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Frederik Wellmann

Atmosphäre und Stimmung

1. Wie kommt die Erfahrung zu Wort?


„Atmosphäre“ und „Stimmung“ sind Worte, in denen das Numinose, das
schwer Sagbare der Erfahrung zur Sprache drängt. In ihrer Metaphorik spiegelt sich
der untrennbare Zusammenhang mit unserer belebten und unbelebten Umwelt.
Meist verwenden wir die Worte wie beiläufig und eher mit der Absicht, uns in eine
erfahrene Situation zurückzuversetzen, als diese durch jene Worte zu analysieren
und uns auf Distanz zu bringen. Das Ziel dieser Überlegungen besteht nicht darin,
einen exklusiven Sinn der Worte „Atmosphäre“ und „Stimmung“ zu bestimmen.
Gegenstand ist die Erfahrung, auf welche diese Worte hinweisen, indem sie ihre
Nähe suchen. Aus diesem Grund spreche ich lieber von Worten als von Begriffen.
Der „Begriff“ ist ein Kampfplatz, auf dem Sinnkonstruktionen gegeneinander antre-
ten. Worte haben den Kampf nicht nötig, weil sie gehört werden oder nicht. Sie dür-
fen noch Vehikel sein, die man fahren darf, wie man will, um zur Erfahrung zur
kommen. Und es gibt besondere Worte, die eine Erfahrung nicht beschreiben, son-
dern wieder in sie versetzen sollen, indem sie Distanz überwinden, statt sie zu
erzeugen. So birgt der Sinn in der Rede von „Atmosphäre“ und „Stimmung“ kein
Instrument zur Analyse eines philosophischen Problems, sondern eine Chance zu
dessen Auflösung. Eine Gewissheit des Aufgehoben-Seins im Dasein kommt durch
sie zum Ausdruck, die eines Beweises im Denken nicht bedarf.
Die Frage, die hier den allgemeineren Rahmen vorgibt, lautet, wie sich über
Erfahrung in einer ihr selbst angemessenen Weise sprechen lässt. Oder anders for-
muliert, wie das Sprechen über ein Ereignis dem Ereignis selbst angehören kann,
anstatt das Gesagte zu weit zu objektivieren und damit vielleicht uneinholbar zu
distanzieren. Denn wann immer eine Erfahrung mitgeteilt werden soll, besteht die
Gefahr, dass unterdessen etwas ganz anderes daraus wird, und der Versuch, mit
Worten einen Zugang zu legen, das Erlebnis in falscher Form einschließt – sein
eigentlicher Sinn unzugänglich wird. Dabei ist die Schwierigkeit klar, dass wer über

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eine Erfahrung sprechen möchte, in seine innere und eine äußere Situation einfüh-
ren muss, wobei keine der beiden für sich erklärt werden kann. Innerlichkeit und
Äußerlichkeit der Erfahrung gehören untrennbar zusammen und wollen dennoch
als verschiedene Gesichtspunkte desselben Ereignisses auseinander gehalten wer-
den. Und doch sprechen wir meist ganz selbstverständlich so, dass das Ganze der
Erfahrung durch das partikulare Wort zum Ausdruck kommt und verständlich wird.
Im Bild einer Atmosphäre etwa stellt sich in einem „Dazwischen“ Inneres und Äuße-
res zugleich dar. Dies ist kein rhetorischer Kniff, sondern ein sprachliches Phäno-
men außerordentlicher Transparenz für das ihm zugrundeliegende Erleben. Achten
Sie einmal darauf, bei welchen Worten das Sprechen eines Anderen plötzlich durch-
lässig wird, Sie ganz in die Situation versetzt sind, um von innen heraus dessen
Erfahrung zu begreifen. Beide Worte, „Atmosphäre“ und „Stimmung“, dienen diesem
zentralen Sinn menschlicher Artikulation, der darin besteht, die eigene, zu oft nur
persönliche Erfahrung in einem gemeinsamen Erfahrungsraum aufgehoben zu fin-
den. Es gibt ein Ur-Bedürfnis nach Kontinuität des Erlebens, nach Erfahrung von
Nicht-Differenz. Diese kann sich in einem Resonanzraum innerhalb der Atmosphäre
der äußeren Welt einstellen oder zeitlich eine Kontinuität der Stimmung des Inne-
ren bedeuten. Daran sprechend zu erinnern, oder mehr noch: die Kontinuität spre-
chend herzustellen, kann die zeitliche Differenz zwischen unmittelbarem Erleben
und dessen Erzählung überbrücken und wieder in die Erfahrung versetzen, wodurch
der Ort des Sprechens zum Ort einer fortgesetzten Selbsterfahrung wird. Die Erfah-
rung wird im Fall gelingender Schilderung nicht abgeschlossen, sondern so mani-
festiert, dass sich die Möglichkeit ihres Vollzugs wieder eröffnet. Die Verwandlung
des Erlebten in Gesagtes widerspricht sich dann nicht, wenn das Gesagte dabei
erlebt wird. Gerade durch die Kraft des Aufrufens von Abwesendem kann das ­Sprechen
dazu verhelfen, in den flow der Erfahrung zurückzuführen, eine Wiederbelebung zu
bewirken und sowohl die Brücke zum Gegenüber zu schlagen – als auch zu dem
anderen meiner Selbst einer vergangenen, aber nie abgeschlossenen Erfahrung.

2. Atmosphäre
Wer eine intensive Erfahrung gemacht hat, spricht gerne von der Atmosphäre,
in der sie stattgefunden hat. Sprachlich wird ein Ereignis zugänglich, das nicht auf
die Innerlichkeit der eigenen Person beschränkt ist. Das Erlebnis ist im Raum wie
greifbar und zugleich ein Gipfelgefühl der Subjektivität. Eine Atmosphäre ergreift
uns, und die Grenze zwischen dem Ort des Erlebens und unserer Innerlichkeit ist
durchlässig geworden.
Dass man solche Erfahrungen über die Rede von einer Atmosphäre ausdrü-
cken kann, ist kein Zufall. Als Luft (atmós) ist sie der unsichtbare Träger alles leben-

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digen Geschehens. Jedes Lebewesen befindet sich in ständigem Austausch mit der
Atmosphäre, die es umgibt und zu der es eine natürliche Durchlässigkeit besitzt.
Atmung, Nahrungsaufnahme und das Sprechen sind Vorgänge, durch welche die
Grenze zur Welt überschritten wird, die das Denken oft als unüberwindbar ansieht.
Während „Welt“ als Opposition zum „Selbst“ fungiert und daher im Dienst einer
Differenz steht, ist die Atmosphäre eine Bezugsgröße des Zusammenhangs. Man
erwartet nicht, Atmosphäre in festen Grenzen, im Gegenstand, vorzufinden und auch
nicht als rein ungegenständliche Empfindung. Wir finden Atmosphären in Zustän-
den herabgesetzter Differenz vor: im Zwielicht, beim Hören von Musik, beim Eintritt
in eine Gemeinschaft von Menschen, in behaglichen oder unheimlichen Räumen,
in der lebendigen Natur. Oft überwältigt sie uns als Gefühl des Ausgesetzt-Seins, der
hereinbrechenden Fremde, in die ich, wehrlos und gleichsam ohne Haut, verschluckt
zu werden fürchte. Erfahrungen mit Atmosphäre stehen im Zeichen der Empfäng-
lichkeit der psychischen Eigen-Realität für das Fremde. Sie sind bestimmt durch die
Sehnsucht, Abgrenzungen aufzugeben und die Welt zu sich hereinzulassen, um sich
aus der Isolation der Selbstbezüglichkeit zu lösen. Die Bewegung, durch welche sich
die befreiende Verbindung einstellt, erfolgt von außen nach innen. In der Wirkkraft
der Atmosphäre wird das Ich als mehr als nur selbst-identisch erlebt. Man erfährt
sich intensiv im Anderen, in Bildern der Welt. Andersherum ist die Welt nicht
schlicht das von mir Verschiedene. Ich löse mich in sie hinein auf, genieße mich als
in der äußeren Leere lose gefügt und erkenne mich im Spiel ihrer Formen wieder. In
erlebten Atmosphären vollzieht sich die spürbare Durchdringung von Innen und
Außen, in der sich das so oft als unüberwindbar getrennte Bewusstsein versöhnt
findet. Denn während Bewusstsein überhaupt nur im Kontakt zur Außenwelt ent-
steht, definiert es sich doch anhand der Differenz zu diesem Außen. Worte, die
Atmosphären beschreiben, machen, weil sie zugleich Selbst und Welt bedeuten, den
eigentlichen Zusammenhang klar. Sie machen ein Dazwischen zum Träger eines
neuen Bewusstseins, für das Selbst und Außenwelt nicht kategorisch unterschieden
sind, sodass sich im einen das andere finden lässt. Atmosphären lassen sich also
charakterisieren als die Erfahrung des Aufgehens in einer nicht mehr nur äußeren
Welt, als eine Art positiven Selbstverlust.

3. Stimmung als inneres Zeichen


des Zusammenhangs
Bei dem Versuch, der eigenen Erfahrung zur Sprache zu verhelfen, können
wir feststellen, dass wir längst über passende Ausdrücke für dasjenige zu verfügen,
das uns unsagbar schien. Die damit verbundene Erkenntnis, dass die eigene Erfah-
rung fundamental die Erfahrung aller ist, schafft eine tiefe Befriedigung, eine

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Gewissheit geteilter Subjektivität. Nicht zuletzt darin zeigt sich, wie wir sprechend
Distanz abbauen, obwohl wir sprachlich Differenzen erzeugen. Sprechend überwin-
den wir die Trennung zum Anderen. Die Stimme ist dabei das Organ der Transzen-
denz, indem sie das Innere mit dem Äußeren durch atmosphärische Resonanz zu
verbinden vermag. Die Stimme ist die Wiederaufnahme des Einsamen in die mensch-
liche Gemeinschaft, die Erlösung vom Eigensinn.
Das Deutsche kennt eine Reihe von Worten, die eine Stimme haben. Die Zu­
stimmung etwa oder das Sich-Einstimmen und die Verstimmung, von denen nicht
zu sagen ist, ob sie dem Sprechen oder Singen entstammen. Wo immer man in
sprachlichen Wendungen die Stimme heraushört, geht es um die Suche nach Ver-
mittlung und um das Bemühen, einen Raum stimmlich zu durchdringen, sich
hörend durchdringen zu lassen und sich so auf einen Zusammenhang einzulassen.
Die Grenze unserer Identität ist nicht mehr die Haut unseres Organismus. Ein
gemeinsames Bewusstsein belebt den äußeren Raum.
Die Stimme ist das menschliche Mittel, sich dem anderen zu eröffnen, indem
die physische Atmosphäre des Umraums zum Träger eines gemeinsamen Sinns
wird. Ihr naher Verwandter, die Stimmung, bezeichnet die reine Potentialität der
Eröffnung für andere, die innerliche Bereitschaft zur Begegnung. Während ich mich
in Erfahrungen der Atmosphäre als Person geradezu auflöse und in der nicht-
menschlichen Natur mein Versöhnung finde, schwingt in dem, was Stimmung
meint, der soziale Bezug mit – auch in der Beziehung zu sich selbst: „Bin ich heute
in Hochstimmung oder bin ich verstimmt? Stimmt etwas nicht?“ Eine Stimmung ist
der innere Zustand der Durchlässigkeit beziehungsweise Undurchlässigkeit für den
anderen Menschen. Sie bezeugt, wie das menschliche Bewusstsein als kollektives,
kommunikatives Geschehen im Einzelnen in die Empfindung tritt. Stimmungen
sind, wie man weiß, nicht nur hochgradig ansteckend, sie sind als solche der innere
Ausdruck des Angewiesen-Seins auf Verbundenheit mit anderen, mit Gemeinschaft.
Und wenn es nur bedeutet, mit sich selbst in guter Gemeinschaft zu sein. So wie
jede Zelle in Beziehung zu ihrer Umgebung steht und „spürt“, was dort geschieht,
ohne dabei einen Begriff ihrer selbst zu haben, verfügt auch unser psychisches Sys-
tem über ein solches Sensorium. Vielleicht könnte man Stimmungen als evolutio-
näre Rudimente eines Zustandes weniger strikt vollzogener Abgrenzung gegen
unsere Artgenossen betrachten. Wir spüren die Stimmungen des anderen, fühlen,
ob etwas nicht stimmt. Man kann davon ausgehen, dass Stimmungen wesentlich
älter sind als unser Wachbewusstsein, das Nietzsche als das erst kürzlich hinzuge-
kommene Bewusstsein ansieht, das deshalb „das Unfertigste“, „Unkräftigste daran“
sei – stets gefährdet, aus dem Gleichgewicht zu geraten.1 Dennoch ist der rational-

1 Friedrich Nietzsche: Die Fröhliche Wissenschaft [1882], Studienausgabe KSA 3, hg. v. Giorgo
Colli/Mazzino Montinari, München 2015, S. 382.

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reflexive Teil des Bewusstseins der Ort unserer Identifikation geworden. Aus der
Perspektive dieses Kontrollzentrums beargwöhnt der Mensch Zustände unbewuss-
ter Stimmungen. Er nennt sie seine Launen. Doch was er am liebsten durch Rationa-
lität ersetzen will, ist auch ihm noch verlässliche Orientierung. Denn gleichzeitig
existiert eine tiefe Sehnsucht danach, nicht entscheiden, nicht wissen zu müssen,
getragen und angenommen zu sein. Dann ist man guter Stimmung.
So steckt im Deutschen selbst in der Terminologie der Individuation noch die
Stimmung, etwa in der „Selbstbestimmung“. Man möchte sich zwar selbst bestim-
men, selbst entscheiden. Gleichzeitig besäße man auf dieser Suche aber weder Maß
noch Richtung ohne die Stimmen der anderen, die sich – als Manifestierung in der
eigenen Stimmung – unserer Kontrolle entziehen. Andersherum sind wir befähigt,
durch unsere Stimme Bestimmung zu verleihen und, wenn es gelingt, gleichzeitig
zu empfangen. Diese Umdeutung der „Selbstbestimmung“ wäre der Versuch einer
Positivierung dessen, was man als Fremdbestimmung von sich weist. Die Bestim-
mung aus der Fremde, verliehen durch den Anderen, wäre der eigentliche Kern und
das Maß der Selbstbestimmung als der Orientierung eigener Entscheidungen an dem,
was gefragt ist. Dies soll ganz und gar nicht auf einen grenzenlosen Opportunismus
hinauslaufen und will sehr wohl austariert sein. Doch muss man dem Umstand
Rechnung tragen, dass der einzelne Mensch für sich betrachtet nichts ist. Nur durch
Resonanz stellt sich Nicht-Beliebigkeit ein; nur im sozialen Kontext stellen sich
überhaupt Orientierungsfragen. So muss man seine Bestimmung zuhörend verneh-
men, weil die Stimme, der sie entspringt, nur mittelbar die eigene ist. Deut­licher
zeigt sich dies noch in der „Berufung“, einem Wort, das heute kaum noch Verwen-
dung findet, aber genau dies meint: durch den Ruf, also die Stimme des Anderen,
den Sinn und die Aufgabe des Daseins zu erlangen. Der Andere verrät, worin ich hilf-
reich sein kann. Die Spannung besteht darin, dass der Mensch trotz seines Angewie-
sen-Seins auf Wahl und Entscheidung, die selbst zu treffen sind, aus einer Bestim-
mung leben möchte, die bereits durch die Resonanz zu anderen hergestellt ist und
in Stimmungen in die Empfindung tritt. Man fühlt sich unwohl bei dem Gedanken,
nur seiner bewussten Willkür entspringen zu müssen. Deshalb nehmen wir unsere
Stimmungen zu recht ernst als denjenigen Zustand der Durchlässigkeit, in dem der
Zusammenhang bereits hergestellt ist – auch wenn dies schmerzhaft sein kann.
Was lässt sich nun über das Gelingen einer Transformation der Erfahrung in
Sprache lernen? Offenbar beansprucht unser alltägliches Sprechen einen Wirklich-
keitsbegriff, in dem Subjekt und Welt beziehungsweise Subjekt und Subjekt weitaus
weniger getrennt sind als in den Begriffen der Wissenschaft. Es ist schließlich auf-
fällig, dass die wissenschaftliche Philosophie wenig über Erfahrung im Sinne des
Sich-in-sie-Versetzens sagen kann. Dies nämlich würde bedeuten, an den Zusam-
menhang und nicht die Differenz zu erinnern und aus der verbindenden Kraft der
Sprache zu schöpfen.

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Sicher hätte man auch an ganz anderen Worten und Wendungen darlegen
können, dass das gelingende Sprechen über und als Erfahrung das Allergeläufigste
ist. In Stimmung und Atmosphäre wird jedoch unser Gespür für die Zusammen-
gehörigkeit zu jener Gesamtheit der Umwelt besonders deutlich, die uns nicht nur
fremd und fern umgibt. Die Häufigkeit ihrer Verwendung und der alltägliche
Umgang mit ihnen zeichnen diese Worte als Refugien und Ausdrucksmittel einer
Intuition aus, die mit der voranschreitenden Übernahme der distanzierenden Ratio-
nalität (als inneres Äquivalent unserer immer funktionaleren Umwelt) seltener wer-
den muss. Solange unsere Sprache aber Orte kennt, die wir aufsuchen können, um
unsere durchlässigsten Momente zu erhellen, bleibt es auch in Zeiten der Rationali-
tät möglich, jenen Erfahrungen zur Sprache zu verhelfen, die über sie hinausgehen.

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