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YVONNE CHADDÉ

MODUL 1/1 KULTURKRITIK, WS 07/08


BEI FRIEDHELM TROPBERGER

RAUSCH

„Kulturkritik – das war in den 20er und 30er Jahren ein breiter Strom besorgten Raisonnements
über die Mechanisierung und Technisierung, Vermassung und Entindividualisierung,
Kommerzialisierung und Bürokratisierung des Lebens in der industriellen Zivilisation (…)“
(Schnädelbach 1992: 6)

Ein knappes Jahrhundert später erliege ich diesem Konzept von Kulturkritik, nachdem ich
meine Forschungen und Ergebnisse zum Rausch in kulturkritischer Perspektive abgeschlossen
hatte, ohne zu beachten, dass ich selbst Teil der Diskurse und der Bewusstseinsindustrie bin.
Vielleicht wiederhole auch ich das immer Gleiche und zementiere dabei die etablierte
Herrschaft (Enzensberger 1964), obwohl ich mich idealerweise abgrenzen möchte, um die
für die Kritik benötigte Distanz zu schaffen.
Wenn ich in der folgenden Arbeit Konzepte oder Konstrukte des Rausches darstelle und in
Teilen bewerte, bedeutet es nicht, dass die Rauschpraxis deckungsgleich ist. Thomas
Wegmann spricht vom Einbruch der Normalität in die Ausübung des Rausches, zumindest
des Drogenrausches, den ich vornehmlich untersucht habe. Diese Normalität bestimmt auch
die Grenzen des sich Berauschens fern der Ekstase, des Außergewöhnlichen und jenseits der
Krankheit. Die Stereotype scheint der Toleranz gewichen zu sein. Die Legitimation, sich zu
berauschen, vergibt nicht mehr die soziale Rolle, sondern der Schaden-/Nutzenfaktor – der
Garantie, dass die Gesellschaft funktioniert, sofern ihre Mitglieder funktionieren. Rausch ist
Produkt, nicht Kausalität. Das, was den Rausch oder das Wissen vom Rausch bedingt, das ist
Befindlichkeit plus Mythos in Form von Erwartungshaltung. Die prägenden Konzepte, die
diese Erwartungshaltung setzen, stelle ich in der Arbeit vor. Dabei halte ich mich maßgeblich
an die Ergebnisse von Svenja Korte, die in Übereinstimmung mit meinen Recherchen kürzlich
umfassend zu diesem Thema forschte.

Yvonne Chaddé
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1/1 Kulturkritik: Rausch
Berlin, 21. März 2008
„Die Menschen nehmen Drogen, weil sie wirken.“ (Weil 2000: 45)

Wikipedia liefert folgende Definition von Rausch:


„Rausch bezeichnet einen Zustand veränderter Wahrnehmung.“
Dabei unterscheidet der Autor, ob der Rausch durch „körpereigene reaktive Vorgänge“ oder
„durch die Zufuhr von psychotropen Substanzen“ hervorgerufen wurde.
(http://de.wikipedia.org/wiki/Rausch, Stand: 17. Januar 2008) Rausch tritt demnach
stoffgebunden in Form der Intoxination und stoffungebunden (und) mittels bestimmter
Handlungen verursacht auf. Anzumerken ist, dass die Gleichsetzung von Rausch mit
Vergiftungserscheinung durch Drogen ein gesellschaftlich produziertes negativ konnotiertes
Konstrukt darstellt durch das Stigma der dem Rausch zugeschriebenen Gefahr der Sucht
(Korte 2007, Wiesemann 2003).
Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts wurde Sucht als Krankheit gedeutet. Die Symptome1
waren beschreibbar, jedoch konnten Ursache, Wirkung und mögliche Therapieformen nicht
eindeutig festgelegt werden.
„Die Zurückhaltung bei der Bezeichnung Sucht ist unter anderem als Reaktion auf Vorwürfe zu
verstehen, die Krankheit Sucht sei eine Erfindung der Medizin zur besseren Kontrolle gesellschaftlich
unerwünschten Verhaltens.“ (Wiesemann 2003: 43) Wiesemann bezieht sich auf soziale
Faktoren, die Sucht als Krankheit konstruierten: Gesundheitszustände wurden objektiviert
und normiert und der Medizin wurde eine soziale Kontrollfunktion eingeräumt. Es wurde
zumal ein Konzept des Körpers entworfen, in dem Krankheit als ein dem gesunden Körper
immanenter Faktor immer vorhanden sei und durch Selbstbeobachtung und
Gesundheitskontrolle der schleichenden Erkrankung Einhalt geboten werden sollte, was
einem Gesundheitsbewusstsein zur Popularität verhalf. „Selbstdisziplin und Mäßigkeit“ wurden
als gesunde Lebensführung propagiert und entsprachen den Interessen der bürgerlichen
Industriegesellschaft (Ebd.: 58, Wiesemann 2005).
In ähnlicher Weise ist der Rausch mit negativen Eigenschaften behaftet: in der medizinischen,
psychiatrischen und zum Teil psychologischen Perspektive wird Rausch als Krankheit oder
Wahn, soziale Störung oder als „Motor der Sucht“ (Zutt 1958 in Kaufmann 2003: 20)
problematisiert. Einher geht dieser, so Korte, hegemoniale Rauschdiskurs oftmals mit jener
Perspektive, den Rausch mit der pharmakologischen Wirkung der zugeführten Droge ohne

1 Der Zwang, eine Substanz einzunehmen, die Notwendigkeit, für die gleiche Wirkung die Dosis zu steigern und Entzugserscheinungen
(Wiesemann 2005: 1365) gelten zumindest für die stoffgebundenen Süchte.

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Berücksichtigung von intrinistischen (SET) und extrinistischen (SETTING) Faktoren
gleichzusetzen, also außer Acht zu lassen, dass der Rausch abhängig von Situation, Umfeld
und Erwartungshaltung ist.2 Wie eingangs erwähnt, dominiert die toxische Wirkung des
Rauschmittels die Rauschdefinition. Die juristische Begriffsklärung beruft sich zum Beispiel auf
den die „Einsichts- und Steuerungsfähigkeit beeinträchtigen Grad der Intoxination“ (Kaufmann
2003: 15). Grundlegend dafür ist ein kulturell gewachsenes moralisches Nüchternheitsideal
als „Garant der in das Subjekt verlagerten, affektuellen Selbstkontrolle“ (Korte 2007: 282),
welches mit der stärkeren Rationalisierung des Lebens und der vermehrten „sozialen
Disziplinierung“3 wegweisend für eine Art „Rauschfeindlichkeit“ der westlichen Gesellschaft
(Gelpke 1995, Legnaro 1991) wurde. Demnach schien Rausch gesundheitsgefährdend und die
Ordnung störend; der Geist, der Sitz der Vernunft (sobald die Geisteskrankheit erfunden
war) wurde angreifbar, ein höheres Bewusstsein für körperliche Unversehrtheit entstand.
(Korte 2007: 282).
Kai-D. Bussmann sieht einen weiteren Grund für die Ablehnung des Rausches in seiner
Fremdartigkeit. Das Ungewohnte, der Einfluss fremder Kulturen greife das eigene kulturelle
Selbstverständnis an. Gerade unter dem Einfluss der Veränderung (gegenwärtig der durch die
Globalisierung), sei das Bedürfnis nach konstanter Identität groß.
Von innen lauerten quasi die Gefahren des Werteverlustes und des Niedergangs der
geschätzten Tugenden. Der Rausch fordere als Symbol der Dekadenz den
Selbsterhaltungswillen bestehender Systeme heraus, da nie sicher sei, ob die
heranwachsende Generation nicht unter Rauscheinfluss rebelliere. (Bussmann 2001: 110)

„Die Droge sucht nach Glück4, thematisiert implizit diese Zivilisationsform und gerinnt aus diesem
Grund zugleich zum Sinnbild abendländischen Zerfalls.“ (Ebd.: 111)

Das hegemoniale Rauschwissen ist verinnerlicht und wird mit eigenen, durchaus erfreulichen
Erfahrungen abgeglichen. In Wechselwirkung beeinflussen sich Rauschpraxis und durch

2 „Die Biochemie einer Droge ist bei weitem nicht der einzige Parameter, der ihre Wirkung auf das Individuum bestimmt. Das set, die oft
unbewußten, aber dennoch präsenten Erwartungen an die Droge, prägt das Rauscherlebnis meist in entscheidender Weise. Diese
Erwartungen entstehen in einem gesellschaftlichen Diskurs, sie werden sozial konstruiert.“ (Helm 2003: 166); vergleiche Norman Zinbergs
Konzept (1984) von „Drug, Set, Setting“, dem Zusammenspiel von „Substanz, Wirkungszuschreibung durch Drogenwissen, subjektiver
Erfahrung sowie kulturellen und sozialen Rahmen (Korte 2007: 27, 29)
3 Bussmann führt folgende Disziplinierungsfaktoren an: die Wirtschaftsdisziplin in der protestantischen Ethik, dem sich das Lustprinzip
unterordnen musste, der Prozess von der Fremd- zur Selbstdisziplinierung, wie ihn Norbert Elias nachzeichnet sowie die Disziplinierung
zur totalen Selbstkontrolle als „Dominanz eines gesellschaftlichen Diskurses der gesellschaftlichen Disziplinierung gegenüber einem Diskurs
der Lust“ als auch die Sublimierung (Bussmann 2003: 109).
4 Nach Freud versteht sich der Konsum von Rauschmitteln als „roheste(n) und gleichzeitig wirksamste(n)“ Ausdruck der Suche nach
Glück, da dieser ein hohes Maß an Lustgewinn verspricht und Leid vermeidet, betont aber, dass dadurch Energien verloren gingen, die zur
Verbesserung der Lebensqualität herangezogen werden könnten. (Freud in Springer 2003: 208)

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öffentliche Meinung gefärbtes Rauschwissen. Welche Bedeutung die gerade gültige ist,
entscheidet sich in einer fortlaufenden Kommunikation zwischen vorherrschenden
kulturellen Trends die sich in bestimmten Konventionen niederschlagen und subkultureller
Reaktion und Gegenentwürfen, welche synthetisch integriert werden. (Diederichsen in
Wegmann 2001: 367)

Es „muss herausgestellt werden, dass die westlichen Industriegesellschaften nicht gänzlich ohne
rauschhafte Elemente konzipiert sind (…).“ (Korte 2007: 109)

Ekstase und Rausch werden in den konventionellen Grenzen der kommerziellen medialen
Verwertbar- und Vermittelbarkeit zugelassen: „Parteiwahlkampfveranstaltungen, Pabstbesuche,
Oktoberfeste, Fußballspiele (…)“ (Schneider in Korte 2007: 109) Der Rausch, gerade der
stoffunabhängige, lässt sich in die Bedürfnisökonomie integrieren. Rausch als menschliches
Bedürfnis zu interpretieren, bettet sich ein positiv bewertendes Konzept des Rausches als
anthropologische Konstante ein. Motive sich zu berauschen stützen diese Annahme: Rausch
erfülle triebgelagerte Bedürfnisse: das menschliche Streben nach Glück und danach zu
zerstören, Rausch dient dem Verlangen nach Erkenntnis und Wissen und wird therapeutisch
eingesetzt5 (Springer 2003, Bussmann 2003, Weil 2000). Er ist Bestandteil kulturellen
Ausdrucks.

„Rausch soll schon sein, weil er das System bereichert und ökonomisch durchaus erwünschte Effekte
erzielen kann, aber bitte schön möglichst risikofrei, damit er kontrollierbar ist, weil er sonst zur
ökonomischen Belastung wird (..).“ (Wegmann 2001: 366)

Wie Ulrich Sonnenschein konstatiert: der Trend, Sucht und Rausch weniger zu
stigmatisieren, erlaubt es, ihn den Interessen des Marktes anzupassen. Das Profil des Kunden
entspricht da dem des liquiden Junkies, dem nicht am romantischen Konzept der
Selbstzerstörung gelegen ist, sondern im unstillbaren Verlangen nach dem ultimativen Kick
immer mehr, immer wieder und immer „neu“ konsumiert und dem Leistungsdruck erliegt,

5 zur „Entspannung und zur Stressabfuhr“, „zur Kompensation von Frustration“, als „Abdämpfen von Überreiztheiten“, als Stimulation der
sozusagen sozialen Kompetenz oder zum Abbau von Hemmungen (Kaufmann 2003: 23ff), denn die Wirkweise einiger Rauschmittel stimmt
mit den Reaktionsmechanismen auf Konflikt- und Stresssituationen von Mensch und Tier überein: Angriff, Flucht, innere Emigration
entsprechen aufputschender, beruhigender und halluzinogener Wirkung beziehungsweise Mischformen (Gross 2003:23).

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sich selbst durch außergewöhnliche authentische Erfahrungen auch möglichst authentisch
und individuell immer wieder neu zu inszenieren. (Sonnenschein 2001: Vorwort)
Das gilt dem Rausch, der beschwingt.

„Dem betäubenden Rausch wohnt in unserer Gesellschaft somit immer etwas eher Negatives inne,
weil wir alle Kinder der Aufklärung sind, die die Vernunft zum höchsten Gut einer zivilisierten
Gesellschaft erhoben hat. Eine auch nur temporäre Trübung des Bewußtseins kann deshalb nur mit
menschlicher Schwäche gerechtfertigt werden.“ (Bussmann 2003: 109)

Es ist der Rausch, der mit den Grundwerten der westlichen Gesellschaft Leistungsprinzip,
Zweckdenken, Zukunftsglauben (Gelpke 1995: 14) konform geht.
Dieser Rausch passt sich bestenfalls risikofrei den dauerhaften Anforderungen an
Schöpfungskraft und Flexibilität des zeitgemäßen Menschen an und stimuliert. Es heißt nicht
mehr, entweder Koks oder Sport, sondern Koks und Sport. Hier geht es um
Selbstoptimierung, Training, Angleichung an die Geflogenheiten der Fremd- und
Selbstausbeutung, darum, das kreative Potential zu aktivieren, es geht um Leistung und
Erholung im vorgegebenen Rahmen, im Zeitfenster zwischen Deadline und Freizeit.

„Für unser Befinden sind allein wir selbst zuständig.“ (Wegmann 2001: 361)

und das soll heißen, dass mittels von der Pharmaindustrie projektierten, wie Amendt
ausdrückt, „Lifestyle-Segments“ „vom Vitaminpräparat über Viagra bis zur >>happy pill<< und der
>>Pille danach<<“ (Amendt 2003: 19) unser seelischer und körperlicher Haushalt möglichst
in Eigenverantwortung den Umständen angepasst wird, die Funktions- und Leistungsfähigkeit
garantieren und ein inneres Gleichgewicht da herstellen, wo der Mensch erhöhtem Stress
ausgesetzt ist6. Die den lifestyle-Bedürfnissen angepasste Medikamentierung fungiert als
Instrument der sozialen Steuerung (Ebd.) und wo die optimale Wirkung mittels illegaler
Rauschmittel erzielt werden kann, verblasst auch das Suchtgefahrargument.
Eigenverantwortung heißt, Probleme, die sich aus der Modernisierung und Umstrukturierung
der Gesellschaft ergeben, als persönliche Probleme wahrzunehmen und sich dem

6 Verhaltensforschung bei Tieren ergab, dass Tiere ein höheres Rauschpotential haben, wenn sie dauerhaft unter Stress gesetzt werden, um
den Dauerreiz durch repetitives Verhalten zu blockieren. (Gross 2001: 23)

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Erfolgsdruck zu beugen. Unsicherheiten und Ängste als Begleiterscheinungen der
Modernisierung werden demnach auch eigenständig therapiert. (Lorey 2007)
Der Glaube, seinen Leib über die Grenzen Krankheit und Tod hinweg vollständig
beherrschen zu können, bietet die Grundlagen für das Maß an Manipulation, die der
selbstverantwortliche Mensch sich aufbürdet. Da wo die Naturbeherrschung totalitär die
eigene psychische und körperliche Verfasstheit einbezieht, wird der Mensch das Produkt
seiner Ideen.
Besser: den Grad an Kontrolle, den seine bürokratischen, technischen und geistigen
Erfindungen aufweisen, muss er für sich selbst erfüllen, um daneben nicht veraltet und
antagonistisch zu wirken. Er identifiziert sich so sehr pauschal mit den Produkten seiner
Umwelt, wie dem ideologischem Überbau, dass er sich keine Reflexion erlaubt. Und er kann
sich gleichzeitig so wenig mit ihnen identifizieren, da ihr Grad an Perfektion keinen
persönlichen Anknüpfungspunkt und somit auch keine Kritik zulässt (Anders 1987:27).
Alle Möglichkeiten, „anders“ zu leben stehen ebenfalls im gesellschaftlichen Zwang,
möglichst präzise, gerade und rational erfüllt zu werden. Für den Rausch bleiben die
Möglichkeiten der Sucht, das heißt seinen Lebenssinn auf den „Rauschstoff“ oder die
„Rauschhandlung“ zu konzentrieren, oder trotz/ mittels des Rausches seinen Nutzen für das
Gemeinwohl zu erbringen/ seine soziale Rolle zu erfüllen.

„Gesellschaftlich geächtete Drogen können zumindest vorübergehend zu einem gesellschaftlich


gewünschten Verhalten führen.“ (Wegmann 2001: 354)

Hatte die Droge einmal die gesellschaftliche Rolle der Störung herrschender Konventionen
und Werte zu erfüllen, ist sie zum Symbol der „Anpassung an gesellschaftliche Normen und
Ziele“ avanciert (Kemper, Sonnenschein 2001: 13).
Rausch wird integriert und instrumentalisiert in Produktion von Normalität und unterstützt
die Realität in den leistungsrelevanten Kategorien Gesundheit, Arbeit, Freizeit. Die
Gegensätze von berauscht und nüchtern, dem Aufschub der Bedürfnisbefriedigung (Askese)
und dem sofortigen Lustgewinn (Hedonismus) werden Mischformen entgegengesetzt, die
Verausgabung kontrollieren und effizienter gestalten, die die totale Organisation des Lebens
dem Körper anpassen und ihm dabei kleine Fluchten schenken, aus dessen Freiräumen sich
kreativer Gewinn schlagen lässt, denn die Bewusstseinserweiterung im Rausch erhöht nicht
nur das Bewusstsein für die Effizienz des eigenen Körpers, sondern mag gedankliche und

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diskursive Verknüpfungen zulassen, die das logische Denken gemeinhin sanktioniert. Das
„Andere“ wird dabei mental und wirtschaftlich einkalkuliert, weshalb die alternativen
Zustände gefördert und in die Normalität integriert werden (Wegmann 2003). Der Nutzen
der Droge bemisst sich an seiner Effizienz (Ebd.: 357).

„Rausch ist ein zeitlich eng begrenzter veränderter Erlebnis- und Bewusstseinszustand.“
(Gross 2003:21)

Damit wird ein weiteres und neutrales Rauschkonzept eingeführt, Rausch als veränderten
Bewusstseinzustand7 zu definieren. Merkmale eines veränderten Bewusstseinszustandes sind
1969 von Arnold Ludwig aufgelistet worden und treffen mal mehr mal weniger für den
Rausch zu:8
„alterations of thinking“ (verändertes Denken), „disturbed time sense“ (veränderte
Zeitwahrnehmung), „loss of control“ (Kontrollverlust), „change in emotional expression“
(Veränderung des emotionalen Ausdrucks), „body image change“ (Veränderung des
Körperschemas), „perceptional distortions“ (Wahrnehmungsveränderung), „change in
meaning or significance“ (Veränderung der Bedeutsamkeit), „feelings of rejuvenation“ (Gefühl
der Verjüngung), „sense of ineffable“ (Unaussprechlichkeit), „hypersuggestibility“ (starke
Beeinflussbarkeit) (Korte nach Ludwig 2007: 36)

In der Transpersonalen Psychologie seit 1966 wird der Rausch gleichberechtigt als realer
Sonderzustand des Bewusstseins definiert ähnlich den Sonderzuständen „Traum, Trance,
Meditation, Hypnose, Ekstase“, die sich durch einen Bedeutungsverlust der Ich-Instanz
auszeichnen.
Ist das Ichbewusstsein synonym mit dem Bewusstsein von Hier-und-Jetzt als
realitätskompatibles Wachbewusstsein zu setzten, wird seine Dominanz in ASC
abgeschwächt. Das Wachbewusstsein als dem bewussten Ichzustand entspricht dem
normalen zentralnervösen Erregungszustand. Die Menge des Datengehaltes entspricht jener
der Datenverarbeitung. Ausgelöst werden die veränderten Bewusstseinszustände durch
Substanzen, biochemische oder neurophysiologische Prozesse, die die sensorischen Reize

7 ASC – altered state of conciousness¸ „qualitative Veränderung des Gesamtmusters psychischen Funktionierens, sodass das eigene
Bewusstsein sich radikal von der Art unterscheidet, wie es normalerweise funktioniert.“ (Gross nach Tart (1972) 2003: 24)
8 Maßgeblich dabei ist die Wirkung der „Droge“ in Bezug auf Pragmatik und Suchtverhalten. Werden bei stoffgebundenen Rauschzuständen
fast alle Merkmale erfüllt, scheint der Grad an Kontrolle beim stoffungebundenen Rausch höher, es sei denn so Gross, es handele sich um
Ekstaseriten und Extremsituationen. (Gross 2003: 24)

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über oder unter den normalen Pegel empfangen und somit stärker oder schwächer
wahrgenommen werden. Die extreme Überregung entspricht der mystischen Verzückung,
verbunden mit Halluzinationen, die der Unterregung dem Yoga-Samadhi, als meditativer
Zustand. Jenes Spektrum der Bewusstseinszustände erweitert das dichitome Konstrukt von
gesund und krank zu Gunsten einer neutraleren Beschreibung. (vergleiche Roland Fischer in
Gross 2003: 25, auch Legnaro 2001: 32)

Was kann verändertes Bewusstsein bewirken, wenn es weder als Störung noch als
wirtschaftlich ausbeutbar betrachtet wird?
Kulturkritisch betrachtet birgt das ASC diverse Möglichkeiten: aus der Konvention
auszubrechen, das eigene Bewusstsein und die damit verbundenen Bedürfnisse weniger
vermittelt/ weniger vernünftig kennenzulernen, da die Ich-Instanz geringeren Raum einnimmt.
Der Körper und die Sinne werden aufmerksamer wahrgenommen. Eine relative Perspektive
auf den eigenen Leib, seine Grenzen und seine Beziehung zu Umwelt und Geschichte werden
im ASC angeregt (Weil 2000: 42). Die Relativierung des Raum- und Zeitgefühls kann den
Berauschten aus geschichts- und kausal gebundenen Kategorien lösen. Intuitives, assoziatives,
schöpferisches Denken und ein „Sein ohne Kategorien“ (Huxley in Legnaro 2001: 38) treten
an Stelle geordneter und voraussehbarer Gedankengänge.

Die Kategorien der Sprache werden unzulänglich: „Aufscheinen eines Außersprachlichen: einer
Dimension, aus welcher der paradoxe und vollkommen ungesicherte Versuch, die Erfahrung der
Sprachlosigkeit zu artikulieren, schöpfen kann.“ (Marc Richir in Giesecke 2002: 4) Lautmalerei,
Poesie und die körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten bereichern den erschöpften
Wortschatz. Sie erweitern das Konzept von Sinn um den „Preis einer kompletten
Desorganisation seiner bisherigen Vorstellungen und sprachlichen Mittel.“ (Giesecke 2000: 4)
Kreatives Potential wird durch die Behinderung im Sprechen, durch assoziatives Denken,
durch Visualisierung freigesetzt. Nach Bussmann benötigt eine Gesellschaft diese
schöpferischen Momente, um nicht in ihrer Entwicklung zu stagnieren. Der Rausch erklärt
ein „Spiel mit den Möglichkeiten“ (Bussmann 2001: 117).
„Vor allem nimmt das Sichberauschen am Entdeckergeist moderner Gesellschaftsdynamik teil.“
(Ebd.)

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Die Ekstase (das außer-sich-sein), die Entäußerung bedeutet Entlastung und ein gewisses
Heilsversprechen: gegen die totalitäre Kontrolle durch das Ich und die verinnerlichten
Werte, gegen die Vorherrschaft der Vernunft entspricht das „ozeanische Gefühl“ nicht nur
dem Gefühl der Erhabenheit, also auch der Erhebung gegenüber den Lasten des Alltags,
sondern auch einem Glückserlebnis, in dem sich idealerweise Leidvermeidung und Lust
treffen.
Dieser Zustand vermittelt Sinn, da das Verschmelzen mit der Umwelt auch eine
Positionierung in der Welt darstellt, die unter „normalen“ Umständen immer wieder neu
eingefordert, produziert und inszeniert werden muss.

„Der Rausch kann Auflösung, Ichverlust, Selbstverlust und Ohnmacht bedeuten. Dahinter steckt die
Sehnsucht nach einem Zustand, in dem Subjekt und Objekt, Ich und Welt nicht geschieden sind,
sondern zu einer All-Einheit sich fügen.“ (Wegmann 2001: 354)

„Der in religiöse Rituale eingebundene Gebrauch von Rauschdrogen ist in allen Kulturen
nachweisbar.“ (Wiesemann 2005: 1365)9

Es kann sein, dass die „Idee Gottes“ (Ebd.) in Zusammenhang mit einem verändertem
Bewusstseinszustand geboren ward: die Erfahrbarkeit transzendenter Erkenntnis mit Hilfe
von Pflanzen, die wiederum als göttlich erschaffen gedeutet wurden beziehungsweise in der
Perspektive eines magischen Weltbildes selbst göttlicher Natur waren. Nach Wegmann
sollen die Bilder in der Höhle von Lascaux mit der Farbe Manganoxyd, die Halluzinationen
verursacht, also im Rausch, geblasen worden sein. (Wegmann 2003: 364) So stellen die
Bilder nicht nur geschichtliche Dokumente, Veräußerungen von Erlebnissen, sondern auch
Ergebnisse aus heiligen oder rituellen Zeremonien dar.

Durch Technisierung und im weitesten Sinne Arbeitsteilung wurden Rauschmittel breiter


verfügbar, aber entbehrten zunehmend ihrer heiligen Funktion.

Rauschmittel erfüllten eine rituelle, soziale und auch heilpraktische Funktion. Mit der
Einführung der monotheistischen Religionen im Abendland entstand das Paradigma der
Sünde, das den Rausch verurteilte, weil sich der Gläubige im Rausch von Gott abwende.

9 Rudolf Gelpke, Svenja Korte, Claudia Richter, Wolfgang Schmidbauer und Felix Tretter bieten einen ausgezeichneten Überblick über die
Geschichte der Anwendung von Rauschmitteln.

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Dieses wurde aber erst im Rahmen der zunehmenden Disziplinierung im Zeitalter der
industriellen Revolution vollends praktiziert. Die Räume für rauschhaftes Handeln wurden
sozial festgelegt. Der legale Status eines Rauschmittels variierte darin, ob es massenhaft
kulturelle Verwendung fand, wie sich an der Geschichte der Genussmittel zeigt oder von
jeher traditionell verwendet wurde.10 Technische Möglichkeiten wie Synthese oder
Destillation förderten den heute als problematisch interpretierten Raschmittelgebrauch und
trennten den Wirkstoff quasi von seinem Träger, von seiner herkömmlichen Verwendung
und variierten seine kulturelle Bedeutung.

Abschließend:
Das Risiko des Drogenkonsums ist beispielhaft für das Risiko zu leben.
Das Bedürfnis nach Rausch entspricht dem Bedürfnis, sich zu spüren.
Der Drogenrausch birgt ein gesellschaftliches Risiko, das sich deutlich im Suchtdiskurs
manifestiert. Zum einen wird im Rausch/ durch die Sucht die Funktionalität der Individuen
eingeschränkt, aber auch der Sinn zu Funktionieren kann desolat werden. Andererseits
müssen die Kreise, die durch Rausch die Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung
mitbestimmen, integriert werden. Die Motivationen zum Rausch sind teilweise riskant und
werden im Rausch gebunden. Glücksstreben und auch „destruktive“ Energien fängt der
Rausch auf. Der Rausch kann nicht ganz kontrolliert werden und stellt ein wirtschaftliches
Risiko dar.
Das Risiko muss begrenzt werden.
Rausch ist Ersatzrevolte: Er ist die Möglichkeit der Kontingenz zum Preis der
Selbstzerstörung. Der Mensch ist so sehr programmiert, dass er die Selbstzerstörung nur im
kalkulierbaren Maß durchführt. Das ist ein Ergebnis der Aufklärung: Unlustvermeidung statt
Lustgewinn und soziale Disziplinierung.

10 Siehe dazu Felix Tretter

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Literatur:

Günter Amendt (2003): No Drugs No Future. Drogen im Zeitalter der Globalisierung,


Hamburg
Günther Anders (1987): Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der
zweiten industriellen Revolution, 7. Auflage, München
Kai-D. Bussmann (2003): Freiheit – Gesellschaftliche Entwicklung – Disziplinierung und
Rausch, in: Matthias Kaufmann (Hrsg.): Recht auf Rausch und Selbstverlust durch Sucht. Vom
Umgang mit Drogen in der liberalen Gesellschaft, Frankfurt am Main, S. 103 – 122
Hans Magnus Enzensberger (1964): Bewußtseins-Industrie (1962), in: Einzelheiten I.
Bewußtseins-Industrie, 1. Auflage, Frankfurt/ Main, S. 7 – 17
Rudolf Gelpke (1995): Vom Rausch in Orient und Okzident, 2. Auflage, Stuttgart
Birgit Giesecke (2002): Rausch als Versuch. Unerzähltes in der Vorgeschichte der
Anästhesie, Berlin
Werner Gross (2003): Sucht ohne Drogen. Arbeiten, Spielen, Essen, Lieben, überarbeitete
Neuausgabe, Frankfurt am Main
Matthias Kaufmann (Hrsg.)( 2003): Recht auf Rausch und Selbstverlust durch Sucht. Vom
Umgang mit Drogen in der liberalen Gesellschaft, Frankfurt am Main
Jürgen Helm: Rausch, Religion und Rebellion, in: Matthias Kaufmann (Hrsg.)( 2003): Recht auf
Rausch und Selbstverlust durch Sucht. Vom Umgang mit Drogen in der liberalen
Gesellschaft, Frankfurt am Main, S. 165 - 182
Peter Kemper, Ulrich Sonnenschein (Hrsg.)( 2001): Die Kick-Kultur. Zur Konjunktur der
Süchte. Leipzig
Svenja Korte (2007): Rauschkonstruktionen. Eine qualitative Interviewstudie zur
Konstruktion von Drogenrauschwirklichkeit, Wiesbaden
Aldo Legnaro: Zur Soziologie von Rausch und Ekstase, in: Peter Kemper, Ulrich
Sonnenschein (Hrsg.): Die Kick-Kultur. Zur Konjunktur der Süchte. Leipzig 2001, S. 31 – 41
Isabell Lorey (2007): Eigenverantwortung und Selbstausbeutung, in: Fonds Darstellende
Künste (Hrsg.): Freies Theater in Deutschland. Förderstrukturen und Perspektiven, Essen, S.
77 - 81
Claudia Richter (2005): Rauschgifte, in: Werner E. Gerabek und Andere (Hsgb.):
Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin/ New York, S. 1214 - 1216

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Wolfgang Schmidbauer, Jürgen von Scheidt (1999): Handbuch der Rauschdrogen, 4. Auflage,
Frankfurt am Main
Herbert Schnädelbach (1992): Kulturkritik nach Adorno. Plädoyer für eine kritische
Kulturphilosophie, in: Information Philosophie 4, Oktober 1992, S. 6 - 20
Ulrich Sonnenschein (2001): Rausch. Eine anthropologische Konstante, in: Peter Kemper,
Ulrich Sonnenschein (Hrsg.): Die Kick-Kultur. Zur Konjunktur der Süchte. Leipzig, S. 10 – 24
Alfred Springer: Gestrandet in Pepperland (2003), in: Matthias Kaufmann (Hrsg.): Recht auf
Rausch und Selbstverlust durch Sucht. Vom Umgang mit Drogen in der liberalen
Gesellschaft, Frankfurt am Main, S. 207 - 231
Felix Tretter (1998): Ökologie der Sucht. Das Beziehungsgefüge Mensch – Umwelt – Droge.
Göttingen, Bern, Toronto, Seattle
Thomas Wegmann (2001): Rausch und Normalität. Auf dem Weg in ein neues Zeitalter der
Ekstase?, in: Peter Kemper, Ulrich Sonnenschein (Hrsg.): Die Kick-Kultur. Zur Konjunktur
der Süchte. Leipzig, S. 352 – 368
Andrew Weil (2000): Drogen und höheres Bewusstsein, Aaran
Claudia Wiesemann (2005): Sucht, in: Werner E. Gerabek und Andere (Hsgb.): Enzyklopädie
Medizingeschichte, Berlin/ New York, S. 1365 - 1366
Claudia Wiesemann (2003): Zur Geschichte des Suchtbegriffs, in: Matthias Kaufmann (Hrsg.):
Recht auf Rausch und Selbstverlust durch Sucht. Vom Umgang mit Drogen in der liberalen
Gesellschaft, Frankfurt am Main, S. 43 - 62

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