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2002 1
7 Seiten
Unveröffentlichtes Manuskript von Reinhold Schoeler
Einleitung
In einer Zeit zunehmender rechtlicher Auseinandersetzungen kommt der Verfassungsbeschwerde
immer mehr Bedeutung zu. Wegen der dadurch zunehmenden, kaum noch zu bewältigenden
Arbeitslast des Bundesverfassungsgerichtes, hat der Gesetzgeber 1993 durch eine
Gesetzesänderung einige Einschränkungen geschaffen, die zu einer Entlastung des
Bundesverfassungsgerichtes führen sollen. Am auffälligsten ist dabei die Änderung des § 93 d Absatz
I Satz 3 BVerfGG, worin es heißt
Gerade aber die durch die Gesetzesänderung beschlossene Entbindung von einer
Begründungspflicht des Bundesverfassungsgerichtes hat bei einigen Beschwerdeführern und
Rechtsexperten Kritik ausgelöst.
Es ist nach der Gesetzeslage nicht möglich, Ihnen die Gründe für die Nichtannahme mitzuteilen.
Grundsätzlich kann die Ablehnung der Annahme einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 93 d Abs. 1
Satz 3 BVerfGG ohne Begründung erfolgen. Dem Beschluss keine Gründe anzufügen ist Teil der
Entscheidung der Kammer, so dass eine nachträgliche Begründung dem Kammerbeschluss
zuwiderlaufen würde. Auch würde eine Mitteilung der Gründe ohne Änderung des Beschlusses dem
Beratungsgeheimnis (DRiG § 43) widersprechen.
§ 93d Abs. l Satz 3 läßt nunmehr das Begründungserfordernis im Interesse einer Entlastung des BVerfG
vollständig entfallen. Die Freistellung von der Pflicht zur Begründung soll - wie die Bundesregierung in ihrer
Gegenäußerung zu der Stellungnahme des Bundesrats ausgeführt hat1 -der Änderung des Annahmeverfahrens
Rechnung tragen. Nach § 93 a Abs. 2 n. F. müßten nicht mehr - wie bisher nach § 93b Abs. l a. F. - besondere
Gründe für die Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde vorliegen, sondern es müsse einer der angeführten
Gründe für die Annahme gegeben sein. In der Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde komme daher
konkludent zum Ausdruck, daß nach Auffassung der Kammer oder des Senats ein gesetzlicher Grund für die
Annahme nicht vorliege. Damit erübrige sich ein ausdrücklicher Hinweis auf den für die Ablehnung maßgeblichen
rechtlichen Gesichtspunkt. Die bisherige Regelung werde der Neuregelung des Annahmeverfahrens nicht
gerecht. Die Freistellung von der Begründungspflicht könne außerdem erheblich zur Entlastung des BVerfG
beitragen. Sie schließe nicht aus, in besonders gelagerten Einzelfällen oder wenn dies aus sonstigen Gründen
erforderlich sei (z.B. bei Verfassungsbeschwerden von Bürgern der neuen Länder), eine - gegebenenfalls kurze
— Begründung zu geben. Die Formulierung des § 93d Abs. l Satz 3 räume dem BVerfG insoweit ein Ermessen
ein. Sehe das Gericht von einer Begründung ab, so sei es für den betroffenen Bürger zumutbar, dies als
abschließende Äußerung eines obersten Verfassungsorgans in einem außerordentlichen Rechtsbehelfsverfahren
zu akzeptieren.
Die Neuregelung ist auf Kritik gestoßen. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zu der Regierungsvorlage 2
darauf hingewiesen, es erscheine für die Bürger der neuen Länder kaum verständlich, daß gerade jetzt, wo auch
ihnen die Verfassungsbeschwerde als letzte Möglichkeit eines umfassenden Rechtsschutzes zur Verfügung
stehe, ablehnende Entscheidungen über die Annahme von Verfassungsbeschwerden ohne jede Begründung
durch das BVerfG möglich würden. Bereits die umfassende Inanspruchnahme der durch § 93 b Abs. 3 Satz 2 a.
F. eingeräumten Möglichkeit einer abgekürzten Begründung könnte zu einer ausreichenden Entlastung des
Gerichts führen. Ein völliger Verzicht auf eine Begründung vermindere demgegenüber die Befriedungsfunktion
des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens. Verschiedene Stimmen im Schrifttum haben sich dieser Kritik
angeschlossen und sie teilweise noch verschärft.3
Im Gesetzgebungsverfahren haben sich diese Bedenken nicht durchgesetzt. Der Rechtsausschuß ist den
Ausführungen von Mitgliedern des BVerfG gefolgt, wonach die Übernahme des § 93 b Abs. 3 Satz 2 a. F. in das
neue Recht nicht zweckmäßig sei: Aufgrund der Neuregelung wäre zu begründen, warum ein Annahmegrund
nicht vorliegt; weil dazu eine Verweisung lediglich auf den Gesetzestext nichtssagend wäre, müßte die
Begründung umfassender sein. Dies widerspreche aber der beabsichtigten Entlastung des Gerichts.
Die im Schrifttum insoweit geäußerten Zweifel an dem Entlastungseffekt erscheinen nicht gerechtfertigt, wenn
man unter einer Begründung mehr versteht als die bloße Wiederholung des Gesetzeswortlauts. Die Kritik
unterschätzt die Bedeutung, die das BVerfG - auch in den Kammern — der Formulierung von
Entscheidungsgründen zumißt; nicht selten folgt daraus trotz Übereinstimmung in der Sache ein
Beratungsbedarf, während an Formulierungen im Votum des Berichterstatters weniger strenge Maßstäbe
angelegt werden müssen. Vieles läßt sich im Votum kurz andeuten, weil das jeweilige Problem den Richtern
bekannt ist, während es dem Beschwerdeführer in aufwendiger Weise auseinandergesetzt werden muß, zumal
wenn die Annahme mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde nicht angezeigt ist.
Das Rechtsstaatsprinzip steht der Freistellung von der Begründungspflicht nicht entgegen. Der
Nichtannahmebeschluß enthält keine Sachentscheidung. Die gesetzlichen Kriterien, nach denen über die
Annahme entschieden wird, sind bekannt. Aufgrund eines Plenumsbeschlusses des BVerfG -wird jedem
Beschwerdeführer mit der Eingangsbestätigung für seine Verfassungsbeschwerde von der Geschäftsstelle ein
Merkblatt übersandt, in dem u.a. die gesetzlichen Annahmevoraussetzungen dargestellt sind. Dem
Verfassungsbeschwerde-Verfahren ist in der Regel ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren vor den
Fachgerichten vorausgegangen, in dem dem Beschwerdeführer eingehend die Entscheidungsgründe dargelegt
worden sind. In den überaus zahlreichen Fällen, in denen - auch anwaltlich vertretene - Beschwerdeführer das
BVerfG als "Superrechtsmittelgericht" benutzen und eine Verletzung ihrer Grundrechte schon darin sehen, daß
die Fachgerichte den entscheidungserheblichen Sachverhalt unrichtig festgestellt oder das Gesetzesrecht falsch
ausgelegt oder angewendet haben sollen, vermag eine Begründung der Nichtannahmeentscheidung letztlich dem
nichts hinzuzufügen, was schon im Rechtswege -häufig von obersten Bundesgerichten — geprüft und
entschieden worden ist. Das Zitat der Heckschen Formel (BVerfGE 18, 85, 92 ff.) wird in diesen Fällen schwerlich
eine "Befriedungsfunktion" haben. Für Fälle, in denen eine Begründung der Nichtannahme angezeigt erscheint,
läßt § 93 d Abs. l Satz 3 dafür Raum und das Gericht macht von dieser Möglichkeit, wie die Praxis zeigt, auch
durchaus Gebrauch. Nach der Übung der Kammern erfolgt eine Begründung regelmäßig,
wenn die Verfassungsbeschwerde mangels Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig ist und die Heilung dieses
Mangels noch möglich erscheint. Entsprechendes gilt bei anderen noch behebbaren Zulässigkeitsmängeln. Auch
bei einem leichten Grundrechtsverstoß, der eine Annahme noch nicht als angezeigt erscheinen läßt, kann ein
Hinweis auf den unterlaufenen Fehler in den Gründen in Betracht kommen, um die Behörde oder das Fachgericht
auf den Fehler aufmerksam zu machen. Ebenso kann bei einem Angriff auf eine Rechtsnorm oder eine
verbreitete Behörden- oder Gerichtspraxis, die bislang als verfassungsrechtlich unbedenklich galt, ein —
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gegebenenfalls auch zu veröffentlichender - klärender Hinweis angebracht sein, wenn nach dem Ergebnis der
Vorprüfung ein Verfassungsverstoß nicht in Betracht kommt. Im übrigen wird es von den Umständen des
Einzelfalls abhängen, ob ausnahmsweise eine Begründung der Nichtannahme angezeigt ist.
Fußnote:
BT-Drucksache 12/3628 S. 16; evtl. auch noch BT Drucksache 12/4842 Bitte selbst anfordern:
Bundesanzeiger-Verlag, Tel. 0228-3820840 oder per E-Mail: Parlament@bundesanzeiger.de
(als Fotokopie gegen Re.)
Pestalozza, DWiR 1992, S. 426, 431
E. Klein, NJW 1993. S. 2073, 2075;
Zuck, NJW 1993, S, 2641. 2646.
Die Herausnahme einiger Sätze hieraus für die Ablehnungsentscheidung ist kein erheblicher Mehraufwand.
Hingegen ist es höchst ungut, wenn in einer gerichtlichen Entscheidung nicht einmal mehr die Richtung des
richterlichen Denkens erkennbar wird 25.
Fußnote:
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25) Von großer Barschheit hingegen die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Bundesratsstellungnahme, BT-Dr 12/3628, S. 18:
„Sieht das Gericht von der Begründung ab, ist es für den betroffenen Bürger zumutbar, dies als abschließende Äußerung eines obersten
Verfassungsorgans in einem außerordentlichen Rechtsbehelfsverfahren zu akzeptieren."
Prof. Rüdiger Zuck, Stuttgart, Titel: „Der Zugang zum BVerfG: Was lässt das 5.
Änderungsgesetz zum Gesetz über das BVerfG von der Verfassungsbeschwerde
noch übrig?
Die verfassungsrechtliche Verbürgung der Verfassungsbeschwerde verbietet es, das
Annahmeverfahren praktisch in ein freies Annahmeverfahren nach amerikanischem Vorbild
umzugestalten. Dabei spielt es eine Rolle, daß die Ausübung dieses richterlichen
Beurteilungsspielraums nicht kontrollierbar ist, da Nicht-Annahme-Entscheidungen keiner Begründung
bedürfen. So mißbräuchlich die tatsächliche Umgestaltung von Nicht-Annahme-Entscheidungen in
negative Sachentscheidungen in der Kammerpraxis der letzten Jahre gewesen ist, so bedenklich wäre
es, wenn sich das BVerfG, gestützt auf §93d 13 BVerfGG, dem „sie voleo-sic iubeo-Standpunkt" der
Gegenäußerung der Bundesregierung - der Bürger habe die Entscheidung eines Obersten
Verfassungsorgans zu akzeptieren19 – anschlösse.
Weitere Literatur von Prof. Rüdiger Zuck, „Fallstricke für Verfassungsbeschwerdeführer“, NJW 1993,
Seite 1310-1311.
Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie unter www.jura.uni-bonn.de/tschmitz.html . Für Fragen, Anregungen und
Kritik bin ich dienstags und mittwochs im Institut für Öffentliches Recht, Abteilung Staatsrecht, Adenauerallee 44 (4. OG), Tel.
73-5573, sowie unter Tel. 0551-39.46.37 oder E-mail tschmit1@gwdg.de erreichbar.
Fußnote:
2 Siehe EGMR, 1.07.1997, Pammel v. Deutschland, Erwägungsgründe 46 ff.; EGMR, 1.07.1997, Probstmeier v. Deutschland,
Erwägungsgründe Nr. 41 ff.
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Probleme, die sich bei einer Menschenrechtsbeschwerde ergeben könnten
In jüngster Zeit ist zu beobachten, dass Beschwerdeführer nach einer abschlägig beschiedenen
Verfassungsbeschwerde, eine anschließende Beschwerde bei dem Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte einlegen. Vorraussetzung dafür ist, dass der innerstaatliche Rechtsweg erschöpft ist
und alle wirksamen Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt wurden. Ein Unsicherheitsfaktor könnte es
sein, wenn in einem letztinstanzlichem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes (ohne eine
Begründung), der lapidare Satz „der Rechtsweg wurde nicht erschöpft“ oder „die
Verfassungsbeschwerde ist unzulässig“ enthalten ist. Rechtsanwälte und auch Beschwerdeführer sind
verunsichert, wenn sie mit solchen Beschlüssen konfrontiert werden.
Beschwerdeführer können i. d. R. aber darauf hoffen, dass die Richter des Europäischen Gerichtshof
diesen Tatbestand anders sehen und beurteilen werden, sicher können sie allerdings nicht sein. Was
die Straßburger EGMR-Richter unter Rechtswegerschöpfung verstehen, hat der Jurist Dr. Christofer
Lenz in seinem Aufsatz „Chancen und Grenzen der Menschenrechtsbeschwerde dargestellt: (am
Beispiel der Hornu-Entscheidung des EGMR, Entscheidung vom 25.05.2000 – Günther Noack and
Others v. Germany, Application No 46346/99).
(Ztschr.) Landes Kommunalverwaltung 2001, Seite 69 - 72 (Übersetzt und bearbeitet von Jens
Meyer-Ladewig, Wachtberg und Prof. Herbert Petzold), Beck-Verlag, München und Frankfurt
Leitsatz aus der Entscheidung (Günther Noack and Others, Appl. 46346/99 v. 25.05.2002)
2. Nach Art. 35 I EMRK hat ein Beschwerdeführer die Rechtsbehelfe zu erschöpfen, die zugänglich
und dazu geeignet sind, der Beschwer abzuhelfen; diese Rechtsbehelfe müssen mit hinreichender
Gewissheit bestehen, und zwar nicht nur theoretisch sondern auch in der Praxis, andernfalls fehlt
ihnen die erforderliche Wirksamkeit und Zugänglichkeit. Im Übrigen ist Art. 35 I EMRK mit einer
gewissen Geschmeidigkeit und ohne übertriebenen Formalismus anzuwenden (ständige
Rechtsprechung).
Ministerialrat Klaus Stoltenberg hat bereits für 3 Urteile (Sommerfeld, Sahin und Kutzner) Verweisung
an die Große Kammer gemäß Art. 73 der Geschäftsordnung des Europäischen Gerichtshofes
beantragt (Im Fall Kutzner liegt bereits eine positiv Kammerentscheidung vor). In einigen
Begründungsschriftsätzen macht er aber gerade das, was er den Straßburger Richtern vorwirft; Er
beurteilt inzwischen aus der Amtsstube seines Ministerium, was dem Wohl des Kindes dient. Aus den
Akten will er z. B. sehen können, dass eine Beschwerdeführerin (deren Kind, gegen den Willen der
Antragsstellerin, in einer Pflegefamilie lebt) schon längst hätte ihr Kind sehen können, wenn sie sich
gegenüber der Pflegefamilie diplomatischer verhalten hätte (Die Beschwerdeführerin war entsetzt und
hat ihm inzwischen angeboten, so einem Versuch beizuwohnen, wobei er sich wundern würde was
passiert, wenn er darauf eingehen sollte). Mit einer „Kindeswohl-vor-Ort-Prüfung“ hat das nicht
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mehr viel zu tun. Was ich als äußerst bedenklich empfinde, ist die mangelnde Bereitschaft der
deutschen Regierungsvertreter, sich mit dem Justizunrecht des eigenen Landes auseinander
zusetzen und der scheinbar fehlende Wille zur Korrektur.
Siehe: BVerfGE vom 26.März 1987, Band 74, Seite 358 (374), auf der Seite 370
Bei der Auslegung des Grundgesetzes sind auch Inhalt und Entwicklungsstand der Europäischen
Menschenrechtskonvention in Betracht zu ziehen..... Deshalb dient auch insoweit die Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt
und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes. Auch
Gesetze......... sind im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik
Deutschland auszulegen und anzuwenden, selbst wenn sie zeitlich später erlassen worden sind als ein
geltender völkerrechtlicher Vertrag; denn es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, sofern er dies
nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland
abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will.
GARCIA RUIZ gegen Spanien: Begründungspflicht von Gerichtsurteilen und fair trial
Urteil der Großen Kammer, Application 30544/96 vom 21. Januar 1999
Art. 6 (1) EMRK verpflichtet die Gerichte, ihre Urteile zu begründen, was aber nicht bedeutet, dass auf
jedes Argument eine detaillierte Antwort gegeben werden muss. Das Ausmaß dieser Verpflichtung
kann nach der Art der Entscheidung variieren.
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Übersetzt von Ministerialrat im Bundeskanzleramt Wien, Dr. Wolf Okresek
EGMR 19. 4. 1994, Nr. 9/1993/404/482 im Fall Van de Hurk gg die Niederlande
Die Befugnis, eine bindende Entscheidung zu treffen, die von einer nichtrichterlichen Instanz
nicht zum Nachteil einer Partei abgeändert werden darf, ist dem Tribunalbegriff immanent. Ob
die Voraussetzungen des Art 6 MRK erfüllt sind oder nicht, darf nicht nach den Erfolgschancen
des Bf allein beurteilt werden, da diese Bestimmung keinerlei Garantie eines bestimmten
Verfahrensausgangs enthält. Die Beweiswürdigung kommt den innerstaatlichen Gerichten zu.
Art 6 Abs l verpflichtet die Gerichte, Gründe für ihre Entscheidungen anzugeben, aber es ist
nicht so zu verstehen, daß er eine detaillierte Antwort auf jedes Argument verlangt. Es ist
keineswegs erwiesen, daß der Fall anders ausgegangen wäre, wenn die festgestellte
Verletzung nicht unterlaufen wäre; der diesbezügliche Ersatzanspruch des Bf muß daher
abgewiesen werden, ÖJZ (=Österreichische Juristenzeitung) 1994, Seite 819-824.
Nachdem die BRD im Fall Süssmann, Appl. 20024/92 vom 12.April 1995 (hier ging es um eine
überlange Verfahrensdauer von fünf Jahren beim BVerfG) nicht verurteilt wurde (siehe u.a. Stuttgarter
Zeitung vom 14.3.96, Seite 1 "Straßburg rügt Bundesverfassungsgericht"), entschied der Gerichtshof
am 1.7.97 gleich in zwei Fällen, daß eine Verletzung von Art. 6 EMRK (Verfahrensdauer, Recht auf
ein faires Verfahren) vorliegt. Verursacher ist in beiden Fällen das Bundesverfassungsgericht wegen
überlanger Verfahrensdauer.
Im Fall v. Pammel vom 1.7.97 (48/1996/667/853) handelte es sich um 5 Jahre und 3 Monate. Hier
argumentierte der Europäische Gerichtshof unter Rn. 69 seines Urteils, daß sich das
Bundesverfassungsgericht nicht auf eine chronische Arbeitsüberlastung berufen kann, um eine
Verfahrenslänge wie die vorliegende zu rechtfertigen.
Im Fall Probstmeier vom 1.7.97 (125/1996/744/943) handelte es sich um 7 Jahre und 4 Monate. Hier
argumentiert der Gerichtshof ebenfalls unter Rn. 64 seines Urteils, daß sich das
Bundesverfassungsgericht nicht auf einen temporären Rückstand der laufenden Gerichtsgeschäfte
berufen kann, um eine solche Verfahrenslänge zu rechtfertigen.
Die Bundesrepublik ist mit ihrer Gerichtsbarkeit aber nicht erst seit den negativen Fällen Süßmann,
Pammel und Probstmeier aufgefallen, sondern in dem Internationalem Kommentar zur Europäischen
Menschenrechtskonvention 1986 von Miesler/Vogeler, Carl Heymanns Verlag unter der Randnummer
326 mit folgenden Worten zitiert worden:
"Die unangemessen lange Dauer des Verfahrens wird häufig gerügt, besonders viele der
Beschwerden sind gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet. Sie ist für die Langatmigkeit
ihrer Verfahren bekannt".
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