vgl. KURZ 1966, 16.
605 2. VH = 5.120, 8.485, ‘Hes.’ fr. 58.12, 362.1 M.-W. — f ã o w ± e l ¤ o i o : VE-For-
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