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sich auf den Protestantismus gar nicht ein. Seine einem grundlegenden Irrtum des modernen Zeit-
Wahrnehmung des Phänomens ist dadurch be- geists, wenn er den paradiesischen Endzustand
stimmt, dass er den Protestantismus als Religion sexueller Unschuld für die Gegenwart reklamiert.
der Rationalität sieht: Und Rationalität sei Er behauptet: Alles von Gott Geschaffene ist gut;
schlecht, weil sie die Sinnlichkeit zerstöre. So wie «die Natur» gut ist, so ist auch «die Sexuali-
variiert er das alte Grundthema von Geist und tät» gut. Wir leben aber nicht in der Endzeit, son-
Fleisch. Der römische Katholizismus habe in- dern erleben den Kampf der Geschlechter um
zwischen leider auch mit seiner erotischeren Tra- Abwasch und Liebe, den Frust mit der Lust in so-
dition gebrochen: Das Zweite Vatikanum habe genannten Beziehungskisten und anderswo. Jegli-
die protestantische «Verkopfung» und «Entsinn- che Reflexion auf die Last mit der Lust fehlt in
lichung» nachgeholt. Auch darüber wird man dieser Monographie. Aber immerhin, ein Hinweis
streiten können. darauf, dass auch concupiscentia eine gute Gabe
Thiele hält ein Plädoyer für eine Religion des Gottes sein kann, dürfte in der Gegenwart nicht
lustvollen Glücks, eine Religion, in der Körper schaden.
und Geist versöhnt sind, in der im Geschlecht- Angelika Dörfler-Dierken
lichen die Nähe Gottes erfahren wird. So macht Leah Otis-Cour: Lust und Liebe. Geschichte der Paarbezie-
er einerseits aufmerksam auf die erosfreundlichen hungen im Mittelalter. Aus dem Französischen von Elisabeth
Vorspohl. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main
Traditionen, welche das christliche Moralsystem 2000. 231 S., Fr. 18.–.
und die individuelle Frömmigkeit subversiv Johannes Thiele: Verflucht sinnlich. Die erogenen Zonen der
durchziehen. Erotik kann nur entstehen – so be- Religion. List-Verlag, München 2000. 407 S., mit zahlr. Abb. Fr.
41.–.
obachtet er –, wenn Geist und Natur in einem
spannungsvollen Verhältnis zueinander stehen.
Das ist sicher richtig. Andererseits erliegt Thiele