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Scholten Honig

EuGH Rs 101/76, Scholten Honig/Rat und Kommission

Die Firma Scholten Honig stellte Glukose mit hohem Fruchtzuckergehalt her.
1976 wurde eine Verordnung erlassen, gemäß der ab dem Wirtschaftsjahr
1977/78 die Produktionserstattung (= eine Beihilfe) für die Herstellung von
Glukose mit hohem Fruchtzuckergehalt abgeschafft werden sollte.

Die Firma Scholten Honig klagte mittels Nichtigkeitsklage auf die Aufhebung
dieser Verordnung.
Die Nichtigkeitsklage zielt auf die Nichtigerklärung von Gemeinschaftsrechtsakten
(Verordnung, Richtlinie, Entscheidung) ab – sie darf von Einzelnen allerdings nur
dann erhoben werden, wenn diese unmittelbar und individuell von einem
Rechtsakt betroffen sind.

Rat und Kommission argumentierten, dass die Klage unzulässig ist, weil eine VO
ein Akt mit allgemeiner Geltung ist und diese Voraussetzungen nicht gegeben
sind.

Wie hat der EuGH entschieden?


Scholten Honig: Entscheidung des EuGH

Es musste geprüft werden, ob es sich bei der VO in Wahrheit um eine


Entscheidung handelt („Scheinverordnung“) = Entscheidung, die als VO erlassen
wurde, um die Nichtigkeitsklage von Individuen unmöglich zu machen – in
diesem Falle wäre eine Nichtigkeitsklage möglich.

Definition der VO: „Die VO ist ihrer Rechtsnatur nach eine Maßnahme
allgemeiner Geltung im Sinne von Art. 249 (früher 189) EGV, da sie auf
- objektiv bestimmte Sachverhalte anwendbar ist und
- Rechtswirkungen für allgemein und abstrakt umrissene
Personengruppen zeitigt“.
In diesem Fall galten die Regelungen über die Erstattung für alle Unternehmen,
die Glukose mit hohem Fruchtzuckergehalt herstellen.

Zwar schien die Wirkung in diesem Fall tatsächlich nur oder fast nur Scholten
Honig zu betreffen – aber: eine VO verliert ihren Charakter nicht dadurch, dass
sie konkret nur auf eine bestimmte Anzahl von Personen anzuwenden ist, auch
wenn sich diese Personen namentlich bestimmen lassen. Der Tatbestand ist
objektiv bestimmt, daher liegt in diesem Fall eine VO vor.

Die Klage wurde also als unzulässig abgewiesen.


Francovich: EuGH verb Rs C-6/90 und C-9/90, Francovich

Andrea Francovich (F) hatte für die Firma “CDN Elettronica SnC” in Vicenza
gearbeitet, dafür aber nur gelegentlich Abschlagszahlungen auf seinen Lohn
erhalten. Er erhob deshalb Klage vor der Pretura Vicenza, die die beklagte Firma
zur Zahlung von rund 6 Millionen Lire verurteilte. Die Vollstreckung scheiterte
jedoch mangels Masse des inzwischen in Konkurs gegangenen Unternehmens.

Die Richtlinie 80/987 (Richtlinie 80/987 zur Angleichung der Rechtsvorschriften


der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit
des Arbeitgebers) sieht vor, dass die Mitgliedstaaten zur Schaffung von
Garantieeinrichtungen verpflichtet sind, die im Konkursfall die Zahlung der
ausstehenden Lohnforderungen sicherstellen sollen. Italien war seiner
Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinie allerdings trotz Ablauf der Frist
nicht nachgekommen und hatte einen solchen Garantiefonds nicht
eingerichtet. F stützte sich auf diese RL und verlangte von der Italienischen
Republik Schadensersatz.

Das von F angerufene nationale Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob sich
1) ein Betroffener unmittelbar auf die Richtlinie berufen oder
2) Ansprüche wegen Staatshaftung geltend machen könne.
Francovich: Entscheidung des Gerichtshofs

Staatshaftung

Der Gerichtshof prüfte zuerst, ob die RL unmittelbar anwendbar sein könnte.


Dabei wiederholte er, dass der Einzelne gegenüber dem Staat, der seiner
Verpflichtung zur Umsetzung einer Richtlinie nicht ordnungemäß nachgekommen
ist, Rechte, die ihm durch Bestimmungen dieser RL verliehen werden, geltend
machen kann, sofern diese Bestimmungen „inhaltlich als unbedingt und
hinreichend genau erscheinen“. Die Überprüfung ergab allerdings, dass
mangels hinreichend genauer Bestimmtheit des Schuldnerbegriffes in der
RL 80/987 eine unmittelbare Anwendbarkeit nicht infrage kommt -> keine
unmittelbare Anwendbarkeit

Anschließend widmete sich der Gerichtshof der Frage, ob aus dem


Gemeinschaftsrecht eine Haftbarkeit für Schäden, die durch eine Verletzung
der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen verursacht wurden, abgeleitet
werden kann.

Zur Beantwortung dieser grundsätzlichen Frage nahm der EuGH auf zahlreiche
Prinzipien der Gemeinschaftsrechtsordnung sowie richtungsweisende
Entscheidungen Bezug, um schließlich einen Haftungsanspruch zu bejahen.

Der Gerichtshof leitete aus


• den Prinzipien der unmittelbaren Wirkung und des Vorrangs des
Gemeinschaftsrechts
• dem „effet utile“-Prinzip (volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts)
• und aus der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gemeinschaftstreue
gem Art 10 EGV eine
Verpflichtung der MS zum Ersatz von ihnen zurechenbaren Schäden unter
bestimmten Voraussetzungen ab.

Für eine Geltendmachung der Staatshaftung hat der EuGH folgende drei
Voraussetzungen genannt:
• ein Verstoß gegen eine Rechtsnorm, die dem Einzelnen Rechte zu
verleihen bezweckt, muss vorliegen
• der Inhalt dieser Rechte muss auf Grundlage der Richtlinie eindeutig
bestimmbar sein
• Vorhandensein eines Kausalzusammenhanges zwischen dem
entstandenen Schaden und dem Rechtsverstoß

Für die Durchsetzung des Anspruchs auf Staatshaftung ist nationales


Haftungsrecht maßgebend. Die Voraussetzungen zur Erlangung einer
Entschädigung dürfen allerdings nicht ungünstiger ausgestaltet sein als bei
gleichartigen nationalen Fällen, und der Schadenersatzanspruch darf nicht
unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden.
Brasserie du Pêcheur und Factortame: EuGH verb Rs C-46/93 und

C-48/93, Brasserie du Pêcheur und Factortame

Brasserie du Pêcheur:

Die französische Brauerei Brasserie du Pêcheur durfte ihr Bier nicht nach
Deutschland exportieren, weil es nicht dem deutschen Reinheitsgebot für Bier
entsprach. 1987 hatte der EuGH schon entschieden, dass dieses Reinheitsgebot
gemeinschaftsrechtswidrig ist (verbotenes Handelshemmnis gem. Art. 28
EGV). Die Brasserie erhob Schadenersatzansprüche gegen Deutschland wegen
entgangenen Gewinns (= jener Gewinn, der ihr entging, weil sie am Export nach
Deutschland gehindert wurde).

Factortame:

Die britische Regelung der Fischfangquoten sah vor, dass Unternehmen, die
Fischfang betreiben, im britischen Seehandelsregister eingetragen sein mussten.
Nach einer Novellierung 1988 sah das britische Gesetz bestimmte
Vorraussetzungen vor, die für die Eintragung in neues Register notwendig sind –
u.a. mussten mind. 75% des Unternehmens in den Händen britischer
Staatsbürger sein.
Das spanische Unternehmen Factortame war noch nach der alten Fassung des
Gesetzes im britischen Seehandelsregister eingetragen. Dem
Staatsbürgerschaftserfordernis des neuen Gesetzes entsprach das Unternehmen
nicht – daher wurde ihm die Eintragung in das neue Register verweigert und der
Fischfang nicht mehr gestattet.
Factortame machte vor britischen Gerichten die Verletzung von
Gemeinschaftsrecht, insb. von Art. 43 EGV (Niederlassungsfreiheit) geltend und
beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

Parallel dazu reichte die Kommission am 4. August 1989 eine


Vertragsverletzungsklage gegen das Vereinigte Königreich ein. Mit Beschluss vom
10. Oktober 1989 in der Rechtssache 246/89 R (Kommission/Vereinigtes
Königreich, Slg. 1989, 3125) hat der Präsident des Gerichtshofes dem
Aussetzungsantrag stattgegeben. Zur Durchführung des Beschlusses erließ das
Vereinigte Königreich mit Wirkung vom 2. November 1989 Vorschriften zur
Änderung der neuen Registerregelung. Mit Urteil vom 4. Oktober 1991 in der
Rechtssache C-246/89 (Kommission/Vereinigtes Königreich) bestätigte der
Gerichtshof, dass die mit der Vertragsverletzungsklage beanstandeten
Registrierungsvoraussetzungen gegen das Gemeinschaftsrecht
(Niederlassungsfreiheit) verstießen.
Daraufhin klagte Factortame auf Schadenersatz + Verdienstentgang.
Brasserie du Pêcheur und Factortame: Entscheidung des

Gerichtshofs

Aus Francovich konnte bereits abgeleitet werden, dass der


Entschädigungsanspruch durch jeden Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht (nicht
nur durch die Nichtumsetzung einer RL) ausgelöst wird. In Brasserie du Pêcheur
hat der EuGH dies kurz darauf in Zusammenhang mit einem Verstoß gegen
Primärrecht ausdrücklich bestätigt und noch präzisiert, dass es für den Eintritt
der Staatshaftung auch unerheblich ist, welches mitgliedstaatliche Organ
durch sein Handeln oder Unterlassen den Verstoß begangen hat.

Die für solche Verstöße maßgeblichen Haftungsvoraussetzungen lauten: a) Die


Rechtsnorm, gegen die verstoßen wurde, muss bezwecken, dem Einzelnen
Rechte zu verleihen; b) der Verstoß muss hinreichend qualifiziert sein; c)
zwischen dem Verstoß und dem entstandenen Schaden muss ein unmittelbarer
Kausalzusammenhang bestehen. Diese drei Voraussetzungen sind, wie sich
der EuGH ausdrückt, „erforderlich und ausreichend“ für die Begründung des
Entschädigungsanspruchs.
Die Voraussetzung des hinreichend qualifizierten Verstoßes kommt dann zur
Anwendung, wenn dem Mitgliedstaat durch die verletzte Norm ein
Ermessensspielraum eingeräumt wurde.

Zur Begründung des Staatshaftungsanspruchs verwies der EuGH noch auf Art.
288 Abs. 2 EGV, der die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft für
Schäden, die ihre Organe und Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit
verursacht haben, begründet. Dieser außervertragliche Haftungsanspruch wurde
entscheidend durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs weiterentwickelt. Dabei
hat der EuGH auch die Haftung der Gemeinschaft für normative (legisative)
Handlungen anerkannt.

Der Grundsatz, dass eine rechtswidrige Handlung oder Unterlassung einen


Anspruch auf Schadenersatz begründet, ist ein den Rechtsordnungen der
Mitgliedsaaten gemeinsames Prinzip. Dieser Grundsatz auf ist auf sämtliche
Verstöße mitgliedstaatlicher Stellen gegen das Gemeinschaftsrecht anzuwenden -
unabhängig davon, welches Organ den Verstoß begangen hat. Aus der
Notwendigkeit einer einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts ergibt
sich auch die Unzulässigkeit, den Schadenersatzanspruch von der internen
Zuständigkeitsverteilung abhängig zu machen. Daher ist der Grundsatz der
Staatshaftung auch auf Verstöße, die dem nationalen Gesetzgeber zuzurechnen
sind, anzuwenden.

Hinsichtlich der Schadenshöhe wird in Brasserie du Pêcheur darauf


hingewiesen, dass die Festlegung der einschlägigen Kriterien grundsätzlich Sache
der nationalen Rechtsordnungen ist. Es wäre aber jedenfalls unzulässig, den
entgangenen Gewinn vollständig vom ersatzfähigen Schaden auszuschließen.
Auszug aus EuGH verb Rs C-46/93 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur
und Factortame

„46 Hiernach ist festzustellen, daß der nationale Gesetzgeber, wie auch die
Gemeinschaftsorgane, nicht systematisch über ein weites Ermessen
verfügt, wenn er auf einem gemeinschaftsrechtlich geregelten Gebiet handelt.
Das Gemeinschaftsrecht kann ihm Ergebnispflichten oder Verhaltens- oder
Unterlassungspflichten auferlegen, die seinen Ermessensspielraum zuweilen
beträchtlich einschränken. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn der
Mitgliedstaat, wie es unter den im Urteil Francovich u. a. genannten Umständen
der Fall war, gemäß Artikel 189 des Vertrages verpflichtet ist, innerhalb einer
bestimmten Frist alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um das von
einer Richtlinie vorgeschriebene Ergebnis zu erreichen. In diesem Fall ist es
für die Begründung der Haftung des Mitgliedstaats wegen Nichtumsetzung der
Richtlinie irrelevant, daß die zu ergreifenden Maßnahmen dem nationalen
Gesetzgeber obliegen.

47 Handelt ein Mitgliedstaat dagegen auf einem Gebiet, auf dem er über ein
weites Ermessen verfügt, das mit dem vergleichbar ist, das die
Gemeinschaftsorgane bei der Durchführung der Gemeinschaftspolitiken
besitzen, so müssen die Voraussetzungen, unter denen seine Haftung ausgelöst
werden kann, grundsätzlich die gleichen sein wie die, von denen die Haftung der
Gemeinschaft in einer vergleichbaren Situation abhängt.

48 In dem der Rechtssache C-46/93 zugrunde liegenden Ausgangsfall hatte der


deutsche Gesetzgeber auf dem Gebiet der Lebensmittel, speziell dem des
Bieres, Rechtsvorschriften erlassen. In Ermangelung einer
gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung verfügte der nationale Gesetzgeber auf
diesem Gebiet über ein weites Ermessen für den Erlaß einer Regelung über die
Qualität des in den Verkehr gebrachten Bieres.

49 Was den Sachverhalt der Rechtssache C-48/93 angeht, so verfügte der


Gesetzgeber des Vereinigten Königreichs ebenfalls über ein weites
Ermessen. Denn die streitigen Rechtsvorschriften betrafen zum einen die
Registrierung von Schiffen, also ein Gebiet, das in Anbetracht des
Entwicklungsstands des Gemeinschaftsrechts in die Zuständigkeit der
Mitgliedstaaten fällt, und zum anderen die Regelung der Fischereitätigkeiten und
damit einen Sektor, in dem die Durchführung der gemeinsamen Politik den
Mitgliedstaaten einen bestimmten Ermessensspielraum belässt.

50 In diesen beiden Fällen waren also der deutsche Gesetzgeber und der
Gesetzgeber des Vereinigten Königreichs mit Situationen konfrontiert, die
Entscheidungen mit sich brachten, die mit denen vergleichbar sind, die die
Gemeinschaftsorgane beim Erlaß von Rechtsetzungsakten im Rahmen einer
Gemeinschaftspolitik treffen.

51 Unter derartigen Umständen erkennt das Gemeinschaftsrecht einen


Entschädigungsanspruch an, sofern drei Voraussetzungen erfüllt sind,
nämlich daß die Rechtsnorm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt, dem
einzelnen Rechte zu verleihen, daß der Verstoß hinreichend qualifiziert ist
und schließlich daß zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende
Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden ein
unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht.

52 Diese Voraussetzungen genügen in der Tat erstens den Erfordernissen der


vollen Wirksamkeit der Gemeinschaftsnormen und des effektiven Schutzes der
von diesen Normen anerkannten Rechte.

53 Zweitens entsprechen diese Voraussetzungen im wesentlichen denen, die der


Gerichtshof im Rahmen von Artikel 215 in seiner Rechtsprechung zur Haftung
der Gemeinschaft für Schäden entwickelt hat, die dem einzelnen durch
rechtswidrige Rechtsetzungsakte der Gemeinschaftsorgane entstehen.“
Qualifizierter Verstoß = schwerer Verstoß.

Ein Verstoß gegen das GemR ist dann als qualifiziert anzusehen, wenn der
MS die Grenzen seines Ermessens offenkundig und erheblich
überschritten hat.
Beurteilung obliegt dem zuständigen Gericht - dabei muss das zuständige
Gericht u.a. das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten
Vorschrift sowie den Umfang des Ermessenspielraumes, der den
nationalen oder Gemeinschaftsbehörden durch die verletzte Vorschrift
eingeräumt wird, berücksichtigen.1

Herleitung der Staatshaftung aus:


• (den (ebenfalls vom EuGH im Zuge der Rechtsauslegung
entwickelten) Prinzipien der unmittelbaren Wirkung und des
Vorrangs des Gemeinschaftsrechts)
• dem „effet utile“-Prinzip = Prinzip der Funktionsfähigkeit oder der
Effektivität des GemR (dasselbe)
• dem estoppel-Prinzip (Treu- und Glaubengrundsatz) – bekannt
von der Nichtumsetzung von RL: Der MS soll sich in einem
Verfahren gegen einen seiner Staatsbürger, der sich rechtskonform
verhält, nicht auf seinen eigenen Fehler (nämlich auf
gemeinschaftsrechtswidriges Verhalten) berufen können
• und aus der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur
Gemeinschaftstreue gem Art 10 EGV – Art. 10 EGV kann nur
akzessorische Pflichten (= aus anderen Bestimmungen abgeleitete,
aber keine eigenständigen Pflichten) begründen

1
Weiters ist noch zu berücksichtigen, ob der Verstoß vorsätzlich oder nicht vorsätzlich begangen wurde, ob ein
entschuldbarer Rechtsirrtum vorliegt oder ob die Verhaltensweisen eines Gemeinschaftsorgans zu
rechtswidrigen nationalen Maßnahmen beigetragen haben, EuGH verb Rs C-46/93 und C-48/93 Rz 56, Slg
1996, I-1147 f.
Grundrechte im Gemeinschaftsrecht

Keine Bezugnahme auf Grundrechte im EGV – aber:

Zum primären Gemeinschaftsrecht gehören auch Rechtsgrundsätze - diese


entsprechen, ohne in den Verträgen ausdrücklich genannt zu sein, der
gemeinsamen Rechtstradition der MS, die den Verträgen zugrunde liegt.
Dazu gehören vor allem die Grundrechte.

Bei Rechtsgrundsätzen: Unterscheidung zwischen


• allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts ieS:
wurden aus dem System des Gemeinschaftsrechts entwickelt und beziehen
sich auf gemeinschaftsrechtsspezifische Probleme (zB Vorrang und
unmittelbare Wirkung des Gemeinschaftsrechts) und
• allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechts- und
Verfassungsordnungen der MS gemeinsam sind: v.a. Grundrechte
fallen in diese Kategorie.

Grundrechte: (ursprünglich) keine Bezugnahme darauf im EG-Vertrag – aber:


Der EuGH hat schon sehr früh die Grundrechte als Bestandteil jener
allgemeinen Rechtsgrundsätze angesehen, die er im Rahmen seiner Kontrolle
der Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu wahren hat. Er nahm
seinen Ausgangspunkt zunächst in der gemeinsamen
Verfassungsüberlieferung der MS und bezog bald auch völkerrechtliche
Abkommen der MS, allen voran das System der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) und ihre Zusatzprotokolle, in diesen
Rahmen ein (Hauer).
Stauder: EuGH Rs 29/69, Stauder/Stadt Ulm, Sozialamt

Sachverhalt

Die Entscheidung 69/71 ermächtigte die Mitgliedsstaaten, zum Zwecke des


Abbaus überschüssiger Butter Sozialhilfeempfängern Butter zu
herabgesetzten Preisen zur Verfügung zu stellen. Art. 4 sah in der deutschen
Fassung der Entscheidung vor, dass die Begünstigten die Butter nur gegen einen
auf den Namen des Empfängers ausgestellten Gutschein erhalten können.
In Deutschland wurde auf dieser Grundlage eine dementsprechende
Verwaltungsvorschrift erlassen. In anderen Sprachfassungen der Entscheidung
war hingegen das Ausstellen von „individualisierten Gutscheinen“ (ohne
Erfordernis der Namensnennung) ausreichend.

Herr Stauder war Empfänger einer sozialen Beihilfe und als solcher zum
Empfang eines bestimmten Butterkontingents berechtigt. Er behauptete, dass er
durch die Pflicht, vor dem Verkäufer seinen Namen bekanntgeben zu müssen, in
seinen Grundrechten verletzt werde, die im deutschen Grundgesetz verbrieft
sind.

Das deutsche Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob diese Verpflichtung mit
den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts vereinbar sei.

Entscheidung des Gerichtshofs:

Der EuGH legte die Bestimmung der Entscheidung - u.a. auch unter
Heranziehung der anderen Sprachfassungen - aus und kam dabei zu dem
Ergebnis, dass die Bestimmung die namentliche Bezeichnung des Berechtigten
nicht vorschreibt, sie aber auch nicht untersagt.

Bei dieser Auslegung enthalte die Vorschrift nichts, was die in den allgemeinen
Grundsätzen der Gemeinschaftsrechtsordnung, deren Wahrung der EuGH zu
sichern hat, enthaltenen Grundrechte in Frage stellen könnte ->

Bedeutung des Falles: Anerkennung der Grundrechte als allgemeine


Rechtsgrundsätze
Hauer: EuGH Rs 44/79, Hauer/Land Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Die EG-Verordnung 1162/76 über Maßnahmen zur Anpassung des


Weinbaupotentials an die Marktbedürfnisse untersagte jede Neuanpflanzung
von Weinreben für einen Zeitraum von zwei Jahren. Damit machte sie es auch
der Winzerin Lieselotte Hauer unmöglich, auf einem ihrer - hervorragend für den
Weinbau geeigneten - Grundstücke neue Reben anzupflanzen. Frau Hauer sah
darin eine Verletzung ihrer Grundrechte auf Eigentum und auf freie
Berufsausübung und wandte sich an ein nationales Gericht.
Das mit dem 'Fall Hauer' befasste Verwaltungsgericht hatte Zweifel, ob diese VO
gegen den Schutz des Eigentums und das Recht auf freie Berufsausübung
verstößt und legte den Fall dem EuGH vor.

Entscheidung des Gerichtshofs

Der Gerichthof stellte fest, dass es zwei Rechtserkenntnisquellen in Bezug


auf die Grundrechts-Rechtsprechung gibt, nämlich
• die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten
und
• die Gewährleistungen der EMRK.

Das Eigentumsrecht wird in der Gemeinschaftsrechtsordnung gemäß den


gemeinsamen Verfassungskonzeptionen der Mitgliedstaaten
gewährleistet, die sich auch im Zusatzprotokoll zur Europäischen
Menschenrechtskonvention widerspiegeln.

Anschließend ging der Gerichthof noch einen Schritt weiter und berief sich zur
Ermittlung und Interpretation des Rechts auf Eigentum direkt auf das 4.
Zusatzprotokoll zur EMRK, denn die EMRK spiegele die gemeinsamen
Verfassungskonzeptionen der Mitgliedstaaten wider.
Große Bedeutung für die Interpretation von Grundrechten hat die EMRK. Ein
formeller Beitritt der EG zur EMRK wurde vom Gerichtshof jedoch ausgeschlossen
-> Gutachten 2/94, EMRK

Gutachten 2/94: EuGH Gutachten 2/94, Beitritt der EG zur EMRK

Sachverhalt

Sowohl die Kommission als auch das Europäische Parlament hatten sich seit
geraumer Zeit wiederholt für einen Beitritt der EG zur EMRK ausgesprochen.
Im Rat bestanden jedoch Zweifel über die Vereinbarkeit des geplanten
Beitritts mit dem EG-Vertrag. Daher wollte er den Beschluss über die Aufnahme
von Verhandlungen deswegen erst fassen, nachdem der EuGH geprüft hat, ob
der geplante Beitritt mit dem Vertrag vereinbar sei. Noch bevor der Text des
geplanten Abkommens vorlag, beantragte der Rat beim EuGH ein Gutachten zu
der folgenden Frage:

“Ist der Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zur Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 ... mit dem Vertrag
zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vereinbar?”
Entscheidung des Gerichthofs:

Die Grundrechte gehören zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren


Wahrung der Gemeinschaftsrichter zu sichern hat. Dabei lässt sich der
Gemeinschaftsrichter
• von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten
sowie
• von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den
Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluss die MS
beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind".
In diesem Rahmen Berücksichtigung der EMRK.

Beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts verfügt die Gemeinschaft


allerdings nicht über die Zuständigkeit, der ERMK beizutreten, da
• 1) keine Bestimmung des EG-Vertrags die Befugnis verleiht,
Vorschriften auf dem Gebiet der Menschenrechte zu erlassen oder
völkerrechtliche Verträge in diesem Bereich zu schließen und
• 2) ein solcher Beitritt nicht durch Art. 235 (jetzt Art. 308) EGV
begründet werden kann.

Art. 235 (jetzt Art. 308) EGV (die sog. „Lückenschließungsklausel“) soll einen
Ausgleich in Fällen schaffen, in denen
• den Gemeinschaftsorganen durch spezifische Bestimmungen des Vertrags
entweder ausdrücklich oder implizit verliehene Befugnisse fehlen und
• gleichwohl Befugnisse erforderlich erscheinen, damit die Gemeinschaft
ihre Aufgaben im Hinblick auf die Erreichung eines der vom Vertrag
festgelegten Ziele wahrnehmen kann.
Art 6 Abs 2 EUV – Kodifizierung der Rechtsprechung des EuGH - stellt klar, dass
die Grundrechte als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts in
allen Tätigkeitsbereichen der Union zu achten sind. Er verweist auch im
Besonderen auf die Bedeutung der EMRK als Orientierungsmaßstab für
Gehalt und Anwendungsbereich der Grundrechte im Gemeinschaftsrecht.

„Art. 6 (2) Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom
unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen
Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des
Gemeinschaftsrechts ergeben.“

Der Vertrag von Lissabon bringt zwei bedeutende Änderungen:


• Erstens sieht der neue Art. 6 EUV die rechtliche Verbindlichkeit der EU-
Charta der Grundrechte innerhalb des Systems der EU vor.
• Zweitens noch der Satz angefügt, dass die Union einen Beitritt zur EMRK
anstrebt (= Rechtsgrundlage für einen EU-Beitritt zur EMRK).

Die Gemeinschaftsgrundrechte gelten für


• alle Gemeinschaftsbürger – d.h. für alle Staatsbürger der MS und für
alle juristischen Personen, die ihren Sitz in den MS haben
• Organe der Gemeinschaft und
• Organe der Mitgliedstaaten, wenn diese das GemR durchführen (zB bei
der Umsetzung von RL-Bestimmungen)

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