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Kriminologie
von
Prof. Dr. Bernd-Dieter Meier
Kriminologie – Meier
schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG
Thematische Gliederung:
Kriminologie. Rechtsmedizin
3. Metaanalysen
sen können auch die für die Überprüfung der Wirksamkeit von Maß-
nahmen ermittelten Effektgrößen miteinander verglichen werden.
Die Qualität der Ergebnisse ist freilich in allen Fällen von der Güte
der zugrunde liegenden Primärstudien abhängig.
4. Qualitative Datenanalyse
25 Flick 2009, 386 ff.; Bortz/Döring 2006, 328 ff.; Seipel/Rieker 2003, 189 ff.
26 Mayring 2008, 56 ff.
V. Theoretische Schlussfolgerungen 109
aber nicht sichtbar sind, sondern durch Codierung erst herausgearbeitet wer-
den müssen. Die im Textmaterial enthaltenen Aussagen werden in ihre Sinn-
einheiten zergliedert (segmentiert) und mit abstrakteren Begriffen, den Codes,
belegt. Die Codes werden dann untereinander verglichen und ausdifferenziert,
auf das Textmaterial zurückbezogen und auf erkennbare Strukturen hin ausge-
wertet. Aus der zunehmenden Abstrahierung der Begriffe erwachsen neue
Einsichten und Theorien.27
Beispiel: In der erwähnten Studie über junge rechte Gewaltstraftäter (s. o.
Rn. 34a) wurden die durchgeführten Interviews mit einer qualitativen Inhalts-
analyse ausgewertet. Bei der Strukturierung des Materials erfolgte die erste
Orientierung anhand zeitlicher Abläufe und der Zuordnung einzelner Text-
passagen zu den verschiedenen Sozialisationsinstanzen. Hiervon ausgehend
wurden weitere Kategorien und Subkategorien gebildet, die sich auf Personen,
Themen und Einstellungen bezogen und zu denen Paraphrasen und Zusam-
menfassungen gefertigt wurden, die jeweils aus den einzelnen Interviews abge-
leitet wurden. Auf diese Weise konnten die individuellen Biographien mit
Blick auf die untersuchte Fragestellung auf sehr hohem Abstraktionsniveau
zusammengefasst werden. Durch den Vergleich individueller Entwicklungs-
verläufe mit den Biographien anderer Gewalttäter und die Beobachtung von
Gemeinsamkeiten und Unterschieden konnte schließlich festgestellt werden,
dass es für die Entwicklung von Gewaltbereitschaft und rechtsextremen Ein-
stellungen mehrere typische Verlaufsmuster gibt, an die mit präventiven Über-
legungen angeknüpft werden kann.28
V. Theoretische Schlussfolgerungen
1 Zur Herleitung und den Grenzen dieser Staatsaufgabe genauer Gusy 2009, 35 ff.
112 § 5. Umfang, Struktur, Entwicklung der registrierten Kriminologie
Strafe nicht aus eigener Erfahrung, sondern aus der Presse oder dem
Fernsehen beziehen.2
2b Die Art und Weise, in der in den Medien über Kriminalität berichtet wird,
ist in vielfacher Weise verzerrt. Auch wenn die Taten, über die berichtet wird,
tatsächlich stattgefunden haben, liefert die massenmediale Berichterstattung in
der Regel doch keinen getreuen Spiegel der Verbrechenswirklichkeit, sondern
versucht, durch die Art der Themenauswahl und eine besondere Aufmachung
die Aufmerksamkeit der Adressaten auf sich zu ziehen.3 Nachrichtenwert ha-
ben nur solche Ereignisse, die sich aus der Masse der gewöhnlich vorkomm-
enden Alltagsfälle in irgendeiner Weise abheben, sei es, dass sie durch eine er-
hebliche Schwere der Tat („sex sells“), durch Dramatik, Kuriosität, Prominenz
eines Beteiligten oder durch sonstige skandalträchtige Einzelheiten gekenn-
zeichnet sind; Bilder, Reportagen und Exklusivinterviews personalisieren den
Vorgang und erwecken den Eindruck von Authentizität. Konsequenz ist, dass
wir gelegentlich glauben, die Welt sei so, wie sie sich in den Medien darstellt,
und nicht so, wie sie sich aus anderen Perspektiven, z. B. aus den Ergebnissen
von Täter- und Opferbefragungen oder den Statistiken von Polizei und Justiz
erschließt. Kriminologen sprechen insoweit von „subjektiver“ oder „gefühl-
ter“ Kriminalität im Unterschied zur „objektiven“ Kriminalität, die sich aus
anderen Quellen, namentlich der Perspektive der Polizei ergibt.4
Die Diskrepanz, die hier im Einzelfall zwischen dem auftreten kann, was
wir aufgrund der Medienberichterstattung glauben, und dem, was z. B. von
der Polizei festgestellt wird, ist in einer Untersuchung des KFN herausgear-
beitet worden: Während die polizeilich registrierte Kriminalität im Zeitraum
1993 bis 2003 zurückgegangen war (s. u. Rn. 48), äußerte eine repräsentative
Stichprobe von Befragten die Vermutung, die Zahl der Straftaten sei gestiegen.
Besonders deutlich war die Überschätzung der Kriminalitätsbelastung für die
Deliktskategorie des Sexualmords, also eines Ereignisses, über das in den Me-
dien meist ausführlich berichtet wird. Die Befragten nahmen an, die Zahl der
Sexualmorde habe im Durchschnitt um 260 % zugenommen, während sie aus
der Sicht der Polizei tatsächlich um 37,5 % zurückgegangen war.5
2c Lässt man die besondere Form der „Medienkriminalität“ außer Be-
tracht, da sie in ihrer kriminologischen Bedeutung bislang erst wenig
erforscht ist, gibt es für den empirischen Zugang zum Themenfeld
Kriminalität zwei Ansatzpunkte, die wegen ihrer unterschiedlichen
Aussagekraft auseinander zu halten sind. Zum einen lässt sich an die
Erfahrungen anknüpfen, die aufgrund eigener (also nicht medial ver-
mittelter) Wahrnehmung mit Kriminalität gemacht werden, wobei
sich weiter danach differenzieren lässt, ob es sich um Erfahrungen
mit der eigenen Begehung von Straftaten, um Opfererfahrungen
2 Vgl. Kania, in: Walter/Kania/H.-J. Albrecht 2004, 137 ff.; Walter 2005, 352 ff.
3 Frehsee, in: BMJ 2000, 25 ff.; Friedrichsen, in: Walter/Kania/H.-J. Albrecht 2004,
199 ff.; Walter 2005, 346 ff.
4 Meier, in: Steinberg 2008, 84 ff.
5 Pfeiffer/Windzio/Kleimann MschKrim 87 (2004), 417 ff.
II. Kriminalstatistiken und ihre Aussagekraft 113
1. Polizeiliche Kriminalstatistik
6 Krit. zur Erkennbarkeit von „Kriminalität“ mit Hilfe von Befragungsforschung und
Kriminalstatistiken Kunz 2008a, 54 ff.
7 Schnell/Hill/Esser 2008, 34 ff.; Diekmann 2009, 109 ff.
8 Übersicht bei Heinz, in: Sieber u. a. 2008, 1547 ff.; ders., in: Dessecker/Egg 2009, 22 ff.
114 § 5. Umfang, Struktur, Entwicklung der registrierten Kriminologie
ist die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Die PKS wird seit 1953
geführt. Sie wird jährlich vom Bundeskriminalamt (BKA) herausge-
geben und basiert auf den Informationen, die dem BKA von den Lan-
deskriminalämtern und diesen von den einzelnen Polizeidienststellen
zur Verfügung gestellt werden.9
4 Im ersten Teil der PKS werden die von der Polizei bearbeiteten rechtswid-
rigen Taten aus dem Bereich des Kern- und Nebenstrafrechts ausgewiesen.
Einbezogen sind auch die vom Zoll bearbeiteten Rauschgiftdelikte; nicht
enthalten sind die Staatsschutz- und die Verkehrsdelikte. Anhand der Straf-
verfolgungsstatistik (s. u. Rn. 9 ff.) lässt sich schätzen, dass bezogen auf das
Gesamtaufkommen der amtlich bekannt gewordenen Kriminalität auf die
Staatsschutzdelikte ein Anteil von etwa 0,1 % und auf die Straßenverkehrsde-
likte ein Anteil zwischen 25 und 30 % entfällt. Das Gesamtaufkommen aller
bekannt gewordenen Straftaten liegt also deutlich über dem aus der PKS er-
sichtlichen Kriminalitätsvolumen. Ebenfalls nicht in der PKS erfasst sind Ta-
ten, die außerhalb der Bundesrepublik begangen werden (z. B. von deutschen
Touristen im Ausland), sowie Verstöße gegen die Strafgesetze der Länder
(Ausnahme: Verstöße gegen die Landesdatenschutzgesetze). Der polizeilichen
Erfassung liegt ein unter teils strafrechtlichen, teils kriminologischen Aspekten
aufgebauter Straftatenkatalog zugrunde. Bei Taten gegen höchstpersönliche
Rechtsgüter werden auch Informationen zur Person des Opfers ausgewiesen.
Die PKS wird seit 1971 als „Ausgangsstatistik“ geführt, d. h. die bekannt ge-
wordenen Straftaten werden erst nach Abschluss der polizeilichen Ermittlun-
gen vor der Abgabe der Akten an die Staatsanwaltschaft statistisch erfasst.
5 In ihrem zweiten Teil enthält die PKS Angaben zur Aufklärung der regist-
rierten Fälle. Ein Fall gilt dann als aufgeklärt, wenn nach dem polizeilichen
Ermittlungsergebnis ein mindestens namentlich bekannter oder auf frischer
Tat ergriffener Tatverdächtiger festgestellt worden ist.
6 Im dritten Teil finden sich Angaben zur Person des Tatverdächtigen. Als
tatverdächtig gilt eine Person dann, wenn sie nach dem polizeilichen Ermitt-
lungsergebnis aufgrund zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte verdächtig
ist, eine rechtswidrige Tat begangen zu haben. Dazu zählen auch Mittäter, An-
stifter und Gehilfen. Ebenfalls erfasst werden Taten, die von strafunmündigen
Kindern oder von schuldunfähigen psychisch Kranken begangen werden, also
von Personen, gegen die wegen fehlender Schuldfähigkeit von der Staatsan-
waltschaft keine Anklage erhoben und von den Gerichten kein Urteil erlassen
werden darf. Tatverdächtige, für die innerhalb des Berichtszeitraums mehrere
Fälle der gleichen Straftat festgestellt werden, werden in der PKS seit 1984 nur
einmal gezählt („echte“ Tatverdächtigenzählung). Vor 1984 wurden diese Per-
sonen mehrfach gezählt, was im Ergebnis zu stark überhöhten und strukturell
verzerrten Tatverdächtigenzahlen führte.
7 Die PKS wird seit 1991 für die alten und die neuen Bundesländer gemein-
sam geführt. Wegen erheblicher Anlaufschwierigkeiten waren die PKS-Daten