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Zülpicherstraße 333
50937 Köln
Rechtswissenschaften (8.Fachsemester)
Matrikelnummer: 5799473
E-Mail: lucks.h@web.de
Vorbereitungsseminararbeit
Die Grenzen der Kompetenzen des Vermittlungsausschusses nach
Art.77 Abs.2 GG- aus Anlass der Beschlüsse des BVerfG vom
11.12.2018 und 15.1.2019 (u.a. 2 BvL 4/11 und 2 BvL 1/09)
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung 1
II. Der Vermittlungsausschuss 2
1. Aufgabe und Funktion des Vermittlungsausschusses 3
2. Kompetenzen des Vermittlungsausschusses 5
3. Grenzen der Kompetenzen des Vermittlungsausschusses 7
a.) Meinungsstand in der Literatur 7
b.) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 9
4. Aktuelle Entwicklungen 12
III. Fazit 14
I
Literaturverzeichnis
II
Jarass, Hans/ Pieroth, Bodo Grundgesetz für die Bundesrepu-
blik Deutschland
15. Auflage, München,2018
zitiert als: Bearbeiter, in:
Jarass/Pieroth
Kluth, Winfried/Kring, Günter Gesetzgebung: Rechtssetzung
durch Parlamente und Verwaltung-
en sowie ihre gerichtliche
Kontrolle
1. Auflage, Heidelberg, 2014
zitiert als: Kluth/Kring,
Gesetzgebung
Maunz, Theodor/Dürig,Günter Grundgesetz, Band V, Art.54-85
85. Auflage, München, 2019
zitiert als: Bearbeiter, in:
Maunz/Dürig
Maurer, Hartmut Staatsrecht I: Grundlagen, Verfas
sungsorgane, Staatsfunktionen
7. Auflage, München, 2019
zitiert als: Maurer, Staatsrecht I
Niemann, Helmut Die bundesstaatliche Bedeutung
des Bundesrates unter besonderer
Berücksichtigung des Vermitt-
lungsausschusses
Göttingen, 1978
zitiert als: Niemann, Die bundes-
staatliche Bedeutung des Bundes-
rates unter besonderer Berücksich-
tigung des Vermittlungsausschus
ses
Pabel, Katharina Zu den Grenzen der Kompetenzen
des Vermittlungsausschusses
ZJS 4/2008, S.344-350
zitiert als: Pabel, ZJS 4/2008
Quaas, Michael Zur Verfassungsmäßigkeit der
Verzinsung von öffentlichen Bau-
darlehen gemäß den Änderungen
durch das 2. HStruktG
WuM 1982, S.283-287
zitiert als: Quaas, WuM 1982
Sachs, Michael Grundgesetz
8.Auflage, München,2018
zitiert als: Bearbeiter, in Sachs
III
Schenke, Wolf-Rüdiger Die verfassungsrechtlichen Gren-
zen der Tätigkeit des Vermitt-
lungsausschusses: Dargestellt am
Beispiel des 2. Haushaltsstruktur-
gesetzes
Berlin, 1984
zitiert als: Schenke,
Die verfassungsrechtlichen
Grenzen der Tätigkeit des
Vermittlungsausschusses
Schmidt-Bleibtreu,Bruno/Hofmann,Hans/ Grundgesetz
Heneke, Hans-Günther 14. Auflage, Köln, 2017
zitiert als: Bearbeiter, in: Schmidt-
Bleibtreu/Hofmann/Heneke
Schneider, Hans-Peter/Zeh, Wolfgang Parlamentsrecht und Parlaments-
praxis in der Bundesrepublik
Deutschland
Berlin, 2011
zitiert als: Bearbeiter, in:
Schneider/Zeh
Lehmbruch, Gerhard/ v. Beyme, Klaus/ Demokratisches System und
Fetscher, Iring politische Praxis der Bundes-
republik
München, 1971
zitiert als: Bearbeiter, in:
Lehmbruch/v.Beyne/Fetscher
von Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/ Grundgesetz, Band 2, Art.20-82
Starck, Christian 7. Auflage, München, 2018
zitiert als: Bearbeiter, in:
v. Mangoldt/Klein/Starck
von Münch, Ingo/Kunig, Philip Grundgesetz-Kommentar Band 2,
Art.70- 146
6.Auflage, München, 2012
zitiert als: Bearbeiter, in:
v.Münch/Kunig
Ziller, Gebhard Zum Spannungsverhältnis
zwischen Bundestag und Bundes-
rat im Gesetzgebungsverfahren
in: Parlamentarische Demokratie-
Bewährung und Verteidigung
Festschrift für
Hellmut Schellknecht
Heidelberg,1984, S.135-152
zitiert als: Ziller, FS Schellknecht
IV
I. Einleitung
Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, welche Anforderungen an die Ar-
beit des Vermittlungsausschusses zu stellen sind. Zuerst wird erläutert,
was der Vermittlungsausschuss überhaupt ist und wie er sich zusammen-
setzt. Sodann soll der Aufgaben- und Kompetenzbereich des Vermitt-
lungsausschusses herausgearbeitet werden. In einem zweiten Schritt wer-
den die Grenzen der Kompetenzen des Vermittlungsausschusses aufge-
zeigt. Untersucht wird dies anhand der Bestimmungen im Grundgesetz
und der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses sowie der Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts. Ein besonderes Augenmerk
soll dabei auf die aktuellen Entscheidungen des Bundesverfassungsge-
richts zu dieser Problematik gelegt werden. Sie sollen durch die vorher
aufgestellten Kompetenzgrenzen analysiert werden. Abschließend werden
die Ergebnisse in einem Resümee zusammengefasst.
1
Koggel, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, Rechtssetzung durch Parlamente und Ver-
waltungen sowie ihre gerichtliche Kontrolle, S.457.
2
Vgl. Gröpl, Staatsrecht I, Rn.1133.
3
Maurer, Staatsrecht I, §17 Rn.78.
1
er ein „ständiges und gemeinsames Unterorgan“ der beiden Verfassungs-
organe Bundestag und Bundesrat darstellt4 oder ihm nur die Qualität eines
Ausschusses zukommt.5 Allen Meinungen gemein ist jedoch, dass dem
Vermittlungsausschuss eine „besondere organschaftliche Natur“ zu eigen
ist.6 Gemäß Art. 77 Abs.2 S.1 GG besteht er aus Mitgliedern des Bundes-
tages und des Bundesrates. Für die Zusammensetzung des Vermittlungs-
ausschusses gibt das Grundgesetz selbst nicht viel her.7 Es überlässt gemäß
Abs.2 S.2 im Übrigen die Zusammensetzung und das Verfahren einer Ge-
schäftsordnung des Bundestages.8 Die Geschäftsordnung zum Vermitt-
lungsausschuss wurde im Mai 1951 beschlossen und konkretisiert sowohl
die Zusammensetzung des Ausschusses als auch das Vermittlungsverfah-
ren. §1 der Geschäftsordnung bestimmt eine „paritätische Zusammenset-
zung“ des Vermittlungsausschusses.9 Sowohl der Bundesrat als auch der
Bundestag entsenden je 16 ihrer Mitglieder, die den ständigen Vermitt-
lungsausschuss bilden. Der Entsendungsmodus wird in der Geschäftsord-
nung des Vermittlungsausschusses indes nicht gesondert geregelt, sodass
die Geschäftsordnungen des Bundestags und Bundesrates Anwendung fin-
den.10
Aus §11 Abs.2 GO-BR geht hervor, dass jedes Land im Vermittlungsaus-
schuss durch ein Mitglied vertreten wird. Dabei bestimmen gemäß §11
Abs.4 in Verbindung mit Abs.3 GO-BR die Regierungen der Länder über
ihr Mitglied im Ausschuss. Die Entsendung hängt also auch von den Mehr-
heitsverhältnissen im jeweiligen Land ab.11
4
Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art.77 Rn.17.
5
Masing, in:v.Mangoldt/Klein/Starck, Art.77 Abs.2 Rn.62.
6
Hasselsweiler, Der Vermittlungsausschuss, S.43.
7
Bryde, in: v.Münch/Kunig, Art.77 Rn.12.
8
Vgl. Mann, in: Sachs, Art.77 Rn.8.
9
Bryde, in: v.Münch/Kunig, Art.77 Rn.12; BVerfGE 112, 118ff.
10
Hasselsweiler, Der Vermittlungsausschuss, S.139.
11
Vgl. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art.77 Rn.20.
12
BVerfGE 112,118.
2
widerspiegeln muss.13 Konkret bedeutet dies, dass sich auch im Vermitt-
lungsausschuss die Mehrheitsverhältnisse der einzelnen Fraktionen gegen-
überstehen müssen.14 Die Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss
stellt also ein Abbild des gesamten Bundestags mit seinen Fraktionen und
„politischen Stärkeverhältnissen“ dar.15 Festzuhalten ist auch hier, dass die
Besetzung der Mitglieder des Vermittlungsausschusses stark von der je-
weiligen Legislaturperiode abhängig ist.
Aus der Verfassung ergibt sich aus Art.77 Abs.2 S.1 GG die Aufgabe der
„gemeinsamen Beratung von Vorlagen.“18 Die systematische Stellung der
Norm im Bereich der Mitwirkung des Bundesrates im Gesetzgebungsver-
fahren spricht dafür, dass mit Vorlagen ein strittiger Gesetzesbeschluss des
Bundestages sowie ein sich auf diesen beziehendes Änderungsbegehren
eines Organs gemeint ist.19
Die Beratung hat das Ziel, eine Gesetzesinitiative auch bei Meinungsver-
schiedenheiten und Differenzen zwischen dem Bundesrat und dem Bun-
destag zu erreichen.20 Hierfür ist in den Beratungen ein Einigungsvor-
schlag zu erarbeiten, der möglichst sowohl im Bundestag als auch im Bun-
desrat viel Zustimmung erfährt, um so einen Einspruch des Bundesrates
beziehungsweise, im Falle eines Zustimmungsgesetzes, eine nicht erteilte
Zustimmung herbeizuführen.21
13
BVerfGE 80,188,222; 84,304,323.
14
Masing, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Art.77 Abs.2 Rn.67f.
15
Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art.77 Rn.21.
16
Mann, in: Sachs, Art.77 Rn.9.
17
Vgl. Stettner, in: Dreier, Art.77 Rn.19.
18
Dietlein, in: Schneider/Zeh, §57, Rn.8f.
19
Axer, Die Kompetenz des Vermittlungsausschusses, S.36.
20
Schenke, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Tätigkeit des Vermittlungsaus-
schusses, S.21f.
21
Axer, Die Kompetenz des Vermittlungsausschusses, S.36.
3
Voraussetzung für eine Aufnahme der Arbeit des Vermittlungsausschus-
ses ist gemäß Art.77 GG, dass ein befugtes Organ seine Einberufung ver-
langt. Die Voraussetzungen zur Einberufung für die verschiedenen Organe
unterscheiden sich indes voneinander. Sie hängen zudem davon ab, ob es
sich bei dem Gesetz um den Regelfall eines Einspruchsgesetzes oder aus-
nahmsweise um ein Zustimmungsgesetz handelt.22
Aus Art.77 Abs.2 S.4 GG ergibt sich, dass im Falle eines Zustimmungs-
gesetzes auch der Bundestag und die Bundesregierung ein Recht zur Ein-
berufung haben.26 Dem Bundestag dient eine Einberufung indes nur für
die Verteidigung eines bereits von ihm beschlossenen Gesetzes.27 Nach
der herrschenden Meinung erfüllt auch ein Anrufungsbegehren der Bun-
desregierung diesen Zweck.28 Es soll für beide Organe mithin sicherge-
stellt werden, dass im Falle einer Versagung der Zustimmung durch den
Bundesrat, das Zustandekommen des Gesetzes noch möglich ist.29 Der
22
Vgl. Stettner, in: Dreier, Art.77 Rn.24.
23
Masig, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Art.77 Abs.2 Rn.73f.
24
Byrde, in: v.Münch/Kunig, Art.77 Rn.8.
25
Axer, Die Kompetenz des Vermittlungsausschusses, S.39ff.
26
Vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art.77 Rn.12.
27
Maunz, in: Maunz/Dürig, Art.77 Rn.15.
28
Byrde, in: v.Münch/Kunig, Art.77 Rn.16; Stettner, in: Dreier, Art.77 Rn.26;
Mann, in: Sachs, Art.77, Rn.25.
29
Vgl. Masig, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Art.77 Abs.2 Rn.74.
4
Vermittlungsausschuss hat also auch die Funktion die schwächeren Ver-
fahrenspositionen der gesetzgeberischen Organe zu stärken.30
30
Masig, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Art.77 Abs.2 Rn.61.
31
Pabel, ZJS 4/2008, S.344.
32
Axer, Die Kompetenz des Vermittlungsausschusses, S.41.
33
Hasselsweiler, der Vermittlungsausschuss, S.36.
34
Axer, Die Kompetenz des Vermittlungsausschusses, S.40.
35
Hasselsweiler, der Vermittlungsausschuss, S.45.
5
über den Einigungsvorschlag abstimmt. Daraus folgt, dass der Vorschlag
einer abstimmungsfähigen Vorlage gleichkommen muss, der Inhalt des Ei-
nigungsvorschlages also in der Abstimmung nicht mehr modifiziert wer-
den darf.36§11 GO-VermA sieht darüber hinaus vor, dass ein vom Bundes-
tag beschlossenes Gesetz auch bestätigt werden kann. Das hat zur Folge,
dass es keiner erneuten Beschlussfassung durch den Bundestag mehr be-
darf. Fraglich ist, welche Anforderungen an den Einigungsvorschlag des
Untersuchungsausschusses zu stellen sind.
36
Koggel, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, S.471f.
37
Vgl. Byrde, in: v.Münch/Kunig, Art.77 Rn.12ff.
38
Vgl. BVerfGE 72,175,187; 78,249,271; 101,297 306ff.; 120,56 73ff. Mann, in: Sachs,
Art.77 Rn.28 ff; Byrde, in: v.Münch/Kunig, Art.77 Rn.13f.
39
Koggel, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, S.474.
40
BVerfGE 120,56 ,73ff.
41
Ebenda.
42
BVerfGE 72,175.
6
Festzuhalten ist, dass der Vermittlungsausschuss eine Gestaltungskompe-
tenz hinsichtlich des Einigungsvorschlags besitzt. Er soll schließlich si-
cherstellen, dass im besten Fall ein Kompromiss zwischen den streitigen
Punkten im Gesetzesbeschluss gefunden wird. Für eine Erreichung dieses
Ergebnisses ist er darauf angewiesen, autonom Vorschläge zu erarbeiten,
die bei beiden widerstreitenden Parteien Einklang finden.
Art.77 Abs.2 S.1 GG spricht von einem „für die gemeinsame Beratung von
Vorlagen“ gebildeten Ausschuss. Eine grammatikalische Interpretation
des Art.77 Abs.2 GG impliziert, dass der Einigungsvorschlag nicht über
das hinausgehen darf, was im Gesetzesbeschluss des Bundestages inhalt-
lich vorgebeben wird.43 Verstärkt wird diese Interpretation auch durch Art.
77 Abs.2 S.5 GG. Hiernach hat der Bundestag bei einer Änderung des Ge-
setzesbeschlusses erneut Beschluss zu fassen. Das Grundgesetz geht mit-
hin grammatikalisch von einer vorangegangenen Beschlussfassung des
Bundestages über das gleiche Thema aus.44 Ferner gebiete laut Schenke
auch eine systematisch-teleologische Interpretation des Art.77 Abs.2 GG
eine inhaltliche Begrenzung durch den Gesetzesbeschluss.45 Art. 77 Abs.2
stehe mit Art.77 Abs.1 GG in einem untrennbaren Zusammenhang. Aus
diesem ergebe sich, dass die Anrufung des Vermittlungsausschusses nur
der Funktion dient, den Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bun-
destag und dem Bundesrat zu begegnen.46 Daraus folgt, dass eine Beschäf-
tigung mit Themen, die nicht Gegenstand des konkreten
43
Bismark, DÖV 1983, S.271; Quaas, WuM 1982, S.283.
44
Vgl. Schenke,Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Tätigkeit des Vermittlungsaus-
schusses, S.21.
45
Schenke,Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Tätigkeit des Vermittlungsausschus-
ses, S.22.
46
Ebenda.
7
Gesetzesbeschlusses waren, einen Kompetenzverstoß des Untersuchungs-
ausschusses begründet.47 Ferner gebiete auch der Umstand, dass der Ver-
mittlungsausschuss kein Initiativrecht hat, eine Begrenzung auf den Ge-
setzesbeschluss. Teleologisch stärke Art.77 Abs.2 die Rechte des Parla-
ments, um die parlamentarisch-demokratische Willensbildung zu gewähr-
leisten.48
Sie sind als Teile einer Geschäftsordnung zwar als rangniedrige Vorschrif-
ten zu klassifizieren, können jedoch auch als Auslegungshilfe für verfas-
sungsrechtliche Normen herangezogen werden.50 Die Begrenzung der
Vermittlungskompetenzen ergebe sich vor allem aus §10 GO-VermA.
Hier ist von einem Einigungsvorschlag auf Änderung und Aufhebung ei-
nes Gesetzes die Rede. Diese Wortwahl impliziert, dass der Gegenstand
der Verhandlungen des Vermittlungsausschusses auf einer Divergenz im
Gesetzesbeschluss zwischen Bundestag und Bundesrat fuße.51 Allen oben
dargestellten Stimmen in der Literatur ist gemein, dass sie die Kompeten-
zen des Vermittlungsausschusses eng und restriktiv bestimmen wollen.
Ein anderer Teil in der Literatur spricht sich gegen eine inhaltliche Be-
grenzung auf den Gesetzesbeschluss aus. Teilweise wird lediglich eine
Missbrauchskontrolle hinsichtlich des Vermittlungsergebnisses verlangt.52
Die Kriterien für eine Kompetenzeinschränkung werden unterschiedlich
gewichtet. Eine Meinung knüpft an den Umfang der Materie an und hält
es für erforderlich, dass die Kompetenzen des Ausschusses weiter zu be-
stimmen seien, um einen Gesetzesbeschluss zu ermöglichen.53 Der Effek-
tivität der Gesetzgebung komme also im Kompetenzgefüge eine bedeu-
tende Rolle zu. Die politische Aufgabe des Ausschusses dafür zu sorgen,
einen Kompromiss zu finden, erfordere also einen weiten Beurteilungs-
47
Quaas, WuM 1982, S.283.
48
Bismark, DÖV 1983, S.269.
49
Vgl. Schenke,Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Tätigkeit des Vermittlungsaus-
schusses, S.23.
50
Scheuner, in: Lehmbruch/ von Beyme/ Fetscher, S.143.
51
Schenke,Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Tätigkeit des Vermittlungsausschus-
ses, S.24.
52
Kersten, in: Maunz/Dürig, Art.77, S.72ff.
53
Ziller, FS Schellknecht, S.135ff.
8
und Beschlussspielraum des Vermittlungsausschusses.54 Nur so könne ge-
währleistet werden, dass der Ausschuss seine Rolle im Gesetzgebungsver-
fahren pragmatisch erfüllt. In der Literatur wird das Anrufungsbegehren
also auch als „Ausgangspunkt der Vermittlung“ interpretiert und nicht als
die Grenze der Kompromisserarbeitung.55 Festzuhalten ist, dass die Lite-
ratur den Kompetenzrahmen des Vermittlungsausschusses unterschiedlich
weit interpretiert, verschiedene Gründe für die Begrenzung anführt und
eine genaue Festlegung der Kompetenzgrenzen schwierig erscheint.56
54
Niemann, Die bundesstaatliche Bedeutung des Bundesrates unter besonderer Berück-
sichtigung der Funktion des Vermittlungsausschusses, S.179; Ossenbühl, in: HstR,
§102 Rn.62.
55
Hasselsweiler, der Vermittlungsausschuss, S.49.
56
Axer, Die Kompetenz des Vermittlungsausschusses, S.206.
57
BVerfGE 72,175.
58
BVerfGE 72,175 (187).
59
Ebenda.
60
Vgl. Desens, NJW 2008, S.2892.
9
Materie und das Regelungsziel des Gesetzesbeschlusses sind.61 Auch in
der zweiten Entscheidung zur Problematik62 fasst das Bundesverfassungs-
gericht den Kompetenzbereich des Vermittlungsausschusses weit und be-
ruft sich auf das erstgenannte Urteil.63 Festzuhalten ist, dass das Bundes-
verfassungsgericht in seinen ersten Entscheidungen die Grenzen für Eini-
gungsvorschläge in dem Kriterium des Sachzusammenhangs zieht. Diese
Grenze wird indes großzügig bemessen und anhand des Umfangs der Ma-
terie und des Regelungsziels des Gesetzes ausgedehnt.64
61
BVerfGE 72,175,187.
62
BVerfGE 78,249.
63
BVerfGE 78,249, 271.
64
Vgl. Kersten, in: Maunz/Dürig, Art.77, S.67.
65
BVerfGE 101,297.
66
BVerfGE 101,297, 308.
67
BVerfGE 101,297, 306.
68
BVerfGE 101,297 ,306f.
69
BVerfGE 101,297, 307.
10
In seinem Beschluss aus dem Jahr 200870 knüpft das Bundesverfassungs-
gericht an die strengeren Maßstäbe seiner vorherigen Entscheidung an und
hat die anfänglich weite Grenzziehung gänzlich aufgegeben.71 Entschei-
dungserheblich war der Umstand, dass eine Änderung des Umwandlungs-
steuergesetzes erst im Rahmen des Vermittlungsverfahrens vorgeschlagen
wurde und nicht erkennbar war, auf wessen Initiative hin diese Änderung
in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht worden war.72
70
BVerfGE 120,56.
71
Desens, NJW 2008, S.2892.
72
Vgl. Pabel, ZJS 4/2008, S.347.
73
BVerfGE 120,56, 75; vgl. auch Kersten, in: Maunz/Dürig, Art.77, S.69.
74
BVerfG, 2 BvL 12/01, Rn.60; BVerfGE 72, 175, 191.
75
Desens, NJW 2008, S.2892.
11
4. Aktuelle Entwicklungen
Das Gericht stellte sodann fest, dass die Aufnahme des arbeitsinternen Pa-
piers in den Vermittlungsvorschlag einen Kompetenzverstoß des Vermitt-
lungsausschusses begründet. Das Arbeitspapier wurde in einer internen
76
BVerfG, 2 BvL 4/11.
77
BVerfG, 2 BvL 4/11, Rn.29f.
78
BVerfG, 2 BvL 4/11, Rn.80ff.
12
Arbeitsgruppe erstellt. Dadurch konnte es nicht Gegenstand einer kontro-
versen Diskussion im Deutschen Bundestag werden. Die Abgeordneten
hatten nicht die Möglichkeit, Stellung zu nehmen oder Regelungsalterna-
tiven vorzuschlagen. Der Vermittlungsvorschlag konnte mithin nicht ei-
nem Gesetzesbeschluss des Bundestages zugerechnet werden. 79 Die Ein-
beziehung des Arbeitspapiers in den Vermittlungsvorschlag könne auch
nicht damit begründet werden, dass der Bundesrat dies in seinem Anru-
fungsbegehren verlange.80 Ließe man dies zu, so würde das verfassungs-
rechtlich vorgesehene „Rollenverhältnis“ des Bundestages und Bundesra-
tes im Gesetzgebungsverfahren untergraben werden.81 Die Anrufung des
Vermittlungsausschusses darf also nicht ein zusätzliches Gesetzesinitiativ-
recht des Bundesrates begründen. Dies sei nur unter dem verfassungsrecht-
lich zulässigen Weg möglich. Das Bundesverfassungsgericht stellte mithin
fest, dass die Änderung des Biersteuergesetzes in formell verfassungswid-
riger Weise zustande gekommen ist.
79
BVerfG, 2 BvL 4/11, Rn.85ff.
80
BVerfG, 2 BvL 4/11, Rn.101.
81
Ebenda.
82
BVerfG, 2 BvL 1/09.
83
BVerfG, 2 BvL 1/09, Rn.10ff.
13
Besteuerung von Kapitallebensversicherungen haben.84 Der Bundestag
nahm den Vermittlungsvorschlag an und auch der Bundesrat stimmte der
geänderten Fassung zu. Das Gesetz wurde sodann ausgefertigt und ver-
kündet.
III. Fazit
84
BVerfG, 2 BvL 1/09, Rn.13.
85
BVerfG, 2 BvL 1/09, Rn.61.
86
BVerfG, 2 BvL 1/09, Rn.80.
87
BVerfG, 2 BvL 1/09, Rn.63.
14
Effizienz einerseits und der Beachtung verfassungsrechtlicher Grundsätze
in der Gesetzgebung andererseits gerecht wird. In der Literatur werden zu
dieser Problematik verschiedene Standpunkte vertreten. Sie haben jedoch
zum großen Teil gemein, dass dem Vermittlungsausschuss im Gesetzge-
bungsverfahren kein allzu großes Gewicht zuteilwerden darf. Dieser Linie
entspricht auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Es
betont in seinen Entscheidungen immer wieder, dass dem Vermittlungs-
ausschuss kein eigenes Gesetzesinitiativrecht zusteht und dass bei einer
Kompetenzüberschreitung Rechte der Abgeordneten und der Grundsatz
der öffentlichen Parlamentsdebatte tangiert werden können. Zudem legt es
in seinen Entscheidungen den Grenzbereich der Kompetenzen des Ver-
mittlungsausschusses fest. Hat es in seiner ersten Entscheidung noch jeden
inhaltlichen Sachzusammenhang zum Gesetzesbeschluss für ausreichend
erachtet, entspricht es mittlerweile ständiger Rechtsprechung, dass der Ei-
nigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses inhaltlich sowohl durch
den Gesetzesbeschluss als auch durch das Anrufungsbegehren des jewei-
ligen Verfassungsorgans begrenzt wird. Im Laufe der Zeit hat das Bundes-
verfassungsgericht in seinen Entscheidungen also sukzessive die Kompe-
tenzen des Vermittlungsausschusses eingegrenzt und bestimmbar ge-
macht. Diese Linie lässt erkennen, dass die Rechte des Parlaments in Sa-
chen Gesetzgebung gestärkt werden sollen. Die Anrufung des Vermitt-
lungsausschusses soll nicht dazu führen, dass Gesetze auf einem anderen
als in der Verfassung vorgesehenen Wege beschlossen werden können.
Das Bundesverfassungsgericht hat also eine wichtige Frage im Gesetzge-
bungsverfahren konkretisiert. In höchstrichterlicher Rechtsprechung wur-
den die Grenzen der Kompetenzen des Vermittlungsausschusses gemäß
Art.77 Abs.2 zunächst festgelegt und in ständiger Rechtsprechung auch
gefestigt. Fraglich bleibt jedoch, ob nicht auch der Gesetzgeber diesen Er-
fordernissen mit einer Grundgesetzänderung begegnen sollte. Gerade das
Gesetzgebungsverfahren ist ein wichtiges Instrument einer Demokratie.
Eine flüssige und verfassungsrechtlich unbedenkliche Gesetzgebung er-
fordert auch eine klare gesetzliche Grundlage, die die Kompetenzen fest-
legt und bestimmbar macht. Dies ist bis heute lediglich durch die Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts geschehen.
15