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Univerza v Mariboru

Filozofska fakulteta

Oddelek za germanistiko

Phraseologie
Kompendium für germanistische Studien

Vida Jesenšek

Maribor, 2013
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Inhalt

Inhalt........................................................................................................................................... 1

Vorwort ...................................................................................................................................... 4

1 Theoretische Grundlagen der Phraseologie ............................................................................ 9

1.1 Begriff und Hauptmerkmale ............................................................................................. 9

1.1.1 Polylexikalität .......................................................................................................... 10


1.1.2 Stabilität .................................................................................................................. 11
1.1.3 Idiomatizität ............................................................................................................ 15
1.1.4 Lexikalisiertheit und Reproduzierbarkeit ................................................................ 19

1.2 Phrasem und Phraseologie ............................................................................................. 20

2 Strukturen, Typen, Klassen .................................................................................................... 24

2.1 Basisklassifikation nach Burger (2010) ........................................................................... 25

2.2 Nominative Phraseme: morphologisch-syntaktische Klassifikation ......................... 26

2.2.1 Substantivische Phraseme ...................................................................................... 27


2.2.2 Verbale Phraseme ................................................................................................... 29
2.2.3 Adjektivische Phraseme .......................................................................................... 30
2.2.4 Adverbiale Phraseme .............................................................................................. 31

2.3 Besondere Strukturtypen nominativer Phraseme ......................................................... 31

2.3.1 Paarformeln ............................................................................................................. 32


2.3.2 Komparative Phraseme ........................................................................................... 35
2.3.3 Phraseologische Teilsätze ....................................................................................... 38

3 Sprichwörter .......................................................................................................................... 40

3.1 Begriff und Hauptmerkmale ........................................................................................... 40

1
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

3.2 Hauptmerkmale.............................................................................................................. 41

3.2.1 Polylexikalität und Satzwertigkeit ........................................................................... 42


3.2.2 Stabilität .................................................................................................................. 43
3.2.3 Idiomatizität ............................................................................................................ 43

3.3 Formen ........................................................................................................................... 44

3.4 Funktionen...................................................................................................................... 49

3.5 Inhalt und Herkunft ........................................................................................................ 51

3.6 Sprichwortsammlungen ................................................................................................. 54

3.7 Sondergruppen ............................................................................................................... 57

3.7.1 Bauernregeln und Wettersprichwörter .................................................................. 57


3.7.2 Rechtssprichwörter ................................................................................................. 60
3.7.3 Medizinische Sprichwörter...................................................................................... 60
3.7.4 Wellerismen ............................................................................................................ 63

3.8 Sprichwortähnliche feste Strukturen ............................................................................. 64

3.8.1 Sentenz .................................................................................................................... 64


3.8.2 Geflügeltes Wort ..................................................................................................... 64
3.8.3 Aphorismus.............................................................................................................. 65
3.8.4 Maxime .................................................................................................................... 66
3.8.5 Epigramm ................................................................................................................ 66

4 Phraseologie im Sprachenlernen .......................................................................................... 68

4.1 Phraseologie als Lern- und Lehrgegenstand .................................................................. 68

4.2 Argumente für die Integration der Phraseologie in das Fremdsprachenlernen ............ 71

4.3 Konsequenzen für das Fremdsprachenlernen ............................................................... 79

4.3.1 Methodisch-didaktische Konsequenzen ................................................................. 80


4.3.2 Praktische Konsequenzen ....................................................................................... 82

2
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Teil A: Glossar ....................................................................................................................... 85

Teil B: Wörterbuchverzeichnis ............................................................................................. 92

Teil C: Literaturverzeichnis ................................................................................................... 95

3
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Jede Sprache ist Bildersprache (Wilhelm Busch)

Vorwort

Das vorliegende Kompendium stellt eine Einführung in grundlegende theoretische und


ausgewählte praktische Aspekte der Phraseologie dar. Phraseologie als eigenständige
sprachwissenschaftliche Forschungsdisziplin ist die Lehre (griech. phrasis 'Rede', logos
'Lehre') von Phrasemen, also von festen Wortverbindungen verschiedenster Art, die auf eine
besondere, in der Regel sehr bildhafte Art und Weise Begriffe versprachlichen und als
vorgefertigte Redeteile beim Sprechen oder Schreiben nicht immer aufs neue produziert
sondern wiederholt, reproduziert werden, vgl.

küss die Hand, Hand in Hand arbeiten, alle/beide Hände voll zu tun haben, von der Hand in
den Mund leben, eine Hand wäscht die andere; Wasser auf jmds. Mühle sein, ein stilles
Wasser, stille Wasser sind tief usw.

Dass man die alltägliche Rede nicht nur und nicht immer aus einzelnen Wörtern frei
gestaltet, ist weit bekannt. Gerade komplexe und vorgefertigte lexikalische Bestandteile der
Rede – in vielen Fällen sind es Phraseme – helfen dem Menschen seit eher, sich bei der
Ausformung der sprachlichen Kommunikation der »Fertigbauweise« zu bedienen und somit
seinen kommunikativen Aufwand zu verringern. Die phraseologische Redeweise ist allen
bekannten natürlichen Sprachen eigen; die alte Tradition entwickelt sich ständig weiter und
lässt neue Phraseme entstehen. Laut der letzten Ausgabe des repräsentativen deutschen
phraseologischen Wörterbuchs aus der Duden-Reihe mit dem Titel Duden Redewendungen.
Wörterbuch der deutschen Idiomatik (2013) sind etwa folgende Phraseme in der deutschen
Sprache neu:

in trockenen Tüchern sein 'gesichert, erfolgreich abgeschlossen, erreicht sein'; die Kuh vom Eis
bringen/kriegen 'ein schwieriges Problem lösen'; (die) unterste Schublade 'niedrigstes Niveau,
billig, gemein'; den Ball flach halten 'sich zurückhalten; unnötiges Risiko, unnötige Aufregung

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

o.Ä. vermeiden'; lass/lasst stecken! 'Ausdruck des Widerspruchs, der


Ablehnung/Zurückweisung'.

Man sieht, dass es sich um ein recht interessantes, besonderes und vielfältiges sprachliches
Phänomen handelt. Das Wesen eines „echten“ Phrasems macht seine charakteristische
semantische Natur aus, denn es gilt, dass „Wortverbindungen, deren Bedeutung nicht dem
entspricht, was den allgemeinen Regeln der Sprache gemäß erwartet würde, /…/ im engen
Sinne phraseologisch /sind/“ (vgl. Palm 1997, 106). Der phraseologische Bestand einer
natürlichen Sprache ist jedoch immer sehr verschiedenartig, sodass man auch von der
Phraseologie im weiteren Sinne sprechen muss, um ihn in seiner Ganzheitlichkeit erfassen
zu können.

Dieser evidente und unverkennbare phraseologische Reichtum weckt in den letzten


Jahrzehnten auch das Interesse der sprachwissenschaftlichen Forschung. Zunächst als
Teildisziplin der Lexikologie (Lehre von Wörtern und Wortschatz) entwickelte sich die
Phraseologie gegenwärtig zu einer eigenständigen linguistischen Disziplin mit gründlich
ausgearbeiteter theoretischer Basis, mit vielfältigen Forschungsmethoden und mit einer
enormen und ständig anwachsenden Zahl von Fachpublikationen.

Die Anfänge der germanistischen Phraseologieforschung gehen auf die 70er Jahre des 20. Jh.
zurück und gründen hauptsächlich auf den früheren russischen phraseologischen Arbeiten
(eine kurze historische Übersicht über die Entwicklung der deutschen Phraseologieforschung
gibt Donalies 2009). Gegenwärtig wird der phraseologische Bestand der deutschen Sprache
aus mehreren verschiedenen linguistischen Perspektiven betrachtet:

- aus der Sicht der Systemlinguistik werden der Gegenstand der phraseologischen
Forschung definiert und die phraseologische von anderen Betrachtungsebenen
abgegrenzt; es werden formale Strukturen analysiert und klassifiziert; es wird
untersucht, wie diese die weitgehend ganzheitliche und in der Regel sehr komplexe
phraseologische Bedeutung konstituieren; bei der Erforschung der phraseologischen
Bedeutung wird in letzter Zeit großer Wert auf kulturell-historische und symbolisch-
semantische Aspekte gelegt;
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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

- aus der funktionalen Perspektive wird dargelegt, wie Phraseme in Texten


vorkommen und welche Funktionen sich am konkreten Phrasemgebrauch
interpretieren lassen;

- aus der kommunikativ-pragmatischen Sicht sucht man nach Antworten auf die
grundlegende pragmatische Fragestellung (Was tue ich, wenn ich ein Phrasem
gebrauche) und man bemüht sich, das reiche pragmatische Potenzial der Phraseme
zu erläutern und zu systematisieren;

- unter der lexikographischen Perspektive setzt man sich damit auseinander, wie
Phraseme in verschiedenartigen Wörterbüchern sowie in neuartigen elektronischen
Sprachressourcen fachgerecht und benutzerfreundlich erfasst sind bzw. erfasst
werden sollten;

- die kontrastive Untersuchungsperspektive ist mit der Suche nach Ähnlichkeiten und
Unterschieden in der Phraseologie mehrerer Sprachen beschäftigt; vor allem
Fragestellungen zu zwischensprachlichen Äquivalenzbeziehungen stoßen auf reges
Forschungsinteresse, zumal die Äquivalenz in mehreren praktischen Bereichen eine
entscheidende Rolle spielt: in der Übersetzung, in der Erarbeitung zweisprachiger
Wörterbücher und im Sprachenlernen;

- unter der sprachdidaktischen Perspektive wird die Phraseologie vor dem Hintergrund
des mutter- und fremdsprachlichen Spracherwerbs bzw. des Sprachenlernens
diskutiert; es interessieren psycholinguistische Aspekte des Phrasem-Erwerbs und
praktische sprachdidaktische Fragen zur Vermittlung der Phraseologie in
Sprachlernprozessen.

Der Inhalt des vorliegenden Kompendiums berücksichtigt einige ausgewählte Perspektiven


der aktuellen germanistischen Phraseologieforschung. Bei der Konzipierung und Erarbeitung
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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

wurde von der grundlegenden germanistischen Referenz- und Forschungsliteratur


ausgegangen, die im Literaturverzeichnis angegeben und für das weiterführende Studium
der deutschen Phraseologie empfohlen wird. Stellenweise (vor allem im kontrastiven und
sprachdidaktischen Bereich) wurde die allgemeine Diskussion durch Ergebnisse eigener
Forschung ergänzt. Hierbei nehmen die zentrale Position drei Forschungsprojekte ein, die ich
in letzter Zeit geleitet habe: das internationale EU-geförderte Projekt EPHRAS, im dessen
Rahmen eine mehrsprachige phraseologische Datenbank und umfangreiche
phraseodidaktische Materialien entstanden sind, das weiterführende parömiologische
Projekt SprichWort, dessen Hauptziel die linguistische Erforschung und sprachdidaktische
Aufbereitung der Sprichwörter mehrerer Sprachen (darunter Deutsch und Slowenisch) auf
korpusempirischer Basis gewesen ist und nicht zuletzt das kontrastive Projekt zur
Phraseologie des Deutschen und Slowenischen, welches durch die Slowenische
Forschungsagentur (ARRS) mitfinanziert wird und bisher bedeutende Kenntnisse zur
deutsch-slowenischen kontrastiven Phraseologie hervorbringen konnte.

Mit diesem Nachschlagewerk zur deutschen Phraseologie werden mehrere Ziele verfolgt:

1. eine Basisübersicht über das Wesen der deutschen Phraseologie und den aktuellen
Stand der germanistischen Phraseologieforschung zu geben;
2. durch eine typologische Darstellung des äußerst heterogenen phraseologischen
Bestands des Deutschen eine systematische Einprägung bei fremdsprachigen
Sprechern zu ermöglichen und somit die Erkennbarkeit bisher womöglich
unbekannter Phraseme zu erhöhen;
3. darzulegen, wie die Phraseologie in textuellen Zusammenhängen üblicherweise
funktioniert und folgerichtig auf typische und somit vorhersehbare
Verwendungsweisen aufmerksam zu machen;
4. aus der kontrastiven (deutsch-slowenischen) Perspektive auf zwischensprachliche
Äquivalenzbeziehungen hinzuweisen und gleichzeitig einige Übersetzungsfragen
anzusprechen;

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

5. die Wichtigkeit der Einbeziehung der Phraseologie in das Sprachenlernen darzulegen


und aktuelle Leistungen der phraseodidaktischen Forschung zu unterbreiten.

Das Kompendium umfasst vier in sich gegliederte Kapitel, in denen einzelne Themenbereiche
theoretisch erläutert und praktisch illustriert werden. Im Anhang findet sich ein kurzes
Glossar mit den wichtigsten Fachtermini, die im Kompendium vorkommen; mit dem Zeichen
 wird im laufenden Text auf die Aufnahme des jeweiligen Fachausdrucks in das Glossar
verwiesen. Im Anhang befinden sich schließlich ein Wörterbuchverzeichnis mit den Angaben
zu den Wörterbüchern, die im Kompendium besprochen werden und ein
Literaturverzeichnis, in dem die grundlegende und aktuelle Fachliteratur zur deutschen
Phraseologie und Parömiologie verzeichnet ist.

Das Kompendium ist durch seine inhaltliche Struktur und vielfältige und umfangreiche
Veranschaulichung der theoretischen Überlegungen mit konkreten Beispielen aus der
Phraseologie des Deutschen in erster Linie für Studierende verschiedener germanistischer
Studiengänge gedacht. Gut geeignet ist er aber auch für angehende und praktizierende DaF-
Lehrer und -lehrerinnen, insbesondere für jene, die im Rahmen des absolvierten
Germanistik-Studiums wenig oder gar nichts von der Phraseologie gehört haben. Schließlich
sollte er für alle, die die phraseologische Redeweise interessant finden und sich mit dem
Reichtum der deutschen Phraseologie näher auseinandersetzen wollen, von Interesse sein.

Maribor und Mannheim, im Januar 2013 Vida Jesenšek

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

1 Theoretische Grundlagen der Phraseologie

INHALT UND ZIELE

In diesem Kapitel wird eine erste Einsicht in theoretische Grundlagen der Phraseologie
gegeben. Es wird dargelegt, was phraseologische Einheiten einer Sprache sind und welche
typischen Eigenschaften sie haben. Dieser Teil ist nicht gänzlich einzelsprachspezifisch
orientiert, obgleich mit zahlreichen Beispielen aus der deutschen Sprache belegt; manche
Erläuterungen gelten z.B. auch für die Phraseologie der slowenischen Sprache.

Nach einer aufmerksamen Lektüre dieses Kapitels werden sie wissen, was Phraseme sind,
welche typischen Eigenschaften sie haben, wie sie sich von andersartigen aber ähnlichen
sprachlichen Phänomenen unterscheiden, wie vielfältig sie sein können und wie sie sie
fachgerecht benennen sollen.

1.1 Begriff und Hauptmerkmale

Im Allgemeinen verstehen wir unter phraseologischen Einheiten einer Sprache, die wir
Phraseme nennen (Phrasem), mehrteilige und feste Wortverbindungen, deren jeweilige
Wort-Kombination den Sprechenden einer Sprache genau in dieser oder eventuell noch in
einer varianten Form bekannt ist. Dazu kommt, dass die Gesamtbedeutung solcher
Wortverbindungen mit der Summe von Bedeutungen einzelner Bestandteile in der Regel
nicht gleichgesetzt werden kann. Vergleichen wir folgende zwei Aussagen:

(1) Kalter Kaffee gefällt mir nicht.

(2) Was er über Japan erzählt, ist doch alles kalter Kaffee. Erstens kann man das in jedem
Fremdenführer nachlesen und zweitens interessiert das gar nicht, denn auf das Wesentliche
kommt er gar nicht zu sprechen.

Während in der Aussage (1) ein Getränk beurteilt wird, können wir die Aussage (2)
keinesfalls mit dem beliebten Getränk in Verbindung setzen. Was in (2) mit kaltem Kaffee
benannt wird, lässt sich an dem zugehörigen Text gut nachvollziehen, nämlich 'etw. ist
altbekannt, abgestanden, sogar dumm und deshalb völlig uninteressant'. Man sieht, dass

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Phraseme in ihrer Bedeutungsdimension ganzheitlich funktionieren und Begriffliches


benennen – in dieser Hinsicht kann man sie mit einzelnen Wörtern vergleichen und als
Bestandteile des Wortschatzes auffassen. Phraseme sind somit ganzheitliche Einheiten des
Wortschatzes, des Lexikons; sie sind Lexeme (Lexem).

Da Phraseme keinesfalls einfache sondern komplexe und manchmal komplizierte


Konstruktionen sind, ist es auch nicht einfach, sie zu definieren und somit klar und deutlich
von andersartigen und/oder ähnlichen mehrteiligen sprachlichen Phänomenen auf der
Wortschatzebene abzugrenzen. In der umfangreichen Fachliteratur zur Phraseologie
(Phraseologie) findet man zahlreiche Definitionen, in denen bei der Begriffsbestimmung
mit je unterschiedlichem Gewicht morphologische, syntaktische und semantische Phrasem-
Eigenschaften eine Rolle spielen. Man ist sich jedoch einig, dass die Mehrheit der sonst sehr
heterogenen Phraseme einige gemeinsame Merkmale aufweisen. Im Folgenden werden
diese in ihren Wesenszügen dargelegt und anhand konkreter deutscher Phraseme illustriert.

1.1.1 Polylexikalität

Das Merkmal der Polylexikalität, auch Mehrgliedrigkeit (Polylexikalität) meint die


Tatsache, dass Phraseme aus mehreren (poly, griech. polus 'viele, viel') Wörtern (griech. lexis
'Wort') bestehen; sie sind somit polylexikal (mehrgliedrig). Wie viele Wörter eine
phraseologische Struktur ausmachen – gerade dazu gibt es aber verschiedene Meinungen.
Schwierigkeiten bereiten vor allem uneinheitliche Bestimmungen dessen, was ein Wort
überhaupt ist; in der Linguistik wird der Begriff des Wortes nämlich sehr unterschiedlich
aufgefasst und interpretiert. Wir vereinfachen hierbei die Diskussion und übernehmen die
gegenwärtig übliche und verbreitete Auffassung der phraseologischen Polylexikalität.
Danach setzt man Grenzen einer phraseologischen Einheit des Wortschatzes durch eine
minimale und eine maximale Phrasem-Struktur ab:

- Phraseme mit Minimalstruktur sind Verbindungen von zwei Wörtern, von denen
mindestens ein Wort autosemantisch sein muss, vgl.
- blinder Passagier; frei Haus; auf Anhieb, im Nu
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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

- Phraseme mit Maximalstruktur sind Verbindungen von Wörtern, die eine


Satzstruktur darstellen; man nennt sie auch satzwertige Phraseme bzw.
Satzphraseme, vgl.

Übung macht den Meister; Wer rastet, der rostet; Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder,
große Sorgen; Ohne Fleiß kein Preis; Verflixt und zugenäht!.

Die meisten deutschen Phraseme befinden sich auf einer Skala zwischen der Minimal- und
Maximalstruktur; man nennt sie auch satzgliedwertige Phraseme, da sie im Satz die
Satzglied-Funktion übernehmen (sie treten als Subjekt, Objekt, Prädikat, Attribut, adverbiale
Bestimmung auf), vgl.

Mutter Grün; Nummer Eins; das Auge des Gesetzes; das älteste Gewerbe der Welt; Liebe auf
den ersten Blick

sich auf die Beine machen; die Flinte ins Korn werfen; nicht von der Luft leben können; sich
benehmen wie ein Elephant im Porzellanladen

fix und fertig; klipp und klar.

Einzelne Elemente (Wörter) eines Phrasems nennt man Komponenten (Komponente).

1.1.2 Stabilität

Eine weitere begriffsbestimmende Phrasem-Eigenschaft ist das Merkmal der Stabilität, auch
Festigkeit (Stabilität). Damit wird gesagt, dass Phraseme in ihrer formalen Struktur und
folgerichtig in ihrer Bedeutung fest, stabil sind. Laut Burger (2010, 16ff.) sollte man die
phraseologische Stabilität auf drei Ebenen betrachten; auf der psycholinguistischen,
strukturellen und pragmatischen Ebene.

Die psycholinguistische Stabilität

meint, dass Phraseme im mentalen Lexikon ganzheitlich gespeichert sind und als solche nach
Bedarf abgerufen und beim Sprechen oder Schreiben reproduziert werden können. Ihr
kognitiver Status wird vor allem innerhalb der Sprachdidaktik besprochen, um damit die
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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Integration der Phraseologie in das Sprachenlernen zu begründen. (Näheres zum kognitiven


Status der Phraseologie finden sie in Kap. 4).

Die strukturelle Stabilität

betrifft die phraseologische Form bzw. die Phrasem-Struktur. Es wird dadurch gesagt, dass
die jeweilige Kombination von Wörtern genau in dieser (und möglicherweise noch in einer
varianten) Form bei den Sprechern einer Sprache bekannt ist.

Das Merkmal der strukturellen Stabilität ist aber nicht absolut zu verstehen. Man kann
nämlich relativ wenige Phraseme finden, deren Struktur völlig unveränderbar wäre; vielmehr
sind sie bis zu einem gewissen Grad variabel.

Eine absolute Festigkeit beobachtet man bei Phrasemen mit unikalen Komponenten, also bei
Phrasemen mit veralteten bzw. seltenen Lexemen, die phrasemextern als freie Wörter in der
Regel nicht vorkommen, vgl. gang, gäbe, klipp, Nu, rümpfen, Laufpass, Schnippchen in
folgenden Beispielen:

gang und gäbe, klipp und klar, im Nu, die Nase rümpfen, jm. den Laufpass geben, jm. ein
Schnippchen schlagen.

Einen hohen Festigkeitsgrad beobachtet man ebenso bei Phrasemen, deren Formen
morphologische und/oder syntaktische Irregularitäten nachweisen; sie weichen also von der
üblichen grammatischen Regelung aus, was ihre Festigkeit verstärkt. Das gilt für erstarrte
bzw. archaische grammatische Konstruktionen wie z.B. Gebrauch des unflektierten
attributiven Adjektivs, des Genitivobjekts, des adverbialen und vorangestellten Genitivs, der
anomale Gebrauch des Artikels, vgl.

etw. frei Haus liefern, sich bei jm. liebkind machen, Gut Ding will Weile haben (unflektiertes
Adjektiv)

guter Hoffnung sein, schweren Herzens, letzten Endes, jn. eines Besseren belehren, in (des)
Teufels Küche kommen (vorangestellter Genitiv)

vor Ort, auf Draht sein (anomaler Artikel).


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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

In vielen Fällen sind bestimmte morphologische und syntaktische Umgestaltungen


(Transformationen) der Phrasem-Strukturen beschränkt. So kann z.B. die Pluralbildung,
Relativsatzbildung, Passivierung, Konversion oder Pronominalisierung einzelner
Komponenten nicht möglich sein, vgl.

*kalte Kaffees (Plural zu kalter Kaffee)

*der Korb, den er mir gegeben hat (Relativsatz zu jm. den Korb geben)

*Die Flinte wurde ins Korn geworfen; *der Wurf der Flinte ins Korn; *Sie wurde ins Korn
geworfen (Passiv, Konversion und Pronominalisierung einer Phrasem-Komponente zu die
Flinte ins Korn werfen) (zit. nach Donalies 2009).

Wie bereits angedeutet, soll man die strukturelle Festigkeit bei der Mehrzahl der Phraseme
nicht absolut verstehen. Beobachtet man nämlich ihr textuelles Vorkommen, so sieht man,
dass relativ wenige völlig stabil sind (so vor allem solche mit unikalen Komponenten bzw.
erstarrt-archaischen grammatischen Strukturen, wie wir oben gesehen haben). Vielmehr gilt,
dass die Mehrheit der Phraseme zu einem bestimmten Grad veränderlich ist. So muss man
die Stabilität als eine graduell ausgeprägte Eigenschaft betrachten und für die meisten
Phraseme Folgendes feststellen:

- sie sind erweiterungsfähig, vgl.

einen großen Bock schießen (zu einen Bock schießen), den roten Faden verlieren (zu den
Faden verlieren), klar auf der Hand liegen (zu auf der Hand liegen)

- Phrasem-Komponenten sind gegebenenfalls grammatisch variabel (Numerus,


bestimmter/unbestimmter Artikel, variable Negation), vgl.

etw. in jmds. Hand/Hände legen, das/sein Herz auf der Zunge tragen, jm. keinen/nicht den
Bissen Brot gönnen

- Phrasem-Komponenten sind (semantisch zwar eingeschränkt) austauschbar, vgl.

die Ruhe/Stille vor dem Sturm, jm. eine/ein paar herunterhauen; ein Gesicht wie
drei/sieben/zehn/vierzehn Tage Regenwetter machen

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

- Phrasem-Strukturen sind weitgehend syntaktisch abwandelbar; das gilt verstärkt für


satzwertige Phraseme wie etwa Sprichwörter, die sich der jeweiligen textuellen
Umgebung leicht anpassen, vgl.

Nach 22 Jahren Vorstandsarbeit, davon 16 Jahre im Amt des Vorsitzenden, hat Wolfgang
Müller nicht mehr für den Posten des Vorsitzenden der Bibliser Feuerwehr kandidiert. "Es hat
sich in den letzten Jahren gezeigt, dass man nicht gleichzeitig auf zwei Hochzeiten tanzen
kann" (SprichWort, 2010).

Die Phraseologieforschung spricht hierbei von Varianten (Variante) und Modifikationen


(Modifikation) (Burger 2010, 24ff.). Varianten sind usuelle, d.h. wiederholte, häufig
vorkommende Phrasem-Abwandlungen, vgl.

klar auf der Hand liegen vs. auf der Hand liegen

die Maske fallen lassen vs. die Maske von sich werfen.

Modifikationen sind dagegen gelegentliche, einmalige, nur auf einen konkreten Text
gebundene Umgestaltungen der phraseologischen Ausgangsformen, vgl.

WC-Ente verdient Ihr Vertrauen. Ente gut, alles gut (Werbungsslogan; zum Sprichwort Ende
gut, alles gut).

Varianten und Modifikationen sind insbesondere als gezielt gesetzte stilistische Mittel in
meinungsbeeinflussenden Textsorten wie Werbung, journalistischer Kommentar, Glosse,
Schlagzeile gut geeignet; sie werden als Ausdruck des kreativ-spielerischen Umgangs mit der
Sprache interpretiert.

Die pragmatische Stabilität

bezieht sich auf typische kommunikative Situationen, in denen Phraseme verwendet werden
und zugleich auf typische pragmatische Funktionen, die dadurch realisiert werden. Laut
Burger (2010, 28ff.) unterscheiden wir hierbei zwei Phrasem-Klassen:

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Phraseme, die in ganz bestimmten Situationstypen auftreten: dazu zählen vor allem
kommunikative/pragmatische Phraseme (Routineformeln) wie Grußformeln,
Abschiedsformeln, Glüchwunschformeln, Beileidsformeln u.Ä., vgl.

Guten Tag, Auf Wiedersehen, Herzlichen Glückwunsch.

Die pragmatische Stabilität ist somit vor allem situations- und funktionsbezogene
Eigenschaft bestimmter Phraseme; so kann man voraussehen, dass Guten Tag und Auf
Wiedersehen immer dann verwendet werden, wenn ein Beginn bzw. ein Abschluss der
Kommunikation mit anderen markiert werden soll.

Zur zweiten Klasse werden Phraseme gezählt, deren Funktion darin besteht, dass sie die
Kommunikation steuern; vorrangig verwendet man sie in gesprochener Sprache, vgl.

Nicht wahr?, ich meine/denke…, siehst/verstehst du?; nach meiner Meinung, ich meine.

Man spricht hierbei generell darüber, dass bestimmte Typen von Phrasemen
gesprächssteuernde Funktionen haben.

1.1.3 Idiomatizität

Das Merkmal der Idiomatizität (Idiomatizität) gilt traditionell als Hauptkriterium zur
Unterscheidung zwischen phraseologischen und freien Wortverbindungen. Während sich die
Ersteren durch eine phraseologische, idiomatische (auch figurative, metaphorische,
übertragene) Bedeutung ausweisen würden, hätten die Letzteren eine wörtliche (auch
literale, direkte, konkrete, freie) Bedeutung, vgl.

ein schiefes Gesicht machen 'missvergnügt schauen' (phraseologische Wortverbindung)

ein schönes Gesicht haben (freie Wortverbindung).

Die Eigenschaft der Idiomatizität (griech. idioma ‚Eigentümlichkeit, Irregularität‘) meint also
die Tatsache, dass bei der Mehrzahl der Phraseme ihre phraseologische Bedeutung aus der
Summe der Bedeutungen einzelner Bestandteile (Komponenten) nicht erschließbar ist. Es

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

handelt sich also um die Umdeutung, semantische Transformation aller oder einzelner
Komponenten der jeweiligen Phrasem-Struktur, vgl.

nur Bahnhof verstehen 'nicht richtig, überhaupt nichts verstehen' (eine umgedeutete
Komponente)

keine Rose ohne Dornen 'auch bei der schönsten Sache gibt es Nachteile' (alle Komponenten
sind umgedeutet).

Erst die feste Verbindung der Komponenten ergibt eine neue, ganzheitliche phraseologische
Bedeutung. Man sieht, dass ein irreguläres Verhältnis zwischen der Bedeutung einzelner
Komponenten und der ganzheitlichen Phrasem-Bedeutung besteht. Die reguläre,
phrasemexterne Bedeutung des Wortes Bahnhof und die ganzheitliche Bedeutung des
Phrasems nur Bahnhof verstehen stehen in einer unvereinbaren Beziehung zueinander.

Bei vielen Phrasemen ist jedoch die semantische Verknüpfung einzelner Komponenten
sowohl regulär als auch irregulär; vgl. folgende Beispiele, bei denen sowohl eine wörtliche
als auch eine phraseologische Lesart möglich ist:

jm. den Zahn ziehen: 'durch Ziehen entfernen' vs. 'jdn. eine Illusion nehmen, jn. ernüchtern'

goldener Käfig: 'Käfig aus Gold' vs. 'Unfreiheit, Gebundenheit trotz großen Wohlstands,
Komforts'

auf dem Sand sitzen: 'auf der feinkörnigen, lockeren Substanz sitzen' vs. 'nicht mehr
weiterkönnen'

etw. an die Wand malen: 'etw. (Bild, Skizze) an die Wand malen' vs. 'etw. als Bedrohung
voraussagen od. behaupten'.

Die Phraseologie- und Semantikforschung sprechen hierbei über die semantische Ambiguität
(Ambiguität). Sehr oft wird diese Eigenschaft bei gelegentlichen (okkasionellen) kreativ-
spielerischen textuellen Gebrauchsweisen der Phraseologie ausgenutzt, vgl.

Beim Zahnarzt: Nun mach’ den Mund schön weit auf und beiße die Zähne zusammen!

Der Ober zum Bier trinkenden Gast: Warum schließen Sie denn beim Trinken immer die
Augen? Der Arzt hat gesagt, ich soll nicht zu tief ins Glas gucken.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Betrachtet man den phraseologischen Bestand einer Sprache vor dem Hintergrund der
semantischen Umdeutung, so stellt man fest, dass diese entweder alle oder nur einige bzw.
keine Phrasem-Komponenten betrifft. So wird zwischen vollidiomatischen, teilidiomatischen
und nichtidiomatischen Phrasemen unterschieden.

Vollidiomatische Phraseme

sind Phraseme, bei denen alle Komponenten umgedeutet sind und die keine wörtliche Lesart
zulassen. Die phraseologische Bedeutung lässt keinen direkten Zugang zu den
phrasemexternen Bedeutungen einzelner Komponenten und eine eventuelle wörtliche
Interpretation führt zu absurden Bedeutungsinterpretationen, vgl.

mit allen Wassern gewaschen sein 'sehr gerissen sein, alle Tricks kennen'

jm. zu Kopf steigen 1. 'benommen, leicht betrunken sein', 2. 'jn. eingebildet, überheblich
machen'

aus der Haut fahren 'wütend, werden'.

Derartige Phraseme werden als unmotiviert, intrasparent, opak bezeichnet; die wörtliche
Bedeutung einzelner Komponenten erlaubt keinerlei Rückschlüsse auf die jeweilige
phraseologische Bedeutung.

Teilidiomatische Phraseme

sind Phraseme, bei denen einige Komponenten umgedeutet sind und andere noch wörtliche
Lesart zulassen, vgl.

eine Fahrt ins Blaue 'Ausflugsfahrt ohne ein festgelegtes Ziel'

faul wie die Sünde 'sehr faul'

etw. auf die lange Bank schieben 'etw. aufschieben, hinauszögern'.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Derartige Phraseme werden als teilmotiviert bezeichnet; die behaltene wörtliche Bedeutung
einzelner Komponenten erlaubt Rückschlüsse auf die jeweilige phraseologische Bedeutung.

Nichtidiomatische Phraseme

sind Phraseme, bei denen wir keine Umdeutung einzelner Komponenten feststellen können,
vgl.

gesammelte Werke 'Gesamtheit dessen, was jemand in schöpferischer Arbeit hervorgebracht


hat'

öffentliche Meinung 'im Bewusstsein der Allgemeinheit vorherrschende Auffassungen


hinsichtlich bestimmter (politischer) Sachverhalte'

gesunder Menschenverstand 'der normale, klare Verstand eines Menschen'.

Solche feste und mehrgliedrige Wortverbindungen, die wohl auch mit fehlender
Idiomatizität als Wortschatzeinheiten aufgefasst werden können, werden erst in der
neueren Forschung zur Phraseologie im weiteren Sinn gezählt und oft unter der Bezeichnung
Kollokation behandelt (Kollokation). Dadurch wird zugleich klar, dass das Merkmal der
Idiomatizität nicht mehr als unentbehrliches Merkmal der Phraseologie verstanden wird. So
legen wir mit Donalies (2009, 22) fest, dass Phraseme idiomatisch sein können, jedoch nicht
unbedingt idiomatisch sein müssen.

Die Annahme von Idiomatizität als grundlegender Eigenschaft der Phraseologie ist in
mehrerer Hinsicht fraglich. Nennen wir nur die wichtigsten Problemstellungen:

- durch die Linguistik (und Philosophie) werden recht verschiedene Auffassungen


vertreten, was eine wörtliche bzw. nichtwörtliche (idiomatische, übertragene,
metaphorische) Bedeutung sei
- die Idiomatizität ist nicht nur auf die phraseologische Redeweise beschränkt, denn
vielmehr gelten Metaphern als allgemeinsprachliche Phänomene (Donalies 2009,
22ff.)

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

- man kennt bisher keine zuverlässigen Methoden zur Bestimmung der


Unmotiviertheit bzw. Undurchsichtigkeit.

Auch wenn wir bei der traditionellen Idiomatizitätsvorstellung bleiben, müssen wir
festhalten, dass das Merkmal der Idiomatizität eine graduell ausgeprägte Eigenschaft der
Phraseme darstellt. Der jeweilige Idiomatizitätsgrad hängt damit zusammen, inwiefern
einzelne Phrasem-Komponenten noch eine wörtliche Lesart zulassen bzw. inwieweit
einzelne Phrasem-Komponenten umgedeutet sind.

1.1.4 Lexikalisiertheit und Reproduzierbarkeit

Werden Phraseme als ganzheitliche Lexikon-Einheiten aufgefasst, so gilt es, dass sie
statusmäßig mit Einwortlexemen vergleichbar sind, sie sind also Lexeme. Das bedeutet
weiterhin, dass man sie im Sprachgebrauch nicht immer wieder neu produziert, sondern
dass man sie als vorher bestimmte feste Wortverbindungen reproduziert, wiederholt. Das
Merkmal der Lexikalisiertheit (Lekalisiertheit) meint also die Tatsache, dass Phraseme als
relativ feste syntaktisch-semantische Einheiten im Lexikon einer Sprache ganzheitlich
gespeichert sind und dass die Mehrheit der Sprecher dieser Sprache sie als solche erkennt
(Palm 1994, 36). Das Merkmal der Reproduzierbarkeit (Reproduzierbarkeit) ergibt sich
folgerichtig aus mehreren bisher besprochenen Phrasem-Eigenschaften: reproduziert
werden feste Wortverbindungen mit Lexem-Status. Das bedeutet weiterhin, dass Phraseme
in vergleichbarer Weise wie Einzellexeme in frühen Spracherwerbsphasen erworben und im
Sprachgebrauch verwendet werden. (Zum Phrasem-Erwerb lesen sie ausführlicher in Kap. 4).

Die hier besprochene Eigenschaft der Lexikalisiertheit soll allerdings nicht mit der
lexikographischen Kodifiziertheit eines Phrasems gleichgesetzt werden. Die lexikographische
Kodifiziertheit meint nämlich die Erfassung in einem lexikographischen Nachschlagewerk,
etwa in einem Wörterbuch. Es stimmt zwar, dass Phraseme in den allgemeinen und
speziellen Wörterbüchern vielfach dokumentiert, d.h. lexikographisch kodifiziert sind,
allerdings besagt die Lexikalisiertheit eine gesellschaftlich akzeptierte Festigung im

19
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Wortschatz einer Sprache, die nicht automatisch auch die Erfassung im Wörterbuch mit
einbezieht.

1.2 Phrasem und Phraseologie

Nachdem wir die wichtigsten phraseologischen Eigenschaften (Polylexikalität, Stabilität,


Idiomatizität, Lexikalisiertheit und Reproduzierbarkeit) kurz erläutert und illustriert haben,
können wir Phraseme wie folgt definieren:

Phraseme sind relativ stabile (feste) Wortverbindungen. Ihr Umfang bewegt sich zwischen
der phraseologischen Minimalstruktur (Verbindung von zwei Wörtern) und einer
phraseologischen Maximalstruktur (satzwertige Wortverbindungen). Sie sind
vorgegebene, vorgeprägte Wortschatzeinheiten mit Lexemstatus und konventionalisierter
ganzheitlicher Bedeutung. Diese kann in der Regel nicht mit der Summe von Bedeutungen
einzelner Bestandteile gleichgesetzt werden. In textueller Umgebung treten sie als
syntaktisch-semantische Einheiten auf.

Somit zählen folgende Beispiele zum phraseologischen Bestand der deutschen Sprache:

Hand in Hand arbeiten, alle/beide Hände voll zu tun haben, von der Hand in den Mund leben,
Wasser auf jmds. Mühle sein

ein stilles Wasser, blinder Passagier, kalte Dusche, Liebe auf den ersten Blick

gang und gäbe, fix und fertig, hie und da, Tag und Nacht

eine Hand wäscht die andere, stille Wasser sind tief

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

Guten Tag, küss die Hand, da haben wir den Salat.

Man sieht, dass sie sich sowohl formal-strukturell als auch semantisch-pragmatisch
voneinander unterscheiden. In der Tat fasst man unter Phraseologie recht verschiedene
Phänomene zusammen. Gegenwärtig beobachtet man sogar eine weitere Ausbreitung des
20
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

phraseologischen Gegenstandsbereichs, da aus der Sicht des konstruktivistischen


Sprachverständnisses die Formelhaftigkeit in der Rede eine immer größere Rolle spielt.

Um die stark heterogenen phraseologischen Bestände einzelner Sprachen systematisch und


realitätsgerecht zu erfassen, wird in der Forschung zwischen einer engen und einer weiten
Auffassung von Phraseologie unterschieden (u.a. Burger 2010, 14f.).

Phraseologie im engeren Sinn

umfasst satzgliedwerige Phraseme, die die Eigenschaft der Polylexikalität, Stabilität und
Idiomatizität aufweisen; mitunter werden sie mit dem Fachausdruck Idiom benannt. Von
den oben aufgezählten Beispielen gehören zu dieser Gruppe folgende:

Hand in Hand arbeiten, alle/beide Hände voll zu tun haben, von der Hand in den Mund leben,
Wasser auf jmds. Mühle sein; ein stilles Wasser, blinder Passagier, kalte Dusche, Liebe auf
den ersten Blick; gang und gäbe, fix und fertig, hie und da, Tag und Nacht.

Phraseologie im weiteren Sinn

umfasst darüber hinaus auch pragmatische Phraseme (Routineformeln), Kollokationen,


satzwertige vorgeprägte Konstruktionen (Sprichwörter, Antisprichwörter, geflügelte Worte,
Slogans, sog. Mikrotexte u.ä.), vgl.

pass mal auf, wie schon gesagt wurde; guten Tag, küss die Hand; da haben wir den Salat,
verflixt noch mal!; eine Hand wäscht die andere, stille Wasser sind tief, Reden ist Silber,
Schweigen ist Gold; zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Artzt oder Apotheker
u.a.

Die formale und somit auch semantisch-pragmatische Vielfältigkeit führt zur Unterscheidung
von nicht wenigen phraseologischen Teilklassen. Auf diese wird in Kap. 2 und 3 eingegangen.

1.3 Terminologie

Im vorherigen Kap. wurde festgestellt, dass die Phraseologie einen äußerst heterogenen
lexikalischen Bereich darstellt. Dementsprechend heterogen ist auch die Terminologie, die
21
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

auf verschiedenartige Forschungsansätze und Betrachtungsperspektiven zurückgeht. Die


meisten Termini, die in der germanistischen phraseologischen Forschung mit
unterschiedlicher Gewichtung in Gebrauch sind, haben einen griechisch-lateinischen
Ursprung:

- griech.-lat. phrasis 'rednerischer Ausdruck':


Phrasem, Phraseologismus, Phraseolexem, Phrase, Phraseotextem, phraseologische
Einheit
- griech. idioma 'Eigentümlichkeit, eigentümlicher Ausdruck':
Idiom, idiomatische Wendung/Redewendung, idiomatische Phrase, idiomatische
Lexemkette u.a.

Darüber hinaus sind in der deutssprachigen phraseologietheoretischen Literatur noch viele


weitere Ausdrücke zu finden, mit denen man versucht, charakteristische phraseologische
Eigenschaften hervorzuheben:

- Polylexikalität: Phrasem, Phraseologismus, Satzlexem


- Stabilität: feste Wortgruppe/Verbindung, festes Syntagma, fixiertes Wortgefüge,
festgeprägter Satz
- Idiomatizität: Idiom, idiomatische Wendung/Redewendung, idiomatische Phrase,
idiomatische Lexemkette
- ganzheitliche Semantik: Phraseolexem, Wortgruppenlexem, phraseologische Einheit.

Inzwischen hat sich in der germanistischen Forschung der Terminus Phrasem durchgesetzt
(analog zu Phonem, Morphem, Lexem), der als generischer Oberbegriff für den stark
heterogenen Bestand phraseologischer Einheiten steht, die zum Forschungsgegenstand
Phraseologie angehören. Der Ausdruck Phraseologie (Phraseologie) hat zwei
Bedeutungen: er bezeichnet die Forschungsdisziplin (in Übereinstimmung mit Morphologie,
Lexikologie u.a.) und benennt zugleich den Gegenstand dieser Disziplin.

22
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Aus der frühen phraseologischen und volkskundlichen Forschung sind die Termini
Redewendung, Redensart, sprichwörtliche Redensart bekannt. Obgleich sie nach wie vor in
Gebrauch sind (Duden 2013), werden sie hier nicht verwendet.

In Konkurrenz zu Phrasem bzw. Phraseologie stehen die Ausdrücke Idiom und Idiomatik. Das
Wort Idiom (Idiom) ist zwar mehrdeutig; ursprünglich wurde es im Sinne von 'Dialekt,
Mundart, Idiolekt' verwendet. Neuerdings kommt es auch in der Phraseologieforschung vor,
jedoch ist er in der germanistischen deutschsprachigen Forschung viel seltener zu finden als
im angelsächsischen Raum, wo er überwiegt (idiom).

Nicht zuletzt ist im Rahmen der Terminologiedarlegung zu betonen, dass die vielen
terminologischen Ausdrücke mit phras- nicht mit der pejorativen Bedeutung des Lexems
Phrase als 'nichtssagende, inhaltsleere Redensart' zu vergleichen oder sogar gleichzusetzen
sind.

Weiterführende Literatur

Zu den hier besprochenen Grundfragen der phraseologischen Sprach- und


Forschungsbereichs können sie in mehreren grundlegenden Referenzwerken nachlesen, vgl.
u.a. Burger/Buhofer/Sialm (1982), Palm (1997), Fleischer (1997), Donalies (2009) Burger
(2010). – Eine ausführliche und vertiefte Übersicht über das gesamte phraseologische
Forschungsfeld ist Burger et al. (2007).

23
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

2 Strukturen, Typen, Klassen

INHALT UND ZIELE

Dieser Kapitel setzt sich mit Prinzipien und Kriterien der Phrasem-Klassifikation auseinander.
Dargelegt und mit zahlreichen Beispielen illustriert werden die wichtigsten Klassen und
Sonderstrukturen, die man am Bestand der deutschen Phraseme beobachten kann.

Wenn sie das Kapitel gründlich durcharbeiten, so werden sie die wichtigsten Klassen der
deutschen Phraseme kennen. Dadurch werden sie auch bisher unbekannte Phraseme in den
deutschsprachigen Texten besser identifizieren und interpretieren können.

In Kap. 1 wurde betont, dass Phraseme ein sehr vielfältiges, heterogenes Bild zeigen und so
ist es auch nicht einfach, sie systematisch zu erfassen. Mehrere verschiedene Kriterien und
Prinzipien sind aus der bisherigen Phraseologieforschung bekannt, auf deren Basis
phraseologische Klassen und Teilklassen festgelegt worden sind. Für die Zwecke dieses
Kompendiums wird nachfolgend der Klassifikationsvorschlag von Burger (2010, 33ff.) in
seinen wesentlichen Zügen übernommen und durch morphologisch-syntaktische
Klassifikationskriterien ergänzt. Die Letzteren werden in Burger (2010) lediglich am Rande
angesprochen und mit Recht auch problematisiert. Es zeigt sich nämlich, dass der vielfältige
Bestand der deutschen Phraseologie sich nur mit der Festlegung ihrer morphologisch
bedingten syntaktischen Eigenschaften nicht befriedigend erschließen lässt. Für das hier
verfolgte Ziel, eine Basisübersicht über die formale Strukturiertheit der deutschen
Phraseologie zu geben, werden sie jedoch als brauchbar angesehen.

Bei den bisherigen Klassifikationsversuchen werden syntaktische, semantische und


pragmatische Klassifikationskriterien miteinander kombiniert, allerdings mit
unterschiedlicher Gewichtung, sodass dementsprechend auch einzelne Klassen und
Subklassen sich voneinander zum Teil unterscheiden. Man sieht, dass die phraseologische
Ebene der Sprache im Vergleich mit der Wortbildung und Morphologie ein weniger
ausgeprägtes System von Strukturtypen und Bildungselementen aufweist. Das führt
24
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

stellenweise zu mehrfachen bzw. unterschiedlichen Klassen-Zuordnungen und


Übergangsbereichen, da eine klare Abgrenzung einzelner Phrasemtypen zum Teil nicht
möglich ist.

2.1 Basisklassifikation nach Burger (2010)

Betrachtet man Phraseme als sprachliche Zeichen, d.h. als formale, inhaltliche und
funktionale Wortschatzeinheiten (Zeichen-Kriterium), so ergibt sich daraus eine erste
klassifikatorische Unterscheidung:

Referentielle Phraseme

beziehen sich auf Objekte, Vorgänge, Sachverhalte, Begriffe der wirklichen und/oder der
fiktiven Welt, vgl.

grüne Minna, mit offenen Karten spielen, Mogenstund(e) hat Gold im Mund(e).

Strukturelle Phraseme

stellen grammatische Relationen her, vgl.

in Bezug auf, sowohl als auch, entweder oder.

Kommunikative Phraseme (pragmatische Phraseme, Routineformeln)

helfen bei der Herstellung, dem Vollzug, der Beendigung kommunikativer Handlungen. Ihre
Funktion ist zugleich ihre Bedeutung, sie gliedern den Text, steuern die Kommunikation u.Ä.,
vgl.

guten Morgen, ich denke, meiner Meinung nach, nicht wahr? hör mal, ich würde sagen,
verflixt und zugenäht.

25
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Referentielle Phraseme unterscheiden sich weiterhin in der allgemeinen Semantik


(semantisches Kriterium). Sie sind entweder nominative Phraseme und bezeichnen Objekte
bzw. Vorgänge (grüne Minna, mit offenen Karten spielen) oder propositionale Phraseme, die
als satzwertige Aussagen über Objekte bzw. Vorgänge vorkommen (Mogenstund(e) hat Gold
im Mund(e)).

Beobachtet man die Klasse der nominativen Phraseme zusätzlich unter den syntaktischen
Kriterien, so werden sie weiterhin zweigeteilt: sie sind entweder satzgliedwertig oder
satzwertig/textwertig. Die Ersteren übernehmen im Satz die Funktion eines Satzgliedes oder
Teilsatzgliedes, die Letzteren sind Sätze bzw. Texte.

Unter Einbeziehung der semantischen Kriterien, die auf das Merkmal der Idiomatizität
ausgerichtet sind, unterscheidet man zwischen voll-, teil- und nichtidiomatischen
nominativen und propositionalen Phrasemen (vgl. hierzu Erläuterungen zum Merkmal der
Idiomatizität in Kap. 1). Bei den nicht- bzw. schwachidiomatischen satzgliedwertigen
Phrasemen handelt es sich in vielen Fällen um Kollokationen, phraseologische Fachtermini
und onymische Wortverbindungen.

2.2 Nominative Phraseme: morphologisch-syntaktische Klassifikation

Die morphologisch-syntaktische Klassifikation ist eine weit verbreitete (obgleich auch


kritisierte, vgl. Burger 2010) Art der Klassifikation, wonach Phraseme in Bezug auf ihre
potentiellen syntaktischen Funktionen unterschieden und gruppiert werden. Entscheidend
für die Gruppenzuordnung sind die jeweilige Kern-Komponente des Phrasems und
entsprechende syntaktische Funktionen sowie morphologische Paradigmen (Deklination,
Konjugation).

26
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

In Bezug auf die Wortart der Komponenten, potentielle syntaktische Funktionen und
morphologisches Paradigma unterscheidet man zwischen substantivischen, verbalen,
adjektivischen und adverbialen Phrasemen. Nachfolgend werden einzelne Klassen kurz
dargelegt und mit Beispielen veranschaulicht.

2.2.1 Substantivische Phraseme

Die substantivischen Phraseme kommen im Satz als Subjekt, Objekt oder substantivisches
Attribut vor; man nennt sie auch Nominal- bzw. Substantivphraseme. Der semantisch-
syntaktische Kern ist immer ein Substantiv, welches mit verschiedenen Attributen die
phraseologische Wortverbindung bildet. Folgende syntaktische Strukturen deutscher
substantivischer Phraseme kann man beobachten:

- vorangestelltes adjektivisches Attribut + Substantiv (ein sehr produktives Modell),


vgl.

grüne Minna 'Transportwagen der Polizei'; blauer Brief 1. 'Kündigungsschreiben', 2.


'Mahnbrief'; verbotene Früchte 'verlockende, aber verbotene Genüsse'; ein frommer Wunsch
'eine ehrenwerte, aber falsche Vorstellung, eine Illusion'; ein offenes Geheimnis 'etw., was
zwar allgemein bekannt ist, offiziell aber noch geheim gehalten wird'; die letzte Stunde
'Todesstunde'; der kleine Mann 1. 'Durchschnittsmensch', 2. 'Penis'; der große/dicke Onkel
'der große Zeh'; eine Frucht der Liebe 'ein uneheliches Kind'

- Substantiv + nachgestelltes adjektivisches Attribut (im heutigen Deutsch sehr selten,


dazu grammatisch irregulär (unflektiertes Adjektiv), zum Teil veraltet), vgl.

Forelle blau, Kaffee verkehrt, Röslein rot

- Substantiv + Genitivattribut (nachgestellt), vgl.

das Auge des Gesetzes 'die Polizei'; das Ei des Kolumbus 'eine überraschend einfache Lösung';
der Stein des Anstoßes 'die Ursache eines Ärgernisses'; die Spitze des Eisberges 'der offen
liegende, kleinere Teil einer misslichen, üblen Sache, die in Wirklichkeit weit größere Ausmaße
hat'; der Duft der großen, weiten Welt 'das Flair der Weltoffenheit, Freiheit, Unabhängigkeit'

- Substantiv + Genitivattribut (vorangestellt, sehr selten), vgl.

27
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

des Pudels Kern 'die eigentliche verborgene Ursache'

- Substantiv + präpositionales Attribut, vgl.

Hans in Glück 'ein Glückspilz'; Halbgötter in Weiß 'Ärzte'; ein Fels in der Brandung 'jm., der
unerschütterlich, unbeirrt ist'; eine Fahrt ins Blaue 'Ausflugsfahrt, bei der das Ziel nicht vorher
festgelegt wurde'; das Tüpfelchen auf dem i 'die letzte, alles abrundende Kleinigkeit'

- Substantiv + Substantiv, vgl.

ein Häufchen Elend/Unglück 'ein sehr unglückliches, in trostlosem Zustand befindliches


Wesen'; ein Funken Hoffnung 'ein/sehr wenig Hoffnung'.

Einige substantivische Phraseme kennen alternative gleichbedeutende substantivische


Komposita; so existieren parallele Benennungen mit der Struktur einer Wortgruppe bzw.
eines komplexen Wortes, vgl.

schwache Stelle / Schwachstelle; schwarzer Markt / Schwarzmarkt; frisches Gemüse /


Frischgemüse; frische Luft / Frischluft,

jedoch ist das eher selten der Fall. So kann man eine derartige durch die Wortbildung
gegebene Möglichkeit bei folgenden Beispielen nicht beobachten, vgl.

Sozialversicherung ≠ soziale Versicherung; Leichtathletik ≠ leichte Athletik; Blindpassagier ≠


blinder Passagier.

Substantivische Phraseme zeichnen sich durch unterschiedliche Grade der Idiomatizität aus:
sie sind vollidiomatisch (der Stein des Anstoßes, das Auge des Gesetzes), teilidiomatisch (eine
Fahrt ins Blaue) oder nichtidiomatisch. Unter den nicht- bzw. schwachidiomatischen
substantivischen Phrasemen finden sich viele Fachtermini, vgl.

spitzer Winkel, arithmetisches Mittel, semiotisches Dreieck, kritischer Rationalismus;


helles/dunkles Bier, grüne Bohnen, rote Rübe etc.

und ebenso onymische Phraseme, also Phraseme, die als Eigennamen fungieren, vgl.

Schwarzes Meer, Bayrischer Wald, Pannonisches Becken.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Dazu kommen noch Kollokationen (belegtes Brötchen, gesammelte Werke, blaues Meer).

2.2.2 Verbale Phraseme

Die verbalen Phraseme kommen im Satz als Prädikat vor. Sie sind zahlenmäßig stark
vertreten und in ihrer formalen Struktur vielfältig. Sie stellen den Kern des phraseologischen
Bestandes aus; nach einigen Zählungen sollten etwa 75 % aller satzgliedwertiger deutscher
Phraseme verbale Phraseme sein (Földes/Kühnert 1990, 16). Der syntaktische Kern ist immer
ein Verb, welches durch Substantiv-/Adjektiv-/Adverbial-/Verbalgruppe erweitert werden
kann. Folgende Strukturmodelle verbaler deutscher Phraseme sind bekannt:

- Substantiv/Substantivgruppe + Verb

die/seine Karten aufdecken 'seine wahren Absichten, Pläne erkennen lassen'; sein blaues
Wunder erleben 'eine große, unangenehme Überraschung erleben'; reinen Tisch machen 'eine
Angelegenheit bereinigen, in Ordnung bringen'; tauben Ohren predigen 'mit seinen
Ermahnungen nichts erreichen'; eine lange Leitung haben 'schwer begreifen';

den Boden unter den Füßen verlieren 'die Existenzgrundlage, den Halt verlieren'; die Katze im
Sack kaufen ‘etw. ungeprüft übernehmen, kaufen'; den Nagel auf den Kopf treffen ‘den
Kernpunkt einer Sache in einer Äußerung treffend erfassen'; ein Haar in der Suppe/in etw.
finden 'an einer sonst guten Sache etwas entdecken, was einem nicht passt, was zu kritisieren
ist';

jm. die Leviten lesen 'jn. wegen eines tadelnswerten Verhaltens gehörig zurechtweisen';
jmdm. einen Bären aufbinden 'jm. etwas Unwahres so erzählen, dass er es glaubt'; jn. unter
die Arme greifen 'jn. in einer Notlage helfen'; etw. aus dem Ärmel schütteln 'etw. mit
Leichtigkeit schaffen, besorgen';

auf seine Kosten kommen ' in seinen Erwartungen zufriedengestellt werden'; von Pontius zu
Pilatus gehen/laufen ‘in einer Angelegenheit viele Wege machen, von einer Stelle zur anderen
gehen'; vom Regen in die Traufe kommen 'aus einer unangenehmen Lage in eine noch
unangenehmere geraten'

- Adjektiv/Adjektiv-/Adverbialgruppe + Verb

langsam schalten ‘schwer begreifen’; zu kurz kommen 'zu wenig berücksichtigt werden,
benachteiligt werden'; fest im Sattel sitzen 'eine sichere, ungefährdete Position inne haben'

- Verb/Verbalgruppe + Verb

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

baden gehen 'keinen Erfolg mit etw. haben, mit etw. scheitern'; kein Wässerchen trüben
können 'harmlos sein'; die Engel im Himmel singen hören 'von Schmerzen fast umkommen,
starke Schmerzen empfinden'; etw. nicht wahrhaben wollen 'etw. nicht zugestehen, bemerken
wollen'

2.2.3 Adjektivische Phraseme

Die adjektivischen Phraseme sind Phraseme, deren syntaktischer Kern immer ein Adjektiv ist.
Im Deutschen sind sie relativ schwach vertreten; es überwiegen Strukturen mit dem Part. II
bzw. komparative Phraseme und Paarformeln (die Letzteren werden unter Phraseologischen
Sonderstrukturen (Abschnitt 2.3) gesondert besprochen), vgl.

frisch/neu gebacken 'in einer Situation neu'; kurz angebunden 'unfreundlich und abweisend';
schwer/langsam von Begriff 'schwer/langsam auffassen'; dünn/dick gesät 'selten/häufig
vorkommend'; gut/schlecht/knapp bei Kasse 'reichlich/wenig Geld haben';

hungrig wie ein Wolf 'sehr großen Hunger haben'; klar wie Kloßbrühe/dicke Tinte/dicke Suppe
'sich von selbst verstehen, völlig klar sein';

schlicht und einfach 'ganz einfach, ohne Umstände (gesagt)'; ganz und gar 'völlig'.

Beobachtet man ihr Satzvorkommen, so stellt man schnell fest, dass sie in der Verwendung
eingeschränkt sind. Sehr selten kommen sie in der syntaktischen Funktion eines Attributes
vor, vgl.

gut gepolstert 'wohlbeleibt, mit viel Geld': ich kenne eine gut gepolsterte Dame;

viel öfter werden sie nämlich nur prädikativ bzw. adverbial verwendet, vgl.

diese Dame ist gut gepolstert.

Diese syntaktische Gebrauchsrestriktion erschwert die klassifikatorische Unterscheidung


zwischen adjektivischen und adverbialen Phrasemen (was aber auch aus der Morphologie
des Adjektivs bzw. Adverbs bekannt ist).

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

2.2.4 Adverbiale Phraseme

Die adverbialen Phraseme sind Phraseme mit der syntaktischen Funktion eines Adverbs; im
Satz treten sie somit als adverbiale Bestimmungen auf. Ihre formalen Strukturen sind
vielfältig, es überwiegen präpositionale Konstruktionen, vgl.

- Präposition + Substantiv

auf Anhieb 'sofort, gleich zu Beginn'; auf Zeit 'befristet'; ohne/von Belang 'von großer/kleiner
Bedeutung; zu Hause 'daheim'; im Handumdrehen 'überraschend schnell, schon im nächsten
Augenblick'; in der Tat 'tatsächlich'; um ein Haar 'fast, beinahe';

- Präposition + attributiv erweitertes Substantiv

mit der linken Hand 'ohne Anstrengung, völlig mühelos'; unter freiem Himmel 'im Freien’; auf
jeden Fall 'unbedingt, ob so oder so'; unter vier Augen '(in Bezug auf ein Gespräch) zu zweit,
im Vertrauen, ohne Zeugen';

- Präposition + Substantiv + Präposition

von Hause aus 1. 'von der Familie her', 2. 'von Natur aus'; von klein auf 'von Kindheit an'; von
Kopf bis Fuß 1. von oben bis unten', 2. 'völlig'

- Präposition + Adverb/Adjektiv

für gewöhnlich 'üblicherweise'; in bar 'in Form von Geldscheinen oder Münzen' ; im Voraus
'schon vorher'.

2.3 Besondere Strukturtypen nominativer Phraseme

Im Folgen werden zwei Strukturtypen nominativer Phraseme dargelegt, die sich durch
syntaktisch-strukturelle und semantisch-pragmatische Besonderheiten auszeichnen; es sind
phraseologische Paarformeln, komparative Phraseme und phraseologische Teilsätze.

31
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

2.3.1 Paarformeln

Syntaktisch-strukturelle Eigenschaften

Paarformeln (auch Zwillingsformeln, phraseologische Wortpaare) haben eine


charakteristische, leicht erkennbare musterhafte formale Struktur. Sie bestehen aus zwei
(seltener aus drei oder vier) Komponenten, die entweder identische Lexeme oder Lexeme
der gleichen Wortart sind. Miteinander verbunden werden diese in der Regel durch
Konjunktionen (und, aber, oder) bzw. Präpositionen (weder – noch, von – zu, von – auf) oder
durch deren Kombination (in der geschriebenen Sprache vereinzelt auch durch die
orthographischen Zeichen – Kommata bzw. Bindestrich), vgl.

frank und frei 'geradeheraus, offen'; Lug und Trug 'Betrug, Täuschung'; klein, aber fein 'klein,
aber sehr gut'; früher oder später 'zwangsläufig irgendwann einmal'; weder Fisch noch Fleisch
'nicht zu bestimmen, nicht einzuordnen sein; nichts Eindeutiges sein'; von Zeit zu Zeit
'manchmal'; von heute auf morgen 'sehr schnell, innerhalb kurzer Zeit', 2. 'ganz überraschend,
ohne dass man darauf vorbereitet ist'; auf Schritt und Tritt 1. 'überall', 2. 'ständig';
wennschon, dennschon/wennschon – dennschon 'wenn etwas schon getan wird, dann soll es
auch richtig, gründlich getan werden'.

Darüber hinaus kennt das Deutsche auch einige Drillingsformeln bzw. Vierlingsformeln, d.h.
phraseologische Strukturen mit drei bzw. vier wortartidentischen Komponenten, vgl.

heimlich, still und leise 'völlig unbemerkt'; frisch, fromm, fröhlich, frei 'sorglos, unbekümmert'.

Phraseologische Wortpaare, die im Deutschen vielfach belegt sind, findet man im


substantivischen, verbalen, adjektivischen und adverbialen Bereich, vgl.

- substantivische Wortpaare

das Hab und Gut 'alles, was man besitzt'; js. Tun und Lassen/Treiben/Trachten 'alles, was jmd.
tut'; das Für und Wider 'das, was dafür und das, was dagegen spricht'; Groß und Klein
'jedermann, alle'

- verbale Wortpaare

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

hegen und pflegen 1. 'mit liebevoller Fürsorge umgeben', 2. 'sich in besonderer Weise
bemühen, etw. aufrechtzuerhalten'; es/etw. drehen und wenden 'etw. von jedem nur
denkbaren Blickpunkt aus betrachten'; bitten und betteln 'inständig bitten'

- adjektivische bzw. adverbiale Wortpaare

null und nichtig '(rechtlich) ungültig'; kurz und bündig 'ohne Umschweife, mit wenigen
treffenden Worten'; weit und breit 'in der ganzen Umgebung'; hin und wieder 'manchmal';
schwarz auf weiß 'gedruckt, schriftlich'; mit Ach und Krach 'mit Mühe und Not, gerade noch,
unter großen Schwierigkeiten'; mit Sack und Pack 'mit allem, was man besitzt'; bei Nacht und
Nebel 'heimlich (bei Nacht)'; seit eh und je 'solange man denken kann, sich erinnern kann';
weder Fisch noch Fleisch 'nicht zu bestimmen, nicht einzuordnen sein; nichts Eindeutiges sein';
von Zeit zu Zeit 'manchmal'; früher oder später 'zwangsläufig irgendwann einmal'; mehr oder
minder/weniger 'fast ohne Ausnahme'; von heute auf morgen 1. 'sehr schnell, innerhalb
kurzer Zeit', 2. ganz überraschend, ohne dass man darauf vorbereitet ist'.

Ebenso möglich ist, dass Wortpaare als Bestandteile anderer, etwa verbaler Phraseme
vorkommen. In solchen Fällen ist eine klare morphologisch-syntaktische Festlegung wegen
der nur fakultativen verbalen Komponente erschwert, weswegen mit zweifachen
Zuordnungen zu rechnen ist, vgl.

von Mund zu Mund gehen 'durch Weitererzählen verbreitet werden'; jm. etw. hoch und heilig
versprechen/beteuern (o. Ä.) 'jm. etw. mit allem Nachdruck versprechen/beteuern (o. Ä.)';
etw. unter Dach und Fach bringen 'etw. glücklich zum Abschluss bringen'; in Saus und Braus
leben 'ein üppiges, verschwenderisches Leben führen'.

Der Gebrauch von adjektivischen Wortpaaren ist syntaktisch beschränkt; sie werden meist
nur adverbial bzw. prädikativ verwendet, vgl.

Er ist fix und fertig vs. *Ich kenne diesen fix und fertigen Studenten nicht.

Die Einschränkung gilt noch insbesondere für substantivische Wortpaare, die in der Regel
nur als Präpositionalgruppen attributiv zum Verb verwendet werden, vgl.

Er hat auf Leben und Tod gekämpft 'bis zum Äußersten, bis zur Vernichtung';

so auch

zwischen Tür und Angel 'eilig, nur flüchtig zusammentreffend'; mit Ach und Krach 'mit Mühe,
gerade noch'; mit Haut und Haar(en) 'gänzlich, völlig' (ist/geschieht etw.); in Hülle und Fülle

33
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

'sehr viel, im Überfluss' (ist etw. vorhanden); unter Dach und Fach 'glücklich, erfolgreich
abgeschlossen' (ist etw.).

Semantisch-pragmatische Eigenschaften

Die Paarformeln weisen einige typische semantisch-pragmatische Eigenschaften auf:

- zwei (oder mehrere) Komponenten der gleichen Wortart sind zueinander oft (quasi)
synonym oder semantisch eng verwandt; meist werden sie mit der gleichordnenden
Konjunktion und verbunden, vgl.

Lug und Trug, null und nichtig, mit Ach und Krach, seit eh und je

- die Paar-Komponenten stehen gegebenenfalls aber auch in einem antonymen


Verhältnis zueinander, vgl.

Freund und Feind 'jedermann'; das Wohl und Wehe 'das Wohlergehen, Schicksal'

- schließlich nimmt Donalies (2009, 70f.) Verbindungen von assoziativ ähnlichen


Begriffen an, vgl.

Tod und Teufel 'Fluch'; Land und Leute 'das Land, die Region und ihre Bewohner, ihre Sitten
und Gebräuche'.

Eine weitere Eigenschaft vieler Wortpaare sind rhythmische Reimstrukturen. Hierbei werden
im Wesentlichen folgende unterschieden:

- Wortpaare mit Stabreim (Gleichheit der Anfangslaute), vgl.

mit Mann und Maus 1. 'ohne dass jemand gerettet wird', 2. 'mit allen verfügbaren Kräften';
Geld und Gut 'alles, was man besitzt'; in Samt und Seide 'in auffallend kostbarer Kleidung'

- Wortpaare mit Endreim (Gleichklang am Wortende), vgl.

Lug und Trug ' Betrug, Täuschung'; außer Rand und Band 1. 'übermütig, ausgelassen', 2.
'außer Kontrolle'

- Wortpaare mit Stab- und Endreim zugleich, vgl.


34
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Freund und Feind 'jedermann'

- Wortpaare mit Assonanz (vokalischer Halbreim), vgl.

kurz und gut 'zusammenfassend gesagt'.

Auffällige Kombinationen von oft gereimten Komponenten der phraseologischen Wortpaare


und Drillings- bzw. Vierlingsformeln lassen die Annahme der Expressivität und verstärkten
Bildhaftigkeit zu, aufgrund deren wir solche Phraseme als stilistisch markiert empfinden. Vor
allem eine intensivierende Funktion ist in vielen Fällen nachvollziehbar.

2.3.2 Komparative Phraseme

 Komparative Phraseme (auch phraseologische Vergleiche) sind Phraseme, die, wie der
Name sagt, einen Vergleich versprachlichen, vgl.

lügen wie gedruckt 'hemmungslos lügen'; zittern wie Espenlaub '(vor Kälte, Angst) sehr
zittern'; sich (wohl)fühlen wie ein Fisch im Wasser/wie die Made im Speck 'sich sehr
wohlfühlen'; laufen wie geschmiert 'reibungslos funktionieren, sehr gut verlaufen'; es ist, um
auf die Bäume zu klettern 'es ist nicht mehr auszuhalten, es ist zu verzweifeln'.

Gebildet werden sie nach einem sehr produktiven Muster, denn nicht nur in deutscher
Sprache sind solche Phraseme zahlreich. Zugrunde liegt ein leicht nachvollziehbares logisch-
semantisches Konzept: es sind Ausdrücke, »bei /denen/ etwas mit etwas aus einem anderen
(gegenständlichen) Bereich im Hinblick auf ein beiden Gemeinsames in Beziehung gesetzt
und dadurch eindringlich veranschaulicht wird« (Földes 2007, 426).

Komparative Phraseme gehören meist zur Klasse der teilidiomatischen verbalen Phraseme,
man findet sie aber auch im adjektivischen, adverbialen und substantivischen Bereich.

35
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Syntaktisch-strukturelle Eigenschaften

Die typische syntaktische Struktur komparativer Phraseme besteht in der Regel aus drei
Elementen: aus Vergleichsobjekt (das, was verglichen wird; comparandum), aus tertium
comparationis (gemeinsames Merkmal des comparandum und comparatum) und aus
Vergleichsmaß (comparatum). Als Verbindugselement kommt eine Vergleichspartikel vor
(im Deutschen überwiegend wie, jedoch auch als, als ob). Die wichtigsten Strukturmodelle
der deutschen komparativen Phraseme sind:

- Verb/Adjektiv/Adverb + wie + (erweitertes) Substantiv

(aussehen) wie eine gebadete Maus 'völlig durchnässt'; (dastehen) wie ein begossener Pudel
'nach einer Zurechtweisung o. Ä. nichts mehr zu sagen wissen';

frech/stolz wie Oskar 'sehr frech und unbekümmert, sehr stolz'; alt wie Methusalem 'sehr alt';
dumm wie Bohnenstroh/wie die Nacht 'sehr dumm'; gesund wie ein Fisch im Wasser 'völlig
gesund'

- Verb + wie + (erweitertes) Partizip

lügen wie gedruckt 'hemmungslos lügen'; aussehen wie geleckt 1. 'sehr sauber aussehen' , 2.
'sehr sorgfältig gekleidet sein'; antworten wie aus der Pistole geschossen 'prompt, ohne
Zögern antworten'; aufspringen wie von der Tarantel gestochen 'plötzlich und überaus heftig
aufspringen'

- Verb/Adjektiv/Adverb + wie + Satz

reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist 'freiheraus, ungeniert reden'

- Substantiv + wie + Vergleich

ein Mensch wie du und ich 'ein ganz normaler, durchschnittlicher Mensch'; Zustände wie im
alten Rom 'unmögliche, unhaltbare Zustände'

- Verb/Adjektiv/Adverb + verschiedene Strukturen

dümmer (sein), als die Polizei erlaubt 'sehr dumm (sein)'; so still (sein), dass man eine
Stecknadel (zu Boden/zu Erde) fallen hören kann/könnte 'absolut still (sein)'; es ist, um auf die
Bäume zu klettern 'es ist nicht mehr auszuhalten, es ist zu verzweifeln'.

36
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Im verbalen Bereich ist im Deutschen eine variable Reihenfolge im Prinzip möglich, vgl.

dastehen wie ein begossener Pudel bzw. wie ein begossener Pudel dastehen,

im Sprachgebrauch überwiegt jedoch die Nachstellung des Vergleichsobjektes, also

dastehen wie ein begossener Pudel.

Die meist gebrauchten Verben bei deutschen komparativen Phrasemen sind (aus)sehen,
(da)sitzen, (da)stehen, schlafen, gehen, reden – man sieht, dass sie alle sich auf
grundlegende menschliche Aktivitäten beziehen; samt dem kognitiv immanenten Bedürfnis
des Menschen, die Welt um sich herum durch Vergleich zu ordnen und systematisieren mag
das ein wesentlicher Grund für die Vielzahl und Vielfältigkeit solcher Phraseme in vielen
Sprachen sein (vgl. Földes 2007, 426f.).

Semantisch-pragmatische Eigenschaften

Die wichtigste semantisch-pragmatische Eigenschaft und somit Funktion komparativer


Phraseme besteht darin, etwas (eine Handlung, einen Zustand, körperliche und psychische
Eigenschaften u. Ä.) mit Hilfe eines Vergleichsmaßstabes darzustellen, vgl.

singen wie eine Nachtigall 'sehr schön, meisterhaft singen' (Handlung)

frieren wie ein junger Hund 'sehr frieren' (Zustand)

aussehen wie aus dem Ei gepellt 'sehr sorgfältig gekleidet sein' (körperliche Eigenschaft)

sich wie neugeboren fühlen 'sich prächtig erholt fühlen' (psychische Eigenschaft).

Der Vergleich erfolgt in der Regel anhand konventionaler Vorstellungen über die typischen
Eigenschaften von Tieren, Pflanzen, Gegenständen, Umständen u. Ä. Die vergleichende
Darstellung kann intensivierende, expressive, spezifizierende, differenzierende Züge tragen,
vgl.

(stark u.Ä.) wie ein Bär 'in auffallend hohem Maß, sehr' (intensivierend)

37
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

dümmer als die Polizei erlaubt 'sehr dumm' (intensivierend-expressiv)

antworten wie aus der Pistole geschossen 'prompt, ohne Zögern' (spezifizierend-
differenzierend);

sie kann aber auch kulturspezifisch markiert sein. So kommt es vor, dass zwischen einem
Vergleichsobjekt und einem Vergleichsmaß unterschiedliche Gemeinsamkeiten (tertia
comparationis) festgelegt werden, vgl. Phraseme mit der Vergleichsgröße Fisch (zit. nach
Burger 2010, 47):

stumm wie ein Fisch, kalt wie ein Fisch, sich wohlfühlen wie ein Fisch im Wasser.

Bei komparativen Phrasemen beobachten wir oft eine starke Variabilität der
Vergleichsgrößen, was kulturell bedingt sein kann, vgl.

von etw. so viel verstehen wie der Hahn vom Eierlegen/wie die Kuh vom Radfahren/wie die
Kuh vom Sonntag/wie die Kuh vom Schachspielen 'gar nichts von etw. verstehen'.

Vereinzelt sind komparative Phraseme auch polysem, meist in einer antonymen Hinsicht,
vgl.

passen wie die Faust aufs Auge 1. 'überhaupt nicht passen', 2. 'sehr gut, ganz genau passen'.

Die gegensätzlichen Bedeutungen können zweierlei interpretiert werden: entweder hat man
es »mit der ambivalenten Natur der menschlichen Psyche und der Denkweise zu tun, /…/ ein
und dasselbe Verhalten /.../ sowohl positiv als auch negativ zu deuten« oder es geht um
sprachgeschichtliche Gründe, wonach Folgendes gilt: »wenn eine der Bedeutungen später
hinzugekommen ist, kann sich durch häufigen ironischen Gebrauch der ersten,
ursprünglichen Bedeutung, die neue, gegenteilige herausbilden«(Földes 2007, 428).

2.3.3 Phraseologische Teilsätze

Phraseologische Teilsätze (phraseologischer Teilsatz) sind Phraseme mit


Nebensatzstruktur, die durch ein bestimmtes Verb (welches die obligatorische
Phrasemkomponente ist) in komplexere Satzstrukturen eingeordnet werden, vgl.

38
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

wissen, wo Barthel den Most holt 'alle Kniffe kennen'

wissen/sagen (o.Ä.), wo jm./jn. der Schuh drückt 'js. Sorgen, Nöte kennen'

nicht (mehr) wissen, wo einem der Kopf steht 'durch Arbeit, Sorgen o.Ä. überlastet sein'

wissen/sehen/fragen/jm. zeigen (o.Ä.), wie der Hase läuft 'wissen, jm. zeigen, wie etw.
gemacht wird, damit es die gewünschte Wirkung, den gewünschten Erfolg erzielt'.

Diese relativ kleine Gruppe der phraseologischen Sonderstrukturen weist einen hohen Grad
der grammatischen Variabilität auf; der Nebensatz wechselt leicht seinen grammatischen
Status, vgl. die Aussage

So also läuft der Hase!,

die durchaus denkbar ist.

Weiterführende Literatur

Zu den hier besprochenen Fragen zur Klassifikation der vielfältigen phraseologischen


Konstruktionen finden sie weitere Informationen in den grundlegenden Referenzwerken zur
Phraseologie, u.a. Palm (1997), Földes (2007), Donalies (2009) und Burger (2010).

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

3 Sprichwörter

INHALT UND ZIELE

Das Thema dieses Kapitels sind Sprichwörter. Es wird dargelegt, was Sprichwörter sind und
welche typischen Eigenschaften sie haben. Dieser Teil des Kompendiums ist nicht gänzlich
auf einzelne Sprachen, hier auf die deutsche Sprache, ausgerichtet, obgleich mit zahlreichen
deutschsprachigen Beispielen belegt; manche Erläuterungen gelten nämlich für Sprichwörter
allgemein und so z.B. auch für slowenische Sprichwörter.

Nach einer aufmerksamen Lektüre dieses Kapitels werden sie wissen, was Sprichwörter sind,
welche typischen Eigenschaften sie haben, wie sie sich von andersartigen aber ähnlichen
satzwertigen Phrasemen unterscheiden und wie sie typischerweise im gegenwärtigen
Sprachgebrauch vorkommen.

3.1 Begriff und Hauptmerkmale

In Abschnitt 2.1 haben wir gesehen, dass Sprichwörter zur Klasse der propositionalen
nominativen Phraseme gezählt werden; sie sind satzwertige Aussagen über Objekte,
Vorgänge, Begriffe u. Ä. Aus kulturhistorischer Sicht werden sie folgendermaßen definiert:

»Sprichwörter sind allgemein bekannte, festgeprägte Sätze, die eine Lebensregel oder
Weisheit in prägnanter, kurzer Form ausdrücken« (Röhrich/Mieder 1977).

Sprichwörter vermitteln also historisch- und erfahrungsbedingte »Weisheiten«; sie sind im


Allgemeinen lehrhafte bzw. generalisierende Aussagen über traditionelle und
gesellschaftlich anerkannte Ansichten, Meinungen, Urteile, Vorurteile, Regeln, Warnungen,
Ratschläge, Verbote u. Ä.

Der Name Sprichwort (Sprichwort) ist im deutschsprachigen Raum in der Bedeutung


'vielgesprochenes Wort' seit dem 13. Jh. geläufig. Vor allem in der Volkskunde (Ethnologie)

40
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

sind Sprichwörter seit langem ein beliebtes Forschungsthema; in der letzten Zeit werden sie
aber auch aus der sprachwissenschaftlichen Perspektive intensiv untersucht Die
Sprachwissenschaft zählt Sprichwörter zum phraseologischen Bestand einer Sprache und
somit zur Phraseologie im weiteren Sinn (vgl. hierzu den Abschnitt 1.1). Die
Sprachwissenschaft untersucht formalstrukturelle, semantische und pragmatische
Eigenschaften von Sprichwörtern, geklärt werden Fragen zu ihrer lexikographischen
Erfassung (Phraseographie) und ebenso Fragen zu ihrer Vermittlung in Prozessen des
Sprachenlernens und -lehrens (Phraseodidaktik).

So soll die Feststellung nicht überrraschen, dass eine einheitliche Definition dessen, was
Sprichwörter sind, nicht vorliegt (und auch nicht vorliegen kann). Die jeweilige Definition ist
nämlich immer von Forschungsansätzen abhängig; diese gehen von verschiedenartigen (und
nicht immer gleichen) Sprichwortmerkmalen aus und je nach der Forschungsperspektive
variiert auch die jeweilige Definition. Das obige Zitat von Röhrich/Mieder stellt somit eine
kulturhistorische Sprichwortdefinition dar, während die Sprachwissenschft Sprichwörter als
satzwertige, idiomatische und sprechaktunspezifische Mehrworteinheiten versteht (Ďurčo
2005, 32). Donalies (2009) benennt sie mit dem Ausdruck Satzphrasem, Burger (2010)
dagegen auch mit dem Ausdruck propositionale Mehrworteinheit. Im Folgenden werden die
Hauptmerkmale der Sprichwörter in ihren Wesenszügen erläutert.

3.2 Hauptmerkmale

Im allgemeinen Verständnis weist ein Sprichwort folgende linguistischen Hauptmerkmale


auf:

- Polylexikalität und Satzwertigkeit


- Stabilität
- Idiomatizität.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Dazu kommen die Unbekanntheit der Quelle und die allgemeine Bekanntheit innnerhalb
einer Sprachgemeinschaft. So kann man für das Sprichwort Die Zeit heilt alle Wunden
('irgendwann vergeht jeder Schmerz, ist jede Enttäuschung überwunden') sagen, dass es sich
um einen festgeprägten, kurzen und prägnanten Satz unbekannter Herkunft handelt, der auf
eine bildhaft-metaphorische Art eine verallgemeinerte »Weisheit« vermittelt und unter den
muttersprachlichen Sprechern des Deutschen als allgemein bekannt gehalten werden kann.

Wir kennen jedoch auch andersartige festgeprägte Satzkonstruktionen, die dem Sprichwort
zwar ähnlich, mit ihm aber nicht einfach gleichzusetzen sind, weil sie teilweise verschiedene
Charakteristika aufweisen. Diese sprichwortähnlichen Konstruktionen sind unter Anderem
Sentenzen, geflügelte Worte, Aphorismen, Maximen und Epigramme. Von den Sprichwörtern
unterscheiden sie sich hauptsächlich durch die Bekanntheit der Quelle. Wenn diese aber
durch die Häufigkeit des Vorkommens verblasst und bei den Sprechern sogar nicht mehr
bekannt ist, so treten sie leicht zu den Sprichwörtern über. Die wesentlichen Eigenschaften
von Sentenzen, geflügelten Worten, Aphorismen, Maximen und Epigrammen werden in
Abschnitt 3.8 kurz skizziert.

Legen wir nun die Hauptmerkmale eines Sprichwortes unter Perspektive der linguistischen
Phraseologieforschung fest.

3.2.1 Polylexikalität und Satzwertigkeit

Das Merkmal der Polylexikalität und Satzwertigkeit meint, dass Sprichwörter aus mehreren
Wörtern (Lexemen) bestehende satzwertige Konstruktionen sind. Sie sind satzwertige
Mehrworteinheiten des Lexikons einer Sprache, sie gelten als in sich geschlossene Sätze, die
»durch kein lexikalisches Element an den Kontext angeschlossen werden müssen« (Burger
2010, 106). Man meint dazu auch, dass sie als selbständige Mikrotexte aufgefasst werden
können. Das heißt, dass sie im Gedächtnis als syntaktische und semantische Einheiten
gespeichert werden, bei Bedarf (beim Sprechen und/oder Schreiben) ganzheitlich abgerufen
werden und dazu auch außerhalb eines konkreten Textes/Kontextes verstanden werden
können. (Näheres zur Form der deutschen Sprichwörter finden sie in Abschnitt 1.1.3).
42
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

3.2.2 Stabilität

Das Merkmal der Stabilität (Festigkeit) bezieht sich grundsätzlich auf die angenommen feste,
unveränderbare Form und Bedeutung eines Sprichworts. Mit dieser Eigenschaft eng
verbunden ist die sprichworteigene Modellhaftigkeit. Die linguistisch ausgerichtete
(germanistische) Parömiologie konnte nämlich feststellen, dass Sprichwörter weitgehend
nach syntaktischen Mustern und inhaltlichen Benennungsmodellen gebildet werden, was die
Stabilität entschärft und zu Varianten und Modifikationen führt. (Näheres zur
Modellhaftigkeit und Variabilität der deutschen Sprichwörter finden sie in Abschnitt 3.3).

3.2.3 Idiomatizität

Sprichwörter sind idiomatische satzwertige Mehrworteinheiten. Das Merkmal der


Idiomatizität betrifft »den Grad der (Nicht-)-Ableitbarkeit der idiomatischen Bedeutung aus
der Bedeutung einzelner Bestandteile« (Ďurčo 2005, 17). (Näheres zur Idiomatizität als
Grundmerkmal der Phraseologie finden sie in Abschnitt 1.1.3).

Die Bedeutung des Sprichworts lässt sich also nicht von der Bedeutung einzelner
Bestandteile ableiten bzw. einzelne oder sogar alle Sprichwort-Komponenten verletzen die
übliche und erwartbare Wortkombinatorik. Die Idiomatizität ist eine graduell ausgeprägte
Eigenschaft, aufgrund deren wir über voll- bzw. teilidiomatische Sprichwörter reden können,
vgl.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm (vollidiomatisch)

Ende gut, alles gut (teilidiomatisch).

Sprichwörter werden somit als generalisierende Satzmetaphern verstanden. Wendet man


sie auf konkrete Situationen, so dienen sie dazu, diese zu erleuchten, zu erklären, zu
illustrieren, zu argumentieren, zu rechtfertigen u. Ä. Man spricht hierbei über folgende
Sprichwort-Charakteristika:

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

- Polysituativität (ein und dasselbe Sprichwort ist in Bezug auf verschiedene


Situationen anwendbar)
- Polyfunktionalität (ein und dasselbe Sprichwort kann mehrere verschiedene
Funktionen ausüben)
- Polysemantizität (ein und dasselbe Sprichwort weist eine Art semantische
Unbestimmtheit auf)
- Polythematizität (ein und dasselbe Sprichwort kann auf sehr verschiedene Umstände
bezogen werden).

3.3 Formen

Wie oben gesagt, gehören Sprichwörter zur Gruppe der satzwertigen Phraseme. Der
syntaktischen Form nach sind (deutsche) Sprichwörter:

- syntaktisch vollständige Sätze, Satzreihen bzw. Satzgefüge; sie enhalten ein finites
Verb und valenzbedingte Ergänzungen, sie sind einfache Sätze bzw. koordinative/
subordinative Satzverbindungen, vgl.

Aller Anfang ist schwer (einfacher Satz)

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold (Satzreihe)

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte (Satzgefüge)

- syntaktisch unvollständige Sätze (elliptische Sätze bzw. Satzverbindungen); sie


enthalten kein finites Verb, vgl.

Aus dem Augen, aus dem Sinn

Wie du mir, so ich dir

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Den überwiegenden Teil des deutschen Sprichwortbestandes machen Sprichwörter mit der
einfachen Aussagesatzstruktur aus. Sprichwörter in Form von Fragesätzen bzw.
Ausrufesätzen mit imperativischer Verform sind eher selten, vgl.

Eile mit Weile

Lege nicht alle Eier in einen Korb

Woher nehmen und nicht stehlen?

Häufig sind Satzstrukturen mit Modalverben (sollen, dürfen, müssen), diese kommen oft in
Kombination mit dem Indefinitpronomen man vor, vgl.

Man lernt nie aus

Man soll den Tag nicht vor dem Tag loben

Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist.

Sprichwörter sind hinsichtlich ihrer idiomatischen Inhalte generalisierende, eine Art


generische Sätze. Diese semantische Eigenschaft ist auch grammatisch erkennbar, unter
Anderem an dem so genannten gnomischen Präsens (Lüger 1999), welches zum Ausdruck
des Allgemeingültigen und des Stereotypen verwendet wird. So ist das Sprichwort Hunde,
die bellen, beißen nicht interpretierbar als 'alle Hunde, die bellen, beißen nicht'.

In den Texten werden Sprichwörter nicht selten durch deutlich erkennbare Stilfiguren
markiert. So kennen wir

- Sprichwörter mit Binnenreim, vgl.

Eile mit Weile; Borgen macht Sorgen

- Sprichwörter mit Endreim, vgl.

Ohne Fleiß kein Preis; Mit Geduld und Spucke fängt man jede Mucke

- Sprichwörter mit Stabreim (Alliteration), vgl.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Gleich und gleich gesellt sich gern

- Parallelismus, vgl.

Kommt Zeit, kommt Rat; Aussen hui, innen pfui.

Eine weitere bedeutende Eigenschaft der Sprichwötrer ist ihre Modellhaftigkeit. Sie folgen
nämlich weitgehend syntaktischen Modellstrukturen und inhaltlichen Benennungsmodellen.
So konnten für das Deutsche mehrere strukturelle und inhaltliche Modelle ermittelt werden
(Röhrich/Mieder 1977, 61f.). Sie reichen von den einfachen bis zu den komplexen
Satzkonstruktionen, auf deren Grundlage Reihen von formal vergleichbaren sprichwörtlichen
Strukturen gebildet werden, vgl.

- A ist A

Geschäft ist Geschäft; Sicher ist sicher

- A ist B

Zeit ist Geld; Träume sind Schäume

- ohne A kein B

Ohne Fleiß kein Preis; Kein Haus ohne Maus

- lieber/besser A als B

Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach; Besser spät als nie

- wie A so B

Wie der Vater, so der Sohn

- wie man A, so man B

Wie man sich bettet, so liegt man; Wie man plant, so fährt man) usw.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Auch inhaltlich ist bei vielen Sprichwörtern Modell- bzw. Musterhaftigkeit erkennbar. Es geht
um abstrakte Benennungsmodelle, um die so genannten All-Sätze, auf denen konkrete
Sprichwörter basieren, vgl.

- man soll eine Sache tun, solange es nicht zu spät dazu ist

Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist; Forme aus dem Lehm, solange es feucht
ist

- wie die Aktion, so die Reaktion

Wie man sich bettet, so liegt man

- wie der Erzeuger, so das Erzeugte

Wie der Vater, so der Sohn usw.

Das Merkmal der musterhaften Modellhaftigkeit drängt nahezu zur Bildung von Varianten
und Modifikationen. Die Variabilität (Variabilität) ist somit eine weitere bedeutende
Eigenschaft von Sprichwörtern; variable Sprichwortformen sind Sprichwortvarianten
(Variante). Man unterschidet dabei zwischen quantitativer und quantitativer Variabilität.

Quantitative Varianten sind etwa gekürzte bzw. erweiterte Sprichwortstrukturen; die


Variabilität besteht also im Umfang der Sprichwortkomponenten, vgl.

Alles hat ein Ende/Alles hat einmal ein Ende vs. Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.

Qualitative Varianten sind dagegen grammatisch bzw. lexikalisch bedingte Änderungen der
sprichwörtlichen Ausgangsform. So sind einzelne Sprichwortkomponenten austauschbar, vgl.

Stille Wasser sind tief/ Stille Wasser gründen tief

oder einzelne Sprichwortkomponenten variieren in morphologischer Hinsicht, vgl.

Ausnahmen bestätigen die Regel/Die Ausnahme bestätigt die Regel.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Bei manchen Sprichwörtern beobachtet man zum Teil offene Modellstrukturen, die als
Muster gelten und dem Kontext entsprechend gefüllt werden können. So lässt die usuelle,
„kanonische“ Sprichwortform Das Geld regiert die Welt zwei zum Teil offene
Modellstrukturen zu: X regiert die Welt und Das Geld regiert X. Vgl. die Verwendung im
Text:

König Fußball regiert die Welt, und Deutschland erlebt wieder ein Sommermärchen. Die
Euphorie, die die Nation vor allem nach dem Einzug der deutschen Nationalmannschaft ins
Halbfinale ergriffen hat, ist bis in den Deutschen Bundestag spürbar. (SprichWort 2010)

Das Setting selbst ist natürlich nicht partikular deutsch, sondern universal. Das Geld regiert
die Politik - das gab und gibt es überall und immer. (SprichWort 2010)

Gelegentliche bzw. einmalige Sprichwortvarianten werden Sprichwortmodifikationen


genannt (Modifikation). Es handelt sich um gelegentliche, einmalige, innovative
Abwandlungen bestehender Sprichwörter, die in einem konkreten Text besondere
stilistische Wirkungen haben und in den meisten Fällen einem spielerisch-kreativen Umgang
mit der Sprache dienen, vgl.

Stetter Tropfen höhlt die Leber; Reden ist Schweigen, Silber ist Gold; Viele Köche verderben
die Köchin; Erst die Freizeit, dann das Vergnügen.

Die stilistisch-pragmatische Wirkung kommt jedoch nur dann zum Tragen, wenn das
grundlegende Sprichwort vom Leser bzw. Hörer erkannt wird, also

Stetter Tropfen höhlt den Stein; Reden ist Silber, Schweigen ist Gold; Viele Köche verderben
den Brei; Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

Die sprichworteigene Variabilität wird darüber hinaus durch ihr grammatisch bedingtes
syntaktisches Umwandlungspotential beeinflusst. Das bedeutet, dass Sprichwörter noch
längst nicht nur als völlig feste, unveränderbare satzwertige Zitate in den Texten
vorkommen; sie verfügen nämlich über die Fähigkeit, sich syntaktisch-syntagmatisch an die
jeweilige texutuelle Umgebung anzupassen und kommen somit grammatisch entsprechend
eingebettet vor.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Die syntaktische Umwandlungsfähigkeit (Transformation) ist vielfältig; verstärkt zeigt sie sich
als Konversionsfähigkeit (Übergänge zu nichtsatzwertigen Phrasemen und umgekehrt), vgl.

Die Niederlage in Salzburg? Abgehakt! Aber nicht vergessen. Das Hagebau Team Tirol
träumte vor dem heutigen dritten Kampf gegen Salzburg von süßer Rache. (SprichWort 2010)

oder als syntaktisch-syntagmatische Transformation, etwa als Passiv- od.


Imperativumwandlung bzw. häufige Verwendung mit Modalverb oder als Relativsatz, vgl.

Nach 22 Jahren Vorstandsarbeit, davon 16 Jahre im Amt des Vorsitzenden, hat Wolfgang
Müller nicht mehr für den Posten des Vorsitzenden der Bibliser Feuerwehr kandidiert. "Es hat
sich in den letzten Jahren gezeigt, dass man nicht gleichzeitig auf zwei Hochzeiten tanzen
kann", [...] Die Belastung seines Amtes als Kreisbrandinspektor stelle erhöhte Anforderungen
an ihn, sodass er sich außerstande sehe, so für den Verein zu arbeiten, "wie ich es eigentlich
möchte." (SprichWort 2010)

Die Möglichkeit des variablen Umgangs mit den Sprichwortformen wird bei den Sprechern
oft wahrgenommen; insbesondere gilt das für textuelle Kontexte bzw. Textsorten, in denen
das Variabilitätspotential zu den jeweils aktuellen textuellen Funktionen und
Sprecherintentionen gewinnbringend beiträgt, unter Anderem in Werbungstexten,
Schlagzeilen und Titeln. Dies mag daran liegen, dass Sprichwörter zu indirekten, verhüllten
Aussagen tendieren (Röhrich/Mieder, 1977), was den Spielraum für einen kreativ-
spielerischen Umgang öffnet, vgl.

»Ein Zwilling kommt selten allein«. Die romantische Familienkomödie mit Witz und Tempo!
Eine Neuverfilmung von Erich Kästners Kinderbuchklassiker »Das doppelte Lottchen«.
(SprichWort 2010)

3.4 Funktionen

Wie wir oben gesehen haben, besteht eine wesentliche Funktion von Sprichwörtern darin,
dass sie verschiedene Inhalte generalisierend darstellen können. An ihrem textuellen
Gebrauch kann man jedoch auch weitere Funktionen beobachten. Sie haben eine soziale
Funktion (Benennung nach Grzybek) indem sie »als Formulierungen von Überzeugungen,
Werten und Normen gelten, die in einer bestimmten Kultur und Zeit soziale Geltung
49
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

beanspruchen« (Burger 2010, 107). Zugleich werden sie in konkreten kommunikativen


Situationen als Ausdruck von Sprachhandlungen wie Warnung, Überredung, Argument,
Bestätigung, Trost, Mahnung, Rechtfertigung, Beruhigung, Zusammenfassung verwendet
(Röhrich/Mieder 1977). In solchen Fällen sprechen wir über kontextuelle (pragmatische)
Funktionen von Sprichwörtern. Beide Funktionsarten sollen wir in einem wechselseiten
Verhältnis verstehen, denn »dass ein Sprichwort z.B. als Stütze in einer Argumentation
verwendet werden kann (= kontextuelle Funktion), ist nur möglich, wenn es vom Sprecher
und vom Hörer als Formulierung einer generellen Regel (= soziale Funktion) aufgefasst wird«
(Burger 2010, 108).

Nachfolgende Beispiele sollen die pragmatischen Sprichwort-Funktionen im Text illustrieren.

Sprichwort als Ausdruck von sozialen Werten und Normen, vgl.

Ich bin schon lange alleinerziehend und frage mich, ob ich vielleicht in manchen Dingen zu
streng war. Erst die Arbeit und dann das Vergnügen, so bin ich erzogen worden. (SprichWort
2010)

Lügen haben kurze Beine... so haben es die meisten schon in der Kindheit gelernt. Es lohnt
sich nicht zu lügen, mit Lügen schadet man sich und andern. (SprichWort 2010)

Sprichwort als Ausdruck von Sprachhandlungen, vgl.

Warnung, Rat

"Sie sollten nicht mit zu viel Ehrgeiz an die Sache herangehen", riet Jung den etwa 100
Zuhörern zu Beginn. Eile mit Weile sei vielmehr das Motto. Bevor der Anfänger oder
Wiedereinsteiger überhaupt mit dem Sport beginne, sei erst einmal ein Gesundheitscheck
fällig. (SprichWort 2010)

Argument

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Grundsätzlich gilt das Rauchverbot in allen Gastronomiebetrieben und öffentlichen Räumen,


aber Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel: In niedersächsischen Spielhallen zum
Beispiel darf geraucht werden. (SprichWort 2010)

Beruhigung

Gestern, zurück in Berlin, schwieg Stoiber dann lieber zum Richtlinien-Thema. Was Merkels
Helfer in ihrer Theorie bestätigt, mit der sie sich beruhigen: Hunde, die bellen, beißen nicht.
Die Angriffe aus München werden in Berlin mit einem „psychologischen Problem” erklärt.
(SprichWort 2010)

Sprichwort als Mittel zur Textorganisation, vgl.

durch die Sprichwortposition gegebene themeneinleitende Funktion (oft auch


orthographisch markiert durch den Doppelpunkt)

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen: So hielten es jüngst die Mitglieder des [...] Ortsvereins
Remagen. Sie schlossen an ihre Jahreshauptversammlung [...] einen gemütlichen Nachmittag
mit musikalischer Begleitung an. (SprichWort 2010)

durch die Sprichwortposition gegebene themenabschließende bzw. –zusammenfasende


Funktion (oft auch orthographisch markiert durch den Doppelpunkt)

[...] dem Klub droht der Zerfall. Die Spieler haben sich aufgegeben, obwohl noch neun Spiele
zu absolvieren sind. Bonhof will sich damit nicht abfinden und forderte sie auf, Zeichen zu
setzen. [...] Goalie Robert Enke und Stürmer Markus Feldhoff haben schon ihren Abschied
verkündet, die Fans dankten es ihnen mit dem Spruchband: "Die Ratten verlassen das
sinkende Schiff "(SprichWort 2010)

3.5 Inhalt und Herkunft

Man kann aus guten Gründen annehmen, dass Sprichwörter aufgrund der menschlichen
Bedürfnisse, das Leben im Einklang mit der Natur und in Kooperation mit den Mitmenschen
zu gestalten, entstanden sind. Die praktischen Lebenserfahrungen und allgemeine
Erkenntnisse wurden in Form von kurzen und prägnanten Äußerungen, als so genannte

51
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Lebensweisheiten und Lebensregeln zunächst mündlich, danach auch schriftlich verbreitet


und überliefert.

Man ist sich einig, dass die Herkunft von Sprichwörtern sehr oft nicht exakt zu ermitteln ist.
Betrachtet man sie jedoch entweder einzelsprachlich oder sprachenübergreifend, so können
drei Herkunftsquellen angenommen werden:

Sprichwörter sind als so genannte Volksweisheiten interpretierbar. Jemand


(möglicherweise eine bekannte und angesehene Persönlichkeit) müsste zunächst eine
Aussage machen, die von den anderen akzeptiert, übernommen und weiter verwendet
wurde; dadurch wurden derartige Aussagen mit der Zeit zu den allgemein verbreiteten
»sprichwörtlichen Weisheiten«, vgl.

Übung macht den Meister

Sprichwörter entstammen den schriftlichen Werken. Viele gehen auf die Antike, die Bibel
oder auf das mittelalterliche Schrifttum zurück. Ursprünglich sind sie also Zitate aus
nachweisbaren literarischen, weltlichen und/oder religiösen Texten, also aus der Bibel, aus
Fabeln, Märchen, Sagen und dergleichen, die durch die häufige Wiederholung ebenso zu
allgemein verbreiteten Aussagen wurden, vgl.

Die Axt im Haus erspart den Zimmermann (F. Schiller)

Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein (Bibel)

Sprichwörter sind Entlehnungen aus anderen Sprachen. Durch die (mitunter


wortwörtliche) Übersetzung setzten sie sich in den vielen Zielsprachen durch, vgl.

Die Hunde bellen, und die Karawane zieht weiter (Entlehnung aus dem Türkischen).

Aus volkskundlicher Sicht werden Sprichwörter sehr oft als Besonderheit und
Eigentümlichkeit einzelner Sprachen interpretiert (sie seien somit idiosynkratisch). Das mag
aber eher für eine kleinere Anzahl der Sprichwörter zustimmen. Vielmehr gilt, dass etliche
Sprichwörter zwischensprachlich übereinstimmen, dass also ein Sprichwort nicht nur auf

52
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

eine Sprache bzw. eine Sprachgemeinschaft beschränkt, sondern in mehreren Sprachen


vorhanden ist. So stimmen recht viele Sprichwörter formal und inhaltlich zwischensprachlich
überein; in der sprachvergleichenden (kontrastiven) Phraseologieforschung spricht man
hierbei vom Begriff der Konvergenz bzw. Äquivalenz. Die Konvergenz (Konvergenz) meint
die Identität oder Ähnlichkeit der formalen Sprichwortstruktur, die in Kombination mit der
inhaltlichen Übereinstimmung eine vollständige Äquvalenz (Volläquivalenz) oder eine
teilweise bzw. partielle Äquivalenz (Teiläquivalenz) ausmacht (Äquivalenz). So sind zwei
Sprichwörter in zwei miteinander verglichenen Sprachen dann volläquivalent, wenn eine
gemeinsame denotative Bedeutung und eine vollständige formal-strukturelle und inhaltlich-
metaphorische Entsprechung vorliegen. Solche Sprichwörter entstammen meist den
gemeinsamen nachweisbaren Quellen (Literatur, Bibiel u.ä.) und werden als sprichwörtliche
Internationalismen bezeichnet, vgl.

Aller Anfang ist schwer (slow. Vsak začetek je težak)

Ende gut, alles gut (slow. Konec dober, vse dobro)

Alle Wege führen nach Rom (slow. Vse poti vodijo v Rim)

Besser spät als nie (slow. Bolje pozno kot nikoli)

Allerdings verfügen Sprichwörter meist um eine derartig komplexe Bedeutung, dass


zwischensprachliche Volläquivalenz selten vorliegt. Viel häufiger kann man im
zwischensprachlichen Vergleich eine Teiläquivalenz beobachten. Diese ist dann vorhanden,
wenn zwischen Sprachen Unterschiede in der Struktur, im Komponentenbestand oder in der
bildhaft-metaphorischen Grundlage der Sprichwörter vorliegen, während die denotative
Sprichwortbedeutung identisch ist, vgl.

Nachts sind alle Katzen grau (slow. Ponoči so vse krave črne) (Unterschiede im
Komponentenbestand und in der bildhaft-metaphischen Grundlage)

Ohne Fleiß kein Preis (slow. Brez dela ni jela) (Unterschiede im Komponentenbestand, in der
syntaktischen Struktur und in der bildhaft-metaphischen Grundlage)

Man lernt nie aus (slow. Človek se uči, dokler živi) (Unterschiede im Komponentenbestand, in der
syntaktischen Struktur und in der bildhaft-metaphischen Grundlage)

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Die zwischensprachlichen Äquivalenzbeziehungen sind besonders anhand der mehrsprachig


angelegten Sprichwortsammlungen und parömiologischen Wörterbücher gut
nachvollziehbar. Schließlich konnte sie auch in der neuesten umfangreichen Studie zur
globalen Verbreitung vieler Idiome (und darunter auch Sprichwörter) in Piirainen (2012)
bestätigt werden.

Die zwischensprachliche Konvergenz basiert zunächst auf gemeinsamen Quellen, denn


gerade Sprichwörter, die in der antiken oder klassischen Literatur, in der Mythologie und in
der Bibel ihren Ursprung haben, sind zwischensprachlich hochgradig konvergent. Positive
Auswirkungen auf die Übereinstimmung haben hierbei rege Sprachkontakte und/oder die
Übersetzung, was zu Entlehnungsprozessen führt. So kennt z.B. das Sprichwort Die Würfel
sind gefallen konvergente Sprichwortformen in zahlreichen europäischen und anderen
Sprachen (Piirainen 2012, 132ff.).

Es gibt jedoch auch hochkonvergente Sprichwörter, deren Metaphorik biologisch und/oder


erfahrungsbedingt ist, vgl. etwa die deutschen Sprichwörter Hunde, die bellen, beißen nicht
und Wer sucht, der findet mit konvergenten slowenischen, slowakischen, tschechischen und
ungarischen Äquivalenten (SprichWort, 2010).

3.6 Sprichwortsammlungen

Beobachtet man die fachliche Auseinandersetzung mit den Sprichwörtern aus historischer
Perspektive, so kann man auf zahlreiche Sprichwortsammlungen hinweisen, die in
volkskundlicher Tradition entstanden sind und die gegenwärtig in vielfältiger
methodologischer Ausprägung und recht unterschiedlichem Umfang für viele Sprachen
vorliegen. Das Sprichwortsammeln hat Jahrtausende lange Tradition, und die
Sprichwortsammlungen sollte man als tradierte Quellen für die (diachrone)
Sprichworterforschung betrachten. Ob bzw. inwiefern sie auch bei der Erarbeitung
moderner synchroner Wörterbücher anwendbar sind, ist allerdings fraglich, zumal sie

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

prinzipiell historisches Sprichwortgut und historische Sprachzustände vermitteln. (Eine


knappe Übersicht über die bedeutendsten slowenischen Sprichwortsammlungen findet sich
in Jesenšek 2007).

Die bedeutendsten Sammlungen der deutschen Sprichwörter werden nachfolgend kurz


besprochen. Viele davon sind teilweise oder vollständig digitalisiert und im Internet frei
zugänglich. Die jeweiligen Adressen sind im Literaturverzeichnis angegeben.

Seit der angenommen ersten europäischen Sprichwortsammlung aus dem Jahr 1023 von
Egbert von Lüttich (Fecunda ratis (Das vollbeladene Schiff)), die lateinische und biblische
Sprichwörter enthält, verzeichnet man in Europa eine intensive Beschäftigung mit der
lexikographieähnlichen Dokumentierung der Sprichwörter. Die ältesten dokumentierten
sprichwortähnlichen Texte seien die auf sumerischen Tafeln in Keilschrift verfasste Texte aus
dem 2. Jahrtausend v. u. Z. Historisch sehr bedeutend für die Sprichworterforschung vieler
Sprachen sind allerdings Sprichwortsammlungen aus antiker Zeit, zumal zahlreiche
allgemeineuropäische Sprichwörter auf diese kulturell bahnbrechende Epoche zurück gehen.

Im Mittelalter dienten Sprichwortsammlungen vor allem dem Lateinunterricht und der


moralischen Erziehung. Besonders beliebt waren sie auch im 16. und 17. Jahrhundert in der
damals vorherrschenden lehrhaften Literatur. Während dieser Epoche mehrmals erschienen
ist die vielgelesene Sammlung der antiken Sprichwörter, zusammengestellt von Erasmus von
Rotterdam (Adagia, 1500, 1508, 1533). Er hat einzelne Sprichwörter mit didaktisch-
moralischen Kommentaren und Erläuterungen versehen, was dazu beigetragen hat, dass die
Erasmus-Werke als eine der wichtigsten kulturgeschichtlichen Quellen jener Zeit angesehen
werden. Ebenso im 16. Jahrhundert erschien die Sprichwortsammlung von Johann Agricola
(1543); sie ist die erste deutsche Sprichwortsammlung. Im darauffolgenden 17. Jahrhundert
erreichte die Erarbeitung von Sprichwortsamlungen einen (auch für die heutige Zeit)
beträchtlichen Umfang: Die Teutschen Weissheit von Friedrich Petri (1605) umfasste sogar
mehr als 20.000 deutsche Sprichwörter.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Die Aufklärungsepoche des 18. Jahrhunderts war den Sprichwörtern weniger zugeneigt;
Originalität und Individualität als Schreibstil wurden nämlich viel höher geschätzt als etwa
Wiederholung tradierter Sprüche. In den Texten der deutschen Klassiker (Goethe, Schiller,
Lessing u.a.) fanden Sprichwörter aber trotzdem eine hohe Beachtung, dies vorrangig als
bewährte und wirksame Stilmittel. Für Sprichwortsammlungen dieser Epoche sind
Kommentare und Bedeutungserläuterungen typisch, so z.B. Deutsches Sprichwörterbuch von
Joachim Christian Blum (1780–1782).

Im 19. Jahrhundert beobachtet man erneut ein stärkeres Interesse an den Sprichwörtern. Es
seien hier einige Werke erwähnt, die als Meilensteine für die weitere (volkskundliche und
lexikographische) Beschäftigung mit den Sprichwörtern verstanden werden können: Johann
Michael Sailer's Die Weisheit auf der Gasse, oder Sinn und Geist deutscher Sprichwörter
(1810) – eine Sammlung ausführlich analysierter und semantisch kommentierter
Sprichwörter; die Literatur der Sprichwörter von Christian Conrad Nopitsch (1822) – ein
Verzeichnis der bis zu jener Zeit veröffentlichten Arbeiten zum Phänomen Sprichwort; das
monumentale Werk von Karl Friedrich Wilhelm Wander – das fünfbändige Deutsche
Sprichwörterlexikon (1867–1880) umfasst mehr als 250.000 Sprichwörter, die stellenweise
mit Kommentaren, Anmerkungen sowie Angaben von Varianten, Quellen und
anderssprachigen Äquivalenten versehen sind; und schließlich die populärste deutsche
Sprichwortsammlung von Karl Simrock mit dem Titel Die deutschen Sprichwörter (1846).

Im 20. Jahrhundert erschienen mehrere sprach- und kulturgeschichtlich erklärende


Sammlungen des deutschen Sprichwortsgutes, darunter die Deutsche Sprichwörterkunde
von Friedrich Seiler (1922). Zu den bekanntesten vergleichbaren volkskundlich orientierten
Sammlungen des 20. Jahrhunderts zählt jedoch das illustrierte und mehrmals neu aufgelegte
Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten von Lutz Röhrich (2000; erste Ausgabe 1973).

Einhergehend mit dem wachsenden sprachwissenschaftlichen Interesse an den


Sprichwörtern ist die umfangreiche Dokumentation der modifizierten Sprichwörter zu
nennen, der von Wolfgang Mieder, einem unermüdlichen Sprichwortforscher
herausgegeben wurde: das zweibändige Wörterbuch dem Titel Antisprichwörter (1982–
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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

1985) verzeichnet die im gegenwärtigen Sprachgebrauch vorzufindenden Modifikationen


traditioneller deutscher Sprichwörter. Neben den genannten allgemeinen
Sprischwortsammlungen erreichten große Beliebtheit schließlich auch besondere Typen von
Sprichwörterbüchern: Spezialsammlungen zu Wetterregeln, Rechtssprichwörtern,
medizinischen Sprichwörtern, Wellerismen u.a.m. Es ist somit in der Geschichte der
volkstümlich und historisch konzipierter Erarbeitung und Herausgabe von
Sprichwortsammlungen eine kontinuierliche Tradition zu beobachten.

Traditionell werden Sprichwörter aber auch in allgemeinen Sprachwörterbüchern und


speziellen phraseologischen Lexika verzeichnet. Duden – Redewendungen. Wörterbuch der
deutschen Idiomatik (letzte Ausg. 2013) ist das für das Deutsche repräsentative
phraseologische Wörterbuch, das auch eine Auswahl an Sprichwörtern enthält, sonst
werden Sprichwörter aber in recht verschiedener quantitativ-qualitativer Ausprägung in alle
größeren allgemeinen ein- und mehrsprachigen Wörtern mit Deutsch integriert (und
dasselbe gilt auch für das Slowenische).

3.7 Sondergruppen

Wegen ihrer inhaltlichen und formalstrukturellen Besonderheiten kann man von einigen
Sondergruppen der Sprichwörter sprechen: Bauernregeln bzw. Wettersprichwörter,
Rechtssprichwörter, medizinische Sprichwörter und Wellerismen. Im Folgenden werden sie in
Kürze dargelegt.

3.7.1 Bauernregeln und Wettersprichwörter

Bauernregeln und Wettersprichwörter haben die reichen landwirtschaftlichen Erfahrungen


und Praktiken, die Zucht der Tiere sowie die klimatischen Beobachtungen der Menschen
zum Inhalt, vgl.

Wenn die Schwalben nieder fliegen und die Tauben baden, so bedeutet's Regen.
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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Beide Sprichwort-Sondergruppen sind in inhaltlichen Zusammenhängen zu betrachten,


zumal das Wetter die landschaftliche Tätigkeit ja maßgebend beeinflusst. In den alten Zeiten
waren sie für das ländliche Leben unentbehrliche Richtlinien für das alltägliche Leben und
Handeln, während heute sie oft als archaisch empfunden werden.

Im deutschsprachigen Raum haben sie eine sehr lange Tradition. Der erste Hinweis findet
sich bei A. Magnus (13. Jh.), die älteste gedruckte Sammlung von Bauernregeln in deutscher
Sprache stammt aus dem Jahr 1505 (Wetterbüchlein); seither ist auch der Begriff
Bauernregel im Umgang.

Es werden mehrere Typen von Bauernregeln und Wettersprichwörtern unterschieden


(Malberg 1999):

Kalendergebundene Klimaregeln

gründen auf der regionalen Wetterbeobachtung und Interpretation monatlicher


Mittelwerte, vgl.

Werden die Tage länger, wird der Winter strenger; Der Februar hat seine Mücken, baut von
Eis oft ¸feste Brücken; Der Mai in der Mitte, hat für den Winter stets noch eine Hütte; Im Juni,
Bauer, bete, dass der Hagel nicht alles zetrtrete.

Oft sind sie an die christlichen Namensfeiertage gebunden, vgl.

Christnacht hell und klar, deutet auf ein gutes Jahr; Am Tage von St. Valentin (14. Februar)
gehen Eis und Schnee dahin; Der Matthias (24. Februar) bricht's Eis, findet er keins, dann
macht er eins.

Wetterregeln betreffen Aussagen zum weiteren Wetterablauf, die auf der Beobachtung
des momentanen Wetterzustandes beruhen, vgl.

Ziehen die Wolken dem Wind entgegen, gibt's am anderen Tage Regen; Steigt Nebel empor,
steht Regen bevor; Dunkle Wolken verkünden Regen; Geht die Sonne feurig auf, folgen Wind
und Regen drauf.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Witterungsregeln gehen von einem Wetterzustand aus und versuchen, das Wetter der
bevorstehenden Wochen oder längerer Perioden vorherzusagen. In der Regel gelten
kirchliche Feiertage als Orientierung:

Ist der Januar hell und weiß, wird der Sommer sicher heiß; Nasser April – trockener Juni;
Regnet's an St. Peters-Tag (29. Juni), drohen 30 Regentag'; Geht Barbara (4. Dezember) im
Grünen, kommt's Christkind im Schnee.

Tier- und Pflanzenregeln versuchen die weitere Wetterentwicklung aus dem Verhalten
von Tieren und Pflanzen zu schließen, vgl.

Ziehen die wilden Gäns' und Enten fort, ist der Winter bald am Ort; Späte Rosen im Garten,
der Winter läßt warten; Fällt das Laub sehr bald, wird der Herbst nicht alt.

Ernteregeln beschreiben die Auswirkung der Wetterbedingungen auf die Ernte und sind
oft jahreszeitbezogen, vgl.

Im Märzen kalt und Sonnenschein, wird's eine gute Ernte sein; Juli schön und klar, gibt ein
gutes Bauernjahr; Regen Ende Oktober verkündet ein gutes Jahr; Dezember mild mit viel
Regen, ist für die Saat kein großer Segen.

Mondregeln sind Aussagen vom Einfluß der Mondphasen auf das Wetter, auf Pflanzen
und Tiere, auf das Verhalten von Menschen, auf die Gestaltung des Alltags, vgl.

Bei Mondwechsel ändert sich auch das Wetter; Im wachsenden Mond sind Rosmarin und
Majoran zu säen; Alles was wachsen soll, ist im zunehmenden Mond zu beschneiden, was
nicht wachsen soll, im abnehmenden Mond; Die Schafe soll man im Vollmond scheren.

In der modernen Zeit haben die Wettersprichwörter an der Bedeutung stark verloren und
werden mitunter sogar mit humorvoll-ironischer Wirkung modifiziert, vgl.

Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

3.7.2 Rechtssprichwörter

Es geht um eine Sondergruppe von Sprichwörtern, deren Inhalt die Rechtsregelung oder
soziale Ordnung thematisiert. Somit sind sie notwendigerweise historisch-kulturell bedingt,
vgl.

Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul; Gleich gefangen, gleich gehangen.

Wenn man die historischen Hintergründe nicht mehr kennt, kann das für das gegenwärtige
Verständnis störend sein. Sie haben eine lange Tradition; im europäischen Mittelalter
stellten sie Autorität gegenüber der Richter dar, zumal diese oft rechtliche Laien gewesen
sind und ihre Urteile folgerichtig auf solchen Sprichwörtern gründeten.

3.7.3 Medizinische Sprichwörter

Medizinische Sprichwörter (auch Heilsprichwörter, Gesundheitssprichwörter,


sprichwörtliche/populäre/volkstümliche Gesundheitsregeln, volksmedizinische Ratschläge)
sind kurz gefasste Ratschläge zum Erhalten oder Erlangen der Gesundheit. Es handelt sich
also um eine inhaltlich auf die Gesundheitsfragen beschränkte Sondergruppe von
Sprichwörtern, von denen sehr viele auf die hipokratische und verschiedene mittelalterliche
medizinische Lehren zurückgehen.

Die bisher umfangreichste Sammlung der deutschen medizinischen Sprichwörter ist Seidl's
enzyklopädisches Werk Medizinische Sprichwörter (Seidl 2010). In den fast 5000
»volkstümlichen Gesundheitsregeln« sind jeweils eine Vorschrift, ein Verbot, ein Rat, eine
Empfehlung zu Fragen der Ernährung, der Psychologie und Physiologie, der Prävention und
Hygiene, der Medizin und Mediziner enthalten. Ihre tradierte Überlieferung kann man als
eine logische Folgerung der hohen Wertschätzung der Gesundheit verstehen, die nach den
Meinungsumfragen bei den meisten Menschen noch immer an erster Stelle steht.

Manche medizinische Sprichwörter sind heute fachlich überholt, mache gründen sogar auf
falschen physiologischen Vorstellungen. Man kann aber allein daher nicht behaupten, dass

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

sie generell überholt wären. Sehr viele sind nämlich noch immer gültig, wie etwa das
folgende Sprichwort:

Vor dem Schlafen, nach dem Essen Zähneputzen nicht vergessen.

Bei einem kleineren Anteil kann man allerdings auch von Irtümlichkeit oder einer extrem
irrationalen Haltung sprechen, vgl.

Wer viel schimmlig Brot isst, der wird alt; Wenn's Kind zahnt, soll die Mutter den Unterrock
verkaufen, um ihm Wein zu geben; Kinder soll man nicht Engel nennen, sonst sterben sie.

Betrachtet man diese Sprichwort-Gruppe genauer, so kann man auch hier einige typische
Struktur-Merkmale beobachten, u.a. gibt es Reihen von Realisierungen typischer
syntaktischer Muster (dazu auch in Abschnitt 3.3):

wer x, (der) y

Wer alt werden will, muss früh damit anfangen; Wer zeitig alt wird, der lebt lange

x ist y

Joghurt ist gesund; Geklagtes Leid ist halbes Leid

x macht/machen y

Kartoffeln machen dick; Brot macht die Wangen rot

x heilt /vertreibt y

Die Zeit heilt alle Wunden; Liebe vertreibt Leid

x ist gut für/gegen/wider y

Alkohol ist gut fürs Herz; Eberwurzel ist für alles gut

x hilft gegen/vor/für y

Buttermilch hilft gegen Sonnenbrand.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

An manchen Beispielen ist gut sichtbar, dass auch medizinische Sprichwörter sehr variant
sein können. So sind (ohne wesentliche Inhaltsfolgen) einzelne Komponenten austauschbar
(lexikalische Variabilität) oder sie unterscheiden sich in der syntaktischen Satzstruktur
(syntaktisch-syntagmatische Variabilität). Sehr oft hat eine derartige Varianz pragmatische
Folgen: so interpretiert man eine Variante als Ratschlag und Empehlung (Ein Apfel am Tag,
und du brauchst keinen Arzt), eine andere eher als Vorschrift bzw. Aufforderung (Iss täglich
einen Apfel und du bleibst gesund). Das bekannte Sprichwort zur Nützlichkeit und
Heilsamkeit des Apfels soll die Neigung zur Sprichwortvariabilität veranschaulichen; Seidl
(2010) verzeichnet hierzu sogar 16 variante Formen, einige davon sind

Der Apfel macht den Doktor und Apotheker arbeitslos; Ein Apfel kurz vor der Nacht, hat
manchen Arzt zum Bettler gemacht; Ein Apfel am Tag, und du brauchst keinen Arzt; Ein Apfel
jeden Tag, spart den Gang zum Arzt; Ein Apfel pro Tag hält den Arzt fern; Ein Apfel pro Tag,
mit dem Doktor keine Plag; Ein Apfel pro Tag hält gesund und munter; Einen Apfel täglich und
keine Krankheit quält dich; Einen Apfel täglich essen und du kannst den Arzt vergessen; Iss
täglich einen Apfel und du bleibst gesund; Wer viele Äpfel isst, braucht keinen Arzt.

Neben den Gruppen von synonymen Sprichwörtern wie die aufgezählten Apfel-Sprichwörter
findet man auch semantisch widersprüchliche, also antonyme Sprichwort-Paare, vgl.

Sport ist Mord, ein wahres Wort!; Treib Sport und du bleibst gesund.

Wie der Sprichwortbestand einer Sprache an sich dynamisch ist, so trifft das auch für
medizinische Sprichwörter zu: einige veralten und kommen außer Gebrauch, andere
kommen wiederum neu in den Umlauf. Die Letzteren gründen einerseits auf bewährten
Struktur-Modellen und andererseits auf immer wieder neuen medizinischen Ansichten, vgl.

Salz erhöht den Blutdruck; Sex ist gesund; Fünf am Tag.

Das letzgenannte Beispiel (Fünf am Tag) illustriert eine typische Enstehungsgeschichte von
Sprichwörtern. War Fünf am Tag bzw. 5 am Tag zunächst die Empfehlung der
Gesundheitsorganisationen (fünf Portionen Obst und Gemüße sollte man pro Tag
einnehmen), so wird sie heute als sprichwortähnliche »Wahrheit« in mehreren Sprachen

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

akzeptiert und meist als Werbeslogan verwendet (vgl. engl. 5 A Day - For a better Health;
slow. Pet na dan).

3.7.4 Wellerismen

Der Name Wellersimus entstammt dem Charles Dickens' Roman Pickwick Papers (1837) und
bezieht sich auf den Protagonisten Samuel Weller, der sie oft verwendet. Gemeint sind
modellhafte Erweiterterungen von Sprichwörtern, wodurch eine in der Regel dreiteilige
Struktur entsteht (auch Sagwörter, apologische Sprichwörter, erweiterte Sprichwörter). Den
Anfangsteil stellen bekannte Sprichworter, Zitate oder Sprüche dar, darauf folgt die Angabe
des Sprechers (oft eine bekannte Figur aus Märchen, Fabeln, Sagen oder stereotype
menschlich schwache Person wie der dumme Bauer, die schlampige Frau, der betrügerische
Müller u. ä.) und im Schlussteil wird die Situation genannt, in der der Wellerismus geüßert
wird; häufig geht es um eine ironisch-groteske wörtliche Interpretation des
Ausgangssprichworts, vgl.

Aller Anfang ist schwer, sagte der Dieb und stahl einen Amboß; Alter schützt vor Torheit nicht,
sagte die Greisin und lies sich liften; Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, sagte der
Ochs, als er gebraten wurde.

Wellerismen haben einen mit den Sprichwörtern nicht völlig vergleichbaren stilistischen
Wert. Dadurch, dass die Ausgangssprichwörter ironisiert und relativiert werden, geht ihre
Lehrhaftigkeit in der Regel verloren. Sie fungieren nur als Grundlage für humorvolle,
ironische, satirische, parodistische oder auch sarkastisch-kritische Bewertung der
menschlichen Psychologie und zwischenmenschlicher Beziehungen und ebenso der jeweils
aktuellen sozialpolitischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten. Die nachfolgenden
Wellerismen stammen vom slowenischen Autor Žarko Petan, der u.a. gerade durch
Antisprichwörter bekannt wurde:

Blut ist kein Wasser, hat der Fleischhauer gesagt und den Preis für Blutwürste erhöht; Alles
fließt, sagte der moderne Heraklit, und ein Installateur ist nicht aufzutreuben.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

3.8 Sprichwortähnliche feste Strukturen

Wie in Abschnitt 3.2 angedeutet, kennen wir einige sprichwortähnlichen Strukturen, die bei
der hohen Verwendungshäufigkeit leicht zu den Sprichwörtern übergehen. Das sind
Sentenzen, geflügelte Worte, Aphorismen, Maximen und Epigramme. Sehen wir uns ihre
wesentlichen Eigenschaften an.

3.8.1 Sentenz

Sentenzen (aus lat. sententia 'Meinung, Sinn, Ausspruch') sind kurze, prägnant formulierte
Sätze mit philosophisch-literarischem Hintergrund (Sentenz). Der Author und die Quelle
sind bekannt. Von den Sprichwörtern unterscheiden sie sich auch inhaltlich: während
Sprichwörter sich auf tradierte menschliche Erfahrungen stützen, bringen Sentenzen eine
philosophische Betrachtung der Welt hervor. Eine konkrete Situation oder Erkentnis wird in
einem kurzen Satz zusammengefasst und zur allgemeinen Bedeutung erhoben. So ist der
Satz Axt im Haus erspart den Zimmermann ein Zitat aus Schiller's Werk Wilhelm Tell,
aufgrund der häufigen Verwendung, die eine allgemeine Bekanntheit mit sich bringt, kann er
jedoch auch als Sprichwort aufgefasst werden.

3.8.2 Geflügeltes Wort

Geflügelte Worte (aus gr. epea pteroenta, Buchtitel der Zitatensammlung von Georg
Büchmann 1864) sind literarische Zitate, die allgemein verwendet werden und folglich auch
als allgemein bekannt einszuschätzen sind. Ihre Quelle (oft klassische Literatur und Bibel) ist
nachweisbar, sie wird aber nicht mehr mitgedacht, vgl.

Nutze den Tag! (Horaz); Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral (Brecht); Im Westen
nichts Neues (Remarque); Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben (Gorbatschow).

Somit nähern sie sich stark den Sprichwörtern. Die meist bekannte und vielfach
nachgedruckte und erweiterte Sammlung geflügelter Worte ist das Werk Georg Büchmanns
Geflügelte Worte (Erstausgabe 1864, seither immer wieder aufgelegt).
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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Es ist äußerst schwierig, zwischen Sprichwort, geflügeltem Wort und Sentenz klar zu
unterscheiden. Der Satz Wissen ist Macht wird häufig verwendet, was eine allgemeine
Bekanntheit mit sich bringt. So könnte man ihn bereits als Sprichwort auffassen, obgleich es
sich in der Tat um ein Zitat des englischen Philosophen Francis Bacon (17./18. Jh.) handelt
(en. Knowledge itself is power).

3.8.3 Aphorismus

Aphorismen (aus. gr. aphorismós 'Abgrenzung, Definition, Lehrsatz') sind kurze, unabhängige,
originelle, als eigenständige Texte konzipierte Gedanken. Von einem Sprichwort
unterscheidet sich ein Aphorismus dadurch, dass er nicht allgemein bekannte Weisheiten
ausdrückt, sondern originelle, autorbezogene, oft subjektive und kritische Urteile, Erkentnise
hervorbringt. Aphorismen bestehen aus einem Satz oder, was seltener vorkommt, auch aus
mehreren Sätzen. In der Literaturwissenschaft werden sie als eigenständige Gattung mit
satirischen, (selbst)ironischen Zügen und typischen Stilmitteln angesehen (Paradoxie, Ironie,
Doppeldeutigkeit, Manipulation der phrasologischen und sprichwörtlichen Aussagen). Oft
thematisieren sie gesellschaftliche und/oder individuelle Moral und Ethik in politischen,
wirtschaftlichen und psychologischen Zusammenhängen.

Der erste bekannte Aphoristiker war Hippokrates, bekannt durch seine medizinischen
Lehrsätze. Im deutschen Sprachraum sind u.a. folgende Autoren als Aphoristiker bekannt
geworden: Georg Christoph Lichtenberg, Marie von Ebner-Eschenbach, Arthur Schnitzler,
Johann Wolfgang von Goethe, Theodor W. Adorno, Elias Canetti, Karl Kraus, Franz Kafka,
Friedrich Nietzsche, Robert Musil. Ein bekannter slowenischer Aphoristiker ist Žarko Petan,
dessen ausgewählte Aphorismen auch in deutscher Fassung vorliegen. Ein Paar seine sollen
das Wesen dieser Gattung illustrieren:

Wissen ist Macht, Nichtwissen Übermacht; Reden ist Silber, Schweigen ist Karriere;

Das Schiff sinkt, die Ratten übernehmen das Kommando.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

3.8.4 Maxime

Maximen (lat. maxima 'höchste Regel, oberster Grundsatz, oberste Aussage') werden als
Lebensregeln verstanden, die von subjektiven, individuellen Grundsätzen moralischen
Handelns ausgehen. Der Unterschied zum Sprichwort besteht hauptsächlich in ihrer
fehlenden Geläufigkeit. Besonders stark entwickelt war die Maxime im französischen
Sprachraum zur Zeit der Moralistik als philosophische Gattung (La Rochefoucauld, 17. Jh.)
und im deutschsprachigen Raum beim Philosophen Immanuel Kant (kategorischer Imperativ
als grundlegendes Prinzip der Ethik, 18. Jh.). Zu den bekanntesten deutschen
Maximensammlungen zählt das Werk Goethes Maximen und Reflektionen (1833), dem
folgende Beispiele entstammen:

Wer streiten will, muss sich hüten, bei dieser Gelegenheit Sachen zu sagen, die ihm niemand
streitig macht; Gar selten tun wir uns selbst genug, desto tröstender ist es, andern genug
getan zu haben; Zuerst belehre man sich selbst, dann wird man Belehrung von andern
empfangen.

3.8.5 Epigramm

Epigramme (gr. epigramma 'Inschrift, Aufschrift') gehören primär zu den literarischen


Gattungen. Sie haben eine typische formale Struktur (meist Distichon, ein Verspaar,
bestehend aus einem Heksameter und einem Pentameter) und sind betitelt. Wesentliche
inhaltliche Teile des Epigramms sind Erwartung und Aufschluss, wobei die Erwartung durch
einen scheinbaren und rätselhaften Widerspruch genannt wird und der Aufschluss durch
eine überraschende Deutung des Sinnes zum Ausdruck kommt. Inhaltlich sind sie mit
Aphorismen vergleichbar, nur haben sie eine Gedichtform. Epigramme entahlten oft
modifizierte Sprichwörter, sie erreichen aber meist keine hohe Gebrauchshäufigkeit, sodass
der Übergang zum Sprichwort eher selten vorkommt. Im deutschsprachigen Raum sind sie
u.a. bei Heinrich von Kleist, Johann Wolfgang von Goethe, Friederich Schiller, Franz
Grillparzer, Erich Kästner zu verfolgen.

Das nachfolgende Epigramm von Erich Kästner soll das Gesagte illustrieren:

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Auch eine Auskunft


Ein Mann, von dem ich wissen wollte
warum die Menschen einander betrügen,
sprach:
"Wenn ich die Wahrheit sagen sollte,
müßt ich lügen." (E. Kästner)

Weiterführende Literatur (Auswahl)

Eine bibliographische Übersicht über die Forschung im Bereich der Parömiologie (und
Phraseologie) gibt Mieder (2009); die Literaturliste enthält mehr als 10 000 Einträge mit
erklärenden Stichwort-Annotationen. Verzeichnet werden Forschungspublikationen,
erschienen bis 2007. – In Röhrich/Mieder (1977) werden die wichtigsten Sprichwort-
Aspekte angesprochen (Definition, Herkunft, Form, Funktionen) und grundlegende
Sprichwortsammlungen dargestellt. – Mieder (1995) ergibt einen Einblick in die traditionelle
und innovativ-kreative Verwendung von Sprichwörtern und Zitaten, wie diese sich in den
Medien, in der schönen Literatur und in der Werbung zeigt. Für slowenische Leser ist die
Studie zu den sprichwörtlichen Aphorismen von Žarko Petan von besoderem Interesse. –
Anhand der deutschen und slowakischen Sprichwörter bespricht Durčo (2005) die gängigen
Methoden der Sprichwortanalysen sowie einige Aspekte der kontrastiven
Sprichwortforschung. – Lee (2005) ist eine vergleichende Studie zu deutschen und
chinesischen Sprichwörtern; interessant wegen dem Vergleich zweier sprachtypologisch und
kulturell extrem unterschiedlicher Sprachen und Kulturen. – Umurova (2005) gibt einen
Einblick in den gegenwärtigen Sprichwortgebrauch in modernen Medien.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

4 Phraseologie im Sprachenlernen

INHALT UND ZIELE

Das Thema dieses Kapitels sind Fragestellungen, bezogen auf die Stellung der Phraseologie
im (fremd)sprachlichen Sprachenlernen und Sprachenunterricht. Verschiedene linguistische,
kognitive und sprachdidaktische Stellungen dazu werden dargelegt und Argumente für die
Einbeziehung der phraseologischen Inhalte in Sprachlernprozesse erläutert. Anschließend
werden Vorschläge zur künftigen Planung und Durchführung des fremdsprachlichen
Unterrichts mit Blick auf die Phraseologie unterbreitet

Wenn sie das Kapitel gründlich durcharbeiten, so werden sie die Phraseologie als
sprachdidaktisches Thema kennen lernen, die wichtigsten Argumente für ihren Einsatz als
Lehr- und Lerngegenstand und notwendige sprachdidaktische Folgen interpretieren können.

Im folgenden Kapitel werden Fragen zur Einbeziehung der phraseologischen Inhalte in das
Sprachenlernen, in erster Linie in das Lernen und Lehren von Fremdsprachen, besprochen.
Im Vordergrund stehen prinzipielle allgemeine Überlegungen zu methodisch-didaktischen
Fragestellungen zum Thema Phraseologie im Sprachenlernen.

4.1 Phraseologie als Lern- und Lehrgegenstand

Fakt ist, dass Phraseme zum lexikalischen Inventar einer jeden natürlichen Sprache gehören,
dass sie etablierte Elemente des Sprachsystems (Langue) sind und dass sie folglich den
Sprachgebrauch (Parole) ausschlaggebend mit konstituieren. Das gilt sowohl für die
Phraseologie im engeren Verständnis (satzgliedwertige idiomatische Wortverbildungen) als
auch für die Phraseologie im weiteren Sinn (satzwertige Phraseme wir z.B. Sprichwörter,
Zitate u.dgl.). Das gesamte Spektrum der Phraseologie ist in der gegenwärtigen
Kommunikation aktuell, lebendig und produktiv. Umfangreiche Textkorpora, die uns für eine
analytische Beobachtung des schriftlichen (und neuerdings auch mündlichen)
Sprachgebrauchs in vielen Sprachen zur Verfügung stehen, zeugen deutlich davon, wie
lebendig Phraseme sind und wie vielfältig sie in verschiedenen Bereichen der

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Kommunikation vorkommen können. Ihr gegenwärtiger Gebrauch ist keineswegs nur auf die
schöngeistige Literatur und gehobene kommunikative Situationen beschränkt, was hie und
da noch immer zu hören ist; als durchaus aktuelle, potente und flexible Sprachmittel
bestätigen sie sich gleicherweise in Textsorten und Domänen der modernen
massenmedialen und digitalisierten Kommunikation. Sie bleiben somit feste Bestandteile des
aktuellen Sprachgebrauchs, was die Annahme erlaubt, dass Sprecher sie als wirksame
Sprachmittel empfinden und mehr oder weniger gezielt und absichtlich verwenden.

Es wäre somit zu erwarten, dass der phraseologischen Redeweise eine besondere


didaktische Aufmerksamkeit geschenkt wird, dies sowohl beim muttersprachlichen als auch
beim fremdsprachlichen Sprachenunterricht bzw. Sprachenlernen. Dem ist allerdings meist
nicht so (Jesenšek 2008, Hallsteinsdóttir 2011, Kacjan 2012, Kacjan/Kralj 2011,
Jazbec/Enčeva 2012). Bereits ein paar kleinere Analysen geläufiger Lehrwerke zum Deutsch
als Fremdsprache zeigen nämlich, dass die Phraseologie in quantitativer Hinsicht gering und
in qualitativer Hinsicht weniger systematisch behandelt wird (Jesenšek 2000, Jazbec/Enčeva
2012). Zudem vertritt die fremdsprachliche Didaktik zur Ermittlung von Phraseologie nach
wie vor verschiedene, mitunter sogar konträre und extrem polarisierte Meinungen
(Hallsteinsdóttir 2001 und 2011). Einige meinen, die Phraseologie sollte im
fremdsprachlichen Unterricht nicht unbedingt ein Thema sein, da sie auch sonst etwas ist,
ohne dessen man in der Alltagskommunikation auskommen kann. Sie sei demnach ein
Ornament, ein Luxus, die Würze einer Sprache, aber verzichtbar. Darüber hinaus sei sie
einzelsprachspezifisch, die Eigenart einer jeden einzelnen Sprache, und somit auch nur
schwer oder sogar unübersetzbar und zwischensprachlich nicht vergleichbar. Wenn
überhaupt, sollten sich Fremdsprachenlerner mit der Phraseologie erst in späteren
Lernphasen befassen. Eine gegensätzliche Meinung dazu ist, dass das Erlernen von
Phraseologie »eine grundlegende Voraussetzung der Sprachbeherrschung ist«
(Hallsteinsdóttir 2001, 3), und je mehr man von der fremdsprachlichen Phraseologie kennt,
desto besser man ist in der Beherrschung der fremden Sprache (Hessky 1997).

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Es ist wahrscheinlich weniger angebracht, derartige Oppositionen in einer so extremen


Weise zu vertreten, da sie einander ausschließen und keine weiteren Positionen erlauben.
Ein mittlerer Weg wäre dabei vielleicht besser. Mittlerer Weg heißt allerdings nicht einfach,
eine Zwischenposition zu vertreten, also weder hier noch dort zu sein. Auf die Phraseologie
bezogen bedeutet ein mittlerer Weg vor allem Flexibilität und Dynamik. Das ist deshalb
notwendig, weil sowohl der Status von Phraseologie im sprachlichen System als auch der
Gebrauch von Phrasemen in der alltäglichen Kommunikation von mehreren und vielfältigen
Faktoren abhängig sind. Einerseits spielen einzelsprachspezifische Faktoren eine wichtige
Rolle; die gelten innerhalb einer Sprache und bestimmen die phraseologische Typologie mit.
Andererseits sind Faktoren von Bedeutung, die außerhalb des Sprachsystems begründet
sind; es sind das kontextuelle, soziale und pragmatische Umstände, die die Verwendung von
Phraseologie in verschiedenartigen Sprech- und Schreibsituationen beeinflussen.

Aus dieser Perspektive können allerdings keine generell und allgemein gültigen Rezepturen
für die Behandlung der Phraseologie im Sprachenlernen festgelegt werden. Es lassen sich
aber auch Positionen nicht vertreten, die sich nur auf eine einzelne Sprache isoliert beziehen
würden – gerade in gegenwärtiger Zeit ist das nicht angebracht, wo Sprachen (und ihre
Sprecher) ständig und massiv mit anderen Sprachen (und Sprechern) konfrontiert sind.

Dementsprechend wird im Folgenden die Auffassung vertreten, dass der Phraseologie im


gesamten Sprachenlernen von Anfang an einen festen Platz einzuräumen ist (vgl. ähnliche
Positionen bei Kühn 1992, Hallsteinsdóttir 2001 und 2011, Jesenšek 2008 und 2013). Eine
systematische Förderung der passiven und ebenso auch der aktiven phraseologischen
Kompetenz beim Sprachenlernen ist notwendig, um einigen deklarierten Zielen des
Fremdsprachenlernens gerecht zu werden. Dabei spielt der handlungsorientierte Ansatz im
Fremdsprachenunterricht eine bedeutende Rolle, wonach das Ziel verfolgt wird, »mit
Anderssprachigen verständlich und erfolgreich zu kommunizieren«. Nichtsdestoweniger sind
aber auch kulturelle Ziele des Fremdsprachenlernens wichtig, wonach der Lernende dazu
befähigt wird, »auch in der eigenen Kultur das Andere zu entdecken und mit Fremdem
umzugehen« (Glaboniat et al., 2005). Klar ist, dass sich aus einer solchen Position zum Status

70
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

der Phraseologie im Sprachenlernen mehrere Schlussfolgerungen ableiten lassen. Sie


betreffen die gesamte (synchronisierte) Planung des Sprachen-Unterrichts, ebenso
Fremdsprachenlehrerausbildung und genauso Entwicklung von Lehr- und Lernmaterialien,
was im weiteren Text noch angesprochen wird.

4.2 Argumente für die Integration der Phraseologie in das Fremdsprachenlernen

Argumente, die für eine intensive und systematische Einbeziehung der Phraseologie in das
gesamte Sprachenlernen sprechen, sind mehrere. Die wichtigsten werden hier in ihren
Wesenszügen dargelegt.

Argument 1: Phraseologische Redeweise ist Normalfall der geschriebenen und


gesprochenen Sprache

Phraseologische Redeweise ist ein Normalfall der geschriebenen und gesprochenen Sprache.
Phraseme konstituieren den Sprachgebrauch in verschiedenen Kontexten wesentlich mit.
Dies gilt sprachenübergreifend und ist primär darin begründet, dass die Phraseologie
weitgehend auf Prozessen der Metaphorisierung beruht. Wie man weiß, waren Metaphern
immer schon eine übliche Art der Versprachlichung umweltlicher Umstände, menschlicher
Eigenschaften und Verhaltensweisen. Es ist deutlich, dass der Mensch die Welt auf der Basis
seiner naiven nicht-wissenschaftlichen Vorstellungen und Erfahrungen wahrnimmt und sie
dann nach Ähnlichkeitsprinzipien ordnet, systematisiert und zu verstehen versucht. Man
nennt dies Konzeptualisierung. Wahrnehmungskonzepte werden versprachlicht und man
kann sie anhand der Bedeutung sprachlicher Einheiten interpretieren.

Illustrieren wird diese Feststellung mit einem einfachen Beispiel:

Der Wal wird von den meisten Menschen bzw. überwiegend als Fisch wahrgenommen,
obgleich die Zoologie nicht derselben Meinung ist – Wale sind nämlich Säugetiere. Die naive,

71
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

nichtwissenschaftliche Fisch-Vorstellung ist jedoch so verbreitet, dass sie bis in die


Bedeutungserläuterungen eines Wörterbuchs greifen: laut Duden online
(allgemeinsprachliches einsprachiges deutsches Wörterbuch) ist der Wal »ein größerer,
plump aussehender Mittelmeerfisch«. Im Hintergrund einer derartigen Semantisierung steht
das Konzept WAL IST FISCH. Und von solchen Aussagen ist nicht weit zu der Schlussfolgerung,
dass etwa das Lexem Hand, slow. roka, welches als Komponente zahlreicher Phraseme in
vielen Sprachen vorkommt, mehrere Konzepte versprachlicht, vgl.

Hand ist Arbeit, Hand ist Werkzeug, Hand ist Macht, Hand ist Einfluss u.a. (Jesenšek 2008).

Psychologisch-kognitiv ausgerichtete Linguistik liefert wichtige Erkenntnisse über Prinzipien


der Semantisierung und Mechanismen der sprachlichen Benennungsprozesse. Man kam zur
Feststellung, dass diese hochgradig universell und sonach übereinzelsprachlich erklärbar
sind. So ist zum Beispiel bekannt, dass in den meisten modernen Sprachen bestimmte
Lexeme phraseologisch aktiver sind als andere. Zu den aktiveren gehören unter anderem
Benennungen der Körperteile wie dt. Hand und slow. roka. Es handelt sich um eine primär
biologisch-anthropologisch begründe Tatsache, denn die Hand ist eine Besonderheit des
Menschen per excellence. Davon abhängig sind mehrere phraseologisch-metaphorische
Bedeutungen des Lexems Hand. Es handelt sich folglich über quasi sprachlich universelle und
nicht einzelsprachspezifische Bedeutungskomponente des Lexems Hand. Die Hand
funktioniert als Werkzeug, Instrument, Waffe, das Lexem Hand symbolisiert Arbeit, Tätigkeit,
Hilfe, aber auch Macht, Einfluss, Autorität, Leitung, Überlegenheit, wie zahlreiche
Verwendungsbeispiele der Phraseme mit der Komponente Hand zeigen.

Die zugrunde liegende Metaphorik ist zunächst biologisch und kognitiv begründet, folglich
sozial verbreitet und somit in der Kultur des Sprechers geankert. Derartige Metaphern sind
primär auf einen Kulturraum und nicht auf eine einzelne Sprache gebunden. Diese
sprachenübergreifende bzw. außersprachliche Eigenschaft kann zwischensprachliche
Beziehungen intensivieren und dadurch Förderung der zwischensprachlichen
phraseologischen Konvergenz zur Folge haben.

72
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Psychologisch-kognitive Phraseologieforschung geht von zwei grundlegenden Prämissen aus:

- der Mensch nimmt die Welt auf der Basis seiner naiven nicht-wissenschaftlichen
Erfahrungen wahr und ordnet, kategorisiert, konzeptualisiert sie nach
Ähnlichkeitsprinzipien und
- die Sprache spiegelt im Prinzip die Wahrnehmungskonzepte wider, zugleich trägt sie
aber zu ihrer Gestaltung bei.

Wahrnehmungskonzepte werden versprachlicht und sind somit an der Bedeutung


sprachlicher Einheiten interpretierbar. In phraseologischen Strukturen scheinen semantisch
dominante Phrasemkomponenten die Verbindung zwischen Konzept und seiner
Versprachlichung herzustellen. Analysiert man lexikographische Bedeutungsbeschreibungen
einiger Phraseme mit Hand bzw. roka in ausgewählten Wörterbüchern, so kann man daraus
Folgendes herleiten:

- Arbeit als Lebensunterhalt

von der Hand in den Mund leben, slow. živeti iz rok v usta

von seiner Hände Arbeit leben, slow. živeti od dela svojih rok

- Bezug auf die Arbeit, Tätigkeit im weiteren Sinne

alle/beide Hände voll zu tun haben, slow. imeti polne roke dela

in die Hände spucken, slow. pljuniti v roke

freie Hand haben/freie Hand jmdm. lassen, slow. imetiproste roke/pustiti komu proste roke

jmdm. sind die Hände und Füße gebunden, slow. imeti zvezane roke (in noge)

gebundene Hände haben, slow. imeti zvezane roke

- Instrument, Werkzeug, Verhältnis zur Arbeit

mit beiden Händen zugreifen, slow. zgrabiti z obema rokama

eine glückliche Hand haben, slow. imeti srečno roko


73
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

eine unglückliche Hand haben, slow. imeti nesrečno roko

jmdm. geht etw. (leicht/gut) von der Hand, slow. kaj gre komu (dobro) od/izpod rok

mit der linken Hand, slow. z levo roko

zwei linke Hände haben, slow. imeti dve levi roki

- Kampf, Gewalt

Hand an jmdn. legen, slow. položiti roko na koga

Hand an sich legen, slow. položiti roko nase

- Hilfe, Zusammenarbeit

Hand in Hand arbeiten, slow. delati z roko v roki

Hand in Hand gehen, slow. iti z roko v roki

jmdm. zur Hand/an die Hand gehen, slow. iti komu na roko/na roke

(jmds.) rechte Hand (sein), slow. (biti) desna roka (koga/čigava)

Eine Hand wäscht die andere, slow. Roka roko umije

seine/die Hand von jmdm. abziehen, slow. odtegniti roko komu

- Sicheinsetzen, Schutz, Haftung

für jmdn./etw. die/seine Hand ins Feuer legen, slow. dati roko v ogenj za koga/kaj

sich für jmdn./etw. die Hand abhacken/abschlagen lassen, slow. dati/pustiti si roko odrezati
za koga/kaj

seine/die Hand über jmdn. halten, slow. držati roko nad kom/čim

- Macht, Einfluss, Leitung, Autorität

jmdn./etw./sich in der Hand haben, slow. imeti v rokah koga/kaj/se

die/seine Hand auf jmdn./etw. haben/halten, slow. imeti/držati roko nad kom/čim

in jmds. Hand/Händen sein, slow. biti v rokah (čigavih/koga)

74
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

in sicheren/guten/schlechten Händen sein, slow. biti v varnih/dobrih/slabih rokah

die/alle Fäden in der/seiner Hand haben/halten, slow. imeti/držati vse niti v (svojih) rokah

die Zügel in der Hand haben/halten, slow. imeti vajeti v rokah

jmdn./etw. in die Hand/in die/seine Hände bekommen/nehmen, slow. dobiti/vzeti v


(svoje)roke koga/kaj

jmdm. in die Hände fallen/kommen, slow. priti/pasti v roke (čigave/kakšne/komu)

jmdm. jmdn./sich/etw. in die Hand geben, slow. dati v roke (komu koga/sebe/se/kaj)

in jmds. Hand/Hände übergehen, slow. preiti v roke (čigave/koga)

die Hand/Hände nach jmdm./etw. ausstrecken, slow. stegniti/stegovati roke po kom/čem

etw. aus der Hand geben, slow. dati iz rok kaj

jmdm. etw. aus der Hand nehmen, slow. vzeti iz rok komu kaj

von Hand zu Hand gehen, slow. iti/prehajati iz rok v roke

durch jmds. Hand/Hände gehen, slow. iti skozi roke (čigave/koga)

- Entfernung

zur Hand sein, slow. biti pri roki

etw./jmdn. bei der Hand/zur Hand haben, slow. imeti pri roki kaj/koga.

Es tritt deutlich hervor, dass die gemeinsame semantisch dominante Phrasemkomponente


Hand bzw. roka der Versprachlichung folgender Konzepte dient:

Hand ist Arbeit, Hand ist Werkzeug, Hand ist Macht, Hand ist Einfluss, Hand ist Hilfe.

Laut der Theorie der kognitiven Metapher (Lakoff) sind das konzeptuelle Metaphern. Die
Metaphorisierung basiert offensichtlich auf funktionalen und topographischen
Bedeutungsdimensionen der Lexeme Hand und roka. Dabei überwiegen funktional-
75
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

motorische im Sinne 'halten' bzw. 'Halten' und 'arbeiten'/'tätig sein' bzw. 'Arbeit'/'Tätigkeit'.
Wenn die Hand das primäre und elementare Arbeitsgerät sowie die elementare Waffe ist,
dann ist die Annahme plausibel, dass 'Arbeit', 'Tätigkeit', 'Verhältnis zur Arbeit', auch 'Kampf'
als idiomatische Bedeutungsdimensionen des Lexems Hand auf der konzeptuellen
Metaphern HAND IST ARBEIT, HAND IST WERKZEUG, HAND IST MACHT basieren.

Die Phraseologische Redeweise ist also begründet in der Art, wie der Mensch seine Umwelt
und sich selbst wahrnimmt, wie er diese Wahrnehmungen zu verstehen versucht und wie es
sie versprachlicht. Damit wird die Phraseologie zu einem nicht mehr wegzudenkenden
Bestandteil der alltäglichen sprachlichen Kommunikation und somit zu einem unabdingbaren
Element des Sprachenlernens.

Argument 2: Phraseologische Redeweise ist seit frühen Erwerbsphasen


Bestandteil des individuellen Lexikons eines jeden Sprechers

Phraseme sind im individuellen Gedächtnis eines Menschen verankert und zwar schon seit
sehr frühen Phasen des muttersprachlichen Spracherwerbs. Nach Ergebnissen der
Spracherwerbsforschung folgt die Entwicklung der muttersprachlichen phraseologischen
Kompetenz der allgemeinen kognitiven Entwicklung, sodass Kinder schon sehr früh, etwa im
Kindergartenalter, Phraseologie verstehen und gebrauchen können (Häcki Buhofer 1997).
Phraseme werden somit nicht erst in einer relativ späten Entwicklungsstufe des
Spracherwerbs verstanden und gelernt, was die so genannte Entwicklungsstufen-These
behauptet und auch in der Fremdsprachendidaktik nicht selten vertreten wird. Es konnte
nämlich nachgewiesen werden, dass man sie in der Muttersprache in jeder
Entwicklungsstufe erwirbt. Plausibel ist dementsprechend die Lexikon-These zum
Phraseologie-Erwerb (laut Häcki Buhofer 1997), die besagt, dass Phraseme einzeln und
genauso wie Wörter erworben/gelernt werden, nur müssen sie in genügend großen
Kontexten eingebettet vorkommen – was aber sowieso eine natürliche Sprechsituation ist.
Das heißt weiterhin, dass die Kinder sich dabei in der Regel keine expliziten Gedanken
machen über spezielle phraseologische Strukturen und Bedeutungen. Phraseme werden

76
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

weitgehend sofort in ihrem phraseologischen/idiomatischen Sinn verstanden/erworben.


Doppeldeutige Phraseme, das sind solche, die eine wörtliche und eine idiomatische Lesart
zulassen, werden in ihrer phraseologischen Lesart sogar schneller als in ihrer wörtlichen
Bedeutung verstanden.

Die Aneignung von muttersprachlicher Phraseologie verläuft parallel mit der Aneignung von
Einzelwörtern und ist nicht an ein bestimmtes Alter bzw. an eine höhere kognitive
Entwicklungsstufe gebunden. Auch aus psychologisch-kognitiven Gründen wäre also
angemessen, die Phraseologie didaktisch entsprechend aufzufassen und als
Unterrichtsgegenstand zu etablieren (Hessky 1997; Jesenšek 2008, 2011, 2013). Aus
kognitiver Sicht ist es also nicht gerechtfertigt, Phraseme als Extreme und/oder exotische
Besonderheiten im Wortschatz zu behandeln, aber auch nicht als etwas, was an sich eine
sprachliche Besonderheit und Eigenartigkeit einer jeden einzelnen Sprache wäre, weswegen
man sie beim fremdsprachlichen Unterricht entweder vernachlässigen oder auf spätere
Phasen des Lernens verschieben oder sogar von den Lerninhalten ausklammern könnte oder
sollte.

Argument 3: Phraseologische Redeweise ist eine der universellen Charakteristika


natürlicher Sprachen

Die phraseologische Ausdrucksweise gehört zu den universellen Eigenschaften natürlicher


Sprachen. Phraseologisierungsprozesse gehören weitgehend zu sprachlichen Universalien,
was u.a. zur Folge hat, dass zwischen Sprachen relativ viele Phraseme hochgradig
übereinstimmen. Die formale (und weitgehend auch semantische) zwischensprachliche
Konvergenz gilt oft für Phraseme, die als Komponente eine Körperteilbenennung haben, wo
die Metaphorisierung auf biologischen Gegebenheiten und menschlich universellen
Welterfahrungen basiert und somit nicht als einzelsprachspezifisch gedeutet werden kann.
Ebenso beobachtet man sie bei den Phrasemen, die in einer gemeinsamen (europäischen)
Kultur wurzeln, von der klassischen Literatur ausgehen oder durch Massenmedien verbreitet
werden. Solche Phraseme überschreiten die Grenzen einzelner Sprachen leicht. Somit ist

77
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

nicht generell die Meinung zu teilen, dass die Phraseologie zur Eigentümlichkeit und
Spezialität einer jeden einzelnen Sprache gezählt wird.

Argument 4: Phraseologie in zwischensprachlichen Beziehungen

Es ist längst anerkannt, dass die Muttersprache im Prinzip immer ein wichtiger Faktor beim
Fremdsprachenlernen ist, auf den man als Lerner greift, bewusst oder unbewusst und auch
nicht nur in den Anfangsphasen des Fremdsprachenlernens. So kam auch Hallsteinsdóttir
(2001) zum Schluss, dass der bekannten muttersprachlichen Phraseologie eine
entscheidende Rolle beim Verstehen fremdsprachlicher Phraseme zukommt. Ihre
Untersuchung zum Deutsch als Fremdsprache bestätigt deutlich, dass die phraseologischen
Kenntnisse in der Muttersprache auf fremdsprachliche Phraseologie übertragen werden und
dadurch die Grundlage für das Verstehen fremdsprachlicher Phraseme bilden.

In fremdsprachlichen Lernprozessen entsteht somit im Sprachbewusstsein der Lerner ein


System von lexikalischen Korrelationen zwischen Sprachen, die parallel als zwei lexikalische
Systeme nebeneinander vorhanden sind (Ďurčo 2005). Man kann folglich annehmen, dass im
individuellen Wortschatz der Fremdsprachenlerner zunächst Beziehungen im Bereich der
zwischensprachlichen phraseologischen Übereinstimmungen (Konvergenzen) hergestellt
werden, sodass die fremdsprachliche Phraseologie von der äquivalenten und
möglicherweise konvergenten muttersprachlichen Phraseologie gestützt wird. In den
Anfangsphasen des Fremdsprachenlernens sind derartige zwischensprachliche Bezüge noch
besonders wichtig und ausgeprägt. Der Lerner identifiziert und entschlüsselt das
fremdsprachige Phrasem, indem er Analogien zieht und Hilfe sucht beim schon Bekannten,
und das ist in erster Linie seine Muttersprache, möglicherweise aber auch entsprechende
Kenntnisse anderer Fremdsprachen. Vgl. Hallsteinsdóttir (2001, 300): »Die Übertragung der
muttersprachlichen phraseologischen Kompetenz auf Fremdsprachen bedeutet, dass
Fremdsprachler über Strategien verfügen, die ihnen die Konstruktion einer phraseologischen
Bedeutung bei nichtlexikalisierten muttersprachlichen und demzufolge auch bei
unbekannten fremdsprachlichen Phraseologismen ermöglichen.«
78
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Gewinnbringend in Richtung des positiven Transfers (positive Auswirkung auf Lernerfolg)


können hierbei die so genannten absoluten/totalen Äquivalente (Äquivalenz) fungieren.
Dass derartige Übereinstimmungen nicht auszuschließen ist, zeigen Ergebnisse mancher
kontrastiver Arbeiten zur Phraseologie europäischer Sprachen (Hessky 1997, Jesenšek 2008,
Piirainen 2012). Natürlich können zwischensprachliche phraseologische Beziehungen auch
negativen Transfer auslösen, also Interferenzstörungen verursachen, jedoch eher bei solchen
Phrasemen, die zwischensprachlich mehrere formale und/oder semantisch-pragmatische
Unterschiede aufweisen, also bei partiellen Äquivalenten. Schließlich ist festzustellen, dass
nur diejenigen Phraseme, die zwischensprachlich gar keine phraseologischen Äquivalente
nachweisen können (die so genannte Null-Äquivalenz), als einzelsprachliche Besonderheit
interpretiert werden können.

Die phraseologische Transfer-Geschichte möge in das Fremdsprachenlernen mehr Gewinn


einbringen, als dies in der Didaktik üblicherweise behauptet wird. Die muttersprachlichen
phraseologischen Kenntnisse sollten deshalb intensiver ausgenutzt werden. Dafür sprechen
zunächst phraseologisch-theoretische Gründe, da Phraseologien verschiedener Sprachen viel
mehr Gemeinsames aufweisen als traditionell behauptet worden ist; ebenso von Bedeutung
sind psychologisch-kognitive Gründe, wonach Phraseme seit sehr frühen Phasen des
muttersprachlichen Spracherwerbs ein regelrechter Bestandteil des Wortschatzes sind,
weswegen sie als Normalfall der Rede gelten müssen. Nicht zuletzt hat die Kontrastierung
der Fremdsprache mit der jeweiligen Muttersprache eine intensivere Beschäftigung mit der
letzteren zur Folge, was an sich als positiv einzuschätzen ist.

4.3 Konsequenzen für das Fremdsprachenlernen

Konsequenzen, die sich aus dem Gesagten ziehen lassen, sind methodisch-didaktischer und
praktischer Art und betreffen das Fremdsprachenlernen in mehrerer Hinsicht. Sie zielen
sowohl auf das individuelle und/oder das institutionelle Fremdsprachenlernen als auch auf
die gesamte Planung des Sprachen-Unterrichts.

79
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

4.3.1 Methodisch-didaktische Konsequenzen

Synchronisierte Planung des (fremdsprachlichen) Sprachenunterrichts im


Bereich Phraseologie

Es wurde darauf hingewiesen, dass in einigen kommunikativen Bereichen viele hochgradig


konvergente Phraseme vorliegen. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen der
Muttersprache des Lernenden und der jeweiligen Fremdsprache, mit der er sich
auseinandersetzt. Im fremdsprachlichen Unterricht sollte dieser Tatsache stärker als bisher
Rechnung getragen werden, da hochgradig konvergente Strukturen im
Fremdsprachenlernen in der Regel positiven Transfer auslösen. In methodisch-didaktischer
Hinsicht wäre deshalb eine generelle inhaltliche Synchronisierung des gesamten
Sprachenunterrichts gewinnbringend.

Bestehende Kenntnisse der muttersprachlichen Phraseologie sollten beim


fremdsprachlichen Unterricht sinnvoll und nutzbringend mit dem Phänomen der relativ
hohen phraseologischen Konvergenz zwischen Sprachen verbunden werden. Dabei scheint
in erster Linie die Auswahl der zu behandelnden Phraseme wichtig zu sein. Die Phraseme
sollte man so auswählen, dass man dabei die phraseologische Situation in der jeweiligen
Lerner-Muttersprache mit berücksichtigt. Mehr noch: Hauptsächlich sollte man von der
Muttersprache ausgehen. Das bedeutet, dass diejenigen Phraseme in fremdsprachlichen
Lernprozessen den Vorrang haben, für die es in der Muttersprache konvergente Strukturen
gibt. Die Schwierigkeitsprogression entwickelt sich somit von den so genannten guten
phraseologischen Freunden (Phraseme mit struktureller und inhaltlicher Übereinstimmung)
über eventuelle falsche phraseologische Freunde (Phraseme mit struktureller Deckung,
jedoch mit fehlender semantischer Äquivalenz oder umgekehrt) bis zu den fremdsprachigen
Phrasemen, die in der Lerner-Muttersprache eine strukturell und bildlich völlig
unterschiedliche oder sogar keine phraseologische Systemäquivalenz nachweisen können.

80
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Entwicklung phraseologischer Lehr- und Lernmaterialien

Wird der Faktor Muttersprache als eine wesentliche Größe verstanden, die das
Fremdsprachenlernen linguistisch und psychologisch in allen Lernstufen mitbestimmt, so ist
dem auch didaktisch nachzugehen, und zwar so, dass ausführliche und didaktisch
aufbereitete sprachvergleichende Beschreibungen von Phraseologie entwickelt und
erarbeitet werden. Es sind dabei solche vom Nutzen, die ausgewählte Bereiche der
jeweiligen muttersprachlichen Phraseologie den entsprechenden fremdsprachlichen
gegenüberstellen und dadurch auf Übereinstimmungen und Unterschiede deutlich
aufmerksam machen. So ist dem Fremdsprachenlernenden ständig die Möglichkeit gegeben,
auf die muttersprachliche Phraseologie zuzugreifen. Weiterhin sollten solche
Lernmaterialien didaktisch aufbereitet werden, denn pure Angaben von anderssprachigen
(fremdsprachigen) Äquivalenten genügen im Fremdsprachenlernen weniger oder überhaupt
nicht. Zur Entwicklung einer aktiven phraseologischen Kompetenz benötigt der Lernende
ausführliche Informationen zur Semantik, Grammatik und Pragmatik der ausgewählten
Phraseologie.

Hinsichtlich der Kriterien, nach denen man didaktisch relevante Phraseologie auswählt, ist
weiterhin sehr wichtig, dass die selektionierten Phraseme im täglichen muttersprachlichen
Sprachgebrauch auch aktuell und geläufig sind. Es hat ja nur wenig Sinn, wenn veraltete und
wenig geläufige Phraseme im Fremdsprachenlernen thematisiert werden. Ebenso beeinflusst
die Geläufigkeit das Verstehen von fremdsprachlichen Phrasemen wesentlich, eben nach
dem Motto: Je öfter man ein Phrasem zu hören oder zu lesen bekommt, desto leichter und
schneller versteht und erlernt man ihn. Darüber hinaus können Phraseme nur dann als
didaktisch relevant gelten, falls sie in didaktisch relevante thematische Felder eingebettet
werden können, womit sie an kommunikativer Brauchbarkeit gewinnen.

Für eine systematischere und effektive Entwicklung der phraseologischen Kompetenz ist
weiterhin notwendig, dass die Phraseologie prinzipiell in genügend großen Kontexten, das
heißt in textuellen und somit funktionalen Zusammenhängen behandelt wird. Dies deshalb,
weil Phraseme in der Rede, im Sprachgebrauch ja prinzipiell im Text eingebettet und nicht
81
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

isoliert vorkommen und auch deshalb, weil der entsprechende Kontext beim Verstehen bzw.
bei der Konstruktion der Bedeutung Hilfe leistet (Hallsteinsdóttir 2001). Eine textisolierte
Behandlung von Phrasemen würde dagegen eine künstliche, unnatürliche Situation
herbeiführen, ähnlich einer isolierten Nachschlagehandlung in einer Wörterbuch-Situation.
Und nicht zuletzt kann man sich auf die Wörterbücher und ihre Behandlung der Phraseologie
nicht immer vollständig verlassen.

4.3.2 Praktische Konsequenzen

Praktische Konsequenzen einer derartigen theoretischen und methodisch-didaktischen


Haltung sind wiederum mehrere und verschiedene:

Konsequenzen in der Fremdsprachenlehrerausbildung

Phraseologie als selbständiges Studienfach sollte zum festen Bestandteil der universitären
Ausbildung in Lehramt-Studienprogrammen und zum Inhalt der Fortbildungs- und
Weiterbildungsprogramme für Sprachenlehrer werden. Das ist zurzeit im europäischen
Germanistik-Studium nicht unbedingt und nicht immer der Fall. Dies wäre eine wichtige
Aufgabe der gerade aktuellen universitären Bildungsreform in Europa.

Konsequenzen in der Lehr- und Lernmaterialentwicklung

Entsprechende kontrastiv und didaktisch ausgerichtete Beschreibungen der Phraseologie,


die eine Fremdsprache der jeweiligen Muttersprache des Fremdsprachenlerners
gegenüberstellen, sind zu erarbeiten, da erst diese eine fachlich gesicherte Grundlage für
eine optimale Festlegung der phraseologischen Inhalte im Fremdsprachenlernen darstellen.
Darüber hinaus müssten diese eventuelle Besonderheiten in zwischensprachlichen
phraseologischen Beziehungen berücksichtigen, was notwendigerweise zur Folge hat, dass
die fremdsprachendidaktisch relevanten phraseologischen Inhalte nicht universell für alle
Sprachen festgelegt werden können, sondern dass sie regionalisiert werden müssen. Dies ist
82
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

die Aufgabe der Phraseologen, die kontrastiv arbeiten und Lexikographen, die zwei- oder
mehrsprachige Wörterbücher, Datenbanken und/oder andersartige Lernmaterialien
entwickeln.

Konsequenzen in der FS-Planung und Festlegung von Curricula

Eine integrative, fächerübergreifende Koordination der Lerninhalte ist notwendig, die jedoch
nicht bei den Fremdsprachen stehen bleibt, sondern unbedingt auch die jeweilige
Muttersprache mit einbezieht. Dies ist die Aufgabe der Sprachenlehrer und
Sprachendidaktiker, da eigentlich nur diese für curriculare Entwicklung und Festlegung und
somit für die Sprachenpolitik zuständig sein sollten.

Konsequenzen in der täglichen Praxis des Sprachenlernens und


Sprachenunterrichts

Intensive Bezüge zum muttersprachlichen Unterricht sowie zum Unterricht anderer


Fremdsprachen sind herzustellen, da nur dies ist eine lebensnahe und natürliche Situation
ist. In der Realität existieren die Sprachen ja in der Regel nicht voneinander isoliert und
getrennt, dies schon gar nicht in einer globalisierten und internationalisierten Welt von
heute. Nur eine solche Vorgehensweise kann der sprachlichen Pluralität, der angestrebten
Mehrsprachigkeit und der hochgeschätzten Interkulturalität, die in der EU sowohl deklarativ
gefordert als auch tatsächlich gefördert werden, Rechnung getragen werden.

Weiterführende Literatur

Zu den hier besprochenen Fragen zur Phraseodidaktik finden sie weitere Informationen in
Burger (2010), Hallsteinsdottir 2001 und 2011, Jesenšek 2006, 2008, 2011 und 2013,
Kacjan/Kralj 2011, Kacjan 2012, Jazbec/Enčeva 2012.

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

84
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

ANHANG

Teil A: Glossar

Dieses Glossar umfasst die wichtigsten Fachtermini, die im vorliegenden Kompendium


verwendet sind. Sie werden nur kurz definiert; nähere Erläuterungen zu den Begriffen, die
sie benennen, findet man im Kompendium selbst. Sie sind strikt alphabetisch eingeordnet;
Definitionen enthalten Verweise auf die weiteren im Glossar enthaltenen Fachtermini.

Ambiguität

semantische Eigenschaft sprachlicher Zeichen (Wörter, Wortverbindungen, Sätze),


wonach diese auf verschiedene Weise interpretiert werden können, auch
Mehrdeutigkeit

Aphorismus

kurzer, unabhängiger, origineller, als eigenständiger Text konzipierter Gedanke; von


einem  Sprichwort unterscheidet er sich dadurch, dass er nicht allgemein bekannte
Weisheiten ausdrückt, sondern originelle, autorbezogene, oft subjektive und kritische
Urteile, Erkenntnisse hervorbringt

Äquivalenz

die (zwischensprachliche) Identität oder Ähnlichkeit der phraseologischen Bedeutung

Bauernregel

 Sprichwort, dessen Inhalt die landwirtschaftlichen Erfahrungen und Praktiken der


Menschen sowie die Zucht der Tiere thematisiert
85
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Epigramm

literarische Gattung mit typischer formaler Struktur: meist Distichon, ein Verspaar,
bestehend aus einem Heksameter und einem Pentameter und Titel

Festigkeit

 Stabilität

Geflügeltes Wort

literarisches Zitat, das allgemein verwendet wird und folglich als allgemein bekannt
gilt; die Quelle (oft klassische Literatur und Bibel) wird beim Gebrauch nicht mehr
mitgedacht

Idiom

satzgliedwertiges Phrasem mit ausgeprägter Eigenschaft der  Idiomatizität

Idiomatik

1. Sprachwissenschaftliche Forschungsdisziplin zur Erforschung und Beschreibung


der Idiome; 2. Gesamtbestand der Idiome einer Sprache

Idiomatizität

Eigenschaft der  Phraseme, wonach ihre phraseologische Gesamtbedeutung aus


der Summe der Bedeutungen einzelner Bestandteile ( Komponenten) nicht
erschließbar ist

Kollokation

typisches, häufiges, voraussagbares Auftreten von zwei Wörtern

Konvergenz

86
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

die (zwischensprachliche) Identität oder Ähnlichkeit der formalen Phrasemstruktur

Komparative Phraseme

 Phraseme, die einen Vergleich versprachlichen und eine typische dreiteilige


semantisch-syntaktische Struktur einnehmen (Vergleichsobjekt, tertium
comparationis, Vergleichsmaß); Vergleichsobjekt und Vergleichsmaß verbindet
jeweils eine Partikel (wie, als, als ob) miteinander

Komponente

einzelnes Element, Bestandteil (Wort) eines  Phrasems

Lexem

Einheit des Wortschatzes, des Lexikons; Lexeme sind Einzelwörter und/oder feste
Wortverbindungen

Lexikalisiertheit

Eigenschaft der  Phraseme, wonach diese als feste Wortverbindungen mit


ganzheitlicher Bedeutung zum Bestandteil des Lexikons (Wortschatzes) einer Sprache
werden

Maxime

Lebensregel, die subjektive, individuelle Grundsätze moralischen Handelns ausdrückt

Medizinisches Sprichwort

 Sprichwort, dessen Inhalt Ratschläge zum Erhalten oder Erlangen der Gesundheit
thematisiert

Mehrdeutigkeit

87
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

 Ambiguität

Mehrgliedrigkeit

 Polylexikalität

Modifikation

gelegentliche, einmalige, autorenspezifische Umgestaltung einer phraseologischen


Ausgangsform

Paarformeln

 Phraseme, bestehend aus zwei Komponenten, die identische Lexeme sind oder der
gleichen Wortart angehören; verbunden werden sie in der Regel durch
Konjunktionen und Präpositionen; auch Zwillingsformeln

Phrasem

phraseologische Einheit einer Sprache; relativ feste Wortverbindung, deren


Gesamtbedeutung mit der Summe von Bedeutungen einzelner Bestandteile in der
Regel nicht gleichgesetzt werden kann

Phraseologie

1. Sprachwissenschaftliche Forschungsdisziplin zur Erforschung und Beschreibung


phraseologischer Bestände einzelner Sprachen; 2. der phraseologische Bestand einer
Sprache, die Gesamtheit der Phraseme einer Sprache

Phraseologischer Teilsatz

Phrasem mit einleitendem Verb und Nebensatzstruktur

Parömiologie

88
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

1. Sprachwissenschaftliche und/oder volkskundliche Forschungsdisziplin zur


Erforschung und Beschreibung der Sprichwörter einzelner Sprachen; 2. der
Sprichwort-Bestand einer Sprache, die Gesamtheit der Sprichwörter einer Sprache

Polylexikalität

Eigenschaft der  Phraseme, wonach diese immer aus mehreren Teilen (Wörtern; 
Komponenten) bestehen; sie sind immer polylexikal (mehrgliedrig); auch
Mehrgliedrigkeit

Rechtssprichwort

Sprichwort, dessen Inhalt historisch-kulturell bedingte Rechtsregelung oder soziale


Ordnung thematisiert

Reproduzierbarkeit

Eigenschaft der  Phraseme, wonach diese als feste Wortverbindungen mit


ganzheitlicher Bedeutung im Sprachgebrauch nicht jedes Mal neu gebildet werden,
sondern als vorgefertigte Einheiten zur Verfügung stehen

Sentenz

kurzer, prägnant formulierter Satz mit philosophisch-literarischem Hintergrund; der


Autor und die Quelle sind bekannt

Sprichwort

allgemein bekannter, festgeprägter Satz, der eine Lebensregel oder Weisheit in


prägnanter, kurzer Form ausdrückt; gehört zur Klasse der propositionalen
nominativen Phraseme

Sprichwortmodifikation

89
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

einmalige bzw. gelegentliche Abwandlung eines usuellen  Sprichwortes mit


besonderer stilistischer Wirkung

Sprichwortvariante

häufige Abwandlung eines allgemein bekannten  Sprichwortes, die als lexikalisiert


anzusehen ist; vgl.  Variante

Stabilität

Eigenschaft der  Phraseme, wonach diese in Struktur und Bedeutung (relativ) fest
sind; im mentalen Lexikon werden sie als feste Einheiten gespeichert und in der Rede
als solche reproduziert; auch Festigkeit

Variabilität

Eigenschaft der  Phraseme, wonach diese in Struktur veränderlich sind

Variante

usuelle, wiederholte, häufig vorkommende Abwandlungen der phraseologischen


Ausgangsform

Wellerismus

modellhaft erweitertes  Sprichwort mit dreiteiliger Struktur und humoristisch-


ironisch-satirischer Wirkung; die Struktur besteht aus dem Anfangsteil (bekanntes
Sprichwort), dem Mittelteil (die Nennung dessen, der das Angangssprichwort äußert)
und dem Schlussteil (die Beschreibung der Situation, in der die gesamte Struktur
geäußert wird)

Wettersprichwort

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

 Sprichwort, dessen Inhalt die klimatischen Beobachtungen der Menschen


thematisiert

Zwillingsformeln

 Paarformeln

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Teil B: Wörterbuchverzeichnis

Das Wörterbuchverzeichnis umfasst Angaben zu den Wörterbüchern, die im Kompendium


besprochen werden. Es handelt sich um eine Liste der ausgewählten lexikographischen
Nachschlagewerke, anhand deren man weitere und ausführlichere Kenntnisse zur
Phraseologie und Parömiologie des Deutschen erwerben kann. Das Verzeichnis ist
alphabetisch nach dem Autor bzw. ersten Autor geordnet.

Beyer, Horst & Annelies (1985): Sprichwörterlexikon. Sprichwörter und sprichwörtliche


Ausdrücke aus deutschen Sammlungen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. München.

Blum, Joachim Christian (1780-1782): Deutsches Sprichwörterbuch.

http://archive.org/details/deutschessprich00blumgoog

Büchmann, Georg (1993): Geflügelte Worte. Der klassische Zitatenschatz. 39. Aufl. Frankfurt
am Main, Berlin. (Erstausgabe 1864).

Büchmann, Georg (2007): Der Neue Büchmann – Geflügelte Worte. Der klassische
Zitatenschatz. Berlin. http://www.aronsson.se/buchmann/

DUDEN (2013). Redewendungen. Wörterbuch der deutschen Idiomatik. 4., neu bearbeitete
und aktualisierte Aufl. Berlin, Mannheim, Zürich.

von Lüttich, Ekbert: Fecunda ratis. http://archive.org/details/egbertsvonlttic00ltgoog

Mieder, Wolfgang (1989): Antisprichwörter. 3 Bde. Wiesbaden.

Nopitsch, Christian Conrad: Literatur der Sprichwörter. Ein Handbuch für Literarhistoriker,
Bibliographen und Bibliothekare

http://archive.org/details/literaturderspr00nopigoog (letzter Zugriff)


92
Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Petri (Peters), Friedrich (1605; 1983): Der Teuschen Weißheit. Hamburg. Nachdruck hrsg.
von W. Mieder. Bern.

Röhrich, Lutz (1991, 1992): Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. 3 Bde.
Freiburg.

Schmidt, Walter (2012): Morgenstund ist ungesund. Unsere Sprichwörter auf dem Prüfstand.
Reinbek bei Hamburg.

Schulze, Carl (1860; 1987): Die biblischen Sprichwörter der deutschen Sprache. Göttingen.
Nachdruck hrsg. von W. Mieder. Bern.

Sailer, Johann Michael: Die Weisheit auf der Gasse, oder Sinn und Geist deutscher
Sprichwörter.

http://books.google.si/books/about/Die_weisheit_auf_der_gasse.html?id=7PtHAAAAMAAJ
&redir_esc=y

Seidl, Helmut A. (2010): Medizinische Sprichwörter. Das große Lexikon deutscher


Gesundheitsregeln. Darmstadt.

Seidl, Helmut A. (2012): Den Kopf halt kühl, die Füße warm! Sprichwörtliche
Gesundheitstipps und was dahinter steckt. Darmstadt.

Seiler, Friedrich: Deutsche Sprichwörterkunde.


http://archive.org/details/deutschesprichw00seiluoft

Simrock, Karl (1846; 1988): Die Deutschen Sprichwörter. Nachdruck von W. Mieder.
Stuttgart.

SprichWort (2010). SprichWort-Plattform. Eine Internetplattform für das Sprachenlernen.


http://www.sprichwort-plattform.org/

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Wander, Karl Friedrich Wilhelm (1867-1880; 1987): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. 5 Bde.


Augsburg. Nachdruck der Ausgabe 1867.http://www.zeno.org/Wander-1867

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Teil C: Literaturverzeichnis

Im Literaturverzeichnis ist die wichtigste Fachliteratur zur deutschen Phraseologie und


Parömiologie angegeben. Es handelt sich um eine Liste der ausgewählten Publikationen, in
denen man zu allen im Kompendium besprochenen Themen weiter lesen kann. Das
Verzeichnis ist alphabetisch nach dem Autor bzw. ersten Autor geordnet.

Burger, Harald (2010): Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. 4., neu
bearbeitete Aufl. Berlin.

Harald Burger et al. (Hrsg.) (2007): Phraseologie. Ein internationales Handbuch der
zeitgenössischen Forschung. Berlin; New York.

Burger, Harald, Annelies Buhofer, Ambros Sialm (1982): Handbuch der Phraseologie. Berlin,
New York.

Coulmas, Florian (1981): Routine im Gespräch. Zur pragmatischen Fundierung der Idiomatik.
Wiesbaden.

Dobrovol’skij, Dimitrij (1988): Phraseologie als Objekt der Universalienlinguistik. Leipzig.

Dobrovol’skij, Dimitrij, Elisabeth Piirainen (2005): Figurative Language. Cross-cultural and


Cross-linguistic Perspectives. Amsterdam etc.

Dobrovol’skij, Dimitrij, Elisabeth Piirainen (2009): Zur Theorie der Phraseologie: Kognitive
und kulturelle Aspekte. Tübingen.

Donalies, Elke (2009): Basiswissen. Deutsche Phraseologie. Tübingen, Basel.

Donalies, Elke (2012): Phraseologie. Tübingen.

Ďurčo, Peter (2005): Sprichwörter in der Gegenwartssprache. Trnava.


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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Fleischer, Wolfgang (1997): Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache. 2. Aufl.


Tübingen.

Földes, Csaba, Helmut Kühnert (1990): Hand- und Übungsbuch zur deutschen Phraseologie.
Budapest.

Földes, Csaba (1996): Deutsche Phraseologie kontrastiv: Intra- und interlinguale Zugänge.
Heidelberg.

Földes, Csaba (2007): Phraseme mit spezifischer Struktur. In: Burger, Harald et al. (Hrsg.):
Phraseologie. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. 1. Halbband.
Berlin, New York, 424-435.

Glaboniat, Manuela (Hg.) (2004): Profile deutsch. Lernzielbestimmung, Kann-Beschreibungen


und kommunikative Mittel für die Niveaustufen A1, A2, B1, B2, C1 und C2 des »Gemenisamen
europäischen Referenzrahmens für Sprachen«. Berlin.

Hacki Buhofer, Annelies (1997): Phraseologismen im Spracherwerb. In: Wimmer,


Rainer/Berens, Franz (Hgg.): Wortbildung und Phraseologie. Tübingen, S. 209-232.

Hallsteinsdóttir, Erla (2001): Das Verstehen idiomatischer Phraseologismen in der


Fremdsprache Deutsch. Hamburg.

Hallsteinsdóttir, Erla (2011): Aktuelle Forschungsfragen der deutschsprachigen


Phraseodidaktik. In: Linguistik online 47, H. 3, S. 3-31.

Hessky, Regina (1997): Feste Wendungen – ein heißes Eisen? Einige phraseodidaktische
Überlegungen für den DaF. In: Deutsch als Fremdsprache 3, 139-143.

Hyvärinen, Irma (2011): Zu deutschen Höflichkeitsformeln mit bitte und ihren finnischen
Äquivalenten. In: Hyvärinen, Irma, Annikki Liimatainen (Hrsg.), 147-203.

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Hyvärinen, Irma (2011): Zur Abgrenzung und Typologie pragmatischer Phraseologismen –


Forschungsüberblick und offene Fragen. In: Hyvärinen, Irma, Annikki Liimatainen (Hrsg.), 9-
43.

Hyvärinen, Irma, Annikki Liimatainen (Hrsg.) (2011): Beiträge zur pragmatischen


Phraseologie. Frankfurt am Main.

Jazbec, Saša, Milka Enčeva (2012): Aktuelle Lehrwerke für den DaF-Unterricht unter dem
Aspekt der Phraseodidaktik. In: Porta ling. 17, S. 153-171.

Jesenšek, Vida (2000): Frazeologija In horoskop pri pouku nemškega jezika. In: Vestnik 34, H.
1-2, S. 35-42.

Jesenšek, Vida (2007): Pregovori med preteklostjo in prihodnostjo. In: Jesenšek, Marko (Hg.):
Besedje slovenskega jezika. Maribor, 276-290.

Jesenšek, Vida (2008): Begegnungen zwischen Sprachen und Kulturen. Beiträge zur
Phraseologie. Bielsko-Biała.

Jesenšek, Vida (2010): Sprichwörter im Netz. Eine Internet-Lernplattform für das


Sprachenlernen. In: Mellado Blanco, Carmen/Buján Otero, Patricia/Herrero Kaczmarek
Claudia (Hgg.): La fraseografía del S. XXI. Nuevas propuestas para el español y el alemán.
Berlin, S. 125-148.

Jesenšek, Vida (2012): Sprichwörter aus (kontrastiv-)linguistischer, lexikografischer und


didaktischer Sicht: zum Projekt SprichWort. In: Steyer, Kathrin (Hg.): Sprichwörter
multilingual. Theoretische, empirische und angewandte Aspekte der modernen
Parömiologie. Tübingen, S. 275-268.

Jesenšek, Vida (2013): Sprichwörter im Sprachenlernen und was sollten Lehrende davon
wissen. (Im Druck).

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Phraseologie. Kompendium für germanistische Studien

Jesenšek, Vida, Melanija Fabčič (Hgg.) (2007): Phraseologie kontrastiv und didaktisch. Neue
Ansätze in der Fremdsprachenvermittlung. Maribor.

Kacjan, Brigita (2012): Didaktische Lerntipps für das Sprichwortlernen. Bedeutung,


Funktionen und Umsetzung. In: Steyer, Kathrin (Hg.): Sprichwörter multilingual.
Theoretische, empirische und angewandte Aspekte der modernen Parömiologie. Tübingen,
S. 453-470.

Kralj, Nataša, Brigita Kacjan (2011): Phraseologieunterricht in der Zeit der neueren
Lernmedien. In: Linguistik online 47, H. 3. http://www.lInguistik-
onlIne.de/47_11/kacjanKralj.html.

Koller, Werner (1977): Redensarten. Linguistische Aspekte, Vorkommensanalysen,


Sprachspiel. Tübingen.

Koller, Werner (2007): Probleme der Übersetzung von Phrasemen. In: Burger, H. etc. (Hrsg.):
Phraseologie. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. Bd. 1. Berlin,
New York, 605-613.

Korhonen, Jarmo (2007): Probleme der kontrastiven Phraseologie. In: Burger, H. etc. (Hrsg.):
Phraseologie. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. Bd. 1. Berlin,
New York, 574-589.

Kühn, Peter (1992): Phraseodidaktik. Entwicklungen, Probleme und Überlegungen für den
Muttersprachenunterricht und den Unterricht DaF. In Fremdsprachen Lehren und Lernen 21:
169-189.

Kühn, Peter (1996): Redewendungen – nur im Kontext! Kritische Anmerkungen zu


Redewendungen in Lehrwerken. In Fremdsprache Deutsch 15, 2: 10-16.

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Kühn, Peter (2007): Phraseme im Muttersprachenunterricht. In Burger, H. etc. (eds.),


Phraseologie. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. Bd. 2. Berlin,
New York: Walter de Gruyter, 881-893.

Lee, Jing-Ru (2005): Deutsche und chinesische Sprichwörter. Ein linguistischer konfrontativer
Vergleich. Baltmannsweiler.

Lewandowska, Anna (2008): Sprichwort-Gebrauch heute. Ein interkulturell-kontrastiver


Vergleich von Sprichwörtern anhand polnischer und deutscher Printmedien. Bern etc.

Lüger, Heinz-Helmut (1999): Satzwertige Phraseologismen. Eine pragmalinguistische


Untersuchung. Wien.

Lüger, Heinz-Helmut (2007): Pragmatische Phraseme: Routineformeln. In: Burger, H. etc.


(Hrsg.): Phraseologie. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. Bd. 1.
Berlin, New York, 444-459.

Malberg, Horst (1999): Bauernregeln. Aus meteorologischer Sicht. 3. Aufl. Berlin etc.

Mieder, Wolfgang (1985): Sprichwort, Redensart, Zitat. Tradierte Formelsprache in der


Moderne. Bern.

Mieder, Wolfgang (1989): Das Sprichwörterbuch. In: Hausmann, Franz Josef et al. (Hrsg.):
Wörterbücher. Ein internationales Handbuch zur Lexikographie. 1. Teilband. Berlin, New
York, 1033-1044.

Mieder, Wolfgang (1992): Sprichwort – Wahrwort!? Studien zur Geschichte, Bedeutung und
Funktion deutscher Sprichwörter. Frankfurt am Main.

Mieder, Wolfgang (1995): »Alles in bester Unrodnung«. Zu den sprichwörtlichen Aphorismen


von Žarko Petan. In: Mieder, W.: Sprichwörtliches und Geflügeltes. Sprachstudien von Martin
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Mieder, Wolfgang (1995a): Sprichwörtliches und Geflügeltes. Sprachstudien von Martin


Luther bis Karl Marx. Bochum.

Mieder, Wolfgang (1999): Sprichwörter, Redensarten – Parömiologie. Heidelberg.

Mieder, Wolfgang (2009): International Bibliography of Paremiology and Phraseology. Vol. I,


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Palm, Christine (1997): Phraseologie. Eine Einführung. 2. Aufl. Tübingen.

Piirainen, Elisabeth (2012): Widespread Idioms in Europe and Beyond. Toward a Lexicon of
Common Figurative Units. New York etc.

Pilz, Klaus Dieter (1981): Redensartenforschung. Stuttgart.

Röhrich, Lutz, Mieder, Wolfgang (1977): Sprichwort. Stuttgart.

Sabban, Annette, Jan Wirrer (Hrsg.) (1991): Sprichwörter und Redensarten im


interkulturellen Vergleich. Opladen.

Sava, Doris (2009): Traditionen und Perspektiven phraseologischer Forschung. Sibiu.

Stein, Stephan (1995): Formelhafte Sprache: Untersuchungen zu ihren pragmatischen und


kognitiven Funktionen im gegenwärtigen Deutsch. Frankfurt am Main etc.

Umurova, Gulnas (2005): Was der Volksmund in einem Sprichwort verpackt ...: moderne
Aspekte des Sprichwortgebrauchs anhand von Beispielen aus dem Internet. Frankfurt am
Main etc.

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