EUROPAS RENNRAD-MAGAZIN NR. 1 WWW.TOUR-MAGAZIN.

DE

8
TOUR
DE
2019

FRANCE

8
TOUR DE FRANCE AKTUELL

AKTUELL
• Bernal schreibt Geschichte
• Buchmann und sein Top-Team
• Alaphilippe gewinnt
NR.  2019 die Herzen

JAHRGANG 2020
FIT IN 4 WOCHEN

Neue Räder
im Test
•Specialized Roubaix
TEST: NEUE RÄDER

•Simplon Kiaro
•Wilier Triestina
•Liv Avail
30 JAHRE BIMBACH

RHÖN-RADMARATHON

Rekordfeier
in Bimbach
VORSCHAU DEUTSCHLAND TOUR

VORSCHAU & SERVICE

Deutschland
Tour MIT TOP-FORM IN DEN HERBST

FIT IN 4 WOCHEN
TOUR TRANSALP

A LP E N - E TA P P E N R E N N E N RENN -VORSCHAU WO C H E N E N D -TI P P Deutschland BeNeLux 6,40 € Finnland 8,00 € Griechenland 7,50 €
Frankreich 7,30 € Italien 7,30 € Spanien 7,30 €
5,50 € Slowenien 7,40 € Slowakei 7,40 € Dänemark 60,00 DKK

TOUR TRANSALP: DIE HIGHLIGHTS GENUSS-TOUREN

Printed in Germany H01593
Österreich
6,20 €
TEAMSPIRIT DER SPANIEN- DURCHS Schweiz
9,50 sFr 4 1 9 0 1 59 3 0 55 0 0 08
UND HARTE KÄMPFE RUNDFAHRT PFÄLZER WEINLAND
 CAMPAGNOLO
MOVEMENT FOR WINNERS
© 2019 Getty Images

© Lotto Soudal-Facepeeters

© 2019 Getty Images

© 2019 Getty Images

ALEJANDRO VALVERDE (MOVISTAR TEAM) RICHARD CARAPAZ (MOVISTAR TEAM)

GEWINNER DER STRASSEN- GEWINNER BEIM GIRO D’ITALIA 2019 MIT
WELTMEISTERSCHAFTEN 2018 IN INNSBRUCK GRUPPE UND LAUFRÄDERN VON CAMPAGNOLO

Große Siege haben uns immer angespornt,

Antriebssysteme und Laufräder von höchster
Qualität und mit tadellosem Design zu
entwickeln, die Fahrern die bestmögliche
Leistung bieten können.

Auch die neue elektronische Schaltgruppe

Super Record EPS 12x2 Speed und die
TM TM

neuen Laufräder Bora WTO bedeuten einen

TM

weiteren Schritt auf dem Weg, das perfekte

Fahrrad für Gewinner zu schaffen.
Schnelle Fortbewegung, immer Campagnolo, Leidenschaft und Innovation
präzise und ohne Anstrengung
für den Fahrer, in Verbindung für große Siege.
Finden Sie das mit einem sehr geschmeidigen
Geschäft in Ihrer Übersetzungsverhältnis - das sind
Nähe, in dem nur einige der außergewöhnlichen
Sie die 12 Speed- Eigenschaften der neuen
Gruppen (elektronisch Schaltgruppe EPSTM, die sowohl
und mechanisch) mit Dual Pivot und Direct Mount
ausprobieren können. Bremsen, als auch mit der
Vollständige Liste auf superleistungsstarken Campagnolo
www.campagnolo.com Disc Brake erhältlich ist.
 INTERN
AU S D E R

Redaktion

T I T E L F OTO

Markus Greber

N ETZ
IM

TO U R T R A N SA L P

Eine umfangreiche
Bildergalerie plus Video
von der schwersten
Jedermann-Etappenfahrt
finden Sie auf
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TO U R E N -T I P P S
Die eleganteste Art,
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­recherchierte Touren
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Asturien
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RHÖN-RADLER
Der Rhön-Radmarathon 2019 in
Bimbach erlebte fast nur glück­
liche Gesichter – insbesondere
jene der Gewinner, die bei der
Ver­losung von ASSOS und TOUR
ein brandneues Bekleidungs-Set,
Startplätze und Hotelübernach-
tung gewonnen hatten. Vom
Marathon-­Neuling Christian
Keller (rechts) bis zum Routinier
Axel Schneider (links) reichte die
Bandbreite der Gewinner, die
mit TOUR-Redakteur Kristian
Bauer (Mitte) auf die Strecke
­gingen. Die Radsportler waren
voll des Lobes – nicht nur über
die neuen Klamotten, sondern
auch über eine in vielen Punkten
beispielhafte Breitensportver­
anstaltung, die an diesem Pfingst­
wochenende ihr 30-jähriges
­Jubiläum feierte. In Bauers
­Reportage lesen Sie da­r über
SOLISTEN & TEAMS
Die TOUR Transalp hat als
Je­der­­mann-Event der Top-Klasse
eine Strahlkraft, die immer wie-
der auch prominente Sportler
zur Teilnahme bewegt. So bewäl-
tigte in diesem Jahr beispiels­
weise ZDF-Sportmoderatorin
Annika Zimmermann die Fahrt
über s­ ieben Etappen, und der
frühere Ski-Weltmeister Frank
Wörndl (im Bild Mitte) nahm
­gemeinsam mit seinem Sohn
Marlon (links) teil. Als Familien-­
Team sind sie zwei der Protago-
nisten, die TOUR-Redakteur
Andreas Kublik (rechts) in den
Mittelpunkt seiner Story stellt.
Kublik bestritt seine sechste
Transalp übrigens als Einzel-
starter, was in diesem Jahr erst-
mals möglich war. Seine Erleb-
nisse als Solist sind ebenfalls Teil
der großen Transalp-Story
REISENDER
Traumjob Rennrad-Tester?
Redakteur Manuel Jekel würde
nicht widersprechen, musste in
den vergangenen W ­ ochen für
diesen Job aber vor allem eines:
reisen. Immer mehr Marken
­stellen ihre Neuheiten auf eige-
nen Events vor, wodurch der
Reiseaufwand extrem zunimmt.
Jekel fuhr kreuz und quer durch
Deutschland, besuchte Italien,
Spanien, die Schweiz und Bel­gien
– und war dabei insgesamt mehr
als 6.000 Kilometer unterwegs.
Eine Messe, auf der alle Herstel-
ler ihre Neuheiten zur gleichen
Zeit am gleichen Ort zeigen –
wie es die Euro­bike in Friedrichs­
hafen viele Jahre war – ist viel-
leicht doch keine ganz schlechte
Idee gewesen. Wir b ­ erichten
über die ersten neuen Renn­
räder für 2020

1O8 1OO 36
AB SEITE AB SEITE AB SEITE
Fotos: Geißler (2), Greune, Einklinker Titel: Witters

Leser-Hotline
0521/55 99 22
EINE NUMMER FÜR ALLES

Abo-Service, Kleinanzeigen,
Heftnachbestellung
und vieles mehr

8-2019 TOUR 3
 14
So spannend wie selten – und
doch gewann die Tour wieder
einer aus dem Team Ineos: Egan
Bernal am finalen Anstieg

36

Was bringt die Zukunft? Neue Renner der Saison 2020 im TOUR-Test

Schwung holen: Wir

machen Sie fit für ein
spätes Saison-Highlight

12O
6O Wild, grün, ursprünglich – mit legendären Bergankünften: Spaniens rauer Norden

4 TOUR 8-2019
 TOUR DE FRANCE 2019 TEILE, TEST & TECHNIK
Titelthema

8
14 Momente 36 NEUHEITEN 2020 IM TEST
Die besten Bilder der Tour 2019 Titelthema
38 Specialized Roubaix
20 Egan Bernal Klassiker-Räder – in zwei Versionen
Der erste Tour-Sieger aus Kolumbien
40 Liv Avail Pro 1
22 Timeline Vielseitiges Rennrad für Frauen
Die Highlights der diesjährigen Tour
42 Simplon Kiaro Disc
24 Team Bora-Hansgrohe
2O19
Ein neuer Coup aus Österreich
Ein Team erreicht die Weltspitze
44 Wilier Triestina Cento10
26 Julian Alaphilippe Tolles Rad für einen hohen Preis
Der neue Liebling der Franzosen
46 Fahrtest Rotor 1 x 13 INHALT
28 Technik-Report Das neue Schaltensemble aus Spanien
Kamen die Teams mit den Discs klar?
48 Rad-Reiniger
30 Magazin Was macht sauber und schont Material
Bunte News von der Tour und Umwelt? 18 Reiniger im TOUR-Test

32 Herr der Trikots 52 Testcenter

Fabrice Pierrot kleidet die Sieger ein
34 Ergebnisse
Die 106. Tour de France im Überblick
FITNESS
Für Sie getestet: Power2max-Leistungs-
messer, Giro-Schuhe, Syncros-Sattel
54 Sommertrikots
In was radeln Redakteure? Die aktuellen
Lieblingstrikots des „Team TOUR“
HOBBYSPORT

60 Fit in vier Wochen

Titelthema Saison-Highlight im Herbst? Unsere 100 TOUR Transalp
Crash-Trainingspläne m
­ achen Sie fit Titelthema Familienteams im Rennen. Plus: die
TOUR Transalp als Single-Starter
68 Fitnessforum RUBRIKEN
RUBRIKEN
Radsport bei Hitze, Trainingsbibel, 108 Rhön-Radmarathon
SEITE 3
Expertenrat: Schilddrüsenunterfunktion Titelthema Ein Klassiker wird 30: TOUR ging dem
Intern
Phänomen Bimbach auf die Spur
SEITE 6
PROFIS & CO.
114 Tourenszene Moment
Gravel Innsbruck, Radtag Stilfserjoch SEITE 8

86 Vorschau D-Tour Magazin

Titelthema Innerdeutsche Grenzgänge: Wir sind TOUREN & REISEN SEITE 12
die Strecke mit Zeitzeugen abgeradelt Leserforum

94 Vorschau Vuelta a España 116 Kurztrip Pfälzer Weinland

S E I T E 70
Fotos: Hersteller, Laue, Kunkel, Witters

Impressum
Titelthema Interview mit dem Technischen Direktor Titelthema Schattiges Grün im Wald oder sonnige
SEITE 129
und Streckenplaner Fernando Escartín Weinstraße? Beides schön hier!
Radschlag

98 Rennszene 120 Nordspanien – Asturien SEITE 130

Vorschau
Deutsche Meisterschaft, Rennticker, Spaß für raue Kerle: schroffe Landschaft,
Cyclassics Hamburg, Doping-Ticker wilder Atlantik, steile Bergankünfte

8-2019 TOUR 5
6 TOUR 8-2019
 MOMENT

W
Wenn Lachlan Morton auf das Bild links
blickt, hat er keine Ahnung, wo er in
diesem Moment gerade war. „Ich war
in so vielen Tankstellen und Super-
märkten“, erzählt er von seiner Aben-
teuerfahrt im Rahmen des GBDuro. Das
ist ein Bikepacking-­Rennen durch Groß-
britannien – auf der traditions­reichen
Strecke von Land’s End in ­Cornwall
nach John O’Groats an der Nordspitze
Schott­lands. Ohne Begleitfahrzeug
musste er sein Gepäck samt Schlaf­s ack
selbst transportieren – die Auslagen von
Tankstellen und Supermärkten ­waren
seine einzigen Verpflegungsstellen. Der
Radprofi vom Team Education First
­benötigte für die rund 2.000 Kilometer
lange Strecke sechs Tage, 13 Stunden
und 41 Minuten. Er schob das Rad durch
unwegsames Gelände, saß bis zu
29 Stunden im Sattel, litt unter Heul-
krämpfen. Trotz all dem möchte der
27-­jährige Australier diese Erfahrung
nicht missen: „Ich habe in den sechs
Tagen mehr über mich gelernt als in
meinem ganzen Leben zuvor.“
F OTO S

Gruber Images Lesen Sie das ganze Interview unter

W W W.TO U R - M AG A Z I N . D E

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8-2019 TOUR 7
 MAGAZIN
AU S G A B E

8-2019

ROSA ZUKUNFT?
Trotz spannender Rennen stand der Frauenradsport wieder im Schatten L AU R A DAHLM E IE R

der Tour de France – doch 2020 soll sich einiges ändern

Während die Tour de France den Rad- Der Weltradsportverband UCI hat un­ter­
sport für wenige Wochen ins internatio- dessen grundlegende Änderungen im
nale Rampenlicht gerückt hat, hat auch Frauenradsport angekündigt. So werden
der Frauenradsport seinen Saisonhöhe- 2020 die Teams in World-Tour- und Pro-­
punkt erlebt – allerdings deutlich weniger Continental-Mannschaften unterschieden,
beachtet: Beim Giro Rosa – und elf Rennen werden den World-Tour-­
dem wichtigsten Etappen- Status erhalten. Voraussetzung dafür ist
rennen der Frauen – hat die unter anderem eine 45-­minütige Fernseh­
Niederländerin Annemiek übertragung. Für die Fahrerinnen ent-
van Vleuten (Mitchelton-­ scheidend: Ab dem kommenden Jahr gibt
Scott) ihren Vorjahressieg es einen Mindestlohn von 30.000 Euro
wiederholt (eine ausführ­ pro Jahr. Sommersport: Dahlmeier (l.) und Rebensburg
liche Reportage zum Giro
Rosa lesen Sie in TOUR RENNRAD STATT
9/2019). Auf dem zweiten
Platz ­landete Anna van
SKI UND GEWEHR
der Breggen (Boels Ex-Biathletin Laura Dahlmeier hat
­Dolmans Cyc­ling­team), nach ihrem Karriereende endlich Zeit
Dritte wurde Aman­da
Spratt (Mit­chel­ton-
für Freizeitsport – zum Beispiel
Scott). Stark zurück­ Radsport. So fuhr sie in diesem
gemeldet hat sich auch Sommer mit dem Rennrad und ge-
Marianne Vos (CCC-Liv), meinsam mit Freunden von ihrem
die sich vier von zehn Heimatort Garmisch-Partenkirchen
­Giro-Etappensiegen ins französische Chamonix. Die
­sicherte. Ihre gute Form mehr­tägige Tour mit leichtem
unterstrich die Nieder-
länderin auch fünf Tage
­Gepäck führte über verschiedene
später mit ihrem Sieg Pässe der Schweiz. Eine ihrer Trai-
bei La Course, dem ein­ ningspartnerinnen auf dem Rennrad
tägigen Frauenrennen, das ist Skirennläuferin Viktoria Rebens-
im Rahmen der Tour de burg (im Bild oben). Vielleicht be-
France stattfindet. Als Bühne für den gleitet sie Dahlmeier ja auch bei
Frauenradsport scheint das La-Course-­ ihrem nächsten Rennrad-Traum:
Konzept zu funktionieren – zumindest in
von Garmisch über die Schweiz
Frankreich: Knapp drei Stunden wurde
live im französischen Fernsehen übertra- ans französische Mittelmeer.
gen, was bis zu 1,3 Millionen Zuschauer
verfolgten. Die Live-Übertragung des
sportlich wesentlich bedeutsameren Giro
Rosa von YouTube erzielte nur 1.000 bis
14.000 Aufrufe pro Etappe.
Fotos: Getty Images/Velo, Oswald

S TA R K E L E I S T U N G

Die Niederländerin Annemiek van Vleuten hat

zum zweiten Mal den Giro Rosa gewonnen,
das wichtigste Etappenrennen der Frauen

8 TOUR 8-2019
 INTE RVIEW

HTI P H O C H S PA N N U N G
UC
Blitze sind im Sommer
B

P
besonders häufig

DIE BERGE
ALS STADIEN »
„_arena“ lautet der Titel BESSER PLANEN
eines neuen Buch des «
Fotografen Tino Pohl- Sommer ist Gewitterzeit – TOUR hat Thomas Raphael vom VDE-Ausschuss für Blitzschutz
mann – gemeint ist da- und Blitzforschung gefragt, was Radfahrer bei Gewitter beachten müssen
mit die größte Sportare- THOMAS RAPHAEL I N T E RV I E W

na der Welt: die Tour de Kristian Bauer

France. Pohlmann rückt
in seinen Bildern die dra- TOUR Sind Radfahrer stärker gefährdet als Fußgänger? eine städtische Bushaltestelle mit Metallgerüst
matische Landschaft in RAPHAEL Nein. Blitze interessiert nur die auf einem asphaltierten Gehweg am besten
den Vordergrund – vor Höhe, und da ist der Unterschied zu gering. mit einer Beleuchtung oder Reklame, die eine
gewisse Erdung hat.
allem die Berge haben es
Macht es einen Unterschied, ob ich ein Rad aus Carbon, Alu
ihm angetan. Das Softco- oder Stahl fahre? Was sollte man tun, wenn man keinen Unterstand hat?
ver-Buch ist im Eigenver- Nein. Der Blitz geht durch die Luft, die ei- Nicht in die Nähe von Bäumen, nicht in
lag erschienen und zeigt gentlich isoliert. Die Anziehungskraft ist aber Gruppen stehen, sich nicht anfassen und die
26 Fotos, die auch in der so groß, dass er einige Kilometer überwindet, Füße nah zusammenstellen. Aber das Wich-
virtuellen Ausstellung und da interessiert es wenig, ob dann noch ein tigste ist, vorher besser zu planen: die Warn-
auf www.collected.photo oder zwei Meter Metall da sind. Wetter-App vom Deutschen Wetterdienst sagt,
wo Gewittergefahr ist.
zu sehen und zu erwer-
Schützt eine überdachte Bushaltestelle vor Blitzen?
ben sind. Die Fotos sind Jein – es kommt auf die Art der Überdachung Wie viele Blitzopfer gab es in Deutschland im letzten Jahr?
gewohnt ausdrucksstark an. Ein Holzhäuschen schützt nicht. Gut ist 109 Verletzte und 4 Tote
– im kleinen Buchformat
(16 x 24 Zentimeter) kön-
nen sie ihre Wirkung
aber nur eingeschränkt MISS G E RMANY FÄHRT J E DE RMANN TOU R

entfalten. PROMINENTE UNTERSTÜTZUNG

Die Deutschland Tour hat die amtierende Miss Germany, Nadine
_arena, Berneis, als offizielle Botschafterin gewonnen – sie wird am 1.
Tino Pohlmann, September auch die Jedermann Tour in Erfurt mitfahren. Ende
Collected Photo, Juni haben die Veranstalter die 29-jährige Polizistin zu einem
25 Euro Streckentest nach Thüringen eingeladen, wo sie problemlos die
Wellen im Thüringer Wald bewältigte. Berneis fährt seit zwei
Jahren Rennrad und hat auch schon die Profis bei der Tour de
France angefeuert. Bereits im vergangenen Jahr hatte sie am
Jedermannrennen der Deutschland-Tour teilgenommen.

8-2019 TOUR 9

DESIG N -WETTB EWE RB MIT R APHA
SCHÖNHEITS-
PREIS
INTE RVIEW
D R . A N D R E A G OT Z M A N N
20 Radamateure aus dem Masterbereich haben überraschend Post von der Nationalen Antidopingagentur
(NADA) bekommen: Sie wurden in den ADAMS-Testpool aufgenommen. Das bedeutet, dass sie wie Olympia-
teilnehmer und andere Top-Sportler ihren Aufenthaltsort melden müssen. TOUR hat Dr. Andrea Gotzmann,
Vorstandsvorsitzende der NADA, nach den Gründen gefragt
I N T E RV I E W
Kristian Bauer
TOUR Warum wurden Amateurrad-
sportler in den ADAMS-Testpool aufge-
nommen?
GOTZMANN Die NADA führt in verschie-
denen Sportarten im Mastersport Doping-
kontrollen durch. Dazu gehören Leichtath-
letik, Schwimmen und nun auch der
Radsport. Neu ist die Aufnahme der Mas-
tersportler aus dem Radsport in den so-
genannten Registered Testingpool und
den Nationalen Testpool. Grund für die
Aufnahme der Masterfahrer in einen der
beiden Testpools waren vermehrte und
10 TOUR 8-2019
RECHT & VE RKE HR
§
UNKLARE
VERKEHRS-
LAGE
Allein aus dem Umstand, dass der
Berechtigte an einer Kreuzung
abgestoppt hat, lässt sich kein
Vorfahrtsverzicht ableiten, zumin-
In unserer April-Ausgabe haben wir zu- dest in Fällen, in denen er seiner-
sammen mit Bekleidungshersteller Rapha seits anderen Verkehrsteilneh-
zum Trikot-Design-Wettbewerb aufgeru- mern Vorfahrt gewähren müsste.
Dies wurde einer Pedelec-Fahrerin
fen. Zwei Teams konnten sich über ein bescheinigt, die an einer – nicht
komplettes Team-Kit aus Trikot und Bib- durch Schilder geregelten – Kreu-
Short freuen. Christian Scholze war einer zung geradeaus weiterfahren
der Glücklichen – er hat uns ein Foto sei- wollte und mit einem von rechts
nes „Team Galicia“ im neuen Outfit ge- kommenden Transporter zusam-
schickt. Kai-Michael Lilie ist in seinem menstieß. Die Radfahrerin erlitt
neuen Set gleich über den Tourmalet ge- einen doppelten Beinbruch. Sie
verlangte ein Schmerzensgeld von
fahren. Für beide Outfits gilt: sieht
20.000 Euro, wobei sie sich ein
schick aus! Mitverschulden von 50 Prozent
anrechnen ließ. Vom Landgericht
wurde die Klage abgewiesen; das
übergeordnete Oberlandesgericht
(OLG) verneinte Erfolgsaussichten
» für die Berufung. Zwar hafte der
Transporter aus Betriebsgefahr
NATÜRLICH WAR DIE gegenüber der Klägerin, das Ei-
ÜBERRASCHUNG GROSS genverschulden der Klägerin lasse
« die Betriebsgefahr aber vollstän-
dig zurücktreten, denn die Rad-
fahrerin habe das Vorfahrtsrecht
des Transporters (rechts vor links)
schuldhaft verletzt. Einen Vor-
fahrtsverzicht habe sie nicht be-
wiesen, ein in dieser Hinsicht un-
gravierende Dopingfälle in diesem Be- missverständliches Verhalten des
reich. Gibt es auch aus anderen Sportarten Fahrers liege nicht vor. Allein aus
Gibt es einen Zusammenhang zur An- Amateure im ADAMS-Testpool? seinem Anhalten folge kein Vor-
ti-Doping-Razzia in 33 Ländern? In anderen Sportarten werden im Bereich fahrtsverzicht, zumal er den für
Nein - den gibt es nicht. des Mastersports bisher nur Wettkampf- ihn von rechts kommenden Ver-
Wie wurden die Kandidaten für den kontrollen durchgeführt. kehr beachten musste (OLG Hamm
Testpool ausgewählt? vom 24.7.2018 – 7 U 35/18, BeckRS
Die NADA stellt den Testpool nach sport- Wie haben die Testpool-Kandidaten 2018, 33853).
wissenschaftlichen Kriterien zusammen. reagiert?
Dazu gehört unter anderem das allgemei- Natürlich war die Überraschung groß. Rechtsanwalt
ne Dopingrisiko in einer Sportart. Im Be- Einige waren nicht gerade begeistert, P R O F. D R . W I N F R I E D B O R N
reich des Mastersports gaben zudem die aber vielfach haben die Sportlerinnen und Dortmund
Erkenntnisse aus den aufgetretenen Do- Sportler Verständnis gezeigt und ihre
pingfällen Anlass dazu, einzelne Sportler grundsätzliche Unterstützung für das
in den Testpool aufzunehmen und Trai- Kontrollsystem der NADA signalisiert.
ningskontrollen durchzuführen.
 INTE RVIEW
Vollkaskoschutz
» für Ihr Bike
DER EUROPÄISCHE
MARKT IST NICHT
BETROFFEN
BONNIE TU «
Die USA und China überziehen sich gegenseitig mit immer höheren Zöllen. Bedroht der Zollstreit
Chinas mit den USA die Fahrradproduktion in China? Und hat das Auswirkungen auf Europa?
TOUR hat mit Finanzvorständin Bonnie Tu des taiwanischen Herstellers Giant gesprochen
I N T E RV I E W

Kristian Bauer

TOUR Welche Folgen hat der Zollstreit?
Giant hat die Produktion der meisten
Mittelklasse- und High-End-Bikes für
den US-Markt nach Taiwan verlagert.
Sollte es ein Handelsabkommen geben,
können wir die Produktion wieder
nach China verlegen.
Sie haben öffentlich erklärt, die Ära „Made in China“
sei vorbei ...
Man hat China bisher als Fabrik der
Welt gesehen – das ist heute nicht
mehr so. Die Lohnkosten steigen, auch
die Kosten für Hygiene, Umweltschutz
und Sicherheit sind höher als zuvor.
Und jetzt der Handelskrieg und die
Zölle. Das bedeutet aber nicht, dass
Giant seine Fabriken in China schließt.
China ist ein riesiges Land mit großer
Inlandsnachfrage.
Wie sehr erhöhen Zölle den Preis eines Rennrads aus
China, das in die USA exportiert wird?
Derzeit bestehen für einen Export in
die USA 11 Prozent Einfuhrzoll und 25
Prozent Section-301-Zoll (die neuen
US-Strafzölle, Anm. d. Red.). Zum
Vergleich: Für ein Rennrad, das nach
Europa exportiert wird, werden 14
Prozent Einfuhrabgabe und 48,5 Pro- Schützen Sie Ihr Bike
zent Anti-Dumping-Zoll fällig. In die
USA sind es also 36 und nach Europa
und sparen Sie 10 Euro*
62,5 Prozent Abgaben.
Erwarten Sie höhere Preise für Rennräder aufgrund
des Zollstreits?
Der europäische Markt ist nicht be-
troffen – der Anti-Dumping-Zoll gilt
seit 1993. Anders sieht es in den USA www.waldenburger.com/bike
aus: Die Preise für die Endverbraucher
werden steigen.
Giant wird 2020 eine neue Fabrik in Ungarn eröffnen.
Hat das mit den hohen Zöllen nach Europa zu tun?
Nein. Bereits 2017 haben wir uns für
eine Fabrik in Ungarn entschieden.
Wir eröffnen die Fabrik, um auf die
schnell wachsende Nachfrage zu re-
agieren und um den europäischen
*Rabattcode: tour2019
Markt besser zu bedienen.
bei Vertragsabschluss bis zum 30.09.2019

SPE N DE NAK TION

ZWEITES LEBEN FÜR

OBIKE-RÄDER
Tausende Räder sind nach der Pleite der chinesischen
Bikesharing-Anbieter OBike und Ofo liegengeblieben.
Ein Unternehmer aus Myanmar, der bereits Firmen im
Bereich Chemie, Logistik und Automobilindustrie ini-
tiierte, hat aus der Konkursmasse 10.000 fabrikneue
Verleihräder gekauft und in seine Heimat gebracht.
Dort werden sie an Schüler verschenkt, die einen
weiten Schulweg haben. Bei Interesse will Mike Than
Tun Win das Projekt auf andere Länder ausweiten. Ihr nachhaltiger Versicherer
 LESERFORUM
Hat Ihnen TOUR gefallen?
Gibt’s Kritik? Oder Fragen? Oder
Anregungen? Oder ein Foto, das Sie
uns unbedingt zeigen wollen?
Dann schreiben, mailen oder faxen
Sie – wir freuen uns!
TOUR 7/2019 – Spezial Tour de France
UNGLEICH
Ich bin seit vielen Jahren ein bel-
gischer Leser Ihrer Zeitschrift.
In Ihrer Juli-Ausgabe habe ich
nun gelesen, dass der Belgier
Freddy Maertens besonders er-
folgreich war – und das stimmt.
Aber Sie meinten, auch angeben
zu müssen, dass er Probleme
mit Doping hatte. Okay. Aber
auch Eddy Merckx wurde –
­offiziell – dreimal mit Doping
­erwischt. Maertens und Merckx
(auch für mich wirklich der
LESERZITAT
»
Leider ist der Besitz einer gültigen
Fahrkarte für ein Fahrrad noch lange
keine Garantie dafür, dass man auch in
den reservierten Zug einsteigen kann.
«
ALAIN SOURROUILLE , GLEICHEN
12 TOUR 8-2019
AU S G A B E
8-2019
Größte) fuhren in der gleichen
Zeit, und jeder weiß, dass Do-
TOUR – Das Rennradmagazin
Postfach 701925, 81319 München
ping damals üblich war. Aber Fax 089/72960-333
warum wird eine Person immer
als Gott dargestellt, während
redaktion@tour-magazin.de
man bei der anderen immer
Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen.
Bitte geben Sie auch in E-Mails Ihren
über Doping sprechen muss?
F R A N S VA N I N G E L G E M , P E R E - M A I L
vollständigen Absender an.
TOUR 7/2019 – Spezial Tour de France
VERMISST: HÖHENMETER
Ich habe die Gesamthöhenmeter-­
Angaben bei den Etappenbe-
schreibungen in Ihrem Spezial­ ONLINE-UMFRAGE
heft zur Tour de France erneut
vermisst. Ich bin begeisterter
Hobbyradsportler, und obwohl
ich in Leipzig wohne, fahre ich
Benutzen Sie Sitzcreme?
46,5 %
(leider nur gelegentlich) auch
gerne Bergetappen. Mir hilft es,
meine Kräfte einzuteilen, wenn
ich weiß, wie viele Höhenmeter
auf dem Programm stehen. 
NORBERT KROKER, PER E-MAIL
Anm. d. Red.: Gerne würden wir
Informationen zu den Höhen­ Nein, nie
metern liefern. Leider stellt Renn­
28 %
veranstalter ASO diese Informa­
tion nicht öffentlich zur Verfügung.
Unsere Höhenprofile sind auf der
­Basis von GPS-Daten errechnet –
über Höhenmodelle. Für ein opti­
sches Höhenprofil wie in unserem Nur bei langen Touren
Magazin reicht das aus, jedoch
nicht zum Nachfahren. Denn die
25,5 %
so errechneten Gesamt­höhenmeter
weichen unserer Erfahrung nach
stark von den echten Werten ab.  
Tatsächlich lassen sich realistische
Angaben nur machen, wenn man
Ja, immer
die ganze Strecke mit einem baro­
metrischen Höhenmesser selbst Ihre Meinung interessiert uns: Jeden Monat stellen wir
abgefahren ist. Online-Umfragen auf unsere Homepage www.tour-magazin.de
Teilnehmen kann jeder, eine Registrierung ist nicht notwendig.
TOUR 6/2019 – Fitnessforum
BESSER EIN BUCH
In dem Beitrag „Entspannt per
App“ über Achtsamkeits-Apps
schreiben Sie den Satz „dazu
muss man das Smartphone neben
sich legen“. Dazu Folgendes: Ich
arbeite als Trainer sowohl im
Radsport als auch im Bereich
Fitness und Rehabilitation und
 erlebe, dass viele meiner Kunden
eine sogenannte „Smart-Watch“
haben und sich mit ihren ge­
sammelten Daten vollkommen
verrückt machen. Die meisten
können mit all den Daten gar
nichts anfangen, weil sie eben
nicht das Wissen eines Trainers
haben. Daten sind immer nur
so gut verwendbar, wie sie auch
ausgewertet werden können.
Der Schlafraum sollte ein Ort
der vollkommenen Entspannung
und der Besinnung auf sich
selbst sein – und das kann nicht
funktionieren, wenn Geräte da-
von ablenken. Weder Fernseher,
elektronische Wecker, Haus-
haltsgeräte noch Handys haben
in diesem Raum eine Aufenthalts­
berechtigung. Es ist längst nach-
gewiesen, dass viele Geräte die
Schlafqualität stören. Schon
eine bis zwei Stunden vor dem
Schlafengehen sollte man sie
nicht mehr nutzen. Das einzige
„Gerät“, das im Schlafzimmer
vor dem Schlafengehen noch
­einen Einsatz haben kann, ist ein
nettes und entspannendes Buch.
U TA B R U N S , R OT E N B U R G/ W Ü M M E
 
TOUR 7/2019 – Giro d’Italia
TOLLE ARBEIT
Gerade habe ich an diesem tollen
Sommerabend in der aktuellen
TOUR den Bericht über den
Giro gelesen. Und: Er ist groß­
artig! Insbesondere die kurzen,
aber tiefen Einblicke in einige
besondere Momente sind toll!
Zum Beispiel: Das Auto vom
Team Androni informiert das
Gruppetto über den Sieg von
­Benedetti, und die Reaktionen
der Fahrer dazu – herrlich! Vielen
Dank für diese tolle Arbeit!
T H O R S T E N SAU R E N , A AC H E N
TOUR 7/2019 – Kurztrip Düsseldorf-Frankfurt
RÄDER IN ZÜGEN
Vielen Dank für Eure vielseitige
Berichterstattung, die auch von
schönen Strecken in unterschied­
lichsten Landschaften berichtet.
Mit großem Interesse habe ich
den Bericht „Stadt, Land, Zug“
gelesen. Ich sollte sagen: Mit
großem Neid! Sie haben die Vor-
aussetzungen für das Erlangen
Foto: Kraus
einer gültigen Fahrkarte zur
Mitnahme eines Fahrrads korrekt
beschrieben, wie die Bahn es
vorgibt. Leider ist der Besitz einer
gültigen Fahrkarte noch lange
keine Garantie dafür, dass man
auch in den reservierten Zug
?!
einsteigen kann. Diese schmerz-
hafte Erfahrung habe ich das
letzte Mal am 18. Juni in Karls-
ruhe machen müssen, auf dem
Rückweg nach Frankfurt, von
einer längeren Tour in Frank-
reich. Die deutsche Bahn, genau-
so wie die französische SNCF LESERFRAGE
übrigens, wirbt zwar damit, dass
die Mitnahme von Fahrrädern
auch in schnellen Zügen möglich VO N T H O M A S WA LT H E R AU S Z I T TAU Z U M T H E M A
sei, aber willkommen sind sie
keinesfalls. Vielmehr versuchen
Durchmesser Scheibenbremsen
sie damit, ihr Image als offenes
Verkehrsmittel für alle aufzu­ Vereinzelt sind an Marathonrädern Gewichts­l imits? Und bis zu welchem
polieren. In Wahrheit steht aber noch Scheibenbremsen mit 140 Milli- Systemgewicht sind solche Räder
Profit an erster Stelle, nicht der metern Durchmesser verbaut, die geeignet? Dies interessiert mich
öffentliche Dienst im besten meisten haben inzwischen 160 Milli- auch immer wieder bei Ihren Teile-­
­Sinne, der auch die „schwierigen“ meter. In älteren Tests haben Sie Tests. Grund dafür ist, dass ich mit
Kunden gern bedient. Schade, 140-Millimeter-Scheiben als nur meinen 95 Kilogramm auch nicht
denn dadurch wird eine große ­b edingt tauglich beschrieben. Zwei der leichteste Fahrer bin. Gerade
Chance verpasst, umweltfreund- Fragen habe ich dazu: Sind 140-­ Angaben zum Systemgewicht
licher zu reisen. Millimeter-Scheiben bedenkenlos für sind bei den Herstellern aber nur
ALAIN SOURROUILLE , GLEICHEN alle Fahrer geeignet, oder gibt es schwer auffindbar.
In der Tat halten wir die kleinen 140-Millimeter-Scheiben, insbesondere am
FAMILIENBESUCHE MIT RAD ­Vorderrad, nach wie vor für bedenklich. Für Fahrer, die weniger als 70 Kilogramm
Der Artikel „Stadt, Land, Zug“ wiegen, im Flachen oder auf einem Cyclocross-Rundkurs, wo nur geringe
passt sehr gut, da ich das meist ­Geschwindigkeiten gefahren werden, mögen sie vielleicht ausreichen. Wird die
auch so mache. Zum Beispiel Bremse aber mal richtig gefordert, zum Beispiel an längeren steilen Abfahrten
wenn ich bei Familienbesuchen mit höherem Fahrergewicht, überhitzen sie viel zu schnell und die Bremse kann
freitags mit dem Rad schon vor- einfach ausfallen. Für so ein sicherheitsrelevantes Bauteil ist das inakzeptabel
fahre, in einer Jugendherberge und für den Einsatz ohne Fahrergewichts- oder Einsatzbeschränkung ist diese
übernachte und dann rechtzeitig ­Dimension absolut untauglich. Inzwischen hat sich da auch die Sichtweise der
zum Mittagessen am Samstag ­Hersteller geändert. Auch Shimano empfiehlt die kleineren Scheiben nur noch für
bei der Schwieger-/Mutter bin. den Crosseinsatz oder für geringe Fahrergewichte.
Das Rad wird dann auf der In Ihrer Gewichtsklasse würde ich dringend zu den größeren Scheiben raten.
Rückfahrt ins Auto geklemmt. ­Dennoch ist eine 140er-Scheibe nicht unbedingt ein Hindernis, so ein Rad zu kaufen,
Gerne mehr davon! denn der Umbau geht schnell vonstatten. Ein guter Händler hat das in ein paar
STEPHAN MÜNCH, BONN Minuten gemacht und kommt Ihnen vielleicht auch beim Neukauf eines Rades ent-
sprechend entgegen.
RÄDER IN ZÜGEN
Natürlich seid Ihr seit Jahren
meine monatliche Lieblingslek-
Es antwortet
J E N S K L ÖT Z E R
türe! Was ich aber vermisse, sind
harte, aufrührerische Worte, Testleiter
die Missstände in unserem Sport
anprangern. Es gibt immer we­
niger Rennen, es scheitert am
Geld und an Auflagen. Der Nach­
wuchs bei den Schülern ist sehr
überschaubar, bundesweit. För-
dert und begeistert als Fachzeit-
schrift den Nachwuchs! Zwischen
allen wirtschaftlichen Zwängen
muss auch dafür Platz sein! An-
sonsten gerne weiter so.
H E N RY S C H U L Z E , B E R L I N
8-2019 TOUR 13
TOUR DE FRANCE | MOMENTE

AUFSTIEGS-
RUNDE

14 TOUR 8-2019
Fans, Journalisten, Rennveranstalter und Radprofis waren gleichermaßen
von dieser Tour de France begeistert: Das Rennen war abwechslungsreich
und spannend wie lange nicht. Am Ende gab es neue Stars und durch
den 22-jährigen Egan Bernal den ersten Sieg eines Kolumbianers

ANHÄNGLICH

Egan Bernal (links)

kletterte bei dieser Tour
am besten – meist hatte
er Emanuel Buchmann
an seiner Seite, der für
eine tadellose Leistung
mit Gesamtrang vier
belohnt wurde

Foto: Getty Images/Velo

8-2019 TOUR 15
TOUR DE FRANCE | MOMENTE

FA R B E N F R O H

Ein Menschenspalier,
gebildet von Fans aus
aller Welt, begleitete die
Radprofis bei der Fahrt
durch Belgien und Frank-
reich – wie hier am Col
du Tourmalet

HOCHAMT

Der Grand Départ

in Belgien war
besonders stim-
mungsvoll: Die
Fans empfingen
die Radprofis zu
Tausenden an der
Mauer von
Geraardsbergen

16 TOUR 8-2019
 G E M E I N SA M S TA R K

Team Jumbo-Visma
gewann das Mann-
schaftszeitfahren – und
drei weitere Etappen
durch Mike Teunissen,
Wout Van Aert und
Dylan Groenewegen

UMKÄMPFT

Es ist lange her, dass

Fotos: Gruber Images (2), Hympendahl, Ramon

die Tour de France so

spannend war wie in
diesem Jahr: Steven
Kruijswijk (links) lieferte
sich mit Geraint Thomas
einen harten Kampf
um Sekunden und die
Plätze auf dem Podium

8-2019 TOUR 17
TOUR DE FRANCE | MOMENTE

G U T E U N T E R H A LT U N G

Julian Alaphilippe (oben)

begeisterte die Fans
mit angriffs­lustiger
Fahr­weise und
14 Tagen in Gelb

A B T E I L U N G AT TAC K E

Thibaut Pinot, Anführer

des Teams Groupama-­
FDJ, ließ Frankreich vom
ersten Gesamtsieg seit
1985 träumen – bis
zu seiner Aufgabe auf
der 19. Etappe

18 TOUR 8-2019
 K A LT E S I N F E R N O

Ein Gendarm sucht in

einem Tunnel Schutz vor
dem Hagelsturm, der
kurz vor der Ankunft­
der Profis auf die
Rennstrecke nahe Val
d’Isère niederging und
zum Abbruch der
19. Etappe führte – ein
Novum in der
Renn­geschichte
Fotos: Gruber Images (2), Ramon (2)

IM FOKUS

Egan Bernal, hier noch

im Trikot des besten
Nachwuchsfahrers am
Col du Galibier, hatte
ganz konzentriert den
Gesamtsieg im Blick

8-2019 TOUR 19
TOUR DE FRANCE | DER SIEGER: EGAN BERNAL
K
TEXT
Andreas Kublik
Kolumbien hat in vielen Ländern der Welt offizielle Bot-
schafter. Aber Kolumbien hat auch einen Botschafter des
Radsports: Nairo Quintana. „Ich lade alle nach Kolumbi-
en ein“, sagte er nach der Pressekonferenz, die seinem
Etappensieg in Valloire folgte. Und er erläuterte, warum er
und seine Landsleute besonders stark sind, wenn die Luft
dünn wird wie am 2.645 Meter hoch gelegenen Galibier:
Die Höhenlagen seien das Besondere seiner Heimat, ne-
ben der Schönheit der Landschaft natürlich.
Diese 18. Etappe war ein guter Tag – für ihn und für
Kolum­bien. Seit Jahren warteten sie zu Hause darauf, dass
er als erster Kolumbianer die Tour gewinnt. Jetzt zeigte er
wieder einmal, dass er zu den stärksten Kletterern welt-
weit gehört – selbst wenn er in der Gesamtwertung abge-
hängt war. Aber es ging an diesem Tag auch um seinen
20 TOUR 8-2019
HÖHEN-
FLUG
Eine verrückte Tour erlebte einen
verdienten Sieger: Egan Bernal gewann
als erster Kolumbianer – mit gerade
einmal 22 Jahren
Landsmann, der den anderen Favoriten am Galibier da-
vongefahren war: Egan Bernal, sieben Jahre jünger als
Quintana, ein Frühvollendeter aus dem Andenstaat. Es
war der Tag des Generationswechsels – und der Beginn
einer mobilen kolumbianischen Radsport-Straßenparty,
die durch die Alpen und weiter nach Paris führte.
DER TRAUM DER KOLUMBIANER
Tags darauf überschlug sich die Stimme von Fernando
Calle im Zielraum der Skistation Tignes-Val Claret. Der
kolumbianische Radioreporter hatte erst berichtet, wie
keiner der Konkurrenten Bernals Attacke am Col de
l’Iseran folgen konnte; wie der Gesamtführende Julian
Alaphilippe schwer tretend zurückblieb und der Weg ins
Gelbe Trikot frei war. Dann sah Calle auf dem TV-Bild-
Fotos: Getty Images, Witters (2)
schirm plötzlich Bilder, wie große Radlader eine dicke
Hagelschicht von der Straße räumten und der Tour-Direk-
tor Christian Prudhomme aus dem Führungsfahrzeug
Egan Bernal g ­ estenreich zum Anhalten bewegen wollte:
Die Straße war nach einem Wettersturz unpassierbar, das
Rennen abgebrochen.
Nicht nur in Kolumbien stockte den Fans der Atem. Sollte
aller Einsatz umsonst gewesen sein, der Traum vom Gel-
ben Trikot perdu, begraben unter Hagel und Schlamm?
Nachdem man die Radprofis in die Begleitautos gesetzt
hatte, erfuhr Bernal die gute Nachricht: Die Zeiten am
letzten Pass, dem höchsten Punkt dieser Tour, am 2.772
Meter hohen Iseran-Pass wurden gewertet – sein Vor-
sprung reichte, um Alaphilippe nach zwei Wochen das
Gelbe Trikot zu entreißen. „Geglaubt habe ich es aber erst,
als es mir im Ziel überreicht wurde“, erzählte Bernal, ge-
feiert vom „Egan Bernal Fan Club“, der seinen Vater Ger-
man und seine Lebensgefährtin Xiomara Guerrero vor
dem Siegerpodium umringte. Auch am Folgetag verteidig-
te Bernal den Vorsprung auf einer ebenfalls verkürzten
Etappe souverän. In Val Thorens war es vollbracht: der
erste Tour-Sieg eines Kolumbianers, der erste eines Süd-
amerikaners. „Die Tour gehört uns. Das Wunderkind aus
Zipaquira wird zur Legende“, titelte El Tiempo, die auf­
lagenstärkste Zeitung des Landes.
Der frühreife 22-Jährige ist damit der jüngste Tour-Sieger
seit 1909. Und Bernal war trotz ­Wetterchaos, trotz des
Fehlens einiger Favoriten, trotz der verletzungsbedingten
Aufgabe Pinots kein Zufallssieger, kein Profiteur der Um-
stände, sondern der Beste dieser Tour – einer, dem viele
zutrauen, eine Ära zu prägen. Bei der Fahrt über die Ziel-
linie hatte Vorjahressieger Geraint Thomas dem jungen
Teamkollegen anerkennend auf die Schulter geklopft; erst-
mals war der britische Rennstall mit einer Doppelspitze
angetreten. Bernal war einfach zu früh zu gut, um ihn wie
im Vorjahr zum Helfer zu degradieren. „Ich glaube, er
wird die Tour mehr als einmal gewinnen“, sagte Thomas,
der als Gesamtzweiter im teaminternen Kräftemessen
knapp den Kürzeren zog.
GEERDET IN KOLUMBIEN, GEFORMT IN ITALIEN
Bernals schmaler Körper ist stark, er fährt herausragend
bergauf und verliert im Zeitfahren bei Weitem nicht so viel
wie Quintana. Aber wie kann er mit den Erwartungen in
seiner Heimat umgehen? „Ich kenne keinen Druck, ich lie-
be es einfach, Rad zu fahren“, sagte der Neuling im Gelben
Trikot. Doch wer hochgejubelt wird, kann auch tief fallen,
das lehrt die Vergangenheit im Radsport. Geraint Thomas
urteilt aber über den jungen Teamkollegen: „Er hat ein
­gutes Netzwerk um sich herum, das ihn am Boden hält
und ihn unterstützt.“
Wo liegen die Wurzeln dieses sehr bewussten, offenen und
zugewandten jungen Radsportlers? Aufgewachsen in der
115.000-Einwohner-Stadt Zipaquira, auf 2.650 Metern
Höhe nördlich von Bogotá gelegen, hatte ihm der Vater
einst abgeraten, Radsportler zu werden – zu hart sei dieser
Weg, er selbst hatte es nicht zum Profi geschafft. Bernal
junior wollte daher Journalist werden und stellte das Rad
in die Ecke. „Aber Pablo Mazuera, mein Trainer, hat mir
gesagt, dass ich so viel Talent für den Radsport habe, dass
ich das entwickeln soll. Er ist schuld, dank ihm bin ich
hier“, erzählte Bernal auf der Sieger-Pressekonferenz.
Als Mountainbiker war er in jungen Jahren erfolgreich,
gewann als Junior WM-Medaillen im Cross-Country. Als
Straßenradsportler startete er erst durch, nachdem ihn
Teammanager Gianni Savio nach Italien gelotst und ihm
bei seinem Team Androni den Sprung in den Profiradsport
ermöglicht hatte. „In Italien haben sie mich als Straßen-
radsportler geformt“, betonte Bernal, der lange im Pie-
mont lebte und jetzt mit Lebensgefährtin Xiomara Guer-
rero, einer ehemaligen Radsportlerin, in die Höhenlage
Andorras übergesiedelt ist.
Alle hatten bei dieser Tour auf das Ende der Dominanz des
britischen Teams Sky, jetzt Ineos, gehofft. Aber es ist kein
Zufall, dass, trotz Froomes Fehlen und Thomas’ fehlender
Bestform, zum siebten Mal in acht Jahren ein Fahrer die-
ses Rennstalls die Gesamtwertung des wichtigsten Rad-
rennens für sich entschieden hat. „Ich habe lange nach
dem Rennfahrer gesucht, der der nächste Chris Froome
sein könnte, unser nächster Leader für die großen Rund-
fahrten. Meine Wahl war Bernal“, erzählte Teamchef Dave
Brailsford schon lange vor dieser Tour.
Der schmale Kolumbianer brachte als Empfehlung den
Sieg bei der Tour de l’Avenir mit, der Tour de France für
Nachwuchsfahrer bis 23 Jahre, sowie einige Top-Ergeb-
nisse von ersten Starts bei World-Tour-Rennen für das
Team Androni. Dem Vernehmen nach soll eine Ausbil-
dungsentschädigung von 350.000 Euro geflossen sein, als
Bernal zur Saison 2018 trotz laufendem Vertrag zu Sky
wechselte. Brailsford gab ihm einen Fünfjahresvertrag bis
einschließlich 2023. Laut dem „Guardian“ ist der Kontrakt
zwölf Millionen Britische Pfund wert – umgerechnet rund
10,8 Millionen Euro. „Ein Fünfjahresvertrag im Radsport
ist außergewöhnlich“, sagt Brailsford, der in seinem Team
Wiggins, Froome und Thomas zu Tour-Siegern machte,
„aber Egan ist auch ein außergewöhnliches Talent.“
FA M I L I E N M E N S C H
Vater German und
­Lebensgefährtin
Xiomara Guerrero
beglückwünschen den
jungen ­Überflieger
8-2019 TOUR 21
TOUR DE FRANCE | TIMELINE

3. ETAPPE
Was für ein Solo: Julian Ala-
philippe tritt in der Champag-
ne fast auf Ansage an der Côte
de Mutigny, 16 Kilometer vor
dem Ziel an. Er stürmt über
die letzten Steigungen und
Abfahrten als Erster ins Ziel in
Épernay und übernimmt Gelb
– als erster Franzose seit 2014;
damals führte Tony Gallopin
die Tour an.

1. ETAPPE
Groß ist die Begeisterung am Streckenrand
beim Grand Départ rund um Brüssel. Wenig
überraschend sichert sich Greg Van Avermaet
an der Mauer von Geraardsbergen das erste
Bergtrikot. Das Finale verläuft chaotisch, nach-
dem Top-Sprinter Dylan Groenewegen in einen
großen Sturz verwickelt wird. Am Schluss
schiebt der Niederländer Mike Teunissen sein
Vorderrad Zentimeter vor Peter Sagan über die
Ziellinie und übernimmt das Gelbe Trikot.
5. ETAPPE
Immer für ein Späßchen gut: Peter Sagan feiert seinen
Etappensieg in Colmar mit einer Motocross-Brille
im Gesicht; im Sprint bezwingt
2. ETAPPE er knapp den Belgier
Angeführt von Mike Teunissen in Gelb und Wout Van Aert.
Tony Martin als Tempomacher gewinnt
Jumbo-Visma etwas überraschend das Mannschafts-
zeitfahren zu Füßen des Brüsseler Wahrzeichens
Atomium – 20 Sekunden vor Ineos

START
1 . E TA P P E 2 . E TA P P E 3 . E TA P P E 4 . E TA P P E 5 . E TA P P E

6 . E TA P P E 7. E TA P P E 8 . E TA P P E 9 . E TA P P E 1 0 . E TA P P E 1 1 . E TA P P E

7. ETAPPE
Wer ist der beste Sprinter
dieser Tour? Die Frage ist nach
der ersten Tour-Woche offen:
Dylan Groenewegen (in Gelb-
Schwarz) zieht in Chalon-sur-
S­aone mit Elia Viviani (blau)
und Peter Sagan (grün) gleich
– alle haben nun einen Etap-
pensieg auf dem Konto.

6. ETAPPE
Noch ein bisschen härter:
Die Streckenplaner der Tour
verlängern die Bergankunft in 8. ETAPPE
La Planche des Belles Filles um Meisterstück: Thomas De Gendt
Fotos: Getty Images/Velo, Gruber Images (1), Ramon (1)

einen Kilometer, der weitgehend rettet sich als einzig verbliebener

über eine Schotterstraße führt: Ausreißer vor den Verfolgern ins
Ausreißer Dylan Teuns gewinnt Ziel. Den anspruchsvollen Parcours
die Vogesen-Etappe, der knapp durch das Zentralmassiv nutzen
geschlagene Giulio Ciccone Julian Alaphilippe und Thibaut
übernimmt Gelb. Geraint Thomas Pinot auf den letzten Kilometern
(vorne) erweist sich auf der zu einer gemeinsamen Attacke
ersten Bergetappe als Stärkster und gewinnen 20 Sekunden aufs
der Favoriten. Feld mit den Favoriten. Alaphilip-
pe übernimmt wieder Gelb.
10. ETAPPE
Doppelte Überraschung: Ein Kreisverkehr und eine folgende
Windkantensituation teilen das Peloton – viele Favoriten, dar-
unter Thibaut Pinot, werden abgehängt und verlieren 1:40
Minuten auf das erste Peloton mit Vorjahressieger Geraint
Thomas, Egan Bernal und Emanuel Buchmann. Im Ziel jubelt
der mehrmalige Cross-Weltmeister Wout Van Aert, der auf der
Zielgeraden mehr Kraft hat als Top-Sprinter Elia Viviani.

22 TOUR 8-2019
 13. ETAPPE 15. ETAPPE
Das einzige Einzelzeitfahren dieser Auf der letzten Pyrenäenetappe
Tour: Das wellige, technisch an- jubelt der gleiche Sieger wie auf der
spruchsvolle Profil auf der 27,2 ersten: Simon Yates kommt als Erster
Kilometer langen Distanz nutzt auf dem Prat d’Albis an – wie schon
Julian Alaphilippe zu einem über- auf dem 12. Abschnitt in Bagnères-
raschenden Tageserfolg 14 Sekun- de-­Luchon als stärkster Ausreißer des
den vor Geraint Thomas. Wout Van Tages. Pinot distanziert die anderen
Aert (Schnittwunde) und Maximi­ Favoriten, Alaphilippe schwächelt
lian Schachmann (Mittelhand- erstmals, bleibt aber in Gelb.
bruch; im Bild) stürzen schwer und
müssen aufgeben.

16. ETAPPE
Ab der 250-Meter-­
14. ETAPPE Marke katapultiert
Am 50. Jahrestag der ersten Mondlandung sich Caleb Ewan an
landet Thibaut Pinot einen großen Erfolg: den Konkurrenten
Der Franzose gewinnt mit einem Antritt vorbei: Der Australier feiert
aus einer fünfköpfigen Gruppe die Bergan- am bis dahin heißesten Tag dieser Tour
kunft auf dem Tourmalet; Frankreich ist in Nîmes bereits seinen zweiten Etappen-
glücklich: Alaphilippe wird Zweiter und sieg – er hatte bereits auf der 11. Etappe
verteidigt Gelb. Emanuel Buchmann hängt nach Toulouse gewonnen – und setzt sich
mit einer Attacke Geraint Thomas ab und in der Sprinterhierarchie an die Spitze.
wird zum Podiumskandidaten. Der neuntplatzierte Mitfavorit Jakob
Fuglsang gibt nach einem Sturz auf.

1 2 . E TA P P E 1 3 . E TA P P E 1 4 . E TA P P E 1 5 . E TA P P E 1 6 . E TA P P E

1 7. E TA P P E 1 8 . E TA P P E 1 9 . E TA P P E 2 0 . E TA P P E 2 1 . E TA P P E

ZIEL
18. ETAPPE
Ohne Tony Martin startet die Königs-
etappe: Der Profi des Jumbo-Teams wird
nach einer Rangelei mit Luke Rowe
(Ineos) auf der 17. Etappe disqualifiziert.
Nach der Fahrt über 208 Kilometer und
rund 4.800 Höhenmeter, über Col de
Vars, Izoard und Galibier, jubelt Nairo
Quintana, der in einer 35-köpfigen Aus-
reißergruppe gefahren war, als Solist.
Mit einer Attacke am Galibier fährt Egan
Bernal rund 30 Sekunden auf die Kon-
kurrenten im Gesamtklassement heraus. 20. ETAPPE
Die letzte Bergetappe dieser Tour
muss wegen einer weiteren
Schlammlawine am Cormet de
19. ETAPPE Roselend von 130 auf 59 Kilometer 21. ETAPPE
Was für ein Tour-Tag: Nach 35 Kilo- verkürzt werden: Aus einer Fahrt in den Sonnenuntergang: Zu
metern gibt Thibaut Pinot, Gesamt- 34-köpfigen Ausreißergruppe her- ­später Stunde endet die Finaletappe
fünfter, wegen einer Muskelverlet- aus klettert Vincenzo Nibali zum auf den Champs-Élysées. Um 21:17 Uhr
zung auf. In der Abfahrt vom Col de Etappensieg. Die Favoritengruppe jubelt Caleb Ewan als letzter Etappen-
l’Iseran wird das Rennen abgebro- bleibt bis zur Schlussrampe zu- sieger der 106. Auflage – bei seinem
chen, erstmals in der Tour-Geschich- sammen – Alaphilippe verliert Tour-Debüt feiert der 25-jährige Aus­
te: eine dicke Schicht Hagelkörner früh den Anschluss und fällt auf tralier vom Team Lotto-Soudal den
und ein Murenabgang machen die Rang fünf zurück, Kruijswijk und dritten Etappensieg.
Weiterfahrt unmöglich. Die Zeiten Emanuel Buchmann, der noch eine
auf dem Col de l’Iseran nach 89 kurze Attacke versucht, rücken auf
Rennkilometern werden gewertet – es gibt aber keinen Etappensieger. Egan Bernal, zum Zeit- die Ränge drei und vier vor.
punkt des Abbruchs in Führung liegend, übernimmt Gelb von Julian Alaphilippe.

8-2019 TOUR 23
TOUR DE FRANCE | TEAM BORA

AU F AU G E N H Ö H E

Buchmann neben Steven

Kruijswijk, einem seiner
Hauptkonkurrenten

ALLESKÖNNER
Peter Sagan gewinnt sein
siebtes Grünes Trikot,
Emanuel Buchmann klettert
auf Gesamtrang vier: Im
zehnten Jahr hat Team
Bora-Hansgrohe bei dieser
Tour die Weltspitze erreicht

MIT PLAN

Die Bora-Truppe war für die

Tour perfekt zusammengestellt

24 TOUR 8-2019
 E
Warum das deutsche Team im zehnten Jahr des Bestehens bei
der sechsten Tour-Teilnahme nun an der Spitze angekommen
TEXT
ist? Marcus Burghardt, elfmaliger Tour-Teilnehmer und zuvor
bei BMC unter Vertrag, lobt die gezielte Vorbereitung – und dass
Andreas Kublik
die Teamleitung die richtigen Rennfahrer verpflichtet und die
richtigen für die Tour ausgewählt habe. Er meint: Die ideale
Mischung aus Klassikerspezialisten und Bergfahrern, aus gro-
Es war wohl der ultimative Versuch, Emanuel Buchmann zu ei- ßer Erfahrung und jugendlicher Angriffslust. Denk ist besonders
ner lauten Gefühlsäußerung zu provozieren. Nachts um zwei, stolz auf die deutsch-österreichische Fraktion mit Rennfahrern,
tief schlummernd im Hotelzimmer beim Teamtreffen, bekam er die er als Talente unter Vertrag nahm: Lukas Pöstlberger, der
die Ladung eines Feuerlöschers ins Gesicht. Der Übeltäter: Buchmann vor allem auf den Flachetappen eskortierte, Patrick
Teamkollege Peter Sagan, der grinsend erzählt: „Er war natür- Konrad, bei der Tour de Suisse Dritter, der ­wegen eines Sturzes
lich angepisst.“ Zwei Typen, wie sie unterschiedlicher früh seine eigenen Ambitionen im G ­ esamtklassement
nicht sein können. Während der eine nächtens aufgeben musste, und Gregor Mühlberger, der auf
brav Kraft für kommende Großtaten tankte, den Bergetappen Buchmann lange dorthin be-
hatte der andere nur Blödsinn im Kopf. Aber gleitete, wo die Luft dünn wird. Und Denks
es sind auch die beiden Typen, die am Auswahl war an der Seite der Teams Ineos,
sichtbarsten für den Erfolg des Teams Deceuninck und Jumbo in schwierigen
Bora-Hansgrohe stehen: Sagan, der Rennsituationen stets auf der Höhe. Auf
Klassenkasper des Pelotons, der neben der Windkante abgehängt wurden an-
drei WM-Titeln nun sieben Grüne Tri- dere. Fingerspitzengefühl, Handschlag,
kots gewonnen und damit den Rekord Einsatzbereitschaft: Das sind Denks
von Erik Zabel übertroffen hat; und Stichworte für erfolgreiches Team-
Emanuel Buchmann, dieser stille, junge work. „Mit dieser Generation Rennfah-
Mann aus Oberschwaben, der sich bei rer musst du anders umgehen. Mit
der Tour auch im Hochgebirge mit der DDR-Methoden erreichst du die Jungen
Welt­elite maß, der Vorjahressieger Geraint nicht“, betont er. Er hat selbst als junger
Thomas am Tourmalet abhängte und am Rennfahrer an der Seite von Andreas Klöden
Ende Paris als Vierter erreichte. Das beste versucht, Profi zu werden.
Ergebnis eines Deutschen seit 2006, als
­ Vor drei Jahren waren viele baff, als sich
Andreas Klöden auf Rang zwei fuhr – in einer E R F O L G R E I C H E R S H OW M A N Denk, damals noch Chef eines zweitklassigen
anderen, unseligen Zeit im Radsport. „Mein Peter Sagan: Rekordsieger in Grün und Teams, den Top-Star des Radsports angelte,
Ziel waren die Top-Ten. Jetzt Vierter, das ist für jeden Spaß zu haben noch ehe der Aufstieg in die World-­Tour offi-
natürlich richtig geil“, sagte Buchmann in die ziell war. Mit Sagan holte er garantierte Siege
Fernsehkameras, als sich im Ziel in Val Thorens seine oft an­ ins Team – die besondere Leistung war, den Slowaken von der
gespannten Gesichtszüge vor Freude lösten. Gerade einmal ­1:56 erfolgreichen Zukunft des bis dahin eher unbedeutenden
Minuten lag er hinter Tour-Sieger Egan Bernal, nach knapp Rennstalls zu überzeugen. Schwieriger war Denks großes lang-
3.400 Kilometern, mickrige 25 Sekunden hinter dem drittplat- fristiges Projekt: einen heimischen Rundfahrtspezialisten auf-
zierten Niederländer Steven Kruijswijk. zubauen, der die Fans in Deutschland auch während der Berg­
etappen der Tour de France wieder vor dem Fernseher fesselt.
AUS DER MITTELKLASSE AN DIE SPITZE Der erste Versuch mit Dominik Nerz scheiterte; der betrieb
Es ist Teil der Erfolgsgeschichte, dass sich zwei so unterschied- Raubbau am Körper, scheiterte am Druck und beendete mit
liche Rennfahrer sauwohl fühlen im Dress von Bora-Hansgrohe 27 Jahren seine Karriere. Der einstige Nerz-Kumpel Buchmann
– wenn nicht gerade ein Feuerlöscher in der Nähe ist. Und es wirkt ­robuster – ruhig, beflissen, selbstbewusst und wie Sagan
sind mehr als diese zwei Personalien, die zeigen, dass der einer, der es gerne familiär mag. „Kein S ­ upertalent, aber ein flei-
Rennstall aus Raubling in der Weltspitze angekommen ist. ßiger Arbeiter“, betont der Teamchef. Der Ravensburger erinnert
„Man kann jetzt sehen, dass es bei Bora-Hansgrohe nicht nur noch einmal alle daran: „Ohne dieses Team wäre ich vielleicht
um mich geht, sondern um alle Jungs. Wir sind ein Team und gar kein Profi geworden. Und sie haben mich Schritt für Schritt
haben seit ­Januar Erfolg“, sagt Sagan – und dabei ist er aus- aufgebaut.“ Bora war der einzige Rennstall, der dem schmächti-
nahmsweise sehr ernst. Die Sprinter Pascal Ackermann und gen Kletterspezialisten für die Saison 2015 einen Vertrag an­
Sam Bennett sind zu Seriensiegern geworden, bei den Klassikern geboten hatte. Jetzt haben alle Lust auf mehr. „Wir wollen das
sind nun auch Davide Formolo und Maximilian Schachmann Thema Gesamtwertung intensiver angehen“, sagt Denk. Er
vorne dabei. „Wir sind in drei Disziplinen Weltspitze: Sprints, träumt nicht vom möglichen Gesamtsieg bei einer Drei-Wochen-­
Klassiker und im Gesamtklassement bei Grand Tours – bei Letz- Rundfahrt, er plant ihn. Die Konkurrenz hat die neuen Rivalen
Fotos: Getty Images, Gruber Images, Witters

terem haben wir uns am schwersten getan“, betont Teamchef zur Kenntnis genommen: „Ich denke, er wird in den nächsten
Ralph Denk in der dritten Tour-Woche und schiebt nach: „Das Jahren einer der besten Rennfahrer für diese Art Rennen sein“,
hat Ineos, das deutlich finanzstärker ist, nicht geschafft.“ Denks sagte Egan Bernal bei der Tour über Buchmann.
Mittelklasse-Rennstall war mit einer Doppelstrategie erfolg-
reich: mit einem Sprinter und einem Klassementfahrer. Sagan
war eifrigster Punktesammler der Tour und gewann zudem eine
Etappe. Im Gesamtklassement und in den Massensprints vorne
mitzumischen – das gelang nur Jumbo-Visma mit vier Etappen-
siegen und Gesamtrang drei noch etwas besser.

8-2019 TOUR 25
TOUR DE FRANCE | JULIAN ALAPHILIPPE

DER MENSCHEN-
FÄNGER Auch wenn er die Tour am Ende nicht gewinnen konnte,
begeistert er ein ganzes Land: Julian Alaphilippes 14-tägige Fahrt
in Gelb verzückt die Franzosen – denn er ist der Held, auf
den die Grande Nation lange gewartet hat
TEXT

Joscha Weber

D
Die Hintertür des Wagens öffnet sich, und ein
kleiner, schmaler Mann steigt aus. Die Menge
johlt: „Julian, Julian, Julian!“ Vor dem Hôtel
de Gramont im Zentrum von Pau hat sich ein
Menschenauflauf gebildet wie sonst nur bei
Popstars. Hunderte Smartphones sind auf ihn
gerichtet, Menschen stehen auf Zehenspitzen,
um den neuen Star der Franzosen zu sehen:
Julian Alaphilippe. Der hat gerade sensationell
das einzige Einzelzeitfahren der Tour de
France gewonnen und damit nicht nur sein
Gelbes Trikot verteidigt, sondern völlig überraschend sei-
nen Vorsprung auf alle großen Favoriten ausgebaut. Bei
seiner Zieldurchfahrt rasteten die Reporter des französi-
schen Fernsehens völlig aus und selbiges tun gerade auch
die Fans im Hof des Hotels. Sie rufen so ausdauernd seinen
Namen, bis Alaphilippe nach seiner Dusche zu ihnen
kommt. Er strahlt, macht Selfies, lässt sich anfassen.
So wie in Pau ist es drei Wochen lang in jedem Ort, in dem
die Tour Halt macht. Vor seinen Hotels, vor dem Teambus,
vor der Tribüne zur täglichen Einschreibekontrolle und
am Streckenrand stehen seine Fans (übrigens deutlich

26 TOUR 8-2019
 mehr als bei Thibaut Pinot, dem anderen französischen
Helden dieser Tour) und warten auf ihn. Einer von ihnen
ist Franck, ein Teenager mit leichtem Flaumbart. Stolz
trägt er das blaue Trikot von Alaphilippes Deceuninck-
Quickstep-Rennstall, während er geduldig auf sein Idol
wartet. Francks knappe Erklärung, warum ganz Frank-
reich dem 27-Jährigen zu Füßen liegt: „Er kämpft jeden
Tag, um jede Sekunde. Er ist ein Held.“
Schon immer liebten die Franzosen den aufopferungsvoll
kämpfenden Außenseiter. Das war bei Raymond Poulidor
oder Thomas Voeckler so und ist bei Julian Alaphilippe
nicht anders. Gewiss, alle waren unterschiedliche Fahrer-
typen, was sie jedoch eint, ist die Rolle des tragischen Hel-
den: Er fährt bis zum Umfallen, holt das letzte Quäntchen
Energie aus sich heraus, um trotz übermächtiger Konkur-
renz den Traum vom Tour-Sieg weiterleben zu lassen. Und
dennoch ist klar, dass es am Ende ein Traum bleiben wird.
IN ÉPERNAY BEGANN DAS GELBE MÄRCHEN
Den Traum überhaupt träumen zu dürfen, war für Julian
Alaphilippe ein großer Karriereschritt. „Es ist etwas sehr
Besonderes, das Gelbe Trikot zu tragen. Daran wird man
sich ein Leben lang erinnern“, hatte er im Interview schon
Anfang des Jahres (vorher-)gesagt (TOUR 3/2019). Als es
nun soweit war, kullerten die Tränen. Mit der Attacke auf
der dritten Etappe in den Weinbergen der Champagner­
stadt Épernay katapultierte sich der 27-Jährige erstmals
ins Maillot Jaune, das in diesem Jahr seinen 100. Geburts-
tag feierte. Seine Emotionen am Ziel seines „Kind-
heitstraumes“ rührten ganz Frankreich. In Épernay be-
gann sein gelbes Märchen, und – abgesehen von einem
kurzen Intermezzo auf den Schultern des Italieners Giulio
Ciccone – das gelbe Leibchen ruhte bei der Fahrt durch
Frankreich 14 Tage lang erstaunlich fest auf den Schultern
von Julian Alaphilippe, auch in den Pyrenäen. Mit ge-
fletschten Zähnen kämpfte er sich den Col du Tourmalet
hoch, fuhr seinen Motor in den dunkelroten Bereich. Eine
Fähigkeit, die ihn schon in Jugendtagen auszeichnete, sagt
Franck Alaphilippe, Cousin und Trainer von Julian: „Mit
seiner Bissigkeit macht er den Unterschied. Er kann den
Schmerz lange aushalten.“
Die Euphorie, die sein aufopferungsvoller Kampf um Gelb
in Frankreich auslöste, lässt sich aber nur in Teilen mit
dem Tragen dieses Stücks Stoff erklären. Die Franzosen
lieben den forsch attackierenden Alaphilippe, weil er dem
Nationalheiligtum Tour de France die erdrückende Vor-
hersehbarkeit der Sky-Ära nahm – zumindest eine Zeit-
lang. Erst am allerletzten Berg dieser Tour, dem 33 Kilo-
meter langen Anstieg hinauf in den Skiort Val Thorens,
rutschte Alaphilippe vom Podium auf Rang fünf. Dort
oben angekommen, ließ er sich in den regennassen Kies
eines Parkplatzes fallen und sagte: „Ich habe alles gegeben,
was ich hatte. Ich denke, es wäre nicht besser gegangen.
Immer wieder habe ich damit gerechnet einzubrechen,
und trotzdem ging noch was.“ Einen kompletten Ein-
bruch, den viele Experten ihm vorhergesagt hatten, hatte
der Franzose tatsächlich nicht erlebt.
Julian Alaphilippe hat das, was die ganz Großen des Sports
Fotos: Gruber Images, Ramon
auszeichnet: Charisma. Praktisch immer ein Lächeln auf
den Lippen, extrovertiert und kontaktfreudig – die fran-
zösische Antwort auf Peter Sagan. Und wie der Slowake ist
auch Alaphilippe nicht um eine Showeinlage verlegen –
selbst wenn das Publikum gerade nur aus einer Handvoll
S TA R Q UA L I TÄT E N
Die französische Antwort
auf Peter Sagan: Julian
Alaphilippe ist kontakt-
freudig und extrovertiert
– und er hat meist ein
Lächeln auf den Lippen
Teamkollegen besteht: „Manchmal fängt er im Teambus
plötzlich an zu tanzen“, erzählt Tom Steels, Sportlicher Leiter
in Alaphilipps belgischem Rennstall. „Er ist voller Energie.
Er kann keine fünf Minuten still sitzen.“ So war Julian Ala-
philippe schon immer. Mangelnde Konzentrationsfähigkeit
führte ihn von der Schule weg hin zu etwas Handfestem, ei-
ner Zweiradmechaniker-Ausbildung. Doch was ihn wirklich
reizte, waren zwei Dinge, bei denen er seine ganze Energie
loswerden konnte: Schlagzeug spielen und Radrennen fah-
ren. Er blieb dort hängen, wo er mehr Applaus bekam.
ALAPHILIPPES TREIBSTOFF IST EMOTION
Und der wurde immer lauter: Klassiker wie Mailand-San Re-
mo oder den Wallonischen Pfeil sowie kleinere Rundfahrten
wie Tour of California oder Tour of Britain hat er bereits ge-
wonnen. Noch spektakulärer sind aber seine Auftritte bei der
Tour de France. Der 27-Jährige ist der Star, den Frankreich
lange gesucht hat. Weil er zwei Dinge vereint: die Coolness
der Moderne und einen Fahrstil der Vergangenheit. Wäh-
rend andere kalkulieren und ihren Wattmessern vertrauen,
attackiert Alaphilippe einfach. Vollgas und ohne Blick zu-
rück. Entweder es klappt oder es klappt eben nicht. Oder wie
es Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron formu-
lierte: „Er attackiert und fährt mit Herz.“ Ein Anachronis-
mus im datenbasierten Radsport der Gegenwart. Alaphilip-
pes Treibstoff ist Emotion. Die Begeisterung der Fans über
seine unerschrockene, draufgängerische Fahrweise scheint
ihn noch mehr zu pushen. So kann er über sich hinauswach-
sen und scheinbar Unmögliches schaffen.
Denn eigentlich ist Alaphilippe ein extrem antrittsstarker
Fahrer mit schnell zuckenden Muskeln. Dreiwöchige Lan-
desrundfahrten gewinnt man mit solch einer Veranlagung
schon lange nicht mehr. Und deshalb war es auch nie sein
Ziel. Doch einmal in Gelb, vermochte Alaphilippe bei der
Tour Dinge zu vollbringen, die er sich selbst nicht zugetraut
hatte. Seine Fahrt an der Spitze des Klassements, die auch
durch einen für ihn nahezu maßgeschneiderten Streckenver-
lauf möglich wurde, wird nun Begehrlichkeiten wecken. Die
französischen Medien werden ihm vor der nächsten Tour die
Siegambitionen förmlich einreden. Sein verletzt ausgeschie-
dener Landsmann Thibaut Pinot kennt diesen Druck und
bringt es auf den Punkt: „Eigentlich wundert mich bei ihm
gar nichts mehr. Er ist eben Julian Alaphilippe.“Er meint da-
mit: Man muss Alaphilippe alles zutrauen.
8-2019 TOUR 27
TOUR DE FRANCE | SCHEIBENBREMSEN
DURCHBRUCH
AUF RATEN
Die Scheibenbremse am Rennrad
ist nicht mehr aufzuhalten – das
zeichnet sich auch bei den Profis ab.
Trotzdem trifft man auch bei der Tour
de France noch Fahrer, die weiterhin
mit Felgenbremsen fahren. TOUR hat
sich nach Gründen für die eine oder
andere Entscheidung umgehört
T E X T & F OTO S
Jens Klötzer
28 TOUR 8-2019
Die bei der Tour einge-
setzten Bremssysteme
im Vergleich zum Vor-
jahr: Die Zahl der Teams,
die ausschließlich mit
A
Scheibenbremsen
­fahren, ist deutlich
­gewachsen, ebenso die
der Teams, die beide
­Systeme einsetzen.
2018
Ausgerechnet im Profisport, dem hell erleuchteten
Scheibenbremsen
Schaufenster für neuestes Material, hielten sich 1
Vorbehalte gegen die Scheibenbremse bemerkens- beides
wert lange. Als zu schwer, zu kompliziert in der 16
Wartung, und nach Unfällen mit Schnittverletzun-
gen auch noch als Verletzungsrisiko gebrandmarkt, Felgen-
bremsen
hatte die Disc einen schweren Stand. 16
Doch in diesem Jahr scheint sich das Blatt zu wen-
den. Sieben der 21 Mannschaften verwendeten bei
2019
der Tour schon ausschließlich Scheibenbremsen,
darunter Bora-Hansgrohe und Deceuninck-Quick-
Step. Weitere acht Teams setzten je nach F
­ ahrer und
Scheiben- Felgen-
Etappenprofil Felgen- oder Scheibenbremsen ein. bremsen bremsen
Aber es gab auch noch sieben Teams, die nur 7 7
­Felgenbremsen fuhren – darunter Ineos mit Vor­
jahressieger Geraint Thomas. Chefmechaniker beides
8
Gary Blem sagt: „Hauptgrund ist, dass Räder mit
Scheibenbremsen noch etwas schwerer sind als die
mit Felgenbremsen. Wir kämpfen ausschließlich um das
Gesamtklassement, da spielt das eine große Rolle, auch
wenn es nur ein paar hundert Gramm sind. Wir bekom-
men unsere Disc-Räder nicht auf das Mindestgewicht.“
Ähnlich äußern sich auch Rennfahrer, die Felgenbremsen
nutzen, etwa Matej Mohoric von Bahrain-­Merida. Sein
Team tritt mit Felgenbremsrädern an, obwohl Ausrüster
Merida die Disc-­Räder offensiv bewirbt. Mohoric sagt:
„Ich wäre mit Scheibenbremsen sehr glücklich, wenn wir
nur die Vorteile hätten. Sie funktionieren wirklich super.
Aber im Moment ist es noch das höhere Gewicht, was für
uns ein Nachteil ist, vor allem in langen Anstiegen.“
Am Gewicht der Räder wird bei den Herstellern fieberhaft
gearbeitet, und einige Teams zeigen, dass Disc-Räder
möglich sind, die das vom Radsport-Weltverband vor­
geschriebene Mindestgewicht von 6,8 Kilo schaffen. Patxi
Vila, Technischer Leiter beim Team Bora-Hansgrohe,
sagt: „Im Grunde können wir das Zielgewicht inzwischen
erreichen. Das geht nicht mit allen Rädern, nur beim
­Modell Tarmac, und auch da nur bis Größe 56. Die Räder
von größeren Fahrern sind etwas schwerer, und auch das
Aero-Modell Venge bekommen wir noch nicht hin. Aber
die Berg- und Klassementfahrer haben keinen Gewichts-
nachteil, und darauf kommt es letztlich an.“ Erik Zabel,
Berater beim Team Katusha-Alpecin, meint, dass dieses
­Argument nicht mehr lange Bestand haben wird. „Die
bisherigen Räder sind oft ältere Plattformen, die für
­ Kopfzerbrechen bereitet allerdings noch der
­Scheibenbremsen angepasst wurden. Mit neuen Entwick-
lungen wird das Gewicht sinken. Wir haben zwei Räder
mit einem neuen Canyon-Rahmen dabei, die kommen
­ohne Tuning auf exakt 6,8 Kilo“, berichtet er.
KAUM PROBLEME IM RENNALLTAG
Andere Probleme, die mit der Scheibenbremse im Renn­
sport befürchtet wurden, haben sich unterdessen in Luft
aufgelöst. Dass die Unterschiede zwischen den Brems­
systemen vermehrt zu Unfällen führen könnten, ist kein
Thema mehr. Rolf Aldag, der beim Team Dimension
Data unter anderem für die technische Ausstattung ver-
antwortlich ist, urteilt: „Die Diskussion war wie über
Schwerelosigkeit zu reden, aber nie zum Mond geflogen zu
sein. Die Unterschiede zwischen schlechten und sehr gu-
ten Felgenbremsen waren ja immer da und fielen mitunter
krasser aus.“ Sein Team ist nach dem Wechsel zu BMC als
Ausstatter nur noch mit Scheibenbremsen unterwegs.
Auch die Diskussion über den höheren Wartungsaufwand
der Disc hat sich entspannt. Jean-Marc Vandenberghe,
­einer der dienstältesten Mechaniker im Peloton, sagt bei-
spielsweise: „Im Rennalltag ist es nicht mehr Aufwand als
bei einem Rad mit Felgenbremsen. Verbogene Scheiben
richten, Beläge austauschen – das sind andere, aber nicht
aufwendigere Arbeiten als bei einer Felgenbremse. Im Ge-
genteil: Wenn das System richtig entlüftet und eingestellt
ist, haben wir sogar weniger zu tun.“ So würde das regel-
mäßige Wechseln des Bremszugs wegfallen oder der rou­
tinemäßige Check der Bremsflanken einer Carbonfelge.
„Nach schweren Bergetappen müssen wir schon mal eine
überhitzte Bremsscheibe wechseln. Aber bei Felgenbrem-
sen zieht es bei so einer Belastung den Schlauchreifen am
Ventil schief, das ist dann auch viel Arbeit. Das passiert
mit Discs nicht“, so Vandenberghe. Auch sein Kollege Klas
­Johansson, Chefmechaniker bei Dimension Data, lobt die
Technik. „So ein System kann bei guten Bedingungen drei
Rennwochen wartungsfrei durchhalten, wenn
kein Sturz oder anderes Ereignis dazwischen-
kommt. Das gibt es bei Felgenbremsen nicht,
da werden mehrere Bremsbeläge fällig“, sagt er.
Eine zusätzliche Aufgabe für die Mechaniker
ist das Einbremsen der Scheiben­bremsen. Die
meisten Teams haben dafür Maschinen, die
ähnlich wie ein motorisierter Heimtrainer die
Laufräder antreiben. Mitchelton-Scott ließ
sich einen kleinen Prüfstand anfertigen, auf
dem Scheiben und Beläge eingebremst wer-
den. „Damit können wir auch Bremskräfte
messen und checken, ob mit den Teilen alles in
Ordnung ist“, sagt Jonathan Fazan, der im
Auftrag von Ausrüster Scott das Team unter-
G A RY B L E M
stützt. Das Einbremsen steigert die Brems­
»Wir kämpfen um leistung und verhindert Quietschgeräusche
das Klassement, da bei höheren Belastungen. Trotzdem kommt es
hin und wieder vor, dass die Bremsen quiet-
spielt das Gewicht schen, „gerade wenn sie verdreckt oder mit
eine große Rolle. Öl oder Pflegemitteln verunreinigt sind“, sagt
Wir bekommen Scott-Mechaniker Fausto Oppici. „Wir tau-
schen die Teile dann einfach aus, Zeit für
unsere Disc-Räder
­lange Ursachensuche haben wir nicht.“
nicht auf das
Mindestgewicht.« GEÄNDERTE DEFEKTSTRATEGIEN
Radwechsel im Rennen. Mit Akkuschraubern
zum Öffnen der Steckachsen oder speziellen
Schnellverschlüssen geht der Tausch – vor
­allem des Vorderrades – zwar schon so schnell
wie mit einem Felgenbremsen-Laufrad. Doch
Patxi Vila sagt: „Das Hinterrad ist kompli­
zierter, leider ist es auch öfter betroffen. Dann
kommt es auf den Fahrer und die Rennsitua­
tion an, ob wir das Fahrrad gleich komplett
tauschen. Der Radwechsel des neutralen
­Service ist mit Scheibenbremsen ein einziges
Chaos, darauf können wir uns nicht verlas-
sen.“ Noch nicht gelöst ist das Problem, dass
die Bremsscheibe nach dem Laufradwechsel
JEAN-MARC an den Belägen schleifen kann, weil die Posi­
VA N D E N B E R G H E
tion der Scheibe nicht immer exakt gleich ist.
»Im Rennalltag ist es Die Bremse müsste dann neu justiert werden.
Für Bahrain-Merida-Fahrer Mohoric derzeit
nicht mehr Aufwand noch ein relevanter Nachteil: „Es ist quasi
als ein Rad mit ­unmöglich, mit Teamkollegen die Laufräder
Felgenbremsen. Es zu tauschen. Das ist ein zu großes Risiko.“
Dass auch die letzten Probleme bald gelöst
sind andere, aber
werden, darin sind sich viele Beteiligte sicher.
nicht aufwendigere Und dass früher oder später alle Fahrer mit
Arbeiten.« Scheibenbremsen unterwegs sein werden,
glaubt selbst Gary Blem von Ineos: „Die ande-
ren Teams haben die richtige Entscheidung
getroffen, die Technik jetzt zu testen. Wir tes-
ten selbst auch, aber nicht bei diesem wichti-
gen Rennen. Es ist schwer zu sagen, wann wir
umsteigen, aber schon die Frühjahrsklassiker
2020 könnten ein guter Zeitpunkt sein.“
8-2019 TOUR 29
TOUR DE FRANCE | MAGAZIN

Luc Kerlouet (rechts) und sein Team

DA GEHT’S
LANG
Die neongelben Schilder der Tour de
France geben Begleitern, Journalis-
ten, Polizisten und nicht zuletzt den
Rennfahrern die Richtung vor. Seit
zehn Jahren arbeitet Luc Kerlouet im
Team „Fléchage“. Der 60-jährige
Alle Anstrengung vergebens: Auch Jesús Herrada konnte für sein Team keinen Erfolg erringen Bretone pinnt zusammen mit drei
Kollegen pro Etappe zwischen 500

8O9 KILOMETER ...

und 1.000 Richtungspfeile an Stra-
ßenpfosten, Laternen oder Zäune.
Für eine Tour de France werden bis
... verbrachte Stéphane Rossetto in Ausreißergruppen vor dem Feld: zu 20.000 dieser Kunststoffschilder
Die einzige zählbare Bestmarke für die französische Equipe Cofidis, die gebraucht. Es gibt auch ein Team,
seit gut 22 Jahren besteht, seit 2008 aber das erfolgloseste Team der Tour
de France darstellt. Seither – damals gewannen Samuel Dumoulin und das die Pfeile nach dem Rennen
Sylvain Chavanel je eine Etappe – hat das Professional-Continental-­ wieder einsammelt – zumindest die,
Team nichts mehr gewonnen. Bevor die Truppe von Manager Cédric die noch da sind. Bei Fans sind die
Vasseur das Wohlwollen der ASO und damit die Einladung zur Tour Schilder begehrte Souvenirs.
verliert, will Cofidis aber für die Saison 2020 unbedingt Wold-Tour-
Status erlangen, was die Teilnahme an der Tour garantiert.

AN DER SPITZE
Niemand fährt öfter an der Spitze des Rennens als Isabelle Barthe-­
Franquin. Sie zeigt den Ausreißern auf einer gelbgerahmten
­Schiefertafel die aktuellen Zeitabstände. Ardoisier ist das
­französische Wort für Schiefer, daher rührt die Jobbezeich-
nung „l’Adoisière“. Die Radrennfahrerin macht den Job
seit 2017, getrieben von, wie sie sagt, „Radsport-Leiden-
Fotos: Bauer, Getty Images/Velo, Gruber Images, privat

schaft“. Sich permanent zu konzentrieren und bei Wind

und Wetter die Tafel ruhig zu halten, sei die größte
Herausforderung. Für die Fahrer ist sie unverzichtbar:
„Sie schauen immer auf die Tafel, um sich zu verge-
wissern, trotz Teamfunk. Ich habe gelernt, in wel-
chen Momen­ten die Fahrer vor allem hinschauen.“
Sie hat die Zeit: Und Spaß habe sie auch bei der Arbeit: „Ich interes-
Isabelle Barthe-­Franquin siere mich für das Rennen und schaue, wie die
auf dem Sozius Fahrer sich positionieren – und ob man ihnen die
Anstrengungen ansieht.“

30 TOUR 8-2019
 INTE RVIEW

» KETONE
WIE DAS BEI LEISTUNGSSPORTLERN Ketone sind chemische Ver-
WIRKT, WEISS KEINER bindungen, die der Körper
« P R O F. D R . F R I T Z S Ö R G E L
produziert, wenn die Kohlen­
hydrate aufgebraucht sind
und auf Fettreserven zurück-
Ketone sind eine Art körpereigener Energie-Booster, die man in gegriffen wird. Zugeführte
Getränkeform zuführen kann. Sie waren das Gesprächsthema der Tour de France. Doping-Experte Ketone sollen die Energie­
Prof. Dr. Fritz Sörgel erklärt, was es mit dem Getränk aus dem Labor auf sich hat bereitstellung steigern und
die Regeneration fördern. Die
I N T E RV I E W
Teams Jumbo-Visma, Deceu­
Kristian Bauer ninck-Quickstep und Lotto-­
Soudal haben die Nutzung bei
TOUR Das Hauptversprechen der Ketone-Drinks lautet, die Manche Teamärzte warnen vor unerforschten Nebenwirkungen – der Tour bestätigt. Bereits
­Kohlenhydratspeicher zu schonen. Ist diese Wirkung belegt? teilen Sie die Sorgen? 2015 gab es Gerüchte, dass
SÖRGEL Es gibt eine ganz gute klinische Studie aus Der Körper wird ja komplett umgestellt. Wie das beim Team Sky Ketone ge-
dem Jahr 2017, allerdings war der Hersteller des bei Leistungssportlern wirkt, weiß derzeit keiner. trunken werden. 2018 bestä-
Drinks beteiligt. Sie zeigt, dass der Drink den Wie immer wird auf Teufel komm raus experi- tigte der Ketone-Hersteller
Stoffwechsel umstellt. Unabhängige Studien mentiert, wie bei illegalen Dopingmitteln auch. HVMN, dass mehrere World-
­wären da besser. Es ist sicher noch viel Forschung Tour-Teams zu seinen Kunden
notwendig. Ketone-Drinks sind frei verkäuflich. Würden Sie Hobbysportlern gehören. Teams wie Sunweb,
von der Nutzung abraten? Groupama-FDJ, Cofidis, AG2R
Eine Studie in Leuven ermittelte 15 Prozent mehr Leistung am Ende Was hilft’s, wenn man warnt. Solange keiner tot oder Arkéa-Samsic haben er-
einer Trainingseinheit. Halten Sie die Studie für übertragbar? umfällt, schert sich doch keiner drum. Der wirk- klärt, dass sie nichts von dem
Das ist schwer zu sagen. Man muss anerkennen, liche Freizeitsportler trinkt das nicht, eher die Mittel halten. AG2R-Team-Ma-
dass diese Studie in einem höchst seriösen Jour- ehrgeizigen und oft auch narzisstischen Möchte- nager Vincent Lavenu hat ge-
nal publiziert wurde. Sie ist ernst zu nehmen. gern-mehr-sein-Sportler. fordert, Ketone zu verbieten.

NICHTS WIRD
MEHR WIE
VORHER SEIN
ZERO SLR IST DER ERSTE ULTRALEICHTE
RENNRADRAHMEN MIT SCHEIBENBREMSEN
UND VOLLSTÄNDIG INNEN VERLEGTEN ZÜGEN.
WILIER.COM

8-2019 TOUR 31
TOUR DE FRANCE |  TRIKOT-AUSSTATTER

DER HERR
DER TRIKOTS
Das Gelbe Trikot der Tour de France ist das begehrteste
Stück Stoff der Sportwelt. Fabrice Pierrot ist seit 15 Jahren
verantwortlich für die Einkleidung der Tour-Champions
TEXT

Kristian Bauer

F OTO S

Tino Pohlman

W Wenige Minuten nach Ende der Etappe sind

die Augen von Millionen Fernseh­zuschauern
auf die Bühne der Tour de France gerichtet:
Der Führende der Gesamtwertung bekommt
das Gelbe Trikot übergestreift, auch der beste
Sprinter, der beste Bergfahrer und der beste
Jungprofi bekommen ihr Trikot. Für die Rad-
profis ist es ein Höhepunkt ihrer ­Karriere –
für Fabrice Pierrot viel Arbeit.
T R O P H Ä E N - FA B R I K
Der 46-Jährige ist dafür ver-
antwortlich, dass alle Trikots
In einem unscheinbaren
in der jeweils richtigen Größe
weißen Lieferwagen (unten) parat liegen und mit dem
bereitet Fabrice Pierrot Sponsorenlogo des jeweiligen
(oben) Tag für Tag die Teams versehen sind. ­ Dazu
Führungstrikots vor – zum kommt, dass es zwei Trikot­
Beispiel das Grüne für gattungen gibt: ein Podiums­
Peter Sagan (Mitte) trikot mit Reißverschluss am
Rücken zum schnellen Anzie-
hen bei der Siegerehrung und
ein eng anliegendes Renn­trikot.
Der Kontrast zur großen Tour-Bühne könnte
nicht größer sein: Pierrots Arbeitsplatz und
Trikotlager ist ein unscheinbarer weißer Lief-
erwagen, der auf dem Presseparkplatz in
Zielnähe steht. Den hat er so ausgestattet, dass
mehr als tausend Trikots Platz haben und alle
Arbeitsutensilien reinpassen. Nicht zu über-
sehen ist ein kleiner Monitor, auf dem die
Tour de France läuft. „Ich bin leidenschaft­
licher Radsport-Fan“, sagt Pierrot, der in den

32 TOUR 8-2019
 1990er-Jahren als Radamateur regionale
Rennen fuhr. In großen, herausnehm­
baren Schubfächern sind Hunderte gelbe,
grüne, weiß-rote und weiße Trikots ver-
staut. Zum Start der Tour reist Pierrot mit
einem vollen Bestand fertig gestalteter
­Podiumstrikots – für jedes der 22 Teams
alle vier Wertungstrikots in drei Größen.
264 Stück, die bereits mit den Teamlogos
versehen sind.
Tagelang hat er dafür geschuftet und
Nachtschichten eingelegt, um alle Trikots
mit den passenden Logos zu versehen. „In
diesem Jahr hat mir auch meine Tochter
geholfen“, erzählt er. Die mobile Werk-
statt wird erst gebraucht, wenn die zweite
Etappe beginnt. Sobald er die ersten Podi-
umstrikots ausgegeben hat, fertigt er diese
nach, um immer einen vollen Bestand zu
haben. Dann holt er nach der Etappe ein
Gelbes Trikot aus der Schublade, auf dem
vorne ein weißes Rechteck prangt, druckt
das Logo des Hauptsponsors auf einem
riesigen Tintenstrahldrucker aus und
dreht sich einmal um, damit er es in einer
Heißpresse auf das Trikot übertragen
kann. Nach dem gleichen Muster macht
er auch die Renntrikots.
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für die Sommeretappe.
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Am Morgen vor der Etappe bringt Fabrice
Pierrot dem Gesamtführenden ein Trikot
mit kurzen und eines mit langen Ärmeln,
eine Weste und eine Regenjacke. Die
­Accessoires gibt es nur einmal, die Trikots
dafür jeden Tag neu – auch wenn der
­Führende der Gleiche ist wie am Vortag.
Zurück bekommt Pierrot natürlich nie
­eines, und so beflockt er jeden Nachmit-
tag nach dem Etappenende rund 20 neue
Trikots – denn auch die Sponsoren wollen
gerne ein Original-Trikot. Könnte er das
nicht schon wenige Stunden vorher vor-
bereiten? „Das habe ich manchmal ver-
sucht, aber es hat nie funktioniert, weil
dann im Rennen immer irgendetwas Un-
vorhergesehenes passiert ist.“
STOFF-SAMMLUNG
Sicher ist: Pierrot hat seinen Traumjob
gefunden. Der Mann aus Nancy brennt
für den Radsport – schon bevor er den Job
2004 bekam, war er Trikotsammler. In-
zwischen besitzt er 800 bis 900 Trikots.
„Ich interessiere mich nicht für normale
Trikots aus dem Laden, sondern für sel­
tene Unikate“, erzählt er. „Viele habe ich
von Fahrern, Mechanikern oder Sport­
lichen Leitern bekommen. Fabian Can-
cellara hat mir mal extra ein Weltmeister­
trikot nach Dubai mitgebracht.“ In seiner
Heimatstadt ist Pierrot nur gelegentlich –
Reisen ist Teil des Jobs: rund 110 Renn­
tage auf der ganzen Welt kommen pro
Jahr zusammen. Er ist bei allen Rennen
des Tour-Veranstalters ASO: von der
Deutschland-Tour über die Vuelta bis zur
Tour of Oman. Deshalb kennt Pierrot alle
starken Radprofis: „Wer bei der Tour auf
dem Podium steht, war auch vorher schon
ganz vorne. Ich kann dann die Größe des
Trikots meist gut einschätzen. Und die
Profis freuen sich immer, mich zu sehen –
wenn ich komme, haben sie gewonnen.“
Vielleicht der schwierigste Part seines
Jobs: Niemand bei der Tour de France
muss öfter „Nein“ sagen als er: „Alle
­sprechen mich an und wollen ein Trikot
haben. Aber das geht natürlich nicht – die
Trikots gehören ja nicht mir.“ Nach dem
Ende der Frankreich-Rundfahrt liefert e­ r
die übrig gebliebenen Trikots wieder bei
der ASO ab.
O F F I Z I E L L E R PA R T N E R
TOUR DE FRANCE | ERGEBNISSE

PUNKTWERTUNG

1. Peter Sagan (SVK, Bora-Hansgrohe), 316 Punkte

2. Caleb Ewan (AUS, Lotto-Soudal), 248 Punkte
2. Elia Viviani (ITA, Deceuninck-Quickstep), 224 Punkte
3. Sonny Colbrelli (ITA, Bahrain-Merida), 209 Punkte
4. Michael Matthews (AUS, Sunweb), 201 Punkte

B E R GW E R T U N G

1. Romain Bardet (FRA, AG2R-La Mondiale), 86 Punkte

2. Egan Bernal (COL, Ineos), 78 Punkte
3. Tim Wellens (BEL, Lotto-Soudal), 75 Punkte
4. Damiano Caruso (ITA, Bahrain-Merida), 67 Punkte
5. Vincenzo Nibali (ITA, Bahrain-Merida, 59 Punkte

N AC H W U C H S W E R T U N G

1. Egan Bernal (COL, Ineos), 82:57:00 Std.

2. David Gaudu (FRA, Groupama-FDJ), +23:58 Min.
3. Enric Mas (ESP, Deceuninck-Quickstep), +58:20 Min.
Die drei Wertungssieger im Pariser Abendlicht: Peter Sagan, Egan Bernal und Romain Bardet (von links) 4. Laurens De Plus (BEL, Jumbo-Visma), +1:02:44 Std.; Min.
5. Gregor Mühlberger (AUT, Bora-Hansgrohe), +1:04:40 Std.
G E SA M T W E R T U N G

1. Egan Bernal (COL, Ineos), 3.365,8 km in 82:57:00 Std.; +27:36; 15. Romain Bardet (FRA, AG2R), +30:23; 16. Roman TEAMWERTUNG

2. Geraint Thomas (GBR, Ineos), +1:11 Min.; 3. Steven
Kruijs­­­wijk (NED, Jumbo-Visma), +1:31; 4. Emanuel Buch-
mann (GER, Bora-Hansgrohe), +1:56; 5. Julian Alaphilippe
(FRA, Deceuninck), +4:05; 6. Mikel Landa (ESP, Movistar),
+4:23; 7. Rigoberto Uran (COL, Education First), +5:15;
8. Nairo Quintana (COL, Movistar), +5:30; 9. Ale­jan­dro
Valverde (ESP, Movistar), +6:12; 10. Warren Barguil (FRA,
Arkea), +7:32; 11. Richie Porte (AUS, Trek) +12:42; 12. Guil­
Kreuziger (CZE, Dimension Data), +36:09; 17. Sebastien 1. Movistar (ESP), 248:58:15 Std.
Reichenbach (SUI, Groupama), +44:29; 18. Daniel Martin 2. Trek-Segafredo (USA), +47:54 Min.
(IRL, UAE), +45:21; 19. Alexej Luzenko (KAZ, Astana), 3. Ineos (GBR), +57:52 Min.
+48:52; 20. Jesús Herrada (COL, Cofidis), +51:57; 4. EF Education First (USA), +1:25:57 Std.
... 40. Lennard Kämna (GER, Sunweb), +1:39:36; ... 5. Bora-Hansgrohe (GER), +1:29:30 Std.
63. Simon Geschke (GER, CCC), +2:13:25; ... 64. Nils Politt ... 19. Sunweb (GER), + 4:45:01 Std.
(GER, Katusha-Alpecin), +2:14:28; ... 116. Nikias Arndt
(GER, Sunweb) +3:27:43; ... 141. Marcus Burg­hardt (GER, K Ä M P F E R I S C H S T E R FA H R E R

laume Martin (FRA, Wanty-Gobert), +22:08; 13. David Bora), +4:02:18; ... 144. André Greipel (GER, Arkea), Julian Alaphilippe (FRA, Deceuninck-Quickstep)
Gaudu (FRA, Groupama), +23:58; 14. Fabio Aru (ITA, UAE), +4:07:00; ... 150. Roger Kluge (GER, Lotto-Soudal), 4:13:43

DIE 106. TOUR DE FRANCE IM ÜBERBLICK

E TA P P E E TA P P E N S I E G E R G E L B E S T R I KOT

1. Brüssel – Brüssel 194,5 km Mike Teunissen (NED, Jumbo-Visma) Mike Teunissen

HAUPT-
GEWINN
Simon Atherton aus
Unterwattenbach ist der
Gewinner unseres
TOUR-Tippspiels.
Er erhält den Hauptpreis:
ein Ridley Noah Fast
mit Shimanos Dura-­Ace-
Di2-Ausstattung im
Wert von 9.150 Euro.
Herzlichen Glückwunsch!
2. Brüssel – Brüssel (MZF) 27,6 km Team Jumbo-Visma Mike Teunissen
3. Binche – Épernay 215 km Julian Alaphilippe (FRA, Deceuninck-Quickstep) Julian Alaphilippe
4. Reims – Nancy 213,5 km Elia Viviani (ITA, Deceuninck-Quickstep) Julian Alaphilippe
5. Saint-Dié-des-Vosges – Colmar 175,5 km Peter Sagan (SVK, Bora-Hansgrohe) Julian Alaphilippe
6. Mülhausen – La Planche des Belles Filles (BA) 160,5 km Dylan Teuns (BEL, Bahrain-Merida) Giulio Ciccone
7. Belfort – Chalon-sur-Saône 230 km Dylan Groenewegen (NED, Jumbo-Visma) Giulio Ciccone
8. Mâcon – Saint-Étienne 200 km Thomas De Gendt (BEL, Lotto-Soudal) Julian Alaphilippe
9. Saint-Étienne – Brioude 170,5 km Daryl Impey (RSA, Mitchelton-Scott) Julian Alaphilippe
10. Saint-Flour – Albi 217,5 km Wout van Aert (BEL, Jumbo-Visma) Julian Alaphilippe
11. Albi – Toulouse 167 km Caleb Ewan (AUS, Lotto-Soudal) Julian Alaphilippe
12. Toulouse – Bagnères-de-Bigorre 209,5 km Simon Yates (GBR, Mitchelton-Scott) Julian Alaphilippe
13. Pau – Pau (EZF) 27,2 km Julian Alaphilippe (FRA, Deceuninck-Quickstep) Julian Alaphilippe
14. Tarbes – Col du Tourmalet (BA) 111 km Thibault Pinot (FRA, Groupama-FDJ) Julian Alaphilippe
15. Limoux – Foix / Prat d’Albis (BA) 185 km Simon Yates (GBR, Mitchelton-Scott) Julian Alaphilippe
16. Nîmes – Nîmes 177 km Caleb Ewan (AUS, Lotto-Soudal) Julian Alaphilippe
17. Pont du Gard – Gap 200 km Matteo Trentin (ITA, Mitchelton-Scott) Julian Alaphilippe
18. Embrun – Valloire 208 km Nairo Quintana (COL, Movistar) Julian Alaphilippe
Foto: Getty Images/Velo

19. Saint-Jean-de-Maurienne – Tignes (BA)* 89 km – Egan Bernal

20. Albertville – Val Thorens (BA)** 59,5 km Vincenzo Nibali (ITA, Bahrain-Merida) Egan Bernal
21. Rambouillet – Paris / Champs-Élysées 128 km Caleb Ewan (AUS, Lotto-Soudal) Egan Bernal

Legende EZF=Einzelzeitfahren MZF=Mannschaftszeitfahren BA=Bergankunft; *abgebrochen; es wurde kein Etappensieg gewertet; **die Etappe wurde wetterbedingt verkürzt
34 TOUR 8-2019
 ALL RACING ZE
RO C
ARB
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SPEICHEN UND FELGE.

 NEUHEITEN

NEU-
BAUTEN
Die Hersteller haben die ersten Rennräder des
neuen Jahrgangs präsentiert – und wir haben sie
schon im Labor getestet und gefahren. Außerdem
im Test: der neue 1 x 13-Antrieb von Rotor

SPECIALIZED SPECIALIZED LIV

ROUBAIX PRO FORCE S-WORKS ROUBAIX RED AVAIL PRO 1
ETAP AXS ETAP AXS SE ITE 40
SE ITE 38 SE ITE 38

36 TOUR 8-2019
 Fotos: Greber (1), Hersteller (4), Kraus (2)

SIMPLON WILIER ROTOR

KIARO DISC TRIESTINA CENTO10 1 X 13
SE ITE 42 PRO DISC SE ITE 46

SE ITE 44

8-2019 TOUR 37
 EINZELTEST

Specialized
Für Kopfsteinpflaster ist das Specialized Roubaix
Roubaix das ultimative Rennrad.

MIT
Sechs Siege beim Frühjahrsklassiker
Paris-Roubaix sind der Beweis

SIEGER-GEN

D
TEXT

Manuel Jekel

F OTO S

Jan Greune
Das nordfranzösische Städtchen
­Roubaix ist nicht nur Zielort des welt­
bekannten Radrennens. Es ist auch
Namensgeber für ein Rennrad, dessen
erste, 2004 vorgestellte Generation den
Markt mehr verändert hat als jedes
Rad vor ihm. Bis dahin wurden Renn­
räder zwar für Rennfahrer entwickelt,
doch eher selten in Rennen eingesetzt.
Specialized brach mit diesem Paradox
und präsentierte mit dem Roubaix das
erste Rennrad, das explizit für Hobby­
radsportler entwickelt wurde. Alles,
was Rennradfahren seitdem so viel
komfortabler gemacht hat – aufrech­
tere Sitzpositionen, Federelemente an
Rahmen und Komponenten, breitere
Reifen für mehr Dämpfung, leichtere
Gänge – geht auf das erste Roubaix
­zurück. In diesem Frühjahr kam die
sechste Generation auf den Markt,
pünktlich zum Rennen. Dass der Bel­
gier Philippe Gilbert im Velodrom von
Roubaix gleich das erste Rennen mit
dem neuen Rad gewann, wird ­dessen
Erfolg sicher nicht schmälern.
Von anderen Marathonrädern unter­
scheidet sich das Roubaix vor allem
durch die Futureshock-Federung zwi­
schen Vorbau und Lenklager, die den VO M G L E I C H E N S C H L AG
Lenker vom Rahmen entkoppelt. Beim
Die S-Works-Variante des neuen
Vorgänger bestand das System aus
­einer relativ simplen Stahlfeder mit bis Roubaix (oben) ist 670 Gramm leichter
zu 20 Millimeter Federweg. Neu ist und viel teurer als das Pro-Modell
eine hydraulische Dämpfung, deren
Ansprechverhalten über einen Dreh­

38 TOUR 8-2019

knopf am Vorbau während der Fahrt variierbar ist. Blo-
ckieren lässt sich das System nicht, was aber nicht stört.
Gerade in extremen Situationen wie auf den Pavés in
Nordfrankreich ist die Federung nicht nur eine Wohltat
für Hände, Arme, Schultern, Nacken und Rücken des
Fahrers. Zugleich fällt es damit viel leichter, den Pogo-­
Tanz über das Pflaster zu kontrollieren.
Dass das Rad moderner wirkt als sein Vorgänger, erklärt
sich vor allem mit dem Feinschliff des Rahmens im Wind­
kanal. Gabel und Rahmenrohre erhielten aerodynami-
sche Kammtail-Profile. Die Rahmenform erinnert nun
an den populären Allrounder Tarmac. Außerdem wich
die Komfortsattelstütze des alten Roubaix einer Aero-­
Stütze. Damit diese trotz ihres Querschnitts gut federt,
liegt die Klemmung sechs Zentimeter unterhalb des
Oberrohrs im Rahmen. Darüber ist der Durchmesser des
Sitzrohrs größer als jener der Stütze, der auf diese Weise
mehr Auszugslänge zum Flexen zur Verfügung steht.
FÜR PROFIS NUR ALS RAHMEN-SET
Anders als das alte ist das neue Roubaix in zwei Geo­
metrievarianten erhältlich. Alle Kompletträder bieten
eine für Rennradverhältnisse ungewöhnlich aufrechte
Sitzposition. Fahrern, die profimäßig wie Philippe Gilbert
sitzen wollen, bietet Specialized drei Sondergrößen,
­deren Geometrien dem Tarmac entsprechen. Erhältlich
sind die Rennausführungen aber nur als superteure
S-Works-Varianten und nur als Rahmen-Set.
Für den Test stellte uns Specialized neben dem sünd­
teuren S-Works Roubaix mit SRAM Red eTap-AXS-
Schaltung und Leistungsmess-Kurbel von Quarq für
11.200 Euro das Roubaix Pro mit Force eTap AXS zur
Verfügung – wobei auch das für 7.000 Euro nicht günstig
zu nennen ist. Formal sind beide Rahmen identisch.
­Superleichte 872 Gramm wiegt der S-Works-Rahmen in
Rahmengröße 56; der aus einfacheren Carbonfasern
­gefertigte Pro-Rahmen kommt auf immer noch gute
1.074 Gramm. Insgesamt trennen beide Räder 670 Gramm,
wovon der größere Teil auf die Ausstattungen entfällt.
Signifikante Unterschiede zwischen beiden Modellen
sind kaum auszumachen – ein klarer Punkt für das güns-
tigere Pro. Den deutlichsten Hinweis darauf, dass man
nicht auf identischen Rädern sitzt, liefern die Reifen.
Den superleichten Lauf der Baumwollreifen am S-Works
haben wir schon in vielen Tests gelobt. Dagegen rollen
die pannensicheren 28-Millimeter-Pneus am Pro, die
keineswegs schlecht sind, etwas träge. Daneben läuft die
Force-Kette am Pro minimal lauter, was am anderen
Aufbau der Force-Kassette liegt. Aber sonst? In allen üb-
rigen für den Fahreindruck wesentlichen Punkten liegen
S-Works und Pro gleichauf. Auffällig: Auf beiden Rädern
sitzt man für Rennradverhältnisse fast extrem aufrecht.
Auch wenn das relativ kurze Steuerrohr anderes sugge-
riert, liegt die tiefste mögliche Position für den Lenker
höher als bei den meisten vergleichbaren Modellen, weil
sich über dem Lenklager noch das Futureshock-Element
befindet. Hinzu kommt ein Lenker, der die Auflagepunkte
für die Hände um weitere 15 Millimeter über das Niveau
der Lenkerklemmung hebt. Außer dem Allroad-Modell
Giant Anyroad kennen wir derzeit kein Rennrad, auf
dem man ähnlich aufrecht sitzt.
1,6
SPECIALIZED
ROUBAIX PRO
FORCE ETAP AXS
• Preis 6.999 Euro
• Gewicht Komplettrad 8,0 Kilo
Info www.specialized.com
Gewicht Rahmen/Gabel/Steuerlager* 1.074/346/63 Gramm
Rahmengrößen** 44, 49, 52, 54, 56, 58, 61 cm
Sitz-/Ober-/Steuerrohr 485/560/162 mm
Stack/Reach/STR 601/384 mm/1,57
Radstand/Nachlauf 995/53 mm
AUSSTATTUNG
Antrieb SRAM Force eTap AXS (46/33 Z., BSA)
Bremsen SRAM Force eTap AXS (160/160 mm)
Schaltung SRAM Force eTap AXS
Laufräder/Reifen/Laufradgewichte Roval CL 32 Rapide/
Specialized Turbo Pro 28 mm (v./h.: 1.215/1.642 Gramm)
MESSWERTE & EINZELNOTEN****
Gewicht Komplettrad................... 8,0 Kilo 3,0
Lenkkopfsteifigkeit .. ................... 102 Nm/° 1,0
Seitensteifigkeit Gabel .. .............. 50 N/mm 1,7
Tretlagersteifigkeit...................... 62 N/mm 1,0
Federhärte Sattelstütze .. ............. 99 N/mm 1,3
Federhärte Gabel/Lenker*****.. ... ................ 1,0
STÄRKEN UND SCHWÄCHEN
1 KO M F O R T
2 2
3 3
BREMSEN
4
ANTRITT
5 5
S C H A LT E N BERGAB
träge neutral wendig
Lenkverhalten ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ● ● ●
aufrecht gestreckt
Sitzposition ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ● ● ●
+ Referenz für Federkomfort am Lenker,
insgesamt extrem komfortabel,
1:1-Übersetzung im ersten Gang
teuer
Ein Rad für jeden Geschmack ist das Roubaix
damit nicht. Denn ebenso wie die Sitzposition
spricht auch die Futureshock-Federung nur
einen Teil der Rennradgemeinde an. Was
in Nordfrankreich ein unschlagbarer Wett-
bewerbsvorteil ist, mag für viele typische
Rennradreviere als übertrieben erscheinen,
zumal das System 300 Gramm Mehrgewicht
und einen saftigen Preisaufschlag mit sich
bringt. Andererseits kennen wir genügend
Strecken, wo die Straßenverhältnisse so übel
sind, dass ein Rad wie das Roubaix den Spaß
am Sport, der durch die Rumpelei verleidet
wird, zurückbringen kann. Das neue Rou-
baix ist hier genau das: ein echter Wettbe-
werbsvorteil. Den Begriff Wettbewerb muss
man ja nicht zwingend wörtlich nehmen.
1,5
SPECIALIZED
S-WORKS ROUBAIX
RED ETAP AXS
• Preis 11.199 Euro
• Gewicht Komplettrad 7,3 Kilo
Info www.specialized.com
Gewicht Rahmen/Gabel/Steuerlager* 872/326/63 Gramm
Rahmengrößen** 44, 49, 52, 54, 56, 58, 61 cm
Sitz-/Ober-/Steuerrohr 485/560/162 mm
Stack/Reach/STR 601/384 mm/1,57
Radstand/Nachlauf 995/53 mm
AUSSTATTUNG
Antrieb SRAM Red eTap AXS, Quarq-Powermeter (46/33 Z., BSA)
Bremsen SRAM Red eTap AXS (160/160 mm)
Schaltung SRAM Red eTap AXS
Laufräder/Reifen/Laufradgewichte Roval CL 32 Rapide/
S-Works Turbo Cotton 26 mm (v./h.: 1.163/1.514 Gramm)
MESSWERTE & EINZELNOTEN****
Gewicht Komplettrad................... 7,3 Kilo 2,3
Lenkkopfsteifigkeit .. ................... 100 Nm/° 1,0
Seitensteifigkeit Gabel .. .............. 50 N/mm 1,7
Tretlagersteifigkeit...................... 59 N/mm 1,3
Federhärte Sattelstütze .. ............. 112 N/mm 1,7
Federhärte Gabel/Lenker*****.. ... ................ 1,0
STÄRKEN UND SCHWÄCHEN
1 KO M F O R T
BREMSEN
4
ANTRITT
S C H A LT E N BERGAB
träge neutral wendig
Lenkverhalten ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ● ● ●
aufrecht gestreckt
Sitzposition ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ● ● ●
+ Referenz für Federkomfort am Lenker,
insgesamt extrem komfortabel,
1:1- Übersetzung im ersten Gang,
­Powermeter inklusive
superteuer
* Gewogene G­ ewichte.
** Herstellerangabe Testgröße fett.
*** Stack/Reach projiziertes senkrechtes/
waagerechtes Maß von Mitte Tretlager bis
Oberkante Steuerrohr;
STR (Stack to Reach) 1,36 bedeutet eine
sehr gestreckte, 1,60 eine aufrechte
Sitzposition.
****Einzelnoten, die unterschiedlich ge­
wichtet in die Gesamtnote einfließen,
drucken wir aus Platzgründen nur zum
Teil ab. Die Noten werden bis zur End­
note mit allen Nachkommastellen ge­-
rechnet; zur besseren Übersichtlichkeit
geben wir aber alle Noten mit gerun­
deter Nachkommastelle an.
*****Die Messwerte der Gabeln liefern
konstruktionsbedingt keinen Hinweis
darauf, wie hoch der tatsächliche
­Federkomfort am Lenker ausfällt. Die
Bewertung berücksichtigt jedoch
den konstruktiven Aufwand und die
Tat­sache, dass der Komfort am Lenker
deutlich über das hinausgeht, was
bei Renn­rädern bislang üblich ist.
8-2019 TOUR 39
 EINZELTEST

Liv
Avail Pro 1

EINES
FÜR ALLES
Top ausgestattet, vielseitig
einsetzbar, komfortabel –
und exklusiv für Frauen: Das

E
neue Liv Avail beweist, wie
sich die Tochtermarke von
Giant das ideale Endurance-­
Rennrad für Frauen vorstellt
Eines lässt sich Liv, der exklusiv an Frauen
TEXT gerichteten Tochtermarke von Giant, nicht
Manuel Jekel nachsagen: dass sie ihrer Mission halbherzig
nachgehe. Giant gründete Liv vor fünf Jah-
F OTO S
ren, um Radfahrerinnen gezielter ansprechen
zu können. Während andere Hersteller ihr
Hersteller
Sortiment an Rädern für Frauen zuletzt
Daniel Kraus (Studio) zusammengestrichen haben und teilweise
wieder zu Unisex-Modellen übergingen,
ufert die Bandbreite an Liv-Rädern inzwi-
schen ähnlich aus wie bei Giant. Vom Aero-­
Geschoss für Speed-süchtige Rennfahrerinnen
bis zu Cross- und Gravel-Modellen findet
sich jede bekannte Rennradspielart. Das
neue Avail übernimmt dabei – analog zum
2018 vorgestellten Defy für Männer – den
Part des Endurance-Rennrads. Zielsetzung
für das Rad war es, die perfekte Balance
­zwischen sportlichem Anspruch, hohem
Fahrkomfort und vielfältigen Einsatzmög­
lich­keiten zu finden, die auch gelegentliche
Abstecher auf nicht asphaltiertes Terrain
umfassen – und das alles abgestimmt auf die
Ansprüche von Frauen.
Dieser Spagat gelingt dem Avail bemerkens-
wert gut. Giant – pardon, Liv – hatte uns
direkt von der Präsentation das Top-Modell
Avail Pro 1 mit SRAMs brandneuer 2 x 12-
­Elektroschaltung Force eTap AXS, Scheiben-
bremsen, Carbon-Laufrädern und Tubeless-­
Reifen geschickt. Das Einzige, was auf dem
Papier eventuell gegen dieses attraktive Paket
spricht, ist ein Gewicht von acht Kilo, das bei
Rennradfahrern und -fahrerinnen, die jahr-
zehntelang gewohnt waren, den Wert eines
Rades auf der Waage zu taxieren, nicht gerade
Begeisterungsstürme weckt. Der Fairness
halber muss hinzugefügt werden, dass Giant/

40 TOUR 8-2019
Liv nicht der einzige Hersteller ist, der sich derzeit mit
diesem Problem herumschlägt. Seit Scheibenbremsen
beim Rennrad Einzug gehalten haben und auch breitere
Reifen en vogue sind, stiegen die Gewichte von Renn­
rädern im Schnitt um rund ein Kilo. Im Idealfall punkten
moderne Rennräder dafür mit verbesserter Funktion,
mehr Komfort und breiterem Einsatzspektrum – und das
Avail entpuppt sich als so ein Idealfall.

SUPERKOMFORTABEL, TECHNISCH ANSPRUCHSVOLL

Das Interesse am Testrad war im Redaktionsumfeld so
groß, dass gleich drei Fahrerinnen den Finger hoben, als
die Probefahrten anstanden. Alle drei lobten danach
die ausnehmend gute Dämpfung, die aus dem Zusam­
menspiel des vertikal nachgiebigen Carbonrahmens, der
bemerkenswert gut flexenden D-Fuse-Carbon-Sattel­
stütze sowie der für Rennradverhältnisse ungewohnt
breiten 32-Millimeter-Tubeless-Reifen entsteht. Mit
4,5 Bar Druck befüllt bilden die Gummis ein regelrechtes
2,0
Luftkissen zwischen Rad und Asphalt – und das, ohne LIV
deswegen zäh zu rollen. AVAIL PRO 1
Auch die Schaltlogik der elektrischen SRAM-eTap-
Schaltung fand auf Anhieb die Sympathie der Testerinnen. • Preis ca. 4.999 Euro
• Gewicht Komplettrad 8,0 Kilo
Die zwei mal zwölf Gänge der eTap werden von zwei
Schaltwippen bedient, die jeweils unter den Bremshebeln Info www.liv-cycling.com/de
platziert sind. Soll das hintere Schaltwerk nach rechts, Gewicht Rahmen/Gabel/Steuerlager* 1.058/446/55 Gramm
Rahmengrößen** XSS, S, M, L Sitz-/Ober-/Steuerrohr
also auf kleinere Ritzel, bewegt werden, wird die rechte 470/540/166 mm Stack/Reach/STR*** 570/375 mm/1,52
Wippe angetippt. Auf größere Ritzel wird das Schaltwerk Radstand/Nachlauf 1.010/62 mm
mit der linken Wippe dirigiert. Der vordere Umwerfer AUSSTATTUNG
bewegt sich aus seiner Ausgangsstellung dann nach links Antrieb/Schaltung/Bremsen SRAM Force eTap AXS (46/33 Z.,
Press-Fit) Laufräder/Reifen (Gewichte) Giant SLR One/
oder rechts, wenn beide Wippen gleichzeitig bedient Giant Gavia Fondo Tubeless 32 mm (v./h. 1.322/1.768 Gramm)
werden. Das funktioniert so simpel und intuitiv, dass es
spätestens nach der dritten Ausfahrt in Fleisch und Blut MESSWERTE & EINZELNOTEN****
Gewicht Komplettrad................... 8.020 Gramm 3,0
übergegangen ist. Lenkkopfsteifigkeit .. ................... 84 Nm/° 2,3
Hinzu kommt bei der eTap, dass für jede Situation, in die Seitensteifigkeit Gabel .. .............. 53 N/mm 2,3
Tretlagersteifigkeit...................... 46 N/mm 2,3
frau auf der Straße geraten kann, der passende Gang an Federhärte Sattelstütze .. ............. 99 N/mm 1,3
Bord ist. Mit 46 zu 10 Zähnen ist der schnells­te Gang so Federhärte Gabel .. ....................... 84 N/mm 3,7

übersetzt, dass auch auf High-Speed-­Abfahrten lange STÄRKEN UND SCHWÄCHEN

1 KO M F O R T
mitgetreten werden kann. Am andere Ende nimmt die 2
1:1-Übersetzung im ersten Gang selbst steilen Stichen 3
4
den Schrecken. Die Gangsprünge da­zwischen sind wegen BREMSEN
5
ANTRITT

des zwölften Ritzels und der verglichen mit anderen

­Antriebsherstellern kleineren Kettenblätter der eTap
enger gestaffelt als bei Effach-­Schaltungen. Noch fehlen
S C H A LT E N BERGAB
für die erst im April vorgestellte Force eTap Langzeit­
erfahrungen. Sollte die Gruppe auch hier glänzen, spricht
einiges dafür, dass SRAM im Rennen um das attraktivste träge neutral wendig
Lenkverhalten ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ● ● ●
Schaltsystem derzeit knapp die Nase vorn hat. Ähnliches aufrecht gestreckt
V I E L M Ö G L I C H , V I E L KO M F O R T
Lob verdienen auch die Bremsen, die kräftig zupacken, Sitzposition ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ● ● ●
dabei präzise dosierbar sind, sowie die ergonomisch Die D-Fuse-Carbon-Stütze
­guten Anbauteile. Von den drei Fahrerinnen fanden im­ stammt von Giant und herausragende Dämpfung, erstklas-
merhin zwei den Giant-­Sattel sehr bequem, und auch federt super + sige Ausstattung, 1:1-Übersetzung im
der leicht zur Fahrerin hin angewinkelte, als minimalis­ ersten Gang, Schutzbleche möglich
tisches Federlement ausgelegte D-Fuse-Carbon-Lenker Das Gewinde am Sitzrohr dient
kam gut an. Die Sitzpostion fällt für ein Endurance-­ trotz Carbonfelgen relativ
zur Befestigung von Schutz­
Rennrad recht sportlich aus. Dank des relativ langen schwere Laufräder
Radstandes, der hohe Laufruhe garantiert und sogar in blechen, die selbst mit breiten
Kombination mit den voluminösen Reifen die Montage 32er-Reifen ans Avail passen
Eine Erklärung der *–**** finden Sie auf Seite 39.
von Schutzblechen erlaubt (Gewinde sind vorhanden), (Foto Mitte)
ist das Avail ein Rad, das die verschärfte Gangart ebenso
beherrscht wie das epische Langstrecken-Abenteuer.

8-2019 TOUR 41
 TEXT

Manuel Jekel

E
F OTO S

Markus Greber,
Daniel Kraus (Studio)

Es gab Zeiten, da verblüffte Simplon

die Rennradwelt fast im Jahres­
rhythmus mit Modellen, bei denen
man sich immer fragte, wie die
­relativ kleine Marke vom österrei­
chischen Bodenseeufer das eigent­
lich bewerkstelligt. Leichtbau­
renner wie Pride, Pavo und Serum
oder das vielseitige Innissio, das
alle Merkmale eines Gravelbikes
vorwegnahm, lange bevor der Be­
griff in aller Munde war, sind nicht
nur Fans der Marke in guter Erin­
nerung. Zuletzt geriet der Inno­
vationseifer der Vorarlberger aber
etwas ins Stocken. Beim aktuellen
Pride dauerte es nach der Präsen­
tation eineinhalb Jahre, ehe Ende
2018 endlich die Auslieferung
begann. Das Innissio wirkt heute,
mehr als fünf Jahre nach seiner
Vorstellung, nicht mehr ganz
taufrisch. Auch beim Marathon­
renner Kiaro, der seit 2012 fast
­unverändert gebaut wird, ließ ein
Nachfolger länger als branchen­
üblich auf sich warten.
Nun aber ist er da. Seit Kurzem ist
das neue Kiaro Disc auf dem Markt,
das nur mit Scheibenbremsen zu
haben ist und parallel zum alten

KUNST-
Kiaro (mit Felgenbremsen) ange­
boten wird. Den Klassiker will
­Simplon mindestens bis 2020 im
Programm behalten. Dass zwischen

GRIFF
Entspannte Sitzposition, rennmäßige
Optik: Beim neuen Kiaro Disc
gelingt Simplon ein Spagat,
der sonst selten glückt
beiden Rädern sieben Modelljahre
liegen, zeigen nicht nur die unter­
schiedlichen Bremssysteme. Mit
aerodynamischen Kammtail-Quer­
schnitten an Gabel und Unterrohr
sowie integrierten Brems­leitungen
greift das Kiaro Disc aktuelle
­Designtrends auf, die vor sieben
Jahren noch Zukunftsmusik waren
EINZELTEST
und heute vor allem an wettkampf­
orientierten Rädern verbreitet sind.
Das ist insofern interessant, als das
Simplon Kiaro Disc als lupenreines Mara­
Kiaro Disc thonrennrad konzipiert ist. Ablesen
lässt sich das am STR-Wert, der die

42 TOUR 8-2019
international gebräuchlichen Maße Stack und Reach
als Indikatoren für die Rahmenhöhe beziehungsweise
1,9
SIMPLON KIARO DISC
-länge in Relation setzt. Ein STR von 1,57 in Größe M
bedeutet konkret, dass der Lenker in der tiefsten
möglichen Einstellung höher positioniert ist als bei den
meisten anderen Rennrädern. Dazu kommt eine
15 Millimeter hohe Steuersatzkappe, durch die die
Bremsleitungen ins Steuerrohr laufen und die das ein-
teilige Carbon-Cockpit noch weiter nach oben liftet.
Damit man trotzdem einigermaßen rennradtypisch
sitzt, ist der Vorbau zumindest bei der am Testrad
montierten Lenkereinheit um zehn Grad nach unten
geneigt, wodurch die Griffpositionen wieder etwas
näher ans Vorderrad rücken. Interessanter Nebeneffekt
des leicht geneigten Vorbaus: Trotz moderater Sattel-
Lenker-Überhöhung weist das Kiaro Disc eine für ein
Marathonmodell erstaunlich elegante und dynamische 1)
Silhouette auf. Rennfahrern dürfte die Sitz­position
zwar dennoch zu aufrecht sein – sie sind aber auch • Preis 5.799 Euro
STÄRKEN UND SCHWÄCHEN
• Gewicht Komplettrad 7,9 Kilo 1 KO M F O R T
nicht Zielgruppe – , für ausgedehnte Touren ohne Zeit- 2
3
und Konkurrenzdruck ist die Auslegung jedoch ein Info www.simplon.com
4
Gewicht Rahmen/Gabel/Steuerlager* 1.248/454/87 Gramm BREMSEN ANTRITT
guter Kompromiss. Wer etwas gestreckter sitzen möchte, Rahmengrößen** XXS, XS, S, M, L, XL cm 5

tauscht den am Testrad montierten 100 Millimeter Sitz-/Ober-/Steuerrohr 505/540/176 mm

langen Vorbau einfach gegen ein längeres Exemplar.
Bei einem Hersteller wie Simplon, der jedes Rad nach
Kundenwunsch konfiguriert, lassen sich solche Details
in Absprache mit dem Händler leicht ändern.
GUT GEDÄMPFT UNTERWEGS
Ein spannendes Detail ist auch das Profil des Ober-
rohrs, das zum Sitzrohr hin extrem flach ist. Dies und
leicht geschwungene Sitzstreben sollen dem Rahmen
im Zusammenwirken mit der runden, weit ausgezoge-
nen Carbonstütze eine hohe vertikale Elastizität be-
scheren. An das extrem gedämpfte Fahrgefühl eines
Trek Domane, Canyon Endurace CF SL oder Giant
Defy reicht das Kiaro Disc zwar nicht heran. Dank
28 Millimeter breiter Tubeless-Reifen von Schwalbe,
die nicht mehr als maximal fünf Bar Luftdruck er­
fordern, wirkt das Rad dennoch selbst auf ruppigem
Asphalt nie unangenehm hart.
Technisch ist der Rahmen im besten Sinn solide. Das
für einen Carbonrahmen auf den ersten Blick hohe
Gewicht von mehr als 1.200 Gramm relativiert sich an-
gesichts der roten Lackierung, die zwischen 100 und
200 Gramm wiegen dürfte. Mit knapp 7,9 Kilogramm
ist das Simplon Kiaro Disc kein Leichtgewicht, was
angesichts der Ausstattung mit 35 Millimeter hohen
Carbonfelgen und der funktional bestechenden Force-
eTap-AXS-Gruppe von SRAM mit zwei mal zwölf
Stack/Reach/STR 590/376 mm/1,57
Radstand/Nachlauf 995/57 mm
S C H A LT E N BERGAB
AUSSTATTUNG
Antrieb SRAM Force eTap AXS (48/35 Z., Press-Fit)
Bremsen SRAM Force eTap AXS (160/160 mm)
träge neutral wendig
Schaltung SRAM Force eTap AXS
Lenkverhalten ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ● ● ●
Laufräder/Reifen/Laufradgewichte DT Swiss PRC 1400
Spline Disc/Schwalbe Pro One Tubeless 28 mm (v./h.:
aufrecht gestreckt
Sitzposition ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ● ● ●
1.229/1.618 Gramm)
MESSWERTE & EINZELNOTEN****
Gewicht Komplettrad................... 7,9 Kilo
Lenkkopfsteifigkeit .. ................... 94 Nm/°
3,0
1,7 + komfortabel, fahrstabil, funktional,
top ausgestattet
Seitensteifigkeit Gabel .. .............. 45 N/mm 2,3
Tretlagersteifigkeit...................... 61 N/mm 1,0
Federhärte Sattelstütze .. ............. 129 N/mm 2 ,0 relativ teuer
Federhärte Gabel .. ....................... 81 N/mm 3,3
*­/**** Die Erklärungen finden Sie auf Seite 39.
1) das in dieser Abbildung gezeigt Rad ist mit Shimanos 105 ausgestattet
F O R M VO L L E N D E T

elektrisch angesteuerten Gängen und kraftvollen Das Oberrohr wird zum

Bremsen aber kaum zu erwarten war. Da sowohl die Sitzrohr hin flach wie eine
Gruppe wie die Laufräder maßgeblich zum souveränen Blattfeder (oben). Am
Fahreindruck beitragen, gerät das Gewicht ohnehin
Lenker verlaufen die Brems-
rasch in Vergessenheit.
5.800 Euro für das Testrad lassen viele Rennradfahrer
leitungen seitlich am Vorbau
sicher schlucken, liegen aber auf dem Niveau ver- vorbei – das erleichtert die
gleichbar ausgestatteter Räder von anderen Marken. Montage enorm (rechts)
Eine Basis-Version des Kiaro Disc mit mechanischer
105-Schaltung von Shimano, konventionellem Lenker
und Alu-Laufrädern kostet 2.899 Euro.

8-2019 TOUR 43
 EINZELTEST
Wilier
Triestina Cento10
Pro Disc

PULS-
BESCHLEUNIGER TEXT

W
Manuel Jekel

Italienische Rennräder wecken bei vielen Fans F OTO S

immer noch mehr Emotionen als andere. Doch Jan Greune, Daniel Kraus
Zuneigung braucht Argumente – besonders, wenn
damit eine so hohe Investition verbunden ist
wie für das Cento10 Pro Disc von Wilier Triestina
Wilier Triestina hat gerade das, was man
einen Lauf nennt. Lange stand die von den
Brüdern Andrea, Enrico und Michele
Gastal­dello geführte Marke im Schatten an-
derer italienischer Marken wie Colnago, De
Rosa und Pinarello. Doch seit einigen Jahren
drängt das Unternehmen aus Rossano Veneto
immer mehr ins Licht. Zumindest auf den
Straßen ihres Heimatlandes Italien sind
Wilier-Rennräder auffallend präsent. Zu
dem Aufschwung trägt bei, dass die Räder

44 TOUR 8-2019
von Wilier bei Eigenschaften wie Gewicht,
Steifigkeit und Komfort konkurrenzfähig
sind, ohne dafür ihr italienisches Flair ein-
gebüßt zu haben, das sich in individuellen
Details und farbenfrohen Lackierungen
ausdrückt. Zu nennen sind hier etwa die
Leichtbau-Rennräder Zero.7 und Zero.6,
mehr aber noch der Marathonrenner
­Cento10 NDR mit innovativer Hinterbau­
federung, den die TOUR-Leser 2018 zum
Rennrad des Jahres in seiner Kategorie
wählten. Dass Wilier auch Aerodynamik
kann, bewies in TOUR 4/2017 das Cento10
Air, das in unserem Aero-Test mit Zipp-
404-­Laufrädern auf gute 207 Watt bei
45 km/h kam. Inzwischen wurde das Modell
weiterentwickelt und umbenannt, das
­Konzept aber kaum variiert. Das Rad heißt
nun Cento10 Pro Disc und bremst, wie der
Name nahelegt, mit Scheibenbremsen. Die
hohen Steifigkeitswerte, die bei Rennrädern
aus Italien lange nicht selbstverständlich
waren, wurden beibehalten. Durch eine
­optimierte Carbonstruktur ist der Rahmen
etwas leichter geworden.
KEIN AERO-NACHTEIL DURCH DISCS
Die Frage, welche Auswirkungen die Discs
auf die Aerodynamik haben würden, ist
knapp beantwortet: keine. Mit 208 Watt
benötigter Leistung, um das Rad auf
45 km/h zu beschleunigen, hält das Cento10
Pro Disc das hohe Niveau des Vorgängers.
Die Frage, ob das Cento10 Pro Disc aero­
dynamisch besser oder schlechter ist als
sein Vorgänger, tritt ohnehin schnell in den
Hintergrund, wenn man erst mal im Sattel
Platz genommen hat. Um festzustellen, dass
man auf einem megaschnellen Geschoss
sitzt, bedarf es keines Aero-Tests. Auf den
ersten Metern sind es vor allem die Tubeless-­
Reifen mit Baumwollkarkasse von Vittoria,
die den Fahreindruck maßgeblich prägen.
Die Corsa Speed G+, die zu den schnellsten
Reifen auf dem Markt zählen, rollen noch
einmal deutlich leichter als Top-Allrounder
wie Continentals Grand Prix 5000
oder der Schwalbe Pro One.
Zugleich tragen die nur 23 Milli-
meter schmalen Gummis, die
mindestens sieben Bar Druck
verlangen, zum straffen Fahr­
eindruck des Rades bei. Ein
Komfortwunder ist das Cento10
Pro Disc sicher nicht, auch wenn die
Stütze mit dem inzwischen bei Aero-­
Modellen gängigen Kammtail-Profil
­geringfügig besser federt als die des Vor-
gängers. Einmal in Fahrt, kommt man
aber ohnehin kaum dazu, über den Kom-
fort nachzudenken. Ständig fühlt man sich
herausgefordert, noch ein bisschen fester
aufs Pedal zu treten, als man es eigentlich
vorhatte. Dabei liegt das Rad stabil und
satt auf der Straße, lenkt präzise und sicher
ein und lässt nie Zweifel aufkommen, dass
die forcierte Gangart sein Metier ist.
Nicht ganz schlüssig vor diesem Hinter-
grund ist die Wahl einer Kompaktkurbel
für die Serienausstattung, wobei sich die-
ses Detail ja leicht ändern lässt. Insgesamt
lässt die Serienausstattung, die Zipps
404-Laufräder sowie Bremsscheiben mit
Sechs-Loch-Aufnahme statt der inzwi-
schen populäreren Centerlock-Scheiben
umfasst, keine Wünsche offen. Kehrseite
des Vergnügens ist der heftige Preis von
10.800 Euro für das Profipaket. Ob das
sein muss, um in den Genuss dieses tollen
Rades zu kommen, sei dahingestellt.
­Varianten des Cento10 Pro Disc, etwa mit
­Ultegra-Schaltung, Discs und Cosmic-Pro-
­Carbon-Laufrädern von Mavic, starten
bei knapp 7.000 Euro. Für das Rahmen-­Set
inklusive Alabarda-Lenker und Sattel­
stütze ruft Wilier 3.800 Euro auf.
KEINE KABEL
Aufgeräumte Optik
durch den Alabarda-­
Lenker mit innen
liegenden Leitungen
KLARE K ANTE
Wie viele Hersteller
setzt auch Wilier auf
Kammtail-Profile für
bessere Aerodynamik
1,5
WILIER
TRIESTINA
CENTO10 PRO DISC
• Preis 10.800 Euro
• Gewicht Komplettrad 7,4 Kilo
Info www.wilier.com
Gewicht Rahmen/Gabel/Steuerlager* 1.065/400/81 Gramm
Rahmengrößen** XS, S, M, L, XL, XXL
Sitz-/Ober-/Steuerrohr 525/550/156 mm
Stack/Reach/STR 557/388 mm/1,44
Radstand/Nachlauf 990/58 mm
AUSSTATTUNG
Antrieb Shimano Dura-Ace (50/34 Z., Press-Fit)
Bremsen Shimano Dura-Ace (160/160 mm)
Schaltung Shimano Dura-Ace Di2
Laufräder/Reifen/Laufradgewichte Zipp 404 Disc/Vittoria
Corsa Speed G+ TL 23 mm (v./h.: 1.298/1.606 Gramm)
MESSWERTE & EINZELNOTEN****
Luftwiderstand. . ........................... 208 Watt 2 ,0
Gewicht Komplettrad................... 7,4 Kilo 3,0
Lenkkopfsteifigkeit .. ................... 106 Nm/° 1,0
Seitensteifigkeit Gabel .. .............. 71 N/mm 2,3
Tretlagersteifigkeit...................... 74 N/mm 1,0
Federhärte Sattelstütze .. ............. 199 N/mm 3,0
STÄRKEN UND SCHWÄCHEN KO M F O R T
1
2
BREMSEN 3 ANTRITT
4
5
S C H A LT E N BERGAB
A E R O DY N A M I K
träge neutral wendig
Lenkverhalten ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ● ● ●
aufrecht gestreckt
Sitzposition ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ● ● ●
+ top Aerodynamik, extrem fahrstabil,
super Ausstattung
relativ hart am Sattel, teuer
Eine Erklärung der *–**** finden Sie auf Seite 39.
8-2019 TOUR 45
 FAHRTEST
Rotor
1 x 13
JETZT SCHLÄGT’S 13!
D
Ein ovales Kettenblatt, 13 Ritzel und ein hydraulisch
betätigtes Schaltwerk – Rotors neues Schalt­
ensemble steckt voller Besonderheiten. Taugt
die Schaltung aus Spanien als Alternative zu den
großen Anbietern? TOUR hat’s ausprobiert
Der spanische Komponenten-
hersteller, der mit ovalen Ketten-
blättern erstaunliche Erfolge
erzielt, lässt nicht locker im Be-
mühen, der Rennradwelt Alter-
nativen anzubieten zum ewig
gleichen Schaltungs-Einerlei.
Das 2 x 12-Getriebe namens Uno
mit hydraulisch betätigter Schal-
tung hat Rotor bereits 2016 vor-
S C H A LT H E B E L gestellt, die 1 x 13-Schaltung setzt
Weil die Rastmechanik den nächsten neuen Akzent.
im Schaltwerk sitzt, Auch sie wird hydraulisch betä-
kommt am Schalthebel tigt, dünne Ölleitungen verbin-
den die Komponenten. Mit ent-
wenig Feedback an.
sprechendem Ketten­blatt und
Häufiges Verschalten ist Ritzelpaket soll sie für fast alle
die Folge. Gangwechsel Fahrradgattungen taugen, vom
erfordern viel Kraft, die Mountainbike bis zum Straßen-
Hebelwege sind lang renner. Es gibt Kurbeln mit und
46 TOUR 8-2019
RITZEL
Die 13-fach-Kassette erfordert
einen speziellen Freilauf, der
­bislang nur mit Naben bzw. Lauf­
rädern von Rotor erhältlich ist
ohne Powermeter, ovale wie
­r unde Kettenblätter von 38 bis
54 Zähnen und Kassetten vom
Rennrad- (10-36) bis zum
Moun­­tainbike-Format (10-52).
Lediglich Schaltwerk, Hebel und
die in Kooperation mit Magura
entwickelten Scheibenbremsen
bleiben immer gleich. Der
Schalt­hebel wurde von der Uno-­
Gruppe übernommen und funk-
tioniert wie SRAMs mechani-
sche DoubleTap-Schaltung: Ein
kurzer Schwenk bis zum ersten
Rastpunkt schaltet auf ein klei-
neres, ein langer Schwenk auf
ein größeres Ritzel.
Der erste Antrieb mit 13 Ritzeln
soll laut Rotor ein vollwertiger
Ersatz für die bislang üblichen
Zweifach-Schaltungen am
Renn­rad sein. Mit dem zusätz­
lichen Ritzel soll sich die not­
wen­dige Bandbreite erstmals mit
­akzeptablen Sprüngen von Gang
zu Gang abdecken lassen.

KURBELN
Das Tretlager kann mit runden
oder ovalen Kettenblättern
­sowie optional mit einem
­Powermeter bestückt werden
S C H A LT W E R K
Das etwas klobig wirkende
Schaltwerk ist für alle Räder
gleich und schafft auch
Mountainbike-Übersetzungen
Einfach-­Antriebe mit elf Ritzeln, wie sie von
SRAM und neuerdings auch von Shimano
angeboten werden, konnten sich nur an
Cross- und Gravelbikes etablieren, mit denen
die Bandbreite erzielbarer Geschwindigkeiten
deutlich kleiner ist. Von den Vorteilen des
Mono-Kettenblatts gerade im Gelände sind
viele Fahrer überzeugt: Die Antriebe gelten
als wartungsärmer und leichter zu bedienen.
Nach ersten Touren lässt sich sagen, dass
­zumindest für sportliche Fahrer das Gänge-
spektrum nun ausreichen dürfte. Das 48er-­
Kettenblatt und eine Kassette mit 10-39 Zäh­
nen lassen das Erklettern steiler Rampen
ebenso zu wie rasante Abfahrten; die Sprünge
Man könnte mit diesen Kompromissen leben,
wäre da nicht noch der Schalthebel, der un-
verändert von der Uno-Gruppe übernommen
wurde und schon bei deren Test Kritik ein-
stecken musste. Er geht relativ schwer, die
Hebelwege sind lang. Vor allem gibt er kaum
Feedback darüber, ob sich in der Rastmecha­
nik im Schaltwerk überhaupt etwas tut. Man
spürt die Schaltstufen nur, wenn man sich
sehr darauf konzentriert; im hektischen
Rennbetrieb ist Verschalten so vorprogram-
miert. Man kann das Feedback der Rast-
punkte mit einer Schraube am Schaltwerk
verbessern, dabei erhöhen sich aber gleich-
zeitig die Schaltkräfte auf ein inakzeptables
Maß. In diesem Punkt – der Balance aus
­geringen Bedienkräften und taktiler Rück-
gerade zwischen den leichten meldung – sind vor allem die Konkurrenten
Gängen sind immer noch ge- Shimano und Campagnolo meilenweit voraus.
wöhnungsbedürftig, aber akzep- Kurios ist auch die Preisgestaltung: Zum
tabel. An die Möglichkeiten Einstiegspreis von 1.999 Euro kann man die
­aktueller Zweifach-Antriebe Schaltung nur mit zwölf Ritzeln fahren,
reicht aber auch dieses System denn dann können Laufräder mit SRAMs
nicht heran. Wer sehr leichte XD-Rotor verwendet werden, auf den das
Berggänge wünscht, bekommt kleine 10er-Ritzel passt. Das ist schon doppelt
das mit der 1 x 13-Schaltung hin, so teuer wie die Force 1 x 11-Gruppe von
muss aber Abstriche bei den ganz SRAM, bei vergleichbarem Gewicht. Weil
schnellen Gängen hin­nehmen das 13. Ritzel einen breiteren Freilauf er­
oder größere Sprünge von Gang fordert, den bislang nur Rotor-Naben auf-
zu Gang. Am Testrad, einem weisen, wird das Set gleich mitsamt Lauf­
­Argon18-Marathonrenner, zeigt rädern verkauft und beginnt bei 2.599 Euro
die Schaltung zudem die gleichen für einfache Alu-Laufräder. Mit Carbon­
Probleme wie andere Einfach-­ felgen und Leistungsmessung kostet das
Antriebe: In den extremen Gän- ­Ensemble stolze 4.499 Euro. Die Prognose
gen läuft die Kette so schräg vom dürfte nicht allzu gewagt sein, dass Rotor
Kettenblatt zum Ritzel, dass damit zwar ein interessanter Impuls für
sie hörbar auf dem Metall mahlt, Neu- und Weiterentwicklungen gelungen ist,
vor allem im leichtesten Gang der aber nur eingefleischte Fans der Marke
auf dem größten Ritzel. und Enthu­siasten überzeugen dürfte.
8-2019 TOUR 47
 SAUBER
TEST
Rad-Reiniger
& REIN

48 TOUR 8-2019

Wenn der Schmutz in Schichten
den Lack verdeckt, hilft ein Reiniger,
den alten Glanz wiederherzustellen.
Wir haben 18 Fahrradreiniger im Labor
und in der Praxis ausprobiert und
sagen, welcher nicht nur sauber macht,
sondern auch das Material schont
W
TEXT
Stefan Frey,
Matthias Borchers
Waldmeistergrün, himbeerrot und zitronengelb:
Bunt wie Sommer-Cocktails schwabbeln die Fahr-
radreiniger in ihren Pumpflaschen. Sie riechen
blumig-herb und fruchtig-süß, mancher Duft
kriecht aber auch beißend in die Nase. Ein Som-
melier würde sich vielleicht ein Glas einschenken
und den Tensid-Cocktail prüfend gegen das Licht
halten – genüsslich im Mund schäumen lassen
würde er das Gebräu sicher nicht. Auch wenn die
18 Fahrradreiniger im Test allesamt als biologisch
abbaubar deklariert sind: Direkt neben dem
­Hinweis auf die U ­ mweltverträglichkeit prangen in
aller Regel auch ­signalrote Gefahrenzeichen, die
vor ­ätzenden, gesundheitsgefährdenden Stoffen
warnen. Wir unterziehen die Putzmittel also lieber
einer Qualitätsprüfung im Labor.
Reinigungsleistung, Materialverträglichkeit und
Handhabung – getestet haben wir diese Eigen-
schaften im TOUR-Labor, die Testkriterien orien-
tieren sich an den Prüfnormen von Dr. Wack, die
in der Branche auch von a­ nderen Herstellern als
Maßstab anerkannt sind. Die Chemiker des Ingol-
städter Konzerns feilen seit mehr als 20 Jahren an
Standards, um die Leistung von Reinigungsmitteln
vergleichbar zu machen.
Wichtigstes Kriterium ist natürlich die Reinigungs­
kraft. Für diesen Test haben die Tüftler sogar
­einen Normschmutz entwickelt. Die asphaltgraue,
zähflüssige Pampe wird aus Lösungsmittel, Öl,
Fett, Ruß und Pigmentschmutz angerührt und soll
die realen Verschmutzungen am Rad imitieren.
Der Batz wird mit einer Pipette gleichmäßig auf
fettfreie Alu-Plättchen aufgetragen, die nach einer
Stunde Ablüften in den jeweiligen Reiniger getaucht
werden. Anschließend werden die Teststreifen mit
Wasser abgespült und beobachtet, wie viel Test-
schmutz von der Oberfläche abgewaschen wird –
ohne manuelle Einwirkung. Die Unterschiede sind
eindrucksvoll: Mal löst sich der Schmutz nur zöger­
lich, mal rutscht die Plempe von der Trägerplatte
wie eine Pizza vom Teller und hinterlässt blitz­
blankes Metall. Bei ein paar wenigen Kandidaten
plätschert der Wasserstrahl wie über Granit und es
passiert – eigentlich nichts. Bei Squirt und Zéfal
fragt man sich tatsächlich, ob überhaupt Reiniger
auf dem Plättchen war. Auch der zweite und dritte
Durchgang zur Kontrolle zeigen das gleiche Bild.
Die Reiniger von Motorex, SKS und ­Sonax schei-
nen den Schmutz hingegen förmlich zu unter­
wandern. Sie bilden eine Gleitschicht, die dem
klebrigen Gemisch die Haftgrundlage entzieht,
und schon saust der Schmutz von der Trägerplatte.
Annähernd so gut reinigen die Produkte von Bal-
listol, Dr. Wack, POW und RSP. Um das Fahrrad
richtig sauber zu bekommen, muss man aber
trotzdem mit einer Bürste nachhelfen. Die fertigen
Gemische weiter zu verdünnen, ist im Übrigen
keine gute Idee. Wir haben zwei Produkte im Ver-
hältnis 1:5 und 1:10 gestreckt und damit denselben KURZ &
Test durchgeführt. Die beiden ansonsten sehr KNAPP
kräftigen Reiniger erzielen so nicht annähernd die
Leistung wie im unverdünnten Zustand.
Der Test von
KRAFTVOLL UND SCHONEND?
Wie wichtig es ist, dass ein Reiniger nicht nur
kraftvoll, sondern auch schonend zu Werke geht,
18
speziellen
zeigt der nächste Test. Um die Materialverträg- Fahrradrei­nigern zeigt
lichkeit zu prüfen, badet je ein Alu-Plättchen für
große ­Unterschiede
24 Stunden und ein Eisen-Plättchen für 20 Stunden
im Reiniger. Das gleiche Prozedere durchlaufen bei der ­Reinigung,
lackierte Testmuster und soche aus eloxiertem Alu. Material­verträglichkeit
Die gute Nachricht: Auf Lack hinterlässt keiner und Handhabung. Die
der Testkandidaten sichtbare Spuren – und das be­ Produkte von Squirt,
trifft ja in der Regel einen Großteil aller Fahrräder. Pedro’s oder Zefal leisten
Auf Eloxal indes rufen Finish Line, SKS und be- kaum mehr als billige
sonders POW deutliche Verfärbungen hervor.
Geschirrspülmittel,
­Ballistol, Finish Line, Pedro’s und Tunap reagieren
besonders aggressiv auf blankem Alu. Atlantik, während ­Dr. Wack, SKS
Motorex, RSP und Zéfal ­können vor allem unbe- und Sonax ergiebige,
handeltes Eisen angreifen und verfärben. schonende Reiniger
Ein ­k leiner Krimi spielt sich dann beim Test auf zu reellen ­Preisen
Poly­carbonat ab. Beim Bad im jeweiligen Reiniger anbieten. Insgesamt sind
kann man förmlich beobachten, wie sich nach die Preisunterschiede
und nach feine Haarrisse auf den Testplättchen
beträchtlich.
ausbreiten. Nach 24 Stunden kann man die von
Atlantic und SKS umspülten Polycarbonat-­ Die teuersten Produkte
Plättchen locker auseinanderbrechen, doch auch kosten fast das Doppelte
Ballistol, Motorex, POW und Tunap verur­sachen der günstigen, sind
Risse. Diese Reiniger sollte man also auf keinen aber nicht zwangsläufig
Fall zu lange auf Kunststoffteilen wie etwa Schalt- die besten.
hebeln ­einwirken lassen und grundsätzlich immer
mit viel ­k larem Wasser abspülen!
Ein Wort zum Putzkomfort: Große Ein-Liter-­
Flaschen erweisen sich im Gebrauch als unhand-
lich, das Pumpen strengt schnell an; kleinere
­Flaschen liegen leichter in der Hand. Praktisch
sind Sprühköpfe, die den konzentrierten Strahl
ebenso beherrschen wie feinen Nebel, um zuver-
lässig auch versteckte und häufig am stärksten
­verdreckte Winkel am Rad zu erreichen.
Wer sich im Übrigen fragt, ob es nicht ausreicht,
einen Schuss billigen Geschirrspülmittels ins
Putzwasser zu geben, wird e­ nttäuscht: Mit Spül-
mittel lassen sich zwar prima Seifenblasen machen,
doch hartnäckigen Schmutz am Rad löst man tat-
sächlich besser mit den bunten Tensid-­Cocktails
aus den Pumpfläschchen.
8-2019 TOUR 49
 HERSTELLER ATLANTIC BALLISTOL DR. WACK DYNAMIC

Umwelt- Modell Komplettreiniger BikeClean F100 Fahrradreiniger Bike Cleaner

bewusst? Info www.atlantic-oel.de www.ballistol.de www.wackchem.com www.dynamic-cycling.com
Preis / pro Liter 11,50 Euro / 23 Euro 6,90 Euro / 13,80 Euro 16,99 Euro / 16,99 Euro 13,90 Euro / 13,90 Euro
Siegel wie „umwelt- Inhalt 500 ml 500 ml 1.000 ml 1.000 ml
freundlich“ oder biologisch Einwirkzeit 2 Minuten 5–10 Minuten 5–10 Minuten 1–2 Minuten
abbaubar“ prangen auf Wirkweise wasserlöslich; reizende Schaumreiniger, erschwert Haft-Gel mit Fettlöser; Flüssigreiniger auf Salmiak-­
den Etiketten fast aller Inhaltsstoffe Neuverschmutzung ­unproblematische Inhaltsstoffe Basis; reizende Inhaltsstoffe
getesteten Reiniger. Was Oberflächen Metall, Carbon, Kunststoffe Metall, Carbon; Kunststoffe Metall, Carbon, Metall, Carbon,
die Hersteller damit er­ mit Einschränkung; nicht Kunststoffe; nicht Kunststoffe
reichen wollen, ist klar: auf unlackiertem Alu auf unlackiertem Alu
Umweltbewusstsein liegt BEWERTUNG
im Trend. Auch Radler Reinigung (50 %) ●●●●●●●● 3,0 ●●●●●●●● 1,5 ●●●●●●●● 2 ,0 ● ● ● ● ● ● ● ● 2,5

möchten beim Säubern Verträglichkeit (30 %) ●●●●●●●● 2 ,1 ●●●●●●●● 2 ,1 ●●●●●●●● 1,0 ●●●●●●●● 1,6

ihres Boliden sicher sein, Anwendung (20 %) ●●●●●●●● 3,9 ●●●●●●●● 1,8 ●●●●●●●● 1,9 ●●●●●●●● 2,9

dass die Umwelt nicht

mehr belastet wird als
unbedingt nötig. Doch im
Gesamtnote (100 %)
2,9 1,7 1,7 2,3
Grunde handelt es sich FAZIT Mäßige Reinigung, schlecht Sehr gutes Sprühbild, haftet Kaum Material-Unverträglich- Gute Materialverträglichkeit,
dabei um „Werbung mit bedienbarer, nicht verstell­ und reinigt sehr gut; Abzüge keiten, super Sprühbild, reinigt mittlere Reinigungskraft; un-
Selbstverständlichkeiten“, barer Sprühkopf; agressiv bei gibt es bei Verträglichkeit auf gut, Flasche liegt jedoch nicht handliche Flasche, nur mäßig
wie es Juristen formulie- Eisen und Kunststoff; teuer Alu und Kunststoff optimal in der Hand bei Haftung und Sprühbild
ren: Laut Vorschrift muss
ein Reiniger nämlich bio-
logisch abbaubar sein,
sonst darf er nicht in den
Handel gelangen. Grund-
sätzlich könnte man für
Reiniger Naturstoffe ver-
wenden, die sind jedoch
bisher weniger ergiebig
und erreichen nicht die-
selbe Reinigungskraft wie
herkömmliche Mittel. In- HERSTELLER FINISH LINE MOTOREX MUC-OFF POW
sofern ist der Reiniger am
umweltfreundlichsten, der Modell Super Fahrrad Reiniger Bike Clean Fahrradreiniger Ready To Use
mit geringer Menge am Info www.grofa.com www.motorex.com www.sports-nut.de www.pow-reiniger.de
besten säubert, also spar- Preis / pro Liter 12,99 Euro / 12,99 Euro 10,90 Euro / 21,80 Euro 14,99 Euro / 14,99 Euro 12,95 Euro / 12,95 Euro
sam in der Anwendung Inhalt 1.000 ml 500 ml 1.000 ml 1.000 ml
ist. Was man selber noch Einwirkzeit einige Minuten 3–5 Minuten 3–5 Minuten mind. 5 Minuten
tun kann: Vermeiden Sie, Wirkweise wenn sich Schaum gesetzt Gel-artige Lösung; reizende flüssig schäumend, reizende Lösung; reizende
dass Reiniger ins Erdreich hat, flüssig schäumend; Inhaltsstoffe Inhaltsstoffe Inhaltsstoffe
dringt. Der ideale Wasch- reizende Inhaltsstoffe
platz sind Wasch­boxen Oberflächen Metall, Carbon, Kunststoffe Metall, Carbon, Kunststoffe Alu, Carbon, Kunststoffe Metall, Carbon, Kunststoffe
an Tankstellen, wo das BEWERTUNG
Schmutzwasser aufgefan- Reinigung (50 %) ●●●●●●●● 4,0 ●●●●●●●● 1,0 ●●●●●●●● 3,0 ●●●●●●●● 2 ,0

gen und aufbereitet bzw. Verträglichkeit (30 %) ●●●●●●●● 2,4 ●●●●●●●● 2,4 ●●●●●●●● 1,4 ●●●●●●●● 2 ,1

fachgerecht entsorgt wird. Anwendung (20 %) ●●●●●●●● 3 ,1 ●●●●●●●● 2 ,0 ●●●●●●●● 3,0 ●●●●●●●● 3,5

Gesamtnote (100 %)
3,3
FAZIT Säubert kaum; unhandliche
Flasche; aggressiv auf Alu;
haftet gut; lässt sich gut
aufsprühen
1,6
Handliche Flasche mit sehr
gutem Sprühkopf; reinigt
­super; aggressiv auf Alu, Eisen
und Polycarbonat; teuer
2,5
Sehr schonender Reiniger,
dafür nur wenig Reinigungs-
kraft; unhandliche Flasche mit
kantigem Sprühkopf
2,3
Reinigt gut; nicht so gut bei
Handling, Anhaftung und
Sprühbild; unverträglich auf
eloxiertem Aluminium

50 TOUR 8-2019
 TEST
SIEGER
HERSTELLER PEATY’S PEDRO’S R.S.P. SKS SONAX

Modell Loam Foam Green Fizz Muddy Buddy Wash Your Bike Bike Reiniger
Info www.mrc-trading.de www.cosmicsports.de www.rsp.at www.sks-germany.com www.sonax.de
Preis / pro Liter 11,90 Euro / 11,90 Euro 10,90 Euro 7 10,90 Euro 10,90 Euro / 21,80 Euro 12,99 Euro / 17,32 Euro 9,99 Euro / 13,32 Euro
Inhalt 1.000 ml 1.000 ml 500 ml 750 ml 750 ml
Einwirkzeit 3–5 Minuten einige Minuten 2–3 Minuten max. 2 Min., Carbon 1 Minute 5–10 Minuten
Wirkweise Flüssiglösung; stark schäumende Lösung; füssig schäumend flüssig schäumend, stark schäumend
reizende Inhaltsstoffe keine Entfettung reizende Inhaltsstoffe
Oberflächen Alu, Carbon, Metall, Carbon, keine Angabe Metall, CFK, Kunststoff, Alu, Carbon, Kunststoffe
Kunststoffe Kunststoffe Lack

BEWERTUNG
Reinigung (50 %) ●●●●●●●● 2,5 ●●●●●●●● 4,0 ●●●●●●●● 2 ,0 ●●●●●●●● 1,0 ●●●●●●●● 1,0

Verträglichkeit (30 %) ●●●●●●●● 1,3 ●●●●●●●● 2 ,0 ●●●●●●●● 2 ,1 ●●●●●●●● 2,4 ●●●●●●●● 1,4

Anwendung (20 %) ●●●●●●●● 2,5 ●●●●●●●● 2,8 ●●●●●●●● 2,2 ●●●●●●●● 1,7 ●●●●●●●● 3 ,1

Gesamtnote (100 %)
2,1 3,2 2,1 1,6 1,5
FAZIT Schonend auf allen Materia­lien; Unhandliche Flasche, guter Handliche Flasche mit gutem Einer der Besten bei Reinigung Schonend, sehr kraftvoll;
reinigt nur mittelmäßig; Sprühkopf; reinigt kaum; Sprühkopf; reinigt gut, haftet und Handhabung; sehr guter, leicht aggressiv auf Eisen; gut
­Anhaftung und Sprühbild sind greift vor allem blankes aber schlecht; zeigt Unver- aber nicht verstellbarer Sprüh- haftend; etwas unhandliche
gut; unhandlich Aluminium stark an träglichkeit auf Eisen; teuer kopf; aggressiv auf Kunststoff Flasche; diffuses Sprühbild

HERSTELLER SQUIRT TIP TOP TUNAP SPORTS WD-40 ZÉFAL

Modell Bike Cleaner Zweiradreiniger Intensivreiniger Bike Reiniger Bike Wash

Info www.squirtlube.nl www.rema-tiptop.com www.tunap-sports.net www.wd40.de www.paul-lange.de
Preis / pro Liter 10,95 Euro / 21,90 Euro 8,95 Euro / 17,90 Euro 14,95 Euro / 14,95 Euro 6,99 Euro / 13,98 Euro 12,95 Euro / 12,95 Euro
Inhalt 500 ml 500 ml 1.000 ml 500 ml 1.000 ml
Einwirkzeit einige Minuten 3–5 Minuten mind. 5 Minuten sofort abspülbar k. A.
Wirkweise flüssig schäumend, flüssig schäumend flüssig schäumend stark schäumend, reizende flüssig schäumend,
reizende Inhaltsstoffe Inhaltsstoffe reizende Inhaltsstoffe

Oberflächen Kunststoff, CFK, Metall, Lack Alu, Chrom, lackierte Stahlteile Alle gängigen Rahmenteile alle Oberflächen keine Angabe
BEWERTUNG
Reinigung (50 %) ●●●●●●●● 4,8 ●●●●●●●● 3,0 ● ● ● ● ● ● ● ● 3,5 ●●●●●●●● 3,0 ●●●●●●●● 4,8

Verträglichkeit (30 %) ●●●●●●●● 1,0 ●●●●●●●● 1,9 ●●●●●●●● 2 ,0 ●●●●●●●● 1,5 ●●●●●●●● 1,6

Anwendung (20 %) ●●●●●●●● 2,3 ●●●●●●●● 2,6 ●●●●●●●● 2,6 ●●●●●●●● 2 ,1 ●●●●●●●● 2,8

Gesamtnote (100 %)
3,1
FAZIT Sehr schonend auf allen Ober-
flächen; haftet schlecht; reinigt
kaum; handliche Flasche,
­guter Sprühkopf; teuer
2,6
Handliche Flasche; reinigt nur
mäßig, greift vor allem Kunst-
stoffe an; wenig robuster
Sprühkopf
2,9
Lässt sich gut aufsprühen;
haftet gut; reinigt nur mäßig;
kantiger Sprühkopf; Spuren
auf Alu und Kunststoff
2,4
Relativ schonend; minimal
aggressiv auf Kunststoff;
­haftet kaum und reinigt nur
mittelmäßig
3,4
Gutes Sprühbild; guter Sprüh-
kopf; liegt aber schlecht in der
Hand; reinigt kaum; auf Eisen
leicht aggressiv

8-2019 TOUR 51
 B E KLE IDU NG VON VE LOIN E

DEZENT
Veloine ist eine junge Münchener Marke für
TEST- Frauen-Radkleidung, gegründet von Sandra
CENTER Waschnewski und Jürgen Falkenrath. Die
Rennradkollektion soll Performance und Stil
verbinden, geschneidert werden die Teile in
Italien. Aus dem noch kleinen Sortiment
haben wir die Radhose Rocacorba und das
Trikot Ventoux ausprobiert. Auf Anhieb gut
gefielen das 3D-artige Printmuster und
die insgesamt edle Anmutung. Der Stoff
ist sehr hautfreundlich und schmiegt sich
elastisch an. Der Rücken mit drei großen
Taschen ist lang geschnitten, sitzt dank gut
haftendem Gelprint-Bund perfekt und
rutscht nicht hoch. Die Ärmel sind betont
lang, sitzen gut und kneifen nicht. Auch die
Hose überzeugt mit guter Passform. Das
Polster bleibt in Position, Nähte sind nicht
spürbar, die Beinabschlüsse sind breit,
­elastisch und halten die Hose gut in Form.
Leichte Kritik ernteten die Träger, die zwar
seitlich unauffällig neben der Brust verlau-
LE ISTU NGSM ESSU NG VON POWE R2 MA X fen, jedoch an den Schultern zum Einrollen
neigen und leicht einschneiden.

PREISGÜNSTIG Preise 130/160 Euro (Trikot/Hose)

Info www.veloine.cc
Gefühl ist gut, Kontrolle ist besser: Wer seine Preis 690 Euro (für das
Leistung in Training und Wettkampf gezielt ­Nachfolgemodell mit Kurbel-
steuern will, tut gut daran, sich einen Power­
meter ans Rennrad zu montieren. Eine der güns­
satz Rotor Aldhu; das getes­
tete Modell mit Rotor 3D24
+
tigsten Varianten: der NG Eco von Power2max, ist nicht mehr lieferbar) Optik; Material;
die Sparversion des NG-Leistungsmess-Sensors Variante NG Eco Rotor 3D24, Schnitt; Taschen;
für die – auch von Laien zu bewältigende – Kur­ Shimano-kompatibel; Ärmelbund und Bein-
belmontage. Der Eindruck nach vielen tausend Power2max bietet aktuell
­Kilometern inklusive mehrerer Rennen und
abschluss halten gut
rund 18 Varianten des
­Marathons: Die Wattanzeige bleibt trotz Glättung Eco-Modells an
über drei oder zehn Sekunden unruhig, weil Info www.power2max.com
­Power2max die Datenausgabe feiner auflöst als
beispielsweise SRM. Das macht es relativ schwer,
den Krafteinsatz exakt zu steuern, etwa bei Träger der Hose rollen
­längeren I­ ntervallen am Berg. Bei einem e­ rsten an der Schulter ein und
Test des Nachfolgemodells (mit Aldhu-Kurbel) können kneifen
­wirkte die Display-Anzeige ruhiger. Im Normal­
betrieb reicht die Batterie (CR2450) locker für
1.000 bis 2.000 Kilometer. Schlecht für die Batte­
rielaufzeit: Bei Erschütterungen versetzt sich das
Gerät selbsttätig in den Startmodus, was jedes +
Mal Energie schluckt – beispielsweise bei Trans­
porten des Rades im Auto. Der Hersteller emp­ kostengünstig;
fiehlt auf Nachfrage, die Batterie zum Transport viele Zusatz-Features
auszubauen, was nicht sehr nutzerfreundlich (mit App); verlässlich
ist. Das Eco-Gerät bietet eine App für iOS und und wetterfest
Android an, mit der man Zusatz-Features wie
Rechts-/Links-Verteilung (wird aus dem Dreh­
momentverlauf errechnet) und Messung der
Alle Fotos: Borchers

Treteffizienz zukaufen kann. Kosten: jeweils

50 Euro. Fazit: Günstiger und weitgehend pro­ unruhige Anzeige; hoher
blemfreier Einstieg in die Leistungsmessung. Batterieverbrauch

52 TOUR 8-2019
 SCH U HE VON G IRO SATTE L VON SYNCROS

EXKLUSIV
Lediglich 440 Gramm pro Paar in Größe 43,5 machen Giros neues Top-Modell Imperial
zu einem der leichtesten Rennradschuhe am Markt. Seine dünne und steife Sohle
­besteht aus Carbon und stammt von Easton. Hauchdünn ist auch der Oberschuh aus
einem elastomerverstärkten Nylonmaterial, das sehr elastisch, dampfdurchlässig und
wesentlich flexibler ist als üblicherweise verwendetes Kunstleder. Geschnürt wird der
Schuh mit zwei IP1-Boa-Verschlüssen, die sich Klick für Klick in beide Richtungen be-
dienen lassen. Somit kann der Schuh auch während der Fahrt angepasst werden. Die
Fersenkappe vermittelt sicheren Halt, die Innensohle stützt das Fußgewölbe, mit den
austauschbaren Gummis am Absatz steht und geht man sicher. 430 Euro sind aller-
dings eine respektable Hürde auf dem Weg zum exklusiven Schuh-Vergnügen.
Erhältlich in Weiß, Rot und Schwarz sowie in Größen von 39 bis 48 (42,5–45,5).

Info www.grofa.com

+
leicht; gut anpassbar;
gute Kraftübertragung;
guter Fersenhalt; Fuß­
gewölbeunterstützung
KURVIG
Syncros, die Zubehörmarke richtet, die im Sattel eher
von Scott, investiert kräftig agil sind, öfter die Position
in die Entwicklung von wechseln und nicht statisch
Sätteln – insbesondere ins auf einem Fleck sitzen.
bei schlanken Füßen
Know-how. Zusammen mit Nach den ersten paar
wirft das Obermaterial den Spezialisten von Gebio­ ­Hundert Testkilo­metern
Falten mized haben die Entwick- wirkt der Tofino wie ein
ler mehrere Zehntausend Sattel des Typs „draufsetzen
Daten­sätze aus Bikefittings und nicht mehr dranden-
analysiert, um daraus neue ken“. Eine kompakte und
Erkenntnisse fürs Sattel-­ klapperfreie Lösung:
Design zu gewinnen. Eine Syncros integriert in die
lautet: Die Sattel­breite ist Sattelschale zwei Gewinde,
nur ein Kriterium für den in die man noch anderes
passenden Sattel – aber Syncros-Zubehör, wie Sat-
selten das wichtigste. Laut teltäschchen oder Schmutz-
Syncros ist eher entschei- fänger, einschrauben kann.
dend, wie gebeugt bzw. auf- An­geboten wird der Tofino
SATTE LTASCHE VON ORTLIE B recht Radler sitzen und wie mit Sattelstreben aus CrMo,
sportlich sie unterwegs sind. Titan oder Carbon (mit
ROBUST + Wir haben das Modell
­Tofino V-Concept mit Mul-
ovalem Strebenquerschnitt)
zu Preisen z­ wischen 60 und
Ortlieb hat die wasserdichte Satteltasche Micro toll verarbeitet; de getestet (es gibt das Mo- 150 Euro.
überarbeitet und in Micro Two umbenannt. dell auch als Lochsattel), das
absolut wasserdicht;
­Gegenüber der Vorgängerin ist der U-förmige sich an sportliche Fahrer Info www.syncros.com/de
Kunststoff-Rahmen innen völlig glatt, sodass viel Reflexmaterial
sich beim Ein- und Auspacken nichts mehr ver-
haken kann. Leicht vergrößert wurde der Reflek-
tor. Geblieben ist der Klickhalter, der wie ein +
Joch mit zwei Schrauben an die Sattelstreben der Halter passt nicht
geklemmt wird. Der praktische Rollverschluss an alle Sättel sehr gute Allround­-
ist simpel zu handhaben und macht die Tasche Passform
absolut wasserdicht.

Preis 25 Euro
Größen 0,5 und 0,8 Liter
Farben Rot, Grün, Schwarz ovale Carbonstreben
Info www.ortlieb.com passen nicht auf alle
Sattelklemmen

8-2019 TOUR 53
 THOMAS M USCH

TRIPLE2 SWET

»
Triple2 ist ein junges deut-
sches Unternehmen, das nach-
haltig und umweltfreundlich
SOMMER- produziert. An dem Merino-­
TRIKOTS Trikot gefällt mir die Kombi­
nation aus klassischen
Blockstreifen – die kommen
nie aus der Mode – und dem
kräftigen ­Farbkontrast.
«
Preis 110 Euro
Farben Rot-Blau
Info www.triple2.de

Jedes Mal, wenn wir in der

Redaktion über schöne Räder
oder schöne Trikots sprechen,
kriegen wir uns in die Haare.
Deshalb durften jetzt alle mal ihr
Lieblingstrikot dieses Sommers
vorstellen. Also, fast alle ...

WAHL-
ERGEBNIS
F OTO S

Daniel Kraus

54 TOUR 8-2019
 WOLFGANG PAPP

TIC HORS CATÉGORIE

»
Wer mich kennt, weiß, ich stehe auf Rot. Die Farbe wirkt
auf Outdoor-Fotos einfach immer perfekt. Dazu gefallen
mir beim britischen Label TIC (This Is Cambridge) die klaren
grafischen Formen abseits vom schlichten Brustring. Die
­markanten Designs gibt’s für Männer und Frauen.
«
Preis 120 Euro
Farben Rot-Weiß-Schwarz
Info https://this-is-cambridge.com

KONSTANTIN ROHÉ

PODIA CLUB COLOURS

»
Orange ist neben klassischem Schwarz die
Signature-Farbe des 2014 gegründeten
polnischen Labels. Unter dem Marken­
namen Podiaventures organisiert der
ehemalige Architekt Max Burgess zudem
Rennrad- und Gravelevents in Osteuropa.
Erfrischend mutig und faszinierend
­anders – so wie auch das Trikotdesign!
«
Preis 100 Euro
Farben Weiß-Schwarz-Orange-Violett
Info www.podia.cc

8-2019 TOUR 55
 KRISTIAN BAU E R

CAFÉ DU CYCLISTE TICHKA

»
Als Frankreich-Fan gefallen mir die eleganten Trikots der
südfranzösischen Marke besonders. Das sportlich geschnei-
derte Trikot strahlt französische Eleganz aus und das goldene,
orientalische Muster weckt Urlaubssehnsüchte. Damit es
richtig wirkt, braucht man noch die passende Hose.
«
Preis 135 Euro
Farben Blau, Schwarz & Weiß, Marineblau
Info www.cafeducycliste.com

ANG E LIK A R AUW

VELOCIO CROSSHATCH

»
Mit der Siegerfarbe der Tour de France durch die
Gegend rollen? Ist eigentlich nicht mein Ding. Doch
das Crosshatch-Design verwandelt das Sieger- in ein
einfaches Sommertrikot, dessen warmes Gelb mir
richtig gute Laune macht. Dazu der sportliche, körper-
nahe Schnitt und das dünne (Recycling-)Material –
perfekt für heiße Sommertage. Das Trikot gibt’s übri-
gens auch für Männer. Nur nicht in Gelb ...
«
Preis 128 Euro
Farben Gelb, Schwarz
Info www.velocio.cc

56 TOUR 8-2019
J E NS KLÖTZE R

SAKO7 MONSIEUR CHRONO JERSEY

»
Moderne Trikots im Retro-Design? Das geht nicht selten schief. Die
Hommage der südafrikanischen Marke Sako7 an „Monsieur Chrono“
Jacques Anquetil bietet aber genau die richtige Design-Mischung aus
Vintage und Moderne. Klare Linien und gefällige Farben, dazu ein
zeitgemäßer, körperbetonter Schnitt – das fällt auf, ohne aufdringlich
zu sein. Man muss kein Zeitfahr-Ass sein, um das tragen zu können!
«
Preis ca. 128 Euro (145 US-Dollar)
Farben Rot-Blau-Weiß-Schwarz
Info www.sako7.com

8-2019 TOUR 57
 LYDIA EYLE RT

RAPHA 100 SOUPLESSE

AERO JERSEY

»
Wenn ich mir ein Radtrikot wünschen dürfte, dann
das Souplesse Aero Jersey von Rapha. Nicht, weil sein
Mate­rial eine aerodynamische Wabenstruktur hat,
sondern weil mich das schräge Liniendesign und die
­Farben Orangerot und Violett einfach ansprechen. Okay,
der Preis von 165 Euro ist amtlich, aber es gibt als Alter­
native auch das Core Jersey zum halben Preis, das dem
Souplesse Aero zum Verwechseln ähnlich sieht.
«
Preis 165 Euro
Farben Orangerot-Violett
Info www.rapha.cc

AN DREAS KU B LIK

RH77 SPLICE PRO SKIN

»
Firmengründer René Haselbacher hatte früher als
Radprofi bei Gerolsteiner und Astana eine ganz
klare Job-Beschreibung: 1. gut aussehen; 2. besser
aussehen; 3. schnell Rad fahren. Davon will ich
mir ein Scheibchen abschneiden. Meine Wahl
fällt auf das Modell Splice Pro Skin – mit langen,
schlank geschnittenen Ärmeln. Manch ­eine(r)
sagt, ich sei zu dünn. Da kommt das Querstreifen-­
Design recht – macht ja bekanntlich dick.
«
Preis 119 Euro
Farben Weiß-Blau
Info www.rh77.com

58 TOUR 8-2019
BIRG IT WA XE N B E RG E R

ZOOT W LTD TRI SS

AERO JERSEY

»
Ich liebe Türkis! Es passt zu mir, und das Trikot hat insgesamt frische,
sonnige Farben in „Hawaii-Kona-Optik“, von denen ich automatisch
gute Laune bekomme, sodass ich mich direkt in den Sattel schwingen
möchte. Sommer, Sonne, Freiheit und richtig Gas geben, so sieht
meine perfekte Radausfahrt aus – und dieses Trikot verkörpert mich
und meine Leidenschaft nahezu perfekt!
«
Preis ca. 85 Euro (95 US-Dollar)
Farben bunt
Info www.zootsports.com

8-2019 TOUR 59
 FIT IN VIER WOCHEN

ZWEITE
LUFT
Höchste Zeit, Schwung zu holen für ein weiteres Saison-Highlight – oder
um bisher Versäumtes nachzuholen. Unsere Crash-Trainingspläne machen
Sie in vier Wochen fit für Marathon, Straßenrennen und Zeitfahren.
Plus: Tipps, wie Sie das Training in Ihren Alltag integrieren

60 TOUR 8-2019
 TEXT

Robert Kühnen

F OTO S

Chris Laue

E
Einmal so rasen wie die Profis bei der Tour de
France – das wär’s! Scheinbar mühelos die
steilsten Anstiege raufballern, im Zeitfahren
einen eleganten Rhythmus auf den Asphalt
legen, und im Sprint vor großer Kulisse mit-
mischen. Total unrealistisch, denken Sie?
­Keine Zeit, zu wenig Kilometer in den Beinen,
keine Chance mehr, in Form zu kommen?
Ach was! Alles, was Sie brauchen, ist der
Mumm, es anzupacken. Suchen Sie sich ein
Ziel und legen Sie los! Zugegeben, auf Tour-
de-France-Niveau kommen Sie nicht, wenn
Sie nicht schon im Besitz einer Profi-Lizenz
sind, aber Sie können dem Gefühl nahekom-
men, mit Ihrem Rad zu verschmelzen und
neue Fitness-­Höhen zu erklimmen – und das
in nur vier Wochen.
Die Methode, um schnell richtig fit zu wer-
den, heißt Crash-Training. Sie ist der Gegen­
entwurf zum behutsamen, langwierigen
Saison­ aufbau, bedient sich aber ähnlicher
Grund­elemente. Doch statt langsam Stein auf
Stein zu legen, geschieht beim Crash-Training
alles ziemlich plötzlich und gleichzeitig. Auch
hier folgt auf die Belastung eine Entlastung,
aber die Belastung wird forciert. Der Trai-
ningsreiz ist entsprechend stärker – eine ge-
zielte Überlastung, die eine schnellere Anpas-
sung des Körpers bewirken soll. Der Lohn:
mehr Fitness in kürzerer Zeit. Das Risiko:
übers Ziel hinauszuschießen und schwächer,
statt stärker zu werden. Oder krank. Um diese
Risiken klein zu halten, sind Crash-Trainings-
blöcke zeitlich begrenzt. Man sollte auch
nicht mehrere davon hintereinander absolvie-
ren. Als Form­-Verstärker sind sie aber absolut
nützlich. In der Woche vor dem Wettkampf
sind Umfang und Intensität so reduziert, dass
Sie garantiert frisch an der Startlinie stehen.
Sie ahnen es vielleicht schon: Die Sache wird
anstrengend. Aber das Gefühl des schwere­

8-2019 TOUR 61
 DIE SYMBOLE

GRUNDTEMPO

1,5
 Gesamte Trainingsdauer (hier: 1,5 Stunden)

30’ 1
Radtraining Kompensations­bereich (hier: 1 Stunde)

INTERVALLE

1x Intervalle im Grundlagenbereich 2 (GA2) (hier: 1 x 30 Minuten)

30'

2x Intervalle im Entwicklungsbereich (EB) (hier: 2 x 5 Minuten)

5'
S C H M A L E R G R AT
5x Intervalle/Sprints im Spitzenbereich (SB) (hier: 5 x 30 Sekunden)
Crash-Training ist an­ 30''

strengend, das macht
es so effizient. Nur
überanstrengen darf
man sich nicht
losen Rasens lässt sich nicht durch Spazierenfahren
alleine erreichen. Es ist in Studien gut belegt, dass vor
allem sehr intensives Training schnelle Fortschritte
bringt. Die Muskeln müssen ernsthaft gefordert wer-
den, dann passieren all die magischen Dinge, die Sie
schneller fahren lassen.
Unsere Vier-Wochen-Pläne, abgestuft nach zwei Leis-
tungsklassen, sind daher phasenweise knallhart. Die
Inhalte sind spezifisch auf drei verschiedene Arten
von Wettkämpfen ausgerichtet. Gemeinsamer Nenner
aller Trainingspläne ist die hohe Intensität, aufgeteilt
auf VO2max-Intervalle (zur Steigerung der maximalen
Sauerstoff-Aufnahmekapazität) und Intervalle, die
speziell auf die unterschiedlichen Saisonziele zuge-
­ DIE TRAININGSPLÄNE
schnitten sind. Dazwischen erholen Sie sich aber immer
wieder wohldosiert. Denn wie bei jedem Training
bringt auch bei der forcierten Crash-Variante erst der
Wechsel von Be- und Entlastung den gewünschten
Fortschritt. Übertreiben Sie es also nicht. Lockere Trai-
ningstage im Plan sind keine verlorenen Tage, sondern
essenziell fürs Gelingen!
INTERVALLE MITSTEIGERUNG
12x
30'' 30''
S ie fahren 12 x je 30 Sekunden im Spitzenbereich
TRAININGSSCHWERPUNKTE
Bergtraining Fahren Sie Intervalle bevorzugt am Berg. Wechseln Sie
ab und zu in den Wiegetritt
Sprint Im Flachen aus mittlerer Geschwindigkeit (ca. 30 km/h)
mit gro­ßem Gang antreten und beschleunigen
Bergauf-Sprint An einer Steigung mit 4 bis 8 % im Stehen und mit

großem Gang antreten
SO LESEN SIE
Sie trainieren nach Zeitangaben in Stunden, Minuten und Sekun­
den. Im Plan wird für jeden Trainingstag zunächst die Gesamtzeit
des Trainings dargestellt (graue Kästchen). Das Grundtempo
liegt – außer beim Kompensationstraining (hell­blaue Kästchen) –
immer im Grundlagen­bereich 1. Darin eingebettet sind verschie­
dene Zeitintervalle (verschiedenfarbige Kästchen), die Sie mit
höherer Ge­schwindigkeit fahren.

LESEBEISPIEL

BEREIT FÜRS CRASH-TRAINING?

4x
–24 3 10'
Für wen eignet sich Crash-Training? Im Prinzip für alle hat, kann die Trainingspläne für „Vielfahrer“ angehen.
gesunden Sportler und Sportlerinnen, die sich ausbe­ Dreh- und Angelpunkte für die Belastungssteuerung Noch 24 Tage bis Gesamt- Nach Auf­ Fahren Sie die
lasten dürfen und wollen. Dosierte Intervalltrainings im Training sind die individuelle funktionale Schwelle zum Wettkampf trainings- wärmen (mind. Intervalle vor­
­dauer: 15 Min.) fahren zugsweise am
sind nicht gesundheitsschädlich, im Gegenteil. Sie (FTP) und die daraus abgeleiteten Trainingsbereiche. 3 Stunden Sie 4 In­ter­valle Berg – zur
sollten aber ausgeruht sein und nicht nach einer inten­ Da viele Intervalle in den hohen und höchsten Bereich à 10 Mi­nuten ­E r­holung einfach
im un­teren zwischendurch
siven Training-/Wettkampfzeit gleich mit den hier fallen, ist ein Training nach Gefühl aber auch möglich. Entwicklungs­ wieder ab­fahren
gezeigten Crash-Trainingsplänen loslegen. Planen Sie Vollgas ist schließlich Vollgas. bereich
in diesem Fall ein bis zwei Wochen regeneratives
Training ein, bevor Sie den Crash-Plan absolvieren. Wie Sie Ihre individuellen Trainingsbereiche
Ansons­ten gilt: Wer wenig trainiert ist und/oder lang­ ermitteln, erfahren Sie unter
sam regeneriert, hält sich an die Trainingspläne für W W W.TO U R - M AG A Z I N . D E

„Wenigfahrer“. Wer viele Kilometer in den Beinen Webcode #43764

62 TOUR 8-2019
 JEDERMANN-RENNEN
Rasen im Pulk. Positionskämpfe. Sprints. Die Essenz des Radsports sind Straßenrennen, die den vielseitigen Sportler
fordern. Diese Pläne machen Sie fit, um kurzfristig die Physis für die Königsdisziplin zu verbessern

WETTKAMPFPLAN WETTKAMPFPLAN
WENIGFAHRER VIELFAHRER

WOCHE 1
WOCHE 1
–27 –27

5x 2x
–26 –26 1,5
1 30'' 4'

–25 –25 3

12x 3x
–24 –24 2
1 30'' 30'' 4'

–23 –23

4x 6x
–22 –22 1
1,5 3' 30''

–21 –21 3
2,5

WOCHE 2
WOCHE 2
–20 –20

6x 3x
–19 –19 1,5
1 30'' 4'

–18 –18 3
Das Wichtigste im Straßenrennen: Hinterrad halten können 2x 10x 4x
–17 –17 2
1,5 30'' 30'' 4'

–16 –16
Bei klassischen Radrennen zählt
vor allem die Fähigkeit, kurz­ 4x 6x
–15 –15 3
2 4' 30''
fristig sehr schnell fahren zu
können – beispielsweise, um –14 –14
3,5 4,5
­einen Windschatten zu halten, FÜR WEN?
WOCHE 3
WOCHE 3

–13 –13
eine Attacke mitzugehen oder Alle, die sich vor allem durch
einen Vorsprung herauszu­ 7x 4x
Mitstreiter motivieren lassen, sind –12 1 30''
–12 1,5 4'
fahren. All dies spielt sich bei
höchster Intensität ab, weshalb
hier richtig. Im Windschatten ist –11
–11 3
diese im Training wiederholt vieles möglich. Abgerechnet wird
4x
angesprochen wird. Die Inter­ erst an der Ziellinie. –10 1,5
2x 12x
30'' 30''
–10 2 4'
valle in den Trainingsplänen,
–9 –9
die auf Straßenrennen vor­
bereiten sollen, liegen fast aus­ –8
3x –8
6x
2 3' 2,5 6''
schließlich im Spitzenbereich.
Länge und Erholungszeiten –7
2,5
–7
3,5
­variieren, Vielfahrer fahren
GRÖSSTE HERAUS-
WOCHE 4
WOCHE 4

längere Intervalle in kürzerer –6 –6

30’ 1 30’ 1
Folge, was die Sache noch an­ FORDERUNG
–5
spruchsvoller macht. Fahrtechnik im Feld, Tempospitzen –5

mitgehen –4
10x –4
3x
1,5 30'' 30'' 2 4'

–3 –3 1

–2 –2

SCHLÜSSEL- 4x 6x –1 1
3x –1 1
3x
1'
1'
TRAININGS 4' 30''
0 0 3
2 RENNEN RENNEN
Intervalle im Spitzenbereich simulieren Renntempo am
Foto: Sportograf

Anschlag. Die 30 Sekunden als langen Sprint fahren. Zwi-

schen den Intervallen ganz erholen – außer bei 30”/30”

8-2019 TOUR 63
 BERGMARATHON
Hoch hinaus, weite Landschaften überwinden – und das Ganze im Renntempo. Marathons bieten
epische Erlebnisse, ganz gleich, wo im Feld man fährt. Unsere Pläne bereiten Sie darauf vor, bergauf noch
einen Tick härter zu fahren und Langstreckenausdauer am Berg zu entwickeln

WETTKAMPFPLAN WETTKAMPFPLAN
WENIGFAHRER VIELFAHRER

WOCHE 1
WOCHE 1
–27 –27

5x 4x
–26 –26 1,5
1,5 30'' 4'

–25 –25 3
4x
–24 –24 1,5 4'
3x –23
–23 1 10'
4x
–22 –22 2 4'
1x –21
–21 3
2,5 30'
4x

WOCHE 2
WOCHE 2
–20 –20 2 4'
6x –19
–19 1,5 30''

Ruhe nach dem Start: Am Berg fährt jeder sein eigenes Tempo –18 –18 2

–17 –17 2
Im Marathon fährt man nach –16
4x –16
1,5 10'
überstandener Start-Hektik
meist seinen eigenen Stiefel. Das 4x
–15 –15 4 10'
heißt, es geht darum, ein hohes
2x 2x
Tempo lange und gleichmäßig FÜR WEN? –14
3,5 30'
–14
30’ 5 45'
umzusetzen, meist bergauf. Wer
WOCHE 3
WOCHE 3

Zeit und Gelegenheit hat, sollte Für alle, die gerne lange und mit –13 –13

vor dem Rennen längere Berg­ viel Aussicht fahren und am liebs- –12
7x –12
4x
1,5 30'' 1,5 4'
strecken fahren. Vielfahrer ab- ten im eigenen Rhythmus bleiben
solvieren im Trainingsplan zu –11 –11 3
Beginn einen VO2max-Block,
der ihr allgemeines Leistungs­ –10 –10 2
niveau hebt, und machen dann 5x
–9 –9
wettkampfspezifisch mit länge- 1,5 10'
ren Intervallen im Entwicklungs­ 5x
bereich (EB) und höheren Grund­
GRÖSSTE –8 –8 1,5 10'

lagenausdauerbereich (GA2) HERAUS- –7

1x –7
1x
3,5 40'
weiter. Der Plan für Wenigfahrer FORDERUNG 2,5 20'
WOCHE 4
WOCHE 4

–6
mit nur fünf Wochenstunden –6
30’ 1 30’ 1
verfolgt parallel Intervalle im
Strecke realistisch einteilen,
Spitzenbereich (SB), EB und GA2. durchhalten –5 –5

4x 4x
–4 –4 2
1,5 5' 5'

–3 –3 1

SCHLÜSSEL- 4x 5x 1x –2 –2

TRAININGS 4' 10' 30' 3x 3x

–1 –1 1
1 1' 1'
Lange Bergintervalle im Entwicklungsbereich und 0 0
3 RENNEN 3 RENNEN
GA2 spiegeln die Belastung beim Marathon wider.
Foto: Angerer

Intervalle im Spitzenbereich stimulieren zusätzlich

64 TOUR 8-2019
 ZEITFAHREN
Volle Konzentration auf die eigene Leistung. Raushauen, was geht. Kein Konkurrent stört,
Sie haben nur die unerbittlich tickende Uhr als Gegner. Wenn Sie beim Zeitfahren das Beste aus sich
herausholen wollen, helfen unserer Trainingspläne

WETTKAMPFPLAN WETTKAMPFPLAN
WENIGFAHRER VIELFAHRER

WOCHE 1
WOCHE 1
–27 –27

3x 4x
–26 –26 1,5
1 3' 4'

–25 –25 2
4x
–24 –24 1,5 4'
2x –23
–23 1 4'
4x
–22 –22 2 4'
3x –21
–21 2,5 3
8'
4x

WOCHE 2
WOCHE 2
–20 –20 2 4'
3x –19
–19 1,5 4'

Für Solokünstler: Im Zeitfahren sind die Gegner die Uhr und der Wind –18 –18 1,5
4x
–17 –17 2 4'
Zeitfahren sind eher kurze Wett- –16 –16
1,5
kämpfe mit Einzelstart. Das ist
super, wenn man gleichmäßiges 4x 4x
–15 –15 2
2 8' 8'
Treten mag und die Hektik in
einem Fahrerfeld eher abschre- FÜR WEN? –14 2
–14 3
ckend findet. Für gute Zeiten WOCHE 3
WOCHE 3

benötigt man aber angepasstes Für alle, die sich selbst stark –13 –13

Material – mindestens eine zeit- motivieren können und es lieben, –12

3x –12
4x
1,5 3' 1,5 8'
fahrgerechte Sitzposition mit sich akribisch auf ein Rennen
Liegelenker. Im Training geht es ­vorzubereiten. –11 –11 2
darum, ein Tempogefühl zu
­entwickeln und immer längere –10 –10

Zeitabschnitte im Renntempo 4x 4x
–9 –9 1,5
durchzuhalten. Dazu wird das 1,5 8' 4'
Renn­training in Intervalle von –8 –8 2
acht Minuten unterteilt, die Sie
mit knapper werdenden Pausen GRÖSSTE –7
2,5
–7 2,5
3x
8'
aneinanderreihen. Vielfahrer be- HERAUS-
WOCHE 4
WOCHE 4

–6
ginnen in der ersten Woche mit FORDERUNG
–6
30’ 1 30’ 1
einem Block VO2max-­Training
–5 –5
in Form von vier intensiven Nicht zu schnell zu starten
­Intervalltrainings. Das hebt das –4
4x –4
4x
1,5 5' 2 5'
allgemeine Leistungsniveau.
–3 –3 1

–2 –2

SCHLÜSSEL- 4x 4x –1
3x –1
3x
1
TRAININGS 4' 8' 1 1' 1'

0 0 1
1 RENNEN RENNEN
Flache EB-Intervalle sind klassische Zeitfahrtrainings.
Foto: Geißler

SB-Intervalle liegen über dem Renntempo

8-2019 TOUR 65
 ZEIT IST RELATIV
Eine Woche hat 168 Stunden. Ist darin Platz für fünf bis zehn Stunden Training? Auf jeden Fall! Die zehn besten Tipps,
wie es Ihnen gelingt, Zeit fürs Training freizuräumen und richtig zu regenerieren
Prioritäten
Training ist nur eine von vielen Aktivitäten,
denen wir nachgehen. Erst kommt meist der
Job, dann die Familie, Freunde – und irgend­
wann das Training. Aber viel Zeit verplem­
pern wir auch. Es ist daher vor allem eine
Frage der Prioritäten, ob Zeit fürs Training
bleibt. Vermeiden Sie Aktivitäten, die Sie da­
von abhalten, Ihr Ziel zu erreichen und räu­
men Sie dem Training für ein paar Wochen
höhere Priorität ein. Dann fügen sich ein
paar Stunden auch in eng getaktete Wochen.
Routine
Gewöhnen Sie sich einen neuen Rhythmus
an: Gehen Sie nach der Arbeit nicht auf die
Couch, sondern gleich aufs Rad. So bekommt
der innere Schweinehund erst gar keine
Chance. Suchen Sie bisher nicht genutzte
Zeitfenster, zum Beispiel morgens vor der
Arbeit. Ist die neue Routine nach einiger Zeit
installiert, läuft es von fast alleine.
66 TOUR 8-2019
Vortanken
Starten Sie nicht hungrig in zu intensives
Training. Essen Sie zwei Stunden vorher
leicht verdauliche Kohlenhydrate – wenn die
Zeit dafür nicht reicht, hilft ein Energie­
drink vor dem Losfahren.
Nachtanken
Die Mahlzeit nach dem Training ist ent­
scheidend für eine schnelle Regeneration
und stellt die Weichen fürs Training am
nächsten Tag. Nach längeren Trainings­
einheiten (mehr als 1,5 Stunden) sollten Sie
binnen einer Stunde eine kohlenhydrat­
reiche Mahlzeit essen; nach allen Einheiten,
die die Muskulatur spürbar fordern, einen
eiweißhaltigen Recovery-Shake trinken. Ihr
Training wird noch wirksamer, wenn Sie
Junk-Food weglassen und Ihren Alkohol­
konsum zumindest halbieren.
 Schlau trinken
Mischen Sie sich Energie in Ihre Flaschen.
Nicht nur der Durst muss gestillt werden,
Sie benötigen für hartes Training auch leicht
verwertbare Energie. Flüssignahrung (z. B.
selbst angerührt mit Maltodextrin) leistet
beides und ist auch bei hoher Belastungs­
intensität verträglich. Richtmaß: 60 Gramm
Kohlenhydrate pro Stunde sichern Ihnen
ausreichend Tretenergie für intensives Trai­
ning und im Rennen.
Verabreden
Eine Verabredung zum Training schafft
­Verbindlichkeit – sie hilft enorm, sich aufzu­
raffen und das eigene Training durchzuziehen.
Komplizierter ist es, bei gemeinsamen Aus­
fahrten bestimmte Trainingsinhalte umzu­
setzen. Aber manches regelt sich von alleine,
indem Sie das richtige Terrain wählen. Sie
trainieren auf einen bergigen Marathon?
Fahren Sie mit Ihren Freunden in die Berge,
und Sie werden ein nützliches Training er­
leben. Sie trainieren auf Jedermann-Rennen?
Dann helfen schnelle Gruppenausfahrten,
besser zu werden. Fahren Sie dafür eine eher
flache Strecke und animieren Sie Ihre Mit­
streiter zu Fahrtspielen und Ortsschildsprints.
Damit trainieren Sie automatisch spezifisch
für Ihr Event.
Fotos: Adobe Stock, Laue; Text: Robert Kühnen
DA S R I C H T I G E T E R R A I N
Wer einen Bergmarathon
vor sich hat, trainiert am
besten viel in den Bergen –
und mit Trainingspartner
macht’s mehr Spaß
Ziele kommunizieren
Erzählen Sie Ihrem Umfeld, was Sie vor­
haben. Sie erreichen damit zweierlei: Zum
einen steigt die Motivation, das Training
umzusetzen, denn nun schauen Ihnen einige
wohlwollend bis erwartungsvoll zu. Zum
­anderen dürfen Sie auf mehr Verständnis
hoffen, wenn Training und andere Aktivi­
täten sich in den Weg kommen.
Doppelnutzen
Verbinden Sie Sport und Alltag. Nutzen Sie
Pendelfahrten, um Trainingskilometer zu
sammeln. Einmal pro Woche frische Sachen
im Büro zu deponieren, schafft Freiraum für
Extra-Kilometer. Sie können den Hinweg
für lockere Grundlagenkilometer nutzen und
auf dem Heimweg auch Intervalle einbauen.
Daheim können Sie sich dann ganz der Ent­
spannung widmen. Auch zur Familienfeier
am Wochenende können Sie mit dem Rad
anreisen und so längere Strecken absolvieren,
ohne die Familie zu vernachlässigen.
Gut schlafen
Knapsen Sie nicht am nächtlichen Schlaf,
um mehr Trainingszeit zu bekommen. Aus­
reichend Schlaf ist für die Regeneration
wichtig. Ihre Gesamtleistung leidet, wenn
Sie hier Kompromisse machen.
Flexibel bleiben
Es stehen harte Intervalle im Plan und Sie
fühlen sich nicht gut? Fahren Sie trotzdem
erst einmal los und testen Sie, ob die Beine
nach lockerem Einfahren willig sind. Oft
geht’s dann doch ganz gut. Wenn Sie aber
partout nicht in Schwung kommen, sollten
Sie umplanen und locker fahren, statt nur
­schwache Intervalle abzuliefern.
8-2019 TOUR 67
 FITNESSFORUM
AU S G A B E

8-2019

VOLLE PULLE
Auch dieser Sommer wartet wieder mit Extremtemperaturen auf. Das Wichtigste,
was Radsportler tun können, ist trinken, trinken, trinken
Wer bei Temperaturen von mehr als 25 Grad auf isotonische Getränke, die schnell aufgenommen
dem Rennrad unterwegs ist, sollte seinen Flüssig­ werden können, weil sie die gleiche Mineralstoff­
keitshaushalt genau im Auge haben. Denn selbst konzentration aufweisen wie menschliches Blut.
bei lockeren Radtouren verliert ein 80 Kilogramm So können die Iso-Drinks einem Natrium- oder
schwerer Hobbyfahrer durch das Schwitzen stünd­ Kalziumdefizit vorbeugen.
lich bis zu 1,5 Liter Flüssigkeit – was sich an langen Grundsätzliche Trinkempfehlung: 0,2 Liter alle
Anstiegen bei intensiver Belastung leicht auf zehn bis fünfzehn Minuten – das erleichtert die
zwei Liter steigern kann. Flüssigkeitsaufnahme im Darm.
Schon ein Flüssigkeitsverlust von zwei Prozent des Aber: Auch zu viel trinken kann gefährlich werden!
Körpergewichts gilt als leistungsmindernd, Forscher Bei zehn und mehr Litern am Tag können die SE LBST G E MACHT

fanden heraus, dass die Muskelausdauer um bis Nieren die Flüssigkeit nicht mehr verarbeiten, der Das ideale Getränk
zu zehn Prozent abnehmen kann. Klar ist: Der ver­ Salzhaushalt gerät durcheinander – mit möglicher­
dunstende Schweiß ist an heißen Tagen die einzige weise lebensbedrohlichen Folgen. für heiße Tage
effektive Kühlmethode. Aber wer viel schwitzt,
Idealer Wegbegleiter
muss auch viel trinken, sonst trocknet der Körper GEFÄHRLICHE HITZE
aus. Bei so einer Dehydratation steigen Körper­ Bei Hitzewellen über 30 Grad für heiße Tage ist ein
temperatur und Herzfrequenz; Krämpfe und wird es schwierig, die Körper­ Gemisch aus 1,5 Liter
Kopfschmerzen sind die Folge. temperatur konstant bei Wasser mit 60 bis
Am besten für den Elektrolythaushalt sind 37 bis 37,5 Grad zu halten. 90 Gramm Maltodextrin
Schorlen im Verhältnis 2:1 (zwei Drittel Denn bei 300 Watt Tretleis­ (langkettiger Zucker,
Wasser, ein Drittel Saft) und tung ­entsteht auch Wärme, kaum süß; erhältlich
mit ­einem Energiewert von
in Apotheken und
rund 900 Joule – genug, um eine
kleine LED-­Leuchte für 15
Dro­gerien) und Salz
Minuten zu versorgen. Diese (ein bis zwei Messer­
Energie heizt den Körper spitzen). Der Vorteil
zusammen mit der Außen­ gegenüber reinem
temperatur immer weiter Wasser ohne Salz und
auf. Wird eine kritische Zucker: die schnelle
Körpertemperatur erreicht –
Aufnahme der Flüssig-
die individuell verschieden
D U R C H L AU F
ist und zwischen 39 und
keit. Je nach Geschmack
An besonders mit einem Spritzer
41 Grad liegt –, drosselt
harten und heißen das Gehirn die Leistung, Fruchtaroma oder einem
Renntagen trinken um die Eiweißstruktu­ Espresso aromatisieren.
Radprofis bis ren des Körpers zu
zu zwei Liter pro schützen, die sich ab
Stunde – wie hier 42 Grad zersetzen.
Luis Ángel Maté Steigt die Körper­
temperatur zu
während der Vuelta
schnell auf Werte
über 40 Grad, droht
Fotos: Adobe Stock, Getty Images/Velo

zudem ein lebens­

bedrohlicher
Hitzschlag.

68 TOUR 8-2019
 SCHLANK GERADELT U C H TI P
B

P
Ausdauersport hilft beim Abnehmen –
das ist lange bekannt. Welche Trainings-
form am effektivsten beim Purzeln der
Pfunde hilft, untersuchte ein brasiliani-
sches Forscher-Team. Nach der Auswer-
tung von mehr als 48 Einzelstudien mit
mehr als 1.222 erwachsenen Test-Personen
mit einem BMI von über 25 stand fest:
Hochintensives Intervalltraining (HIIT)
auf dem Ergometer hilft beim Abnehmen
etwas besser als Training mit gleichblei-
bender Intensität. Bei den Messwerten
von Taillen-Umfang, Taille-Hüfte-­
Verhältnis und Körperfettanteil erwiesen
sich beide Trainingsformen im durch-
schnittlichen Beobachtungszeitraum
von zehn Wochen bei drei Einheiten
NEUAUFLAGE DER
wöchentlich als ähnlich effizient. Pro-
banden, die HIIT absolvierten, verloren
BIBEL
aber im Schnitt 0,4 Kilogramm mehr Joe Friel, einer der bekanntesten schrei-
­Gewicht als die Teilnehmer der weniger benden Radsporttrainer, hat sein Standard-
intensiv trainierenden Vergleichsgruppe. werk „Die Trainingsbibel für Radfahrer“
überarbeitet. Neu sind umfangreiche Kapi-
tel zu wattgesteuertem Training sowie Be-
lastungssteuerung mittels TSS (Training
Stress Score) – vor allem für Powermeter-­
Nutzer ein großer Mehrwert. Auch die Ab-

?!
EXPE RTE N R AT
R O B E R T E N D L E R F R AG T Z U M T H E M A
Sporternährung bei Schilddrüsenunterfunktion
Es antworten
Vor einigen Jahren wurde bei mir eine
Schilddrüsenunterfunktion diagnostiziert,
die ich seitdem durch die Einnahme des
Hormons Thyroxin behandle. Nun möchte
ich weitgehend Sojaproteine statt tieri­
schem Eiweiß zu mir nehmen. Allerdings
Ernährungswissenschaftler Bei einer Schilddrüsenunterfunktion produ-
UWE SCHRÖDER ziert die Schilddrüse zu wenig der Hormone
und Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3). Da
­diese nahezu alle Stoffwechselprozesse
­anstoßen, verringern sich ohne sie unter an-
derem die Leistungs- und Konzentrations­
fähigkeit. Betroffene Sportler werden schnell
müde und neigen zu Krämpfen. Im Radsport
sinkt sowohl die mögliche Aktivitätsdauer als
auch die Kraftleistung. Der Hormonmangel
Ernährungsmediziner
wird meist durch die Einnahme von syntheti-
MARCO CAM PO DE LL’ORTO
schem T4 ausgeglichen, das im Körper zu T3
vom Deutschen Institut umgewandelt wird. Bei individuell richtiger
Fotos: Privat (2), www.martinjoppen.de
wurde mir wegen der Schilddrüsenunter­
funktion davon abgeraten, viel Soja zu­
zuführen. Gilt dies denn auch ungeachtet
der Medikamenten-­Einnahme, welche
schließlich die Unterfunktion reguliert?  Bibel schon zu Hause im Schrank steht?
Sojaverzehrs ist nicht notwendig. Die Studien,
die den in Soja enthaltenen Phytoöstrogenen
(hormonähnliche Substanzen) einen nega­
tiven Effekt attestierten, kann man kaum auf
den Menschen übertragen. Schon aufgrund
der sehr geringen Konzentration der Phyto­
östrogene in Sojaprodukten haben diese
­keinen relevanten Einfluss auf die Schild­
drüsenhormone. Dennoch wichtig: Sie sollten
Ihre Eiweißaufnahme mit einem Ernährungs-
protokoll analysieren und weitere hoch­
wertige pflanzliche Eiweißlieferanten in Ihre
Lebensmittelauswahl miteinbeziehen – zum
schnitte rund um Krafttraining für Ausdau-
ersportler sind neu aufbereitet. Ge­blieben
ist, dass das Buch immer noch so textlastig
ist wie die vorherigen Auflagen – bei
nochmals größerem Gesamtumfang! Mal
eben kurz reinblättern und drei magische
Trainingstipps abgreifen? Nicht bei Friel.
Die kleinteilig eingearbeiteten Forschungs-
erkenntnisse inklusive Studienverzeichnis
sind bisweilen ermüdend, aber doch hilf-
reich, um langfristig auf Kurs zu bleiben.
Braucht man diese Neuauflage, wenn die
Nicht zwingend. Vieles ist bekannt, aber
vor allem in der Belastungssteuerung geht
Friel mit der Zeit und macht die Kennzahl
TSS zum Dreh- und Angelpunkt seiner
­Betrachtungen. Unterm Strich ein hervor­
ragendes Buch, wenn man große Ziele hat,
sein eigener Trainer sein will und gründ­
liche Arbeit schätzt.
»Die Trainingsbibel für
Radsportler«
Von Joe Friel, Covadonga Verlag,
dritte Auflage
304 Seiten, 22,80 Euro

für Sporternährung Dosierung sind Top-Leistungen auf dem Rad Beispiel Lupineneiweiß, das viele spezielle
möglich. Bei der Ernährung sollten Sie ledig- Aminosäuren liefert. Es ist auch ideal für die
lich auf Algen verzichten, da sie sehr viel Jod Regeneration nach langen und intensiven
enthalten können. Eine Einschränkung des Ausfahrten.

Haben auch Sie eine Frage? Schicken Sie uns eine Mail ­­a n redaktion@tour-magazin.de mit Betreff „Expertenrat“.
Ausgewählte Fragen beantworten unsere Experten in einer der kommenden Ausgaben.

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IMPRESSUM
2. August 2019, Heft 8/2019, 43. Jahrgang
TOUR-Redaktion Steinerstraße 15 d, 81369 München
Postfach 70 19 25, 81319 München, Telefon 089/72 96 03-0, Fax 089/72 96 03-33
E-Mail redaktion@tour-magazin.de, Internet www.tour-magazin.de
Herausgeber Uwe Geißler
Chefredakteur (verantwortlich) Thomas Musch
Stellvertretende Chefredakteurin (Redaktionsleitung) Angelika Rauw
Bildredaktion Dipl.-Ing. (FH) Wolfgang Papp
Layout Lydia Eylert (Leitung), Claudia Blümel (freie Mitarbeiterin), Conny Anders (freie Mitarbeiterin)
Redaktion Kristian Bauer (Breitensport, Online), Matthias Borchers (Bekleidung, Zubehör),
Manuel Jekel (Test), Dipl.-Ing. (FH) Jens Klötzer (Testleiter), Andreas Kublik (Rennsport),
Dipl.-Ing. Robert Kühnen (Test und Fitness, freier ­M it­arbeiter),
Julia Milan (Schluss­korrektur, freie Mitarbeiterin), Konstantin Rohé (Online, Fitness),
Birgit Waxenberger, Jörg Wenzel (Reise, freier Mitarbeiter)
Labor und Werkstatt Christoph Allwang (Leitung), Hans-Peter Ettenberger, Matthias Fischer
Technische Beratung und Prüftechnik Zedler – Institut für Fahrradtechnik und -Sicherheit GmbH
www.zedler.de
Leserfragen technikfrage@tour-magazin.de
Leserservice TOUR/BIKE/SURF/TREKKINGBIKE Nicole Hummel, Susanne Bauer
Fotos Henning Angerer, Markus Greber, Jan Greune, Philipp Hympendahl,
Andreas Jacob, Christian Kaufmann, Ronny Kiaulehn, Martin Kirchner,
Daniel Kraus, Kerstin Leicht, Johanna Rübel, Daniel Simon, Günter Standl
Kartografie Martin Anner – anner grafik; Geodaten: © OpenStreetMap und Mitwirkende, ODbL
Freie Mitarbeiter Dres Balmer, Sven Bremer, Tim Farin, Sina Horsthemke, Jürgen Löhle,
Felix Mattis, Tom Mustroph, Matthias Rotter, Heidi Schmidt, Jörg Spaniol
TOUR erscheint im Delius Klasing Verlag
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 Der Mauerfall jährt sich zum 30. Mal. Die Deutschland-Tour
gibt sich geschichtsbewusst und orientiert sich mit ihrer
Strecke am einstigen innerdeutschen Grenzverlauf. Was
prägt den deutschen Radsport 30 Jahre später? Trennendes

GRENZ-
oder Verbindendes? TOUR ist mit den Zeitzeugen Wolfgang
Lötzsch und Vera Hohlfeld auf Spurensuche gegangen

VERKEHR

GRENZGÄNGER

Unser Autor überquert mit

Wolfgang Lötzsch (rechts)
die einstige Grenze zwischen
Ost und West

86 TOUR 8-2019
 VORSCHAU
W
Wolfgang Lötzsch steigt aus seinem Auto. Er
geht gebeugt, der Weg zum Kofferraum
scheint endlos. Die Radhose flattert leicht an
seinen dünnen Oberschenkeln. In Lötzschs
Brust sitzt ein Defibrillator, der im Notfall das
Herz daran erinnert, dass es noch schlagen
muss. Sein Gesicht ist jung geblieben, der
Körper ist gezeichnet von 66 anstrengenden
Jahren. Als er zehn Kilometer südlich von
Göttingen aufs Rennrad steigt, scheinen die
kör­per­lichen Wehwehchen jedoch vergessen.
Während die Kette auf dem Ritzelpaket –
11 bis 23 Zähne – langsam auf die kleinen
­R itzel wandert, heben sich die Mundwinkel
des früheren Radrennfahrers.
Zur Zeit ist viel los im Leben des Rentners
Wolfgang Lötzsch. „Authentische Zeitzeugen
sind zum 30. Jubiläum der Wiedervereinigung
gefragt”, hechelt er, während er in die Pedale
tritt. Wolfgang Lötzsch galt in der DDR als
Jahrhunderttalent des Radsports. Weil er je-
doch nicht linientreu war, verwehrte ihm
das Regime eine Leistungssportkarriere und
steckte ihn zehn Monate in Haft. Erst kürz-
lich schilderte er einer Schulklasse seine Ver-
gangenheit im Unrechtsstaat, führte Besucher
durchs stillgelegte Gefängnis, in dem er einst
einsaß. Auch beim Treffen mit TOUR, auf der
Strecke der 3. Etappe der Deutschland-Tour,
lässt er keine Chance aus, um daran zu erin-
nern, wie es war, in einer Diktatur zu leben.
VON HANNOVER NACH ERFURT
Zehn Jahre fand keine Deutschland-Tour
statt, bevor die ASO, Veranstalterin der Tour
de France und größte Organisatorin von
Profi-­Rundfahrten, ihr 2018 erfolgreich neues
Leben einhauchte. Die Dopingskandale, die
den Radsport in Deutschland nachhaltig er-
schütterten, lagen lange genug zurück, das
begeisterungsfähige deutsche Publikum ließ
sich wieder an die Strecke einer nationalen
Rundfahrt locken – beziehungsweise zu den
Foto: Ablinger
Fernseh-Übertragungen vors TV-Gerät. Dass
die Deutschland-Tour in diesem Jahr nun aus-
gerechnet in Erfurt endet, erscheint irgendwie
irrwitzig. Eigentlich wollten die französischen Organisa-
toren mit der deutschen Wiedervereinigung als PR-Thema
punkten und planten eine Strecke, die den alten Osten und
TEXT den alten Westen verbinden sollte, nun hat sich der Zielort
Ludwig Döhl Erfurt seit dem Frühjahr als Epizentrum des weiterhin
­ungehemmten Dopingbetrugs entpuppt – die Routenwahl
wirkt rückblickend unglücklich.
F OTO S Doch das wusste man noch nicht, als man die Strecke mit
Nils Laengner den vier Etappen von Hannover nach Erfurt (29. August
bis 1. September) plante. Viermal überquert das Rennen
die ehemalige Grenze zwischen Ost und West. Halber­
stadt, Eisenach und Erfurt – drei der vier Zielankünfte
liegen in den neuen Bundesländern. Die zweite Etappe von
Marburg nach Göttingen verläuft dafür komplett im
Westen (siehe Seite 94/95).
Wir haben uns auf den Weg gemacht, um mit dem Rad
zu erkunden, was 30 Jahre nach dem Mauerfall von der
einstigen Grenze noch zu sehen ist. „Nicht viel”, muss
Wolfgang Lötzsch verdutzt feststellen. Den ersten von drei
­historischen Grenzübergängen auf der dritten Etappe hat
Als die Mauer fiel, lag er fast unbemerkt überrollt. Wo vor 30 Jahren ein tödlicher
unser Autor, Jahrgang Grenzzaun aus Stahl, Stacheldraht und Selbstschuss­
1990, noch ungeboren anlagen stand, herrscht heute ländliches Idyll. Lediglich
im Bauch seiner ein kleines Schild erinnert an die Vergangenheit.
Früher wäre er beim Versuch, diese Grenze zu über­queren,
Mutter: Ludwig Döhl,
höchstwahrscheinlich gestorben, erklärt Lötzsch auf dem
Redak­teurs­kollege von Weg Richtung Heilbad Heiligenstadt. Er hat eine bewegte
unserem Schwester­ Geschichte hinter sich. Als er den Eintritt in die Sozialis­
magazin BIKE, wollte un­ tische Einheitspartei Deutschlands (SED) verweigerte und
bedingt diese Geschichte keinen Hehl aus seinen Bedenken am System machte, be-
zur ­Deutschland-Tour siegelte das sein vorläufiges sportliches Karriere­ende. Statt
schreiben. Sein Fazit zu den Olympischen Spielen 1972 nach München fuhr der
Quertreiber zehn Monate in Haft ein. Als ihn das Regime
nach seinem Trip entlang
aus dem Leistungssportsystem „ausdelegierte“, wie das
der einstigen inner­ damals im DDR-Bürokratendeutsch hieß, lag sein Leben
deutschen Grenze: in Scherben. Ein Ausreiseantrag wurde abgelehnt. Erst als
„Für mich als ihm die Stasi erlaubte, in zweitklassigen Betriebssport-
Nachwende­geborenen gruppen Radrennen zu fahren, fand er seinen Lebenssinn
war es lebendiger wieder. In der Regel deklassierte er fortan die linientreue
Geschichts­unterricht, mit Konkurrenz; Wettkämpfe im nichtsozialistischen Ausland
oder ein Startplatz bei der prestigeträchtigen Friedens-
Zeitzeugen von damals
fahrt blieben dennoch tabu. Die heute nicht mehr sicht­
zu reden.“ bare Grenze war für ihn unüberwindbar.
DIE GRENZE IST (FAST) UNSICHTBAR
Als es 30 Kilometer nach dem ersten Grenzübertritt von
Thüringen nach Hessen geht, steigt Wolfgang Lötzsch
vom Rad. Ein großes braunes Schild soll Passanten an den
L U DW I G
ehemaligen Grenzverlauf kurz vor Frieda aufmerksam
DÖHL machen. Mit den Worten „Hier waren Deutschland und
Europa bis zum 18. November 1989 geteilt”, erinnert es an
8-2019 TOUR 87
K U RV E N R E I C H

Die 3. Etappe führt durch

malerische Landstriche

SPURENSUCHE

Wo Wachtürme standen,
wachsen Bäume –
heute findet man wenig
Trennendes bei der Fahrt
durch Deutschland

88 TOUR 8-2019
das genaue Datum, an dem die Grenzanlagen
hier abgebaut wurden. Ungläubig sucht
Lötzsch die Landschaft mit den Augen ab.
Rings um das Schild sprießt junger Wald.
„Können Bäume in 30 Jahren so hoch wach-
sen?”, fragt er und schwingt sich wieder aufs
Rad. Die Profis werden am 31. August wohl
nichts von der einstigen Grenze bemerken.
Wie findet es einer, der am DDR-Regime ge-
scheitert ist, dass die ASO eine verbindende
Deutschland-Tour veranstaltet? „Super! Es
weiß doch niemand mehr die Freiheit, in der
wir heute leben, zu schätzen”, betont er. Als
die Mauer fiel, war Lötzsch voller Hoffnung.
Er war mit 36 Jahren zwar nicht mehr der
Jüngste, konnte aber endlich den Sport aus-
üben, wo und wie er wollte. Direkt nach der
Wende wechselte er zum HRC Hannover in
Niemand weiß die
den Westen. Gemeinsam mit anderen Sport-
lern aus dem Osten hob er den Radsport im
Startort der diesjährigen Deutschland-Tour
auf Weltklasse-Niveau. Sein emotionalster
Sieg: der erste gesamtdeutsche Meistertitel im
Vierer-Mannschaftszeitfahren auf der Straße
1990. Die Teamkollegen Bernd Dittert und
Mario Hernig stammten ebenfalls aus der
DDR. Patrick Lahmer war der einzige „Wessi“
der Siegermannschaft in Wangen im Allgäu.
„Sportlich gesehen war der Osten damals ein-
deutig überlegen”, erinnert sich Lötzsch.
DEUTSCHLAND WÄCHST ZUSAMMEN
In seinen Augen hat der Radsport aktuell ein
Nachwuchsproblem. Die Gesellschaft sei vom
Wohlstand satt gefressen. „Wieso soll sich ein
junger Mensch heute im Leistungssport quä-
len und wie ein Mönch in Entbehrung leben?”,
gibt Lötzsch zu bedenken. Es brauche einen
deutschen Sportler auf dem Podium der Tour
de France, um den Radsport hierzulande
­wieder in Fahrt zu bringen. Dann würden die
großen Medien vielleicht endlich wieder posi-
tiv über den Sport berichten, der ihm auch mit
66 Jahren noch ein Lachen ins Gesicht zau-
bert. Momentan, so Lötzschs Meinung, sei
der Radsport in den deutschen Medien ab­
für Breitensportler
solut unterrepräsentiert. Die Friedensfahrt
füllte damals wochenlang die Zeitungen im
Osten. Das wird die Deutschland-Tour nicht
schaffen. Dennoch wolle er niemals zurück in
das alte System, resümiert Lötzsch, auch wenn
das Leben im wiedervereinigten Deutschland
seine Tücken habe.
Kurz vor Eisenach, nach knapp 80 Kilo­
metern, steigt Lötzsch vom Rad. Die Profis
werden von da aus auf eine große Schleife
rund um Eisenach biegen und im Finale noch
dreimal den Rennsteig überqueren. Lötzsch
reicht es für heute. Am 31. August wird er den
Fernseher einschalten, um sich die Etappe
der Profis anzusehen. „In den Hügeln zum
Schluss der Etappe gibt es mit Sicherheit gute
Attacken. Bisher war die Strecke ja eher
leicht”, sagt er und verabschiedet sich von uns.
Wir radeln die Etappe fertig, Hinweise auf die einstige
­Teilung Deutschlands finden wir keine mehr. Nur gele­
gent­ liche Imbissbuden mit „Riesen-Roster”-Angeboten
lassen erahnen, dass wir durchs Bratwurstland Thüringen
radeln. Abgesehen davon könnten wir uns durch jeden an-
deren mittelgebirgigen Winkel der Republik bewegen. Die
letzten vier Anstiege zerren mit jeweils mehr als 150 Hö-
henmetern an den Oberschenkeln – so wie es Lötzsch
­prophezeit hat. Die Königsetappe über 196 Kilometer und
2.020 Höhenmeter wird spannend werden.
Am nächsten Tag führt uns die vierte Etappe erst mit viel
Verkehr über die B 88 von Eisenach nach Bad Tabarz, be-
vor die Strecke in die Hügel des Thüringer Waldes ein-
WO L F G A N G L ÖT Z S C H biegt. Die ehemalige Grenze passieren wir nicht mehr, die
» Suche nach Relikten der Vergangenheit bleibt ergebnislos.
Dafür verlangen die teils giftigen Anstiege der letzten
Etappe volle Aufmerksamkeit. Das gezackte Höhenprofil
und enge, verwinkelte Abfahrten scheinen wie gemacht
Freiheit zu für frühe Ausreißversuche aus dem Peleton, das am 1. Sep-
schätzen, in der tember auf die Strecke gehen wird. Vielleicht nimmt sich
ja ein junger deutscher Profi Lötzschs Worte zu Herzen
wir heute leben. und begeistert die einheimischen Fans am Streckenrand?
« DIE WENDE BRACHTE DEN BREITENSPORT
In Zella-Mehlis, kurz vor den letzten beiden Anstiegen des
Tages, treffen wir eine weitere Zeitzeugin: Vera Hohlfeld
wartet in einem Café auf uns. Auch sie ist im Leistungs-
sportsystem der DDR groß geworden. „Im Gegensatz zu
Wolfgang war ich aber viel zu jung, um am damaligen
Regime anzuecken”, erzählt die 47-Jährige bei einem
­
­doppelten Espresso. Sie war 17 Jahre alt, als die Mauer fiel.
Die beiden Anstiege von Zella-Mehlis hoch zur Biathlon-
und Skisprunganlage von Oberhof kennt sie in- und aus-
wendig. „Zu meiner aktiven Zeit war das eine Standard-­
Trainingsstrecke”, erklärt die Erfurterin.
Die Plackerei an den Anstiegen im Thüringer Wald hat ihr
einen vierten Platz 1996 im olympischen Straßenrennen
von Atlanta und ein gutes Leben als Profi ermöglicht.
­Ohne Zweifel hat sie als Sportlerin vom damaligen System
profitiert. „Eine so gute Jugendförderung, wie ich sie in der
VERA HOHLFELD DDR erfuhr, gibt es heute in Deutschland sicher nicht
» mehr”, sagt sie beim Passieren des Ortschilds von Zella-­
Mehlis. Anders als Wolfgang Lötzsch findet sie aber, dass
Riesige Events sich der Radsport in Deutschland seit der Wende durchaus
positiv entwickelt hat: „Es gibt mittlerweile riesige, beach-
tenswerte Breitensport-Events. Das wäre vor 30 Jahren
wären vor unvorstellbar gewesen.“ Dass es auch Probleme gibt, will
sie nicht leugnen. Der BDR gibt immer weniger Renn­
30 Jahren unvor- lizenzen aus, attraktive Rennen für Amateure und Profis
stellbar gewesen. werden seltener. Der Nachwuchs auf breiter Basis fehle,
« analysiert sie im Anstieg mit Blick auf die Skisprung­
schanze von Oberhof. Wenn die Profis am 1. September
hier hinaufhetzen, bleibt ihnen mit Sicherheit keine Luft
für ein Gespräch. Der Anstieg ist zwar nicht steil, aber die
400 Höhenmeter sind kein Zuckerschlecken.
Kurz vor der Abfahrt hinunter zur Wegscheide verrät
Hohlfeld, was ihrer Meinung nach passieren muss, um
den Radsport wieder zur Blüte zu bringen. Es werde jeden-
falls nicht helfen, der Vergangenheit nachzuweinen, man
müsse sich den veränderten Gegebenheiten anpassen.
­
8-2019 TOUR 89
 TR ADITIONSREICH

Der Anstieg zu den

Skisprungschanzen bei
Oberhof ist seit
„Sportler, Veranstalter und Verbände müssen Jahrzehnten Trainings- tigen Personen netzwerken. „Verglichen mit den Herren
lernen, wirtschaftlich zu funktionieren”, for- gelände für deutsche hinkt der Frauenradsport in der öffentlichen Wahrneh-
dert Hohlfeld, die seit 2010 die Thüringen-­ Radsportler mung ja noch deutlich hinterher”, sagt sie. Aber die Begeis-
Rundfahrt der Frauen leitet, das einzige inter- terung der deutschen Fans für den Grand Départ der Tour
national angesehene Etappenrennen für de France 2017 in Düsseldorf und für die Neuauflage der
Frauen in Deutschland. Momentan, da ist sich Deutschland-Tour im Vorjahr hätten gezeigt, dass der
die Ex-Rennfahrerin sicher, verdiene die ASO Radsport auch 30 Jahre nach dem Mauerfall noch fest in
kein Geld mit der Deutschland-Tour. Wenn Deutschland verankert sei. Wie Lötzsch ist sie sich sicher,
sich das in den kommenden Jahren nicht än- dass die Deutschland-Tour dem Radsport hierzulande
dere, werde das Rennen wieder eingestampft. ­eine tolle Bühne bieten wird.
Dass die TV-Einschaltquoten, verglichen mit
Sportarten wie Fußball, niedrig ausfallen, ist
ihrer Meinung nach kein Zeichen eines
grundsätzlichen Desinteresses, sondern die
RÜCKBLICK
Quittung für in die Länge gezogene Rennen.
Obwohl der erste Teil der letzten Etappe mit Vera Hohlfeld war
Anstiegen übersät ist, glaubt Hohlfeld, dass es beim Mauerfall 17 –
am Ende auf ein Sprintfinish in Erfurt hinaus- jetzt organisiert sie
laufen wird: „Bei fast 70 Kilometern vom Deutschlands wichtigstes
höchsten Punkt bis zum Ziel wird es schwer
Radrennen für Frauen
für eine Ausreißergruppe.” Rennen sind ihrer
Meinung nach zu berechenbar für die Sport-
lichen Leiter. Ihre Ideen für mehr Attrak­
tivität: kürzere, spektakulä­ rere Rennen.
Greifbare Protagonisten. Attrak­tivere Über-
tragungsformate. Dennoch freut sie sich auf
die Deutschland-Tour in ihrer Heimat. Die
leicht ansteigende Zielgerade in Erfurt dürfte
auch bei einem Sprint ein spannendes Finale
erleben. „Nicht jeder Sprinter wird damit um-
gehen können”, sagt sie, während wir am
Ortsschild von Erfurt vorbeirollen.
Hohlfeld will sich am 1. September die Ziel­
einfahrt in Erfurt live ansehen. Sie will sich
etwas von der ASO abgucken, mit den wich­

90 TOUR 8-2019
FÜR STADT-, LAND-
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8-2019 TOUR 91
 1 . ETAPPE

VORSCHAU Strecken-Chef Fabian HANNOVER – HALBERSTADT

Wegmann hat die Etappen
der Deutschland-Tour so
geplant, dass möglichst
abwechslungsreiche Rennen
entstehen und viele Fahrer
Chancen auf Erfolge haben.
Hier erklärt er die Strecken
und verrät die besten Plätze
für Zuschauer
Die Etappe beginnt harmlos. Von Hannover aus verläuft
sie hauptsächlich flach. Ab Kilometer 81 können sich die
besten Bergfahrer in den knapp 400 Höhenmetern von
Seesen Richtung Lautenthal beweisen. Die 18 Prozent
steile Straße dürfte so manchem Sprinter richtig weh tun.
Von dort geht es bergab zum ehemaligen Grenz­übergang
kurz hinter Vienenburg. Die letzten 50 Kilometer ver­
laufen dann kupiert bis Halberstadt im Harz.
Z U S C H AU E R - H I G H L I G H T
Der Anstieg hoch zum Sternplatz kurz vor Lautenthal:
Auf den steilen letzten zwei Kilometern wird man
die Profis leiden sehen. Rennentscheidend wird

SPANNUNG ­dieser Anstieg aber nicht sein. Ich tippe auf einen
Massen­sprint.

BIS ZUM

104 m Schloss Marienburg

SCHLUSS

267 m Huy-Neinstedt
500 m Sternplatz

136 m Halberstadt
56 m Hannover

0 km 24,5 83,2 120 167 km

NIEDERSACHSEN SACHSEN-ANHALT

2 . ETAPPE

MARBURG – GÖTTINGEN
Das Höhenprofil dieser Etappe ist gezackt wie ein Säge­
blatt. Auf dem Weg von Marburg über Frankenberg, vor­
bei am Ederstausee und hoch zur Burg Waldeck dürfte
für die Profis keine Zeit zur Erholung lassen. Westlich
von Kassel verläuft die Strecke ohne nennenswerte Gera­
den weiter nach Weimar. Der Anstieg zur Herzberger
Landstraße im Norden von Göttingen wird auf der Ziel­
runde zweimal passiert – dort dürfte es ein spannendes
Finale geben.

Z U S C H AU E R - H I G H L I G H T

Der Anstieg zur Herzberger Landstraße; dort wird

T V- Ü B E R T R AG U N G
Die öffentlich-rechtlichen Sender ARD
man mit Sicherheit Attacken sehen. Fahrertypen wie
Maximilian Schachmann werden dort versuchen, die
JEDERMANN-RENNEN
Etappe zu entscheiden.
Am 1. September können Hobby-­
260 m Herzberger Landstraße
260 m Herzberger Landstraße

und ZDF übertragen im Wechsel live: Radsportler auf Teile der Profi-Strecke.
410 m Burg Waldeck

Die Starter haben im Jedermann-Rennen

1. Zieldurchfahrt bei km 185

29.8. – ARD, ab 16 Uhr; Ziel: ca. 17:15 Uhr mit Start und Ziel in Erfurt die Wahl zwi-
156 m Göttingen
250 m Edersee
216 m Marburg

30.8. – ZDF, ab 16 Uhr; Ziel: ca. 16:50 Uhr schen zwei Distanzen: 64 & 113 Kilometer.
31.8. – ARD, ab 16:15 Uhr; Ziel: ca. 17:45 Uhr
1.9. – ZDF, ab 14 Uhr; Ziel: ca. 15:30 Uhr Aktuelle Informationen zur
Foto: Hympendahl

­Deutschland-Tour gibt es unter

W W W. D E U T S C H L A N D -TO U R . D E 0 km 65 73 133 175 189 199 km
HESSEN NIEDERSACHSEN

92 TOUR 8-2019
 3 . ETAPPE 4 . ETAPPE

GÖTTINGEN – EISENACH EISENACH – ERFURT

Nach dem Start in Göttingen passieren die Profis die Das Gesamtklassement ist vermutlich schon entschieden,
ehemalige innerdeutsche Grenze nach 17 Kilometern wenn das Peleton von Eisenach nach Tabarz und an-
kurz vor Heilbad Heiligenstadt zum ersten Mal. Nach schließend über einen langen Anstieg ab Georgenthal
einem fordernden Anstieg mit mehr als 230 Höhenmetern nach Tambach-Dietharz im Thüringer Wald rollt. Die
geht es bei Frieda zum zweiten Mal über die ehemalige vier verbleibenden Anstiege und die kleinen Landstraßen
Grenze und bei Kilometer 63 über die Werra zurück auf der Strecke über Zella-Mehlis und den Ruppberg
nach Thüringen. Rennentscheidend werden vermutlich nach Oberhof dürften aber noch einige Ausreißversuche
die letzten drei Anstiege am Rennsteig um Eisenach. provozieren. Die lange Abfahrt von Oberhof über die
Wegscheide nach Arnstadt schmälert allerdings die Sieg­
Z U S C H AU E R - H I G H L I G H T chancen für Solisten.
Die dreimalige Überquerung des Rennsteigs auf
der Finalrunde. Mein Tipp: Erst den Profis bei Renn­ Z U S C H AU E R - H I G H L I G H T

kilometer 105 im Anstieg von Krauthausen zusehen, Der Zielsprint auf der breiten Gothaer Straße in
dann zum Finale an der Hohen Sonne vor Eisenach. Erfurt. Die Straße steigt mit vier Prozent an, was
klassische Sprinter fordert und auch anderen Fahrern
Chancen einräumt.

247 m 1. Zieldurchfahrt bei km 142

247 m 2. Zieldurchfahrt bei km 151
856 m Oberhof
739 m Ruppberg
377 m Am Rennsteig
439 m Hohe Sonne

439 m Hohe Sonne

255 m Arnstadt
156 m Göttingen

230 m Eisenach
210 m Eisenach

247 m Erfurt
1. Zieldurchfahrt

0 km 17 50 63 139 156 166 177 km 0 km 79 87 117 138 160 km

NIEDERSACHSEN THÜRINGEN HESSEN THÜRINGEN THÜRINGEN

Rennrad fahren im
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Der Harz bietet mit seinen Bergen, Naturparks, Talsperren und
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 VORSCHAU VUELTA A ESPAÑA

ZAHLEN ZUR
VUELTA

6
Bergankünfte der 1. oder
ESP-Kategorie (Especial –
entspricht HC bei
­anderen Rennen) stehen
dieses Jahr im Strecken-
plan. Das ist eine weni-
ger als im Vorjahr. Die
Ankünfte am Alto de los
Machucos (13. Etappe)
und am Puerto del Acebo
(15.) sind dabei der
höchsten Schwierigkeits-

»
stufe ESP zugeordnet.

2.O95
Meter hoch ist der
DIE VUELTA IST
höchste Punkt des
­Rennens: der Alto Els BEI GUTER
Cortals d’Encamp – dort
liegt das Ziel der GESUNDHEIT
9. Etappe in Andorra. Es
ist der einzige Anstieg
über 2.000 Meter Höhe.
« FERNANDO ESCARTÍN

In seiner aktiven Zeit galt Fernando Escartín als einer der weltbesten Kletterer und

44,1
beendete Ende der 1990er-Jahre die Vuelta a España und die Tour de France auf dem Podium.
Seit 2014 ist er Technischer Direktor und Streckenplaner für die bergigen Routen bei der Vuelta.
Kilometer Zeitfahrstrecke Ein Gespräch über die Identität der Spanien-Rundfahrt, warum er die Vuelta für attraktiver als
sind zu absolvieren – den Giro hält und warum er gerne in der heutigen Zeit Profi wäre
verteilt auf ein Mann- I N T E RV I E W
schafts- und ein Einzel- Daniel Brickwedde
zeitfahren. Das sind
weniger Kilometer im TOUR Klären Sie uns auf: Wie sieht die Arbeit eines Strecken- Renndirektor Javier Guillén sprach bei der Streckenpräsentation
Kampf gegen die Uhr als planers aus? Was reizt Sie daran? im Dezember von der „Marke“ Vuelta. Was heißt das?
bei der Tour de France ESCARTÍN Wir sind insgesamt zu dritt: Paco Giner, Es ist unsere Geografie: Spanien ist von Natur
Kiko García und ich. Der Renndirektor (Javier aus ein Gebirgsland. Daraus zieht die Vuelta
(54,8 km) und beim Giro
Guillén, Anm. d. Red.) sagt uns, wo eine Etappe ihren eigenen, einzigartigen Stil, quasi ihre
d’Italia (58,5 km) in startet und endet und welche Punkte unter­ Identität. Jede Austragung muss aus acht bis
diesem Jahr. wegs wichtig sind. Darauf basierend erarbeiten zehn Bergetappen bestehen. Niemals weniger.
wir die jährliche Route. Die Strecke entwerfen Die Berge sind zwar nicht so lang und hoch
wir auf dem Papier, fahren sie aber zusätzlich wie beim Giro und der Tour, dafür aber faszi­
bis zu dreimal mit dem Auto ab, um poten­ nierend für die Zuschauer. Durch die kurzen
zielle Hindernisse und Gefahren oder proble­ Anstiege bleiben auch die Abstände in der
matische Streckenabschnitte auszumachen. ­Gesamtwertung gering, das bringt Spannung.
Als ehemaliger Aktiver habe ich selbst erlebt, Wir wollen, dass das Rennen in der letzten
wo Risiken entstehen können oder wo eine Woche entschieden wird.
Sprintwertung Sinn macht. In gewisser Weise
schließt sich dadurch mein beruflicher Kreis­ Wo sehen Sie die Vuelta im Vergleich mit Giro und Tour?
lauf: Früher war ich Rennfahrer, nun bin ich Ich will es so sagen: Die Vuelta ist bei guter
für die andere Seite zuständig. Gesundheit. Der Zuschauerzuspruch ist groß

94 TOUR 8-2019
 M I T AU S B L I C K
In Spanien bewegt sich
das Peloton oft durch
baumfreie Hügel- und
Berglandschaften
E­ rfolgen John Degenkolb,
12
Etappensiege feierte
Marcel Wüst in seiner
Karriere bei der Vuelta –
das ist deutscher Rekord.
Es folgt mit zehn
der auch den letzten
­deutschen Etappensieg
­feierte – 2015 in Madrid.

15O.OOO
Tausend Euro bekommt
der Sieger der Vuelta als
Prämie. Zum Vergleich:
Der Gesamtsieg bei der
und wir garantieren immer Unterhaltung. Die Was erhoffen Sie sich vom Rennverlauf der Vuelta 2019? Tour de France ist
Herausforderung ist, noch mehr gute Fahrer Natürlich ein ereignisreiches Rennen. Seit 500.000 Euro wert.
für die Vuelta zu gewinnen. Die Tour ist natür­ ­einigen Jahren konzipieren wir Etappen so,

lich die Nummer eins, keine Frage. Sie hat
den Namen und die Geschichte, und ein Sieg
dort ist für jeden das Größte. Aber dahinter,
ganz bescheiden gesagt, sehe ich die Vuelta
­inzwischen vor dem Giro, den wir in Sachen
Publikumsinteresse und Spektakel auf Berg­
etappen überholt haben.
Vorjahressieger Simon Yates wird voraussichtlich fehlen, weil
er schon bei Giro und Tour am Start stand ...
Ich denke, das Teilnehmerfeld wird ähnlich
stark sein wie im Vorjahr, und es werden
­wieder viele große Namen aus der Tour dabei
sein. Die Vuelta ist für viele Fahrer die letzte
Chance, die Saison zu retten. Außerdem ist es
eine gute Vorbereitung auf die Weltmeister­
schaft. Davon profitieren wir.
1
dass die Fahrer von Anfang bis zum Ende
­gefordert werden. Die Durchschnittsgeschwin­
digkeit ist sehr hoch, die Fahrer fahren von
Anfang an Vollgas. Dafür dauern die Etappen Erstmals bekommt der
aber nur drei bis vier Stunden – und keine beste Nachwuchsfahrer
sechs. Einige kritisieren das, ich teile die Kritik ein Trikot bei der Vuelta:
aber nicht. Dadurch bleibt den Fahrern genug
das weiße Leibchen.
Zeit, sich zu erholen und Kraft für die nächste
Etappe zu tanken. Wer die Vuelta dieses Jahr ­Bisher trug der Führende
gewinnen möchte, muss gut erholt am Start der abgeschafften Kom-
stehen. Er muss sich in den Bergen verteidigen binationswertung Weiß.
und darf im Zeitfahren nicht viel Zeit verlie­ Ums Weiße Trikot dürfen
ren – es wird am Ende ein Fahrer siegen, der alle Rennfahrer kämpfen,
jedes Terrain beherrscht. die nach dem 1. Januar
1994 geboren sind.
Seit 2015 veranstaltet die Vuelta parallel ein Frauenrennen –
die Madrid Challenge by La Vuelta. Im Vorjahr wurde dieses

Nach dem zweiten Ruhetag stehen nur noch zwei Bergetappen
an. Damit wirkt die letzte Woche leichter als in den Vorjahren.
Mag man meinen, aber die beiden Bergetappen
haben es in sich. Die 18. Etappe ist ähnlich
dem Teilstück der Vuelta 2015, auf dem Fabio
Aru am vorletzten Tag Tom Dumoulin noch
den Gesamtsieg entriss. Auch die 20. Etappe
wird überraschen: Es stehen zwar keine ganz
schweren Anstiege an, aber trotzdem ist es
eine harte Etappe voller Stolperfallen. Das
Finale der Rundfahrt ist dieses Mal ausge­
glichener und soll zu mehr Initiative einladen.
Fotos: Getty Images/Velo, Roth & Roth
4
Rennen auf zwei Tage ausgeweitet. Sind eventuell auch noch
mehr Etappen denkbar?
Im Moment halten wir an den zwei Tagen fest.
Natürlich schauen wir, ob wir das Rennen in Teams sind per
Zukunft weiter ausbauen können. Es ist aber Einladung am Start:
nicht nur eine Planungssache: Es benötigt
Cofidis aus Frankreich
Sponsoren und eine passende Infrastruktur,
um das Frauen- und Männerrennen über sowie die spanischen
mehrere Tage parallel zu organisieren. Das Rennställe Burgos-BH,
braucht Zeit. Caja Rural und
­Euskadi-Murias.
Wie sehen Sie die Zukunft des spanischen Radsports?
Aktuell haben wir den jungen Enric Mas
(Vuelta-Zweiter 2018, Anm. d. Red.). Natürlich

Wie hätte Ihnen als Profi die diesjährige Route gefallen?
Als ich aktiv war, gab es 60 Kilometer lange
Zeitfahren. Heute sind sie kaum 40 Kilometer
lang. Auch Bergetappen gab es damals deut­
lich weniger. Ich wäre gerne zur heutigen Zeit
Profi. Die Etappen nach Andorra, zum Los
Machucos oder El Acebo hätten mir gefallen.
werden wir das Trio Joaquim Rodríguez,
Alberto Contador und Alejandro Valverde in
Zukunft vermissen. Aber Spanien hat eine
große Radsporttradition. Wir werden auch in
Zukunft große Champions haben.

8-2019 TOUR 95
 DIE B E RG ETAPPE N IM PROFIL
ALLE ETAPPEN DER
74. SPANIEN-RUNDFAHRT

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5. Etappe / 28. August L' Eliana - Observatorio Astrofísico de Javalambre

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15. Etappe / 8. September Tineo - Santuario del Acebo

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2 5 . 8 . Benidorm – Calpe
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2 6 . 8 . 3 . Ciudad del Juguete – Alicante 186 km 1000 m
2 7. 8 . 4 . Cullera – El Puig 177 km 500 m

2 8 . 8 . 5 . L’Eliana – Observatorio Astrofísico de Javalambre (BA) 165,5 km 0 km 20 40 60 80 100 120 140 155
16. Etappe / 9. September Pravia - Alto de la Cubilla
2 9 . 8 . 6 . Mora de Rubielos – Ares del Maestrat (BA) 196,6 km
3 0 . 8 . 7. Onda – Mas de la Costa (BA) 182,4 km
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4 . 9 . 1 1 . Saint Palais – Urdax-Dantxarinea 169 km 2000 m

1500 m
5.9. 1 2 . Circuito de Navarra – Bilbao 175 km 1000 m
6 . 9. 1 3 . Bilbao – Alto de los Machucos (BA) 167,3 km 500 m

7. 9 . 1 4 . San Vicente de la Barquera – Oviedo 189 km 0 km 20 40 60 80 100 120 140 160 180,9
18. Etappe / 12. September Colmenar Viejo - Becerril de la Sierra
8 . 9 . 1 5 . Tineo – Santuario del Acebo (BA) 159 km
9 . 9 . 1 6 . Pravia – Alto de la Cubilla (BA) 155 km
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1 1 . 9 . 1 7. Aranda de Duero – Guadalajara 199,7 km

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Höhenprofile: anner Grafik, Karte: Veranstalter

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1 9 . Ávila – Toledo 163,4 km

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1 5 . 9 . 2 1 . Fuenlabrada – Madrid 105,6 km 1500 m
1000 m
Gesamtdistanz 3.272,2 km 500 m

0 km 20 40 60 80 100 120 140 160 180 189

Legende BA = Bergankunft; EZF = Einzelzeitfahren; FRA = Frankreich; AND = Andorra; MZF = Mannschafts­ 20. Etappe / 14. September Arenas de San Pedro - Plataforma de Gredos
zeitfahren; ESP, 1, 2, 3 (bei den Bergetappen im Profil) = Kategorien der Bergwertungen (absteigend)

96 TOUR 8-2019
 canyon.com

PURE CYCLING

Richard Carapaz schreibt Geschichte und holt das Maglia Rosa beim Giro d’Italia.
Als exzellenter Kletterer und Allrounder fährt er das Ultimate CF SLX, ein Rad
wie gemacht für Grand-Tour-Siege – genau wie er selbst. Der Startschuss einer
außergewöhnlichen Karriere. Bravo, Richard!
8-2019 TOUR 97
 RENNSZENE AU S G A B E

8-2019

ERBFOLGE Das Trikot des Deutschen Meisters bleibt vorerst ein

Bei der Deutschen Meisterschaft auf dem Sachsenring dominiert
­erneut Team Bora-Hansgrohe – diesmal um Titelgewinner Maximilian
Schachmann. Lisa Brennauer holt sich das Meistertrikot bei den Frauen
Die drei von der DM: Burghardt (vorn), Schillinger und Schachmann
Erbstück im Team Bora-Hansgrohe: Nach 181 Kilo­
metern auf dem und um den Sachsenring kamen drei
Rennfahrer des World-Tour-Rennstalls geschlossen ins
Ziel. Als Meister jubelte der 25-jährige M­ aximilian
Schachmann vor den Teamkollegen Marcus Burg­hardt
(Deutscher Meister 2017) und Andreas S ­ chillinger. Bei
Temperaturen um 38 Grad erreichten nur 15 von 190 ge-
starteten Rennfahrern das Ziel. „Das war heute von der
ersten Runde an ein Ausscheidungsfahren. Es war eine
starke Teamleistung, am Ende ein Mannschaftszeit­
fahren“, sagte Schachmann. Das Team aus dem ober­
bayerischen Raubling stellt damit zum vierten Mal in
fünf Jahren den Meister. Bei den Frauen siegte die routi-
nierte Lisa Brennauer im Sprint einer kleinen Spitzen-
gruppe und errang ihr zweites Straßenmeister-Trikot vor
den Titelträgerinnen der Vorjahre, Lisa Klein und Lianne
Lippert. Im Einzelzeitfahren, das bei Cottbus ausgetra-
gen wurde, feierte der 34-jährige Tony Martin seinen
neunten Titel – trotz e­ ines Hinterraddefekts. Er lag nach
35 Kilometern 17 Sekunden vor Nils Politt. „Es war seit
Langem der h ­ ärteste Meisterschaftskampf“, fand Martin.
Bei den Frauen siegte Lisa Klein vor Mieke Kröger und
Titelverteidigerin Brennauer. Die Betreiber des Sachsen-
rings, auf dem vor 25 Jahren letztmals eine Rad-DM
stattfand, waren kurzfristig als Ausrichter eingesprungen,
weil die Titelkämpfe auszufallen drohten. 2020 sollen
die Rennen laut BDR in Stuttgart stattfinden.

RE NN -TICKE R

TOUR DE SUISSE CRITÉRIUM DU DAUPHINÉ WOMEN’S TOUR

BERNAL RAGT HERAUS BUCHMANN AUF DEM PODIUM SIEG NACH BABYPAUSE

Bester in den Schweizer Bergen: Egan Bernal Jakob Fuglsang (Mitte) mit Van Garderen und Buchmann Mamma mia: Lizzie Deignan gewinnt die Women’s Tour
Fotos: dpa Picture Alliance, Getty Images/Velo (3)

Vor dieser Saison galt er als Riesentalent – nun bestätigte
er sein Potenzial als Siegfahrer bei Etappenrennen. Egan
Bernal entschied souverän die Gesamtwertung der Tour de
Suisse für sich. Der 22-jährige Kolumbianer vom Team
­Ineos gewann die Bergankunft auf dem Gotthard-Pass und
verteidigte schließlich im Einzelzeitfahren 19 Sekunden
Vorsprung in der Gesamtwertung gegen Weltmeister Rohan
Dennis. Der Österreicher Patrick Konrad (Team Bora) kom-
plettierte das Siegerpodium nach neun Etappen.
Jakob Fuglsang bestätigte, dass er in diesem Jahr in be-
sonders guter Form ist: Der 34-jährige Däne, der im Früh-
jahr das schwere Eintagesrennen Lüttich-Bastogne-Lüttich
gewonnen hatte, setzte sich beim Critérium du Dauphiné,
dem Etappenrennen durch die französischen Alpen, am
Ende mit 20 Sekunden vor dem US-Amerikaner Tejay Van
Garderen und 21 Sekunden vor dem Deutschen Emanuel
Buchmann durch. Letzterer hatte den Tagessieg auf der
Königsetappe knapp verpasst.
Lizzie Deignan ist neun Monate nach der Geburt ihrer
Tochter Orla zurück an der Weltspitze: Die 30-jährige Britin
gewann die fünfte Etappe und die Gesamtwertung der
­Women’s Tour in Großbritannien – mit zwei Sekunden
­Vorsprung vor der Polin Kasia Niewiadoma. „Es war eine
Teamleistung“, lobte die Rennfahrerin vom Team Trek-­
Segafredo. Im September will Deignan, Ehefrau des ehe-
maligen Sky-Profis Philipp Deignan, unbedingt in ihrer
Heimat Yorkshire den zweiten WM-Titel nach 2015 holen.

98 TOUR 8-2019
 THOMAS VOECKLE R CYCL ASSICS HAM BU RG
DOPING -TICKE R

J UA N J O S É CO B O

Der Spanier ist jetzt nachträglich für

drei Jahre gesperrt worden. Grund:
Unregelmäßig­keiten im Biologischen
Startpass, die bis 2009 zurückreichen.
Cobo wurden die Ergebnis von 2009
NATIONAL- bis 2011 aberkannt, darunter der Ge-
COACH IN samtsieg bei der Vuelta 2011. Neuer-
dings wird Christopher Froome als
FRANKREICH
Sieger 2011 geführt. Es ist damit der
Der ewige Ausreißer wird erste Sieg eines Briten bei einer
­Nationalcoach: Der französi- Grand-Tour.
sche Radsportverband FFC
gab Ende Juni bekannt, dass S T E FA N D E N I F L

­Thomas Voeckler neuer Der Österreicher wurde wie Lands-

„Selectionneur“ wird. Der
40-jährige Ex-Profi ist Nach-
folger von Cyrille Guimard, der
laut französischen Presse­
berichten in die Kritik geraten
war. „Ich habe immer davon
geträumt, Selectionneur zu
werden“, sagte Voeckler. Er
soll nicht nur die Profis für die
WM-Rennen und Olympischen
Spiele auswählen und betreu-
Vorjahressiger Viviani (in Grün) zählt erneut zu den Favoriten in Hamburg mann Georg Preidler von der NADA
Austria wegen Dopings für vier Jahre
SPRINTER-TREFFEN IN bis 4. März 2023 gesperrt. Beide waren
im Rahmen der Operation Aderlass
HAMBURG geständig, die Dienste des Erfurter
Bei der 24. Auflage des wichtigsten Radrennens in Deutsch­ ­Dopingnetzwerks genutzt zu haben.
land ändert sich ein Teil der Strecke. Wegen Baustellen Denifl wurden der Vuelta-Etappen-
auf der Ostschleife gibt es bei den Cyclassics in Hamburg sieg und der Sieg bei der Österreich-­
einige kurze neue Abschnitte. Der Charakter des Rennens, Rundfahrt aberkannt.
das am 25. August stattfinden wird, ändert sich aber
nicht: Es führt wie bisher mehrmals über das Steilstück M A N Z A N A - P O S TO B Ó N

en, sondern auch als Manager
die Kontakte des Verbandes zu
den Profis besser pflegen.
Waseberg und begünstigt mit dem flachen Finale die Der kolumbianische Rennstall erhielt
schnellsten Männer im Peloton. In den vergangenen bei­ von der UCI für 45 Tage Startverbot,
den Jahren gewann der Italiener Elia Viviani den Mas­ nachdem zwei Fahrer aus dem
sensprint auf der Mönckebergstraße. Letzter deutscher ­Professional-Continental-Team positiv
Sieger war André Greipel im Jahr 2015, dessen Team auf EPO beziehungsweise Steroide
­Arkea-Samsic für dieses Jahr eine Wildcard erhält. Infos waren. Das Team kündigte seine Auf-
zum Rennen: www.cyclassics-hamburg.de lösung mit sofortiger Wirkung an.

BELGIEN-RUNDFAHRT MONT VENTOUX CHALLENGE ÖSTERREICH-RUNDFAHRT

SIEG EINES TEENAGERS HERRADA GEWINNT PREMIERE ENTSCHEIDUNG AM GLOCKNER

Supertalent: Remco Evenepoel Jesús Herrada (links) im Duell mit Romain Bardet Höhepunkt: das Peloton auf dem Weg zum Fuscher Törl

Bei den Junioren war Remco Evenepoel eine Klasse für sich. Die Premiere eines Profi-Eintagesrennens auf den Mont Der Sieger der Königsetappe war schließlich auch der
Fotos: Getty Images/Velo, Imago (3), Witters

Im Vorjahr krönte er eine in dieser Altersklasse selten
­gesehene Erfolgsserie mit einem Solo-Sieg bei den Welt-
meisterschaften in Innsbruck. Daraufhin verpflichtete das
Team Deceuninck-Quick-Step den Belgier, der früher in der
belgischen Nachwuchs-Nationalmannschaft im Fußball
aktiv war. Jetzt, mit 19 Jahren, feierte er den ersten Profi-
sieg: Er gewann eine Etappe und die Gesamtwertung der
Belgien-Rundfahrt – als bisher jüngster Sieger.
Ventoux gewann der Spanier Jesús Herrada vom Team
­Cofidis. Er setzte sich auf dem kahlen Berg knapp vor dem
Franzosen Romain Bardet durch. Auf der 173 Kilometer
­langen Route waren insgesamt 4.000 Höhenmeter zu be-
wältigen. „Es ist eine große Befriedigung, auf einem Berg
wie dem Ventoux zu gewinnen“, sagte Herrada nach dem
Siegerjubel nahe des markanten Funkturms auf der Spitze
des 1.912 Meter hohen Kegelbergs.
Gesamtbeste: Ben Hermans (Israel Cycling Academy) trium-
phierte auf der 4. Etappe am 2.428 Meter hohen Fuscher
Törl an der Großglockner-Hochalpenstraße. Anschließend
verteidigte der 33-jährige Belgier seine Gesamtführung
auch bei der abschließenden Bergankunft auf dem Kitz­
büheler Horn gegen den Argentinier Eduardo Sepúlveda.
Ben Hermans hatte die Österreich-Rundfahrt bereits 2018
gewonnen.

8-2019 TOUR 99
 TOUR TRANSALP

GELEITSCHUTZ

Slalomweltmeister Frank Wörndl (Startnummer 6 A) nahm die Transalp mit Sohn Marlon (6 B) in Angriff

100 TOUR 8-2019

FAMILIEN-
TEST
Jahr für Jahr bildet sich beim größten Hobby-Etappenrennen
durch die Alpen eine Radsportgemeinschaft. Einige wenige
testen bei der TOUR Transalp
auch den Familien­zusammen­
halt: Wir haben drei
Familienteams eine Woche
lang begleitet

8-2019 TOUR 101

 A
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Andreas Kublik

M STA RK
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seinem
Marlon Wörndl half Uwe Geißler
r über die Berge,
31 Jahre älteren Vate
sie dessen
unterwegs feierten
schließlich in
60. Geburtstag und
Als der Weltmeister ins Ziel kommt, beginnt er sofort mit
inish (unten) Regenerationsmaßnahmen. Auf seine ganz eigene Art.
Riva das Transalp-F „Pssst, darf keiner wissen“, flüstert Frank Wörndl, als er
am eigens aufgebauten Fahrerlager seines Team Corratec
einläuft. Aus einem Winkel zieht er einen Träger mit
Tegernseer Hell – bayerisches Bier, nicht alkoholfrei.
Frank Wörndl ist ein spezieller Typ – und im fortgeschrit-
tenen Alter mag er sich nicht mehr sagen lassen, was für
den Erfolg gut und richtig ist. Gerade hat der Slalom-­
Weltmeister von 1987 nach rasender Abfahrt über den
Brennerpass das Ziel der 1. Etappe der TOUR Transalp
erreicht – und jetzt will er es sich gut gehen lassen. Zu sei-
nem 60. Geburtstag hat er sich gewünscht, zum ersten Mal
beim großen Jedermann-Etappenrennen über die Alpen
dabei zu sein – im Zweierteam mit seinem ältesten Sohn
Marlon. „Ich wollte einmal im Leben mal fünf, sechs,
­sieben Etappen am Stück fahren“, erläutert er. Am eigenen
Leib spüren, was ihm die Kumpels Jörg Ludewig und Jan
Ullrich aus ihren Profi­karrieren erzählt haben.
Und während er auf den Stufen des Teammobils die Beine
ausstreckt, sich im Hintergrund der Brixener Hausberg,

102 TOUR 8-2019

die Plose, 2.562 Meter hoch auftürmt, sagt Wörndl: „In
den Bergen merkt der Mensch, wie unbedeutend er ist.“
Ein Familienausflug – bei dem er Neues über sich und
­seine Grenzen erfahren will. „Es gab keine Möglichkeit,
nein zu sagen – das war ein Befehl“, sagt Marlon Wörndl
mit einem Lachen und erklärt augenzwinkernd: „Ich bin
als Edelhelfer angestellt, ich schiebe ihn über die Berge.“
Frank Wörndls Idee blieb allerdings nicht exklusiv: Ein
paar Tausend Kilometer jenseits des Atlantiks wünschte
sich Jake Winebaum ebenfalls zum 60. Geburtstag einen
gemeinsamen Transalp-Start mit Tochter Tess – nicht als
Premiere, sondern als Abschluss für seinen insgesamt
­achten Transalp-Start – zweimal war er auf dem Moun-
tainbike dabei, nun zum sechsten Mal auf dem Rennrad.
Tess Wine­baum, die sonst eher läuft oder Skirennen fährt, SO U V E N IR
A U S EU RO
ließ sich nicht lange bitten – obwohl sie bis zwei Wochen PA
Jake Winebaum na
vor der Transalp noch nie ein Radrennen gefahren war: hm seine 25-jährige
„Ich mag Ausdauer, ich mag Herausforderungen“, sagt sie. Tochter mit zur Tran
salp – von der
Und einen Geburtstagswunsch der Eltern schlägt man gemeinsamen Fahr
auch nicht so einfach aus. t durch die Alpen
nehmen sie eindruck
Ein weiteres Vater-Sohn-Pärchen entstand ganz kurz­ svolle Erinne­­
rungen mit nach Ha
fristig vor dem Start: Martin Ullrich musste seinem Vater use in die USA
Matthias schnell aus der Patsche helfen. Der Kriminal-
hauptkommissar wollte eigentlich seine 15. Transalp mit
seinem Patenkind bestreiten. Doch der Neffe wurde kurz
vor dem Start selbst Vater und musste absagen. Martin, der
im Vorjahr sein Transalp-Debüt wegen Kniebeschwerden
abbrechen musste und diesmal gar keinen Start geplant

8-2019 TOUR 103

hatte, sprang als Ersatzmann ein; mit exakt 709 Jahres­
kilometern in den Beinen – weniger als in der Woche
Transalp zu bewältigen waren, nämlich 796 Kilometer.
Dazu standen 18.600 Höhenmeter im Streckenplan von
Innsbruck nach Riva del Garda. Eine wahre Belastungs­
probe für die Eltern-Kind-Beziehung, ein Stresstest, wie
gern man sich am und jenseits des Leistungslimits noch hat.

HÄRTETEST AM ZWEITEN TAG

Schon der zweite Tag bringt viele Teilnehmer an die Belas­
tungsgrenze: 143 Kilometer, fast 3.500 Höhenmeter über
das 2.200 Meter hohe Penser Joch und den Schermoos­
sattel – und am Schluss in brütender Hitze ein Schluss­
anstieg zum Sportplatz oberhalb von Kaltern. Jake Wine­
baum kommt schweißüberströmt ins Ziel. „Mir macht die
Hitze zu schaffen“, sagt er – dabei lebt er im sonnen­
GUT GEMA
verwöhnten Los Angeles. Frank Wörndl kämpft sich CH T, JU N G E!
durch einen Tag voller Krämpfe. Und Martin Ullrich Matthias Ullrich (rec
hts) hat Sohneman
schleppt seinen Vater als Windschattenspender durch die Mar tin kurzfristig zu n
Täler – ein bisschen Fron muss sein, schließlich gab’s im m Transalp-Start
überredet. Der war
Frühjahr von den Eltern ein neues Giant-Rennrad mit tet da
Shimano-­105-Ausstattung. Das wird jetzt abgearbeitet. Anstiegen auf den Va für geduldig an
ter (Bild ganz oben
Vater Matthias sitzt seit seinem ersten TOUR-Transalp- Am Schluss freuen ).
Start im Jahr 2004 immer auf demselben Basso-Rahmen. sie sich gemeinsam
über Medaille und Fi
Das Material ächzt wie der Mensch – unterwegs hatte sich nisher trikot
eines der angejahrten Pedale festgefressen. Aber zum
Glück haben es die Ullrichs nicht besonders eilig – der
Vater leiht sich ein Ersatzpedal beim Team Corratec und
fährt weiter. Die Familientaktik: Der Junior fährt bergauf
voraus, oben am Sattel wartet er auf einer Leitplanke sit­
zend auf den Vater, dann geht es gemeinsam bergab und
durchs Tal – immer wieder, sieben Tage lang.

104 TOUR 8-2019

Jake Winebaum bleibt dagegen sieben Etappen lang an der Wenn man die Wörndls beobachtet, dann wirkt der Ältere
Seite seiner Tochter – wie eine Löwen-Mama, die ihr Junges manchmal wie das bockige Kind, der Jüngere wie der Erzie-
in der wild gewordenen Meute des Transalp-Pelotons be- her, der die Richtung vorgibt, der den Weg, das Ziel im Auge
schützt, bei der Fahrt durch die wilde, gefährliche Bergwelt. behält. Der Vater kultiviert seine Rolle als Sturkopf, aber am
„Man muss ständig essen, Energie nachführen, ich habe sie Ende ist er auch ausgesprochen dankbar. „Es ist schön, wenn
alle zehn Minuten daran erinnert, zu trinken. Und das der Sohn am Atem des Vaters hört, wann der Hilfe braucht
­Wichtigste: Sicherheit geht vor“, spricht er die Lehrsätze vor und dann schiebt“, erzählt er, als er die Füße ins kühle Was-
und ergänzt: „Nicht rechts überholen, Fahrlinie halten.“ ser des Brunnens auf der Piazza Garibaldi in Riva del Garda
Tess Wine­baum hatte nach den Erzählungen ihres Vaters an steckt – nach sieben glühend heißen Etappen, Tagen mit
eine schöne Radtour durch die Alpen gedacht – und dann schlimmen Krämpfen und einem Crash, der jedem Beobach-
staunt sie, wie schnell gefahren wird, aber sie ist auch happy, ter einen Schrecken eingejagt hätte. Bei einem Massensturz
dass die meisten Teilnehmer ihre Räder besser war Frank Wörndl in hohem Bogen auf den
beherrschen als bei Hobbyrennen drüben in Asphalt gekracht, ein Laufrad war dabei zer-
den USA und dass sie niemand von den anderen borsten – aber nach kurzer Behandlung, mit
Teilnehmern schimpft, weil sie so langsam und Sie wollen mehr von der blutiger Schulter und verbundenem Arm, und
vorsichtig zu Tal fährt. „Bisher kein Streit“, be- mit neuem Laufrad sitzt er wieder im Sattel.
TOUR
richtet Jake auch nach der Fahrt über den ver- „Das gehört dazu. Wir Skifahrer sind das Stür-
flixt steilen Mortirolo-Pass schmunzelnd im TRANSALP zen gewohnt“, sagt er und kraxelt derart
Vorbeifahren. Die Kletterqualitäten der Toch- 2019 ­angeschlagen den 18 Prozent steilen Mortirolo-­
ter machen ihn stolz, bergab üben sie gemein- und unseren Transalp- Pass hinauf. Später gesteht er, er habe mit der
sam. Vater Winebaum ist ein ehrgeiziger Wett- Paaren sehen? rasenden Fahrt vor dem Sturz dem Sohn, der
kämpfer, ein erfolgreicher Geschäftsmann und Auf der TOUR-Webseite finden zum Flaschenholen zurückgeblieben war, noch
Manager im Internetbusiness. „Radsport und mal zeigen wollen, wie schwer es sein kann, den
Sie Bilder und Videos
Geschäfts­ leben haben viele Gemeinsamkei- Alten wieder einzuholen.
W W W.TO U R - M AG A Z I N . D E
ten“, sagt er: „Es geht um Wettbewerb, um Dis-
ziplin, darum, sich zu verbessern.“ 2007 hat er Webcode #47807 ZUM 60. AUF DEN MORTIROLO
einmal nach einer Transalp-Etappe über das Am Ende kommen alle gut und glücklich im Ziel
Stilfser Joch abends noch Geschäfte per Tele- Die Anmeldung für die in Riva del Garda an, nur ein paar Schritte vom
fon ab­gewickelt: den Verkauf der Internetplatt- kommende TOUR Transalp Ufer des Gardasees entfernt. Und ziehen Fazit
form business.com – einst von ihm für 7,5 Mil- (21.–27.6.2020) läuft bereits: über die ungewöhnlichen Familienausflüge.
lionen US-Dollar erworben, ausgebaut, und Nächstes Jahr wieder Transalp? Oder wenigs-
W W W.TO U R -T R A N SA L P. D E
dann am Rande der Transalp abgestoßen – für tens zum nächsten runden Geburtstag? Tess
sagen­ hafte 345 Millionen US-Dollar. Er sei Wine­baum schüttelt am Rande der Sieger­
jetzt im Ruhestand, sagt er lächelnd, seiner ehrung den Kopf, nachdem sie das Ziel mit dem
Frau Cindy habe er versprochen, dass die Vater als 16. von 49 Mixed-­Teams erreicht hat.
Transalp mit Tess seine letzte war – aber man merkt beim „Zum 70. Geburtstag gehen wir zusammen an den Strand“,
Blick in die Runde: Glauben tut ihm das keiner in der Familie. schlägt sie vor und lacht. Aber das Finisher-Trikot gefällt ihr,
das will sie mit Stolz tragen, drüben in der Heimat. „Die Ber-
REDEN MIT EINER WAND ge in ­Colorado werden mir jetzt klein vorkommen“, scherzt
Der 29-jährige Marlon Wörndl predigt derweil sieben Tage sie; so lange Bergfahrten kannte sie bisher nicht.
lang dem Senior, wie Regeneration funktioniert: sofort koh- „Wenn ich mir jetzt die Tour de France anschau, kann ich
lenhydratreiche Zielverpflegung wie Nudelsalat oder Hafer- besser nachvollziehen, was die Profis dort leisten“, sagt
brei zuführen, schnell zur Ruhe ins Hotel plus Massage – der Wörndl senior, nachdem das Vater-Sohn-Team in der vor­
Grundrhythmus lautet: essen, schlafen, Rad fahren – und deren Hälfte des Klassements abgeschlossen hat. Aber das
wieder von vorne. Aber Wörndl junior könnte genauso gut Wichtigste, was ihm bleibt, fasst er in einem Wort zusammen:
mit einer der vielen Felswände sprechen, die er mit dem Vater „Unvergesslich!“ Vor der sechsten Etappe, dem Tag seines
im Laufe der Woche passiert. Was er sagt, verhallt ungehört 60. Geburtstags, hat er vom Sohn eine Torte bekommen und
– oder provoziert Widerrede. Gegen jeden Rat quatscht und das Starterfeld hat „Happy Birthday to You!“ angestimmt.
scherzt der Vater noch mit den anderen Teilnehmern im Ziel, Und die Ullrichs? Sie sind keineswegs überrascht, dass der
trinkt Bier statt Isodrink, steckt Wurstbrot oder Kaminwurz Altersunterschied von 59 zu 28 Jahren bei einer Woche Rad-
statt Energiegel in die Trikottasche. „Er ist dominant und fahren über Berge, durch die Hitze und kleine Krisen, keine
­immer gegen den Mainstream“, weiß der Sproß. Und er kennt Konflikte verursacht hatte. Die beiden Männer aus Gerten-
seinen Job in dieser Woche, er kennt seinen Vater. bach in Nordhessen machen zu Hause vieles gemeinsam:
Mit viel Einfühlungsvermögen begleitet Marlon den Vater gärtnern, an Autos basteln, Rad fahren. „Wir sind beide ge-
durch die vielen Höhen und Tiefen der Transalp-Woche, in duldig“, hatte der Junior schon zu Beginn der Transalp-Reise
der sich nach und nach etwas verändert in der Beziehung der gesagt – eine Woche lang haben sie dann ihr ­symbiotisches
Wörndls zueinander. „Man lernt sich anders kennen“, er- Miteinander bewiesen. Nun geht es nach ­Hause, mit vielen
zählt der Sohn. „Und es ist das erste Mal, dass sich die Rollen- Erinnerungen und ein paar Wehwehchen im Gepäck. Und
verteilung umkehrt.“ Denn im Laufe des Rennens gibt der wenn der Eindruck nicht sehr täuscht, hat da eine Generation
Alte nach. Er lässt sich schieben, genießt die lockeren Tritte. der nächsten die Begeisterung für den Radsport vererbt.
„Ich habe ihm die Gels aufgemacht – es war das erste Mal,
dass er das akzeptiert hat“, sagt Wörndl junior u ­ nterwegs.
Das Kind füttert quasi den Vater – auch im Radsport schließt
sich das Eltern-Kind-­Verhältnis als Kreislauf.

8-2019 TOUR 105

 AUF DEM
EGO-TRIP
Erstmals gab es bei der TOUR Transalp eine Einzelwertung. TOUR-Redakteur Andreas Kublik hat nach
vielen Jahren der Transalp-Zweisamkeit ausprobiert, wie es sich als Single-Starter anfühlt

N
aber unsere Felle davonschwimmen. Nach der langen
­Abfahrt war mir nicht ganz klar, wie ich ihn über den
­Jaufenpass kriegen sollte. Da rief er: Attacke! Und stürmte
in die erste Rampe. Spätestens jetzt war klar: Wir sind ein
Team! Wir hatten den Flow, der uns durch die Woche
trug. Gesamt­rang elf – heute unvorstellbar. In den An-
fangstagen der Transalp ging das irgendwie, mit ein biss-
chen Cleverness und gutem Teamwork. Die Ablösungen
Nichts ging mehr. Alle waren besser. Ich war schlecht. funktionierten perfekt und wortlos. Es schien, als spürte
Der Berg zu hoch, die Beine zu schwach. Die Ziele ver- der jeweils andere genau den Moment, in welchem dem
schwammen in der Sommerhitze. Stefan und ich wollten einem das erste bisschen Laktat im Oberschenkel brann-
richtig mitmischen, bei der allerersten TOUR Transalp. te, worauf er das Tempo reduzierte oder ihn in der Füh-
2003 war das – lange her. Wir wollten kurz nach dem Start rung ablöste. Und wir meisterten unsere einzige kleine
attackieren. Jugend-Träume. Aber dann war schon der Beziehungskrise: Als ich gut gemeint meine Hand auf
erste Berg, das Hahntennjoch, ein zu dicker Brocken ­Stefans Rücken platzierte und ein bisschen schob, sagte
für mich. Alle stürmten bergwärts, mich zog die Hang­ er scharf, ich solle das nie wieder tun. Anfassen war in
abtriebskraft zu Tale. Ich hatte es verbockt. Stefan und unserer Transalp-Beziehung nicht vorgesehen.
ich wollten als Team TOUR von uns reden machen, bei Danach bin ich noch viermal mit wechselnden Partnern
der Premiere der Transalp irgendwie vorne mitfahren, die Transalp gefahren. Aber so schön war es danach nie
ohne eine Ahnung zu haben, wie gut man dafür sein wieder. Vielleicht, weil es beim ersten Mal immer am
müsste. Und wir wussten nicht genau, wie man Krisen in schönsten ist – und weil es sich in der Erinnerung ver-
einem Zweierteam meistert – eine Woche lang, sieben klärt. Ich bin mit Freunden und Arbeitskollegen gestartet
Etappen, rund 800 Kilometer, etwa 20.000 Höhenmeter. – und einmal bin ich, ganz zeitgemäß, im Internet auf
Stefan blieb bei mir, munterte mich auf, schleppte mich Partnersuche ­ gegangen. Adrian, meine radsportliche
im Windschatten zurück zu denen, die meinten, sie wür- Internet-­Bekanntschaft, erzählte mir, er habe vor nicht
den mich während der Woche nie wieder sehen. allzu langer Zeit mehr als 90 Kilo gewogen. Das klang
Als umgekehrt Stefan am Timmelsjoch schwächelte, fühlte ­beruhigend. Blöd: Als wir unsere einwöchige Radsport-­
ich mich bärenstark, versuchte ihn aufzumuntern, sah Beziehung begannen, wog er keine 60 Kilo mehr und flog

106 TOUR 8-2019

die Berge hinauf, während ich mich mit 69 Kilo auf 1,84
Meter Größe geradezu adipös fühlte. Dick & Dünn geben
nämlich bei der Transalp eher kein Traumpaar ab.
Die Partner waren mal viel stärker, mal viel schwächer als
ich – nicht immer war das so erwartet und geplant. Ich
habe Transalp-Beziehungen geführt, bei denen wir bald
nur noch nebeneinanderher gelebt haben. Wir haben das
Zimmer geteilt und die Startnummer – mehr nicht. Es
gab Beziehungen, in denen wir nett zueinander waren,
und solche, in denen wir unseren Frust aneinander aus­
gelassen haben. Höhepunkt: Ein Partner fuhr auf der
letzten Etappe in den Kehren zum Monte Bondone an
den Straßenrand und vergrub wutentbrannt sein Unter-
hemd im nahen Wald – heute sehe ich das Ganze als eine
Art innere Reinigungshandlung, Schlusspunkt unserer
gescheiterten Transalp-­Beziehung. Beerdigt.

ES GEHT NUR UM MICH – HERRLICH! ODER?

Rückblickend sei gesagt: Ich war ein Skeptiker, als damals
in der Vorbereitung zur TOUR Transalp die Idee aufkam,
das Ganze ausschließlich als Wettbewerb für Zweier-­
Teams zu veranstalten. Doch dann habe ich die Idee ir-
gendwie liebgewonnen. Aber im Zuge der allgemeinen
Individualisierung war es nur eine Frage der Zeit, wann
auch die Transalp-Macher dem Trend zum Single-Dasein
nachgeben würden – und erstmals die Transalp um eine
Einzelwertung ergänzen würden. Nun war es soweit –
und irgendwie fand ich die Idee der Redaktion ganz
­charmant, mich quasi als Einzel-Testfahrer ins Rennen
zu schicken: Wie ist die Transalp als Single-Partie?
Schon am ersten Abend: Ruhe im Einzelzimmer. Keiner,
der hektisch vorbereitet. Keiner, der früh dazu mahnt,
das Licht auszumachen. Essen gehen, wann man will.
Kein Warten. Pasta-Party oder Steakhouse – entscheide
ich allein. Morgens: keiner, der im Morgengrauen nervös
im Zimmer herumkruschtelt, zum Abmarsch zum Früh-
stück auffordert, am Tisch drängelt, dass der Start naht.

DANKE
Keiner, der auf dem Klo hockt, wenn man selbst muss. Im
Rennen: keiner, den meine Blitzstarts nerven. Keiner, der

GRAZIE
zu schnell fährt, keiner, der zu langsam fährt. Keiner, der

Foto: Uwe Geißler

verschwunden ist. Es geht nur um mich. Herrlich.
Aber dann reißt während der Etappe eine Lücke auf, nie-
mand vor mir, niemand hinter mir. Keiner, der jetzt un­
gefragt die Führung übernimmt. Im Ziel: keiner, mit dem
man das gemeinsam Erlebte Revue passieren lassen kann.
Keiner, der einem einen Becher Haferbrei holt – eine Cola,
ein Wasser, ein Bier. Keiner, mit dem man zusammen AN ALLE ETAPPENORTE
zum Essen gehen kann. Keiner, mit dem man eine Renn­
strategie aushecken kann, mit dem man die Angst vor der
INNSBRUCK | BRIXEN | KALTERN AM SEE | BORMIO |
Raserei am ersten Berg nach dem Start teilen kann, kei-
LIVIGNO | APRICA | VAL DI SOLE | RIVA DEL GARDA
ner, der Flaschen holt, keiner, der eine Flasche braucht,
keiner, der schiebt, keiner, den man schieben kann.
­Einfach: keiner. Es geht nur mich. Füchterlich. AN ALLE SPONSOREN
Im letzten Tagesziel, in Riva del Garda: geschafft. Alle
Teampartner fallen sich um den Hals, busseln sich ab,
­jubeln, saufen. Wir Einzelstarter klopfen uns anerken- barevná varianta
světlé pozadí

nend auf die Schulter. Immerhin. Aber irgendwie wirkt

die Strampelei gerade sinnlos. Ich glaube, ich will wieder
eine Transalp-Beziehung. Bis zum ersten Stress. Dann
will ich wieder Transalp-Single sein. Irgendwie schön,
dass man jetzt die Wahl hat.
EIN EVENT VON
RHÖN-RADMARATHON BIMBACH

PFINGST-
40 Jahre RTF und der 30. Radmarathon sind
in Bimbach doppelter Grund zur Freude.
TOUR hat mitgefeiert und verstanden,
warum man Pfingsten in die Rhön muss FEST

108 TOUR 8-2019

G R U P P E N FA H R T

Nach dem Start rollen

noch größere Gruppen
durch die wellige Rhön

8-2019 TOUR 109

N
ANSTRENGUNG

Christian Keller (Mitte)

kurbelt bei seiner
Marathonpremiere in
der Rhön bergauf

Noch nie waren 2.330 angemeldete Marathon-Teilnehmer

so wenige Starter: Als sich um kurz vor sieben Uhr das
Startfenster für den Classic Marathon öffnet, gibt es in
TEXT Bimbach kein Gedränge. Denn: Zur Feier des 30. Rhön-­
Kristian Radmarathons hat der RSC Bimbach ausnahmsweise eine
Bauer 302-Kilometer-Extremrunde angeboten und bereits um
5:30 Uhr die Fahrer auf die Strecke gelassen. Die meisten
Teilnehmer sind also schon längst unterwegs – nur rund
F OTO S
700 Radler stehen noch vor dem Startbogen.
Uwe Christian Keller aus Chemnitz ist einer von ihnen. Seinen
Geißler Startplatz hat er über das Gewinnspiel von TOUR und
Assos gewonnen (siehe Infokasten, Seite 105). Der 34-Jäh­
rige ist nicht nur zum ersten Mal in der Rhön am Start, er
nimmt auch zum ersten Mal an einem Radmarathon teil.
„200 Kilometer bin ich selbst im Training noch nie gefah-
ren“, verrät er angesichts der 218 Kilometer und 3.800 Hö-
henmeter, die ihm bevorstehen. Während der Strecken­
sprecher auf Null r­ unterzählt, startet Keller seinen Tacho
und rollt auf die Startlinie zu. Marathonpremiere – beim
30. Marathon-­Geburtstag in der Rhön.

3-TAGE-FEST MIT DISCO-TIME

Die Mutter aller Rad-Events und Vorläufer des Radmara-
thons im hessischen Bimbach hieß übrigens Rhön-Rund-
fahrt: Am 8. Juni 1979 stieg das erste „3-Tage-Fest“, 450
Radsportler nahmen daran teil. Bei einer RTF in der Um-
gebung hatte man sich abgeschaut, wie die Organisation
am besten klappt. Franz Hohmann, erster Vorsitzender,
rührte außerdem eifrig die Werbetrommel: „Ich war im
Außendienst in ganz Deutschland unterwegs und habe
jedem Radhändler einen Flyer hin­gelegt“, erinnert er sich.
Und es ging beim „3-Tage-Fest“ um mehr als nur Rad-
sport: Der Freitag begann mit „Disco-­Time“, am Samstag
wurden nach der RTF die größten Mannschaften mit Po-
kalen geehrt, und im Festzelt spielte die Kapelle zum Tanz
auf. Das Konzept aus Radfahren in schöner Landschaft,
guter Organisation und Party ging auf: Im dritten Jahr ka-
men schon 1.200 Teilnehmer nach Bimbach. Und als der
Marathon 1990 ganz bewusst noch mehr sport­liche Fah-
rer ansprach, waren es auf einen Schlag 2.100 Starter. „Der
ganze Parkplatz war damals voller Trabis“, erinnert sich
Hohmann an das Jahr, als erstmals auch Sportler aus dem
Osten Deutschlands anreisen konnten. Teil des Erfolgs ist VERSORGUNG

sicher auch die zentrale Lage Bimbachs in Deutschland, Vereins-Mitgründer

das aus allen Himmelsrichtungen gut erreichbar ist. Franz Hohmann hilft
Bereits wenige Kilometer nach dem Start muss Christian am Zapfhahn mit
Keller den Kopf in den Nacken legen, um zu erahnen, wo
die kurvige Straße bergauf endlich wieder flacher wird.
Ruhig kurbelt er die knackigen Rampen hoch. Lange Zeit
zur Erholung bleibt nicht, denn der Anstieg zur Milseburg
folgt gleich darauf, ein steiler Klassiker des Radmarathons.
Im Höhenprofil stechen die Anstiege als Zacken hervor,

110 TOUR 8-2019


V E R K E H R S KO N T R O L L E
Bayerische Polizisten
stempeln in Fladungen
zum Spaß die
RTF-­Kontrollkarten
Hier gibt es keine durchgeknallten
Fahrer, die das Gehirn ausschalten
und verrückt überholen
die sich nach oben nadelspitz verjüngen: So steil es bergauf
geht, so abrupt fällt die Straße wieder in die Tiefe. Keller
hängt tief über dem Lenker und rauscht mit 70 Sachen zu
Tal. Die Straße ist perfekt asphaltiert, gut einsehbar, und
es wird vernünftig gefahren. „Hier gibt es keine durchge­
knallten Fahrer, die wie bei manchem R ­ ennen das Gehirn
ausschalten und total verrückt überholen“, schildert Axel
Schneider aus Schneeberg seine ­Beobachtung. Weithin
sichtbare Schilder, grellpink leuchtend, weisen auf Ab­
zweigungen hin oder kündigen den nächsten Anstieg an.
Schon wieder wirft sich die Straße nach hinten: Keller ra­
delt in den Anstieg zum Ellenbogen; die nächste fiese Hür­
de im Streckenplan.
INNOVATION ALS DAUERMOTTO
Verantwortlich für diese Gemeinheiten ist Florian Auth,
seit 2015 Streckenplaner in der Rhön. Für dieses Jahr hat
er sowohl neue als auch deutlich härtere Runden ausge­
arbeitet – mal wieder; die Vielfalt der angebotenen Dis­
tanzen und der ständige Wechsel der Strecken sind weitere
Erfolgsfaktoren der Veranstaltung. Mal wird im Uhr­
zeigersinn gefahren, dann in Gegenrichtung, Bimbach
400, Bimbach Extrem – Innovation als Dauermotto. Um
verkehrsarme Strecken zu nutzen, wurde in diesem Jahr
sogar mal die traditionelle Fahrt über die Wasserkuppe
gestrichen. 15.000 bis 20.000 Kilometer jährlich sitzt Auth
selbst auf dem Rennrad und kennt im Umkreis von 70 Ki­
lometern jedes beradelbare Stück Asphalt. Hat er eine neue
Streckenvariante gefunden, ist seine größte Sorge, ob die
Behörden sie genehmigen. Der Radmarathon führt durch
Hessen, Thüringen und Bayern – und besonders die
Behörden in Bayern haben angekündigt, genau hin­
­
zuschauen, ob die Vorgaben und Verkehrsregeln von Ver­
anstalter und Teilnehmern eingehalten werden.
Viel Kritikwürdiges scheinen die Bayern nicht zu finden;
an der Verpflegungsstelle im bayerischen Fladungen steigt
Christian Keller vom Rad und wird von einer Polizistin
und ihrem Kollegen empfangen. Konflikte drohen nicht –
im Gegenteil: Die beiden Beamten haben sich zum Spaß an
den ­k leinen Tisch gesetzt, wo sie für eine Weile lächelnd
die Kontrollkarten der Radfahrer abstempeln. Noch am
­Morgen wusste Keller gar nicht, wozu die Karte da ist –
jetzt sammelt er die Stempel, um im Ziel ein T-Shirt und
eine Rennkappe zu bekommen. Hunderte Radfahrer wu­
seln über einen asphaltierten Betriebshof, Helfer bieten
hinter Bierbänken Kuchen, Obst und Getränke an. Spätes­
tens jetzt weiß Keller, dass er sich die vielen Riegel und
Gels, die er eingepackt hat, hätte sparen können. Er füllt
8-2019 TOUR 111
 Deutschlands größte
Radveranstaltung,
die von einem Verein
organisiert wird
seine Flaschen auf und holt sich eine Banane. Auf der an-
deren Straßenseite haben Helfer des RSC Bimbach einen
Lieferwagen geparkt und bieten Pannenservice an. Die
Frauen und Männer in den gelben T-Shirts sind überall.
Das RTF-Wochenende des RSC Bimbach ist die größte
Radveranstaltung in Deutschland, die von einem Verein
organisiert wird. 6.600 Teilnehmer stürmen die 2.300-
Einwohner-Gemeinde, wenige Kilometer westlich von
Fulda. Bereits am Donnerstag wird aufgebaut und bis zum
Montag fünf Tage durchgearbeitet. Rund 160 ehrenamtli-
che Helfer packen mit an, davon 140 Vereinsmitglieder.
Wie schafft es der Verein nur, so viele helfende Hände für
das lange Pfingstwochenende zu organisieren?
Offensichtlich funktioniert das Belohnungssystem, das
von Anfang für die Helfer installiert wurde: Frauenausflü-
ge, ein Sommerfest für alle Helfer,
­­ ein festliches Mittags-
bankett am Abbautag, jähr­liche Radwanderfahrten nach
Prag, Warschau oder Nizza. Das Kuriose dabei: ­Helfer aus
112 TOUR 8-2019
AM ZIEL
Nach dem harten
­Marathon freuen
sich Teilnehmer über
die ­Begrüßung –
und den Zielbogen
BE LOHNUNG
Auf die Anstiege folgen
perfekt asphaltierte,
schnelle Abfahrten
Bimbach sind inzwischen in der Minderheit – der Großteil
kommt längst von außerhalb, die Beliebtheit des
Rhön-Radmarathons hat dem Verein neue Mitglieder aus
ganz Deutschland beschert. „Pfingsten fährt man in Bim-
bach“, lautet seit Jahren der eingängige Slogan. Der Ter-
min hat mehrere Vorteile: Zum einen ist er über Jahre
langfristig planbar. Zum anderen können die Teilnehmer
in Ruhe am Feiertag Pfingst­montag zurückreisen – im Ge-
gensatz zu anderen Veranstaltungen, auf die meist ein
ganz normalere Arbeitstag folgt. Für sich selbst haben die
Bimbacher den Slogan übrigens ins G ­ egenteil verkehrt:
„Pfingsten wird nicht Rad gefahren“, lautet die Maxime,
Helfen ist für alle Mitglieder Pflicht, und auch in diesem
Punkt hat Pfingsten Vorteile: Für den Abbau am Pfingst-
montag muss kein Urlaub genommen werden.
Christian Keller ist unterdessen wieder aufs Rad gestiegen.
Er freut sich über „schöne Landschaft und wenig Ver-
kehr“. Ein Eindruck, den auch Axel Schneider teilt: „Man
 ERHOLUNG

Die Nudeln an der Ver­

pflegungsstation geben
neue Kraft

MIT TOUR UND ASSOS ZUM

RHÖN-RADMARATHON

In TOUR 3/2019 hatten wir in Koopera­ Start und nahm die 302-Kilometer-­
tion mit dem Radsport-Bekleidungs­ Distanz ins Visier – ebenso wie Wolf­
hersteller Assos ein Gewinnspiel zur gang Groner aus Illertissen. Christian
hat manchmal das Gefühl, auf gesperrten Straßen zu fah­ Jubiläums-Veranstaltung in Bimbach Repaski aus Schwarzach in Pongau
ren.“ Am Anstieg zum Stirnberg öffnen sich weite Aus­ angekündigt und wurden von einer entschied sich für die 256-Kilometer-­
blicke in die grünen Hügel des Biosphärenreservats Rhön, Flut an Einsendungen überrollt. Zehn Strecke. Axel Schneider aus Schnee­
das sich den Radsportlern ebenso schön wie hart präsen­ glückliche Gewinner wurden ausgelost berg, Christian Keller aus Chemnitz,
tiert: Die 400 Höhenmeter am Stück zum Heidelstein las­ – übrigens nur Männer, denn Assos hat Norbert Koch aus Bad Lippspringe fuh­
sen Kellers Tritt erstmals sichtbar erlahmen – ein Einbruch die Aktion zur Einführung seiner neuen ren mit TOUR-­Redakteur Kristian Bauer
nach 130 Kilometern? „Ich merke, dass meine Speicher Männer-Hose Equipe RS Bib Shorts S9 die 218-Kilometer-Runde. Eddy Preuß
leer sind“, sagt er und rollt in die Abfahrt. Der Chemnitzer genutzt. Nachdem ein Gewinner kurz­ aus Uffenheim, Florian Lenz aus Leo­
freut sich auf einen Teller Nudeln mit Gulasch an der fristig abgesagt hatte, trafen sich am poldsdorf und Lutz Stamm aus Solingen
nächsten Verpflegungsstelle. 8. Juni neun Radsportler im Hotel entschieden sich für die 180 Kilometer.
­Vorderburg in Schlitz in Mittelhessen So waren die markanten Assos-Outfits
ALLES AUSGEBUCHT – TROTZDEM FAMILIÄR zum Kennenlernen. Alle Teilnehmer auf fast allen Strecken unterwegs. Im
Die Bierbänke dort sind voll belegt, das Geschäft mit den bekamen ihr Assos-Set, bestehend aus Ziel traf die 218-Kilometer-Truppe
Radsportlern brummt. Die Brötchen kommen vom Bäcker Bib Shorts S9 und Equipe RS Aero-­ bereits auf Wolfgang Groner, der die
im Dorf, Getränke vom regionalen Mineralbrunnen und Trikot. Beim gemeinsamen Abendessen 302 Kilometer mit 5.500 Höhenmetern
das Gulasch vom Metzger aus dem Nachbarort. Die Hotels wurde schnell klar: Da waren leiden­ in rund elf Stunden absolviert hatte.
ringsum sind ausgebucht – bei rund 6.600 Teilnehmern schaftliche Rennradfahrer unter sich. Erschöpft, aber zufrieden war er, eben­
an den diversen Touren ein ernstzu­ nehmender Wirt­ Thomas Müller aus Neustadt ging be­ so wie alle anderen Gewinner des
schaftsfaktor. Trotzdem behält Bimbach seinen speziellen reits am Samstag bei der RTF an den Preisausschreibens.
Charme: „Die familiäre Atmosphäre und die Organisation
sind sehr schön, alles wirkt bei Weitem nicht so kommer­
ziell wie bei manchem großen Event im Ausland“, meint
Axel Schneider, der die 218 Kilometer absolviert hat. Der
familiäre Stil zeigt sich in ­Details: Weil der Fahrer des Stre­
ckenfahrzeugs glühender Fan der Schlagersängerin
Andrea Berg ist, werden die Radfahrer aus dem Lautspre­
cher mit deren Schlagern ­beglückt. „Zu viel Berge oder zu
viel Berg?“, lautet deshalb eine der Fragen des Tages.
Gestärkt kurbelt Keller wieder durch die Mittagshitze.
Das Wechselspiel aus Anstieg und Abfahrt geht weiter, bis
er sich für die letzten 20 Kilometer in eine kleine Gruppe
einreihen und im Windschatten schonen kann. Immer
mehr Radfahrer stoßen von den kürzeren Strecken hinzu
auf den Weg Richtung Ziel, die Straße füllt sich. Am Orts­
schild von Bimbach zieht eine Gruppe Jugendlicher an
Keller vorbei, um mit Schwung durch den Zielbogen zu
fahren. Überall stehen und lehnen Räder, das Bierzelt ist Diese neun Gewinner schickten TOUR und Assos auf die Strecke
voll. Am Zapfhahn steht Vereinsmitgründer Franz Hoh­
mann und kommt kaum mit dem Ausschenken hinterher.
Keller nimmt seine abgestempelte Marathonkarte und
holt sich als Belohnung seine Radkappe und das T-Shirt.
Seine Marathonpremiere hat ihm Spaß und vor allem Lust
auf mehr gemacht: „Vielleicht probiere ich beim nächsten
Mal in Bimbach die 256-Kilometer-Strecke aus.“

8-2019 TOUR 113

 TOURENSZENE AU S G A B E

8-2019

TOUR-Redakteur Andreas Kublik

MARCIALONGA
CYCLING
Predazzo kann am ersten Juni-Wochenende mit
Gravel Innsbruck: zurück an den Schauplatz der Rad-Weltmeisterschaft – nur auf anderen Wegen einem echten Komplettprogramm für aktive
Radsport-Fans aufwarten: Samstags passiert
der Giro d’Italia auf seiner Königsetappe das

DURCH DIE RINNE italienische Städtchen im Fleimstal, am Tag

darauf kann man seine eigene Bergform beim
TERMIN Marcialonga testen, bekannt als Marathon für
Neues Gravel-Event in Innsbruck 22. September Ski-Langläufer. Bei der 13. Auflage des gleich-
namigen Radmarathons entscheide ich mich für
Die Organisatoren versprechen bei „Gravel Innsbruck“ ausgesuchte die kurze Runde, die von Predazzo über den
KOSTEN
und spektakuläre Strecken rund um die Tiroler Hauptstadt. Zu den Karerpass und das fast 2.000 Meter hohe Reiter­
Höhepunkten gehören die Fahrt durch den Betonkanal der Olympia-­
39 Euro joch führt – bis zu 15 Prozent steil auf einer
Bobbahn, die Skisprung-Arena am Bergisel und die Höttinger Höll, teilweise geschotterten Rodelbahn unterhalb
die bei der Rad-WM 2018 im Rampenlicht stand. Die Fahrt durch INFO der Felswände des Latemar. Die Strecke ist mit
die Bobbahn ist rund einen Kilometer lang, die Steigung beträgt www. selbst gemessenen 77 Kilometern und rund
­zwischen acht und zwölf Prozent. An der Höttinger Höll geht’s mit gravelinnsbruck.com 2.200 Höhenmetern etwas weniger hart als
bis zu 28 Prozent Steigung bergauf. Im Ziel in der Innenstadt warten angekündigt. Ausdauernde fahren weiter über
auf die Teilnehmer Musik und Essensstände. Eine Wertung gibt es die Pässe San Pellegrino und Valles (rund
nicht – der Spaß steht im Vordergrund. 55 Kilometer und 1.500 Höhenmeter mehr). Das
Zeitfenster, in dem die Radfahrer vom Verkehr
abgeschirmt sind, ist leider sehr klein. Zurück
im Fleimstal gerät man bei der Zielanfahrt erst
R ADTAG STILFSE RJOCH in den Stau, an einem Kreisverkehr vor dem
Zielkanal gibt es keine Streckenposten. Fazit:
Haben Sie Tipps, Infos oder STELVIO OHNE eine familiäre Veranstaltung mit guter Ziel­
Termine aus der RTF-Szene verpflegung, bei der aber bessere Absicherung
für andere Radtouren-Fans?
Am letzten Tag in diesem August ist das wünschenswert wäre.
Dann schreiben Sie Stilfserjoch von Trafoi bis zur Passhöhe von TERMIN
uns unter dem Stichwort 8 bis 16 Uhr für den motorisierten Verkehr 31. August 2019
STRECKE S TA R TG E L D

„Tourenszene“ an gesperrt. Wer eine Rundtour plant, kann ★★ ab 38 Euro

redaktion@tour-magazin.de die Abfahrt über den Umbrailpass nach INFO VERPFLEGUNG
Fotos: Oss, Veranstalter

Aktuelle Nachrichten und
Downloads zum Thema Breitensport
finden Sie auch auf
www.tour-magazin.de
INFO
Santa Maria wählen. Ab 6 Uhr steht in Prad www.stelviopark.bz. ★★ www.marcialonga.it
für die Radfahrer Frühstück bereit, im Ort it/radtag/#c1373
O R G A N I SAT I O N
findet ganztägig ein Fahrradfest statt. Am
Anstieg zum Stilfserjoch warten zudem ★
zwei Verpflegungsstellen.

114 TOUR 8-2019

 E FA H
TG
R
MI
EN
TOUR-Redakteur Kristian Bauer bei der 49. Austragung des Radmarathons Nove Colli
NOVE COLLI
Laute Explosionen eines Feuerwerks im Ort
­Cesenatico machen um sechs Uhr morgens auch
den letzten der rund 10.000 Starter trotz kühler
Temperaturen heiß auf den Nove Colli. Im vier-
ten Startblock erlebe ich die ersten 30 flachen
Kilometer dank breiter Straßen und kleiner
Gruppen stressfreier als erwartet. Der Straßen-
zustand allerdings ist schlecht – entsprechend
vorsichtig fahren alle in den Abfahrten. Die
ersten drei Anstiege halten immer wieder kurze,
giftige Abschnitte bereit, und am Barbotto folgt
schließlich die berüchtigte Rampe. Die ist zwar
steil, aber auch sehr kurz. Wenig später biege
38. DEUTSCH-FRANZÖSISCHE MAIFAHRT
Fotos: Privat, Sportograf (2)
TOUR-Redakteur Konstantin Rohé
STRECKE
ich auf die kürzere 130-Kilometer-Runde ab. ★★
Aufgrund der Wettervorhersage fährt in diesem VERPFLEGUNG
Jahr nur ein Drittel der Teilnehmer die lange
Distanz von 205 Kilometern und entgeht so
★★★
O R G A N I SAT I O N
bei schneller Fahrt dem mittags einsetzenden
­Regen. Im Ziel biegt sich mein Tablett fast unter ★★★
der leckeren Zielverpflegung von Nudeln über
Kuchen bis zum Eis. Das ist ein Vorteil einer
frühen Ankunft: Die Schlangen vor der Ausgabe KO S T E N
sind noch kürzer. Fazit: ein sehr gut organisier- ab 80 Euro
tes Rennen auf gesperrten Straßen durch die
Emilia Romagna, das bei Sonnenschein noch INFO
mehr Spaß gemacht hätte. www.novecolli.it
Flache Teilstücke in den Rheinauen, kurze giftige
Anstiege in den Weinbergen und längere, aber STRECKE
moderate Kletterpartien im Pfälzer Wald – ★★★
die 124 und 151 Kilometer langen Runden der
VERPFLEGUNG
Deutsch-Französischen Maifahrt hatten für ­jeden
Geschmack etwas zu bieten. Seit 1982 organi- ★★
siert der RSC Wörth bei Karlsruhe am ersten O R G A N I SAT I O N
Maiwochenende die Radtourenfahrt (RTF), die
zur Hälfte auf französischem Boden verläuft. ★★★
Die RTF nutzt überwiegend verkehrsfreie Wege,
nur am Deutschen Weintor in Schweigen–­ KO S T E N
Rechtenbach (Foto) herrscht mehr Betrieb. 7 Euro
Highlight: die sehr gut asphaltierten Sträßchen
im Elsass. Schade, dass sich angesichts frostiger INFO
drei Grad am Morgen nur 134 Fahrer auf die gut www.rsc-woerth.de
beschilderten Strecken wagen. Über Minfeld,
Heimat von Sprinter Pascal Ackermann, geht
es zurück zur Bienwaldhalle, in der man bei
Gulaschsuppe, Wurstbrötchen und Kuchen die
Energiespeicher wieder auffüllen kann.
TOUR-Werkstattleiter Christoph Allwang
RUND UM KÖLN
Kaiserwetter und Hitze bei der 103. Austragung des
Radklassikers Rund um Köln. Als Teil des German
Cycling Cup bietet der Škoda Velodom zwei Strecken
über 67 und 127 Kilometer. Aber nicht die Strecken-
längen stellen die Herausforderungen dar, sondern
die vielen kurzen und teilweise steilen Anstiege. Im
ersten Teil ist die Strecke geändert und gleich nach
20 Kilometern eine Rampe zum Altenberger Dom
eingebaut. Danach reißt das Stakkato aus längeren
Ziehern und steilen Stichen nicht ab, die einem
die Kraft aus den Beinen saugen. Erst wenn die
Kopfsteinpflaster-Passage zum Schloss Bensberg
zum zweiten Mal passiert ist, geht es die letzten
20 Kilometer in voller Fahrt wieder zurück und
damit ­abwärts an den Rhein. Im Zielbereich erwar-
tet die ausgepumpten Fahrer ein echtes Radsport-
fest. Die Straßensperrung ist vorbildlich und das
Büffet im Ziel bietet vom alkoholfreien Bier bis zur
Bratwurst alles, wonach die Finisher lechzen. Eine
gewisse Robustheit bezüglich der Straßenbeläge
sowohl in Köln als auch im Bergischen Land sollte
man mitbringen. Schlaglöcher und lange, tiefe
Spurrinnen lauern in tückischer Größe auf schmale
Rennrad­reifen. Weil man kurz vor den Profis auf der
Renn­strecke fährt, ist die Stimmung an der Strecke
­sagenhaft gut und pusht selbst den kaputtesten
Jedermann über die Kuppen.
STRECKE S TA R TG E L D
★★★ ab 59 Euro
VERPFLEGUNG
INFO
★★★ www.rund-um-koeln.
O R G A N I SAT I O N
com
★★★
8-2019 TOUR 115
 PFÄLZE R WE INL AND

DEUTSCHE WEINSTRASSE

Malerisch führen kleine

Nebenstraßen durch die Weinberge
S C M U C K E A LT S TA DT ( U N T E N )

Städte wie Freinsheim bezeugen den

Wohlstand der Weinregion

116 TOUR 8-2019

WEINSELIG Durchs schattige Grün des Pfälzer Waldes? Durch die sonnenbeschienenen
Felder der Deutschen Weinstraße? Wer im Pfälzer Weinland aufs Rad steigt, hat
die Qual der Wahl – und muss einer Verlockung widerstehen
E
TEXT Endlich: Schatten! Eben brannte sie noch über uns, die
Joscha Weber heiße Spätsommersonne, ließ den Schweiß unaufhörlich
fließen und das Wasser aus der Flasche fast ebenso regel-
F OTO S mäßig in den Mund. Nun ist sie versteckt hinter nahezu
René Müller blickdichtem Grün, das ein Himmel aus Ästen über uns
spannt. Die schmale Straße darunter steigt stetig an, schon
seit Kilometern. Nirgends ein freier Blick, weder nach
oben, noch zur Seite. Um uns: nur Grün und Ruhe.
Die Fahrt hinauf auf die 672 Meter hohe Kalmit – nach
dem Donnersberg der zweithöchste Gipfel der Pfalz – ist
auf eine besondere Weise spektakulär. Die nackten Zahlen
(zehn Kilometer mit rund vier Prozent durchschnittlicher
Steigung) sind es nicht, die nicht vorhandene Aussicht
ebenso wenig. Wohl aber der dichte, grüne Tunnel, durch
den man hinauffährt: schattig, still, schön. Rund eine ­halbe
Stunde braucht man von der Westseite bis zum Parkplatz
am Fuße des Gipfels, das letzte Stück hinauf ist nicht as-
phaltiert. „Hierhin ziehen wir uns zurück, wenn die Tou-
risten kommen“, sagt unser Begleiter Hartmuth Hager.
„Zur Weinsaison sind alle im Tal, dann haben wir Radler
hier oben unsere Ruhe.“ Der Präsident des Teams Pfälzer
Land – drahtig, ruhig, zuvorkommend – weiß, wovon er
spricht: Seit 1988 fährt er hier Rad, und als ehemaliger
Forst­amtsleiter kennt der 70-Jährige den Pfälzer Wald
­genau. Er schätzt ihn als perfektes Trainingsrevier, und
doch verrät sein gebräunte Haut, dass er nicht die ganze
Zeit hier oben im Schatten des Waldes unterwegs ist.
An seinem Hinterrad rauschen wir zurück ins sonnige Tal.
In Maikammer endet die rasante Fahrt inmitten von
­adrett restaurierten Fachwerkhäusern, kleinen Weinwirt-
schaften und einem Ortskern aus dem 16. Jahrhundert mit
jeder Menge Laufkundschaft. Im Spätsommer und Herbst
tummeln sich an einer der ältesten touristischen Straßen
Deutschlands, der Deutschen Weinstraße, durstige Besu-
cher zahlloser Weinfeste, Senioren auf Kur, Familien im
Kurzurlaub und auch Rennradfahrer. In der
Ebene der Weinstraße rollt es gut. Zwischen
den sich herbstlich einfärbenden Weinreben
verlaufen größere und kleinere Straßen, meist
flach, manche steigen auch mal an, nie lange
und in der Regel auch nicht allzu steil.
Doch in dieser lieblichen Landschaft lauert
ein unerwartetes Hindernis: der Wein. In
Muss­bach führt uns Hartmuth auf einen un-
scheinbaren, aber mit Menschen gefüllten
Hinterhof. „Rast!“, ruft unser Guide und
kommt inmitten des Getümmels zum Stehen.
Eine Winzergenossenschaft hat ihre Tore ge-
öffnet, „neuer Wein“ wird ausgeschenkt. Was
sich die Leute in große Gläser oder Kanister
abfüllen lassen, ist aber noch kein Wein, son-
dern gepresster Traubenmost, dessen Gärung
gerade begonnen hat. „Das läuft bei uns unter
Saft“, sagt Hartmuth. Nach einem halben
­Liter davon steigt dieser vorzüglich schme-
ckende „Saft“ schon ganz ordentlich in den
Kopf. „Ab dem zweiten Glas könnte es ein län-
gerer Heimweg werden“, sagt unser Begleiter
und schmunzelt. Also besser jetzt den Ab-
sprung schaffen, bevor es hier noch besser
schmeckt.
Goldenes Abendlicht hat sich inzwischen
über die sanften Hänge der Weinstraße gelegt.
Vorbei an prächtigen Schlössern und Burg­
ruinen, wie dem historisch bedeutsamen
Hambacher Schloss oder der hoch aufragen-
den Wachtenburg, gleiten wir dahin. Die
­Beine kurbeln, alles fühlt sich ganz leicht an.
Clemens Brentano hat dieses weinselige
­Gefühl mal treffend beschrieben: „Wo Reben
sich ranken, mit innigem Trieb, so meine
Gedanken, habt alles hier lieb.“ Bleibt am
­
­Ende dieser Tour nur eine Frage offen: Wo ist
die Pfalz schöner – an der Weinstraße oder
im Pfälzer Wald? Das wäre noch zu klären –
nach der Radtour, bei ein paar Gläsern von
dem, was sie hier Saft nennen.
8-2019 TOUR 117

ANREISE
BAHN
Bad Dürkheim hat einen
Bahnhof, der allerdings von
vielen großen Städten nicht
direkt angefahren wird; meist
muss man in Mannheim oder
Neustadt an der Weinstraße
umsteigen. Von Stuttgart
und Frankfurt am Main aus
sind es rund anderthalb
­Stunden bis Bad Dürkheim,
von Köln zweieinhalb.
AU TO
Von Frankfurt am Main braucht
man gut eineinhalb Stunden,
je nach Verkehrslage.
Die Strecke führt über A 67,
A 6 und A 650 direkt bis nach
Bad Dürk­heim. Von Stuttgart
fährt man über die A 8 nach
Karlsruhe, von dort über die
A 65 und B 271 nach Norden;
die Fahrt dauert dann knapp
zwei Stunden.
PREISNIVEAU
Mittel, in der Weinsaison auch
höher aufgrund der erhöhten
Nachfrage nach Übernachtun-
gen während der Weinfeste.
118 TOUR 8-2019
SEHENS-
WERTES
BAD DÜRKHEIM
Weinfest
Wie heißt das größte Weinfest der
Welt? Wurstmarkt! Darauf muss
man erst einmal kommen. Acht
Tage lang feiert Bad Dürkheim im
September sich selbst, die Wurst
und den Wein. Längst dominieren
dabei aber große Fahrgeschäfte
und alles, was eine Kirmes
so ­bietet. Ein Entkommen ist zu
dieser Jahreszeit zwecklos, also
einfach hingehen und in die bunte
Welt eintauchen.
WAC H T E N H E I M
Wachtenburg
Von der im 12. Jahrhundert ent-
standenen Burgruine hat man
einen guten Blick aufs Rheintal.
Infos unter www.wachenheim.de/
wachtenburg.html
N E U S TA DT A N D E R
WEINSTRASSE
Hambacher Schloss
Am 27. Mai 1832 feierten Tausende
Bürgerinnen und Bürger aus allen
Teilen Deutschlands am Hambacher
Schloss das „Hambacher Fest“.
Diese Demonstration für die Frei-
heit und Einheit Deutschlands gilt
als Meilenstein auf dem Weg zur
Einheit Deutschlands. Das Schloss
ist täglich geöffnet. Infos unter
www.hambacherschloss.eu
INFORMATIONEN
ESSEN &
TRINKEN
Wofür fährt man im
Herbst ins Pfälzer Wein-
land? Die Antwort fällt
nicht schwer: In nahezu
jedem Dorf wird ein Wein-
fest gefeiert und das mit 113 Zimmern in zentraler Lage direkt am
­Ergebnis der aktuellen
Lese serviert. Nach einem
langen Tag im Sattel tun
ein, zwei Gläschen be-
stimmt nicht weh – man ist reichhaltig. Doppelzimmer mit Frühstück
sollte allerdings für die
richtige Grundlage sorgen,
zum Beispiel mit frischem
Wild aus dem Pfälzerwald,
nebst Sauerkraut und
Dampfnudeln mit Salz-
kruste. Besonders deftig
ist das bekannteste
­Gericht der Region, der
Pfälzer Saumagen:
Schweinemagen, befüllt
mit magerem Schweine-
fleisch, Bratwurstbrät,
Kartoffeln, Zwiebeln sowie
Gewürzen wie Majoran
oder Muskat. Danach
­sollte man erst am nächs-
ten Tag wieder aufs Rad.
Wer leichtere Küche
­bevorzugt, wird sicher mit
kross gebackenem
Flammkuchen glücklich.
Geleitschutz: der TOUR-Autor (erster Kopf von links) mit dem Team Pfälzer Land
TO U R 2
Kurze Pause im
Weinberg mit Blick
übers Rheintal
UNTERKUNFT
BAD DÜRKHEIM
Kurpark-Hotel Bad Dürkheim
Schlossplatz 1
Telefon 06322/7970
www.kurpark-hotel.de
4-Sterne-Hotel (Bett+Bike gelistet)
Kurpark. Großer Spa-Bereich mit Saunen,
Pool und Fitnessraum, dazu werden
Massagen angeboten. Die Zimmer sind
großzügig geschnitten, und das Frühstück
ab 159 Euro.
Hotel Weingarten
Triftweg 11a-13
Telefon 06322/94010
www.hotelweingarten.de
Familiär geführtes Garni-Hotel (ebenfalls
Bett+Bike gelistet) mit Sauna. Doppel­
zimmer mit Frühstück ab etwa 120 Euro.
RADSERVICE
BAD DÜRKHEIM
Zweirad Tempel 
Leiningerstraße 5
Telefon 06322/2267
www.der-fahrrad-tempel.de
REISEZEIT
Mai bis Oktober
INFOS
TO U R I S T I N F O R M AT I O N
BAD DÜRKHEIM
Kurbrunnenstraße 14
Telefon 06322/935140
www.bad-duerkheim.de
Mo bis Fr 9 bis 18 Uhr,
Sa, So, feiertags 9:30 bis 15 Uhr
(außer im Januar)
INTERNET
www.
tourenplaner-rheinland-pfalz.de
Der Fahrrad-Routenplaner des
Landes Rheinland-Pfalz hilft bei
der Planung.
KARTEN
ADFC-Regionalkarte „Pfalz“,
1:75.000, BVA-Bike-Media;
8,95 Euro.
Radwander- und Freizeitkarte
„Deutsche Weinstraße“,
1:40.000, Pietruska Verlag 2012;
6,90 Euro.
Höhenprofile: anner Grafik
 ROUTEN

■ TOUR 1 ■ TOUR 2

H et n 70 m )

Bad Dürkheim
Fre i d t e i m
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DURCH DIE WEINBERGE K A L M I T- R U N D E

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Ein Auf und Ab durch die malerische Weinland- 600

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schaft der Pfalz. Ein bisschen Pfälzerwald, ein

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68 Kilometer

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paar Weinberge, ein bisschen flache Weinstraße

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0 km 20 40 60 80
und fertig ist diese schöne Genießertour. Kurz 1.040 Höhenmeter
600
vor dem Ende lohnt ein Ab­stecher ins beschau- 93 Kilometer max. 17 % Steigunng 400
liche Freinsheim und seine gemütlichen Wirt- 1.150 Höhenmeter 200
0m
schaften. max. 12 % Steigung 0 km 20 40 60

K M ORT | RICHTUNG
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen: Die Tour in den Süden der Region beginnt mit
einem wunderschönen und langen Aufstieg auf den 672 Meter hohen Kalmit. Der
0,0 Start  Bad Dürkheim, Schlossplatz | zur B 37, dort rechts, an Kreisel (Km 0,6) links: Blick vom höchsten Berg des Pfälzerwalds ist allerdings keine Belohnung, da man
Leistadt im dichten Wald kaum etwas sieht. Stattdessen wartet das Vergnügen unten im
3,4 links  Leistadt, Kreisverkehr | Höningen, an Einmündung nach Abfahrt (Km 19,6) links, Tal: Eine Weinprobe am Ende der Tour lädt zum Verweilen ein – man sollte nur
nach 750 m rechts: Wattenheim; dort nicht in den Ort, an Landstraße rechts nach irgendwann noch den Absprung schaffen. Zum Beispiel, um noch einen Abstecher
Hettenleidelheim zum Hambacher Schloss einzubauen.
26,3 links Hettenleidelheim, Abzweig | Ramsen
31,4 rechts Ramsen, Abzweig | Stauf, bei Km 35,7 links: Kerzenheim K M ORT | RICHTUNG

37,6 links Abzweig vor Kerzenheim | via Rosenthal (Zisterzienserabtei) nach Göllheim
45,7 rechts Göllheim, Einmündung | zweimal rechts: nach 150 und 600 m; nächste links:
via Lautersheim nach Biedesheim und Harxheim (Zellertal)
56,9 links Harxheim, Einmündung B 47 | auch die nächste links: Zell
58,2 rechts Zell, Einmündung | vor Flörsheim-Dalsheim rechts (B 271), bei Km 65,1 links,
hinter Monsheim rechts (Km 67,0) nach Offstein
70,6 rechts Offstein, Einmündung Ortsrand | via Obrigheim nach Grünstadt
78,6 links Grünstadt, Einmündung hinter Kreisel | Kirchheim an der Weinstraße,
dahinter (Km 83,4) links via Freinsheim zurück
92,9 Ziel Bad Dürkheim, Schlossplatz
DEUTSCHLAND Harxheim
Monsheim
Biedesheim Offstein
0,0 Start  Bad Dürkheim, Schlossplatz | über Stadtplatz nach Süden, in
Wachenheim (km 2,5) rechts: Kalmit
23,5 links  Breitenstein | Kalmit, dort bis zu einem Parkplatz nahe des Gipfels
35,5 wenden Kalmit | ins Tal der Weinstraße nach Maikaimmer
43,4 links Maikammer, Einmündung an Kirche | bald wieder links: Neustadt
an der Weinstraße
49,6 rechts N eustadt an der Weinstraße, Einmündung hinter Bahnüber­
führung | nach 250 m links, an B 38 (Km 50,3) rechts: Mußbach
53,2 links Mußbach, Einmündung | nach 250 m links: Gimmeldingen
55,2 rechts Gimmeldingen, Einmündung | nach 250 m links: Königsbach
56,2 links Königsbach, Abzweig | nach 400 m rechts, dann rechts:
via ­Deidesheim zurück
67,7 Ziel Bad Dürkheim, Schlossplatz
Lesebeispiel
26,3 links Hettenleidelheim, Abzweig | Ramsen = bei Kilometer 26,3 an einem Abzweig
Worms in Hettenleidelheim links abbiegen Richtung Ramsen

Göllheim
GPS-Daten
Hamburg
Grünstadt Touren-Daten zumkostenlosen Download
POLEN

NL
Hetten- Berlin
Ramsen leidelheim (GPX-Format) unter
DEUTSCH-
LAND WWW.TOUR-MAGAZIN.DE
CZ
Freinsheim
FR München
in der Rubrik „Touren“ Webcode #47505
Enkenbach- Höningen
Alsenborn AT
Start Tour 1 2
ANT
470 UR -
Linde- Bad Dürkheim
R E S TA

TI

manns-
PPS

Frankenstein ruhe Wachenheim

an der Weinstraße
TO U R 1 TO U R 2
Pfälzerwald Königs- Deidesheim
bach
Lambrecht
FREINSHEIM (bei Km 86,8 MAIKAMMER (Km 42,4)
Mußbach
rechts ins Zentrum) Gasthaus Zur Kalmit
Erfenstein Haßloch
Breitenstein Lounge 0815 extrem gut Mühlstraße 2
Neustadt
an der Weinstraße Burgstraße 4 Telefon 06321/5054
Telefon 06353/507485 „Nur selbstgejagtes Wild“,
672
Kalmit www.0815extremgut.de eher für den großen Hunger.
Maikammer
10 km Knusprige Flammkuchen
in uriger Atmosphäre.

8-2019 TOUR 119

NORDSPANIEN – ASTURIEN

TEUFLISCH STEIL,
HIMMLISCH SCHÖN
Wilde Berge, grüne Küste: Asturien ist Nordspaniens rauer,
ursprünglicher Landstrich. Die schroffe Gebirgsregion am
Atlantik verbirgt einige der steilsten Bergankünfte Spaniens

120 TOUR 8-2019

 GROSSE BÜHNE

Das schmale Sträßchen, das vom Bergdorf

Sotres zum Escarandi-­Pass führt, war 2015
Schauplatz einer Etappe der Vuelta a España

8-2019 TOUR 121

 T E X T & F OTO S

Patrick Kunkel

S
Schroffe Kalksteinberge, dahinter der Atlan­
tik. Die Aussicht wäre grandios – wenn ich sie
denn sehen könnte. Nebel umhüllt mich,
Sichtweite: keine zehn Meter. Wassertropfen
kondensieren an den Härchen auf meinen
Armen. Ein Schattenriss taucht auf, eine Kuh,
mitten auf der Straße. Quälend langsam
wuchte ich das Rad an ihr vorbei. Noch eine
Kurbelumdrehung. Noch eine. Der Nebel
schluckt jedes Geräusch. Ich bin allein mit
dem hämmernden Herzschlag, mit den bren­
nenden Oberschenkeln, dem Rauschen des
Blutes in den Ohren. Allein mit dem Angliru,
einem der härtesten Anstiege im Radsport.
Anfangs hatten wir noch gescherzt, Guille,
mein asturischer Begleiter, und ich. Doch
selbst dem federleichten Schlaks, der am Vor­
mittag noch leichtfüßig wie eine Bergziege
die rampengespickten Straßen der Pass­höhen
­A lto de la Cobertoria und El Cordal hinauf­
tänzelte, sind die Worte längst vergangen.
Dafür stehen verblasste spanische Worte auf
dem Asphalt: „Empieza el infierno“ – die Hölle
beginnt. Mit Hölle ist „La Cueña les Cabres“
gemeint, das berüchtigte, knapp 500 Meter
lange Stück Rampe, das ich jetzt ganz für mich
alleine habe. „Eine Wand“, hatte Guille ange­
kündigt, der im Dunst davonzog. Bei jedem
Tritt droht das Vorderrad vom Asphalt abzu­
heben, während ich das schlingernde Rad im
Schritttempo und in Schlangenlinien über den
Asphalt wuchte.
„Wenn man zu Fuß schneller ist, dann ist das
eigentlich kein Radsport mehr“, hatte uns der
asturische Exprofi José Luis Rubiera, genannt
Chechu, mit auf den Weg gegeben, den wir
­eine halbe Stunde zuvor im Dorf Riosa am
­Fuße des Alto de l’Angliru trafen. Der einstige
Edelhelfer von Lance Armstrong kennt den
Anstieg bestens, viermal hat er ihn als Profi
bei der Vuelta a España erklommen. Heute ist
Chechu ein paar Serpentinen tiefer gerade
­damit beschäftigt, eine Gruppe australischer
und US-amerikanischer Rennradtouristen den
Olymp des Radsports, wie die Einheimischen
den Angliru getauft haben, hinauf­zubegleiten.
Klingt auch besser als etwa Abschuss­rampe
für Rennradfreaks oder Rüttel­piste mit Kuh­
slalom – und passt obendrein zu den Wolken,
die den Gipfel meist verhüllen.
Oben finde ich Guillermo im Nebel wieder.
„Kalt“, raunt der Spanier nur. Die Abfahrt ge­
rät zur Nervenprobe, denn mit den nassen,
klammen Fingern lassen sich die Bremshebel

122 TOUR 8-2019


nur schwer halten. Als wir aus der Nebel­
schicht hervorschießen, ändert sich die Szene­
rie schlagartig: weite Blicke über grüne Hügel,
in der Ferne die Häuser Oviedos, der Haupt­
stadt von Asturien, dahinter, wie ein blaues
Band, das Meer. Guillermo grinst: „Jedes Mal,
wenn ich diesen Blick genieße, denke ich mir,
ich sei im Paradies für Rennradfahrer.“
Dass wir wirklich im Rennradhimmel gelan­
det sind, erschließt sich mir am nächsten
Morgen: Schillernde Farbspiele am Himmel,
tiefgrüne Weiden, Berge und Klippen, die ins
Meer tauchen. Dazwischen schlängelt sich
ein Traum von Straße – ohne Verkehr. Die
Landschaft erinnert eher an Irland denn an
Spanien. Die Berghänge sind selbst im Hoch­
sommer von einem grünen Pelz überzogen,
das Meer ist hier wilder und das Wetter unbe­
rechenbarer als im trockenen, heißen Süden
des Landes. Und anstatt weiß-getünchter
Dörfer wie in Andalusien kleben Naturstein­
häuser mit Fachwerk an grünen Hängen.
Selbst die Livemusik, die abends in einer
knallvollen Dorfbar erklingt, hört sich kel­
tisch an, was wohl hauptsächlich am Dudel­
sack liegt, der hier „Gaita“ genannt wird.
Am nächsten Tag, wir haben den Standort gut
hundert Kilometer nach Osten in die Nähe
der Küste verschoben, machen wir uns früh
auf den Weg Richtung Sotres, dem höchst­
gelegenen Dorf Asturiens. „Lass uns langsam
machen“, rät Guille, als ich in der morgend­
lichen Kühle lospresche. Callejas heißen
die schmalen Sträßchen zwischen den Berg­
flanken, auf die kaum ein Auto passt, auf
As­
­ t urisch. Und schon windet sich unsere
­Calleja in Kehren durch die Vorberge der bis
zu 2.648 Meter hohen Picos de Europa. Der
erste Pass des Tages hört auf den Namen Alto
de la Tornería und ist unscheinbare 471 Meter
hoch. Aber vom Start weg blinken nach nur
GRÜNE BERGE
Am Kantabrischen Gebirge
staut sich oft feuchte
­Atlantikluft – ob in den
Vorbergen der Picos de
Europa (Foto links und
rechts oben) oder südlich
von Oviedo, wo Nebel
den Alto de l’Angliru
(Foto oben) verhüllt
zehn Kilometern schon 500 Höhenmeter auf dem Tacho.
Und auch die Sonne heizt, untypisch für Asturien, kräftig
ein. El orbayu, so nennen die Asturier jenen feinen Niesel­
regen, der sich manchmal einen halben Tag auf alles legt,
selbst im Sommer. Die feine Dauerberieslung störe jedoch
kaum, meint Guille, im Gegenteil, sie mache Radfahren
angenehm. Dank des milden Klimas sei er das ganze Jahr
über mit dem Rennrad zwischen Küste und Bergen unter­
wegs, ein bisschen Regen sei ihm allemal lieber als die
­brütende Hitze im Süden Spaniens. Es hieße ja nicht um­
sonst Costa Verde, grüne Küste, sagt er, als wir von einer
langgezogenen Serpentine aus übers Meer blicken. Aber
manchmal sei es auch wochenlang trocken. So wie jetzt.
Von der Küste führt mich Guille durch die tief eingeschnit­
tenen Flusstäler des Casaño und des Río Cares mitten hin­
ein ins Herz einer spektakulären Bergwelt. Immer enger
rücken Kalksteinwände an die Straße heran, die sich nahe­
zu vertikal mehrere hundert Meter in die Höhe recken.
Sotres liegt knapp über tausend Meter hoch, eingebettet
zwischen zackigen Gipfeln, die den Ort nochmals weit
überragen. Der zwanzig Kilometer lange Anstieg von Las
Arenas de Cabrales fährt uns mit fast 1.100 Höhenmetern
direkt in die geplagten Oberschenkel, mit jedem Meter
wird die Bergwelt um uns herum wilder, als wir schon weit
oben durch ein langgezogenes Hochtal kommen.
8-2019 TOUR 123
 I M K L E T T E R PA R A D I E S
Viele Straßen, wie die zum Bergdorf Llanuces
(Foto unten, Tour 1), werden selten besucht.
Ganz anders der berühmte Vuelta-Anstieg
zu den Lagos de Covadonga (Foto rechts)
Der höchste Punkt unserer Tour liegt oberhalb von Sotres:
Der Jitu de Escarandi, 1.310 Meter hoch, ist eine einsame
Passhöhe. 2015 war dieser abgelegene Punkt Etappenziel
der Vuelta, erklärt Guille: „Viele sagen, die Straße sei eine
der schönsten Rennradstrecken hier im Norden.“
Asturien gilt nicht ohne Grund als die Schweiz Spaniens.
Die Picos de Europa sind Teil des Kantabrischen Gebirges,
das sich von den Pyrenäen bis weit in den Westen zieht und
das spanische Inland vom rauen Klima des Atlantiks
abschirmt. In Asturien erheben sich knapp 250 Zwei­
­ muss hier noch mehr Trubel gewesen sein.
tausender, 40 Spitzen sind höher als 2.500 Meter. Die Picos
de Europa gelten noch heute als ­eine von Spaniens wildes­
ten Naturlandschaften, in der Bären leben und Wölfe,
Gänsegeier und Adler.
Abends kehren wir in einer Dorfbar ein. Während man
direkt an der Küste reichlich Fisch und Meeresfrüchte
­serviert bekommt, steht im Landesinneren eher Deftiges
auf der Karte. Der Wirt setzt uns einen großen Topf damp­
fender, wohlriechender Fabada vor, einen kräftigen Boh­
neneintopf mit Speck und Wurst; dazu gießt er Apfelwein
aus der Flasche kunstvoll über seinen Kopf ein. Erst durch
den langen Kontakt mit der Luft könne der Sidra sein
­Aroma und seine Farbe entfalten, erklärt der Mann. Wir
kosten das herbe Gebräu – aber nicht zu viel, mahnt G
­ uille!
Denn am nächsten Morgen stehe eine weitere Berg­ankunft
auf dem Plan: zu den in den Picos de Europa gelegenen
Covadonga-Bergseen, Etappenziel der Vuelta a España.
Die berühmten Lagos de Covadonga liegen „nur“ auf
1.130 Metern Höhe. Da wir aber knapp über Meeresniveau
starten, ist der Anstieg beachtlich. Hinter dem Dörfchen
Sotu Cangues geht es einige Kilometer nahezu flach entlang
des Flusses Covadonga. Der gleichnamige Ort ein paar
­Kilometer weiter talaufwärts gilt dagegen als spanisches
Nationalheiligtum, entsprechend viel Rummel herrscht
auch auf den Straßen dorthin. Im Jahr 722 hatte sich der
westgotisch-asturische Fürst Pelayo im unwirtlichen Ge­
birge dem Vordringen der Mauren entgegengestemmt und
124 TOUR 8-2019
diese in der „Schlacht von Covadonga“ besiegt;
sie gilt heute als Auftakt der Reconquista, also
der Rückeroberung der gesamten Iberischen
Halbinsel durch die Christen. Im Laufe der
Zeit wurde Covadonga zum bedeutendsten
Wallfahrtsort in Spanien.
Als wir den Ort erreichen, verstopft eine Auto­
kolonne die Zufahrt zur Kathedrale. Gestern,
als die Bergseen Etappenziel der Vuelta ­waren,
Direkt nach dem überlaufenen Heiligtum
­
Eine Rampe ­endet der Trubel schlagartig. Die früher viel­
befahrene Bergstraße ist seit einigen Jahren
erreicht 21 Prozent für den Autoverkehr gesperrt, Pendelbusse
Steigung – heftig, bringen das Publikum zu den beiden Glet­
scherseen Lago de Enol und Lago de la Ercina.
aber fast schon Im unteren Teil ist der Anstieg moderat und
angenehm im Ver- führt durch Bergwald. Steil und in unzähligen
Windungen klettert die Straße das Massiv
gleich zum Angliru ­hinauf, alle zehn Minuten überholt uns ein
zwei Tage zuvor Bus, ansonsten fahren wir sorglos in der Mitte
der Fahrbahn. Bereits auf einer Höhe von
450 Metern schält sich die Straße aus dem
lichten Mischwald hinaus und gibt großartige
Blicke über die schroffen Kalksteinberge frei.
Kühe grasen auf den von bleichen Felsen
durchsetzten Almwiesen. Eine Rampe er­
reicht 21 Prozent Steigung – heftig, aber fast
schon angenehm im Vergleich zum Angliru
zwei Tage zuvor. Auf der Straße prangen noch
die weißen Lettern, die Vuelta-Fans gestern
auf den Asphalt gepinselt haben. Guille tritt
mal wieder an, ausgerechnet an einer Stelle,
an der Asturiens Tourismusgesellschaft ihren
Leitspruch auf dem Asphalt hinterlassen
hat: „Vuelve al Paraiso.“ „Komm zurück ins
Paradies“, steht da. Wir sind schon unterwegs.

ANREISE
FLUG
Der Flughafen Asturias bei
Aviles wird täglich mehrmals
von spanischen Fluggesell­
schaften wie Iberia ange­
flogen, aus Deutschland ist er
nur mit Zwischenstopp in
Madrid erreichbar. Preise ab
circa 260 Euro. Direktverbin­
dungen (mit Radtransport)
nach Bilbao bietet Lufthansa
an, ab dort sind es 290 Kilo­
meter per Mietwagen.
AU TO
Anreise von Frankfurt am
Main über Frankreich (A 89,
Clermont-Ferrand, Bordeaux)
und dann auf der gut aus­
gebauten Küstenautobahn A 8
(Bilbao, Santander, Gijon) –
rund 1.800 Kilometer. Tipp: Mit
Hüttenwanderung in den Picos
de Europa, Surfurlaub in
Bilbao oder den Rennradreisen
„Baskenland“ (TOUR 9/2014)
oder „Rioja“ (TOUR 10/2016)
kombinieren, dann lohnt sich
die lange Anfahrt.
BESTE
REISEZEIT
Das Klima an der nordspani­
schen Küste ist ganzjährig
mild, selbst im Hochsommer
steigen die Temperaturen sel­
ten über 30 Grad. Aber nicht
umsonst heißt das Gebiet
„Costa Verde“, grüne Küste:
Die Niederschlagsmengen sind
höher als im Rest des Landes,
man kann zwar im Sommer
auch viele regenfreie Tage
erleben, dennoch gehört
­Regenausrüstung ins Gepäck.
Radfahren ist das ganze Jahr
über möglich, außer in den
Höhenlagen, am besten
­bereist man Asturien aber
zwischen Anfang Mai und
­Mitte September.
INFORMATIONEN
ESSEN & TRINKEN UNTERKUNFT SPRACHE
Das reichhaltige Angebot an Speisefischen (pescados) L A S C A L DA S Neben dem kastilischen Hoch­
und Meeresfrüchten (mariscos) in den gesamten Nordprovinzen Las Caldas Enclave Hotel spanisch, dem Castellano, spricht
beeindruckt: Mejillones (Miesmuscheln), Pulpo (Krake), Las Caldas, s/n man in Asturien eine eigene
Bonito del Norte (Weißer Thunfisch), Calamar en su tinta Telefon 0034/985798787 ­Landessprache. Das Asturische gilt
(in der eigenen Tinte) oder Percebes (Entenmuscheln) www.lascaldasvillatermal.com als eine der fünf romanischen
sind typische Spezialitäten der nord­spanischen Küche, die Edles, auf Radler eingerichtetes Hotel mit Sprachen der Iberischen Halbinsel
man sich nicht entgehen lassen sollte. Radservice und -verleih, Wäscheservice, und ist dem kastilischen Spanisch
Zudem findet man auf den Speisekarten in Asturien deftige Guides, GPS-Tracks und mehr. Mitten in den sehr ähnlich. Spanischkenntnisse
Eintopfgerichte, etwa die berühmte Fabada mit Speck, Paprika­ grünen Hügeln bei Oviedo gelegen, mit sind in jedem Fall von Vorteil, vor
wurst (Chorizo), Blutwurst (Morcilla) und weißen Bohnen. Therme, Wellness und üppigem Frühstück. allem auf dem Land. Inzwischen
­Traditionell gibt es dazu Sidra, also herben Apfelwein, der über Abendessen im sehr guten Hotelrestaurant kommt man aber mit Englisch
den Kopf hinweg ins Glas geschüttet wird – kann nicht jeder. Viator, etwas höheres Preisniveau. auch dort leidlich zurecht.
Ganz wichtig: Der kräftige Cabrales-Käse, ein weltberühmter Doppelzimmer mit Frühstück ab 125 Euro.
Blauschimmelkäse, der seinen Namen der asturischen Berg­
gemeinde verdankt, wird aus Kuh-, Ziegen- und Schafsrohmilch
LLANES
RADSERVICE
hergestellt und reift monatelang in den Höhlen der Picos de Hotel Rural Porrúa
­Europa. Den scharfen Geschmack mildert man gerne mit Quitten­ Porrúa s/n LLANES
paste (Carne de Membrillo) ab. Abendessen gibt es – typisch Telefon 0034/626006908 Metasportbike
nordspanisch – frühestens ab neun Uhr, in vielen Restaurants der www.hotelporrua.com Calle Cueto Bajo, 13
Touristenorte ist die Küche meist auch früher offen. Ruhiges Landhotel, sichere Abstell­ Telefon 0034/985403613
möglichkeit für die Räder, kein Abendessen www.metasportbike.com
RESTAU R ANTIPPS im Hotel, dafür gibt es vor Ort ländliche Reparatur und Radverleih.
LLANES asturianische Küche in der 200 Meter
Casa Del Mar entfernten „Sidreria la Pena’l Cura“. L A S C A L DA S
Calle del Mar, s/n, Telefon 0034/651386683 Doppelzimmer mit Frühstück ab 70 Euro. Werkstatt und Verleih,
Ein einfaches, meist knallvolles Fischrestaurant, schön am Hafen siehe Unterkunft.
gelegen, mit großer Auswahl an frischen Fischen und Meeres­
früchten und sehr aufmerksamen und freundlichen Kellnern.
TIPP Percebes, Entenmuscheln, werden von wellenumtosten INFO
Felsen geerntet und schmecken wie die Essenz des Meeres.
Tourismus Asturien
Telefon 0034/984493563
www.turismoasturias.es
(auf deutsch)
LITERATUR &
KARTEN
REISEFÜHRER
„Nordspanien“, Michael Müller
Verlag 2017; 24,90 Euro. Profund
recherchierter Führer mit
­Abschnitten über Asturien.
K ARTE
Michelin regional (572):
„Asturien, Kantabrien“, 1:250.000,
Vertrieb Gräfe und Unzer 2018;
9 Euro
Kurz hinter der Atlantikküste klettert ein Sträßchen durch die Vorberge der Picos de Europa (Touren 3 und 4)
8-2019 TOUR 125
 ORIENTIERUNG

Avilés Golf von Biskaya

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Gijón

173

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C a s g a 1 57 0 m
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Alto de Len ertori

Las Caldas
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Posada
Collado Puente Porrúa 1500
de Igena Nuevo 1250
Pola de Siero 463
1000
750
Start Tour 1 2 Oviedo Meré
471
Cortines Alto de la 500
Soto de Cangas Tornería
Langreo 250
Las Caldas Ortiguero 0m
Soto Ribera Benia
Covadonga de Onís Arenas de 0 km 20 40 60 80 100
El Entrego Cabrales
Villanueva SPANIEN
Castan- 1130 Tielve
diello
Mieres
Laviana Lagos de
Alto de
Angliru La Vega
Covadonga
Sotres
1310
■ TOUR 1
1570 797 Ujo Jitu de Escarandi
Cortina Alto del Puerto de la Colladona STEIL , STEILER, ANGLIRU
Cordal Escobio 844
Pola de Cabañaquinta
Santa
Marina 1173
Lena Kantabrisches G ebirge 112 Kilometer
1194
Alto de la Alto de
Cobertoria Cotobello 25 km 3.900 Höhenmeter
max. 24 % Steigung

Der spanische Norden wird oft auch als España Verde bezeichnet, „das grüne Der 1.570 Meter hohe Angliru hat den zweifel-
Spanien“. Von der spanisch-französischen Grenze zieht sich die zerklüftete haften Ruf, der härteste Anstieg Spaniens zu
sein. Er ist aber noch übler, wenn man mit dem
­Gebirgskette der Kantabrischen Kordilleren durch das Baskenland, Kantabrien
Alto de la Cobertoria und Alto del Cordal bereits
und Asturien bis nach Galicien und bildet eine Klimascheide: Der Atlantik zwei respektable Pässe in den Beinen hat. Kurz
sorgt für milde Winter und Sommer, seine feuchte Luft bringt ausgiebige Nie-
SPANIEN vor Ende der Vuelta-Ankunft kriechen selbst
derschläge, in denen eine üppige Vegetation gedeiht. Ein Drittel Asturiens Profis nur im Schritttempo über die infernali-
steht unter Naturschutz. In den Bergen leben Wildtierarten wie der Kantabri- schen Rampen. Wer danach noch etwas anderes
Bordeaux sche Braunbär oder der Wolf. in den Oberschenkeln hat als Pudding, nimmt
FR auf dem Rückweg die ruhige Traumstraße zwi-
Asturien bildet eine von 17 spanischen autonomen Gemeinschaften, Haupt-
schen Riosa und Campo. Sonst lieber auf der
PT Madrid stadt ist Oviedo, die größte Stadt aber Gijon (272.000 Einwohner) an der Küste.
Nationalstraße N-630 bis Soto de Ribera nach
SPANIEN Landwirtschaft spielt eine große Rolle, vor allem die Milchviehhaltung. Der Las Caldas zurückfahren.
früher wichtige Kohle- und Erzbergbau nimmt seit den 1990er Jahren konti-
nuierlich ab, immer mehr Betriebe der Schwerindustrie müssen schließen. KM ORT | RICHTUNG

Vom ersten Standort im bergigen Hinterland Ovideos erkunden wir niedriger

gelegene Anstiege rund um das einstige Kohlerevier Asturiens, ehe mit dem 0,0 Start  Las Caldas, Kreisverkehr | Wes-
Angliru einer der steilsten Ansteige Spaniens auf dem Programm steht, der ten, dann: Soto de Ribera. In La
Arquera (Km 2,9) rechts: Lavares
auch regelmäßig von der Vuelta a España angesteuert wird. Als zweiten
11,6 links  Las Xanas, Einmündung | Puerto
Standort wählten wir das Dorf Purrúa in Küstennähe bei Llanes. Von dort aus Ventana, bei Km 19,8: Pola de
lassen sich die kurvenreichen Strecken auf den Klippen erkunden, dazu die Lena (AS-229), dort bergab bis
Passhöhen in den angrenzenden Picos de Europa, die Vuelta-Ankunft bei den Einmündung (Autobahnschild),
Lagos de Covadonga und die spektakuläre Passstraße hinauf nach Sotres, in nach 280 m links (schmal!): Calle
Asturiens höchstgelegenes Bergdorf. de Playa, an Kreisel geradeaus
50,8 rechts Pola de Lena, Einmündung
­Ortsausgang | nach 300 m
(in La Barraca) links: Riosa
TOURENCHARAKTER 64,5 links Riosa, Abzweig | Cima de
L’Angliru (Km 77,5), auf gleichem
An der Küste schieben sich Klippen in den Atlantik Weg zurück und weiter auf
mit einsamen Buchten und Sandstränden (Foto AS-231: Oviedo
rechts: der Strand von Ballota bei Llanes), direkt 94,4 links Abzweig | Santa Eulalia
dahinter ragen die waldreichen, tief eingeschnitte- (MO-3 und MO-1)
nen Kantabrischen Kordilleren auf, die in den Spitzen 98,8 links Kreisel | El Campo, dort (Km
der Picos de Europa kulminieren. Letztere liegen 105,2) an Einmündung leicht
nicht einmal 20 Kilometer vom Meer entfernt und links, in Linkskurve geradeaus
erreichen 2.648 Meter Höhe (Torre de Cerredo). nach La Mortera
Höhenprofile: anner Grafik

Rennradtouren sind daher abwechslungsreich, aber
auch reich an Höhenmetern und gespickt mit vielen
steilen Rampen. Der mythische Anstieg der Vuelta a
España zu den Lagos de Covadonga etwa führt über
zwölf Kilometer von rund 200 auf 1.110 Meter Höhe.
Ein dichtes Netz von wenig bis mäßig befahrenen Asphaltstraßen erschließt 107,1 rechts Llavares, Einmündung |
die Region, und selbst auf den Hauptstrecken ist das Verkehrsaufkommen er- Oviedo (AS-360), bei Km 109,3
träglich – was aber auch mit der defensiven Fahrweise der Nordspanier zu tun links: Las Caldas (AS-322)
hat: Dort werden Radfahrer auf eine Weise respektiert, die in Europa wohl 112,2 Ziel Las Caldas
einzigartig ist.

126 TOUR 8-2019

 ROUTEN

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Lan iana (844
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Las

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1500 1500 1500
1250 1250 1250
1000 1000 1000
750 750 750
500 500 500
250 250 250
0m 0m 0m
0 km 20 40 60 80 100 120 0 km 20 40 60 80 100 0 km 20 40 60 80 100

■ TOUR 2 ■ TOUR 3 ■ TOUR 4

OV I E D O S H I N T E R L A N D L AG O S D E COVA D O N G A I N S B E R G D O R F S OT R E S

129 Kilometer 116 Kilometer 108 Kilometer

2.300 Höhenmeter
max. 18 % Steigung
Mischung aus Natur und Strecken durch das
einstige Bergbaurevier Asturiens. Schöner
­Höhepunkt ist die zehn Kilometer lange Pass-
straße zum Alto de Cotobello.
KM ORT | RICHTUNG
0,0 Start  Las Caldas, Kreisverkehr | Wes-
ten, dann: Soto de Ribera, dort
(Km 8,0) nicht in den Ort, gera-
deaus über Brücke: Vegalencia
15,0 rechts  El Padrún, Einmündung | Mieres
(AS-242), dort immer geradeaus
27,3 rechts  Abzweig | Moreda, nach 400 m
rechts: Santa Cruz, Kreisel am
Ende von Moreda: Cabañaquinta
39,2 rechts Escobio, Kreisel Ortsende |
Santullana, am nächsten Kreisel
zur Passhöhe Cotobello (Km 50,1),
wenden, zurück nach Escobio
und weiter bergan auf AS-112a
66,0 links Cabañaquinta, Abzweig | La Pola
Llaviana, Km 83,3: Einmündung
2.800 Höhenmeter
max. 16 % Steigung
Schöne Runde zu den Lagos de Covadonga, die
eingebettet zwischen den Picos de Europa auf
1.135 Metern Höhe liegen. Der Weg dorthin über
die Passstraße von Cangas gilt als einer der
schönsten für Rennradler in Nordspanien. Der
Ort Covadonga am Beginn des Anstiegs gilt als
Ausgangspunkt der Reconquista und ist deshalb
spanisches Nationalheiligtum. Der Rummel auf
der Zufahrtsstraße ist enorm, der Anstieg zu
den Gletscherseen Lago de Enol und Lago de la
Ercina glücklicherweise aber seit einigen Jahren
für den Autoverkehr gesperrt, nur Pendelbusse
verkehren im Zehn-Minuten-Takt. Kurz vor dem
Mirador de la Reina erreichen die Rampen 21 Pro­
zent. Zusammen mit den kleineren Pässen in
der Sierre de la Cuera zu Beginn und am Schluss
der Tour summieren sich reichlich Höhenmeter.
KM ORT | RICHTUNG
0,0 Start  Porrúa (Hotel Porrúa) | Norden,
nach 1,9 km links: Posada
6,1 links  Posada | Cangas (AS-115)
2.700 Höhenmeter
max. 18 % Steigung
GPS-Daten
Das auf 1.060 m liegende Sotres ist das höchst- Touren-Daten zum
gelegene Dorf Asturiens. Die Straße hinauf kostenlosen Download
zählt, ebenso wie die zu den Covadonga-Seen, (GPX-Format) unter
zu den schönsten Nordspaniens. Unsere Tour ist WWW.TOUR-MAGAZIN.DE
ein Höhenmeterspektakel und führt von der in der Rubrik „Touren“
Küste durch die tief eingeschnittenen Flusstäler Webcode #47547
des Casaño und des Río Cares. Ehe es richtig
ernst wird, sammeln wir bereits zwei kleinere
Pässe mit insgesamt 1.200 Höhenmeter ein. Der
zwanzig Kilometer lange Anstieg nach Sotres
schlägt dann mit 1.100 Höhenmetern zu Buche.
Höchster Punkt der Runde, der oberhalb des
Dorfes liegende Jitu de Escarandi (1.310 m), war
2015 Etappenziel der Vuelta a España. Besonders
die Rampen direkt unterhalb und oberhalb von
Sotres haben es in sich. Der Rückweg erfolgt auf
nahezu gleicher Strecke. Tipp: Eine Erweiterung
durch die Sierra de Cuera und entlang der Küste,
die aber weitere vierzig Kilometer und 600 Hö-
henmeter auf den Tacho bringt, gibt es zum
Download (siehe Webcode).
 
KM ORT | RICHTUNG

nach Brücke über Rio Nalón
scharf links – Radweg „Paséu
fluvial del Nalón“ bis Langreo
99,9 links Einmündung | über den Nalón,
am 1. Kreisel rechts, am
2. wenden: Lada, nächste rechts
nach Meriñan (AS-117a)
103,1 gerade Kreisverkehr (2. Ausfahrt) |
abfahren zum Kreisel: Riaño.
Hinter Autobahn (Km 104,3)
links, bald weiter auf AS-116
105,5 rechts Abzweig | Frieres (AS-354), bei
Km 115,6 rechts: Oviedo (AS-242)
118,7 links Oviedo, Kreisel (3. Ausfahrt) |
Plaza de Castilla, dort geradeaus
123,1 rechts Santu Medero, Abzweig | Trubia,
nach 250 m links: La Espina (N-
634), bei Km 124,7 links zum Ziel
128,1 Ziel Las Caldas
11,9 rechts  Puente Nuevo, Abzweig |
Mestas, an Einmündung hinter
Riensena, links: Cangas de Onis
(AS-340), bei Einmündung
(Km 33,4) rechts
35,4 links Kreisverkehr vor Sotu Cangues |
über Covadonga (AS-262) auf
die für Autoverkehr gesperrte
Passstraße (CO-4)
54,5 wenden Lagos de Covadonga | hinter
Sotu Cangues (Km 73,5) rechts:
Arenas de Cabrales (AS-114)
84,4 links Benia, Abzweig | Pedroso,
an Einmündung (Km 91,2)
links: Llanes (AS-115)
97,7 rechts  Abzweig | El Mazuco,
dann Parres (LLN-7)
113,6 links Abzweig | Porrua (LLN-8)
115,8 Ziel Porrúa
0,0 Start  Porrúa (Hotel Porrúa) | Süden,
nach 2,3 km rechts: Parres
(LLN-7)
18,0 links  Einmündung | Meré (AS-115)
24,8 links Kreisverkehr | Panes (AS 114) Lesebeispiel
35,8 rechts Arenas de Cabrales | Sotres, 6,1 links Posada | Cangas (AS-115)
dort (Km 56,4) wenden, = bei Kilometer 6,1 in Posada
links abbiegen auf die AS-115
zurück nach Arenas Richtung Cangas
76,9 links Arenas de Cabrales | Cangas
de Onis, am Kreisel (Km 87,8)
rechts: Llanes (AS-115)
101,8 rechts Posada, Einmündung | Llanes
(AS-263), bei Km 105,5
rechts: Porrúa
107,6 Ziel Porrúa (Hotel Porrúa)

8-2019 TOUR 127

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 RADSCHLAG
POPEYE HAT’S
GEWUSST
Brägels Radclub testet legales Doping
TEXT
Jürgen Löhle
I L L U S T R AT I O N
Cornelia von Seidlein
W
Wissenschaftler der Freien Universität B ­ erlin
haben herausgefunden, dass ein Hormon
namens Ecdysteron leistungs­steigend wirkt.
Probanden, die man zwei Wochen damit
­gefüttert hat, hätten ordentlich Muckis be-
kommen, manche von ihnen seien sogar mit
geschlossenen Beinen aus dem Stand auf
den Schreibtisch des Institutsleiters gehüpft.
Die Forscher hätten daraufhin gefordert,
dass Ecdysteron auf die Dopingliste müsste.
Da – und jetzt wird es interessant – ist es
aber noch nicht. „Und das Beste daran“,
sagt Brägel, „das Zeug kommt ganz normal
im Spinat vor.“
Nun ja. Mal abgesehen davon, dass außer
Popeye und Verona Pooth (als die noch
Feldbusch hieß) kaum jemand dieses Zeug
­regelmäßig isst, spricht gegen das Spinat-­
Doping, dass man 6,6 Kilogramm zu sich
nehmen müsste, damit es peppt. Jeden Tag.
„Aber man kann es auch als Pille kaufen“,
sagt Brägel. Wir weisen ihn darauf hin, dass
gemäß unseres Ethikcodes jegliche Pillen
verboten sind, die nicht vom Arzt gegen
eine Krankheit verschrieben wurden. Und
darunter fallen auch Spinathormone. Außer­
dem fanden wir im Internet unter dem
Stichwort Ecdysteron ein „Bänder-Struktur­
modell der Ligandenbindungsdomäne des
Ecdysonrezeptors mit gebundenen Liganden“,
das uns etwas Angst macht. Man sollte
doch ­wenigstens halbwegs kapieren, was
man so schluckt.
Allerdings kann man Brägels Einwand nicht
von der Hand weisen, dass Bio-Doping
­mittels Essen eine feine Sache sein könnte.
Fit am Stammtisch, sozusagen. „Na, dann
lasst uns mal schauen, was bei uns so geht“,
sagt Brägel. Das Ergebnis ist halbwegs er-
schütternd: Weder paniertes Schnitzel noch
Pommes oder ein kleiner Beilagensalat ent-
halten i­ rgendwas, was am Berg
hilft. Nullkommanull.
­Anders beim Weizen-
bier. Kein Doping,
aber es beschleunigt
wegen der Elektrolyte
die Regeneration. „Aber
nur das ohne Alkohol“, sagt
der Präsident, was die Sache
­natürlich extrem unattraktiv
macht. Und bevor Brägel mit
dem Spruch nervt, dass man
blei­freies Weizen doch sehr gut
trinken könne, wenn es eiskalt
sei, bügeln wir die Diskussion
ab. Hefe hell trinkt der Radclub
nicht wegen des Geschmacks,
sondern wegen der Wirkung.
Und die ist leider nicht leistungs­
steigernd, obwohl man das
­früher tatsächlich geglaubt hat.
„Es stimmt aber auch“, behaup-
tet der alte Hans, das habe er
in einer Fachzeitschrift gelesen.
Wir vermuten mal, dass die aus
dem Jahr 1935 stammt.
Als nächstes haben wir Rote
Bete probiert, in allen erdenk­
lichen Variationen: Als Salat,
gekocht (bäh), als Saft. Das soll
die Blutbildung anregen, hatte
aber kurzfristig nur blutdruck-
steigernde Wirkung: Drei Mit-
glieder meldeten sich als Notfall
beim Urologen an, weil sie nach
dem Rote-­Bete-Doping plötz-
lich beim Pinkeln Rot sahen.
Das ist zwar nach einem Kilo
von dem Zeug normal, aber wer
weiß das schon vorher?
Ob Rote Bete dagegen schnelle
Beine macht, ist nicht wirklich
nachweisbar. Brägel glaubt das
zwar, weil er den Präsi neulich
am Berg abgehängt hat, aber
erstens hatte der auch vorher
Rote Bete gegessen und zweitens
war ihm beim Zurückschalten aufs kleine
Blatt die Kette abgesprungen, was Brägels
Vorsprung eher erklärt.
Der Lapp hatte dann noch die Idee mit dem
Jalapeño-Chili. Der ist so scharf, dass eine
Messerspitze reicht, um einen aus dem
­Trikot zu brennen. „Und was soll das brin-
gen?“, fragt der alte Hans. Brägel meint,
dass einen die Schmerzen aggressiv machen
würden und man deshalb härter treten
­könne, wegen des Adrenalins. Wir denken,
es gibt bessere Methoden, Adrenalin ins
Blut zu ­fluten. „Ich könnte dir zum Beispiel
unten am Berg eine scheuern“, sagt der alte
Hans, „dann regst du dich auf und fliegst
nur so den Berg hoch.“ Watschen-Doping
wäre zudem gratis, und man müsste nicht
so viel Gemüse essen. Leider scheitert der
Versuch, weil Brägel nach der Ohrfeige vom
­alten Hans in Tränen ausbricht, aus dem
Sattel steigt und uns schluchzend zuruft,
dass er nicht mehr mitspielen will.
Aber wir wollen’s dann doch wissen. Die
Pillen­regel wird für vier Wochen außer
Kraft gesetzt und wir kaufen völlig legal das
Spinat ­hormon. Kurz sind wir irritiert über
Dr. Google, der Ecdysteron als Hormon
ausweist, welches die „Häutung und Meta-
morphose von Häutungstieren wie Krebsen,
Spinnen und Insekten kontrolliert“. Aber
egal, wir ziehen das jetzt durch – besser als
roter Urin und alkoholfreies Bier ist es alle-
mal. Und legal.
Den Radschlag gibt’s auch zum Anhören –
in der TOUR-App! Mehr Infos unter
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8-2019 TOUR 129
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28. August 2019 Was sind die spannend­s­

Traumhafte Kulisse und Fan-Massen am ten Räder des kommen-
Streckenrand – das verspricht die Rad-WM im englischen den Jahres? Welche
Trends zeichnen sich ab?
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ELEKTRISIEREND
Mit der neuen elektrischen Force-Schaltung
will SRAM der Ultegra Di2 von Shimano
Konkurrenz machen. Was die beiden Gruppen
in puncto Schaltpräzision, Bedienung und
Haltbarkeit draufhaben, zeigt unser
ausführ­licher Labor- und Praxstest
INSPIRIEREND
Das Mittelgebirge entlang
der tschechisch-polnischen
Grenze bietet unbekannte
Traumpässe en masse und
fast autofreie Straßen
HERAUSFORDERND
Von Wien über die Alpen und
Pyrenäen bis Barcelona: 2.000 Kilo-
meter und drei Monster-Pässe in
einer Woche, das Gepäck immer am
Rad. So fühlt sich das ultimative
Bike­packing-Abenteuer an!
Fotos: Hersteller, Imago, Kirchner, Mauritius

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130 TOUR 8-2019

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