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Riesenqeschosse aus dem Weltraum

Im letzten UTOPIA-Band war von den Meteoriten die


Rede – das sind kleine Steinchen, die mit ungeheuren
Geschwindigkeiten durch den Weltraum rasen. Wenn
sie in die irdische Lufthülle einschießen, werden sie
durch die Reibung glühend. Meist versprühen sie da-
bei, doch fallen auch zuweilen Meteorsteine auf den
Erdboden nieder.
Es sind Fälle bekanntgeworden, in denen Blöcke
von gewaltiger Größe „vom Himmel gefallen“ sind
und große Krater in die Erde geschlagen haben. 14
solcher Meteorkrater sind bisher auf der Erde gefun-
den worden. Schon seit langem ist der Krater im Ca-
non Diablo (Arizona) bekannt, den vor ca. 5 000 Jah-
ren ein Eisenblock von rund 5 000 Tonnen Gewicht
und über 100 Meter Durchmesser, der aus dem Welt-
raum herniederfuhr, in den Boden bohrte. Der größte
Meteorkrater – im Jahre 1950 von dem Prospektor F.
W. Chubb entdeckt – liegt im Norden Kanadas, in der
Nähe der Hudson-Straße. Er ist kreisrund und hat ei-
nen Durchmesser von 3 220 Meter.
Wenn auch nicht jeder Riesenmeteorit so aufregen-
de Folgen hatte wie jener, von dem das vorliegende
UTOPIA-Heft erzählt, so ist doch bereits gewaltiger
Schaden durch solche Weltraumgeschosse entstanden.
Der Meteorit, der am 30. Juni 1908 über Sibirien nie-
derging, erschlug Schafherden und vernichtete Hun-
derte von Quadratkilometern Urwald. Wir können von
Glück sagen, daß diese kosmischen Riesengeschosse
nur sehr seltene Erscheinungen sind, und daß sie bis-
lang nur in dünnbesiedelten Gebieten niederstürzten.
Abenteuer in Alaska

von Alf Tjörnsen

Der Blizzard raste …


Und weit in der Ferne heulte ein Hund. Verloren und traurig
hörte es sich an unter dem grauen Himmel, der so tief über der
Schneedecke hing, daß er die Hügelketten verschluckte, die im
Süden lagen.
Zwei Männer kämpften sich mit ihrem Toboggan durch diese
entfesselte weiße Hölle. Der eine trat die Spur für den Schlitten.
Als der Sturm die Lautfetzen des Hundegebells an sein Ohr
trug, hielt er inne und trat zu seinem Gefährten, der hinter dem
Schlitten ging.
„Kelly – hast du gehört?“
„Als wenn der Teufel Saxophon bläst“, grinste der andere unter
seiner verschneiten Vermummung und ließ die Hundeleine nieder-
klatschen, denn die Huskies wurden aufsässig. „Wölfe – Dare?“
Dare Slinn von der US.-Nordland-Polizei schüttelte den
Kopf. „Glaube ich nicht. Es könnte höchstens ein Einzelgänger
sein.“
„Aber – wo Hunde sind, sind auch Menschen, wie?“
„Eben. Und die möchte ich mir gern mal ansehen.“

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Kelly Short fluchte innerlich. Er hatte genug von der wochen-
langen Fahrt durch die Einöden Nordalaskas – er sehnte sich
nach der Wärme von Crane’s Hotel in New Oregon und nach
einer ansehnlichen Pokerpartie mit den Jungen.
„Wenn wir Kurs halten, haben wir in 12 Stunden diese ver-
rückte Reise hinter uns, Dare.“
Doch der Sergeant stapfte bereits in der Richtung davon, aus
der das Hundegeheul gekommen war. Er trat wieder die Spur in
den tiefen Schnee und schien sich nicht um das Toben der ent-
fesselten Elemente zu kümmern. Kelly Short mußte folgen, aber
er wurde wild dabei.
„He – Dare – du Schneegespenst …!“
Sergeant Slinn wandte seinen Kopf, und Kelly riß seinen
breiten Mund so weit auf, daß ihm die Lippen sprangen.
„Hallo, Dare – mach keinen Unsinn …!“
Der Sergeant winkte unwillig ab. Er hatte einen harten Schä-
del und konnte es auf den Tod nicht leiden, wenn in seinem Be-
zirk, der größer war als die Schweiz, etwas Geheimnisvolles
geschah. Und die Burschen, die sich dort hinten im wildesten
Schneesturm seit Einbruch des arktischen Winters herumtrie-
ben, hatte etwas zu verbergen – darauf wollte er Gift in jeder
Menge nehmen.
Kelly hütete sich, seine Atmungsorgane weiter anzustrengen.
Der Blizzard nahm noch zu. Fein war der Schnee, der flach
über die Ebene heranraste. Er faßte die Männer von unten, und
wer hier einmal schlapp machte, konnte getrost ein letztes Ge-
bet sprechen. Und immer dunkler wurde es. Die Phosphorzeiger
der Armbanduhr glitten auf die zweite Nachmittagsstunde. Aber
was wollte das schon besagen …
In New Oregon dampften jetzt die Teegläser, und die
Schnapsflasche kreiste. Warum mußte sich auch der Hund da
hinter dem grauen Vorhang der Dämmerung bemerkbar ma-
chen?

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Immer weiter stapfte der Sergeant – ruhig waren die Bewe-
gungen seines vorgestreckten Körpers. Man sah ihm nicht die
ungeheure Strapaze seiner Arbeit an. Aber die Huskies wurden
langsamer – die armen Biester.
Kelly hielt mit einem Ruck die Tiere an und feuerte seine
schwere Dienstpistole ab.
Blitzschnell drehte sich der Mann vor ihm und jagte im joh-
lenden Schnee heran.
„Zum Teufel – was hast du?“
Kelly konnte nicht mehr. Er war fertig.
„Ich bin kein Schwächling“, keuchte er. „Aber was du vor-
hast, ist Selbstmord. Willst du direkt in die Hölle fahren?“
Der starke Mann war so erschöpft, daß er sich auf den Schlit-
ten stützen mußte. Dare legte ihm die Hand auf die Schulter. Er
hatte seinem Kameraden zu viel zugemutet.
„Der Blizzard kann gleich vorbei sein“, tröstete er ihn unbe-
holfen. „Stärke dich erst mal.“ Sie standen im Schutz des hoch-
beladenen Schlittens. Um sie war nichts als die weiße Tundra.
Irgendwo – weit, weit im Osten – mußte sie in das erstarrte
Eismeer übergehen.
Kelly tat einen tiefen Schluck. „Die Huskies, Sergeant“, sagte
er besorgt.
Die Hunde hatten sich eng aneinandergedrückt und duckten
sich tief unter der Gewalt des heranrasenden Schnees. Der Ser-
geant wollte gerade um den Schlitten herumgehen, als plötzlich
das wütende Johlen stockte.
„Gott sei’s gepfiffen“, atmete Kelly auf.
Dann geschah etwas Unheimliches.
Es wurde still. So still, daß es die Ohren schmerzte – daß die
Männer unwillkürlich die Hände vor sich hielten, als müßten sie
einen unsichtbaren Feind abwehren.
Und hell wurde es …
Aber es war nicht das Leuchten des Sternenhimmels, das nun

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über sie hereinbrach. Die grauzähe Wolkendecke wurde aufge-
rissen – ein großes, grünes, giftstrahlendes Phantom raste herab –
fauchte schräg über ihren Köpfen dahin …
„Dare – die Welt geht unter!“
Der gute Kelly war abergläubisch, wie viele hier im hohen
Norden. Die Huskies fuhren heulend aus ihrer geduckten Lage
auf, und die Männer mußten in die Seile greifen.
„Halten – sie gehen durch!“
„Dahinten – im Süden!“
Auf die Hügelkette zu, die gespenstisch in der jähen grünen
Helle aufleuchtete, raste das rätselvolle Ding. Wie ein riesiger
Edelstein funkelte es in der Luft. Dann verschwand es.
„Ein Meteor, Kelly!“
Mit weitaufgerissenen Augen starrte der Gehilfe des Serge-
anten auf das Wunder.
Was aber vermochten Menschenaugen von der tatsächlichen
Beschaffenheit dieses Phantoms zu erkennen?
Es war wohl eine geschlossene Masse, die da durch die auf-
heulende Luft auf die Hügelkette zuraste. Aber einige Meter
über dem felsigen Boden sprang sie mit dem donnernden Ge-
brüll von tausend Riesen auseinander – in viele Teile.
Diese hieben in den Fels.
Die Erde bäumte sich auf unter der Wucht des Zusammen-
stoßes. Der Fels sprang auseinander. Für Bruchteile einer Se-
kunde schwebte ein Wirrwarr von hochgeschleuderten Felsbro-
cken im Umkreis von mehreren Meilen in der Luft.
Die Erde aber erbebte.

Das Beben war so stark, daß abermals der Fels aufgerissen


wurde. Wo es sich fortpflanzte, wurden die vereinzelt stehenden
Birken und Erlen wie dünne Hölzer geknickt.

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Die ganze Hügelkette entlang lief das gewaltige Beben. Bis
es in New Oregon eindrang.
New Oregon hatte einige hundert Einwohner und wäre wohl
nie entstanden, wenn nicht vor gut 50 Jahren ein Mann aus
Oregon in den Staaten in dieses gottverlassene Land gekommen
wäre, um Gold zu suchen. Er war nicht der einzige; denn die
Suche nach diesem wertvollen Metall war hier nicht von vorn-
herein aussichtslos. In dem weiten Gebiet zwischen den Brooks
und der endlosen Tundra im Norden, das durch die Hügelkette
und den kleinen, aber im späten Frühjahr reißenden Silver River
abgegrenzt war, wurden tatsächlich goldhaltige Erzlager in ver-
schiedener Mächtigkeit gefunden.
Der Mann aus Oregon blieb auch, als seine Claims ausgebeutet
waren und sein Bankkonto eine beachtliche und beruhigende
Höhe erreicht hatte. Er ließ die Gefährten seiner Abenteuerjahre,
die nicht seine gute Nase gehabt hatten, Pelztiere jagen und im
Silver River köstliche Lachse fangen und wurde so der Begründer
dieser Ansiedlung, die er New Oregon taufte.
Als das Beben den Ort erreichte, stand der alte Patrick
O’Connor vor der Tür seines Häuschens und sah in das plötz-
lich still gewordene Wetter. Er war der erste, den die unsichtbare
Faust der Unterirdischen packte und in das Wohnzimmer zu-
rückwarf.
Sekunden später brach in Cranes Hotel die Hölle los.
Aline Crane hatte dem schönen Mister Andrews gerade einen
doppelten Whisky eingeschenkt und lächelte ihn mit ihren
schneeweißen Zähnen freundlich an.
„Wer sagt Ihnen denn, Henry, daß zwischen Sergeant Slinn
und mir etwas sein soll?“
Mister Andrews – er mochte etwa 35 sein und lebte seit eini-
gen Monaten in der Siedlung – nahm das Glas und hielt ihre
Hände fest. Hinter ihnen im Schankraum stießen die Jungen
sich grinsend an und sahen von ihren Spielkarten auf. Die

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Azetylenlampen zischten in den blauen Dunst aus Pfeifen- und
Zigarettenqualm.
„Aline“, sagte er leise mit seiner wohlklingenden, warmen
Stimme. „Glauben Sie mir, ich bin in manchen großen Städten
gewesen – ein Mann, der, wie ich, das Leben in seinen Romanen
einfangen will, muß sich umsehen – aber eine so schöne Frau
wie Sie, Aline, habe ich nirgendwo getroffen.“
Sie spürte, wie ihr das Herz rascher schlug. „O Henry – Sie –
Sie …“
„Pardon!“ Paul Barnas, der Postflieger, kletterte schwerfällig
neben Mister Andrews auf einen der klobigen Barhocker. „Wie
wäre es mit einem Black and White, Miß Crane?“
Aline sah ihn böse an und langte schweigend hinter sich. And-
rews trank gleichgültig seinen Whisky. Als das Mädchen dem
Flieger eingeschenkt hatte, verzog er das hagere Gesicht zu einem
geringschätzigen Lächeln. „Habe wohl gestört, Miß Crane? Tut
mir leid. Bin aber der Meinung, daß es für anständige junge Da-
men besser wäre, sich nicht mit diesem Schwätzer einzulassen.“
Andrews fuhr auf. Sein Glas rutschte über die Theke. „Ich
nehme nicht an, daß Sie mich damit meinen?“
Barnas räusperte sich genießerisch, als ihm das scharfe Zeug
in der Kehle brannte. „Wen denn sonst?“
Mit einem Ruck packte Andrews den Flieger an seinem
grellbunten Mackinaw. Aber der hielt seinen Arm fest.
„Nun?“ grollte er gelassen. Es wurde beängstigend still im
Schankraum. Die Jungen rieben sich die Hände.
Wütend zerrte der schöne Andrews in dem Griff des Fliegers.
Aline sah angstvoll zu und hoffte im stillen, ihr Vater möge ein-
treten.
„Kommen Sie raus!“
„Bin nicht für Schneeballschlachten“, grinste der Flieger.
„Wenn Sie aber bestätigt haben wollen, daß ich Sie für einen
Schwätzer halte, will ich es Ihnen gern schriftlich geben.“

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Das machte den Romanschreiber maßlos. Während er sich
jedoch mit einem Wutschrei auf den anderen stürzte, wurde ihm
der Barhocker unter dem Hosenboden fortgerissen. Das Erdbe-
ben rollte heran. Es wischte die Spannung der auflodernden
Auseinandersetzung mit einem scharfen Ruck beiseite, der alles
durcheinanderwarf.
Die Männer rissen sich im Fallen gegenseitig über die Theke,
hinter der Aline in einen Gläserschrank taumelte.
Die Hölle brach los.
„Warschau!!“ rief einer der Jungen, die sich unter den umge-
stürzten Tischen wiederfanden und die Außenwände mit wider-
lichem Seufzen sich verschieben hörten. „Raus – Leute!“
„Die Lampe!“ gellte ein anderer Ruf. Eine der Azetylenlam-
pen plumpste von der niedrigen Decke herunter und zersprang
mit scharfem Knall am Boden. Eine Stichflamme loderte auf
und flackerte wild und gierig hin und her. Der Flieger warf sich
von der Theke herab und löschte mit zwei anderen das Feuer.
Aus einem Nebenraum kam der dicke Berry Crane herbeige-
stürzt.
Auch Henry Andrews kam wieder zu sich.
Er sah das Mädchen mit blutender Stirn neben dem Gläser-
schrank liegen. Aber er hatte andere Sorgen. Er war kein Feig-
ling. Was ihn veranlaßte, von der Theke herab auf eines der
Fenster zuzustürzen, das offen, mit zerbrochenem Rahmen
gähnte, und sich – bevor die anderen heran waren – in den tie-
fen Schnee fallen zu lassen, war nicht Angst.
Hinter ihm brodelte die Erregung weiter.
Henry Andrews raffte sich auf und rannte die Ortsstraße ent-
lang. Er war vorsichtig genug, sich in der Mitte zu halten; denn
der Boden bäumte sich immer wieder auf. Er rannte mitten in
die Panik hinein, die aus allen Häusern hervorbrach.
„To help – to help!“ kreischte rechts von ihm eine Frauen-
stimme. Ein Krachen und Gepolter – der morsche Kasten von

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Mrs. Snider war einmal gewesen. Andrews sprang zur Seite, als
die Steine durch die eisige Luft flogen. Unter den Trümmern
verröchelte die Frauenstimme.
Weiter federte der Mann.
Was scherte ihn eine alte Frau? Er hatte anderes zu tun. Im-
mer noch rüttelten die Titanen der Unterwelt den kleinen Ort.
Aufgescheuchte Männer und Frauen rannten planlos die halb-
finstere Ortsstraße entlang. Vom Haus des Sheriffs her heulte
die Sirene der Freiwilligen Feuerwehr durch den Aufruhr. Ir-
gendwer mochte auf den roten Knopf gedrückt haben. Als wenn
die Feuerwehr die Gewalt der Natur brechen könnte.
Henry Andrews hatte ein bestimmtes Ziel – ein kleines, un-
scheinbares Haus am Ortseingang, ein Blockhaus, das nur wi-
derwillig in seinen Balken erzitterte. Davor stand ein älterer,
untersetzter Mann in offenem Pelzparka und starrte in den
Nordhimmel. Das Beben ließ nun merklich nach und verebbte
langsam.
„Hallo, Jack – hast du die Pläne?“
Der Mann im Pelzparka sah sich nicht einmal um. „Evening,
Henry“, sagte er gleichmütig. „War’n Schreck in der frühen
Abendstunde, wie? Die Pläne sind nicht verlorengegangen, old
fellow. Was macht die blonde Aline – mit heilem Köpfchen
davongekommen? Sieh mal – dort über dem Great Bering
Hill!“
Der Große Bering-Hügel war natürlich nicht zu erkennen,
aber sie wußten, wo er in der hereinbrechenden Dunkelheit lag.
Henry Andrews stieß einen Ruf grenzenloser Überraschung aus.
Dort wuchs ein Pilz gegen den niedrigen Schneehimmel –
ein grüner, schlanker Pilz, der langsam und feierlich aus der
Hügelkette emporwuchs und größer wurde.
„Mein Gott“, würgte Andrews. „Was ist das?“
„Von dort kam das Beben“, sagte der Mann namens Jack ruhig.
„Was bedeutet das, Andrews?“

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Wie ein mächtiges Fanal flammte der Pilz über der Hügelkette.
Fremd und bösartig – schön und voll drohenden Grauens. Tau-
sende Meilen weit war er zu sehen.
In New Oregon war das Beben verebbt. Dafür klangen die
Schmerzensschreie der Verletzten. Aber die Erde war wieder
ruhig, und ein Dankgebet kam über viele Lippen. Da wuchs der
schauerliche, brennende Pilz am dunklen Horizont empor. In
seinem Widerschein wurden die Dächer der stehengebliebenen
Häuser von einem fahlen Grün überzogen, und die angstge-
zeichneten Gesichter der Menschen sahen gespenstisch und
unwirklich aus.

Irgendwo mitten in der Tundra standen zwei Männer an ihrem


Toboggan. Kelly Short hielt die wimmernden Huskies, und der
Sergeant bediente den Kurzwellensender.
„Hallo – hier Polizeistreife Slinn – hallo, hallo …“
Die Meldung ging über Fairbanks nach Juneau, von dort direkt
an das Bundespolizeiamt in Washington, wo man sie beachtlich
genug fand, sie dem Staatlichen Atom-Territorium zur gefälli-
gen Benutzung auf den Tisch zu legen.
Generaldirektor Cunningham sah leicht verärgert auf, als
sein Privatsekretär Shilling auf unhörbaren Sohlen an den
Schreibtisch trat. Seine Havanna schmeckte ihm nach den Auf-
regungen um den Riesenkometen noch nicht wieder, und er
grübelte oft minutenlang darüber nach, was das zu bedeuten
habe. Gutes bestimmt nicht.
„Schon wieder was Neues, Shilling?“ knurrte er.
„Eine Meldung des Bundespolizeiamtes in Washington.“
„Äh?“ Cunningham nickte seiner Havanna zu, die erkaltet im
Ascher lag. „Da haben wir es. Geben Sie her.“
Umständlich entfaltete er den Meldestreifen. Sein Gesicht

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wurde scharf, als er las, daß in einer Hügelkette in Alaska ein
riesiger Meteorit niedergegangen sei und ein mittelschweres
Erdbeben verursacht habe, und daß über den Hügeln eine atom-
pilzartige Erscheinung stehe.
„Atompilz?“ schüttelte er den Kopf. „Und Meteorit? Haben
Sie die Meldung gelesen, Shilling?“
„Gewiß, Sir.“
„Nun – und …?“
Shilling verneigte sich achtungsvoll. „Wenn ich mir die Be-
merkung erlauben dürfte – es könnte vielleicht ein Brocken von
dem Kometen sein.“
„Machen Sie keine Witze.“
„Es ist nur eine Vermutung, Sir.“
„Ahem.“ Nachdenklich sah der Allmächtige des S. A. T. in
das durchgeistigte Gesicht seines Vertrauten. „Ausgeschlossen
wäre es nicht. Aber dann könnten wir uns auf allerhand Überra-
schungen gefaßt machen.“
„Man müßte eine Kommission nach Alaska entsenden.“
„Das ist selbstverständlich. Für alle Fälle wollen wir jedoch
Kommodore Parker eine Mitteilung zukommen lassen. Haben
Sie seine letzte Position?“
„Sie ist mir nicht bekannt, Sir. Aber wir stehen in Dauerver-
bindung mit ihm. Er ist mit Mister Wernicke auf Versuchsflug
über dem Südpazifik.“
„Arme Teufel. Kaum sind sie dem Kometen entronnen, er-
proben sie schon unseren neuen Raketenjäger.“ Er reichte dem
Sekretär das Papier wieder hin. „Geben Sie die Meldung an den
Kommodore durch.“
„All right!“
Ted S. Cunningham steckte sich nun doch die Havanna an.
Tief in den mächtigen Sessel zurückgelehnt, ließ er den aroma-
tischen Rauch der Zigarre seinen Gaumen kitzeln. Aber – bei
allen Planeten! – sie wollte und wollte nicht schmecken.

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*

Wenn der wohlbeleibte Generaldirektor mit der Gabe des Hell-


sehens gesegnet gewesen wäre, hätte er seine Zigarrenkiste ge-
nommen und sie im untersten Fach seines Schreibtisches einge-
schlossen. Denn was nun geschah, konnte auch stärkste Männer
umwerfen.
In New Oregon hatte man nicht lange über die ferne grüne
Flamme diskutiert. Das Ding sah ja schaurig genug aus, aber
die zerstörten Häuser, die tote Mrs. Snider und vier Schwerver-
letzte waren zunächst wichtiger. Paul Barnas, der Postflieger,
wagte trotz eines drohenden neuen Schneesturms den Flug mit
den Verletzten nach Fairbanks. Man sah ihm nach, wie sein
Helicopter mit bunten Positionslampen im grünen Schein der
drohenden Flamme verschwand.
„Betet, ihr Brüder!“ ließ sich die zittrige Stimme des alten
Patrick O’Connor vernehmen, der zu den ,Auserwählten des
Paradieses’ gehörte. „Schwere Prüfungen kommen über uns!
Seht ihr die Zuchtrute des Himmels?“
„Altmodisches Geplapper“, lachte Henry Andrews verächt-
lich, der mit Jack und Aline Crane zusammenstand. „Das sind
irgendwelche radioaktive Strahlen und sonst …“
Der Mann namens Jack stieß ihn an. Mit einem furchtbaren
Husten unterbrach er sich. Der alte Patrick legte ihm die Hand
auf die Schulter.
„Siehst du, mein Bruder! Wer glaubt, den Himmel lästern zu
können, spürt seine Warnung.“
„Und ich spüre Durst“, meinte einer von den jungen Pelzjä-
gern trocken.
„Sind bei Ihnen noch Gläser heil geblieben, Miß Crane? Ich
muß dann nachher meiner Mutter helfen.“
„So ist es recht!“ Sheriff Welton, ein ruhiger, starker Mann,

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trat in die Mitte. „Bürger! Ich weiß nicht, ob Old Patrick recht
hat, wenn er von der Zuchtrute des Himmels spricht. Bin nicht
so religiös angehaucht wie er. Aber es kann nicht schaden,
wenn wir angesichts des schweren Unglücks, das uns getroffen
hat, und der seltsamen Flamme dort drüben über dem Great Be-
ring Hill die Lage mit dem nötigen Ernst betrachten. Mir wurde
eben mitgeteilt, daß eine Kommission des Staatlichen Atom-
Territoriums von den Staaten herüberkommt, um diese Erschei-
nung zu untersuchen. Und nun wollen wir an unsere Arbeit ge-
hen.“
Die Leute gingen schon von selbst auseinander, um bei sich
zu Hause nach dem Rechten zu sehen; denn es gab wohl in der
ganzen Siedlung kein Haus, das noch heile Wände hatte. Man
mußte sich jetzt rühren und zusammenstehen.
„Wenn nur der Schneesturm nicht wiederkommt“, sagte Aline
besorgt, als sie mit dem schönen Mister Andrews und Jack zum
Hotel hinüberging. „Ein paar Tage lang brauchen wir jetzt klares
Wetter, um die größten Schäden auszubessern. Aber das inte-
ressiert Sie wohl nicht, Henry?“
Andrews zuckte zusammen. Sein Gesicht war finster, seit der
Sheriff den Namen des S.A.T. ausgesprochen hatte, und seine
Gedanken waren weit weg.
„Selbstverständlich interessiert es mich“, beeilte er sich zu
versichern. „Der Gemeinschaftsgeist des Nordlandes muß jetzt
alle Not überwinden.“
„Er ist wirklich ein Schwätzer“, meinte einer der Jungen, die
hinter ihm gingen. Andrews hörte es nicht.
„Aline – darf ich Sie nachher einmal unter vier Augen spre-
chen?“ fragte er leise.
Sie sah ihn erstaunt an – aber das dumme Herz wurde ihr
wieder unruhig, und ihr Gesicht brannte. Sie antwortete nicht,
aber er verstand sie auch so.
Die Schäden in Cranes Hotel waren zum Glück nicht sehr

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groß. Das Haus war wohl besonders stabil gebaut. Heile Gläser
gab es noch, und heile Flaschen auch. Vater Crane war bereits
fleißig gewesen – die Tische standen wieder in Reih und Glied,
die Fenster waren notdürftig geschlossen und abgedichtet.
„Dare Slinn muß bald zurück sein“, sagte er laut, nachdem er
den Gruß der Eintretenden erwidert hatte. „Wir wollen ihm einen
Tisch frei halten, Aline.“
„Gewiß“, antwortete sie gleichgültig, während Andrews ihr
aus dem schweren Mantel half. Mit lautem Gepolter nahmen
die Jungen Platz, die noch rasch einen hinter die Binde gießen
wollten. Die ersten Bestellungen schwirrten durch die warme
Luft.
Crane schien es nicht gern zu sehen, daß Andrews sich um
seine Tochter bemühte. Er konnte den überaus höflichen Bur-
schen nicht riechen. Außerdem stellte er sich unter einem
Schriftsteller irgend etwas ziemlich Unfeines vor. „Dare wird
sich freuen, daß dir nichts geschehen ist, Aline“, fuhr er fort.
Die Gäste verstanden, wie es gemeint war. Aline auch.
„Laß doch solche Redensarten!“ verwies sie ihn scharf, als sie
neben ihrem Vater hinter der Theke stand. „Die Leute könnten
ja meinen …“
Eifrig polierte er die Gläser, daß sie unter dem weichen Tuch
aufsangen. „Sollen sie ja auch“, schmunzelte er. „Besser, als
wenn sie …“
„Als wenn sie was?“ Mit blitzenden Augen stand sie vor
ihm. Es war gut, daß ein mächtiger Schrank sie den Blicken der
durstigen Männer entzog. „Was, Vater …?“
Gelassen hielt er ihrem Blick stand.
„Als wenn sie dich mit diesem Angeber von Romanschreiber
zusammen sehen“, sagte er ruhig.
„Sie werden mich mit ihm zusammen sehen – verlaß dich
darauf!“ Zornig über die Bevormundung, band sie ihre Schürze
um, ging nach vorn, nahm das große Tablett und bediente.

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Ostentativ brachte sie zuerst Henry Andrews seinen teuren
Chicagoer Whisky. Dabei lachte sie ihn wieder so herausfor-
dernd an, daß die anderen Jungen vor Neid das Zucken in den
Fäusten bekamen. Der schöne Henry goß das edle Feuerwasser
hinunter, als wenn es der billigste Fusel wäre.
„Wollen wir tanzen, Aline?“ fragte er.
Die Männer murrten. Draußen lag die tote Mrs. Snider. Doch
daran dachte Aline nicht. Sie warf den Kopf in den Nacken.
„All right, Henry – wir wollen tanzen.“ Sie ging an den
Empfänger und schaltete den Plattenspieler ein. „Deine Blicke
sind heiß, wie Nächte im Sommer“, wimmerte ein Negersänger.
Aber ein donnerndes „Halt!“ ließ sie zusammenzucken.
Vater Crane stand hinter ihr. „Was soll das?“ herrschte er sie
an.
„Wir wollen tanzen.“
„Wer – alle die Gentlemen, die unsere Gäste sind?“
„Mister Andrews und ich“, trotzte sie ihm mit jagendem
Herzen. Vater Crane kannte sein Kind genau. Ruhig schaltete er
den Apparat ab.
„Wir haben eine Tote in der Siedlung, Kind. Und hinter uns
liegt ein schweres Unglück.“
Schweigend wandte sie sich ab und setzte sich zu Henry
Andrews. Sie wußte vor Beschämung nicht, was sie tun sollte.
Aber ihr Dickkopf verbot es ihr, einfach den Raum zu verlas-
sen.
„Verzeihen Sie, Henry“, bat sie. „Es tut mir leid, daß mein
Vater – daß Sie bei uns eine so peinliche Szene erleben mußten.“
Seine Hände tasteten nach ihren Armen. „Aline“, sagte er leise,
„ich muß morgen in aller Frühe nach Fairbanks.“
„Nach Fairbanks“, stieß sie fassungslos hervor. „Aber das
sind über 180 Meilen – und Sie müssen über den Yukon.“
„Ich muß hin, und ich weiß auch nicht, wann ich wieder-
komme. Wollen Sie mich begleiten?“

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Sie schüttelte den Kopf. Daß er New Oregon verlassen wollte,
und noch dazu so plötzlich, stimmte sie traurig. „Sie können
doch nicht Hals über Kopf eine solche Reise antreten – unter
diesen Umständen.“
„Mein Motorschlitten wird sich schon durchkämpfen. Und er
trägt zwei Personen. Nun, Aline .?“
„Ich kann meinen Vater nicht allein lassen.“
„Möchten Sie nicht in die große Welt – heraus aus diesem –
verzeihen Sie – Nest?“
„O ja“, rief sie begeistert aus, um dann wieder betrübt zur
Theke hinüberzusehen, wo Vater Crane gelassen herumhantierte.
„Aber, ich weiß nicht, ob es so plötzlich geht.“
Sie achteten nicht darauf, daß die schwere Tür geöffnet wurde
und zwei Angehörige der U.S.-Nordland-Polizei eintraten.
Andrews betrachtete mitgerissen das schöne, klare Gesicht des
blonden Mädchens, dessen leidenschaftliche Zuneigung ihm
schmeichelte. „Aline“, sagte er leise und zärtlich, „ich – liebe …“
„Oh!“ Sie fuhr auf und starrte den Mann an, der vorsichtig
hinter Andrews getreten war. Es war Sergeant Dare Slinn. „Was –
was wünschen Sie?“
„Ich habe guten Abend gewünscht.“ Seine scharfen Augen
betrachteten ironisch die kleine intime Szene. „Aber die Herr-
schaften waren so mit sich allein beschäftigt, daß sie meinem
Gruß keine Beachtung schenkten.“
Andrews erhob sich mit einem Ruck. „Verzeihung, Sergeant –
aber es gibt ein gewisses Taktgefühl …“
„Gehen Sie, Dare“, drängte Aline.
„Ich möchte von Ihnen keine Vorträge über gute Umgangs-
formen“, antwortete Dare Slinn kühl. „Wie Sie an meiner Uni-
form sehen, bin ich im Dienst.“
Der schöne Henry hielt die Stuhllehne mit zuckender Faust
umklammert. „Seit wann ist es üblich, daß die Polizei freie
Bürger stört?“

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Der Sergeant beachtete ihn nicht weiter. „Ich möchte dich
sprechen, Aline.“
„Bitte.“
„Du bist als Krankenschwester ausgebildet?“
„Gewiß – ist etwas geschehen?“
Neugierig drängten sich die Jungen heran. Auch Vater Crane
kam mit einem Poliertuch herbei. Dare nickte.
„Als Short und ich von der Streife zurückkamen, sahen wir
am Ortsausgang den alten Patrik stehen. Er stand sehr still und
schien in die Betrachtung des grünen Flammenpilzes versunken
zu sein. Als wir heran waren, fiel er um. Er ist gelähmt. Wir
haben ihn in sein Haus gebracht, und ich glaube, es wäre gut,
wenn du mitkommen würdest. Wir haben keinen Arzt am Ort.“
Ohne auf ihre Antwort zu warten, wandte er sich um und
ging auf die Tür zu. Schweigend folgte sie ihm. Unschlüssig
sah Henry Andrews den beiden nach. Die Jungen standen betre-
ten herum.
„Old Patrick gelähmt? Ob das von dem strahlenden Teufels-
ding da drüben kommt? Andrews, Ihr seid doch ein gebildeter
Mann.“
Andrews antwortete nicht. Nachdenklich nahm er wieder
Platz. Aber er dachte nicht mehr an Aline.

Während Dare Slinn und seine Jugendfreundin wortlos durch


den tiefen Schnee stapften, meldete sich Jim Parker in Orion-
City zurück.
„Nehmt Platz, Boys“, knurrte Cunningham wohlwollend.
„Durst, Wernicke?“
„Durst?“ echote der erschöpfte Steuermann. „Wie können
Sie nur so fragen, Cunningham. Her mit Ihrer Feuerwehr!“
Sie labten sich, und der Kommodore wartete gespannt auf

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einen ausführlichen Bericht seines allgewaltigen Chefs. Doch
der hob bedauernd die breiten Schultern.
„Sorry, Jim. Außer einigen ziemlich unklaren Augenzeugen-
berichten, die wir bisher über Kurzwelle aus Alaska erhalten
haben, sind wir ohne Einzelheiten.“
Jim Parker sah wieder straff und frisch aus. Das gefährliche
Abenteuer mit dem geheimnisvollen Riesenkometen hatte er
bereits überwunden. Schon lockte eine neue, interessante Sache.
„Wie benimmt sich das Ding, Cunningham – ich meine, sind
schädliche Strahlungen oder sonst etwas festzustellen?“
„Bis zur Stunde ist uns darüber nichts bekannt. Wir müssen
abwarten, was Professor Varras, der in einer Stunde nach Alaska
fliegt, uns zu berichten haben wird.“
Der junge Kommodore reckte sich in den Schultern, als wollte
er seine Kräfte spüren. „Hätten Sie etwas dagegen, wenn zwei
Mann mehr mit nach dem Norden flögen?“
„Die noch dazu imstande sind, den Whiskyumsatz Alaskas
anzukurbeln“, ergänzte Wernicke bescheiden.
Cunningham zwinkerte ihnen zu. „Warum sollte ich etwas
dagegen haben?“

Bevor sie das kleine Haus des alten Patrick betraten, sah sich
Aline noch einmal nach Norden um, wo am Horizont das grüne
Fanal des riesigen Pilzes herüberdrohte. Unwillkürlich schüttelte
sie sich.
„Das Ding sieht wohl gefährlicher aus, als es ist“, machte
Dare gutmütig den Versuch, ihr das beklemmende Gefühl na-
henden Unheils zu nehmen. „Du mußt einfach nicht hinsehen,
Aline.“
„Es ist alles wie von diesem grünen Feuer verzaubert“, sagte
sie bedrückt. „Wissen Sie nicht, was das zu bedeuten hat, Dare?“

19
Er schluckte und nahm verstohlen ihre Hand. „Warum bist
du nur so verändert, Aline? Schließlich kennen wir uns doch,
seit wir vor zwanzig Jahren das Gehen lernten. Aber das kommt
von diesem feinen Gentleman.“
Sofort entzog sie ihm ihre Hand. „Lassen Sie Mister Andrews
aus dem Spiel! Er ist ein gebildeter, weitgereister Mann.“
„Und ich bin nur ein kleiner Polizeisergeant, der erst in zwei
Jahren Aussicht auf ein besseres Gehalt hat“, nickte er bitter.
„Na, lassen wir das. Komm schon!“
Von drinnen wurden Schritte laut. Die Tür öffnete sich seuf-
zend. Die halbtaube Haushälterin des alten Patrick stand vor
ihnen und wischte sich die Augen.
„Es ist gut, daß Sie gekommen sind, Miß Crane. Unser guter
Old Patrick!“
Das Mädchen gab ihr die Hand. „Wie geht es ihm?“
„Er wird es vollbringen.“
Sie traten durch eine zweite Tür in den Wohn- und Schlaf-
raum. Eine stickige Luft schlug ihnen entgegen. Es roch nach
übergekochtem Kräutertee. Auf einem einfachen Feldbett lag
der gute alte Patrick O’Connor. Er konnte sich nicht mehr rüh-
ren – der Körper war schon fast wie abgestorben – nur sehen
und atmen und mühsam sprechen konnte er noch.
„Meine lieben Kinder“, begrüßte er sie mit verlöschender
Stimme, die fiebrig und trocken war. „Wir alle müssen büßen
für die Sünden der Menschheit. Das große Strafgericht bricht
über uns herein.“
„Ihr müßt Euch nicht aufregen, Old Patrick. Laßt mich ein-
mal Euren Puls fühlen.“
Es sah aus, als wollte der Alte den Kopf schütteln, aber das
konnte er nicht mehr. Aline faßte seinen Unterarm. Sie wußte
aber auch so, daß Patrick O’Connor nicht wieder aufstehen
würde.
„Der grüne Tod steht am Himmel“, ächzte er. Sein Brustkorb

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hob sich in den Qualen des Atmens. „Ich habe lange auf ihn
gesehen – bis er mich faßte.“
Aline ließ den Arm des Alten los, damit er nicht merkte, wie
ein Zittern sie ergriff. Sie stand regungslos – die Petroleumlampe
flackerte trübe und warf den großen Schatten der Stuhllehne
bizarr gegen die Wand, an der ein Bild vom heiligen Abend-
mahl im Halbdämmern hing. Von draußen sang der Wind herein,
der wieder aufgekommen war.
„Ich muß gehen, Aline“, sagte der Sergeant leise. „Magst du
hier allein bleiben?“
„Gehen Sie ruhig, Dare. Wenn etwas ist, rufe ich Sie.“
Er verstand sie sogleich. „Wir wollen es nicht hoffen.“
Dann war sie allein. Sie nahm sich zusammen und begann
dem Todgeweihten, so gut sie es konnte, die letzten Stunden zu
erleichtern. Die schwerhörige Haushälterin mußte starken Kaf-
fee kochen. Stunden vergingen. Gegen vier Uhr früh wurde
O’Connor unruhig.
„Aline – aufpassen – auf die Bilder – nur –“ Er unterbrach
sich und stöhnte schmerzvoll auf. „O mein Himmel – die Glut
der grünen Flamme sitzt mir in der Brust –“
Ihre Hand fuhr sanft über seine Stirn.
„Ich werde Ihnen eine Tablette geben.“
„Nicht, Kind, nicht – ich muß die Schmerzen in Demut er-
tragen.“
Sie löste ihm aber doch ein paar schmerzstillende Tabletten
im Kaffee auf. Dann reichte sie ihm den Trunk, der ihm für
weitere Stunden Ruhe gab. Als sie die Tasse wegstellen wollte,
trat Dare Slinn wieder ein. Hinter ihm geisterte flüchtig ein
grüner Schein durch die Tür.
„Dare“, stieß sie entsetzt aus. „Was ist da draußen? Kommt
die grüne Flamme näher?“
Er nickte düster. „Sie breitet sich aus. Millers Jüngsten hat es
nun auch erwischt.“

21
„Auch – gelähmt?“
„Ja – können Sie mitkommen?“
Für einen Augenblick wankte wieder die Erde. Wenigstens
erschien es ihr so. Das nackte Grauen packte sie.
„Das ist doch nicht möglich.“
Er legte ihr die Hand auf die Schulter. Ganz nahe war sein
breites, ernstes Gesicht. „Wir müssen tapfer sein, Aline. Die
nächsten Stunden noch durchhalten. Wenn das Biest dort drüben
wirklich so bösartig ist, wird die Regierung uns schon heraus-
holen.“
Ja, der Strahlenpilz hatte sich in seinem Gipfel ausgedehnt.
Schleierartig überzogen grüne Dunstwolken den tiefen, dunklen
Himmel und fingerten sich langsam heran.
Während sie über die Straße gingen, zeigte Dare mit ausge-
streckter Hand nach oben. „Die grünen Strahlen werden uns
heute mittag erreichen, wenn der Pilz sich weiterhin mit glei-
cher Geschwindigkeit ausbreitet.“
„Man könnte fast meinen, der alte Patrick hätte recht“, flüs-
terte das Mädchen.
„Es müssen Strahlungen sein, die durch den Absturz des Me-
teors, oder was es sonst sein mag, ausgelöst wurden“, erklärte
er sachlich. „Wahrscheinlich müssen wir damit rechnen, daß
New Oregon geräumt wird.“
Motorengeräusch dröhnte von einem Seitenweg herüber und
kam näher.
„Dare!“ Unwillkürlich packte sie seine Schulter. „Glauben
Sie wirklich, daß wir fliehen müssen?“
Er antwortete nicht, aber sein betretenes Schweigen sagte ge-
nug. Mit glosenden Augen bog nun ein schwerer Motorschlitten
um die Ecke. Als er die beiden jungen Leute im Scheinwerfer
hatte, wurde er scharf gebremst. Henry Andrews sprang herunter.
Sein Freund Jack blieb auf dem Schlitten sitzen.
„Hallo, Aline – Hallo, Sergeant!“

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Sie reichte ihm die Hand. Dare knurrte einen Gruß.
„Es geht los, Aline“, lachte Andrews unternehmungslustig.
„Kommen Sie mit?“
„Ich kann noch nicht, Henry.“
„Sie wollen abreisen?“ erkundigte sich der Sergeant.
„Wie Sie sehen. Wie ist es, Aline?“
„Nein, Henry – ich muß hierbleiben.“
Der schöne Henry verneigte sich höflich und kletterte wieder
in den Führersitz.
„Ich werde mich wieder melden. Aline!“
„Gute Reise, Henry!“
Sie winkte dem Schlitten nach, bis Dare Slinn sie anstieß.
„Millers Jüngster wartet“, sagte er rauh.

Zwei Menschenleben – ein altes, vollbrachtes und ein junges,


kaum begonnenes – schwebten in New Oregon in höchster Ge-
fahr, seit der grüne Pilz aus den Hügeln emporgewachsen war.
Auch in Fairbanks konnte man deutlich wahrnehmen, wie es
sich grün am Himmel heranschob. Und diese Stadt mit ihren
3000 Einwohnern lag immerhin gut 180 Meilen vom Great Be-
ring Hill entfernt, und südlich vom Yukon. Unruhe war in der
Stadt am Ausläufer der Alaska-Kette. Gegen 9 Uhr früh begann
es zu schneien – staubfein rieselte es aus tiefen Wolken herun-
ter.
J. L. Morgan – Kapitalienmakler, Nachfolger des sehr eh-
renwerten Wilbert Morgan seligen Angedenkens, der sein Ver-
mögen einst mit dem Blut amerikanischer Desperados und eu-
ropäischer Abenteurer aufgebaut hatte – sah mißmutig in das
Schneetreiben hinaus.
„Andrews hätte lieber auf die Reise verzichten sollen. Hof-
fentlich schafft er es.“

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„Ihre Fürsorge für das Wohlergehen Ihrer Mitarbeiter ist
ebenso bewunderungswürdig wie Ihre letzte Spende zum Bau
des neuen Hospitals“, hüstelte der krumme Slogan – Inhaber
einer Silbermine – ironisch. „Oder beschränkt sich die Sorge
Eurer Herrlichkeit nur auf die Ledermappe, die Andrews bei
sich führt?“
Die Geiernase des smarten Geschäftsmannes fuhr herum.
„Ich bin heute nicht zum Scherzen aufgelegt, Slogan. Das grüne
Phantom über dem Great Bering Hill gefällt mir nicht.“
„Mir um so mehr“, grinste der Minenbesitzer. „Wenn sich
meine Vermutungen erfüllen und ich erst genau weiß, wie es
mit dem alten O’Connor steht, läßt sich ein großer Coup landen.
Vorausgesetzt natürlich, daß – wie Radio Juneau bereits vor-
aussagte – das Ding mit schädlichen Strahlen um sich wirft und
dieses Nest New Oregon geräumt werden muß.“
„Sie sind doch ein Narr, Slogan.“ Mit langen Schritten ging
der hagere Makler in dem altmodischen Büro auf und ab.
„Wenn das Gebiet um die Hügelkette geräumt wird, tritt auto-
matisch eine Regierungskontrolle ein – und was dann?“
„Mit Polizei und Militär ist fertig zu werden“, zwinkerte sein
Geschäftsfreund listig. „Ich habe mir erlaubt – vorerst auf eigene
Gefahr und zur späteren Verrechnung – über unseren Verbin-
dungsmann zehn Düsenjäger mit Mannschaften, vier große
Hubschrauber und 100 Mann der Schwarzen Garde aus Chicago
zu bestellen.“
J. L. Morgan mußte sich gegen den Aktenschrank lehnen, der
bedenklich zu schwanken begann. Sein Gesicht war totenbleich
und noch eingefallener als sonst.
„Sind Sie wahnsinnig?“ keuchte er entsetzt. „Was wollen Sie
unter diesen Umständen mit einer ganzen Armee? Wollen Sie
einen Gewaltstreich landen und die Goldadern in drei Tagen
ausbeuten? Wirklich – Sie sollten zum Arzt gehen, Slogan.“
„Eine nervenärztliche Untersuchung habe ich Ihnen bereits

24
vor einem halben Jahr empfohlen“, gab Slogan ungerührt zurück.
„Das Schlimmste, was uns geschehen könnte, wäre, daß man
eventuell Jim Parker für den Strahlenpilz interessierte.“
„Ganz recht“, gab Morgan zu. „Aber wie wollen Sie in ein
paar Tagen – so Ihnen der Handstreich wirklich gelingt – eine
Goldader ausbeuten?“
Slogan spielte mit seiner Zigarettendose. „Wer spricht denn
von Gold?“ lächelte er gelangweilt und stellte gedankenlos den
Empfänger ein.
Wieder krachte der Aktenschrank, denn J. L. mußte abermals
einen Halt suchen. Er verstand nichts mehr.
„Um das Gold in der Hügelkette bei New Oregon geht es uns
doch“, sagte er fassungslos. „Andrews hat heimlich Untersu-
chungen vorgenommen und eine Ader entdeckt, die doppelt so
mächtig ist wie alle, die man dort jemals ausgebeutet hat. Nun
kommt es nur darauf an, einen Laden aufzuziehen, hinter dem
wir uns verbergen können, da wahrscheinlich sonst der Staat
dazwischenkommt – diese neue Firma eintragen zu lassen und –“
Slogan achtete nicht darauf. „Wem erzählen Sie das, Morgan?“
winkte er ab. „Ich habe mit dem Doc gesprochen, den Sie für
überspannt halten – gestern, als die Nachricht vom Einschlag
des angeblichen Meteoriten kam. Das ist alles andere als ein
Meteorit, mein Lieber. Das ist –“
„Ruhe!“ zischte der Makler und wies auf den Empfänger.
„… dieser Untersuchungskommission gehört auch der be-
rühmte Raumschiffkommodore Jim Parker an.“
Slogans Gesicht wurde finster.
„Wie wir in diesem Zusammenhang soeben aus New Oregon
erfahren, bereitet man dort alles für die Evakuierung des Ortes
vor. Die wahrscheinlich durch Strahleneinwirkung hervorgeru-
fenen Lähmungen haben ein Todesopfer zur Folge gehabt.“
Der alte Patrick O’Connor wollte sich gegen 8 Uhr morgens
im letzten furchtbaren Schmerz des innerlichen Verbrennens

25
noch einmal aufbäumen – aber es wurde nur ein hilfloses Auf-
begehren daraus. Als die Haushälterin mit der erwarteten Nach-
richt zum Sheriff kam, platzte sie in eine Art Stabsbesprechung
herein.
„Die Regierung schickt Hubschrauber für Frauen und Kin-
der. Die Maschinen bringen Motorschlitten mit, mit denen die
Tiere abtransportiert werden. Die Männer – sofern sie gesund
sind – übernehmen diesen Transport.“
„Und wenn die Strahlungen so mächtig werden, daß wir es
mit den Schlitten nicht mehr schaffen?“ gab der Händler zu be-
denken.
Sheriff Welton tippte mit dem Bleistift auf ein Schriftstück.
„Für diesen Fall hat die Regierung uns den Einsatz weiterer
Maschinen zugesichert, die Männer und eventuell auch die Tiere
unterwegs an Bord zu nehmen.“
Ein Aufatmen ging durch die Anwesenden, deren Gesichter
von Schrecken, aber auch von Verantwortungsbewußtsein ge-
zeichnet waren. Wenn man schon die Heimat verlassen mußte,
so konnte die Evakuierung doch in aller Ordnung vor sich ge-
hen. Nun erst bemerkte man die zitternde Haushälterin, die
schüchtern an der Tür stehengeblieben war. Dare Slinn, der ge-
rade den Raum verlassen wollte, nahm sie am Arm und führte
sie zum Sheriff.
„Na, Franziska?“ räusperte er sich unbeholfen. „Ist es vorbei
mit Old Patrick?“
Sie wischte sich immer emsiger die Tränen von den Wangen.
„O Sir“, schluchzte sie. „Warum mußte gerade er der erste sein?
Was soll nun aus mir werden?“
„Sie müssen zunächst mit nach Fairbanks. Später – wenn die
Gefahr überwunden ist – wird für Sie immer ein Platz in New
Oregon sein.“ Es klopfte – er wandte den Kopf. „Come in!“
Die Tür öffnete sich, und Jim Parker, Fritz Wernicke und
Professor Varras traten in das Zimmer. Neugierig sah man auf

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die Männer, deren Pelzmäntel das Abzeichen des Atom-
Territoriums trugen.
„Finde ich hier den Sheriff des Ortes?“ fragte Jim.
Welton trat ihnen entgegen. Er atmete unwillkürlich auf, als
Jim seinen Namen nannte und seine Begleiter vorstellte.
„Es ist gut, daß Sie da sind, Gentlemen“, sagte er schlicht.
„Hoffentlich können Sie den Bann von uns nehmen – es wird
Zeit.“
„Hat der Ort – außer dem Toten – noch mehr Verluste?“
„Vier Frauen, drei Kinder und ein Mann sind schwer er-
krankt. Wir warten auf Ärzte.“
Dare Slinn trat vor. Ruhig sah er den prominenten Herren in
die Augen. Unwillkürlich tauschten Jim und er einen besonders
festen Händedruck, in dem gegenseitige Achtung lag. Im Cha-
rakter der beiden jungen Männer – des berühmten Weltraum-
fahrers und des einfachen Nordmannes – lag viel Wesensver-
wandtes.
„Am besten ist, wir gehen zu Miß Crane“, sagte der Sergeant.
„Ich glaube, sie ist gerade bei Millers.“
Sie verließen das Sheriffhaus. Draußen lag der Ort in jenem
widerlichen, grünen Zwielicht, das den Einwohnern bereits auf
die Nerven ging. Es herrschte Hochbetrieb – das Fieber der
Angst, die Erwartung kommenden Unheils ließ ihre Bewegun-
gen nervöser und fahriger sein ais sonst. Vor Cranes Hotel, das
an einem freien Platz lag, waren die Jungen damit beschäftigt,
für die Regierungsmaschinen eine provisorische Startbahn zu
schaffen. Vater Crane schenkte ihnen gerade einen dampfenden
Glühpunsch ein.
„Ah“, seufzte Fritz Wernicke aus tiefster Seele. „Alaska
scheint ein gutes Land zu sein. Wie wäre es mit einem Glas, old
fellow?“
Vater Crane ließ sich nicht lange bitten. Aus einem Nachbar-
haus kam Aline.

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„Ich glaube nicht, daß der kleine Miller es durchhält“, sagte
sie traurig. Sie war sehr bleich, und unter ihren Augen lagen
tiefe Schatten.
„Fühlst du dich nicht gut?“ fragte der Sergeant besorgt.
„Kopfschmerzen, Dare“, lächelte sie mühsam. „Aber das haben
wir alle.“
Er legte seinen Arm um ihre Schulter, und sie ließ es gesche-
hen. Seine Besorgnis in der Kameradschaft dieser Stunden tat
ihr gut.
„Du zitterst ja auch, Mädel.“
„Es wird schon vergehen, Dare.“ Aber sie sah wirklich nicht
gut aus, und Dare nahm sich vor, sie mit der ersten Regie-
rungsmaschine nach Nome oder Fairbanks bringen zu lassen.
Professor Varras und Jim ließen sich keine Zeit mehr. Sie
wollten dem grünen Atompilz zu Leibe rücken.
Während Fritz Wernicke – kaltschnäuzig, wie er nun einmal
war – zunächst noch den Glühpunsch von Vater Crane einer
sachlichen Prüfung unterzog, gingen sie zu ihrem Hubschrau-
ber, der wie ein urweltliches Fabeltier am Ortsausgang stand.
„Wir haben 5 Strahlenschutzanzüge an Bord“, sagte Jim
nachdenklich. „Der Sergeant wird seinen Bezirk nicht verlassen
können, und sein Gehilfe wohl auch nicht.“
„Wir lassen zwei Anzüge hier“, schlug der Professor vor,
während er bereits eine dieser Kombinationen überzog. „Hof-
fentlich kommt es nicht zu Plünderungen, wenn der Ort
leersteht.“
Jim lachte über diesen Gedankensprung. „Wie denn, Professor?
Ob gut oder böse – wer sich schutzlos dieser Strahlung aussetzt,
die noch intensiver werden dürfte, wird mit seiner Gesundheit
dafür büßen müssen.“

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Franziska, die halbtaube Haushälterin, ging wieder in das nun
verwaiste Haus des alten Patrick O’Connor zurück. Auch sie
spürte, wie die unheimliche Macht des flammenden Phantoms
nach ihr griff – die Glieder waren ihr so schwer, und in der
Brust war ein glühendes Stechen.
„O Old Patrick“, sagte sie zu ihrem toten Herrn, „warum hast
du mir verschwiegen, wo ich finden kann, was du mir geben
wolltest?“
Old Patrick konnte es ihr nicht mehr sagen.
Von draußen dröhnte das metallene Singen des Hubschrau-
bers herein, der nun die Männer des S. A. T. zum Great Bering
Hill hinübertrug.
„Ich will es gern mitnehmen, Old Patrick“, flüsterte Franziska
weiter. „Kannst du mir nicht wenigstens einen Wink geben?“
Aber Old Patrick konnte auch das nicht. Und er konnte sie
auch nicht vor dem Mann warnen, der hastig eintrat und einen
Revolver in der Rechten hielt.
„Nehmen Sie die Hände hoch, Miß“, befahl er herrisch.
„Und keinen Laut aus ihrem zahnlosen Mund, verstanden?“
Sie war gar nicht imstande dazu, auch nur ein Wort hervor-
zubringen. Automatisch hob sie die dürren Arme und wich vor
der kaltblitzenden Mündung der Waffe zurück.
„Ich will es schnell machen!“ Er nahm einen Strick aus der
Tasche, und sie mußte es geschehen lassen, daß er sie kunstge-
recht fesselte. Sie war ihm beinahe dankbar, daß sie sich dabei
setzen durfte.
„Wo ist die Stahlkassette?“
Hilflos sah sie ihn an.
„Antwort!“
Sie schüttelte den Kopf. Er drehte die Waffe um und gab ihr
mit dem Lauf einen kurzen harten Schlag gegen die Schläfe der
sie zusammensacken ließ. Dann begann der Bursche, ohne sich
um den Toten zu kümmern, das Zimmer zu durchwühlen, wobei

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er immer wieder für eine Sekunde innehielt und nach draußen
horchte.

Der Hubschrauber schob sich an den Strahlenpilz heran. Er war


mit einem Panzer ausgestattet, der – ebenso wie die Schutzan-
züge – radioaktive Strahlen verschiedener Art abschirmte.
Trotzdem war der Anflug an das flammende Ungeheuer ein
großes Wagnis.
Professor Varras saß hinter Jim und Wernicke und hantierte
mit seinen Instrumenten. Die Kabine war in ein unerträgliches
helles Grün getaucht; Als sie sich dem Strahlenpilz bis auf etwa
200 Meter genähert hatten, ließ Jim die Maschine in der Luft
stehen, um dem Professor die Möglichkeit zu geben, das Phan-
tom aus dieser Höhe zu untersuchen.
„Das sind keine Strahlen, die von einer reinen Atomzer-
trümmerung herrühren“, meinte er. „Geht es so, Professor –
oder soll ich noch höher steigen?“
„Es geht.“ Varras beobachtete den Ausschlag der Geiger-
schen Instrumente: „100 – 210 – 270 – 300.“
„300, Professor? Sie müssen sich irren.“
„Ich irre mich nicht“, sagte Varras heiser und spürte, wie ihm
der kalte Schweiß ausbrach. „Augenblick – die Distanzberech-
nung.“
Atemloses Schweigen lastete minutenlang. Vor ihnen stand
der Stamm des Strahlenpilzes. Deutlich konnte man von hier
aus erkennen, daß er einen massiven Kern hatte, der schlank
wie eine Tanne aus einer tiefen Einschlagmulde im Hügel em-
porwuchs. Dichte grüne Wolken umwogten ihn und dehnten
sich an seiner Spitze kronenartig und – aus dieser Krone heraus –
schleierartig über den Himmel aus.
„Die Distanzberechnung, Professor?“ drängte Jim. Wernicke

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wendete gespannt den Kopf über die Schulter. Leise hechelte
der Drehbleistift.
„27 – 8 – 34.“ Es sah aus, als wollte eine furchtbare Erkennt-
nis den Professor vornüber in die Kunstglasscheibe werfen.
„Vierhundert“, sagte er tonlos.
Jim Parker bekam weiße
Knöchel – so umkrampfte er
das Ruder. „Das ist nicht
möglich!“
„Doch, Boys – 400 mal so
groß wie die uns bekannte
stärkste Atomstrahlung.“
„Mein Gott – was für eine
Materie muß das sein!“
„Hoffentlich halten unsere Schutzanzüge.“
„Wir müssen ran“, sagte Jim verbissen. „Allerdings möchte
ich Sie nicht gern dieser Gefahr aussetzen.“
„Unsinn!“ unterbrach ihn der Gelehrte schroff. „Glauben
Sie, ich fände Ruhe, ohne das Phantom kennengelernt zu ha-
ben? Können Sie hier irgendwo landen?“
„Selbstverständlich.“ Die Maschine ruckte an und schob sich
weiter an den Pilz heran. Plötzlich richtete sich der Kommodore
auf.
„Fritz – da – etwa zwei Meilen südlich …“
Aber Wernicke hatte es auch bereits gesehen. „Eine Düsen-
maschine. Jim, Sie startet. Aber wir haben doch keine Jäger
mitgebracht.“
„Das ist mir nicht im Traum eingefallen“, schüttelte der
Kommodore verwundert den Kopf. „Wer sollte denn da so neu-
gierig sein? Da stimmt doch was nicht.“
„Das glaube ich auch, Jim“, rief der Steuermann erregt aus.
„In New Oregon scheinen nicht nur friedliche Pelzjäger zu
wohnen. Der Glühpunsch von diesem Vater Crane – der Himmel

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erhalte den prächtigen Mann – war erstklassig. Aber es waren
auch zwei grüne Jungen da, die mich auf eine ganz dumme Art
aushorchen wollten.“
Jim wurde sehr aufmerksam. „Und? Was hast du ihnen ge-
antwortet?“
„Geantwortet? Abgeblitzt wurden sie von der Überlegenheit
meines Geistes. Wir werden die Augen offenhalten müssen, Jim.“
„Das werden wir. Wenn mir auch schleierhaft ist, was man
damit bezweckt – es scheint, als müßten gewisse Leute bei je-
der Gelegenheit im Trüben fischen.“
Fritz konnte diese Feststellung seines berühmten Freundes
nur bestätigen.
Die moderne Welt der Raumschiffe und Atomwerke war
nicht weniger von zweifelhaften Gestalten belastet als die frü-
heren Jahrhunderte.
Die Maschine setzte langsam zur Landung an.
„Schutzanzüge überprüfen!“
Die Hände der Männer glitten über die kühle, glatte Haut der
gelben Anzüge. Die Filter des Augenschutzes wurden nachge-
stellt.
„Luken auf!“

In Fairbanks trafen gegen 4 Uhr nachmittags die ersten Men-


schen aus der bedrohten Siedlung am Great Bering Hill ein. Zu
ihnen gehörte auch Aline Crane, die der energische Sergeant
einfach in die Regierungsmaschine gehoben hatte. Es war
höchste Zeit geworden, sie aus dem Bereich der rätselhaften
Strahlung herauszubringen.
Aber trotzdem war sie vollauf damit beschäftigt, sich um die
anderen Frauen und Kinder zu kümmern, die ziemlich hilflos
das kleine Flugfeld von Fairbanks betraten.

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„Hallo, Aline“, sagte da eine bekannte, wohlklingende Stimme
hinter ihr.
Der schöne Henry Andrews war es, der die Pelzkappe lüftete
und sich mit gewohnter Höflichkeit verneigte.
„Ich freue mich, Sie gesund, wenn auch etwas bleich und
angegriffen, der Hölle entronnen zu sehen.“
Sie vergaß für einen Augenblick alle Pflichten und empfand
wieder den ganzen Scharm dieses seltsamen Mannes. Daß sie
ihm sehr herzlich die Hand reichte, wurde von den anderen
Frauen aus New Oregon, die es sahen, mit Befremden festge-
stellt. Doch sie war glücklich, ihn wiederzusehen.
„Wie sieht es in der Siedlung aus?“ erkundigte er sich teil-
nahmsvoll.
„Denken Sie nur“, berichtete sie aufgebracht „Man hat die
alte Franziska überfallen.“
Er nahm ihren Arm und führte sie über das Flugfeld zum Re-
staurant „Franziska – habe ich den Namen nicht schon mal ge-
hört?“
„Die Haushälterin des alten Patrick O’Connor.“
„Richtig – stocktaub und ausgedörrt, wie die Wüste von Ne-
vada. Und die hat man überfallen? Eine Gemeinheit! Also auch
noch ein Mord in diesen schlimmen Stunden!“
„Zum Glück nicht. Man hat sie nur betäubt. Aber wer – wer
sollte es nur getan haben?“
Sie traten durch die Drehtür ins Restaurant. „Man wird den
Täter schon finden“, sagte er leichthin und ziemlich uninte-
ressiert. „Was ich aber vor allem gern wissen möchte: Wie
äußert sich die Einwirkung dieser Strahlung auf den Men-
schen?“
„Interessiert es Sie?“
„Sehr.“
Ein Kellner kam mit fliegender Serviette. Die Gäste sahen
neugierig auf das ungleiche Paar – den eleganten Henry und das

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junge Mädchen, das andere Sorgen hatte, als ein hübsches
Fähnchen anzulegen.
„Bitte hier – die Herrschaften.“
Zwei Herren erhoben sich von diesem Tisch.
„Meine Geschäftsfreunde – Mister Morgan und Mister Slo-
gan“, stellte Henry vor.

„Ich möchte doch mal wissen, welche Geheimnisse diese Bude


hat“, knurrte Sergeant Slinn, während er sich im Zimmer des
alten Patrick O’Connor umsah. Er trug bereits einen der Strah-
lenschutzanzüge, und das war gut so, denn die grünen Schleier-
finger des Strahlenpilzes drohten nun direkt über dem Ort.
„Vielleicht hinter den Bildern“, vermutete Kelly Short, der
ebenfalls im Schutzanzug war.
Dare Slinn sah seinen Kameraden etwas ratlos an. „Wieso –
was hinter den Bildern?“
„Es könnte doch ein Geheimtresor oder so etwas dahinter
sein.“
„Kelly – du spinnst.“
„Guck mich nicht so dumm an, Slinn.“
Der Sergeant schüttelte skeptisch den Kopf. „Du hast ‘ne
Phantasie, Kelly – hier in New Oregon Geheimtresore? Men-
schenskind – wie kommst du nur darauf?“
„Weiß ich selbst nicht, Dare. Ist so ein Einfall.“
Dare Slinn kam aus dem Kopfschütteln nicht heraus, und er
konnte später nie sagen, wie er dazu kam, die drei oder vier
Bilder, die an der Wand hingen, abzunehmen. Jedenfalls konnte
Kelly beim letzten Bild grinsend feststellen:
„Na, du komischer Heini? Klein und häßlich sollst du wer-
den.“
„Das bin ich schon“, schnappte Dare nach Luft. Hinter dem

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letzten Bild gähnte ein Hohlraum – wie für einen einzulassen-
den kleinen Safe. Eine ziemlich primitive Holzklappe war auf-
gebrochen. Der Raum war leer.
„He, he“, merkte Kelly. „Das Geheimnis von New Oregon.
Was sagst du nun?“ Gleich darauf wirbelte er herum. „Pfui
Deibel – wer wirft hier mit Steinen?“
An seinem Kopf war etwas vorbeigesaust und schlug klat-
schend in die Wand, aus der Mörtel und Farbe stoben.
„Mensch – Dare“, würgte der Polizeigehilfe.
„Eine Kugel!“
Dare Slinn wurde wild. Der Ort war seit Stunden geräumt,
und sie waren buchstäblich die einzigen Lebewesen. Zwei
Schutzanzuge gab es hier – wer ohne diese herumlief, machte
es nicht mehr lange. Und nun schoß man auf sie?
„Bleib du hier!“
Er war schon auf der Straße, die in einer so intensiven Kraft
der grünen Strahlen lag, daß es die Augen durch die Filter
schmerzte.

Mister Slogan, dem smarten Minenbesitzer, zitterte der Tele-


fonhörer in der Hand.
„Es ist alles durchsucht worden?“ sagte er scharf und machte
eine zweifelnde Kopfbewegung zu Henry Andrews, der ge-
langweilt neben ihm am Tisch lehnte und die Arme verschränkt
hielt.
„Alles“, bestätigte eine Stimme, die in der Muschel verzerrt,
aber doch so deutlich klang, daß Andrews sie verstehen konnte.
Er beugte sich vor.
„Die Kasse war bei diesem O’Connor – ich weiß es“, flüsterte
er dem krummen Slogan ins Ohr.
Das Mopsgesicht des Minenbesitzers wurde noch röter.

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„Die Kassette muß her, mein Lieber. Nehmen Sie das mal in die
Hand. Ich erwarte Ihren Bericht in vier Stunden, verstanden?“
Hart legte er den Hörer auf.
„Nun, Andrews?“ fragte er gedehnt.
Nachlässig ließ der Romanschreiber die Arme sinken und
richtete sich auf. „Das ist mir unverständlich“, erwiderte er ruhig.
„Vielleicht hat die Haushälterin das Versteck gewußt?“
Erregt nahm Slogan eine Zigarettenpackung und riß sie um-
ständlich auf.
„Wo ist denn diese Schreckschraube?“
„Die Haushälterin?“ lächelte Andrews. „Im Staatshospital.
Geben Sie sich keine Mühe – sie wird ständig von Polizeibeamten
überwacht.“ Als er sah, wie es in dem Mopsgesicht höhnisch
aufzuckte, streckte er abwehrend die Hand aus.
„Versuchen Sie, um Himmels willen, keine Bestechung,
Slogan. Das könnte uns von vornherein verraten.“
Slogan wandte sich ab und trat an die Tür zum Wohnzimmer.
„Wir lassen Miß Crane warten“, lächelte er unergründlich.
Andrews kam langsam nach.
„Übrigens, eine entzückende junge Dame. So naturfrisch und
unverdorben. Man könnte neidisch auf Sie werden.“
Der schöne Henry überhörte es. „Noch einmal – unterlassen
Sie alle Bestechungsversuche. Und seien Sie vorsichtig mit
Bemerkungen. Wir werden schon herausbekommen, wo die
Kassette ist“, sagte er leise und eindringlich.
„Haben Sie Angst, Andrews?“
„Um Sie vielleicht“, gab Andrews schlagfertig zurück. „Was
Sie vorhaben, dürfte das größte Verbrechen sein, das jemals in
Alaska inszeniert worden ist. Ob Sie mit 20 Jahren davonkom-
men werden?“
„Sie wollen zu viel wissen“, grinste Slogan dünn. „Machen
Sie sich keine Gedanken um Ihre Person?“
„Immer nach Ihnen, großer Boß.“

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Schweigend drückte Slogan die Türklinke nieder. Aline saß
in einem Klubsessel vor dem flackernden Kamin. Sie schien
sich aber nicht wohl zu fühlen in dieser feudalen Umgebung;
denn sie war sofort einverstanden, als Henry ihr vorschlug,
Mister Slogan nicht länger aufzuhalten.
„Sie halten mich gar nicht auf“, versicherte der Minenbesit-
zer und sah mit seinen Fischaugen begehrlich auf das Mädchen.
„Vielleicht darf ich Sie noch für meine Kunstsammlung interes-
sieren, Miß Crane?“
„Ich verstehe nicht viel davon“, lächelte sie etwas beklommen.
„Auch bin ich sehr müde. Bedenken Sie bitte, daß hinter uns
schwere Stunden liegen.“
„Wie könnte ich die Leiden von New Oregon vergessen!“
verneigte er sich. „Aber vielleicht besuchen Sie mich bald einmal.
Ich will Ihnen gern meine Sammlung erklären.“
Seine Augen ließen sie nicht los – in ihnen war der Hunger
des raffinierten Lebemannes. Andrews machte es jedoch kurz,
und der Minenbesitzer mußte sie vor die Haustür geleiten.
Er sah ihnen nach und leckte sich die Lippen. „Frisch und
kühl – ein prächtiges Geschöpf. Und so etwas hat nun der schöne
Henry. Na warte, mein Junge.“
Henry jedoch machte gerade eine ähnliche Bemerkung.
„Diese Kunstsammlung kenne ich. Mit der hat sich das Scheusal
schon manches Opfer geholt. Bei Slogan sind wir das letzte Mal
gewesen.“
Sie fuhren durch die Stadt.
Auch hier sah man schon besorgte Gesichter. Grünlich und
unwirklich, von gespenstischer Unfaßbarkeit, fingerte er sich
aus Nordost am Himmel heran, der heute klar war. Die Sterne
waren durch den dünnen Schleier der Strahlen zu sehen.
„Die Strahlung kommt näher“, stellte Andrews sachlich fest.
„Na – uns kann sie nicht erschüttern.“
„So dürfen Sie nicht sprechen, Henry“, bat sie, in der Erinne-

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rung zusammenschaudernd. „Ich weiß, wie es ist, wenn die
Strahlen einen erfassen – ich weiß es, Henry, und alle die Men-
schen aus unserem Ort, die es nun hier ruhelos durch die Straßen
der fremden Stadt treibt, wissen es ebenfalls.“
„Es gibt Mittel, sich zu schützen.“
„Strahlenanzüge?“
„Gewiß.“ Sie bogen in die Stars and Stripes-Street, die neue
Hauptstraße von Fairbanks, ein und fuhren auf das große Hotel
zu, das aus der Häuserfront mit pulsender Lichtreklame etwas
vorrückte. Viele Autos und Pferdegespanne standen vor dem
Gebäude.
„Da wohnen die meisten unserer ehemaligen Mitbürger“,
lächelte er. „Wir wollen sie einmal besuchen. Das Rote Kreuz
ist ja verdammt eifrig um sie bemüht, das muß man sagen!“
Sie hörte nicht recht hin, sondern sah ihn aufmerksam von
der Seite an. „Wie meinten Sie es mit den Strahlenpanzern,
Henry?“ fragte sie lebhaft. „Ich möchte nämlich gern so ein
Ding haben, um nach New Oregon zurückkehren zu können.“
„Befürchten Sie, daß man Ihnen das Hotel ausräumen könnte?
Unsere wackere Polizei sorgt doch im verlassenen Ort für Ruhe
und Ordnung.“
Sie achtete nicht auf die Ironie seiner Worte.
„Wer weiß denn, wie lange die Strahlung andauert? Ich
möchte dann und wann mal nach dem Rechten sehen. Ein Hotel-
betrieb kann nicht wochenlang unbeaufsichtigt dastehen.“
Vorsichtig bugsierte er den Wagen in die Schlange der parken-
den Autos. „Vielleicht findet sich eine Möglichkeit, Alane.“
„Glauben Sie wirklich, daß Sie mir einen solchen Anzug be-
sorgen könnten?“ Vor Aufregung packte sie seinen Arm. Er
strich sacht über ihr Handgelenk.
„Ich sage: vielleicht“
„O Henry – aber – wie wollen Sie das fertigbringen?“ Sie
wunderte sich plötzlich über die lächelnde Selbstverständlich-

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keit, mit der er von diesen Dingen sprach. Während er den Wa-
gen bremste, warf die Lichtreklame ein grelles Bündel über sein
Gesicht, das ihr plötzlich irgendwie rätselvoll vorkam.
„Was machen Sie hier in Fairbanks, Henry?“ fragte sie leise.
„Sie haben hier Bekanntschaften, die …“
„… Ihnen nicht gefallen?“
„Ja“, gestand sie offen.
Er griff über sie weg und ließ den Schlag aufklappen. „Nicht
fragen, kleines Mädchen.“ Seine Stimme war warm, und es
schwang eine gewisse Traurigkeit in ihr. „Es gibt Dinge, über
die Männer nicht reden können. Da kommen übrigens schon
unsere Leute aus New Oregon.“
Zwei Frauen kamen an den Wagen gelaufen. „Es ist wunder-
voll, daß du kommst, Aline“, freuten sie sich. „Hast du schon
die neuesten Nachrichten gehört?“
„Kinder – was ist denn geschehen?“
„Radio Juneau meldet, daß Kommodore Parker und der
Professor mit der Brille bis zum Strahlenpilz vorgedrungen
seien, und daß sie annehmen, die Strahlung wird bald zu-
rückgehen.“
Unwillkürlich schnippte Henry mit den Fingern. Das paßte
nicht in seinen Kriegsplan. Aber vielleicht hatte Radio Juneau
übertrieben.

Radio Juneau hatte übertrieben. Wahrscheinlich – obwohl es


sehr unverantwortlich war – mit Absicht. Um einem Anwach-
sen der Angstpsychose vorzubeugen.
Der Verantwortliche für diesen Zweckoptimismus stand
nicht dort, wo Jim Parker und seine Begleiter weilten. Sonst
wäre er wohl vorsichtiger mit seiner Prognose gewesen.
„Es ist nicht zu erkennen, ob die Strahlung ihre gegenwärtige

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Kraft behalten wird“, ächzte Professor Varras. „Eines steht jedoch
für mich fest, meine Herren, ein Meteorit ist das Ding nicht.“
Sie standen vor einer riesigen Mulde, die nur aus der Ferne
Ähnlichkeit mit einem Granattrichter vergangener Zeiten hatte.
Von hier aus konnte man sehen, daß sie erstaunlich flach war.
Sie bohrte sich an ihrer tiefsten Stelle nicht mehr als acht Meter
in den Felsen hinein. Weiter südlich waren noch drei ähnliche
Gebilde zu erkennen, die sich fremd in der aufgerissenen Hügel-
landschaft dehnten.
Etwa zehn Meter vor ihnen stand der Stamm des strahlenden
Pilzes. Mitten aus einer Menge grauschwarzer Materie, deren
Beschaffenheit man von hier aus nicht zu erkennen vermochte.
Die dunstigen Schleier reichten fast an die mutigen Männer
heran. Wernicke hatte recht: Lange konnte ein Mensch diese
Hölle aus unerträglich grellem Licht, einer trockenen Hitze, die
sich würgend um den Hals legte, und dem süßlich widerlichen
Gestank, der über allem hing, nicht aushalten. Trotz modernster
Schutzanzüge.
„Noch fünf Minuten, Professor“, drängte Jim. „Dann müssen
wir in die Maschine zurück.“
„Ich muß erst wissen, was für eine Materie das da unten ist“,
schüttelte Varras den Kopf, obwohl er sich kaum noch auf den
Beinen zu halten vermochte.
„Dann beeilen Sie sich bitte.“
Fieberhaft arbeitete der Professor. Sein ganzer Wille kon-
zentrierte sich auf seine Instrumente, ihre Zahlen und Anzeigen
und seinen Notizblock. Wie er dazu gekommen war, konnte er
später niemals sagen – er nahm einige Geräte hoch und stieg in
die Mulde.
„Halt!“ Jim sprang vor.
„Lassen Sie mich“, keuchte Varras. Sein scharfes Gelehrten-
gesicht geisterte durch den gläsernen Gesichtspanzer. „Nur eine
Gesteinsprobe, Parker – nur eine …“

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„Zurück!“
Jim packte zu. Aber der Professor riß sich mit einem Ruck
los und rannte mitten in den Strahlenpilz hinein. Schon um-
wölkten ihn grüne, aktive Wolken.
„Laß mich!“ schrie Fritz Wernicke von oben her, als er sah,
daß Jim dem Professor bedenkenlos nachdrang, und sprang
ebenfalls in die Mulde.
Der Professor war bereits mitten in der Strahlenhölle.
Seine Augen waren scharf – als sie die unbekannte Materie
vor sich sahen, wurden sie groß und leuchtend.
Forscheraugen!
Als er sich bückte, um einen Brocken des grauen, rissigen
Gesteins aufzuheben, wurde es dunkel um ihn. Der Kommodore
kam noch rechtzeitig heran, um ihn aufzufangen.
„Fritz!“
„Komme schon.“
Jim konnte keine Luft mehr holen – das war die Hölle –
wirklich, das war sie – lautlos umstrahlte sie mit ihrer teufli-
schen Kraft die Männer. Gespenstisch tauchte eine gelbe Gestalt
auf.
„Schnell, Fritz – faß an …“
Leblos hing der Professor in den Armen, die ihn langsam
aufhoben. Die Lungen keuchten. Unerträglich die brennende
Hitze – doch kalt der Schweiß, der ihre Körper schwächte.
„Wir müssen es schaffen, Fritz.“
„Da – Jim – da …“
Der gelbe Kopfpanzer Wernickes zeigte auf einen schmalen
Riß im Boden der Mulde, in die sich ein handgroßer Brocken
der grauen Materie verklemmt hatte. Dieser Brocken war aktiv
– aus ihm schoß der furchtbare Strahl des Todes hervor.
„Weiter, Fritz.“
Wernicke blieb jedoch stehen und begann zu taumeln.
„Fritz – Whiskytöter!“ schrie der Kommodore seinen Kame-

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raden verzweifelt an. „Nicht, Fritz – nicht nachgeben – vor-
wärts.“
Unendlich langsam setzte Wernicke sich wieder in Bewe-
gung.

Aber in Fairbanks atmeten sie unwillkürlich auf, diese Frauen


und Männer, die ihren Heimatort hatten verlassen müssen. Jim
Parker ist am Great Bering Hill!
„Er hat schon so vieles vollbracht“, sagte eine abgehärmte
Frau mit Tränen in den Augen. „Er wird auch mit dem grünen
Strahlentod fertig werden:“
„Wir wollen es hoffen“, nickte Henry Andrews, obwohl er
das genaue Gegenteil wünschte.
„Er wird es schaffen.“
Eine aufgelockerte Stimmung breitete sich in der Halle des
Alaska-Hotels aus. Von irgendwoher tauchte eine kleine Musik-
kapelle auf und begann, für die Leute aus New Oregon volks-
tümliche Tänze zu spielen.
„Wie geht es dem kleinen Miller?“ erkundigte sich Aline.
„Ich will nachher noch in das Staatliche Hospital.“
„Er kommt durch.“
„Wirklich?“
„Seine Mutter war vorhin bei einem der Ärzte. Auch die an-
deren werden es schaffen“, berichtete ein alter Mann, der mit
Aline, Andrews und vier anderen an einem Tisch saß. „Aller-
dings hatte der Doktor gesagt …“
Der schöne Henry sah interessiert von seinem Glas auf.
„Nun, was hat gesagt …?“
„Wenn sie auch nur eine halbe Stunde länger in New Ore-
gon geblieben wären, hätte man ihnen nicht mehr helfen kön-
nen.“

42
Eine große Dankbarkeit erfüllte Aline. Gerade als die Musik
mit einem alten Volkstanz einsetzte, der den einfachen Men-
schen in die Glieder fuhr, trat ein Kellner an den Tisch.
„Verzeihung – Mister Andrews?“
Henry Andrews erhob sich sofort. „Was ist?“
„Sie werden am Fernsprecher verlangt.“
„Ich komme.“
„Kommen Sie aber gleich wieder, Henry“, rief Aline aufge-
räumt aus. „Und dann soll die Kapelle das Stück noch einmal
spielen.“
Andrews nickte, aber seine Gedanken waren schon wieder
bei dem gefährlichen Unternehmen, in das er sich eingelassen
hatte. Am Apparat war Slogan.
„Es ist so weit, Andrews“, sagte er kalt.
Der schöne Henry verzog keine Miene. „All right, Slogan!
Durchführung wie vorgesehen. Haben Sie schon erfahren, wo
die Kassette des alten O’Connor steckt?“
„Noch nicht“, kam es gereizt und böse zurück. „Es ist ‘ne
verdammte Schweinerei.“
„Ich werde mich selber darum kümmern. Schluß.“
„Machen Sie es gut“, klang ihm Slogans unangenehme
Stimme beschwörend ans Ohr. „Ich habe mir die Sache viel
kosten lassen, Andrews.“
„Sie soll ja auch was einbringen.“ Andrews lächelte höhnisch,
als er in den Saal zurückging. Voll und mit Gefühl sangen die
Geigen, schmachtete das Akkordeon. Slogan, ich werde dir was
husten, dachte er. Das Geschäft machen wir allein.
„Hallo, Henry!“
Er holte sie zum Tanz. Sie waren ein schmuckes Paar, wie er
sie sicher durch das Gewirr der Tanzenden leitete. Aber trotzdem
sahen die Leute aus New Oregon mit Mißvergnügen, daß ihre
Aline mit diesem eleganten Gentleman tanzte.
Aline aber hätte aufjubeln können, als er seinen Mund dicht

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an ihr Ohr brachte und leise sagte: „In zwei Stunden fliegen wir
nach New Oregon.“
„Ist es wirklich wahr?“
„Wenn ich es sage?“

„Vorwärts, Fritz!“
Wie schwer doch der Körper eines feingebauten, schmächtigen
Mannes sein konnte, wenn er kraftlos auf den Armen lastete.
Fritz hörte sein Blut in den Schläfen singen. Das Herz war
schwer und raste dumpf und überanstrengt in der Brust.
„Vorwärts, Fritz!“
Langsam, unendlich langsam kämpften sie sich aus der Hölle
der sengenden, würgenden grünen Strahlen heraus. Wie urwelt-
liche Gespenster sahen sie aus – die Männer in den gelben An-
zügen mit dem schwarzen Totenkopf und dem gefilterten Kopf-
panzer aus Kunstglas.
„Verflucht, Jim – wenn ich nicht gleich ‘nen anständigen
Whisky .“
„Weiter!“
Nun hatten sie den Abhang der Mulde erreicht. Flach war er,
wie der Rand eines Tellers, aber sie hatten das Empfinden, einen
Zweitausender besteigen zu müssen.
„Da vorn“, keuchte Jim. „Unsere Maschine – dort sind wir in
Sicherheit.“
Seine Lippen bluteten, weil er sie wütend über seine Schwä-
che, mit den Zähnen aufgerissen hatte. Aber da vorn stand der
gute alte Hubschrauber, der schwerfällige, oft verlachte Kasten.
Der Professor stöhnte auf und bewegte sich.
„Langsam, Professor“, sagte Jim unwillkürlich. „Mach uns
die letzten zehn Meter nicht noch schwerer.“
Zehn Meter? Lächerliche zehn Meter? Nun wieder auf ver-

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hältnismäßig ebenem Boden. Waren es nicht zehn Meilen?
Konnte es denn sein, daß man sich so schrittweise vorwärts
quälen mußte?
Aber der Strahlenpilz, der lautlos den grünen Tod über das
weite Land warf, hielt sie fest.
„Ich kann nicht mehr, Jim.“
„Du kannst, Fritz – vorwärts!“
Zwei Meter. Da war der Schalter der Hermetiktür. Mit letzter
Kraft drückte Jim seine Schulter dagegen.
Endlich öffnete sie sich.
Schon lag der Professor in der Kabine. Zwei ausgepumpte,
halb erstickte Männer, denen vor den brennenden Augen alles
verschwamm, polterten hinterher. Automatisch schloß sich die
Hermetiktür.
„Geschafft, Jim!“
Fritz Wernicke taumelte in ein Sitzpolster. Mit dem Gefühl,
auch jetzt noch in den Strahlen zu verbrennen, fiel er hinten-
über. Jim aber konzentrierte sich mit letzter Energie auf die
Überprüfung der Bordinstrumente.
Was er sah, ließ ihn aufschreien.
„Jim“, flehte der Steuermann. „Was ist .?“
„Wir – haben – es nicht geschafft“, würgte der Kommodore.
„Es ist aus. Der Strahlenschutzpanzer ist in seiner Struktur zer-
stört. Der Motor ist hinüber.“
„SOS, Jim – schnell …“
„Laß“, winkte der Kommodore düster ab. „Der Kurzwellen-
sender ist ebenfalls außer Betrieb. Wie aufgeschmolzen von den
grünen Strahlen.“
„Dann – dann sind wir …“
„Verloren, mein Alter.“ Unwillkürlich legte er die Hand auf
die Schulter seines besten Kameraden. „Alaska ist doch kein
gesegnetes Land, in dem es nur Glühpunsch gibt.“
Ungehindert konnten nun die furchtbaren Strahlen herein-

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dringen. Die Köpfe der Männer sanken vornüber. Noch einmal
wollten sie sich keuchend gegen den unsichtbaren Feind auf-
stemmen.
Aber röchelnd brachen sie zusammen.
Die grünen Strahlen waren stärker.

In New Oregon war es nicht geheuer.


Dare Slinn war die Ortsstraße und sämtliche Nebenwege ent-
langgerast, hatte jedes Haus untersucht – jede kleine Kammer –
und hatte buchstäblich unter jedes Bett gesehen.
In einem Haus fand er eine verdächtige Unordnung vor. Und
einmal warf sich ihm eine Gestalt entgegen und hieb ihm die
Faust in die Magengrube.
Tiefschlag. Dare Slinn kam erst bei „10“ wieder zu sich. Da
war er schon wieder allein auf der verlassenen Straße.
Der Sergeant stieß Flüche aus, die zu den besten der Welt zähl-
ten. Aber den hinterlistigen Raufbold brachten sie nicht zurück.
„Jetzt mach du mal die Runde!“ befahl er wütend. „Aber paß
auf, daß man dir keinen Tiefschlag verpaßt.“
„He, he“, meckerte der Polizeigehilfe aufgeblasen. „Wäre
der erste Tiefschlag meiner Boxerlauf bahn. Ich pflege nämlich
immer als erster zu schlagen.“
Er nahm seine Knarre und, ging los.

Gegen vier Uhr nachmittags erreichten Slogans Luftgangster


New Oregon. Sie hatten Schneid, diese Burschen, die ansonsten
abgebrühte, kalte Verbrechernaturen waren. Nur ein paar Flie-
ger waren darunter, die ein widriges Schicksal auf die schiefe
Bahn des Lebens gebracht hatte.

46
Aber wenn der Dollar lockte – und die sehr ehrenwerten
Gentlemen Morgan und Slogan waren in bestimmten Kreisen
als großzügige Leute bekannt –, machte ihnen auch ein einset-
zender Schneesturm nichts aus.
Kelly Short machte gerade die zweite Runde und hatte von
seiner sonst unverwüstlichen guten Laune schon allerhand ein-
gebüßt.
Der Ort war trostlos und öde in seiner schweigenden Verlas-
senheit. Der aufkommende Wind, der nichts Gutes verhieß,
pfiff hohl und klagend um die leeren Häuser. Der Schnee zu
seinen Füßen sah grünlich aus in der scheußlichen, widernatür-
lichen Färbung des Himmels.
„Das gibt ‘nen Schneesturm, mein guter Kelly“, sagte der
Polizeigehilfe zu sich selber und erschrak, als seine Stimme
unheimlich im engen Kopfpanzer widerhallte. „Und wenn
meine Fingerspitzen wahrsagen, sogar ‘nen kleinen Bliz-
zard.“
Plötzlich blieb Kelly stehen und sah in den fahlen Himmel.
Klang nicht in der Ferne ein eigenartiges Singen auf, wie er es
gehört hatte, als er bei der Fliegertruppe diente und beim Ma-
növer den Anflug „feindlicher“ Flieger miterlebt hatte?
„Flieger?“ knurrte er. „Kommt der Kommodore schon zu-
rück?“
Das Singen wurde immer stärker, härter und metallener vom
aufkommenden Wind herangetragen. Sie mußten aus Nordwest
kommen. Unwillkürlich fiel Kelly die Meldung ein, die er da-
mals als Soldat machen mußte. „Feindliche Kampfgeschwader
im Anflug …“
Neben ihm lief eine Katze wimmernd über die Straße. Kelly
hatte ein gutes Herz, und das sterbende Tier, das langsam von
den grünen Strahlen verbrannt wurde, tat ihm leid. Für Sekun-
den vergaß er das unheimliche Singen heranrasender Motoren.
Plötzlich jedoch – Kelly bückte sich gerade nach dem armen

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Kater, der hilflos beim Menschen Schutz suchte – schoß aus
dieser Motorenmelodie ein pfeifendes Johlen heraus.
Drei Düsenjäger rasten tief über die Dächer. Bordwaffen
bellten – Geschosse klatschten in die Häuserwände. Kelly
sprang auf.
„Thunderstrom!“ fluchte er. Dann warf er sich herum und
jagte zu O’Connors Haus, in dem der Sergeant saß und darauf
wartete, daß der Raufbold wiederkomme. Slinn kam ihm schon
in der Tür entgegen.
„Habe schon gehört“, sagte er ruhig, während sie die Straße
weiter entlangrannten.
„Dare – was bedeutet das?“ wollte Kelly atemlos wissen.
„Das riecht mir doch verdammt nach einem Überfall.“
„Es riecht nicht nur danach“, lachte Dare Slinn kurz auf.
Hinter ihnen pfiff es wieder heran – diesmal war es ein Ein-
zelgänger – sie warfen sich zu Boden – Feuergarben peitschten
durch die frühe Winternacht.
Vor ihnen stand das Sheriffhaus.
Gerade unter dem Dach schlugen die Brandgeschosse ein,
die sofort zündeten.
Eine Flamme schoß hoch.
„Die Kurzwellenanlage!“ rief Dare Slinn und rannte bereits
auf das Haus zu. Aber das Feuer, das nun auch an anderen Stel-
len des niedrigen Baus hochschoß, versperrte ihnen den Weg –
sie kamen nur bis zum Schlafzimmer –, der kleine Wohnraum,
in dem der Sheriff auch zu arbeiten pflegte, war eine einzige
helle Glut.
„Er kommt wieder, Dare.“
Neuer Anflug der Gangstermaschine.
Die beiden Männer mußten türmen – ganz jämmerlich tür-
men –, und der Polizeisergeant hätte aufheulen können vor
Scham. Aber wie konnten sie gegen diese rasende Maschine
etwas ausrichten?

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Abermals knallten Brandgeschosse in das Haus.
„Zielen kann der Bursche“, mußte Slinn anerkennen, während
er sich zum dritten Male aufraffte. „Nun langt es mir aber.“
Sie standen wie in einem phantastischen Angsttraum – als
wenn die Sendboten des Weltuntergangs über sie gekommen
wären.
„Was hast du vor, Dare?“
Der Sergeant hatte von Jim Parker einen Atombrenner erhalten.
Er nahm die ihm noch ungewohnte Waffe und winkte seinem
Kameraden, hinter einem Nachbarhaus Deckung zu nehmen,
während er selber um das brennende Sheriffhaus herumging, da
er einen vierten Angriff von der Vorderfront erwartete.
Wenn die Maschine über dem Haus war, wollte Dare Slinn
sie mit seinem Atombrenner abschießen.
Aber sie kam nicht wieder.
Dafür erzitterte die Luft
unter dem Gedröhn schwerer
Motoren, wie sie große
Hubschrauber haben. Vier –
fünf – sechs große Kästen
waren plötzlich über dem Ort
und schraubten sich langsam
tiefer.
Atemlos sahen die beiden
einsamen Männer den
unbekannten Feind zur
Landung ansetzen. Sein Auftauchen kam für sie so überra-
schend und wirkte so unheimlich, daß Kelly unwillkürlich aus-
rief:
„Marsmenschen!“
„Unsinn“, knurrte der Sergeant, der regungslos, den Atom-
brenner in der Rechten – eine der großen Maschinen direkt auf
sich und seinen Kameraden zukommen sah.

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„Das ist eine ganz große Schweinerei, Kelly.“
„Gangster?“
„Heilsarmee bestimmt nicht.“ Sein Gesicht war starr. Er
wußte, daß sie einen hoffnungslosen Kampf vor sich hatten,
aber er brauchte Kelly Short nicht erst zu fragen, ob sie ihn
kämpfen sollten.
„Jetzt gilt es, Kelly.“
Der Hubschrauber hing noch etwa sechzig Meter über ihnen.
Es begann nun zu schneien. Der Wind wurde zum Sturm, der
sich aus dem Norden heranballte und donnernd eine weiße
Front von Schnee vor sich hertrieb.
„Kelly, übernimm du den Westteil. Mach’ es gut, alter Junge.“
Sie wurden nicht theatralisch – sie gaben sich nicht die Hand
oder umarmten sich –, sie nickten sich nur kurz zu und mußten
schnell einmal schlucken.
„Mach’ es ebenso, Dare.“
Durch das dichte Schneegestöber rannte Kelly davon. Sie
mußten bis zur letzten Patrone kämpfen – eine andere Möglich-
keit gab es für diese Männer von der Nordland-Polizei nicht.
Flüchtig durchzuckte Dare Slinn ein Gedanke. Würde Jim
Parker ihnen vielleicht zu Hilfe kommen? Aber er hatte sich seit
Stunden nicht mehr vom Great Bering Hill gemeldet.

Generaldirektor Cunningham sah auf die Schreibtischuhr, die


mit leisem Summen die Sekunden zählte.
„Seit drei Stunden nichts mehr vom Great Bering Hill.“ Er
ließ die flache Hand auf den Tisch klatschen. Oberstleutnant
Mortimer vom S.A.T.-Sicherheitsdienst saß ihm gegenüber und
qualmte gelassen eine seiner Zigaretten, die er sich selber aus
billigem Tabak zu drehen pflegte. Er sah noch keinen Grund,
sich groß aufzuregen.

50
„Jim wird anderes zu tun haben, als alle zehn Minuten einen
Bericht zu geben.“
„Ihre Nerven möchte ich haben“, brummelte der Allmächtige
des Atom-Territoriums neidvoll und legte seine Havanna in den
Ascher, die ihm nun glücklich zum sechsten Male ausgegangen
war. In diesem Augenblick trat der Privatsekretär Shilling ein.
„Mister Cunningham. Das Alaska-Observatorium in Juneau
meldet, daß die Strahlung des unbekannten Phantoms in der
Hügelkette bei New Oregon an Intensität verloren hat.“
Cunningham riß seine Leibesfülle in die Höhe. „Das – das ist
eine gute Nachricht.“
Shillings bleiches Gesicht blieb unbewegt. „Das Observato-
rium warnt jedoch vor einem vorzeitigen Optimismus, da Pro-
fessor Varras bereits vor Tagen die Meinung vertreten hat, daß
die Intensität der Strahlen schwankend sein könnte“, berichtete
er in seiner monotonen Art weiter. „Die Wissenschaftler sind
sich einig darüber, daß es verfrüht wäre, den Einwohnern von
New Oregon bereits Hoffnungen auf eine Rückkehr zu ma-
chen.“
„Hm – was meinen Sie, Mortimer?“ Er bekam eine ganze
Ladung des scheußlichen Qualms, den der Sicherheitshäuptling
von sich paffte, in die Nase und mußte entsetzlich husten.
„Wenn Sie sich doch nur mal ein anderes Kraut zulegen würden“,
ächzte er. „Ich gebe Ihnen glatt fünfzig Dollar mehr dafür.“
„Besten Dank“, grinste der Lange. „Ich lege Ihnen wöchent-
lich hundert Dollar auf den Tisch, wenn Sie mich künftig mit
solchen Vorschlägen verschonen. Was ich zu der Meldung des
Observatoriums meine? Daß die Ansicht der Leute sehr ver-
nünftig ist. Bevor nicht geklärt ist, um was für ein Zeug es sich
bei dieser unbekannten Materie handelt, würde ich keiner Seele
die Erlaubnis zur Rückkehr geben.“
„Vernünftig gesprochen“, lobte der Gewaltige. „Sie denken
bezüglich dieser Angelegenheit so ähnlich wie ich.“

51
„Nicht ganz.“ Die stinkende Zigarette wurde nun endlich
ausgedrückt. „Ist Ihnen der Name Slogan ein Begriff?“
Cunningham hob die Schultern. „Ich höre so viele Namen,
Mortimer.“
„Slogan ist Eigentümer einer Silbermine und hat seinen
Wohnsitz in Fairbanks. Er ist wiederholt in recht dunkle Sachen
verwickelt gewesen.“
Cunningham wurde aufmerksam. „Und?“
„Durch meine V-Leute habe ich erfahren, daß er bei einem
Chicagoer Gangsteragenten 20 Flugzeuge verschiedenen Typs
und 200 Mann der berüchtigten Chicagoer Schwarzen Garde
bestellt hat und diese in Alaska einsetzen will. Diese Information
erhielt ich vor einer Stunde.“
„Ich verstehe nicht recht, Mortimer – will der Mann etwa auf
eigene Faust Alaska erobern?“
„Möglich. In Fairbanks wohnt übrigens ein Chemiker, Joshua
Evans, genannt der ‚Doktor’, der gute Kenntnisse über Strahlen-
schutzpanzer und ähnliches hat. Den kennen Sie doch?“
„Evans?“ brüllte der Generaldirektor auf. „Den wir vor Jahren
hier hinauswerfen mußten, weil er das Schnüffeln nicht lassen
konnte? Arbeitet der etwa mit diesem Slogan zusammen?“
„Jedenfalls sind sie gute Bekannte. Es wird Zeit, daß wir
unsere Begleitkommandos verstärken. Ich durchschaue diese
Burschen noch nicht, aber Slogan bestellt sich keine Privatar-
mee, um harmlose Manöver zu veranstalten. Es ist gut, daß die
Strahlungsintensität wenigstens vorübergehend gemildert ist.“
Der Oberstleutnant erhob sich und trat an eine Karte von
Alaska, auf der bereits einige Punkte mit roten Kreuzen mar-
kiert waren. „Bisher mußten wir das Begleitkommando zu-
rückhalten, da wir keine Menschenleben aufs Spiel setzen
wollten. Sind Sie damit einverstanden, daß wir das Flugschiff
‚Williams’ mit 30 Mann zum Great Bering Hill vorrücken las-
sen?“

52
„Selbstverständlich. Ich gebe gleich entsprechende Anwei-
sungen.“ Cunningham wuchtete erstaunlich elastisch um den
Schreibtisch herum. „Und die Nordland-Polizei?“
„Halten wir vorerst zurück. Sie kann Fairbanks unter scharfe
Kontrolle nehmen.“
„Hoffentlich meldet sich Jim bald“, meinte Cunningham.
„Das sieht mir doch nach einer großen Teufelei aus.“

Die große Teufelei war bereits in vollem Gange. Mortimer kam


mit seinem Einsatzbefehl an das Begleitkommando um einige
Stunden zu spät – was aber durch die allgemeinen Verhältnisse
bedingt und nicht seine Schuld war.
Dare Slinn und Kelly Short verteidigten sich, so gut sie
konnten – aber lange konnte es nicht mehr dauern. In der Erre-
gung des Kampfes achteten sie nicht darauf, daß die Strahlungs-
intensität vom Great Bering Hill her abnahm.
Aber es war tatsächlich so.
In der Hermetikkabine des großen Hubschraubers lagen der
Kommodore und seine Begleiter in dämmeriger, halber Be-
wußtlosigkeit. Es war das Unheimliche an diesem Zustand, daß
sie hören und sehen, aber sich nicht bewegen und sprechen
konnten. Durch die Schutzanzüge gemildert, hatte die Lähmung
nur die körperlichen Funktionen befallen.
Jim sah und hörte alles – aber es war ihm nicht möglich,
auch nur einen Finger zu bewegen.
Stunden vergingen.
Er lag über ein Sitzpolster gestreckt, konnte aber schräg
durch das Fenster den grünen Strahlenpilz sehen. Er sah auch,
wie dieser plötzlich in sich zusammensank.
Nach Sekunden lockerte sich der Griff des unsichtbaren Rie-
sen, der die Männer mit eiserner Faust niederhielt. Jim ver-

53
mochte den Kopf ein wenig zu erheben. Auch sprechen konnte
er wieder, wenn es auch furchtbar anstrengte.
„Fritz – Professor!“
Seine Kameraden keuchten, konnten aber noch kein Wort
hervorbringen.
„Wird es besser?“ fragte Jim besorgt.
Da kam es wie ein „Ja“ über ihre Lippen. Jim versuchte nun
weiter, seine Glieder zu bewegen – es war schwer, sie hochzu-
stemmen. Endlich hatte er die Arme wieder in seiner Gewalt.
Der Oberkörper wollte noch nicht. Er stemmte die Arme auf,
konzentrierte sich ganz darauf, die Muskeln zu spüren, und
schließlich konnte er die Schulter etwas anziehen.
„Jim!“ Fritz Wernicke sah aufmerksam zu, wie der Kommo-
dore es machte. „Jetzt, Jim – mit einem Ruck!“
Jim preßte die Zähne zusammen, daß sie knirschten. Er hob
den Kopf etwas an. Durch den Kunstglaspanzer konnte man
sehen, wie er sich dabei anstrengen mußte. Dann – eine letzte
Kraftanstrengung – und er saß mit aufgerichtetem Oberkörper.
„Nachmachen, Fritz – und dann kümmern wir uns um den
Professor.“

Die Gangster waren nun in New Oregon gelandet. Die Partie


stand trotz tapferer Gegenwehr der beiden Männer von der
Nordland-Polizei, immer noch gut 2 : 150. Slinn und Short
mußten sich in das Haus des alten O’Connor zurückziehen.
Von hier aus sah Dare Slinn, wie aus einer der Maschinen
Aline Crane und Henry Andrews stiegen und der schöne Henry
das junge Mädchen in das väterliche Hotel führte. Er mußte
sich festhalten – aber sie waren es wirklich.
Henry Andrews führte das Mädchen in ein Zimmer. „Du
wirst mich bald verstehen, Aline.“

54
„Warum kämpfen Sie gegen die Polizei, wenn Sie im Regie-
rungsauftrag handeln?“ fragte sie und konnte die Angst nicht
mehr unterdrücken, die über sie kam. Der schöne Henry war
sehr um sie bemüht. Aber sie zuckte unwillkürlich zusammen,
als seine Hand ihre Schulter berührte.
„Warum schießen Sie auf die Nordland-Polizei?“
Er ging mit einer Handbewegung über ihre Frage hinweg.
„Bleiben Sie vorläufig hier im Zimmer, Aline, und …“
„Nein, Henry.“ Sie trat ihm in den Weg. „Ich will es wissen –
Sie kämpfen gegen die Gesetze – ihr seid keine Männer, die in
einem geheimen Auftrage handeln – ihr seid …“
„Nun“, lächelte er freundlich.
„Verbrecher“, sagte sie leise und konnte es kaum aussprechen
vor Herzklopfen und Zittern.
Er nahm es ihr nicht übel. „Sie müssen so denken, Aline –
aber Sie werden bald einsehen, daß Sie mir Unrecht tun. Ich
kann leider noch nicht sagen, was die Besetzung von New Ore-
gon durch unsere Truppen bedeutet. Es hängt aber mit dem
Strahlenpilz über dem Great Bering Hill zusammen.“ Er zog sie
eng an sich. „Es sieht bestimmt sehr komisch aus, wenn ich Ihnen
im Schutzanzug eine Liebeserklärung …“
„Lassen Sie mich los“, wehrte sie sich.
„Aline“, sagte er leise, und seine Stimme hatte wieder jene
geschmeidige Wärme, die sie für junge Mädchen so angenehm
machte. „Sie müssen Vertrauen zu mir haben. Glauben Sie denn
wirklich, daß ich ein Gangster bin?“
„Ich weiß es nicht …“
Seine Hände liebkosten sie. Sie wandte sich schroff ab.
„Gehen Sie, Henry“, sagte sie hart.
Aber er ließ sie nicht mehr los.

55
Sergeant Slinn hatte verächtlich aufgelacht, als er Aline mit
dem schönen Henry das Hotel betreten sah.
„Mensch, Kelly – hast du das gesehen?“
Kelly ließ einen neuen Ladestreifen in seine MP gleiten.
„Bin doch nicht blind“, murrte er und sah den Sergeanten scheu
an – er wußte, daß es Dare treffen mußte.
„Aline Crane – ein Gangsterliebchen.“
„Rede nicht so geschwollen, Dare – das Mädel ist doch nur
auf diesen Andrews hereingefallen. Paß auf – drüben auf John-
sons Dach –“
„Habe ihn schon, Kelly.“ Eiskalt vor Wut legte Dare Slinn
an. Gleich darauf klatschte hinter dem weißen Vorhang des
Schneejagens eine Gestalt auf die Straße.
„Gut – gut“, lobte Kelly großzügig. „Nicht immer gleich me-
lodramatisch werden. Ob die S. A. T.-Männer nicht bald was
von der Schweinerei hier merken?“
„Der Kommodore wollte heute abend zurück sein.“

Sie wußten nicht, daß der Kommodore und seine Begleiter erst
einmal alles tun mußten, um die scheußliche Lähmung ihrer
Glieder zu überwinden.
„Es geht schon, Jim“, grinste Fritz Wernicke. „Was mir noch
fehlt, ist ein anständiger Whisky.“
Jim holte schon die Flasche aus dem kleinen Bordschrank.
„Den sollst du haben, mein Alter. Sie auch, Professor?“
Varras hatte die teilweise Lähmung am meisten mitgenom-
men. Aber auch er erholte sich nun rasch. Seine Augen waren
schon wieder aufmerksam und musterten das Bild des immer
kleiner werdenden Strahlenpilzes.
„Hier, Professor – das wird Ihnen guttun.“
„Thank you!“ Ohne zu zögern nahm er einen kräftigen

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Schluck aus der Flasche, daß es ihm bitter in der Kehle brann-
te.
„Nun, Professor?“ Jim wies auf den Strahlenpilz. „Wie denken
Sie darüber?“
„Für uns kommt das Abflauen der Strahlungsintensität zur
rechten Zeit“, lächelte der Professor. „Aber geben wir uns keinen
voreiligen Hoffnungen hin – in wenigen Minuten kann sie wie-
der stärker werden und sich in ihrer Wirkung noch steigern.“
„Schöne Aussichten“, knurrte Fritz Wernicke. „Na, denn
Prost! Täuschen mich übrigens meine schönen Ohren?“
„Sie täuschen dich nicht.“ Jim Parker öffnete die Hermetiktür.
Draußen landete eine mächtige Transportmaschine, die auf der
rechten Tragfläche das S. A. T.-Wappen trug. Ein schlanker
Mann in Pelzuniform federte schon auf dem Felsboden auf.
Hinter ihm zehn, fünfzehn Angehörige des S.A.T.-Einsatz-
korps.
„Hallo, Kommodore!“
„Hallo, Kameraden!“ Mit ausgebreiteten Armen eilten die
Männer aufeinander zu. „Ihr seid gerade noch zur rechten Zeit
gekommen.“
„Donnerwetter – sitzt ihr etwa in der Klemme?“
Jim wies auf das strahlende Phantom. „Das Ding hielt uns
fest. Unsere Kiste ist hinüber.“
„Donnerwetter“, sagte der Fliegerkapitän noch einmal, und
man sah ihm an, daß es ihm aus dem Herzen kam. „Dann wird
es für Sie wahrscheinlich eine Neuigkeit sein, daß es in New
Oregon brennt.“
„Keine Ahnung.“
„Tatsächlich, Jim – man kann es deutlich sehen“, rief Wernicke
aus. „Da drüben wird der Himmel rot – man kann es durch das
Schneetreiben hindurch erkennen.“
Jim wandte sich an den Bordfunker. „Ihre Kurzwellenanlage
ist doch intakt?“

57
„Selbstverständlich.“
Professor Varras, der bisher – wie es seine Art war – schwei-
gend zugehört hatte, hob die Hand. „Kommodore“, sagte er be-
unruhigt, „wollen Sie etwa die Untersuchungen abbrechen?“
„Das ist nicht meine Absicht“, schüttelte Jim den Kopf.
„Aber wir müssen uns auch um die Siedlung kümmern, die uns
anvertraut worden ist. Sobald wir können – vielleicht schon in
wenigen Stunden –, kehren wir zurück.“
Aber der Professor war damit nicht einverstanden. „Ich muß
hierbleiben, meine Herren – ich muß. Bedenken Sie bitte, meine
Herren, daß nun, da die Strahlung zurückgeht, sich bessere
Untersuchungsmöglichkeiten ergeben.“
„Sie wollen wieder in die Mulde steigen, Professor“, lachte
Jim. „Das kann ich nicht gestatten.“
„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich es tun werde“,
drängte Varras.
„Sorry – wir müssen zur Siedlung rüber, und allein kann ich
Sie hier nicht lassen.“
Varras nahm seinen Arm. „Kommodore, haben Sie ein Ein-
sehen. Es geht ja nicht darum, meine private Neugier als Wissen-
schaftler zu befriedigen, sondern nach einer genauen Analyse
einen Weg zu finden, der neuen Materie ihre Bösartigkeit zu
nehmen.“
Der Bordfunker kam aus seiner Kabine zurück. „Ich habe
dreimal durchgerufen, Kommodore. New Oregon antwortet
nicht.“
„Wir müssen sofort zu deinen verdächtigen Jünglingen,
Fritz.“ Und zum Professor gewandt: „Also gut: Ich lasse zwei
Mann hier bei Ihnen. Aber machen Sie keine Dummheiten,
Sir.“

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„Sie können mit mir machen, was Sie wollen, Boß“, sagte einer
der Gangster – ein blutjunger rothaariger Bursche. Er sah hals-
starrig auf den schönen Henry, der mit erhobenem Revolver vor
ihm stand.
„Du hast nach der Räumung des Ortes die Kassette aus Pat-
rick O’Connors Haus geholt?“ fragte er sanft – aber es war eine
gefährliche Sanftheit. Er hatte getrunken, und seine Bewegungen
waren fahrig.
„Yes – das heißt, ich war in O’Connors Haus“, stotterte der
Junge. „Aber ich habe sie nicht gefunden.“
„Du lügst.“
Die Umstehenden, denen der Junge offensichtlich sympathi-
scher war als ihr Gangsterboß, murrten. Neben der Treppe
lehnte – unbemerkt – Aline Crane. Sie war totenbleich und hatte
die Hand auf das jagende Herz gepreßt.
„Die Wahrheit will ich hören.“
Der Junge war stur wie ein Strohsack. „Ich habe sie nicht ge-
funden.“
„Weißt du, daß die Kassette einen wertvollen Inhalt hat?“
„No, Boß.“
„Auch das lügst du.“ Mit der Linken griff Henry Andrews in
die Tasche seines Schutzanzuges und holte eine dünne Papprolle
hervor. Der Junge trat unwillkürlich einen Schritt zurück, als er
sie sah, und streckte beide Hände wie zur Abwehr aus.
„Das ist der Inhalt der Kassette, du Halunke!“
Unheimlich still war es in der Halle von Cranes Hotel. Die
Gangster schoben sich dichter heran, wagten aber nicht, etwas
für den Jungen zu unternehmen.
„Soll ich dir sagen, wo ich das gefunden habe, old fellow? In
deiner Manteltasche. Komm mit raus.“ Unfähig, diesem herri-
schen Befehl zu widerstehen, wollte der Junge ihm folgen, als
die große Haustür aufgerissen wurde und eine krächzende
Stimme hereinschrie:

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„Wir werden angegriffen – ein großes Flugzeug ist vor dem
Ort gelandet – wir werden angegriffen …“
Ohne zu überlegen, ließ Henry von dem Jungen ab und raste
hinaus. Die anderen folgten ihm mit großem Gepolter. Aline nahm
den Jungen und führte ihn in das Wohnzimmer. „Verstecken Sie
sich hinter diesem Schrank“, drängte sie mit fiebernder Stimme.
„Ich will nicht, daß er – ja, hier –“
Der Junge klemmte sich in das Versteck. Bewundernd sahen
seine verstörten Augen auf das schöne Nordlandmädchen. Aline
verließ das Zimmer und schloß es von außen ab.
„Henry“, schluchzte sie auf und taumelte gegen die Wand.
„Es kann doch nicht sein, daß du ein Verbrecher – und ein
Menschenschinder bist –“
Von draußen bellten Schüsse herein.
Der Schnee stob durch die Straße – der Sturm, der aus dem
hohen Norden heranraste, hatte volle Gewalt. Es war finster –
die grünen Schleier des Strahlenpilzes gingen zurück.
„Hierher, Fritz“, klang die scharfe Stimme des jungen Kom-
modores durch das Unwetter. „Das zweite Haus – so ist es rich-
tig –“
Die Luftpiraten hatten sich in einigen Häusern verbarrika-
diert und verteidigten sich mit der Hartnäckigkeit von Männern,
für die es im Falle ihrer Festnahme nur den Weg ins Zuchthaus
oder auf den elektrischen Stuhl gab. Aus dem Schneegestöber
heraus sprang eine Gestalt auf Jim zu.
„Hände hoch!“
„Nicht, Kommodore!“ Es war Sergeant Slinn. „Schätze, daß
Sie keine Minute zu früh gekommen sind. Aber nun werden wir
mit dem Gesindel schon fertig werden.“
„Wer ist der Anführer, Slinn?“
„Ein Mann namens Andrews“, knurrte der Sergeant. „Ich
kenne ihn.“
„Los, Mann – den müssen wir haben.“

60
*

Aber sie bekamen den schönen Henry noch nicht. Wenn er auch
getrunken hatte, so waren seine Augen doch noch scharf genug,
um auf den Pelzuniformen seines neuen Feindes das S. A. T.-
Wappen zu erkennen.
Das sagte ihm genug. Er dachte gar nicht daran, sich mit diesen
Leuten einzulassen. Es ging schließlich nicht um die Siedlung,
sondern um ganz andere Dinge – wenn New Oregon auch als
Stützpunkt nicht zu unterschätzen war.
Einer der Hubschrauber erhob sich widerwillig in die schnee-
durchraste Luft und nahm Kurs auf den Great Bering Hill. Mit
Henry Andrews flogen zwei seiner besten Leute.
„Wir werden uns New Oregon wiederholen“, versprach er
seinen murrenden Gefährten, „aber zuerst müssen wir den Great
Bering Hill haben.“
„Die grüne Strahlung ist besser geworden.“
„Ich weiß – und das ist unsere große Chance.“

Aline Crane schleppte sich vor die Haustür. Sie hielt es nicht
mehr aus in ihrem Zimmer. Draußen stieß sie auf zwei Männer,
die sie festhielten.
„Wo ist Henry Andrews?“ herrschte der eine sie an. Es war
Sergeant Dare Slinn.
„Ich weiß es nicht“, sagte sie leise und angstvoll.
„Du bist doch mit ihm zurückgekommen!“
Sie senkte den Kopf und antwortete nicht. Das also war das
Ende. Man würde sie jetzt festnehmen, wie die anderen Gangster
– wie Andrews und den zitternden Jungen oben hinter dem alten
Kleiderschrank – wie alle diese Raubritter.

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„Gnädiges Fräulein wollen den schönen Henry nicht verraten,
wie?“ höhnte Dare Slinn, obwohl es ihn in der Kehle würgte.
Jim Parker sah das Mädchen wanken und konnte es gerade noch
auffangen.
„Was soll das, Sergeant?“ sagte er unwillig. „Wer weiß, wie
sie in dieses Abenteuer gerutscht ist?“
„Ich weiß es“, grinste Dare böse und schnippte mit den
Fingern. Aber als er dabei auf ihr Gesicht sah, fiel der beißende
Hohn von ihm ab. Er hätte sie dem Kommodore am liebsten aus
den Armen genommen.
„Sie wird gleich wieder zu sich kommen.“ Jim trug sie in den
Schankraum und legte sie auf ein Sofa. „Vielleicht machen Sie
etwas heißen Tee. Versuchen Sie, möglichst viel von ihr zu er-
fahren. Sie können ihr ruhig für eine Viertelstunde den Kopf-
panzer abnehmen. Ich komme nachher noch mal rüber.“
Dann war Dare Slinn mit seiner Jugendfreundin allein. Nur
noch vereinzelte Schüsse hallten durch den Schneesturm – der
Kampf mußte so ziemlich entschieden sein. Leise zischte hinter
der Theke, wo sonst Vater Crane mit seinen Flaschen zu jong-
lieren pflegte, die Azetylenlampe. Dare mußte daran denken,
wie er vor einigen Tagen mit Kelly Short hier hereingekommen
war, als Andrews gerade um das Mädel herumgeschmust hatte.
Aber nun empfand er nur noch ein tiefes Mitgefühl mit diesem
jungen Menschenkind, das einem Abenteuer in die Hände ge-
fallen war.
„Dare!“
Er war hinter die Theke gegangen, wo der kleine Spiritus-
ofen stand, und hatte Wasser für einen heißen Tee aufgesetzt.
Als sie ihn rief, tat sie es mit jener eigenartigen Betonung, mit
der sie seinen Namen auszusprechen pflegte, als sie noch ihren
Eltern mit zerworfenen Fensterscheiben und geschwänzten
Schulstunden etwas Abwechslung in die Eintönigkeit ihrer Ta-
ge brachten. Als sie es nun wieder sagte, hörte es sich vertraut

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an. Er rückte den Kocher über der Flamme zurecht und ging zu
ihr.
„Dare – habt ihr Andrews wirklich noch nicht gefunden?“
Sie hatte sich aufgerichtet und sah ihn mit großen Augen an.
„Das freut dich wohl?“ knurrte er und schob sich einen Stuhl
heran. „Wir werden ihn schon finden – verlaß dich drauf!“
„Wenn er ein Verbrecher ist, hat er es verdient, daß ihr ihn
findet“, sagte sie leise und wagte nicht, ihn dabei anzusehen.
„Aber – wenn er – es nicht ist?“
„Warum sollte er es nicht sein?“
„Er sagte es – aber …“
„Aber?“
„Ach, Dare.“ Sie begann vor sich hinzuweinen und machte
ein unglückliches Gesicht, wie damals, als sie Mrs. Millers neue
Blumenvase mit ihrem Ball zerschmettert hatte. Er sah es noch
deutlich vor sich, wie sie damals angerannt gekommen war und
ihm gesagt hatte, er müßte ihr helfen. „So gemein – kann einen –
doch – kein Mensch – belügen.“
„Du hast eine hohe Meinung von den Menschen“, lächelte er
behutsam. „Was hat er dir denn vorgeschwindelt?“
„Daß er im Auftrag der Regierung handle und alles eine ge-
heime Aktion gegen Verschwörer innerhalb der Polizei sei.“
Sergeant Dare Slinn von der US.-Nordland-Polizei mußte
dreimal tief Luft holen und schlug sich auf die Knie. „Dieser
Spinner! Das ist doch wirklich ein starkes Stück. Nun erzähle
aber mal alles, was du weißt, kleines Mädel.“
„Dann lachen Sie mich aus.“
Er nahm ihre Hände und beugte sich zu ihr hinab. „Wie hast
du mich früher angeredet, bevor der schöne Henry hier auf-
kreuzte?“
Ein kleines, scheues Lächeln huschte über ihre Züge. „Dann
lachst du mich aus, Dare.“
Nein, beschämen wollte er sie gewiß nicht. – Er war ganz

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ernst und hilfsberedt, als er sagte: „Ich lache dich bestimmt
nicht aus, Aline.“

Jim Parker knallte in irgendeinem der kleinen Häuser erbost


seinen Atombrenner auf den Wohnzimmertisch.
„Das hat mir noch gefehlt! Der Strahlenpilz, der jede Minute
wieder losbrennen kann, ist schon schlimm genug – aber nun
noch das …“
Fritz Wernicke sah sich suchend nach etwas Trinkbarem um.
„Aber wir haben es doch geschafft. 112 dieser vornehmen
Gentlemen mit Revolverwesten sind unsere Gäste. Was willst
du noch mehr?“
„Was nützt das, Fritz?“ Der Kommodore ging mit großen
Schritten – in der einen Hand die lang entbehrte „Maza-Blend“,
die andere Hand in der Tasche – in dem kalten, verstaubten
Wohnraum auf und ab. Die Luft wurde immer besser und er-
träglicher, und schon hatten die Männer ihre gläsernen Kopf-
panzer abgelegt. Allerdings konnte es jeden Augenblick über
ihnen am Himmel wieder grün heranfingern.
„Was nützt uns ein Haufen von Revolverhelden? Wir müssen
die Zusammenhänge sehen. Das Ganze dreht sich natürlich um
die geheimnisvolle Materie im Great Bering Hill.“
„Ist denn hier wirklich kein Feuerwasser? Bei allen Planeten –
was will man denn mit diesem Zeug? Will man mit den hüb-
schen grünen Strahlen spielen?“
„So ungefähr.“ Jim sah nachdenklich aus dem Fenster in das
Schneetreiben, das nun schon stundenlang anhielt. „Hinter die-
sen Verbrecheraktionen steckt ein verlockender Gedanke:
Wenn es gelingt, diese grüne Strahlung, deren Wirkung vier-
hundertmal größer ist als die einer der uns bekannten atomaren,
unter menschliche Kontrolle zu bringen, läßt sich damit schon

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allerhand beginnen. Beispielsweise hätte man damit ein Macht-
mittel in der Hand, gegen das alle Armeen und Luftwaffen der
Welt nichts unternehmen könnten.“
„Ahem.“ Fritz hielt in seiner Schnapssuche inne und vergaß
für Sekunden die Qualen seines Durstes. „Das wäre ‘ne Sache!
Dann steckt vielleicht eine auswärtige Macht dahinter?“
„Oder eine wirtschaftliche Interessentengruppe.“ Jim horchte
auf. Draußen erklangen schwere Schritte. Der Bordfunker des
Flugschiffes trat ein.
„Verzeihung, Kommodore – Funkmeldung aus Orion-City.“
Jim Parker atmete auf. Endlich! „Thank you, Moores. Warten
Sie bitte!“ Die Zigarette im Mund, las er, was Oberstleutnant
Mortimer vom Sicherheitsdienst ihm antwortete.
„Bericht betreffs New Oregon eingegangen. Dank für tat-
kräftiges Aufräumen. Halten Sie den Ort! Verstärkung folgt,
falls dortiges Gebiet nicht wieder von übermäßiger Strahlung
verseucht wird. Bemühen uns um bessere Konstruktion der
Schutzanzüge, die Strahlung Grün angepaßt werden sollen.
Spuren führen nach Fairbanks. Drahtzieher vermutlich Slogan
und Morgan, wohnhaft in Fairbanks.0
Mortimer/BT – Jupiter.“

Die Spuren, die zu den Herren Slogan und Morgan führten, wa-
ren für den Sicherheitsdienst bereits deutlich erkennbar. Aber
die Partie begann erst und stand – trotz der Niederlage Slogans
in New Oregon – höchstens 2 : 1 für die Sicherheitspolizeibe-
hörden.
Der Great Bering Hill mit seinem Lager an unbekannter
hochaktiver Materie war dabei entscheidender Faktor.
„Wenn es uns gelingt, in drei Tagen die Einschlagmulden
auszuräumen, haben wir gewonnen“, erklärte Slogan sachlich,

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als löste er eine interessante Schachaufgabe. „Diesen zeitlichen
Spielraum haben wir noch.“
„Die Polizei ist uns auf der Spur“, gab sein Partner zu be-
denken. „Jede Minute kann sie zuschlagen.“
„Sie kommt leider etwas zu spät“, lächelte der krumme Slo-
gan dünn. „Vor einer Stunde habe ich den Befehl erteilt, den
Great Bering Hill einzukreisen. Ich bin fest davon überzeugt,
daß es gelingt, die Materie bei ihrem augenblicklichen Strah-
lungsminimum zu bergen. Und dann haben wir die Macht über
Alaska.“
„Von der Sie seit Jahren träumen?“
„Ja“, nickte der Minenbesitzer und sah auf ein Reliefmodell
von Alaska, das den Hintergrund des Schreibtisches einnahm.
„Davon habe ich seit meiner Jugend geträumt: Einmal der Be-
herrscher eines selbständigen Alaskas zu sein.“

Slogan war ein ausgezeichneter Rechner. Jim Parker hatte in


ihm einen ebenbürtigen Gegner gefunden. Seinem Wagemut
stand die eiskalte Berechnung eines machtbesessenen Mannes
gegenüber. Der Kampf um New Oregon war nur ein Vorpos-
tengeplänkel gewesen, und nun kam dem Minenbesitzer ein
Umstand zugute, den er nicht erwartet hatte: Die halsstarrige
Forscherseele Professor Varras’.
Um 6.30 Uhr nachmittags bekam er vom Kommodore die
Anweisung, mit einer Maschine, die trotz des herrschenden
Schneesturms bereits zum Great Bering Hills unterwegs war,
sofort nach New Oregon zurückzukehren. Nach wenigen Minu-
ten landete bereits ein einmotoriges Flugzeug. Der Professor –
in seine Untersuchungen vertieft und unmittelbar vor einem
sensationellen Ergebnis – schickte den Piloten nach einem kur-
zen Wortwechsel zurück.

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Weder er noch seine Begleiter noch der Flieger hatten gese-
hen, daß wenige hundert ‘Meter von seinem „Hauptquartier“,
dem unbrauchbar gewordenen Hubschrauber, drei Männer lagen,
die sich nun langsam heranrobbten.
Als der Einmotorige wieder in dichtem Schneegewirbel ver-
schwand, peitschten zwei Schüsse. Die Männer vom S. A. T.-
Einsatzkorps stöhnten auf und brachen zusammen. Der Profes-
sor fuhr herum.
„Bitte, nehmen Sie die Hände hoch, Herr Professor“, sagte
eine höfliche Stimme. Ein junger, schlanker Mann im Schutz-
anzug stand vor der Hermetiktür der alten Kiste. Varras ge-
horchte automatisch.
„Wer sind Sie?“
Sehr höflich verneigte sich der Mann. „Mein Name ist
Andrews. Es wird mir ein Vergnügen sein, mich mit Ihnen zu
unterhalten.“

„So war das mit Henry Andrews.“ Aline hatte sich aufgerichtet,
und Dare Slinn stand neben ihr und hatte seinen Arm um sie
gelegt. Es war wieder wie früher, wenn sie nach ihren Lausbü-
bereien eisern zusammenhielten.
„Ein skrupelloser Verbrecher.“
„Nein“, sagte sie und Sah vor sich nieder. „Er sagte einmal,
er hätte Schweres durchmachen müssen – und ich glaube, daß
es so ist.“
„Ahem“, räusperte er sich. Sie war doch ein feiner Kerl, der
einen Menschen nicht ganz fallenlassen wollte, der ihm einmal
nahegestanden hatte. Schade nur, daß ihre Gefühle diesem Bur-
schen galten. „Wir wollen warten bis zu seiner Festnahme, dann
kann er uns seinen Lebenslauf erzählen.“ Wieder räusperte er
sich, weil er nicht sagen wollte, was ihm dann doch herausfuhr:

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„Du hast ihn wohl noch gern, wie?“
Auf dem Ofen begann der Wasserkessel mit lautem Gepuste
zu kochen und paffte weiße Dampfwolken durch den leeren
Schankraum. Aline stand auf und ging zum Ofen.
„Ach so“, sagte der Sergeant für sich. „Da kann man nichts
machen, Dare.“
Sie hantierte lang am Ofen herum und brachte auf einem
Tablett Tee, Rum und zwei Gläser, die sie auf einen der klobi-
gen Holztische stellte. Schweigsam nahmen sie Platz. Als sie
ihm einschenkte, sah sie ihm in die Augen.
„Dare – ich weiß selber nicht, ob ich Henry Andrews noch
gern habe. Meine Gedanken sind noch bei ihm. Ich wünschte,
er möge unschuldig sein, aber –“
„Aber?“
„Wenn er doch gegen das Gesetz kämpfen sollte, will ich ihn
vergessen.“
Dare fand seinen Humor wieder. „Ich werde dir gerne be-
hilflich sein, wenn du ihn vergessen willst“, zwinkerte er. Sie
lachten und hoben ihre Gläser.
In das Klingen der Gläser tönte das Öffnen der Haustür. Das
Freudengeheul einer rauhen Männerstimme ließ sie zusammen-
zucken. Es war Fritz Wernicke, der die Rumflasche bereits er-
späht hatte.
„Horrido! Endlich eine Oase in dieser trockenen Wüste. Ent-
schuldigen Sie, meine Herrschaften! Haben Sie noch mehr Fla-
schen an Bord, schönes Fräulein?“
Sie nickte und wies auf die Theke. Der Steuermann wußte
sich vor Begeisterung nicht zu lassen. „Ich kaufe Ihnen den
ganzen Laden ab – gegen Barzahlung. Wer weiß, welche
Schrecken noch über die Menschheit kommen werden?“
„Können Sie haben“, grinste Dare. „Aber eine Flasche spen-
diere ich erst einmal.“
Fritz Wernicke konnte es nicht mehr erwarten. Er nahm das

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kleine Glas, das Aline ihm eingeschenkt hatte, und goß es hinter
die Binde. Dabei schlug er dem Sergeanten wohlwollend auf
die Schulter.
„Die Flasche wird dankend angenommen, allerdings erst bei
der Siegesfeier; denn jetzt müssen wir wieder hinaus ins feind-
liche Leben. Sergeant, der Kommodore läßt bestellen, daß er
Ihnen die Verantwortung für den Ort übergibt. Zehn Mann un-
seres Einsatzkorps bleiben hier und werden Ihrem Kommando
unterstellt.“
Sofort wurde Dare Slinn wieder dienstlich. „All right, Mister
Wernicke! Sie und der Kommodore fliegen wieder nach dem
Hügel rüber?“
Fritz nahm dankbar ein zweites Glas aus schöner Frauenhand.
„Wir müssen“, knurrte er. „Unser Professor hat wieder mal
seinen Dickkopf.“

Professor Varras sah auf die beiden jungen Angehörigen des


Einsatzkorps, die schwer angeschossen vor dem Hubschrauber
lagen. Die erhobenen Arme schmerzten ihn vor Aufregung.
„Mit Mördern unterhalte ich mich nicht.“
Henry Andrews wies auf ein Sitzpolster. „Wollen Sie bitte
Platz nehmen, Professor?“
„Ich verzichte.“
Für einen Augenblick sah der schöne Henry ziemlich ratlos
aus. Er empfand das Peinliche der Situation, die für ihn recht
beschämend war. Dieser Professor war schließlich nicht irgend-
wer.
„Die armen Kerle da drüben verbluten“, fuhr Varras fort.
„Wenn Sie sich nicht sofort um sie bemühen, brauchen Sie sich
keine Hoffnungen auf eine Unterhaltung mit mir zu machen.“
Henry gab seinen Begleitern einen Wink. Die Schwerverletz-

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ten wurden aufgehoben, verbunden und sollten zur Maschine
der Gangster hinübergetragen werden. Aber der Professor
schüttelte den Kopf.
„Hier herein! Ein bißchen schnell bitte! Ich bin kein Sportler,
der stundenlang mit erhobenen Armen stehen kann.“
Wieder ein Wink. Schweigend sah Varras zu. Dann ließ er
sich auf ein Sitzpolster sinken. Henry setzte sich ihm gegen-
über. „Bitte – Sie können die Arme herunternehmen.“
„Wird auch Zeit“, knurrte Varras und spürte, wie ihm die
Hände zitterten.
„Sorry – darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?“
„Behalten Sie Ihre Zigaretten. Was wollen Sie nun eigent-
lich?“
Die Verwundeten stöhnten leise. Die Gangster waren we-
nigstens so anständig, sie aus einer Feldflasche trinken zu las-
sen. Das nur noch in halber Höhe leuchtende Phantom in der
großen Mulde warf seinen grünen Schein in die Kabine. Die
Strahlen hatten hier jedoch noch eine ziemlich große Kraft.
Henry Andrews wies hinüber.
„Wir wollen das unbekannte Gestein ausbeuten, das dort la-
gert.“
„Sie sind sehr offen“, lächelte der Professor.
„Wir können so offen reden“, gab der schöne Henry zurück.
„Meine Auftraggeber hoffen, Sie für diese interessante Sache
gewinnen zu können.“
„Ihre Auftraggeber sind Menschen, die vor keinem Verbre-
chen zurückschrecken“, antwortete Varras verächtlich. „Ich be-
dauere, daß Sie mich so gering einschätzen.“
Andrews sah auf seine Armbanduhr und machte zu einem
seiner Begleiter eine Handbewegung. Dieser nickte und verließ
die Maschine. Man hörte ihn mit harten Schritten über den
Felsboden gehen. Andrews wandte sich wieder dem Gelehrten
zu.

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„Herr Professor, wollen wir nicht alles vermeiden, was uns
vom Kern unserer Unterhaltung abbringt? Sie nennen uns Ver-
brecher – ich will Sie nicht daran hindern. Aber bedenken Sie
bitte, daß Sie in unserer Gewalt sind.“
„Ich hoffe, daß ich nicht lange das zweifelhafte Vergnügen
Ihrer Gegenwart genießen werde.“
„Geben Sie sich lieber keinen Hoffnungen hin. Der Great
Bering Hill wird zur Stunde von Kräften unserer Organisation
besetzt. Es wird Ihnen kaum etwas anderes übrigbleiben, als für
uns zu arbeiten. Sie werden die unbekannte Materie in unserem
Laboratorium untersuchen.“
„Ich werde mich hüten.“
„Wir werden Sie zwingen.“ Unwillkürlich hob der schöne
Henry wieder seinen Revolver, als er sah, daß der Professor zu
seinem Notizblock griff, der auf der Fensterbank lag. Leise ra-
schelte das Papier. Dann hielt Varras eine engbeschriebene Seite
hoch, so daß der andere die Bleistiftnotizen lesen konnte.
„Sind Sie Fachmann?“
„Von der Strahlentheorie verstehe ich nur wenig.“
„Dann hören Sie, mein Lieber, zu welchen Ergebnissen ich
nach eingehenden Untersuchungen gekommen bin: Die Strah-
lung dieser Materie schwankt, nimmt aber trotz dieser in regel-
mäßigen Intervallen erfolgenden Schwankungen zu. Das bedeu-
tet, daß wir jede Sekunde mit einem neuen, noch furchtbareren
Ausbruch .rechnen können.“
Andrews wurde bleich und sah sich scheu um. Magisch geis-
terte das grüne Licht durch die Winternacht aus der Mulde her-
über.
„Jede Sekunde?“ murmelte er bedrückt und zuckte zusam-
men, als die Hermetiktür mit lautem Knall aufsprang. Der
Mann, den er vorhin mit einem Auftrag weggeschickt hatte,
stieg wieder ein. Er trug einen Schutzanzug, und dem Professor
fiel erst jetzt auf, daß sein Kopfpanzer eine doppelte Filterung

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hatte. Er taumelte mehr als er ging und warf einen Gesteinsbro-
cken auf ein Sitzpolster.
Professor Varras sprang auf. „Was – was ist das?“ würgte er.
„Das – habe ich – aus der Mulde geholt. Er ist tot, aber die
anderen, die herumliegen, glimmen grün. Da unten ist es
schlimmer als in der Hölle.“

Ted S. Cunningham war wieder einmal auf „180“. Er mißhan-


delte seine arme Havanna und sah Oberstleutnant Mortimer
grimmig an.
„Varras werde ich mir noch mal kaufen. Diese Wissenschaft-
ler sind wie kleine Kinder, wenn sie einmal losgelassen werden.
Wie weit sind Sie mit Ihrer ,Sonderstaffel Alaska’?“
Mortimer legte seine Konferenzmappe auf den Tisch und riß
den Reißverschluß auf. „Ich habe die ‚Sonderstaffel Alaska’
fertig aufgestellt. Es sind zehn Kampfmaschinen, denen wir
eine doppelte Strahlenschutzpanzerung gegeben haben. Die
Leute von der Flugbereitschaft haben wie die Roboter geschuf-
tet. Trotzdem hat alles noch den Charakter eines Provisoriums,
und ich habe darum nur Freiwillige genommen.“
„Sind es genug?“
„Mehr als genug haben sich gemeldet“, lachte der Oberst-
leutnant. „Sie kennen doch unsere Männer, Cunningham. Die
Staffel startet bereits in einer Stunde zum Great Bering Hill. Sie
wird auch verbesserte Schutzanzüge für die Besatzung von New
Oregon mitnehmen.“
„Ausgezeichnet. Hoffentlich wird Jim Parker mit dem Strah-
lenpilz fertig.“
„Und mit der Slogan-Bande. Slogan ist aus Fairbanks ver-
schwunden. Morgan steht unter Überwachung.“
Der Generaldirektor sah auf den Terminkalender. „Daß uns

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diese verflixte Geschichte noch dazwischenkommen mußte.
Nächste Woche soll ,Großprojekt Venus’ anlaufen. Die Venus
steht auf der Tagesordnung. Wir brauchen sie, Mortimer, um
unser Arbeitsgebiet ausweiten zu können.“
„Augenblick“, unterbrach Mortimer die Begeisterung seines
Chefs um ungelegte Eier. Das Telefon summte. Der Oberstleut-
nant nahm ab und gab Cunningham den Hörer. Was dieser hörte,
war dazu angetan, seine mißhandelte Havanna ganz zu ermor-
den.
„Meldung von Kommodore Parker: Professor Varras vom
Great Bering Hill verschwunden. Zwei Angehörige des
Einsatzkorps im Hubschrauber B 22 schwerverletzt aufgefun-
den. Nehmen. Spur auf. Fliegen nach Fairbanks. Parker“
Eine halbe Stunde später standen Jim Parker und sein Steuer-
mann bereits vor dem Polizeichef von Fairbanks.
„Wie konnte es geschehen, daß Slogan sich der Polizeikon-
trolle entzog?“ fragte Jim ohne Umschweife. Alles an dem jungen
Kommodore war straff und gespannt. Er war wie ein Raubtier,
das seine Beute unerbittlich verfolgt. „Herr Major, Sie sind sich
doch hoffentlich im klaren darüber, welche Folgen das haben
kann?“
Dem Polizeichef war alles andere als wohl zumute. Sollte er
diesem energischen jungen Mann vom S. A. T. sagen, daß der
stadtbekannte Mister Slogan einen ausgezeichneten Nachrich-
tendienst unterhielt und verschwunden war, bevor die Polizei-
kontrolle einsetzte?
„Wir sind eben fünf Minuten zu spät gekommen“, erwiderte
er achselzuckend. „Dafür halten wir aber Morgan unter genauer
Kontrolle.“
„Morgan ist in seinem Hause?“
„Nach meiner letzten Information – ja.“
„Ich wünsche ihn zu sprechen, Herr Major.“
Der Polizeichef erhob sich und griff zu seiner Dienstmütze.

73
Gleich darauf fuhren sie in einem schweren Packard durch die
frostglitzernden Straßen, die belebter zu sein schienen als sonst.
„Wie ist die Stimmung unter den Leuten aus New Oregon?“
wollte Fritz Wernicke wissen.
„Ausgezeichnet, meine Herren. Ich würde Sie gern einmal
den Leuten vorstellen, für die Sie so etwas wie Nationalhelden
geworden sind.“
„Wir haben anderes zu tun“, winkte Jim Parker ab. „Außer-
dem sind wir nicht für Vorschußlorbeeren.“
„Oh, Sie haben bereits viel getan! Mit den Verbrechern wer-
den wir schon fertig werden.“
Sie bogen in eine breite Straße ein, an deren Seiten villenar-
tige Landhäuser standen, die sich in ihrer luxuriösen Großzügig-
keit irgendwie fremd in der rauhen Umgebung des Nordlandes
ausnahmen. Langsam rollte der Wagen über den knisternden,
gefrorenen Schnee. Im breiten Lichtbalken der Scheinwerfer
tauchten in bestimmten Abständen Gestalten auf, die mehr oder
weniger auffällig die Straße belebten.
„Wir sind gleich da.“ Der Polizeichef setzte sich die Mütze
gerade und blickte gespannt aus dem Fenster. „Wollen Sie
Morgan festnehmen?“
„Das wird von den Umständen abhängen.“
„Wie gesagt, Kommodore, werden wir schon fertig. Nun, da
der grüne Strahlenpilz über dem Great Bering Hill merklich an
Gefährlichkeit einbüßt, ist alles nur noch halb so wild. Wir
werden eben Militär anfordern und dann …“
„Freuen Sie sich lieber nicht zu früh“, lächelte Jim Parker
und zeigte auf eine Stelle des Nordhimmels – über dem Dach
eines der pompösen Häuser, wo sich märchenhaft und wie aus
weiter Ferne ein schmaler grüner Strahl heranschob.
„Das – das ist doch …“ Der Polizeichef wurde bleich.
„Ich fürchte, die Strahlung wird wieder intensiver“, sagte Jim
ernst. „Wir müssen jetzt schnell und entschlossen handeln.“

74
Vorn schaltete der Fahrer. – Die Bremsen kreischten – der
Wagen kam auf der glatten Straße zum Stehen. 100 Meter weiter
wuchs eine hell erleuchtete Fassade aus einem Garten auf. Ein
Mann trat aus der Dunkelheit auf sie zu und machte Meldung.
Fast gleichzeitig bremste ein Jeep, der von der anderen Seite
kam. Uniformen leuchteten auf.
„Kommen Sie, meine Herren!“ Sie gingen die letzte Strecke
zu Fuß und standen gleich darauf in der Halle des Hauses. Ein
überraschter Diener machte hilflose Handbewegungen.
„Mister Morgan darf jetzt nicht gestört werden.“
„Wo ist Ihr Herr?“
„In – in seinem Arbeitszimmer.“
Der Polizeichef wies nach oben. „Im ersten Stock, Kommo-
dore. – Haben Sie Haustelefon?“
„Ich werde sogleich einmal anrufen, Herr Major“, beeilte
sich das Lakaiengesicht zu sagen. Aber einer der Beamten legte
ihm die Hand auf den Arm und hielt ihn zurück. Jim und der
Major hasteten die Treppe hinauf. Der Major wollte kurzerhand
eine der schweren Eichentüren aufreißen, aber der Kommodore
hielt ihn zurück. Er zog ein neuartiges elektrisches Abhorchge-
rät aus der Tasche, das er an die Tür setzte. Deutlich konnte er
jenseits der Tür eine dünne, aufgeregte Stimme hören:
„Der Professor hat also den Gesteinsbrocken untersucht,
Slogan? Mit welchem Resultat?“
Verzerrt antwortete eine andere, ferne Stimme durch das Te-
lefon, die man nicht verstehen konnte.
„Positiv?“ rief Morgan jetzt begeistert. „Das – das ist ja
großartig! Nein, ich kann nicht kommen, Slogan. Sie wissen ja,
die Polizei läßt mein Haus keine Minute unbeobachtet. Also –
bis nachher!“ Ein Hörer wurde in die Gabel gelegt.
Jim Parker riß die Tür auf, mit einem kurzen, harten Ruck,
daß Mister Morgan mit vorgestreckten Händen und unfähig, sich
zu rühren, den Eintretenden entgegenstarrte. „Entschuldigen Sie

75
bitte die späte Störung“, grüßte der Polizeichef ironisch. „Darf
ich Sie mit Kommodore Parker vom S. A. T. bekannt machen?“
J. L. Morgan bewegte wohl den Mund, aber dabei blieb es.
Jim ging an den Schreibtisch und strich über den Apparat. „Sie
haben eben ein interessantes Gespräch geführt, Sir. Wollen Sie
mir bitte sagen, mit wem?“
„Ahem – mit einem Geschäftsfreund.“
„Mister Slogan?“
Unter dem kalten Blick des Weltraumfliegers wurde der smar-
te Geschäftsmann immer unsicherer. Hilflos ließ er die Arme
sinken. „Mister Slogan ist bekanntlich verreist“, stammelte er.
„Dann führten Sie also eben ein Ferngespräch?“ Da Morgan
unfähig schien zu antworten, rief Jim das Telefonamt an. Unter
seiner Nummer war seit einer Stunde weder ein Orts- noch ein
Ferngespräch geführt worden.
„Sie haben eine Geheimverbindung?“
Wie ein Sack fiel der Kapitalienmakler gegen den Schreib-
tisch. Der Kommodore stützte ihn und führte ihn zu einem Sessel.
„Mister Morgan“, sagte er ernst und eindringlich, „glauben Sie
nicht, daß wir uns weitere Ausreden anhören werden! Sie haben
eben über eine private Leitung mit Mister Slogan gesprochen,
und ich will jetzt wissen, wo er sich aufhält.“
Morgan war grau im Gesicht. „Sagen Sie es ihm lieber“,
drängte der Polizeichef. „Denn wenn der Kommodore etwas
wissen will, erfährt er es doch.“
„Slogan – mit Slogan habe ich nicht …“
„Sie redeten Ihren Geschäftspartner mit Slogan an“, unter-
brach ihn der Kommodore scharf. „Also, Mister Slogan befindet
sich in Fairbanks?“
Morgan nickte. Der Major ging an den Apparat und setzte
die Streifenkommandos in Bewegung. Während er seine An-
weisungen gab, fragte Jim: „Es war von einem Gesteinsbrocken
die Rede, und von einem Professor?“

76
Morgan schwieg.
„Handelt es sich dabei um Professor Varras und um einen
Brocken der unbekannten Materie aus dem Great Bering Hill?“
Wieder nickte Morgan. Er war fertig. Eine große Müdigkeit
überfiel ihn wie ein schwerer Schatten.
„Soll der Stein hier untersucht werden?“
„Yes.“
Jim Parker richtete sich auf. Sein Gesicht wurde noch schärfer,
und er mußte tief atmen Er dachte an den grünen Strahl, der wie-
der aus dem Norden herüberfingerte. Er wußte, was es bedeutete.
„Und die Untersuchung, zu der Professor Varras gezwungen
wurde, ist positiv verlaufen? Das heißt also, der Stein gibt ra-
dioaktive Strahlen von sich?“
„Yes.“
„Nun, Herr Major.“ Der Polizeichef hatte schon gehört – er
sah seine Stadt in tödlicher Gefahr. „Die Strahlungsintensität
nimmt wieder zu. Es ist möglich, daß der Brocken, der hier ir-
gendwo in der Stadt auf einem Labortisch liegt, dem gleichen
Schwankungsrhythmus unterliegt, wie die große Masse im
Great Bering Hill. Sie wissen wohl, was das bedeutet?“
Der Polizeichef handelte bereits entsprechend. Wenige Minuten
später – um 21.45 Uhr – heulten über der Stadt die Alarmsirenen.
Lautsprecherwagen fuhren über vereiste Straßen und riefen ihre
Warnungen den aufgescheuchten Menschen in die Ohren.
Am Himmel kam es heran. – Grüne, dunstige Schleier –
stärker als zuvor – der Great Bering Hill mußte wieder wüten.
Im Arbeitszimmer Mister Morgans, unter der stilvollen Lese-
lampe mit dem orientalischen Schirm, sagte Jim – und seine
Stimme war ebenso höflich wie herrisch: „Sie werden mir jetzt
sagen, wo das geheime Labor Mister Slogans liegt“

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„Der Tod ist unter uns!“
„Seht doch, wie es herankommt! Viel stärker, als beim ersten
Male. Seht doch – oh, der ganze Nordhimmel ist bereits mit
Schleiern überzogen.“
Die Alarmsirenen gellten. Sie trieben die Menschen aus ihren
Wohnungen. Feuerwehr und technische Miliz trafen ihre Ab-
wehrmaßnahmen.
„Achtet auf alleinstehende Häuser! In unserer Stadt befindet
sich ein geheimes Laboratorium, in dem in unverantwortlicher
Weise und mit verbrecherischer Absicht mit einem Gesteins-
brocken der gefährlichen grünstrahlenden Materie experimen-
tiert wird. Achtet auf –“
Während die Lautsprecher diese Warnung immer wieder
durch die nächtlichen, eisigen Straßen der kleinen Stadt riefen,
richtete sich über dem Great Bering Hill der grüne Strahlenpilz
wieder auf. Sekundenschnell schoß er hoch. Schon hatte er die
alte Höhe erreicht – weiter wuchs er – aus dem stetigen, ruhigen
Wachsen wurde ein bösartiges Rasen.
Um 22 Uhr brach das Unheil mit schweren aktiven Wolken
über das Land herein. Das waren nicht mehr die losen, dünnen
Schleier, die nur der näheren Umgebung des Hügels gefährlich
wurden und die man sich von Fairbanks aus mit dem prickeln-
den Gefühl des Sensationellen anschaute. Das war der tausend-
fache Tod! Er würde Fairbanks schlucken, und seine Kraft wür-
de auch dann noch nicht erschöpft sein.
Alaska in Gefahr.

Um 21.40 Uhr richtete sich Professor Varras auf. Vor seinen


entzündeten Augen schimmerte ein Meer von Übelkeit und
Glücksgefühl. Er hatte es endgültig geschafft.
„Professor, ich beglückwünsche Sie.“

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Aus dem Wogen seiner Erschöpfung tauchte das Mopsge-
sicht des krummen Slogan auf, der von der anderen Seite an den
Labortisch getreten war und neugierig in das Instrument blickte.
Varras wischte sich mit dem bloßen Arm den Schweiß von der
Stirn. Ach ja, richtig – er war in den Händen dieser seltsamen
Verbrecher.
„Bitte, überzeugen Sie sich von der Richtigkeit meines Un-
tersuchungsergebnisses.“ Er wies auf den Apparat, aber Slogan
empfand deutlich den Spott seiner Worte. Ärgerlich wich er
zurück.
„Es genügt, wenn die Praxis die Richtigkeit Ihrer Theorie
beweist“, erwiderte er schroff.
Varras hatte nie verächtlicher gelächelt. Der sonst so ruhige
Gelehrte war ein Rätsel für den Beobachter. „Ich hoffe, die Pra-
xis wird sie sehr bald beweisen.“
Neben ihm lag sein Notizblock, von dem er sich nie trennte,
und ein uralter Drehbleistift, der für ihn ebenfalls unentbehrlich
war. Gierig sah Slogan auf die Bleistiftnotiz auf dem obersten
Blatt, die dreimal dick unterstrichen war. „Ist das das Geheimnis
der Materie?“ fragte er.
„Nicht ganz“, lächelte der Professor. „Es ist nur das Geheimnis,
wie man in der Praxis mit ihr fertig wird.“
Slogan war in Hut und Mantel und trug – im Gegensatz zu
den anderen hier im Labor – nur einen leichten Gesichtsschutz.
Er fühlte eine nervenzermürbende Rastlosigkeit und hatte in
diesen drei Stunden mindestens zehnmal das Labor verlassen,
das zu ebener Erde lag und von dem aus man auf einen kleinen
verwahrlosten Hof sehen konnte. Weiter zurück stand der schöne
Henry. Er hatte schweigend allen Untersuchungen zugesehen.
„Ihre Berechnungen sind interessant“, sagte er leise, und in
seinen Augen war Hohn. „Wenn ich Sie recht verstanden habe,
handelt es sich bei der unbekannten Materie im Hügelland von
New Oregon um den gewaltigen Brocken aus dem Kometen.“

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„Sie haben mich recht verstanden.“
„Und die Berechnungen, die Sie vorgenommen haben, dienen
dem Zweck, diese Materie in der Praxis zu beherrschen?“
„So sagte ich es – und so wünschten Sie es.“
„Darf ich einmal Ihren Notizblock sehen?“
Varras spürte ein unangenehmes Zittern in den Händen, und
er fürchtete, es könnte auffallen und richtig gedeutet werden.
„Meine Berechnungen dürften für Sie unverständlich sein“,
erwiderte er möglichst gleichmütig.
„Ich muß Sie enttäuschen“, höhnte der schöne Henry nun
ganz offen. „Ich bin durchaus kein Laie auf dem Gebiet der
Strahlenforschung, wie ich einmal sagte, sondern mit der Mate-
rie genügend vertraut, um Ihre Berechnungen verstehen zu
können.“
Wortlos reichte ihm Varas den Notizblock hin. Der krumme
Slogan hatte diesem Wortwechsel, in dem eine geheime Span-
nung lag, mit wachsendem Interesse zugehört, das noch größer
wurde, als Andrews den Block mit einer höflichen Verneigung
einsteckte.
„Sie gestatten doch, Professor? Meine Hochachtung vor Ih-
rem Genie – Sie haben in diesen Stunden ein Wunder an Kon-
zentration vollbracht. Vielleicht wäre es möglich, diesen Be-
rechnungen den praktischen Versuch folgen zu lassen?“
„Ich fürchte, der Versuch wird nicht ganz ungefährlich sein.
Es wäre das erste Experiment mit dieser Materie.“
„Sie fürchten zu viel. Kommen Sie bitte, meine Herren.“
Durch Varras’ Hirn jagten tausend Gedanken. Andrews hatte
ihn durchschaut, und was würde geschehen, wenn das Experi-
ment das Gegenteil von dem brachte, was diese Gangster sich
wünschten?
Andrews ging ihnen voran und öffnete die Tür zu einer klei-
nen Kammer. Auf einem Labortisch lag der Gesteinsbrocken
vom Great Bering Hill, eingebettet in eine gepanzerte Schutz-

80
pfanne. Es war gut, daß man ihn so sorgfältig behandelt hatte;
denn der Stein glühte in jenem gefährlichen, durchdringenden
Licht, dem man in Fachkreisen bereits die Bezeichnung ‚Strah-
lung Grün’ gegeben hatte.
„Thunderstorm!“ Slogan blieb an der Tür stehen. „Das Ding
sieht ja direkt unheimlich aus.“
„Die Strahlung wird noch größer werden“, nickte Varras und
zog sich die schweren Bleihandschuhe über. „Wir gefährden die
Stadt.“
Slogan wurde bleich. „Sie sagten vorhin, die …“ Er stockte
und hob horchend den Kopf. Auch Andrews hatte es gehört.
„Alarmsirenen“, sagte er kurz.
„Das hat uns noch gefehlt“, keuchte Slogan und verließ den
Raum. Andrews sah ihm mit zusammengekniffenen Augen
nach. Dann wandte er sich an Varras:
„Wollen Sie bitte beginnen, Herr Professor?“
Sie sahen sich an – jeder wußte, was der andere wollte.
Schweigend ging Varras in den Hauptraum zurück und kam mit
zwei Kästchen wieder. „Dürfte ich – um anfangen zu können –
um meinen Notizblock bitten?“
Langsam, den Professor dabei unverwandt mit spöttischen
Augen ansehend, holte Andrews den schmalen Block hervor
und riß das oberste Blatt ab.
Mit angehaltenem Atem sah es Varras.
„Dieses Blatt, Herr Professor?“ fragte Andrews höflich und
hielt es hoch. „Die Formel, die darauf steht, dürfte wohl kaum
geeignet sein, unseren Zwecken zu dienen. Sie beabsichtigen
nicht, die unbekannte Energie für unsere Zwecke verwendbar zu
machen, sondern sie aufzuheben – sie unschädlich zu machen.“
Varras preßte die Nägel in die Handfläche. Wenn jetzt nicht
gleich Hilfe kam, war alles verloren. Er antwortete nicht – ließ
nur den anderen nicht aus den Augen, der den Zettel schon zer-
reißen wollte.

81
„Half.“ Er warf sich vor, warf sich einfach über den Tisch.
Dabei glitt die Schutzpfanne mit dem strahlenden Stein herunter
und schlug hart auf. Varras’ Arme schossen vor und packten
den schönen Henry.
„Nicht zerreißen, du Bursche!“
Hinter ihnen flog wieder die Stahltür auf. Slogan stürzte her-
ein, prallte entsetzt zurück. Andrews hatte den Zettel zerrissen.
Mit verzweifelter Kraft zerrte ihn der Professor zu sich heran.
Halbverkrümmt lagen sie über dem Tisch. Hinter ihnen schoß
fauchend eine grüne Flamme hoch.
„Auseinander!“ Slogan riß einen Revolver aus der Tasche.
„Auseinander!“ keuchte er. „Andrews, zurück! Wir müssen so-
fort verschwinden. Morgan antwortete nicht auf meinen Anruf.
Sie kommen schon – draußen kommen sie …“
„Ich komme nicht los von ihm“, keuchte Andrews und ver-
suchte vergeblich, einen Schlag anzubringen. Slogan zielte kurz
und feuerte – einmal – zweimal … Es war leichtsinnig, aber
zum Glück richtete er keinen Schaden damit an.
„Los, Andrews, schlag ihn nieder!“
Aber Varras handelte instinktiv richtig. Er ließ Andrews
überraschend los, warf sich herum und prallte gegen den Mi-
nenbesitzer.
Wieder ein Schuß – kurz und hart. Ein Schrei verröchelte.

In der Stadt loderte das Feuer des grünen Todes – aus dem Nor-
den rückte die unheilbringende Wolkenfront heran.
Schwere aktive Wolken hüllten bereits New Oregon ein.
Sergeant Dare Slinn hatte alle Hände voll zu tun gehabt, die
Galgenvögel der Slogan-Bande einigermaßen heil aus dem be-
reits verseuchten Gebiet hinauszubefördern. Drei Maschinen
der anrückenden „Sonderstaffel Alaska“ hatten sogleich nach

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ihrer Landung diesen Liebesdienst übernommen. Die übrigen
Maschinen – Kampfjäger modernster Bauart mit der Fliegerelite
von Orion-City an Bord – rasten weiter dem Great Bering Hill
zu, in die grüne Strahlenhölle.
Sie stießen auf keinen Widerstand mehr. Den Gangsterver-
bänden, die den Great Bering Hill halten sollten, war ihr eige-
nes Leben wertvoller gewesen, als die Interessen ihres Auftrag-
gebers. Slogan hatte sie weitere hundert Meilen nordwärts in
Bereitschaftsstellung gehen lassen. Er wollte noch nicht aufge-
ben.
Die Natur aber schien Siegerin zu bleiben über diesen Kampf
und Haß der Menschen. Gnadenlos ließ sie die Schrecken ihrer
Elemente über das Land brausen.

„Bei allen Planeten, Jim, wenn nicht ein Wunder geschieht,


müssen wir Alaska aufgeben“, stieß auch Fritz Wernicke atem-
los hervor, während der rasende Jeep über die vereiste Ausfall-
straße mehr glitt als fuhr.
Jim antwortete nicht. Aus einem alleinstehenden Haus am
Straßenrand flammte es unnatürlich grell und heiß auf. Es konnte
wohl nur noch Minuten dauern. Kein Mensch zeigte sich. Waren
schon alle umgekommen, die in diesem geheimen Labor gear-
beitet hatten? Aufgefressen von der furchtbaren Glut?
„Da gibt es nichts mehr zu retten, Jim.“
Aber der Kommodore fuhr den Wagen scharf an die Straßen-
seite heran und wies auf einen Mann, der aus dem brennenden
Haus getaumelt kam. „Den kennen wir, Fritz!“
„Der schöne Henry“, erinnerte sich Wernicke sofort an einen
in New Oregon gehörten Spitznamen. Sein Zeigefinger tastete
nach dem Abzug der Maschinenpistole. „Vorsicht, Jim – der
schießt.“

83
Andrews schien wie von Sinnen zu sein. Sein Gesicht grinste
verzerrt durch den gläsernen Kopfpanzer. Er war wild vor Rat-
losigkeit – und feuerte, was sein Revolver hergab, auf die An-
fahrenden.
„Der hat die Nerven verloren.“ Jim lenkte den Jeep über das
Feld direkt auf ihn zu.
„Hände hoch!“ schrie ihm Wernicke zu, aber Andrews tat
ihm nicht den Gefallen. Er sprang im letzten Augenblick zur
Seite und rannte wieder durch den Flur in das Flammenmeer
hinein.
„Er scheint total verrückt zu sein“, schnappte Fritz atemlos.
Jim Parker gab durch den Sprechfunk letzte Anweisung an
den zweiten Jeep, der befehlsgemäß etwas zurückgeblieben war
und nun um das Haus herumfuhr. Dann sprangen sie aus dem
Wagen und rannten hinter Andrews her.
Der Polizeichef wurde blaß, als er es sah. Er warf sich eben-
falls von seinem fahrenden Wagen herunter und kam gerade
noch zurecht, um einen Bären von einem Kerl abzufangen, der
aus einem Nebenraum herauskam. Obwohl der Major nicht
mehr gerade der Jüngste war, verstand er es doch noch, kräftig
zuzuschlagen. Er landete einen kurzen, harten Geraden, der den
anderen zusammengekrümmt ins Freie taumeln ließ.
Inzwischen waren Jim und Fritz in das Labor vorgedrungen
und hoben eine Gestalt vom Boden auf, die leblos in ihren Ar-
men hing. Es war Mister Slogan. „Tot“, stellte Fritz lakonisch
fest.
Jim nickte. Der Schutzanzug war durchlöchert. Der Schuß
mußte aus nächster Nähe abgegeben worden sein. Mister Slo-
gan hatte seinen selbstherrlichen Traum ausgeträumt.
Sie hatten keine Zeit, den Toten aus dem Feuer zu tragen.
Varras. – Wo war der Professor?
„Hier ist eine Art Kammer, Jim. Aber warum bricht denn der
verfluchte Kasten nicht zusammen?“

84
Trotz der ungeheuren Anstrengung mußte der Kommodore
lächeln. „Stahlträger, Fritz! Hier ist nichts improvisiert worden.“
Sie kamen nicht ungehindert an die Stahlkammer heran. Als
Jim sie öffnen wollte, schlug es ihm kurz und hart gegen den
Oberarm. Sein Schutzmantel riß.
„Hier, Parker! Hier, Wernicke!“ flehte eine vor Hitze fast
unhörbare Stimme. Der Professor zerrte an seinen Fesseln – er
hockte zusammengekrümmt vor der Wand. Vor ihm stand Henry
Andrews und knallte blindlings auf die Eintretenden.
„Der Professor, Fritz!“ Jim Parker spürte, wie die Macht der
Strahlen ihn zu lähmen begann. Die äußere Haut des Schutzan-
zuges war aufgerissen von einem Schuß, der ihn zum Glück nur
seitlich gestreift hatte. Aber es genügte, um die grüne Strahlung
wirksam werden zu lassen. Er warf sich vorwärts und rammte
den schönen Henry, daß er zurücktaumelte.
„Wernicke“, ächzte der Professor in der Hölle des Verdurstens,
in den Qualen einer unerträglichen Helligkeit. „Schnell –
schnell …“
Wernicke bemühte sich um ihn. Andrews mußte unter einem
Judogriff des Kommodores in die Knie. Es war einer der ge-
fährlichsten Griffe Jim Parkers, und der Schmerz war so furcht-
bar, daß er das Bewußtsein verlor.
Varras riß sich noch einmal zusammen. „Schnell, schnell –
sonst ist alles vorbei …“
„Wir holen Sie schon raus, Professor, und wenn ganz Alaska
zum Teufel geht“, knurrte Fritz verbissen. Doch Varras rannte
schon wie besessen durch den Gang ins Freie. Er drohte wieder
schlapp zu machen. Eine widerliche Übelkeit würgte ihm in der
Kehle. Aber er winkte ab, als der Polizeichef ihn stützen wollte.
„Stellen Sie sofort eine Verbindung nach Orion-City her,
Major – sofort.“ Orion-City stand bereits seit Stunden in unun-
terbrochener Verbindung mit dem Gouverneur von Alaska, der
flehentliche Hilferufe sandte.

85
„Kann denn Kommodore Parker nichts mehr für uns tun?“
Cunningham lachte grimmig und drückte den Telefonhörer
fest gegen sein Ohr. „Gegen Naturkräfte – noch dazu, wenn sie
sich in einer uns unbekannten Gestalt darbieten – können, auch
unerschrockene und kühne Männer nur dann etwas ausrichten,
wenn ihnen die Wissenschaft die erforderlichen Waffen liefert.“
Der Gouverneur schluchzte beinahe vor Verzweiflung. „Und
die Wissenschaft …“
„… hat ein solches Mittel noch nicht gefunden, Sir, Wir sind
hier rastlos an der Arbeit, und ich werde Sie auf dem laufenden
halten.“
Wütend über seine Schwäche gegenüber dem tobenden
Strahlenphantom über dem Great Bering Hill, hängte Cunning-
ham ein. Doch gleich darauf mußte er den Hörer wieder ab-
nehmen. Diesmal kam das Gespräch über Kurzwelle. Varras
war am Apparat.
„Cunningham, wie kann ich schnellstens Doktor Berger von
der chemischen Hauptabteilung erreichen?“
„Was ist, Varras?“
„Ich glaube, ich habe eine Möglichkeit gefunden.“
Cunningham verspürte plötzlich Appetit auf eine Havanna,
was immer ein gutes Zeichen war. „Menschenskind, Varras:
Sagen Sie, was ich tun soll!“

Eine Möglichkeit gefunden?


Und dabei zogen dichte radioaktive Wolken über Südwest-
alaska, und in ihnen waren tausend Tode und tausend Höllen.
Sie ließen die Raubtiere in den verschneiten Wäldern verröcheln,
sie jagten die Pelzjäger aus ihren Blockhäusern, und wenn der
wieder stärker werdende Wind sie tiefer drückte, krochen sie
über den Boden, versengten die Pflanzen und töteten ihre Wur-

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zeln in der frostharten Erde. Und sollte der Wind sich einmal
drehen, dann würde die Katastrophe auch über Nordalaska
hereinbrechen.
Und trotzdem: eine Möglichkeit gefunden?
Über dem brennenden Fairbanks hing ein Hubschrauber. Die
Stadt war geräumt. Keine Menschenseele war hier mehr anzu-
treffen. Alaska war auf der Flucht.
Im Hubschrauber saßen fünf Männer: Jim Parker, Fritz Wer-
nicke (der sich krampfhaft bemühte, eine Flasche zu erfinden,
mit deren Hilfe man auch im Kopfpanzer trinken könnte), der
Professor, der Bürgermeister und der Polizeichef. Sie trugen die
besten Schutzanzüge, die es überhaupt geben konnte, und doch
mußten sie ständig gegen das gefährliche Gefühl einer übergro-
ßen Müdigkeit ankämpfen.
„Professor, Sie haben uns Hoffnung gemacht“, sagte der
Bürgermeister, „aber wenn ich das da unten sehe …“
Varras blickte auf das trostlose, schaurige Bild der kleinen
brennenden Stadt. Er hatte bereits wieder seine Instrumente vor
sich. „Hätten Sie es sich nicht schlimmer vorgestellt?“
Der Bürgermeister stutzte. „Allerdings – wenn man bedenkt,
daß es sich um einen Brand, handelt, der doch eigentlich
schlimmer sein müßte als ein Atomfeuer.“
„Er ist auch stärker“, warf Jim bestimmt ein, „aber er frißt
sich wesentlich langsamer weiter. Hier werden wir es wohl
schaffen, wie, Professor?“
Varras nickte ihm zu. „Hier schon. Was mir Sorgen bereitet,
ist, ob wir den tobenden Strahlenpilz über den Great Bering Hill
beeinflussen können.“
„Wenn Sie eine Möglichkeit sehen, die Strahlungsenergie
der Materie aufzuheben, wird uns auch das gelingen“, sagte Jim
Parker entschlossen. „Aber Sie wollten uns noch berichten, Pro-
fessor – vor diesen Herren hier brauchen Sie keine Geheimnisse
zu haben.“

87
„Wirklich – außerordentlich langsam …“ Varras rechnete be-
reits wieder, und die Männer mußten minutenlang warten, bis er
ruckartig den Notizblock in die Tasche seines Schutzanzuges
steckte und den Bürgermeister ansah.
„Ich glaube Ihre Stadt zur Hälfte retten zu können, vorausge-
setzt, daß mein Mittel in zwei Stunden mit einer Rakete hier
eintrifft. Diese Energie scheint – wenn sie die Gestalt eines Feu-
ers annimmt – eine sich selbst bannende Wirkung zu haben.“
„Dann müßte man ihr also nur die Gelegenheit geben, ein
Feuer zu entfachen“, warf Fritz Wernicke reichlich naiv ein.
„So einfach ist es nun leider nicht“, lächelte Varras. „Ganz
abgesehen davon, daß die Strahlung an sich ja nichts von ihrer
Gefährlichkeit einbüßt. Meine Herren – eigentlich müßte ich
diesen Gangstern dankbar sein, daß sie mir Gelegenheit gaben,
in ihrem wirklich erstklassig ausgestatteten Labor dieses merk-
würdige Gestein zu untersuchen. Definitiv weiß ich nun, daß es
sich tatsächlich um einen gewaltigen Brocken des Riesenkometen
handelt, der – wahrscheinlich durch seine Berührung mit dem
Erzlager in der New-Oregon-Hügelkette – aktiv geworden ist.“

In New Oregon stiegen sie in den Hubschrauber. Motoren heulten


auf. Die großen Drehflügel begannen zu kreisen. Der Kommodore
saß am Steuer – neben ihm Fritz Wernicke, hinten der Professor.
„Fertig?“
„Klar!“ antwortete der Staffelchef. Schneller kreisten die
Drehflügel. Die Maschine ruckte an und stieg hinauf in die grü-
nen Strahlenwolken.
Der Bordempfänger schmetterte Marschmusik in die Kabine.
Die Strahlen hatten also keinen Einfluß auf die Radiowellen.
Vanas wollte ausschalten, aber Jim hielt ihn zurück.
„Lassen Sie, Professor – wir sind dann nicht so ganz allein.“

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„In der Hölle“, grinste Fritz Wernicke. „Seid ihr klar zum
Einsatz?“
„Alles klar.“
Das Atmen wurde immer schwerer …
„Fritz, du übernimmst nachher das Steuer, damit ich ausstei-
gen kann, wenn es sein muß.“
„Hoffentlich nicht!“
Sie flogen bereits den Great Bering Hill an, der allerdings
noch nicht zu erkennen war. Sie strichen durch dichte aktive
Wolken. Der Kompaß kreiselte sinnlos.
„Wie wir soeben erfahren, ist Kommodore Parker mit seinen
kühnen Begleitern gestartet. Wir hoffen, daß diese Männer
Alaska retten können“, meldete der Sender Juneau.
Andächtig hörte Varras zu. Hoffentlich würde es gelingen –
aber der Tod war näher als das Leben.
Wernicke griff an die Hebel, die vor ihm am Armaturenbrett
auf einer kleinen Scheibe angebracht waren. Aus dem grünen
Dunst wölbte sich nun der Hügel heran, auf dessen Gipfel der
strahlende Vulkan wütete. Da mußten sie hinein!
„Hundert Meter“, las der Professor ruhig ab.
Jim Parker drosselte die Geschwindigkeit. Er mußte jetzt si-
chergehen – es kam auf jeden Zentimeter an. Gleichzeitig ließ
er die Maschine absanken. Vor ihnen wurde das grüne Phantom
in den Himmel geschleudert.
„So – jetzt …“
„In dieser Höhe?“
Jim nickte nur und gab seinem Steuermann einen Wink, daß
er schweigen sollte. Kaum hielten die Schutzanzüge noch dem
wahnsinnigen Beschuß radioaktiver Strahlen stand. Lang durfte
es nicht mehr dauern.
„Vorsicht, Leute!“
Sie nickten nur. Der Kommodore hielt die Maschine am
Rande des eigentlichen Pilzes an. Sie wurde von der Wucht des

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Ausbruches seitwärts abgedrängt – aber der kurze Spielraum
genügte, um den Professor die letzten Zahlen ablesen zu lassen:
„108 – 104.“
Sofort ließ Jim die Drehflügel auf Hochtouren laufen und
jagte die Maschine seitwärts in die Hölle hinein.
„Achtung – nicht atmen!“
Den Atem anhalten – um Himmels willen, jetzt nur den
Atem anhalten! Unwillkürlich duckten sie sich, als es um sie
mit unerträglicher Helligkeit hereinbrach. Geisterhaft tauchten
sie in den todspeienderi Boden der Mulde.
„Ich – kann nicht …“
Sie griff an, die strahlende Hölle – sie kümmerte sich nicht
um die lächerlichen Schutzanzüge der Menschen. In ihr tobte
sich die dämonische Kraft eines außerirdischen Chaos aus.
Während Wernicke mit übermenschlicher Energie einen Hebel
herunterriß, sank Varras mit verzerrtem Gesicht zurück.
Aber schon war die Maschine wieder außerhalb des Zentrums,
entfernte sich mit großer Geschwindigkeit. Wernicke beugte sich
über den Zusammengesunkenen, während Jim mit schmerzen-
den, zusammengekniffenen Augen die Strahlung beobachtete.
Die Wirkung blieb aus.
Inzwischen aber war das Feuer in Fairbanks gelöscht wor-
den. Die Männer vom Löschkommando des S.A.T.-Einsatz-
korps blickten gespannt in den Nordhimmel.
„Sie müssen jetzt über dem Hügel sein“, sagte ein Offizier
und sah auf die Armbanduhr.
„Na, den Spaß gönne ich lieber ihnen als mir“, grinste ein
anderer offen. „Hier haben wir es ja mit dem Zaubermittel des
Professors geschafft, aber ob der Strahlen-Vesuv ihnen den Ge-
fallen tun wird? Ich weiß es nicht …“
„Sie müssen es schaffen! Mensch, ich bin hier in Alaska ge-
boren. Jim muß meine Heimat retten!“

90
*

„Zweiter Anflug?“ fragte Fritz Wernicke in diesem Augenblick.


Jim Parker schüttelte den Kopf. Er war sehr bleich. „Varras?“
„Geht schon wieder – aber ich weiß nicht, ob er noch ein
zweites Mal aushält.“
„Ich muß aussteigen.“
„Ausgeschlossen!“
„Ich muß!“ Abermals riß Jim Parker die Maschine hoch, gab
ihr eine neue Richtung – und wieder ging es, diesmal von der
anderen Seite, in die Hölle hinein. Wernicke zitterte vor Angst
um seinen besten Kameraden. Es würgte ihn in der Kehle – er
wollte Jim die Hand auf die Schulter legen und ihn bitten, es
nicht zu tun. Aber er wußte, daß es sein mußte.
„Hier, Fritz, nimm den Steuerknüppel!“
„Mach’ es gut“, sagte Fritz leise. Er ließ die Maschine wie-
der bis auf den Grund der Mulde tauchen, aber er blieb etwa
zwei Meter über dem giftspeienden Gestein stehen. Nur eine
Minute – hatten sie ausgerechnet – würden sie die Maschine so
halten können.
„Fertig, Jim?“
Der Kommodore hatte sich durch ein Drahtseil, das über eine
Rolle lief, mit dem Führersitz verbunden. Er öffnete die Herme-
tiktür und lehnte sich hinaus.
„Noch ein Meter, Fritz!“
Noch ein Meter – mehr tot als lebendig und mit einem Ge-
fühl, als lähme die ewige Dunkelheit schon sein Gehirn, riß Jim
Parker den zweiten torpedoähnlichen Behälter in die erforderli-
che Richtung.
„Fertig, Fritz. Raus hier!“

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Diesmal blieb die Wirkung nicht aus.
Um 2 Uhr früh fiel der Behälter, von der verbrannten Hand
des Kommodores in die richtige Fallbahn gelenkt. Gegen 6 Uhr
war der Spuk bereits verschwunden.
Wieder fiel der Strahlenpilz über dem Great Bering Hill in
sich zusammen, aber diesmal richtete er sich nicht wieder auf.
Alaska war gerettet! Der Mann vom Einsatzkorps, der um
seine Heimat gebangt hatte, die Männer und Frauen von New
Oregon, alle konnten zurückkehren.
Doch Jim Parker durfte sich nicht ausruhen; denn das Aben-
teuer in Alaska hatte ihn mitten in den Vorarbeiten für das
„Großprojekt Venus“ überrascht, das die Eroberung des Nach-
barplaneten durch den Menschen einleiten sollte. Erst viel später
konnte er eine Einladung der Gemeinde New Oregon annehmen.
Ein Leutnant der US.-Nordland-Polizei holte ihn ab. Es war Dare
Slinn, dem man zur Anerkennung seines tapferen Verhaltens in
den schlimmen Tagen die silbernen Achselstücke gegeben hatte.
„Hallo, Slinn!“ begrüßte ihn der Kommodore vergnügt.
„Wollen Sie mit zur Venus?“
„Danke, danke“, winkte Dare grinsend ab. „Aline Crane
würde damit kaum einverstanden sein.“
Jim sah einen Ring an der Hand des anderen. „Meinen
Glückwunsch! Sie sind verlobt?“
„Seit drei Tagen. Den schönen Henry hat sie sich endlich aus
dem Kopf geschlagen.“
„Er hat es auch nicht besser verdient“, nickte Parker ernst,
während sie im Garten seines kleinen, aber mit erlesenem Ge-
schmack eingerichteten Bungalows auf und ab gingen. „Die
Slogan-Bande hat so ziemlich den gewissenlosesten Angriff auf
die Menschheit unternommen, den es je gegeben hat: Die Aus-
nutzung dieser Materie zur Unterjochung eines ganzen Landes.“
„Andrews sitzt immer noch?“
„Ja, daran dürfte sich in den nächsten 20 Jahren auch nichts

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ändern. Übrigens, Dare, ich habe Ihrem Sheriff das Testament
des alten O’Connor und einige Planskizzen zu überreichen.“
Dare blickte auf. „Jim, Sie machen mich neugierig.“
Jim Parker legte seinem neuen Freund die Hand auf die Schul-
ter. „New Oregon hat am meisten gelitten in Alaska – im Verhält-
nis noch mehr als Fairbanks. Selbstverständlich wird man euch
nun nicht im Stich lassen. Aber das Testament O’Connors gibt
euch die Möglichkeit, aus eigener Kraft dem Ort eine wirtschaft-
liche Existenzgrundlage zu schaffen. Also, hören Sie, Dare:
Die Slogan-Gangster hatten der alten Haushälterin eine Karten-
rolle abgenommen. Es handelt sich dabei um den Plan eines
großen goldhaltigen Erzlagers, das vom Great Bering Hill aus
unter der Hügelkette auf den Ort zu verläuft“
„Was?!“
„Das Lager ist außerordentlich tief und darum wohl noch
nicht gefunden worden. Jedenfalls hat aber der Alte vom Vor-
handensein des Lagers auf seinem Grund und Boden – ihm ge-
hörte praktisch das ganze Gebiet zwischen dem Ort und der
Hügelkette – gewußt. Religiöse Motive haben es ihm verboten,
den Abbau selbst in die Hand zu nehmen. In seinem Testament,
das wir gleichzeitig gefunden haben, vermacht er euch seinen
Grundbesitz unter der Voraussetzung, daß der Abbau unter
staatlicher Kontrolle und zum alleinigen Wohl des Ortes vorge-
nommen wird. Na, Dare, da sind Sie platt!“
„Wie eine Briefmarke“, schnappte der frischgebackene Leut-
nant. „Das ist vielleicht eine Nachricht …“
„… die begossen werden muß“, ließ sich eine Stimme hinter
ihnen vernehmen. Es war Fritz Wernicke, der herantrat und auf
den Gartentisch wies. „Wollen die Herren bitte Platz nehmen?“
In der Hand trug er eine Flasche mit drei Sternen auf der
Halsbinde.

– Ende –

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Wettflug zum Abendstern

Lesen Sie im nächsten (11.) UTOPIA -Band:


Das Staatliche Atom-Territorium der USA entsendet eine
Raumschiffexpedition unter Kommodore Parker zum Planeten
Venus, um Bodenschätze auszubeuten und die Möglichkeit einer
Besiedlung des Planeten zu erkunden. Vor dem Start von der
kosmischen Außenstation wird jedoch bekannt, daß ein Kon-
kurrenzunternehmen ebenfalls zwei Raumschiffe auf die Reise
geschickt hat, um den Plänen des S. A. T. zuvorzukommen und
Besitz von dem Planeten zu ergreifen. Kommodore Parker ver-
sucht, den Vorsprung der anderen einzuholen. Es kommt zu
einem rasenden Wettflug durch 40 Millionen Kilometer Nichts,
auf dem Jim Parker mit seinen Gefährten die aufregendsten
Abenteuer zu bestehen hat.
Sollten Sie die vorhergehenden UTOPIA-Bände 1 bis 9 bei Ih-
rem Zeitschriftenhändler nicht mehr erhalten, dann wenden Sie
sich bitte direkt an den Verlag Erich Pabel, Rastatt, (Baden).
Senden Sie dabei den Geldbetrag (je Band 50 Pf) auf das Post-
scheckkonto Karlsruhe 224 46 ein. Aber hierbei nicht verges-
sen, die gewünschten Nummern auf der Rückseite des linken
Zahlkartenabschnittes anzugeben. Auch können Sie den Geld-
betrag in bar sofort Ihrer Bestellung beifügen.

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Auf dem Wege zur Weltraumfahrt
10) Die ersten „Weltraum-Passagiere“
Für die künftige Luftfahrt in großen Höhen und für verschiedene
Zweige der Naturwissenschaft sind die Forschungsergebnisse
von größter Wichtigkeit, die in letzter Zeit mit Hilfe von Raketen
in der Ionosphäre gewonnen wurden. Darüber hinaus interes-
siert uns im Zusammenhang mit dem Raumfahrtproblem die
Frage: Wird der menschliche Organismus das große Wagnis
eines Vorstoßes in den Weltraum überstehen können? Oder
wird er dem Andruck beim Start, der Schwerelosigkeit beim
freien Flug im Raum und der kosmischen Strahlung erliegen?

Versuche über das Verhalten des Menschen bei extremer Be-


schleunigung lassen sich auf der Erde unschwer anstellen. Da-
gegen haben wir keine Möglichkeit, die Wirkungen der Schwe-
relosigkeit und der Weltraumstrahlung hier auf Erden zu beo-
bachten. Man half sich dadurch, daß man Tiere im Inneren luft-
dicht schließender Kammern mit Raketen aufsteigen und sie am
Fallschirm zurückkehren ließ.

1947 schickte man erstmalig Insekten mit einer V 2 in die Iono-


sphäre. Sie kamen wohlbehalten zur Erde zurück. Daraufhin
versuchte man es mit höher organisierten Lebewesen. So nahm
eine V 2 einen Affen und eine Maus in 130 km Höhe mit. In-
folge Versagens des Fallschirms kamen die Tiere beim Aufprall
auf den Erdboden ums Leben. Doch kehrten vor kurzem zwei
Affen und zwei weiße Mäuse, die von einer „Aerobee“-Rakete
in 60 km Höhe geschafft worden waren, gesund und munter
zurück. Sie waren unterwegs von einer eingebauten Kamera
fortlaufend gefilmt worden, und die Bilder zeigten, daß ihre

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Lebensfunktionen auch unter den ungewohnten Bedingungen
des Raketenfluges nicht beeinträchtigt waren. Ein Resultat, das
für den bemannten Weltraumflug äußerst ermutigend ist!
Insekten, Mäuse und Affen waren also die ersten „Weltraum-
fahrer“, denen sich hoffentlich auch bald der Mensch anschlie-
ßen wird.
(Fortsetzung folgt)

Verlag und Druck: Erich Pabel, Rastatt in Baden


(Mitglied des Verbandes deutscher Zeitschriftenverleger e. V.)
Die Bände dieser Serie dürfen nicht in Leihbüchereien verliehen, in Lesezirkeln nicht ge-
führt und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Scan by Brrazo 07/2009

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