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Bernd Wander

Warum wollte Paulus nach Spanien?


E in forschungs- und m otivgeschichtlicher Ü berblick

„Wie uranotivirt ist hier alles!“1

„Die Historie bleibt jedoch das Feld von Rekonstruktionen,


und deren Recht ergibt sich daraus,
wie weit sie Probleme zu überwinden vermögen“12.

1 Einleitung

Wer dem Satz zustimmen kann, ein Bild sagt mehr als tausend Worte, wird
sich dem Duktus nach auch auf die Aussage einlassen können, daß eine Zeit­
tafel zum Neuen Testament mehr Aussagegehalt hat als eine überbordende
Kommentierung. Wer also einen Blick in verschiedene Zeittafeln zur neute-
stamentlichen Zeitgeschichte wirft, muß sich im Hinblick auf das Ende des
Paulus auf unterschiedlich akzentuierte Angaben gefaßt machen. Während
die Bibelübersetzung Martin Luthers im Anhang für das Jahr 62 n.Chr. lapi­
dar festhält „62 (58) n.Chr. Ende des lukanischen Berichts (Apg 28,30)“3,
weist die Einheitsübersetzung schon folgenden Informationsstand aus: „63/4
oder 65/67 Reise des Apostels Paulus nach Osten (Pastoralbriefe) und nach
Westen (Spanien)? 64 Brand Roms. Christenverfolgung unter Nero - 64 oder
67 Hinrichtung des Petrus und Paulus in Rom“4*. Obwohl solche Angaben le­
diglich der allgemeinen Orientierung der Leserschaft dienen sollen und die

1 F. C. Baurs Urteil über die Spanienmission des Paulus in: ders., Paulus, der Apostel Jesu
Christi. Sein Leben und Wirken, seine Briefe und seine Lehre. Ein Beitrag zu einer kriti­
schen Geschichte des Urchristenthums, Erster Theil, 2. Aufl., nach dem Tode des Ver­
fassers besorgt von E. Zeller, Leipzig 1866, 401.
2 E. Käsemann, An die Römer, HNT 8a, Tübingen 21974, 387.
3 Stuttgart 1972, Anhang 25.
4 Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Das Neue Testament, hg. im Auftrag der Bi­
schöfe Deutschlands, Österreichs, der Schweiz ..., 7. Aufl. der Endfassung Stuttgart
1988, 659.
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Herausgeber ihre jew eilige Einschätzung nicht gesondert kommentieren kön­ ten einer genaueren Reflexion unterzogen werden, um sich von dort aus der
nen, ist damit doch von vornherein ein historisches wie theologisches Urteil Frage der Realisierung der Spanienreise in historischer Perspektive zu nähern.
impliziert, w ie neutestamentliche Angaben eingeordnet und bewertet werden Dabei kann es sich zunächst einmal nur um die Darstellung und Nach­
können und welchen Wahrheitsgehalt sie besitzen. Aber auch bei den zeichnung eines Stücks älterer wie neuerer Forschungsgeschichte handeln,
Fachautoren, wo angefugte Zeittafeln das jew eilige wissenschaftliche Werk weil das vorhandene Quellenmaterial nahezu erschöpfend behandelt und aus­
belegen und kommentieren, setzen sich die oben angeführten unterschiedli­ gereizt worden ist. Neuere Perspektiven lassen sich zur Zeit kaum noch er­
chen Bewertungen fort. Jürgen Becker etwa notiert zu den „Lebensdaten des mitteln. Trotzdem soll der Versuch unternommen werden, die vorhandene
Paulus“ in seiner chronologischen Übersicht: „Reise des Gefangenen Paulus Auslegung einer kritischen Sichtung zu unterziehen und dann nach einem Re­
nach Rom 58-60 (?) und Aufenthalt in Rom und Märtyrertod 60-62 (?)“5 und sümee auf Aspekte hinzuweisen, welche einer Revision unterzogen werden
bringt sie auf diese W eise zum Abschluß. Demgegenüber enthält die von sollten, um Nichthaltbarkeit und Haltbarkeit der exegetischen Positionen zu
Martin Hengel und Anna Maria Schwemer ihrem Paulusbuch beigegebene dokumentieren und zu erhärten.
Zeittafel folgende bemerkenswerte Notizen: „Herbst/Frühjahr 59/60 Romrei­
se - 60/61 Phil? - 62 Spanienreise? - (62 oder) 64 Martyrium des Paulus in
Rom“6. Aus diesen divergierenden Angaben läßt sich leicht ersehen, daß Un­
einigkeit darüber besteht, ob die in der Apostelgeschichte dokumentierte Ge­ 2 Tendenzen der älteren Forschung
fangenschaft mit seinem darauffolgenden Tod (62 oder 64 n.Chr.) verbunden
ist, oder ob Paulus aus dieser Gefangenschaft noch einmal freigekommen ist In welchem Maße den lukanischen und paulinischen Angaben im Hinblick
und seine in Röm 15,24 und 28 dokumentierten Absichten einer Reise nach auf das Lebensende des Apostels Zutrauen zu schenken ist, wird seit Beginn
Spanien vor seinem Tod unter Nero in Rom realisieren konnte. der historisch-kritischen Erforschung des Neuen Testaments heftig diskutiert.
D iese auf den ersten Blick rein historisch orientierten Problempunkte sind In aller Schärfe hatte Ferdinand Christian Baur in seinem Paulusbuch einen
mit weitreichenden Implikationen verbunden.7 Denn forschungsgeschichtlich Trend vorgegeben, dem sich in der Folgezeit viele anschließen sollten: „Die
Reise des Apostels nach Spanien gehört in der That zum Unglaublichsten,
wie methodisch gesehen müssen von vornherein zwei Fragen voneinander
unterschieden, wenn auch nicht getrennt werden. Die Frage nämlich einer­ was aus dem Leben des Apostels gemeldet wird. Es w eiss sonst Niemand et­
seits, ob Paulus tatsächlich in Spanien gewesen sein kann und welche Quel­ was von ihr, und wenn somit diese Stelle das einzige Zeugniss für sie ist, so
lenangaben und weiterreichenden Hinweise sich dafür heranziehen lassen, kann nichts zweifelhafter sein, als die Vermuthung, dass der Apostel auch nur
und andererseits die Frage, warum Paulus nach Spanien wollte und welche den Gedanken an eine solche Reise gehabt hat.“89Rahmen und Inhalt dieser
Quellen über seine Motivation hinreichend Zeugnis ablegen kann. Diese bei­ „unglaublichen“ Begebenheit werden in der Folgezeit inhaltlich präziser ge­
den Schritte sollen im folgenden getrennt vorgestellt werden, wobei die füllt und variiert. So konstatiert Heinrich Julius Holtzmann, daß Paulus
Schwerpunkte innerhalb der Forschungsgeschichte sich von vornherein präzi­ „höchstens in rhetorischer W eise ... schon in die als Scheide des Morgen- und
sieren lassen. Während gerade die ältere Forschung sehr kontrovers die Histo­ Abendlandes geltende Provinz des Reiches gelangt sein“ könnte und urteilt
rizität der Spanienmission diskutiert hat, ist in der neueren Forschung viel abschließend: „... ein Plan, von dessen Ausführung die beglaubigte Geschich­
genauer und intensiver über die Hintergründe derselben nachgedacht worden. te so wenig weiß, als von dem Aufenthalt in Illyrien“ . A dolf Hausrath w ie­
Darüber hinaus müssen die theologischen Implikationen dieser Reiseabsich- derum läßt eine Spanienreise des Paulus unerwähnt und unkommentiert und
geht vielmehr von einer Gefangenschaft in Rom und damit verbundenem
Martyrium aus.10*Derartige Bewertungen lassen sich in leichter Variation öf­
5 J. Becker, Paulus. Der Apostel der Völker, Tübingen 1989, 32.
6 M. Hengel und A. M. Schwemer, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die un­
bekannten Jahre des Apostels, WIJNT 108, Tübingen 1998, 475. 8 Baur, Paulus 401. . , _T „ . .
9 H. J. Holtzmann, Lehrbuch der Historisch-kritischen Einleitung m das Neue Testament,
7 Zu weiteren Differenzen innerhalb der Chronologie der paulinischen Missionstätigkeit
vgl. R. Riesner, Die Frühzeit des Paulus. Studien zur Chronologie, Missionsstrategie SThL, Freiburg 1885, 259.
und Theologie, W UNT 71, Tübingen 1994, bes. 1-26, wo der Stand der Forschung und 10 A. Hausrath, Neutestamentliche Zeitgeschichte, Bd. III. Die Zeit der Märtyrer und das
die damit verbundenen Aporien aufgezeigt sind. nachapostolische Zeitalter, Heidelberg 1874, 65-108.
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ter beobachten.11 Schließlich sind diejenigen Angaben noch gesondert hervor­ Absichten leuchtet Meyer nicht ein. Für ihn stellen sie eine Art Ausrede des
zuheben, welche die Nichthistorizität der Spanienmission des Paulus mit Paulus dar, w eil ihm alles darauf angekommen sei, „in Rom festen Fuß zu
recht gewagten Hypothesen nachweisen wollen. Otto Pfleiderer meint näm­ fassen und die dortige Gemeinde für se in Evangelium ... zu gewinnen.“
lich keinen Grund sehen zu können, „warum Paulus eine dauernde Wirksam­ Gegenüber diesen ablehnenden Einschätzungen sind im folgenden die
keit, statt in dem wichtigen Mittelpunkt des Reiches, vielmehr im äussersten Stimmen zu sammeln, welche sich einer Realisierung der Spanienpläne des
Westen beabsichtigt haben sollte. V iel leichter läßt es sich begreifen, daß man Paulus weniger widersetzten und sie als eine historische Begebenheit in Er­
später, als der Name des Petrus in Rom den des Paulus zu überstrahlen be­ wägung zogen. Auch hier sind wie oben manche gewöhnungsbedürftige Hy­
gann, ein Interesse daran haben mochte, die römische Gemeinde als einen für pothesen aufgestellt und entfaltet worden. Friedrich Spitta geht von einer
Paulus fremden Boden darzustellen, den er nur als durchzureisender Gast zu doppelten Gefangenschaft des Paulus in Rom ebenso aus w ie von einer
bemühen gewagt habe“. Diese Bewertungen lassen für ihn nur eine einzige Zweiteilung des Römerbriefes. Der erste Teil des Röm beziehe sich demnach
Schlußfolgerung zu: Röm 15,19-24 und 28b können unmöglich von Paulus auf eine frühere Phase des Wirkens des Paulus in Gefangenschaft, während
selber verfaßt sein, sondern entstammen einer späteren Einschaltung oder der zweite Teil mit den Reiseplänen auf eine spätere Phase blicke, in welcher
Überarbeitung.12 Auch Emst Bamikol hat später ähnlich argumentiert und die er nach Spanien gelangt sei.151617Als kühn ist demgegenüber der Versuch von J.
Absichten einer Reise nach Spanien für eine „geographische Fiktion“13 ge­ Frey zu bewerten, der zum Beweis eines Spanienaufenthaltes gleich mehrere
halten und jegliche Gegenargumente wie Vollendung seines Wirkens in öku­ nicht haltbare Argumente anführt. So sei Paulus etwa von Griechenland aus
menischer Weite, Naherwartung oder Stärkung durch die römische Gemeinde direkt nach Spanien gereist, ohne seinen in Rom angekündigten Besuch zu
bei seiner Durchreise als unhaltbar abgeschmettert. Vergleichbar mit Pfleide­ realisieren. Darüber hinaus sprächen Fakten, etwa die Tatsache, daß spani­
rer zieht Bamikol die Verse Röm 15,24 und 28 heran, welche er für interpo­ sche Städte sich auf Paulus als ihren Patron beriefen, ebenso für die Realisie­
liert hält und an deren Stelle einst Jerusalem (24) und Italia (28) gestanden rung der Spanienmission wie eine Inschrift aus der Zeit Neros, welche sich
hätten. Pfister wiederum glaubte belegen zu können, daß analog zu den anti­ mit dem neuen Aberglauben auseinandersetze, was nach Johannes Frey die
ken Wanderungs- und Missionslegenden von Odysseus, Aeneas, Herakles Existenz von christlichen Gemeinden zur Zeit des Paulus in Spanien belege.
u.a. im christlichen Bereich mit wachsendem Missionserfolg auch die Legen­ Rudolf Steinmetz hatte die genannte Inschrift bereits 1897 erwähnt und aus
den über die Apostel erweitert wurden. „So kam ... Paulus nach Spanien“; ihr ebenfalls in Kombination mit altkirchlichen Notizen vergleichbare Schlüs­
nicht zuletzt auch, w eil nach Pfister eine belegbare Tradition existierte, w el­ se gezogen.1819*Ältere wie neuere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, daß
che auch Alexander den Großen über Rom bis zum Westen nach Cádiz sich weder über die Patronatslinie noch aufgrund der Inschrift irgend etwas
kommen läßt.14 Abschließend sei Eduard Meyer angeführt, den die Spanien­ historisch Zuverlässiges über den Spanienaufenthalt belegen läßt. V iel be­
reise des Paulus ebenfalls nicht überzeugen konnte. Für ihn sind die belegba­
ren Reiseabsichten von Paulus zwar geäußert worden, aber der Emst dieser 15 E. Meyer, Ursprung und Anfänge des Christentums, Bd. 3: Die Apostelgeschichte und
die Anfänge des Christentums, Stuttgart/Berlin 1923 (Nachdruck Stuttgart 1962), 131.
16 F. Spitta, Zur Geschichte und Litteratur des Urchristentums I, Göttingen 1893, 107: „So
11 Vgl. etwa C. Weizsäcker, Das apostolische Zeitalter der christlichen Kirche, Tübingen sicher wie die doppelte Gefangenschaft selbst steht mir die Reise nach Spanien und die
u.a. 31902, 194; P. Wendland, Die hellenistisch-römische Kultur in ihren Beziehungen daran sich anschließende Rückkehr in die Gebiete, von denen namentlich der zweite
zu Judentum und Christentum. Die urchristlichen Literarturformen, HNT 1/2 und 3, Tü­ Timotheusbrief berichtet.“ Th. Zahn, Einleitung in das Neue Testament 1/2, vielf. ber.
bingen 2 “■31912, 366; A. Jülicher, Einleitung in das Neue Testament, GThW III/1, 5. Aufl., Leipzig 1900, 441-445 hat an dieser Stelle zwar differenzierter argumentiert, liegt
und 6. neu bearb. Aufl., Tübingen 1921, 95; E. von Dobschütz, Der Apostel Paulus. aber insgesamt gesehen mit Spitta auf einer Linie.
Seine weltgeschichtliche Bedeutung, Halle 1926, 17f. 17 J. Frey, Die letzten Lebensjahre des Paulus. Eine Studie zur Geschichte des apostoli­
12 O. Pfleiderer, Das Urchristentum, seine Schriften und Lehren in geschichtlichem Zu­ schen Zeitalters, BZSF, Berlin 1910, bes. 47-50.
sammenhang, Bd. I., 2. neu bearb. und erw. Aufl., Berlin 1902, 174f. 18 R. Steinmetz, Die zweite römische Gefangenschaft des Apostels Paulus. Eine kirchenhi­
13 E. Bamikol, Römer 15. Letzte Reiseziele des Paulus. Jerusalem, Rom und Antiochien. storische und neutestamentliche Untersuchung, Leipzig 1897, bes. 81-95.
Eine Voruntersuchung zur Entstehung des sogenannten Römerbriefes, FEUC IV, Kiel 19 J. M. Laboa, Art. Spanien, TRE 31 (2000) 610-635, 6 1 0 f (Zitat 610) urteilt unmißver­
1931, 13f. 19-21, Zitat 13. ständlich: „Keine spanische Gemeinde betrachtet sich als unmittelbar paulmische Grün­
14 F. Pfister, Die zweimalige römische Gefangenschaft und die spanische Reise des Apo­ dung, und es gibt keine Überlieferungen oder Spuren seiner Verkündigung.“ Für das 7.
stels Paulus und der Schluß der Apostelgeschichte, ZNW 14 (1913) 216-221, 218. Jahrhundert n.Chr. weist die Überlieferung den Apostel Jakobus d.Ä. eigenartigerweise
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hutsamer hat demgegenüber Johannes Weiss mit Hilfe der N otiz aus 1 Clem können, hat Spanien besucht und auch den Osten wiedergesehen. Aber das
5 (um 96 n.Chr.) argumentiert, nach welcher Paulus den Westen wie den kann Legende sein - sicher ist, daß er unter Nero in Rom den Märtyrertod ge­
Osten des Reiches bereist habe. „Wer so schrieb, war der Meinung, daß Pau­ storben ist und an der Straße nach Ostia begraben wurde“21.
lus seine geplante spanische Missionsreise ausgefuhrt habe. Mag sie nun D iese Tendenz zu einer offenen Beantwortung und Behandlung der Spani­
richtig oder falsch sein - am Ende des Jahrhunderts, etwa 40 Jahre nach dem enmission des Paulus leitet über zu Arbeiten aus der neueren Forschung, wo
mutmaßlichen Todes-Datum des Paulus, bestand diese Tradition, die doch neben der Frage der Historizität inzwischen verstärkt nach der Motivation des
bereits so fest geworden war, daß der Verfasser mit rednerischen Anspielun­ Heidenapostels gefragt wird. Dazu sollen im folgenden wenigstens vier neue­
gen sie nur zu berühren brauchte, um auch in Korinth verstanden zu werden“. re Auslegungsversuche vorgestellt werden, welche die Realisierung der Spa­
Jedoch werden diese Angaben von W eiss nicht überstrapaziert, sondern zu nienmission aufgrund der vorhandenen Quellenlage auch nicht letztgültig be­
dem vorsichtigen Urteil zusammengefaßt: „... das Lebensende des Paulus antworten, wohl aber den Erfahrungshorizont des frühen Christentums wie
verläuft, geschichtlich gesehen, im Dunkel“20. den des Paulus einer intensiven Befragung aussetzen, um so etwas über die
Nur wenige Repräsentanten der älteren Forschung lassen sich anführen, Pläne des Paulus zu erfahren. Dabei wird eine chronologische Reihenfolge
welche die existierenden Fakten einer nüchternen Bewertung unterzogen und gewählt, um den sukzessiven Erkenntniszuwachs dokumentieren zu können.
der Frage eines Spanienaufenthaltes des Paulus die wohl einzig mögliche Be­
antwortung zumuteten, sie nämlich offen zu lassen. In diesem Zusammen­
hang sei Hans Lietzmann zitiert: „Zunächst lebt er in Rom zwei Jahre lang in
relativer Freiheit unter Polizeiaufsicht und kann ungehindert mit der Gemein­ 3 Tendenzen der neueren Forschung
de verkehren und predigen. Was dann gekommen ist, wissen wir nicht. M ög­
licherweise ist er freigesprochen worden und hat wieder reisen und wirken 3.1 Die am lukanischen Werk orientierte Konzeption von E. Earle Ellis22*

für die Evangelisierung Spaniens aus, während durch Cyprian (ep 67) das Jahr 254 Im Hinblick auf eine tatsächliche Durchführung der Spanienmission des
n.Chr. als erstes sicheres Zeugnis für christliche Gemeinden belegt ist. Zu der von J. Paulus nimmt E. Earle Ellis Bezug auf Angaben aus der Apostelgeschichte,
Frey und R. Steinmetz erwähnten Inschrift aus der Zeit Neros ist zu sagen, daß P. B. obwohl dort an keiner Stelle explizit davon die Rede ist. Dreh- und Angel­
Gams sie schon 1862 als eine plumpe Fälschung ausgewiesen hatte (Die Kirchenge­ punkt seiner Argumentation ist Act 1,8, wo der Verlauf der gesamtaposto­
schichte von Spanien I, Regensburg 1862, photomech. Nachdr. Graz 1956, 387): „Von
lischen M ission bis an das „Ende der Erde“ vorausgesetzt wird, was nach El­
all’ den Inschriften, welche herumgetragen und Jahrhunderte lang als Quellen für die
spanische Kirchengeschichte benützt wurden, ist nicht eine unzweifelhaft ächt“. Schade,
lis durch die Gottesknecht-Prophetie von Jes 49,6 inspiriert ist (278). Bei der
denn sie wäre für unsere Fragestellung besonders interessant gewesen: „Neroni Claudio Bestimmung, welcher Ort mit der Formulierung „Ende der Erde“ in antiken
Caesari Aug. Pont. Max. ob Provinciam La tronibus et his Qui novam Generi Humano Texten assoziiert wurde, legt der Verfasser sich eindeutig auf Spanien, näher
Superstitionem inculcabant Purgatam“ (Dem Claudius Nero Caesar Augustus, dem ober­ noch auf die Gegend um Gades (westlich von Gibraltar) fest, während sowohl
sten Priester, zum Danke der Befreiung der Provinz von den Räubern, und von denjeni­
gen, welche dem menschlichen Geschlechte einen neuen Aberglauben aufdrängen w oll­
ten). Vgl. zur Problematik insgesamt das fünfzehnte Kapitel des genannten Werkes: Die 21 H. Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche I. Die Anfänge, Berlin u.a 1932, 111. Vgl.
Inschriften - Keine Quelle für die Geschichte der ersten Jahrhunderte der Kirche Spani­ auch ders., Petrus und Paulus in Rom. Liturgische und archäologische Studien, AKG 1,
ens, 387-392. Berlin u.a. 21927, 238-247, wo Lietzmann sich intensiv mit der Spanienreise des Paulus
20 J. Weiss, Das Urchristentum, hg. von R. Knopf, Güttingen 1917, Zitate 299 u. 300. Vgl. beschäftigt, ihre Realisierung aber mit einem „non liquet“ offen beantwortet (244). Mit
mit ähnlicher Tendenz, die Spanienmission des Paulus bejahend, A. von Hamack, Die ähnlicher Tendenz A. D. Nock, Paulus, übers, von H. Schaeder, Zürich u.a. 1940, 113:
M ission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten I. D ie M is­ „Auch hier können wir die Wahrheit nicht feststellen: die Behauptung, Paulus sei nach
sion in Wort und Tat, 4. verb. und verm. Aufl., Leipzig 1924, 83: „... bis Rom, ja wahr­ Spanien gegangen, konnte leicht auf Grund von Röm 15,24 entstehen, wo eine solche
scheinlich bis Spanien als Missionar gekommen i s t ...“ und A. Deissmann, Paulus. Eine Reise als ein alter Plan des Paulus beschrieben wird“.
kultur- und religionsgeschichtliche Skizze, 2. völlig neubearb. und verm. Aufl., Tübin­ 22 E. E. Ellis, „Das Ende der Erde“ (Apg 1,8), in: C. Bussmann und W. Radi (Hg.), Der
gen 1925, 192: „Die Frage, ob Paulus nach den zwei Jahren seiner dortigen Wirksamkeit Treue Gottes trauen. Beiträge zum Werk des Lukas, FS Gerhard Schneider, Freiburg
die geplante spanische Reise noch ausgeführt hat, bleibt offen, ich rechne aber mit ihrer u.a. 1991, 277-286. Seitenzahlen in Klammem beziehen sich im folgenden jew eils auf
Bejahung“. die herangezogene Literatur.
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Rom als auch Äthiopien ausgeschlossen werden. Durch eine computerge­ zentuiert Riesner besonders, es sei nicht auszuschließen, daß es sich bei „der
stützte Analyse kann Ellis zur Untermauerung seiner These eine beeindruk- Aufnahme der Heidenmission um eine etwas später aus der Christusoffenba­
kende Anzahl von Quellen anführen (279-282).23 Zur Stützung seiner Beob­ rung erwachsene Erkenntnis des Apostels“ gehandelt habe (208). Der in Gal
achtungen nennt er 1 Clem 5,7, wo sich eine vergleichbare Formulierung zum 1,17 festgehaltene Aufenthalt in Arabien unterstütze diese Beobachtung, weil
„Ende der Erde“ findet, welche ebenfalls auf die Gegend von Gades hinweise sich darin gerade die Unabhängigkeit des Paulus von Jerusalem spiegele.
und sich auch durch verschiedene Belege stützen lasse. Nach Act 13,47 sei Damit will Riesner wohl zum Ausdruck bringen: Trotz aller Jerusalem-
diese Formulierung ausdrücklich für die paulinische M ission vorgesehen Verbundenheit des Paulus und der Jerusalem-Zentriertheit seiner Mission hat
(282f). die von ihm verfolgte Strategie in der Anfangszeit nichts mit Weisungen von
Für Ellis ergibt sich aus diesen Angaben, daß Lukas in den Act eine erste dort, etwa in Form von M issionszielen zu tun.
römische Gefangenschaft als ein „historisches Grunddatum“ (285) vorausset­ Im Hinblick auf die Missionsstrategie des Paulus stellt Riesner einen star­
ze, von der Paulus dann später zu einer tatsächlichen Spanienmission (Gades) ken Bezug zu bestimmten Passagen des Buches Deuterojesaja fest25, erwägt
aufgebrochen sei. Um seine Ausführungen historisch wirklich abzusichem, dann weiterhin, ob nicht Judenchristen essenischer Prägung aus dem Bereich
muß Ellis mit mindestens zwei fragwürdigen Hilfskonstruktionen arbeiten, von Damaskus ihm den Blick für die „endzeitliche[n] Sammlung der Heiden“
indem er nämlich einerseits „die beste Evidenz für eine jüdische Präsenz in geöffnet hätten (211) und formuliert daraus die für seinen Ansatz leitende
Spanien“ lediglich durch „die erklärte Absicht des Paulus in Röm 15,24.28“, Frage, ob Paulus seine Missionspläne nicht vielleicht in der Bibel, dem Alten
dorthin reisen zu wollen, erklärt und andererseits die Abfassung der Act in Testament, vorgezeichnet fand (216). Diesen Aspekt entfaltet er näher durch
die Mitte der sechziger Jahre datiert (286). eine gezielte Untersuchung von Jes 66,18-21, wobei der Bezug zu Paulus
Bleiben die abschließenden Ausführungen gegenüber der sonstigen Argu­ insbesondere durch Röm 15,19f (vgl. 11,25-27) hergestellt wird (219). An­
mentation auch stark zurück, sollte seine Hauptthese doch im Auge behalten hand der Ortsangaben von Jes 66,19 meint Riesner das von Jerusalem „in ei­
werden. Scheinbar gab es sowohl bei Paulus selber wie in der paulinischen nem nordwestlichen Halbkreis bis zum äußersten Westen“ reichende Wir­
Schule eine Art Selbstverständnis, daß das Evangelium bis nach Spanien ge­ kungsfeld des Paulus erblicken zu können, welches Tarsus, Kilikien, Lydien,
bracht werden müsse, wenn nicht sogar gebracht worden sei. Mysien, Bithynien, Makedonien und den fernsten Westen (Spanien) umfaßte
Angemerkt sei noch, daß dieser Beitrag von Riesner ins Deutsche über­ (223). Riesner möchte dabei weder behaupten, daß sich Paulus in dieser W ei­
setzt wurde und diesen auch beeinflußte, was im folgenden bei der Bespre­ se von vornherein leiten ließ, noch, daß in der Prophetie Tritojesajas der ein­
chung seines Entwurfes gezeigt werden soll. zige Grund für seine Reisepläne lag, sondern er w ill prüfen, „ob Paulus an
entscheidenden Stationen seines W eges auch von dieser alttestamentlichen
M issionsweissagung beeinflußt wurde“ (225).
3.2 Die missionsstrategisch begründete Position Rainer Riesners24 Im Hinblick auf die Spanienpläne des Paulus bemerkt Riesner, daß Gallien
aufgrund der Präsenz von namhaften jüdischen Gemeinden als Missionsziel
Rainer Riesner stellt bei seinen Überlegungen die zentrale Aussage des Pau­ für ihn viel näher gelegen habe. Die explizite Auslassung von Gallien sei je­
lus aus Gal 1,16 f in den Vordergrund und leitet aus ihr die generelle Beauf­ doch durch Jes 66,19 bedingt, welches ihm ein Vordringen nach Spanien ge­
tragung zur Heidenmission ab (208). Diese ganz allgemein gehaltene Aussage radezu diktiert habe. Denn Spanien bildete nach zeitgenössischem Verständ­
sei von vornherein gegen zwei Mißverständnisse in Schutz zu nehmen. Denn nis die „Grenzen der Welt“26*, und dort wäre dann in der Tat die Mission des
einerseits sei mit Gal 1,16 f wohl keine direkte Beauftragung verbunden, was Apostels im Westen abgeschlossen gewesen (27 lf). Leitend wäre für diese
wohl als Hinweis darauf zu werten sei, daß Paulus eben nicht beim Erlebnis Absicht die von Paulus in unmittelbarer Zukunft erwartete Parusie, die von
vor Damaskus seine M issionsziele offenbart worden sind. Andererseits ak­ der Erfüllung der Heidenmission (Röm 11,25-27; 13,1 lf) abhängig war

23 Vgl. aber auch Gams, Kirchengeschichte I, 6-16, welcher schon 130 Jahre früher und
ganz ohne elektronische Hilfsmittel die entscheidenden Quellen zu dieser Fragestellung 25 Vgl. Gal 1,15 mit Jes 49,1; Röm 15,20 mit Jes 52,15; 2 Kor 6,2 mit Jes 49,8.
zusammengetragen hat. 26 In Anlehnung an Ellis, Ende zitiert Riesner, Frühzeit 2 7 l f Lucan, Phars III 454; Juv, sat
24 Riesner, Frühzeit. X lf; Strabo II 5,9; Sil, punica XVII 637.
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(219). Gerade die letztgenannte Textstelle schließt nach Riesner aus, daß der
lare Möglichkeit nach Ez 38 und 39; 30,329 nicht rezipierte, welche mit der
Spanienplan des Paulus rein missionsstrategische Motive gehabt habe (272).
Wiederherstellung Israels die Vernichtung der Völker assoziiere (74).
Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß die Absichten der Reise
Jerusalem spiele bei dieser Konzeption als „Nabel der Welt“ eine heraus­
nach Spanien für Riesner auf der Prophetie Tritojesajas beruhen und dabei
ragende Rolle. Denn die paulinische Mission werde von hier aus als in einem
das Eingehen der Vollzahl der Heiden (Röm 11,25) und die damit verbunde­
Kreis (Röm 15,19) sich vollziehend vorausgesetzt, wobei Teilbereiche dieses
ne Parusie wichtige Einflußgrößen bildeten. Jerusalem spielt als Ausgangs­
Kreises als unter den Söhnen Noahs aufgeteilt gedacht werden. Die in Röm
und Endpunkt seiner Sendung eine entscheidende Rolle. Offen bleibt aller­
15,19 vorgestellte geographische Linie der paulinischen Mission korrespon­
dings in diesem Entwurf die Beantwortung der Frage, ob Paulus sein Ziel er­
diere besonders mit der in 1 Chr 1,1,-2,3 überlieferten Völkertafel (142). Die
reicht hat. Der Schwerpunkt der Fragestellung liegt eindeutig auf der Suche
Reiseroute des Paulus in Richtung Westen entspreche der Richtung, welche
nach Hintergründen, nicht in der Nachzeichnung von vollzogenen Fakten.27
die Japhetiten von Jerusalem als Zentrum des Kreises aus genommen hätten:
Daß Riesners Einschätzung von Jes 66 viel zu optimistisch ist, hat der nun
von Tarsus in Kilikien nach Cádiz in Spanien (155.179Í).
vorzustellende Entwurf von Scott gezeigt.
Der von Riesner vorgetragenen Position kann Scott nur partiell folgen; sie
wird deshalb auch entsprechend kritisiert. So stellt Scott etwa fest, daß Jes
66,18-20 an keiner Stelle im NT explizit zitiert30*werde (146f) und folglich
3.3 Das an der Völkertafel (Gen 10) orientierte Schema
nicht die Bedeutung für Paulus gehabt haben könne, welche Riesner ihr zu­
von James M. Scott28
messe. Weiterhin stellt Scott heraus, daß Jes 66 die für Paulus entscheidenden
Koordinaten Jerusalem und Spanien nicht enthalte. Schließlich missioniere
James M. Scott legt in seiner Untersuchung die geographische Orientierung
Paulus auch nicht alle Nationen, welche in Jes 66 aufbewahrt seien (147 mit
des antiken Menschen als höchst bedeutend zugrunde und fragt von dorther, weiteren Kritikpunkten).
welche innere Landkarte Paulus vor Augen stand und welche weiteren Aus­
Im Hinblick auf die Spanienmission des Paulus sollte nach Scott festge­
sagenkreise eine derartige Verortung implizieren würde.
halten werden, daß Spanien als westlichster Teil des Gebietes von Japhet und
Ausgangspunkt für Scotts Beobachtungen sind die Angaben der Völkerta­
als das „Ende der Erde“ gelte (142). A u f der Völkertafel, der Verheißung an
feln in Gen 10 und 1 Chr 1,1-2,2 sowie deren Rezeption und Interpretation in
Abraham (vgl. Gal 3,8 mit Gen 12,3 und 18,8) und dem Bundesgeschehen
alttestamentlich-jüdischen Texten (z.B. Jos, ant 1,122-147; Jub 8-9, Jes
fußend, beginne Paulus seit dem Apostelkonzil 48 n.Chr. seine Pioniermissi­
66,18-20; vgl. auch die frühchristlichen Texte), welche als Schlüssel zur B e­
on von Jerusalem aus gesehen in einem Zirkel (Ez 5,5) über Kleinasien nach
stimmung der Reiserouten des Paulus entdeckt und ausgewertet werden. D ie­
Europa bis Rom und Spanien, wobei letzteres Japhets Gebiet entspreche
se Angaben werden dann in verschiedene Richtungen entfaltet und mit vie­
(155f). Würden so die Reiserouten einsichtig, so sei doch die entscheidende
lerlei Implikationen versehen (45f; 46f; 148f).
Motivation hinter allem, daß nicht etwa Individuen, sondern die Heiden in der
D ie Hochschätzung von Gen 10 habe in der jüdischen Überlieferung nach
Fülle der Nationen zu ihrer Rettung eingehen müßten (Röm 11,25 und 15,10),
Scott als eigentliche Mitte und Ziel die eschatologische Wiederherstellung Is­
um so die Parusie zu ermöglichen (2-17). Scott zeigt in diesem Zusammen­
raels und die Wallfahrt der Völker zum Zion, was die paulinische Theologie
hang auf, daß das paulinische und lukanische Konzept vom „Ende der Erde“
(Röm 11,25; 15,10) ebenfalls stark geprägt habe (72f). Dabei hätte Paulus die
bis nach Spanien reiche und Lukas sich für den paulinischen Wunsch offen
universalistische Konzeption in der Tradition von Jer 4,2 und Gen 12,3 (vgl. gezeigt habe (175f).
Jes 66,18-20) im Blick gehabt, während er die ebenfalls existierende partiku-

27 Erwähnt sei an dieser Stelle die Arbeit von R. D. Aus, Paul’s Travel Plans to Spain and
the „Full Number o f the Gentiles“ o f Rom. XI 25, NT 21 (1979) 232-262, welcher 2x1
29 Vgl. auch die vielen jüdischen Texte aus der griechisch-römischen Periode bei Scott
einem weithin ähnlichen Ergebnis wie Riesner gekommen ist, seine Überlegungen aber Paul 74-121. ’
auf eine breitere Textbasis gestellt hat.
30 Vgl. dazu besonders die Arbeit von F. Wilk, Die Bedeutung des Jesajabuches für Pau­
28 J. M. Scott, Paul and the Nations. The Old Testament and Jewish Background o f Paul’s
lus, FRLANT 179, Göttingen 1998, der bezeichnenderweise in seiner Übersicht
M ission to the Nations with Special Reference to the Destination o f Galatians, WUNT
84, Tübingen 1995. „Verzeichnis der untersuchten Zitate und Anspielungen“ weder Jes 66 noch Röm 15 an­
fuhrt (443-446).
186 Bernd Wander
Warum wollte Paulus nach Spanien? 187
Wenn Scott auch die Frage unbeantwortet läßt, ob Paulus bis nach Spanien en, bereisen wollte, dann seien als Einflußgrößen neben dem Apostelkonzil
gekommen ist, so haben wir doch seiner Untersuchung Entscheidendes zu (403) die geistgewirkte Sendung w ie die bevorstehende Parusie Jesu in Jeru­
verdanken, nämlich eine Beantwortung der Frage, warum Paulus ausgerech­
salem zu nennen.33 Ob Paulus seine Spanienreise tatsächlich realisieren
net bis nach Spamen wollte. Im folgenden sei abschließend die Monographie
konnte, lassen die Autoren mit einem „non liquet“ (403 Anm. 160)34*offen.
von Hengel und Schwemer vorgestellt, die weitgehend die drei besprochene-
Dennoch: „Die N otiz 1 Clem 5,7, eine gute Generation später in Rom verfaßt,
nen Entwürfe für ihre Einschätzung berücksichtigt und um einen eigenen Ak­ spricht eher dafür.“ Das Verdienst der Autoren besteht auf jeden Fall in der
zent erweitert haben.
theologisch konsequenten Durchdringung der Reisepläne und -routen des
Paulus, welche die Spanienmission für ihn als zwingend notwendig erschei­
nen lassen. Fraglich bleibt aber dennoch, wie mit der Notiz in 1 Clem 5,7
3.4 Die pneumatisch begründete Missionsstrategie umzugehen ist und ob sie mehr als nur einen Reflex darstellt.
nach Martin Hengel und Anna Maria Schwemer31

Martin Hengel und Anna Maria Schwemer setzen bei ihren grundlegenden
3.5 Resümee
Überlegungen zur Theologie des Paulus für die Anfänge seiner M ission
„realisierbare missionarische Nahziele“ (157) voraus. Diese seien „vom Geist
Alle angeführten neueren Entwürfe zeichnen sich dadurch aus, daß sie Evi­
angeleitet“ und durch die „kurze Frist“ motiviert gewesen und hätten keine
denzen für eine Spanienmission des Paulus aufzeigen wollen, dabei ihre Rea­
Spanien- oder Rompläne enthalten (158). Beide unterscheiden so - ausge­
lisierung aber entweder methodisch vernachlässigen (Scott) oder eben offen
hend von Gal 1,16 f - „zwischen dem Verkündigungsauftrag gegenüber
lassen (Hengel/Schwemer). Trotzdem wird eine Fülle verschiedenster
‘Heiden’“ und der „späteren Strategie einer ‘weltweiten’ Völkermission, die
Aspekte angeführt, welche die Hintergründe eines geplanten Spanienbesuches
von Provinz zu Provinz fortschreitet“ (158), wobei Jerusalem, beeinflußt
durch Paulus näher beleuchten. Herauszuheben ist, daß sich die Autoren be­
durch Jes 66,18-20, immer im Zentrum bleibe, weil hier die Parusie stattfmde
mühen, über rein strategische und pragmatische Gründe des Heidenapostels
(159).
hinaus nach theologischen Implikationen zu suchen, um diese auch auf ein
Die beiden Stichworte Geistwirkung und Parusie bleiben auch für die
breiteres Fundament der Geschichte und Theologie des frühen Christentums
Spätphase des Paulus für die Auslegung leitend. Denn nun seien, nicht zuletzt zu stellen.
durch die positiven Entscheidungen des Apostelkonzils, Rom und Spanien
Im folgenden sollen einige bereits angesprochene Punkte aufgegriffen und
Ziele der M ission des Paulus geworden. „Wenn dort mit der Predigt des
für die hier verfolgte Fragestellung einer Problematisierung unterzogen wer­
Evangeliums der rettende Herrschaftsanspruch Christi proklamiert worden
den, wobei eine Perspektive anvisiert wird, welche die Klarheiten und die
war, stand der Parusie des Kyrios nichts mehr im W ege“ (392). Daß Paulus
Unklarheiten benennt und letztere einer möglichen Überwindung zuführen
überhaupt diese und andere Reiserouten einschlug, ginge einerseits auf will.
„Weisungen des Geistes“ (393) zurück, was sowohl bei Paulus als auch bei
Lukas zu belegen sei (401), und andererseits auf das alttestamentliche Verbot,
nach Ägypten zu gehen (393). Hier rezipieren die Autoren das bei Scott vor­
gestellte Schema: M issionsziele nicht im Bereich Harns, sondern zuerst in
demjenigen Sems und dann mit Zurückhaltung in demjenigen Japhets
33 Vgl. P. Stuhlmacher, Der Brief an die Römer, NTD 6, Göttingen/Zürich 1989, 212:
(Griechenland, Rom und Spanien, basierend auf Jub 8-9)32 (393).Wenn Pau­
„Paulus will als der von Gott durch Christus berufene Apostel der Heiden nach Spanien
lus also zum Ende seines Wirkens Rom und dann das Ende der Welt, Spani-
Vordringen, um auf diese W eise der Erlösung ganz Israels und der Parusie des Christus
vom Zion her den Weg zu bereiten (vgl. 11,13ff.)“. Vgl. nochmals Aus, Travel 234, des­
sen These ist, „that the ‘full number o f the Gentiles’ in Rom. XI 25 will only ‘come in’
31 Hengel/Schwemer, Paulus.
when Paul has brought Christian representatives from Spain to Jerusalem as a part o f his
32 Vgl. zur geographischen Orientierung nochmals Scott, Paul bes. 15 ff und den Stuttgarter collection enterprise“.
Bibelatlas. Historische Karten der biblischen Welt, 3. neubearb. Aufl., Stuttgart 1998,
34 Vgl. dazu auch D. Zeller, Der B rief an die Römer, RNT, Regensburg 1985, 243: „... ist
27 Nr. 26: „Die biblische Völkertafel in hellenistischer Zeit“.
nicht mehr auszumachen...“.
188 Bernd Wander
Warum wollte Paulus nach Spanien? 189
4 Konsequenzen und Perspektiven Paulus selber hat in Röm 15,19b von der Selbstverpflichtung gesprochen,
„das Evangelium erfüllen“37 zu wollen und zu müssen. Die in diesem Zu­
Zunächst soll noch einmal der Blick auf den Komplex geworfen werden, w el­ sammenhang genannten Gebiete und Grenzen werden von ihm zwar erwähnt,
cher sich mit der Motivation des Paulus beschäftigt, überhaupt Spanien als einige bleiben dabei jedoch auch „unbearbeitet liegen“38. Aber die Gesamt­
Ziel seiner Heidenmission in Betracht zu ziehen. Dabei sollen (1.) die inneren richtung seiner Pläne wird dadurch doch deutlich, nämlich, „daß das Heil für
Beweggründe des Paulus eruiert werden, welche sein Selbstverständnis und die ganze Welt bestimmt ist, also auch für die zivilisatorisch und wirtschaft­
seine theologischen Grundanliegen berühren. Sodann werden (2.) Gründe lich unterentwickelten und benachteiligten Völker“39. Der Notiz aus Röm
angeführt, die seine Handlungsabsichten unter einer anderen Perspektive zu 1,14 wird in diesem Kontext meist nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt.
durchdringen versuchen. Schließlich sollen (3.) die unverfügbaren Größen Denn Paulus fühlte sich eben nicht nur Juden und Griechen, sondern auch
und Umstände reflektiert werden, welche die Spanienpläne nachhaltig beein­ Barbaren verpflichtet, also dem Teil der Menschheit, welcher der griechi­
flußten. Danach sollen (4.) Sachverhalte benannt werden, die seinen Reise­ schen Sprache nicht mächtig war und deshalb von den anderen verachtet
absichten möglicherweise entgegenstanden, und abschließend soll (5.) über wurde. So sprechen schon die inneren Beweggründe des Paulus dafür, daß er
das Gelingen der Spanienmission spekuliert werden. in Erwartung des kommenden Jesus Christus zur Wiederherstellung Israels
1. Riesner hat mit seinen Ausführungen gezeigt, daß Paulus mehr als eine einschließlich des Hinzukommens der Völkerwelt das Evangelium mit dieser
simple Missionsstrategie verfolgte. Zum einen war es die erwartete Parusie Ausrichtung „überall“, und deshalb auch in Spanien, dem „Ende der Erde“
Jesu, welche ihm vor Augen stand und die seinem unermüdlichen Wirken verkünden mußte.
Sinn und Mitte gab. Dabei drücken Schriftstellen wie Röm 11,25 und 15,10 2. Zu diesen theologischen Grundkomponenten, welche das Denken und
die israeltheologische Komponente dieser Erwartung aus, mit der Wieder­ das Selbstverständnis des Paulus nachhaltig prägten, traten auch äußere
kunft Jesu sei die Rettung Israels verbunden. Aber nicht nur das: Wie Gal 3,8 Gründe, die den Westen des Reiches für ihn als M issionsziel attraktiv mach­
unter Rezeption von Gen 12,3 und 18,8 zeigt, ist mit dem universalistischen ten. In Röm 15,28 deutet Paulus durch die füturische Formulierung das end­
jüdischen Konzept auch das Eingehen der Heiden verbunden, und dazu muß­ gültige Verlassen der östlichen Gebiete an. Die Beurteilungen dieses Phäno­
ten die Heiden bis nach Spanien mit dieser Botschaft bekannt gemacht wer­ mens fallen divergierend aus, zumeist unter Rezeption neuzeitlicher
den.
Kategorien. So wird davon gesprochen, daß Paulus im Osten „arbeitslos“40
Daß die endzeitliche Wiederherstellung Israels und das Kommen der V öl­ geworden sei oder eine Art „Berufsverbot“41 erhalten habe. Vorsichtiger for­
ker zum Zion in Jerusalem stattfinden würden, hat Paulus wohl nie bezwei­ muliert wird auch davon gesprochen, es seien Hindernisse bei seinen
felt. So ist die Formulierung in Röm 15,19 „von Jerusalem aus“ zwar
"rätselhaft", wenn diese rein missionstechnisch aufgefaßt wird, weil Paulus
sich im Bereich Jerusalem/Judäa nur eingeschränkt aufhielt (vgl. Gal 1,17-23
mit Act 9,28-30). Doch w ill sie wohl mehr zum Ausdruck bringen, und Röm
What if Paul Had Travelled East rather than West?, Biblical Interpretations. A Journal
15,19 ist dann eher „rein geographisch und nicht zugleich chronologisch o f Contemporary Approaches VIII (2000) 171-184. Der Irrealis der Formulierung ver­
(‘angefangen mit Jerusalem’) [zu] verstehen: Jerusalem als der eine geogra­ letzt darüber hinaus in wissenschaftstheoretischer Hinsicht den common sense der histo­
phische Eckpunkt des Missionswerkes des Paulus“35. Jerusalem ist aber nicht rischen Forschung, der sich stets mit gegebenem, aber nicht mit dem, was hätte sein
können, beschäftigt.
nur Eckpunkt, sondern auch Ausgangs- und Endpunkt seines Bemühens ge­
37 Vgl. zu dieser Formulierung Kol 1,25; Act 12,25; 14,26; 19,21.
wesen, und das schloß für ihn eine M ission bis ans Ende der Erde (Röm
38 Vgl. Zeller, Römerbrief 239-243, 242.
10,18) selbstverständlich mit ein.36 39 Vgl. Zeller, Römerbrief243.
40 U. Wilckens, Der Brief an die Römer. Teilband 3. Röm 12-16, EKK VI/3 Zürich u a
1982,124.
35 K. Haacker, Der Brief an die Römer, ThHK 6, Leipzig 1999, 307.
41 Haacker, Römerbrief 309 interpretiert hier Äußerungen von Ph. Vielhauer, Geschichte
36 Vgl. O. Michel, Der B rief an die Römer, KEK IV, Göttingen 41966, 369; Stuhlmacher, der urchristlichen Literatur. Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die
Römerbrief 369. Müßig ist nach diesem universalistischen Konzept deshalb auch die apostolischen Väter, Berlin/New York 1975, 124. Vgl. in diesem Zusammenhang auch
Frage, was gewesen wäre, wenn Paulus sich eher nach dem Osten als nach dem Westen A. J. Dewey, Social-historical Observations on Romans 15,23:24, in: P. L. Reddit (ed.),
des Römischen Reiches orientiert hätte. So der Titel eines Aufsatzes von R. Bauckham, Proceedings. Eastern Great Lakes and Midwest Biblical Societies 7 (1987) 49-57.
190 Bernd Wander
Warum wollte Paulus nach Spanien? 191
„vielfältigen Aufgaben“ eingetreten oder Paulus hätte „keinen Raum mehr für
unterhielt und Spamen auch schon in der Antike als touristisches Ziel galt48.
die ihm aufgetragene Erstlingsmission unter den Heiden“42 gesehen.
Durch Priszilla und Aquila, mit denen Paulus nach ihrer Vertreibung aus
Die Bewertung der paulinischen Angaben und ihrer Auslegung ist wesent­
Rom in Korinth längere Zeit zusammen gewesen war (Act 18), werden ihm
lich von dem Ereignis und den Abmachungen auf dem Apostelkonzil 48
Informationen über dieses Land zu Ohren gekommen sein, wodurch es sich
n.Chr. abhängig. So wertete Emst Käsemann den Konflikt mit Petrus und an­
bei ihm als lohnenswertes Ziel verfestigt haben könnte.49 Daß damit auch
deren Aposteln auf der Jerusalemer Versammlung als wesentlich für die
Probleme im Hinblick auf die jüdische Präsenz in Spanien und auf sprachli­
Neuorientierung des Paulus zum Westen des Reiches hin.43 Völlig anders
che Gegebenheiten verbunden waren, soll eigens noch unter 4. thematisiert
schätzen demgegenüber Martin Hengel und Anna Maria Schwemer die da­ werden.
mals getroffenen Entscheidungen ein. Dort sei Paulus nämlich endgültig
3. Bei der Aufzählung der Faktoren, welche Paulus zu einer Spanienreise
„grünes Licht“44 für die universale Heidenmission gegeben worden. Ob dies
motiviert haben könnten, müssen auch unverfügbare Erfahrungen berück­
tatsächlich der Fall gewesen ist, wird in der Forschung kontrovers diskutiert.
sichtigt werden. Hier wäre an die Gesamtkonzeption der paulinischen Reise­
Unklar ist zumindest, welche Dimension der in Act 15,36-39 dokumentierte
routen in den Act zu denken, die durchgängig und besonders an kritischen
Streit mit Barnabas hatte und mit welchen Folgen und Implikationen er ver­
Stationen (Europa 16,9f) als vom Heiligen Geist gewirkt bewertet werden.
bunden war. Unklar ist auch, was in Gal 2,9 tatsächlich ausgesagt wird und
Die Anfänge der M ission überhaupt (Act 2), der Beginn der Samaritanermis­
welche Perspektiven sich daraus ergeben.45 Für wahrscheinlicher halte ich,
sion (Act 8) und die folgenschwere Entwicklung zur Heidenmission hin (Act
daß Paulus sich analog zu seiner M ission in Arabien und auf der ersten M is­
lOff) sind nicht ohne die pneumatischen Erfahrungen ganz besonders des
sionsreise, als er Jerusalem zur Absicherung nachträglich aufsuchte (Gal
hellenistischen Judenchristentums (z.B. Act 7,55; 8,39) zu denken. Wenn
1,17 f und 2,2: „nicht vergeblich gelaufen bin“), ebenfalls nach Röm 15,31
Paulus in Röm 15,19 in der Rückschau ebenfalls auf die „Kraft des Geistes
rückwirkend seiner eigenverantworteten Heidenmission versichern will, um
Gottes rekurriert, kann sicher davon ausgegangen werden, daß dies auf Er­
sich dann so den neuen Aufgaben in Spanien widmen zu können. Grundsätz­
fahrungen beruht, die von der Paulusschule später großflächig konzeptionell
lich nehme ich in diesem Zusammenhang an, daß Paulus seinen Aufgabenbe­
verarbeitet wurden. So bleibt jenseits aller Strategien, Überlegungen und Pla­
reich in theologischer Hinsicht immer unabhängig verstanden und er sich in
nungen ein Stück unverfügbaren Wirkens, welches nicht nur das frühe Chri­
seinen Entscheidungen frei gefühlt hat. W eil aber Freiheit immer nur in Bin­ stentum als Fügung des Heiligen Geistes begriffen hat.
dung gelebt werden kann, bindet Paulus seinen Aufgabenbereich auch immer
4. Bei der Suche nach äußeren Gründen für eine geplante Spanienmission
zurück an Jerusalem. Schließlich ist im Bereich der äußeren Gründe abschlie­
des Paulus war schon angedeutet worden, daß sowohl die jüdische Präsenz
ßend zu fragen, weshalb Paulus neben dem Aspekt des „Endes der Erde“ eine
wie sprachliche Schwierigkeiten einer Realisierung massiv im Weg gestanden
Veranlassung gefunden hatte, Spanien als missionarisches Ziel zu wählen.
haben können. Diesen beiden Einwänden muß nähere Aufmerksamkeit ge­
Hier wäre besonders anzuführen, daß Spanien über zahlreiche Rohstoffe ver­ schenkt werden.
fügte,46*die Reichshauptstadt Rom intensive Handelskontakte mit dem Land
Besonders für die älteren Ausleger stand fest, daß in Spanien zahlreiche
Synagogengemeinden belegt seien- und Paulus mit ihnen als Anknüpfungs­
punkt, wie etwa auch in Kleinasien oder Griechenland, fest rechnen konnte.50
42 Stuhlmacher, Römerbrief 211. Vorsichtige Einschränkungen dieser doch recht optimistischen Einschätzung
43 Käsemann, Römerbrief 379. wurden jedoch aufgrund fehlender literarischer Quellen von Simon Apple-
44 Hengel/Schwemer, Paulus 403.
45 Die Problemstellungen werden hier nur in aller Kürze angerissen, ausführlicher habe ich
47 Besonders die begehrten Pferde für die Zirkusspiele kamen aus Spanien; vgl dazu L
mich damit beschäftigt in: Trennungsprozesse zwischen Frühem Christentum und Ju­
Friedlaender, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in der Zeit von Augustus bis
dentum im 1. Jahrhundert n.Chr. Datierbare Abfolgen zwischen der Hinrichtung Jesu
zum Ausgang der Antonine, Bd. 2, Leipzig 1922 (Nachdruck Aalen 1964), 4 1 f
und der Zerstörung des Jerusalemer Tempels, TANZ 16, Tübingen/Basel 21997 202-
48 Vgl. Käsemann, Römerbrief 380; Michel, Römerbrief 369 Anm. 2.
206.
49 Vgl. Gams, Kirchengeschichte I, 3; Michel, Römerbrief 369.
46 Pomponius Mela (1. Jh. n.Chr.), Kreuzfahrt durch die Alte Welt, zweispr. Ausg. hg. von
50 Vgl. etwa Michel, Römerbrief 369; Käsemann, Römerbrief 380; M. E. Smallwood, The
K. Brodersen, Darmstadt 1994 gibt an, Spanien habe „Überfluß an Männern, Pferden,
Jews under Roman Rule. From Pompey to Diocletian, SJLA 20, Leiden 1976, 122; H.
Eisen, Zinn, Erz, Silber und sogar Gold...“ (Buch II 86).
Schlier, Der Römerbrief, HThK VI, Freiburg u.a. 1977, 435.
192 Bernd Wander
Warum wollte Paulus nach Spanien? 193
bäum geltend gemacht, der Angaben aus Josephus, ant 12,150 entsprechend sehe Sprache als Haupthindernis für die Spanienmission ist zwar ein beliebtes
auswertete: „Our only information connected with Jewish occupations in Argument, entspricht aber weder dem neueren Forschungsstand noch der nö­
Spain in the first century C.E. is the tradition that a weaver o f the Temple ta­ tigen Differenzierung. So urteilt Sebastián Mariné Bigorra in einer neueren
pestries migrated to Spain after the Destruction“51. Dieser wohl richtig be­ sprachgeschichtlichen Untersuchung, daß die Auffassung, in Spanien werde
wertete Befund veranlaßte Robert Jewett deshalb zu der Vermutung, daß nur die lateinische Sprache gesprochen, ein viel zu allgemeines und pauscha­
Paulus die in Röm 16,1 erwähnte Phöbe aufgrund ihrer hohen sozialen Stel­ les Urteil sei. Nach seiner sehr differenzierten Analyse der verhältnismäßig
lung in Anspruch nehmen wollte, um ihm die entsprechenden kompensatori­ häufig belegten Graffiti in griechischer Sprache urteilt er:
schen Rahmenbedingungen und eine logistische Basis für seine Spanienmis­
sion zu schaffen.52 Zu Recht hat Klaus Haacker dieser Beurteilung jedoch „Sie zeigen, daß die griechische Sprache unter den vertriebenen Orientalen in Ge­
widersprochen, weil Paulus in Röm 16,1 nicht für seine Zwecke argumentie­ brauch war. Diese finden sich vor allem unter Sklaven und Freigelassenen, wie die
re, sondern im Gegenteil „die Phöbe ja gerade als (in Rom) hilfsbedürftig, al­ Onomastik beweist, besonders die Nach- und Spitznamen, man findet sie vor allem in
so selbst auf Patronage angewiesen hinstellt“53. Schon T. C. G. Thorton hatte den großen Stadtzentren, in der Baetica und an der levantischen Küste ... Die erste
Verbreitung des Christentums erreichte größtenteils diese niedrigen Schichten, wie
in seiner Kurzanzeige zur Spanienmission des Paulus auf die seines Erachtens
dies besonders die christlichen Grabinschriften in griechischer Sprache nicht nur
gesicherte fehlende jüdische Präsenz in Spanien hingewiesen.54 Nach der
durch die Namen der Verstorbenen, der Verwandten und der Widmenden, sondern
großen Untersuchung von Heikki Solin sollte an dieser Einschätzung nicht auch durch den Zustand der Sprache selbst bezeugen: Wegen der häufigen Fehler ...
mehr gezweifelt werden. Er hat nachgewiesen, daß vor dem 4. Jahrhundert könnte man es als ‘Vulgärgriechisch’ bezeichnen“57.
n.Chr. keine Juden in Spanien zu belegen sind.55 Solin vermerkte darüber
hinaus, daß die Inschriften alle in lateinischer Sprache abgefaßt sind, was die Trifft dieses Untersuchungsergebnis zu, dann wäre ein Hauptargument gegen
Aufmerksamkeit auf einen weiteren Aspekt lenkt. eine paulinische Mission in Spanien ausgeräumt. Demnach hätte Paulus auch
So hatte Ferdinand Hielscher schon 1925 höhnisch gefragt: „In welcher ohne elaborierte lateinische Sprachkenntnisse dorthin reisen können. Fällt
Sprache gedachte er wohl zu predigen? Aramäisch? Ausgeschlossen. Grie­ von dieser Beobachtung her ein neues Licht auf das andere Argument, das
chisch? Wie viele hätten ihn da wohl verstanden?! Also lateinisch? Aber das Hindernis der fehlenden jüdischen Präsenz in Spanien?
Lateinische verstand er selbst nicht. Oder wollte er vielleicht seinen Aufent­ An dieser Stelle kommt noch einmal der bereits oben erwähnten Notiz aus
halt in Rom zur Erlernung der lateinischen Sprache benutzen?“56. Die lateini- Röm 1,14 eine Bedeutung zu. Wenn Paulus seinen Auftrag auch als an die
Barbaren gesendet auffaßte, dann konnte ihn die Absenz jüdischer Gemein­
den in Spanien wohl kaum von seinem Vorhaben abbringen. Denn Paulus
51 S. Applebaum, The Social and Economic Status o f the Jews in the Diaspora, in: The Je­
wish People in the First Century. Historical Geography, Political History, Social, Cultu­ verstand ^sein Auftreten auf fremden Grund jew eils als eine Art „Pionier­
ral and Religious Life and Institutions, C R I1/2, Assen 1976, 701-727, 723. mission“ , was einerseits im Sinne von Röm 15,20 verstanden werden
52 R. Jewett, Paul, Phoebe and the Spanish Mission, in: J. Neusner u.a. (ed.), The Social konnte, nicht dort zu verkündigen, wo der Name Jesu schon bekannt war, was
World o f Formative Christianity and Judaism. Essays in Tribute to Howard C. Kee, ihn aber auch andererseits in Gebiete treiben mußte, in denen er sich aufseine
Philadelphia 1988, 142-161.
vertrauten Anknüpfungspunkte wie jüdische Synagogen und Gebetsstätten
5 3 Haacker, Römerbrief 318.
nicht verlassen konnte. Wenn Paulus also Impulse als Pioniermissionar geben
54 T. C. G. Thorton, St. Paul’s Missionary Intentions in Spain, ET 86 (1974/1975) 120.
55 H. Solin, Juden und Syrer im westlichen Teil der römischen Welt. Eine ethnisch­
wollte in Gebieten, wo bisher die Christusbotschaft nicht vernommen worden
demographische Studie mit besonderer Berücksichtigung der sprachlichen Zustände, war, ließe das möglicherweise doch Rückschlüsse auf eine Spanienmission
ANRW II 29/2, Berlin/New York 1983, 587-789, 749-752. Die Vermutung Riesners, zu. Dazu sollen nun im letzten und abschließenden Punkt Überlegungen an­
Frühzeit 271 Anm. 136, daß die harschen Urteile des aus Cordoba gebürtigen Seneca gestellt werden.
über Juden auf dessen Herkunft beruhten, ist durch nichts beweisbar und auch abwegig.
Auch Martial stammte aus Spanien, auch er spottete über Juden oder verurteilte sie.
57 S. Mariné Bigorra, Hispanische Latinität und sprachliche Kontakte im römischen Impe­
Aber sein Urteil wird sich erst in der Konfrontation mit jüdischen Sitten und ganz be­
rium, ANRW I I 29/2, Berlin 1983, 819-852, 842f.
sonders mit ihren Nachahmern auf heidnischer Seite in Rom gebildet haben, und mit
58 Zum Ausdruck Stuhlmacher, Römerbrief 211; Haacker, Römerbrief 310; vgl zum Phä­
Seneca wird es nicht anders gewesen sein.
nomen auch D. Zeller, Theologie der M ission bei Paulus, in: K. Kertelge (Hg.), Mission
56 F. Hielscher, Forschungen zur Geschichte des Apostels Paulus I, Cottbus 1925, 25.
im Neuen Testament, QD 93, Freiburg u.a. 1982, 164-189, 182.
194 Bernd Wander Warum wollte Paulus nach Spanien? 195

5. Durch Quellenangaben wie 1 Clem 5,6f; Can Mur 2,35-37, Act Verc nachgezeichnet werden. Letztlich bleibt es also dabei, daß der Weg der For­
1,159 scheint der Erfolg einer Spanienmission des Paulus gewährleistet zu schung in Zukunft schwerpunktmäßig den neueren Ansatz nach dem
sein. Jedoch muß in Rechnung gestellt werden, daß es nicht sicher ist, ob es "Warum" einschlagen und die Frage der älteren Forschung nach der Realisie­
sich bei diesen Angaben um einen Reflex auf die erfolgte Durchführung oder rung hinter sich, oder besser, offen lassen sollte.
eben nur auf die Absichtserklärung nach Röm 15,24 und 28 handelt. Auch
Datierungsfragen der betreffenden Quellen helfen an dieser Stelle nicht w ei­
ter, so daß es bei dem non liquet der Beantwortung bleiben muß.60
Dennoch sollten die unter 4. erwähnten Faktoren hier noch einmal zur
Sprache und mit einer Teilaussage aus 1 Clem 5,6f in Verbindung gebracht
werden. Klaus Haacker kommentiert: Wenn Paulus nach dieser Notiz
„‘siebenmal in Ketten’ gewesen sei, so ist das um so leichter historisch vor­
stellbar, wenn der Prozeß, der den Apostel nach Rom brachte, nicht der letzte
in seinem Leben war“61. Dieser Angabe kann allein deshalb mehr Zutrauen
geschenkt werden, w eil sie nicht auf eine im Neuen Testament enthaltene
Notiz Bezug nimmt, obwohl wir natürlich über Gefangenschaften und Fes­
seln des Paulus informiert sind.62 Ist also die mit Polizeiaufsicht und Haus­
arrest verbundene Gefangenschaft in Rom nach den Act nicht das letzte Wort
oder die letzte Nachricht über Paulus gewesen, sondern möglicherweise die
vorletzte Haft vor seinem Martyrium unter Nero, dann ließe das die Hypothe­
se zu, daß Paulus wegen der auch für Spanien belegbaren Griechischkennt­
nisse trotz fehlender jüdischer Präsenz einen letzten offensiven Vorstoß zu
einer Pioniermission nach Spanien gewagt hat, um seinem in Röm 1,14 zum
Ausdruck gebrachten Auftrag Folge zu leisten und ihn zu erfüllen. Es ist
denkbar, daß Paulus auf dieser für ihn in vielerlei Hinsicht neuartigen Pio­
niermission nur ein kläglicher Erfolg beschieden gewesen ist, und daß sie
vielleicht sogar mit einer erneuten Verhaftung und Überstellung als römischer
Bürger nach Rom endete. Vielleicht hat Lukas deshalb auch das Ende der
Apostelgeschichte derart offen gelassen. Daß Paulus in geschilderter W eise
Spanien erreicht hatte, bringt Lukas vielleicht in Act 13,47 zum Ausdruck,
wo das „Ende der Erde“ als Endpunkt der paulinischen Mission anvisiert
wird. Trotzdem kann dies alles nur in hypothetischer Form erwogen und

59 Vgl. Lietzmann, Petrus 242-245 und Gams, Kirchengeschichte I, 5-75.


60 Der allzu unkritischen Schlußfolgerung von G. D. Papathomas in seiner leider nur in
neugriechischer Sprache abgefaßten Untersuchung „Begab sich der Apostel Paulus nach
Spanien?“, Theol 60 (1989) 754-774 kann deshalb auch in dieser Form nicht zuge­
stimmt werden. Für ihn steht fest, daß die Spanienmission „eine wahre Begebenheit und
nicht nur eine Vermutung seitens der Forscher sei“ (Zitat nach IZBG 37 [1990-1991]
Nr. 1187).
61 Haacker, Römerbrief 311.
62 2 Kor 6,5; 11,23; Phil l,7;P h lm 1,1.10.13; vgl. Eph 3,1; 4,1; 6,20; Kol 4,2.10.18; 2 Tim
1.8.16; 2.9.
t

Hermut Löhr

Zur Paulus-Notiz in 1 Clem 5,5-7

Die erste ausdrückliche Nachricht über den Tod des Apostels Paulus findet
sich im traditionell 1 Clem genannten Schreiben der römischen an die ko­
rinthische Christengemeinde. Anlass und Anliegen des langen Schreibens
sind Missstände in der korinthischen Gemeinde. Einige der bewährten Pres­
byter scheinen abgesetzt worden zu sein. Die römische Gemeinde ergreift in
diesem Konflikt eindeutig Partei für die Wiederherstellung der alten Ord­
nung. Wenn auch dieses Thema im ganzen Brief präsent ist, so gehen die
Darlegungen weit über die aktuelle Frage hinaus.
D ie Datierung des Schreibens - es handelt sich um einen echten Brief - ist
nicht gesichert. Terminus ante quem für die Abfassung des Schreibens ist ein
Testimonium des Bischofs Dionysios von Korinth bei Euseb, hist eccl IV
23,11, das man auf die Zeit um 170 n.Chr. datieren kann. Diesem Zeugnis zu­
folge ist 1 Clem nicht in allerjüngster Vergangenheit entstanden.1 Der Ver­
such, vor Dionysios deutliche Bezugnahmen auf 1 Clem zu finden - vorge­
schlagen wurden insbesondere der Römerbrief des Ignatius von Antiochien
und der Polykarpbrief - überzeugen nur bedingt und bilden keine verlässliche
Basis zur Datierung. Sicherer terminus p ost quem ist die Abfassung von
1 Kor, den 1 Clem in 47,1-3 ausdrücklich zitiert. Das Verhältnis zu weiteren
neutestamentlichen Schriften wie Joh oder Hebr ist unsicherer und erlaubt
keine genauere Datierung. Gleiches gilt für andere Erwägungen, so zur Ein­
ordnung der in 1 Clem sichtbar werdenden Ämterstruktur der Kirche. Euseb,
hist eccl III 16 datiert das Schreiben in die Zeit Domitians. Dieses Testimoni­
um ist zu beachten, auch wenn die Deutung von 1 Clem 1,1 auf Christen­
verfolgungen unter dem Flavier unsicher ist, w eil insgesamt eine solche Ver­
folgertätigkeit zunehmend in Frage gestellt wird. So wird 1 Clem überwie­
gend in die 90er Jahre des ersten Jahrhunderts n.Chr. datiert, auch wenn ab­
weichende Meinungen durchaus vertreten werden, seien es Frühdatierungen

1 Vgl. Euseb, hist eccl IV 23,11: cbq Kai xijv upoxspav r|p.iv 5 ia KA,f|p£vxoq
ypaipsiaav.
Zur Paulus-Notiz in 1 Clem 5,5-7 207
206 Hermut Löhr

kennbar. Wenn wir also die Paulus-Notiz auf ihren geschichtlichen Wert hin rechtigkeit bis zu den Grenzen des Westens, führt dann die Schilderung sei­
befragen, treffen wir nicht das eigentliche Interesse des Autors in diesem nes Tuns fort zur Konfrontation mit den fyyoupevoi und umschreibt schließ­
Textabschnitt. Das muss kein Nachteil sein. Denn Versuche, eine Ortstraditi­ lich sein Ende mit den Wendungen „aus der Welt scheiden“ und „an den hei­
on zu begründen oder zu legitimieren, einander widersprechende geschichtli­ ligen Ort gelangen“. „r , , * >
che Überlieferungen miteinander auszugleichen o.ä. müssten in viel höherem In ihrer Interpretation umstritten sind vor allem die Wendungen em xo
Maße dem Verdacht nicht so sehr der literarischen Gestaltung, als vielmehr xeppa tti<; Soascoq sLOcov und papxupijaaq siti x65v ijyoupsvcov, die durch
des Zurechtbiegens des wirklich Geschehenen unterliegen als eine Notiz wie Kai einander syntaktisch gleichgeordnet sind, was inhaltlich übrigens nicht
die vorliegende, die vielleicht Neues mitteilt, vielleicht auf längst Bekanntes heißen muss, dass die berichteten Ereignisse zu gleicher Zeit stattgefimden
rekurriert, jedenfalls in irgendeiner W eise auf einen WissensAonsens ausge­
richtet ist, um ihr eigentliches, paränetisches Ziel zu erreichen. Das als Bei­ Mit der Interpretation des erstgenannten Syntagmas entscheidet sich die
spiel Gewählte kann, ja muss gestaltet werden, um dem übergreifenden Frage, ob die Paulus-Notiz in 1 Clem von einer Spanien-Reise des Apostels
Zweck dienen zu können17, doch muss m.E. der historische Sachgehalt der ausgeht Bekanntlich steht durch des Paulus eigene Worte m Röm 15,24.28
Aussage zumindest in den Augen des Autors ziemlich selbstverständlich und die Absicht des Apostels, über Rom nach Spanien weiterzureisen und so im
unbestritten gewesen sein, damit er überhaupt persuasiv eingesetzt werden Westen seine M ission fortzusetzen, außer Frage.18 Es bedarf allein einer Klä­
konnte. Im Sinne historischer Methodologie gesprochen, welche die Quellen rung, ob diese Absicht verwirklicht wurde. Die nach der gängigen Datierung
nach ihrer Intention ordnet, halte ich die N otiz in 1 Clem 5 daher für einen frühesten literarischen Zeugnisse für eine tatsächlich stattgefundene Reise
"Überrest", nicht für Tradition. stammen vom Ende des 2. Jahrhunderts und finden sich im Canon Muratori,
Nachdem in V.5 gewissermaßen als Rezeptionsanweisungen für das ganze der auch eine Erklärung dafür findet, wieso die Act über diese Ereignisse kein
Beispiel die drei Motive von ^fjZoc; und epn;, im opovf| und Agon-Motiv Wort verlieren (und damit seinen Bezugstext deutlich anzeigt), sowie der
miteinander genannt wurden, bieten Verse 6 und 7, die semantisch teilweise Actus Petri cum Simone (Lipsius/Bonnet I, 45 Z. 10; 51 Z.26)19. Eine Bezug­
parallel, teilweise chiastisch konstruiert sind, gleichsam in zwei Bewegungen nahme auf die N otiz in 1 Clem wird in den drei Texten nicht erkennbar. ^
die Schilderung von Leben und Werk des Paulus. Beide berichten vom Tun, Weniger klar als des Paulus geographisch einigermaßen deutliches E u a v ia
der Konfrontation und dem Ende des Paulus. V.6 setzt ein mit drei Peristasen ist des Clemens vages xö xsppa xf\q Suascoq, das innerhalb wie außerhalb
(Gefangenschaften, Vertreibung, Steinigung), nennt dann stichwortartig die des Briefes keine exakte Parallele hat und so Raum ließ für allerlei Spekula­
Bedeutung von Pauli Wirken und deutet zuletzt das Ende des Paulus an. V.7 tionen20. D ie Konsoziation beider Begriffe führt zu der Übersetzung „im äu­
kennzeichnet zunächst das Wirken des Paulus als universales Lehren der Ge- ßersten Westen“, was aus römischer Perspektive eine Interpretation auf Rom
selbst ausschließt21. Dass die Tatsache, dass der Text Spanien nicht aus­
drücklich nenne, auch eine Deutung auf Spanien unwahrscheinlich mache22,
17 Dass der Text z.B. auf martyrologische Sprache rekurriert, wie vor allem K. Beyschlag,
Clemens Romanus und der Frühkatholizismus. Untersuchungen zu I Clemens 1-7, BHTh
18 Weniger deutlich ist, inwieweit Act eine solche Absicht oder ihre Verwirklichung impli­
35, Tübingen 1966, 2 0 7 ff ausführlich gezeigt hat (für nicht überzeugend halte ich jedoch
zieren. Vgl. zu dieser Frage den Beitrag von B. Wander in diesem Band.
seinen Versuch, eine ganz feste, vielleicht schon vor 1 Clem schriftlich fixierte Tradition
19 R. A. Lipsius und M. Bonnet, Acta Apostolorum Apocrypha. 2 Teile in 3 Banden, Bd. 1,
nachzuweisen; zu den Grenzen der Analogie etwa zu 4 Makk vgl. auch den Exkurs bei
Leipzig 1891. Auch hier ist im Kontext der Bezug auf die Act deutlich; vgl. die Anmer­
A. Lindemann, Die Clemensbriefe, HNT 17, Die Apostolischen Väter I, Tübingen 1992,
kungen von Gérard Poupon in der französischen Ausgabe der neutestamentlichen Apo­
40; vorsichtig abwägend argumentiert J. W. van Henten, Zum Einfluß jüdischer Marty­
kryphen von F. Bovon et P. Geoltrain (ed.), Écrits apocryphes chrétiens I. Index établis
rien auf die Literatur des frühen Christentums II. Die Apostolischen Väter, ANRW II
par Server J. Voicu, Bibliothèque de la Pléiade, Paris 1997, 1054f.
27/1, 700-723, 705-711, ders., The Martyrs as Heroes o f the Christian People. Some
Remarks on the Continuity between Jewish and Christian Martyrology, with Pagan 20 Eine knappe Übersicht gibt Lindemann, Paulus 78 Anm. 40. .
21 Vgl. R. Knopf, Die Apostolischen Väter I. Die Lehre der zw ölf Apostel. Die zwei Cle­
Analogies, in: M. Lamberigts and P. van Deun [ed.], Martyrium in Multidisciplinary
Perspective. Memorial Louis Reekmans, BEThL 117, Leuven 1995, 303-322, 318-322), mensbriefe, HNT Erg.-Band, Tübingen 1920, 52.
22 So Lindemann, 1 Clemensbrief 39. Noch weiter geht ders., Paulus 78: 1 Clem vermeide
sagt somit weder in der einen noch der anderen Richtung etwas über den historischen
den Namen vielleicht bewusst, um den Widerspruch zwischen den Ankündigungen des
Wert der Notiz. Historiographie ist immer von Menschen gestaltete, auch subjektiv ge­
Apostels und den tatsächlichen Ereignissen nicht habe hervortreten lassen wollen.
färbte Erzählung, aber deshalb nicht sogleich rein fiktiv.
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überzeugt als Argument nicht; ebenso wenig spricht der Autor ja von den Deutung keinesfalls ausgeschlossen wäre. Wägt man die Deutungsmöglich­
Stätten des Todes Petri oder Pauli23. Er verwendet in dem Paradigmenkatalog keiten ab, vermutet man hinter der Wendung vielleicht sogar eine bewusste
insgesamt eher eine anspielende als ausfuhrende Sprache; ein pragmatisch semantische Doppeldeutigkeit, bleibt aber die wahrscheinlichere Interpretati­
sinnvolles und geschicktes literarisches Vorgehen vor allem dann, wenn er on diejenige auf einen Punkt westlich von Rom, bis zu dem Paulus nach Auf­
bei seinen Leserinnen und Lesern mit entsprechendem Hintergrundwissen fassung des Textes gekommen sein dürfte.
rechnen kann. Dass mit der Reise des Helden in den äußersten Westen der Inhaltlich weniger konsequenzenreich ist die Entscheidung in der Frage, ob
bewohnten Welt ein Topos der antiken Heldenliteratur (besonders in Bezug der Ausdruck p,apxupf|aaq 87ti xcov fiyoupevcov im technischen Sinne auf
auf Herakles und Alexander d. Großen; vergleiche auch die von Philostrat das Martyrium zu deuten ist. Das Verb papxupsTv wird in unserem Paradig­
verfasste Vita des Apollonius von Tyana) bemüht wird, wurde seit den Hin­ menkatalog noch in dem unmittelbar vorausgehenden Beispiel des Petrus
weisen von Friedrich Pfister24 wiederholt herausgestellt. Neben der Märty- verwendet (5,4), ansonsten in 17,lf; 19,1; 38,2; 44,3 und 47,4 (bis). Im Unter­
rertopik ist damit ein zweiter Motivbereich berührt, den der Autor in seine schied zu diesen Vorkommen ist papxupsiv in der vorliegenden Passage ak­
Darstellung einfließen lässt. Auch in diesem Fall ist es nicht statthaft, die lite­ tivisch gebraucht; es geht in den Beispielen des Petrus und Paulus nicht um
rarische Topik gegen den historischen Informationswert der Notiz auszuspie­ das "Bezeugt-Werden" oder "Bezeugt-Sein", sondern um das "Zeugnis-
len25. In Bezug auf die Interpretation von xö xsppa xfjq Sdctscüc; ist zusätz­ Ablegen". In beiden Beispielen des fünften Kapitels wird papxupsiv ver­
lich darauf hinzuweisen, dass die Wendung auch semantische Bezüge zu der knüpft mit einer Wendung, welche das Sterben euphemistisch umschreibt
in unserem Textabschnitt seit 5,1 präsenten Agon-Motivik aufweist: xö (5,4: sTiopsoOri sic; xöv öcpsiZöpsvov xöuov trjq 5ö£,r|c;; 5,7: ooxcoq
xspjra meint nämlich auch die Ziel- oder Wendemarke im Wagenrennen und d 7ir|ZZdyri xou KÖapoü Kai sic; xöv a y io v xötcov aveZrjpcpGri). Während
im Wettlauf26. Von daher scheint mir die Annahme möglich, der Verfasser jedoch im Petrus-Beispiel die Zeugenschaft des Apostels in die mit ouxco ein­
von 1 Clem habe mit dem in Frage stehenden Ausdruck nicht nur eine - zu­ geleitete abschließende Phrase des Beispiels einbezogen ist27, ist sie im Pau­
dem im strengen Sinne analogielose - geographische Bezeichnung geben, lus-Beispiel davon deutlich getrennt. Doch wird aus beiden Beispielen deut­
sondern mit der allgemeinen topographischen Angabe Söcnc; das Bild des lich, dass die mit ouxco bzw. ouxcoq eingeleiteten Teilsätze beide nicht als
Wettlaufes kombinieren wollen. Interpretiert man die Wendung so, ist die resultierender Rückblick auf die ganze Wirksamkeit der Apostel zu interpre­
geographische Deutung offen; die Aussage würde sich allgemein auf den tieren sind, sondern jew eils einen neuen Teilaspekt beschreiben.28 Von daher
Endpunkt der Missionstätigkeit des Paulus beziehen, der auch in Rom gele­ scheint mir papxupsTv selbst einen vom Sterben der Apostel unterschiedenen
gen haben könnte. Als verlässlicher Zeuge für die stattgefundene Spanien- Akt zu bezeichnen und nicht per se den Tod zu implizieren29. Das papxupsiv
Reise des Paulus fiele 1 Clem damit aus, wenn andererseits auch eine solche könnte sich auch auf das Ablegen des christlichen Bekenntnisses vor den
Herrschenden mit Worten beziehen. Doch ist der Tod Petri und Pauli natür­
lich in den Aussagen über die beiden Apostel insgesamt deutlich vorausge­
23 £v f]fiiv in 6,1 kann m.E. nicht als Angabe zur Lokalisierung des Geschehens verstan­ setzt. Die Aussage in 5,2, die gewissermaßen als programmatische Über­
den werden; gegen Cullmann, Petrus 105. schrift des zweiten Teils des Paradigmenkataloges u.a. auch auf Petrus und
24 Vgl. F. Pfister, Die zweimalige römische Gefangenschaft und die spanische Reise des
Paulus zu beziehen ist, trägt historisch nicht mehr aus: scoq Gavaxou
Apostels Paulus und der Schluß der Apostelgeschichte, ZNW 14 (1913) 216-221, 217f.
Weitere Literatur nennt Beyschlag, Clemens Romanus 299 Anm. 3.
rj9Zr|aav steht innerhalb des Bildes vom Agon und will keine Angabe über
25 Dies ist jedoch die Tendenz der Ausführungen bei Beyschlag, Clemens Romanus 298f. die Todesart einzelner im Nachfolgenden genannter Personen machen.
Dass es dem Autor von 1 Clem um „katholische Weltmission“ und nicht um Paulus ge­
he, wie Beyschlag meint, kann ich mit Lona, 1 Clemensbrief 165 Anm. 3 aus dem Kon­
text nicht erkennen.
26 Vgl. die Belege bei H. G. Liddell and R. Scott, A Greek-English Lexicón, 9* ed., rev. 27 Vgl. zu den Interpretationsmöglichkeiten dieser Konstrukton Lona, 1 Clemensbrief 160.
and augmented throughout by H. S. Jones, with a rev. Supplement, Oxford 1996, 1776. 28 Ausführlich sind die Stellen bei Beyschlag, Clemens Romanus 306-319 diskutiert, der
In das Bild integrierbar - aber nicht zwingend damit verbunden - wäre so auch eine jedoch auch in diesem Zusammenhang an dem Nachweis eines älteren römischen Märty­
Rückkehr des Paulus aus Spanien nach Rom; gegen Lindemann, Paulus 78f. E. T. Mer­ rerberichtes interessiert ist.
rill, Essays in Early Christian History, London 1924, 29 l f vermutet hingegen, Paulus sei 29 Vgl. auch die unbefangene Art, in der 1 Clem 63,3 das Lexem paptct; einsetzen kann.
in Spanien gestorben. Näher zum technischen Gebrauch ist 1 Tim 6,13.
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Der recht neutrale Ausdruck f|yo6jj.svoi findet sich in 1 Clem noch öfter Die eigentliche Tätigkeit des Paulus wird in unserer Notiz zweimal ausge­
und kann neben den Gemeindeleitem (1,3) auch politisch Regierende (32,3; drückt, zum einen in 5,6 mit der Wendung Kipu^32 ysvopsvoq ev xe xfj
37,2f.; 51,5; 55,1; 60,4) bezeichnen. Wenn man aufgrund der letztgenannten dvaxoA.fi Kai ev xfj Süaei und, gleichsam ergänzend, in 5,7: 5iKaioa6vr|v
Belege Genaueres über die Stellung und Funktion der f|yo6pevoi sagen will, sSiSa^ev 6A,ov xöv KÖapov33. Der universale Horizont des paulinischen
wird man eher dazu neigen, sie nicht für die höchste politische Autorität zu Wirkens wird also betont; und seine Botschaft wird als Lehre (das Verb
halten. Doch ist die Ausdrucksweise insgesamt zu vage, um aus der Bemer­ öiSacjKSiv findet Verwendung) der Gerechtigkeit abgekürzt gekennzeich­
kung historische Schlüsse (etwa über ein über Paulus urteilendes Tribunal net34. Dass im gleichen Atemzug von der 7ucm<; gesprochen wird, ist viel­
o.ä.) ziehen zu können. leicht kein Zufall, sondern könnte darauf verweisen, auf welche Schlagworte
Die Wendung insgesamt steht am Ende der zweiten Reihe mit Stichwörtern paulinische Theologie auch im ersten Jahrhundert n.Chr. schon gebracht wer­
zum Leben des Paulus, danach folgt sogleich der Hinweis auf den Tod des den konnte; eventuell ein indirektes Indiz dafür, dass sich auch Jak 2 tatsäch­
Apostels. Von dieser Stellung her liegt es nahe, das Auftreten vor den Vor­ lich mit einer für paulinisch gehaltenen Theologie auseinandersetzt, auch
stehenden mit dem Abscheiden aus der Welt in Zusammenhang zu bringen. wenn diese - wie wohl auch in 1 Clem - dadurch missverstanden ist, dass aus
A u f Konflikte auch mit staatlichen Autoritäten deuten ebenfalls die zuvor der Polemik gegen die „Werke des Gesetzes“ diejenige gegen die „Werke“ in
gemachten Bemerkungen. Wenn dieser Konflikt noch einmal eigens themati­ soteriologischer Hinsicht geworden ist.
siert wird, ist damit nicht nur die universale Verkündigung unter einem spezi­ Das Beispiel des Paulus dient, so erkannten wir, in seinem Kontext einem
ellen Aspekt erneut hervorgehoben; vielmehr dürfte der Text auch darauf an- doppelten Zweck. Zum einen sollen die gefährlichen, ja tödlichen Folgen von
spielen wollen, dass hier ein letztlich tödlicher Konflikt stattgefunden hat. £/r|Ao<; u.a. dargestellt werden; zum anderen soll der Apostel den Adressaten
D.h. es ist im Sinne des Textes, wenn wir die Wendung pocprupficjot^ stcI des Schreibens als mahnendes Beispiel des Ausharrens vor Augen gestellt
tcdv fiyoupsvcov direkt mit dem Tod des Paulus in Zusammenhang bringen. werden, wobei es in erster Linie um die Intervention in innergemeindliche
Allerdings liegt dem Text nicht daran, eine besondere Verantwortlichkeit der Konflikte, daneben vielleicht aber auch um die drohende Gefahr eines Ein­
fiyoupsvoi dafür herauszuarbeiten. Diese Zurückhaltung des Textes erklärt greifens von außen geht. Gerade die Beispiele der ersten Tafel heben deutlich
sich vielleicht daraus, dass hier längst Bekanntes in Erinnerung gerufen wird, auf interne Konflikte ab; den Streit zwischen Brüdern (Kain und Abel; Jakob
wahrscheinlich aus Vorsicht gegenüber nicht-christlichen M itlesem des Tex­ und Esau) oder Volksgenossen (Mose; Datan und Abiram; David und Saul).
tes, sicher nicht aus einer insgesamt unkritischen Haltung gegenüber den Dass daher der Text auch die Beispiele der jüngsten Zeit in dieser Linie zu
staatlichen Autoritäten. verstehen geben möchte, liegt nahe. Inwieweit hier tatsächliche historische
Die weiteren Aussagen des Testimoniums sind in ihrer Deutung weniger Erinnerung vorliegt, derzufolge innergemeindliche Streitigkeiten einen An­
umstritten. Die Reihe von drei unterschiedlichen Peristasen in 5,6 (stttockk;30 lass zum Eingreifen von außen boten35, ist kaum sicher anzugeben. Denn dem
öecrpd (popsaaq, cpuyaSeuöeic;, Ai0aa0ei<;), die den in 5,5 eingeführten B e­ Autor geht es ja auch nicht um eine ggf. selbstkritische Rechenschaft über die
griff der Ö7iopovf| entfalten, erinnert an die sehr viel ausführlichere Reihe im
Selbstzeugnis des Paulus in 2 Kor 11,23-28, ohne mit ihr strukturell oder
Lindemaim, Paulus 76 hält es für erwiesen, dass 1 Clem den Peristasenkatalog nicht ge­
sachlich identisch zu sein31.
kannt habe. Diese Frage kann nicht isoliert geklärt werden, sondern ist im weiteren Ho­
rizont der Frage nach der Kenntnis von 2 Kor zu erörtern.
32 Auch zum Begriff des Herolds wurde auf das antike Heraklesideal hingewiesen, vgl.
z.B. L. Sanders, L’hellénisme de Saint Clément de Rome et le paulinisme, StHell 2,
30 Eine symbolische Deutung dieser Zahl liegt nahe (vgl. etwa die Überlegungen von J. D. Louvain 1943, 30f; Beyschlag, Clemens Romanus 297.
Quinn, „Seven Times he Wore Chains“ [I Clem 5,6], JBL 97 [1978] 574-576), ist aber 33 20,8 spricht von den „Welten hinter dem Ozean“ und setzt damit eine andere Vorstel­
sonst durch nichts in 1 Clem gesichert. lung vom Koopioç voraus (vgl. dazu Lona, 1 Clemensbrief 261 mit Anm. 3 und 4) als in
31 Auch Paulus macht Zahlenangaben über wiederholte Gefahren, doch erwähnt er keine Kap. 5.
siebenm alig Gefahr. Die Aussage in 2 Kor 11,23 deutet auf mehrmalige Gefangen­ 34 In diesem Zusammenhang ist hinzuweisen auf die Ausführungen zum Thema der Ge­
schaft hin. Davon, einmal gesteinigt worden zu sein, spricht Paulus selbst in 2 Kor 11,25 rechtigkeit nicht aus Werken, sondern aus Glauben in 32,3f.
(arax% ¿Zi0da9r|v). Ausweisung oder Vertreibung erwähnt Paulus in diesem Zusam­ 35 Vgl. das berühmte impulsore Chresto bei Sueton, Claud 25; s. ferner Phil 1,15; ActPauli
menhang nicht; vgl. aber 2 Kor 11,33 und Act 9,24f. 12,3.
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Vergangenheit der eigenen Gemeinde, sondern um Paränese für die Gegen­ 2. Wer die Paulus-Notiz in 1 Clem aus den erwähnten neutestamentlichen
wart, in der Eifersucht und Streit die frühere Eintracht und den Frieden ab­ Stücken entstanden sein lässt, muss zugleich ihre freie Verwendung und
gelöst haben. Zudem taucht das Stichwort spie;, wie wir sahen, noch einmal Weiterentwicklung konstatieren. Denn eine direkte wörtliche Beziehung ist
im Paradigmenkatalog (6,4) und mehrfach sonst in 1 Clem auf; seine Ver­ nicht herzustellen. D.h. der über den Verdacht hinausgehende Erweis einer
wendung im Paulus-Beispiel setzt also keinen singulären Akzent. Die Stilisie­ solchen Entlehnung ist nicht zu führen.
rung darf daher historisch nicht überfrachtet werden. 3. Einfacher erscheint mir aus solchen Erwägungen - und weil ich auch
Aufgrund der Formulierungen erscheint es wahrscheinlich, dass 1 Clem um sonst in 1 Clem keine Indizien für die Tendenz zur historischen Ausmalung
eine Tätigkeit des Apostels im Westen über Rom hinaus wusste. Details blei­ und legendarischen Fortschreibung entdecke —, dass der Verfasser in der
ben jedoch im Dunkeln. Woher der Autor sein Wissen hat - aus eigenen Er­ Paulus-Notiz auf vorhandene Informationen über das Wirken und das Ende
innerungen und Informationen oder aus der Tradition der römischen Gemein­ des Paulus im Westen zurückgreift, ohne dass aus seiner knappen und an­
de - kann nicht gesagt werden36. D ie anspielende Art der Formulierung deutet spielenden Art die Details noch erkennbar wären. Dass 1 Clem auch sonst
darauf hin, dass der Autor hier ein mit seinen Adressaten geteiltes Wissen zur Zugang zu im Neuen Testament nicht erhaltenen frühchristlichen Traditionen
paränetischen Anwendung bringt. Um historische Information, um memora- hatte, wissen wir z.B. aus seiner Aufnahme der Jesus-Tradition oder auch
bilia des Apostels, geht es nicht. Gerade das macht das Zeugnis m.E. aber seinem Rekurs auf die liturgische Sprache der ersten Christen. Die Paulus-
recht unverdächtig, ein besonderes Interesse, dieses oder jenes Faktum aus N otiz in 1 Clem bietet dem Historiker ein gutes Indiz für die Vermutung,
des Paulus Leben zu erfinden, kann ich nicht erkennen, so sicher der Text Paulus sei über Rom hinausgelangt und durch einen Konflikt mit staatlichen
unter Aufnahme jüdisch-martyrologischer Motive und paganer Heldentopoi Autoritäten zu Tode gekommen.
gestaltet wurde.
Ein weiterer Aspekt ist abschließend kurz anzusprechen: Um 1 Clem als
Zeugen einer über Rom hinausführenden Tätigkeit des Apostels Paulus zu
eliminieren, wurde immer wieder vermutet, er habe die Absichtserklärungen
des paulinischen Römerbriefes sowie die Andeutungen der Act37 einfach aus­
geschrieben. Zu solchen Überlegungen ist zu sagen:
1. Der Bezug auf das Zeugnis der Act ist insofern problematisch, als er
voraussetzt, das lukanische Doppelwerk sei vor 1 Clem entstanden. A uf die
Beziehungen zwischen Lk und 1 Clem kann hier nicht eingegangen werden.
Es sei jedoch daraufhingewiesen, dass es berechtigte Zweifel an der chrono­
logischen Abfolge Lk-1 Clem gibt, welche in Bezug auf sich hierauf stützen­
de weiterreichende Thesen zur Vorsicht raten lassen. 1 Clem zitiert hingegen
ausdrücklich - in der zweiten Erwähnung des Apostels Paulus - 1 Kor
(1 Clem 47,1); von daher sowie von manchen Entlehnungen kann man eine
Bekanntschaft auch mit Röm voraussetzen.

36 Die Annahme einer schriftlichen Quelle durch Beyschlag, Clemens Romanus, zusam­
menfassend 343f, ist nicht durch textinteme Signale gedeckt; sie bleibt reine Vermutung.
Zudem bezieht sich Beyschlags Untersuchung vielfach auf spätere Zeugnisse, die mögli­
cherweise ihrerseits schon auf die Notiz in 1 Clem anspielen.
37 Vgl. besonders Act 1,8: Die Jünger werden Zeugen Christi sein K ai ecoq sayaTOU rrjc;
yffe. S. ferner den Bericht über die Abschiedsrede in Milet Act 20,17-38 sowie den er­
haltenen Schluss der Act in 28,30f; Texte, die m.E. deutlich den Tod des Paulus voraus­
setzen. Vgl. den Beitrag von G. Ballhom in diesem Band.

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