Vous êtes sur la page 1sur 266

Uwe Wolff

Alles über die


gefallenen Engel

Aus dem Wörterbuch des


Teufels

scanned by unknown
corrected by KoopaOne

Geister, Hexen, Dämonen und Magier sind allgegenwärtig - Harry Potter und
Halloween, Herr der Ringe und Satansmessen stehen hoch im Kurs. In der
Kirche und im Religionsunterricht dagegen ist seit Jahrzehnten nicht mehr
von Geistern und Teufeln die Rede.
Das vorliegende Buch gibt in lexikalisch gegliederten Stichworten Auskunft
über die »gefallenen Engel«. Es erhellt die Hintergründe des Geister-,
Hexen-, Dämonen- und Teufelsglaubens, verfolgt ihre
Entstehungsgeschichten und erzählt kenntnisreich und hintergründig, welche
Vorstellungen im Volksglauben lebendig waren und heute noch sind.

ISBN 3 7831 2152 3


© 2002 Kreuz Verlag GmbH & Co. KG Stut tgart, Zürich
Umschlagbild: Hugo Simberg, Der verwundete Engel, 1903
Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!


Über das Buch:

Über 60 Prozent der Deutschen glauben an Schutzengel. Mit


der Wiederkehr der Engel rücken aber auch die gefallenen Engel
wieder in den Blick. Sind sie eine Erfindung der Kirche? Gibt es
sie wirklich? Fördern die Lektüre von »Harry Potter« oder das
Hören von Death- und Heavy Metal-Musik indirekt die
Hinwendung zum Okkultismus oder Satanismus? Gibt es
Geister auch in außerchristlichen Religionen? Was steckt hinter
dem Glauben an Hexen? Was ist ein Teufelspakt? Erscheinen
Tote als Geister wieder? Können gefallene Engel wieder zu
richtigen Engeln werden? Was unterscheidet den kriminellen
Satanismus vom Protestsatanismus der Kunst, der Dichtung und
der Pop-Musik? »Alles über die gefallenen Engel« macht Eltern,
Erziehern, Lehrern, Schülern und allen, die mit Jugendlichen
zusammenarbeiten, Mut, den Hintergrund des Geister-, Hexen-,
Dämonen- und Teufelsglaubens zu erhellen.
Der Autor

UWE WOLFF, geboren 1955, Dr. phil., ist Studiendirektor,


Publizist und Autor von Romanen und Sachbüchern. Er schreibt
regelmäßig für überregionale Zeitungen, u.a. Neue Zürcher
Zeitung, Die Zeit, Welt am Sonntag, und veröffentlichte schon
mehrere erfolgreiche Bücher über Engel.
»Gerade im Blick auf das Böse ist uns die sich selbst so
nennende Aufklärung eine radikale Aufklärung schuldig
geblieben. Auch die Theologie ist sie der Zeit bisher schuldig
geblieben. Böse ist trotz der ungeheuren Exzesse von Bosheit,
die das zu Ende gegangene Jahrhundert kennzeichnen, noch
immer eine bourgeoise, eine verbürgerlichte und insofern auch
schon verharmloste Kategorie.«
(Eberhard Jüngel in der FAZ vom 18. Januar 2000)

Für Heimo Schwilk


Inhalt

Einführung: Harry Potter und die Wiederkehr der Magie ............8


Angst ....................................................................................10
Antichrist ..............................................................................12
Apokalypse ...........................................................................14
Beelzebub .............................................................................17
Behemot und Leviathan..........................................................18
Belial....................................................................................19
Besessenheit ..........................................................................20
Blocksberg ............................................................................22
Das Böse...............................................................................25
Böser Blick ...........................................................................28
Aleister Crowley....................................................................29
Dämonen...............................................................................34
Eheteufel...............................................................................35
Elementargeister ....................................................................36
Engelsturz.............................................................................39
Erscheinungsbild des Teufels..................................................41
Exorzismus............................................................................43
Der Exorzist (Film) ................................................................49
Farben des Teufels .................................................................50
Fatima ...................................................................................51
Faust.....................................................................................54
Fegefeuer..............................................................................57
Franz von Assisi....................................................................61
Sigmund Freud ......................................................................64
Gebet....................................................................................66
Geister ..................................................................................66
Georg, der Drachentöter.........................................................71
Gnosis ...................................................................................75
Gog und Magog .....................................................................77
Gothic-Szene .........................................................................79
Halloween.............................................................................83
Hell's Angels .........................................................................84
Hexen...................................................................................85
Hexenring .............................................................................90
Hiob......................................................................................91
Hirnforschung .......................................................................94
Hölle .....................................................................................95
Homosexualität.................................................................... 103
Internet ............................................................................... 105
Islam................................................................................... 107
Jesus ................................................................................... 110
Judas................................................................................... 114
Judentum............................................................................. 123
Carl Gustav Jung ................................................................. 127
Kain und Abel ..................................................................... 132
Katholizismus ...................................................................... 133
Krimineller Satanismus ........................................................ 137
Leiden................................................................................. 140
Jakob Michael Reinhold Lenz ............................................... 144
Liebeszauber ....................................................................... 149
Lilith................................................................................... 152
Lucifer ................................................................................ 152
Martin Luther ...................................................................... 154
Magie.................................................................................. 156
Manichäer ........................................................................... 159
Charles Manson................................................................... 161
Marilyn Manson .................................................................. 162
Heilige Margarete ................................................................ 164
Mephistopheles.................................................................... 165
Moloch ............................................................................... 166
Musik ................................................................................. 167
Mutterschwein ..................................................................... 169
Neosatanismus ..................................................................... 170
Neutrale Engel..................................................................... 174
Okkultismus ........................................................................ 176
Heiliger Patrick.................................................................... 178
Pentagramm ........................................................................ 183
Poltergeister ........................................................................ 183
Protestsatanismus................................................................. 186
Rangordnung unter Teufeln .................................................. 191
Redensarten......................................................................... 194
Rolling Stones ..................................................................... 196
Rosemary's Baby (Film) ....................................................... 200
Der Fall Ruda ...................................................................... 202
Satan, Diabolos und Teufel................................................... 207
Satanskirche ........................................................................ 208
Schwarze Messe .................................................................. 209
Schwarzer Mann.................................................................. 216
666 ..................................................................................... 217
Sexualität ............................................................................ 218
Spukorte.............................................................................. 224
Sündenbock......................................................................... 225
Sündenfall........................................................................... 226
Sündenstufen....................................................................... 230
Taufe .................................................................................. 231
Teufelspakt.......................................................................... 232
Das große Tier..................................................................... 234
Vampire .............................................................................. 234
Versöhnung ......................................................................... 237
Versuchungen...................................................................... 237
Vorgeburtliches Trauma ....................................................... 242
Wiedergänger ...................................................................... 247
Zarathustra.......................................................................... 249
Zombies .............................................................................. 251
Zum Schluß: Was ist ein gefallener Engel, und warum
interessieren sich gerade junge Menschen für dieses Thema?.. 252
Literatur in Auswahl ............................................................ 258
»Der Aberglaub', in dem wir aufgewachsen, verliert, auch
wenn wir ihn erkennen, darum doch seine Macht nicht über
uns.- Es sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten.«

Lessing

Einführung:
Harry Potter und die Wiederkehr der
Magie

Nicht nur Kinder lieben spannende Geschichten von


magischen Welten mit Zauberern, Wiedergängern, Unholden
und bösen Geistern. Das Geheimnisvolle und Verborgene zieht
uns an. Warum eigentlich? Wir wissen doch, daß es Professor
Snape, Rubeus Hagrid, Voldemort, die Hobbits oder Orks, die
ganze Welt von »Harry Potter« oder von Tolkiens »Herr der
Ringe« nicht wirklich gibt.
Der Grund für unsere Faszination hat vielleicht einen
einfachen Grund: Wir erkennen in ihm die andere Seite unserer
eigenen Natur wieder. Wir sind wie eine alte Burg mit vielen
dunklen Geheimgängen. Wir haben eine helle und eine dunkle
Seite. In der Burg unserer Seele gibt es von Licht erfüllte Räume
und Türme, die sich den warmen Strahlen der Sonne
entgegenstrecken. Das Licht der Selbsterfahrung und
Selbsterkenntnis leuchtet in ihnen. Doch niemals wissen wir
vollständig, wer wir wirklich sind. Viele Geheimgänge unserer
Seele sind noch zu entdecken, andere bleiben uns vielleicht ein
Leben lang verborgen.
Die lichte und die dunkle Seite unserer Seele finden in der
Welt der guten und bösen Geister ihr Spiegelbild. Licht und
Schatten, Engel und Teufel, Gutes und Böses sind in uns selbst.
Auch Jugendliche spüren dies. Daher rührt ihr Interesse an

-8-
Magie, Okkultismus, Spiritismus und Satanismus.
Über 60 Prozent der Deutschen glauben an Schutzengel. Mit
der Wiederkehr der Engel rücken aber auch die gefallenen Engel
wieder in den Blick. Sind sie eine Erfindung der Kirche? Gibt es
sie wirklich? Fördern die Lektüre von »Harry Potter« oder das
Hören von Death- und Heavy Metal Musik indirekt eine
Hinwendung zum Okkultismus oder Satanismus? Gibt es
Geister auch in außerchristlichen Religionen? Wo tauchen sie
auf? Welche Gefahren gehen von ihnen aus? Was steckt hinter
dem Glauben an Hexen? Was ist ein Teufelspakt? Erscheinen
Tote als Geister wieder? Können gefallene Engel wieder zu
richtigen Engeln werden? Was unterscheidet den kriminellen
Satanismus vom Protestsatanismus der Kunst, der Dichtung und
der Pop-Musik?
»Alles über die gefallenen Engel« will Eltern, Erzieherinnen,
Lehrern, Schülern und Schülerinnen und allen, die mit
Jugendlichen zusammenarbeiten, Mut machen, den Hintergrund
des Geister-, Hexen-, Dämonen- und Teufelsglaubens zu
erhellen. Ich schreibe dieses Buch als Vater von drei Kindern,
als Ausbilder von Lehrern und als Autor von sechs
Engelbüchern. Mit diesem Wörterbuch will ich Licht in die Welt
der gefallenen Engel bringen. Es ist ein Kommentar zum
Zeitgeist, zu dem, was zur Zeit »abgeht«. Manchmal ernst,
gelegentlich heiter im Stil, doch stets informierend und
aufklärend über jahrtausende alte Vorstellungen, die noch
immer lebendig sind. Ich denke, Goethe hat Recht, wenn er sagt:
»Der Aberglaube gehört zum Wesen des Menschen und flüchtet
sich, wenn man ihn ganz und gar zu verdrängen denkt, in die
wunderlichsten Ecken und Winkel, von wo er auf einmal, wenn
er einigermaßen sicher zu sein glaubt, wieder hervortritt.«

-9-
Angst

»Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?« Mit dieser Frage


beginnt ein altes Kinderspiel. Die Antwort darauf mußte lauten:
»Niemand!« Dann hatte der »schwarze Mann« die nächste Frage
zu stellen: »Wenn er aber kommt?!« - »Dann laufen wir!« Der
schwarze Mann oder kurz »der Schwarze« war der Teufel.
Offenbar gibt es eine Scheu, seinen Namen direkt
auszusprechen. Warum eigentlich?
Irgendwann verdunkelt der schwarze Schatten der Angst jede
Kindheit. Der zweijährige Golo Mann sieht in allem
Unheimlichen das Wirken eines geheimnisvollen Wesens. Er
gibt ihm den Namen »Mämä«. Unbekannte Geräusche im Haus,
Hämmern in der oberen Etage, ein unvorhersehbares Geschehnis
- immer ist es die Mämä, die ihm Angst in die Seele jagt, so daß
sich das Kind verkrampft und fortbegehrt. »Heut nacht hab ich
einen Zweerg geträumt, daß er bees war«, notiert die Mutter des
Dreieinhalbjährigen ins ledergebundene Tagebuch. Sie verlangt
nach genauerer Auskunft, doch Golo entgegnet vieldeutig
verschmitzt: »Beese, beese Sachen.«
Niemand redet den Kindern die Angst vor den dunklen
Kräften ein. Sie brechen auch in die behütetste Kindheit ein, wie
die Schlange ins Paradies. Das Kind gibt die Furcht vor den
Dämonen der Nacht zu. Es kommt zu den Eltern ins
Schlafzimmer, weint, wird getröstet und darf vielleicht neben
der Mutter einschlafen, so als wäre ihm für eine Nacht die
Rückkehr in die Geburtshöhle gestattet. Doch wenn es neun
oder zwölf Jahre alt ist: Wer singt dann gegen die Angst, wer
kuschelt sie weg? Die Furcht vor den Schatten der Nacht gilt
jetzt als kindisch und unbegründet. Auch Golo Mann gibt den
Mächten einen anderen Namen. Was ihn ängstigt, heißt nicht
mehr »Mämä«, sondern »Mörder« oder »Einbrecher«. Das

-10-
klingt rationaler und zählt in der Welt der Erwachsenen als
realistische Bedrohung. Golos Zimmer lag im zweiten Stock.
Wenn er nachts die Toilette aufsuchte, pflegte er niemals die
Kettenspülung zu ziehen. Seine Mutter befremdet die
unzureichende Hygienemaßnahme, und sie fragt nach dem
Grund des seltsamen Verhaltens. Golo erklärt, er habe es
vermeiden wollen, durch laute Geräusche Einbrecher
anzulocken. Das war eine Notlüge. »Der wahre Grund war ein
anderer: die Angst, durch das Rauschen des Wassers die Stille
der Nacht zu durchschneiden und Kräfte zu wecken, die besser
ungeweckt blieben.« Welche Kräfte und Energien sind gemeint?
Nicht die naheliegenden, nicht die Ungeduld des Vaters oder der
Mutter, überhaupt nichts Sagbares, eher das namenlose
Unheimliche.
Längst berühmt geworden durch seine Arbeiten, weilt Golo
Mann als Gast der Prinzessin Margret von Hessen auf einem
Jagdschlösschen. Für den Historiker ist es eine Freude, im so
genannten Zarenzimmer schlafen zu dürfen. Doch in der Nacht
holt ihn die »Mämä« ein. Namenloser Schauder erfasst ihn am
Waschtisch, es läuft dem Historiker eiskalt über den Rücken.
Die Haare sträuben sich, das Blut in den Adern gerinnt. Was
greift nach ihm? Dem wortgewandten Mann fehlen die Worte,
er rettet sich in Redewendungen, weil sich nicht anders sagen
läßt, was die Nacht durchdringt und nach ihm greift. Wer kennt
den Schatten der Angst und des hilflosen Ausgesetztseins, wer
kennt seinen Namen? Die Angst steht im Zarenzimmer, sie sitzt
dem Historiker im Nacken: »Zweimal erfuhr ich es in
Augenblicken höchster Erregung oder tiefster Erschütterung: ein
mit nichts Anderem zu verwechselndes heißes ›Kribbeln‹ im
ganzen Körper.« Er könnte den Ort verlassen, durch die Flure
des Schlosses eilen, an die Zimmertür der Prinzessin klopfen.
Doch was sollte er ihr sagen? Etwa, daß er sich vor Gespenstern
fürchte?
Die Angst, sagt der Philosoph Martin Heidegger, gehört zu

-11-
den Grundmustern unseres Lebens. Wer lebt, hat Angst.
Niemand muß den Teufel an die Wand malen. Die Angst ist
auch ohne ihn in unserer Seele. Angst vor der Finsternis, Angst
vor Selbstverlust, Angst vor Liebesentzug, Angst vor dem Tod.
Im Teufel werden diese Ängste personifiziert. Sie erhalten einen
Namen und eine Gestalt.
»Angst fressen Seele auf« heißt es treffend in einem der Filme
von Rainer Werner Fassbinder. Ängste kann man nicht
wegreden. Sie sind da. Selig, wer ihnen eine Gegenmacht zur
Seite gestellt weiß: »In der Welt habt ihr Angst; aber seid
getrost, ich habe die Welt überwunden.« (Johannes 16.33)

Antichrist

Das Auftauchen des Antichristen galt als sicheres Zeichen für


das bevorstehende Ende dieser Welt (1. Johannes 2.18) und den
Beginn eines neuen Lebens in ewigem Frieden. In der
Apokalypse des Johannes (Apk 13.11-18) wird der Antichrist
beschrieben: Er verführt die Christen zum Glaubensabfall. Mit
geschickter Propaganda und durch Gewalt zwingt er alle
Menschen zur Anbetung des großen Tieres (siehe dort). Wer
sich den Anweisungen dieses Diktators nicht beugt, wird
getötet. Alle Menschen bekommen unter der Herrschaft des
Antichristen ein Erkennungszeichen an der Stirn oder der Hand.
Dieses Zeichen ist die Zahl 666 (siehe dort). Der Antichrist ist
also das Urbild eines totalitären Herrschers, der rücksichtslos
über Leichen geht. Das Wort »Antichrist« bedeutet
»Gegenchristus«. Jesus selbst hatte seine Gemeinde gewarnt: Es
werden zahlreiche falsche Propheten kommen und sich als
Christus ausgeben (Matthäus 24.5). Deshalb wird der Antichrist
auch als »falscher Prophet« bezeichnet. Auf dem Haupt trägt er
die Hörner eines Schafsbockes. Obwohl seine Macht groß ist,
steht doch sein ewiges Schicksal schon jetzt fest: Er wird in den

-12-
Flammen der Hölle schmoren (Apokalypse 20.10).
Da der Antichrist nicht nur ein Urbild des Schreckens war,
sondern auch ein Zeichen für die unmittelbar bevorstehende
Erlösung, hielten viele Christen Ausschau nach ihm. Martin
Luther (siehe dort) wollte in Papst Paul III. (1534-1549) den
Antichristen erkannt haben. Das Papsttum selbst sah er als
Erfindung des Teufels an, wie er in seiner Kampfschrift »Wider
das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet« (1545) bekennt.
Unter dem Titel »Der Antichrist. Fluch auf das Christentum«
(1888) hat Friedrich Nietzsche gegen den Glauben an Jesus
Christus und die christliche Moral gewettert. Mit der
Vollendung der Niederschrift am 30. September 1888 will er die
neue Zeitrechnung eines nachchristlichen Äons begonnen
wissen. Er verkündigt einen »Todkrieg gegen das Laster: das
Laster ist das Christenthum«. Nietzsches Gedanken haben den
Satanisten Aleister Crowley (siehe dort) beeinflusst. Wie viele
Menschen, die sich in Abgründiges hineingedacht haben, ist
auch Nietzsche wahnsinnig geworden. Ob dies auch das
Schicksal des Sängers Marylin Manson (siehe dort) sein wird,
bleibt abzuwarten. Auf seiner CD gibt er sich selbst den Titel
»Antichrist Superstar« (2001). Im Zeitalter der elektronischen
Datenübertragung hat der Antichrist selbstverständlich eine
eigene Website (www.ANTICHRIST.com/acim.htm).
Doch wo Gefahr ist, da wächst das Rettende auch: Arnold
Schwarzenegger nimmt in dem Film »End of Days« (1999) den
Kampf gegen den Antichristen auf.
Der Film beginnt 1979 in New York City: In einem
Krankenhaus in Manhattan kommt ein Kind zur Welt, ein
wunderschönes kleines Mädchen. Gleichzeitig, 10000 Kilometer
entfernt, wispert ein junger Priester dem Papst zu, daß sich eine
geheimnisvolle Prophezeiung erfüllt habe. Das kleine Mädchen
trägt den Namen Christine. Es ist auserwählt, sich im Jahre 1999
mit dem Satan zu vermählen, um den Antichristen zu
empfangen. Arnold Schwarzenegger, der sonst als Terminator
-13-
eine moderne Version des Teufels verkörperte, hat in diesem
Film die Aufgabe, die Zeugung des Antichristen zu verhindern.
In der Rolle des heruntergekommenen Ex-Polizisten Jericho
Cane versucht er, Christine Beistand zu leisten. Doch woran ist
ein moderner Teufel zu erkennen? Sicher nicht an Pferdefuß und
Schwefelatem. Er tritt vielmehr in der Gestalt eines seriösen
Geschäftsmannes auf. Gabriel Byrne verkörpert im Film die
Rolle des Teufels. Er kommentiert: »Ich wollte bei dem
Gedanken bleiben, daß der Teufel schon immer in
Menschengestalt unter uns weilte. Er könnte der Typ sein, der
neben dir in der Bar oder in einem Flugzeug sitzt. Du würdest
nicht zweimal hinschauen. Er ist ein ruhiger, überlegter
Geschäftsmann. Es gefällt ihm, wieder lebendig zu sein. Es
gefällt ihm in dieser wahnsinnigen Welt.« Jericho Cane besiegt
den Teufel nach klassischem Muster: Er opfert sich selbst, gibt
sein Leben für das Christines.

Apokalypse

Unter dem Titel »Apocalypse Now« (1976-79) verfilmte der


Regisseur Francis Ford Coppola seine Sicht des Vietnam-
Krieges. Mit dem Wort »Apokalypse« verbinden wir Bilder vom
Weltuntergang: Umweltzerstörung und atomare Verstrahlung
der Erde, das wachsende Ozonloch über der Antarktis, das
Aussterben ganzer Tierarten, zunehmende Gewalt in den
Großstädten, Hungersnöte in der »dritten« Welt, militärische
Konflikte.
In allen Religionen gibt es Apokalypsen. Ihr Thema ist nicht
nur das Ende der Welt, sondern vor allen Dingen die Zeit nach
dem Weltuntergang. Apokalypsen sind Enthüllungen einer
geheimnisvollen Wirklichkeit hinter dem Schleier der sichtbaren
Welt. Sie gehen zurück auf eine Offenbarung in Bildern
(Visionen) und Worten (Auditionen). Diese geheime

-14-
Offenbarung wird für einen begrenzten Leserkreis
aufgeschrieben. Nur er soll in das Geheimwissen eingeweiht
werden. Fünf typische Merkmale kennzeichnen eine
Apokalypse:
1. Zwei-Äonen- Lehre: Die Weltgeschichte ist in zwei
Zeitalter oder Äonen eingeteilt. Dieser Äon ist vergänglich, der
kommende Äon ist ewig.
2. Jenseitshoffnung: Der gegenwärtige Äon wird vom Teufel
regiert. Es herrscht ein sittlicher und religiöser Niedergang, doch
in der Zukunft wird alles besser werden. Mit dem neuen Äon
kommt das Paradies. Alle Menschen, die im ersten Äon unter
dem Satan gelitten haben, werden in der kommenden Welt für
ihre irdischen Leiden entschädigt werden.
3. Weltgericht: In den neuen Äon gelangt der Mensch nur
durch ein Gericht. Hier werden die Guten von den Bösen
getrennt.
4. Vorherbestimmung: Das Schicksal der Menschen ist
vorherbestimmt (prädestiniert). Schon jetzt steht fest, wer im
Weltgericht nicht bestehen wird. Gott hat das Schicksal des
Menschen im »Buch des Lebens« verzeichnet.
5. Naherwartung: Das Ende der Welt und der Beginn des
neuen Zeitalters sind nahe. Die Gegenwart ist eine Zeit des
Umbruchs.
Zwischen den alten und den modernen Apokalypsen gibt es
einen wesentlichen Unterschied: Während wir mit der
Apokalypse ausschließlich den Untergang unserer Welt
verbinden, dachten fromme Juden an den Beginn einer neuen
friedlichen Zeit. Die ersten Christen hatten geglaubt, sie würden
noch das Ende dieser Welt und den Anfang des neuen Lebens
im Himmel erleben. Doch es kam anders. Die Wiederkehr
Christi und die Vollendung der Erlösung verzögerten sich. Im
römischen Reich wurden die Christen sogar wegen ihres
Glaubens verfolgt und ermordet. Erst unter Kaiser Nero, dann

-15-
unter Domitian (95 n. Chr.), der als »wiedergekehrter Nero«
bezeichnet wurde. In den römischen Arenen wurden die
Christen in Tierfelle eingenäht und von Hunden zerfleischt, ans
Kreuz geschlagen, zum Zweck nächtlicher Beleuchtung mit
Pech bestrichen und verbrannt. Wie hält ein Mensch diese
Situation äußerster Bedrohung aus? Wie schafft er es, jetzt
seinem Glauben nicht abzuschwören? Eine Antwort auf diese
Fragen versucht die Apokalypse des Johannes zu geben.
Inmitten der Aussichtslosigkeit irdischer Verhältnisse richtet
Johannes einen Blick hinter den Schleier der Zeit. Was die
Gemeinde in diesem Äon erlebe, sei Teil eines kosmischen
Ringens zwischen den guten und den bösen Mächten, zwischen
dem Erzengel Michael und dem Satan. Im Kernstück der
Apokalypse (Apk 12-14) steht die bekannte Teufelszahl 666
(siehe dort), hier tauchen auch die berühmten Widersacher
Christi auf: Der Satan (siehe dort), der Antichrist (siehe dort)
und das große Tier (siehe dort). Im modernen Satanismus
werden diese Widersacher Christi positiv gewertet. Auch
schreiben ihnen Satanisten eine größere Macht als Gott zu. Aus
Sicht der Apokalypse des Johannes zeugt dieser Glaube an die
Macht Satans von einer groben Unkenntnis der wahren
Machtverhältnisse. Denn Teufel, großes Tier und Antichrist
werden im kommenden Äon keine Macht mehr haben. Ihr Ende
ist vorherbestimmt: Michael hat den Teufel bereits aus dem
Himmel verstoßen. Jetzt sind seine Tage gezählt. Deshalb heißt
auch einer der zentralen Sätze der Apokalypse: »Denn der
Teufel kommt zu euch hinab und hat einen großen Zorn und
weiß, daß er wenig Zeit hat.« (Apokalypse 12.12) Während
einer Friedenszeit von eintausend Jahren, dem so genannten
tausendjährigen Reich, wird der Satan in der Unterwelt
angekettet. Anschließend wird er ein letztes Mal losgelassen.
Zusammen mit anderen teuflischen Mächten, Gog und Magog,
dem Antichrist und dem großen Tier werden sie für alle Zeit
»geworfen in den Pfuhl von Feuer und Schwefel«, wo sie

-16-
»gequält werden Tag und Nacht, von Ewigkeit zu Ewigkeit.«
(Apokalypse 20.10) Dann endlich wird es keine Verfolgung
mehr geben, weder Leid, Schmerz noch Tod, denn mit dem
neuen Himmel und der neuen Erde ist der zweite Äon des
ewigen Friedens angebrochen.
Die Vorstellungswelt der Apokalypse des Johannes zeigt
deutlich, warum der Satanismus eine moderne Erscheinung ist,
denn solange die Menschen an eine jenseitige Welt glaubten,
wäre niemand auf die Idee gekommen, im Teufel den wahren
Machthaber zu sehen. Der Satanismus ist ein Kind der
modernen aufgeklärten Welt. Er entsteht erst im 18. Jahrhundert.
Die Leser der Apokalypse fürchteten sich vor dem Teufel.
Gestärkt durch die Lektüre, blickten sie durch den Schleier einer
bösen Zeit auf die kommende Erlösung.

Beelzebub

Der Titel »Beelzebub« kommt aus der hebräischen Sprache.


Er bedeutet »Herr der Fliegen«. Da Fliegen sich gern auf Kot
und Aas niederlassen, ist Beelzebub ein Schmähtitel. In Goethes
»Faust« stellt sich Mephistopheles (siehe dort) als »Herr der
Ratten und der Mäuse/Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse«
(V. 1516ff.) vor. Der englische Schriftsteller William Golding
beschreibt in seinem Roman »Herr der Fliegen« (Lord of the
flies), wie sich das Böse in den Seelen einer Gruppe von
Kindern ausbreitet. Das Buch gehört zu den klassischen
Lektürestoffen an unseren Schulen. »Beelzebub« leitet sich von
dem Wort »Baal-Zeebub« ab. Es ist eine Verballhornung des
Fruchtbarkeitsgottes Baal, dem einige Juden im Tal Ben-
Hinnom (Gehenna) Kinderopfer gebracht hatten (Jeremia
32.35).
Wer den Teufel mit Beelzebub austreibt, der macht alles nur
noch viel schlimmer. Dem Exorzisten Jesus (siehe dort) wurde

-17-
vorgeworfen, er stehe mit Beelzebub, dem Obersten aller
Dämonen, im Bund (Matthäus 12.24). Denn anders konnten sich
die jüdischen Schriftgelehrten seinen Einfluss auf die bösen
Geister nicht erklären. Jesus korrigierte diesen Irrtum. Mit dem
Teufel kann man nicht erfolgreich paktieren. Wer ihn besiegen
will, der muß einen Stärkeren an seiner Seite wissen.

Behemot und Leviathan

Behemot und Leviathan waren ursprünglich Monster, die Gott


geschaffen hatte. Sie werden im Buch Hiob (40.15-41.26)
ausführlich beschrieben. Thomas Hobbes (1588-1679) benutzte
sie, um seine Philosophie vom bösen Wesenskern des Menschen
zu entfalten. Bekannt ist Hobbes' Satz: »Der Mensch ist des
Menschen Wolf.«
Der Behemot ist ein Urvieh. Seine äußere Erscheinung gleicht
dem Nilpferd. Allerdings hat er einen langen Schwanz.
Er ist Vegetarier. Seine Nahrung findet er auf den Bergen und
im Wasser. Wie die Elementargeister (siehe dort) ist er friedlich,
wenn man ihn in Ruhe läßt. Am liebsten döst er unter
Lotosbüschen und im Uferschlamm unter Weidenbäumen. Der
Leviathan trägt einen Schuppenpanzer, den weder Speer noch
Schwert durchstechen können. In seinem Maul blitzen Reihen
von spitzen Zähnen. Sein Atem verbreitet Feuer, und seine
Augen glühen leuchtend rot. Der Leviathan si t der König der
Tiere. Beide Monster kennen keine Furcht und sind für
Menschen unbesiegbar. Für Gott allerdings sind sie wie
Spielzeugdrachen. Die Beschreibung ihrer schrecklichen Größe
soll also keine Angst verbreiten, sondern eine Ahnung von der
unvorstellbaren Größe ihres Schöpfers vermitteln. Wenn
Behemot und Leviathan schon von so überwältigender
Erscheinung sind, wie groß muß dann Gott sein! Diese Analogie
gilt auch für die Rede vom Teufel. Was immer er in der Welt an

-18-
Zerstörung anrichtet, Gott ist und bleibt mächtiger. Der
Religionsforscher Rudolf Otto hat daher Gott selbst als ein
faszinierendes und zugleich Ehrfurcht gebietendes Wesen
(mysterium tremendum et fascinosum) beschrieben.
Die Leser des Buches Hiob rätselten vor allen Dingen über
einer merkwürdigen Stelle, in der es von Behemot heißt: »Er ist
das erste der Werke Gottes« (Hiob 40.19). In den
Schöpfungsberichten wird allerdings sein Name nicht erwähnt.
Als erstes Werk Gottes wird dort die Erschaffung des Lichtes
mit der anschließenden Trennung von Licht und Finsternis
beschrieben. Das Licht des ersten Schöpfungstages aber sind die
Engel. Demnach wäre auch der Behemot ursprünglich ein Engel
gewesen. Engel in Tiergestalt sind durchaus nicht
ungewöhnlich. Warum der Behemot aus den himmlischen
Chören der Engel fiel, bleibt wie so Vieles ein Geheimnis. Doch
eins ist gewiss: Kein Teufel kommt als Bösewicht auf die Welt.
Auch die beiden Unholde Behemot und Leviathan wurden erst
im Laufe der Geschichte zu Verkörperungen Satans.

Belial

Belial ist der Name eines Teufels, vor dem Paulus die
Gemeinde in Korinth besonders warnt. »Belial« bedeutet
»Nichtsnutz«. Nomen est Omen: Das gilt auch bei diesem
Teufelsnamen. Der Pakt mit dem bösen Belial bringt nichts
Gutes ein. Deshalb sollen Christ und Christin den Belial meiden:
»Was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis? Wie
stimmt Christus überein mit Belial?« (2. Korinther 6.14f.), so
fragt Paulus. Die Antwort liegt auf der Hand: Nichts!

-19-
Besessenheit

Dämonen sind Geister der Luft. Sie besitzen keinen eigenen


Körper. Doch können sie blitzschnell eine Gestalt annehmen.
Dabei sind sie durchaus wählerisch, denn sie bevorzugen die
eines schwarzen Pudels oder Katers, eines Ziegenbockes oder
einer Schlange. Dieser Körper existiert jedoch nicht wirklich. Er
ist eine Sinnestäuschung, ein Trugbild und Gaukelspiel der
Dämonen. Gern benutzen Dämonen den Körper eines Menschen
als Wohnstätte. Die Vorstellung, daß Menschen oder Tiere vom
Teufel in Besitz genommen werden, ist in vielen Religionen
verbreitet. Es gibt mancherlei Gründe, warum der Mensch nach
katholischer Auffassung ein Opfer der Dämonen werden kann.
Der 1925 in Modena geborene Don Gabriele Amorth, Mitglied
der Internationalen Päpstlichen Marianischen Akademie und seit
1985 beauftragter Exorzist der Diözese Rom, gilt neben dem
1930 in Sambia geborenen Erzbischof Emmanuel Milingo
(Arluno bei Mailand) auf diesem Gebiet als Spezialist. Don
Gabriele nennt vier mögliche Gründe für dämonische
Besessenheit:
1. Wie bereits im biblischen Buch Hiob nachzulesen, kann
Gott selbst den Teufel beauftragen, einen Menschen zu
versuchen. Dieser Fall gilt als äußerst selten. Jesus wurde
allerdings vom Satan in der Wüste versucht.
2. Oftmals sind Verwünschungen (Flüche) Ursache eines
dämonischen Angriffs. Während in den ersten beiden Fällen das
Opfer unschuldig ist, gibt es zwei selbstverschuldete Ursachen
für dämonische Nachstellungen:
3. Der Mensch verharrt ohne Reue im Zustand der Sünde.
4. Er sucht bewußt den Kontakt zu Zauberern, Satanskulten
oder schließt sogar einen Pakt mit dem Teufel.

-20-
Dämonische Anfechtungen, so der Exorzist Pfarrer Franz
Knothe (Diözese Fulda), machen sich unterschiedlich bemerkbar
durch körperliche oder seelische Leiden, Misserfolge im
Berufsleben, Pessimismus, Verzweiflung und
Selbstmordgedanken. Treten diese Beeinträchtigungen nur
zeitweilig auf, so spricht der Exorzist von einer Umsessenheit
(circumsessio). Zu ihrem Bild gehören auch körperliche oder
seelische Störungen, etwa von unsichtbarer Hand ausgeführte
Schläge oder Geißelungen. Die Umsessenhe it gilt als Vorstufe
der Besessenheit (obsessio). Der Besessene ist von dem Dämon
vollkommen in Besitz genommen. Dieser spricht durch ihn in
unbekannten Sprachen. Er weiß über entfernte und verborgene
Dinge Bescheid, verursacht in Kopf und Magen körperliche
Beschwerden und verbreitet einen »höllischen Gestank«,
besonders Brandgeruch. Zuweilen kann er sein Opfer über dem
Boden oder Bett schweben lassen. Medikamente sind ihm
gegenüber unwirksam. Aggressiv dagegen reagiert der Dämon
auf alles Heilige und Geweihte: Weihwasser, Kreuze, Reliquien,
Medaillen, Jesusbilder, Gebete und Hostien.
Der Theologe Kurt Koch hatte zahllose Begegnungen mit
Menschen, die als besessen galten. Auf dem Hintergrund seiner
Erfahrungen nennt er vier Hauptkriterien für Besessenheit:
1. Das Resistenzphänomen: Geisteskranke, so hatte er
beobachtet, wurden durch sein Gebet beruhigt. Im Besessenen
jedoch bewirkte das Gebet einen Widerstand gegen den Beter.
Der Besessene schrie, tobte und griff den Beter an.
2. Besessene fielen beim Gebet in Trance, zeigten
3. hellsichtige Fähigkeiten und sprachen
4. in der Trance manchmal Fremdsprachen, die sie nicht
gelernt hatten.
Als wichtigstes Kriterium zur Beurteilung der Besessenheit
gilt jedoch nach Kurt Koch:
»Die Menschen, die von sich sagen, sie seien besessen, sind

-21-
es nicht. Die wirklich Besessenen wissen es nicht und sagen es
nicht.«
Und noch eine Warnung gibt Koch seinen Hörern und Lesern
mit auf den Weg: »Es gibt auch eine durch plumpe oder auch
schwarmgeistige Seelsorge aufsuggerierte Besessenheit. Hier
muß ein neuer Warnschuss losgelassen werden. Es gibt extreme
Kreise, vor allem in überspannten ›Pfingstkreisen‹, in denen
suggestiv herbeigeführte Besessenheitsfälle geradezu
hochgezüchtet werden. Vor solchen Kreisen ist zu warnen. Vor
allem sollte niemals ein okkult Belasteter oder gar ein wirklich
Besessener solchen Kreisen zur Betreuung übergeben werden.
Das verschlimmert nur den Zustand dieser armen geplagten
Menschen. (...) Extreme religiöse Kreise sind Brutstätten für
Neurosen und Depressionen aller Art.«
Die moderne Psychiatrie kennt keine Besessenheit, wohl aber
Krankheitsbilder wie Epilepsie oder Schizophrenie. Unsere
Sprache dagegen ist konservativ: In Panik geraten, schreien
einige wie besessen. Wer mit dem Auto wie ein Besessener
fährt, ist sich und anderen Menschen eine Gefahr. Er wird vom
Teufel geritten. Einige arbeiten wie besessen. Anderen sitzt der
Teufel im Nacken. Sind sie von Ideen oder gar Ideologien
besessen, dann können sie gefährlich werden. Mit der
Besessenheit wird ein Zustand der Unfreiheit und des
Selbstverlustes bezeichnet. Der Besessene gilt als nicht mehr
zurechnungsfähig. Er ist nicht mehr frei in seinen
Entscheidungen. Er ist sich und anderen fremd geworden.

Blocksberg

Bibbi Blocksberg heißt eine der vielen Hexen, deren


Abenteuer unsere Kinder vor dem Schlafengehen in den Bann
ziehen. Zum Glück haben sie noch keine Ahnung, was auf dem
Blocksberg wirklich getrieben wurde. Erst im Deutschunterricht

-22-
der Oberstufe werden sie mit den unsittlichen Spielen der Hexen
konfrontiert.
Seit dem 17. Jahrhundert wurde der Brocken als Berg der
Hexen und Blocksberg bezeichnet. Der Name »Blocksberg«
wurde vom Harz aus auf andere deutsche Verwünschungsberge
und Sammelpunkte von Unholden übertragen. Zur
Walpurgisnacht, aber auch zu Joha nnis, am Michaelisfest, zu
Weihnachten und Neujahr kamen sie hier zu einer schwarzen
Messe (siehe dort) zusammen. Die weiten Wege zum
Blocksberg legten sie fliegend auf ihren Hexenbesen zurück.
Dazu benutzten sie eine spezielle Flugsalbe. Johannes Praetorius
beschreibt die Herstellung in seinem Buch »Blockes-Berges
Verrichtung« (1668): Die Hexen nahmen das Fleisch von
neugeborenen Kindern, kochten es zu Brei und mischten Mohn,
Schierling und Sonnenwedel darunter. Dann schmierten sie sich
mit dieser Flugsalbe ein und sprachen: »Oben aus und nirgends
an!« - und schon flogen sie zum Fenster oder Schornstein
hinaus. Neben dem Besen dienten Böcke, Ziegen, Katzen,
Mutterschweine (siehe dort), dreibeinige Pferde oder Mistgabeln
als Fortbewegungsmittel.
Gegen das Hexentreiben hilft ein einfacher Abwehrzauber:
Wenn sich Kinder als Hexen verkleiden und auf Besen reitend
durch die Straßen toben, so soll dies die Hexen fernhalten.
Besen, Ziegen und Böcke werden am besten versteckt. In die
Fenster kann man ein Kräuterbüschel hängen und vor die
Haustür zwei gekreuzte Eggen stellen. Wer die fliegenden
Hexen sehen möchte, muß sich einen Kranz von
Tausendgüldenkraut aufsetzen, eine Schlangenhaut um den Hals
hängen oder den Kopf mit Baldrian einreiben.
In Goethes »Faust« wird das derbe Treiben der Hexen auf
dem Blocksberg offen geschildert. Er folgt dabei dem
klassischen Ablauf eines Hexensabbats: Huldigung des Teufels,
Küssen von Satans Hinterteil (Homagialkuss), Satansdienst,
Bergpredigt, Hexentanz, Orgie. Daß sich die satanische

-23-
Gemeinde auf einem Berg trifft, ist natürlich kein Zufall. Der
Satanskult ist immer eine Parodie christlicher Riten, und auch
die Wahl des Ortes will eine Gegenwelt zur christlichen
errichten. Da Jesus seine Bergpredigt auf einer Erderhöhung
hielt, predigt auch der Satan auf dem Brocken. Vor allen Dingen
aber steht die sexuelle Enthemmung im Zentrum der schwarzen
Messe. Goethe läßt daher den Satan sagen:

»Für euch sind zwei Dinge


Von köstlichem Glanz:
Das leuchtende Gold
Und ein glänzender Schwanz
Drum wißt euch, ihr Weiber,
Am Gold zu ergötzen
Und mehr als das Gold
Noch die Schwänze zu schätzen!
(...)
Seid reinlich bei Tage
Und säuisch bei Nacht!
So habt ihr's auf Erden
Am weit'sten gebracht.«

Goethes »Faust« gehört zur klassischen Schullektüre. So le gt


niemand in Deutschland die Reifeprüfung ab, ohne in die
Geheimnisse der schwarzen Magie eingewiesen worden zu sein.
Warum dieser Sachverhalt noch nicht die
Kultusministerkonferenzen beschäftigt hat, bleibt rätselhaft.

-24-
Das Böse

Drei Kinder dürfen mit Erlaubnis ihrer Eltern die Nacht im


Zelt verbringen. Um Mitternacht sind sie noch nicht müde,
wollen etwas unternehmen, wissen aber nicht was. Die Zeit wird
lang, die Herzen und Köpfe sind leer. Nichts ist los.
Lähmende Langeweile. Plötzlich reitet sie der Satan: Ist nicht
eine Schrebergartenanlage in der Nähe? Und befinden sich dort
nicht Kaninchen- und Hühnerställe? Die Kinder schleichen sich
auf das Gelände, brechen die Ställe auf und holen drei
Kaninchen und acht Hühner heraus. Sie wissen nicht, warum,
und denken nicht darüber nach. Die Tiere werden hin- und
hergeworfen. Dann wird mit ihnen Fußball gespielt. Sie werden
getreten und durch die Luft geschossen, bis sie tot sind. Des
bösen Spiels ist damit noch kein Ende. Die Kinder werfen die
Tierleichen vor fahrende Züge.
Fälle wie dieser finden sich jeden Tag in den Zeitungen. Das
Böse gehört zu unserem Alltag. Das Böse ist nicht der Böse,
doch auch ohne Teufel bleibt das Böse rätselhaft. »Den Bösen
sind sie los, das Böse ist geblieben«, sagte schon Goethe. Doch
woher kommt es? Hier gibt es sechs klassische Antworten:
1. Das Böse ist der Preis der Freiheit.
2. Das Böse ist eine Folge verfehlter Erziehung.
3. Das Böse ist eine Folge sozialer Ungerechtigkeit.
4. Das Böse entsteht aus ungelebter Liebe.
5. Das Böse gehört als Aggressions- und Todestrieb zum
Wesen des Menschen.
6. Das Böse ist unser Schatten.
Alle Lebewesen sind äußeren Gefahren ausgesetzt. Beim
Menschen jedoch kommen die größten Bedrohungen aus dem
Inneren. Kein Tier überfrisst sich bis zur Herzve rfettung, kein
-25-
Tier missbraucht den natürlichen Sexualtrieb im perversen
Treiben, kein Tier eignet sich ein größeres Revier an, als es zum
Nahrungserwerb braucht, oder tötet absichtlich im Rivalenstreit
das Brudertier. Völlerei, Unzucht, Neid, Zorn und Habsucht sind
einige Namen für das Böse in uns. Fast unwillkürlich
personifizieren wir sie.
»Es war das Wort des Onkels, das mir die Augen geöffnet
hatte.« Mit eben diesen Worten erinnert sich Erwin Wickert
(*1915) an böse Streiche aus seiner Kindheit. Im Dorf Bralitz
am Rand der Alten Oder wird Hochzeit gefeiert. Der
siebenjährige Knabe soll Blumen auf den Weg des Brautpaares
streuen. Von der anderen Seite des Hofes hatte er
Kinderstimmen vernommen. Dorfjungen spielten in der alten
Ziegelei. Sie »fingen Frösche aus den Becken, steckten ihnen
einen Strohhalm in den After, bliesen sie auf, daß sie ganz rund
waren, und warfen sie ins Wasser, daß sie aufklatschten und wie
Bälle schwammen, mit den Beinen ruderten, aber zu unserem
Gaudium nicht vorwärtskamen. Auch ich ließ mir einen
Strohhalm geben und beteiligte mich an dem Spiel.«
Der Knabe hatte nicht gehört, wie er zur
Hochzeitsgesellschaft gerufen wurde. Ein Stallknecht brachte
ihn ins Haus und berichtete, was er gesehen hatte. Onkel Martin
»fragte mich, wie ich mich wohl fühlen würde, wenn jemand
mich so aufblasen würde wie die Frösche«. Das saß und war
schlimmer, als jeder Vorwurf es hätte sein können. Der Knabe
schämte sich und verließ das Zimmer. »Erst da, erst in dem
Augenblick, als ich die Forderung des Onkels anerkannte, die
Tiere nicht als Sachen, sondern als mir verwandte Wesen
erkannte und ihre Schmerzen mitfühlen konnte, erst da entstand
das Böse.«
Was gut oder böse ist, lernen Kinder von den Eltern. Aber die
Stimme des Gewissens ist mehr als die Verinnerlichung dessen,
was die Eltern einst sagten. Sie ertönt unvermittelt und kann
durchaus gegen die Konventionen der Familie oder der

-26-
Gesellschaft sprechen. Unter der Dorfjugend in Reuden war es
jedes Frühjahr üblich, die Nester von Sperlingen und Krähen
auszunehmen. Das galt im Dorf als gute Tat, das war nicht böse,
wie das Aufblasen der Frösche. Die Bauern ermunterten die
Jungen dazu, und schon der Dorfschullehrer hatte sie die
heimische Fauna in gute und böse Tiere einzuteilen gelehrt.
Gute Tiere waren die nützlichen, böse Tiere die schädlichen.
Böse waren Mücken und Fliegen, Krähen und Spatzen, Habichte
und Bussarde, Füchse und Marder, gut dagegen alle Haustiere,
Schwalben, Regenwürmer, Singvögel.
Onkel Martin hatte die Knaben die Achtsamkeit gegenüber
den Fröschen gelehrt. »Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es
fühlt wie Du den Schmerz.« Nun hätte der Knabe wissen
können, was gut und was böse ist. Böse ist die Unachtsamkeit
gegenüber dem Brudertier, böse die fehlende Anerkennung des
fremden Schmerzes. Doch es bedurfte einer weiteren Erfahrung.
Vom Vater hatte der Neunjährige ein Luftgewehr geschenkt
bekommen. Schießübungen im Garten zeigten, wie wenig
treffsicher der Knabe war. Eine Flasche auf einem Pfahl bildete
das Ziel. Doch die Kugeln pfiffen vorbei. Vielleicht war das tote
Objekt auch keine genügende Herausforderung für den jungen
Schützen, denn als er auf den Vogel im Kirschbaum zielt und
abdrückt, flattert dieser herab mit einem schleppenden Flügel.
Mit Entsetzen sieht das Kind, daß es kein »böses«, sondern ein
»gutes« Tier getroffen hat, ein Rotkehlchen.
Das Rotkehlchen wird umhegt, in einen Korb gesetzt. Ein
Wassernapf wird geholt, Körner werden vor das Brudertier
gelegt. Das Herz klopft. »Ich wollte wiedergutmachen, aber was
ich auch tat, es war vergeblich.«
Am Abend ist das Rotkehlchen tot. Im Garten wird es
begraben. Ein kleines Holzkreuz kennzeichnet die Stelle. Es
markiert auch eine Wende im Wissen des Kindes um Gut und
Böse. Die böse Tat weist über den Tag hinaus, ja über den Rand
des Lebens in die Ewigkeit. Gut und Böse, Leid und Sterben,

-27-
Tod und Schuld gehören auf geheimnisvolle Weise zusammen.
Das Gewehr wird in eine Ecke des Speichers gestellt und nie
mehr benutzt. Die Erinnerung an den Tod des Rotkehlchens
begleitet untergründig den Knaben durch ein langes Leben.
Noch siebzig Jahre später denke er nicht gerne an die Tat
zurück: »Ich bitte die Frösche und die Vögel, die ich
misshandelt oder umgebracht habe, um Verzeihung.«

Böser Blick

Die Augen werden auch als Fenster der Seele bezeichnet.


Menschen können einen klaren, freundlichen, einen trüben oder
traurigen Blick haben. Wer ein schlechtes Gewissen hat, der
senkt den Blick. Wer sich freut, dessen Augen lachen. Einem
bösen Hund soll man so lange fest in die Augen schauen, bis er
den Blick senkt. Blicke können hypnotisierend, verletzend,
niederschmetternd, ja sogar tödlich sein. Schlangen wird ein
lähmender Blick nachgesagt. Im Mittelalter war es streng
verboten, den Blick des Königs zu erwidern. Die Zauberkraft
des Auges erstreckt sich sogar auf leblose Gegenstände. Uri
Geller, heute einer der Betreuer von Michael Jackson, hat in
Fernsehshows der Siebziger Jahre allein durch den Blick seiner
Augen Gabeln verbogen und Kompassnadeln bewegt.
Mit dem Wort »böser Blick« wird die zerstörerische Kraft
dämonischer Menschen bezeichnet. Ihre Seele ist voller Neid,
Eifersucht und Zorn, eben jener Laster, die auch den Teufel
kennzeichnen. Deshalb wird der böse Blick auch »neidischer
Blick« oder »Neidstrahlen« genannt. Die Angst vor dem bösen
Blick ist in allen Ländern der Welt zu finden. In Tadschikistan
schützt man sich vor den Folgen des bösen Blicks durch das
Bärenkissen, ein stacheliges Gewächs, das über jedem
Hauseingang zu finden ist, oder durch eine Kette mit
schwarzweißen Perlen. Überall auf der Welt verbreitet sind

-28-
Augenamulette. Im Christentum gilt das Augensymbol Gottes
als apotropäisches Mittel: Zur Abwehr des bösen Blicks wird es
über den Türen angebracht.
Jesus hat bekanntlich Blinde geheilt. Er öffnete diesen
Menschen wieder das Fenster der Seele, damit das Licht des
Glaubens in sie einströmen kann. So gibt es neben dem bösen
Blick den guten Blick. Es ist der Blick der Liebe, unter dem die
dunklen Mächte weichen.

Aleister Crowley

Edward Alexander Crowley (1875-1947) wurde in


Leamington Spa in der Nähe von Shakespeares Heimatstadt
geboren. Er hielt sich für den größten Dichter seiner Zeit. Der
Vater verdiente als Brauereibesitzer ein Vermögen. Zugleich
zog er als Laienprediger der stark fundamentalistischen Sekte
»Plymouth Brethreu« durch das Land und predigte strikte
Abstinenz vom Alkohol. Sein Sohn Edward Alexander wuchs
als Einzelkind auf. Sehr früh kam es zu großen Spannungen
zwischen ihm und seinen Eltern. Die Mutter soll ihn während
einer Auseinandersetzung als »Das große Tier« bezeichnet
haben. Eine größere Verunglimpfung war in dem Kreis der
Sekte nicht denkbar, denn »Das große Tier« (siehe dort) ist eine
zentrale Gestalt aus der Apokalypse, ein Verbündeter des
Teufels, ein eitler Widersacher Christi und Christenverfolger.
Das Zeichen des Tieres war die Zahl 666.
Als die Verhältnisse zu Hause unerträglich wurden, schickten
die Eltern ihren Sohn in ein Internat der Sekte. Der Vater stirbt
früh an Zungenkrebs. Er hinterläßt seinem Sohn ein großes
Vermögen. Finanziell unabhängig, hat Crowley ausreichend Zeit
und Geld für ausgedehnte Reisen, Wanderungen in den Alpen
und Bergbesteigungen im Himalaja. Er experimentiert mit
Drogen, wird alkohol- und heroinabhängig, schreibt unablässig,

-29-
wird aber wenig gelesen. Das Interesse an Okkultismus (siehe
dort) und Satanismus liegt in der Luft der Zeit. Neue okkulte
Ordensgemeinschaften entstehen. Am 18. November 1898 tritt
Crowley einem der zahlreichen Geheimorden bei, dem
»Hermetic Order of the Golden Dawn« (Hermetischer Orden der
Goldenen Dämmerung).
Wie andere Geheimorden bildet auch er ein Gegenmuster zu
den christlichen Ordensgemeinschaften. Die Mitglieder tragen
wie die Mönche den Titel »Frater« (Bruder), und wie in jeder
katholischen Ordensgemeinschaft bekommt auch hier das neue
Mitglied (Novize oder Neophyt) beim Eintritt einen
Ordensnamen. Crowley heißt nun »Frater Perdurabo«. Die
Ordenssprache ist Latein. Nach dem Vorbild der katholischen
Kirche ist das Leben in einer klaren Hierarchie gegliedert. Sie ist
durch unterschiedliche Weihestufen geprägt. Der »Hermetic
Order« kennt zehn Grade der Einweihung, und wie die Kirche,
so hat auch der Geheimorden eine »Heilige Schrift«.
Ein gemeinsames Merkmal aller Geheimorden ist die
Berufung auf alte außerchristliche Traditionen und
Geheimschriften. Besonders der Mythos von den verborgenen
(apokryphen) und von der Kirche angeblich bewußt
unterdrückten Geheimschriften gehört zu den
Gründungslegenden. Die »Heiligen Schriften« des »Hermetic
Order« wurden bei einem Londoner Antiquar gefunden.
Crowley erreicht nur den sechsten Grad in der
Ordenshierarchie, denn kurz nach der Weihe zum Adeptus
Minor (16. Januar 1900) verlangt er einen vollständigen
Einblick in die Geheimschriften der Ordensleitung. Da ihm
dieser verweigert wird, kommt es zum Bruch. Sieben Jahre
später wird Crowley seinen eigenen Orden gegründet haben. Er
nennt ihn »Argenteum Astrum«.
Die notwendigen Geheimschriften schrieb Aleister Crowley
während seines Aufenthaltes in Kairo 1904 selbst. Sie sind unter
dem Titel »Liber Legis« (Buch des Gesetzes) bekannt. In ihm
-30-
befinden sich auch die berühmten Worte, die jeder mit dem
Namen Crowley verbindet: »Do what you want shall be the
whole of the law« - »Tu was du willst sei das ganze Gesetz.«
Hier heißt es weiter:
»Es gibt keinen Gott außer dem Menschen.
Der Mensch hat das Recht, nach seinen eigenen Gesetzen zu
lebenzu leben, wie er will: zu arbeiten, wie er will: zu spielen,
wie er will: zu ruhen, wie er will: zu sterben, wann und wie er
will.
Der Mensch hat das Recht, zu essen, was er will: zu trinken,
was er will: zu wohnen, wo er will: sich auf dem Antlitz der
Erde umherzubewegen, wie er will.
Der Mensch hat das Recht, zu denken, was er will: zu sagen,
was er will: zu schreiben, was er will: zu zeichnen, zu malen,
schnitzen, ätzen, formen, bauen, was er will: sich zu kleiden,
wie er will.
Der Mensch hat das Recht, jene zu töten, die ihm diese Rechte
streitig machen wollen.«
Zu neuen Offenbarungen gehören neue Zeitrechnungen. Das
gilt auch für Crowleys ägyptische Offenbarung des Jahres 1904.
Crowleys Kalender rechnet in Zeiteinheiten von 22 Jahren. Eine
Zeiteinheit wird mit dem großen römischen Buchstaben I (Eins)
bezeichnet. Die Zahlenfolge IIII (Vier) bezeichnet 88 (4 mal 22)
Jahre. Alle anderen Zahlen bis 22 werden mit klein
geschriebenen römischen Zahlen ausgefü hrt. Zehn Jahre wären
also ein »x«. Die Zeitangabe beginnt immer mit den Buchstaben
»AN«. AN IIIIx bezeichnet also das Jahr 2002, in Crowleys
Chronologie als »gemeine Zeitrechnung« oder »era vulgari«,
abgekürzt »e.v.« bezeichnet. Diese wird der Zeitangabe gerne
beigefügt: AN IIIx, 2002 e.v.. Die Mystifikation gehört zu
Crowleys Selbststilisierung. Seine Vornamen ändert er von
Edward Alexander zu Alick und später zu Aleister, der
gälischen Form des Namens »Alexander«. Zur Selbststilisierung

-31-
gehört auch ein ausschweifendes Sexualleben mit Männern und
Frauen, durch das Crowley bald den Ruf bekommt, der ihn bis
heute zum liebsten Kind der Medien macht. Fortan ist sein
Lebensweg von Opfern begleitet: Nervenzusammenbrüche,
Selbstmorde. Seiner Tochter gibt er den Dämonennamen
»Lihth«. Sie stirbt früh. Sein Sohn verkommt.
Im Jahr 1912 wird Crowley durch Karl Kellner zum Mitglied
des Ordens Ordo Templi Orientis (O.T.O.) berufen. Aus diesem
Orden ist auch Ron Hubbard, der Gründer der Scientology
Church, hervorgegangen. Während des Ersten Weltkrieges hält
sich Crowley in Amerika auf. Er verdient sein Geld als
Ghostwriter von astrologischen Büchern und schreibt pro-
deutsche Kriegspropaganda. Auch während der Zeit des
Nationalsozialismus steht er auf deutscher Seite. Die geistige
Verwandtschaft vieler seiner Ideen mit Hitlers Gedanken ist ihm
selbst aufgefallen.
Aleister Crowleys Mutter hatte ihren Sohn im Zorn als »Das
große Tier« bezeichnet. In Amerika nimmt Crowley diesen
Namen an. »Das große Tier« oder »To Mega Therion« ist fortan
sein Titel. Unverhohlen bricht der Hass gegen das Christentum
aus ihm hervor:
»Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz. Siehe, Jesus von
Nazareth, wie bist du mir in die Falle gegangen. Mein Leben
lang hast du mich geplagt und beleidigt. In deinem Namen
wurde ich - wie alle freien Seelen im Reich der Christenheit in
meiner Jugend gemartert; mir war jede Freude untersagt; alles,
was ich hatte, wurde mir genommen, und das, was sie mir
schuldig sind, bezahlen sie nicht - in deinem Namen. Nun
endlich habe ich dich; der Sklavengott ist in der Gewalt des
Herrn der Freiheit. Deine Stunde ist gekommen, wo ich dich
vom Antlitz dieser Erde auslösche, so sicher wird die Finsternis
hinweggenommen werden; und Licht, Liebe, Leben und Freiheit
sollen einmal me hr das Gesetz der Erde sein. Mach Platz, o
Jesus, für mich; dein Äon (= Zeitalter) ist vorbei; das Zeitalter

-32-
des (ägyptischen Gottes) Horus ist angebrochen durch die
Magick (=Magie) des Meisters, des Tieres, das der Mensch ist;
und seine Zahl ist sechshundertundsechsundsechzig. Liebe ist
das Gesetz, Liebe unser Willen. Ich, To Mega Therion,
verurteile dich, Jesus, den Sklavengott, daher dazu, daß du
verhöhnt und angespieen und gegeißelt und hernach gekreuzigt
werdest.«
Der Wille des Menschen ist sein Gesetz, sagt Crowley, und
der Wille des »Großen Tieres« Crowley ist das Gesetz seiner
Ordensmitglieder. Aus Amerika zurückgekehrt, gründet er am 2.
April 1920 in Cefalù auf Sizilien ein Ordenshaus. Er nennt es
Abtei Thelema. Mönche wohnen in einem Kloster oder einer
Abtei. Die Abtei wird von einem Abt geleitet. Dieser verfügt
auch über die Gerichtsbarkeit des Klosters. Das griechische
Wort »Thelema« bedeutet »Wille«.
Crowley gibt sich selbst den höchsten Ordenstitel eines
»Ipsissimus«. »Er selbst ist gottgleich« - so könnte die
Bedeutung umschrieben werden. Drei Jahre später verweist die
italienische Regierung den »Gottgleichen« des Landes.
Als in den Sechziger Jahren der Protestsatanismus aufkam,
wurde Crowley auch in der Musikszene populär. Sein Bild
findet sich auf dem berühmten Platten-Cover der Beatles »Sgt.
Pepper's Lonely Hearts Club Band« (1967). Es gab auch Pläne,
sein Leben zu verfilmen. Mick Jagger sollte dabei die
Hauptrolle spielen. Die Rolling Stones ließen sich auf ihrer LP
»Their Satanic Majesties Request« (1967) von Crowleys
Gedanken inspirieren. Das Lied »Sympathy for the devil« wurde
zur Protesthymne einer ganzen Generation. Ozzy Osbourne von
der Gruppe Black Sabbath komponierte ein Lied mit dem Titel
»Mr. Crowley«, und Jimmy Page von der Gruppe Led Zeppelin
erwarb sogar Crowleys Haus in Boleskine. Aleister Crowley
verdankt seinen Nachruhm den Mystifikationen und Gerüchten
von grausamen Tabubrüchen, von denen sein Leben begleitet
war.

-33-
Dämonen

Wer die erste Seite der Bibel aufschlägt, findet dort den
Mythos von der Erschaffung des Lebens. Alles, was Gott
geschaffen hat, ist gut! So lautet der Refrain der Schöpfung.
Also waren auch Dämonen ursprünglich gut. Ihr gewaltiges
Heer setzt sich aus ehemaligen Engeln sämtlicher neun Chöre
zusammen. Während die himmlischen Heerscharen eine heilige
Ordnung bilden, sind die Dämonen eine reine Chaostruppe oder
- wie Bonaventura lehrte - eine »perversitas«, eine verkehrte
Ordnung. Unter den Dämonen findet man ehemalige Cherubim,
Seraphim, Erzengel, Mächte und Gewalten. Dämonen sind
geradezu besessen von ihrem Hass gegen die göttliche Ordnung.
Deshalb stellen sie auch den Gläubigen nach und versuchen, sie
gegen Gott aufzuhetzen. So schärft der Apostel Paulus seiner
Gemeinde in Ephesus (6.11 f.) ein: »Zieht an die Waffenrüstung
Gottes, damit ihr bestehen könnt gegen die listigen Anschläge
des Teufels. Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu
kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit
den Herren der Welt, die in der Finsternis herrschen, mit den
bösen Geistern unter dem Himmel.« Das Wort »Dämon« ist aus
dem griechischen »Daimon« abgeleitet. Dämonen dürfen nicht
mit Elementargeistern (siehe dort) verwechselt werden, denn die
Naturgeister bilden ein eigenes Reich. Sie interessieren sich
nicht für religiöse Fragen, sie streben nicht nach Gnade und
Gotteserkenntnis, sie wissen nichts von Sünde. Die meisten
Elementargeister wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden.
Als körperlose Geister suchen sich die Dämonen eine
Wohnung. Sie bevorzugen den menschlichen Körper, fahren zur
Not aber auch in Schweine als Wirtstiere ein (Markus 5.12). Da
Dämonen gern in Rotten auftreten, können sie im Körper des
Menschen eine verheerende Wirkung auslösen. Die Bibel nennt
Seh- und Hörstörungen, Stummheit, Epilepsie, Lähmung,
soziale Isolation und autoaggressive Handlungen. Jesus hatte
-34-
den Kampf gegen die Dämonen aufgenommen und den Anbruch
einer neuen Zeit verkündet: »Wenn ich aber durch Gottes Finger
die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch
gekommen.« (Lukas 11.20) Und weiter: »Blinde sehen, und
Lahme gehen, Aussätzige werden rein, und Taube hören, Tote
stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt.«
(Matthäus 11.5) Aus Maria von Magdala hatte Jesus sieben
Dämonen ausgetrieben, aus dem Besessenen von Gerasa sogar
6000. Dämonen kehren jedoch gerne an den Ort ihres
unheilvollen Wirkens zurück. »Wenn der unreine Geist von
einem Menschen ausgefahren ist, so durchstreift er dürre
Stätten, sucht Ruhe und findet sie nicht; dann spricht er: Ich will
wieder zurückkehren in mein Haus, aus dem ich fortgegangen
bin. Und wenn er kommt, so findet er's gekehrt und geschmückt.
Dann geht er hin und nimmt sieben andere Geister mit sich, die
böser sind als er selbst; und wenn sie hineinkommen, wohnen
sie darin, und es wird mit diesem Menschen hernach ärger als
zuvor.« (Lukas 11.24-26).
An Agnostikern und Atheisten gehen die Dämonen achtlos
vorüber. Der Grund liegt auf der Hand, denn was gäbe es bei
ihnen noch zu holen? Dämonen selbst sind jedoch niemals
Ungläubige, Skeptiker oder Zweifler. Sie können keine
Atheisten werden. Das unterscheidet sie von den Menschen. Sie
glauben an den einen Gott (Jakobusbrief 2.19).

Eheteufel

Wenn die Ehe zur Hölle wird, muß nicht gleich der Teufel
seine Hand im Spiel haben. Auch bei drastisch zunehmenden
Scheidungsraten in der westlichen Welt sollte nicht gleich der
Teufel an die Wand gemalt werden. Ehekrisen können höchst
irdische Ursachen haben. Auch ist es unfair, Frauen zu
verteufeln, wie es Elvis Presley mit den Versen »You... walk

-35-
like an angel..., but... you're the devil in disguise« getan hat.
Wie überall, so schützen auch im Fall des Eheteufels Wissen
und Aufklärung vor Mystifikationen. Der Eheteufel Asmodi
(Asmodäus) ist aus dem biblischen Buch Tobit bekannt. Hier
wird eine Geschichte vom Erwachsenwerden zweier
Jugendlicher erzählt. Sie heißen Tobit und Sara. Der
Schutzengel Raphael will sie zum Bund der Ehe
zusammenführen. Dabei stellen sich ihm einige Widerstände in
den Weg. Einer erscheint in der Gestalt des Eheteufels Asmodi.
Der Name leitet sich aus der Religion Zarathustras (siehe dort)
ab. Hier heißt der Bösewicht Dev Aeschma. Er kommt in der
Brautnacht und versucht, die Männer vor dem Vollzug der Ehe
zu töten. Der Eheteufel ist also ein eifersüchtiger Geist. Doch
mit Hilfe des Schutzengels kann er leicht vertrieben werden.
Das Buch Tobit empfiehlt zur Vertreibung Asmodis zwei
Mittel:
1. Ein magisches Räucherwerk aus Lebertran (Tobit 6.20) und
2. eine Zügelung der Triebe, denn Sara und Tobit schlafen
drei Nächte keusch nebeneinander, ehe sie die Ehe vollziehen.
Dieses Keuschheitsritual war auch unter den jungen
Gralsrittern verbreitet. So schlafen Parzival und Condwiramurs
erst drei Nächte nach der Hochzeit miteinander. Verständlich,
daß bei diesen hohen ethischen Auflagen zur Bannung von
Eheteufeln viele Paare heute ohne Trauschein zusammenleben
wollen. Eheteufel sind also Eheverhinderungsteufel. Ihrer nun
gibt es viele im 21. Jahrhundert.

Elementargeister

Wenn Häuser, Städte und Länder ihren eigenen Geist haben,


dann noch mehr die Natur. Jeder Wanderer im Gebirge oder am
Meer und jeder Waldgänger spüren diese Naturkräfte. In den

-36-
Elementargeistern werden sie seit Urzeiten personifiziert.
Elementargeister sind trotz ihres hohen Alters wieder populär,
denn sie verkörpern heute ein ökologisches Bewußtsein. Ihr
Name leitet sich aus den vier Elementen Erde, Wasser, Feuer
und Luft ab. Jedem Element werden bestimmte Elementargeister
zugeordnet.
In der Luft schweben die Sylphen. Sie sind sterbliche Geister
weiblichen Geschlechts. Im Feuer wohnen die Salamander. Im
Wasser die Undinen, Nixen, Meerjungfrauen, Nymphen und die
Lorelei. Der Erde sind die Gnome, Bergwerksdämonen, Zwerge,
Schrate und Trolle zugeordnet. Die Elementargeister sind älter
als das Christentum. Teilweise stammen sie aus der griechischen
und der nordischen Mythologie. Sagen und Märchen, aber auch
die Dichtung berichten von ihnen. Ob damit die
Elementargeister ein reines Produkt der Fantasie sind, darüber
streiten sich die Geister.
Trotz großer Unterschiede in Erscheinungsbild und Wesensart
haben alle Naturgeister gemeinsame Charakterzüge:
1. Sie wollen nicht von Menschen beobachtet werden.
2. Sie besitzen keine Seele.
3. Viele von ihnen haben ein starkes erotisches Verlangen.
Elementargeister sind deutlich von Dämonen zu
unterscheiden. Dämonen (siehe dort) sind gefallene Engel (siehe
Engelsturz), also ehemalige Himmelsbewohner. Dämonen
stellen der Seele des Menschen nach, wollen sie zum Bösen
verführen und in die Hölle hinabziehen. Da Elementargeister
keine Seele besitzen, sind sie für einen Teufel ohne Interesse. So
könnte man denken, doch ist das Verhältnis zwischen
Elementargeistern, Teufel und Mensch vertrackter. Während
viele Erdgeister wie Trolle und Schrate, aber auch der
Feuergeist des Salamanders glücklich über ihre Lebensform
sind, drängt es Zwerge, Sylphen und Undinen zuweilen nach
mehr. Sie haben Sehnsucht nach einer eigenen Seele. Wenn

-37-
dieses Verlangen in ihnen auftaucht, kann es für den Menschen
gefährlich werden. Die plumpen Zwerge bedienen sich dazu
eines üblen Tricks. Sie tauschen das neugeborene Menschenkind
gegen ein Zwergenkind aus. Dies wird Wechselbalg genannt.
Die ersten sechs Wochen nach der Entbindung gelten als die
gefährlichste Zeit für Säuglinge. Der Glaube an Wechselbälger
hat sich in einer tiefen Schicht der Seele bis auf den heutigen
Tag erhalten. Denn besonders in Krisenzeiten taucht bei
Jugendlichen gelegentlich die Fantasie auf, sie wären auf der
Säuglingsstation vertauscht worden. Wie immer, so ist auch hier
die Frage nach Geistern mit der Frage nach der menschlichen
Identität eng verbunden. Als böser Seelenräuber gilt bekanntlich
der üble Zwerg mit Namen Rumpelstilzchen. Das Märchen der
Brüder Grimm verrät auch, wie diesen Burschen beizukommen
ist: Man muß sie nur beim Namen nennen, dann weicht der
Spuk.
Obwohl Elementargeister keine Dämonen sind, kann sich der
Teufel ihrer dennoch bedienen. So sah es jedenfalls Martin
Luther: »Wechselbälger und Kielköpfe legt der Satan an der
rechten Kinder statt, damit die Leute geplaget werden. Etliche
Mägde reißt er oftmals ins Wasser, schwängert sie und behält sie
bei ihm, bis sie des Kindes genesen, und legt darnach dieselben
Kinder in die Wiegen, nimmt die rechten draus und führet sie
weg. Aber solche Wechselbälge sollen, wie man sagt, über 18
oder 19 Jahre nicht leben.«
Besonders gefährlich sind die Wassergeister. Die neben der
Lorelei bekannteste Nixe der Welt ist die kleine Seejungfrau,
das Wahrzeichen der Stadt Kopenhagen. Sie ist klein und
zierlich. Ihr offenes Haar ist lang. Schöne Brüste zieren den
nackten Oberkörper. Der Unterleib mündet in einen
Fischschwanz. Die Meerjungfrau sitzt auf einem Stein am
Hafen. Niemand möchte bei ihrem Anblick glauben, daß sie ein
Wässerchen trüben könnte, doch schon Hans Christian
Andersens Märchen von der kleinen Seejungfrau offenbarte

-38-
abgründige Charakterzüge und ein starkes Verlangen nach der
Seele des Menschen. Wassergeister sind ein beliebtes Motiv der
Romantik. Teilweise haben die Autoren Mitleid mit den Nixen,
teilweise warnen sie vor ihnen. Oft mischen sich bei den
Männern Angst und Lust am Untergang. Die erotische
Ausstrahlung der Nixe ist jedoch immer teuflisch. Denn wie die
femme fatale verspricht sie alles und gibt nichts. In seiner
Ballade »Der Fischer« (1778) hat Goethe diesen Charakterzug
der Meerjungfrauen beschrieben:
»Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist So wohlig auf dem
Grund, Du stiegst herunter, wie du bist, Und würdest erst
gesund.
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll, Netzt' ihm den
nackten Fuß, Sein Herz schwoll ihm so sehnsuchtsvoll, Wie bei
der Liebsten Gruß.
Sie (die Nixe) sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war's um ihn geschehen:
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Und ward nicht mehr gesehen.«

Engelsturz

Teufel sind gefallene Engel. Doch warum stürzten sie aus


dem Himmel? Zur Beantwortung dieser Frage sind ganze
Bibliotheken geschrieben worden. Von allen Erzählungen über
den Engelsturz sind drei besonders beliebt gewesen. Sie heißen:
»Das Leben Adams und Evas«, »Die Schatzhöhle« und »Das
Henochbuch«. Über Jahrhunderte waren diese äußerst populär
und haben die Kunst nachhaltig beeinflusst. Wer nach dem
Grund für den Engelsturz fragt, bekommt durch sie zwei
verschiedene Antworten:
1. Der erste Versuch einer Antwort lautet: Eifersucht auf den

-39-
Menschen und Rebellion gegen Gott führten zum Engelsturz. So
erzählt die Geheimschrift »Das Leben Adams und Evas«: Satan
und seine Engel wollten sich nicht vor dem Menschen
verbeugen. Darüber wurde Gott zornig. Satan reagierte mit
Trotz. Sein Herz verhärtete sich. Es kam zum offenen
Widerspruch. Satan verstieg sich mit Worten immer mehr,
wurde übermütig und verlor jedes Maß. Schließlich gab er vor,
Gott gleich sein zu können. Gott verwies ihn des Himmels.
Seitdem gilt die Hybris (Übermut) als höchste Sünde.
2. Der zweite Versuch einer Antwort lautet: Sexuelle
Leidenschaft führte zum Engelsturz. Einige »Gottessöhne«
(Genesis 6.1-4) verliebten sich in die ersten Frauen auf Erden,
verließen ihre Plätze im Himmel und vollzogen auf Erden den
Beischlaf. Diese Überschreitung der von Gott gezogenen Grenze
zwischen Enge l und Mensch hatte die unwiderrufliche
Verbannung aus dem Himmel zur Folge.
Hielt sich der Bericht der Bibel mit Namensnennungen und
Zahlenangaben noch diskret zurück, so wusste das Henochbuch
von exakt zweihundert männlichen Engeln, die mit irdischen
Frauen Verkehr gehabt haben sollen. Der Anführer hieß
Semjasa. Die anderen gefallenen Engel trugen Namen wie:
Urakib und Arameel, Sammael und Akibeel, Tamiel und
Ramuel, Danael und Erzeqeel, Saraqujal und Asael, Armers und
Batraal, Anani und Zaqebe, Samsaveel und Sartael, Tumael und
Turel, Jomjael und Arasjal.
Sie schwängerten die Frauen und lehrten sie dämonische
Künste wie Abtreibung, Erstellung von Zaubermitteln und
Beschwörungsformeln, das Schneiden von heilkräftigen
Wurzeln und Pflanzen, Astrologie und Wolkenkunde,
Zeichendeutung an Erde, Sonne und Mond, Herstellung von
militärischem Gerät, Schlachtmesser, Waffen, Schilde,
Brustpanzer, Gebrauch von Augenschminke und Verschönerung
der Augenlider, Färbetechniken und Goldschmiedekunst.
Der Engelsturz war die Folge der Engelsünde des Neids und
-40-
des Ungehorsams. Mit Blick auf den Sündenfall (siehe dort) der
ersten Menschen bildet er das »Vorspiel« im Himmel. Die Folge
des menschlichen Sündenfalls war die Erbsünde, die nach
kirchlicher Lehre durch das Sühnopfer Chr isti überwunden
wurde. Menschen können also die freien Plätze im Himmel
einnehmen. Adam, Eva und andere Menschen aus der Zeit vor
Christi Geburt sind sogar schon durch die Höllenfahrt Christi
aus der Vorhölle (siehe Fegefeuer) befreit worden. Die
Engelsünde aber hat die ewige Verdammnis zur Folge.
Durch den Aufstand Satans und seiner Engel waren natürlich
alle Engel vor die Entscheidungsfrage gestellt worden. Der
größte Teil von ihnen blieb Gott treu. Wie groß ihre Zahl war,
läßt sich nicht fassen. Die Enge lforschung kann hier nur
mutmaßen. Martin Luther (siehe dort) sagte einmal, wo 20
Teufel aufträten, da seien gewiss auch 100 Engel sonst wäre es
auf Erden gar nicht auszuhalten. Der Reformator geht also von
einem Verhältnis von 1:5 aus. So dürften 80 Proze nt der Engel
Gott treu geblieben sein. Ob es neben den beiden Gruppen der
gefallenen und der treuen Engel eine dritte Gruppe neutraler
Engel (siehe dort) gegeben hat, wird unter Engelforschern
kontrovers diskutiert.

Erscheinungsbild des Teufels

Früher war es leicht, den Teufel an seinen markanten äußeren


Merkmalen zu erkennen. Wenn ein finster blickender fremder
Mann mit schwarzer Kleidung und einem roten Umhang (siehe
Farben des Teufels) durch das Dorf zog, so wusste jedes Kind:
Das könnte der Teufel sein. Letzte Zweifel beseitigte ein Blick
auf Füße und Kopf. Kleine Hörner zwischen den Haaren, ein
lahmes Bein oder ein Pferdefuß waren unverwechselbare
Kennzeichen Satans. Wer sich näher an den Schwarzen
herantraute, konnte den Teufel an seinem Schwefelatem

-41-
erkennen. Auch in einer Kröte, einem schwarzen Pudel, einem
Affen, einem Wolf oder einer Schlange konnte sich Satan
verbergen.
Das Erscheinungsbild des Teufels wurde durch Künstler und
Märchenerzähler immer weiter ausgeformt. Sie griffen dabei auf
Geschichten der Bibel, die Legenden von der Versuchung des
heiligen Antonius (siehe Versuchungen) oder auch heidnische
Vorbilder zurück. Besonders beliebt waren Mischwesen wie der
Minotaurus und der Hirtengott Pan. Beide trugen Hörner. Der
Minotaurus hatte den Unterleib eines Menschen und den
Oberkörper eines Stieres. Sein Gegner war der Held Theseus. In
christlicher Zeit wurden Theseus mit Christus und der
Minotaurus mit dem Teufel gleichgesetzt. Pan besaß den
Oberkörper eines Menschen, trug Ziegenhörner auf dem Kopf
und hatte den Unterleib eines Bockes. Der Bock war ein Symbol
der Geilheit (siehe Sexualität), die man dem Teufel nachsagte.
Auch die Bibel beeinflusste das Erscheinungsbild des Teufels.
Satan war die Schlange, die Eva verführt hatte, der brüllende
Löwe und der böse Drache aus der Apokalypse (siehe dort). Vor
allen Dingen die zahlreichen Dämonen, die Jesus (siehe dort)
aus den Besessenen vertrieben hatte, bestimmten das Bild vom
Teufel. So sind die ersten Teufelsdarstellungen aus dem 6.
Jahrhundert Schattenbilder von Dämonen, die aus den
Besessenen fahren. Das Erscheinungsbild Satans in der Kunst ist
vielfältig: Er ist der Seelenverschlinger beim Jüngsten Gericht,
der Höllenfürst, der große Versucher der Heiligen oder der
Besiegte beim Abstieg Jesu in die Hölle. Hieronymus Bosch und
Pieter Breughel gehören zu den bekanntesten Höllen- und
Teufelsmalern. Teufel und Dämonen erscheinen auch als
Wasserspeiher an romanischen Kirchen und auf
Säulenaufsätzen.
Die Kirche war nicht immer glücklich über die Darstellungen
des Teufels. Der Grund lag auf der Hand: Wer sich ein
bestimmtes Bild vom Teufel machte, der war zugleich

-42-
Gefangener dieses Bildes. Oft fühlte man sich unter ganz normal
aussehenden Menschen sicher - niemand weit und breit mit
Pferdefuß oder Schwefela tem - und übersah dabei, daß der
Teufel mal wieder im Detail steckte. Er ist ein großer
Verwandlungskünstler und geht seit der Aufklärung weitgehend
inkognito durch die Welt. Denn im Gegensatz zu den Schönen
und Reichen dieser Welt legt er überhaupt keinen Wert darauf,
erkannt zu werden. Schon die alte Hexe (siehe dort) in der
»Hexenküche« von Goethes Faust erkennt den Teufel nicht, weil
sie ausschließlich auf das traditionelle Erscheinungsbild fixiert
ist. Deshalb klärt sie Mephistopheles (siehe dort) auf:
»Auch die Kultur, die alle Welt beleckt, Hat auf den Teufel
sich erstreckt;
Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen;
Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen?«
(Faust 2495ff.)
Selbst die Anrede »Junker Satan« verbittet sich der Teufel.
Der Satan gehöre ins Reich der Fabel. Allerdings: »Den Bösen
sind sie los, die Bösen sind geblieben.« (Faust 2509) Das ist
nicht nur ein Kernsatz zum Erscheinungsbild des Teufels,
sondern ein Kommentar zum Bösen in der modernen Welt. Es
hat keinen Namen und kein Gesicht mehr. Das macht es umso
bedrohlicher, wie der moderne Terrorismus zeigt.

Exorzismus

Wie die Engel, so sind auch die Dämonen für das menschliche
Auge unsichtbar. Doch können beide eine Gestalt annehmen
oder in den Körper eines Tieres oder Menschen schlüpfen.
Wenn der Dämon von einem Menschen Besitz ergriffen hat,
dann spricht man von Besessenheit (siehe dort). Die
Austreibung von Dämonen aus dem Menschen wird Exorzismus

-43-
genannt. Exorzismus ist in allen Religionen verbreitet. Er gehört
zu den Aufgaben des Schamanen und Medizinmannes.
Im osteuropäischen Judentum ist der religiöse Meister
(Zaddik) für die Teufelsaustreibung zuständig. Sein
Hauptgegner ist der Dibbuk, ein Aufhocker und Umklammerer,
der aus der Totenwelt hinaufsteigt, um die Seele eines
Menschen in Besitz zu nehmen. Weihrauch, Gebet (siehe dort)
und das Blasen des Schofarhornes vertreiben ihn.
Da Jesus (siehe dort) ein großer Exorzist war, fühlen sich
auch die Priester zur Teufelsaustreibung berufen. Die
katholische Kirche hat sogar ein eige nes Ritual für den
Exorzismus entwickelt. Das »Rituale Romanum« oder
»Römisches Ritenverzeichnis« von 1614 ist ein klassisches
Handbuch für Exorzisten, nach dem noch heute gearbeitet wird.
Es enthält Gebete, Bibelzitate, Litaneien und
Beschwörungsformeln.
Woran kann ein katholischer Priester einen Besessenen
erkennen? In den Richtlinien (»Normae observandae circa
exorcizandos a daemonio«) zur Durchführung des Exorzismus
werden vier Maßstäbe zur Enthüllung des Teufels benannt:
1. Der Mensch muß eine ihm unbekannte Sprache sprechen
oder verstehen,
2. hellseherische Fähigkeiten besitzen, Gedanken lesen oder
Auskunft geben können über Geschehnisse an einem fernen Ort
und
3. über außergewöhnliche Körperkräfte verfügen.
4. Beim Verhör durch den Exorzisten muß der Dämon in dem
Menschen wahrheitsgemäße Auskunft geben.
Die Vorschriften aus dem Römischen Ritenbuch warnen den
Priester ausdrücklich vor einer Überschreitung seiner
Befugnisse. »Der Exorzist hüte sich, dem kranken Besessenen
irgendeine Arznei zu verabreiche n oder anzuraten. Diese Sache
überlasse er den Ärzten.« Auch soll er nicht leichtfertig

-44-
annehmen, jemand sei vom Teufel besessen. Der Teufel sei ein
mit allen Wassern gewaschener Lügner, der voll List und
Heimtücke den Exorzisten zu irritieren versuche. Mal gebe er
sich für einen Heiligen, mal für einen Engel aus, dann verhalte
er sich ruhig, so daß der Exorzist glaube, der Kranke sei nicht
besessen. Vor allen Dingen lasse sich der Geistliche nicht auf
Gespräche mit dem Teufel ein, sondern »vollziehe die
Exorzismen mit befehlender Macht, voll Glaube, Demut und
Eifer«. Nach Möglichkeit solle die Austreibung unter
Ausschluss der Öffentlichkeit, aber im Beisein von Angehörigen
in einer Kirche vorgenommen werden. Der Geistliche habe stets
ein Kruzifix zur Hand oder in Reichweite. Auf Brust und Kopf
des Besessenen solle er Reliquien legen.
Der Exorzist beruft sich auf die Vollmacht des Gottessohnes.
»Im Namen unseres Herrn Jesus + (Priester macht das
Kreuzzeichen) Christus, beschwöre ich dich, unreiner Geist,
jede feindliche Macht, jedes Gespenst: reiße dich los und weiche
von diesem Geschöpf Gottes + » (»Exorcizo te, immundissime
Spiritus, omnis incursio adversari, omne phantasma, omnis
legio, in nomine Domini nostri Jesu + Christi eradicare, et
effugare ab hoc plasmate Dei.«).
Bei den Dämonenaustreibungen Jesu genügte ein mächtiges
Wort, und die bösen Mächte gaben ihr Opfer frei. Das Rituale
Romanum jedoch ist eine endlose Beschimpfung des Teufels
und seiner Dämonen: »Höre es also und fürchte dich, Satan
(›Audi ergo, et time, satana‹), du Glaubensfeind, du
Widersacher des Menschengeschlechtes, du Mörder und Räuber
des Lebens, du Verächter der Gerechtigkeit, du Wurzel aller
Übel, du Herd aller Laster, du Verführer der Menschen, du
Verräter der Völker« - so geht es in einem fort, unterbrochen
von schwersten Beschuldigungen: »Du bist schuldig vor dem
allmächtigen Gott, dessen Gebot du übertreten hast. Du bist
schuldig vor seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn, den du
zu versuchen wagtest und in deiner Vermessenheit gekreuzigt

-45-
hast. Du bist schuldig am Menschengeschlecht, dem du mit
deiner Überredung den tödlichen Gifttrank dargereicht hast.«
Dramatischer Höhepunkt des Rituals ist die Aussprechung
ewiger Verdammnis in den Flammen der Hölle: »Weichet von
mir, ihr Verfluchten, ins ewige Feuer, das dem Teufel und
seinen Engeln bestimmt ist!« (»Discedite a me, maledicti, in
ignum aeternum, quae paratus est diabolo et angelis eius.«)
»Dich, du Gottloser, und deine Engel werden Würmer peinigen,
die niemals sterben. Dir und deinen Engeln ist ein
unauslöschliches Feuer bereitet. Denn du bist der Urheber
verfluchten Mordens, der Anstifter der Blutschande, der
Anführer der Religionsfrevler, der Lenker schändlicher Taten,
der Lehrmeister der Irrlehrer, der Erfinder jeglicher Unzucht.«
Jeder katholische Priester ist zur Ausübung des Exorzismus
befugt. Der Jesuit Adolf Rodewyk (1894-1989) ist der
bekannteste und umstrittenste deutsche Exorzist des 20.
Jahrhunderts. Nach eigenen Angaben soll er über 500
Teufelsaustreibungen vorgenommen haben. Seine Bücher
»Dämonische Besessenheit heute« und »Dämonische
Besessenheit in der Sicht des Rituale Romanum« wurden zu
Klassikern.
Dem Aschaffenburger »Main-Echo« (9. Oktober 1974) gab
der achtzigjährige Rodewyk ein ausführliches Interview zum
Thema »Besessenheit«. Auf die Frage, wie er eine körperliche
oder seelische Abnormität von einer Besessenheit unterscheide,
gab er zur Antwort: Er spreche bei begründetem Verdacht einen
Probeexorzismus. Wenn der Mensch daraufhin keine Reaktion
zeige, sei er nicht besessen. Falle er jedoch in Trance, spreche
oder verstehe fremde Sprachen, entwickle übernatürliche Kräfte,
könne hellsehen oder reagiere aggressiv auf geweihte
Gegenstände, so erhärte sich der Verdacht. Der Besessene spüre
den Unterschied zwischen einem geweihten und einem
ungeweihten Rosenkranz. »Er stürzt sich auf ihn und zerreißt
ihn in Stücke. Unter Umständen reagiert er auch körperlich,

-46-
bekommt Brandblasen.« Besessenheit sei für den Teufel selbst
eine Strafe. »Das ist gar kein Vergnügen für ihn, an einen
anderen Menschen gebunden zu sein.«
Aber warum läßt Gott die Heimsuchung des Menschen zu?
Besessenheit könne eine Strafe Gottes sein oder die Auswirkung
eines Fluches. Aber es gebe auch das unschuldige Opfer,
vergleichbar mit einem Mann, der »ein Kind aus einer Gruppe
herausgreift und es anständig verprügelt. Er überfällt also einen
völlig Harmlosen.« Gott schicke den Blitz, zerstöre und bringe
alles wieder in Ordnung. Er brauche sich nicht zu rechtfertigen.
Manchmal sei Besessenheit eine erzieherische Maßnahme
Gottes, nämlich wenn »Gott einmal zeigen will, was ein Teufel
aus einem Menschen machen kann. Das kann pädagogisch sehr
gut sein. Der Mensch kann ja hinterher alles wieder gutmachen.
Es ist ein Lehrbeispiel. Wenn Gott hilft, die Besessenheit zu
überwinden, dann ist das auch für die Umwelt lehrreich.«
Rodewyk arbeitete während des Zweiten Weltkrieges als
Seelsorger in einem Standortlazarett in Trier. Hier begegnete er
1941 einer dreißigjährigen Krankenschwester, die nach seiner
Diagnose von sieben Teufeln besessen war. Magda hatte eine
tiefe Abneigung gegen alles Heilige, stahl geweihte Oblaten
(Hostien) und stach mit einer feinen Nadel den Namen »Judas«
hinein. Sie fügte sich tiefe, lange Schnittwunden zu und griff
auch ihren Exorzisten an. Mehrfach hatte sie versucht, ihrem
Seelsorger mit einem Rasiermesser oder Skalpell Arme und
Gesicht zu zerschneiden oder ihn mit Strychnin zu vergiften. Sie
setzte ihm mit Besenstiel, Beil, Schere oder Messer zu. Ein
Schnitt mit dem Rasiermesser verletzte Rodewyk am rechten
Zeigefinger, ein weiterer tiefer Schnitt mit dem offenen
Rasiermesser auf dem linken Handrücken zerschnitt eine Ader,
durchtrennte eine Sehne und riss eine weitere an. Sich selbst
fügte Magda über 87 Wunden zu. Der Exorzist führte ein
genaues Protokoll: Die Größe der Schnitte schwankte zwischen
2 und 10 cm Länge und 0,5 bis 2,5 cm Tiefe. Im ersten Jahr der

-47-
Besessenheit stellte ein Arzt mit dem Stechzirkel die Länge der
Narben fest. Die Schnittlänge der Wunden an Armen und
Händen ergab zusammen 57,9 cm, an Brust und Leib 43,9 cm,
an den Beinen 99 cm, zusammen also 200,7 cm. Rodewyk
deutet die Schnitte als Sühneleiden.
Als verantwortlich für die autoaggressiven Tendenzen und
antiklerikalen Affekte galten die sieben Teufel, die Magdas
Persönlichkeit in Besitz genommen hatten. Nach einiger Zeit
konnte Rodewyk ihre Namen ausfindig machen. Sie lauteten
Beelzebub, Lucifer, Judas, Nero, Kain, Herodes, Barabbas und
Abu Gosch. Magda war ein NSDAP-Spitzel, Rodewyk gehörte
der bedeutenden Gesellschaft Jesu an, die Hitler verboten hatte.
Vor seinem Eintritt in den Orden (1918) war Rodewyk aktiver
Kriegsteilnehmer im Rang eines Offiziers. Den Zweiten
Weltkrieg mußte er aus der Etappe erleben. Die
Teufelsaustreibungen im Trierer Standortlazarett waren sein
Kampf gegen die satanischen Mächte der Zeit. Deshalb verstand
er den »Fall Magda« als Gleichnis für die religiöse Lage der
Gegenwart, den kleinen Kriegsschauplatz ihres Leibes als ein
Abbild des großen besessenen Volkskörpers. Beelzebub spricht
den Zusammenhang direkt an: »Was du an Magda siehst, ist
Symbol der Zeit. An ihr siehst du im Kleinen, was draußen im
Großen vorgeht. Die Teufel, die dir in ihr begegnen,
beherrschen mit ihrem Geist das Zeitgeschehen, jeder in seiner
Weise.«
Besessenheit bedeutet nach Rodewyks Auffassung für die
Teufel eine schreckliche Bestrafung. Sind sie doch in den
Menschen wie in ein Gefängnis gesperrt. Der Exorzist gilt dabei
als Gefängnisaufseher und Chefankläger. Er stellt den Teufeln
Fragen, die sie wahrheitsgemäß beantworten müssen. Was der
angebliche Teufel Judas mitteilt, wirkt jedoch wenig
überzeugend, denn Magda zeigte keine Anzeichen von Geldgier
oder Besitzstreben.
Eingefahren war Judas in Magda drei Tage vor der ersten

-48-
heiligen Kommunion, und er blieb in ihr bis zum Lebensende
(15. Dezember 1954). Rodewyk gelang es, Magda von vielen
Teufeln zu befreien. Warum wollte ausgerechnet Judas nicht
weichen? Vielleicht, weil er Ausdruck der heimlichen Liebe
zwischen dem Priester und der Krankenschwester war? Denn
Magda trug einen Ehering, den ihr Rodewyk geschenkt hatte.
Exorzismen offenbaren manchmal ganz weltliche Abgründe.

Der Exorzist (Film)

Am 26. Dezember 1973 kam der Film »Der Exorzist« von


William Friedkin in die amerikanischen Kinos. Der Regisseur
hatte sich von Jesuiten beraten lassen. Seine Filmerzählung von
dem zwölfjährigen Mädchen Regan (Linda Blair) ist eine
Pubertätsparabel. Sie beschreibt die Angst vor dem
Erwachsenwerden, die in vielen Fällen von Besessenheit eine
wichtige Rolle spielt. Fremde Mächte haben von Regan Besitz
ergriffen und ihr Wesen verändert. Der Film deutet diese
Inbesitznahme nach dem klassischen Muster der Besessenheit
(siehe dort): Regan spricht in veränderter Stimmlage, redet in
einer fremden Sprache. Paranormale Phänomene tauchen auf.
Sie würgt grünen Brei hervor, ihre Gesichtshaut verändert sich.
Levitationen geschehen: Sie selbst schwebt über dem Bett,
Gegenstände fliegen durch die Luft. Sie stößt sexuelle
Obszönitäten hervor, während sie mit einem Kruzifix
masturbiert: »Lass Jesus dich ficken!« Regans Welt bekam
einen Riss, als ihre Mutter eine neue Bindung zu einem Mann
einging.
»Der Exorzist« wurde ein Welterfolg. Warum?
Studentenunruhen in Paris und Berlin, Anti-
Vietnamdemonstrationen, Kaufhausbrände, Bombenanschläge,
Überfälle auf Botschaftsgebäude, Flugzeugentführungen, der
Watergate-Skandal, der Sturz Allendes in Chile, die

-49-
Bombenattentate der PLO bei den Olympischen Spielen in
München: Vom Tod Benno Ohnesorgs (2. Juli 1967) bis zum
Selbstmord der Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und
Jan-Carl Raspe (28. April 1977) und der anschließenden
Eskalation des Terrors in Deutschland zog sich ein Riss durch
die Gesellschaft. Im Spiegel des Einzelschicksals der besessenen
Regan fand sich eine vaterlose Generation wieder, die auch
zwischen den Zeiten leben mußte. Die Welt drohte
auseinanderzubrechen.

Farben des Teufels

Farbgebungen bleiben nicht ohne Wirkung. Das lehren die


asiatische Kunst des Feng Shui ebenso wie die moderne
Farbpsychologie. Auch der Teufel besitzt Signalfarben.
Klassische Teufelsfarben sind rot, schwarz, blau, gelb, grün und
grau. Kein Maler käme auf die Idee, einen weißen Teufel zu
malen. Wenn etwa die Bibel von Männern in weißen Kleidern
spricht, so weiß jeder: Das können nur Engel sein. Weiß ist auch
die Farbe der Friedenstaube und der Feste Weihnachten,
Epiphanias, Gründonnerstag und Ostern.
Bei der roten Farbe denken wir an die Flammen der Hölle und
den feuerroten Drachen der Apokalypse des Johannes. Rot ist
die Farbe der Verführung. Deshalb gehören rote Farben auch in
jedes Bordell. Im Mittelalter wurden den von der Kirche
verurteilten Ketzern rote Kreuze auf die Kleidung genäht. Rot
scheint also eindeutig eine Teufelsfarbe zu sein. Doch auch in
der Farbpsychologie steckt der Teufel im Detail. Denn Rot ist
zugleich die Farbe der Liebe und die liturgische Farbe der
Märtyrer. Deshalb ist jedes vorschnelle Urteil unangebracht.
Auch hilft eine genaue Kenntnis der Farbskala zu einem
differenzierten Urteil: Rot ist von purpurrot zu unterscheiden.
Rot trägt der Teufel, purpurrot der Kardinal.

-50-
Weil Satan der Affe Gottes ist, ahmt er auch die schwarze
Kleidung der Priester nach. Deshalb sollte man sich hüten, in
jedem schwarzgekleideten Priester oder Gothic-Fan einen
Anhänger Satans sehen zu wollen. Schwarz ist die Farbe des
dritten apokalyptischen Reiters, des Todes und der Unterwelt.
Auch bei der Farbe blau muß man genau hinsehen, um den
Teufel nicht mit der Muttergottes zu verwechseln. Dunkelblau
gilt als Teufelsfarbe, hellblau ist dagegen eindeutig eine heilige
Farbe. Maria trägt ein himmelblaues Gewand. Grau ist nicht nur
alle Theorie, sondern auch die Farbe der Ketzer. Hexen mußten
ein graues Gewand anziehen. Auch die Farbe gelb ist des
Teufels. Im Mittelalter trugen die zum Tod verurteilten Ketzer
ein ärmelloses gelbes Bußgewand mit einer aufgemalten
Teufelsfigur. Gelb ist aber auch der »Judenstern«. Gerade dieses
Beispiel zeigt, wie gefährlich und fragwürdig die alten
Signalfarben des Teufels sind. In der modernen Welt helfen sie
bei der Identifizierung Satans nicht mehr weiter.

Fatima

Mit dem Namen des portugiesischen Wallfahrtsortes Fatima


verbinden Katholiken Höllenvisionen, die Ankündigung eines
großes Strafgerichtes und die Ermordung eines Papstes. Am 13.
Mai 1917 war hier die Muttergottes erschienen. Am 3. März
1917 hatte Zar Nikolaus II. (1868-1918) nach der
Februarrevolution abdanken müssen. Im November 1917
besiegelte die Oktoberrevolution den Sieg der Bolschewiki und
den Triumph des Kommunismus. Die Stadt Fatima liegt etwa
190 Kilometer nördlich von Lissabon. In Fatima hüteten die
zehnjährige Lucia Santos, ihr neunjähriger Vetter Francisco und
ihre sieben Jahre alte Cousine Jacinta Marrto jeden Tag die
Schafe. Die drei Hirtenkinder hatten nie eine Schule besucht.
Am 13. Mai 1917 erschien ihnen Maria als Lichtgestalt über

-51-
einer Steineiche schwebend.
»Habt keine Angst, ich tue euch nichts zuleide«, sagt sie.
»Woher seid Ihr?«, fragt Lucia.
»Ich komme vom Himmel«, lautet die Antwort.
Dann folgt eine lange Erklärung: »Ihr sollt sechs Mal
nacheinander zur gleichen Stunde wie heute, am dreizehnten
jedes Monats, hierher kommen bis Oktober. Im Oktober werde
ich euch sagen, wer ich bin und was ich von euch will. Ich
werde dann noch ein siebtes Mal kommen. Wollt ihr euch Gott
schenken, bereit, jedes Opfer zu bringen und jedes Leid
anzunehmen, das er euch schicken wird, als Sühne für die vielen
Sünden, durch die die göttliche Majestät beleidigt wird, um die
Bekehrung der Sünder, von denen so viele auf die Hölle zueilen,
zu erlangen und als Genugtuung für die Flüche und alle übrigen
Beleidigungen, die dem unbefleckten Herzen Mariens zugefügt
werden?«
Die Kinder von Fatima gehen nun, wie es die Lichtgestalt
befohlen hatte, jeden 13. des Monats zu der Steineiche. Die
ihnen folgende Menschenmenge wird immer größer. Am 13.
Oktober 1917 sind es mehr als 50000 Menschen, die in
strömendem Regen an der Steineiche auf die Erscheinung
warten. Da blitzt es, und die Madonna erscheint. Sie stellt sich
als Rosenkranzkönigin vor und fordert alle zum regelmäßigen
Beten des Rosenkranzes auf. Anschließend öffnet sie ihre hell
strahlenden Hände. Die Wolken teilend, geht die Sonne auf. Am
Himmel beginnt ein seltsames Schauspiel, das zehn Minuten
währt: Wie ein Feuerrad rotiert die Sonne und taucht die
Talmulde in ein farbiges Lichtspektakel aus blauen, roten,
gelben, grünen und violetten Farben. Dann erscheint neben der
Sonne die Heilige Familie: die Jungfrau im weißen Gewand mit
himmelblauem Mantel und neben ihr der Namenspatron vieler
katholischer Bischöfe, der Heilige Josef mit dem Jesuskind.
Drei geheime Botschaften vermittelt Maria über die Kinder.

-52-
Die ersten beiden Offenbarungen werden schnell bekannt. Im
Jahr 1930 ist Fatima bereits offiziell als Wallfahrtsort anerkannt.
Das so genannte erste Geheimnis von Fatima, eine Höllenvision,
lautet:
»Ein großes Feuermeer, und in ihm versunken schwarze,
verbrannte Wesen, Teufel und Seelen in Menschengestalt, die
fast wie durchsichtige glühende Kohlen aussahen. Sie wurden
innerhalb der Flammen in die Höhe geschleudert und fielen von
allen Seiten herab wie Funken bei einer großen Feuersbrunst,
gewichtlos und doch nicht schwebend; dabei stießen sie so
entsetzliche Klagelaute, Schmerzens- und Verzweiflungsschreie
aus, daß wir vor Grauen und Schrecken zitterten. Die Teufel
hatten die schreckliche und widerliche Gestalt unbekannter
Tiere, waren jedoch durchsichtig wie glühende Kohle.«
Das zweite Geheimnis von Fatima kündigt den Ausbruch des
Zweiten Weltkrieges an und fordert zur Verehrung des
Unbefleckten Herzens der Gottesmutter auf: »Wenn ihr eines
Nachts ein unbekanntes Licht sehen werdet, so wisset, es ist das
Zeichen von Gott, daß die Bestrafung der Welt für ihre vielen
Verbrechen nahe ist: Krieg, Hungersnot. Um das zu verhindern,
will ich bitten, Russland meinem Unbefleckten Herzen zu
weihen und die Sühnekommunion am ersten Samstag des
Monats einzuführen. Wenn man meine Bitten erfüllt, wird
Russland sich bekehren, und es wird Friede sein. Wenn nicht, so
wird es seine Irrtümer in der Welt verbreiten, Kriege und
Verfolgungen der Kirche hervorrufen; die Guten werden
gemartert werden, der Heilige Vater wird viel zu leiden haben.«
Das dritte Geheimnis aber sollte im Jahr 1960 bekannt
gegeben werden. In einem versiegelten Brief wurde es deshalb
nach Rom geschickt. Veröffentlicht wurde es jedoch erst am 26.
Juni 2000. Das Attentat auf den Papst hatte sich inzwischen
ereignet- ausgerechnet am »Fatimatag«, dem 13. Mai 1981.
Johannes Paul II. hatte seine wunderbare Rettung auf die Hilfe
der Muttergottes von Fatima zurückgeführt. Die Kugel, die ihm

-53-
Ärzte aus dem Leib operierten, wurde zum Dank in die Krone
der Gottesmutter eingelassen.

Faust

Alle Menschen, die mit dem Teufel paktiert haben, befanden


sich in einer Krisensituation. Das gilt auch für den berühmtesten
Teufelsbündler, dessen Geschichte Johann Wolfgang von
Goethe (1749-1832) erzählt. Goethe kannte sie seit seiner
Kindheit in Frankfurt. Siebzig Jahre Autorschaft widmete er der
Gestaltung des Stoffes.
Wie kommt ein Mann dazu, mit dem Teufel zu paktieren?
Heinrich Faust ist ein kluger, gelehrter Arztsohn, vielfach
studierter Doktor, ausgebildeter Mediziner, Jurist, Philosoph und
Theologe, von den Bürgern geachtet und von seinem
Assistenten bewundert. Niemand ahnt, daß er todunglücklich ist.
Bis zur »Midlife-Crisis« hatte er sein Leben ausschließlich den
Wissenschaften gewidmet. Zu religiösen oder familiären
Bindungen war er unfähig. Jetzt wird er alt, die Lebenssäfte
fließen träger. Viel Wissen hat Faust erworben, aber keine
Weisheit erlangt. Ein entwurzelter Mensch. Seine »esoterische
Phase« hat er hinter sich. Jetzt spielt er mit
Selbstmordgedanken. Das ist die Bühne innerer Leere, auf der
Satan in Gestalt eines schwarzen Pudels erscheint.
Faust schließt einen Pakt und besiegelt ihn ganz traditionell
mit seinem Blut (siehe Teufelspakt). Der Preis kümmert ihn
nicht. Er hat nichts zu verlieren. Der Teufel (siehe
Mephistopheles) bietet ihm seinen Dienst auf Erden an, im
Jenseits müsse ihm dafür Faust zu Diensten stehen. Für Faust
zählen die Gegenwart und das Leben auf der Erde. Der gefallene
Engel und der entwurzelte Mensch schließen einen Pakt, eine
Solidarität der Außenseiter. Der Teufel vermittelt Faust eine
Verjüngungskur und entfacht seine Libido. Schnell ist ein

-54-
Mädchen zur Stelle und wird ins Unglück gestürzt: Verführung,
Schwangerschaft, Kindsmord, Brudermord, Muttermord folgen
einander. Dazu kommen Experimente am Menschenleben,
Machtstreben und Wirtschaftskriminalität, kühne
Deichbaumaßnahmen, Expansion des Besitzes und die
heimtückische Ermordung eines alten Ehepaares.
Wer mit dem Teufel paktiert, gehört in die Hölle. So hatte es
die Kirche seit Jahrhunderten gelehrt, und so glaubte es das
Volk. Wirklich? Bleibt nicht im Menschen ein Rest vom Traum
der Versöhnung und Erlösung, die auch dem schlimmsten
Sünder zuteil werden kann? Hat nicht der Böseste eine
schwache Stimme des Gewissens, die ihm sagt: »Es ist nicht
richtig, was Du tust!« Faust kennt Momente der
Gewissensanwandlung und der Verzweiflung, sie führen ihn
aber nicht von seinem Höllenweg ab. Als er im Alter von
beinahe hundert Jahren stirbt, will der Teufel seine Seele
schnappen. Doch da kommen Engel und retten sie. Langsam
steigt Faustens unsterbliche Seele in den Himmel hinauf. Hier
kommt es zu einem Wiedersehen mit der Geliebten. Am Ende
steht bei Goethe die Allversöhnung und Wiederherstellung der
gefallenen Schöpfung. Alles ist im Himmel vereint, so wie es
der junge Goethe beim Kirchenvater Origenes gelesen hatte.
Das menschliche Leben hat ein Vorspiel und ein Nachspiel im
Himmel. Auch über Faust hatten Gott und Teufel im Himmel
gesprochen. Der Teufel war als Widersacher und Querulant
mitten in den Gesang der Engel geplatzt. Michael, Gabriel und
Uriel sangen von der Herrlichkeit der Schöpfung und ihrem
wunderbaren Geheimnis. Satan widersprach, stellte die
Harmonie des Weltganzen in Frage und spielte sich dabei als
Anwalt des Menschen auf. Als Gegenbeispiel brachte Gott
ausgerechnet Faust ins Spiel, keinen frommen Christen, keinen
Zufriedenen, sondern einen zerrissenen Menschen, einen
Zweifler und Selbstmordkandidaten. Ein völlig anderer Typus
als Hiob, der fromme Dulder. Ein Mensch voller Unruhe, rastlos

-55-
strebend nach neuer Erfahrung. Gerade er soll den Beweis der
harmonischen Schöpfung erbringen. Am Ende, da ist Gott
gewiss, werde der Mensch aus der Dunkelheit der Welt und des
Irrtums in die Klarheit der Erkenntnis geführt sein. Nicht die
Frömmigkeit, das Gebet und die Tugendhaftigkeit führen zur
Erlösung, sondern das Streben. Die Engel (Verse 11934-41)
singen von diesem »Stairway to heaven«:
»Gerettet ist das edle Glied Der Geisterwelt vom Bösen, Wer
immer strebend sich bemüht, Den können wir erlösen. Und hat
an ihm die Liebe gar Von oben teilgenommen, Begegnet ihm die
selige Schar Mit herzlichem Willkommen.«
Zu den Skeptikern an diesem Konzept der Allversöhnung
gehörte Thomas Mann (1875-1955). Als er seinen Roman
»Doktor Faustus« (15. März 1943-29. Januar 1947)
niederschrieb, erlebte er aus dem sicheren kalifornischen Exil
den Höllensturz Deutschlands, die Befreiung der
Konzentrationslager und die erste Atombombenexplosion in
Hiroshima. Deutschland hatte mit dem Teufel paktiert, es war
zum Land der Dämonen geworden. Beispiellose Verbrechen
waren verübt worden. Da konnte es kein Erbarmen geben! Und
»was nur immer auf deutsch gelebt hat, steht da als ein Abscheu
und als Beispiel des Bösen«. Die Bevölkerung von Weimar, der
Stadt Goethes, Herders, Schillers, wird von amerikanischen
Soldaten vor die Krematorien des nahe gelegenen
Konzentrationslagers auf dem Ettersberg geführt, »Bürger, die
in scheinbaren Ehren ihren Geschäften nachgingen und nichts zu
wissen versuchten, obgleich der Wind ihnen den Gestank
verbrannten Menschenfleisches von dorther in die Nasen blies«.
Seinen »Doktor Faustus« versteht Thomas Mann deshalb als
pädagogische Maßnahme und Aufklärungsbuch über das Böse
in und außerhalb des Menschen. Deutschland war nicht der
verführte Unschuldsengel. Das Dämonische gehörte vielmehr zu
seinem Wesen. Vor ihm erschaudert der Dichter und sucht -
Michelangelos Weltgericht in der Sixtinischen Kapelle vor

-56-
Augen - Zuflucht im Gebet:
»Deutschland, die Wangen hektisch gerötet, taumelte dazumal
auf der Höhe wüster Triumphe, im Begriffe, die Welt zu
gewinnen kraft des einen Vertrages, den es zu halten gesonnen
war, und den es mit seinem Blute gezeichnet hatte. Heute stürzt
es, von Dämonen umschlungen, über einem Auge die Hand und
mit dem ändern ins Grauen starrend, hinab von Verzweiflung zu
Verzweiflung. Wann wird es des Schlundes Grund erreichen?
Wann wird aus letzter Hoffnungslosigkeit ein Wunder, das über
den Glauben geht, das Licht der Hoffnung tragen? Ein einsamer
Mann faltet seine Hände und spricht: Gott sei euerer armen
Seele gnädig, mein Freund, mein Vaterland.«

Fegefeuer

Über Himmel und Hölle (siehe dort) gab es in der Bibel


eindeutige Aussagen. Die Gerechten kamen in den Himmel, die
Sünder in die Hölle. So weit schien die Sachlage klar. Doch
schon Augustinus empfand die Alternative als zu schroff.
Schließlich war der Kirchenvater in seiner Jugendzeit selbst ein
großer Sünder gewesen und hatte später Frau und Kind
verlassen. Der Tod seiner geliebten Mutter Monika wurde für
ihn zum Schlüsselerlebnis. Monika war eine fromme Christin,
gewiss. Aber war sie soweit frei vom Makel der Sünde, daß sie
Gott unmittelbar nach ihrem Tod zu sich in den Himmel
aufnehmen würde? Wer, außer wenigen Heiligen und Märtyrern,
konnte überhaupt sicher sein, daß er vor Gott Gnade fände? Die
endgültige Scheidung der Menschheit in Höllen- und
Himmelbewohner war zu radikal, als daß sie nicht eine
Kompromisslösung gefordert hätte. So entwickelte Augustinus
vier Typen des Sünders:
Typ 1: Gottlose, Ungläubige, Todsünder und ungetaufte
Kinder kamen nach ihrem Tod auf direktem Weg in die Hölle.

-57-
Jede Fürbitte durch die Lebenden war hier sinnlos.
Typ 2: Märtyrer, Heilige und Gerechte kamen direkt in den
Himmel. Sie bedurften der Fürbitte der Lebenden nicht, konnten
aber ihrerseits die Christen auf Erden durch ihr Gebet
unterstützen.
Typ 3: Nicht ganz Schlechte erlitten eine entschärfte Form der
Hölle. Durch die Fürbitte der Lebenden konnte ihre Qual
gemildert, aber nicht aufgehoben werden.
Typ 4: Nicht ganz Gute konnten durch ein reinigendes Feuer
geläutert werden und somit auf einem Umweg in den Himmel
gelangen. Ihnen diente die Fürbitte der Kirche. Augustinus
zählte seine Mutter zu diesem vierten Typus.
Im Laufe der Zeit entwickelte die Kirche eine Topografie des
Jenseits. Die Unterwelt, von der Thomas von Aquin annahm, sie
liege im Zentrum der Erde, wurde in vier Bereiche gegliedert:
1. Die eigentliche Hölle. Sie ist eine Dauereinrichtung und
wird bis in alle Ewigkeit bestehen bleiben. Wer hier gefangen
ist, hat keine Chance auf Befreiung. Die Hölle ist auch der
Bestrafungsort für die gefallenen Engel. Satan ist der »Fürst der
Hölle«.
2. Auch die ungetauften Kinder hatten keine Chance, in den
Himmel zu kommen. Andererseits wollte man sie nicht wie
noch Augustinus - an einem Ort mit den Todsündern sehen.
Ihnen konnte keine persönliche Sünde vorgehalten werden. In
den Himmel oder in das Fegefeuer konnten sie dennoch nicht
kommen, weil sie mit der Erbsünde belastet waren. So erfand
man im Jenseits einen eigenen Ort für sie. Diese »Kinderhölle«
wurde »limbus puerorum« genannt. Wie die Hölle wird sie in
alle Ewigkeit bestehen. Allerdings werden die Kinder nicht von
Teufeln gequält. Deshalb wird sie auch »Vorhimmel« genannt.
3. Einen Problemfall bildeten aus kirchlicher Sicht auch die
Männer und Frauen des Alten Testaments. Abraham und Sara,
Adam und Eva, Moses und Miriam konnten aufgrund der

-58-
Erbsünde gleichfalls nicht ohne weiteres in den Himmel
gelangen. Sie hielten sich in der »Vorhölle« auf. Dieser Ort
wurde auch »Abrahams Schoß« oder »limbus patrum« genannt.
Teufel hatten zu diesem Teil der Unterwelt keinen Zutritt.
Schließlich hatte es ja auch in dem Gleichnis vom armen
Lazarus und dem reichen Mann (siehe Hölle) geheißen, die
Engel hätten die Seele des verstorbenen Lazarus in Abrahams
Schoß getragen. Der limbus patrum galt daher als Ort der Engel.
Allerdings durften die Teufel diesen Ort der Erbsünder in einer
Art Belagerungsring umgeben. In ihn war Christus am
Karsamstag hinabgestiegen, um die Gerechten nachträglich zu
taufen und von der Erbsünde zu reinigen. Der limbus patrum
war also nur ein zeitweiliger Aufenthaltsort. Seit der Höllenfahrt
Christi steht er leer.
4. Ein zeitweiliger Aufenthaltsort ist auch das Fegefeuer
(Purgatorium). Das Fegefeuer ist ein Bestrafungsfeuer. Es dient
der Vorbereitung des Eintritts in den Himmel. Teufel sind hier
nicht in den Dienst genommen.
Die noch heute verbindliche katholische Lehre vom Fegefeuer
wurde im Hochmittelalter entwickelt. Schon Augustinus sprach
von »reinigenden Strafen« (poenae purgatoriae). Doch erst
Anselm von Canterbury klärte die genauen Voraussetzungen für
den Eintritt in diesen Läuterungsort. Er unterschied zwei Typen
des Sünders:
1. Todsünder, die wissentlich gesündigt hatten, kamen in die
Hölle.
2. Nur Christen, die unwissentlich gesündigt hatten, bekamen
die Chance der Reinigung im Fegefeuer. Ihre Sünden wurden
auch lässliche Sünden genannt. Sünden waren jedoch nicht
einfach aus der Welt zu schaffen. Für sie galt folgendes System
der Tilgung: Sie mußten a) bereut, b) gebeichtet, c) gebüßt und
d) bestraft werden. Die Bewohner des Fegefeuers wurden
folglich in zwei Gruppen unterteilt: Wer zu Lebzeiten seine
Sünden bereut, gebeichtet und gebüßt hatte, wurde im Fegefeuer
-59-
nur noch bestraft, weil er durch die Buße bereits gereinigt war.
Wer allerdings seine Sünden auf Erden noch nicht vollständig
gebüßt hatte, weil er beispielsweise vor Vollendung der Buße
gestorben war, der wurde im Fegefeuer bestraft und gereinigt.
Die Büßer im Fegefeuer werden auch »Arme Seelen«
genannt. Durch Gebet, Ablass und Pilgerfahrten können ihnen
die Lebenden beistehen. Der 2. November, Allerseelen, ist der
Hauptfeiertag dieser unerlösten Toten. Dante Alighieri (1265-
1321) hat in seiner »Göttlichen Komödie« die ausgefeilten
Vorstellungen von einem jenseitigen Reinigungsort festgehalten.
Im Zentrum des Fegefeuers steht bei Dante der Berg der
Läuterung. Nach alter Lehre lag das Paradies auf einem Berg,
und Adam und Eva mußten nach dem Sündenfall diesen
Paradiesberg hinabsteigen. Hier knüpft Dante an: Über sieben
Stufen steigt die Seele wieder in das Paradies hinauf. Dabei
helfen ihr körperliche Strafen, Meditation und das Gebet.
Das Fegefeuer aber war vor allen Dingen der einzige Ort im
Jenseits, auf den die Kirche Einfluss ausüben konnte. Denn
einmal half das Gebetsgedächtnis der Lebenden den Seelen im
Fegefeuer, zum anderen war die Kirche bei der wichtigen
Unterscheidung zwischen lässlicher Sünde und Todsünde
gefragt. Mit dem Fegefeuer entstand die Ohrenbeichte. Nach ihr
entschied der Priester, welche Art der Sünde vorlag und welche
Form der Sühne zu vollziehen war.
Es gab Sündenablässe in vielfältiger Form, und seit 1300
feiert man alle 25 Jahre das »Heilige Jahr«. Das letzte rief Papst
Paul II. für das Jahr 2000 aus.
Das Fegefeuer ist gültige katholische Lehre bis auf den
heutigen Tag. Innozenz IV. und das Erste Konzil von Lyon (28.
Juni - 17. Juli 1245) definierten: Hier werden die Seelen von
kleinen und geringfügigen Sünden gereinigt, »die nach dem
Tode auch dann belasten, wenn sie im Leben vergeben wurden.
Wer aber ohne Buße in einer Todsünde dahinscheidet, der wird
ohne Zweifel auf immer von den Gluten der ewigen Hölle
-60-
gepeinigt.« (Denzinger 838f.) Das Zweite Konzil von Lyon (7.
Mai - 17. Juli 1274) unter Gregor X. ergänzte: »Und zur
Milderung derartiger Strafen nützen ihnen die Fürbitten der
lebenden Gläubigen, nämlich Messopfer, Gebete, Almosen und
andere Werke der Frömmigkeit, die von den Gläubigen
entsprechend den Anordnungen der Kirche für andere Gläubige
gewöhnlich verrichtet werden.« (Denzinger 856)
Evangelische Christen glauben nicht an die Existenz des
Fegefeuers. Martin Luthers Reformation hatte sich am
Widerspruch gegen den Ablasshandel entzündet. Zudem, so
Luther, gäbe es keinen biblischen Beweis für einen dritten Ort
neben Himmel und Hölle. Die Katholiken beriefen sich auf die
Rede des Apostels Paulus, von einer Rettung »wie durchs Feuer
hindurch« (1. Korinther 3.15). Luther war dieses Wort zu
dunkel, als daß es die Wirklichkeit eines Reinigungsortes im
Jenseits bewiesen hätte.

Franz von Assisi

Franz von Assisi hatte eine Heidenangst vor der Hölle. Er sah
das Ende der Zeit kommen und das Gericht Gottes.
Schrecklicher als der erste, der leibliche Tod, werde der zweite
Tod sein. Der zweite Tod aber war die Verurteilung zu ewiger
Höllenqual. Franz glaubte, jeder Mensch werde eines Tages vor
Gott stehen, und Gott werde jeden einzelnen fragen:
»Was hast Du aus Deinem Leben gemacht?« Franz hatte
somit schreckliche Angst vor diesem Augenblick, und er bezog
einen großen Teil seiner Energie aus dem Glauben, alles dafür
tun zu müssen, daß kein Mensch dem Zorn Gottes begegnet. In
seinem berühmten »Sonnengesang« (Cantico di frate Sole) lobt
er Gottes Schöpfung, doch eindringlich erklingt auch die
Warnung vor der Hölle (siehe dort):
»Wehe jenen, die in tödlicher Sünde sterben.
-61-
Selig, die er finden wird in deinem heiligsten Willen, denn der
zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.«
In zahlreichen Legenden wird vom Kampf des Heiligen Franz
von Assisi (1182-1226) gegen die Welt des Bösen erzählt. Es ist
stets die gleiche Geschichte in anderer Form: Drei Raubmörder,
also drei mögliche Kandidaten der ewigen Verdammnis,
kommen zu einem Kloster der Franziskaner auf dem Monte
Casale. Der Leiter (Guardian) heißt Bruder Angelo, aber seine
Reaktion auf die Bitte der Raubmörder um eine Mahlzeit ist
wenig engelhaft. Er weist sie mit den Worten ab, sie seien nicht
wert, noch weiterhin von der Erde getragen zu werden: »Denn
ihr habt keinerlei Achtung, weder vor den Menschen noch vor
Gott, der euch erschuf. Hebt euch weg um eurer Missetaten
willen, und kommt mir nie mehr vor die Augen!«
So muß man mit Wölfen umgehen, wird sich Bruder Angelo
gedacht haben. Die Keule schwingen und zuschlagen! Franz ist
da ganz anderer Meinung. Als er von dem Vorfall erfährt, tadelt
er den Bruder heftig und belehrt ihn, Sünder würden eher durch
Sanftmut als durch hartes Schelten zu Gott zurückgeführt.
Bruder Angelo muß hinter den drei Räubern herlaufen, sie für
seines Herzens Härte um Verzeihung bitten, ihnen Brot und
Wein überreichen und sie im Namen des Heiligen auffordern,
keine Untaten mehr zu begehen. Sollten sie dazu bereit sein, so
verspreche er, täglich für ihre leiblichen Bedürfnisse
aufzukommen.
Während sich Bruder Angelo auf den Weg macht, bittet
Franz, Gott möge die Herzen der Räuber zur Buße bekehren. Da
passiert es. Die Räuber erkennen ihr ewiges Schicksal und
bekennen: »Wir aber sind Söhne des ewigen Verderbens, welche
die Strafen der Hölle verdienen, und jeden Tag wachsen wir
unserer Verdammnis entgegen.« Aber vielleicht gibt es
Hoffnung für sie. Die Räuber folgen Bruder Angelo und suchen
den Rat des Heiligen. Der sagt: »Und wenn wir auch
unermesslich viele Sünden hätten, Gottes Barmherzigkeit ist

-62-
noch größer als unsere Sünden.« Angespornt von dieser
Hoffnung des Heiligen, entsagen die drei Raubmörder dem
Teufel und seinen Werken und werden von Franz in den Orden
aufgenommen.
Auf seinen Wanderungen durch Italien kommt der Heilige
Franz zur Stadt Agobbio. Hier leben die Menschen in Angst und
Schrecken vor einem ungeheuren Wolf, der Tiere und Menschen
reißt. Die Städter hausen wie Gefangene und treten nur schwer
bewaffnet aus den Mauern hervor. Franz hat Mitleid mit den
Menschen. Er will ihnen helfen, verläßt die Stadt und sucht den
Wolf. Alle haben ihm abgeraten, der Fall sei hoffnungslos.
Niemand könne den Wolf überwinden. Doch Franz macht das
Zeichen des Kreuzes und zieht mit Gottvertrauen des Weges.
Heimlich folgen ihm die Bürger. Da erscheint das Untier und
rennt mit offenem Rachen auf Franz zu. Der Gottesmann macht
erneut das Zeichen des Kreuzes und umarmt den Wolf.
Sanft wie ein Lamm sitzt der Wolf zu seinen Füßen und läßt
sich belehren. Wenn er in Zukunft seine räuberischen Angriffe
auf Mensch und Tier unterlasse, sagt Franz zum »Bruder Wolf«,
werde er zwischen ihm und den Städtern Frieden stiften und
dafür sorgen, daß er von ihnen bis an sein Lebensende mit
Nahrung versorgt werde. Zum Erstaunen der Gaffer folgt der
Wolf wie ein sanftmütiges Lamm. Franz klärt die Städter auf.
Gott habe sie wegen ihrer Sünden durch den Wolf heimgesucht.
Sie hätten Angst vor dem Rachen des Wolfes gehabt, obwohl
der Wolf nur den Leib zu töten vermöge! Viel mehr sei dagegen
der Rachen der Hölle zu fürchten, wo die Verdammten ewige
Qualen zu leiden hätten. Deshalb fordert Franz die ungläubigen
Städter auf, sich zu bekehren: »Kehret euch also, ihr Lieben, zu
Gott und tut gerechte Buße wegen eurer Sünden; und Gott wird
euch befreien von dem Wolf in diesem und von dem Feuer der
Hölle im künftigen Leben.«
Franz schließt Frieden zwischen den Städtern und dem Wolf.
Bis an sein Lebensende wird er unter ihnen wohnen, und alle

-63-
werden ihn bei seinem natürlichen Tod betrauern. Franz von
Assisi glaubte an die Möglichkeit der Verständigung zwischen
Christen und Muslimen, er glaubte an den Frieden zwischen
Mensch und Natur, er glaubte an die Gemeinschaft zwischen
Kranken und Gesunden, er glaubte an die Bekehrung der
Sünder, er glaubte an eine Erneuerung der Kirche. Er glaubte:
Es gibt die Hölle, aber niemand muß hier enden.
Draußen vor dem westlichen Tor seiner Heimatstadt Assisi
befand sich eine Hinrichtungsstätte für Verbrecher, die
Höllenhügel genannt wurde. Wer hier starb, dem war nach
Meinung der Städter die ewige Verdammnis sicher. War es ein
Wink Gottes, wie damals mit dem Wolf von Agobbio, daß der
Heilige Franz ausgerechnet hier begraben wurde? Zwei Jahre
nach seinem Tod schenkte Papst Gregor IX. das Land vor dem
westlichen Stadttor den Brüdern. Am 17. Juli 1228 erfolgte die
Grundsteinlegung für die Grabeskrypta der Kirche San
Francesco, dort, wo einst der Höllenhügel gewesen war.

Sigmund Freud

Alle modernen Therapieformen weisen zurück auf Sigmund


Freud (1856-1939), den Urvater der Psychoanalyse. Wie Jesus
bannte Freud die Schattenmächte der Seele allein durch das
Wort. Die Kunst der Heilung durch das Wort hatte Freud bei
dem berühmten französischen Nervenarzt Jean Martin Charcot
(1825-1893) gelernt. Charcot war Klinikchef der Salpétrière in
Paris.
»Nach manchen Vorlesungen gehe ich fort wie aus Notre-
Dame, mit neuen Empfindungen vom Vollkommenen«,
berichtet der junge Freud (24. November 1885) seiner Verlobten
Martha Bernays. Charcot hatte reich geheiratet, das verschaffte
ihm Ansehen in der mondänen Gesellschaft. »Charcot war ein
armer Teufel, ihr Vater soll ungezählte Millionen besitzen«,

-64-
heißt es in einem weiteren Brief an die Verlobte (20. Januar
1886). Martha Bernays (1861-1951), Enkeltochter eines
Oberrabbiners aus Hamburg, war wie Sigmund Freud ohne
Vermögen.
In seinem berühmten Salon am Boulevard Saint Germain
empfing Charcot die Pariser Prominenz. Dienstagvormittags
fanden öffentliche Vorlesungen und Demonstrationen von
Patienten statt, darunter Auftritte der jungen Hysterikerin
Augustine, die unter dem hypnotischen Einfluss ihres Arztes
sämtliche Phasen eines großen Anfalls vor dem Publikum
zeigen konnte. Guy de Maupassant und andere Schriftsteller,
Schauspieler oder Journalisten ließen es sich nicht entgehen,
Charcot eine gelähmte Nonne mit den biblischen Worten »Steh
auf und wandle!« heilen zu sehen. Vor ihren Augen vollzog sich
ein grundlegender Wandel in der Deutung und Behandlung
schwerer seelischer Leiden. An die Stelle des Priesters trat der
Nervenarzt. Die Aura des heiligen Mannes wurde auf den »Gott
in Weiß« übertragen. Selbst der Atheist Freud vergleicht den
Vorlesungssaal mit einer Kathedrale und die äußere Erscheinung
seines verehrten Lehrers mit der eines Weltgeistlichen. Charcot
hatte mit Hilfe der Hypnose geheilt, Freud dagegen kehrte zur
alten Verhörmethode der Teufelsaustreiber zurück. Tief
verborgen im Menschen lag das Geheimnis der Krankheit. In
Gespräch und freier Assoziation auf der Couch des Therapeuten
konnte es ergründet werden, vorausgesetzt, der Heiler kannte die
Namen der Teufel. Freuds Dämonen heißen Kastrationsangst,
Ödipuskomplex, Todestrieb und Aggressionstrieb. Seine
Psychoanalyse wurde zum Exorzismus des 20. Jahrhunderts.

-65-
Gebet

Es gibt keine bessere Waffe gegen die Anfechtungen und


Anfeindungen des Teufels als das Gebet. Darauf weist Jesus
(Markus 9.29) ausdrücklich hin. Auch in dem von Jesus für die
tägliche spirituelle Praxis empfohlenen Vaterunser, dem
bekanntesten Gebet der Christenheit, wird auf den Teufel Bezug
genommen. In der dritten Bitte heißt es: »Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.« Engel und Mensch sollen sich
dem göttlichen Willen beugen und nicht wie der Satan gegen die
himmlische Ordnung rebellieren. Und in der siebten Bitte des
Vaterunsers heißt es: »Sondern erlöse uns von dem Bösen.«
Damit ist der Teufel gemeint. »Denn dieser ist's, der all das, was
wir bitten, unter uns verhindern will: Gottes Namen oder Ehre,
Gottes Reich und Willen, das tägliche Brot, das fröhliche, gute
Gewissen«, erläutert Martin Luther in seinem »Großen
Katechismus«. »Darum haben wir auf Erden nichts zu tun, als
ohne Unterlass gegen diesen Hauptfeind zu beten. Denn wenn
uns Gott nicht hielte, wären wir keine Stunde vor ihm sicher.«

Geister

Zu allen Zeiten haben die Menschen geglaubt, daß es neben


der sichtbaren Welt eine unsichtbare Welt der Geister gibt. In
den Naturreligionen war es die Aufgabe des Schamanen, den
Kontakt zu den Geistern zu pflegen. Noch heute gibt es unter
den Indianern Amerikas, den Nomadenstämmen des Altai-
Gebirges und in Sibirien Schamanen. Der bekannteste
Schamane der Gegenwart ist der mongolische Schriftsteller
Galsan Tschinag. Seine Lehrzeit als Geisterbeschwörer
beschreibt er in den Romanen »Die Graue Erde« (1999) und

-66-
»Der weiße Berg« (2000). Die sibirischen Schamanen waren
unter der Herrschaft des Diktators Stalin grausam verfolgt
worden. Der englische Reiseschriftsteller Colin Thubron
beschreibt die Aufgabe des Schamanen in seinem Buch
»Sibirien: Schlafende Erde - erwachendes Land« (2001):
»Er war der Hüter der Erinnerungen seines Volkes, der
Geschichte und Überlieferungen des Stammes und seiner
eigenen ererbten Geheimnisse. Er hatte Einblick in den Tod. Er
kannte die Ahnengeister und konnte sie in der Trance als Helfer
gewinnen oder vertreiben. Manchmal befriedete er sie. Doch er
lebte von seiner Gemeinschaft getrennt und war oft gefürchtet.
Er wurde nicht nur zur Behandlung normaler Krankheiten
gerufen, sondern auch um tiefere Leiden zu heilen, etwa wenn
Patienten von feindseligen Toten gefressen wurden, oder um ein
widriges Schicksal des Stammes zu wenden. Wenn er
ein›weißer Schamane‹war, bediente er sich der guten Geister,
war er ›schwarz‹, wehrte er das Böse ab oder bezwang es.«
Der Schamane wird von einem Lehrer oder einer Lehrerin in
die geheimen Künste eingeweiht. Doch kann niemand zum
Schamanen werden, der nicht von den Geistern selbst berufen
worden ist. Der Geisterglaube ist älter als die Weltreligionen. In
der Entwicklungsgeschichte der Menschheit sind sie erst spät
entstanden. Der alte Geisterglaube wurde von Juden, Christen
und Muslimen zwar offiziell verboten und als Aberglaube
(Gegenglaube) abgewertet, er hat sich jedoch überall auf der
Welt als »Volksglaube« erhalten. Selbst im Islam, der sich als
Religion des strengsten Monotheismus (Eingottglaube)
bezeichnet, ist der Glaube an Geister weit verbreitet. Überall
zwischen Peshawar und Marrakesch können Muslime
Geschichten von Geistern (Dschin) erzählen. Der muslimische
Geisterglaube ist auch in den Märchen aus 1001 Nacht überreich
dokumentiert. Geister bevölkern auch den modernen Film,
Horrorromane und die Fantasy-Literatur, die Kinderzimmer und
zu Halloween (siehe dort) die Gärten und Hauseingänge. Der

-67-
Geisterglaube hat alle Versuche der Aufklärung überlebt. Selbst
in Menschen, die keiner Glaubensgemeinschaft mehr angehören,
lebt zuweilen der Geisterglaube weiter fort.
Die Welt der Geister ist so vielfältig wie die Welt der
Menschen, der Tiere und Pflanzen. Nicht jeder Geist ist gut,
nicht jeder Geist ist böse. Auch in der Geisterwelt gilt es
zwischen den Holden und den Unholden zu unterscheiden. Wie
in der Menschenwelt dürften die Mischformen am häufigsten
auftreten. Selten ist ein Geist ein reiner Unhold. Geister sind
auch von den Dämonen (siehe dort) zu unterscheiden. Dämonen
sind immer böse. Sie lassen sich auch nicht zum Guten
bekehren. Dämonen gehören in die Welt der Religionen. Der
Glaube an Geister ist nicht nur älter als die großen
Weltreligionen, er ist auch unabhängig von der Frage, ob es
einen Gott gibt. Das macht ihn für viele Menschen des 21.
Jahrhunderts wieder attraktiv. Dagegen ist die Rede vom Teufel
immer an den Gottesglauben gebunden. Denn Satan ist ja der
Widersacher Gottes.
Geister bevölkern die vier Elemente Wasser, Feuer, Erde und
Luft (siehe Elementargeister). Als Hausgeister sind sie meist
unsichtbare Mitbewohner menschlicher Wohnstätten. Schon die
Römer verehrten diese Hausgeister als Schutzgeister der
Familie. Für den Personenschutz waren die Penaten zuständig,
für die Wohn- und Wirtschaftsgebäude die Laren. Sie galten den
Römern als Geister der Ahnen der Familie. Zu jedem römischen
Haus gehörte ein Altar, wo dem Schutzgeist (Genius) des
Familienoberhauptes, den Penaten und Laren täglich geopfert
wurde. Neben diesen Familiengeistern (lares familiares) gab es
auf dem Land und in den Städten auch öffentlich verehrte Laren
(lares compitales). Sie galten als Schutzgeister der Stellen, wo
Menschen zusammenkamen, etwa Kreuzungen von Ländereien
und Stadtbezirken. Auf fröhlichen Nachbarschaftsfesten feierte
man das segensreiche Wirken dieser Laren.
Ihre dunklen Gegenspieler sind die bösen Totengeister der

-68-
Lemuren. Hausgeister sind auch die Heinzelmännchen aus Köln.
Das sind kleine unsichtbare Kobolde, die beinahe engelgleich im
Haus segensreich wirken. Im Gegensatz zu den Menschen
verlangen sie für ihre Dienste keine Gegenleistung. Ein
Schüsselchen mit Milch genügt. Kobolde wohnen gern im
Keller, auf Dachböden, in Scheune, Stall oder im
Gartenhäuschen. Sie lieben Diskretion und wollen nicht, daß
man von ihrer Anwesenheit irgendein Aufsehen macht. Auch
erwarten sie keine Geschenke. Wer meint, seinem Hausgeist
etwas Gutes tun zu müssen, der wird ihn verärgern. Hausgeister
dienen immer umsonst. Wer dies nicht beachtet oder gar
versucht, seines Hausgeistes ansichtig zu werden, der
verscheucht ihn auf alle Zeit.
Nicht jeder Geist wurde als Geist geboren. So sind die
Übergänge zwischen Mensch und Geist fließend. Ein Mensch
kann nach seinem Tod zu einem unruhigen Geist werden. Er
erscheint dann als Wiedergänger (siehe dort) oder Untoter (siehe
Vampire) und verfolgt seine noch lebenden
Familienangehörigen oder hält sich an Spukorten auf. Diese
Geister werden von Schamanen, Hexen (siehe dort) oder
Magiern (siehe Magie) beschworen. Das berühmteste Beispiel
für die Beschwörung eines Totengeistes findet sich in der Bibel.
Unter den Juden war jede Form von Geisterbeschwörung bei
Todesstrafe verboten. »Die Zauberinnen sollst du nicht am
Leben lassen« (Exodus 22.17) hieß es. »Wenn ein Mann oder
eine Frau Geister beschwören oder Zeichen deuten kann, so
sollen sie des Todes sterben; man soll sie steinigen; ihre
Blutschuld komme über sie.« (Leviticus 20.27) »Wenn sich
jemand zu den Geisterbeschwörern und Zeichendeutern wendet,
daß er mit ihnen Abgötterei treibt, so will ich mein Antlitz
gegen ihn kehren und will ihn aus seinem Volk ausrotten.«
(Leviticus 20.6) Wie weit der alte Geisterglaube trotz dieser
drastischen Mahnungen im Judentum verbreitet war, zeigt die
stete Wiederholung der Verbote. Einige Juden verbrannten sogar

-69-
ihre Kinder als Brandopfer, um den bösen Geist Moloch zu
besänftigen. Daher heißt es: »Daß nicht jemand unter dir
gefunden werde, der seinen Sohn oder seine Tochter durch das
Feuer gehen läßt oder Wahrsagerei, Hellseherei, geheime
Künste oder Zauberei treibt oder Bannungen oder
Zeichendeuterei vornimmt oder die Toten befragt.«
(Deuteronomium 18.10f.)
Trotz dieses Verbotes suchte der jüdische König Saul eine
Totenbeschwörerin auf. Die so genannte Hexe von Endor besaß
die Gabe, die Geister der Ahnen zu befragen (1. Samuel 28). Sie
beschwörte den Geist des verstorbenen Propheten Samuel aus
der Unterwelt. Die Stelle ist in vielerlei Hinsicht aufschlussreich
für den Geisterglauben. Sie ze igt, daß sich der Geisterglaube als
Alternative zur offiziellen Religion anbietet. Denn Saul hatte
zuerst die Geisterbeschwörer verfolgt und getötet, ganz so, wie
es die jüdischen Gesetze vorschreiben. Erst als er selbst keine
Gotteserfahrungen mehr macht, wendet er sich an die
Totenbeschwörerin. Die Begegnung mit dem Geist endet jedoch
für Saul tödlich. Wenige Tage später nimmt er sich das Leben.
Geisterbeschwörungen finden auch auf spiritistischen
Sitzungen (siehe Okkultismus) statt. Ende des 19. Jahrhunderts
wurden sie zu einer Modeerscheinung. 1862 tauchten in Boston
sogar angebliche Geisterfotografien auf: Bilder mit
Doppelbelichtungen, die bald in ganz Europa Mode wurden. Der
Spiritismus ist heute eine nicht immer ungefährliche
Freizeitbeschäftigung vo n Jugendlichen. Dennoch wird es den
Glauben an Geister auch deshalb immer geben, weil er einer
tiefen menschlichen Urerfahrung entspricht. Mit dem Wort
»Geist« wird die Atmosphäre bezeichnet, die in einem Haus,
einem Land oder einer bestimmten Epoche herrscht. Früher
wurde das Dienstmädchen als »guter Geist des Hauses«
bezeichnet. Wir sprechen vom Geist der Antike, dem Zeitgeist,
dem Weltgeist, dem Geist einer Schule oder Universität - und
bezeichnen damit den Wesenskern. Ohne es zu wollen, hat

-70-
unsere Sprache aus ihm eine Person gemacht.

Georg, der Drachentöter

In Asien ist der Drache ein Glückssymbol. Niemand käme auf


die Idee, einen Drachen töten zu wollen. In der christlichen
Tradition gilt dagegen der Drache als ein Symbol für den Teufel.
Denn in der Apokalypse des Johannes (siehe dort) wird der
Satan als »großer Drache« und »alte Schlange« (Apk 12.9)
bezeichnet. Sein Gegner ist der Engel Michael. Er hat ihn im
Kampf aus dem Himmel auf die Erde gestoßen. Hier bedroht
nun der Drache die Menschen. Doch wie Michael im Himmel,
so setzt der Ritter Georg auf Erden den Kampf gegen den Teufel
fort. Die Georgslegende gehört zu den beliebtesten
Heiligenlegenden der Christenheit.
Georg, ein Christ aus kappadozischem Geschlecht, kam einst
in die Nähe der Stadt Silena. Hier hatten sich Menschen aus
Angst vor einem gefährlichen Drachen hinter Stadtmauern
verschanzt. Draußen in der Wildnis wohnte der Unhold in einem
tiefen Wasser. Die helle Welt der Städter und die dunkle Welt
des unergründlichen Sees stehen sich gegenüber wie
Unbewußtes und Bewußtes. Tief unten im Wasser ist die böse,
todbringende Macht verborgen. Vergeblich war man mit
Waffengewalt gegen sie zu Felde gezogen. Der Drachen hatte
die Städter mit seinem Gifthauch in die Flucht geschlagen.
Vielleicht hätte er für Jahrhunderte tief unten im Wasser des
Unbewußten geschlummert, hätte man den Kampf nicht
herausgefordert.
Langsam steigert sich die Tyrannei. Die Städter verkennen
das Wesen des Bösen. Sie meinen, mit ihm paktieren zu können,
und bieten dem Drachen ein tägliches Opfer an. Jeden Tag,
wenn er vor die Stadt gekrochen kommt, wirft man ihm zwei
Schafe zum Fraß vor. So nimmt die Zahl der Schafe rapide ab,

-71-
und die Städter kommen überein, dem Drachen jeden Tag
abwechselnd ein Schaf und einen Menschen zu opfern. Längst
haben sich alle mit dieser Diktatur abgefunden. Niemand denkt
an Widerstand. Täglich bestimmt das Los ein neues
Menschenopfer, bis der Höhepunkt erreicht ist: Die einzige
Tochter des Königs soll dem Drachen zum Fraß vorgeworfen
werden.
Das Königsopfer markiert den Höhepunkt. Schlimmer kann es
nicht mehr kommen. Jetzt steht alles auf dem Spiel: die Seele
der Stadt, die Königstochter. Der Vater klagt voller Ohnmacht:
»O weh, liebe Tochter, ich gedachte königliche Kinder von
deinem Schöße zu erziehen; nun wirst du von dem Drachen
verschlungen. Ich dachte, zu deiner Hochzeit edle Fürsten zu
laden, das Schloss mit Perlen zu schmücken, Pauken und
Trompeten zu hören; nun gehst du hin, daß dich der Drache
essen soll.« Die Stunde des Abschieds kommt. Noch einmal
küsst der Vater seine Tochter. Die Königstochter kennt keine
Angst. Sie ist bereit, ihr junges Leben zu opfern. Mit einer
Rettung rechnet sie nicht. Aus der Welt der Städter steigt kein
Stern der Hoffnung auf. Der Erlöser kommt von außen. Nur
einer, der sich nicht von dem Drachen beeindrucken läßt, kann
die Seele befreien.
»Da kam Sankt Georg von ungefähr dahergeritten, und da er
sie weinen sah, fragte er, was ihr wäre.« Viele Tränen, lange
Reden, das kennzeichnet die Welt der Städter. Ganz anders trit t
der Retter auf. Er ist voll geistiger Präsenz und Tatendrang,
erkundigt sich nach dem Grund der Tränen. Mit sicherem Blick
erkennt er die Lage. Im Rücken die starren Blicke der Städter,
vor sich den Erlöser, fordert ihn die reine Seele zur sofortigen
Flucht auf, andernfalls werde er mit ihr sterben müssen. Georg
bleibt beharrlich und erfährt die Vorgeschichte des Opferganges.
Seine Anrede wird väterlich. »Liebe Tochter, sei ohne Furcht«,
antwortet er und verweist auf die Kraft des Glaubens, die ihm
Unerschrockenheit und Siegesgewissheit schenkt. »Ich will dir

-72-
helfen in dem Namen Christi.«
Die königliche Seele spürt sofort, ihr Retter handelt selbstlos.
Kein Abenteurer steht vor ihr. Georg ist nicht auf Brautschau, er
sucht nicht ein halbes Königreich und eine schöne Prinzessin
dazu. Seine uneigennützige Hilfe ist reine Barmherzigkeit im
Namen Christi. Von diesem Gottessohn hatte die Seele noch
nichts vernommen. Der Name Christi sagte ihr nichts, und so
wehrt die Prinzessin das Angebot ab. Georg solle fliehe n, es
reiche, wenn sie heute sterben müsse. Damit ist auch der edle
Charakter der Prinzessin genügend deutlich geworden, daß
endlich der altböse Feind aus dem See des Unbewußten
auftauchen kann. Schon zittert die Jungfrau vor Schrecken,
vergeblich mahnt sie den Ritter zur Flucht. Der weiß, wer vor
dem Teufel flieht, ist bald verloren, springt auf sein Ross,
bekreuzigt sich, legt die Lanze an, befiehlt sich Gott und stößt
den Drachen mit einem Stoß zu Boden.
Undramatischer kann ein Drachenkampf nicht verlaufen. Die
Bestie ist niedergestreckt, doch nicht getötet. Georg fordert die
Königstochter auf, ihren Gürtel zu lösen und dem Drachen um
den Hals zu legen. Die gute Seele bindet den Unhold an ihren
Gürtel, das Symbol ihrer Keuschheit. Der Drache scheint
gewandelt. Zahm wie ein Hund läßt er sich führen und folgt der
Königstochter in die Stadt. Das Volk erschrickt, flieht auf Berge
und in Höhlen. Was hat der fremde Ritter vor? Will er mit dem
Drachen die Herrschaft über das Reich übernehmen?
Georg hat ein pädago gisches Meisterstück inszeniert. Ihm
wäre es ein Leichtes gewesen, den Teufel mit einem Streich zur
Strecke zu bringen. Das Volk hätte gejubelt, der König seine
Tochter in die Arme geschlossen und dem fremden Ritter zur
Ehefrau angeboten. Königliche Hochze itsgewänder trug sie ja
bereits. Auch Georg hatte ein Hochzeitsfest im Sinn, an dem das
ganze Volk aktiv teilnehmen sollte. Jetzt gibt er sich zu
erkennen, nennt seinen Auftraggeber und das Ziel seines
Einsatzes: »Fürchtet euch nicht, denn Gott der Herr hat mich zu

-73-
euch gesandt, daß ich euch erlöse von diesem Drachen.«
Nun gut, mögen die Städter gedacht haben, warum macht er
dem bösen Treiben kein Ende? Georg will nicht den Drachen
bekehren. Er glaubt nicht daran, daß die Macht der Liebe die
Diktatur des Te ufels brechen kann. Der alte Drache ist
abgrundtief böse, das hatte er durch seine Opfergier unzählige
Male bewiesen. Nicht der Teufel soll bekehrt werden, sondern
die ungläubigen Städter. Was hülfe es ihnen, wenn Georg den
Drachen erschlüge und sie nicht zu neuem Glauben kämen? In
einer anderen Gestalt würde sie der Teufel kurz über lang
wieder in Angst und Schrecken versetzen. Nein, sie mußten
neue Menschen werden ohne Furcht vor diesem und allen
anderen Drachen, die aus der Tiefe des Sees in Zukunft
erscheinen mochten. Deshalb ließ Georg den Unhold am Gürtel
der Keuschheit in die Stadt führen. Das Herz der Königstochter
hatte er bereits gewonnen, jetzt galt es, die Herzen aller
Stadtbewohner zu dem Gott zu bekehren, der Georg
Urvertrauen, Kraft und Mut geschenkt hatte. »Darum glaubet an
Christum und empfanget die Taufe allesamt, so will ich diesen
Drachen erschlagen.«
Gesagt - getan. Der König läßt sich taufen, 20.000 Männer
und ungezählte Frauen werden ihm im Laufe des Tages folgen.
Georg erschlägt den Drachen, vier Paar Ochsen ziehen ihn aus
der Stadt auf ein großes Feld. Zu Ehren des Ritters und der
Muttergottes läßt der König eine Kirche bauen. Georg aber reitet
weiter zu neuen Taten. Er hat die wahren Quellen der
Fruchtbarkeit erschlossen, die Prinzessin und das ganze Volk
zur Hochzeit mit dem himmlischen Bräutigam geführt, dem sie
sich in der Taufe vermählten.
Wie jede Legende, so erzählt auch diese von den Vorzügen
und Folgen des Glaubens. Ihr Bildervorrat ist so tief, daß ihn
Jahrhunderte nicht auszuschöpfen vermochten. Deshalb gehört
die Legende vom Ritter Georg zu den beliebtesten ihrer Art.
Georg, der ritterliche Held, wurde in Deutschland seit dem 9.

-74-
Jahrhundert verehrt. Bischof Hatto von Mainz brachte im Jahr
896 die vermutete Schädelreliquie auf die Insel Reichenau. Im
größten Volksbuch aller Zeiten, der »Legenda Aurea« des
Jacobus de Voragine (1230-1298), wird die Erinnerung an den
Drachenkampf bewahrt. Georg ist der Schutzpatron vieler Städte
und Bistümer, seit der Synode von Oxford (1222) ist er der
Patron Englands, er gab dem Land Georgien seinen Namen und
wird als einer der vierzehn Nothelfer verehrt. An ein 500 Jahre
altes bayerisches Brauchtum erinnert die Sondermarke
»Drachenstich in Furth im Wald« vom 9. August 2001. Im Jahre
1415 schickte das Konstanzer Konzil den böhmischen
Kirchenreformer Jan Hus auf den Scheiterhaufen. Seine
Anhänger fielen darauf in Bayern ein. Sie raubten, brannten und
mordeten. In der Grenzstadt Furth galt fortan der Drache aus der
Georgslegende als Symbol für die Anhänger von Jan Hus. Im
Ritterspiel des »Further Drachenstichs« werden jene
schrecklichen Zeiten erinnert.

Gnosis

Gott ist gut. Er ist der Schöpfer des Himmels und der Erde.
Das lehren alle Religionen. Woher aber kommt das Böse? Hat
Gott auch das Böse geschaffen? Die Christen sagten: Nein! Sie
führten das Böse auf den doppelten Sündenfall der Engel und
der Menschen zurück. Die Gnostiker glaubten, daß der gute Gott
weder diese Welt noch den Menschen erschaffen habe. Woher
kommen wir dann? Wer rief die Welt ins Leben? Daß wir
Menschen existieren, führten die Gnostiker auf einen
kosmischen Unfall zurück: Ein teuflisches Wesen versuchte sich
als Schöpfer. Dabei kamen eine unvollkommene Welt und ein
zu allem Bösen fähiger Mensch heraus, sagten sie.
Die Gnostiker verstanden sich selbst als Wissende, wo andere
nur blind Gläubige waren. Christliche Gnostiker unterschieden

-75-
zwischen dem Gott des Alten Testaments und dem Gott des
Neuen Testaments. Ein Blick auf den Zustand der Welt zeigte
ihnen, daß der Schöpfergott nur ein Dilettant gewesen sein
konnte. Die Welt war unvollkommen, Mensch und Tier litten,
überall wütete das Böse. Zu billig erschien den Gnostikern die
christliche Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des
Bösen. Für sie war es nicht der sündhafte Mensch, sondern der
unvollkommene Gott selbst, der für alles Übel und Leid die
Schuld trug. Wer dies erkannt hatte, der kam zu einer
Umwertung der negativen Helden der jüdisch-christlichen
Tradition. Kain, Eva und der Schacher am Kreuz wurden zu
positiven Helden, zu Vorbildern des Protestes, weil sie sich
nicht unter die Ordnung des Schöpfergottes gebeugt hatten. Eva
hatte mit der Schlange paktiert, weil sie den Riss in der
Schöpfung erkannt hatte. Die Gnostiker trugen die Namen ihrer
Helden. Sie nannten sich Kainiten oder Ophiten, nach dem
griechischen Wort für Schlange (»ophis«).
Es gab Gnostiker, die ein asketisches Leben führten. »Gnosis«
hieß für sie, jeden Kontakt mit Irdisch-Körperlichem soweit wie
möglich zu vermeiden und sich ausschließlich auf das Geistige
zu konzentrieren. Am besten wäre es, niemals in diese Welt
geboren worden zu sein, gut war, sie möglichst schnell zu
verlassen. Deshalb zeugten sie keine Kinder. Jenseits der
missratenen Schöpfung wussten sie eine reine Lichtwelt des
Geistes. Aus ihr stammten ihre Seelen, in sie sollten die
göttlichen Funken möglichst rein zurückkehren.
Andere zogen aus dem gleichen Weltbild gegenteilige
Schlüsse: Man müsse das Böse in der bösen Welt noch steigern,
damit endlich die alte Schöpfung zugrunde gehe: Diese
libertinistischen Gnostiker sind die Ahnherrn des Marquis de
Sade. Der Kirchenvater Epiphanius (* um 315) berichtet von
gnostischen Spermakulten und schwarzen Messen, in denen das
christliche Abendmahl verspottet würde. Die Gnostiker seien zu
Fress- und Saufge lagen zusammengekommen, um wild

-76-
kopulierend übereinanderzusteigen. Weil sie die Zeugung von
Kindern aus religiösen Gründen ablehnen, verhüten sie durch
einen Coitus interruptus. Der Mann ejakuliert in die Hände der
Frau. Anschließend erheben sie den Blick zum Himmel,
strecken die geöffneten Arme aus und sprechen: »Wir bringen
dir diese Gabe, den Leib des Christus.« Dann lecken sie das
Sperma auf und sagen: »Dies ist der Leib Christi, und dies ist
das Passa, um deswillen unsere Leiber leiden und gezwungen
werden, das Leiden Christi zu bekennen.« Mit dem Monatsblut
der Frauen gehen sie auch kultisch um, bezeichnen es als »Blut
Christi«. Ungewollt Schwangeren wird der Fötus aus dem Leib
gerissen. Dann, so Epiphanius, »stoßen sie ihn in dem Mörser
mit einer Keule, mischen Honig und Pfeffer und einige andere
Gewürze und Myrrhen darein, um sich nicht zu erbrechen, es
kommen alle zusammen, und dann nehmen alle Mitglieder der
Herde von Schweinen und Hunden, jeder mit dem Finger, von
dem zerstoßenen Kind.«
Christentum, Judentum, Islam und auch die Gnosis glauben
an den einen allmächtigen Gott. Erst hier wird die Wirklichkeit
des Bösen zu einem echten religiösen Problem. Die Gnosis
wollte Gott nicht in die Schuldfrage verstricken und führte alles
Böse auf den stümperhaften und eifersüchtigen Teufel zurück.
Sie übersah dabei, daß auch ihr reiner Lichtgott sich die Frage
stellen lassen mußte: Warum hast Du das böse Tun des Teufels
nicht verhindert?

Gog und Magog

Ein Teufel kommt selten allein. Diese Erfahrung wird in der


Apokalypse des Johannes beschrieben. Ihr großes
Weltuntergangsszenario beginnt mit einem Kampf im Himmel.
Der Engel Michael vertreibt den Teufel und seine Anhänger.
Nun verfolgen sie die Christen auf der Erde. Mit dem Antichrist

-77-
(siehe dort) und dem großen Tier (siehe dort) stellen sich dem
Teufel weitere böse Geister hilfreich zur Seite. Ihr Ziel ist die
Auslöschung des Glaubens und die Errichtung einer
Weltdiktatur.
Während einer tausendjährigen Zeit des Friedens, dem so
genannten tausendjährigen Reich, liegt der Satan an Ketten
geschmiedet in der Unterwelt. Dann erfolgt der letzte Kampf
zwischen den guten und bösen Mächten. »Und wenn die tausend
Jahre vollendet sind, wird der Satan losgelassen werden aus
seinem Gefängnis und wird ausziehen, zu verführen die Völker
an den vier Enden der Erde, Gog und Magog, um sie zum
Kampf zu versammeln; deren Zahl ist wie der Sand am Meer.«
(Apokalypse 20.7-8) Mit Gog und Magog tritt der Endzeitkampf
in wahrhaft apokalyptische Dimensionen. Das Böse, das hier
von den Enden der Erden erscheint, zielt auf die Vernichtung
der zivilisierten Welt. Gog und Magog, das ist ein
unvorstellbarer Terror, das ist ein Anschlag auf die
Schöpfungsordnung und deshalb eine Herausforderung Gottes.
Im Buch des Propheten Hesekiel (38.2ff.) taucht der Name
Gog zum ersten Mal auf. Hier ist Gog der König des Landes
Magog. In der Apokalypse wird er zum Gehilfen des Teufels.
Gog und Magog, das große Tier, der Antichrist und der Teufel
lassen sich nicht bekehren. Sie sind das Böse schlechthin. Gog
und Magog werden in einem Feuerregen vernichtet. »Und der
Teufel, der sie verführte, wurde geworfen in den Pfuhl von
Feuer und Schwefel, wo auch das Tier und der falsche Prophet
waren; und sie werden gequält werden Tag und Nacht, von
Ewigkeit zu Ewigkeit.« (Apokalypse 20.10)

-78-
Gothic-Szene

Die Gothic-Szene ist eine Jugendkultur, die ihr Lebensgefühl


durch Kleidung und einen eigenen Musikstil zum Ausdruck
bringt. »Gothic ist ein Lifestyle«, sagt Mike Kanetzky von der
Bochumer Szenedisko »Matrix«. Gothic-Fans fallen durch
schwarze Kleidung, bleiche Haut, grell geschminktes Gesicht,
rot oder violett gefärbtes Haar auf. Frauen tragen gern ein mit
Nieten, Stacheln oder Noppen besetztes Hundehalsband und
erotisch stimulierende Kleidung mit tiefen Ein- und
Durchblicken. Sowohl schwarz als auch rot sind bewußt
gewählte Signalfarben der Gothics. Die Farbe »rot« steht für
Sexualität, Blut, Vampirismus (siehe Vampire) und Satanismus,
»schwarz« für die Nachtseiten des Lebens, alles Dunkle,
Unbewußte und Verbotene. Gothic ist eine typische Gegenkultur
zur bürgerlichen Welt der Erwachsenen. Wegen der dunklen
Kleidung und des Interesses an Geisterwelten wird sie auch
»schwarze Szene« genannt.
Das Wort »Gothic« kommt aus der englischen Sprache. Es
verweist auf die Gespenstergeschichten (gothic novel) des 19.
Jahrhunderts. In ihnen mischen sich Faszination und Grauen,
wie auch in den Erzählungen des amerikanischen Autors Edgar
Allan Poe. Die deutsche Band »The House of Usher« hat ihren
Namen einer Geschichte Poes entlehnt. Die Themen der Gothics
sind Traum und Alptraum, Melancholie und Suizid, die
Nachtseiten des Lebens und das Tabu, Gräberwelten und
Geister, der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, Sex und Tod,
Dämonen, Teufeln und Engeln. Kultorte der Gothic-Szene sind
Friedhöfe wie etwa der Johannisfriedhof (13. Jahrhundert) in
Nürnberg oder der Friedhof im irischen Glendalough. Gothic-
Fans sehen aber genauso gerne Kindervideos aus der Serie »Der
kleine Vampir«. Die »Grufties« haben eine eigene Musikkultur.

-79-
Zu ihr gehören Gruppen wie »Das Ich« (Stefan Ackermann) mit
den Musiktiteln »Gottes Tod«, »Blasses Kind«, »Im Rausch der
Tiefe« oder die Bands »Sepultura«, »Wolfsheim«, »Paradise
Lost«, die Hannoveraner Band »Cherubim Inc.« oder »Saints of
Eden«. Die Szene hat ihre eigenen Magazine und Festivals. Die
bekanntesten sind das »Zillo Festival« und das Hildesheimer
»Mer'a Luna Festival«. »Mer'a Luna« heißt »schöner Mond«.
Der Mond steht für die Nachtseite des Lebens, das Dunkle,
Geheimnisvolle und Verborgene.
Die Gothic-Festivals stellen auch ein Missionsfeld für
freikirchliche Gemeinden dar. So warnte die »Gemeinde der
Christen ›Jesus lebt‹« aus Hildesheim vor den Gefahren der
anderen Seite. Auf dem »Mer'a Luna Festival« im September
2001 verteilte sie folgendes Flugblatt:
»Begreife doch endlich:
Nimmt Satan Deine Probleme weg?
Oder löst er sie?
Können Menschen Dir vielleicht helfen?
Oder die großen Engel im Himmel?
Findest Du aus der Unterwelt Hilfe?
Hast Du Angst, Jesus Christus anzurufen?
Denn er allein hat alle Macht über
Mächte und Gewalten!«
Viele Gothics spielen gern mit satanischen Motiven. So heißt
ein Titel der CD »Im Beichtstuhl der Begierde« der Band »Die
Untoten«: »Ficken und Töten«. Eine andere CD trägt den Titel
»Schwarze Messe«. Auf einem T-Shirt, das die Band vertreibt,
sind drei Satanskreuze abgebildet. Damit wird die für satanische
Messen (siehe dort) typische Mischung aus Gewalt, Sex und
Demütigung der Frau zu sadomasochistischen Spielen bis hin
zum Ritualmord beschworen. Die Gruppe »Engelsstaub« zitiert
sogar den berüchtigten »Hexenhammer«, ein übles Machwerk

-80-
der Hexenverfolger (siehe Hexen). Ihre CD heißt »Malleus
Maleficarum«. Das englische Ehepaar Candia und Tony
McCornack nennt ihre Band »Inkubus Sukkubus«. Der Incubus
ist unter Satanisten als männlicher Teufel, der Succubus als
Teufelin bekannt. Neben Satanismus und Geisterglauben spielen
aber durchaus auch romantische Motive wie Sehnsucht,
Schönheit und Tod eine Rolle.
Die Gruppe »Silke Bischoff« hat sich nach einer jungen Frau
benannt, die in Köln tödliches Opfer einer Geiselnahme wurde.
Auf ihrer CD »Phoenix from the Flames« ist Diana, ein bleiches
junges Mädchen in durchsichtigen Dessous, zu sehen. Auf ihrem
Minislip steht der Name der Band. Die erotische Ausstrahlung
lenkt zuerst vom Blick auf die Armgelenke ab. Beide Pulsadern
sind aufgeschnitten. Gothic ist ein Spiel mit dem Feuer, wie
alles, was sich mit Faszination den Nachtseiten der Wirklichkeit
hingibt. Wie beim Protestsatanismus (siehe dort) oder im »Fall
Sandro Beyer« (siehe Neosatanismus) ist der Übergang fließend.
So ermordeten im Juli 2001 die Gothic-Fans Manuela und
Daniel Ruda (siehe dort) einen Mann mit 66 Messerstichen.
Nach der Festnahme gaben sie an, Satan habe ihnen den Auftrag
zu dem Mord gegeben. Das Ehepaar Ruda hatte das Opfer in
seiner Wittener Wohnung umgebracht. Hier fand die Polizei
schwarz gestrichene Wände mit SS-Runen und Hakenkreuzen
und einen Sarg. Auch die Kleidung der beiden Täter wies
szenetypische antichristliche und sadomasochistische Symbole
auf. Aus dem Spiel mit dem Bösen war blutiger Ernst geworden.
Lieblingsbands des Mörderpaares wie »Das Ich« und
»Wumpscut« wurden schnell als geistige Brandstifter angeklagt.
In der Szene-Zeitung »Zillo« (9/2001) versuchte Bruno Kramm
von der Band »Das Ich« klarzustellen: »Zwei einzelne schwarze
Schafe töten im krankhaft deformierten Satanswahn einen
braven Bürger, und schon waren wir's alle.« Dann geht er aber
gleich zum Angriff über: »Wenn man all die Blutopfer, die im
Namen Jesu Christi gefoltert und gerichtet wurden,

-81-
zusammenzählen würde und den Taten verirrter Jugendlicher
gegenüberstellen würde, dann würde so mancher jetzt den
Zeigefinger hebende Hobbytheologe schnellstens um Ablass
bitten.« Rudy Ratzinger von »Wumpscut« kommentiert die
Frage, ob er Schuldgefühle habe: »Nein, ich wüsste auch nicht,
warum. Ich kann nichts (oder nur sehr wenig) dazu, wenn sich
jemand derartig versteigt, wie es bei den Rudas der Fall war.«
Nicht jede Gothic-Band ist ein Ideenlieferant für die
Satanistenszene. Doch fehlt vielen von ihnen ein Bewußtsein für
die psychologischen Folgen der Beschwörung von Geistern,
Vampiren, Teufeln und Dämonen. Das berüchtigte Altamont-
Festival der Rolling Stones (siehe dort) hat deutlich gemacht,
wohin die Sympathie für Satanisches führen kann. Wie die
Rock-Musik der sechziger und siebziger Jahre verstehen sich
jugendliche Gothics als Gegenkultur. So schreiben etwa die
Szene-Autorinnen Tania Krings und Kirsten Borchardt: »Die
Gotik bezeichnet eine mittelalterliche, nicht nur architektonische
Kultur, die von der Abkehr oder zumindest dem Infragestellen
der christlichen Kirche geprägt ist. Vereinfacht übertragen auf
das Heute: die Abkehr und das Infragestellen einer Welt, in der
alles, aber auch alles kommerzialisiert wird und der Mensch mit
Konsum, auch primitivem Fernsehkonsum, zugeschüttet wird,
um nicht zu sagen, vom Nachdenken abgehalten wird.« Ähnlich
formulieren es Stefan Großmann und Tilo Ladwig von der
Gruppe »Absurd Minds« in einem Interview: »Die größten
Lügen, die wir verabscheuen, sind die Lebenslügen, die nicht
gerade vo n Nutzen für uns sind: 1. Desinteresse und
Unaufgeschlossenheit, 2. absolutes Wissen zu erlangen, indem
man nur Dinge zu beweisen versucht, anstatt sie zu fühlen, 3.
Fanatismus in jeglicher Form, 4. sich selbst für einen geistig
Gerechten zu halten.«
Gothic gilt als Suche nach Lebenssinn und Wahrhaftigkeit.
Dabei werden Symbole, Gestalten und Mythen der Geister-,
Vampir- und Dämonenwelt unkritisch aufgenommen und

-82-
miteinander zu Phantasiewelten vermischt. Diese Art des
ahistorischen Umgangs mit überlieferten Glaubensinhalten wird
Synkretismus oder Mischreligion genannt. Der Synkretismus ist
ein typisches Kennzeichen von Krisenzeiten. Das Spiel mit
satanischen Symbolen dürfte in den seltensten Fällen auf einen
echten Satansglauben verweisen. Die Gothic-Szene hat sich der
satanischen Symbole bedienen können, weil sie von der Kirche
»freigegeben« worden sind. Diese Jugend ist in einer Zeit
aufgewachsen, wo vom Teufel und den Dämonen weder in
Familie, Schule noch in den Kirchen mehr die Rede war. So
haben die Verdrängung und die Tabuisierung des Teufels
indirekt seine Wiedergeburt in der Jugendkultur gefördert.
Satanische Symbole auf Schüleretuis, East-Packs oder T-Shirts
werden kaum ernst genommen. Im Gegensatz zum 19. und 20.
Jahrhundert scheint der Satanismus des 21. Jahrhunderts seine
provozierende Kraft verloren zu haben. Das aber macht ihn
gefährlich.

Halloween

Halloween geht zurück auf ein keltisches Fest zu Ehren des


Todesfürsten Samhain. Im keltischen Kalender zeigte es die
Jahreswende vom 31. Oktober auf den 1. November an. Die
Toten wurden verehrt und zugleich gefürchtet, denn besonders
in der dunklen Winterzeit konnten sie als Wiedergänger (siehe
dort) aus der Unterwelt hervorsteigen und den Lebenden zur
Bedrohung werden. Wie viele andere vorchristliche Feste
verschmolz auch Halloween mit christlichen Vorstellungen,
besonders mit den Festen Allerheiligen und Allerseelen.
Allerheiligen ist ein Gedenktag für die Märtyrer und Heiligen.
Ursprünglich feierten die Christen am 13. Mai das
Allerheiligenfest. Papst Gregor III. verlegte es Anfang des 10.
Jahrhunderts auf den 1. November. In Irland wurde es 998 durch

-83-
Abt Odilo von Cluny eingeführt. Im Mittelalter kam am 2.
November das Fest Allerseelen dazu. Aus »All Saints Day« oder
»All Hallows« (Allerheiligen) soll der »All Hallows' Even«, der
Abend vor Allerheiligen, entstanden sein. Von Irland breitete
sich Halloween nach Amerika aus. In Deutschland ist es
mittlerweile als Kostümfest heimisch geworden.
Schon Anfang September, wenn das Weihnachtsgebäck in die
Regale der Supermärkte kommt, bieten die
Spielzeugabteilungen der Kaufhäuser Gespensterkleider,
Kürbismasken, Hexenfiguren, Vampirkostüme und Skelette für
eine gruselige Dekoration an. In den irischen Pubs fließt wie
immer das schwarze Guiness. Doch statt fish and chips gibt es
»Paddy's Kürbissuppe« oder »Georgina's Guiness Heart of
Halloween-Kuchen«. Die Agentur »Luzifer« bietet »Luzifers
Halloween« für den Hausgebrauch: einen gemütlichen Abend
mit Kürbislaternen, einen Überraschungsbesuch von einem
Vampir oder ein Horrorwochenende für die ganze Familie
(www.luzifer.at/event/hallow.html).
Die Kürbismasken hatten ursprünglich die Aufgabe, Geister
(siehe dort), Vampire (siehe dort) und Wiedergänger (siehe dort)
zu vertreiben. Heute sind sie nur noch Dekoration. Halloween ist
ein Klaumauk. Selbst der Liebeszauber (siehe dort) funktioniert
nicht mehr.

Hell's Angels

Die Hell's Angels verstehen sich selbst als eine Bruderschaft,


die bereit ist, füreinander zu kämpfen und zu sterben. Der
Anlass spielt keine Rolle. Die »Engel der Hölle« wurden in
Kalifornien gegründet. Zu ihrem äußeren Erscheinungsbild
gehören Harleys, Chopper, Full Dressers und gestohlene
Motorräder. »Wir von den Hell's Angels unterscheiden uns von
all den anderen Motorradfahrern durch unsere Maschinen und

-84-
die Art und Weise, wie wir sie fahren«, schreibt Sonny Barger.
»Unsere Bikes - das sind wir.« Der Hell's Angels Motorcycle
Club veranstaltet etwa fünf Pflichtfahrten pro Jahr und 15 bis 20
Partys. Auch diese gehören zum Pflichtprogramm der
Höllenengel. Der Männerbund wurde im April 1957 von Sonny
Barger gegründet. Der Name stammt von Don Reeves. Er hatte
ihn von einer Gruppe Weltkriegsveteranen übernommen. Nach
dem Zweiten Weltkrieg fuhren sie mit ihren Maschinen durch
Kalifornien. Die verängstigten Bürger sollen ihnen gelegentlich
nachgerufen haben: »Da fährt wieder einer von diesen
Höllenengeln!«

Hexen

Das zentrale Buch in der Geschichte der europäischen


Hexenverfolgung war der »Hexenhammer« (Malleus
Maleficarum) von Heinrich Kramer. Mit über dreißig Auflagen
zwischen 1486 und 1669 hatte es eine lange und unheilvolle
Wirkungsgeschichte. Friedrich von Spees »Cautio Criminalis
oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse« (1631)
dagegen versuchte der Verfolgung Einhalt zu gebieten. Seine
Antwort auf die Frage, ob es wirklich Hexen gebe, war dennoch
ein klares »Ja«. Von Spee kannte viele Fälle von angeblicher
Hexerei aus eigener Anschauung. Das Gespräch mit den
Angeklagten ließ ihn skeptisch und im Urteil vorsichtig werden.
Die Hexenverfolger mahnte er zu Weisheit und Besonnenheit.
Heute gelten Hexen als weise und emanzipierte Frauen.
Hexen zeigen »Frauenpower«. Sie wissen: Gute Mädchen
kommen in den Himmel, böse dagegen überall hin. Im Harz sind
die Hexen ein wichtiger Teil der Tourismusindustrie geworden.
Gutmütig ist die Hexe in Otfried Preußlers beliebtem
Kinderbuch »Die Kleine Hexe«. Ihre Zauberkraft setzt sie
ausschließlich zu guten Zwecken (weiße Magie) ein. Die

-85-
russische Hexe Baba Yaga ist nicht nur in ihrer Heimat, sondern
auch unter modernen Hexen ein Symbol für die Kraft der Natur.
In den Märchen der Brüder Grimm und in weiten Teilen des
Orients und in Afrika hat sich dagegen der alte Glaube an die
teuflische Macht der Hexe erhalten. Diese wird besonders
deutlich im »bösen Blick« (siehe dort), mit dessen Hilfe die
Hexen Menschen und Tieren Schaden zufügen können. Fünf
Merkmale kennzeichnen eine Hexe im traditionellen Sinn:
1. Sie hat einen Pakt mit dem Teufel geschlossen und
vollzieht mit ihm den Geschlechtsverkehr.
2. Sie hat dem christlichen Glauben abgeschworen
(Apostasie).
3. Sie kann Schadenszauber ausüben.
4. Sie kann durch die Luft fliegen und
5. sich in ein Tier verwandeln.
Hexen gelten als Meisterinnen in der Ausübung schwarzer
Magie. Zu ihren Spezialitäten gehört der Schadenszauber: Sie
können die Ernte schädigen, einen Brand entfachen, jemandem
eine Krankheit anhexen, einen »Hexenschuss« ins Kreuz jagen
oder Männern die Potenz rauben. Auch die »Hexenmilch«, die
manchmal aus der Brust eines Neugeborenen fließt, gilt als ihr
Werk. Diese bösen Taten werden als »maleficia« bezeichnet, die
Hexen selbst als »malefici« oder »maleficae«.
Das Wort »Hexe« leitet sich aus dem Althochdeutschen
»hagzissa« ab. Es bedeutet »Zaunreiterin«. Die moderne
Vorstellung von der Hexe als weiser und emanzipierter Frau
deutet das Bild von der Zaunreiterin so: Wenn die Hexe auf dem
Zaun sitzt, dann hat sie a) einen größeren Überblick als andere
Menschen und kann b) nach zwei Seiten schauen. Hexen sind
also Frauen mit einer erweiterten Perspektive, Frauen mit
Überblick und Durchblick, denn das Bild des Zauns steht auch
für die Grenze zwischen der sichtbaren und unsichtbaren Welt.
Normalsterbliche »blicken« hier nicht durch. Die Hexe aber hat

-86-
einen freien Blick über die Grenze hinweg. Sie sieht auf den
Grund der Wirklichkeit.
Früher galten Hexenbesen und Zaunlatte als ein Symbol für
den Phallus des Teufels. Als Incubus (siehe Sexualität) hat
dieser sexuellen Verkehr mit der Hexe. Da sein Sperma kalt und
zeugungsunfähig ist, kann der Teufel mit der Hexe keine Kinder
zeugen. Allerdings verstehen sich beide auf die Erzeugung von
Trugbildern. Durch den Kräutertrank einer Hexe entstehen im
Mann sexuelle Phantasien und täuschend echte Bilder. Auch
bringt der Trunk die volle Manneskraft zurück, wie noch die alte
Hexe in der Sze ne »Hexenküche« beweist, als sie Faust
verjüngt, damit »sich Cupido regt und hin und wider springt«
(V. 2598).
Die paranormalen Fähigkeiten der Hexe gelten aus
christlicher Perspektive als Teufelswerk. Sie ergeben sich aus
dem Teufelspakt (siehe dort). Die Hexe schwört ihrem
christlichen Glauben ab. Zur Besiegelung des Vertrags küsst sie
das Hinterteil des Teufels und erhält von ihm ein Zeichen,
ähnlich einer Tätowierung oder einem Piercing. Das Hexenmal
wird an einer nicht sichtbaren Stelle angefertigt. Be liebt sind der
Genitalbereich, die Achselhöhlen oder die Pobacken. Wie bei
der schwarzen Messe (siehe dort), so werden auch beim
Hexensabbat typische Elemente der katholischen
Eucharistiefeier parodiert. Die Christen essen den »Leib des
Herrn«, die Hexen kleine Kinder oder abgetriebene Föten. Der
christliche Priester liest während der Messe aus der Heiligen
Schrift, die Hexen studieren am Hexensabbat die
schwarzmagischen Zauberbücher. Da ihre Versammlungsorte
aus Sicherheitsgründen meist in großer Entfernung von den
Wohnorten liegen, haben die Hexen eigene Flugtechniken zur
Überwindung räumlicher Distanzen entwickelt. Mit Hilfe von
Hexensalben aus Tollkirsche, Johannis- und Bilsenkraut
verwandeln sie ihren Hexenbesen in ein Fluggerät. Zentraler
deutscher Versammlungsort ist der Brocken oder Blocksberg

-87-
(siehe dort) im Harz. Goethe hat ihn drei Mal besucht.
Französische Hexen bevorzugen einen Platz in Neufundland.
Neben der Walpurgisnacht (30. April) gelten Weihnachten,
Ostern und Pfingsten als Hauptfeiertage.
Die Hexenversammlung auf dem Blocksberg ist eine Art
Generalkonvent. Das bedeutet für die Hexen Teilnahmepflicht
und pünktliches Erscheinen. Wer zu spät kommt, den bestraft
hier wahrlich der Teufel. Alte Hexen erstatten Bericht über ihre
Tätigkeiten, neue werden vom Teufel in ihr Amt eingewiesen.
Wer im Teufelsglauben rückfällig geworden ist und sich wieder
dem Christentum zugewandt hat, erhält hier die Chance der
Buße. Anschließend besprengt der Teufel, der gern im
Kardinalspurpur auftritt, die satanische Gemeinde mit
Weihwasser. Selbstverständlich wird auch eine
Anwesenheitsliste geführt. Wer also glaubt, eine
Hexenversammlung erschöpfe sich in orgiastischem Treiben,
der verkennt den buchhalterischen Charakter des Teufels.
Gotteslästerung und sexuelle Ausschweifungen bestimmen
das weitere Programm eines Hexensabbats. Hexen lieben vor
allen Dingen einen ausgelassenen Tanz in unbekleidetem
Zustand. Das christliche Glaubensbekenntnis sagen sie
rückwärts auf und werden anschließend vom Hexenmeister mit
der Formel gesegnet: »Gehet hin im Namen des Teufels«.
Bekanntlich können sich Hexen und Teufel in Tiere
verwandeln. So nimmt der Teufel gern die Gestalt eines
schwarzen Pudels, Bockes oder Hahnes an. Hexen erscheinen
als Bär, Eidechse, Eule, Katze, Rabe, Kröte, Ratte, Schlange,
Spinne oder Ziege. Die Unterscheidung zwischen einem echten
Haustier und einem verhexten ist gar nicht so schwer.
Hexenkatzen haben einen längeren Schwanz. Auch wenn eine
Katze zu sprechen beginnt, liegt eindeutig ein Fall von Hexerei
vor. Tanzende Katzen sind gleichfalls des Teufels.
Frauen werden nicht als Hexen geboren, sondern zu Hexen
gemacht. Gleiches gilt auch für die »Hexenpädagogik«. Der
-88-
Pakt mit dem Teufel ist der Abschluss des Noviziates unter der
Anleitung einer erfahrenen Hexe, der Novizenmeisterin. Jede
Hexe ist verpflichtet, junge Hexen auszubilden. Die Ausbildung
dauert 21 Jahre. Erst nach ihrem Abschluss erhält die Hexe das
Teufelsmal. Die ersten sieben Lebensjahre gelten dabei als
entscheidende Grundlage für den Erwerb von magischen
Fähigkeiten. Eine solche »schwarze Pädagogik« deckt sich
teilweise mit Erkenntnissen der modernen Lernpsychologie.
Kinder über sieben Jahre können das Hexen nicht mehr erlernen,
heißt es. Das erklärt, warum Hexen kleine Kinder stehlen. Eltern
können ihre Kinder durch eine Haube schützen, auf die ein
Kreuz und ein Stern gestickt sind.
Moderne Hexen sind nicht gleich an ihrem äußeren
Erscheinungsbild zu erkennen. Das war früher anders: Hexen
blinzeln aus leuchtenden Augen. Ihr Haar ist ungeordnet. Über
der Lippe tragen sie einen Damenbart und am Kinn dicke lange
Stoppeln. Sie sind mager, hinken gelegentlich oder haben einen
Buckel. Ihre Finger sind krumm. Darüber hinaus tragen Hexen
immer zwei verschieden farbige Strümpfe, meist einen roten und
einen schwarzen. Die dunklen Flecken auf ihren Armen sind die
Fingerspuren des Teufels. Auch an typischen Gewohnheiten ließ
sich früher eine Hexe eindeutig erkennen. Sie sammelt gern
Kräuter, isst fett, weicht bei einer Begegnung nach links aus und
beschenkt Kinder mit Spielsachen und Süßigkeiten. Hexen
können auch durch die Weihwasserprobe leicht erkannt werden.
Wie der Teufel, so fürchtet die Hexe das Weihwasser. Während
des Messopfers oder wenn der Priester die Monstranz hochhält,
muß sich die Hexe abwenden.
Hexen erkennen ist gefährlich, denn eine erkannte Hexe wird
sich rächen und einen Schadenszauber ausüben. Gut, wenn man
den Gegenzauber kennt. Ein Besen vor die Haustür gelegt oder
aufrecht hinter die Tür gestellt, verhindert den Eintritt der Hexe.
Erfolgreich gegen Hexen darüber hinaus sind die Ausrufung des
Namens Gottes, Jesu, des Schutzengels oder ein Stoßgebet. Als

-89-
absolut zuverlässiger Abwehrzauber gilt das Stricken, weil dabei
die Nadeln gekreuzt werden und jede Hexe und jeder Teufel den
Anblick des Kreuzes meidet. Kinder, die ein kleines Kreuz um
den Hals tragen, und Häuser, über deren Eingang sich ein Kreuz
befindet, sind daher vor allem Bösen sicher geschützt.
Der moderne Hexen- oder Wicca-Kult bestreitet jeden
Zusammenhang zwischen Hexenwesen und Teufelspakt. Aus
ihrer Sicht bewahren Hexen das geheime Wissen einer uralten
heidnischen Magie. Da die Worte »Magie« und »Heidentum«
negativ belastet sind, bezeichnen sich moderne Hexen als
»Pagans« und ihre Hexenkunst als »Magick«. Die fünf Zacken
des Pentagramms deuten sie als Symbol für die vier Elemente
und den Geist.

Hexenring

Hexen schließen mit dem Teufel einen Pakt. Als Siegel dieses
Vertrags tragen sie das Hexenmal. Satan erhält dafür einen Kuss
auf den Hintern. Dieser wird in der Fachsprache Homagialkuss
genannt. Eigentlich wäre zu erwarten, daß die Hexen einen
Ehering tragen, denn der Satanismus und alle Hexenriten
parodieren bekanntlich den christlichen Glauben. Nonnen tragen
einen Ehering. Sie sind die »Bräute Christi«. So müssten
folgerichtig die Hexen als »Bräute Satans« einen Ring als
Zeichen ihrer Vermählung tragen. Merkwürdigerweise herrscht
hier eine gewisse Inkonsequenz im Hexenglauben. Der
Hexenring ist also kein Schmuckstück oder Ehering der Hexe.
Vielmehr entstehen Hexenringe an den Stellen im Wald und auf
Lichtungen, wo die Hexen in der Nacht getanzt haben. Mit dem
Wort »Hexenring« wird eine große Zahl von Pilzen in
kreisförmiger Ordnung bezeichnet. Meist sind diese Pilze
besonders schön anzusehen, doch giftig wie der rote Fliegenpilz
(Amanita muscaria) mit seiner weiß gepunkteten Kappe. In

-90-
einigen Gegenden Lapplands und Sibiriens wurde er früher
getrocknet und dann unter Anleitung des Schamanen gegessen.
Flugträume und Visionen sollen die Folge gewesen sein.
Für den Pilzsammler, der giftige, ungenießbare und essbare
Pilze nicht eindeutig unterscheiden kann, gilt eine einfache
Regel: Hände weg von allen Pilzen, die im Hexenring wachsen!
Auch der netzstielige Hexenröhrling (Boletus luridus) sollte
gemieden werden. Er ist zwar gekocht essbar, kann jedoch
Bauchschmerzen verursachen. Vom Satansröhrling (Boletus
satanas) sollte man unbedingt die Finger lassen. Sein großer
weißer Hut täuscht nur Unschuld vor. Er ist giftig, wie alles, was
vom Teufel kommt.

Hiob

Der Teufel hat viele Gesichter. Im Buch Hiob erscheint er als


eine Art Staatsanwalt im Himmel. Sein Name deutet zugleich
seine Aufgabe an: Er heißt Satan und bedeutet Widersacher.
Dieser Satan (siehe dort) ist nicht der gefallene Engel, nicht der
trotzige Rebell gegen Gottes Ordnung. Im Gegenteil! Er gehört
zur himmlischen Ordnung. Als Staatsanwalt achtet er auf die
Einhaltung der göttlichen Gesetze. Er ist eine Art Präfekt der
himmlischen Glaubenskongregation.
Der berühmte Streitfall, an dem sich sein Widerspruch gegen
Gott entzündete, war die »Akte Hiob«. Bekanntlich hat diese
Goethe zu dem »Prolog im Himmel« in seiner Tragödie »Faust«
inspiriert.
Gott hatte Hiob mit Wohlstand und Fruchtbarkeit reich
gesegnet. Sieben Söhne und drei Töchter zählte Hiob. Er besaß
siebentausend Schafe, dreitausend Kamele, eintausend Rinder,
fünfhundert Esel und sehr viel Gesinde, kurzum, er war der
reichste Mann im Lande Uz. Das Familienleben war
harmonisch, und der fromme Hiob galt als Vorzeigebeispiel für
-91-
alle Menschen, die fragten: Was habe ich denn davon, wenn ich
an Gott glaube? Die Antwort lautete: Sieh den Gottesmann
Hiob! Wer auf den Wegen Gottes wandelt und seine Gebote
hält, der lebt in Wohlstand, so wie Hiob! Gott und Hiob, beide
bildeten eine Einheit.
Wie stolz Gott auf Hiob war, das zeigte der Lobpreis, der sich
auf das weitere Schicksal Hiobs verhängnisvoll auswirken
sollte. Eine himmlische Ratsversammlung war anberaumt
worden, zu der auch Satan erschien. Der Staatsanwalt war
soeben von einem Kontrollgang auf der Erde zurückgekehrt.
Gott kam sogleich auf Hiob zu sprechen. »Hast du Acht gehabt
auf meinen Knecht Hiob? Denn es ist Seinesgleichen nicht auf
Erden, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das
Böse.«
Hiobs Frömmigkeit sei nicht echt, lästerte Satan. Wer so reich
wie Hiob sei, der habe allen Grund, den Gottesfürchtigen zu
spielen. Der Herr solle die Probe machen, den Besitz antasten
und sehen, wie Hiob seinem Glauben abschwören werde.
Glaubensprüfungen gehören zur Geschichte aller großen
Religionen. Aber diese Prüfung scheint völlig sinnlos. Das
Leiden der Märtyrer beweist die Macht des Glaubens. Es führt
viele Menschen zur Bekehrung. Wer aber soll im Fall Hiobs
bekehrt werden? Etwa Satan selbst, damit er einstimmt in den
Lobgesang der Engel? Wäre das eine Rechtfertigung dafür, daß
Gott dem Teufel erlaubt, Hiobs Söhne und Töchter, seine
Knechte und seinen gesamten Viehbestand von
elftausendfünfhundert Stück zu töten?
Nach der ersten Attacke kehrt Satan in den Himmel zurück.
Gott hat die Wette gewonnen. Hiob ist in allem Leid treu
geblieben. »Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen;
der Name des Herrn sei gelobt!«, waren seine Worte.
Warum ist jetzt der unerträglichen Prüfung kein Ende? Was
soll noch bewiesen werden? Der Satan läßt nicht locker, sein
Misstrauen kennt keine Grenzen. Hiob habe zwar keine Kinder
-92-
und keinen Besitz mehr, aber er sei noch bei guter Gesundheit.
Wenn es ihm Gott erlaube, daß er diese antaste und Hiob mit
Geschwüren vom Scheitel bis zur Sohle peinige, so werde er es
binnen kurzem erleben, wie sein angeblich frommes Kind ihm
den Rücken kehre. Am Ende ist alles wieder gut. Nach langer
Leidenszeit wird Hiob geheilt, er kommt zu neuem, noch
größerem Wohlstand und vielen Kindern. Davon werden aber
die ermordeten zehn Kinder und elftausendfünfhundert Stück
Vieh nicht wieder lebendig. Vom Satan ist nicht mehr die Rede.
Er ist an Hiob gescheitert, wie es ihm prophezeit worden war.
Gott und Hiob sind weiterhin Freunde. Aber Hiob ist
»erwachsen geworden«. Seine Vorstellung von Gott hat sich
gewandelt: Gott ist der Allmächtige, aber nicht der Gute. Er hat
die Welt erschaffen, er ist Herr der Zeit und des Raumes, selbst
die schrecklichen Ungeheuer im Ozean, der Behemot und der
Leviathan (siehe dort) sind sein Werk. Vor ihm verstummt alle
Gottesgelehrsamkeit, alles Verstehenwollen. Das Rätsel dieses
Schöpfers von Himmel und Erde wird nicht enthüllt. »Ich hatte
von dir nur vom Hörensagen vernommen«, spricht Hiob zu Gott,
»aber nun hat mein Auge dich gesehen« (Hiob 42.5). Gott
erkennen heißt in sein Geheimnis einkehren und schweigen.
Im Jahr 1952 tritt der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung
(1875-1961) mit einer »Antwort auf Hiob« an die Öffentlichkeit.
Auch Jung (siehe dort) stellt sich die Frage, warum Gott dem
Satan so große Macht zugesteht. Seine Antwort lautet: Gott
kann nicht anders, denn der Satan ist sein eigener Widerspruch,
der Schatten an seiner Seite. In Gott herrsche ein ständiger
innerer Zweikampf zwischen Licht und Dunkelheit. Der
schuldige Mensch aber sei erwählt, die Gegensätze von Gut und
Böse miteinander zu versöhnen. Die Erlösung des Menschen
werde zugleich eine Erlösung Gottes sein. »Seit der Apokalypse
wissen wir wieder, daß Gott nicht nur zu lieben, sondern auch zu
fürchten ist. Er erfüllt uns mit Gutem und mit Bösem, sonst wäre
er ja nicht zu fürchten, und weil er Mensch werden will, muß die

-93-
Einigung seiner Antinomie im Menschen stattfinden. Das
bedeutet für den Menschen eine neue Verantwortlichkeit. Er
kann sich jetzt nicht mehr mit seiner Kleinheit und Nichtigkeit
ausreden, denn der dunkle Gott hat ihm die Atombombe und die
chemischen Kampfstoffe in die Hand gedrückt und ihm damit
die Macht gegeben, die apokalyptischen Zornschalen über seine
Mitmenschen auszugießen. Da ihm sozusagen göttliche Macht
geworden, kann er nicht mehr blind und unbewußt bleiben. Er
muß um die Natur Gottes und um das, was in der Metaphysik
vorgeht, wissen, damit er sich selbst verstehe und dadurch Gott
erkenne.«

Hirnforschung

Nicht immer, wenn es spukt, muß gleich ein Geist


dahinterstehen. Das gilt auch für den Verdopplungsspuk. Schon
Fjodor Dostojewski erzählt in seinem Roman »Der
Doppelgänger« von der Begegnung mit dem eigenen
Schattenbild. Dieses merkwürdige Phänomen wird auch in dem
Film »Being John Malkovich« beschrieben. Menschen sehen
plötzlich ihr Double. Sie stehen ihm gegenüber, starr sitzt es am
Schreibtisch oder hängt tot an einem Baum. Die Hirnforschung
spricht von Heautoskopien. Unter ihnen leiden besonders
Epileptiker, suizidgefährdete Menschen, Schizophrene und
Depressive. Aber auch emotionaler Stress,
Erschöpfungszustände und Ängste können das Bild des
Doppelgängers erzeugen.
Britische Hirnforscher geben folgende Kennzeichen des
Doppelgängerspuks: Die geisterhaften Figuren erscheinen meist
in der Morgen- und Abenddämmerung. Wenn man versucht, mit
den Händen nach ihne n zu greifen, so verschwinden sie. Sie
reden nicht und stehen als stumme Beobachter im Zimmer. Ihre
Gestalt ist grau und schemenhaft, ihr Erscheinen geschieht ohne

-94-
Vorankündigung. Der Doppelgänger wirft keinen Schatten. Eine
neurologische Erklärung des Doppelgängerspuks ist bisher noch
nicht gelungen. Alle Merkmale dieser Halluzinationen findet
man seit Jahrhunderten im Geisterglauben bezeugt. Morgen-
und Abenddämmerung sind klassische Tageszeiten für die
Begegnung mit Geistwesen, wie Jakobs Kampf mit dem Engel
zeigt. Geister können nicht mit den Händen »begriffen« werden,
sie werfen keinen Schatten und sind als so genannte
Wiedergänger (siehe dort) im Volksglauben bezeugt.

Hölle

Der Bildhauer Auguste Rodin hatte einen prophetischen Blick


in das 20. Jahrhundert geworfen, als er ein Relief mit dem Titel
»Das Höllenportal« (1880) entwarf. Über den leidenden
Menschen sitzt kein Teufel, sondern eine kleine Nachbildung
der berühmten Figur des Denkers. Um von der Hölle zu reden,
braucht es den Teufel nicht. Mensche n haben sich Höllen
ausgedacht und mit den Vernichtungslagern Höllen von
beispielloser Grausamkeit geschaffen. In seiner Rede zum
fünfzigsten Jahrestag der Auschwitz-Befreiung spricht Samuel
Pisar in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem von dem
»unaussprechlichsten Bösen« und der »größten Tötungsstätte
aller Zeiten, an denen Eichmanns grauenvolle Wirklichkeit die
Höllenvision Dantes noch an Düsternis übertraf«.
Das Leben kann zur Hölle werden. Die Hölle der Angst (siehe
dort) und die Hölle, die Menschen den Menschen auf Erden
bereiten, sind schreckliche Wirklichkeit. Aber ist die Hölle auch
ein Ort des Jenseits? Auf Tausenden von Bildern setzten Maler
die Hölle ins Bild. Steinmetze meißelten den Rachen der Hölle
über die Kirchenportale des Mittelalters. Dante (»Die göttliche
Komödie«, 1311-1321) und andere Dichter haben die sieben
Kreise der Hölle beschrieben, mittelalterliche Philosophen sie

-95-
sogar vermessen. Nach katholischer Lehre ist die Sachlage
eindeutig: »Wir definieren zudem«, schreibt Benedikt XII. (20.
Dezember 1334-25. April 1342), »daß nach allgemeiner
Anordnung Gottes die Seelen der in einer aktuellen Todsünde
Dahinscheidenden sogleich nach ihrem Tod zur Hölle
hinabsteigen, wo sie mit den Qualen der Hölle gepeinigt
werden« (Denzinger 1002). Selbst das als liberal geltende
Zweite Vatikanische Konzil hält Ende des 20. Jahrhunderts an
der Existenz der Hölle fest. »Darum könnten jene Menschen
nicht gerettet werden, die sehr wohl wissen, daß die katholische
Kirche von Gott durch Jesus Christus als eine notwendige
gegründet wurde, jedoch nicht in sie eintreten oder in ihr
ausharren wollten.« (Denzinger 4136) Wer kommt in die Hölle?
Die Antwort lautet: Alle Christen, die aus der katholischen
Kirche austreten oder nicht in sie eintreten. Der Abfall vom
wahren katholischen Glauben, Apostasie genannt, gilt noch
heute als Todsünde (siehe Sünde).
Das Wort »Hölle« bezeichnet in den germanischen Sprachen
ein verborgenes Totenreich (»hel«). In den romanischen
Sprachen wird dieser unterirdische Bereich »infernum« genannt.
Die Griechen sprechen vom Hades. Einen jenseitigen Strafort
kannten auch die Ägypter. Höllenvorstellungen sind im
Judentum und im Islam verbreitet. Die Hölle ist also keine
Erfindung der Priester. Sie ist im Neuen Testament an zentraler
Stelle verankert. Christen glauben, daß Jesus gekommen ist, um
die Menschheit von der Macht der Sünde und des Teufels zu
befreien. Eines Tages, so hatte er vor seiner Himmelfahrt
prophezeit, werde er mit seinen Engeln wiederkommen und die
große Scheidung der Menschheit in Gute und Böse, Erlöste und
Verworfene vollziehen. »So wird es auch am Ende der Welt
gehen: die Engel werden ausgehen und die Bösen von den
Gerechten scheiden und werden sie in den Feuerofen werfen; da
wird Heulen und Zähneklappern sein.« (Matthäus 13.49-50) Die
Lehre von der Wiederkehr Jesu (Parusie) zum Jüngsten Gericht

-96-
über die Lebenden und Toten ist im Glaubensbekenntnis fest
verankert. Dort heißt es: »Von dort (dem Himmel) wird er
(Jesus) kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.«
Die christliche Vorstellung von Fegefeuer und Hölle ist auch
durch das berühmte Gleichnis vom Reichen Mann und Armen
Lazarus (Lukas 16.19-31) nachhaltig bestimmt worden. Im
irdischen Leben erging es dem Reichen bestens. Er trug feine
Kleidung aus Purpur und kostbarem Leinen und lebte alle Tage
herrlich und in Freuden. Nicht, daß er seinen Wohlstand genoss,
wird ihm zum Verhängnis. Der reiche Mann dachte nur an sich,
er hatte nicht zu teilen gelernt und verschloss die Augen vor
dem bejammernswerten armen Mann, der vo n Geschwüren
bedeckt vor seiner Tür lag und auf ein paar Abfälle von der
reichgedeckten Tafel hoffte. Nur die Hunde haben Mitleid. Sie
lecken seine Wunden. Nach dem Tod wird Lazarus von den
Engeln in Abrahams Schoß (siehe auch Fegefeuer) getragen.
Der reiche Mann aber fährt zur Hölle. Soweit erzählt die
Geschichte von einer Wiedergutmachung oder ausgleichenden
Gerechtigkeit.
Zwischen Himmel und Hölle ist ein Blickkontakt möglich. In
seiner Qual hebt der Reiche hilfesuchend die Augen und sieht in
der Ferne das Bild der Geborgenheit. Die gerechte Trennung der
Menschheit in Himmel- und Höllenbewohner wird von dem
Reichen so wenig bestritten wie die Berechtigung seiner
Verurteilung. Er bittet Abraham nicht um eine Befreiung aus der
Hölle, sondern allein um einen kleinen Liebesdienst: Lazarus
solle kommen, »damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser
tauche und mir die Zunge kühle; denn ich leide Pein in diesen
Flammen«. Dieses Bild von den ewigen Flammen der Hölle, die
brennen, ohne die Sünder zu verbrennen, ha t nachhaltig auf die
Jenseitsvorstellungen der Menschen gewirkt.
Darf man dem Reichen die kleine Bitte abschlagen? Ist es
nicht unbegreiflich grausam, dem Verurteilten keine
Verringerung seiner Qual zu gewähren? Doch auch die

-97-
umgekehrte Frage stellt sich: Darf es Lazarus zugemutet
werden, jetzt den Mann zu pflegen, der sich zu irdischen
Lebzeiten in keiner Weise um sein erbarmenswertes Schicksal
gekümmert hatte? Soll ausgerechnet das Opfer zum
Krankenpfleger des Täters werden?
Abraham antwortet dem Reichen: »Gedenke, Sohn, daß du
dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus hat Böses
empfangen; nun wird er hier getröstet, und du wirst gepeinigt.«
Eine Ewigkeit in der Hölle für sechzig oder siebzig Jahre
angenehmen Lebens auf Erden, da scheint mit ungle ichen
Gewichten gewogen zu werden. Doch nicht weniger
beunruhigend ist die zweite Antwort, die Abraham dem Reichen
gibt: »Und überdies besteht zwischen uns und euch eine große
Kluft, daß niemand, der von hier zu euch hinüber will, dorthin
kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber«
(Lukas 16.26). Niemand könne ihn heilen, niemand könne den
tiefen Abgrund zwischen Himmel und Hölle überwinden, weder
Abraham, Lazarus noch einer der Höllenbewohner. Gilt das
auch für Gott?
»Daß die Parabel vom reichen Prasser und dem armen
Lazarus nichts weiter sein will als eine ernste Warnung an die
Lebenden, sich des Armen vor ihrer Tür zu erbarmen, ist klar.«
Ist das wirklich so »klar«, wie Hans Urs von Balthasar
behauptet? So müsste es sein, und auch der Reiche bittet, daß
Abraham wenigstens den Lazarus zu seinen noch lebenden fünf
Brüdern schicke, damit sie gewarnt seien und »nicht auch
kommen an diesen Ort der Qual«. Abraham entgegnet, die
Brüder des Reichen hätten Moses und die Propheten als Mahner
der Nächstenliebe. Und selbst »wenn jemand von den Toten
auferstünde«, ergänzt er in Anspielung auf Christus, »so werden
sie sich auch nicht überzeugen lassen« (Lukas 16.31).
»Die große Seelenwahrheit des Infernos erfasst keiner so
leicht vor seinem vierzigsten Jahr«, sagt Hans Carossa. Das
Rätselhafte ist weniger die Vorstellung eines jenseitigen
-98-
Strafortes als die dunkle Erfahrung, daß sich Menschen trotz
besseren Wissens der Stimme der Wahrheit und der
Menschlichkeit verschließen. Deshalb sind nicht wenige große
Heilige mit ihrem Liebeseifer Sturm gegen die Pforten der Hölle
gelaufen. Katharina von Siena sagt: »Wie könnte ich denn, Herr,
mich damit abfinden, daß ein einziger von denen, die Du wie
mich nach Deinem Bild und Gleichnis geschaffen hast,
verlorenginge und Deinen Händen entglitte? Nein, auf gar
keinen Fall will ich einen einzigen meiner Brüder zugrunde
gehen sehen, einen einzigen derer, die mir durch eine gleiche
Geburt zur Natur und zur Gnade geeint sind. Ich will, daß sie
alle dem alten Feind entrissen seien, daß Du sie alle zur Ehre
und zur größeren Verherrlichung Deines Namens gewinnst.«
Neben der offiziellen Kirchenlehre über die Hölle gab es von
Anfang an eine alternative Entwicklung. Das schreckliche
Entweder - Oder von Himmel und Hölle wurde schon von den
frühen Christen gelockert. Die Antike kannte verschiedene
»Höllenfahrten«. Odysseus war in das Totenreich gestiegen, der
Sänger Orpheus hatte versucht, Eurydike aus dem Reich des
Hades zu befreien. In apokryphen Evangelien wie den
Pilatusakten (auch Nikodemusevangelium genannt) erzählen sie
vom Abstieg Christi in die Hölle, wo er die Seelen aus der
Gefangenschaft befreite. Auch diese Höllenfahrt Christi
(descensus ad inferos) wurde Teil des Glaubensbekenntnisses,
wenn es heißt: »Hinabgestiegen in das Reich des Todes«. Die
Erzählung von der Höllenfahrt Christi wurde so beliebt, daß sie
in die Märchenwelt einging. Das bekannte Grimmsche Märchen
vom Teufel mit den drei goldenen Haaren erzählt von einem
unerschrockenen Knaben, der in die Hölle hinabsteigt und dort
den Teufel überlistet.
Zur Entschärfung der Hölle trug auch die irische Legende von
Brandan (484-576), dem Seefahrer, bei. Der Heilige hatte viele
Klöster in Kerry, Clare und Galway sowie auf den Inseln des
Shannon gegründet. Clonfert (Clúainferta) war das größte und

-99-
zählte zeitweilig 3000 Mönche. Irland lag weit entfernt von
Rom, und die offene See blies frischen Wind in geistliche
Gelehrtenstuben. Brandan war auch als Seefahrer wagemutig. Er
segelte mit ausgewählten Mönchen bis an die Ränder der damals
bekannten Welt, in jene Zonen, wo Geographie und Mythologie
ineinander verschmolzen. Auf offenem Meer entdecken sie eine
kleine felsige Insel, gerade so groß, daß eine Person darauf
sitzen kann. Der Mann, dem sie hier begegnen, leidet eine
unsägliche Pein. Sein Leib ist schwarz von Pech und Harz, das
ihn glühend umhüllt. Die Flammen haben ihm große Löcher in
den Körper gefressen. Vor den Augen hängt zur Linderung der
Schmerzen ein kleines Tüchlein, und vom Himmel fällt
kühlender Hagel auf ihn. Brandan erkundigt sich nach dem
Schicksal und der Herkunft des Gepeinigten und erfährt, der
Gequälte komme aus der Hölle. An jedem Samstagabend erhalte
er bis Sonntagmittag einen halben Tag Höllenurlaub. Dann
führten ihn die Teufel wieder zurück in großes, unsägliches
Leid.
Brandan kann sich nicht vorstellen, daß ein noch größeres
Leiden möglich sei, als es dem Mann bereits jetzt zugefügt wird.
Da unten in der Hölle, erklärt der Mann, werfen ihn die Teufel
in waberndes Pech. Da ist die Hitze so groß, daß ein stählerner
Berg darin schmelzen würde. Der Heilige erkundigt sich nach
dem Namen des Gefolterten, und dieser antwortet: »Ich bin der
arme Judas.« Brandan kann den Anblick nicht ertragen. Voller
Mitleid fragt er Judas, ob ihm nicht geholfen werden könne.
Immerhin sei es Lehre der Kirche, daß Christen und besonders
die Heiligen durch ihre Fürbitten Gottes besondere Gnade für
die Sünder erwirken können. Er und seine Mönche seien bereit,
mit allem Eifer für das Seelenheil des Gemarterten zu beten.
Judas erwidert: »Alles Bitten für mich ist gar verloren, denn
Gott will sich nimmermehr meiner erbarmen.« So lehrt es auch
die römische Kirche. Der Ire Brandan beugt sich ihrer
Lehrmeinung nicht. Die ganze Nacht harrt er neben Judas aus

-100-
und leidet mit ihm bis Sonntagmittag. Dann kommt die Stunde
der Teufel. Judas schreit so jämmerlich, daß es einen Stein
erbarmen könnte: »Oh weh, ach und weh, muß ich aber in die
große, unsägliche Pein!« Sein Fall ist aussichtslos, an seinem
Schicksal gibt es nichts zu ändern. Alle glauben das, auch Judas
selbst. Brandan ist da anderer Meinung. Er hat eine andere
Vorstellung von Gott. Deshalb schaut er nicht resigniert zu, wie
Judas vor Angst zittert.
Wer damals eine Reise unternahm, der führte Reliquien,
Überreste von Heiligen mit sich. Unter ihrem Beistand konnte
man sich sicherer fühlen. Brandan läßt den ganzen
Reliquienschatz an Deck holen zur Unterstützung des
Gebetskampfes gegen die Teufel, den er und seine Mönche jetzt
aufnehmen. Da brausen die Höllendiener in einem großen
Feuergewitter he ran, daß es scheint, als brennten Meer und Luft.
Die Teufel Umschweifen das Schiff, spucken Feuer, Rauch,
Pech und Schwefel aus ihren Mäulern. Ein Bruder will
verzagen, doch Brandan läßt sich nicht von den Angriffen der
Teufel irritieren, auch dann nicht, als sie brennende
Schwefelstücke ins Meer fallen lassen. Er bittet Gott, daß er
Judas noch eine weitere Nacht Höllenurlaub gewähre. Was
niemand für möglich hielt, geschieht. Gott schenkt Judas sein
Erbarmen. Die Teufel jaulen auf und drohen Judas, sie werden
ihn am nächsten Tag desto stärker peinigen. Doch auch hier
weicht Brandan nicht zurück und verbietet den Teufeln im
Namen Gottes, die Pein bei der Rückkehr zur Hölle zu steigern.
Warum hatte Brandan nicht gebeten, daß Gott dem Judas die
Höllenqual gänzlich erspare? Wer so fragt, übersieht die
Provokation der offiziellen kirchlichen Meinung, die darin lag,
daß Brandan es erreicht hatte, Judas einen weiteren halben Tag
der Befreiung von den Höllenqualen zu erwirken. Noch
wichtiger war der Einbruch in das als unerschütterlich gerecht
geltende Gottesbild, den Brandan vollzogen hatte. Gott zeigt
Erbarmen. Das war Brandans große Wiederentdeckung. Der

-101-
maßgebliche Theologe der katholischen Lehre war da anderer
Meinung.
Wie läßt sich der Glaube an die Güte Gottes mit der
Vorstellung von einem Strafort vereinbaren, wo die Sünder ewig
gequält werden? Der Dominikanermönch Thomas von Aquin
(gestorben 1274) hat diese und andere Fragen seiner
Zeitgenossen aufgegriffen. Gott ist gerecht, sagt Thomas. Ziel
aller Höllenstrafen sei die Wiederherstellung der göttlichen
Ordnung. Wer sich auf Erden seiner Barmherzigkeit gegenüber
als unwürdig erwiesen habe, erhalte im Jenseits die gerechte
Strafe. Gläubige, die vom Glauben abgefallen sind, werden
stärker bestraft als Ungläubige, denn im Gegensatz zu den
Ungläubigen wussten die Gläubigen ja, was sie erwartet. Nach
dieser Logik ist es für Thomas auch selbstverständlich, daß
zwischen den Himmels- und Höllenbewohnern Blickkontakt
herrscht. »Damit nun den Heiligen ihre Seligkeit noch
erfreulicher sei und sie Gott dafür noch reichlicher danken, wird
es ihnen verliehen, die Strafe der Gottlosen vollkommen zu
schauen.« Mitleid gegenüber den Verdammten kennen sie nicht,
allerdings weiden sie sich auch nicht an ihrer Qual. Vielmehr
freuen sie sich an der Wiederherstellung der göttlichen Ordnung
und ihrem eigenen seligen Zustand. Thomas weiß auch, wo sich
die Hölle befindet, nämlich in der Erdmitte. Das dort brennende
Feuer versteht er als Bild für die äußerst schmerzhaften
seelischen und körperlichen Qualen. Auch über die Art der
Bestrafung ist der größte Theologe der katholischen Kirche
unterrichtet: In der Hölle wird nach dem Grundsatz »Womit
jemand sündigt, damit wird er auch gestraft« (per quae peccat
quis, per haec et torquetur) gehandelt. Zur Steigerung ihrer Qual
haben auch die Verdammten Blickkontakt zu den Erlösten. Das
schürt ihren Hass: »Daher wollen sie, alle Seligen seien
verdammt.« Mit dem Tag des Jüngsten Gerichtes wird der
Blickkontakt jedoch ein Ende haben. »Doch wird ihre Pein
deswegen nicht geringer, sondern größer werden; denn sie

-102-
werden die Erinnerung an die Herrlichkeit der Seligen behalten,
die sie während des Gerichtes oder vor dem Gericht sahen; und
das wird ihnen zur Qual gereichen.«

Homosexualität

Jahrhundertelang wurde die Homosexualität verteufelt. Zur


Rechtfertigung diente eine Überlieferung der Bibel, nach der
sich die Einwohner von Sodom und Gomorra an zwei
männlichen Engeln sexuell vergehen wollten (Genesis 19.5).
»Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist
ein Greuel« (Leviticus 18.22), so heißt es in einer jüdischen
Gesetzsammlung.
Als tragisches Opfer der Verteufelung homoerotischer
Neigung gilt heute der Fall des Jürgen Bartsch. Der
Metzgergeselle hatte Anfang der sechziger Jahre vier
Jugendliche in eine Höhle gelockt, sich an ihnen sexuell
vergangen und sie anschließend ermordet. Jürgen Bartsch
erlebte eine weitgehend typische Kindheit im
Nachkriegsdeutschland. Der Wiederaufbau läßt wenig Zeit für
Kinder. Sie wachsen neben den vielbeschäftigten Eltern auf.
Jürgen Bartsch verbringt das erste Lebensjahr in einem Heim.
Die leibliche Mutter hat ihn nach der Geburt verlassen. Er wird
von einem kinderlosen Metzgerehepaar adoptiert. Materiell geht
es ihm gut, allerdings haben die Eltern kaum Zeit für ihn. Das
Geschäft fordert die ständige Anwesenheit beider. Die
Erziehung ist streng, die Reinlichkeitserziehung übertrieben.
Noch im fünfzehnten Lebensjahr übernimmt die Metzgergattin
beim wöchentlichen Bad die Körperpflege ihres Adoptivsohnes.
Jürgen Bartsch wird von seinen Mitschülern als Außenseiter
behandelt. Die Eltern geben ihn in ein Kinderheim. Es wird eine
glückliche Zeit.
Später im Knabeninternat »Don Bosco« der Salesianer drückt

-103-
Bartsch mit fünfzig Mitschülern die Schulbank. Hier ist die
Erziehung streng, Prügelstrafen sind wie an sämtlichen
deutschen Schulen jener Jahre üblich. Onanie gilt als schwere
Sünde. Sexualität ist vom Teufel. Jungenfreundschaften werden
nicht gern gesehen, denn allzu große Vertrautheit könnte der
Verfehlung Vorschub leisten, heißt es. Schnell verliere sich die
Knabenhand unter fremder Bettdecke. Die Geistlichen sind
zugleich Lehrer. Im Beichtgespräch gilt ihr besonderes Interesse
den pubertären Regungen des erwachten männlichen
Geschlechts. Auf der einen Seite wird die geschlechtliche Liebe
verteufelt (siehe auch Sexualität), andererseits macht der
Erzieher Pater Pütz homoerotische Annäherungsversuche,
schmust mit seinen Lieblingen, küsst sie und greift ihnen in den
Schritt.
Jürgen Bartsch flieht mit einem Freund aus dem Internat. Sie
laufen über die Eisenbahnschienen rheinaufwärts. Da, für Jürgen
Bartsch selbst »wie aus heiterem Himmel«, überfällt ihn der
Wunsch, den Freund auf die Schienen zu werfen, damit er von
dem anrollenden Zug überfahren wird. Gewalt und der Wunsch
nach sexuellem Kontakt verbinden sich in dieser Attacke.
Niemand sei erschreckter gewesen als er selbst, erinnert sich
Bartsch später. Hier auf der Flucht bricht zum ersten Mal die
Verflechtung von Sexualität und Sadismus aus ihm hervor, die
zum Muster der später erfolgten vier Morde wird. Die
Stiefeltern schicken ihn ins Internat zurück. Niemand kennt
seine geheimen Wünsche, niemand weiß, daß er unter
Freisetzung sadistischer Phantasien onaniert. Nach dem
Hauptschulabschluss arbeitet Jürgen als Metzgerlehrling bei
seinem Adoptivvater in der Wurstküche. Er verdient sein erstes
Geld und kauft sich einen VW-Käfer.
Durch finanzielle Freigebigkeit erwirbt er auf
Jahrmarktbesuchen die Gunst männlicher Jugendlicher. Dann
erfolgt wie unter Zwang der erste Sexualmord an einem
gleichaltrigen Jungen. Er habe das »Gefühl gehabt, du mußt das

-104-
tun«. Anschließend sei er geschockt gewesen über seine Untat,
habe nächtelang geweint und sein Kopfkissen umklammert, als
wäre es der Ermordete. »Lieber Gott, wenn Du mich von dieser
Scheiße befreist, baue ich Dir eine Kapelle!«, betet er. Eine
Woche später erfolgt der zweite Mord. Jürgen Bartsch wünscht
sich, gefasst zu werden. Noch zwei weitere männliche
Jugendliche werden sein Opfer, bis dieser Wunsch in Erfüllung
geht.
Bartsch hatte das Böse als Einbruch einer höheren Macht
erlebt. Er entschuldigte sich nicht mit einer verfehlten
Erziehung. Er selbst fühlte sich schuldig. Der Wunsch zu lieben
und der Drang zu töten waren in ihm auf rätselhafte Weise
miteinander verbunden. Am 27. November 1967 begann der
Prozess. Das Urteil des Landesgerichtes Düsseldorf lautete auf
zehn Jahre Jugendstrafe mit anschließender Einweisung in die
Psychiatrie. In der Begründung vom 6. April 1971 hieß es: »Gut
und Böse kämpften in seinem Inneren. Brüsk entschied er sich
für das Böse.«
Im Gefängnis erwägt Jürgen Bartsch eine Hirnoperation, weil
er sich davon eine Zerstörung des aggressiven Potentials
verspricht. Eine Krankenschwester sorgt für Pressewirbel, als sie
Jürgen Bartsch einen Heiratsantrag macht. Sie glaubt, seine
sadistischen Neigungen heilen zu können. Schließlich
entscheidet sich Bartsch freiwillig für eine Kastration. Er stirbt
bei der Operation. Das Leben in der Hölle auf Erden hat für ihn
ein Ende gefunden.

Internet

Früher flogen die Hexe n (siehe dort) in Gedankenschnelle


zum Blocksberg. Heute surfen sie mit gleicher Geschwindigkeit
im Internet. Auch der Teufelspakt (siehe dort) muß nicht mehr
während der Walpurgisnacht auf dem Brocken unterschrieben

-105-
werden. Auf der Auktionsseite der Website »eBay« hatte Adam
Burtle aus Woodinville im Bundesstatt Washington die »kaum
benutzte Seele eines 20jährigen Jungen aus Seattle« angeboten.
Mindestgebot waren fünf Cents. Die Bieter sollen sich ein
regelrechtes Gefecht geliefert haben. Den Zuschlag erhielt
schließlich eine Frau aus Iowa für 400 Dollar. Den Anbieter
brachte sie in Schwierigkeiten: »Ehrlich gesagt, ich habe keine
Ahnung, wie sie meine Seele kriegen soll«, gestand Adam
Burtle. »eBay«-Sprecher Kevin Pursglove verbot schließlich den
Handel mit der Begründung: »Man sollte schon etwas anbieten,
was der Verkäufer dem Käufer auch wirklich liefern kann.«
(FAZ vom 12. Februar 2001)
Nicht nur der Teufel, auch seine bekennenden Anhänger
haben eine eigene Homepage. Die kalifornische Church of Satan
kommentiert auf den Websites Satan2000.com und
SatanicRituals.com das Weltgeschehen. Unter der Adresse
SatanShop.com findet der Satanist das komplette Zubehör für
satanische Messen (siehe dort): Kleidung, Schwerter, Kelche,
Dolche, Statuen und anderes »Home decor«. Beim Surfen auf
dieser Homepage hat man zuerst den Eindruck, das Angebot
eines Kostümverleihs für Karneval zu sehen. Doch bald hört der
Spaß auf. Da wird der Live-Mitschnitt einer satanischen Messe
angeboten, ein Kruzifix mit dem Corpus Christi, Weihwasser
und gewandelte Hostien. Im Angebot wird ausdrücklich betont,
daß die Oblaten und das Wasser von einem Priester gewandelt
worden sind. In der schwarzen Messe werden Kreuz, Hostie und
Weihwasser geschändet. Das Angebot verführt also zum
Tabubruch und ist in hohem Maße bösartig.
Eigene Homepages haben auch satanistische Bands wie
Slayer. Ihr Album »God hates us all« (September 2001) wird
unter www.slayer.net vorgestellt. Gerade durch das Internet
findet eine gefährliche Verbreitung satanischer Texte und Musik
statt.

-106-
Islam

Teufel und Dämonen sind im Volksglauben der islamisch


geprägten Welt weit verbreitet. »Dschin« genannte Naturgeister
können in vielerlei Weise den Menschen plagen. Überall in den
Dörfern zwischen Kabul und Kairo wissen die Menschen vom
Treiben der Dschin zu erzählen. Die Dschin sind älter als der
Islam, aber sie haben Eingang in das heilige Buch der Muslime
gefunden. In der Sure 72 des Koran wird ihr Wesen beschrieben.
Nach muslimischem Glauben sind sie aus dem Element Feuer
geschaffen worden.
Auch aus der islamischen Lehre ist der Teufel nicht
wegzudenken. So gehört zu den verbindlichen Ritualen einer
Pilgerfahrt nach Mekka (Hadsch) die »Steinigung des Satans«.
Jeder Pilger hebt dazu dreimal sieben Steinchen vom Boden auf
und wirft sie gegen die so genannten Teufelssäulen. Diese
symbolisieren den Satan und die Dämonen. Die größte Säule
trägt den arabischen Namen »Dschamarat«.
Aus der christlichjüdischen Tradition übernimmt der Koran
die traditionelle Darstellung und Wertung der Gestalt Satans.
Auch hier ist er ein gefallener Engel. In der zweiten Sure,
genannt »Bakara« (Die Kuh), berichtet der Koran vom Wunsch
Gottes, den Menschen zu erschaffen und ihn als seinen
Statthalter auf Erden einzusetzen. Die Engel protestierten: Gott
solle sich weiterhin allein an ihrem Lobpreis ergötzen und nicht
das Risiko einer zweiten Welt neben der himmlischen Welt der
Engel eingehen. »Willst du auf ihr einen einsetzen, der auf ihr
Verderben anstiftet und Blut vergießt?«, warnen sie den
Schöpfer. Die Engel meinen kommendes Unheil zu spüren. Gott
aber läßt sich von ihren düsteren Ahnungen nicht beirren.
Mögen die Engel auch viele Erkenntnisse besitzen, letztlich ist
er allein der Allwissende, der weiß, was er mit der Erschaffung
des Menschen bewirkt. »Siehe, ich weiß, was ihr nicht wisset«,

-107-
heißt es im Koran. Schließlich beugen sich die Engel vor Gottes
Schöpferwillen und verbeugen sich vor Adam, dem ersten
Menschen. Damit erkennen sie Gottes unerforschlichen
Ratschluss an.
Doch ein Engel leistet Widerstand. Er ist aus der
jüdischchristlichen Überlieferung bekannt. Im Koran heißt er
»Iblis« oder »Schaitan«. Aus eitler Selbstüberschätzung habe er
sich geweigert, Gottes Werk anzuerkennen. So wurde er aus
dem Himmel verstoßen. In der siebten Sure, »A'raf« (Der Wall),
kommt der Koran erneut auf Satans Verweigerung zu sprechen.
Von Allah direkt gefragt, warum er sich nicht wie die anderen
Engel vor Adam niedergeworfen habe, bekennt Satan offen
seine Eifersucht und Eitelkeit: »Ich bin besser als er. Du hast
mich aus Feuer erschaffen, ihn aber erschufst du aus Ton.« Für
das heilige Buch ist die Lage eindeutig: Der himmlische Rebell
wurde zu Recht bestraft. Er war ungehorsam und mußte aus den
Chören der Engel entfernt werden.
Wie das Christentum, so geht auch der Islam davon aus, daß
der gefallene Engel weiterhin dem Menschen nachstellt. Er kann
Körper und Geist in Besitz nehmen (siehe Exorzismus), um ihn
mit sich in den Abgrund der Hölle zu reißen. Im Koran spricht
Satan zu Gott: »Weil Du mich hast abirren lassen, werde ich, ich
schwöre es, ihnen auf Deinem geraden Weg auflauern. Dann
werde ich zu ihnen treten von vorn und von hinten, von ihrer
rechten und von ihrer linken Seite.« (Sure 7,16-17) Folgerichtig
gilt der Prophet Mohammed als großer Exorzist. Wie Jesus heilt
er die Besessenen durch sein mächtiges Wort. Seine Exorzismen
sind von Ahmad ibn Hanbai aufgezeichnet worden.
Die Muslime bezeichnen sich selbst als die reinsten und
konsequentesten Monotheisten. Gott ist für sie der Eine allein.
Er hat keinen Sohn an seiner Seite, ist nicht in Gestalt eines
Menschen Fleisch geworden, gilt auch nicht als Dreieiniger Gott
(Trinität). Neben Gott darf es keinen zweiten Gott geben! An
dieser Stelle haben die islamischen Mystiker weitergedacht und

-108-
kamen dabei zu einer überraschenden Umwertung von Satans
Verhalten: Niemand hatte Gott so sehr geliebt, niemand sich
ihm so bedingungslos hingegeben wie Satan. Gott war für ihn
der Eine, ihn allein wollte er anbeten. Deshalb weigert er sich
aus Liebe zu Gott, Gottes Willen zu folgen und vor Adam
niederzuknien. Er wollte Gott allein anbeten.
Von allen Monotheisten war Satan der entschiedenste, so
konsequent, daß er dabei Gottes Zorn und seine eigene
Verbannung von der Liebe Gottes riskierte. Der berühmte
Mystiker Husain ibn Mansur al-Hallaj (* 858, hingerichtet am
26. März 922) rechtfertigt Satans Ungehorsam als wahres
Liebesbekenntnis zu dem heiligen Gott: »Mein Aufruhr heißt:
Dich heilig zu erklären!« Für seine Liebe wird Satan verbannt,
für seine Gottesliebe stirbt der Mystiker den Märtyrertod. »Geh,
lerne die Methode des echten Dienstes von Satan, erwähle eine
Gebetsrichtung und wirf dich vor nichts sonst nieder!«, fordert
der Sufi Sarmad (hingerichtet 1661) die Gläubigen auf. Das Ziel
der absoluten Gottesliebe war für Hallaj die Einswerdung des
Geliebten mit Gott. »Tötet mich, o meine Freunde«, rief er,
»denn im Tod nur liegt mein Leben.« Im Gefängnis hatte ihn ein
Derwisch nach dem Wesen der Liebe gefragt und von Hallaj die
Antwort erhalten: »Du wirst es heute sehen und morgen sehen
und übermorgen sehen!« Am gleichen Tag wurde er getötet, am
nächsten verbrannt, und am dritten Tag verstreute man seine
Asche. Gott lieben und leiden sind für den Mystiker eins. Satan
wollte lieber von Gott verflucht sein und unter seiner
Verwerfung leiden, als aufzuhören, Gott allein die Ehre zu
geben. Aus mystischer Sicht war er ein Anwalt der Heiligkeit
Gottes, die durch nichts in der Welt getrübt werden durfte und
für die kein Opfer zu hoch schien.
In der islamischen Mystik ist der Satan auch ein Bild für den
Schatten der Seele. Der Mensch hat die Freiheit, sich von Gott
abzuwenden. »Schaitan« bezeichnet diese Kraft des
Widerspruchs gegen den Willen Gottes. Für Rumi (1207-1273),

-109-
den Gründer des Ordens der tanzenden Derwische, war Satan
das Sinnbild eines Menschen, der auf den Augen der Seele blind
ist und folglich nur einen Teil der göttlichen Wirklichkeit sieht.
Satan wird bei Rumi und anderen Mystikern gleichgesetzt mit
der niederen Seele (nafs). Sie ist blind für die Herrlichkeit
Gottes. Doch können ihr die inneren Augen durch die
verwandelnde Kraft der Liebe geöffnet werden. Satan muß nicht
auf alle Zeit der ewige Widersacher Gottes bleiben. Sein Wesen
kann geläutert werden. Das gilt auch für den Widerspruchsgeist
des Menschen. Mohammed selbst soll, nach Rumi, bezeugt
haben: »Mein Schaitan ist Muslim geworden.«

Jesus

Jesus war der größte Exorzist aller Zeiten. Das klingt


reißerisch, ist aber nichts als die Wahrheit. Teufel austreiben
konnten damals viele (vgl. Apostelgeschichte 19.13f.).
Menschen aber wieder Glaube, Hoffnung und Liebe schenken
und den Riss in der Schöpfung heilen, das konnte eben nur Jesus
allein. Erinnern wir uns: Einige Engel waren aus den
himmlischen Chören gestürzt (siehe Engelsturz). Gott hatte
daraufhin bestimmt, daß die Menschen einst die freigewordenen
Plätze im Himmel einnehmen sollten. Dies wiederum erregte
den Neid des Teufels. Mit seinen Dämonen stellte er den
Menschen nach. Doch nun tritt ihm Jesus entgegen. Seine
Exorzismen haben einen kosmischen Hintergrund: »Wenn ich
aber die bösen Geister durch den Geist Gottes austreibe, so ist ja
das Reich Gottes zu euch gekommen« (Matthäus 12.28).
Der Besessene aus der Stadt Gerasa, dessen Heilung Markus
(5.1-20) überliefert, haust in Grabhöhlen bei den Dämonen,
schreit ohne Unterlass und schlägt sich selbst mit Steinen. Ihm
ist die Mitte abhanden gekommen. Vergeblich hatten die Städter
den Kranken durch Fesselung zu schützen versucht. Mit

-110-
übernatürlicher Kraft zersprengte er selbst eiserne Ketten. Ein
Mensch mit einem unreinen Geist sei von den Gräbern
herkommend auf Jesus zugelaufen, berichtet Markus. Wer läuft?
Es läuft! Er wird getrieben. Es läuft in ihm. Er fällt vor Jesus
nieder.
Alte Gegner treffen aufeinander, Versucher und Versuchter,
Satan und Christus. Kampfstimmung herrscht. Hier wird nicht
diskutiert und nicht verhandelt. Kompromisse gibt es nicht.
Erlösung naht. Entweder Du oder ich! Gott oder Satan. Der
Mensch ist ohne Alternative. Von Ferne hatten sich die
unversöhnlichen Gegner erkannt. Jesus hatte dem unreinen Geist
zugerufen, er solle sofort das Haus der Seele räumen. Deshalb
kommt der Gegner gelaufen und schreit: »Was willst Du von
mir, Jesus, Du Sohn Gottes, des Allerhöchsten? Ich beschwöre
Dich bei Gott: Quäle mich nicht!«
Jesus fordert ihn auf, seinen Namen zu nennen, denn Name ist
Macht. »Legion heiße ich; denn wir sind viele«, antwortet die
Stimme. Jetzt wird das Ausmaß der Entfremdung des
Besessenen deutlich. Sechstausend römische Soldaten zählt eine
Legion, sechstausend Mann stark ist die Besatzungsarmee im
Haus der Seele. Wer hält das aus?
Gerasa ist eine römische Garnisonsstadt in Israel. Zur
Versorgung dieser Besatzungsarmee werden hier Schweine
gehalten. Sie gelten aus jüdischer Sicht als unrein. Die
Innenwelt des Kranken spiegelt die Außenwelt. Der Riss in den
sozialen, politischen und religiösen Beziehungen wird von dem
Besessenen besonders stark empfunden, er leidet seelisch und
körperlich unter einer Zeit, die aus den Fugen geraten ist.
Jesus erlöst den Mann aus Gerasa. Bekleidet, bei vollem
Bewußtsein, ruhig und zufrieden neben Jesus sitzend, finden ihn
die Städter. Der Geheilte will Jesus nachfolgen. Jesus verwehrt
es ihm mit dem Hinweis, er solle hier vor Ort von der Befreiung
erzählen. Es war etwas geschehen, das alle Menschen erschüttert
hatte. Die Dämonen ha tten Jesus um Erlaubnis gebeten, beim
-111-
Ausfahren aus dem Mann einen neuen Zufluchtsort in einer
Schweineherde nehmen zu dürfen. Jesus hatte es ihnen erlaubt.
Am Berghang oberhalb des Sees durchwühlten zweitausend
römische Säue den Boden. Die Dämonen fuhren in sie. Die Säue
stürmten den Abhang hinunter, stürzten in den See und ersoffen.
Zur Unterstützung seiner Teufelsaustreibungen in den Dörfern
und Städten Galiläas hatte Jesus einen Kreis von zweiundsiebzig
Jüngern ausgesandt. Jeweils zu zweit zogen sie über das Land,
predigten und trieben Dämonen aus. Als sie zurückkehrten und
von gelungenen Heilungen berichteten, stieß Jesus einen
Jubelruf aus: »Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen
Blitz« (Lukas 10.18). Aber es gab auch andere Erfahrungen mit
dem satanischen Gegner. Mancher Fall erwies sich als so
hartnäckig, daß die Jünger scheiterten. Nichts aber ist schlimmer
als eine misslungene Dämonenaustreibung. Wie bei einer nicht
auskurierten Krankheit oder abgebrochenen
Penicillinbehandlung folgt ein Infekt dem anderen. Ständig muß
die Dosis erhöht werden. Im schlimmsten Fall droht eine
Resistenz gegen das Medikament. Ist ein unreiner Geist
ausgetrieben, so bleibt das geheilte Haus der Seele anfällig. Der
Dämon »nimmt mit sich sieben andere Geister, die böser sind
als er selbst; und wenn sie hineinkommen, wohnen sie darin;
und es wird mit diesem Menschen hernach ärger, als es vorher
war« (Matthäus 12.45).
An einem besonders schweren Fall von Besessenheit waren
die Jünger gescheitert. Später werden sie wissen, daß hier nur
das Gebet geholfen hätte. Aber mit dem Glauben haperte es bei
allen Beteiligten, dem Vater des Besessenen wie den Heilern.
Der besessene Knabe (Markus 9.14-29) zeigt klassische
Symptome des großen hysterischen Anfalls der Epileptiker, wie
sie Jean-Martin Charcot (siehe Freud) beschrieben hat: Starke
Bewegungen des gesamten Körpers unter schrecklichen
Verrenkungen der Gliedmaßen, Atemstillstand, verquollenes
Gesicht, verdrehte Augen, Zerreißen der Kleidung, Zerkratzen

-112-
von Gesicht und Körper, Abwehr jeder Hilfe durch Beißen und
Schlagen mit Kopf und Fäusten, Halluzinationen,
Grimassenschneiden, Muskelverkrampfungen,
markerschütternde Schmerzensschreie, die selbst dem
abgehärtetsten Nervenarzt erschütternd nahegehen.
Petrus, Jakobus und Johannes durften auf dem Berg Tabor
Zeugen der Verklärung Jesu sein. Nach dem Abstieg stießen sie
auf den restlichen Jüngerkreis, umringt von einer aufgebrachten
Menge. Während ihrer Abwesenheit mußte sich etwas
Schreckliches ereignet haben. Es war den Gesichtern anzusehen.
Vergeblich hatten die Jünger versucht, einen besessenen Knaben
zu heilen. Jetzt tritt der Vater vor Jesus und schildert das
entsetzliche Schicksal seines Kindes. Während der Anfälle, die
ihn seit frühester Kindheit plagen, leide der Sohn unter
Sprachlosigkeit, von unsichtbarer Hand werden ihm Schläge
verpasst, er werde auf den Boden niedergerissen, Schaum trete
ihm vor den Mund, er knirsche mit den Zähnen und falle in eine
Starre. Dann versuche der Dämon, das Kind in den Selbstmord
zu stürzen, werfe es ins Feuer oder Wasser. Jesus gerät über den
missglückten Exorzismus in Zorn und verurteilt seine Jünger vor
aller Öffentlichkeit wegen ihres schwachen Glaubens: »O du
ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie
lange soll ich euch ertragen?« (Markus 9.19)
Dann wird der Knabe vorgeführt. Sofort bäumt sich der
Widersacher auf und zwingt sein wehrloses Opfer mit einem
epileptischen Anfall zu Boden. »Und er fiel auf die Erde, wälzte
sich und hatte Schaum vor dem Mund« (Markus 9.20). Jesus
möge sich der Familie erbarmen, wenn er Macht über die
Geister besitze. Alles sei dem möglich, der glaubt, erwidert
Jesus. Der Vater schreit auf, denn der Sohn ist ja während des
Anfalls taub und stumm. Beide sind eins, der Vater und der
Sohn, beider Glaube liegt danieder, beide sind zermürbt von
dem, was sie gefangen hält. »Ich glaube; hilf meinem
Unglauben!« (Markus 9.24). Ein Wörtchen kann den Satan

-113-
fällen, wird später Martin Luther (siehe dort) sagen. Als der
Dämon weicht, zeigt er noch einmal seine zerstörerische Kraft,
so daß die Umstehenden glauben, der Knabe sei während der
Austreibung gestorben, denn für eine Zeit liegt er da wie tot.
Doch wie Gott den Adam ins Leben rief, so reicht Jesus jetzt
dem Knaben die Hand und richtet ihn zu neuem Leben auf. Die
lange Krankheit der Gottesferne ist geheilt.

Judas

Der Fall »Judas« galt über Jahrhunderte als eindeutig gelöst.


Judas sollte seinen Herrn aus niedrigen Motiven verraten haben.
Der »Judaslohn« betrug 30 Silberlinge. Der Jünger Jesu führte
das Verha ftungskommando in den Garten Gethsemane am
Ölberg. Als Erkennungszeichen hatte er mit den Soldaten einen
Kuss, den »Judaskuss«, verabredet. Nach katholischer
Auffassung muß Judas zur Strafe für diesen Verrat in den
ewigen Flammen der Hölle (siehe dort) schmoren. Aus heutiger
Sicht erscheint der Fall »Judas« jedoch einer Revision bedürftig.
Schon das überaus harte Urteil will nicht überzeugen, denn
schließlich hatte auch der erste Papst seinen Herrn drei Mal
verraten. Petrus und Judas: Beide haben Jesus geliebt, beide
haben ihn verraten. Der eine wird später in Rom der erste Papst,
den anderen verdammt die Kirche zur ewigen Feuerqual in der
Hölle. Der eine hat die Macht, Menschen von Sünden zu
erlösen, der andere ist der ewig Unerlöste. Der eine ist erwählt,
der andere verflucht.
Wer war Judas wirklich? Ein Verführer oder der Verführte?
Täter oder Opfer? Handelte er frei, oder war er lediglich
Handlanger Gottes? War seine Tat Ausdruck abgrundtief
boshaften Verrates oder geheimnisvolles Instrument der Gnade?
Die Gestalt des Judas ist bereits in den biblischen Berichten
schillernd. So viel aber ist gewiss: Am Anfang war die Liebe.

-114-
Judas liebte Jesus mehr als alles andere auf der Welt. Ihm folgte
er nach, für ihn wurde er ein Wanderer, für ihn gab er allen
Besitz und sämtliche Bindungen auf. Sein vollständiger Name
lautete Judas Iskariot, Sohn des Simon. Wie aber kam es zum
Bruch mit Jesus?
Vor dem letzten Abendmahl, das Jesus mit seinen zwölf
Jüngern feiert, vor dieser geheimnisvollen Verschmelzung von
Leben und Tod im Mysterium des Neuen Bundes hatte Judas
bereits seinen Herrn an die Hohenpriester und Schriftgelehrten
verraten. Die jüdische Obrigkeit, so will Lukas wissen, habe
Jesus gefürchtet und deshalb nach seinem Tod getrachtet.
Jahrhundertelang sind die religiösen Führer zur Zeit Jesu als
blutrünstig dargestellt worden. Ihnen wurde die Schuld am Tode
Jesu zugesprochen. Das hat dem Antisemitismus und
AntiJudaismus einen schrecklichen Nährboden verschafft. Wer
die Schuld am Tod Jesu auf jüdischer Seite sucht, der verurteilt
sie zu Unrecht. Jesus wurde auch nicht das Opfer eines
tragischen Justizirrtums oder seines politischen Engagements für
die Armen. Immer wieder verteufeln christliche Gottesdenker
den Menschen, um Gott zu entlasten. Doch wie bei dem
frommen Gottesknecht Hiob steht auch das Leiden Jesu in
einem rational nicht vollständig aufzuhellenden Zusammenhang
mit dem Willen Gottes, in dessen Plänen Satan wieder eine
Rolle spielt.
Warum hat Judas seinen Herrn verraten? Wer den Bericht des
Lukas liest, erhä lt auf die Frage eine klare Antwort: Judas sei
ein Opfer des Teufels geworden. In der Sprache der Religionen
wird diese Entmachtung des Menschen, die ihn zum
Ausführungsorgan eines fremden, bösen Willens degradiert,
»Besessenheit« (siehe dort, Exorzismus) genannt. Judas, so
Lukas' Behauptung, sei vom Satan besessen gewesen. »Es fuhr
aber der Satan in Judas, genannt Iskariot, der zur Zahl der Zwölf
gehörte. Und er ging hin und redete mit den Hohenpriestern und
mit den Hauptleuten darüber, wie er ihn an sie verraten könnte.

-115-
Und sie wurden froh und versprachen, ihm Geld zu geben. Und
er sagte es zu und suchte eine Gelegenheit, daß er ihn an sie
verriete ohne Aufsehen.« (Lukas 22.3-6) Die jüdische Obrigkeit
wollte also Jesus, der öffentlich predigte und jederzeit
festzunehmen war, heimlich verhaften, damit seine
Gefangennahme keinen Skandal auslöste. Dazu brauchte sie die
Mithilfe eines Informanten, der mit den Gewohnheiten des
Nazareners vertraut war.
Zu diesem Plan der Geheimhaltung der Verhaftung will
jedoch die später erfolgte öffentliche Kreuzigung nicht passen.
Widersprüchlich scheint auch die zweifache Begründung des
Verrates. Erst heißt es, Judas sei vom Satan verführt worden,
dann berichtet Lukas von einem Geldangebot der Juden. Schon
an dieser Stelle durchdringen sich die Motive. Der Verrat soll
Werk des Teufels und zugleich Ausdruck der Geldgier gewesen
sein. Aber ist dies glaubwürdig? Judas hatte ja, um Jesus
nachzufolgen, allen Besitz aufgegeben. Gerade er, der auf
Reichtum und alle Schätze der Welt nichts gab, gerade er soll
aus diesem niedrigen Motiv seinen Herrn verraten haben?
Andere spekulierten über Judas' persönliche Motive und
vermuteten, er sei ein Zelot, ein jüdischer Widerstandskämpfer
gegen die römische Besatzungsmacht gewesen, der von Jesus
eine politische Befreiung Palästinas erwartet und sich nun
enttäuscht von ihm zurückgezogen habe. Das sind hilflose
Versuche einer Rationalisierung des Geheimnisses der
Lebenshingabe Jesu, in die Judas verstrickt wird.
Festzuhalten ist: Der Tod Jesu war eine bei Gott beschlossene
Sache. Ohne Gottes Erlaubnis hätte Satan niemals Judas zum
Verrat treiben können. Der Teufel war in Judas gefahren. Ist
also Satan der Schuldige? Wohl kaum! Denn welches Motiv
sollte ausgerechnet er gehabt haben, das Werk der Erlösung
voranzutreiben? Satan war der Feind des Menschen. Wegen des
Menschen war er aus dem Himmel gefallen. Jesu Opfertod sollte
das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen wieder heilen,

-116-
die Sünde überwinden und einen neuen Menschen schaffen. Die
Erlösung war ein Werk gegen die Macht Satans. Wenn Satan
mit Hilfe von Judas den Gang der Passion vorantreibt, dann tut
er dies gegen seine eigenen Interessen. Er handelte also wohl
kaum freiwillig, sondern im Auftrag Gottes.
Wer trägt also die Schuld an der Passion? Judas ist der
Verführte und der Verführer. Er ist schuldlos schuldig. Sein
Handeln ist frei und vorherbestimmt. Jesus selbst spricht dieses
Paradox vor seinen zwölf Jüngern beim Abendmahl aus: »Denn
der Menschensohn geht zwar dahin, wie es beschlossen ist, doch
weh dem Menschen, durch den er verraten wird!« (Lukas 22.22)
Die Jünger sind entsetzt über diesen Ausspruch, wollen auch
wissen, wer unter ihnen der Verräter ist. Jesus enthält sich einer
klaren Antwort. Seine Andeutungen werden noch
geheimnisvoller. Vor Petrus enthüllt er das Ergebnis seines
Gespräches mit Gott und dem Teufel: »Simon, Simon, siehe, der
Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe
für dich gebetet, daß dein Glaube nicht aufhöre« (Lukas 22.31-
32). Was sollen die Rätselworte bedeuten?
Offenbar hatte es im Himmel Verhandlungen über den Ablauf
der Passion und die Zeit danach gegeben. Satans Mithilfe beim
Tod Jesu konnte nur als Strafe angesehen werden, weil hier der
Teufel gegen seine eigenen Interessen handeln mußte. Hatte es
zwischen Gott und Teufel einen Handel gegeben? »Ich verführe
Judas, damit er Dein Erlösungswerk vorantreibt - Du gibst mir
dafür seine Seele.« Davon ist nicht die Rede. Seit seinem Sturz
aus dem höchsten Engelchor (siehe Engelsturz) hatte der Te ufel
den Menschen nachgestellt. Nun sollte eine neue Epoche
beginnen, die Zeit der Erlösung. Die besondere Aufmerksamkeit
des Satans würde fortan den Menschen gelten, die sich als
Christen bezeichneten. Der Teufel hatte es auf die christliche
Kerngemeinde, den Jüngerkreis, abgesehen. Der Ankläger
vermutete, daß sich viele schwankende Geister und spirituelle
Leichtgewichte unter den Jüngern befänden. Er wollte nach dem

-117-
Tod Jesu die Wahrheit ans Licht bringen, Gläubige von
Scheingläubigen, den Weizen von der Spreu trennen. Ja, die Zeit
des
Siebens hatte eigentlich schon begonnen. Gott hatte Satan
dazu die Vollmacht erteilt. Jesus dagegen hatte als Verteidiger
der Menschen Gott gebeten, er möge ihre Glaubenskraft stärken,
daß sie nicht zum Opfer des Teufels würden.
Petrus ist schier entsetzt über Jesu Enthüllungen. Wie könne
Jesus nur annehmen, er würde jemals schwach im Glauben
werden? Er sei bereit, mit Jesus ins Gefängnis und in den Tod zu
gehen. Großspurige Worte eines Mannes, der bei der ersten
Anfechtung umgeworfen wird. Jesus prophezeit ihm einen
dreifachen Verrat. Im Garten Gethsemane erscheint Judas mit
den Häschern und identifiziert Jesus mit einem Kuss. Nach der
Gefangennahme Jesu wird Petrus als einer seiner Jünger
erkannt. Wie vorhergesagt, verleugnet er drei Mal seinen Herrn.
Auf dem Hof vor dem Haus des Hohenpriesters, wo Jesus
gefangengehalten wurde, hatte Petrus gewartet, war identifiziert
worden und hatte seinen Herrn verleugnet. Dann verließ er den
Hof »und weinte bitterlich« (Lukas 22.62).
Von einer Versöhnung zwischen Petrus und Jesus ist nicht die
Rede. Nach Jesu Auferstehung war Petrus plötzlich zum
Oberhaupt der Jüngergruppe aufgestiegen, vom Verräter zum
Führer geworden. Judas dagegen hatte sich von dem Geld, das
er für den Verrat erhalten haben soll, einen Acker gekauft und
verunglückte hier tödlich, so daß seine Eingeweide
hervorquollen (Apostelgeschichte 1.18). Dieses Ende ist wenig
glaubwürdig. Was in aller Welt wollte ein ehemaliger Jünger
Jesu mit einem Acker vor den Toren Jerusalems? Wein
anbauen? Mit Grundstücken spekulieren? Wahrscheinlicher ist
das Ende, von dem Matthäus berichtet.
Bei diesem Evangelisten wird zudem deutlich, daß Judas
selbst nicht mit dem Tod Jesu gerechnet hatte und schon gar
nichts von der göttlichen Vorherbestimmung seines Tuns
-118-
wusste. Als er erfährt, daß Jesus zum Tod verurteilt worden ist,
bereut er seine Tat. Er geht mit den dreißig Silberlingen zu den
Hohenpriestern und Ältesten und will ihnen das Geld
zurückgeben. Hoffte er, er könne Jesus wieder freikaufen, den
Verrat rückgängig machen? Im Gegensatz zu Petrus gesteht er
sogar öffentlich seine Schuld: »Ich habe Unrecht getan, daß ich
unschuldiges Blut verraten habe.« Die Priester lassen sich von
den Gewissensproblemen des Mannes nicht beeindrucken: »Was
geht uns das an? Da sieh du zu!« (Matthäus 27.4) Auch die
Kirche wird später diese öffentliche Beichte in ihrem
erbarmungslosen Urteil über Judas nicht berücksichtigen. Judas
fällt durch die Maschen des Gnadennetzes in den Abgrund der
Hölle.
Einen Grund für seine ewige Verdammnis sah die Kirche in
dem Selbstmord. Nachdem Judas seinen Herrn nicht auslösen
konnte, warf er »die Silberlinge in den Tempel, ging fort und
erhängte sich« (Matthäus 27.5). Selbstmord galt später als
Todsünde. Daß Judas keinen Ausweg mehr sah, wurde ihm nicht
verziehen. Niemand hatte Mitleid mit dem Mann, der seine
Schuld nicht mehr ertragen konnte und seinem Herrn in den Tod
nachfolgte. Judas hatte Jesus geliebt. Er hatte ihn verraten.
Vielleicht aus enttäuschter Liebe. Jesu Tod aber hatte er nach
dem Bericht des Matthäus nicht gewollt. Auch die Priester
wollten mit dem Blutgeld nichts zu tun haben. Für sakrale
Zwecke war es nicht mehr zu gebrauchen. So kauften sie davon
einen Acker zum Begräbnis für Nichtjuden vor den Toren
Jerusalems.
Bei Matthäus tritt die menschliche Seite des Judas in seiner
Verzweiflung am stärksten hervor. Lukas weiß Judas als
schuldlos schuldiges Instrument in der Hand Satans. Er ist das
»Bauernopfer« der Erlösung, erwählt zum Verrat und nach dem
Abschluss des Erlösungswerkes niedergestreckt durch ein
Gottesurteil auf dem Blutacker Hakeldamach.
Johannes überbietet die Vorstellung von der absoluten

-119-
Vorherbestimmung des Verrates. Nach einer langen Predigt vor
einer großen Jüngerschar spricht Jesus im Johannesevangelium
deutliche Worte über den wirklichen Glauben derjenigen, die
vorgeben, ihm treu ergeben zu sein. Niemand solle ihm oder
sich selbst etwas vormachen. Der Herr kenne die Herzen der
Menschen. »Es gibt einige unter euch, die glauben nicht.«
(6.64a) Das sind die Wölfe unter den Schafen. Und nach den
harten Worten Jesu verlassen sie die Herde.
Zurück bleibt der harte Kern, unter ihnen Judas. »Jesus wusste
von Anfang an, wer die waren, die nicht glaubten, und wer ihn
verraten würde.« (6.64b) Jesus wusste folglich auch, daß in dem
Zwölferkreis ein Verräter verborgen war. Den Jüngern
gegenüber spricht er es offen aus: »Einer von euch ist ein
Teufel.« (6.70b)
Wusste Judas zu diesem Zeitpunkt, daß er Jesus verraten
würde? Hatte er sich bewußt mit der Absicht des Verrates in den
Kreis geschlichen? Wohl kaum. Jesus hatte ihn wie alle anderen
Jünger berufen. »Habe ich nicht euch, die Zwölf, erwählt?«
(6.70a) Es gibt hier keinen Zweifel und keine Deutelei: Der
Verräter Judas hatte sich nicht heimtückisch an Jesus
herangeschlichen. Als Jesus der großen Masse Unglauben
vorwarf und sich von da an viele ehemalige Jünger von ihm
abwandten, war Judas nicht darunter. Er hatte keine Zweifel. Er
liebte seinen Herrn, und er wusste nicht, daß er der Verräter sein
würde.
Niemand hat jemals die Frage gestellt, wie Gott es zulassen
konnte, daß Judas zum Verräter wurde. Unter allen
Denunziationen und Halbwahrheiten, die über Judas gehäuft
wurden, sind sein wahrer Charakter und seine Empfindungen
kaum auszumachen. Auch Johannes unterstellt ihm Geldgier.
Judas war im Zwölferkreis der Finanzexperte. Er verwaltete die
gemeinsame Reisekasse der Jünger. Als Jesus in Betanien von
Maria mit einem Pfund kostbaren Salböls von reiner Narde an
den Füßen gesalbt wurde, erregte sich Judas über die

-120-
Geldverschwendung. Man hätte das Öl für dreihundert
Silbergroschen, also den Wert von zehn großen Ackern,
verkaufen und das Geld den Armen geben können.
Johannes zerstört diesen sympathischen sozialen
Charakterzug sofort mit dem Kommentar, Judas habe sich in
Wahrheit überhaupt nicht um das Schicksal der Armen
gekümmert, sondern hätte als Verwalter des gemeinsamen
Geldbeutels der Gruppe, aus dem auch die Almosen gespendet
wurden, Geld in die eigene Tasche gewirtschaftet: »Er war ein
Dieb, denn er hatte den Geldbeutel und nahm an sich, was
gegeben war« (Johannes 12.6). Judas wird hier das Klischee
vom geldgierigen Juden angeheftet. Es bleibt für die
kommenden Ereignisse jedoch ohne Bedeutung.
Der Verrat ist Sache des Teufels. In zwei Angriffen nimmt er
Judas in Besitz. Zuerst ist Judas vom Teufel umsessen, dann
besessen. Vor dem Pessachfest beim gemeinsamen Abendessen
gab Satan Judas den Gedanken ins Herz, Jesus zu verraten.
Auch bei Johannes weist Jesus darauf hin, daß unter den
Zwölfen ein Verräter sei. Die Jünger blicken sich gegenseitig an
und sind entsetzt. Wer von ihnen könnte es sein? Niemand wagt,
den Herrn direkt zu fragen. In der Zwölfergruppe gibt es nur
einen, der dies wagen könnte. Es ist der Lieblingsjünger
Johannes. Bei Tisch liegt er an der Brust Jesu, ein Bild zärtlicher
Männerfreundschaft und geistlicher Nähe.
Petrus bittet Johannes, er möge nachfragen, wer unter ihnen
der Verräter sei. Johannes kuschelt sich an Jesu Brust und fragt:
»Herr, wer ist's?« Jesus flüstert Johannes die Antwort ins Ohr.
Die übrigen Jünger erfahren also den Namen nicht. »Der ist's,
dem ich den Bissen eintauche und gebe.« Der dem Jünger
überreichte Bissen gilt als Zeichen besonderer Zuwendung des
Meisters, als ein Liebesdienst. Niemand merkt auf, als Jesus
Judas den Bissen reicht. Sollte es eine Trübung ihres
Verhältnisses gegeben haben, so war diese äußerlich nicht
bemerkbar. Entscheidend ist, was mit der Übergabe des Bissens

-121-
unsichtbar geschieht. Auch Johannes weiß nicht, was hier
eigentlich gespielt wird. Als Judas »den Bissen nahm, fuhr der
Satan in ihn«. Aus der Umsessenheit ist eine Besessenheit
geworden. Eine Transsubstantiation des Bösen hat sich ereignet,
ein diabolisches Gegenstück zum Abendmahl. Jesus wusste, was
geschehen würde. Er fordert Judas auf: »Was du tust, das tue
bald!« (Johannes 13.27) Keiner der Jünger versteht, was
gemeint ist. Judas steht auf und verläßt den Raum. Die anderen
denken, Jesus habe ihn zum Einkauf von Festzutaten für das
Pessachfest geschickt.
Der wahre Judas liegt unter den drei Charakteren, die
Johannes, Lukas und Matthäus von ihm zeichnen, verborgen.
Rivalitätskräfte und Streit um die Rangordnung hatte es unter
den Jüngern bereits zu Jesu Lebzeiten gegeben. Vielleicht war
Judas, und nicht Johannes, der Lieblingsjünger Jesu. Er war
zuverlässig, sonst hätte ihm Jesus nicht die Reisekasse
anvertraut; er war voller Fürsorge für die Armen. Warum fuhr
der Satan in ihn und nicht in einen anderen der Zwölf? Denkbar
ist, daß er, den die Jünger verwerfen, der Erwählte gewesen war.
Und genau diese Erwählung stieß bei den Jüngern auf völliges
Unverständnis. Judas stellte sich in den Dienst des
Erlösungswerkes, das so unbegreiflich war, daß selbst die
Jünger die Notwendigkeit des Todes am Kreuz nicht verstanden.
Sie flohen und verleugneten ihren Herrn, sie standen nicht unter
dem Kreuz und glaubten den Frauen nicht, als sie von der
Auferstehung berichteten. Sie waren Zweifler. Einer mußte
Jesus an die Obrigkeit ausliefern, und es konnte nur ein
zuverlässiger Jünger sein, der mehr von dem Geheimnis des
Kreuzes begriff als alle anderen.
Vielleicht war Judas ein Liebesmystiker, der glaubte, daß Gott
auch in der Nacht der Gottesferne zu finden ist. Dann hätte er
letztlich einen Liebesdienst ausgeführt, weil er mit Jesus den
Zusammenhang von Liebe, Opfer und Versöhnung begriffen
hatte. Sollte tatsächlich zwischen Jesus und Judas dieses tiefe

-122-
Einverständnis geherrscht haben, dann erhält auch die letzte
Begegnung im Garten Gethsemane eine hintergründige
Bedeutung. Judas war mit den Soldaten in den Garten
gekommen und hatte Jesus mit einem Kuss identifiziert. Warum
wählte er den Kuss als Erkennungszeichen? Er hätte den
Häschern ebensogut ins Ohr flüstern können, welcher der
Männer Jesus war, oder er hätte mit dem Finger auf ihn weisen
können. Der Kuss ist ein Zeichen der Liebe und eine
Abschiedsgeste. In der Mystik gilt der Kuss als Hinweis auf die
Vereinigung von Gott und Mensch. Wenn dies der Sinn des
Kusses zwischen Jesus und Judas gewesen war, dann hatte ihn
niemand verstanden.

Judentum

Warum läßt Gott die Verfolgung des jüdischen Volkes zu?


Das ist die Frage, die sich im Jahr 70 nach Christus der
jüdischen Gemeinde stellt. Zum zweiten Mal ist der Tempel
Salomons in Jerusalem zerstört worden. Ein Jude mit Namen
Esra sucht nach einer Antwort. Denkt Esra über das Schicksal
seines Volkes nach, dann stößt er auf unlösbare Probleme. Gott
hat sein Volk den Römern preisgegeben. Er hat zugelassen, daß
Jerusalem dem Erdboden gleichgemacht und das erwählte Volk
über den Erdkreis zerstreut wurde. Warum handelte Gott so?
Sind Antisemitismus und Verfolgung eine Strafe Gottes für die
Sünden des Volkes Israel?
Gott ist gerecht. Er straft nicht ohne Grund. So denkt Esra, so
glauben viele Fromme. Esra hat das römische Leben vor Augen.
Die Römer sind keineswegs frommer und gottesfürchtiger als
sein Volk. Also stimmt der Zusammenhang von Tun und
Ergehen nicht, nach dem der Fromme gut, der Sünder dagegen
schlecht leben werde. »Denn ich habe die Völker hin und her
durchwandert und sie im Glück gesehen, obwohl sie deine

-123-
Gebote vergessen hatten.« Dreißig Jahre versucht Esra über den
Widerspruch nachzudenken. Überall auf der Welt leben Sünder,
in Jerusalem ebenso wie in Rom. Warum aber wird das Volk
Israel von Gott bestraft, die anderen Völker jedoch nicht?
Eines Tages liegt Esra auf dem Bett. Er denkt wieder über
Gottes Gerechtigkeit nach, vor den inneren Augen erscheinen
Rom mit seinen vielen Göttertempeln und die zerstörte
Gottesstadt Jerusalem. Da überfällt ihn Bestürzung, sein Herz
erzittert. Eine heftige Erregung ergreift seine Seele und eine
namenlose Angst. Jetzt bricht es aus Esra hervor. Er fordert
Gottes Antwort heraus. Er hadert mit Gott. Esra spricht von der
Geburt des Menschen im Garten Eden, von der Kindheit und der
besonderen Erwählung Israels. Warum hat Gott seine Kinder ins
Unglück laufen lassen! Gott bleibt nicht stumm. Er schickt den
Engel Uriel. Der tritt geschäftsmäßig auf: »Dein Herz entsetzt
sich über diese Welt, und du wünschst, die Wege des Höchsten
zu begreifen?« Die Antwort fällt nach dem Muster der
Rätselfragen aus, vor denen Hiob (siehe dort) in die Knie ging.
Uriel stellt Gegenfragen: Wie schwer ist das Gewicht des
Feuers? Wie lang ist der Wind? Wo ist der gestrige Tag
geblieben? Esra solle ihn zurückholen, wenn er's vermag. Esra
läßt sich nicht einschüchtern. Niemand unter den Sterblichen
kann diese Fragen beantworten. Esra wirft Gott vor, er habe
seinen Kindern kein ausreichendes Maß an Vernunft und
Weisheit gegeben, um die großen Fragen des Lebens zu
beantworten.
Als ob es nötig wäre, vermehrt Uriel noch die Probleme und
stellt Fragen nach der Geographie der außerirdischen Welt, den
Toren der Hölle und den Wegen ins Paradies. Seine Absicht ist
klar. Esra soll zum Schweigen gebracht werden wie Hiob. Er
soll erkennen, daß kein Mensch die Geheimnisse der Schöpfung
ergründen kann, und sich mit seiner Begrenztheit zufrieden
geben. Esra soll an einen Gott glauben, den seine Vernunft nicht
zu denken vermag. Das kann er nicht akzeptieren. »Herr, ich

-124-
flehe dich an, weshalb ist mir dann überhaupt das Licht der
Vernunft gegeben?« Ja, er geht noch tiefer und stellt den Sinn
seiner Existenz grundsätzlich in Frage: »Besser wäre es, wir
wären nie auf die Welt gekommen, als nun in Sünden zu leben
und zu leiden und nicht zu wissen, weshalb!«
Deshalb läßt Esra nicht locker. Der Engel hatte ihm gesagt, er
solle sich mit der Begrenztheit seiner Vernunft zufrieden geben.
Die Erdenbewohner könnten nur das Irdische erkennen, nicht
aber die himmlischen Ordnungen Gottes. In ergreifenden
Worten entgegnet Esra, es seien die elementaren irdischen
Fragen, die einer Antwort harrten. Sie beträfen das Überleben
seines Volkes: »Denn ich wollte dich nicht über Dinge fragen,
die uns zu hoch sind, sondern über solche, die uns selber
betreffen, jeden Tag aufs Neue. Weshalb ist Israel den Heiden
hingegeben zur Schmach, dein geliebtes Volk den gottlosen
Stämmen? Das Gesetz unserer Väter ist vernichtet, die
geschriebenen Satzungen sind nicht mehr, wir schwinden aus
der Welt wie Heuschrecken, unser Leben ist ein Rauch.«
Jeder Leser nach der Shoah hört in Esras Worten das Grauen
der Lager mitschwingen und die Klagen derer, die in den
Krematorien verbrannt wurden. Wie kann nach diesen
Katastrophenerfahrungen noch von Gott gesprochen werden?
Der Engel Uriel möge endlich verstehen: Der Ruf Gottes stehe
auf dem Spiel. Esra will nicht, daß die Satanisten und Sadisten
das letzte Wort haben und über den Glauben triumphieren. Dann
endlich erhält er aus dem Mund des Engels eine konkrete
Antwort. Diese Welt, dieser Äon sei so verderbt, die Menschheit
so krank, daß sie nicht mehr geheilt werden könne. Es gäbe nur
eine Hilfe, und die bestünde in der Zerstörung der alten Welt.
Esra werde erstaunt sein, »denn der Äon eilt mit Macht zu
Ende«. Die Apokalypse (siehe dort) dämmere am Horizont, die
Endzeit sei angebrochen.
Der Weltuntergang steht bevor. Wird Esra selbst ihn noch
erleben? Und wie wird das Ende der Zeit sein? Schreckliche

-125-
Katastrophen kündigt der Engel an: Das Land werde in Wüste
verwandelt werden, die Sonne bei Nacht scheinen und der Mond
am Tag. Blut werde von den Bäume n träufeln, und die Steine
werden schreien. Eine Diktatur werde errichtet. Aus dem Meer
ertöne ein fürchterliches Brüllen, an vielen Stellen öffne sich die
Erdkruste und Lavamassen quöllen hervor. Wilde Tiere träten
aus den Urwäldern und Savannen, Frauen gebarten verkrüppelte
und geistig behinderte Kinder. Es herrschten Anarchie und
Willkür. Eine Welt nach dem Supergau, an deren Ende der
Messias erscheine, um alle Menschen zu richten und
Gerechtigkeit herzustellen.
Nur die wenigsten Menschen werden gerettet werden. An
ihnen solle er sich freuen, wie der Herr im Himmel, entgegnet
der Engel, und »keine Trauer hegen über die Menge derer, die
verlorengehn«. Die »massa damnata« werden sie später von den
mittelalterlichen Theologen genannt werden. Esra wollte, daß
sich Gott für das Böse in der Welt rechtfertige. Jetzt ist die
Diskussion an dem Punkt angelangt, wo die meisten Versuche,
Gott verantwortlich zu machen, enden: Dem Menschen wird die
ganze Last des Bösen aufgebürdet. Er trägt die Schuld. Erneut
widerspricht Esra: »Dies bleibt mein erstes und letztes Wort:
Besser wäre es, die Erde hätte Adam nie hervorgebracht oder sie
hätte ihn wenigstens von der Sünde ferngehalten. Denn was hilft
es uns allen, daß wir jetzt in Trübsal leben müssen und nach
dem Tode noch auf Strafe zu warten haben?«
Offenbar gibt es im Himmel keine Antwort auf Esras Fragen,
und so versucht ihn der Engel auf eine andere Weise mundtot zu
machen. Er teilt ihm sein eigenes ewiges Schicksal mit: Esra
gehöre zu den Erwählten, den wenigen Geretteten. Er solle sich
hinfort nicht mehr mit dem Schicksal der verlorenen Masse
plagen und die quälenden Fragen beiseite lassen. Die bösen
Menschen hätten aus freiem Willen gesündigt und erhielten zu
Recht ihre Strafe. Er aber forsche nach der Herrlichkeit des
Paradieses und dem Leben der Geretteten.

-126-
Weil ein unbestechlicher Mann wie Esra nicht zum
Schweigen gebracht werden kann, wird er auf andere Weise aus
dem Verkehr gezogen. Der fromme Rebell wird »befördert« und
bei lebendigem Leibe in den Himmel entrückt, so wie einst die
Gottesmänner Henoch und Elia. Die Frage nun, warum Gott das
Böse in der Welt und im Menschen zulasse, hat keine Antwort
erhalten. Nach dem Holocaust stellt sie sich umso dringlicher.
Wie lassen sich Gottes Gerechtigkeit und seine Güte mit dem
beispiellosen Völkermord vereinbaren?
Im Sommer 2000 erhitzte Rabbi Ovadia Josef die Gemüter in
Israel. Er sagte, die Opfer des Holocaust seien wiedergeborene
Sünder gewesen. Der Rabbi berief sich dabei auf eine Theorie
der Kabbalisten. Nach ihr werden Sünder wiedergeboren, um in
einem zweiten Leben für ihre Sünden zu sühnen. Sünden, so
lehrt das kabbalistische »Buch Bahir«, werden nicht durch eine
Strafe im Jenseits, sondern durch Wiedergeburt vergolten.
Die Frage, wie sich der Glaube an einen guten Gott angesichts
des Leidens rechtfertigen läßt, wird »Theodizee-Frage« oder
»Frage nach der Rechtfertigung Gottes« genannt. Die
Theodizee-Frage jedoch hat weder im Christentum noch im
Judentum jemals eine überzeugende Antwort gefunden. Die
Belastung der Opfer des Holocaust ist keine Entlastung Gottes.
Das Rätsel des Bösen bleibt.

Carl Gustav Jung

In seiner Autobiografie erinnert sich Carl Gustav Jung an ein


Schlüsselerlebnis aus seiner Kindheit: Die Sonne scheint. Ihre
Lichtstrahlen werden glitzernd von den neuen, buntglasierten
Ziegeln des Baseler Münsters widergespiegelt. Ein Bild der
Harmonie von Himmel und Erde ergreift die Seele des Knaben.
»Die Welt ist schön, und die Kirche ist schön, und Gott hat das
alles geschaffen und sitzt darüber, weit oben im blauen Himmel,

-127-
auf einem goldenen Thron und... « - jäh brechen die Gedanken
des Knaben ab. Er spürt in sich einen Widerstand. Er will seine
inneren Bilder unterdrücken, aber es gelingt ihm nicht. »Vor
meinen Augen stand das schöne Münster, darüber der blaue
Himmel, Gott sitzt auf goldenem Thron, hoch über der Welt,
und unter dem Thron fällt ein ungeheures Exkrement auf das
neue bunte Kirchendach, zerschmettert es und bricht die
Kirchenwände auseinander.«
Vom Schulweg heimgekehrt, bemerkt seine Mutter die
Verstörung. Der Knabe kann sich ihr nicht offenbaren. Drei
Nächte schläft er schlecht, dann droht der innere Widerstand
zusammenzubrechen. Ein verzweifelter Aufschrei folgt. Das
Kind klagt Gott an. »Woher kommen solche Dinge? Es ist
passiert ohne mein Zutun. Wieso?« Woher das Böse und die
bösen Gedanken? Vielleicht waren sie des Teufels? Nein, ihren
Ursprung auf den Teufel zu schieben, wäre allzu bequem. Hatte
Gott nicht den Teufel geschaffen? Jung will sich über den Bösen
informieren. Sein Vater ist Pfarrer. In der Bibliothek des Vaters
studiert er die dogmatischen und systematischen Lehrbücher.
Doch was wussten die Theologen über den Teufel! Die
Wissenschaft hatte ihn verbannt. Ihm aber saß er im Nacken.
Wenn Gott der Urheber von allem war, dann auch der
Gedanken, die er auf dem Münsterplatz nicht zu denken wagte.
Hätten Adam und Eva sündigen können, wenn es Gott nicht
gewollt hätte? Das Böse kam von Gott.
Der Kirchenvater Augustinus sei nicht tief genug ins
Geheimnis der Gottheit vorgedrungen, als er das Böse als bloße
Minderung des Guten (»privatio boni«) definierte. Jung kam zu
dem Ergebnis, daß auch Gott eine Schattenseite habe. »Ich war
in etwas Übles hineingestoßen, in etwas Böses oder Finsteres,
und es war doch zugleich wie eine Auszeichnung.« Konnte das
neue Gottesbild mit dem lieben Gott des reformierten Schweizer
Pfarrhauses vereinbart werden? Jungs Gott war Licht und
Schatten, unergründliches Geheimnis.

-128-
Mütterlicherseits zählte Jungs Familie sechs, väterlicherseits
drei Pfarrer. Von nun an wohnte der Dreizehnjährige den
Predigten, theologischen Diskussionen und religiösen
Gesprächen mit dem Bewußtsein der Überlegenheit bei. »Ja, ja,
das ist ganz schön. Aber wie verhält es sich mit dem
Geheimnis? Es ist ja auch das Geheimnis der Gnade. Ihr wisst
nichts davon. Ihr wisst nicht, daß Gott will, daß ich sogar das
Unrecht tue, das Verwerfliche denke, um seine Gnade zu
erleben.« Während der Konfirmation vollzieht sich der
endgültige innere Bruch mit dem Vater und der Kirche. »Zur
›Gotteswelt‹ gehörte alles ›Übermenschliche‹, blendendes Licht,
Finsternis des Abgrunds, die kalte Apathie des Grenzenlosen in
Zeit und Raum und das unheimliche Groteske der irrationalen
Zufallswelt. ›Gott‹ war für mich alles, nur nicht erbaulich.«
In der großen Selbstanalyse während des Ersten Weltkriegs
entdeckt Jung das Mandala als therapeutisches Mittel, den
Gegensatz von Licht und Schatten in ein Gleichgewicht der
Kräfte zu bringen. Es entsteht das Mandala »Systema mundi
totius« (1916) mit dem gnostischen Gott Abraxas als Herrn der
Welt (siehe Gnosis). Gleichzeitig versucht Jung eine literarische
Verdichtung seiner inneren Erfahrungen mit dem Traktat
»Septem Sermones ad Mortuos«. Die sieben Belehrungen im
Stil des »Zarathustra« werden dem Gnostiker Basilides in den
Mund gelegt. In ihnen fungiert Abraxas als Symbol der
Lebenskraft.
»Der Abraxas zeugt Wahrheit und lüge, gutes und böses,
licht und finsternis im selben wort, und in derselben tat.
Darum ist der Abraxas furchtbar.
(...)
Er ist das Volle, das sich mit dem Leeren einigt.
Er ist die heilige begattung, Er ist die liebe und der mord,
Er ist der heilige und sein verraten
Er ist das hellste licht des tages und die tiefste nacht des

-129-
Wahnsinns.
Ihn sehen, heißt blindheit,
Ihn erkennen, heißt krankheit,
Ihn anbeten, heißt tod,
Ihn fürchten, heißt Weisheit,
Ihm nicht widerstehen, heißt erlösung.«

Carl Gustav Jung hatte den Schatten nicht erfunden, sondern


eine alte jüdischchristliche Weisheit wiedergefunden. Hinter
dem Brudermörder Kain lauert überlebensgroß der Schatten der
Sünde, Christus hat einen dunklen Begleiter, der ihn in der
Wüste versuchen darf, Mephistopheles (siehe dort) ist Faust als
Schatten zur Seite gestellt. Auch Gott, so meint Jung, besitzt
einen Schatten. »Dem Licht folgt der Schatten, die andere Seite
des Schöpfers.« Gott und Mensch bilden eine
Schicksalsgemeinschaft, beide sind vor die Aufgabe einer Arbeit
an der Bewußtwerdung des Schattens gestellt.
Im Anfang, so spekuliert Jung, geschah eine zweifache
Abspaltung des Schattens aus Gott. Die Schlange weckte im
Adam den Drang nach Wissen und Grenzüberschreitung, die
gefallenen Engel zeugten mit den Menschentöchtern ein
Geschlecht von Riesen (Genesis 6.1-4) und setzten damit den
technischen Entwicklungsprozeß in Gang, der mit dem Turmbau
zu Babel schon bald unbegrenzte Möglichkeiten erreichte. »Es
kommt jetzt nur noch darauf an, ob der Mensch eine höhere
moralische Stufe, das heißt ein höheres Niveau des
Bewußtseins, zu erklimmen vermag, um der übermenschlichen
Macht, die ihm die gefallenen Engel zugespielt haben,
gewachsen zu sein.« Mit der Inkarnation, der Menschwerdung
Christi als dritter Stufe des Wandlungsprozesses, hat das
Zeitalter der Fische begonnen. Die schöpferische
Auseinandersetzung im Wesen der Gottheit finde nun auf der
Bühne der menschlichen Seele statt. Hier soll sich eine

-130-
Bewußtwerdung der Gegensätze von Licht und Schatten
vollziehen. Auf der vierten Stufe dämmert die Hoffnung, daß
Mensch und Gott wie Licht und Schatten in Harmonie wieder
vereint sein werden. Im Dogma der »Assumptio Mariae« (1950)
sah Jung einen zeitgemäßen Ausdruck dieser eschatologischen
Perspektive.
Jung verdeutlicht die Gefahren einer Verdrängung des
Schattens unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in seinem
Aufsatz »Nach der Katastrophe« (1945) am deutschen Beispiel.
Die Deutschen hätten eine »völlige Blindheit für den eigenen
Charakter«, »eine erstaunliche Unwissenheit in Bezug auf den
Schatten« und ein »Nichtwissen um die andere Seite«. Daraus
folge eine »große innere Unsicherheit: man weiß nicht recht,
wer man ist, man fühlt sich irgendwo minderwertig, und
wünscht doch nicht zu wissen, wo, und vergrößert durch diese
neue Minderwertigkeit die schon bestehende. Aus dieser
Unsicherheit ergibt sich die Prestigepsychologie der
Hysterischen, das›Eindruckmachen‹, das Vorführen und
Einhämmern der Verdienste, die nie gestillte Sehnsucht nach
Anerkennung, Bewunderung, Bestätigung, Geliebtwerden. Aus
dieser Unsicherheit ergibt sich auch die Großmäuligkeit,
Anmaßlichkeit, Arroganz, Frechheit und Taktlosigkeit, durch
welche viele Deutsche, die zu Hause hündisch zu Kreuz
kriechen, im Ausland ihrem Volke für eine schlechte Reputation
sorgen.«
Die Frage, die am Ende bleibt, hat Jung sich selbst gestellt:
»Wie lebe ich mit diesem Schatten? Welche Einstellung braucht
es, um trotz dem Bösen leben zu können?« Aus Jungs Welt von
Licht und Schatten gibt es keine Erlösung. Keine Gnade kommt
hier dem Menschen zu Hilfe.

-131-
Kain und Abel

Kain war der erste Mörder auf Erden. Er verdiente seinen


Unterhalt durch Ackerbau. Sein Bruder Abel lebte als Nomade
von der Schafzucht. Da waren Spannungen vorprogrammiert,
wenn Abel mit seinen Herden an Kains Feldern vorbeizog. Kain
und Abel glaubten beide an Gott. Beide brachten ihm
Opfergaben. Doch Kain mußte erleben, daß sein Opfer von Gott
abgewiesen wurde. Abels Opfer dagegen nahm Gott an. Kain
war sich keiner Schuld bewußt. Deshalb empfand er Gottes
Verhalten als ungerecht, und darüber geriet er in so großen
Zorn, daß er seinen Bruder Abel erschlug.
Kains Tat hat sich seitdem hunderttausendfach wiederholt.
Warum hatte Gott Kains Opfer abgelehnt? Sollte er lernen, sich
in Geduld zu üben? Sollte er lernen, Vertrauen zu haben? Sollte
er seine eigene Schattenseite kennenlernen? »Bist du aber nicht
fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie
Verlangen; du aber herrsche über sie« (Genesis 4.7), spricht
Gott zu ihm.
Kain versagt vor der Aufgabe der Freiheit. Er läßt dem
Dämon der Habgier und des Neides Zutritt zu seinem Herzen
und tötet seinen Bruder. Eifersucht, am Ende auch Selbstmitleid
mögen ihn und seine Tat bestimmt haben. Die Folgen des
Brudermords sind verheerend. Durch die Habgier hat sich die
Sünde Zugang zu Kains Seele verschafft. Von ihr wird
gesprochen wie von einem Menschen. Sie lauert vor der Tür des
Herzens. Dann nimmt sie es in Besitz. Kain ist wie ein
Besessener. Die Sünde zerstört den Lebensraum, vernichtet die
berufliche Existenz, trennt Freundschaftsbande. Kain ist
entwurzelt. Aus dem sesshaften Bauern ist ein heimatloser
Wanderer geworden. Erst als er ganz unten ist, hebt er wieder
den Kopf. Wie soll er weiterleben können, unstet und flüchtig

-132-
als Zigeuner unter den Sesshaften, als Gesetzesloser unter den
Nomaden? Soll er sich für den Rest des Lebens vor den
Menschen verbergen, die ihn totschlagen werden wie die
Schlange?
»Und der Herr machte ein Zeichen an Kain, daß ihn niemand
erschlüge, der ihn fände.« (Genesis 4.15) Jeder sollte Kain als
einen von Gott geschützten Menschen erkennen. Das Siegel
zeigte es allen, die ihm Böses wollten. So wurde aus Kain, dem
Mörder, Kain, der Erwählte. Er war schuldig und doch geliebt.

Katholizismus

Bekanntlich läßt der Satan die Atheisten und Agnostiker links


liegen. Warum sollte er auch ein Interesse an Menschen haben,
die nicht an Gott glauben? Doch warum haben Katholiken mehr
Probleme mit dem Leibhaftigen als evangelische Christen? Liegt
es an der Frömmigkeit? Als Luther (siehe dort) auf der
Wartburg die Bibel übersetzte, war auch der Teufel anwesend.
Doch heute? Wo hat man in den letzten 50 Jahren einen
evangelischen Theologen ernsthaft vom Teufel reden hören?
Vielleicht unter den Evangelikaien und schwäbischen Pietisten.
Aber sonst? Auch Papst Paul VI. (1963-1978) hatte sich darüber
Gedanken gemacht, warum gerade Katholiken den
Nachstellungen des Teufels in besonderer Schärfe ausgesetzt
sind. Er hatte nämlich beobachtet, wie »durch eine Ritze der
Rauch des Satans in den Tempel Gottes eingedrungen« war. Im
Osservatore Romano (Nr. 150, 30. Juni/l. Juli 1972) schrieb er:
»Da qualche fessura sia entrato il fumo di Satana nel tempio di
Dio.«
Was war geschehen? Einer Eingebung des Heiligen Geistes
folgend, hatte Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil
(1962-1965) nach Rom einberufen, um über eine weltweite
Erneuerung der Kirche zu beraten. Frischer Gottesbraus sollte

-133-
die alten Gemäuer durchwehen und neuer Glaubenseifer
einkehren. Die Kirche war aufgefordert, sich vorsichtig der
modernen Welt zu öffnen, ohne sich ihr anzupassen. Durch
diese Öffnung sollten die Ausbreitung des Christentums und
eine Vertiefung der Einheit gefördert werden. Johannes XXIII.
starb am 3. Juni 1963. Er hatte nur die erste von vier
Sitzungsperioden des Konzils miterlebt. Jetzt trat Paul VI. seine
Nachfolge auf dem Stuhl Petri an. Unter den würdigen greisen
Erzbischöfen und Kardinalen saßen auch junge, modern
denkende Geistliche. Einer vo n ihnen war der Schweizer
Theologe Hans Küng. Nach dem Ende des Konzils glaubte Paul
VI. feststellen zu müssen, daß mit Theologen wie Hans Küng
der Widersacher selbst unter den Vätern des Konzils gesessen
habe.
Denn kaum war das Konzil beendet, zeigte es Wirkungen, die
der Papst so nicht gewünscht hatte: Liberale Kräfte in der
katholischen Kirche beriefen sich in einer Weise auf das Konzil,
daß sich der Vatikan zu drastischen Korrekturen genötigt sah.
Der Rauch des Satans war in den Tempel Gottes eingedrungen:
Das glaubten auch konservative Gegner des Konzils, die seine
Reformen, besonders die Abschaffung der lateinischen Liturgie
und die Einführung der Handkommunion, als Teufelswerk
verdammten. Statt ökumenischer Einheit hatte das Konzil
Unruhe in die weltweite Gemeinde gebracht. Wissenschaftliche
Theologen pochten auf das Recht einer rationalen, von Rom und
seinen Dogmen freien Auslegung der Bibel. Ultrakonservative,
wie der Erzbischof Marcel Lefebrve, beharrten auf dem
Althergebrachten. Den einen gingen die Reformen des Konzils
zu weit, den anderen nicht weit genug. Die große Einheit der
weltumspannenden großen Mutter Kirche drohte zu zerbrechen,
der »Durcheinanderbringer« schien erfolgreich Verwirrung
gestiftet zu haben.
Es begann die Zeit der großen Lehrprüfungsverfahren und
Abgrenzungen gegen Traditionalisten und allzu liberale

-134-
Theologieprofessoren. Marcel Lefebrve wurde die Befugnis,
Priester zu weihen, entzogen. Er hielt sich nicht an das Verbot.
Offener Ungehorsam gegen Rom an allen Fronten: Das Buch
»Abschied vom Teufel« (1969) des Tübinger
Theologieprofessors Herbert Haag wurde abgelehnt, dann
kamen die Werke von Hans Küng, später der »Fall
Drewermann«. Küngs Bücher »Die Kirche« (1967) und
»Unfehlbar? Eine Anfrage« (1970) wurden Gegenstand eines
römischen Lehrverfahrens, das am 15. Februar 1975 mit dem
Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis endete. Mit der Erklärung
»Mysterium ecclesiae« (24. Juni 1973) hatte die
Glaubenskongregation die Unfehlbarkeit der Kirche erneut
betont und Küng widersprochen.
Außerhalb der kirchlichen Mauern begann die Zeit der Papst-
Schelte. Paul VI., den die Medien gern wegen seiner Enzyklika
»Humanae vitae« (25. Juli 1968) als »Pillen-Paule«
verspotteten, hatte am Nachmittag des 29. Juni 1972 aus
doppeltem Anlass eine Messe im Petersdom gefeiert. Es war das
Fest der Apostel Petrus und Paulus, also der Grundpfeiler der
katholischen Kirche, und zugleich der elfte Jahrestag (21. Juni)
seiner eigenen Ernennung zum Papst. Er blickte zurück auf das
Konzil und erinnerte an die Hoffnungen, die es begleitet hatten.
Zweifel und Unsicherheit hätten sich jetzt unter Christen
ausgebreitet. Der Papst sah den Widersacher Christi und der
Kirche am Werk, und er war überzeugt, »daß etwas
Außernatürliches in die Welt gekommen ist, gerade um die
Früchte des Ökumenischen Konzils zu stören und zu ersticken,
und um zu verhindern, daß die Kirche in den Hymnus der
Freude ausbreche, das Bewußtsein ihrer selbst in Fülle wieder
erlangt zu haben«.
Knapp fünf Monate später vertiefte Paul VI. diese Einsichten
in die düstere Lage der Kirche durch eine Pilgeransprache im
Rahmen der Mittwoch-Generalaudienzen (15. November 1972).
Sie wurde in deutscher Übersetzung am 24. November 1972 im

-135-
»Osservatore Romano« veröffentlicht und fand weltweite
Aufmerksamkeit. Die Ansprache beginnt mit einer Frage: »Was
braucht die Kirche heute am dringendsten?« Ein Drittes
Vatikanisches Konzil mögen viele Gläubige darauf antworten.
Oder eine Reform der Sexualethik, die Freigabe der Pille, die
Aufhebung des Pflichtzölibats, die Frauenordination. Der Papst
weiß, daß er eine unpopuläre Antwort geben wird, und macht
deshalb eine vermittelnde Einleitung. »Unsere Antwort soll euch
nicht erstaunen, nicht einfältig oder geradezu abergläubisch und
unrealistisch vorkommen: Eines der größten Bedürfnisse der
Kirche ist die Abwehr jenes Bösen, den wir den Teufel nennen.«
Da sind die Reaktionen der Öffentlichkeit vorweggenommen:
Unverständnis, Kopfschütteln, Vorwurf des dunklen
Aberglaubens, anti-aufklärerischen Denkens, der Dummheit und
Ignoranz. Anfang der siebziger Jahre kennt man den Teufel aus
der Rockmusik, aus Horrorfilmen und Romanen. Deshalb
erinnert Paul VI. ausführlich an die biblischen Aussagen vom
Wesen und Wirken des Teufels, dem »Gott dieser Welt« (2.
Korintherbrief 4.4), dem »Vater der Lü ge« und »Mörder von
Anfang an« (Johannes 8.44-45). Die Rede vom Teufel sei keine
Marginalie im Christentum, sondern ihr komme eine zentrale
Rolle zu. Leider fliehe die Theologie vor der wichtigen
Aufgabe, die Teufelslehre neu und zeitgemäß zu formulieren.
Sie sei »ein sehr wichtiger Abschnitt der katholischen Lehre«.
Immerhin wagt der Papst einige Hinweise auf die Bereiche, wo
der Teufel in den siebziger Jahren sein Unwesen treibe. Sein
Wirken sei überall dort anzunehmen, »wo die Leugnung Gottes
radikale, scharfe und absurde Formen annimmt, wo die Lüge
sich heuchlerisch und mächtig gegen die offenkundige Wahrheit
behauptet, wo die Liebe von einem kalten, brutalen Egoismus
ausgelöscht wird, wo der Name Christi mit bewußtem und
aufrührerischem Hass bekämpft wird, wo der Geist des
Evangeliums ins Reich der Märchen verbannt und verleugnet
wird, wo die Verzweiflung das letzte Wort behält.« Wie kann

-136-
sich die Christenheit gegen die Versuchungen des Teufels
verteidigen? Die päpstliche Antwort lautet: »Die Gnade ist und
bleibt die entscheidende Verteidigung.«
Am 13. August 1986 nimmt der Nachfolger Pauls VI. direkten
Bezug auf die Ansprache. Johannes Paul II. (seit 16. Oktober
1978 im Amt) zitiert ausführlich dogmatische und biblische
Aussagen über den Teufel, unter anderem den ersten
Johannesbrief: »Die ganze Welt steht unter der Macht des
Bösen« (5.19), und beschreibt die Lage der Kirche in den
achtziger Jahren. Der »Zustand des Kampfes« gehöre »zum
Leben der Kirche«. Ihr Gegner, der Teufel, zähle zu jenen
Geistern, »die radikal und unwiderruflich Gott und sein Reich
zurückgewiesen, sich Gottes Herrscherrechte angemaßt und
versucht haben, die Heilsökonomie und die Ordnung alles
Geschaffenen umzukehren.« Der Teufel sei also da am Werke,
wo der Mensch in die »Haltung der Rivalität, der
Widersetzlichkeit und der Opposition gegen Gott« verfallen sei,
wo die Wahrheit Gottes abgelehnt werde. Der Papst erinnert
daran, daß der Teufel gerne unerkannt bleiben will. »Der
Einfluss des bösen Geistes kann ganz tief im Dunkeln verborgen
am Werk sein; es entspricht ja seinen Interessen, unerkannt zu
bleiben. Die besondere Gewandtheit des Teufels in dieser Welt
besteht darin, die Menschen dazu zu verführen, seine Existenz
zu leugnen, und zwar im Namen des Rationalismus und eines
jeden derartigen Denksystems, das alle möglichen Ausflüchte
sucht, um ja nicht das Wirken des Teufels zugeben zu müssen.«

Krimineller Satanismus

Der Satanist wendet sich von der Kirche und dem christlichen
Gott ab. Doch nicht jeder Satanist ist damit zugleich ein
Krimineller. Vielleicht ist er psychisch gestört, vielleicht benutzt
er den Namen Satans als Metapher für einen Protest gegen die

-137-
überlieferten Vorstellungen von Moral (siehe
Protestsatanismus), vielleicht ist er auch nur ein armseliger
Spinner und Wichtigtuer. Erst die Verbindung von Satanismus
und Sadismus ist ein strafwürdiges Vergehen. Zum kriminellen
Satanismus gehören Friedhofs- und Leichenschändung, die
Tötung von Tieren und der rituelle Missbrauch (siehe Schwarze
Messe) von Kindern und jungen Frauen. Diese Form des
sadistischen Satanismus geht auf Marquis de Sade (1740-1814)
zurück. Es sind Männerfantasien übelster Art.
Alles ist böse, alles ist Satans Werk, so lautet der Wahlspruch
von Donatien-Alphonse-François Marquis de Sade. Seine
Romane wollen die Absurdität des christlichen Glaubens vor
Augen führen. »Ich sage mir: Es gibt einen Gott; was ich
erblicke, hat eine Hand geschaffen, aber um des Bösen willen.
Ihr gefällt nur das Böse; das Böse und ihr Wesen; was immer sie
uns an Verbrechen begehen läßt, ist für ihre Pläne unerlässlich.
Der Schöpfer des Alls ist das boshafteste, grausamste,
fürchterlichste aller Wesen. Er wird also auch nach den
Geschöpfen existieren, welche diese Welt bevölkern. Und in ihn
werden sie alle zurückkehren, um andere, noch bösartigere
Wesen hervorzubringen.«
De Sades Welt ist sozial-darwinistisch, sie kennt keine Moral.
Das tugendhafte Leben führt ins Elend, das Laster in den
Wohlstand. »Warum habt ihr euch auf die Pfade der Tugend
verirrt, da ihr doch wissen mußtet, daß alles auf Erden Laster
und Verbrechen ist?«, so läßt de Sade den Gott-Teufel sprechen.
»In welcher meiner Taten habt ihr mich denn als Wohltäter
wirken sehen? Habe ich euch nicht Pest, Bürgerkrieg, Krankheit,
Erdbeben, Unwetter gesandt? Habe ich nicht unaufhörlich über
euren Häuptern die Nattern der Zwietracht ausgeschüttet? Etwa
um euch zu überzeugen, das Gute sei mein Wesen?« Die Frage,
warum Gott das Böse in der Welt zuläßt, existiert nicht im
satanistischen Kosmos des Marquis de Sade. Es gibt keinen
guten Gott. Dennoch braucht de Sade die unschuldigen

-138-
tugendhaften Mädchen, die an das Gute glauben, um immer
wieder neu die Triumphzüge des Lasters, der Wollust und des
satanischen Verbrechens inszenieren zu können. Wie die
Gnostiker (siehe dort) glaubt auch er, daß wir in eine teuflische
Welt geboren wurden. Er leidet aber nicht unter dieser
Geworfenheit und sucht sie nicht zu überwinden. Im Gegenteil:
Er weidet sich wie ein KZ-Wächter am grausamen Schicksal der
Menschen.
Da Marquis de Sade den größten Teil seines Lebens in
Gefängnissen und Irrenanstalten verbrachte, konnte er seine
kriminellen Fantasien nicht ausleben. Heute tauchen in den
Medien vermehrt die Themen »Satanismus« im Zusammenhang
mit »sexuellem Missbrauch« auf. Parallel dazu wird die Polizei
zunehmend mit Verdachtslagen wie Störung der Totenruhe und
Verdacht von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
konfrontiert. Der Nachweis des satanischen Hintergrundes von
kriminellen Taten fällt jedoch schwer. So gibt es laut
Information des Landeskriminalamtes
Niedersachsen keinen kriminalpolizeilichen Meldedienst für
Straftaten im Zusammenhang mit dem Satanismus. Auch sind
keine objektiven Feststellungen zu der tatsächlichen Existenz
einer Satanismus-Szene in Niedersachsen vorhanden. »Bekannt
gewordene Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit
Delikten wie Störung der Totenruhe, Sachbeschädigung,
Diebstahl z.B. sakraler Gegenstände durch junge Menschen
dürften, obwohl die Sachverhalte im weitesten Sinne einen
satanischen Hintergrund haben könnten, weitestgehend als
jugendtypisches Fehlverhalten zu bezeichnen sein und eher
episodenhaften Charakter haben. Demzufolge sind
entsprechende Hinweise in kriminalpolizeilichen
Ermittlungsverfahren mit der gebotenen Sensibilität zu
bewerten.«
In den USA hat der Soziologe Jeffrey S. Victor über 60
angebliche Fälle von kriminellem Satanismus untersucht. Dabei

-139-
fand er keinen einzigen echten Vorfall. Diese moderne
Satanshysterie nennt er »Satanische Panik« (Satanic Panic). Er
führt sie auf wachsende ökonomische Unsicherheit zurück. Der
Satanismus-Verdacht sei wie im Mittelalter und zur Zeit der
Hexenverfolgung eine Art Sündenbock für die Probleme der
Gegenwart.

Leiden

Eine der schrecklichen Krankheiten des Mittelalters war die


Mutterkornvergiftung. Die befallenen Hände und Füße wurden
schwarzfaulig und fielen allmählich ab. Die Krankheit wurde
auch Antoniusfeuer genannt. Einmal wegen der brandartigen
Schmerzen, zum anderen wegen des Heiligen, durch dessen
Hilfe man eine Linderung des Leidens erbat. Der im 11.
Jahrhundert gegründete Antoniterorden widmete sich besonders
der Krankenpflege. Im Jahr 1330 betraute ihn Papst Johannes
XXII. ausschließlich mit der Verehrung des Heiligen Antonius.
Eine wichtige Einnahmequelle der Bruderschaft war die
Schweinezucht. Die »Schweine des heiligen Antonius« bekamen
das Antoniuskreuz (den griechischen Buchstaben Tau, der wie
ein »T« aussieht) eingebrannt und trugen eine Glocke um den
Hals. In der Schweiz heißt der Heilige Antonius deshalb noch
heute »Süüli-Toni« (»Sau-Toni«). Die Spanier verehren ihn als
Schutzpatron der Haustiere. Sein Festtag ist der 17. Januar.
Für das Antoniterkrankenhaus im elsässischen Isenheim schuf
Matthias Gothart Nithard, genannt Grünewald, einen Altar, auf
dem auch der von Teufeln geplagte Antonius dargestellt ist. Wie
Rogier van der Weydens Weltgerichtsaltar im Hospices de
Beaune, so stand der Isenheimer Altar (1512-1516) des Matthias
Grünewald ursprünglich in einem Krankensaal. Der Leidende
hatte das Bild des Heiligen Antonius stets vor Augen. Der von
Teufeln gepeinigte Antonius liegt auf dem Boden. Ein Teufel

-140-
zerrt an seinen Haaren, ein anderer am Mantel. Einer versucht,
seinen Rosenkranz zu stehlen, ein anderer schlägt mit dem
Knüppel und einem Eselskinnbacken auf Antonius ein. Im
Vordergrund ist ein zweiter Le idender dargestellt. Er hat
Schwimmfüße, sein Körper ist von Wunden und Pusteln übersät.
In einem zerrissenen Sack hält er das Buch des Heiligen. Ihm
gegenüber befindet sich ein Pergamentblatt gegen einen
Baumstumpf gelehnt. Die lateinische Inschrift lautet übersetzt:
»Wo warst Du, guter Jesus, warum bist Du nicht gekommen, um
meine Wunden zu heilen?«
Die Leidensgeschichte des Antonius führt in die Zeit der
frühen Christenheit zurück. Am 23. Oktober 1992 berichtete die
Neue Zürcher Zeitung von den Ausgrabungen österreichischer
Forscher in Abu Fana, einer frühchristlichen Klosteranlage in
Mittelägypten. Unter 1,90 Meter Wüstensand legten sie den
einbalsamierten Leichnam eines Erwachsenen frei.
Untersuchungen ergaben, daß der etwa 1,70 Meter große Mann
im Alter von rund vierzig Jahren gestorben war. Die Mumie ließ
einen Körper von robuster Statur mit ausgeprägten, spornartigen
Muskelansätzen erkennen. »Hätte sich diese Person hingelegt,
wäre sie nicht mehr auf die Beine gekommen«, urteilten die
Forscher. Es war der Körper von Apa Bane, den die
Wissenschaftler unter den Sandmassen entdeckt hatten. Die
Zeitung berichtet weiter: »Die Wissenschaftler stellten
außerdem gravierende, schmerzhafte Veränderungen an den
Wirbelgelenken, insbesondere an der Halswirbelsäule, fest, die
vermutlich von einer Einschränkung der Bewegungsfunktion
stammen. Ernährungsbedingter Zahnabschliff und dessen
Folgeerscheinungen müssen dem Mann ebenfalls quälende
Schmerzen bereitet haben.«
Es war kein Zufall, daß Antonius in die Wüste ging, denn zu
seiner Lebenszeit entwickelte sich das Christentum unter Kaiser
Konstantin zur römischen Staatsreligion. Da wollten Männer
wie Antonius nicht mitmachen. Sie zogen sich in die Wüste

-141-
zurück und nannten sich daher Eremiten (»eremos«, griechisch
für »Wüste«), Mönche (»monazein«, griechisch für »einzeln
leben«) oder Anachoreten (»anachorein«, griechisch für »sich
zurückziehen«). Antonius trug ein Untergewand aus Haaren und
ein Obergewand aus Fellen. Der Sohn reicher Bauern wurde um
250 in dem Dorf Coma in Mittelägypten geboren. Antonius
hatte im Alter von zwanzig Jahren Jesu Wort an den reichen
Jüngling vernommen und das Gesagte auf sein eigenes Leben
bezogen. Damit fing alles an: »Willst Du vollkommen sein, so
geh hin, verkaufe, was Du hast, und gib's den Armen, so wirst
Du einen Schatz im Himmel haben; und folge mir nach!«
(Matthäus 19.21) Der Weg zur Vollkommenheit ist nicht nur
steinig. Er ist ein Leidensweg. Antonius beginnt einen
schrittweisen Rückzug aus der Gesellschaft. Zuerst lebt er unter
Anleitung eines erfahrenen Mannes ein enthaltsames Leben am
Rand menschlicher Siedlungen. Er will sensibler werden für
Gottes Stimme, die Achtsamkeit für das Heilige üben, sich
reinigen und im Kampf gegen die Leidenschaften bewähren.
Fünfzehn Jahre lebt er als Eremit und kämpft gegen sein eigenes
Herz, wie er vor einem Besucher bekennt: »Wer sich in der
Abgeschiedenheit befindet und zur Ruhe kommt, hält sich aus
einem dreifachen Kampf heraus: aus dem Kampf des Hörens,
des Sprechens und des Sehens, und er wird nur noch gegen eines
kämpfen müssen: gegen sein Herz.«
Antonius entdeckt die Wüstenstürme der Seele und den
Taifun des Herzens. Schwarze Vögel überschatten sein Gemüt,
und die Schatten der Unkeuschheit, der Verzweiflung, des
Zornes und der Trägheit suchen ihn heim. Wer vollkommen
werden will, sagt er, müsse den Kampf gegen sie aufnehmen.
Antonius zieht deshalb noch tiefer in die Einöde, um die innere
Wüste zu entdecken und zu bezwingen. Über Jahre hockt er
einsam in einem Felsengrab, dem Ort, wo nach Meinung seiner
Zeitgenossen ganze Heere von Teufeln hausen. Der Mensch ist
ein Wesen, das Versuchungen ausgesetzt ist. Antonius stellt sich

-142-
ihnen. Er nimmt den Kampf gegen den Teufel auf. In
Jahrzehnten der Stille, des Gebets und der Enthaltsamkeit hat
sich sein Blick für die Schattenwelt geschärft. Er sieht Mächte
und Gestalten, die anderen Menschen verborgen bleiben.
In der Grabeshöhle sind die Teufel so leibhaftig anwesend,
wie sie Grünewald auf seinem Isenheimer Altar malt und
Hieronymus Bosch, Martin Schongauer oder Salvador Dali ins
Bild setzen. Die Teufel greifen Antonius auch körperlich an,
schlagen ihn so heftig, daß er vor Qualen sprachlos zu Boden
fällt. Ein anderes Mal wird er ohnmächtig. In wildem Geschrei
toben die Teufel und suchen ihn zu bezwingen. Dann erscheinen
sie in der Gestalt von Löwen, Tigern, Stieren, Wölfen und
Schlangen und verwunden den Heiligen mit ihren Zähnen,
Hörnern und Krallen auf grausamste Weise. Als nach diesen
schrecklichen Attacken endlich eine wunderbare Helligkeit die
Höhlendecke durchdringt und die bösen Geister vertreibt, hat
Antonius eine Christuserscheinung.
»Wo warst Du, mein guter Jesus? Wo warst Du? Warum bist
Du nicht von Anfang an hier gewesen, um mir zu helfen und
meine Wunden zu heilen?«, fragt Antonius.
Jesus antwortet: »Antonius, ich war hier. Aber ich wartete ab,
um deinen Kampf zu sehen.«
Menschen können im Leiden wachsen. Der Glaube an den
Sinn des Lebens kann aber auch im Leiden zerbrechen. Darin
liegt die Versuchung, in die der Leidende geführt wird. In
Gustave Flauberts (1821-1880) Roman »Die Versuchungen des
Heiligen Antonius« (1874) spricht der Teufel: »Bete mich an!
und verfluche das Phantom, das du Gott nennst!«
Weil Antonius die ganze Wirklichkeit des Lebens kannte,
konnte er vielen Menschen ein Ratgeber sein. Sie ließen ihn
nicht in Ruhe, als er sich nach Jahren des Ringens mit den
Teufeln noch tiefer in die Wüste zurückziehen wollte. Antonius
bewohnte nun ein verlassenes Kastell nilaufwärts in einer Oase

-143-
am Fuß des Berges Pispir. Hier vollbrachte er Wunderheilungen
im Gebet und gab den Pilgern Ratschläge. Einige hörten wie
Antonius den Ruf Jesu zur extremen
Nachfolge und siedelten sich in seiner Nähe an. Andere
kamen nur auf einem Pilgermarsch in die Wüste, um sich Rat zu
holen. Ein Ratschlag des Heiligen lautete: Überspanne den
Bogen nicht, sonst zerbricht er! Das bezog Antonius auch auf
das Streben nach Vollkommenheit. »Wenn wir uns über das
rechte Maß hinaus anstrengen wollten, dann würden wir
ziemlich schnell zerbrechen. Es ist also angebracht, die
Anspannung dann und wann zu lockern.«

Jakob Michael Reinhold Lenz

Die berühmteste Geschichte einer Besessenheit ist mit dem


Namen Jakob Michael Reinhold Lenz verbunden. Sie ist in
vielen deutschen Gymnasien Pflichtlektüre. Lenz war ein
Dichter ohne den ge wünschten Erfolg, ein unzufriedener Lehrer,
ein Mann, der seinen Freund Goethe vor den Kopf gestoßen und
mit seinem Vater gebrochen hatte. Als Mensch voller Ängste
und Selbstzweifel kommt der mittellose Lenz (1751-1792) am
20. Januar 1778 im Vogesendorf Waldbach (Valdersbach) bei
Pfarrer Johann Friedrich Oberlin an. Schweizer Freunde hatten
ihm die Adresse empfohlen. Der fortschrittliche und rastlos
tätige Gottesmann Oberlin war für seine sozialreformerischen
Ideen weithin bekannt. Selbst der atheistische Pariser
Revolutionskonvent vom 9. Dezember 1795 (19. Frimaire des
Jahres III) zollte ihm seine Anerkennung. Viele Zeitgenossen
suchten bei Oberlin Rat und Hilfe. Lenz aber erwartete
Übermenschliches von ihm. Er wollte im Steinachtal zur Ruhe
kommen und gehe ilt werden. Das Gegenteil wird der Fall sein.
Am 8. Februar 1778 führen ihn drei starke Männer in Ketten
gelegt aus dem Dorf. Oberlin hat über den Aufenthalt berühmt

-144-
gewordene Aufzeichnungen gemacht, in denen er seine Sicht der
schrecklichen Ereignisse festhält.
Lenz wird im Schulhaus untergebracht. Oberlin kennt seine
Dichtungen. Lenz will auf sie nicht angesprochen werden. Hier
im Steinachtal sucht er keine Anerkennung als Dichter. In der
Nacht hört ihn Oberlin laut reden, dann vernimmt er die Stimme
des Schulmeisters. Er steht auf und erfährt, Lenz habe sein
Zimmer verlassen und sich in den Brunnentrog gestürzt, wo er
wie eine Ente geplanscht hätte. Er sei es gewohnt, erklärt der
unheimliche Gast, im kalten Wasser zu baden. Als Oberlin
einige Tage später ahnungsvoll eine Reise in die Schweiz
abbricht und ins Pfarrhaus zurückkehrt, erfährt er eine weitere
seltsame Geschichte, die sich während seiner Abwesenheit
ereignet hat. Lenz, am Fuß verletzt von seiner Wanderung über
die Vogesen, sei in den Nachbarort Urbach (Fouday) gehumpelt,
um ein totes Kind wieder aufzuwecken. Er habe sich dazu durch
eine Bußübung, eintägiges Fasten und die Bestreichung seines
Gesichtes mit Asche vorbereitet. Das Kind hieß Friedericke, so
wie Goethes Sessenheimer Geliebte, die Pfarrerstochter
Friedericke Brion, die auch Lenz liebte. Lenz war Pfarrerskind
und hatte Theologie studiert.
Jesus hatte den toten Lazarus ins Leben zurückgerufen. Vom
ranghöchsten Apostel wird berichtet, man hätte Kranke auf die
Straßen hinausgetragen, »damit, wenn Petrus käme, wenigstens
sein Schatten auf einige von ihnen fiele. Es kamen auch viele
aus den Städten rings um Jerusalem und brachten Kranke und
solche, die von unreinen Geistern geplagt waren; und alle
wurden gesund« (Apostelgeschichte 5.15-16). Als in Joppe die
Jüngerin Tabita an einer unbekannten Krankheit starb, ging
Petrus in ihr Haus, kniete allein im Sterbezimmer nieder, betete,
wandte sich dem Leichnam zu und rief die
Tote wieder ins Leben zurück: »Tabita, steh auf!«
(Apostelgeschichte 9.40)
Lenz identifiziert sich mit Petrus. Er betet, wirft sich über die
-145-
Tote und versucht eine Stunde lang vergeblich, das Kind
wiederzubeleben. Dann verläßt er den Raum, geht zur Mutter
und gibt ihr die Schuld an der misslungenen
Totenauferweckung. Wenig später jedoch behauptet er, er habe
das Kind vergiftet, und entschuldigt sich bei der Mutter. Nachts
springt er in den Brunnentrog, tagsüber ist er ruhig, beschäftigt
sich mit Zeichnen und Malen, liest in der Bibel und bereitet eine
Predigt vor. Oberlin sucht das seelsorgerliche Gespräch, Lenz
gesteht seine Sünden, glaubt aber nicht an die Möglichkeit der
Vergebung. Im gleichen Moment blickt er händeringend zum
Himmel und ruft: »Ach! Ach! Göttlicher Trost - ach - göttlich, o
- ich bete - ich bete an! « Ein lebender Widerspruch. Im
nächsten Augenblick bezichtigt er sich des Mordes an seiner
Geliebten und seiner Mutter.
Oberlin redet von Bekehrung. Lenz betritt das Dienstzimmer
mit Gerten, fordert Oberlin auf, ihn auszupeitschen. Diese Form
der Buße ist dem Pfarrer fremd. Er gibt ihm einige Küsse auf
den Mund. Mit Schlägen, sagt er, könne man keine Sünden
tilgen, das vermöge nur der Glaube an Jesus Christus, an ihn
solle er sich wenden. Lenz verläßt den Raum. In der Nacht rennt
er mehrfach aus seinem Zimmer, springt in den Trog, kehrt ins
Haus zurück. Dienstmägde, die unter seinem Zimmer schlafen,
berichten von jämmerlichem Winseln während der ganzen
Nacht. Lenz ist zerrissen von Schuldgefühlen. Er kann darüber
nicht sprechen, nur Zeichen geben, die niemand versteht.
Christus nimmt hinweg die Sünden der Welt. Das weiß er,
glaubt es aber nicht. Deshalb sucht er den Freitod. Lenz springt
aus dem Fenster und verrenkt sich dabei den Arm, er besucht
Friedenckes Grab. Oberlin läßt ihn bewachen und fesseln. Lenz
bricht aus, rennt erneut nach Urbach, verlangt, ins Gefängnis
geworfen zu werden, da er der Mörder Friederickes sei.
Oberlin bittet ihn, wenigstens eine Nacht ruhig im Bett zu
bleiben und nicht in den Trog zu springen. Gesinde, Kinder und
Ehefrau seien beunruhigt, völlig erschöpft und wollten sich

-146-
einmal ausschlafen. Lenz verspricht es, betet aber die ganze
Nacht hindurch so laut, daß die Mägde wieder keine Ruhe
finden. Er liest in der Apokalypse des Johannes. Dort ist die
Rede von sieben schrecklichen Engeln. Mit ihren Posaunen
verkündigen sie den Weltuntergang. Sterne fallen vom Himmel,
die Brunnen des Abgrunds öffnen sich, Skorpione und
Heuschrecken fallen über die verfluchten Menschen her und
quälen sie so sehr, daß sie sich den Tod wünschen. »Und in
jenen Tagen werden die Menschen den Tod suchen und nicht
finden, sie werden begehren zu sterben, und der Tod wird vor
ihnen fliehen.« Worte des Unheils, in denen sich der arme Lenz
wiederfindet. König der schrecklichen Mächte ist der »Engel des
Abgrunds; sein Name heißt auf hebräisch Abaddon«
(Apokalypse 9.11). Zuerst hatte sich Lenz mit Goethe
identifiziert, dann mit Petrus, jetzt schreibt er nach Weimar, er
sei Abaddon, der Engel des Abgrunds.
Wieder springt Lenz aus dem Fenster. Eine Zeichenhandlung,
ein Höllensturz. Seht den Engel des Abgrunds! Völlig verdreckt
sitzt Lenz in seinem Dienstzimmer. In einem unbeobachteten
Moment rennt er wieder hinaus und stürzt sich in den Trog.
Oberlin weiß nicht mehr weiter. Er wird wütend, will Lenz unter
scharfe Bewachung stellen. Lenz spürt dies. Beim Abendessen
steht er auf, bittet, ins Dienstzimmer gehen zu dürfen, um dort
etwas zu lesen. Oberlin folgt ihm. Er schreibt, Lenz blättert
unkonzentriert und mit großer Schnelle in der französischen
Bibel. Als Oberlin für einen Augenblick das Zimmer verläßt,
will sich Lenz mit einer Schere erstechen. Die Pfarrersgattin
kommt dazwischen. Jetzt ist das Maß für Oberlin voll. Er wirft
Lenz Undankbarkeit vor. Der springt auf, wirft sich Frau
Oberlin zu Füßen, bittet um Verzeihung. Sie aber flüchtet voller
Angst. Lenz jammert, er hätte die Frau umgebracht wie das
Kind. »Alles, alles bring' er um, wo er hin käme.«
Endlich kommt die Bewachung. Aber Lenz findet keine Ruhe.
Übernatürliche Kräfte werden in ihm wach. Trotz Aufsicht

-147-
durch zwei starke Männer gelingt es ihm, mit dem Kopf gegen
die Wand zu rasen. Oberlin stürzt ins Zimmer, bittet die Männer,
Lenz freizugeben. Der sitzt inzwischen ruhig auf seinem Bett.
Oberlin solle für ihn beten. Während des Gebetes wiegt sich
Lenz mit dem Oberkörper hin und her, aber der Friede täuscht.
Lenz kommt nicht zur Ruhe. Mit großer Wucht und ohne
Vorankündigung donnert er seinen Kopf gegen die Wand.
Oberlin läßt einen dritten Wächter rufen. Lenz sieht ihn und
spottet, die drei stämmigen Männer wären nicht stark genug, ihn
zu bändigen. Noch in der Nacht wird die Abreise vorbereitet.
Lenz will alle um Vergebung bitten. Die Mägde und Frauen
halten sich vor ihm versteckt. Dann bricht er auf. Ein
rätselhafter, unlösbarer Fall. Für einige Tage kommt er bei
seinem Freund Johann Gottfried Röderer in Straßburg unter.
Gemeinsam suchen sie Pfarrer Stuber auf. Lenz wirft sich vor
ihm nieder und bittet um sein Gebet. Doch wieder will kein
Frieden in seine Seele einkehren. Der Weg zum Glauben bleibt
versperrt. Vor Schmerz und Erschöpfung gibt der Pfarrer das
Gebet auf. Lenz geht mit Tränen in den Augen fort. Nachdem
sämtliche geistlichen Versuche einer Heilung gescheitert sind,
resigniert auch der Freund Röderer.
Der Engel des Abgrunds wird zu Goethes Schwager Johann
Georg Schlosser nach Emmendingen in Pflege gegeben. Wieder
plagen ihn schwere Anfälle. Ketten fesseln ihn ans Bett. Die
Freunde versuchen, ihm mit einer Kältetherapie zu helfen, und
bringen ihn nachts an einen Fluss. Zehn Minuten lang badet er
hier im kalten Wasser. Ein Anfall folgt dem nächsten. Wieder
herrscht Ratlosigkeit. Lenz rennt mit dem Kopf gegen die Wand,
wird in Ketten gelegt, schreit laut, weint, zerfetzt die Kissen und
zerkratzt sich die Haut. Nach zehn Tagen ist sein Wille
gebrochen. Dann kommt eine Phase der Hyperaktivität. Er
schreibt pausenlos. Ihn plagen Schuldgefühle. Tagelang kann er
nicht sprechen. Schüttelkrämpfe im Kopf und am ganzen Leib
durchzucken ihn, er schlägt drei Minuten lang in

-148-
atemberaubender Geschwindigkeit mit dem Kopf auf die
Kissen. Manchmal redet er dabei unverständliche Worte. Dann
ist er wieder heiter und vergnügt. Wohin mit dem Mann, dem
niemand helfen kann? Schlosser will ihn ins Frankfurter
»Tollhaus« bringen, überlegt es sich anders, richtet einen langen
Brief an Lenz' Vater, mit dem er die Heimkehr des verlorenen
Sohnes vorbereitet. Der Sohn selbst fügt dem Schreiben nur ein
Zitat aus der berühmten biblischen Parabel bei:
»Vater! Ich habe gesündigt im Himmel und vor Dir und bin
fort nicht wert, daß ich Dein Kind heiße.«
Lenz kehrt ins Vaterhaus zurück. Er wird keine Heilung
finden. Die letzten zehn Jahre seines Lebens verbringt er als
Lehrer in Moskau, wo er im Elend stirbt. Kein Mensch kennt
sein Grab. Georg Büchner hat seine Geschichte in der Novelle
»Lenz« zu einem Gleichnis verdichtet.

Liebeszauber

»Du siehst heute Abend zauberhaft aus!« Wer hört nicht gern
Komplimente, auch wenn er weiß, sie sind ein wenig
übertrieben? Unser ganzes Wesen fühlt sich beschwingter, ja
wie verzaubert. Dann tritt vielleicht ein echtes Wunder ein: Dem
Zauberwort folgt ein zauberhafter Abend mit einer
bezaubernden Stimmung. Auch hartgesottene Realisten, die alle
Zauberei für ein Blendwerk halten, werden nicht bestreiten, daß
von der Liebe eine magische Wirkung ausgeht. Zaubersprüche
sind wieder »in«. Sie versprechen Lebensfreude und Glück. Sie
zeigen, wie man den Familienfrieden bewahrt, die Fruchtbarkeit
erhöht, böse Geister aus dem Haus vertreibt, die körperliche und
spirituelle Energie stärkt, ein gebrochenes Herz heilt und den
Geliebten verzaubert.
In dem Buch »Rituale, Amulette, Zaubersprüche aus aller
Welt« gibt Nicola de Pulford Ratschläge, wie Mann und Frau
-149-
ihren Wunschpartner betören können. Neben einem Spiegel,
einer rosafarbenen Kerze, einem rosa Blatt Papier, einem
Federhalter und einem Foto von sich wird ein rosafarbenes Band
gebraucht. Dann geht der Zauber los: »Zünden Sie in einem
dämmrigen Zimmer die Kerze an, so daß Ihr Spiegelbild von ihr
erleuchtet wird. Konzentrieren Sie die Gedanken auf Ihre guten
Eigenschaften und Ihren Wunsch, eine neue Beziehung
einzugehen. Holen Sie tief Luft, und atmen Sie Ihre Ängste und
Zweifel aus. Malen Sie anschließend das Bild Ihrer neuen Liebe
auf das rosafarbene Papier. Legen Sie es neben Ihr Foto, und
verschnüren Sie beides mit dem Band. Vereinen Sie die Bilder
auch gedanklich. Halten Sie die vereinten Bilder vor den
Spiegel, so daß sie darin reflektiert werden, und sprechen Sie bei
diesem Ritual folgende Worte:
Von innren Zweifeln bin ich frei,
Mein Herz ist offen, komm herbei!
Lass die Zukunft sich entfalten,
Lass Glück und Liebe ewig walten.

Pusten Sie die Kerze aus, und sehen Sie nach, ob sich im
Spiegel irgendwelche Bilder zeigen; vielleicht sehen Sie eine
andere Person als die, an die Sie denken. Falten Sie die Bilder
zusammen, und bewahren Sie sie an einem sicheren Ort auf.«
Im späten Mittelalter konnte es passieren, daß sich beim Blick
in den Spiegel der Hintern des Teufels zeigte. Denn
Liebeszauber galt als Satans Werk. Faust bekommt von den
Hexen (siehe dort) einen Verjüngungstrunk (Faust 2348ff.) und
von Mephistopheles (siehe dort) einen Liebestrank. Dieser führt
zu einer sexualisierten Optik: Denn mit dem Zaubertrank im
Leibe, sieht er Miss Universum in jedem Weibe (vgl. Faust
2603ff.).
Früher galt der Andreastag (30. November) als gut geeignet
für Liebeszauber. Heute wird Halloween (siehe dort) für

-150-
Liebesmagie empfohlen. Die Irish Emigrant Publications aus
Galway (halloween@emigrant.ie) raten jungen Mädchen, in der
Halloweennacht ein Büschel Rosmarin unter das Kopfkissen zu
legen, dann werde es von seinem zukünftigen Ehemann
träumen. Wer sich nicht zwischen zwei Liebhabern entscheiden
kann, soll zuerst einen Apfel essen und anschließend jeweils
einen Apfelkern auf die rechte und linke Wange legen. Jeder
Apfelkern erhält einen Namen, beispielsweise Patrick und
Myles. Nun muß man nur noch so lange warten, bis einer der
Kerne von der Wange fällt. Stürzt Myles zuerst ab, weiß man,
daß Patrick der richtige Partner ist.
Aus Sicht der Engelforschung ist Liebeszauber kein
harmloses Spiel. Schließlich kam es durch übermächtige
Liebesreize zum Engelsturz (siehe dort). Auch bedienen sich
Incubi und Succubi der menschlichen Sexualität (siehe dort), um
sie zum Beischlaf zu verführen. Liebeszauber endet immer
tragisch: Faust verliebt sich in Gretchen. Die Folgen sind zwei
Tote, ein abgetriebenes Kind und Gretchens Tod durch den
Henker. Das berühmte Liebespaar Tristan und Isolde wurde
durch einen Liebestrank verzaubert - was für alle Beteiligten
tragische Folgen hatte. Schon die Bibel kennt Techniken des
Liebeszaubers mit Hilfe von »Liebesäpfeln« (Genesis 30.14-16).
Rahel benutzt eine Alraune (Mandragora), um Jakob zu betören
und von ihm ein zweites Kind zu empfangen. Bei der Geburt
dieses Kindes wird sie sterben. Vom Liebeszauber sollte man
also die Finger lassen, und sei es nur, um sich nach dem Ritual
beim Blick in den Spiegel die Begegnung mit dem eigenen
Spiegelbild zu ersparen.

-151-
Lilith

Lilith ist ein Succubus, also eine Teufelin. Wie alle Succubi
sucht sie Männer in der Nacht auf und gaukelt ihnen erotische
Bilder vor. Die Folge ist eine sexuelle Erregung. Diese hat
manchmal eine Pollution zur Folge. Lilith gilt daher als
»Samenräuberin«. Die jüdischen Sagen kennen Lilith als Adams
erste Frau. Wie alles, was Gott geschaffen hatte, so war auch
Lilith ursprünglich gut. Erst als Adam sie verstieß, wurde sie
böse. Ihre äußere Erscheinung muß noch immer verführerisch
sein, denn während der Walpurgisnacht auf dem Brocken hält
Faust sogleich inne, als er Lilith unter den Hexen sieht.
Mephistopheles (siehe dort), der Teufel, beschreibt sie mit
folgenden Worten (Faust 4129ff.):
»Adams erste Frau.
Nimm dich in acht vor ihren schönen Haaren,
Vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt.
Wenn sie damit den jungen Mann erlangt,
So läßt sie ihn so bald nicht wieder fahren.«

Lucifer

Lucifer (Luzifer) ist einer der bekanntesten Namen des


Teufels. Im Internet hat Lucifer eine eigene Homepage
(www.Luzifer.at/event/hallow.html). Dort bietet er seine Dienste
als Partylöwe für Halloween an und zeigt sich besorgt über die
Kinder, die in der herbstlichen Dunkelheit als Gespenster und
Monster verkleidet durch die Straßen ziehen. Lucifers Tipp für
Eltern lautet: »Informieren Sie Ihre Kinder über ungefährliche
Wege in der Nachbarschaft und wählen Sie ein Kostüm mit

-152-
reflektierenden Augen oder Streifen. Katzenaugen vom Fahrrad,
Schultaschenreflektoren oder einfache weiße Gespensterlaken
machen Ihre Kinder deutlicher sichtbar.«
Wer diese fürsorglichen Hinweise im Internet liest, gewinnt
von Lucifer ein positives Bild. Und genau das ist schon immer
die Ansicht des großen Verführers gewesen. Die größte List des
Teufels besteht darin, die Menschen glauben zu machen, es gäbe
ihn nicht. Aber Lucifer ist kein Gespenst auf einem
Halloweenfest (siehe dort). Der Name »Lucifer« (luciferus)
bedeutet »Lichtträger«. Damit wird für die Engelforschung
sofort deutlich, daß Lucifer ein gefallener Engel ist. Denn die
Engel sind das Licht des ersten Schöpfungstages, wie
Augustinus gelehrt hatte. Sie sind von Gott als gute Wesen
geschaffen worden. Unter dem Oberbefehl von Lucifer stürzte
ein Fünftel der Engel aus den himmlischen Chören auf die Erde
und treibt hier sein Unwesen.
Im Hebräischen heißt Lucifer »helal«. Das Wort bezeichnet
den Planeten Venus. Er wird auch Morgenstern oder Lichtstern
genannt. Beim Propheten Jesaja (14.12ff.) findet sich ein
Spottlied auf Lucifer: »Wie bist du vom Himmel gefallen, du
Lichtstern (Lucifer), Sohn der Morgenröte, wie wurdest du in
Stücke geschlagen zur Erde hin, der du die Völker schwächst!
Du freilich sprachst in deinem Herzen: Zum Himmel will ich
aufsteigen, noch über den Gottessternen will ich meinen Thron
errichten... will mich gleich wissen dem Höchsten. Doch in die
Unterwelt wirst du hinuntergeführt werden, in die allerunterste
Grube!«
Ursprünglich war »Lucifer« ein Codewort für den
babylonischen König. Erst in christlicher Zeit hörte man aus den
berühmten Versen Jesajs einen Hinweis auf den Ursprung des
Teufels, den Engelsturz (siehe dort) und sein ewiges Schicksal
in der Hölle (siehe dort) heraus. Man kombinierte die Sätze mit
dem so genannten Jubelruf Jesu: »Ich sah den Satan vom
Himmel fallen wie einen Blitz!« (Lukas 10.12)

-153-
Mit dem Aufkommen des Protestsatanismus (siehe dort) kam
es zu einer neuen Bewertung von Lucifers Sturz. Wie
Prometheus in der griechischen Myt hologie galt Lucifer unter
Künstlern, Dichtern, Malern und Musikern als kreativer Rebell
gegen die göttliche Ordnung. Er rief »Nein!«, wo die Engel
immer nur »Ja und Amen!« sagten. Neben Ahriman ist Lucifer
in der Anthroposophie eine Hauptkraft des Bösen. Er steht für
das Licht der Aufklärung, das Feuer der Inspiration und die Glut
der Leidenschaft. Sein ambivalenter Charakter bringt also nicht
nur die hohe Kunst hervor, sondern auch Eitelkeit, Hochmut und
Selbstüberschätzung.

Martin Luther

Auf der Wartburg wird der schwarzblaue Fleck an der weißen


Wand noch heute regelmäßig erneuert. Jedes Kind weiß, daß
Luther mit dem Tintenfass nach dem Teufel geworfen hat. Wie
alle Legenden, so ist auch diese hintergründig und verliert ihren
Reiz, wenn sie nur wörtlich genommen wird. Die Tinte steht für
das geschriebene Wort Gottes. Dies vertreibt alle Teufel der
Welt. Katholiken setzen beim Exorzismus auf die Macht des
Rituals, Lutheraner auf das reformatorische Kampflied »Ein
feste Burg ist unser Gott«:
»Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar
verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns
doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt, wie saur er sich stellt, tut er uns
doch nicht; das macht, er ist gericht'.
Ein Wörtlein kann ihn fällen.«

Beim Studium des Römerbriefes entdeckte Martin Luther


(1483-1546): Alles ist Gnade. Alles, was der Gnade

-154-
entgegensteht, alles, was Christus widerspricht, alles, was den
Glauben in Zweifel zieht, kommt dagegen vom Teufel. Gott
oder Teufel! Es gibt für den Menschen keinen dritten Weg.
Luther erläuterte diesen Gedanken mit dem berühmt
gewordenen »Reittiergleichnis«: Der Mensch gleiche einem
Reittier. Entweder werde er von Gott oder von Satan geritten.
Kein Theologe der Christenheit hat so deutlich die Rolle des
Teufels betont wie Luther. Seine Ängste hat er rückblickend in
dem Kirchenlied »Nun freut euch liebe Christengemein«
beschrieben:
»Dem Teufel ich gefangen lag, im Tod war ich verloren,
mein Sünd mich quälte Nacht und Tag, darin ich war
geboren.
Ich fiel auch immer tiefer drein, es war kein Guts am
Leben mein, die Sünd hat mich besessen.«

Mit der Erlösung hört die Versuchung aber nicht auf. Im


Gegenteil! Anfechtungen, Glaubenszweifel, Beunruhigungen
des Gewissens plagen Luther ein Leben lang. So ruft die
Übersetzung der Bibel den Teufel auf den Plan. Leben heißt in
Versuchung sein. Niemand wirft seine alte Lebensgeschichte
einfach über Bord, wenn er durch Anfechtungen zu neuem
Glauben geschritten ist. Die Menschen, so Martin Luther in
seiner Deutung der sechsten und siebten Bitte des Vaterunsers
(»Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von
dem Bösen«), »tragen den alten Adam am Hals«. Der reize sie
täglich zu Unzucht, Faulheit, Hass, Neid, Feindschaft, Untreue,
Fressen, Saufen, Geiz und Hinterlist. Dur ch diese
Empfänglichkeit für Laster und Bosheit versuche der Teufel,
Macht über den Menschen zu gewinnen und ihn zur Verachtung
der göttlichen Gnade zu führen.
Keine weltliche Macht kann gegen den Teufel helfen. »Darum
haben wir auf Erden nichts zu tun, als ohne Unterlass gegen

-155-
diesen Hauptfeind zu beten. Denn wenn uns Gott nicht erhielte,
wären wir keine Stunde vor ihm (dem Teufel) sicher.« Der
Teufel schläft niemals. Für Luther richten sich sämtliche Bitten
des Vaterunsers gegen diesen Hauptfeind des Menschen. »Denn
dieser ist's, der all das, was wir bitten, unter uns verhindern will;
Gottes Namen oder Ehre, Gottes Reich und Willen, das tägliche
Brot, das fröhliche, gute Gewissen.« Auch Luthers Morgen- und
Abendsegen dienen der Abwehr des Teufels. Trotz aller
Teufeleien in der Welt besteht also kein Anlass zur Panik. Denn
auch zahlenmäßig sind die himmlischen Mächte den teuflischen
Gegenkräften überlegen. Wo zwanzig Teufel auftreten, sagt
Luther, da sind gewiss auch einhundert Engel. Sonst wäre es auf
Erden gar nicht auszuhalten. Das Verhältnis von Teufel und
Engel beträgt also 1:5. Gott sei Dank!

Magie

Zum Zirkus gehört ein Zauberer. Er kann Kaninchen aus dem


Hut zaubern, Jungfrauen in zwei Hälften zersägen, und, wenn er
sehr gut ist, einen weißen Tiger, der an einem Käfig unter der
Decke hängt, verschwinden lassen. Wer diesen Trick beherrscht,
der bekommt in Las Vegas eine eigene Show. Kein Zauberer
aber kann aus dem Nichts ein Kaninchen zaubern. Und genau
darum ist alle Zauberei letztlich nur ein Gaukelspiel. Wahre
Wunder kann nur Gott vollbringen, auch nicht die Engel. Weil
aber der Teufel ein Affe Gottes ist und alles nachäfft, will auch
er Wunder vollbringen. Darm ist er teilweise so geschickt, daß
es für einen Laien gar nicht leicht ist, den Unterschied zwischen
einem echten Wunder und einem teuflischen Zaubertrick
herauszufinden.
Zauberer sind Magier. Die Worte »Magie« und »Magier« sind
als Lehnworte aus der persischen in die griechische Sprache
gekommen. Daß Magie nicht grundsätzlich böse sein muß, zeigt

-156-
das Beispiel der Heiligen Drei Könige aus Persien. Sie werden
auch Magier (Zauberer) genannt. Im Gegensatz zur schwarzen
Magie des Teufels üben sie eine weiße Magie aus. In ihrem Fall
ist dies ganz einfach zu erkennen, denn sie stellen ihre Künste in
den Dienst des neugeborenen Christuskindes. Deshalb wurden
ihre Gebeine im Kölner Dom beigesetzt.
Der Kampf zwischen weißer und schwarzer Magie ist uralt.
Schon Josef hatte ägyptische Konkurrenten, als er die Träume
Pharaos deutete (Genesis 41.8). Moses und sein Bruder Aaron
führen einen regelrechten Zauberwettbewerb gegen ägyptische
Magier durch (Exodus 7-14). Jedes Kind kennt die Geschichte
von den berühmten zehn Plagen, die Moses' Gott über die
Ägypter kommen läßt: Das Wasser des Nils wandelt sich in
Blut, eine Frosch-, Stechmücken- und Stechfliegenplage kommt,
Viehpest bricht aus, Blattern, Hagel, Heuschrecken, eine
Sonnenfinsternis, der Tod der erstgeborenen Kinder und
schließlich als Höhepunkt der Durchzug der Israeliten durch das
Rote Meer. Moses und Aaron bedienten sich in diesem
Wunderwettbewerb eines Zauberstabes. Ihre Werke werden in
der Magie als Straf-, Wetter-, Krankheits- und Naturzauber
bezeichnet. Aaron konnte seinen Zauberstab sogar in eine
Schlange verwandeln. So etwas vermochten seine ägyptischen
Konkurrenten auch.
Dann aber verschlang Aarons Stab die Stäbe der Magier,
wodurch der Beweis der Echtheit seines Wunders vollbracht
war. Die Juden haben offiziell jede Form von Magie verboten, ja
sogar die Todesstrafe für Magier (Exodus 22.17; Leviticus 20.6;
20.27) festgesetzt. Erfolgreich waren sie damit nicht, wie das
Beispiel von Moses und Aaron zeigt.
Der Magierwettstreit am Nil wird seit Thomas von Aquin als
Beispiel für wahre Wunder und Scheinwunder herangezogen.
Der Heilige nennt drei Erkennungsmerkmale für dämonische
Scheinwunder: 1. Sie haben eine schändliche Absicht. 2. Sie
sind nicht seriös. 3. Sie erzeugen nur einen kurzen Effekt. Auch

-157-
zur Zeit Jesu (siehe dort) war man von der Existenz schwarzer
Magie überzeugt. So wird dem Wundertäter Jesus (Matthäus
12.24) vorgeworfen, er betreibe mit Hilfe Beelzebubs (siehe
dort) schwarze Magie. Wie unsinnig der Verdacht war, das zeigt
eine Anwendung der drei Maßstäbe für echte Wunder des
Heiligen Thomas, denn Jesus hatte 1. nur gute Absichten. Er
wollte Menschen an Leib und Seele heilen und dachte dabei
nicht an seinen Ruhm. 2. Seine Wunder waren absolut seriös
und 3. keine kurze Effekthascherei, wie man schon daran
erkennen kann, daß sie noch heute erzählt werden.
Dennoch bleibt ein Problem. Da Dämonen Wunder
vortäuschen können, fragt man sich natürlich, wie ihre schwarze
Magie funktioniert. Der Heilige Thomas bringt auch hier Licht
ins Dunkel: 1. Scheinwunder beginnen mit einer Anrufung der
Dämonen (invocatio). 2. Ihr folgen die Beschwörung
(incantatio ) und schließlich 3. der Teufelspakt (siehe dort). Der
Magier hat allerdings niemals Macht über den Teufel, mit dem
er den Pakt geschlossen hat, sondern nur über einen niedrigeren
Dämon.
Der Kampf zwischen echten Wundertätern und
Schwarzmagiern, den Moses und Aaron in Ägypten geführt
haben, setzt sich in der Kirche fort. Aus heutiger Sicht war er
nicht immer fair und frei von Vorurteilen gegenüber alten
heidnischen Heilungskünsten und Ritualen. Die gesamte
Missionsgeschichte des Christentums ist dafür voller Beispiele.
Schon Petrus und Paulus kämpften mit magischen Waffen gegen
Zauberer aus anderen Kulturen und Religionen. Als Paulus
wahrend einer Missionsreise auf Zypern dem Magier Elymas
begegnet, verflucht er ihn kurzerhand als »Sohn des Teufels«
(Apostelgeschichte 13.10) und läßt ihn durch einen
Schadenszauber erblinden: »Du sollst blind sein und die Sonne
eine zeitlang nicht sehen!« In Samarien war es bereits zu einem
Streit zwischen Petrus und Simon Magus gekommen. Simon
trug den Beinamen »Große Kraft Gottes« (Apostelgeschichte

-158-
8.10). Er hatte einige spektakuläre Wunder des Apostels
Philippus miterlebt: Unreine Geister waren mit großem Geschrei
aus den Besessenen gewichen, und viele Gelähmte und
Verkrüppelte wurden geheilt. Der Magier Simon war von diesen
Taten beeindruckt und ließ sich taufen. Als dann Petrus und
Johannes den Neugetauften die Hände auflegten, um ihnen den
Heiligen Geist zu verleihen, war Simon erneut beeindruckt. Er
bot den Aposteln Geld an, damit auch er die Gabe des
Händeauflegens bekäme. Dieser Versuch des Ämterkaufes wird
seitdem Simonie genannt.
Zur Zeit Martin Luthers erfuhr auch die Magie eine
Wiedergeburt und neue Bewertung. Paracelsus (1493-1531),
Agrippa von Nettesheim (1486-1536) und Marsilio Ficino
(1433-1499) beeinflussen Goethes Vorstellungen von Magie.
Heinrich Faust hat Medizin, Jura, Theologie und Philosophie
studiert. Doch in seinem Wunsch, das Geheimnis des Lebens zu
ergründen, ist er keinen Schritt weitergekommen. So übt er sich
in Magie. Von Amuletten, sozialer Magie, Venusmagie,
schwarzer Magie bis zur Wortmagie finden sich alle magischen
Formen im »Faust« - mit einem Resultat: Sie bringen Faust
ebenso wenig weiter wie alle Gelehrsamkeit. Auch die nächste
Stufe, der Teufelspakt (siehe dort), wird letztlich zur
Enttäuschung. Faust erlangt die ewige Seligkeit weder durch
sein Wissen, die Magie noch den Teufelspakt, sondern allein
durch die Gnade. Doch Gelehrsamkeit, Magie und Pakt waren
für ihn Stufen der Erkenntnis, notwendige Umwege im
Labyrinth des Lebens.

Manichäer

Der Religionsstifter Mani (*216 n. Chr.) lebte zur Zeit der


Sassanidenherrscher (226-642 n. Chr.). Die Religion
Zarathustras (siehe dort) war Staatsreligion. Man begann die

-159-
heiligen Texte neu zu ordnen und niederzuschreiben. Da trat
Mani auf, berief sich auf eine Engeloffenbarung und behauptete,
alle echten Worte Zarathustras seien verloren gegangen. König
Bahram I. verstand dies als einen Angriff auf die Ordnung des
Staates und ließ Mani am 26. Juni 277 kreuzigen. Doch Manis
Lehren lebten weiter und beeinflussten viele Christen. Mani war
davon überzeugt, daß sich seine Botschaft weiter verbreiten
werde als die Worte Jesu oder Buddhas:
»Wer seine Kirche im Westen erwählt hat wie Jesus, dessen
Kirche ist nicht nach Osten gelangt; wer seine Kirche wie
Buddha im Osten gewählt hat, dessen Auslese ist nicht zum
Westen gekommen. Meine Hoffnung aber wird nach dem Westen
gehen und auch nach dem Osten.«

Der bekannteste Anhänger Manis war Aurelius Augustinus


(354-430). Zwischen 376 und 384 gehörte er der manichäischen
Kirche an. Allerdings erhielt er nur den niedrigen Weihegrad
eines »Hörers« (auditor). Später wurde er zu einem ihrer
schärfsten Gegner, wie es oft bei Konvertiten geschieht. Mani
lehrte, daß in der Welt und im Menschen ein ewiger Gegensatz
zwischen Gut und Böse, Gott und Teufel, Licht und Schatten
herrsche. Gott habe sich in Abertausend kleine Lichtfunken
aufgeteilt. In jedem Menschen sei ein kleiner Lichtfunke
verborgen. Gott und die Seele seien folglich eins. Der Mensch,
der das Licht in sich entdeckt, erkennt zugleich Gott.
Selbsterkenntnis ist also Gotteserkenntnis. Mani lehrte, daß
jeder Mensch die Aufgabe habe, den Weg des Lichtes zu gehen.
Dadurch erlöse er den göttlichen Funken in seiner Seele.
Mit Augustinus hat auch die katholische Kirche diese Lehre
vom göttlichen Seelenfunken als Irrlehre oder Häresie
verdammt. Der Erfolg jedoch war gering, denn Manis Ideen
lebten auf dem Balkan unter den Bogomilen und in Oberitalien
und der Provence unter den Katharern weiter. Im Osten drangen
sie bis nach China vor, wo sie unter dem Uigurenfürsten Bugug
-160-
Khan (760-780) zur Staatsreligion wurden. Die weltberühmten
Höhlenmalereien von Bazaklik in Turfan wurden von
Manichäern gemalt. Heute kämpft das Volk der Uiguren in der
chinesischen Provinz Xinjiang um religiöse und politische
Unabhängigkeit. Aber auch in der Literatur der Gegenwart, etwa
bei Paolo de Coelho, leben Manis Krieger des Lichtes weiter.

Charles Manson

Charles Manson (* 12. November 1934) glaubte, er sei eine


Inkarnation von Satan und Christus zugleich. Aus seinem
Namen wollte er eine Anspielung auf den »Menschensohn«
Christus heraushören: man son - son of man. Charles Mansons
Bild von der Zukunft war düster. Eine Endzeit sei angebrochen,
die letzten Tage der Menschheit dämmerten am Horizont, bald
werde es große apokalyptische Kämpfe zwischen der weißen
und der schwarzen Rasse geben. Die Schwarzen werden die
Weißen ausrotten, alle Reichen töten, aber unfähig sein, die
Weltführung zu übernehmen. Für diesen Augenblick hielt sich
Charles Manson mit seiner satanischen Familie (»The Family«)
als neuer Erlöser und Führer bereit. Sie lebten am Rand der
Wüste und suchten von hier aus durch gezielten Terrorismus das
Ende der alten Zeit und den Anbruch des Endkampfes (siehe
Apokalypse) zu beschleunigen. Was rückblickend wie eine
Horrorvision aus den Romanen von Stephen King klingt, war
brutale Wirklichkeit. Charles Manson und seine »Familie«
mordeten in der Absicht, den Rassenhass zu schüren.
Wie bei allen satanistischen Verbrechen bildeten auch diese
Morde den Höhepunkt einer Entwicklung. Zuerst feierte man
Kultorgien im eigenen Kreis. Manson ließ sich auf ein Kreuz
binden und von ihm hörigen Frauen beweinen. Tiere wurden
geschlachtet, man trank ihr Blut als erotische Stimulanz und
goss es über kopulierenden Paaren aus. Zu Mansons »Familie«

-161-
gehörte auch ein ehemaliger Mitarbeiter des Underground-
Filmers Kenneth Anger. Bobby Beausoleil hatte die von Mick
Jagger abgelehnte Rolle des Teufels in »Lucifer Rising« gespielt
und war dann nach einem Streit mit einem Teil des
Filmmaterials untergetaucht. 1969 wurde er inhaftiert, nachdem
er in einem Ritualmord den Musiker Garry Hinman grausam zu
Tode gequält hatte. In Mansons Folterkammer wurden die Opfer
auf einen Holztisch geschnallt. Über ihnen befand sich eine
Halterung mit sechs unterschiedlich langen Messern, die
langsam auf die gefesselte Person gesenkt wurde. Das letzte,
kürzeste Messer durchstach das Herz. Am 7. August 1969
drangen Mansons Anhänger in die Villa des Regisseurs Roman
Polanski ein, ermordeten auf bestialische Weise die schwangere
Sharon Tate und vier weitere Personen (Abigail Folger, Voityck
Frykowski, Jay Sebring, Steve Parent). Zwei Tage später
wurden der Großaktionär und Rennstallbesitzer Leno La Bianca
und seine Ehefrau Rosemary unter dem Schlachtruf »I am the
devil here to do the devil's work!« getötet. Monate vergingen,
bis der »schwarze Messias« mit dem Hakenkreuz auf der Stirn
hinter Gitter gebracht werden konnte. Bis heute sitzt er im
Hochsicherheitsgefängnis von San Quentin ein.

Marilyn Manson

Eltern werden ihren Kindern nicht von Teufeln und Dämonen


erzählen, sondern von der Liebe Gottes und der Fürsorge ihrer
Schutzengel. Sie schützen ihre Kinder vor der Begegnung mit
dem Abgründigen. Daß die Welt und ihre eigene Seele auch eine
dunkle Seite hat, werden sie früh genug erfahren. Die Erkenntnis
des Schattens ist eine Aufgabe der Jugendlichen. Spätestens in
der Pubertät entdecken sie, daß die Welt auch eine Schattenseite
hat. Das Interesse an Gegenhelden erwacht.
Der Musiker Marilyn Manson verkörpert diese dunkle Seite

-162-
der Wirklichkeit. Er stilisiert sich zum Antihelden. Der Name ist
ein Pseudonym von Brian Warner (*1969). Er wuchs in der
amerikanischen Provinz von Canton/Ohio auf. Seine
musikalischen Helden waren KISS, Alice Cooper und Ozzy
Osbourne, also die Antihelden der ersten Generation satanischer
Musiker (siehe Musik). Marilyn Manson ist in allem ein
Epigone. Sein Vorname verweist auf Marilyn Monroe, der
Nachname auf den Satanisten Charles Manson (siehe dort). »Die
Beiden verkörpern die Extreme unserer zerrissenen
Gesellschaft: das Schöne und das Entsetzliche«, kommentiert
Brian Warner. »Gott und Satan sind die beiden Seiten eines
jeden Menschen.« Schon diese Erläuterung zeigt, wie wenig
stimmig die künstliche Welt dieses Musikers ist, denn Marilyn
Monroe nahm sich durch eine Überdosis Schlaftabletten das
Leben.
Der Musiker Manson liebt das Spiel mit dem Bösen und die
Inszenierung einer satanischen Gegenwelt. Besonders die
Verunglimpfung des christlichen Kreuzes zieht sich als ein
Leitmotiv durch seine letzten Produktionen. Auf dem Cover der
CD »Holy Wood« ist er selbst als Gekreuzigter abgebildet, eine
ausgekoppelte Single zeigt einen ans Kreuz genagelten
menschlichen Embryo. Das Begleitheft zur CD zeigt Marilyn
Manson auf verschiedenen Tarot-Karten. Auf der fünfzehnten
Karte ist unter einem Pentagramm der Teufel abgebildet.
Höhepunkt dieser antichristlichen Selbstinszenierung ist die CD
»Antichrist Superstar«. Der Antichrist (siehe dort) ist einer der
Endzeitgegner Christi. Wie gefährlich dieses Spiel mit der
dunklen Seite der Wirklichkeit ist, das zeigen der Fall Sandro
Beyer (siehe Neosatanismus) und das berüchtigte Altamont-
Festival. Hier setzten sich die Rolling Stones (siehe dort) mit
ihrem Lied »Sympathy for the devil« in Szene. Die Folgen
waren eine Massenschlägerei und ein Todesfall.

-163-
Heilige Margarete

Neben dem Engel Michael und dem Ritter Georg (siehe dort)
hat es auch berühmte Drachenkämpferinnen wie die Heilige
Martha gegeben. Die bekannteste Drachenbändigerin aber ist die
Heilige Margarete. Ihr Name leitet sich von dem griechischen
»Margarita« (Perle) ab. Wasser, Tiefe und Taufe schwingen in
ihm mit. Margarete war bereits getauft, als sich zur Zeit der
diokletianischen Christenverfolgung der heidnische Statthalter
Olybrius in sie verliebt. Die Fünfzehnjährige verweigert sich
ihm, wird schrecklich gefoltert und ins Gefängnis geworfen.
Nachts erscheint im Kerker ein feuriger Drache und will sie
verschlingen.
Der Drachenkampf findet hier auf dem Schauplatz der Seele
statt. Die Jungfrau hatte sich in der Taufe mit Christus vermählt.
Jetzt wollte sie der weltliche Freier zur Untreue verführen. Ihr
Glaube wurde durch die Folter schwersten Prüfungen
ausgesetzt, und in der einsamen Stunde der Nacht greift sie der
Glaubensfeind mit aller Macht an. Margarete kämpft um ihre
Seele, ihre Identität, ihren Glauben. Sie richtet das Schwert des
Glaubens gegen den Schatten an ihrer Seite, macht mit den
Fingern ein Kreuzzeichen, das den Drachen vertreibt. In dieser
Nacht vor ihrer Hinrichtung hat sie den Teufel besiegt. Als der
Morgen dämmert, stirbt sie, um neu geboren zu werden und an
die Seite ihres himmlischen Bräutigams zu treten.
Die berühmteste Nacherzählung dieser Legende findet sich in
der Kerkerszene von Goethes »Faust«. Hier kämpft Margarete
kurz vor ihrer Hinrichtung gegen den Drachen an Fausts Seite
und seinen verheerenden Einfluss. Am Ende hat sie
Mephistopheles besiegt und tritt aus dem Dunkel der Welt ins
reine Licht des Himmels.
Mit der Heiligen Barbara und der Heiligen Katharina wird
Margarete zu den drei »Virgines Capitales« (Die Drei Heiligen

-164-
Jungfrauen) gezählt.
Ihre Symbole sind der Turm der Gefangenschaft, das Rad der
Folter und der Drache (Wurm):
»Barbara mit dem Turm,
Margareta mit dem Wurm,
Katharina mit dem Radl,
das sind die heiligen drei Madl.«

Auf dem Gnadenaltar der Basilika Vierzehnheiligen wird


Margarete mit Kreuzstab und angekettetem Drachen abgebildet.
Standhaftigkeit, Beharrlichkeit, Entschiedenheit,
Uneigennützigkeit, Opferbereitschaft und Fürsorglichkeit heißen
die Tugenden, die Georg und Margarete verkörpern.

Mephistopheles

Der Teufel in Goethes »Faust« (siehe dort) heißt


Mephistopheles. Dieser Name taucht zuerst im Volksbuch vom
»Doktor Faustus« (1587) auf. Als Goethe von seinem Freund
Zelter gefragt wurde, was denn der Name Mephistopheles
bedeute, mußte er passen: »Woher der Name Mephistopheles
entstanden ist, wüßte ich nicht direkt zu antworten.« (Brief vom
20. November 1829 an Zelter) Andere haben spekuliert und
hörten aus dem Namen die griechischen Worte für »Licht«
(phos) und »Freund« (philos) heraus. Die Negationspartikel
»me« sollte dann Mephistopheles als den Feind des Lichtes
erkennbar machen. Ableitungsversuche aus der hebräischen
Sprache wollen hier die Worte für »Verbreiter« (mefiz) und
»Unsinn« (tiflus) heraushören. Mephistopheles wäre also der
Verbreiter von Unsinn. Der Sprachforscher Yehuda T. Radday
wiederum führt den Namen auf Mephiboschet, einen Enkel des
Königs Saul, und Achitofel, den königlichen Ratgeber, zurück.

-165-
Mephiboschet lahmte auf einem Fuß, was zu dem Bild vom
Teufel passen würde.
Wahrscheinlich klingt in allen diesen Erklärungsversuchen
Richtiges an. Denn Dämonennamen haben einen magischen
Klang, sie verzaubern uns. Vielleicht haben deshalb manche ein
höllisch gutes Gefühl beim Wandern, wenn sie die Schuhmarke
»Mephisto« tragen.

Moloch

Moloch ist der Name eines Gottes mit satanischen


Charakterzügen. Im Tal Ben-Hinnom nah der Stadt Jerusalem
besaß er ein Heiligtum, in dem einige Juden ihre eigenen Kinder
opferten (Jeremia 32.35). Diese Opferung der Kinder stand unter
strengstem Verbot (Leviticus 20.2f.): »Wer unter den Israeliten
oder Fremdlingen in Israel eines seiner Kinder dem Moloch
gibt, der soll des Todes sterben; das Volk des Landes soll ihn
steinigen. Und ich will mein Antlitz kehren gegen einen solchen
Menschen und will ihn aus seinem Volk ausrotten, weil er dem
Moloch eines seiner Kinder gegeben und mein Heiligtum unrein
gemacht und meinen heiligen Namen entheiligt hat.«
Das Wort »Moloch« gehört noch heute zu unserer Sprache.
Wir benennen mit ihm bodenlose Zustände oder
unübersichtliche Verhältnisse: den Moloch der Unterwelt oder
den Moloch der Großstadt. Leider werden dem Moloch noch
immer Kinder geopfert: dem Moloch des väterlichen Ehrgeizes,
dem Moloch der Karriere, dem Moloch der Medien, dem
Moloch des Fanatismus.

-166-
Musik

Die Engel im Himmel musizieren und singen einen ewigen


Lobgesang auf den Schöpfer. Das Gloria und das Sanctus gelten
als ihre Lieblingslieder. Die alten Griechen glaubten, daß die
Sterne einen himmlischen Klang verströmten. Auch irdische
Sänger erleben ein Gefühl der Leichtigkeit und des
Getragenseins durch die Musik. Martin Luther (siehe dort) war
überzeugt, daß die Musik jeden Teufel vertreibe. Als David am
Hof des depressiven Königs Saul lebte, da verscheuchte er mit
seinem Lautenspiel die dunklen Schatten der Melancholie. Der
Sänger Orpheus konnte so wunderbar musizieren, daß die
Bäume näherrückten, wilde Tiere zahm wurden und das Wasser
in seinem ewigen Fluss innehielt. Musik ist eine große Kraft der
Wandlung.
Wie alles auf der Welt, so hat aber auch die Musik eine
Schattenseite. Der Gesang der Loreley betört die Seefahrer auf
dem Rhein, Odysseus und seine Gefährten sind den gefährlichen
Klängen der Sirenen ausgesetzt. In Hameln benutzt der
Rattenfänger seine musikalische Begabung zum Bösen, als er
durch sein Flötenspiel die Kinder aus der Stadt lockt. Satanische
Musik gibt es nicht erst seit der Erfindung von Heavy Metal
oder Death Metal.
Ein Musiker, der durch Auftreten und Virtuosität eine
dämonische Aura erworben hatte, war der »Teufelsgeiger«
Niccolo Paganini. Von Giuseppe Tartinis »Teufelstriller-
Sonate« kursiert die Legende, der dreißigjährige Meister habe
im Traum einen Pakt mit dem Teufel (siehe Teufelspakt)
geschlossen und seine Seele für eine genialische Begabung
eingetauscht. Tartini überreicht dem Teufel eine Geige, damit
dieser seine Künste zeige. Mit höchster Meisterschaft spielte der
Teufel eine Sonate, deren außergewöhnliche Schönheit die

-167-
kühnsten Höhenflüge der Phantasie Tartinis übertroffen haben
soll: »Ich fühlte mich entzückt, entrückt, verzaubert, mein Atem
stockte - und ich erwachte.« Sogleich griff der Meister nach
seiner Geige und versuchte, die Klänge des Teufels erneut
hervorzubringen. So entstand die »Teufelstriller-Sonate.«
Obgleich das Beste, was er als Komponist hervorgebracht habe,
sei sie doch nur ein schwacher Nachhall der teuflischen
Virtuosität gewesen.
In der klassischen Musik ist der Teufel eine Metapher für
Virtuosität. Die Rockmusiker der Sechziger und Siebziger Jahre
des 20. Jahrhunderts dagegen setzen den Satan in Szene. Er ist
Leitbild einer jugendlichen Gegenwelt. Satan ist der Antiheld
schlechthin. Die Gruppen nennen sich AC/DC
(»Antichrist/Death for Christus«), Black Sabbath, Venom, Dio,
Mercyful Fate, KISS (»Ritter im Dienste Satans«) und W.A.S.P.
(»Wir sind Satans Leute«). Ihre Bekenntnisse lauten: »In Lord
Satan we trust« (Slayer), »Heart of the Devil« (Danzig), »The
number of the Beast« (Iron Maiden), »We have a deal with
Satan« (Tankard) oder »Your God is dead« (Nine Inch Nails).
Black Metal oder Death Metal heißt diese Musikrichtung, die
sich durch knallharte Rhythmen, metallisches Hämmern,
verzerrte Stimmen, Röcheln, Würgen und enorme
Sprechgeschwindigkeit auszeichnet.
Led Zeppelin, Lucifers Friend und The Doors gelten als
Ahnherren der satanischen Musik. Auf dem Cover der
legendären LP »Sergeant Peppers« ist der Satanist Aleister
Crowley (siehe dort) abgebildet, und in dem Song »Revolution
No. 9« des berühmten weißen Doppelalbums sollen die Beatles
eine Anspielung auf Satan versteckt haben. Allerdings muß die
Platte rückwärts gespielt werden, will man die Botschaft hören.
»Backward-Masking« wird diese Abspieltechnik genannt. Sie
dient zur satanischen Mystifizierung großer Teile der
Rockgeschichte. Angeblich befinden sich teuflische Botschaften
in den Liedern der Gruppen Pink Floyd, The Beatles und Led

-168-
Zeppelin. Als berühmtestes Beispiel gilt der Song »Stairway to
heaven«. Denn rückwärts gespielt, enthält der Led Zeppelin-
Titel die Botschaft: »Listen, I will sing, because I live with
Satan« (»Höre, ich werde singen, weil ich mit Satan lebe«). Man
muß nicht die Nadel oder den Diamanten seines Plattenspielers
unnötig strapazieren, um des Teufels Stimme zu hören.
Unverhohlen bezeugten die Rolling Stones (siehe dort) bereits
1968 ihr Mitgefühl für den Teufel: »Sympathie for the Devil«
wurde in den späten Sechziger Jahren zur Hymne der
Gegenkultur. Es spiegelt das Lebensgefühl einer Generation,
ihre Träume und Alpträume. Vom Teufel sprachen damals die
»Hell's Angels« (siehe dort), La Vey gründete die Satanskirche
(siehe dort), Roman Polanski drehte »Rosemary's Baby« (siehe
dort), Charles Manson (siehe dort) glaubte, er sei der neue
satanische Messias, Kenneth Anger plante einen
Undergroundfilm »Lucifer Rising«, in dem Mick Jagger die
Hauptrolle spielen sollte.
Die satanischen Gruppen der Achtziger und Neunziger Jahre
heißen Marduk, Gehenna, Thirst, Capricornus, Carpathian
Forest, Abigor, Zyklon B, Graveland, Darkthrone, Ildjarn,
Veles, Burzum, Mayhem, Dark Funeral, Baltam und Satyricon.
Wie schnell aus einer musikalischen Beschwörung dunkler
Mächte böser Ernst werden kann, zeigt das Beispiel der Gruppe
Absurd. Mit ihrem Namen ist die Ermordung des Schülers
Sandro Beyer verbunden (siehe Neosatanismus).

Mutterschwein

Jeder weiß, daß Schweine äußerst intelligente Tiere sind. Sie


gehören zu den Begleitern des Heiligen Antonius, der darum
auch »Sau-Toni« genannt wird. Doch in der religiösen Welt der
Juden und Muslime gelten sie als unrein. Kein frommer Bürger
Jerusalems oder Ankaras käme auf die Idee, Schweinefleisch zu

-169-
essen. Der Teufel aber liebt nicht nur alle Schweinereien, er
benutzt Schweine sogar als Reittiere oder versteckt sich in ihrem
Körper (Markus 5.1-20). Mutterschweine sind daher keine
Zuchtsauen, sondern flugfähige Schweine, auf deren Rücken
auch Hexen durch die Luft fliegen. Goethe beschreibt den Flug
der alten Hexe Baubo (Faust 3962ff.):
»Die alte Baubo kommt allein,
Sie reitet auf einem Mutterschwein.
So Ehre denn, wem Ehre gebührt!
Frau Baubo vor! Und angeführt!
Ein tüchtig Schwein und Mutter drauf,
Da folgt der ganze Hexenhauf.«

Neosatanismus

Jede Form des Satanismus ist mit einer Umwertung


traditioneller christlicher Werte verbunden. Satanismus ist
»verkehrte Welt«: Aus dem Bösen wird der Gute, aus dem
Guten das Böse. Doch nicht jeder, der vom Teufel spricht,
glaubt wirklich an seine Existenz. Jugendlicher
Protestsatanismus (siehe dort) benutzt das Wort »Satan« und
satanische Symbole wie das Pentagramm zur Provokation. Der
Protestsatanismus ist von einer kultischen Verehrung des
Teufels zu unterscheiden. Diese zeigt sich in den neosatanischen
Gruppen. Hier findet nicht nur eine satanische Selbststilisierung
durch dunkle Kleidung, Musik und Symbole statt, hier wird
tatsächlich die Macht des Bösen in schwarzen Ritualen gefeiert.
Wie gefährlich solcher Neosatanismus ist, das zeigt der
Selbstmord von drei Jugendlichen. Im August 2001 nahmen sie
sich durch einem Sprung von der 78 Meter hohen
Göltzschtalbrücke im sächsischen Vogtland das Leben.
Okkultismus sei die Metaphysik der dummen Kerle, sagte

-170-
einmal Theodor W. Adorno. Über dieses Urteil läßt sich streiten.
Doch gewiss ist der Neosatanismus die Religion der
Psychopathen. Wer sonst käme auf die Idee, Gräber zu
schänden, Kaninchen zu töten, ihr Herz zu essen und ihr Blut zu
trinken, wie es eine fünfköpfige Gruppe von Neosatanisten aus
dem schweizerischen Richterswil gemacht hatte. Beim Prozess
vor dem Zürcher Obergericht im Mai 2001 wurde deutlich, wie
fließend der Übergang vom Protestsatanismus zum
Neosatanismus ist. Dies zeigt auch der Fall Sandro Beyer.
Zehn Jahre nach Mick Jaggers Teufelshymne (siehe Rolling
Stones) wird im thüringischen Kreisstädtchen Sondershausen
Sandro Beyer geboren (12. April 1978). Ganz in der Nähe hatte
sich im Jahr 1925 der Satanist Aleister Crowley (siehe dort) zum
Weltenerlöser ausrufen lassen. Sandro Beyers Mörder kommen
aus wohlbehüteten bürgerlichen Familien. Ihre Eltern sind
Lehrer, ein Vater ist CDU-Kreistagsabgeordneter. In
Sondershausen kennt jeder die satanischen Obsessionen der
Jugendlichen. Doch niemand nimmt sie ernst. Die Videotheken
präsentieren Hunderte von Horrorfilmen, das Böse springt dem
Leser aus jedem Roman von Stephen King entgegen. Selbst die
öffentliche Ankündigung der Ermordung Sandro Beyers in einer
Schülerzeitung findet keine Beachtung. Sandro liebt die Musik
der schwarzgekleideten Grufties wie »Relatives Menschsein«,
»Goethes Erben«, »The Cure«. Er übt sich im Verfassen
düsterer Verse. Aus der Videothek entleiht er sich grausame
Filme, in denen die Gewalt an Menschen bedenkenlos
verherrlicht wird. Einige der Filme sind so brutal, daß sie nur im
Postversand oder unter der Ladentheke gehandelt werden. Ihre
Titel lauten »Evil Dead«, »Tanz der Teufel«, »Augen des
Todes« oder »The Texas Chainsaw Massacre«. Sandro spielt mit
dem Gedanken, einen eigenen Horrorfilm mit der Videokamera
seines Freundes zu drehen. Gefilmt werden soll die Ausweidung
eines Leichnams. Arbeitstitel: »Das Großvater-Massaker.«
Sandro ist beeindruckt von einer Gruppe Jugendlicher, die

-171-
sich um den siebzehnjährigen Gymnasiasten Sebastian Schauseil
gebildet hat. Er möchte in ihren Kreis aufgenommen werden
und wirbt vergeblich um Sebastians Gunst. Die Mitglieder der
Gruppe »Kinder des Satans« haben Hunderte von Stunden vor
dem Videorecorder verbracht und sich in aberhundert Stunden
die Ohren von der schwarzen Musik der Heavy- und Death-
Metal-Szene volldröhnen lassen. Ihre Identifikation mit den
Antihelden aus Film, Musik und Buch geht so weit, daß sie
deren Namen übernehmen. Sebastian nennt sich Dark Mark
Doom, sein Bruder Ronald hat sich das Pseudonym Hannibal
the Cannibal (»Das Schweigen der Lämmer«) zugelegt. Andreas
wird Chuck Daniels gerufen, Thoralf heißt außerhalb der
Familie Judas oder Norman Bates nach dem Film »Psycho« von
Alfred Hitchcock. Damien Thorn (»Omen«) ist das Vorbild für
Udo, und Hendrik Möbius trägt gleich vier Namen: Joe Ramone,
Messiah, Jarl Flagg Nidhögg und Randall Flagg nach dem bösen
Helden des apokalyptischen Romans »Das letzte Gefecht«
(»The Stand«) von Stephen King.
Sebastian und seine Bewunderer lassen sich von dem
Gesehenen und Gehörten zu eigenen sadistischen Phantasien
anregen. Auch sie dichten und singen von der Macht Satans. Im
Januar 1992 gründen sie eine Band mit dem Namen »Absurd«.
Ein Jahr später bespielen und vertreiben sie ihre erste eigene
Musikcassette mit dem Titel »Death From The Forest«. Im
Wald werden sie Sandro Beyer erdrosseln. Das Bekenntnis zur
Mordlust geschieht öffentlich. Mit Erscheinen der Cassette
veröffentlicht die Schülerzeitung des Scholl- Gymnasiums dann
eine Selbstanzeige von Sebastian. Darin schreibt er: »Die
ABSURD-Werke handeln von Lucifer, Hölle, Dämonen,
Barbaren, Tieren (welche die Teufelsanbeter mit genialem
Geheul gar schrecklich durch jeden Hymnos begleiten),
Blutbädern, gefallenen Engeln und ähnlichen schönen ›Dingen‹
.« Die Schulleitung, zu deren Dienstpflichten die Lektüre von
Schülerzeitungen gehört, reagiert nicht auf dieses öffentlich

-172-
ausgesprochene Bekenntnis der »Teufelsanbeter«, die von der
Ermordung Sandro Beyers singen:
»Niemand weiß, wer ich wirklich bin.
Niemand hält das Böse auf.
Niemand weiß, daß ich ein Werwolf bin.
Und das Grauen nimmt seinen Lauf.
Im Wald hört niemand der Opfer Schrei.
Wieder ist die graus'ge Tat vollbracht! Ha!
Der Toten letzte Worte waren: Gott, steh' mir bei!
Und der Vollmond scheint in finstrer Nacht. Aarrr...! «

Im CVJM-Heim von Sondershausen treten Sebastian und die


Gruppe mehrfach öffentlich auf und provozieren die jungen
Christen mit ihrem Bekenntnis zum Teufel. Sebastian
bezeichnet sich selbst als Sohn der Hölle, berichtet von
satanistischen Blutritualen und zeigt seine vernarbten Arme. Er
sei zu jedem Opfer bereit, auch zu Menschenopfern. Crowleys
Imperativ »Tu, was Du willst, soll sein das ganze Gesetz« gelte
auch für sie. Satan beherrsche die Welt, sagt Sebastian, und er
stehe in seinem Dienst. »Lucifer ist mein Meister, und ich bin
ein Sohn der Hölle.« Am 3. Juli 1992 hat Sebastian seinen
großen Auftritt beim Kirchentag in Erfurt. Vor dem Forum der
Arbeitsgruppe Sekten und Okkultismus bekennt er sich zum
Satanis mus. »Wir sind überzeugte Satanisten und beten Lucifer
an. Eine Katze oder einen Hund zu opfern macht uns gar nichts
aus.« Auch Menschenopfer seien möglich.
Unzensiert von der Schulleitung darf im November 1992 ein
Interview mit Hendrik Möbius in der Schülerzeitung »Kurz und
Gut« erscheinen. Hendrik charakterisiert seine Gruppe. Sie
verehre »Lucifers Anti-Religion. Wir glauben an das Böse; an
den Tod, an das Fleisch; an die Lust; an die Macht; an die
Finsternis; an die Schlacht; an den Sieg; an die Seelen; an die

-173-
Dämonen; an Lucifer, unseren Vater und Meister; an das Blut;
an die Zerstörung.« Weiter heißt es: »Wir wünschen den Tod!!!
Und zwar aller Lebewesen.« Auch die perverse Lust an
sadistischen Filmen wird öffentlich bekannt. Auf die Frage nach
ihrer Freizeitbeschäftigung antwortet der Sohn aus
gutbürgerlichem Hause: »Also, wir schauen recht oft Video, am
liebsten Splatter- und Actionfilme, wo die Menschen auf das
Grausamste getötet werden. Lesen tut auch jeder, bevorzugter
Autor ist Stephen King.« Hendrik Möbius berichtet von dem
Waldgelände auf dem Berg Göldner, wo sich die Gruppe
regelmäßig trifft, und er spricht eine klare Morddrohung
gegenüber Sandro Beyer aus. »Sandro B. gehört definitiv nicht
zu uns, auch wenn er so etwas in der Art behaupten mag. No
Chance! Falls irgendwer auf den Gedanken kommen sollte, uns
besuchen zu wollen, so sei er gewarnt. Unser Verhalten hängt
sehr stark vom Verhalten unseres Gastes ab. Im tiefen Wald hört
dich niemand schreien.«
Am 29. April 1993 wird Sandro Beyer von den jugendlichen
Satanisten in einer Waldhütte mit einem Kabel erdrosselt.
Niemand hört seine Todesschreie. Vor Gericht zeigen die Täter
keine Reue. Es kommt sogar heraus, daß eine Videoaufnahme
von der Ermordung Sandro Beyers geplant gewesen war. Für
den vorsätzlich geplanten Mord bekommen Sebastian und
Hendrik eine Haftstrafe von acht Jahren, Andreas geht für sechs
Jahre ins Gefängnis. Inzwischen sind sie alle wieder auf freiem
Fuß.

Neutrale Engel

Neutralität gilt vielen Menschen als eine große Tugend.


Neutralität bedeutet für sie, keine Vorurteile zu haben,
Gerechtigkeit gegenüber jedermann zu üben und wie der
Schiedsrichter beim Fußballspiel unparteiisch zu sein. Doch

-174-
gegenüber der Wahrheit kann es keine Neutralität geben. Der
Schiedsrichter ist zwar gegenüber beiden Mannschaften der
»Unparteiische«, aber sein Urteil ist nicht neutral. Es richtet sich
nach den Fußballregeln. Auch in allen Fragen der Wahrheit und
der Menschlichkeit kann es keine Neutralität geben. Wenn ein
Mensch verletzt auf der Straße liegt, dann ist von allen
Vorbeigehenden Parteilichkeit gefordert.
Nicht anders waren die Verhältnisse, als es vor Urzeiten im
Himmel zur Rebellion Satans und seiner Engel kam. Da war die
Wahrheitsfrage gestellt. Etwa 80 Prozent der Engel (siehe
Engelsturz) stellte sich auf Gottes Seite, etwa 20 Prozent auf die
Seite Satans. In der Engelforschung gab es allerdings auch
immer Stimmen, die von einer Gruppe neutraler Engel sprach.
Diese soll sich weder für Gott noch für den Teufel entschieden
haben. Da nun Gott aber die Wahrheit ist, galt diese Form der
Neutralität als Sünde des Zweifels. Prominentester Vertreter der
Lehre von den neutralen Engeln ist der Dichter Wolfram von
Eschenbach. Sein Erlösungsdrama »Parzival« (ca. 1210) erzählt
von der Gralssuche.
Wolfram nennt die Tempelritter (gegründet um 1118) als
Hüter des Grals. Mit ihrem Dienst haben sie die neutralen Engel
abgelöst: »Jene edlen und erhabenen Engel, die im Kampf
zwischen Lucifer und der göttlichen Dreieinigkeit für keine
Seite Partei ergreifen wollten, wurden zur Strafe auf die Erde
verbannt, um den makellos reinen Stein zu hüten. Ich weiß
nicht, ob Gott ihnen verziehen hat oder ob er sie endgültig
verworfen hat. Wenn es seine göttliche Gerechtigkeit zuließ, hat
er sie vielleicht wieder in Gnaden aufgenommen. Seitdem hüten
den Stein die Menschen, die Gott dazu berufen und denen er
seinen Engel geschickt hat.« (Parzival 471,12ff.)
Auch Dante kennt die neutralen Engel. In seiner »Göttlichen
Komödie« gibt es einen »Vorhof der Hölle«, in dem sich neben
den neutralen Engeln die Menschen befinden, die in
Glaubensdingen unentschieden waren:

-175-
»Vermischt sind die Lauen mit jenem feigen Chore
Der Engel, welche nicht Empörer waren,
Noch Gott getreu, für sich gesondert bleibend.
Nicht seinen Glanz zu trüben, stieß der Himmel
Sie aus, noch nimmt sie auf die tiefe Hölle.«

Menschen, die sich weder für noch gegen Gott entscheiden,


werden auch Agnostiker genannt. Der Atheist sagt: Ich bin
überzeugt, daß es keinen Gott gibt. Der Agnostiker dagegen
sagt: Ich kann weder beweisen, daß es Gott gibt, noch kann ich
beweisen, daß es ihn nicht gibt. Beides ist möglich. Ich weiß es
einfach nicht. Ein Agnostiker ist ein »Nichtwissender«. Viele
gebildete Menschen sind Agnostiker. Doch kann es unter den
Engeln Agnostiker geben? Engel leben im Licht Gottes, sehen
ihn von Angesicht zu Angesicht. Wie können sie da
Nichtwissende sein? So dürften die neutralen Engel eine
Projektion menschlicher Zweifel auf die Engelwelt sein.

Okkultismus

»Können wir nicht mal das Thema ›Okkultismus‹


behandeln?«. Das werden Religionslehrer und -lehrerinnen
immer wieder gefragt. Aberglaube, Spiritismus und
Okkultismus gehören neben dem Satanismus zu den beliebtesten
Themen der Jahrgänge 6-9. Ursache dafür ist nicht nur ihre
starke Präsenz in den Jugendzeitschriften. Warum sich
Jugendliche für okkulte Welten interessieren, liegt auf der Hand:
Das lateinische Wort »occultum« bezeichnet das
Geheimnisvolle, Verborgene, eine andere Seite der Wirklichkeit,
über die in kirchlicher Jugendarbeit, am Familientisch und in der
Schule selten gesprochen wird. Zu den okkulten Praktiken
gehören Geister- und Totenbefragung, Gläserrücken, Magie,

-176-
Pendeln und Wahrsagen. Im Licht der Vernunft betrachtet,
werden sie leicht als bewußte Täuschung oder einfach Spinnerei
abgetan. Doch kennen die meisten Menschen auch Momente, in
denen sich der Schleier über dem Geheimnis einer anderen Welt
zu lüften scheint.
»Der Aberglaube gehört zum Wesen des Menschen«, sagt
Goethe. »Er flüchtet sich, wenn man ihn ganz und gar zu
verdrängen denkt, in die wunderlichsten Ecken und Winkel, von
wo er auf einmal, wenn er einigermaßen sicher zu sein glaubt,
wieder hervortritt.« Doch auch zum christlichen Glauben gehört
die Verehrung des Geheimnisvollen. Gott ist das Geheimnis der
Welt. Wenn in der Kirche nicht mehr von dem »mysterium
tremendum et fascinosum« (Rudolf Otto) gesprochen wird, dann
suchen es die Menschen an einem anderen Ort. Der Okkultismus
entsteht immer dort, wo das Christentum an spiritueller Kraft
und Lebendigkeit verliert. Wenn der Glaube verschwindet, dann
hinterläßt er eine Lücke. Der Okkultismus besetzt sie. Er bietet
einen »Ersatz« für den alten Glauben an. Das zeigt auch ein
Blick in die Geschichte: Okkulte Weltanschauungen wie
Theosophie, Anthroposophie und moderne Rosenkreuzer
entstehen Ende des 19. Jahrhunderts im Zeitalter der
Naturwissenschaft und der Krise des christlichen Glaubens.
Damals wurde auch der christliche Glaube an eine leibhaftige
Auferstehung und ein Leben im Jenseits immer schwächer. Hier
bot der Spiritismus einen Ersatz an. Der Spiritismus geht davon
aus, daß es hinter der sichtbaren Welt ein Reich der Geister
(»spiritus«=Geist) gibt. Zu diesen können besonders begabte
Menschen Kontakt aufnehmen. Solche Mittler zwischen
Diesseits und Jenseits werden auch Medien oder Vermittler
genannt. Mit dem Mediumismus beschäftigten sich die Ärzte
Justinus Kerner und Heinrich Jung-Stilling, die Philosophen
Schelling und Schopenhauer, Pfarrer Oberlin, Carl Freiherr du
Prel und der Münchener Arzt Albert Freiherr von Schrenck-
Notzing, an dessen Münchener Séancen auch Thomas Mann

-177-
(»Okkulte Erlebnisse«) teilnahm. In seinem Roman »Der
Zauberberg« erzählt er von einer spiritistischen Sitzung, auf der
ein Geist mit dem Namen »Spirit Holger« beschworen wird.
Hilfe aus dem Geisterreich will auch Michael Ende bei der
Niederschrift der Bestseller »Momo« und »Die Unendliche
Geschichte« erhalten haben. Eine beliebte Literaturgattung sind
darüber hinaus Gespräche mit den Seelen berühmter
Verstorbener. So gibt es postmortale Werke von Thomas Mann
und Carl Gustav Jung und das Curiosum eines Interviews mit
Rudolf Bultmann. Zu Lebzeiten war dieser der berühmteste
evangelische Theologe des 20. Jahrhunderts. Von ihm stammt
das Wort: »Man kann nicht elektrisches Licht und
Radioapparate benutzen, in Krankheitsfällen moderne
medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und
gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen
Testamentes glauben.« Am 6. August 1983 wurde Bultmanns
Geist auf einer spiritistischen Sitzung beschworen. Aus dem
Jenseits widerrief er seine kritischen Äußerungen gegen die
Geisterwelt und bekannte, »daß ich in meiner Auffassung falsch
gehandelt habe«.

Heiliger Patrick

Wo immer auf der Welt zwei oder drei Iren an einem 17.
März zusammenkommen, da singen, beten und trinken sie zu
Patricks Gedächtnis. In New York feiern sie auf der 5th Avenue,
in Dublin tragen selbst Bankangestellte grüne Plastiknasen, und
nicht nur Punks färben sich die Haare grün. Aus dem Brunnen
der Anna Livia Plurabelle auf der O'Connell Street fließt grünes
Wasser, und die Pizzen sind mit grünem Farbstoff eingefärbt.
Nur das Guinness-Bier ist torfbraun wie immer. Nach dem
Gottesdienst um 11 Uhr versammeln sich alle Dubliner am St.
Stephen's Green zur Parade. Jeder Teilnehmer trägt mindestens

-178-
ein grünes Kleidungsstück und ein dreiblättriges Kleeblatt
(Shamrock). Nachmittags geht es zum Pferde-, Kanu- oder
Windhundrennen, abends ins Pub zum »Ertränken des
Kleeblatts« (»Drowning of the Shamrock«).
Der Mann, zu dessen Ehre die ganze irische Welt am 17.
März singt, betet und trinkt, heißt Padraig (385-461). Die
Engländer rufen ihn Patrick. Padraig ist Irlands Nationalheiliger.
Nach ihm sind heilige Berge, Inseln, Kirchen, Schiffe, Straßen
und der »Paddy«, die beliebteste Whiskeysorte des Landes,
benannt. Bei kalter, nebliger Witterung genießen die Iren ihren
»Paddy« mit einer nelkengespickten Zitronenscheibe und einem
Schuss kochendem Wasser als »Hot Toddy«. Im fünften
Jahrhundert war Padraig von Gott berufen worden, die
keltischen Stammesfürsten der grünen Insel zum christlichen
Glauben zu bekehren. Auf einem Berg im Westen Irlands und
einer Insel im Lough Derg hatte er mit dem Teufel gerungen.
Das Kind aus einer römischbritischen Familie wuchs im
Grenzland zwischen England und Schottland auf. Seeräuber
entführten ihn und viele andere Kinder nach Irland, wo Padraig
sechs Jahre lang als Sklave arbeitete. Als ihm die Flucht zurück
in seine Heimat gelang, schwor er bei Gott, er werde eines
Tages an den Ort seiner Peiniger zurückkehren, um sie zum
christlichen Glauben zu bekehren. Im Jahr 431 begann er seine
Glaubensverkündigung in Tara, wo der König Laoghaire
residierte. Hier hatte er die Macht des neuen Gottes in
zahlreichen Wettkämpfen mit dem keltischen Druiden Lucamael
unter Beweis zu stellen. Nach einer erfolgreich bestandenen
Wasser- und Feuerprobe durfte Padraig dem König von Gott
erzählen. Gott sei Vater, Sohn und Heiliger Geist, sagte der
Heilige, und Laoghaire schüttelte den Kopf. Ihm wolle Padraig
den alten Glauben an die vielen Götter ausreden, dabei verkünde
er nicht s Neues, denn er glaube selbst an drei Götter. Nein,
erwiderte Padraig, es gebe nur einen Gott, den allmächtigen
Schöpfer des Himmels und der Erde. Vorhin habe er behauptet,

-179-
sagte der Kelte, der christliche Gott habe neben sich einen Sohn
und einen Heiligen Geist. Also lehre er drei Götter.
Wie sollte Padraig dem König erklären, daß sein Gott drei und
doch eins war, eben dreieinig? Da fiel sein Blick auf ein
Kleeblatt, das Shamrock. Er pflückte es und legte es Laoghaire
in die geöffnete Hand. Der König blickte verdutzt auf das
Kleeblatt, dann in die wasserblauen Augen des Heiligen. Was
hatte der Gottesmann vor? Der König konnte dem gewöhnlichen
dreiblättrigen Kleeblatt keine Bedeutung entnehmen. Es enthielt
keine Botschaft. Wenn es wenigstens vierblättrig ge wesen wäre!
Aber vielleicht werde Padraig im Namen seines Gottes ein
Wunder vollbringen und aus dem dreiblättrigen ein
vierblättriges Kleeblatt zaubern. Der König fragte nach, ob dies
Padraigs Absicht sei. Der Heilige lächelte. Das Wunder liege
bereits offen in der Hand des Königs, er müsse nur noch lernen,
die Zeichen Gottes zu deuten. »Sage, was Du siehst, König
Laoghaire!«
»Ein Shamrock.«
»Richtig. Ein Kleeblatt«, wiederholte der Heilige. Jetzt solle
der König ihm sagen, wie viele Blätter es habe. Welche Frage!
mag der König gedacht haben, aber er gab die richtige Antwort.
Padraig wartete, bis Laoghaire das Geheimnis des Shamrock
selbst entdeckt hatte. »Ein Kleeblatt mit drei Blättern, ein Gott
in drei Personen. Dreifaltig, dreieinig, dreiblättrig! Komm,
Padraig, lass uns die alten Götter im Whiskey ertränken!«
Padraig war nicht der erste Missionar. Kirchen werden nicht
an einem Tag erbaut, und selbst die Insel der Heiligen wurde
nicht von einem Mann allein bekehrt. Padraig war ein
Vollender. Andere Gottesmänner hatten Vorarbeit geleistet. Ihre
wohlklingenden gälischen Namen sind überliefert: Ibarus von
Begerin, Declan von Ardmore, Ailbhe von Imlech, Iubhair und
Ciaran von Saighir. Von Tara aus durchwanderte Padraig den
Norden und den Westen der Insel. Am Ende seines Lebens hatte
er Gottes Auftrag erfüllt. Der Satan hatte ihm nachgestellt,
-180-
besonders dann, wenn sich der Heilige in die Einsamkeit
zurückgezogen hatte. Vierzig Tage und Nächte fastete er auf
Station Island im Lough Derg. Das »Fegefeuer des Heiligen
Padraig« (»Saint Patrick's Purgatory«) wird dieser heilige Ort
genannt.
Hierher kommen noch heute Menschen, um drei Tage in
Gebet und Schweigen bei Tee und einem halben Laib Brot zu
verbringen. Beim Betreten der Insel ziehen sie sich wie Moses
vor dem brennenden Dornbusch die Schuhe aus. Wer zu Gott
finden will, dem hilft ein Ausstieg aus dem Alltag. Padraig hatte
die magischen Orte der grünen Insel mit sicherem Gespür
entdeckt. Gottes Gegenwart hatte er auf einem 765 Meter hohen
Berg an der Westküste gesucht und dafür vierzig Tage und
Nächte in der Osterzeit gefastet. Das war im Jahr 440. Heute ist
der Berg nach dem Heiligen benannt. Der Croagh Patrick ist
irisches Nationalheiligtum, ein Heiliger Berg, den der Pilger
barfuß besteigt. Am Fuß des Berges wird er von einer weißen
Statue des Heiligen begrüßt. Das kühle Wasser eines
Bergbaches plätschert vorbei und mündet schließlich ins nahe
gelegene Meer. Ein weißes Hinweisschild mit schwarzer Schrift
erinnert den modernen Pilger und die Touristen an die Würde
des Ortes und bittet um angemessene Beachtung.
Der Weg führt direkt auf den steilen Berg. Er ist steinig, und
die flachen Steine rutschen unter den Füßen hinweg. Auch wer
mit Schuhen den Pilgerpfad besteigt, kommt selten ohne
Schrammen oben an. Der Aufstieg soll Mühe bereiten. Das
Hinweisschild am Fuß des Berges ruft den religiösen Sinn in
Erinnerung: Dies ist eine Reise des Gebetes und der Buße
(»This is a Journey of Prayer and Penance«):
»Christ with me
Christ before me
Christ behind me
Christ in me

-181-
Christ beneath me
Christ above me
Christ on my right
Christ on my left
Christ where I lie.«

Auch der heilige Padraig war von Anfechtungen nicht


verschont geblieben, als er ein vierzigtägiges Osterfasten auf
dem Berg hielt. Kurz vor dem Ziel tauchten schwarze Vögel in
so großer Zahl auf, daß Himmel und Erde verdunkelt wurden.
Sie stießen schreckliche Schreie aus und verbreiteten einen
stinkenden Geruch. Ihr Ziel war die Verunsicherung des
Gottesmannes. Er sollte sein Missionswerk aufgeben und nach
England zurückkehren. Padraig wehrte sich durch einen zähen
Gebetskampf. Er betete Psalmen und machte gegen die
schwarzen Vögel der Seele das Kreuzzeichen. Dann läutete er
mit seiner kleinen Eisenglocke und warf sie nach den Dämonen.
Beim Sturz auf den Boden bekam sie einen Riss. Die
Satansvögel aber flohen in die Meereswüste. Nun stellten sich
Vögel mit strahlend weißem Gefieder ein. Es waren Engel, die
Padraig dienten. Mit einem der Engel Gottes hatte der Heilige
ein langes Gespräch, in dem es über die Zukunft Irlands ging
und damit um den Bestand von Padraigs Lebenswerk. Sein Weg
war lang und mühselig gewesen. Jetzt saß er hoch oben auf dem
Berg. Wie aber würde es weitergehen? Padraig erbat von Gott
die Gnade, daß sämtliche Iren den christlichen Glauben
annehmen und daß sie ihn niemals verlieren werden. Dieses
Geschenk wurde ihm gewährt und noch ein zweites. Gott
versprach ihm, daß am Tag des Weltgerichtes, wenn die
Lebenden und die Toten vor Gottes Richterstuhl treten werden,
kein Ire zur Hölle (siehe dort) verurteilt werde. Wer diesen
Gipfel des göttlichen Wohlgefallens erreicht hat, der steigt den
steilen Berg freudig hinab. Kein Teufel stellt sich ihm mehr in

-182-
den Weg.

Pentagramm

Der Drudenfuß oder das Pentagramm ist ein fünfzackiger


Stern. Mit Kreide auf den Boden gezeichnet, auf Türschwellen,
Stalltüren oder Kinderbetten gemalt oder als Amulett getragen,
dient er der Abwehr des Bösen. Besonders unter den Anhängern
der Gothic-Szene (siehe dort) ist der Drudenfuß beliebt. Doch
schon Goethes Faust benutzt ihn, um den Teufel zu bannen. Das
deutsche Wort »Drudenfuß« geht auf die Drude zurück. Druden
sind erfahrene Hexen in der Lebensmitte, die es verstehen, ihre
Opfer mit schweren Albträumen und Albdrücken heimzusuchen.
Diese einer Angina pectoris vergleichbaren Herzattacken führen
zu Atemnot und Angstzuständen. Die Drude ist auch als Toggeli
oder Doggi, Mahr und Alb (Alf) bekannt. Sie versteht es, die
sexuelle Fantasie in Träumen zu erregen.
Moderne Hexen (siehe dort) oder Wicca deuten die fünf
Zacken des Pentagramms als Symbole für die vier Elemente
Feuer, Wasser, Erde und Luft. Die oberste Spitze ist ein Symbol
für den Geist.

Poltergeister

Poltergeister machen sich durch laute Klopfgeräusche,


Rumpeln und Pumpein bemerkbar. Wenn im Wohnzimmer
plötzlich Bilder von den Wänden fallen oder Gläser zerspringen,
dann könnte hinter diesem Spuk ein Poltergeist stehen (siehe
Spukorte). Besonders in Familien mit pubertierenden Kindern
kommen Poltergeistphänomene vor. Poltergeister schlagen laut
mit den Türen, drehen die Musik bis zum Anschlag auf,
verrücken Tisch und Bett, behindern durch Dauertelefonate die

-183-
Kommunikation oder besetzen das Internet. Parapsychologen
sehen in diesen Poltergeistphänomenen einen Ausdruck der
inneren Spannungen der Jugendlichen.
Poltergeister treten auch als nächtliche Ruhestörer in
katholischen Pfarrhäusern auf. So ist bezeugt, daß Pater Pio und
der Pfarrer von Ars regelmäßig von Poltergeistern heimgesucht
wurden. In mancher Nacht wurden sie aus dem Bett gezogen
und grün und blau geschlagen. Zuweilen haben es Poltergeister
auf eine ganze Familie abgesehen. Zu ihnen gehört die so
genannte »Beil- Hexe«, benannt nach der Familie Bell aus einem
Ort in Tennessee. Drei Jahre lang suchte dieser Quälgeist durch
lautes Poltern den Farmer Jack Bell, seine Frau und ihre acht
Kinder heim. Nachts zog er sogar den Kindern die Bettdecke
weg. Poltergeisterscheinungen haben häufig einen familiären
Hintergrund. Sie sind ein Hinweis auf unerlöste
Familienbeziehungen. Deshalb können sie auch Familiengeister
genannt werden. Im Fall der Familie Bell entpuppte sich der
Poltergeist als Wiedergänger (siehe dort) einer Verwandten.
Einmal gab der Poltergeist seine Identität preis: »Ich bin
niemand anders als die Hexe der alten Kate Bell, und ich bin
entschlossen, den alten Jack Bell, solange er lebt, heimzusuchen
und zu quälen.« Kurze Zeit später brach der Farmer, beinahe in
den Wahnsinn getrieben, tot zusammen. Das Haus wurde dem
Erdboden gleich gemacht. Das deutsche Wort »Poltergeist«
wurde 1848 in die englische Sprache überno mmen. 1982 drehte
Steven Spielberg einen Film mit dem Titel »Poltergeist«. Auch
Carl Gustav Jung und Ernst Jünger berichten von Erfahrungen
mit Poltergeistern.
So enervierend ein Poltergeist im Haus sein kann: Im Grunde
ist er harmlos. Martin Luther (siehe dort) berichtete nicht nur als
erster von Poltergeistern, er gab auch heute noch wirkungsvolle
Ratschläge für den Umgang mit ihnen. Luther hatte auf der
Wartburg in Thüringen erste Kontakte mit Poltergeistern. Auf
der Rückkehr vom Wormser Reichstag (1521) ließ ihn sein

-184-
eigener Landesfürst in Schutzhaft nehmen, denn der päpstliche
Bannstrahl hatte Luther getroffen, und die Reichsacht war über
ihn verhängt worden. Mit seinen kritischen Fragen an die Kirche
hatte sich der Augustinermönch Martin Luther zwische n alle
Stühle gesetzt und mußte um sein Leben bangen. Da zog ihn
sein Gönner vorübergehend aus dem Verkehr und versteckte ihn
auf der Wartburg in Eisenach. Niemand durfte von seinem
Aufenthalt wissen, nur der Schlosshauptmann Hans von
Berlepsch und zwei Ed elknaben, die Luther zweimal am Tag
Essen und Trinken in die Kammer brachten. Von ihnen erhielt er
auch einen Sack mit Haselnüssen, die er in Übersetzungspausen
knackte. Aus Schutz vor Mäusen wurde der Sack in einem
Holzkasten verschlossen. Dann kam die Nacht. Luther hatte sich
gerade entkleidet, das Kerzenlicht ausgeblasen und sich zu Bett
gelegt. Er wird Vaterunser, Glaubensbekenntnis und den
Abendsegen gebetet haben. Möge Gott ihn im Namen Jesu
Christi in der kommenden Nacht gnädig behüten, seinen
heiligen Engel neben das Bett kommandieren, damit der böse
Feind ihn nicht bedrängen kann! Dann lag er allein. Wirklich?
Nacht herrscht und eine Stille, daß er das Ohrensausen in seinem
Kopf hört, als läuteten die Glocken der Burgkapelle. Da
plötzlich spürt Luther: Er ist nicht allein in seinem Zimmer.
Jemand macht sich an der Holzkiste zu schaffen, greift nach den
Nüssen und donnert eine nach der anderen gegen den
Deckenbalken, daß sie, von dort zurückprallend, durch das
Zimmer springen. Dann wird Luther samt seinem Bett
durcheinandergerüttelt. Wie reagiert der Gottesmann auf diese
schaurigen Vorkommnisse? »Aber ich fragte nichts darnach«,
erinnert er sich fünfundzwanzig Jahre später. Er läßt sich nicht
aus der Ruhe bringen und schläft ein.
Später in der Nacht sei er durch ein fürchterliches Poltern auf
der Treppe geweckt worden. Ein Eisenschloss und eine Kette
sicherten den Weg zu seinem Zimmer. Niemand konnte
hinaufgelangen. Doch das Poltern wollte kein Ende nehmen, so

-185-
als würfe jemand sechzig Fässer die Treppe hinab. Luther erhebt
sich aus dem Bett und sieht nach. Die Tür ist verriegelt, die
Treppe frei. Niemand ist zu sehen. Wieder will Luther gelassen
reagiert haben. »Bist du es, so sei es!«, habe er gesagt, sich dem
Herrn Jesus Christus befohlen und wieder ins Bett gelegt.
Einige Tage später kommt die Frau des Schlosshauptmannes
Berlepsch von einer Reise zurück. Sie hat eine gute Nase für
atmosphärische Veränderungen. So wittert sie Luthers
Anwesenheit auf dem Schloss und begehrt ihn zu sehen. Es wird
ihr verwehrt. Luther ist inzwischen ein neues Zimmer
zugewiesen worden. Berlepschs Frau übernachtet in der
Kammer mit dem Poltergeist. Der läßt nicht lange auf sich
warten. »Da hats die Nacht über ein solch Gerumpel in der
Kammer gehabt, daß sie gemeint hätte, es wären tausend Teufel
drinnen.«
Wie man sich gegen diese unruhigen Geister zur Wehr setzt,
zeigt Luther durch sein Verhalten: Der Christ befehle sich Gott
und lasse sie poltern! Kein Exorzismus, kein Ritual der
Teufelsaustreibung ist nötig. »Aber das ist die beste Kunst, ihn
zu vertreiben, wenn man Christum anruft und den Teufel
veracht; das kann er nicht leiden.« Luther kommt immer wieder
auf diese Methode der Nichtbeachtung zu sprechen. Auch in
seiner Klosterzelle sei er durch lautes Poltern mitten in der
Nacht geweckt worden. Als er die Quelle des Kraches erkannt
hatte, sei er sogleich beruhigt gewesen. »Aber da ich vermarkt,
daß ers war, acht ichs nichts und schlief wieder ein.«

Protestsatanismus

Unser Bild von einem Menschen kann sich im Lauf der Jahre
wandeln. Wir entdecken neue, bisher unbekannte Seiten an ihm.
Vielleicht schwindet mit der Zeit der positive Eindruck, den wir
zu Beginn einer Freundschaft hatten. Wir entdecken die

-186-
Schattenseiten. Vielleicht bewerten wir aber auch bestimmte
Charakterzüge neu. Satans Charakter war über Jahrhunderte
ausschließlich negativ beurteilt worden. Er galt als stolz,
überheblich und rebellisch. Spätestens mit der Aufklärung
allerdings erfuhr er eine Umwertung. Während die Engel im
Himmel zu allem »Ja und Amen« sagten, hatte er den Mut zum
Widerspruch. Satan wurde zu Lucifer, dem Lichtträger mit der
Fackel der Aufklärung. Schon John Milton (1608-1674) preist
die herrliche Gestalt des himmlischen Rebellen. Im Kampf
gegen Gott hatte er zwar eine Niederlage erlitten, doch war sein
Wille zum Widerspruch ungebrochen:
»Unser Kampf mit ihm war ruhmlos nicht, wie schrecklich
auch der Ausgang.«
»Hier endlich sind wir frei; hier baute der Allmächtige
nicht; hier wird sein Neid uns nicht verjagen.
Es herrscht sich unbedrängt, und mir will scheinen, zu
herrschen ist ein wertes Ziel, sei's in der Hölle:
Lieber Herrscher dort im Schwefelpfuhl als auf den Knien
im Himmel.«

Ein Jahrhundert nach John Milton verherrlichen deutsche


Schriftsteller den Rebellen Satan als Genie und
Freiheitskämpfer. Allen voran der junge Friedrich Schiller. Er
war gerade selbst in Konflikt mit der Obrigkeit geraten. In
seinem Drama »Die Räuber« stellt er die rhetorische Frage: War
Satan nicht »jener, der es nicht dulden konnte, daß einer über
ihm war, und sich anmaßte, den Allmächtigen vor seine Klinge
zu fordern, war er nicht ein außerordentliches Genie?« Schiller
und einige seiner Zeitgenossen sahen in dem Protest Satans
einen klassischen Vater-Sohn-Konflikt.
In der schwarzen Romantik dichten Lord Byron (1788-1824),
Charles Baudelaire (1821-1867) und Giosé Carducci (1835-
1907) Hymnen auf Satan. Wahrscheinlich hat keiner von ihnen

-187-
mehr an die leibhaftige Existenz Satans geglaubt. Das
Aufkommen des Protestsatanismus geht parallel mit dem
Bedeutungsschwund des Christentums. »Gott ist tot!« Auf diese
Formel wird Friedrich Nietzsche den Trend bringen.
Anfang des 20. Jahrhunderts war Nietzsche vor allen Dingen
der Philosoph der jungen Generation. Die Jugend ist eine Zeit
der Umwertung der Werte. Vorbilder sind jetzt Helden des
Widerstands gegen die väterliche Welt. Auf der Suche nach
neuen Vorbildern stehen die Antihelden bereit. Sie heißen
Prometheus und Lucifer, Kain und Eva, Rebellen gegen
überholte Traditionen, Provokateure, Erneuerer und Befreier. Ihr
Urbild ist jener strahlende Engel, der als erster gegen den Willen
des göttlichen Vaters protestierte und dafür aus dem
himmlischen Familienkreis verbannt wurde.
Jugendzeiten sind in vielen Autobiographien beschrieben
worden, bei Hermann Hesse (1877-1962) jedoch wird jener
schmerzhafte Prozess der Selbstwerdung zum Lebensthema. Das
Missionarskind wuchs in einer pietistischen Welt auf, die ein
pessimistisches Bild von der sündigen Natur des Menschen
lehrte: Erst wenn der böse Wille des Kindes gebrochen sei,
werde es offen für die Liebe Gottes. Schon der vierjährige
Hermann hatte gegen das Elternhaus protestiert. Der Schüler des
Eliteinternates Maulbronn erwies sich als so sperrig, daß ihn die
Eltern von der Schule nehmen und ins Zentrum der
Erweckungsbewegung der Herrnhuter Brüdergemeinde nach
Bad Boll bringen mußten. Hier lebte und lehrte Pfarrer
Christoph Blumhardt (1842-1919), Sohn des legendären
Exorzisten Johann Christoph Blumhardt (1805-1880). Der
Geistliche war jedoch unfähig, dem pubertierenden Jüngling
inneren Halt zu geben. Kaum vierzehn Tage nach seiner
Ankunft in Bad Boll unternimmt Hermann Hesse einen
Selbstmordversuch (20.6.1892).
Blumhardt tobt, donnert von Bosheit und Teufelei,
beschuldigt die Eltern der schlechten Erziehung und verweist

-188-
Hermann des Hauses. Die Familie solle ihren gefallenen Sohn in
die Nervenheilanstalt Stetten einweisen. Hier lebt der
Vierzehnjährige für einige Zeit unter Geisteskranken. Jahrzehnte
später gestaltet er seinen Bruch mit den Werten des Elternhauses
in dem Roman »Demian«. Emil Sinclair, die Hauptfigur, fühlt
sich als schwarzes Schaf im reinlichen Stall seines pietistischen
Elternhauses. Wie Lucifer ist er ein Verstoßener, bis ihm eines
Tages Max Demian begegnet. Der ältere Mitschüler entwickelt
sich während der Pubertät zu einem Seelenführer des
unglücklichen Sinclair. Nach dem Religionsunterricht führen
beide ein Gespräch über die Geschichte vom ersten Brudermord.
Demian deutet Kains Tat als Protest gegen die fromme Ordnung
des Vaters und kommt so zu einer Umwertung christlicher
Werte. Kain ist der Antiheld, er ist emanzipiert, kein Herdentier
wie die anderen Menschen. Er ist gezeichnet, er gehört zu den
Erwählten.
Der Böse ist der Gute: Sinclair hilft diese Umwertung bei
seiner Befreiung aus dem Elternhaus, zumal weitere
Demontagen des christlichen Wertgebäudes folgen. Aus dem
Religionsunterricht kennt er die Geschichte von der Kreuzigung
Jesu neben zwei Verbrechern, von denen der eine in der
Todesstunde seine Untaten bereut und dafür ins Paradies eintritt,
der andere aber in Verstockung sein böses Herz vor der Gnade
verschließt. Wieder weiß Demian der Geschichte eine andere
Deutung zu geben: Der reumütige Verbrecher ist für ihn ein
Feigling, der standhafte dagegen ein Mann von Charakter, ein
Nachfahre Kains, der zu seiner Tat steht und nicht zu Kreuze
kriecht. Sinclair lernt eine neue Moral kennen und ein neues
Gottesbild. Der Gott, den Max Demian verkündigt, umschließt
beide Hälften der Welt und der Seele. In seinem Namen soll
alles verehrt und heilig gehalten werden. »Also müssen wir dann
neben dem Gottesdienst auch einen Teufelsdienst haben. Das
fände ich richtig. Oder aber, man müsste sich einen Gott
schaffen, der auch den Teufel in sich einschließt.« Dieser neue

-189-
Gott eines ganzheitlichen Menschen- und Weltbildes trägt den
Namen Abraxas. »Und nun war also Abraxas der Gott, der
sowohl Gott wie Teufel war.«
In einem Gespräch mit seinem Vater erfährt Sinclair etwas
über eine christliche Sekte, die Kainiten (siehe Gnosis). Diese
hätte behauptet, der Gott der Bibel sei in Wahrheit nicht der
echte Gott, sondern ein stümperhafter Dämon. Allerdings sei die
Ketzerei der Kainiten schon lange aus der Menschheit
verschwunden. Welch ein Irrtum! »Uralte Geschichten sind
immer wahr«, hatte Demian erklärt. Der Gott Abraxas, das
Symbol der Einheit von Gut und Böse, Gott und Teufel, stammt
aus der gnostischen Lehre des Basilides.
Sinclairs Weg der Selbstfindung steht unter dem Zeichen des
gnostischen Gottes Abraxas (siehe Jung). Langsam wächst er in
eine Gruppe hinein, in deren Mitte Demians Mutter steht.
Bezeichnenderweise trägt sie den Namen der Urmutter und
ersten Antiheldin Eva. Allen steht das Kainszeichen unsichtbar
auf der Stirn. Sie fühlen sich als Erwählte, Erwachte in einer
Welt der Schlafenden, als wahrhaft Wissende und neue, höhere
Menschen. Am Ende der Jugendzeit hat sich der ängstliche, von
Schuldgefühlen gebeugte Sinclair zu einem stolzen jungen
Mann mit elitärem Bewußtsein gemausert. Die gespaltene Welt
des Elternhauses mit ihrer Polarität von Gut und Böse war in
einer neuen Einheit überwunden worden. Gott und Teufel
bildeten keine unversöhnlichen Gegensätze, sondern eine
Ganzheit. Ohne die Kräfte des Bösen gäbe es keine Erneuerung,
keine Umgestaltung der Welt, keinen Fortschritt. So begrüßt
Sinclair wie viele seiner Zeitgenossen den Ausbruch des Ersten
Weltkriegs.
Jugendliche, die heute mit satanischen Symbolen
Häuserwände beschmieren oder ein Pentagramm auf ihr Etui
malen, kennen diese Ahnherren des Protestsatanismus nicht
mehr.
Ihr Protestsatanismus ist nur noch Provokation und
-190-
Zerstörung der vorherrschenden Normen und Werte. Er hat aber
kein kreatives Potential mehr. Neben diesem Protestsatanismus
gibt es den okkulten Neosatanismus (siehe dort) mit blutigen
Ritualen. Hier werden aus den Theoretikern Täter.

Rangordnung unter Teufeln

Satan ist der Herr des Chaos, doch wäre es ein Irrglaube
anzunehmen, es gehe unter Teufeln chaotisch zu. Im Gegenteil!
Unter Teufeln herrschen eine strenge Ordnung und eine klare
Hierarchie. Darauf weist auch Jesus hm (Matthäus 12.25f.). Das
griechische Wort »Hierarchie« bedeutet »heilige Ordnung«.
Hierarchische Ordnungen finden wir beim katholischen Klerus,
beim Militär, unter deutschen Beamten, aber auch bei der Mafia
oder unter Terroristen. »Selbst die Hölle hat ihre Rechte!«,
staunte bereits Goethes Faust. In der Tat! Doch woher kommt
das Bedürfnis der Teufel nach einer Rangordnung? Die Antwort
finden wir, wenn wir uns an den Ursprung der Teufel (siehe
Engelsturz) erinnern. Teufel waren einst Engel unter Engeln
gewesen. Im Himmel lebten sie in einer Hie rarchie von neun
Engelchören. Der erste Chor ist der höchste. Je näher ein Engel
an der göttlichen Mitte sitzt, desto bedeutender sein Rang. Die
himmlische Hierarchie der Engel gliedert sich nach der Lehre
des Mystikers Dionysios von Areopagita in Engel, Erzengel,
Throne, Herrschaften, Fürstentümer, Gewalten, Mächte des
Himmels, Cherubim und Seraphim. Nun weiß jeder
psychologische Laie, daß in der frühen Kindheit Prägungen
stattfinden, die den Charakter des Kindes maßgeblich
beeinflussen. Nicht anders ist es unter Teufeln. Ihr Bedürfnis
nach einer heiligen Ordnung stammt aus der Prägephase im
Himmel. Die Teufel hatten sich zwar von Gott abgewendet,
doch konnten sie in einigen Punkten ihre Erziehung doch nicht
leugnen.

-191-
Evangelische Christen haben sich für Rangordnungsfragen
nicht interessiert. Der Grund liegt auf der Hand, denn Martin
Luther lehrte das Priestertum aller Gläubigen. Er lehnte die
Lehre von der heiligen Ordnung der Engel im Himmel ebenso
ab wie die katholische Hierarchie mit dem Papst an der Spitze.
Wer also Auskunft über die Rangordnung unter den Teufeln
erhalten möchte, der muß sich an einen Katholiken wenden.
Spezialist für diese Fragen ist der Jesuit und Chefexorzist Adolf
Rodewyk. Als aktiver Kriegsteilnehmer und Offizier des Ersten
Weltkriegs hat er zudem eine besondere Beziehung zu
Ordnungsfragen. Er lehrt: Ein Teufel vom Range Lucifers
stammt aus dem ersten Chor. Seine Rebellion war eine
»Chefsache«, sie glich einer Palastrevolution, weshalb Gott den
Engel Michael auf ihn ansetzte. Je höher der ehemalige Rang
unter den Engeln, desto größer die Strafe für den gefallenen
Engel. Ein kleiner Teufel hat nach dieser Logik weniger zu
leiden als Lucifer. Noch in der Hölle ist der ehemalige Rang des
gefallenen Engels erkennbar. General bleibt General - auch in
der Gefangenschaft.
Der Exorzist Rodewyk nennt daher die Hölle die
»Strafkompanie der Ewigkeit«, und »Lucifer, der degradierte
General, leitet sie auf Grund seiner Fähigkeiten; er gibt Befehle,
weist Aufgaben zu«. Lucifer war als Bewohner des ersten
Chores ein Seraphim. In der Hölle gibt es eine entsprechende
Rangordnung, gegliedert nach sieben Gruppen. Rodewyk spricht
von sieben höllischen Kampftruppen, sieben Legionen der
Teufel. In der ersten Legion kämpfen die bösesten Teufel, in der
siebten die harmloseren. Lucifer steht als Höllengeneral der
ersten Legion vor und hat zugleich das Oberkommando über die
Gesamttruppe. Dem priesterlichen Befehl des Exorzisten aber
muß selbst er Gehorsam zollen. Name ist Macht, und wenn der
Priester Rodewyk zum Rapport ruft, dann steht der
kommandierende Oberbefehlshaber der satanischen Legionen
stramm und nennt ordnungsgemäß seinen Namen, den einstigen

-192-
Rang unter den Engeln und derzeitigen Rang in der höllischen
Legion: »Lucifer, einst erster himmlischer Chor, jetzt erste
höllische Legion!« Dem Eingeweihten sagt die Nennung der
Legion zugleich etwas über die Zuständigkeitsbereiche des
jeweiligen Teufels aus.
Denn jede Legion widmet sich der besonderen Verbreitung
eines der sieben Laster: Stolz, Habsucht, Unkeuschheit, Neid,
Unmäßigkeit, Zorn und Trägheit. Unter Berücksichtigung seines
Zuständigkeitsbereiches lautet Lucifers Visitenkarte: »Lucifer,
einst erster himmlischer Chor, jetzt erste höllische Legion.
Grund des Aufenthaltes in der Hölle: Stolz.« In militärischer
Kurzform: »Lucifer, l/l.«
Zum Verrat Jesu hatte der Teufel Judas entscheidend
beigetragen. Dabei handelte es sich nicht um eine kleine
Gemeinheit, sondern um eine Bosheit im großen Stil, eine
»Chefsache« wie bei Lucifers stolzem Aufbegehren. Im
exorzistischen Verhör durch Rodewyk gesteht Kain, »daß er
gegenüber Judas nur ein kleiner Gefreiter sei. Judas sei wie ein
mächtiger General, auf dessen Wort hin sich Armeen in
Bewegung setzten, er als Gefreiter könne höchstens nur ein paar
Mann befehligen«. Der vollständige Rang des Teufels, der Jesus
verraten hatte, lautete: »Judas, einst dritter himmlischer Chor,
jetzt zweite höllische Legion. Grund des Aufenthaltes in der
Hölle: Habsucht.« In militärischer Kurzform: »Judas, 3/2.«
Satanismus ist immer verkehrte Welt, Umkehrung, Parodie,
Nachäffung der göttlichen Ordnung ohne einen Funken
Kreativität. Satanisten und Exorzisten sind meist
kleinbürgerliche Ordnungsfanatiker. Genau das aber macht sie
so gefährlich.

-193-
Redensarten

Wer den Satan im Nacken sitzen hat, der wird bekanntlich


vom Teufel geritten. Dann ist der Teufel los. Wer aber den
Teufel im Leibe hat, der ist wahrlich des Teufels. In zahlreichen
deutschen Sprichwörtern wird der Teufel nicht nur an die Wand
gemalt, er steckt oft im Detail oder hat sogar seine Hand im
Spiel. Die Redewendungen zeigen eine erstaunliche Gegenwart
des »Leibhaftigen« in unserer Sprache. Mit den Redewendungen
werden uralte Vorstellungen vom Wesen und Wirken des
»Gottseibeiuns« transportiert. Zum Beispiel über seine
Ernährungsweise: Während die Engel sich ausschließlich vom
Himmelsbrot und dem Anblick Gottes ernähren, ist der Teufel
nicht wählerisch. Denn in der Not frisst der Teufel Fliegen.
Warum gerade Fliegen? Weil er der »Herr der Fliegen«
(»Beelzebub«) ist. Deshalb kann man den Teufel auch nicht mit
Beelzebub austreiben (Matthäus 12.24-27). Das macht die Sache
nur schlimmer.
Manche Menschen sind hinter dem Geld her, »wie der Teufel
hinter einer armen Seele«. Er will sie fassen und in die Hölle
hinabziehen. In der Hölle brennt bekanntlich ein ewiges Feuer.
Die Heizmethoden des Teufels sind traditionell. Er verbrennt
Holz, das er selbst gespalten hat. Wer den Teufel Holz machen
hört, hat Angst, in die Hölle zu kommen. Trotz aller
Obsessionen des Teufels ist die Vorstellung eines rastlos tätigen
Höllenfürsten falsch. Der Teufel kennt durchaus
Freizeitbeschäftigungen wie etwa das Kartenspiel. Deshalb heißt
dieses im Volksmund auch »Des Teufels Gebetbuch«. Weil der
Teufel ein großer Zocker ist, hat er nicht selten seine Hand im
Spiel. Wer Karten spielt, der trinkt auch gern. So wundert es
nicht, wenn es im Lied heißt: »Der Teufel hat den Schnaps
gemacht, um uns zu verderben!«

-194-
Besonders in Grenzsituationen wie Krankheiten, Unfällen und
in der Todesstunde ist der Teufel gegenwärtig, um den
Augenblick abzupassen, wo die Seele den Leib verläßt. Das ist
seine Stunde. Wer sie besteht, der ist dem Teufel von der
Schippe gesprungen und ins Leben zurückgekehrt. Gott sei
Dank! Denn was einmal zum Teufel gegangen ist, das kommt
nicht wieder.
Die Frage, ob der Teufel an Gott glaubt, findet auch durch das
Sprichwort eine klare Antwort: Während es unter den Menschen
Atheisten und Agnostiker gibt, zweifelt der Teufel nicht an der
Existenz Gottes. Im Gegenteil! Er kennt die wahren
Machtverhältnisse. Der Teufel ist los (Apokalypse 20.3), aber er
weiß, daß seine Stunden gezählt sind und er wenig Zeit hat
(Apokalypse 12.12).
Affen machen alles nach. Deshalb heißt der Teufel bei Martin
Luther auch »Gottes Affe«. Wo eine Kirche ist, da baut der
Teufel eine Kapelle daneben. Und manchem legt der Teufel ein
Ei ins Haus oder nach Art des Kuckucks ein Teufelsei ins Nest.
Deshalb ist der Kuckuck auch ein Hüllwort für den Teufel.
»Scher dich zum Kuckuck!« meint »Scher dich zum Teufel!«
Niemand sollte aber in aller Teufels Namen schwören und
keinen Menschen »Zum Teufel!« jagen oder noch direkter »Der
Teufel soll dich holen!« zu ihm sagen. Solche Verwünschungen
sind ebenso unangebracht wie eine Beteuerung in aller Teufels
Namen. »Der Teufel soll mich holen!« gilt zwar als
Unschuldsbeteuerung und Bekräftigung der Wahrheit, doch
kann man bei dieser Redeweise schnell in Teufels Küche
kommen. Die Küche des Teufels aber ist nichts anderes als die
Hölle. Hier hausen auch die Hexen und Zauberer, weshalb sie
auch Hexenküche heißt.
Wer es mit dem Teufel aufnehmen will, wie so viele Helden
der Grimmschen Märchen, der muß ein »Teufelskerl« und
»Teufelsbraten« sein. Die Techniken des Kampfes gegen den
Teufel sind unterschiedlich: Während evangelische Christen auf

-195-
das Wort Gottes vertrauen, setzen Katholiken mehr auf die
Macht der Kirche. Ein Wörtlein kann ihn fällen (EG 362.3),
wusste Martin Luther. Evangelische Christen brauchen daher
zur Vertreibung des Teufels kein Ritual (siehe Exorzismus). In
katholischen Gegenden wird der Teufel mit Beschwörungen,
geweihten Rosenkränzen, einem Bild des Engels Michael,
Reliquien und Weihwasser vertrieben. Daraus hat sich der
Spruch »Etwas fürchten wie der Teufel das Weihwasser«
entwickelt.
Wer fest im Glauben steht, braucht sich vor dem Teufel nicht
zu fürchten. Gegen Gott hat der Teufel keine Chance. Dennoch
gibt er seinen Kampf um die Seele des Menschen nicht auf. Ein
dummer Teufel! Oder müsste man ihn nicht treffender einen
armen Teufel nennen?

Rolling Stones

Die Rolling Stones setzen sich selbst als Bürgerschreck in


Szene. Sex, Drogen, Rock 'n' Roll - damit konnte man Eltern,
Erzieher und Politiker schockieren. Als »härteste Band der
Welt« mußten sie ständig neue Skandale produzieren, um in der
Konkurrenz zu den Beatles nicht auf den zweiten Platz
heruntergespielt zu werden. Weil aus anfänglichen
Provokationen schnell Moden werden, hatte auch Michael
Philipp (Mick) Jagger (* 26. Juli 1943) ständig an der
Anstößigkeit seiner Erscheinung zu arbeiten. Lange Haare,
freakige Kleidung trugen inzwischen die meisten Jugendlichen,
man zog sich einen Joint rein oder warf einen Trip, übte sich im
Gruppensex oder erprobte die Bisexualität. Der Whiskykonsum
von Janis Joplin und Joe Cocker konnte so wenig überboten
werden wie die Zerstörungswut der WHO, deren Konzerte mit
einer rituellen Zertrümmerung der Musikinstrumente endete. Da
war es nur eine Frage der Zeit, bis in dieser Welt der

-196-
Gegenkultur von Haight Ashbury bis Gremmendorf, von
Woodstock bis zum Lengeder Steinbruch die Gestalt Satans als
höchste und letzte Form des antibürgerlichen Protestes
wiederentdeckt wurde.
Die Rolling Stones hatten keine okkulte Beziehung zum
Satanismus. Jagger entdeckte jedoch zwischen sich und Satan
eine Wahlverwandtschaft. In seinem Bekenntnis »Sympathie for
the Devil« tritt der vertraute Antiheld, der Umwerter
bürgerlicher Werte, hervor. Jagger kannte die kalifornische
Satanskirche, er hatte auch den berühmten antistalinistischen
Teufelsroman »Der Meister und Margarita« von Michael
Bulgakow (1891-1940) gelesen.
Im Dezember 1967 hatten die Stones zum ersten Mal mit der
Teufelsidentifikation gespielt, als sie ihrem neuen Album den
Titel »Their Satanic Majesties Request« gaben. Michael Cooper,
Fotograf des berühmten Covers von »Sergeant Pepper«,
gestaltete auch das Album der Stones, das allerdings an den
Erfolg der Beatles nicht anknüpfen konnte. Ein Jahr später
erschien Jaggers Teufelsbekenntnis.
»Jeder Bulle ist ein Krimineller und jeder Sünder ein Heiliger.
Kopf oder Zahl ist alles eins, also nennt mich einfach Lucifer.«
Keine große Lyrik im Stile Baudelaires oder Byrons und auch
keine Visionen flössen aus Jaggers Feder, eher ein
Sammelsurium klassisch satanistischer Aktivitäten. Der Teufel
stellt sich als wohlhabender Mann vor mit internationalen
Beziehungen. Er handelt unabhängig von politischen oder
religiösen Einstellungen. Jesus senkte er bei der Versuchung in
der Wüste den Glaubenszweifel ins Herz, er verstockte das Herz
des Römers Pilatus, als Kommunist kämpfte er gegen den Zaren,
auf jüdischer Seite leitete er im Rang eines Panzergenerals die
Eroberung des Sinai. Auch trug die Ermordung der Kennedys
seine Handschrift. Die Provokation des Lieds bestand in der
Zustimmung zu Greueltaten und vor allen Dingen in der Art,
wie sich Jagger als Teufel in Szene setzte.
-197-
Für das Altamont-Konzert vom 6. Dezember 1969 hatte er
sich ein schwarzrotes Teufelskostüm anfertigen lassen, und
während er auf der Bühne »Jumpin' Jack Flash« und »Sympathy
for the Devil« sang, schlugen Mitglieder der Rockerbande Hell's
Angels mit abgesägten Billardstöcken auf die Zuschauer ein. In
Altamont soll es auch zu einer Begegnung zwischen Mick
Jagger und Charles Manson (siehe dort) gekommen sein. 350
000 Menschen hatten sich vierzig Meilen östlich von San
Francisco zu einem Festival versammelt, das nach den
Wünschen der Stones den Erfolg von Woodstock überbieten
sollte. Es wurde jedoch zu einem schwarzen Tag der
Rockgeschichte. Für fünfhundert Dollar in Bier waren die Hell's
Angels zur Aufsicht engagiert worden. Die Angels
kontrollierten den größten Teil des Drogengeschäftes in der Bay
Area und in Kalifornien. Sie waren gefürchtet und bewundert,
sie wurden zu romantischen Helden und unerschrockenen
Gegnern der herrschenden Politik verklärt. Tatsächlich aber
hatte Sonny Barger, der Präsident der Hell's Angels von
Oakland, an Präsident Johnson telegraphiert: »Dear Mr.
President: In meinem und im Namen meiner Kameraden biete
ich eine Gruppe loyaler Amerikaner als Freiwillige für den
Dienst hinter den Linien in Vietnam an. Wir glauben, daß eine
schlagkräftige Gruppe trainierter Gorillas den Vietcong
demoralisieren und die Sache der Freiheit vorwärtsbringen
würde. Wir sind zum Training und zum Dienst sofort
einsatzbereit.«
Sonny Barger führte auch die Hell's Angels in Altamont an.
Jagger unterbrach »Sympathy for the Devil«, als die Krawalle
eskalierten. Die Schlägereien hatten sich bis auf die Bühne
ausgeweitet. Vergeblich versuchte Jagger, die aufgebrachte
Masse zu beruhigen. »Okay, nehmen wir uns noch 'ne halbe
Minute, bis wir die Puste wieder haben. Kühlt euch alle mal ab.
Ist da jemand verletzt? Okay, I think we're cool, we can groove.
Uns passiert immer was Komisches, wenn wir das Lied

-198-
anfangen.« Die entfesselten Mächte lassen sich nicht mehr
zurückdrängen. Wieder wird »Sympathy for the Devil«
angestimmt. Einige Fans versuchen, die Bühne zu stürmen, und
werden von den Angels niedergeprügelt. Jetzt spricht Keith
Richard und droht mit dem Abbruch des Konzertes. »Ich stand
neben ihm, drückte ihm den Lauf meiner Pistole zwischen die
Rippen und zischte, er solle seine Gitarre spielen, ansonsten
würde ich abdrücken«, erinnert sich Sonny Barger. »Dann
spielte er wie ein Motherfucker.«
Anschließend herrscht wieder für eine Weile tödliche Stille an
den Mikrophonen. Jagger schluchzt ohnmächtig. Sonny Barger:
»Nachdem die Situation völlig außer Kontrolle geraten war,
quatschten die Stones diese Hippie-Scheiße von›Brüdern und
Schwestern‹. Jeder, der die Bühne zu stürmen versuchte, wurde
von uns heruntergeschmissen.« Dann wird vor Jaggers Augen
der achtzehnjährige Schwarze Meredith Hunter von dem Hell's
Angel Alan Passaro erstochen. »Wir brauchen hier einen Arzt,
jetzt!«, schreit Jagger ins Mikrophon. »Lass doch bitte den Arzt
durch. Wir versuchen, an einen ran zu kommen, der verletzt ist.«
Für Meredith Hunter jedoch kommt jede Hilfe zu spät. Der
Mord war vor laufenden Kameras geschehen. Dennoch wurde
der Täter in der späteren Gerichtsverhandlung freigesprochen.
Vier Tote und viele Schwerverletzte waren die Bilanz von
Altamont. Das Festival fand am Erscheinungstag des
vierzehnten Stones-Albums mit dem prophetischen Titel »Let It
Bleed« statt.
Sonny Barger schreibt rückblickend auf das blutig satanische
Festival von Altamont: »Die Stones-Tour Let It Bleed war
wahrhaftig blutig zu Ende gegangen. Egal, was die Leute
erzählen: Meiner Meinung nach waren die Stones selbst schuld
an dieser Scheiß-Szene. Sie hatten die Fans in Rage gebracht,
die Bühne war viel zu niedrig, und dann hatten sie auch noch
uns benutzt, um die Volksseele am Kochen zu halten. Sie hatten
bekommen, was sie schon immer ge wollt hatten - ein düsteres,

-199-
gefährliches Umfeld, um ›Sympathy for the Devil‹ zu spielen.«

Rosemary's Baby (Film)

Roman Polanskis Film »Rosemary's Baby« (1967) ist ein


Klassiker unter den Teufelsfilmen. Die Vorlage bildet der
gleichnamige Roman von Ira Levin. Erzählt wird die Geschichte
von Rosemary und Guy Woodhouse. Sie ist Hausfrau, er ein
wenig erfolgreicher Schauspieler. Das kinderlose Ehepaar
besitzt eine Vierzimmerwohnung im »Bramford«, einem
verrufenen viktorianischen Mehrfamilienhaus, über dessen
ehemalige Bewohner die seltsamsten Gerüchte kursieren. Hier
sollen die kannibalistischen Schwestern Trench gewohnt haben
und der Hexenmeister Adrian Marcato; auch wird von
ungewöhnlichen Selbstmorden gesprochen. Kurz nach dem
Einzug des Ehepaars Woodhouse stürzt sich ein Mädchen aus
dem Fenster. Rosemary und Guy lernen ihre unmittelbaren
Nachbarn Minni und Roman Castevet kennen. Damit ändern
sich ihre Lebensumstände.
Guy erhält eine Rolle im Theater, Rosemary wird schwanger.
Die Zeugungsnacht erlebt sie halb bewußtlos, wie einen
Alptraum. Ein Mann, von dem sie zuerst glaubt, es sei Guy,
steigt über sie, zerkratzt ihren Leib mit langen Fingernägeln und
dringt gewaltsam in sie ein. Rosemary öffnet ihre Augen und
blickt in gelbglühende Katzenaugen, sie riecht Ta nniswurzel
und Schwefel, fühlt feuchten Atem auf ihrer Haut und vernimmt
das schwere Keuchen von Zuschauern. Da dämmert es ihr: »Das
ist kein Traum. Das ist Wirklichkeit, das geschieht.«
Erst später wird Rosemary erfahren, daß sie tatsächlich nicht
geträumt, sondern ein Kind Satans in dieser Nacht empfangen
hat. Die Nachbarn sind Anhänger einer Teufelssekte. Sie feiern
Schwarze Messen (siehe dort), lästern über Gott und die Kirche.
Ihre Kultpflanze ist die Tanniswurzel. Rosemary trägt sie in

-200-
einem Amulett um den Hals und trinkt täglich ihren Saft.
Während der Schwangerschaft entwickelt sie unheimliche
Gelüste. Ihr Heißhunger richtet sich auf blutrotes Fleisch. Eines
Tages ertappt sie sich, wie sie selbstvergessen auf einem
blutigen Hühnerherzen kaut. Mit fortschreitender
Schwangerschaft gerät sie immer tiefer in die Fänge der Sekte,
zu der auch ihr neuer Frauenarzt gehört. Schließlich kommt sie
nieder. Man sagt ihr, das Kind sei bei der Geburt gestorben. Sie
wird mißtrauisch, dringt in die Wohnung der Nachbarn ein und
entdeckt einen Kinderwagen, an dessen Dach ein umgekehrtes
Kruzifix baumelt. Dann sieht sie ihr Kind, eingehüllt in eine
schwarze Decke, mit kleinen schwarzen Fausthandschuhen.
Das Neugeborene ist der leibhaftige Sohn Satans. Seine
Augen sind goldgelb mit einem senkrechten Pupillenschlitz, an
den Händen trägt es Krallen, an den Füßen Hufe und über dem
After einen Schwanz. Auf der Stirn knospen Hörner. Rosemary
will das Teufelskind mit einem langen Messer erdolchen. Der
Traum war Wirklichkeit gewesen. Roman kommentiert: »Satan
ist sein Vater, er kam aus der Hölle und zeugte einen Sohn mit
einer sterblichen Frau.« Rosemary hebt verzweifelt den Blick
nach oben und fleht Gott um Hilfe an. Vergeblich. Was
geschehen ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Sie
ist zur Satanspriesterin erwählt worden, als Gefäß für Adrian,
den leibhaftigen Höllensohn.
Wie bei Aleister Crowley (siehe dort) und in den
kalifornischen Satanskirchen La Veys und Aquinos, so beginnt
auch hier mit der neuen Offenbarung eine andere Zeitrechnung.
Polanski faßt das Bekenntnis der Gruppe zusammen: »Gott ist
tot, und Satan lebt! Es ist das Jahr Eins, das erste Jahr unseres
Herrn! Es ist das Jahr Eins, und Gott ist tot! Es ist das Jahr Eins!
Adrians Jahr hat begonnen! «
Anton Szandor La Vey, dessen »Church of Satan« (siehe
Satanskirche) in Kalifornien zu einer offiziell anerkannten
Kirche gehört, hatte Polanski bei den Dreharbeiten beraten und

-201-
selbst die Rolle des Teufels gespielt. War es ein Zufall, daß
Roman Polanskis Ehefrau Sharon Tate nach Abschluß des
Teufelsfilms von Charles Manson (siehe dort) ermordet wurde?

Der Fall Ruda

Daniel Ruda war ein Schulversager und Außenseiter dazu. Er


fühlte sich innerlich leer. Zum ersten Mal sei ihm Satan mitten
im Unterricht erschienen, gab er später vor Gericht zu verstehen.
Ein großer Mann mit langen schwarzen Haaren und
leichenblassem Gesicht. Aus den Fingerkuppen seien die
blanken Knochen hervorgetreten. Satan stellte sich mit dem
Namen Samiel vor und überbrachte dem Schüler Daniel eine
Botschaft: Seine Einsamkeit werde ein Ende haben. Daniel solle
sich aufmachen, um den anderen Teil seiner Seele, seine
»verlorene Hälfte«, zu suchen. Daniel Ruda verläßt das
Gymnasium, macht den Realschulabschluß und schließt eine
Lehre als Autoverkäufer ab. Bei der Bundeswehr kommt er mit
rechtsradikalem Gedankengut in Berührung, schließt sich einer
Gruppe von Skinheads an und besucht Schulungskurse der NPD.
Arbeit findet er bei Autoteile Unger in Datteln. In der Freizeit
zieht er über die Friedhöfe und fant asiert vor Freunden. Er
träumt von blutigen Orgien der Gewalt, plant, ein
Einkaufszentrum in Oberhausen in die Luft zu sprengen oder
mit dem Maschinengewehr ein Blutbad unter den Teilnehmern
der Love Parade anzurichten. Ein richtiger Amoklauf fange erst
bei 100 Toten an, sagt er. Rudas Vorbild ist Charles Manson
(siehe dort). Niemand nimmt seine Fantasien ernst. Auch in der
Gothic-Szene (siehe dort) gilt er als Spinner. Dann wird er für
kurze Zeit Mitglied einer Black-Metal-Band. Im Herbst 2000
gibt er eine Kontaktanzeige in der Szenezeitung »Metal-
Hammer« auf: »Pechschwarzer Vampir sucht Prinzessin der
Finsternis, die alles und jeden haßt.« Einer der Antwortbriefe ist

-202-
mit dem Namen Allegra unterschrieben. Hinter diesem
Pseudonym steht die drei Jahre jüngere gelernte Kellnerin
Manuela. Das Einzelkind aus Witten schockte Eltern und Lehrer
zum ersten Mal im Alter von 13 Jahren. Manuela trug einen
bunt gefärbten Irokesenschnitt und Sicherheitsnadeln im
Gesicht, sie schwänzte die Schule und fuhr zu den Chaostagen
nach Hannover. Doch trug die neue Identität als Punk nicht
lange. Nach der zehnten Klasse bricht sie das Gymnasium ab
und fährt nach Schottland, wo sie den Sommer über in einem
Hotel arbeitet. In den Highlands kommt sie in Kontakt mit
einem »Vampir-Club« (siehe Vampire). Die Mitglieder
nächtigen auf Friedhöfen, lassen sich probeweise eingraben und
saugen sich gegenseitig das Blut aus. Um besser zubeißen zu
können, läßt sich Manuela die Eckzähne mit »Vampirzähnen«
Überkronen. Sie lernt einen Aussteiger kennen. Der 62jährige
Tom lebt in einer Grotte. Er hat sich den ganzen Körper mit
einem Leopardenmuster tätowieren lassen. Der schottische
Winter ist kalt. Weihnachten ist Manuela wieder in Witten. Nun
beginnt ihre Zeit als Gruftie oder Gothic. Ihre schwarze
Kleidung ist aus Samt, Lack, Leder und Latex. In der Gothic-
Szene an der Ruhr wird sie zum Star. Sie ist jetzt 16 Jahre alt.
Manuelas Mutter fährt ihre Tochter zu Fototerminen, wo sie sich
abwechselnd als Sadistin oder Masochistin (siehe krimineller
Satanis mus) ablichten läßt. Auch Manuela will eines Tages die
Stimme Satans vernommen haben. Sie sagt: »Take care! Tritt in
den fünften Stern ein, und warte auf Befehle.« Der Stern ist das
Pentagramm (siehe dort). Mit ihrer Berufung zur Satansjüngerin
wechselt Manuela den Namen. Sie nennt sich Allegra. So hieß
die Tochter des Dichters Lord Byron, eines der Ahnherrn des
modernen Satanismus. Manuela hat Blutfantasien. Sie schneidet
sich selbst in die Haut, trinkt das eigene Blut oder läßt es von
Freunden aufsaugen. »Cuttings« werden diese masochistischen
Rituale genannt. Die Narben gelten als Auszeichnung. Offenbar
sind die Satans- und Vampirfantasien Ausdruck einer tiefen

-203-
Sinnkrise. Manuela ist psychisch krank. Anfang 2001 läßt sie
sich Antidepressiva verschreiben und beginnt eine
Psychotherapie. Als Manuela die Anzeige von Daniel Ruda
liest, antwortet sie: »Die Schönheit der Nacht. Verfallene
Ruinen. Vom Vollmond erleuchtete Friedhöfe. Ich hasse die
Menschheit und verabscheue das Licht.« So kommt es zu der
unheilvollen Begegnung. Daniel Ruda glaubt seine«verlorene
Hälfte« wiedergefunden zu haben. Nun trinken sie gegenseitig
ihr Blut. Doch die innere Leere bleibt. Ein gemeinsamer
Selbstmord wird geplant. Daniel Ruda ist nicht der erste Mann,
den Manuela über eine Kontaktanzeige kennenlernt. Über zwei
Jahre pflegte sie eine Brieffreundschaft mit einem 14 Jahre
älteren Hotelier aus Köln. Hier lebt sie ihre blutrünstigen
Vampir-Fantasien aus: »Der Moment des Bisses, der finale Akt,
der zwei schwarze Herzen als eines schlagen läßt.« Und: »Umso
schmerzhafter sind demzufolge die Sommertage, an denen jeder
Sonnenstrahl, der mich versehentlich trifft, wie ein Giftpfeil
erscheint. Glücklicherweise kann ich es weitgehend vermeiden,
während des Tages das Haus zu verlassen.« Manuela und Daniel
heiraten nicht aus Liebe. Sie verbinden der Hass auf das Leben,
die Erfahrung von Sinnverlust und die Sehnsucht nach
Selbstauslöschung. Sie beschließen zu heiraten, um gemeinsam
Suizid zu begehen. Im Frühling vernimmt Daniel Ruda wieder
eine Stimme. Deutlich hört er zwei Zahlen: die »Satanszahl«
666 (siehe dort) und die Sieben. Am 6. Juni, so schließt er, solle
er Manuela heiraten, und am 6. Juli würden sie gemeinsam
Selbstmord begehen. Vor dem Standesamt erscheinen sie ganz
in Schwarz und mit frischen Schnittwunden im Gesicht. Statt
eines Eheringes haben sie sich einen Stacheldrahtring um den
Ringfinger tätowieren lassen. Im Dachgeschoss eines Wittener
Mietshauses hat das Paar eine gemeinsame Wohnung bezogen.
An die Wohnungstür heften die beiden ein Schild
»Kadaververwertungsanstalt Bunkertor 7«. »Bunkertor 7« - so
lautet ein Titel von Daniel Rudas Lieblingsgruppe »Wumpscut«.

-204-
In dem Lied wird der gemeinsam begangene Mord an Frank H.
(»Hacki«) vorweggenommen, denn hinter dem »Bunkertor 7«
liegt die »Kammer der Not«, eine Todesfalle wie die Wohnung
der beiden:
»Winsel um Gnade oder schreie es hinaus, es gibt keine
Hoffnung, du kommst niemals mehr raus. Denn hier ist dein
Ende, und ich werde es lieben, zu weiden dich aus am Bunkertor
7.«
Rückblickend liest sich der Text wie eine Regieanweisung für
den Mord:
»Ich sorge mich nicht, ein neues Opfer zu seh'n, denn auch sie
sind so blind, mit mir hierher zu geh'n.«
Daniels Arbeitskollege Frank H. ist der einzige Hochzeitsgast,
der am 6. Juli die »Kadaververwertungsanstalt Bunkertor 7«
betritt. Die Rollläden dort sind heruntergelassen. Lampen
funktionieren nicht. Die Wände im Schlafzimmer sind blutrot
gestrichen, der Teppich ist schwarz (siehe Farben des Teufels).
Über dem Bett eine Teufelsfratze, unter dem Schrank eine
Peitsche. Im Badezimmer ein Poster mit erhängten Frauen.
Skalpelle mit Blutresten. Im Wohnzimmer finden sich
Hakenkreuze, Pentagramme, Handschellen, ein Totenschädel,
Grablichter, Bocksgehörn und Sense. In der Mitte ein Sarg mit
dem Satanskreuz. Hier wird Frank H. mit einem
Zimmermannshammer und wiederholten Stichen in den
Oberkörper bestialisch ermordet. Zum geplanten Suizid kommt
es nicht. Später findet die Polizei die Leiche und an der Wand
15 Namen von ehemaligen Arbeitskollegen und Freunden.
Daneben die Warnung: »Freut euch - ihr seid die Nächsten.«
Das Paar flüchtet über Hannover nach Thüringen. Auf ihrem
Wagen befindet sich ein Aufkleber des CD-Titels »Bunkertor
7«. Sie suchen das Grab des Schülers Sandro Beyer (siehe
Neosatanismus) auf dem Friedhof von Sondershausen. 1993,
vier Jahre nach der »Wende«, wurde Sandro Beyer das Opfer
einer Gruppe von Schülern, die sich mit Videofilmen und
-205-
satanischer Musik zu Gewaltfantasien hinreißen ließen und
schließlich ihren Mitschüler ermordeten. Wie der »Fall Ruda«,
so hatte sich auch der »Fall Sandro Beyer« weitgehend unter
den Augen der Öffentlichkeit entwickelt: Durch Kleidung,
Worte und Taten waren die Obsessionen der Mörder bekannt.
Arbeitskollegen, Besucher der Szenediskotheken, Mitschüler,
Eltern, Lehrer oder Vorgesetzte hätten den Anfängen wehren
müssen. Im »Fall Sandro Beyer« wurde der Mord sogar in der
Schülerzeitung angekündigt. Auch Gruppen wie »Wumpscut«
gehören zu den geistigen Brandstiftern. Bandleader Rudy
Ratzinger komponierte nach der Festnahme des Ehepaares sogar
einen Titel »Ruda«. Daniel und Manuela Ruda finden das Grab
nicht. Am 9. Juli 2001 kauft Daniel im »Obi«-Baumarkt eine
»Dolmar«-Kettensäge. Das »Kettensägenmassaker« gehörte zu
den Lieblingsfilmen der Thüringer Satanisten. Manuela Ruda
nimmt Schlaftabletten und versucht, sich die Pulsadern zu
öffnen. In einem Abschiedsbrief an die Eltern schreibt sie: »Ich
passe nicht in diese Welt. Ich muß meine unsterbliche Seele von
dem sterblichen Fleische befreien... Schiebt es bitte nicht auf
Dani. Den Gedanken auszubrechen trage ich länger, als ich ihn
kenne... Ihr seid viel zu schade für das dreckige Gewürm, das
sich Menschheit nennt. Ich hoffe, daß sich dieses Pack
irgendwann gegenseitig zerstört.« Mit Satanismus hat der »Fall
Ruda« nur an der Oberfläche etwas zu tun. Vom Bochumer
Schwurgericht werden Daniel und Manuela Ruda zu 15
beziehungsweise 13 Jahren Haft verurteilt und ihre Einweisung
in die Psychiatrie auf unbestimmte Zeit beschlossen. Auch der
Vorsitzende Richter Arnjo Kerstingtombroke sagt: »Es handelt
sich nicht um Satanismus, sondern um ein Verbrechen von zwei
schwer gestörten Menschen.«

-206-
Satan, Diabolos und Teufel

Warum wird der Teufel nicht gern beim Namen genannt?


Warum benutzt man Umschreibungen wie »der Bock«,
»Gottseibeiuns«, »Kukuck«, »der Schwarze«, »der Böse« oder
»Hämmerlein«? Die Ursache liegt in dem alten Aberglauben,
daß allein eine Nennung seines Namens zugleich den Teufel
herbeirede. Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Mit Schweigen
und Verdrängung werden bewußte und unbewußte Ängste nur
verstärkt. Den Bösen muß man beim Namen nennen.
Das deutsche Wort »Teufel« hat sich aus den alten
Sprachformen »tiuvel«, »diuvil« und »düwel« entwickelt. Es ist
ein Lehnwort aus dem griechischen »diabolos«. Auch andere
europäische Sprachen haben ähnliche Lehnwörter gebildet:
»diabolus« (lateinisch), »diavolo« (italienisch), »diabolo«
(spanisch), »diable« (französisch) und »devil« (englisch). Im
Neuen Testament wird der Diabolos 53 Mal beim Namen
genannt. Er ist der Gegenspieler Christi. Sein Ziel ist die
Zerstörung der göttlichen Ordnung. Sein sprechender Name
entlarvt zugleich das Wesen des Teufels: »Diabolos« bedeutet
»Durcheinanderbringer«.
Das griechische Wort »Diabolos« wiederum ist eine
Übersetzung des hebräischen Wortes »Satan« (Ankläger). Als
»shaitan« ist es in die arabische Sprache und in den Koran
eingegangen. Der Satan war ursprünglich eine Art Staatsanwalt
im Himmel (Hiob 1.6), vergleichbar dem Präfekten der
Glaubenskongregation im Vatikan. Zu seinen Dienstpflichten
gehörte die Überprüfung des Glaubens. Diese Aufgabe nahm er
zu genau. Er wurde »päpstlicher als der Papst«, ein Fanatiker
der reinen Lehre, ein Störenfried und Durcheinanderbringer. Wo
Gott in seiner Güte Gnade walten ließ, da pochte er auf die
Einhaltung der Gesetze. Kein Wunder, daß der Satan im Neuen

-207-
Testament als Widersacher Christi auf den Plan tritt. »Weg mit
dir, Satan!« (Matthäus 4.10), ruft ihm Jesus zu, und auch Petrus
schleudert er den Bannspruch »Geh weg von mir, Satan!«
(Matthäus 16.23) entgegen. Teufel, Diabolos, Satan: Immer geht
es um die Benennung der Macht, die Menschen vom Weg des
Glaubens abbringen will.

Satanskirche

Anton Szandor La Vey (* 1930) gründete in der


Walpurgisnacht des Jahres 1966 die »Kirche Satans«. Diese hat
ihren Sitz in San Francisco. La Veys wirklicher Name ist
Howard Levi. Er hatte im Alter von fünfzehn Jahren Elternhaus
und Schule verlassen. Der junge Aussteiger verdiente sich
seinen Lebensunterhalt als Hilfskraft für Tierbändiger in einem
Zirkus. Er lernte die Kunst der Hypnose und des Zauberns und
wurde später Polizeifotograf in San Francisco. Aus der »Church
of Satan« ging wiederum der »Temple of Seth« hervor, benannt
nach dem dritten Sohn Adams, unter dessen Namen bereits alte
jüdische und christliche Geheimschriften mit dem Anspruch
einer neuen Offenbarung kursierten. Der Tempel Seths wurde
am 21. Juni 1975 von dem ehemaligen Leutnant für
Gegenspionage und Desinformation, Michael A. Aquino, ins
Leben gerufen.
La Vey betrieb unter der Sonne Kaliforniens ein höllisches
Showgeschäft und diabolisches Spiel. Für ihn war Satan ein
Symbol. Aquino dagegen glaubte an die leibhaftige Existenz des
Teufels. Nach einer Anrufung Satans will er »The Book of
Corning Forth by Night«, einen schmalen Text von drei Seiten
Umfang, als Offenbarung erhalten haben. Wie Crowley nannte
sich auch Aquino »Tier 666«.
La Veys Satanskirche war seit ihrer Gründung ein
Medienereignis und ein Spielzeug für die Stars aus dem nahe

-208-
gelegenen Hollywood. Es gehörte zur Aura bekannter
Showgrößen wie Sammy Davis oder Jane Mansfield, im
satanistischen Dunstkreis von La Vey zu stehen. Fünftausend,
nach eigenen Angaben zwanzigtausend Mitglieder soll die
»Kirche Satans« zu ihrer besten Zeit gehabt haben. La Vey war
auch publizistisch tätig und veröffentlichte neben einem
Hexenbuch mit sexualmagischen Praktiken und einer Schrift mit
teuflischen Ritualen die Satansbibel. Bekannt sind auch die neun
satanischen Erklärungen (»9 Satanic Statements«), in denen der
Symbolgehalt des Wortes »Satan« entschlüsselt wird. »Satan«
steht hier für ungezügelte Befriedigung von Begierden, die
Verkörperung vitaler Existenz, Weisheit. Er verkörpert
Rachegefühle, das Recht des Stärkeren und die Lust an der
Sünde. So heißt es in Artikel 1: »Satan repräsentiert
Zügellosigkeit anstelle von Abstinenz!«
Symbol der Kirche Satans ist der fünfzackige Stern mit dem
Kopf eines Ziegenbocks. Wie die Gnostiker, so besitzen auch La
Veys Teufelsfreunde ein Erkennungszeichen, das sie sich zum
Gruß entgegenstrecken. Sie heben die geballte Faust, lösen dann
den kleinen Finger und den Zeigefinger, so daß eine Figur
entsteht, die an den gehörnten Teufel erinnern soll. Heute gehört
der teuflische Gruß zum Erscheinungsbild jedes Heavy-Metal-
Konzerts. Im Internet findet sich eine Selbstdarstellung der
Satanskirche unter ChurchofSatan.com.

Schwarze Messe

Medien leben von Sensationen. So füllen Berichte über


Schwarze Messen immer wieder die Seiten von Zeitungen und
Zeitschriften. Da ist zu lesen: In Minneapolis sei ein
Sonderdezernat zur Aufklärung seltsamer Straftaten eingerichtet
worden. Man habe auf den Kopf gestellte Kreuze, Überbleibsel
ritueller Tierschlachtungen, Ziegenköpfe, enthäutete Hunde,

-209-
abgeschnittene Ohren und Brüste gefunden, die möglicherweise
im Zusammenhang mit satanischen Ritualen standen. Bekannt
wurde auch eine deutsche Sekte mit dem Namen »Kinder
Satans«, die sich in zwanzig Gruppen über Deutschland
ausgebreitet haben soll. Sie verführe besonders Jugendliche im
Alter zwischen 16 und 25 Jahren zu kriminellen Taten. Zu ihren
Ritualen, so berichteten ehemalige Mitglieder, gehörten
Tieropfer, Trinken von Urin und Essen von Kot, Einbrüche in
Gotteshäuser, Leichenschändungen und Orgien. Auch im
Internet finden sich Darstellungen von satanischen Messen. Der
SatanShop.com bietet sogar offen Hostien und Weihwasser für
satanische Rituale an.
Die berühmteste Darstellung einer Schwarzen Messe bildet
das Zentrum des Romans »Là-Bas« (»Tief unten«) von Joris-
Karl Huysmans (1848-1907). Er wurde 1891 zu einem
Skandalerfolg. Es wird angenommen, daß Huysmans
Darstellung der Teufelsmesse auf authentischem
Quellenmaterial beruht. Durtal, die Hauptperson des Romans, ist
ein Kind des positivistischen 19. Jahrhunderts. Auf der Suche
nach neuen Mysterien beginnt er sich für die okkulte Welt des
Satanismus zu interessieren. Durtal bekommt durch Hyacinthe
Chantelouve die Möglichkeit zur Teilnahme an einer
Satansmesse. Durtal und Hyacinthe Chantelouve fahren in eine
schäbige Gegend von Paris, wo im Keller eines ehemaligen
Ursulinenklosters die Schwarze Messe zelebriert werden soll.
Häßliche Menschen gehören zu den Teilnehmern, eine
entsprungene Nonne, ein Medizinprofessor, ein alternder
Schwuler. Frauen sind in der Überzahl. Ängstlich und ernst
wirkt ihre Unterhaltung, kein Lachen ist zu vernehmen. Das
Kellergewölbe durchzieht ein Geruch aus Feuchtigkeit,
Schimmel, verbrannten Kräutern und Harzen. Die Wände sind
rissig und ohne Farbe. Dann tritt ein rotgewandeter Messdiener
an den Altar mit dem Bild Christi. »Er war nackt, und wo zuvor
das Leinentuch seine Lenden gegürtet hatte, ragte aus einem

-210-
Bündel Rosshaar das erregte männliche Schmutzteil.« Raute,
Bilsenkraut- und Stechapfelblätter, getrocknete
Nachtschattenpflanzen und Myrrhe werden Satan als
Räucheropfer gebracht. Bewegung unter den Frauen signalisiert
die Ankunft des satanischen Zelebranten der Messe. Kanonikus
Docre, auch er ein ehemaliger Priester wie viele unter den
okkulten Satanisten, erscheint. Unter seinen Messgewändern
geht er nackt - bis auf die schwarzen Strümpfe mit
hochsitzenden Strumpfhaltern, unter denen sein fettes Fleisch
hervorquillt.
In den Kellergewölben des ehemaligen Klosters hausen
verkrachte Existenzen und lassen ihren antiklerikalen Affekten
in gotteslästerlicher Weise freien Lauf, erfüllt von blindem Hass
auf die Kirche, der sie einst dienten. Kanonikus Docre vollzieht
das Messopfer, dann wendet er sich im Gebet zuerst an Satan.
»Herr der Ärgernisse, Spender der Wohltaten des Verbrechens,
Walter der prachtvollen Sünden und der großartigen Laster,
Satan, dich beten wir an, du Gott der Logik, du Gott der
Gerechtigkeit!« In Teufels Namen preist der ehemalige Priester
Abtreibung und Fehlgeburten, Heuchelei, Undank, Hochmut,
Racheakte, Morde, Manneskraft und Vergewaltigung. Dann
ergeht eine lästerliche Litanei über Christus.
Wie sehr der Teufelspriester auch den Gottessohn schmäht,
dem alten Glauben an die priesterliche Macht der Wandlung der
Hostie (Konsekration) bleibt er treu. Im Messopfer wird nach
katholischer Lehre Christus leibhaftig gegenwärtig. Deshalb ist
die Hostie heilig. Docre vollzieht die Wandlung, um Christus
selbst im anschließenden Ritual zu schänden. »Und du, du, den
ich in meiner Eigenschaft als Priester zwinge, magst du wollen
oder nicht, herabzusteigen in diese Hostie, Fleisch zu werden in
diesem Brot, Jesus, Handwerksmeister der Täuschungen,
Huldigungenräuber, Zuneigungsdiebhöre!«
Ein Glöckchen der Messdiener signalisiert den Moment der
Wandlung (Transsubstantiation). Die Gemeinde antwortet mit

-211-
einer Orgie. Frauen lösen ihre Röcke, Chorknaben heben das
Priesterkleid, die Kasel, und der Zelebrant uriniert auf die
Hostie. Während die Chorknaben das Glied des Priesters
beweihräuchern, stürzen sich die Frauen auf das Brot und essen
es. Dann steigern sich die Satanismen zur Sakralhurerei. Ein
weinendes Mädchen wird in die Kellergewölbe geführt. Dies ist
der Moment, wo Durtal seine Begleiterin bittet, mit ihm den
perversen Schauplatz zu verlassen. Hyacinthe Chantelouve ist
sexuell so erregt worden, daß sie Durtal in eine schäbige
Absteige führt, wo sie sich entkleidet, Brocken einer Hostie auf
dem Bett verteilt und ihre Begehrlichkeit offen gesteht: »Ich will
dich haben!« Das Grauen hat jetzt Durtal endgültig gepackt.
Beide verlassen das Zimmer.
Der Teufel gilt als der »Affe Gottes«. So folgen Satansmessen
der Logik des Widerspruchs: Sie verkehren die katholische
Messe in ihr Gegenteil. Die »weiße Messe« der Kirche wird in
der »schwarzen Messe« verspottet. Der Ablauf einer
Satansmesse und die Rolle des einzelnen Teilnehmers ergeben
sich aus der Gegenüberstellung von Kirche und Satanskirche:
Dem Priester steht der Satanspriester gegenüber. Der eine
spendet die sieben Sakramente der Kirche, der andere die
Sakramente des Teufels. Die katholische Messe führt zur
Anbetung des Erlösers Jesus Christus, die Satansmesse zur
Anbetung seines Widersachers, des Teufels. In satanischen
Riten spielen Blut und Sexualmagie eine zentrale Rolle. Auch
sie sind aus der Parodie der katholischen Messopferfeier zu
verstehen. Der Priester verwandelt den Wein in das Blut Christi,
der Satanspriester setzt ihm das Blut eines Zie genbockes
entgegen. Dem reinen Opfertisch des Altars steht der unkeusche
Leib der Satansanhängerin gegenüber, auf dem die satanischen
Sakramente bereitet werden.
Als authentisches Dokument aus der satanischen Unterwelt
der Gegenwart gilt der Bericht von Ricarda S. (1988). In ihm
sind die wesentlichen Merkmale des okkulten Jugendsatanismus

-212-
zu finden: pubertäre Suche nach extremer Erfahrung, sexuelle
Neugierde und Hörigkeit, Prostitution und Kriminalität. Der
junge Mann, in den sich die unerfahrene Ricarda S. im Alter von
fünfzehn Jahren verliebt, trägt als Tätowierung eine Schlange.
Ihr Kopf ist auf dem nackten Bauch zu sehen, ihr langer Leib
führt hinab unter die Hose. Die Kölner Schülerin ist von dem
zehn Jahre älteren Krischan fasziniert. »Vorne aus der Hose
ringelte sich eine Schlange, die bei mir immer dieses Kribbeln
auslöste. Dieses Kribbeln, das so neu für mich war.« Krischan
erzählt von Dämonen und Geistern. Auf einer spiritistischen
Sitzung im Wald führt er magische Spielchen vor. Während
Ricarda und ihre Freunde einen Kreis bilden, zeichnet er
Symbole auf den Waldboden, die keiner der Jugendlichen kennt,
und er murmelt unverständliche Worte. Dann stellt auch er sich
in den Kreis, zittert und stöhnt, schreit plötzlich auf und zeigt
der Clique seine blutige Hand.
Ricarda erliegt der Inszenierung, Krischan hat sein Opfer
gefunden. Für die nächste Sitzung im Birkenwäldchen sollen sie
und ihre Freundinnen Schreibheft, Füller und vier Kerzen
besorgen. Wieder versteht es Krischan, eine geheimnisvolle
Atmosphäre aufzubauen, an deren Ende Ricarda erfährt, sie sei
zur Dienerin des Teufels erwählt, denn Satan hätten die Rituale
im Wald gegolten. Faszination und Grauen erschüttern Ricardas
Seele, Angstträume suchen sie heim. Aufgewachsen in einer
rationalen Welt ohne religiöse Bindung, hat sie wie viele
Menschen ihrer Zeit eine geheime Sehnsucht nach dem
Irrationalen, der anderen, dunklen Seite der Wirklichkeit.
Der sexuell wenig erfahrenen Ricarda redet der Verführer
einen Zusammenhang von Satanismus und Sexualität ein. Er
führt sie in sein Zimmer. Die satanischen Requisiten verfehlen
ihre Wirkung auf Ricarda nicht: Auf dem Boden liegt ein
Totenschädel, daneben eine Peitsche. Ein Papstbildnis mit
herausgeschnittenen Augen, ein Poster von Karl Marx und ein
umgedreht es Kruzifix hängen an der Wand. Besonders

-213-
beeindruckt zeigt sich das Mädchen von der großen Matratze
mit ihrer schwarzseidenen Bettwäsche und den vier
Kerzenständern an jeder Ecke. Krischan ist ein autoritärer
Charakter. Sie folgt willenlos seiner Aufforderung zur
Entkleidung und legt sich mit gespreizten Armen und Beinen
auf die seltsame Kultstätte. Dann läßt Krischan die Hose
herunter, und zum Vorschein kommt der Leib der Schlange,
tiefblau eintätowiert tritt sie aus den Schamhaaren hervor. »Die
Schlange ist ein Symbol SATANS!«, kommentiert er, greift
nach der Peitsche und schlägt sich selbst damit. Symbole sind
vielschichtig. Das Symbol der Schlange verweist auf den Teufel
und zugleich auf Gewalt, auf Lust an der Zerstörung, Sexualität
und Macht über andere Menschen.
Krischan erklärt die Bedeutungsschichten des satanischen
Symbols nicht, sondern er inszeniert sie und setzt damit ihre
unheimliche Wirkung frei. Diese zieht auch Ricarda in den
Bann. Auf dem schwarzseidenen Bett zwischen den vier Kerzen
wird Ricarda brutal entjungfert. Jetzt liegt sie in ihrem Blut.
Gewalt, Blut, Sex, Krischan. »Bist Du SATAN!???«, so schreit
sie. Er verneint, nennt sich einen Priester Satans, greift in
Ricardas Blut, beschmiert damit ihren Leib und ernennt sie zur
Satanspriesterin. Was dies für ihr weiteres Leben bedeutet,
spricht Krischan direkt aus: »Was SATAN will und von uns
fordert, das ist der Hass. Das, und nur das, ist das einzige
ehrliche Gefühl.« Damit wehrt er Ricardas Liebesgefühle ab.
Das Mädchen führt jetzt ein Doppelleben zwischen Schule,
Elternhaus und Satanssekte. Ricarda lernt den inneren Kreis der
Mitglieder kennen, absolviert ein Ekeltraining, schläft mit
anderen Männern, zieht schließlich aus dem Elternhaus aus und
erlebt zum ersten Mal eine Schwarze Messe, bei der eine
geweihte Hostie im Blut eines Huhnes aufgelöst und getrunken
wird. Dann kommt der Höhepunkt ihrer Verstrickung in die
Machenschaften der Sekte, ein öffentlich vollzogener
Geschlechtsverkehr mit Benno. Weil Ricarda in ihrer Kindheit

-214-
wie viele Mädchen eine besondere Zuneigung zu
Zwergkaninchen besaß, wird von ihr jetzt die rituelle Tötung
eines schwarzen Kaninchens verlangt. Wieder wird das Blut in
einer Opferschale aufgefangen, eine Hostie darin aufgelöst und
getrunken. Anschließend schneiden sich Benno und Ricarda ihre
Arme auf, trinken ihr Blut, werden von Krischan mit einem
Blutmal an der Stirn gezeichnet und fallen übereinander her.
»Töten, Blut trinken, Orgien feiern, Drogen, Saufen, ohne
Schranken und Grenzen sich fallenlassen, seine Brutalität voll
ausleben, das war alles Dienst an SATAN.«
Die Gruppe finanziert ihren Lebensunterhalt durch
Kriminalität und Prostitution. Ricarda arbeitet als Domina. In
schwarzer Korsage, hautenger Satinhose, Stiefeletten,
Nietenmanschetten und stacheligem Hundehalsband empfängt
sie ihre masochistisch veranlagten Kunden und läßt über deren
Rücken die neunschwänzige Katze kreisen. Tagsüber besucht
sie das Gymnasium, nachts spielt sie die höllische Hure im
Satanskeller. Krischan, ihr Zuhälter, hat sie systematisch auf die
Rolle als Domina vorbereitet. Ihre Kunden gehören durchaus zur
Oberschicht der Stadt Köln, Herren, die alles besitzen, alles
ausprobiert haben und das Extrem zur Stimulierung ihrer Lust
brauchen. Bis zu vier Kunden gleichzeitig sind Teilnehmer der
Schwarzen Messen.
Als Ricarda schwanger wird, zwingt Krischan sie gegen ihren
Willen zur Abtreibung. Er droht, falls sie seinem Willen nicht
folge und das Kind austrage, werde er es nach der Geburt bei
einer Schwarzen Messe opfern. Einer von Ricardas Kunden
nimmt die Abtreibung ohne Narkose vor, nicht ohne sie vorher
missbraucht zu haben. Ricarda kommt in die Psychiatrie, kehrt
zur Gruppe zurück, wird wieder schwanger, löst sich von
Krischan, erhält Drohbriefe, wird auf offener Straße
zusammengeschlagen, erleidet eine Fehlgeburt und findet durch
den Kontakt zu einer katholischen Patientin im Krankenhaus
wieder neuen Halt. Jetzt glaubt sie ihr wahres Problem erkennen

-215-
zu können: Es ist die Angst vor dem Leben. Damit wandelt sich
auch ihr Bild vom Teufel.
Der gefallene Engel wird zu ihrem fernen Bruder im Geiste,
der ihr Schicksal teilt. »Ich habe Angst, allein zu sein. Ich habe
Angst, nichts wert zu sein. Wie Satan.« Im Morgendämmer der
Schöpfung wurde Satan eifersüchtig auf den Menschen. Er
fühlte sich ausge grenzt, weil er die Liebe Gottes mit anderen
Geschöpfen teilen mußte. Aus Angst vor Liebesverlust wurde er
böse: So sieht Ricarda ihr Schicksal in seinem gespiegelt.

Schwarzer Mann

Jeder kennt die Wirkung von guten Worten. Sie bauen uns
auf, bestärken uns, schenken uns neuen Mut in Krisenzeiten.
Andererseits können Worte auch verletzen. So ist Sprache mehr
als nur Mitteilung: Sprache ist Magie. Wenn man den Teufel
beim Namen ruft, heißt es im Volksmund, ist er auch schon da.
Deshalb wird die direkte Benennung des Teufels vermieden.
Sein Name wird umschrieben. Zu den bekanntesten
Umschreibungen gehören »der Schwarze« oder »der schwarze
Mann«. Als Kinderschreck taucht der Teufel in dem beliebten
Fangspiel »Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?« auf. Ein
Kind ruft die Frage, die anderen antworten laut im Chor:
»Niemand!«
Die Angst vor dem Teufel kann nur dort entstehen, wo die
dunkle Wirklichkeit verdrängt wird. Die Kinder spüren noch
unmittelbar die Magie des Wortes. In der Tat: Niemand braucht
Angst vor dem Teufe l zu haben. Ein Wörtlein kann ihn fällen.
Deshalb lebt die Figur des Teufels auch in Kinderspielen, im
Kasperletheater und in den Märchen. In den Star Wars-Filmen
hat Darth Vader (schwarzer Vater) die Rolle des schwarzen
Mannes übernommen.

-216-
666

Unmittelbar nach Abschluß des Bochumer


Satanistenprozesses (siehe Der Fall Ruda) kam der Film »666 -
Traue keinem, mit dem du schläfst« in die Kinos. Produzent
Bernd Eichinger und Regisseur Rainer Matsutani hatten am 21.
Februar 2002 nach München zur Premiere geladen, und von
Bons Becker bis Claudia Schiffer stellte sich die Prominenz ein.
Bernd Eichingers Film spielt locker mit dem Faust-Motiv (siehe
Faust): Ein schwuler Sohn des Teufels (Armin Rohde) schließt
mit Faust (Jan Josef Liefers) einen Pakt. Er wird Faust he lfen,
seine Freundin Jennifer (Sonsee Ahran Floethmann)
zurückzugewinnen, dafür erhält er Fausts Seele. Seit Gustaf
Gründgens den Mephistopheles (siehe dort) spielte, ist diese
Rolle auf deutschen Bühnen mit dem Hauch des
Homoerotischen (siehe Homosexualität) besetzt. Ein schwuler
Teufel ist also so wenig originell wie die vermeintliche
Anspielung auf die Position »666« in der Satanszahl. Jeder
weiß, daß die Zahl 666 in satanischen Kreisen einen hohen
Symbolwert besitzt. Am 6.6. 2001 vollzogen Daniel und
Manuela Ruda einen Ritualmord, am 6.7.2001 planten sie einen
gemeinsamen Selbstmord. Die Verwendung der »Satanszahl«
666 für eine Komödie erscheint auf diesem Hintergrund doch
sehr fragwürdig.
In dem Lied »The number of the beast« der Gruppe »Iron
Maiden« wird der Ablauf einer schwarzen Messe (siehe dort)
beschrieben. Darin heißt es: »666 die Zahl des Tieres - Hölle
und Feuer schienen los zu sein. Fackeln flackerten, und heilige
Gesänge stiegen empor. Als sie zu schreien begannen, streckten
sie die Hände gen Himmel. In der Nacht brennen die Feuer hell,
das Ritual begann, Satans Werk ist getan. 666 die Zahl des
Tieres.«
In der mittelalterlichen Polemik gegen den Islam galt das Jahr

-217-
666 als Todesjahr Mohammeds. Die bekannte »Satanszahl« 666
stammt aus der Apokalypse des Johannes (siehe dort). Sie ist ein
Zeichen der Diktatur des großen Tieres (siehe dort). In Satans
Reich muß jeder Mensch sie gut sichtbar tragen. Warum gilt
gerade 666 als Zahl des Teufels? In der Zahlenmystik wird
jedem Buchstaben ein bestimmter Zahlenwert zugeordnet. Bei
der Zahl 666 werden Zahlenwerte der hebräischen Buchstaben
zugrunde gelegt. Vokale haben allerdings im hebräischen
Alphabet keinen Zahlenwert. Die Ermittlung der Zahl 666 wird
beispielsweise so hergeleitet: K = 100, (E), S = 60, (A), R = 200,
N = 50, (E), R = 200, O = 6, N = 50. Bildet man die Quersumme
des Namens von Kaiser Nero (Kesar Nero), so soll sich die Zahl
666 ergeben. Die Rechenbeispiele überzeugen jedoch wenig.
Wahrscheinlicher ist, daß die Zahl 666 eine Parodie der sechs
Tage der Schöpfung ist. Das große Tier untersteht dem Teufel.
Die Welt des Teufels aber ist immer Gegenwelt zum
Christentum.

Sexualität

Gespräche über das Papsttum enden beinahe unweigerlich bei


Fragen der Sexualmoral. Warum ist künstliche
Empfängnisverhütung verboten? Warum lehnt die Kirche
schwule und lesbische Lebensgemeinschaften ab? Die
Begründungsversuche leuchten nur den wenigsten deutschen
Katholiken ein. Oft scheinen sie auch nur vordergründig. Man
könnte den Eindruck haben, als werde der wahre Grund nicht
ausgesprochen, denn er ist irrationaler Art. Seit Jahrhunderten
lehrt die katholische Kirche, daß der Teufel mit Hilfe von
sexualmagischen Techniken Einfluß auf die Libido des
Menschen nimmt. Dazu gehören Onanie, Pollution,
Perversionen, Homosexualität und Impotenz.
Das Wesen dieser Sexualmagie erklärt sich aus dem Schicksal

-218-
der gefallenen Engel: Gott hatte sie wegen ihrer Sünde aus den
Chören der Engel verstoßen. Die frei gewordenen Plätze im
Himmel sollten durch die Menschen besetzt werden. Die Ehe
und das Zeugen von Kindern dienten also der Wiederherstellung
der himmlischen Ordnung. Mit jedem Neugeborenen, das
getauft und im christlichen Geist erzogen wurde, trat ein neuer
Thronanwärter und Himmelserbe hervor. Der Jüngste Tag und
damit das Ende dieser Welt aber würden kommen, wenn so viele
Menschen geboren worden waren, daß durch sie die Lücken im
Himmel geschlossen werden konnten. So erkläre sich der
Zeitdruck, unter dem die Dämonen arbeiteten, und ihr
besonderes Interesse an der Sexualität der Menschen.
Die Zeugung von Kindern etwa durch künstliche
Verhütungsmethoden zu verhindern, bedeutet nach dieser Logik,
den Zeitpunkt des Jüngsten Tages hinauszuschieben. Kondome,
Pessare und Pille sind daher des Teufels. Auch
Selbstbefriedigung und Homosexualität, ganz zu schweigen von
Sodomie oder Päderastie, verhinderten ebenfalls die Zeugung
von Himmelserben. Dämonen sind wie die Engel reine Geister
ohne Fleisch und Blut. Zur Verhinderung der Erlösung des
Menschengeschlechts können Dämonen jedoch eine weibliche
(Succubus) oder eine männliche Gestalt (Incubus) annehmen. So
versuchen sie, die Menschen zu verführen, denn im Schoß eines
Succubus fällt das Sperma auf unfruchtbaren Boden. Succubus
und Incubus verursachen auch sexuelle Erregungen im Traum
oder verleiten zur Onanie. Nach Ansicht der katholischen Kirche
gibt es jedoch ein sicheres Mittel, den dämonischen
Scheinkörper zu entlarven: Das Geschlechtsorgan eines
männlichen oder weiblichen Teufels verströmt eine eisige Kälte.
Der Grund liegt auf der Hand, denn der Teufel besitzt kein Blut.
Nach katholischer Lehre ist auch die Abtreibung ein Werk des
Teufels. Die Verhinderung der Geburt liegt in seinem Interesse.
Da das abgetriebene Kind nicht getauft werden kann, hat es
keine Chance, einen Platz im Himmel unter den Engeln zu

-219-
bekommen. Der Ausdruck »Engelmacherin« ist daher ein
Euphemismus, denn ungetaufte Kinder gelangen in die »
Kinderhölle«, den limbus puerorum (siehe Fegefeuer). Auch
dämonische Impotenz verhindert das Werk der Erlösung.
Komplizierter zu beurteilen ist der nächtliche Samenabgang
(Pollution), besonders bei Priestern. Der päpstliche
Geheimkämmerer Egon von Petersdorff kommentiert: Geschieht
die Pollution unfreiwillig, so kann der Geistliche am nächsten
Morgen ohne Probleme die heilige Kommunion feiern. Hat er
aber willentlich einer Verführung des Teufels nachgegeben,
dann liegt eine Sünde vor. Auf diesem dämonischen
Hintergrund der katholischen Sexualmoral stellt sich natürlich
die Frage, ob der Zölibat im Sinn der Erlösung und Vollendung
der Welt ist, denn wer die Fortpflanzung des Menschen
verhindert, der schiebt das Ende der Welt hinaus: Ist nach dieser
Logik die Ehelosigkeit der Priester nicht selbst ein Teufelswerk?
Mitnichten, denn, so heißt es, durch ihr Gebet zeugen sie ja
geistliche Kinder für das Himmelreich.
Der homosexuelle Schriftsteller Julien Green (1900-1998) hat
wie kein zweiter Autor des 20. Jahrhunderts die Welt von
Sexualität, Glaube und Dämonie beschrieben: Das Kind schläft
in einem Bettchen direkt neben der Zimmertür. Es erwacht
mitten in der Nacht. Jemand hatte den Türknauf bewegt. Julien
ist noch nicht einmal fünf Jahre alt. Viel Unbekanntes und
Unverstandenes geschieht im Elternhaus. Er schläft sofort
wieder ein und macht sich erst Gedanken über das Ereignis in
der Nacht, als er am nächsten Morgen seine Schwestern
Eleonore und Lucy über den Vorfall reden hört. Eltern und
Schwestern hatten die Geräusche vernommen, obwohl sie in
Nachbarzimmern schliefen. Während Julien sogleich wieder in
den Schlaf gesunken war, hatten sie lange wach gelegen. Am
Morgen wird das Unbekannte und Unbeachtete bedeutsam durch
das Gespräch der Eltern und Schwestern. Kein Name fällt, nur
eine Bemerkung, die signalisiert, daß alle Bescheid wissen.

-220-
»Heute nacht haben sie es ganz schrecklich getrieben.« Ein Satz,
mehr nicht. Keine Erklärungen.
Die dunklen Mächte, die Julien bedrängen, sind anderer
Natur. Kaum fünf Jahre alt, steht er in seinem Zimmer und weist
mit dem Finger auf eine Ecke. Er glaubt sich unbeobachtet und
spricht mit einer unsichtbaren Person in lautmalerischer
Sprache. Wieder ist es nicht der Knabe, der mit Angst reagiert.
Die Schwestern waren unbemerkte Zeugen des Gesprächs,
hörten ihm eine Weile zu und verließen fluchtartig das Zimmer.
Vom Teufel war noch nicht die Rede, und bevor Julien auf die
Idee kam, seinen Namen ins namenlose Dunkel zu rufen, mußte
etwas anderes geschehen.
Wie üblich lag der Fünfjährige um sieben Uhr abends im Bett.
Durch die geöffnete Tür drang schwaches Kerzenlicht ins
Kinderzimmer, murmelnde Stimmen und zuweilen das Lachen
der Mutter. In dieser Dämmerstunde ertasten die kleinen Hände
den Körper, haben stilles Vergnügen an der Erforschung der
unbekannten Region. Wieder stand ein unbemerkter Beobachter
im Zimmer. Die Schwester Mary greift nach dem Betttuch,
schlägt es bis zu den Füßen auf und ruft nach der Mutter. Diese
erscheint mit dem Kerzenleuchter in der Hand, blickt auf ihren
Sohn, der wie gebannt noch immer sein Glied umklammert hält.
Das Kind versteht nichts, ist sich keiner Schuld bewußt. Schnell
wird der Leuchter abgestellt, die geliebte Mutter rennt aus dem
Raum und kommt mit einem langen Brotschneidemesser aus der
Küche zurück. Inzwischen hat sich auch die Köchin
eingefunden. Sie kann ein Lachen kaum unterdrücken, die
Schwestern murmeln, der Knabe bricht in Tränen aus, die
Mutter schwingt das Messer und schreit: »I'll cut it off!« Dann
beruhigen sich alle. Der unsichtbare Schnitt in der Seele des
Fünfjährigen sitzt tief.
Viele Jahre später, bald ein halbes Jahrhundert nach dem Tod
der Mutter, will es dem Dichter scheinen, als sei sie durch
hellseherische Gabe zu dem übertriebenen Verhalten verleitet

-221-
worden. Nicht das Spiel mit dem eigenen Leib habe sie empört
und das Messer aus der Küche holen lassen, sondern der Blick
auf die im Unsichtbaren verborgene Zukunft. Die
Kastrationsdrohung galt den erotischen Leidenschaften des
Kindes, das erst fünfzehn Jahre später die homosexuelle
Neigung an sich entdecken sollte, die in jener Nacht vor den
inneren Augen der Mutter gestanden haben mußte. Die Nacht
des langen Messers ist die Geburtsstunde eines Lebensthemas.
In ihr entdeckt Julien Green die Dämonie der
Geschlechtlichkeit, die sein Werk in vielen Gestalten beschwört
und die er mit seiner Konversion zum Katholizismus vergeblich
zu bannen suchte. Das Unsichtbare, das Verbotene, das
Geschlechtliche und die starke Mutterliebe verschmolzen zu
einer dunklen Macht. Sie hatte noch keinen Namen, wohl aber
einen Wohnort. Das süße Grauen verbarg sich im großen
Wandschrank der Mutter.
Kinder lieben geräumige Kleiderschränke, die so weit sind,
daß man in sie wie in einen zweiten Mutterleib hineinkriechen
kann. Julien, nun sieben Jahre alt, steht vor dem geöffneten
Kleiderschrank der Mutter. Schwarz und tief ist er.
Unwiderstehliche Neugierde zieht den Knaben an. Er wagt
nicht, einzutreten und die dichtgedrängten Kleidungsstücke zur
Seite zu schieben, um das verborgene Geheimnis zu schauen.
Mit klopfendem Herzen ruft er den Teufel an. Wie kam er auf
die Idee, der Teufel wohne im Kleiderschrank der Mutter? Er
wusste es nicht. Die Angst vor der Kastration saß noch in seiner
Seele, der Zwang, immer wieder den Kleiderschrank der Mutter
zu öffnen, mochte Ausdruck einer erotischen Neigung sein. Die
Beschwörung des Teufels steht in einem untergründigen
Zusammenhang mit der verbotenen Mutterliebe.
Dreimal hatte der Siebenjährige mit klopfendem Herzen den
Teufel angerufen, »und daraufhin trat das Unvergeßliche ein.
Die Kleider bewegten sich. Sie schoben sich sacht auseinander,
um jemandem Durchgang zu gewähren.« Wer war es? Der

-222-
Teufel? »Heute bedauere ich, daß ich niemals den Mut fand,
abzuwarten, anstatt laut schreiend davonzustürzen.« Julien
flüchtete sich in die Arme der Mutter. Seine Schwestern
kommentierten, der Bruder habe sicher wieder Gesichte gehabt.
Es waren aber keine visuellen Eindrücke. Die Kleider hatten
sich geteilt, dann war Julien geflohen, weil er glaubte, den
Anblick nicht ertragen zu können. Jahrzehnte später, als sich der
Dichter dieser Urszene erinnert, greift unaussprechliches Grauen
wieder nach ihm. Kein Zweifel, daß da etwas im Kleiderschrank
der Mutter war und ans Licht treten wollte.
Sieben Jahre später zieht der Teufel aus dem Kleiderschrank
der Mutter aus und wohnt im Zimmer des pubertierenden
Knaben. Der Dämon des Geschlechts tyrannisiert ihn. Unter der
Bettdecke wiederholen sich die frühen Spiele der Kindheit. Jetzt
droht keine Mutter mit dem wellengeschliffenen Brotmesser,
jetzt blickt ein sittenstrenger Christus vom Kreuz auf den
Jüngling hinab. Täglich spricht Julien noch immer das
Abendgebet und liest ein Kapitel aus der Bibel. Alle Liebe gilt
Christus, doch unten in seinem Körper hat der Dämon sein
lüsternes Streitlager errichtet. Julien haßt die Macht des
Geschlechts, beugt sich ihr aber und nimmt in der Stunde des
Dämons das Kruzifix von der Wand. »Wenn ic h jedoch, wie ein
Ermordeter auf mein Bett hingestreckt, das Böse tat, so unterlag
ich einer Art von Zauber, der von dem schwarzen Engel
ausging.« Der schwarze Engel der Onanie hatte bald das
gesamte Zimmer erobert. Mit dem Geschlecht regt sich in dem
jungen Mann der literarische Trieb. Er beginnt, eine Geschichte
Frankreichs zu schreiben, allerdings nicht an seinem eigenen
Schreibtisch, denn »dieser Raum war für mich zu sehr vom
Bösen heimgesucht«. Das literarische Werk entsteht im
sonnendurchfluteten Zimmer der Mutter. Hier fühlt sich Julien
sicher vor sich selbst.

-223-
Spukorte

Zu jedem Schloß in Schottland und zu jedem Schauderroman


gehört ein Gespenst. Doch auch im Kinderbuch, in den
Geisterbahnen der Jahrmärkte und auf Hörspielkassetten spukt
es mächtig. Die Anwesenheit eines Gespenstes spüren wir an
unserer Reaktion. Wo sich diese Geister aufhalten, da wird es
unheimlich. Wir bekommen eine Gänsehaut, die Nackenhaare
sträuben sich. Beliebte Spukorte sind Keller, Dachböden,
Friedhöfe, Mordstätten, Kreuzwege und Ruinen. Spukorte
können in drei Kategorien eingeteilt werden:
1. Sie sind Erfindungen der Filmemacher, Schriftsteller und
Märchenerzähler. Echte Geister gibt es nicht, also kann es auch
keine echten Spukorte geben. Dennoch überfällt viele Menschen
ein Gruseln. Dies hat psychologische Ursachen.
2. Spukorte sind Stätten, wo sich Poltergeister (siehe dort)
oder Elementargeister (siehe dort) aufhalten. Am besten meidet
man sie, um keinen Ärger zu bekommen. Auch sollte man
nachts nicht mehr durch Wald und Heide wandern, denn
plötzlich kann sich die ganze Landschaft in einen Spukort
verwandeln. Die Sagen berichten von Kobolden, die dem
Wanderer auf Schulter oder Rücken springen und ihn bis zum
Morgengrauen quälen. Diese Druckgeister oder Aufhocker
verschwinden jedoch beim ersten Glockenläuten.
3. Spukorte sind »Besessene Ort« (loca infesta), wo der
Teufel und die Dämonen ihr Unwesen treiben.
Nur die echten besessenen Orte können dem Menschen
wirklich gefährlich werden, denn hier sucht der Teufel nach
neuen Opfern. Meist kehrt er dazu an Stätten zurück, wo er
schon einmal Erfolg gehabt hat. Noch bis weit in das
19.Jahrhundert galt der Gipfel des Brocken als ein solcher
Spukort, weshalb man seine Besteigung mied. Besessene Orte
sind also Spukorte, wo Menschen einen Pakt mit dem Teufel

-224-
geschlossen haben oder in anderer Weise den Dämonen dienten.
Zu den loca infesta gehören auch Wüsten, abgelegene Orte, leer
stehende Gebäude, Höhlen und vor allen Dingen katholische
Pfarrhäuser und Klöster. Wo der Mensch eine Kirche errichtet,
da baut der Teufel eine Kapelle daneben, heißt es im
Sprichwort. Gerade Priester, Mönche und Nonnen sind den
Nachstellungen des Teufels ausgesetzt (siehe Versuchungen).
Viele Pfarrhäuser sind daher Spukhäuser, wie das Beispiel des
Pfarrers von Ars zeigt. Über 35 Jahre dauerte der Teufelsspuk in
seinem Pfarrhaus. Der Satan warf Stühle um, schob
Zimmermöbel hin und her und heulte wie ein Tier. Auch Don
Bosco, Begründer des Salesianer-Ordens, wurde immer wieder
vom Teufelsspuk angegriffen. Als er die Ordensregel
niederschrieb, kam der Teufel und warf das Tintenfass um. Die
Geschichte der Heiligen ist voller Spukerfahrung.
Dem Laien stellen sich natürlich viele Fragen. Auch die,
warum Heilige, wie der Pfarrer von Ars, nicht einfach ein
anderes Haus bezo gen haben. Der Grund liegt im Wesen des
Spuks. Neben dem ortsgebundenen Spuk gibt es einen
personengebundenen Spuk. In diesem Fall ist es völlig sinnlos,
den Spukort zu verlassen, denn der Teufel weicht nicht von der
Person. Niemand ist jedoch dem Spuk ohnmächtig ausgeliefert.
Psychologie und Parapsychologie bieten eine Hilfe bei der
Aufklärung an. Wenn der Spuk aber echt dämonischen
Ursprungs ist, helfen auch sie nicht weiter. Als bewährtes Mittel
gegen die böse Aura von Spukorten hat sich zu allen Zeiten das
Gebet (siehe dort) bewährt.

Sündenbock

Wenn jemand zum Sündenbock für die Schuld anderer


Menschen gemacht wird, dann ist das eine üble Sache. Jede
Lehrerin und jede Mutter, die erlebt, wie ihr Kind zum

-225-
Sündenbock gemacht wird, schreitet sofort ein. Ursprünglich
bezeichnete der Sündenbock ein Opfertier, durch dessen Tod die
Schuld des Menschen vor Gott gesühnt wurde.
Der Sündenbock ist eine jüdische Erfindung. Er gehört seit
uralter Zeit zu den Riten des Versöhnungstages. Wie Juden mit
Sündenböcken umgehen, das ist im Buch Leviticus (16.5-10)
nachzulesen. Am Versöhnungstag werden zwei Ziegenböcke als
Opfertiere ausgesucht. Einer wird Gott direkt geopfert, ein
anderer bekommt symbolisch alle Sünden aufgeladen und wird
dann in die Wüste getrieben. Dort haust der Dämon Asasel. Er
war einer der Anführer unter den gefallenen Engeln. Ihm wurde
der Sündenbock zum Fraß geschickt. Dieses Opfer für den
Dämon läßt Rückschlüsse auf die Macht zu, die man ihm
beimaß, denn warum sollte man dem Asasel sonst ein Opfer
darbringen?
Die Vorstellung, daß der Mensch seine Schuld vor Gott nicht
aus eigener Kraft sühnen kann, hat auch das Christentum
beeinflusst. Hier wird Christus zum Sündenbock. Er ist das
»Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt«. Auch
sein Opfer ist eine Art Unterpfand für die Dämonen. Zugleich
markiert es das Ende aller Sündenböcke, denn durch das Opfer
Christi gilt die Sünde als gesühnt. Er ist der neue Adam. Die
Folgen des Engelsturzes (siehe dort) und des Sündenfalls (siehe
dort) sind durch ihn aufgehoben.

Sündenfall

Wie Mutter und Kind, so bildeten Gott und Mensch


ursprünglich eine Einheit. Nach dem Paradiesmythos der Bibel
wurde der Mensch aus »Erde vom Acker« geschaffen. Der
Mensch (hebräisch: Adam) wurde aus Erde (hebräisch: adama)
gemacht. Das ist mehr als ein Wortspiel. Damit wird angedeutet:
Der Mensch ist ein Kind der Erde. Doch in ihm ist auch der

-226-
»Odem des Lebens«, die Seele. Gott setzte den Menschen zum
Herrscher über die Tiere ein und gab ihm damit eine besondere
Verantwortung. Er wies ihm aber ebenso eine deutliche Grenze:
Alles gehörte ihm, nur nicht die heilige Lebensmitte, wo die
beiden Bäume standen, der Baum des Lebens und der Baum der
Erkenntnis des Guten und Bösen.
Der Teufel tritt in Gestalt einer Schlange auf den Plan. Im
Gegensatz zu allen anderen Tieren kann sie sprechen. Mit Gott
und dem Menschen teilt sie das Geheimnis der Sprache. Sie
lockt Wünsche hervor, sie spricht die geheimen Sehnsüchte an.
Sie bringt die Welt des Gartens Eden durcheinander. Sie
verführt Eva und Adam zum offenen Widerspruch gegen Gott.
So kommt es zum Sündenfall. Nach dem Engelsturz (siehe dort)
ist der Sündenfall das folgenreichste Ereignis der Urgeschichte.
Durch ihn kommt das Böse in die Welt.
Was ist die Sünde? Der mittelalterliche Theologe Petrus
Lombardus lehrte: »Vor dem Sündenfall hinderte den Menschen
nichts am Guten und nichts trieb ihn zum Bösen an.« Thomas
von Aquin begründet diesen Zustand der Harmonie zwischen
Gott, Mensch und Natur: »Denn die Gnade wirkte überreich, da
sie in der menschliche n Natur keinen Widerstand fand.« Wie
konnte es dennoch zum Sündenfall kommen? Wer war schuld
am Sündenfall? Gott, weil er den Menschen geschaffen hatte?
Der Teufel, weil er den Menschen verführte?
Die klassische Antwort der Theologen lautet: Der Mensch hat
die Freiheit, zwischen dem Guten und dem Bösen zu wählen.
Die Fähigkeit zur Sünde ist eine Folge der Freiheit. Der Mensch
ist also allein schuld am Sündenfall.
Wo kommt die Schlange her? Was sind ihre Absichten? Das
Motiv des Teufels ergibt sich aus der Engelsünde. Er hatte aus
Neid (invidia diaboli) offen gegen Gott rebelliert. So kam es
zum Engelsturz und seiner Verbannung aus den himmlischen
Chören der Engel. Nun wollte er verhindern, daß die Menschen
eines Tages die freien Plätze der Engel im Himmel einnehmen
-227-
werden. Warum der Teufel zuerst Eva verführte, das erklärt
Thomas von Aquin so: »Das Weib diente ihm nur als Werkzeug
zur Verführung des Mannes, weil das Weib, schwächer als der
Mann, leichter verführt werden konnte.«
Der Sündenfall des Menschen ist also eine Wiederholung des
Sündenfalls der Engel. Beide haben weitreichende Folgen. Die
gefallenen Engel werden für alle Zeit fern von Gott leben
müssen. Ihre Sünde kann nicht vergeben werden. Der
Sündenfall des Menschen hatte die Erbsünde zur Folge, mit der
seit Adam und Eva jedes Neugeborene belastet ist. Allerdings
gibt es für die Sünde der Menschen eine Sühne. Nach
christlicher Lehre wurde diese durch das Sühnopfer Christi
vollbracht. In den Sakramenten, besonders dem Taufsakrament,
kann der Mensch an diesem Opfer Anteil haben.
Ein großes Problem unter den Theologen war die Erörterung
der Frage, wie weit die Folge der Erbsünde reichte. Hatte sie die
ursprünglich gute Natur des Menschen vollständig zerstört? War
der Mensch noch fähig, Gutes zu tun? In der Beantwortung
dieser Frage unterscheiden sich evangelische und katholische
Christen grundlegend. Da Katholiken die Bedeutung der Kirche
und der Sakramente besonders betonen, haben sie eine mildere
Auffassung von den Folgen des Sündenfalls. Die ursprünglich
gute Natur wurde nicht verändert, sondern nur verwundet, lehrte
Thomas von Aquin. Auch nach dem Sündenfall sind die
Menschen nicht von Gott verlassen. In ihnen schlummern noch
eine natürliche Liebe zum Schöpfer und die Fähigkeit, Gott zu
erkennen durch die Stimme des Gewissens und das Licht der
Vernunft (»lumen naturale«). Anders sah es Augustinus. Für ihn
war die gesamte Menschheit in der Folge von Adams und Evas
Sündenfall gänzlich verdorben und verdammt (»massa
damnata«).
Die Geschichte vom Sündenfall wird immer wieder mit dem
Verzehr eines Apfels in Verbindung gebracht. Der Baum der
Erkenntnis des Guten und des Bösen war jedoch kein

-228-
Apfelbaum, wohl eher ein Feigenbaum, denn unmittelbar nach
dem Sündenfall bedecken Adam und Eva ihre Blöße mit
Schürzen aus Feigenblättern (Genesis 3.7). Die weitverbreitete
Vorstellung von einem Apfelbaum ergab sich durch eine Stelle
aus dem Hohenlied Salomos, wo es heißt: »Unter dem
Apfelbaum weckte ich dich«. (Hohelied 8.5) Daß sich der
Teufel in der Schlange verbirgt, ist gleichfalls dem Text nicht
unmittelbar zu entnehmen. Doch hat kein Kirchenvater diese
Deutung auch nur ansatzweise bestritten. Für Augustinus war
durch das Neue Testament mehrfach bewiesen, daß der Teufel
von Menschen und Tieren (siehe Besessenheit) Besitz nehmen
konnte. Warum sollte er nicht auch in Gestalt einer Schlange
erscheinen können? Auch eine andere Stelle der Bibel gab
Anlass zu Spekulationen. Gott hatte nach dem Sündenfall von
einer Feindschaft zwischen Mensch und Schlange gesprochen.
Der Mensch werde mit dem Fuß nach der Schlange treten
(Genesis 3.15). Diesem Wort entnahmen Theologen den
Hinweis auf die zukünftige Erlösung, eine erste frohe Botschaft
von der Sündenvergebung. Deshalb sprach man auch von dem
ersten Evangelium oder Proto-Evangelium und einer
»glücklichen Schuld«, der »felix culpa«. Die Verheißung des
Schlangentreters bezog Martin Luther auf die Erlösung durch
Christus. Ihm folgten der Engel Michael (siehe dort) und der
Heilige Georg (siehe dort). Im Katholizismus wird Maria als
Schlangenzertreterin dargestellt.
In jedem Fall aber, so lehrt Anselm von Canterbury, verlangte
die Ursünde der ersten Menschen eine Sühne
(Satisfaktionslehre). Die Folgen des Sündenfalls waren jedoch
so gewaltig, daß kein Mensch sie aufheben konnte. Sie betrafen
auch die himmlische Ordnung, denn nach dem Sündenfall
konnten die leeren Plätze der gefallenen Engel im Himmel nicht
mehr besetzt werden. Deshalb konnte das Problem letztlich nur
durch Gott allein gelöst werden. Er schickte Jesus Christus
(siehe dort) auf die Erde, um dieses Sühnopfer zu erbringen.

-229-
Verständlich, daß mit dem Erscheinen Jesu auch der Satan
wieder auf den Plan tritt, denn es ist sein ureigenes Interesse, die
Erlösung von der Sünde und damit die Wiederherstellung der
himmlischen Ordnung zu verhindern. Daß diese Versuche alle
scheitern werden, ist unbestrittene christliche Glaubenslehre.

Sündenstufen

Nicht jede Sünde wiegt gleich schwer. Es gibt läßliche


Sünden und die Todsünden: Hochmut, Neid, Maßlosigkeit,
Wollust, Zorn, Habgier und Trägheit. Läßliche Sünden sind
»heilbar« (curabile, remediabile), Todsünden werden mit ewiger
Höllenstrafe geahndet. Zur genauen Unterscheidung der
Verfehlungen entwickelten Augustinus und Bernhard von
Clairvaux Sündenstufenlehren. Die fünf Sündenstufen (modi
peccati) lauten:
1. Verführung zur Sünde (suggestio)
2. Gefallen finden an der Sünde (delectatio)
3. Zustimmung zur Sünde (consensus)
4. Vollbringen der Sünde (opus oder factum)
5. Gewohnheitssünde (consuetudo).
Die Unterscheidung zwischen läßlicher Sünde (peccatum
veniale) und Todsünde (peccatum mortale) vollzieht sich nach
der zweiten Stufe. Noch nicht das sündige Tun, sondern erst die
Zustimmung zur Sünde haben die Höllenstrafe zur Folge. In
mittelalterlichen Kommentaren wird die Wirkung der Sünde
immer wieder mit dem Feuer verglichen und die Seele mit
einem Stück Holz. »Der Teufel entzündet das dürre Holz und
schwärzt es zunächst mit der suggestio. Dann entflammt es aus
der delectatio. Dann erglüht es wie Zunder aus dem consensus.
Dann wird es zu Asche durch das opus. Die Asche wird
durchfeuchtet von der consuetudo. So wird der Mensch in einen

-230-
einfachen Schmutz verwandelt.«
Die Sündenstufen sind ein Gegenbild zu jener Himmelsleiter,
von der einst Jakob träumte. Die Leiter der Tugend führt in den
Himmel, die Leiter der Sünden in die Hölle. Beide Leitern oder
Stufenfolgen sind ein Bild für den Lebensweg. Sie rufen zu
einer Entscheidung für das Gute oder das Böse. Himmel oder
Hölle liegen in unserer Hand.

Taufe

Kinder werden heute nicht mehr »automatisch« getauft, nur


weil es der Brauch so will. Eltern haben sich bewußt für die
Taufe ihres Kindes entschieden. Aber wissen sie eigentlich, was
sie tun? Ahnen sie, daß sie ihr Kind einer Art
Teufelsaustreibung aussetzen? »Darum solltest Du bedenken,
wie sehr es kein Scherz ist, gegen den Teufel zu handeln und
diesen durch die Taufe nicht nur von dem Kind wegzujagen,...
sondern es auch stärke, daß es gegen ihn ritterlich im Leben und
Sterben bestehen möge«, schrieb Martin Luther in seinem
»Taufbüchlein«. Immer, wenn Luther unter Anfechtungen,
Zweifeln und Ängsten litt und wenn er die Gegenwart des
Schwarzen zu spüren meinte, dann berief er sich auf seine
eigene Taufe: Ich bin ein getauftes Kind Gottes! Ich stehe unter
dem Schutz Christi!
Als Bonifatius in Germanien missionierte, gehörte zum Ritual
der Taufe auch eine Absage an die alten Götter Wotan, Donar
und Saxnot. In dem altsächsischen Taufbekenntnis werden sie
als Teufel bezeichnet. Das sehen wir heute mit anderen Augen.
Man muß die Vergangenheit mit ihren Göttern nicht gleich
verteufeln, wenn eine neue Zeit beginnt. Doch dem Feind des
Glaubens, der Liebe und der Hoffnung zu widerstehen, bleibt
ein Leben lang unsere Aufgabe. Mit der Taufe ist der Anfang
gemacht. »Sie wirkt Vergebung der Sünden, erlöst vom Tode

-231-
und Teufel«, schreibt Luther in seinem »Kleinen Katechismus«.

Teufelspakt

Einer der vielen sprechenden Namen des Teufels lautet »Der


alles durcheinanderbringt« (Diabolus). Der Teufel ist ein Sohn
des Chaos. Doch in der Buchführung ist er äußerst penibel wie
ein Beamter. Ohne Vertragsbasis arbeitet Satan mit niemandem
zusammen. Warum schließen Menschen einen Vertrag mit dem
Teufel? Und welche Vorteile sieht der Teufel seinerseits in
einem Vertrag mit dem Menschen? Das Wesen des
Teufelspaktes erklärt sich aus der Rolle des gefallenen Engels.
Satan und seine Engel waren aus dem Himmel verstoßen
worden. Ihre Plätze in den himmlischen Rängen sollten durch
gläubige Menschen ersetzt werden. Daß Satan dies aus
Eifersucht verhindern will, leuchtet ein. Sein Interesse am
Teufelspakt besteht darin, Menschen zu sich in die Hölle
hinabzuziehen.
Als Urbild aller Teufelspakte gilt die Verführung von Eva und
Adam im Paradies (siehe Sündenfall). Gegenstand des Paktes ist
die menschliche Seele. Der Mensch erhält als Gegenleistung
alles, was der Teufel zu bieten hat: Erkenntnisse, materiellen
Wohlstand, schöne Frauen (bzw. Männer) und sexuelle Freuden,
Erfolg im Beruf und Ansehen unter den Menschen. Bei diesem
Angebot merkt man gleich, wer potentieller Kandidat oder
Kandidatin für einen Teufelspakt ist: alle Menschen, die nicht
ernsthaft daran glauben können, daß sie eines Tages unter den
Engeln weilen werden, denn nur sie würden einen ewigen Platz
im Himmel gegen das zeitliche materielle Gut tauschen. Der
Kern des Teufelspaktes ist folglich der Glaubenszweifel oder
der Abfall vom Glauben (Apostasie). Nur ein Ungläubiger käme
auf die Idee, das ewige Gut gegen ein zeitliches einzutauschen.
Einmal unterzeichnet, kann ein Teufelspakt auch nicht einfach

-232-
widerrufen werden. Auch darin unterscheidet er sich nicht von
anderen weltlichen Verträgen. Der Vertrag ist bindend. Nur
durch Reue, Buße und eine Bekehrung kann die Seele gerettet
werden. Diesen Vorgang beschreibt die Theophilus-Legende aus
dem 6. Jahrhundert. Unter Abschwörung der Muttergo ttes und
Christi schließt Theophilus einen Teufelspakt. Später reut ihn
die Tat, und durch Buße und Vermittlung der Muttergottes
bekehrt er sich und erhält den Vertrag wieder ausgehändigt. Die
Theophilus-Legende wurde ein Vorbild der Faustsage. Ohne
Widerruf des Paktes kann es keine Erlösung geben! Das ist
katholische Lehre. Goethe war da anderer Meinung. Sein Faust
(siehe dort) wird ohne Widerruf unter die himmlischen Chöre
der Engel gehoben.
Die Lehre vom Teufelspakt ist keine Erfindung des
Mittelalters. Schon Augustinus (354-430) führte sämtliche
magischen Bräuche auf ihn zurück. Thomas von Aquin (1225-
1274) entwickelte Augustinus' Lehre. Er unterschied zwischen
einem ausdrücklichen (pacta expressa) und einem
stillschweigenden (pacta tacita) Teufelspakt. Der Pakt konnte
mit Blut unterschrieben und durch einen »Steißkuß« besiegelt
werden. Wie bei der schwarzen Messe (siehe dort) gehörte die
Verunglimpfung christlicher Bräuche zum Ritual des
Teufelspaktes: Das Kreuz Christi wurde getreten oder bespuckt,
man schwor dem Glauben ab und ließ sich auf den Namen des
Teufels taufen. Des Teufels Gegengabe waren materieller
Gewinn und sexuelle Vergnügungen.
Besonders deutsche Hexen (siehe dort) bevorzugten diese Art
der Vertragsunterzeichnung in der Walpurgisnacht (30. April)
bei ihrem jährlichen Treffen mit dem Teufel. Auf dem Brocken
oder Blocksberg wurden dem Teufel auch die »Novizinnen«
vorgeführt und mit ihnen der Hexensabbat gefeiert.

-233-
Das große Tier

Der Satanist Aleister Crowley nannte sich »Das große Tier«.


Dieses Ungeheuer ist aus der Apokalypse des Johannes (siehe
dort) bekannt. Auf dem Haupt trägt es sieben Häupter und zehn
Hörner. Jedes Horn ist mit einer Krone geschmückt. Auf den
Häuptern befinden sich Tätowierungen mit gotteslästerlichen
Namen. Das große Tier ist ein Mischwesen. Es untersteht dem
Teufel (Apokalypse 13.1-18). Wie Hitler einen Goebbels, so hat
auch das große Tier einen »Reichspropagandaminister«, den
Antichristen (siehe dort) oder falschen Propheten. Alle
Menschen müssen »die Zahl des Tieres« (Apokalypse 13.18) gut
sichtbar tragen. Die Zahl ist 666 (siehe dort).
Das große Tier ist ein großer Volksverhetzer. Ziel seines
satanischen Auftrags ist die Verführung zum Glaubensabfall
(Apostasie). Dazu bedient es sich magischer Kräfte und
diktatorischer Gewaltausübung. Sein Schicksal wird das ewige
Feuer der Hölle (Apokalypse 20.10) sein. Bis dahin taucht es
wie in der Gestalt Crowleys als Wiedergänger (siehe dort) auf.

Vampire

Vampire gibt es als fruchtige Mischung von Lakritz und


Weingummi der Firma Haribo. Die Abenteuer des kleinen
Vampirs sind ein beliebtes Kinderbuch. Vampire geistern auch
durch zahlreiche Filme. »Nosferatu - Eine Sinfonie des
Grauens« (1922) von Friedrich Murnau, die Parodie »Tanz der
Vampire« (1967) von Roman Polanski oder Werner Herzogs
»Nosferatu - Phantom der Nacht« (1978) bilden in dieser Reihe
wichtige Stationen. Doch existieren diese Blutsauger und
Untoten (Nosferat) außerhalb der menschlichen Fantasie

-234-
wirklich?
Im Bild des Vampirs mischen sich uralte Motive von Teufeln,
Wiedergängern (siehe dort) und anderen Untoten mit
Nachrichten über den blutrünstigen Grafen Vlad (1431-1477),
dem man den Beinamen Tepes (der Pfähler) gab. Vlad Tepes
war Vojevode in der ungarischen Walachei. Im Krieg schlug er
die Türken und Bulgaren erfolgreich und spießte sie auf Pfähle.
Als Mehmed der Eroberer die Hauptstadt der Walachei stürmen
wollte, mußte er eine halbe Stunde lang an über 20000
Gepfählten vorbeiziehen. Da verließ ihn der Mut. Doch nicht
nur Türken und Bulgaren lehrte Vlad Tepes das Gruseln. Jeder,
der sich nicht seinem diktatorischen Willen fügte, wurde mit
dem Anus auf einen Pfahl gespießt, wo er langsam und unter
grausamen Qualen starb. Die Leichen wurden ein Fraß der
Vögel.
Bekannter ist der Massenmörder mit dem Namen Dracula.
Vlad Tepes' Vater wurde 1431 von Kaiser Sigismund in den
Drachen-Orden berufen. Daher trug er den Titel »der Drache«.
Dracula ist die Verkleinerungsform von Dracul. Vlad Tepes, der
Sohn, war also der »kleine Drache«. In seinem Roman
»Dracula« (1897) mischt Bram Stoker (1847-1912)
geschichtliche Informationen über Dracula mit dem alten
Glauben an Wiedergänger. So entsteht die Figur des Vampirs.
Vampire sind seelenlose Blutsauger und wollen immer nur
das Eine: Blut, den roten Saft des Lebens. Warum sie so
grenzenlos durstig nach Blut sind, das erklärt sich aus einer alten
Vorstellung des Judentums, nach der die Seele des Menschen
ihren Sitz im Blut hat (Deuteronomium 12.23). Aus diesem
Grund lehnen beispielsweise die Zeugen Jehovas im
Krankheitsfall eine Bluttransfusion ab. Das Wort »Vampir« soll
makedonischen Ursprungs sein. Aus »opyr« (fliegendes Wesen)
wurde in den slawischen Sprachen »vanpir«. 1725 taucht in der
deutschen Sprache zum ersten Mal das Wort »Vanpiri« auf. Vor
Bram Stokers Roman »Dracula« verstand ma n unter Vampiren
-235-
ausschließlich blutsaugende Wiedergänger, die nachts ihre
Gräber verließen.
Seit Bram Stoker gelten zur Unterscheidung zwischen
gefallenen Engeln und Vampiren drei Merkmale: 1. Vampire
sind sterblich. 2. Sie wurden nicht wie die Engel vor den
Menschen geschaffen. 3. Sie unterstehen nicht der Herrschaft
des Teufels. Auf der anderen Seite teilen sie wesentliche
Charakterzüge mit den gefallenen Engeln: 1. Zwar sind sie
sexuell aktiv, doch unfruchtbar. 2. Ihr Körper ist kalt, weil
blutleer. 3. Sie reagieren äußerst empfindlich auf alle geweihten
Gegenstände wie Kruzifixe oder Hostien. 4. Sie geben niemals
ihren bösen Willen auf und lassen sich nicht bekehren.
Vampire sind auch ein Spiegel des Unerlösten in jeder
menschlichen Seele. Deshalb macht sie der vierte Charakterzug
zu einem Grenzfall der menschlichen Selbsterkundung, denn in
jedem Menschen, auch dem größten Verbrecher, dürfte wohl tief
unten in der Seele die Sehnsucht nach Liebe und Versöhnung
schlummern. Teufel und Vampire aber lassen sich nicht
bekehren. Wohl deshalb beschäftigen sie unsere Fantasie. In
ihnen bricht der Abgrund auf, aus dessen Tiefe die Bilder von
Menschenschändern wie Vlad Tepes, Hitler oder Stalin
leuchten.
Im Gegensatz zu den Hexen (siehe dort) und Magiern (siehe
Magie), die freiwillig einen Teufelspakt (siehe dort) geschlossen
haben, sind die Opfer des Vampirismus völlig unschuldig. Der
Biss des Vampirs kommt wie der Dieb in der Nacht ohne
Vorwarnung. Wenn ein Mensch von einem Blutsauger gebissen
wurde, verwandelt er sich selbst in einen Vampir. Auf Erden ist
dieses unschuldige Opfer verloren, für den Himmel jedoch
keineswegs, wenn es gelingt, die Seele zu retten, bevor sie sich
restlos aufgelöst hat. Die Methode zur Seelenrettung erscheint
uns jedoch als äußerst brutal: Dem schlafenden Vampir wird ein
Holzpfahl durch das Herz getrieben. Anschließend werden der
Leichnam geköpft und der Mund mit Knoblauch gefüllt.

-236-
Versöhnung

Durch den Sündenfall (siehe dort) war das Verhältnis


zwischen Gott und Mensch schwer belastet worden. Doch das
ist alles Vergangenheit, denn durch Christus sind Gott und
Mensch wieder versöhnt worden. Jetzt stehen die Pforten des
Himmels offen. Für jeden? Nein. Die Bibel spricht immer
wieder von dem ewigen Feuer der Hölle (siehe dort), als Strafe
für die gefallenen Engel. Der Kirchenvater Origenes (185-254)
war da anderer Meinung. Er glaubte, daß Christus noch ein
zweites Mal auf die Erde kommen werde, um die gefallenen
Engel zu erlösen. Am Ende der Zeiten werden Gott, Engel und
Mensch wieder in Harmonie miteinander leben. Seine Lehre ist
unter dem Begriff »Wiederherstellung aller Dinge«
(Apokatastasis panton) bekannt geworden und gehört zu den
großen Utopien der Menschheit. Gott hat alles gut geschaffen,
so lautet der Grundsatz aller Juden, Christen und Muslime. Gott
wird alles Böse zum Guten wenden, das glaubte Origenes. Seine
Lehre wurde jedoch 543 auf der Synode von Konstantinopel mit
dem Verdammungsurteil (Anathema) belegt.

Versuchungen

Folgt man der Darstellung des Lukas (4.1-13), so wurde Jesus


direkt nach seiner Taufe vom Heiligen Geist in die Wüste
geführt. Niemand hielt sich in dieser Todeswelt freiwillig auf. In
der Wüste heulten die Schakale und Dämonen, in die
Wüste wurde der Sündenbock getrieben. Aber die Wüste war
auch der Ort der Läuterung. Vierzig Jahre hatte Moses das
erwählte Volk durch den Sinai geführt, damit es mit gereinigter
Seele das gelobte Land beträte. Es war eindeutig Gottes Wille,
daß sich Jesus hier aufhielt. Welche Motive dabei eine Rolle

-237-
spielten, das wird nicht mitgeteilt. Warum wird der Sohn Gottes
vom Teufel versucht? Auch diese Stelle der Bibel gehört zu den
großen Geheimnissen der Offenbarung, die keine Gelehrsamkeit
vollständig erhellen kann. Soviel aber wird deutlich: Lukas hat
nicht irgendeinen kleinen Teufel vor Augen, sondern den Herrn
der Welt.
Die Welt ist des Teufels, und Jesus ist gekommen, der
Herrschaft des Teufels ein Ende zu bereiten. Das ist aber
offensichtlich nicht in einem einmaligen Kampf möglich.
Johannes der Täufer hatte seiner Gemeinde am Jordan Jesu
Kommen mit drastischen Worten angekündigt. Nicht der sanfte
Prediger stand ihm vor Augen, sondern der Mann mit der
Worfschaufel, der kommen werde, die Tenne zu fegen. Den
Weizen werde er aufsammeln und in die himmlischen
Kornkammern tragen, die nutzlose Spreu dagegen werde er im
unauslöschlichen Feuer der Hölle verbrennen. Die Versuchung
Jesu ist der Auftakt zum großen Werk der Trennung von Spreu
und Weizen, das bis auf den heutigen Tag anhält. Nach der
Begegnung in der Wüste wird Jesus in der Synagoge von
Kafarnaum seine erste Teufelsaustreibung vornehmen (Lukas
4.33-35).
Vierzig Tage und Nächte fastete Jesus in der Wüste. Dann
wurde er vom Teufel versucht. Drei Angriffe hat Lukas
mitgeteilt. Sie zeigen deutlich: Es geht jedesmal ums Ganze, um
eine Verhinderung der Erlösung. Der Teufel versucht es auf
zweierlei Weise. Zuerst fordert er Jesus auf: Besinne Dich auf
Deine göttliche Natur! Bleibe, was Du bist, bleibe Gott, handle
wie ein Gott! Was hungerst Du hier in der Wüste? »Bist du
Gottes Sohn, so sprich zu diesem Stein, daß er Brot werde.«
Jesus wird später einige Wunder dieser Art vollbringen, um den
Ungläubigen Gottes Macht zu demonstrieren. Hier verweigert er
sich. Nicht aus Bescheidenheit, und auch nicht, um zu beweisen,
daß er frei von Hochmut oder Eitelkeit ist. Hier steht mehr auf
dem Spiel: nämlich die Ernsthaftigkeit und Echtheit der

-238-
Menschwerdung. Wenn der allmächtige Gott sich in einem
echten Menschen - und nicht einem Scheinleib - hier auf Erden
zeigt, dann macht dies nur Sinn, wenn es unter allen Umständen
durchgehalten wird. Kein Mensch kann Steine in Brot
verwandeln. Gott kann es. Für ein Wesen, das eine Welt aus
dem Nichtsein ins Leben gerufen hat, wäre dies eine Kleinigkeit.
Auch Gottes Sohn hätte auf solche Weise seinen Hunger stillen
können. Aber dann wäre die Echtheit der Menschwerdung in
Frage gestellt gewesen. Nichts Geringeres hat der Teufel im
Sinn. Jesus sollte in der Wüste Gott spielen. Darin lag die erste
Versuchung. Sie wiederholt sich am Kreuz, als Jesus
aufgefordert wird, hinabzusteigen.
Der Teufel gibt niemals auf. Man kann mit ihm keine
Kompromisse schließen. Jesus wollte nicht Gott spielen, er
wollte konsequent in allem Mensch sein. Irdisch sein unter den
Bedingungen dieser Welt. Zum Leben in der Welt aber gehört
das Versuchtsein. Deshalb wird Jesus versucht. In einer
Zeitreise führt ihm der Teufel alle Reiche dieser Welt vor Augen
und bietet ihm die Weltherrschaft an. »Alle diese Macht will ich
dir geben und ihre Herrlichkeit; denn sie ist mir übergeben, und
ich gebe sie, wem ich will.« Die Sache hat nur einen Haken:
Jesus soll den Teufel anbeten, auf seine Seite treten, Gott und
den Himmel verraten. Es ist ein Drahtseilakt in der Wüste.
Spiele Gott!, so lautet der erste Akt. Sage Gott ab!, der zweite,
und der dritte Akt ist überschrieben: Versuche Gott! Der Teufel
führt Jesus auf eine Zinne des großen Tempels von Jerusalem,
erinnert ihn an das Psalmwort von den Schutzengeln und fordert
ihn auf, sich von dem Tempel in die Tiefe zu stürzen, sollte er
tatsächlich Gottes Sohn sein. Jesus aber will weder Gott spielen,
noch dem Teufel dienen, noch Gottes Macht im gewagten
Luftsprung beweisen. Er will Mensch sein unter allen
Bedingungen. So weicht der Teufel von ihm, nicht für immer,
sondern wie Lukas ausdrücklich betont, nur »eine Zeit lang«
(Lukas 4.13).

-239-
Der Bericht von der dreifachen Versuchung Jesu hat zu
Diskussionen darüber geführt, wie realistisch die Anfechtungen
gewesen sein könnten. Johann Kaspar Lavater (1741-1801)
deutete in seinen »Predigten über die Existenz des Teufels und
seine Wirkungen« (1778) den Sinn der Versuchung Jesu als
Aufhebung eines Erfahrungsmangels Gottes. »Das Haupt der
Menschen, der Herr der Menschen sollte menschliche
Versuchungen erfahren; erfahren, was die allerhöchste Gottheit
in ihrer unbeschränkten allgegenwärtigen Wirksamkeit ohne
Menschheit nicht erfahren kann.« Ein Gott, der am eigenen Leib
erfahren hat, was es heißt, von Anfechtungen heimgesucht zu
sein, wirke auf den Menschen vertrauensvoller als ein
allmächtiger Herrscher. »Sie, die kranken sterblichen Menschen,
brauchten nicht nur einen geschickten Arzt, sondern auch einen,
der durch eigene Krankheitserfahrung zutrauenswürdig
geworden wäre.« Das Wesen jeder Versuchung im christlichen
Sinn bringt Lavater auf den Punkt, wenn er schreibt:
»Satanische Versuchung ist das, was uns von Gott abführen
will.« Alles, was von Gott wegführt, alles, was Zweifel,
Zwietracht und Zorn ins Verhältnis des Menschen zu Gott sät,
ist vom Teufel. Der Schweizer Gottesmann stellt keine
konkreten Sündenkataloge auf, er sagt nicht: Dieses Verhalten
ist vom Teufel, jenes nicht. Er denkt an Augustinus' großes
Wort: »Liebe Gott, und tue, was Du willst!«, und bestimmt auf
diesem Hintergrund das Wesen der Verführung und des
Verführers. »Thu alles, was du willst; - wenn es dich auf keine
Weise von Gott abführt; es ist keine Sünde. - Unterlass alles,
alles, was dich von Gott abführt; und wenns noch so unschuldig,
noch so erlaubt, noch so gut scheinen möchte; es ist Sünde, es
ist Versuchung Satans, es ist Verderben.«
In der Weitabgeschiedenheit eines Karmelklosters der
Normandie wird die Wüstenerfahrung Jesu von einer
vierundzwanzigjährigen Nonne gemacht. Thérèse von Lisieux
erfährt drei Monate vor ihrem Tod (30. September 1897) die

-240-
Nacht des Glaubens, in der ihr der Blick auf die himmlische
Heimat verdunkelt wird. In einem Brief an Mutter Marie de
Gonzague (Juni 1897) ringt sie um eine sprachliche Annäherung
an diese im Letzten unsagbaren Versuchungen. »Doch plötzlich
verdichten sich die Nebel um mich her, sie dringen in meine
Seele ein und umhüllen sie derart, daß ich in ihr das liebliche
Bild meiner Heimat nicht mehr wiederzufinden vermag, alles ist
entschwunden! Suche ich Ruhe für mein durch all die
Finsternisse ringsum ermattetes Herz in der Erinnerung an das
lichtvolle Land, nach dem ich mich sehne, so verdoppelt sich
meine Qual; die Stimme der Sünder annehmend, scheint die
Finsternis mich zu verhöhnen und mir zuzurufen:›Du träumst
von Licht, von einer mit lieblichsten Wohlgerüchen
durchströmten Heimat, du träumst von dem ewigen Besitz des
Schöpfers all dieser Wunderwerke, du wähnst eines Tages den
Nebeln, die dich umfangen, zu entrinnen! Nur zu, nur zu, freu
dich über den Tod, der dir gegeben wird. Nicht, was du erhoffst,
sondern eine noch tiefere Nacht, die Nacht des Nichts.«
Es ist der Teufel, der hier die Gläubige bedrängt. Noch hat das
20. Jahrhundert nicht begonnen, und doch wird in der
Weltabgeschiedenheit der Klosterzelle die Stimme vernommen,
die über dem kommenden Jahrhundert schweben wird und ruft:
Gott ist eine Einbildung, der Himmel ist pures Wunschdenken!
Religion ist Illusion! Wenn wir tot sind, sind wir tot. Was
kommt? Nichts kommt! Es gibt keine Auferstehung! Das Grab
war nicht leer! »Es ist eine bis zum Himmel ragende Mauer, die
das gestirnte Firmament verdeckt«, so beschreibt Thérèse ihre
Versuchung. »Manchmal freilich erhellt ein ganz kleiner
Sonnenstrahl meine Finsternis, dann hört die Prüfung für einen
Augenblick auf, aber nachträglich läßt die Erinnerung an diesen
Lichtstrahl, statt mir Freude zu bereiten, meine Finsternis nur
noch dichter werden.«
Worin bestand die Versuchung der Heiligen Thérèse? Sie
fühlte sich in ihrem Innersten angegriffen, sah den Kern ihrer

-241-
Berufung in Frage gestellt. Noch vor ihrem Eintritt in den Orden
hatte sie die Erfahrung gemacht, daß sie allein durch ihr
Vertrauen auf das Gebet Menschen wie den dreifachen Mörder
Pranzini für Gott und den Himmel gewinnen konnte. Der
Karmeliterorden ist ein reiner Gebetsorden. Die
Schwestern aus dem Karmel in Lisieux widmeten sich
besonders dem Gebet für die Priester. »Für die Sünder beten,
das begeisterte mich, aber für die Priester beten, von denen ich
meinte, sie seien reiner als Kristall, das fand ich erstaunlich!«,
erinnert sich Thérèse. Erst auf einer Romreise habe sie ihre
Berufung zum Gebet für die Seelen der Priester verstanden.
»Während eines Monats lebte ich mit vielen heiligmäßigen
Priestern zusammen und sah, wenn ihre hohe Würde sie auch
über die Engel erhebt, daß sie dennoch schwache und
gebrechliche Menschen bleiben. Wenn nun heiligmäßige
Priester, die Jesus im Evangelium›das Salz der Erde ‹nennt, in
ihrem Verhalten zeigen, daß sie der Fürbitte dringend bedürfen,
was soll man da erst von den lauen sagen? Hat Jesus nicht auch
gesagt: ›Wenn aber das Salz schal wird, womit soll man es
würzen?‹ «

Vorgeburtliches Trauma

Keine Kindheit ohne Ängste. Diese sind auch ohne greifbaren


Anlaß da. »Es hatte mir niemand von der kalten Hand erzählt«,
erinnerte sich Golo Mann, »die innerhalb des Klosettbeckens auf
mich lauerte, vielleicht mich gar herunterziehen würde; sie war
ein Produkt ausschließlich der eigensten Phantasie des Drei- und
Vierjährigen, und schon der würde sich geschämt haben, irgend
jemandem seinen Kummer einzugestehen.« Kinder haben Angst
vor der Dunkelheit, sie ängstigen sich, wenn ein enges
Sweatshirt über den Kopf gezogen wird, sie haben Angst vor der
Eisenbahnfahrt, vor Fahrstühlen und Tunneln. Sie haben Angst,

-242-
daß die Eltern sterben oder vom Theaterbesuch nicht mehr nach
Hause kommen. Ist der Grund solcher Ängste immer nur die
Wiederholung der Angst, geboren zu werden? Wiederholt sich
bei allen neurotischen Atembeschwerden wie Asthma, bei
Migräneanfällen, bei Würgegefühlen im Hals, Luftnot,
Verspannungen im Nacken und in den Schultern ein Leben lang
das Trauma der Geburt?
Kristina kam als kräftiges und gesundes Kind zur Welt. Das
Neugeborene lehnte die Brust der Mutter ab. Eine Flasche mit
Fertigmilch trank es ohne Probleme. Weitere Versuche, das
Kind an die Mutterbrust zu legen, blieben erfolglos. Die
Anekdote von Peter Fedor-Freybergh, einem bedeutenden
Erforscher der vorgeburtlichen Lebenswelt, gibt keine Auskunft
darüber, wer auf die Idee kam, Kristina an die Brust einer
Amme zu legen, und was mit diesem Versuch bezweckt war.
Das Neugeborene hatte keine Nahrungsprobleme, es war gesund
und trank aus der Flasche. Aus unerfindlichen Gründen lehnte es
die Brust der Mutter ab. Damit nun kann sich ein pränataler
Psychologe nicht zufriedengeben, zumal wenn er die
Entdeckung macht, daß Kristina mit aller Macht an der Brust
einer Amme zu saugen beginnt. Warum lehnt das Kind die
Muttermilch ab, die Milch einer anderen Frau dagegen nicht?
Der Arzt gibt die Frage an Kristinas Mutter weiter. Wie jede
Mutter weiß sie mehr, als sie zu wissen vorgibt. Sie könne das
merkwürdige Verhalten ihrer Tochter nicht erklären. Krank sei
sie während der Schwangerschaft nicht gewesen. Der
Psychologe überlegt. Wenn Kristina so offensichtlich den
Hautkontakt zur Mutter verweigert, hat dies vielleicht die
Ursache darin, daß sich das Kind im Mutterleib abgelehnt
gefühlt hat. Jetzt will er die Beziehungsebene klären und fragt
Kristinas Mutter direkt: »Wollten Sie das Kind eigentlich?«
Darf eine Mutter auf Fragen wie diese eine ehrliche Antwort
geben? Kristinas Mutter sagt die nackte Wahrheit: »Nein, ich
wollte abtreiben, aber mein Mann wollte das Kind. Deshalb

-243-
habe ich es bekommen.« Und jetzt? Wie geht es weiter? Was rät
der Spezialist für vorgeburtlichen Streß der jungen Mutter? Wie
soll Kristina einst weiterleben, wenn sie erfährt, daß sie ein
unerwünschtes Kind war?
Die Frage stellt sich noch dringender im Fall der
fünfundzwanzigjährigen Renate. Diese leidet unter Ängsten,
Depressionen und Hitzewallungen. Kein Arzt kann die Ursache
ihrer Leiden klären. Renate vermutet einen Zusammenhang mit
dem Leben vor der Geburt. Sie besucht einen Therapeuten, der
sie mit Hilfe von Hypnose in den Erlebnisraum vor der Geburt
zurückführt. Glücks- und Schreckmomente aus den ersten neun
Monaten des Lebens steigen aus der Tiefe der Seele empor.
Renate erlebt die einzelnen Phasen ihrer körperlichen und
seelischen Entwicklung nach. Dann, als ihr Therapeut sie in den
sechsten Monat ihres Werdens zurückversetzt, sind plötzlich die
Symptome da, unter denen Renate leidet: Herzrasen,
Hitzegefühl, Atemnot und der Drache auf ihrer Brust. Sie weint,
schreit, glaubt sich an heißes Wasser zu erinnern. Der
Hypnotherapeut führt Renate tiefer zurück in eine frühere
Entwicklungsphase. Die Ängste verschwinden augenblicklich.
Er führt sie über den sechsten Monat hinaus. Wieder ist Renate
angstfrei. Nach dieser Umkreisung der traumatischen Erfahrung
legt der Therapeut erneut den Finger auf die Wunde. Renate
weint und schreit: »Es wird immer heißer, ich kann es nicht
mehr ertragen, mein Herz rast immer mehr!«
Zurückgeführt in den normalen Bewußtseinszustand, beginnt
die Deutungsarbeit zwischen Renate und ihrem Therapeuten.
Der Riss in Renates Leben ist entdeckt und damit die
vermutliche Ursache ihrer quälenden Ängste. Irgend etwas
Schreckliches ist passiert, als Renate noch im Mutterleib war.
Heiß war es, und das Herz raste. Es war die Hölle. Bei
Therapieformen dieser Art ist die Zusammenarbeit zwischen
Kind und Mutter üblich. Das vom Kind erinnerte Leben vor der
Geburt wird von der Mutter kommentiert oder mit ihrem

-244-
Erlebnisbericht verglichen. In Renate hatte sich ein
Erklärungsmuster für das böse Erlebnis gebildet. Sie war ein
ungewolltes Kind, die Mutter hatte sie töten wollen! Ein
ungeheurer Verdacht, doch der Leidensdruck war so groß, daß
er in einem Telefonat mit der Mutter direkt geäußert wurde.
Verschärfter stellt sich die alte Frage, ob eine ehrliche Antwort
auf Fragen wie diese gegeben werden darf. Die Mutter zögert
und gibt schließlich zu, mehrere Abtreibungsversuche
unternommen zu haben, heiße Sitzbäder seien darunter gewesen.
Die Wurzeln des Bösen, das Menschen erleiden oder anderen
Menschen zufügen, reichen tief hinab in die Geschichte unserer
Herkunft. Das gilt für die Entwicklung der Menschheit wie des
Einzelnen. Wer hinabsteigt zu den Wurzeln des Bösen, berührt
auch das Problem der Freiheit. Ist der Mensch nur ein Produkt
guter oder böser Urerfahrung? Wo bleiben da seine
Verantwortlichkeit, seine Freiheit, seine Schuldfähigkeit und die
Möglichkeit, Buße zu tun? Vor allen Dingen: Welches Bild vom
menschlichen Leben entsteht, wenn die Zufälle unserer
Selbstwerdung so katastrophale Folgen für unser Empfinden und
Handeln haben sollten?
Die bösen Folgen eines im Mutterleib erlittenen Traumas und
der verzweifelte Versuch einer Selbsterlösung von dem Bösen
bilden das Thema einer Erzählung von E. T. A. Hoffmann
(1776-1822), die jeder Gymnasiast gelesen hat. Es ist die
Geschichte vom Goldschmied René Cardillac, einem Meister
seines Faches, der den Verkauf eines seiner Geschmeide nicht
ertragen kann und daher alles in Bewegung setzt, um wieder in
seinen Besitz zu kommen. Er schreckt, den Einflüsterungen
einer teuflischen Stimme folgend, auch vor der Ermordung
seiner Kunden nicht zurück. Der satanische Verführer flüstert
ihm ins Ohr: »Ho ho, dein Geschmeide trägt ein Toter!« Oder:
»Es ist ja dein es ist ja dein nimm es doch was sollen die
Diamanten dem Toten!« Die Mordtat ist nur noch die
Inszenierung dieser düsteren Visionen. Cardillac leidet unter

-245-
seinem Trieb, und er sucht Erlösung, indem er einer
hochangesehenen und verehrten Dame, dem Fräulein von
Scuderi, anonym einen Goldschmuck schenkt. Er hofft, der böse
Trieb werde sich in diesem Fall nicht regen.
Woher kommt das Böse in Cardillac? Auch hier liegt der
Ursprung des Bösen in der Vorgeschichte des Lebens begründet.
Die Mutter geht im ersten Monat mit René schwanger. Als
Zuschauerin nimmt sie an einem glänzenden Hoffest teil. Hier
begegnet ihr ein Kavalier »mit einer blitzenden Juwelenkette um
den Hals, von der sie die Augen gar nicht mehr abwenden
konnte. Ihr ganzes Wesen war Begierde nach den funkelnden
Steinen, die ihr ein überirdisches Gut dünkten.« Der Mann hatte
schon einmal vor Jahren Renés Mutter ohne Erfolg nachgestellt.
Die gierigen Blicke der Frau deutet er falsch, wittert jetzt seine
Chance, lockt sie an einen einsamen Ort und schließt sie mit
Leidenschaft in seine Arme. Der Mann greift nach der Unschuld
der Frau, die Frau nach der Diamantenkette: ein doppelter
Sündenfall. Der Kavalier spürt die kriminelle Energie, sinkt zu
Boden und reißt die Schwangere mit sich. Er ist tot, hält aber die
junge Mutter im Todeskrampf umklammert, die hohlen Augen
auf sie gerichtet. Ein Augenblick des Grauens, der sie für lange
Zeit ans Krankenlager fesselt.
Die Geburt war zwar glücklich, aber »die Schrecken jenes
fürchterlichen Augenblicks hatten mich getroffen. Mein böser
Stern war aufgegangen und hatte den Funken hinabgeschossen,
der in mir eine der seltsamsten und verderblichsten
Leidenschaften entzündet.« Die Entdeckung des
Zusammenhangs zwischen dem bösen Tun und der
vorgeburtlichen bösen Tat der Mutter dient dem Goldschmied
zur Erklärung, nicht aber zur Entschuldigung seiner Mordgier.
Er sucht Erlösung von dem Riss, der sich durch sein Leben
zieht. Sein Trauma begann lange vor der Geburt, und niemand
konnte die Wunde schließen.

-246-
Wiedergänger

Die Wiederbegegnung mit Toten wird auch heute noch


bezeugt. So berichten Angehörige von Verstorbenen, daß ihnen
der Tote im Wohnzimmer oder einem anderen Ort, wo er sich
gern aufgehalten hatte, erschienen ist. Wie bei allen
Erscheinungen aus der Geisterwelt, so stellt sich auch hier zuerst
die Grundfrage: Habe ich mir die Erscheinung eingebildet?
Neurologie, Psychologie und Parapsychologie geben darauf
Antworten aus ihrer Blickrichtung. Die klassische Antwort der
Religionen lautet: Unter dem Wiedergänger oder Revenant
versteht man die Seele eines verstorbenen Menschen, die noch
einmal auf die Erde kommt. Die Begegnung mit ihr kann höchst
unterschiedlich erlebt werden, je nachdem, wie das Verhältnis
zu Lebzeiten war. Bei einer unerlösten Beziehung kann die
Begegnung mit dem Wiedergänger Angst und Schrecken
auslösen. Sie bietet aber auch die große Chance einer
Versöhnung über den Tod hinaus, ein Abschiednehmen,
Loslassen alter Bindungen und eine Erlösung von alten
Schuldgefühlen. Wie immer, so ist auch hier die Welt der
Geister ein Spiegel menschlicher Konflikte, Ängste und
Sehnsüchte.
Die Gestalt des Wiedergängers ist uralt und wird je nach
religiösem Standpunkt unterschiedlich beschrieben. Schon die
Römer verehrten die Geister ihrer Ahnen. Sie kannten aber auch
böse Totengeister. Diese Lemuren waren ruhelos
umherstreifende Seelen, vor deren Zugriff man sich schützen
mußte. Die Juden gingen davon aus, daß Totengeister durch ein
Medium beschworen werden können (1. Samuel 28), stellten
jedoch diese Kunst unter Strafe. Auch das große Tier (siehe
dort) aus der Apokalypse des Johannes ist ein Wiedergänger.
Der Satanist Aleister Crowley (siehe dort) bezeichnete sich
selbst als »großes Tier«.

-247-
Weit verbreitet ist auch heute noch der Glaube, daß unerlöste
Seelen als Wiedergänger auf Erden erscheinen. Diese
Vorstellung ist typisch katholisch und mit dem Glauben an die
Existenz eines jenseitigen Ortes der Läuterung (siehe Fegefeuer)
verbunden. Drei Gruppen von Wiedergängern lassen sich hier
unterscheiden.
1. Im Fegefeuer sitzen die so genannten Armen Seelen. Das
sind Sünder, die ihre Schuld zu Lebzeiten bereut und gebeichtet
haben. Bevor sie in den Himmel aufgenommen werden können,
müssen sie für eine gewisse Zeit im Fegefeuer für ihre Sünden
büßen. Diese Seelen können als Wiedergänger erscheinen, um
bei ihren Verwandten um Mithilfe durch Gebet, Fürbitte,
Wallfahrten oder Messen zu werben. Arme Seelen unterstützen
somit die Funktion der katholischen Kirche als Heilsmittlerin.
2. Von diesen Wiedergängern ist eine zweite Gruppe zu
unterscheiden. Es sind dies die Seelen der ungetauft
verstorbenen Kinder, die in der Vorhölle (limbus puerum)
wohnen. Hier ist eine Hilfe nicht möglich.
3. Die dritte Gruppe der Wiedergänger setzt sich aus all jenen
Seelen zusammen, die nur Böses im Sinn haben. Dazu gehören
Selbstmörder wie Judas (siehe dort), Ertrunkene oder
Ermordete, die als Rachegeister auf die Erde zurückkommen.
Da diese mit dem Teufel im Bunde stehen, ist eine Fürbitte
sinnlos. Die Geister der Untoten werden durch einen
Exorzismus vertrieben. Auch Vampire (siehe dort) können zu
dieser Gruppe gerechnet werden. Im Volksglauben werden die
Irrlichter mit den Wiedergängern in Verbindung gebracht.
Irrlichter sind kleine bläuliche Flämmchen, die zur Herbstzeit in
Mooren aufflackern. Sie entstehen aus sich selbst entzündenden
Faulgasen. In der religiösen Fantasie werden sie als die
brennenden Seelen der Selbstmörder und der ungetauften Kinder
gedeutet.
Der Glaube an Wiedergänger ist auch in zahlreichen Sagen
bezeugt. Er steht darüber hinaus im Hintergrund der
-248-
Geschichten von Graf Dracula und anderen Vampiren (siehe
dort). Magie und Spiritismus (siehe dort) sind Versuche der
Kontaktaufnahme mit diesen Geistern. Die berühmteste
Darstellung einer Begegnung mit Wiedergängern ist der Roman
»The Turn of the Screw« (1898) von Henry James.

Zarathustra

Jeder hat den Namen Zarathustra schon einmal gehört, meist


im Zusammenhang mit Friedrich Nietzsches berühmtem Buch
»Also sprach Zarathustra« oder mit Mozarts Oper »Die
Zauberflöte«. Dort taucht der Zauberer Sarastro auf. Sein Name
leitet sich von Zarathustra ab. Eine andere Namensform lautet
»Zoroaster«. Zarathustra gehört zu den großen Religionsstiftern
der Menschheit. Informationen über seine Person sind jedoch
äußerst spärlich. Er soll im Norden Afghanistans, nahe der Stadt
Mazare-Sharif, geboren worden sein. Niemand kennt das
Geburtsjahr. Die Angaben schwanken zwischen 1000 und 600 v.
Chr. Zarathustra bestritt seinen Lebensunterhalt durch den
Karawanenhandel. Sein Name ist zugleich eine
Berufsbezeichnung, denn er bedeutet »Der Mann mit den
hellbraunen Kamelen«.
Zarathustra glaubte, es gäbe zwei mächtige Götter: den guten
Gott Ahura Mazda (»weiser Herr«) und den bösen Gott Angra
Mainyu. Beide ringen miteinander. Ihr Kampf ist ein Gleichnis
für Licht und Schatten in der Seele des Menschen. Der Mensch
soll durch die Dunkelheit zum Licht streben. So läßt auch
Mozart den Magier Sarastro künden: »Die Strahlen der Sonne
vertreiben die Nacht, Vernichten der Heuchler erschlichene
Macht.«
Bei den Anthroposophen ist aus Angra Mainyu der Teufel
Ahriman geworden. Er gilt als Gegenspieler Lucifers (siehe
dort). Im Buch Tobit taucht er als Dämon Asmodäus (Tobit 3.8

-249-
und 17) auf. Asmodäus (Asmodi) ist ein Eheteufel (siehe dort).
Das zentrale Symbol der Anhänger Zarathustras ist das Feuer.
Deshalb werden die Zoroastrier bis auf den heutigen Tag
irrtümlich als Feueranbeter bezeichnet. Ihr Heimatland ist
Persien. Unter der stürmischen Mission des Islam (642 n. Chr.)
wurden sie verfolgt, später geduldet. Ihre heiligen Schriften sind
in einer alten Sprache aufgezeichnet, die nur speziell
ausgebildete Priester lesen können. In langen Ritualen rezitieren
sie die Gesänge vom Kampf des Guten gegen das Böse. Nach
dem guten Gott Ahura Mazda wird ihre Religion auch
Mazdaismus genannt. Der Gegensatz zwischen Gut und Böse,
so lehrt Zarathustra, bestehe seit Urzeiten:
»Ich will reden von den beiden Geistern zu Anfang des
Lebens, von denen der heiligere also sprach zu dem argen: Nicht
stimmen unser beider Gedanken noch Leben noch Absichten
noch Überzeugungen noch Werke noch Individualitäten noch
Seelen zusammen.«
Der Glaube an zwei unversöhnliche Gegensätze wird auch
Dualismus genannt. Das Problem des Bösen bereitet den
Priestern einer dualistischen Religion weniger Kopfzerbrechen
als Juden, Christen und Muslimen. Denn wenn Gott und Teufel
beide gleich alt und gleich stark sind, dann stellt sich nicht die
Frage, warum Gott das Böse in der Welt zuläßt. Gott kann für
das Böse nicht verantwortlich gemacht werden. Juden, Christen
und Muslime aber glauben, daß es nur einen Gott gibt. Dieser ist
gut und hat nur Gutes geschaffen. Woher kommt dann das
Böse? Die Antwort lautet: Der gefallene Engel hatte die Freiheit
der Wahl. Er hat das Böse gewählt.

-250-
Zombies

Zombies werden auch »lebende Tote« genannt. Sie gehören


zum Voodoo-Kult der Karibik. Die Wurzeln der Voodoo-
Zeremonien liegen in Schwarzafrika. Der berühmteste Zombie
ist Clairvirus Narcisse aus Haiti. 18 Jahre galt er als verstorben.
Dann tauchte er wieder auf und behauptete, als Zombie verkauft
worden zu sein. Wade Davies, ein Biologe aus Harvard, hat den
Fall in seiner Doktorarbeit »Die Ethnobiologie des haitianischen
Zombies« (1986) erforscht. Sein Ergebnis: Zombies sind keine
lebenden Toten. Sie wurden durch ein Zombie-Pulver
(Tetrodotoxin) aus dem Gift des Kugelfisches in einen
totenähnlichen Zustand versetzt und später durch den Voodoo-
Priester mit Hilfe von Halluzinogenen wieder ins Leben
zurückgeholt.
Der Zombie ist eine beliebte Spukfigur in zahlreichen Filmen.
Der Zuschauer kann sich dem Grusel unbesorgt aussetzen.
Zombies sind keine echten Wiedergänger (siehe dort).

-251-
Zum Schluß: Was ist ein gefallener
Engel, und warum interessieren sich
gerade junge Menschen für dieses
Thema?

Einzeller wie die Amöbe, rote Blutkörperchen, selbst Gene


kann man unter dem Mikroskop sichtbar machen, einem
gefallenen Engel ist mit den Methoden der Wissenschaft nicht
beizukommen. Deshalb wissen Biologen, Soziologen,
Neurologen und Psychologen nichts von gefallenen Engeln.
Doch wer würde deshalb behaupten, es gäbe sie nicht? Wer
würde behaupten, die Weltreligionen hätten Lügenmärchen
erzählt? Die Künstler hätten reine Fantasiegebilde gemalt?
Der gefallene Engel ist ein Symbol. Ein Symbol ist kein
Zeichen. Zeichen gehören zur rationalen Seite unseres Lebens,
Symbole zur irrationalen. Zeichen sind eindeutig. Symbole sind
vieldeutig. Das erklärt die große Breite der Bedeutung dieser
Figur. Der gefallene Engel ist eben nicht immer nur der Böse.
Gerade deshalb müssen Eltern, Erzieher, Lehrer und Seelsorger
sehr genau hinhören, was jeweils gemeint ist, wenn von
gefallenen Engeln geredet wird. Nicht jeder Schüler, der
schwarz gekleidet und mit einem Pentagramm um den Hals den
Klassenraum betritt, ist ein Satanist, auch nicht jeder Künstler,
der den Teufel an die Wand malt. Doch weder Wegschauen
noch grenzenlose Toleranz sind angebracht. Wir müssen vor
allen Dingen auf die Signale reagieren, die unsere Kinder setzen,
wenn sie sich mit diesen Themen beschäftigen.
Die Artikel dieses Buches wollen dieses Licht verbreiten
helfen. Denn wie Alter, Krankheit und Tod, wie das
Schreckliche, Unheimliche und Böse, so gehört der gefallene
Engel zur anderen Seite der Wirklichkeit, deren Kenntnis zu

-252-
einem reifen Menschsein gehört.
Alle Religionen der Welt sprechen von Dämonen, dunklen
Gestalten und bösen Wichten. Den Helden und Heiligen, den
Propheten und Lehrern stellen sie Widersacher entgegen. Wo
Religionen ihre Ideale ins Licht setzen, da erscheint neben
diesen leuchtenden Vorbildern zugleich der Schatten. Selbst die
friedliche Religion des Buddhismus kommt ohne Teufel nicht
aus. Doch nur im Judentum, Christentum und Islam, den drei
großen Geschwisterreligionen, wird der Teufel als gefallener
Engel bezeichnet. Was also ist ein gefallener Engel? Auf diese
Frage antworten die jüdischchristlichen Ursprungsmythen in
einer Bildsprache.
Der gefallene Engel war ursprünglich gut, wie alles, was Gott
erschaffen hatte. Seine Heimat war der Himmel, wo er unter den
Chören der Engel den schönsten Platz besessen hatte. Er
leuchtete wie die Sonne. Deshalb wurde er auch Lichtträger oder
Lucifer genannt. Doch eines Tages wandte er sich von Gott ab
und wurde zu seinem Widersacher. Warum? Wie kam es zu
dieser Abkehr?
Auf den ersten Seiten der Bibel lesen wir: »Am Anfang schuf
Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es
war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über
dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward
Licht. Und Gott sah, daß das Licht gut war. Da schied Gott das
Licht von der Finsternis« (Genesis 1.1-4). Von Engeln und
gefallenen Engeln scheint hier nicht die Rede zu sein. Der
Teufel aber steckt immer im Detail. Das wußte schon der
Kirchenvater Augustinus und lehrte, zwischen den Zeilen zu
lesen: Die Engel sind das Licht des ersten Schöpfungstages,
sagte er. Mit der Finsternis aber sind die gefallenen Engel
gemeint. Als Gott am Anfang Himmel und Erde schuf, kam es
zu dem folgenreichsten Zwischenfall der Weltgeschichte: Unter
der Führung des schönsten aller Engel rebellierte ein Teil der
Himmelsbewohner gegen den Schöpfer. Deshalb wurde er aus

-253-
den himmlischen Chören der Engel vertrieben. In Goethes
»Faust« spricht daher der Teufel:
»Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war, Ein Teil der
Finsternis, die sich das Licht gebar.« (Verse 1349f)
Was aber war der Grund für den Engelsturz (siehe dort)?
Michael hatte im Namen Gottes die ganze Engelgemeinschaft
aufgefordert, den Menschen anzubeten. Das war die so genannte
Engelprüfung, die einige nicht bestanden. Denn der höchste aller
Engel rief empört: »Ich werde doch den nicht anbeten, der
geringer und jünger ist als ich! Ich bin vor ihm erschaffen
worden. Ehe er erschaffen ward, war ich erschaffen. Er sollte
mich anbeten.« Michael versuchte ihn zu besänftigen. Dann
drohte er mit dem Zorn Gottes. Der höchste aller Engel jedoch
wurde nur noch wütender: »Wenn er über mich in Zorn gerät,
werde ich meinen Sitz erheben über die Sterne des Himmels und
Gott dem Höchsten gleich sein.« Mit dieser Engelsünde war sein
Fall besiegelt. Der Grund für den Engelsturz ist die Eifersucht.
Andere Geschichten sprechen von einer sexuellen Leidenschaft
der Engel (Genesis 6.1-4) für die Frauen auf Erden. Wie auch
immer: Eifersucht und Sexualität sind zwei elementare
Triebkräfte der menschlichen Natur. Im Bild des gefallenen
Engels werden sie gespiegelt. Doch bleibt das Wesen des
gefallenen Engels letztlich so geheimnisvoll wie das Leben
selbst.
Die drei abrahamitischen Weltreligionen sind sich einig: Gott
hat neben der sichtbaren Welt der Lebewesen, neben Pflanzen,
Tieren und Menschen eine unsichtbare Welt guter Geister
geschaffen. Diese werden Engel genannt. Das hebräische Wort
für Engel lautet »malak« (Plural »malakim«). Es bedeutet »mit
einem Auftrag senden«. Unser deutsches Wort »Engel« leitet
sich aus dem griechischen »Angelos« ab. Es bedeutet »Bote«.
Bildhaft gesprochen sind Engel also Spezialisten für drahtlose
Nachrichtenübermittlung und reibungslose Übertragung von
Energien. Engel sichern die Kommunikation. Deshalb sind sie

-254-
uns so sympathisch. Deshalb glauben über 60 Prozent der
Deutschen an sie. Eine Welt ohne Engel wäre wie eine Welt
ohne Internet, Telefon, Fernsehen und andere elektronische
Medien. Wir reagieren verärgert, vielleicht sogar verschreckt,
wenn plötzlich der Computer ausfällt, die mailbox leer bleibt,
der Anrufbeantworter streikt. Wir spüren: Jetzt bin ich allein.
Niemand kann mich erreichen. Bleiben wir weiter bei dem
gewählten Bild: Wenn Engel Nachrichtenübermittler sind, dann
sind gefallene Engel Störungen in der Datenübertragung: Die
SMS kommt nicht mehr an, das Computerprogramm stürzt ab.
Engel sind Energieträger, gefallene Engel sind eine Störung des
Energieflusses. Wenn Energie aber nicht fließen kann, dann
werden wir krank. Das lehrt uns nicht erst die Psychologie,
davon erzählen bereits die alten Mythen der Menschheit.
Warum also interessie ren sich viele junge Menschen so
brennend für das Thema? Ich möchte einige Thesen zur
Diskussion aufstellen:
1. Wir leben in einer totalen Mediengesellschaft. Gefallene
Engel befriedigen Neugier und Sensationslust.
2. Gefallene Engel gehören zur okkulten Seite der
Wirklichkeit. Das Geheimnisvolle und Unbekannte aber
fasziniert. Von dieser verborgenen Seite wird in der Kirche nicht
mehr gesprochen. So wird das Mysterium an anderen Orten
gesucht.
3. Gefallene Engel sind ein Symbol der dunklen und
verdrängten Seite der Seele. Jugendliche erfahren ihre eigene
Seelengestalt in bisher unbekannter Tiefe. Sie entdecken in sich
neue Träume, Sehnsüchte und verbotene Bedürfnisse. Eine
Tiefendimension der Seele ist aufgebrochen. Die andere Seite
wird sichtbar. Zu ihr gehören Freiheit und Selbstbestimmung,
aber auch Angst, Scham und Schuldgefühle.
4. Jugendliche müssen sich zumindest auf Zeit von der
traditionellen Religion und ihren Eltern abgrenzen. Gefallene

-255-
Engel sind ein Symbol der extremen Steigerung des
Bedürfnisses, durch Kleidung, Musik und Verhalten sein
Anderssein zu inszenieren.
5. Das Grundmotiv der Jugendzeit ist die Wahrheitssuche.
Genau dies verkörpert der gefallene Engel in vielen Geschichten
aus der religiösen Überlieferung. Er hinterfragt die Wirklichkeit.
Er läßt sich nicht von oberflächlicher Frömmigkeit blenden.
6. Gefallene Engel signalisieren eine Störung im Energiefluss
des Lebens. Störungen zeigen eine Krise an. Der Alltag wird
unterbrochen. Es geht nicht so weiter wie bisher. Wir werden
zur Auseinandersetzung gezwungen.
7. Woher kommt das Böse? Und warum läßt Gott das Böse
zu? Hinter dem Interesse an den gefallenen Engeln steht der
Versuch einer Auseinandersetzung mit dem Bösen in der Welt.
8. Was ist richtig? Was ist falsch? Welche Werte und Normen
haben jetzt Gültigkeit? Jugendliche befinden sich in einer Phase
der Umwertung der Werte, die ihnen in der Kindheit vermittelt
wurden. Die Welt der gefallenen Engel ist »verkehrte Welt«.
Was in der christlichen Tradition als gut gilt, ist hier böse. Was
böse ist, gilt hier als gut. Im Spiegelbild der gefallenen Engel
entdecken Jugendliche: Werte und Normen sind nicht absolut.
9. Der junge Mensch ist kein Kind mehr. Er hat vom Baum
der Erkenntnis von Gut und Böse gegessen. Er weiß auch, daß
sein Leben endlich ist. Hinter dem Interesse an der Welt der
gefallenen Engel steht das Bedürfnis nach einer
Auseinandersetzung mit dem Tod und den letzten Dingen.
10. Das Bild der gefallenen Engel ist äußerst vielschichtig. Sie
sind eben nicht nur die Bösen. Sie verkörpern Helden des
Widerstandes. Gefallene Engel sagen nicht nur »Ja und Amen«.
Sie sind ein Symbol des Protestes gegen die Welt, in der sie
leben müssen.
11. Jugendliche sind auf der Suche nach sich selbst. Die
großen Fragen des Lebens brechen auf: Wer bin ic h? Was ist der

-256-
Sinn des Lebens? Was kommt nach dem Tod? In Konflikten mit
Elternhaus und Schule erleben sich viele Jugendliche als fremd.
Sie haben das Gefühl, nicht mehr dazu zu gehören. Sie stehen
hinter der Tür des »Paradieses der Kindheit«. Deshalb fühlen sie
sich dem gefallenen Engel verwandt.
12. Die Pubertät ist ein Hinweis auf die Schwierigkeiten und
Nöte, die ein Mensch mit sich haben wird. Das Grundmuster der
Seele tritt hervor, der Klang der Lebensmelodie wird
vernehmbar. Wer bin ich? Ich bin ich. Aber ich bin nicht allein
auf der Welt. Ich bin Leben inmitten von Leben, das auch leben
möchte. Der gefallene Engel spiegelt das Identitätsproblem.
13. Gefallene Engel tragen die schwarze Kleidung der Trauer.
Hinter den Jugendlichen liegt die Kindheit, vor ihnen das Tor
zum Leben der Erwachsenen. Manchmal haben sie das Gefühl:
Ich gehöre nirgendwo mehr so richtig hin. Ich fühle mich
heimatlos und unbehaust wie die gefallenen Engel. Daher rühren
die Traurigkeit und der Leidenszug, den sensible Eltern und
Erzieher im Gesicht ihrer Kinder manchmal wahrnehmen.
14. Gefallene Engel haben einen guten Wesenskern. Sie
warten darauf, daß jemand kommt und das erlösende Wort
spricht.

-257-
Literatur in Auswahl

Gabriele Amorth. Ein Exorzist erzählt. Maria aktuell Verlag


1994.
Hanns Bächtold-Stäubli (Hrsg.). Lexikon des deutschen
Aberglaubens. Nachdruck Walter de Gruyter. Berlin 1987.
Sonny Barger. Hell's Angels. Mein Leben. Europa Verlag.
Hamburg 2000.
Die Bekenntnisschriften der evangelischlutherischen Kirche.
Bearbeitet von Horst Georg Pöhlmann. Gütersloher
Verlagshaus. Gütersloh 1986.
Frank Berger (u.a.). Ahriman. Profil einer Weltmacht. Verlag
Urachhaus 1996.
Frank Berger (u.a.). Luzifer. Facetten eines Verführers. Verlag
Urachhaus 1998.
Norbert Borrmann. Lexikon der Monster, Geister und Dämonen.
Lexikon Imprint Verlag. Berlin 2000.
Anton A. Bucher (Hrsg.). Das Böse - Tabu oder
Herausforderung? Otto Müller Verlag 1999.
Ingolf Christiansen. Satanismus. Faszination des Bösen. Quell
Verlag. Gütersloh 2000.
Bernd J. Ciaret. Geheimnis des Bösen. Zur Diskussion um den
Teufel. Tyrolia Verlag 1997.
Frank Close. Luzifers Vermächtnis. Eine physikalische
Schöpfungsgeschichte. Beck Verlag 2002.
Carsten Colpe (Hrsg.). Das Böse. Eine historische
Phänomenologie des Unerklärlichen. Suhrkamp Verlag 1993.
Josef Dvorak. Satanismus. Geschichte und Gegenwart. Eichborn
Verlag 1989.
Gregor Eisenhauer. Scharlatane. Zehn Fallstudien. Eichborn
-258-
Verlag. Frankfurt a.M. 1994.
Norbert Esser (Hrsg.). Dem Schönen und Heiligen dienen, dem
Bösen wehren in Liturgie, Lebensschutz und Volksfrömmigkeit.
Sankt Meinrad Verlag 1997.
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (Hrsg.).
Themenhefte »Dämonische Besessenheit« (1. Juni 1987), »Auf
den Spuren des Satanismus I und II« (1.Juni 1992).
Michael Fürgut. Interview mit der Gruppe »Absurd Minds«. In:
Gothic. Magazine for Underground Culture. No.33/2001. S. 36.
Jacques Le Goff. Die Geburt des Fegefeuers. Klett-Cotta Verlag.
Stuttgart 1984.
Guido und Michael Grandt. Schwarzbuch Satanismus.
Innenansicht eines religiösen Wahnsystems. Pattloch Verlag
1995.
Hansjörg Hemminger/Bernd Harder. Was ist Aberglaube?
Bedeutung, Erscheinungsformen, Beratungshilfen. Quell Verlag.
Gütersloh 2000.
Johann Heinrich Jung-Stilling. Theorie der Geisterkunde oder
was von Ahnungen, Gesichten und Geistererscheinungen
geglaubt und nicht geglaubt werden müßte. Nachdruck der
Ausgabe von 1808 bei Franz Grenol987.
Kurt Koch. Heilung und Befreiung. Seelsorgerliche Hilfe für
kranke, angefochtene und okkult belastete Menschen.
Heidelberg 1969.
Heinrich Kramer (Institoris). Der Hexenhammer. Malleus
Maleficarum. Kommentierte Neuübersetzung. Hrsg. von Günter
Jerouschek und Wolfgang Behringer. Deutscher Taschenbuch
Verlag (dtv 30780). München 2000.
Tanja Krings/Kirsten Borchardt. Wir sind keine Mörder! Der
»Satansmord« von Witten und die Folgen für die Gothic-Szene.
In: Zillo. Musikmagazin 9/2001. S. 10-13.
Landeskriminalamt Niedersachsen. Information

-259-
Satanismus/Okkultismus. Oktober 1997.
Eugenie von der Leyen. Meine Gespräche mit Armen Seelen.
Christina Verlag 1991.
Brian P. Levack. Hexenjagd. Die Geschichte der
Hexenverfolgung in Europa. Beck Verlag (Becksche Reihe Nr.
1332). München 1999.
Konrad Paul Liessmann. Faszination des Bösen. Über die
Abgründe des Menschlichen. Zsolnay Verlag 1997.
Luther Link. Der Teufel. Eine Maske ohne Gesicht. Wilhelm
Fink Verlag 1997.
Luise Mandau. Satanismus. Die neue Bedrohung. Econ Verlag
1997.
Gerald Messadié. Teufel, Satan, Luzifer. Universalgeschichte
des Bösen. Eichborn Verlag 1993.
Bonaventura Meyer. Ein Verworfener Priester warnt vor der
Hölle. Born Verlag 1985. ders.: Mahnung aus dem Jenseits über
die Kirche unserer Zeit. Marianisches Schriftenwerk 1977.
Emmanuel Milingo. Gegen Satan. Verlag »Insieme Con Gesù
Alleluia« 1993.
Georges Minois. Die Hölle. Zur Geschichte einer Fiktion.
Diederichs Verlag 1994.
Alfonso di Nola. Der Teufel. Wesen, Wirkung, Geschichte.
Diederichs Verlag 1990.
Friedrich Ohly. Metaphern für die Sündenstufen und die
Gegenwirkungen der Gnade. Westdeutscher Verlag. Opladen
1990.
Elaine Pageis. Satans Ursprung. Berlin Verlag 1996.
Egon von Petersdorff. Daemonologie. Zwei Bände. Christiana
Verlag. Stein am Rhein. 2. Auflage 1982.
Samuel Pisar. Archive unserer Hölle. Eine Rede in Jerusalem.
In: FAZ vom 23. Januar 1996.

-260-
Frumentius Renner. Im Kampf gegen Magie und Dämonie.
Sankt Meinrad Verlag 1998.
Adolf Rodewyk. Dämonische Besessenheit heute. Tatsachen
und Deutungen. Pattloch Verlag 1966.
Alfons Rosenberg. Engel und Dämonen. Gestaltwandel eines
Urbildes. Kösel Verlag 1986.
Gustav Roskoff. Geschichte des Teufels. Eine kulturhistorische
Satanologie von den Anfängen bis ins 18. Jahrhundert.
Nachdruck der Ausgabe von 1869 im Greno Verlag 1987.
Florian Rotzer (Hrsg.). Das Böse. Jenseits von Absichten oder
Tätern oder: Ist der Teufel ins System ausgewandert? Steidl
Verlag 1995.
Hans-Jürgen Ruppert. Okkultismus. Geisterwelt oder neuer
Weltgeist? R. Brockhaus Verlag.Wiesbaden 1990. ders.:
Satanismus. Zwischen Religion und Kriminalität. Evangelische
Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Heft Nr. 140/1998.
ders.: Umgang mit dem Okkulten IV. Teufels-, Hexen- und
Dämonenglaube. Studienbrief Seelsorge Nr. 24.
Ed Sanders. The Family. Die Geschichte von Charles Manson.
Rowohlt Verlag. Reinbek 1995.
Friedhelm Schneidewind. Das Lexikon von Himmel und Hölle.
Lexikon Imprint Verlag. Berlin 2000.
Alexander Schuller (Hrsg.). Die andere Kraft. Zur Renaissance
des Bösen. Akademie Verlag 1993.
Thomas Schweer. Stichwort Satanismus. Wilhelm Heyne Verlag
1997.
Georg Siegmund (Hrsg.). Der Exorzismus der katholischen
Kirche. Christiana Verlag 1989.
Friedrich von Spee. Cautio Criminalis oder Rechtliches
Bedenken wegen der Hexenprozesse. 6. erweiterte Auflage.
Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv 30782). München 2000.
Peter Stanford. Der Teufel. Eine Biographie. Insel Verlag 2000.

-261-
Ralph Tegtmeier. Aleister Crowley. Die tausend Masken des
Meisters. Knaur Verlag. München 1989.
Jeffrey S. Victor. Satanic Panic. The Creation of a
Contemporary Legend. Open Court. Chicago 1993.
Bernhard Wenisch. Satanismus. Schwarze Messen,
Dämonenglaube, Hexenkulte. Matthias Grünewald Verlag 1988.
Uwe Wolff. Hermann Hesse. Demian - Die Botschaft vom
Selbst. Bouvier Verlag. Bonn 1978.
ders.: Thomas Mann. Der erste Kreis der Hölle. Der Mythos im
Doktor Faustus. Akademischer Verlag. Stuttgart 1979.
ders.: Goethes Paradies in Rätseln. Die Natürliche Tochter im
Spiegel der Wassermetaphorik. Akademischer Verlag. Stuttgart
1979.
ders.: Neue Tabus, um überleben zu können. Über Hans Jonas.
In: Rheinischer Merkur vom 10. Juli 1987. S.15.
ders.: Für eine Kategorie des Heiligen. Hans Jonas Versuch, im
Zeitalter der Technik eine Ethik zu entwerfen. In: Esslinger
Zeitung vom 11./12. Juli 1987.
ders.: Sendbote des Antichristen. Albert Caracos »Brevier des
Chaos«. In: Neue Zürcher Zeitung vom 18. August 1987. S. 21.
ders.: Der Teufel hat uns das Bier verderbet. Zu einer Auswahl
von Briefen Martin Luthers. In: Hannoversche Allgemeine
Zeitung vom 31. Oktober 1987.
ders.: Tolle Zeit, verteufelte Zeit. Drogen als Stimulanzen in
Kultur und Sport. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung vom
23. Januar 1988.
ders.: Blick in Abgründe. Die Wiederentdeckung des
Schriftstellers Günter R. Lys. In: Neue Zürcher Zeitung vom
6./7. Februar 1988. S.68.
ders.: Philosophie der Menschenflucht. Erzählungen von
Manfred Maurer. In: Neue Zürcher Zeitung vom 11. Mai 1988.
ders.: Freud und Nietzsche, die bösen Buben. In: Rheinischer
-262-
Merkur vom 12. August 1988. S. 15.
ders.: Der Teufel hat keine Zeit. Die Wiederkehr des Bösen. In:
Rheinischer Merkur vom 28. November 1988. Seite 15.
ders.:Poetische Imagination vom Anfang und Ende der Kultur.
Moses als Kulturstifter im Werk von Thomas Mann und
Sigmund Freud. In: Neue Zürcher Zeitung vom 22./23. April
1989. S, 67-68.
ders.: Die Wiederkehr der Schutzengel. In: Rheinischer Merkur
vom 29. September 1989.
ders.: Himmlische Chöre oder Der Engel frohe Lieder. In:
Rheinischer Merkur vom 15. Dezember 1989.
ders.: Auf der Himmelsleiter. In: Braunschweiger Beiträge 53-3/
1990. S. 5-25.
ders.: Auf den Spuren der Engel. In: Engel und Dämonen.
Wiederkehr mythologischer Rede vom Bösen und Guten?
Herrenalber Protokolle 79/1990. S. 39-54.
ders.: Des Teufels Wiederkehr. In: Engel und Dämonen.
Wiederkehr mythologischer Rede vom Bösen und Guten?
Herrenalber Protokolle 79/1990. S. 68-80.
ders.: Lesen lernen im Buch des Lebens. Hans Blumenberg zum
Geburtstag. In: Akzente 3/1990. S. 264-267.
ders.: Die Wiederkehr der Engel. Boten zwischen New Age,
Dichtung und Theologie. EZW-Texte. Impulse Nr. 32. 35
Seiten. 1991.
ders.: Himmlische Körper. Rezension von Peter Browns »Die
Keuschheit der Engel«. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung
vom 18. November 1991.
ders.: Der Engel Flügel wachsen hören. Kapitel einer
Angelologie der Jahrtausendwende. In: Neue Zürcher Zeitung
Nr. 297 vom 21./22. Dezember 1991. S. 53-54.
ders.: Die Botschaft der Engel. Ein erfahrungsbezogener Zugang
zur Gottesfrage. Klett Verlag. Stuttgart (= Stundenblätter

-263-
Schülerheft und Lehrerkommentar). 1992.
ders.: Wo sich die Pforten der Wahrnehmung öffnen.
Epiphanien in der Literatur. In: Rheinischer Merkur vom 3.
Januar 1992.
ders.: Der ganze Himmel und die ganze Erde. Christen brauchen
die Herausforderung der Heiligen. In: Lutherische Monatshefte.
April 1992. S. 157-161.
ders.: Sabbatai Zwi, der göttliche Verräter. Gershom Scholems
Lebensbeschreibung des falschen Messias. In: Neue Zürcher
Zeitung vom 2./3. Mai 1992. S. 69-70.
ders.: Der Weizen braucht Unkraut. Von der unendlichen
Reformation der Kirche. In: Arbeitshilfe für Gottesdienste und
Veranstaltungen in Schule und Gemeinden aus Anlass des
Reformationstages. RPI Loccum. August 1992. S. 1-4.
ders.: Die Wiederkehr der Engel. Zu einem erstaunlichen
Phänomen - längst vor der Weihnachtszeit. In: Idea Nr. 11/1992.
S. III-IV. Zugleich in: Idea-Spektrum 48/1992. S. 14-15.
ders.: Die Engel fliegen wieder. In: Arbeitshilfe für den
evangelischen Religionsunterricht an Gymnasien. Heft 50. Hrsg.
von Jochen Papst. Hannover 1992. S. 53-66.
ders.: Breit aus die Flügel beide. Von den Engeln des Lebens.
Verlag Herder. Freiburg 1993. (3. Auflage 1998).
ders.: Gottesdämmerung. Auf den Spuren einer Sehnsucht.
Verlag Herder. Freiburg 1994.
ders.: Im Lichte des Glücks. Träume vom Paradies, fromm und
profan. In: Stuttgarter Zeitung vom 5. Februar 1994.
ders.: Das große Buch der Engel (Anthologie mit Farbtafeln).
Verlag Herder. Freiburg 1994. (2. Auflage 1995).
ders.: Unter Deinen Flügeln geborgen. Legenden vom
Geheimnis der Engel (Anthologie mit Farbtafeln). Verlag
Herder. Freiburg 1995. (2. Auflage 1995).
ders.: Der gefallene Engel. Von den Dämonen des Lebens.

-264-
Verlag Herder. Freiburg 1995.
ders.: Den Wolf umarmen. Das Böse in Märchen, Mythos und
Legende. In Matthias Viertel (Hrsg.). Gott und das Böse.
Hofgeismarer Protokolle 313/1996. S. 63-94.
ders.: Und der Engel ließ mich nicht los. Erfahrungen mit
unsichtbaren Freunden. Verlag Herder. Freiburg 1996. (2.
Auflage 1997).
ders.: Die Engel - Himmlische Wegbegleiter. In: Die
Entdeckung des Himmels. Loccumer Protokolle 27/1998. S. 59-
93.
ders.: Wo ist das Paradies? Von der tiefen Sehnsucht in
Werbung und Religion. In: Auftrag und Weg. Thema Werbung.
4/1998. S. 133-134.
ders.: Engel sind Gottes Strahlungen für Menschen, die ihre
Seele auf Empfang schalten. Interview mit dem Magazin
Contrapunkt. 6/1998. S. 14-15.
ders.: Der Engel an meiner Seite. Biographische, biblische und
meditative Zugänge zum Geheimnis der Engel als Begleiter auf
dem Lebensweg. Anthologie zur Tagung des Loccumer
Arbeitskreises für Meditation vom 4.-6. Dezember 1998.
(Zusammen mit Elisabeth Borries).
ders.: Die Engel - Himmlische Wegbegleiter. In: Barbara
Hallensleben (Hrsg.). Un ange passe... Ökumenische
Wegzeichen. Universität Fribourg Suisse. S. 5-24. Fribourg
1999.
ders.: Das quälende Gefühl der Entzweiung: Licht und Schatten
bei C.G. Jung und Ernst Jünger. In: Thomas Arzt (Hrsg.). Jung
und Jünger. Gemeinsames und Gegensätzliches in den Werken
von Carl Gustav Jung und Ernst Jünger. Königshausen und
Neumann Verlag. Frankfurt a.M. 1999. S. 163-180.
ders.: Die Engel - Himmlische Wegbegleiter. In: Lernort
Gemeinde. Zeitschrift für spirituelle Praxis. Heft 4/1999. S. 31-

-265-
36.
ders.: Engel in der modernen Literatur. Dort, wo man sie nicht
erwartet. In: Markwart Herzog (Hrsg.). Die Wiederkunft der
Engel. Beiträge zur Kunst und Kultur der Moderne. Irseer
Dialoge. Band II. Kohlhammer Verlag 2000. S. 83-98.
ders.: Grenzgänger mit Flügeln. Das The ma Engel braucht einen
Platz nicht nur im Fachsortiment. In: Buch-Markt Juli 2001. S.
134-135.
ders.: Auf den Spuren der Engel. Warum Engel uns faszinieren.
In: Leseforum Winter/2001. S. 4-5.

-266-

Vous aimerez peut-être aussi