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M.Z.: Was Lanzmann zu dem trieb, was sich für mich als
hysterisierende Ideologie ausnimmt, war wohl genuine
Angst. Angst wovor? Angst davor, dass Israel zur
diasporischen Ghettomentalität zurückkehrt. Er redete
totalen Blödsinn, aber das ändert nichts an der Tatsache,
dass er wirklich Angst hatte. Israel widerfuhr im Golfkrieg
das Beste, was es unter den entstandenen Umständen
erwarten durfte: Die Amerikaner sagten, sitzt ruhig, wir
machen die Arbeit für euch. Sie taten das, um die
arabische Welt zu besänftigen und den Golfkrieg nicht
zum israelisch-palästinensischen Anliegen geraten zu
lassen, wie es Saddam Hussein taktisch wollte – eine
Sache, die noch der letzte israelische Politiker begriff.
Lanzmann konnte das offenbar nicht begreifen. Er hatte
Angst, und der ließ er freien Lauf. Das ist sein gutes
Recht, nur entpuppte er sich dabei als das, was er wirklich
ist: ein paranoider Bellizist. Überhaupt scheint er stets
Schatten von Bergen für Berge zu halten. Dass er dabei
stets sein kulturelles Kapital als Schöpfer von „Shoah“
einsetzt, scheint mir nicht nur schäbig zu sein, sondern
eine besonders penetrante Form der Instrumentalisierung
des Shoah-Gedenkens.
M.Z.: Ja, das sehe auch ich so. Meine Antwort bezog sich
auf den Teil Ihrer Frage, der das Problem thematisierte,
dass rechtsextreme Kreise Israels Politik als Ausdruck
kollektiver Eigenschaften „der Juden“ deuten. Was nun
die Parallele zu den vermeintlichen Israelsolidarisierern
anbelangt, so liegt der Kurzschluss in der Tat in nämlicher
Übertragung, welche allerdings ihre Quellen im
historischen „Nie wieder Deutschland!“ hat: Weil
Deutsche an den Juden Schlimmstes verbrochen haben, ist
unabdingbare Solidarität mit Juden angesagt. Und weil
Juden sich nationalstaatlich in Israel konsolidiert haben, ist
unabdingbare Solidarität mit Israel angesagt. Schon hier
lag ein Fehler, denn, wie ich immer wieder darzulegen
versuche, sind nicht alle Juden Zionisten, nicht alle
Zionisten Israelis und nicht alle Israelis Juden. Wenn man
aber darüber hinaus bedenkt, dass Israels Politik objektiv
auch für Israel, mithin für die in Israel lebenden Juden
katastrophal ist, nimmt sich diese falsche Israelsolidarität
als etwas aus, das mit dem konkreten Israel und seinen
Juden längst nichts mehr zu tun hat. Dies wiederum ist
ein Resultat des nicht minder ideologischen
Kurzschlusses, wonach Antisemitismus, Antizionismus
und Israelkritik dasselbe seien.
H.: Sie sagen: „Es gab nicht nur die reale Banalität des
Bösen, sondern es gibt heute auch das Böse der
Banalisierung dessen, was statt sich ans Unsägliche
heranzutasten, längst zur Allerweltsparole degeneriert
ist.“ Welche Rolle spielt dabei die Kulturindustrie, die
Holocaust-Kitschfilme wie „Schindlers Liste“ am
Fließband produziert? Der US-amerikanische Regisseur
Quentin Tarantino, für den, wie ein ZEIT-Rezensent
schrieb, „die genießerisch ausgemalte Widerwärtigkeit der
Nazis genauso schön ist wie die Gegenwiderwärtigkeit
der Partisanen“, machte für seine stumpfe Rache-
Gewaltorgie „Inglourious Basterds“ nicht einmal vor einer
fiktiven Revision der Geschichte des Genozids halt:
amerikanische Juden töten Hitler und besiegen die Nazis.
„Für die Nachgeborenen ein Fest der Selbstgerechtigkeit“,
schrieb der Rezensent und sprach von einem
„Missbrauch“ der jüdischen Katastrophe für einen
„blutigen Scherz“.
M.Z.: Ja, und wie sie recht hatte. Das hat mit einigem zu
tun, was wir in diesem Gespräch thematisiert haben: dem
Zusammenbruch des sowjetischen Kommunismus – wie
arg es auch um diesen selbst bestellt gewesen sein mag;
mit dem Siegeszug des Kapitalismus als Neoliberalismus
und Neokonservatismus; mit der Politisierung des Islam
als verspätete Reaktion auf den historischen
Kolonialismus und der Pauperisierung großer Weltteile, in
denen der Islam vorherrscht. Es hat auch mit der
Perpetuierung des Nahostkonfliktes, allen voran mit der
Fortschreibung des israelischen Okkupationsregimes zu
tun. Und es hat nicht zuletzt auch mit einer Menge
Opportunismus und Gesinnungsverrat zu tun, mit dem
Ausstieg der Linken aus ihrer historischen Rolle und
ihrem emanzipatorischen Auftrag. Ja, Angela Davis hatte
so recht, dass es einem dabei in der Tat düster werden
kann.
H.: Zum Schluss bitte ich Sie um eine Prognose: Falls sich
das von Ihnen beschriebene und analysierte Problem –
„nicht nur der Antisemitismus selbst ist eine der
verruchtesten Formen der Ideologie, auch seine sich
kritisch gerierende Rezeption kann sich als wesentlich
ideologisch entpuppen“ – verfestigen, politisch vollständig
durchsetzen und gesellschaftlich etablieren sollte: Welche
Auswirkungen befürchten Sie für die Erinnerungskultur
der Shoah, die Antisemitismusforschung, vor allem für
eine Politik, die sich dem von Adorno formulierten neuen
kategorischen Imperativ – alles „Denken und Handeln so
einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts
Ähnliches geschehe“ – verpflichtet fühlt?