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Dieser Beitrag will, nüchtern und fernab jeden politischen Kalküls, die Objektförderung in der Stadt Zürich
unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachten. Drei einfache, aber dennoch fundamentale Fragen stehen
dabei im Zentrum: Ist die Förderung effektiv? Ist sie effizient? Ist sie gerecht? Auf dieser Basis werden sowohl
die Vor- wie auch die Nachteile der Objektförderung in Zürich erörtert – dies wohl wissend, dass der Beitrag
kein Ersatz für eine vollständige Analyse dieser komplexen und nach wie vor politisch brisanten Materie sein
kann. Gleichzeitig sollen auch einige «urbane Legenden» rund um Kosten und Nutzen der Objektförderung
aufgedeckt und auf das bisher vernachlässigte Potential der Subjektförderung hingewiesen werden.
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Gesegnet mit einer nach internationalen der Subjektförderung, welche eine direkte
im deutschen Wirtschaftsmagazin «brand privaten Markt rund ein Drittel teuerer als die
1886–2011. 125 Jahre Wohneigentum und Wohnen in Zürich.
eins» unlängst zu lesen, dass «diese Art des entsprechende Stadt- oder Genossenschafts-
Wohngeldes» – gemeint sind die gemeinnüt- wohnung.
zigen Wohnungen in Zürich –«den Steuer- Die durchschnittliche Nettomiete für
zahler etwas ‹kostet›. Denn für den Bau einer Wohnungen zwischen 1 bis 5-½-Zimmern im
Siedlung genehmigt der Stadtrat für die sub- gemeinnützigen Bereich lag im Erhebungsjahr
ventionierten Wohnungen ein zinsloses Dar- 2006 bei 962 Franken pro Monat.5 Würden
lehen, und diese Zinsen fehlen der Stadtkas- sich also die Stadt Zürich und die Baugenos-
se später.»2 Noch häufiger anzutreffen ist die senschaften wie private Vermieter verhalten,
kecke Behauptung, dass die Wohnbauförde- würden sie rund 35 Prozent mehr Miete ein-
rung gar nichts koste. Einerseits würden die nehmen, rund 340 Franken pro Wohnung
Baurechtsverträge der Stadt hohe Einnahmen und Monat. Multipliziert man diese Zahl mit
einbringen, andererseits würden die Genos- der Anzahl Wohnungen in diesem Segment
senschaften dank der Kostenmiete sämtliche (51 630), ergeben sich zusätzliche Mieteinnah-
anfallenden Kosten in vollem Umfang selbst men von 210 Millionen Franken pro Jahr.
tragen. So sahen es beispielsweise die Auto- Diese Summe würde noch deutlich
Wird.
ren der Publikation «Genossenschaftlich höher ausfallen, wenn man als Referenz nicht
die auf dem Privatmarkt herrschenden Be- den Kosten gleichgesetzt, verzichtet die
standesmieten genommen hätte (diese sind Bodenbesitzerin, mindestens teilweise, auf
ebenfalls stark von der Mietregulierung be- diese Zahlung. Bodenbesitzerin ist in den
einflusst), sondern die meist noch deutlich meisten Fällen nicht die Baugenossenschaft,
höhere Marktmiete, die Neumieter zahlen. So sondern die Stadt Zürich. Der «entgangene
war kürzlich in den Medien die Rede einer im Gewinn» stellt also nichts anderes dar als
Seefeld-Quartier geplanten städtischen Lie- fehlende Einnahmen der Stadtkasse dar. Für
genschaft, in der 4-½-Zimmer-Wohnungen diese entgangenen Einnahmen – sowie für
für monatlich 1720 Franken vermietet wer- die entgangenen Zinszahlungen der zinslosen
den sollen, rund 2000 Franken unter Markt. Darlehen – müssen letztlich alle Steuerzahle-
Angenommen, die Neumieter würden zwan- rinnen und -zahler der Stadt aufkommen.
zig Jahre in der Wohnung bleiben, entspricht Baugenossenschaften könnten nur dann
der konservativ geschätzte Barwert der Sub- eine marktgerechte Entschädigung für die
vention rund 350 000 Franken pro Haushalt. Bodennutzung abliefern, wenn sie deutlich
tiefere Unterhalts- und Renovationskosten
Wem gehört die Bodenrente? als die privaten Vermieter hätten. Dies ist
Die 210 Millionen gehören klar in der jedoch nicht der Fall, denn sowohl die Vertre-
Kategorie der Transferzahlungen. Im Porte- ter der privaten Eigentümer als auch jene
monnaie rund eines Viertels der Mieterinnen der Baugenossenschaften müssen etwa für
und Mieter in der Stadt Zürich verbleibt am Ziegel und Zement den gleichen geltenden
Ende des Monats Geld, das sich in einem an- Marktpreis bezahlen.
deren Portemonnaie befinden würde, wenn
sie nicht Mieter des gemeinnützigen Seg- Die Kostenfrage
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mentes wären. Manche sind der Ansicht, Eine Umverteilung in diesem Ausmass
6 Andreas Hofer, Vorstandsmitglied des SVW Zürich, in einem Interview in «Wohnen» 6/2009: «Umverteilung ist hier
der falsche Begriff, es handelt sich um einen entgangenen zusätzlichen Gewinn.»
sie am meisten schätzen. Diese Ineffizienzen oder es werden etwa diejenigen berücksich-
können sowohl nachfrage- als aus angebots- tigt, die schon lange auf der Warteliste der
seitig auftreten. Sie werden bei der Diskus- Genossenschaft stehen.
sion um Sinn und Zweck der Wohnbauförde- Wie gut erfüllen die gemeinnützigen
rung selten erwähnt, weil sie nicht Vermieter ihre Selektionsfunktion? Um diese
unmittelbar sichtbar sind. Im Fall der gemein- Frage beantworten zu können, müsste
nützigen Wohnungen geht es konkret um bekannt sein, ob die Mieter der Genossen-
zwei Fragen: schaften die gleiche Wohnung auf dem
1. Werden die Wohnungen auf dem ge- privaten Markt mieten würden, wenn sie für
meinnützigen Markt wirklich von jenen die Mehrausgaben, die dabei entstünden,
Haushalten bewohnt, die sie am meisten entschädigt werden würden. Eine detaillierte
brauchen? empirische Beantwortung dieser Frage
2. Nützen die Baugenossenschaften die wäre angesichts der Datenlage in der Stadt
ihnen zur Verfügung stehenden Ressour- Zürich ohne weiteres möglich. Hier lassen
cen, insbesondere die Ressource Boden, sich aber bloss einige Indizien liefern.
auf eine effiziente Art und Weise?
Stellen sie jene Wohnungen bereit, die Der Lock-in Effekt
die Mieter wollen? Beim Einzug in eine Genossenschafts-
wohnung deutet wenig darauf hin, dass die
Auf einem privaten Markt wird die erste Mieterschaft – wenn sie die Wahl hätte –
Frage sozusagen automatisch bejaht, denn eine gänzlich andere Wohnung bevorzugen
die Wohnungen werden grundsätzlich der würde. Insbesondere neuere Genossen-
meistbietenden Mieterschaft vermietet. Ob schaftswohnungen unterscheiden sich punk-
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Präferenz, auf ein ausgeprägtes «Bedürfnis» wenig von privaten Neubauten. Doch droht
nach städtischem Wohnraum oder auf ein mit der Zeit ein Auseinanderklaffen zwischen
hohes Einkommen zurückzuführen ist, spielt dem «Bedarf» der Haushalte und ihrem tat-
bei diesem Marktmechanismus keine Rolle. sächlichen Konsum. Wer das Glück hat, in
Gerade diese Frage steht hingegen im eine günstige gemeinnützige Wohnung ein-
Zentrum der Sorgen der gemeinnützigen Ver- zuziehen, wird diese so schnell nicht verlas-
mieter. Weil die Mieten deutlich unter dem sen, auch wenn sie nicht mehr dem eigenen
Marktniveau liegen, übersteigt die Nachfrage Bedarf entspricht. Denn mit einem Umzug
nach Genossenschaftswohnungen das Ange- würde auch die implizite Subvention verloren
bot um ein Vielfaches. Baugenossenschaften gehen, welche die Mieterschaft erhält.
schalten den Selektionsmechanismus des Der künstliche Anreiz zur langen Ver-
Marktes weitgehend aus und ersetzen ihn weildauer in der gleichen Wohnung wird in
mit einem eigenen Mechanismus, der sich an der ökonomischen Literatur als Lock-in-Effekt
vordefinierten Kriterien orientiert: Etwa die bezeichnet – und lässt sich in Zürich leicht
Bevorzugung von Familien oder von Haushal- nachweisen. Eine Analyse der Verweildauer
Wird.
ten, die im Quartier bereits verankert sind, in Mietwohnungen auf der Grundlage der
amtlichen Daten zeigt, dass Mieter in Bau- übrigen Mietern zurückführen. Wie sich
genossenschaften rund doppelt so lang ver- weiter unten zeigt, sind diese Unterschiede
blieben wie vergleichbare Mieter in Wohnun- gering. Die Zürcher Baugenossenschaften
gen des privaten Markts. Dies gilt für eine scheinen sich also an ihre Belegungsvor-
Wohnung gegebener Qualität. Der Lock-in- schriften zu halten. Diese sehen vor, dass die
Effekt ist den Kosten der Objektsubventionie- Anzahl Zimmer nicht mehr als die Anzahl der
rung zuzurechnen, weil mit der Zeit die Woh- Personen im Haushalt plus 1 beträgt. Aller-
nungen nicht mehr von denjenigen Mietern dings sind Genossenschaftssiedlungen häufig
bewohnt werden, die sie am meisten schät- mit grosszügigen Gemeinschaftsräumen aus-
zen und brauchen. Die langen Verweildauer gestattet, welche in dieser Rechnung nicht
stellen zudem einen weiteren Nachteil für all berücksichtigt werden.
diejenigen dar, die auf Wohnungssuche sind Ein gänzlich anderes Bild ergibt sich
und keine freien Wohnungen finden. jedoch, wenn die bauliche Dichte der Bau-
genossenschaftssiedlungen betrachtet wird.
Wenig haushälterischer Umgang mit Unter baulicher Dichte wird das Verhältnis
der Ressource Boden der bebauten Fläche zur Parzellengrösse ver-
Mieter in Genossenschaften zahlen standen. Für eine gegebene Gebäudehöhe
deutlicher weniger für Wohnraum als andere stellt sie die Intensität dar, mit welcher ein
Mieter. Man könnte also erwarten, dass der Grundstück genutzt wird. Wie die Grafik
typische Bewohner einer Genossenschaft «Gebäudegrundflächenanteil von Mehrfami-
mehr Wohnraum konsumiert als ein ver- lienhäusern» auf der nächsten Seite zeigt, ist
gleichbarer Mieter in einer privaten Woh- die bauliche Dichte der Baugenossenschaften
nung. Es wäre denkbar, dass wer von einer in allen städtischen Kreisen tiefer als auf
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Genossenschaft eine grosse Wohnung zuge- dem privaten Markt, in gewissen Kreisen
10 Vgl. dazu die 2009 präsentierten «Positionen zur städtischen Wohnpolitik» des Stadtrates der Stadt Zürich.
11 Alex Martinovits; 2007
da, wo die Baugenossenschaften schwach man fest, dass das Realeinkommen der Ge-
vertreten sind. nossenschafter nicht tiefer ist als jenes der
Die wichtigste Daseinsberechtigung Mieter, im Gegenteil. Dies zeichnet sich auch
der Wohnbaugenossenschaften liegt in ihrem in der Vermögenssituation der Genossen-
Beitrag zum «Kampf gegen die Entmi- schafter ab, die besser ist als jene der Mieter;
schung», dem die Stadtregierung und die eine Feststellung, die auch bei Vergleichen
Zürcher Wählerschaft einem hohen Stellen- innerhalb der einzelnen Quar tiere gemacht
wert beimessen.10 «Entmischung» bezeichnet wurde.11 Als Fazit dieser – freilich summari-
üblicherweise extreme Gegensätze hinsicht- schen – Analyse sei festzuhalten, dass der
lich Einkommen, Herkünfte, Familienstruktur Beitrag der gemeinnützigen Eigentümer zur
und Alter innerhalb einer Stadt. «Entmisch- Durchmischung der Stadt Zürich bestenfalls
te» Städte werden mit einem hohen Konflikt- als «durchzogen» bezeichnet werden kann.
potenzial und allgemein mit einer tieferen
Lebensqualität verbunden. Und die Gerechtigkeit?
Der Beitrag der Genossenschaften an Die bisherige Analyse der Zürcher
der Durchmischung lässt sich durch die fol- Wohnbauförderung hat mehrmals die Frage
gende hypothetische Frage bemessen: Wäre nach der Gerechtigkeit aufgeworfen. Sind
die Durchmischung tiefer, wenn die Objekt- die involvierten Transfers gerecht? Grund-
förderung wegfiele? Ein Vergleich der sozio- sätzlich hat Gerechtigkeit zwei Dimensionen,
ökonomischen Eigenschaften der gemeinnüt- eine horizontale und eine vertikale. Bei
zigen Mieter mit jenen der übrigen Mieter der horizontalen Gerechtigkeit geht es um
kann bei der Beantwortung helfen. Die unten «Fairness», also ob gleiche Haushalte auch
aufgeführte Tabelle fasst die wichtigsten gleich behandelt werden. «Vertikal» gerecht
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Kennzahlen verschiedener soziale Dimensio- sind Massnahmen, bei welchen die ärmeren
der Name verrät, stehen die Haushalte und 4. Dank der direkten Unterstützung der
1886–2011. 125 Jahre Wohneigentum und Wohnen in Zürich.
nicht die Wohnungen im Mittelpunkt der Haushalte ist sowohl die horizontale als
Subjektförderung. Bei dieser Förderung er- auch die vertikale Gerechtigkeit gewähr-
halten die unterstützten Haushalte eine Sub- leistet. Sämtliche Haushalte, welche
vention (das «Wohngeld»), die sie dann für die Kriterien erfüllen, erhalten eine Sub-
die Miete einer von ihnen gewählten Woh- vention; nicht nur jene, die das richtige
nung frei einsetzen können. An dieser Stelle Los gezogen haben.
soll nicht auf alle Besonderheiten der Sub- 5. Die Kriterien, welche der Verteilung der
jektförderung eingegangen werden, sondern Subvention zugrunde liegen, lassen sich
aufgezeigt werden, dass sich die meisten periodisch überprüfen, nicht bloss beim
bisher erwähnten negativen Effekte damit Einzug in der Wohnung. Das Wohngeld
vermeiden liessen: jener Haushalte, welche nicht mehr
1. Da die subventionierten Haushalte die auf die Subvention angewiesen sind,
Wohnung selbst auswählen, entspre- kann ohne weiteres angepasst werden;
chen die gemieteten Wohnungen am die Anpassung ist nicht mehr mit einem
besten den Wünschen und Bedürfnissen Wohnungswechsel gekoppelt. Das für
Wird.
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Glauser, Thomas; Bröhl, Andreas; Horehájová, Präsidialdepartement Stadt Zürich, Statistik