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Günther Grewendorf

Die sprachliche Pflege des Rechts.


Linguistische Aspekte der Rechtsprüfung

1. Linguisten in der Reichstagskuppel ratlos

In §23 Abs.2 Nr.3, §§38, 67, 80 Abs.2 Satz 2 des Besonderen Teils der
Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO II) ist festge-
legt, daß das Bundesministerium der Justiz für die Rechtsprüfung der Recht-
setzungsaktivitäten der einzelnen Bundesministerien zuständig ist. Diese Prü-
fungszuständigkeit des Bundesjustizministeriums bezieht sich sowohl auf die
Inhalte als auch auf die Form von Gesetz- und Verordnungsentwürfen. Sie
beginnt bei der Frage, ob und in welchem Maße überhaupt ein gesetzlicher
Regelungsbedarf besteht und ob ein vorgeschlagener Regelungsentwurf die-
sem Bedarf in adäquater Weise gerecht wird.
Die inhaltliche Prüfung eines Gesetzentwurfs bezieht sich auf die Frage,
ob eine gesetzliche Regelung mit höherrangigem Recht wie z. B. der Verfas-
sung, dem Europäischen Gemeinschaftsrecht oder dem Völkerrecht vereinbar
ist und ob sie mit der bestehenden Rechtsordnung konsistent ist.
Die Prüfung der Regelungsform bezieht sich zum einen auf einheitliche
Richtlinien für die formale Gestaltung einer Rechtsverordnung, die z. B.
Eingangs- und Schlußformeln, Überschriften, Bekanntmachungserlaubnis,
Geltungszeitregeln, Zitierweisen, Inkrafttretensregelungen, Arten der Ver-
weisung etc. betreffen. Sie bezieht sich aber auch auf die sprachliche Gestal-
tung von Gesetzen und Rechtsverordnungen und konzentriert sich dabei ins-
besondere auf Kategorien wie Klarheit, Verständlichkeit und Anwendbarkeit
von Vorschriftentexten.
Die Kriterien der Rechtsprüfung hat das Bundesministerium der Justiz in
dem 1991 herausgegebenen Handbuch der Rechtsförmlichkeit systematisch
zusammengestellt. Die zweite und aktualisierte Ausgabe aus dem Jahre 1999
ist um das Recht der Europäischen Union sowie um Empfehlungen zur sprach-
lichen Gestaltung erweitert.1

1 Handbuch der Rechtsförmlichkeit: Empfehlungen des Bundesministeriums der


Justiz zur einheitlichen und rechtsförmlichen Gestaltung von Gesetzen und Rechts-
verordnungen nach § 38 Abs. 3 GGO II, hrsg. vom Bundesministerium der Justiz,
2., neubearb. Aufl., Köln: Bundesanzeiger, 1999 [zitiert als: HdR].

Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 118 (2000)


Die sprachliche Pflege des Rechts. Linguistische Aspekte der Rechtsprüfung 97

Der sprachlichen Prüfung von Gesetzes- und Verordnungstexten wurde


im Jahre 1966 auf Initiative des damaligen Bundestagspräsidenten Eugen
Gerstenmaier eine institutionelle Form verliehen. Ausgelöst durch das Raum-
ordnungsgesetz aus dem Jahre 1965, das sich durch eine miserable sprachli-
che Gestaltung ausgezeichnet hatte, wurde bei den Wissenschaftlichen Dien-
sten der Verwaltung des Deutschen Bundestages das Bonner Büro der Gesell-
schaft für deutsche Sprache eingerichtet. Dieses Büro unterhält einen Redak-
tionsstab, der zu Formulierungsproblemen, zur Textgestaltung und zur Ortho-
graphie Sprachberatung erteilt und des weiteren die Aufgabe hat, die von den
Referent/Innen der Bundesministerien eingehenden Gesetzes- und Verord-
nungstexte auf ihre Verständlichkeit, Eindeutigkeit und sprachliche Korrekt-
heit zu prüfen und gegebenenfalls mit Korrekturen und Formulierungsalterna-
tiven an die Ministerien zur Überarbeitung zurückzugeben. Diese sprachliche
Prüfung von Rechtsvorschriften erfolgt auf gesetzlicher Grundlage. § 37
GGO II bestimmt, daß dem Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche
Sprache alle Gesetzentwürfe zuzuleiten sind, bevor sie dem Kabinett zur
Beschlußfassung vorgelegt werden.
Die verschiedenen Gesichtspunkte, die bei der sprachlichen Gestaltung
von Gesetzes- und Verordnungstexten zu berücksichtigen sind, hat die Ge-
sellschaft für deutsche Sprache im Einvernehmen mit den Bundesministerien
des Innern und der Justiz in dem Ratgeber Fingerzeige für die Gesetzes- und
Amtssprache veröffentlicht.2 Dieser »Ratgeber für die tägliche Formulie-
rungspraxis« (HdR §39) soll helfen, die Sprachbarrieren zwischen Ämtern
einerseits und Bürgern und Bürgerinnen andererseits abzubauen und die Ver-
ständlichkeit von Gesetzes- und Amtstexten zu verbessern.3
Da der Rechtsbetrieb zu großen Teilen ein Sprachbetrieb ist, muß die
kritische Reflexion über das Recht die kritische Reflexion über die Sprache
des Rechts einschließen. Gesetze, die unklar, unverständlich oder mehrdeutig
sind, machen eine objektive Auslegung unmöglich und öffnen judikativer
Willkür Tür und Tor. Durch die Verabschiedung sprachlich defizienter und
daher für die Rechtsprechung nicht operationalisierbarer Gesetze delegiert

2 Fingerzeige für die Gesetzes- und Amtssprache. Rechtssprache bürgernah, hrsg.


von der Gesellschaft für deutsche Sprache im Einvernehmen mit dem Bundesmini-
sterium des Innern und dem Bundesministerium der Justiz, 11. Auflage, neu
bearbeitet und aktualisiert von Dr. jur. Ulrich Daum, Wiesbaden 1998.
3 Weitere Hilfestellung bei der sprachlichen Gestaltung von Gesetzes- und Verord-
nungstexten liefern dem Gesetzgeber die Merkblätter, die vom Bundesverwal-
tungsamt herausgegeben werden (z. B. das Merkblatt M 17/1 »Arbeitsgerechte und
bürgernahe Vordrucke«) und das Arbeitshandbuch »Bürgernahe Verwaltungsspra-
che – Empfehlungen zu Inhalt und Darstellung« (HdR §39). Bei der Formulierung
von Rechtsakten der Europäischen Union sind die »Gemeinsamen Leitlinien für
die redaktionelle Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften« vom 22.
Dezember 1998 zu beachten (HdR §40).
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die Legislative die Gesetzgebung an die Judikative, was dem Prinzip der
Gewaltenteilung und damit den Grundlagen des Rechtsstaats widerspricht
(Hassemer 1992). Aufgrund der Rechtsunsicherheit, die durch sprachliche
Unbestimmtheit gesetzlicher Bestimmungen hervorgerufen wird, wird die
Frage der sprachlichen Gestaltung von Gesetzen verfassungsrelevant. Para-
graph 240 StGB, der den Tatbestand der Nötigung regelt, wurde in diesem
Sinne von dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter Simon als verfassungs-
widrig angesehen. Die gängige Kritik an der Sprache des Rechts erstreckt sich
nach Hoffmann (1992) auf die fachsprachliche Verwendung umgangssprach-
licher Termini, den Gebrauch von unbestimmten und archaischen Ausdrük-
ken, auf einen komprimierten Stil (komplexe Nominalgruppen, Nominalisie-
rungen, mehrfache Satzeinbettungen etc.), sowie auf die undurchsichtige
Formulierung semantischer Relationen (Disjunktionen, Negationen etc.).
Stellt man sich die Frage, inwieweit die gängige Kritik der Rechtsspra-
che Konsequenzen gezeitigt hat, so scheint also Anlaß zu Optimismus zu
bestehen. Paragraph 35 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesmi-
nisterien, demzufolge Gesetze sprachlich einwandfrei sein müssen und soweit
wie möglich für jedermann verständlich gefaßt sein sollen (GGO II § 35
Abs. 1), zeigt, daß sich der Gesetzgeber des Problems angenommen hat, und
die im Bundestag institutionalisierte linguistische Rechtsprüfung repräsen-
tiert eine konkrete Maßnahme zur Lösung dieses Problems. Ich möchte im
folgenden darstellen, daß die Problematik differenzierter zu betrachten ist.
Sie hat eine sprachpolitische und eine sprachwissenschaftliche Dimension.
Die sprachpolitische Dimension wird klar, wenn man die realen Gege-
benheiten der institutionalisierten linguistischen Rechtsprüfung genauer be-
trachtet. In den vier Jahren der 13. Legislaturperiode sind 443 Gesetze be-
schlossen und verkündet worden. Darunter waren 285 Stammgesetze; größ-
tenteils handelte es sich um Änderungsgesetze.4 So wurde z. B. das Einkom-
mensteuergesetz im Laufe dieser Legislaturperiode insgesamt neunzehn mal
geändert. Jährlich gelangen etwa 300–400 Gesetzentwürfe einschließlich Än-
derungsvorschläge sowie ca. 300 Verordnungsentwürfe in den Bundestag.
Der für die sprachliche Rechtsprüfung zuständige Redaktionsstab der Gesell-
schaft für deutsche Sprache erhält jährlich ungefähr 50–70 dieser Entwürfe
zur Durchsicht, deren Umfang zwischen 10 und 800 Seiten beträgt.5 Darüber
hinaus bietet der Redaktionsstab den Mitgliedern des Bundestages für Reden
und Vorträge eine Sprachberatung an, die sich auf Zweifelsfälle der deut-

4 HdR § 5. Unter »Stammgesetzen« versteht man erstmalige gesetzliche Regelungen


bestimmter Sachverhalte, die unter einer Überschrift zusammangefasst und als
»neues« Gesetz mit grundsätzlich unbestimmter Geltungsdauer in Kraft gesetzt
werden. Änderungsgesetze beziehen sich auf die Änderung bestehender Rechts-
vorschriften. Sie haben keine Geltungsdauer (HdR §17).
5 Blüm S./Jenewein A./Schweitzer S. (1998).
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schen Grammatik, Anredeformen, begriffliche Klärungen, Orthographie, Text-


gestaltung etc. erstreckt. Und nun lese und staune man: Zur Durchführung
dieser sprachpflegerischen Aktivitäten ist dieser Redaktionsstab trotz konti-
nuierlich zunehmender Inanspruchnahme seiner Dienstleistungen mit einer
halben Stelle ausgestattet. Dieses Faktum relativiert den sprachtherapeuti-
schen Impetus des Gesetzgebers. Der Eindruck drängt sich auf, daß der Ruf
nach der gesetzlich notwendigen Arbeit an der Sprache des Gesetzes an einer
Alibi-Institution verhallen soll. Wenn auch die Leistungen des Redaktions-
stabs beeindruckend sind, so ist dennoch festzuhalten, daß die Aufgaben, die
einer sprachlichen Rechtsprüfung gestellt sind, mit diesen institutionellen
Ressourcen nicht zu bewältigen sind. Dabei kann die sprachpolitische Verant-
wortung für diese Situation nicht der Gesellschaft für deutsche Sprache
überlassen bleiben. Sie sollte Sache aller einschlägigen linguistischen und
juristischen Institutionen und Interessenverbände sein.

2. Sprachpflege nach Ausmacher Art

Die zweite Dimension der sprachlichen Rechtsprüfung betrifft die wissen-


schaftliche Fundierung jener Empfehlungen, die dem Gesetzgeber in Werken
wie den Fingerzeigen oder dem Handbuch der Rechtsförmlichkeit für die
sprachliche Gestaltung von Gesetzen und Rechtsverordnungen gegeben wer-
den. Das zuletzt genannte Werk enthält in Teil B Allgemeine Vorschriften für
das Formulieren von Rechtsvorschriften ein Kapitel über die sprachliche
Gestaltung von Gesetzen und Rechtsverordnungen, das in die folgenden Ab-
schnitte gegliedert ist: (i) juristische Fachsprache und Verständlichkeit, (ii)
allgemeine Hinweise zur Wortwahl, (iii) besondere Hinweise zur Wortwahl
in Vorschriftentexten, (iv) Hinweise zur Satzlänge und zum Satzbau, (v)
Hinweise zum Textaufbau, (vi) sprachliche Gleichbehandlung von Frauen
und Männern, (vii) Schreibweisen, Abkürzungen.
Es fällt auf, daß neben Abschnitt (iii) der Abschnitt über die sprachliche
Gleichbehandlung von Frauen und Männern, der sich u. a. mit dem generischen
Maskulinum, geschlechtsneutralen Personenbezeichnungen, Paarformen, Be-
rufs-, Amts- und Funktionsbezeichnungen, Bezeichnungen auf »-mann« etc.
befaßt, den größten Raum der sprachlichen Ratschläge einnimmt. Eine ähnli-
che Gewichtung erfährt das Thema »Frauen und Männer in der Sprache« in
den Fingerzeigen. Die Relevanz dieses Themas ist unumstritten und sein
Beitrag zu einem veränderten Sprach- und Rollenverständnis der Geschlech-
ter enorm. Dennoch sei die Frage erlaubt, ob für die Erfüllung der in § 35
GGO II erhobenen sprachlichen Anforderung an Gesetzestexte dem Thema
»Frauen und Männer in der Sprache« tatsächlich das meiste Gewicht zu-
kommt. Könnte es sein, daß hier linguistische Präferenzen und Kompetenzen
maßgeblich waren, die nicht primär an einer wissenschaftlich fundierten
Umsetzung dieser Anforderung orientiert waren?
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Unterzieht man die einzelnen Abschnitte der sprachlichen Empfehlungen


einer genaueren Betrachtung, so fällt auf, daß sie mit Begrifflichkeiten arbei-
ten, die den zu verbessernden begrifflichen Bestimmungen der Gesetzesspra-
che an Unklarheit nicht nachstehen. So heißt es etwa in §43 HdR: »Die
Sprachwissenschaft beurteilt die Verständlichkeit von Texten nach folgenden
Merkmalen: Einfachheit, Kürze und Prägnanz, Gliederung und Ordnung.«
Unter Prägnanz wird dabei »Genauigkeit« und »Eindeutigkeit« verstanden.
Entsprechend diesen Bestimmungen wird festgelegt, daß für das Verfassen
verständlicher Texte und die sprachliche Verbesserung von Texten drei Ebe-
nen zu beachten seien: Wortwahl, Satzbau und Textaufbau.
Abgesehen davon, daß völlig unklar ist, was etwa unter der Einfachheit
und Prägnanz eines Textes zu verstehen ist, wird von diesen Bestimmungen
suggeriert, Verständlichkeit sei eine Eigenschaft, die Texten inhärent zu-
kommt oder fehlt. Verständlichkeit ist aber ein relationaler Begriff. Ein Text
ist nicht per se verständlich oder unverständlich, er ist für jemanden verständ-
lich oder unverständlich. Diese Adressatenabhängigkeit der Verständlichkeit
(Hoffmann 1992) findet bei den obigen Bestimmungen in keiner Weise Be-
rücksichtigung.
Betrachtet man z. B. die europarechtliche Durchsetzung des vom BGH
1988 entwickelten »Transparenzgebots«, wie es etwa in der Richtlinie 93/13/
EWG über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen formuliert ist.
Danach müssen alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten, schriftlich
niedergelegten Klauseln stets klar und verständlich abgefasst sein.6 Es ist
klar, daß die für Verbraucherverträge zugrundezulegenden Verständlichkeits-
kriterien nicht notwendigerweise mit den Verständlichkeitskriterien identisch
sind, die an Verordnungen des Steuerrechts oder Strafrechts anzulegen sind.
Es kann sogar sein, daß ein Vertragstext, der für den Verbraucher keinerlei
Verständnisschwierigkeiten mit sich bringt, für den Juristen Unklarheiten
enthält, die ihn als Rechtsgrundlage untauglich machen. D. h. ein verständli-
cher Text ist nicht notwendigerweise unmißverständlich. Ein Text, der z. B.
in seiner naheliegenden Deutung ganz klar ist und daher einem nicht geschul-
ten Rezipienten keinerlei Verständnisschwierigkeiten bereitet, kann weniger
offensichtliche Lesarten besitzen, die einer »professionellen« Verständlich-
keitsprüfung nicht standhalten. Versucht man dagegen, diese weniger offen-
sichtlichen Unklarheiten zu beseitigen, kann dies den Effekt haben – und das
ist das Schicksal vieler juristischer Formulierungen- daß der Text für den
Laien jede Verständlichkeit eingebüßt hat.7
Selbst ein scheinbar unstrittiges Verständlichkeitskriterium wie die Ein-
fachheit eines Textes erweist sich bei genauerer Betrachtung als höchst pro-

6 dazu Schwintowski (1998).


7 Die relevante Maxime aus HdR lautet: »Allgemeinverständlichkeit darf nicht auf
Kosten der Präzision erreicht werden.« (HdR §49)
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blematisch. Was ist z. B. das Kriterium für einen einfachen Satz? Ist ein Satz
mit einem transitiven Verb einfacher als ein Satz mit einem ditransitiven
Verb? Sind Sätze ohne Quantoren einfacher als Sätze mit Quantoren? Ist ein
Infinitiv einfacher als ein konjunktional eingeleitet finiter Nebensatz? Ist ein
konjunktional eingeleiteter finiter Nebensatz einfacher als ein Verbzweit-
komplement? Ich bezweifle, daß es auf diese Fragen generelle Antworten
gibt. Auch Einfachheit ist auf Kommunikationszwecke zu relativieren und
nicht als eine generelle Eigenschaft von Sätzen zu bestimmen.
Ähnlich verhält es sich mit der Prägnanz. Die darunter subsumierten
Eigenschaften der Genauigkeit und Eindeutigkeit sind nicht nur unklar, sie
rekurrieren nicht einmal auf die einschlägige Begrifflichkeit der Semantik.
Daß Texte mißverständlich (nicht prägnant) sind, hat eine häufige Ursache in
den Eigenschaften der Mehrdeutigkeit und Vagheit. Um prägnante Texte zu
verfassen, sollte man die Quellen von Mehrdeutigkeit kennen. Sie kann in der
Mehrdeutigkeit von Wörtern wie in (1) (»lexikalische Mehrdeutigkeit«) oder
in der Mehrdeutigkeit von Strukturen wie in (2) (»strukturelle Mehrdeutig-
keit«) begründet liegen:
(1) Bank, Vorgang, Lösung, aufsetzen, unterhalten, kosten, scharf, billig,
vor, nach etc.
(2) a. Hans beobachtete den Mann mit dem Fernglas.
b. Jeder Minister traf einen führenden Wirtschaftsvertreter.
Sie kann aber auch darin begründet liegen, daß ein Text über sein »wörtli-
ches« Verständnis hinaus Verständnismöglichkeiten eröffnet, die durch spe-
zifische Kontexteigenschaften determiniert sind. So ist z. B. aus dem Satz (3)
(3) Einige Bayern sind konservativ.
in gewissen Kontexten zu schließen, daß nicht alle Bayern konservativ sind,
obwohl dieser Schluß im rein logischen Sinne nicht zulässig ist, d. h. von der
Semantik der verwendeten Begriffe nicht impliziert wird (Grewendorf 1992a).
Derartige über die »wörtliche« Bedeutung hinausgehende Verständnismöglich-
keiten lassen sich als sog. »konversationelle Implikaturen« mit Hilfe von Grices
Theorie der Konversationsmaximen erschließen (Grice 1975, Rolf 1994).
Eine weitere Quelle für Mißverständlichkeit ist die Vagheit von Aus-
drücken, Texten oder Äußerungen. Z. B. ist der Anwendungsbereich von
Begriffen nicht für jeden Einzelfall festgelegt. Man versetze sich in Max
Blacks imaginäres Museum, in dem eine Reihe von Stühlen aufgestellt ist. An
dem linken Ende der Reihe steht ein »normaler« Stuhl, am rechten Ende der
Reihe ein Stück Holz. Nach dem »normalen« Stuhl kommen Stuhlexemplare,
die im Verlauf der Reihe immer mehr verändert werden, wobei die Verände-
rung von Exemplar n zu Exemplar n+1 jeweils minimal ist. Der immer mehr
veränderte Stuhl resultiert am Schluß in dem Stück Holz. Wenn man nun
sagen soll, an welcher Stelle n der »Stuhl« aufhört, ein Stuhl zu sein, so daß er
an der Stelle n-1 noch ein Stuhl war, so ist klar, daß das nicht möglich ist. Wie
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schon Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen immer wieder


betont, ist die Bedeutung unserer umgangsprachlichen Begriffe nicht exakt.
Sie ist exakt genug für den Zweck, dem die Sprache dient, aber eben nicht
exakt in einem absoluten Sinne. Wir haben keine Schwierigkeit, die Aussage,
die Antarktis sei unbewohnt, zu verstehen. Wir halten diese Aussage auch
dann für wahr, wenn es dort ein paar Forschungsstationen mit wissenschaftli-
chem Personal gibt. Aber mit der Frage, ab welcher Anzahl dort lebender
Personen wir nicht mehr von »unbewohnt« sprechen würden, geht es uns
ähnlich wie in Max Blacks Museum (Blau 1978).
Festzuhalten ist, daß es keine allgemein akzeptierten Kriterien für Ver-
ständlichkeit gibt. Verständlichkeit bezieht sich auf Eigenschaften von kom-
plexen Kommunikationssituationen. Die Analyse ihrer Kriterien ist daher die
Aufgabe von interdisziplinären Forschungszusammenhängen, an denen Juri-
sten, Linguisten (insbesondere Psycholinguisten), Psychologen und Sprach-
philosophen zu beteiligen und Methoden der empirischen Sozialwissenschaf-
ten heranzuziehen sind. Wer Kriterien formuliert, die sich sprachpflegerische
Kreise in bester Absicht gemeinsam ausgedacht haben, betreibt eine Sprach-
pflege nach Ausmacher Art, auf moderner wissenschaftlicher Forschung und
den von dieser erarbeiteten Grundlagen beruhen diese Übereinkünfte jeden-
falls nicht. Diese Feststellung ist nicht dahingehend mißzuverstehen, daß mit
Empfehlungen zur sprachlichen Gestaltung bestimmter Textsorten ein lingui-
stischer Einführungskurs einhergehen muß. Es soll vielmehr darauf hingewie-
sen werden, daß hier ein enormer theoretischer und empirischer sozialwissen-
schaftlicher Forschungsbedarf besteht, auf dessen Ergebnisse solche Empfeh-
lungen gegründet sein müßten. Dieser Appell ist umso dringlicher als es bei
Vorschriftentexten um sprachliche Gegenstände geht, deren weitreichende
Auswirkungen alle gesellschaftlichen Bereiche erfassen. Er geht primär an
die Sprachwissenschaft selbst, die sich bislang dieser Anwendungschancen
nicht genügend angenommen hat.
Weist man bei der Diskussion konkreter sprachlicher Gestaltung von
juristischen Texten auf komplizierte und unerforschte Eigenschaften der na-
türlichen Sprache hin, so ist man nicht selten mit dem Einwand konfrontiert,
es gehe z. B. bei der Vorschriftensprache um eine juristische Fachsprache, die
ganz andere Eigenschaften aufweise als die Umgangssprache und daher nach
ganz anderen Kriterien zu analysieren und zu konzipieren sei. Zweifelsohne
enthält die Sprache des Gesetzes zahlreiche fachsprachliche Termini. Die
Tatsache, daß einige dieser Termini mit umgangssprachlichen Begriffen hom-
onym sind (»Eigentum«, »Mörder«, »Besitz«, »Gewalt« etc.) ist möglicher-
weise eine Quelle für begriffliche Konfusionen, stellt aber kein prinzipielles
Hindernis für die Verständlichkeit von juristischen Texten dar, in denen diese
Begriffe vorkommen. Entscheidend ist, daß der fachsprachliche Gebrauch
dieser Begriffe unmißverständlich ist, und dabei tritt das eigentliche Problem
auf: Nach welchen Kriterien bestimmt sich, ob ein Begriff ein fachsprachli-
cher Begriff ist?
Die sprachliche Pflege des Rechts. Linguistische Aspekte der Rechtsprüfung 103

Nach HdR §44 ist Kennzeichen jeder Fachsprache »eine klare und ein-
deutige, zugleich formalisierte und vereinheitlichte Ausdrucksweise«. Wenn
diese Bestimmung zuträfe, sollten sich bei der Charakterisierung fachsprach-
licher Ausdrücke keine Probleme ergeben. Nun liest man aber z. B. in Ab-
schnitt 1.1.2 der Fingerzeige, daß der Begriff »Vorgang« in der Gemeinspra-
che die Bedeutung von »Ereignis« und in der Fachsprache die Bedeutung von
»Akte« habe. Dem könnte man jedoch – durchaus mit Recht, wie ein Blick in
deutsche Wörterbücher zeigt- entgegenhalten, daß es zur Bedeutung des
Wortes »Vorgang« in der Gemeinsprache gehört, daß dieses Wort sowohl das
eine als auch das andere bedeuten kann. Was also sind die Kriterien dafür, daß
ein Begriff ein fachsprachlicher Begriff ist?
Das Kriterium einer formalisierten Ausdrucksweise ist inadäquat, wenn
damit gemeint ist, daß fachsprachliche Begriffe durch explizite Definitionen
eingeführt werden; es ist zu erläutern, wenn damit etwas anderes gemeint ist.
Obwohl fachsprachliche Ausdrücke mit Hilfe der Umgangssprache erläuter-
bar sind, sind sie nicht immer in allen Kontexten durch umgangssprachliche
Ausdrücke ersetzbar. Dies gilt z. B. für Dispositionsprädikate als auch für die
sog. »theoretischen Begriffe« einer Wissenschaftssprache (cf. z. B. v. Savi-
gny 1975). Man braucht also ein anderes Kriterium dafür, fachsprachliche
Ausdrücke gegenüber Ausdrücken der »Gemeinsprache« abzugrenzen. Dazu
sind wissenschaftstheoretische und sprachphilosophische Klärungen erfor-
derlich, ohne die eine Empfehlung wie die folgende aus HdR §46 unwirksam
bleiben muß: »Damit kein für Laien mißverständlicher oder gar unverständli-
cher Vorschriftentext entsteht, müssen die Eigenheiten der Fachsprache beim
Abfassen von Gesetzen und Rechtsverordnungen im Auge behalten werden.«

3. Recht grammatisch gesehen

Die konkreten Empfehlungen für die sprachliche Gestaltung von Gesetzen


und Rechtsverordnungen, wie sie in HdR und – mit zahlreichen Beispielen –
in den Fingerzeigen zu finden sind, betreffen die Bereiche Lexikon und
Morphologie (»Wortwahl«), Syntax (»Satzlänge«, »Satzbau«) und Textstruk-
tur.
In den allgemeinen Hinweisen des HdR zur Wortwahl heißt es, daß
Wörter genau und logisch richtig verwendet werden sollten, daß die Wort-
wahl zeitgemäß und redlich sein muß, daß weder Modewörter wie z. B.
»Optimierung«, »Team«, »Aspekte« etc. noch Fremdwörter verwendet wer-
den sollten. Die gewählten Wörter sollten das Gemeinte zutreffend wiederge-
ben, und es muß auf die Beziehung der Wörter zueinander und den Sinnzu-
sammenhang geachtet werden. Wenn auch diese Empfehlungen jeweils durch
Beispiele illustriert werden (z. B. an dem Unterschied zwischen »satzungs-
mäßig« und »satzungsgemäß«) so ist zu bezweifeln, daß Empfehlungen dieser
Art bei der Formulierung von Rechtsvorschriften von großem Nutzen sind.
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Sie bewegen sich auf dem theoretischen Niveau des Aufsatzunterrichts für
Schulkinder, und man kann sich kaum vorstellen, daß der Gesetzgeber Emp-
fehlungen von dieser Allgemeinheit und Selbstverständlichkeit tatsächlich
benötigt.
Warum man etwa den Begriff »Steuerpaket« durch die Formulierung
»Vorschläge (Maßnahmen) zur Änderung des Steuerrechts« ersetzen sollte,
wie es in den Fingerzeigen nahegelegt wird, dürfte sowohl dem Laien als auch
dem Linguisten schwer verständlich zu machen sein. Dasselbe gilt für die
Empfehlung, das Begriffspaar »ersterer« und »letzterer« durch die Begriffe
»jener« und »dieser« zu ersetzen (Fingerzeige S. 63), und geradezu grotesk
erscheint der Hinweis, bei der Wortwahl von Verben empfehle es sich, auf
Präfixe zu verzichten, also statt den Ausdrücken in (4) die jeweiligen Alterna-
tiven in (5) zu wählen (Fingerzeige, Abschn. 3.5.2.):
(4) a. die Umleitungen (5) a. durch Schilder auf Umleitungen
beschildern hinweisen
b. einsparen b. sparen
c. abkaufen c. kaufen
d. anmahnen d. mahnen
Hier stehen offenkundig stilistische Präferenzen im Hintergrund, die wohl
eher auf einen Sprachpurismus zurückzuführen sind als auf Einsichten dar-
über, wie die Sprache funktioniert. Anders ist nicht zu erklären, warum die
Amtssprache die Möglichkeiten der Sprache nur eingeschränkt nutzen sollte
und warum z. B. die Verben auf »-stellen« wie z. B. »freistellen«, »erstellen«,
»fertigstellen«, »herausstellen«, »klarstellen« eine Modeerscheinung sein sollen
(Fingerzeige S. 59), die man tunlichst vermeide, da die jeweiligen Alternati-
ven »kündigen«, »abfassen«, »beenden«, »betonen« und »klären« »besser«
seien. Angesichts der Großzügigkeit und Nachlässigkeit, mit der bei diesen
Empfehlungen zur Wortwahl über Bedeutungsunterschiede hinweggegangen
wird, kann man dem Gesetzgeber nur raten, bei der Wahl seiner Worte mehr
Sorgfalt walten zu lassen als es bei diesen Empfehlungen geschehen ist. Ich
möchte jedenfalls klarstellen (und nicht klären), daß ich mich an solche
Empfehlungen nicht halten würde.
Die morphologischen Empfehlungen des HdR (wie auch der Fingerzei-
ge) beziehen sich primär auf die Vermeidung des sog. Nominalstils. »Haupt-
wortphrasen« sollten vermieden werden; statt »Verwendung finden« sollte
man das Wort »verwenden« im Passiv gebrauchen (HdR §59), und auf Kom-
posita (»Wortungetüme«) sollte verzichtet werden, wenn sie nicht der begriff-
lichen Differenzierung und einem ökonomischen Sprachgebrauch dienen. In
den Fingerzeigen wird empfohlen, Kettenbildungen von Genitiven, Substan-
tiven, Präpositionen und abhängigen Sätzen zu vermeiden.
Obwohl unklar ist, warum »Verwendung finden« durch das Passiv von
»verwenden« ersetzt werden soll (noch dazu, wo in den syntaktischen Emp-
fehlungen eine Präferenz für aktivische Ausdrucksweise nahegelegt wird),
Die sprachliche Pflege des Rechts. Linguistische Aspekte der Rechtsprüfung 105

kann man die Empfehlung nachzuvollziehen, daß in Vorschriftstexten aus


Gründen der Lesbarkeit zu lange Komposita wie etwa »Schönheitsreparatur-
kostenpauschale« oder »Einkommenserzielungsabsicht« vermieden werden
sollten. Dasselbe gilt für die Empfehlung, komplexe Nominalphrasen in be-
stimmten Fällen durch Komposita oder Relativsätze aufzulösen. Aber auch
diese Empfehlungen erinnern mehr an Richtlinien für den Aufsatzunterricht
als an einen Ratgeber für linguistisch und juristisch motivierte Sprachverwen-
dung. Warum findet sich z. B. nirgends der juristisch relevante Hinweis, daß
bestimmte Verben (»performative Verben«) wie z. B. »kündigen« in der
ersten Person Indikativ Präsens Aktiv zum Vollzug der Handlung verwendet
werden können, die sie bezeichnen? Warum wird der Jurist nicht darüber
informiert, daß andere Verben wie z. B. »billigen« in dieser Hinsicht ambig
sind und in Abhängigkeit vom Kontext entweder zum Vollzug der Handlung
des Billigens (»Ich erkläre mich dafür«) oder deskriptiv (»ich finde es gut«)
gebraucht werden können? Es gibt verfassungsgerichtliche Auseinanderset-
zungen, die auf der Unkenntnis der lexikalischen Eigenschaften solcher »halb-
deskriptiven« Ausdrücke beruhen (Austin 1962).8
Die besonderen Hinweise zur Wortwahl aus HdR betreffen u. a. die
sprachliche Realisierung von Normativität. Dafür werden in der Regel unter-
schiedliche sprachliche Mittel eingesetzt. U. a. sind dies Modalverben (»sol-
len«, »müssen«, »können«, »dürfen«), Adverbiale (»unbedingt«, »notwendi-
gerweise«), zusammengesetzte Wendungen wie z. B. »sein+zu+Infinitiv« oder
»haben+zu+Infinitiv, der Imperativmodus, der Indikativ in entsprechenden
Kontexten cf. z.B:
(6) a. Die Würde des Menschen ist unantastbar. (Grundgesetz Art. 1)
b. Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage
der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.
(Grundgesetz Art. 139)
In der Sprachwissenschaft ist ausführlich gezeigt worden, daß Modalverben
lexikalisch mehrdeutig sind. Ein Verb wie »müssen« hat z. B. eine deontische
Lesart wie in (7) und eine epistemische Lesart wie in (8)
(7) Alle Schüler müssen an der Veranstaltung teilnehmen.
(8) Er muß durchs Examen gefallen sein.

8 Daß bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts anläßlich des Urteils zur
vorzeitigen Auflösung des 9. Deutschen Bundestages der halb-deskriptive Charak-
ter des sprachlichen Ausdrucks von Mißtrauen eine Rolle gespielt hat, ist ausge-
führt in Grewendorf G. (1985), »Vertrauen ins Mißtrauen. Linguistische Analysen
zur Argumentation des Bundesverfassungsgerichts anläßlich des Urteils zur vor-
zeitigen Auflösung des 9. Deutschen Bundestages«. in: J. Dyck (hrsg.), Rhetorik.
Ein internationales Jahrbuch. Band 4, S. 101–115, Stuttgart.
106 Günther Grewendorf

Es kann aber auch eine dispositionelle Lesart haben, also eine Relation
ausdrücken, die aufgrund körperlicher Dispositionen besteht wie z. B. in (9)
(9) Sie mußte ihrer Leidenschaft durch Schwitzen und Zähneknirschen Aus-
druck verleihen, als sie merkte, daß er splitternackt war.
Schließlich gibt es auch buletische Modale, also Modale, die gewisse Wün-
sche voraussetzen wie z. B. in (10) (v. Stechow 1988)
(10) So wahr ich Amaranta heiße, die beiden können nicht heiraten.
Analoges gilt für andere Modalverben. Darüber hinaus unterscheiden sich
Modalverben im Grad der durch sie ausgedrückten deontischen Kraft. Die
durch »müssen« ausgedrückte Verpflichtung ist in der Regel verbindlicher als
die durch »sollen« ausgedrückte Verpflichtung, obwohl dieser Unterschied
kontextabhängig ist und in geeigneten Kontexten neutralisiert sein kann. Man
vgl. z. B. (11) und (12)
(11) Der Schüler soll die Schule verlassen.
(12) Der Schüler muß heute zum Friseur gehen.
Diese Kontextabhängigkeit hängt mit der Relativität der von diesen Verben
ausgedrückten Modalität zusammen. Die Art der von einem Modal ausge-
drückten deontischen Situation hängt von dem »Redehintergrund« ab, relativ
zu dem ein Verb wie »müssen« eine gesetzliche, physikalische, politische
oder logische Notwendigkeit ausdrückt (Kratzer 1991).
Die besonderen Hinweise des HdR zur Wortwahl in Vorschriftentexten
beschränken sich im großen und ganzen auf Vorsichtsmaßnahmen: »Bei der
Wahl des Wortes ›können‹ ist Vorsicht geboten, da dieses Wort verschiedene
Bedeutungen haben kann« (HdR §64). Die Notwendigkeit zur Vorsicht wird
darin begründet gesehen, daß gemeinsprachliche und fachsprachliche Bedeu-
tung auseinander fallen. Es findet sich allerdings kein Hinweis darauf, inwie-
fern diese Bedeutungen auseinander fallen. Es wird lediglich darauf hinge-
wiesen, daß mit dem Verb »können« ein Ermessen eingeräumt wird, während
»müssen« zu verwenden ist, wenn es um Verbote und Gebote geht. Schließ-
lich könne die Verpflichtung einer Behörde »auch mit dem imperativen
Präsens ausgedrückt werden (›Die zuständige Behörde erteilt …, übersen-
det…‹)« (ibid.) Weder werden hier unterschiedliche Lesarten des Modalverbs
»können« illustriert, noch wird auf die relative Modalität der Modale hinge-
wiesen, die insbesondere bei Vorschriftentexten als Quelle von Unklarheiten
fungieren kann.9 Es ist zu hoffen, daß der Gesetzgeber des aufschlußreichen
Hinweises, er habe das Modalverb »müssen« anstelle von »können« zu ver-
wenden, wenn es um Verbote und Gebote gehe, nicht bedurfte. Höchst rele-

9 Eine Illustration der Ambiguität von »sollen« anhand verschiedener Artikel des
Grundgesetzes findet sich in Klein (1999).
Die sprachliche Pflege des Rechts. Linguistische Aspekte der Rechtsprüfung 107

vant wäre es demgegenüber gewesen, auf die Ambiguitätspotentiale hinzu-


weisen, die aus dem Zusammenwirken von Modalen mit der Negation oder
mit quantifizierenden Ausdrücken resultieren. Nach Hinweisen dieser Art
sucht man jedoch vergebens.
Der Verweis auf ein imperatives Präsens führt eine linguistische Novität
ein, die sich in dieser Form in der linguistischen Literatur noch nicht findet.
Warum wurde nicht auch das Futur als imperatives Tempus charakterisiert cf.
(13)
(13) Sie werden ab jetzt in der anderen Abteilung arbeiten.
Diese Empfehlungen sind im Wittgensteinschen Sinne als »einseitige Diät«
zu charakterisieren. Man nährt sein Denken nur mit einer bestimmten Art von
Beispielen und läßt überdies die eminent wichtige Rolle des Kontextes außer
acht. Daß weder auf die Kontextabhängigkeit deiktischer Ausdrücke hinge-
wiesen wird, noch die kontextabhängigen Kategorien der Sprechakttheorie
eine Erwähnung finden, zeigt erneut, daß von einer sprachwissenschaftlichen
Fundierung dieser Empfehlungen keine Rede sein kann.
Die besonderen Hinweise zur Wortwahl in Vorschriftentexten betreffen
des weiteren das Verb »gelten«, das im laufenden Regelungstext »eine ge-
setzliche Fiktion, eine unwiderlegliche oder widerlegliche Vermutung oder
eine Verweisung bedeuten« kann (HdR §66) sowie Ausführungen über Satz-
verknüpfungen (»Die Konjunktionen ›wenn‹ und ›soweit‹ leiten Bedingungs-
sätze ein«) (HdR §72), die einerseits als unklar und unvollständig, anderer-
seits als schlicht falsch bezeichnet werden müssen (Die Konjunktion »wenn«
leitet auch Temporalsätze ein).
Die syntaktischen Empfehlungen des HdR beziehen sich auf die Satzlän-
ge und den Satzbau. Hinsichtlich der Satzlänge wird unter Verweis auf das
Kurzzeitgedächtnis eine »große mittlere Satzlänge« von bis zu 22 Wörtern als
Anhaltspunkt empfohlen. Vergegenwärtigt man sich die linguistischen For-
schungen zur Verarbeitung und zur Wahrnehmung von Sätzen (cf. z. B.
Clifton/Frazier/Rayner (hrsg.) (1994), Frazier/Clifton (1996), so lassen sich
über die Produktion leicht zu verarbeitender, strukturell nicht-ambiger Sätze
sehr viel konkretere Empfehlungen geben als ein Anhaltspunkt von 22 Wör-
tern.
Wichtige Aussagen, so heißt es in HdR §79, sollten »in die grammatisch
entscheidenden Stellen eines Satzes« gerückt werden, die der Ratgeber im
Subjekt oder Objekt des Satzes realisiert sieht, wobei die »Kernaussage«
möglichst am Anfang des Satzes stehen sollte. Diese Empfehlungen entbeh-
ren jeder theoretischen Einsicht in die Strukturpläne von Sätzen. Nicht nur,
daß Subjekt und Objekt keine Satzpositionen repräsentieren, offenkundig ist
die erste Position des deutschen Hauptsatzes als Subjektposition mißdeutet
worden. Der theoretische Hintergrund syntaktischer Ratschläge sollte zumin-
dest die Kenntnis der Struktur einer Verb-Zweit-Sprache umfassen. Mit dem
Hinweis, daß Nebensätze nach Möglichkeit nach dem Prädikat des Hauptsat-
108 Günther Grewendorf

zes stehen sollten, ist offenkundig an die Operation der Extraposition gedacht,
bei der Nebensätze in das Nachfeld gestellt werden. Nur: Das weiß der
linguistische Laie nicht, so daß er bei einem Verb-Zweit Satz wie (14), in dem
die rechte Satzklammer durch keinen Prädikatsteil besetzt ist, die Empfeh-
lung dahingehend mißverstehen muß, daß er den Satz wie in (15) formulieren
soll:
(14) Der Richter behauptete gestern in Berlin gegenüber dem Angeklagten
aus Potsdam, daß der Wagen gestohlen sei.
(15) Der Richter behauptete, daß der Wagen gestohlen sei, gestern in Berlin
gegenüber dem Angeklagten aus Potsdam.
Dieses Mißverständnis wird auch dadurch nicht aus dem Weg geräumt, daß
ein Beispiel mit einem infiniten Verb in der rechten Satzklammer und einem
extraponierten Relativsatz angeführt wird.
Überraschenderweise kommt in §83 HdR der einschlägige Fachterminus
aus der topologischen Theorie des deutschen Satzes vor: »Vielfach können
eingeschobene Satzglieder ins Nachfeld des Satzes oder in einen eigenen Satz
gestellt werden.« Diese Feststellung findet sich im Rahmen der Empfehlung,
die Satzglieder innerhalb der Satzklammern nicht zu umfangreich werden zu
lassen. Leider enthält der Satz (17), mit dem die bessere Formulierungsalter-
native zu (16) illustriert werden soll, keine rechte Satzklammer, so daß sich
der Laie vergeblich fragen wird, wo er das Nachfeld findet:
(16) Der Medizinische Dienst hat Maßnahmen zur Rehabilitation, Art und
Umfang von Pflegeleistungen sowie einen individuellen Pflegeplan zu
empfehlen.
(17) Der Medizinische Dienst empfiehlt Maßnahmen zur Rehabilitation…
Das unvermutete Eindringen linguistischer Fachterminologie in eine An-
sammlung linguistischer Trivialitäten oder Absurditäten findet sich auch in
den Fingerzeigen. In Abschnitt 1.8. über Wortstellung begegnet man in einem
Absatz über Pronominalisierung den Fachtermini »kataphorischer Gebrauch«
und »anaphorischer Gebrauch«, die man dem Leser zugunsten von etwas
einsichtigeren Empfehlungen zur Wortstellung besser erspart hätte. Nach der
einleitenden Feststellung, daß der Beginn eines Satzes häufig wie eine Über-
schrift wirke, womit sich die erläuternden Ausführungen über die Wortstel-
lung erschöpfen, ist zumindest der Linguist nicht mehr verwundert, wenn Satz
(19) als ein Beispiel für »gute Wortstellung« gegenüber (18) als offenkundig
schlechter Wortstellung empfohlen wird:
(18) Die Polizei konnte im Bahnhofsgelände gestern abend den lange ge-
suchten Betrüger festnehmen.
(19) Die Polizei konnte gestern abend den lange gesuchten Betrüger im
Bahnhofsgelände festnehmen.
Die sprachliche Pflege des Rechts. Linguistische Aspekte der Rechtsprüfung 109

Empfehlungen dieser Art scheinen von allen linguistischen Kenntnissen un-


berührt. Nirgends findet sich ein Hinweis, daß mit der Wortstellung bestimm-
te Funktionen verbunden sind, daß die Wahl der Wortstellung u. a. davon
abhängt, was man sagen möchte. Es scheint, daß die gesamte Literatur über
die »Topik-Fokus-Struktur« von Sätzen an jenen Sprachwissenschaftlern vor-
übergegangen ist, die bei dieser sprachlichen Pflege des Rechts Pate gestan-
den haben. Ansonsten hätte man eine Empfehlung für die Wortstellung in
einem Vorschriftentext z. B. an dem Unterschied zwischen (20) und (21)
illustrieren können:
(20) Der Mieter hat die Kosten für Schönheitsreparaturen zu übernehmen.
(21) Die Kosten für Schönheitsreparaturen hat der Mieter zu übernehmen.
Obwohl beide Sätze in gewisser Weise dasselbe besagen, fungieren sie als
Antworten auf ganz unterschiedliche Fragen. (20) ist eher eine Antwort auf die
Frage (22), während (21) eher als Antwort auf eine Frage der Art (23) fungiert:
(22) Welche Kosten kommen auf den Mieter zu?
(23) Wer hat die Kosten für Schönheitsreparaturen zu tragen?
Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die Feststellung, daß der »Personenfall«
vor dem »Sachfall« kommt (Fingerzeige Abschn. 1.8.) nur die halbe linguisti-
sche Wahrheit. Diese Generalisierung wird nämlich von Topik-Fokus-Aspek-
ten überlagert, was genau die gegenteilige Wortfolge notwendig machen kann
wie z. B. in (24):
(24) Hans kaufte das Eis seinem Sohn.
Um nicht mißverstanden zu werden: Ich plädiere nicht dafür, daß linguisti-
sche Fachterminologie oder linguistische Theorien in einen Ratgeber für die
Formulierung von Vorschriftentexten Eingang finden sollten. Ganz im Ge-
genteil, ich meine, daß linguistische Fachterminologie dort nichts zu suchen
hat. Ich plädiere aber stark dafür, daß die Empfehlungen, die dem linguisti-
schen Laien gegeben werden, auf der Basis theoretischer Erkenntnisse vorge-
nommen und von diesen Erkenntnissen bestimmt sein sollten.
Neben den theoretischen Streiflichtern, die unangemessenerweise und
darüber hinaus in nicht erklärter und fehlerhafter Form in die hier diskutierten
Anwendungstexte eingehen, wird bisweilen auch mit pseudotheoretischen
Kategorien gearbeitet, die offenkundig noch aus den animistischen Zeiten der
Sprachwissenschaft stammen. So findet sich etwa die Kategorie der »Stopf-
sätze« zur Bezeichnung von Sätzen, die mit zu vielen Satzgliedern »über-
frachtet« sind und daher das Kurzzeitgedächtnis überfordern.
Auf einer ähnlichen linguistischen Entwicklungsstufe sind die Ausfüh-
rungen über Aktiv und Passiv angesiedelt, die sich in HdR §87 und den
Fingerzeigen (Abschn. 1.2. und 6.5.) finden. In letzteren wird z. B. ange-
merkt, daß sich die »Unnötigkeit« einer passivischen Fügung dann erkennen
lasse, »wenn der Handelnde doch, meist mit Hilfe der Präpositionen in, von,
110 Günther Grewendorf

durch, seitens in Erscheinung tritt«. Man fragt sich in der Tat, warum natürli-
che Sprachen über derart unnötige Konstruktionstypen verfügen, die noch
dazu als »hölzern« und »trocken« (ibid.) anzusehen sind. Die Tatsache, daß es
Bedeutungsunterschiede zwischen Aktiv- und Passivkonstruktionen gibt, daß
mit diesen Konstruktionen unterschiedliche informationsstrukturelle Eigen-
schaften verbunden sind, die es bei der Formulierungswahl zu berücksichti-
gen gilt, scheint denjenigen entgangen zu sein, die bislang die sprachliche
Pflege des Rechts zu ihrer Sache gemacht haben.
In den HdR wird das Passiv etwas weniger metaphorisch charakterisiert,
aber auch hier wird empfohlen, aktivisch zu formulieren, wenn bei passivi-
scher Verbform der Hinweis auf den Handelnden mit einer Präpositionalphra-
se angeschlossen wird. Zur Illustration dieser Empfehlung wird angeführt,
daß man statt (25) besser die Formulierung (26) wählen sollte:
(25) Der Aufbau des Bundesamtes für Güterverkehr wird durch das Bundes-
ministerium für Verkehr geregelt.
(26) Den Aufbau des Bundesamtes für Güterverkehr regelt das Bundesmini-
sterium für Verkehr.
Wie will man diese Empfehlung dem Laien (und dem Linguisten) plausibel
machen? Hier waren offenkundig Sprachschurigler am Werke, die sachlich
vernünftige und fachlich fundierte »Sprachpflege« durch linguistische Ah-
nungen und idiosynkratische Stilpräferenzen ersetzen.
Die Hinweise zum Textaufbau beschränken sich auf Empfehlungen für
den Schulaufsatz: folgerichtiger Aufbau und klare Gliederung, übersichtliche
Aufzählungen, Weglassen von Überflüssigem, rhetorische Figuren. Die prak-
tischen Beispiele für die Tilgung von Überflüssigem entbehren jeder lingui-
stischen Plausibilität. Statt (27) solle man besser (28) formulieren und statt
(29) besser (30):
(27) Statt: Die Vorschriften der §§ 10 und 11 sind entsprechend anzuwenden.
(28) Besser: Die §§ 10 und 11 sind entsprechend anzuwenden.
(29) Statt: ohne die mit Rücksicht auf den Familienstand gewährten Zuschüsse
(30) Besser: ohne die Zuschüsse für den Familienstand
Ob die schlechteren Alternativen inhaltlich Überflüssiges enthalten, muss der
Jurist beurteilen. Linguistisch gesehen bestehen zwischen den jeweiligen
Alternativen jedenfalls semantische Unterschiede, für die man sich ohne
Schwierigkeit unterschiedliche juristische Konsequenzen vorstellen kann.

4. Fazit: Das Recht ist ungepflegt

Wenn die Sprachwissenschaft nicht mehr zu bieten hätte als das, was in den
hier besprochenen Empfehlungen zur sprachlichen Gestaltung von Rechts-
vorschriften Niederschlag gefunden hat, würden sich interdisziplinäre Projek-
Die sprachliche Pflege des Rechts. Linguistische Aspekte der Rechtsprüfung 111

te von Sprach- und Rechtswissenschaft erübrigen. Angesichts der vielfältigen


Rechtsbereiche, in denen anerkanntermaßen ein Bedarf an sprachwissen-
schaftlicher Kompetenz besteht, wäre eine solche Konsequenz aber ein sprach-
wissenschaftliches Armutszeugnis. Daß zu einem solchen de facto aber kein
Anlaß besteht, zeigt sich, wenn man die Forschungsergebnisse und -bereiche
der modernen Sprachwissenschaft zur Kenntnis nimmt.
Die moderne Phonetik spielt eine wichtige Rolle bei Autorschaftsnach-
weisen mit Hilfe von Stimmenidentifizierung. Daß Morphologie, Syntax und
Semantik für sprachliche Anforderungen an die juristische Formulierung
relevant sind, konnten selbst die intuitiven Empfehlungen der hier diskutier-
ten sprachlichen Ratgeber illustrieren. Ein mindestens genauso relevanter, für
Formulierungsvorschläge unerläßlicher Bereich hat in diese Ratgeber über-
haupt keinen Eingang gefunden: der Bereich der Pragmatik. Daß Empfehlun-
gen für die sprachliche Gestaltung von Gesetzen und Rechtsverordnungen
gegeben werden, in denen die Erkenntnis, daß mit sprachlichen Äußerungen
Präsuppositionen und Implikaturen verbunden sind, nicht den geringsten Nie-
derschlag findet, muß man mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen. Dabei sind es
gerade die Bereiche der Sprechakttheorie, der Präsuppositionstheorie und der
Theorie der konversationellen Implikaturen,10 die einen entscheidenden theo-
retischen Beitrag für die sprachliche Analyse der Entstehung, Auslegung und
Anwendung von Vorschriftstexten liefern.
Die vorliegenden Empfehlungen für das Formulieren von Rechtsvor-
schriften liefern ein unzureichendes Instrumentarium für die sprachliche Pfle-
ge des Rechts. Diese sprachliche Vernachlässigung des Rechts ist der Sprach-
wissenschaft zuzuschreiben. Es ist ihre Sache, auf die Relevanz ihrer Er-
kenntnisse für zentrale Probleme des Rechts aufmerksam zu machen und die
diesbezügliche Operationalisierbarkeit ihrer Theorien zu demonstrieren.11 Doch
zu selten findet die angewandte Wissenschaft das Interesse des Theoretikers.
Dies ist umso bedauerlicher, als es auch die Wissenschaft des Theoretikers ist,
deren Ruf durch unzureichende und inkompetente Vermittlung in angewand-
ten Bereichen in Mitleidenschaft gezogen wird.
Es gibt allerdings berechtigte Hoffnung, daß sich diese Situation ändern
wird. Seit einigen Jahren zeigt sich ein wachsendes Interesse der theoreti-
schen Sprachwissenschaft an interdisziplinären Problemen im Umkreis von
Sprache und Recht. Dieses Interesse belegen nicht nur zahlreiche Publikatio-
nen zu dieser Thematik (cf. z. B. Kniffka (hrsg.) 1990, 1996, Grewendorf
(hrsg.) 1992, Gibbons (hrsg.) 1994, Levi 1994, Nussbaumer 1997), es zeigt
sich auch an der zunehmenden Anzahl interdisziplinärer forensisch-linguisti-
scher Symposien sowie an der Einrichtung von Forschungsschwerpunkten

10 Zu einem Überblick vgl. Grewendorf/Hamm/Sternefeld (1987).


11 Zur juristischen Relevanz der theoretischen Linguistik cf. Grewendorf (1990),
Kniffka (2000).
112 Günther Grewendorf

zum Thema Sprache und Recht. So hat sich z. B. an der Berliner Akademie
eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe konstituiert12, die sich auf der Basis von
drei Bedingungen mit der Sprache des Rechts auseinandersetzt: (a) interdiszi-
plinäre Kompetenz aus den Bereichen der Rechtswissenschaft, der Sprach-
wissenschaft, der empirischen Sozialforschung und der experimentellen Sprach-
psychologie, (b) empirische Validierung sprachlicher Hypothesen über Text-
eigenschaften (wie z. B. Verständlichkeit oder Ambiguität), (c) theoretische
Fundierung anwendungsbezogener Aussagen. Diese Arbeitsgruppe befaßt sich
mit drei Projekten: der Entstehung von Gesetzestexten, den sprachlichen
Spielräumen der Gesetzesauslegung und den rechtlichen Anforderungen an
die Sprache wie sie durch das Transparenzgebot und das Gesetz über den
Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen gegeben sind.13
Wie notwendig Projekte dieser Art sind, sollten die vorangehenden Aus-
führungen unterstreichen. Es bleibt zu hoffen, daß sich ihre Ergebnisse nicht
nur in den einschlägigen Fachzeitschriften niederschlagen sondern auch in
praktischen Anleitungen, wie sie nicht nur der Redaktionsstab im Deutschen
Bundestag für seine sprachliche Prüfung von Rechtsvorschriften sondern
auch das Bundesministerium für Justiz für seine nächste Auflage des Hand-
buchs der Rechtsförmlichkeit zugrundelegen kann.

Summary

Amending legal language. Linguistic aspects of law checks


Federal laws in Germany must by law be checked for their linguistic form.
They should meet various criteria such as clarity, brevity, transparency and
similar ones. The Handbuch der Rechtsformlichkeit [Handbook of the formal
side of the law], edited by the Federal Minister of Justice in 1999 (revised in
1999), transforms these general requirements into concrete recommendations.
In the present article, it is demonstrated that these recommendations as well as
the ensuing practice of legal checks are highly unsatisfactory. They are
largely ad hoc and rather reflect a strange mixture of purism and peculiar
stylistic preferences than solid linguistic arguments. It is however, not so very
much the law makers that deserve to be blamed here but the linguists who
were unable to give the appropriate support to the law makers.

12 Interdisziplinäre Arbeitsgruppe »Spache des Rechts. Vermitteln, Verstehen, Ver-


wechseln«.
13 Zum Transparenzgebot cf. Schwintowski (1998); zum Gesetz über den Schutz von
Marken cf. Becher (1996).
Die sprachliche Pflege des Rechts. Linguistische Aspekte der Rechtsprüfung 113

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