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Zu Beginn der eigentlichen Handlung

lernt der Leser Handelsreise


Ha nd Iu ngsverlauf f<oitfnä"t bei der Ausübung seines Gewerbes
als Ross-
er befindet sich auf dem Weg zu ver-
t arral., kennen;
schiedenen Märkten, um dort seine Pferde' die der
grrattl.t als ,,wohlgenährt alle und glänzend" (ebd')
f..""t.iaft"at, zu verkaufen' An einem neu errichteten
Der Aufenthalt
1.Abschnitt (3-20): ;;l"gb""* wird l(ohlhaas Wegzoll abverlangt' an den am Zoll
Kohlhaas als,,Muster eines guten i.tri"äu""- ruft in Kohlhaas die Erinnerung
er die vorbildli-
verstorbenen Herrn wach' in welchem
Staatsbürgers" eines Gebietsherrn gegenüber "Handel
und
;;;H"l*"g Handel und
sieht, da dieser den
Das Unrecht durch denJunker Wandel" (4i verkörpert
habe' Dass
Handlungs- In einer kurzen Einleitung ergreift der Erzähler das Wort, aamlt ale Härrdl".-g.tthützt und gefördert
des Weg'
rahmen indem er mit derAngabe von Ort und Zeit des Geschehens ä.* 1""f."t Wenzei von Tronka das Privileg gute Beziehun-
den Untertitel der Novelle verdeutlicht. Der Erzähler gibt zolls verliehen ist, deutet bereits dessen
Kohlhaas
einen Stoff,,Aus einer alten Chronik" in der Manier eines ;;; ^; sächsischen Hof an' Was in der Folge
Volksbuches (Nacherzählungen vorgefu ndener Stoffe aus än Oer Tronkenburg widerfährt' steht in krassem Ge-
des
Dichtung, Geschichte, Mythologie, Legende und Überlie- ;;;;;" zu dem uoi Kohlh""t gelobten Verhalten
Wetter schafft widrige äußere
ferung in ansprechender Form) wieder. Mit dieser Ein- ä.ift.run Herrn. Auch das
Regen uncl /,/^'''
leitung wird ein äußerst schwach ausgeprägter Rahmen Bedingungen für die Sache des Rosshändiers'
markiert, der trotzdem im späteren Text hin und wieder Sturm verleiden den Aufenthalt im Freien'
DieTitelfigur durchscheint. Dieser Rahmen nennt Michael Kohlhaas als pm Eingr"ifun des Schlossvogtes' als Kohlhaas bereits
Kohlhaas -
Michael Kohlhaas Hauptperson und deutet mit deren paradoxen Charakte- äJcr.n"rfor.nalitäten für erfüllt häIt' macht
auf Kohlhaasens Perspektive
risierung bereits das Thema der Novelle an. Die Parado- und damit den Leser, der
xie eines ,rechtschaffenen und zugleich entsetzlichen ist von Anfang an stutzig' Zum einen steht
i"tig"f.g, - Forderung nach
Menschen' erregt zwangsläuflg die Aufrnerksamkeit des ä.rän iorderung nach dei Vorlage eines Passierscheins
zum anderen Passierschein
Lesers. Kohlhaasens Attribut der Rechtschaffenheit wird i- Wia".rp*ch-zur langjährigen Praxis'sehen verlangt'
durch die Nennung positiver Charaktereigenschaften hat der Zöilner nicht einen solchen zu
sich an den persönlich zu
verdeutlicht: Arbeitsamkeit, Gottesfurcht, Treue, Wohl- I(ohlhaas beschließt, Junker
tätigkeit und Gerechtigkeit als Ideale und Eigenschaften wenden, den er in geselliger Runde antrifft' Kohlhaasens
Ritter und
weisen Kohlhaas als ,,Muster eines guten Staatsbürgers" Pferde wecken das Interesse der versammelten
(3) aus. Die Einschränkung dieser positiven Darstellung t.ttp...tt"" ihnen willkommene Abwechslung' Nach-
gelobt'
erfolgt wieder in einem Paradoxon: ,,die Welt würde sein d"m man die Pferde begutachtet' ihren Zustand
befunden
Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer Tu- in den Verhandlungen ihren Preis als zu hoch
gend nicht ausgeschweift hätte. Das Rechtsgeftihl aber .rnA a.. intttur tro; I(ohlhaasens entgegenkommenden
machte ihn zum Räuber und Mörder" (ebd.). ,Tugend' ;;"*ä einen Kauf abgeschlagen hat' bestätigt sich
indem
und ,Ausschweifung' scheinen in ihrer Wortbedeutung die in I(ohlhaas erwachte dunkle 'Vorahndung"
nicht zueinander zu passen. Zwar wird dieses Paradoxon es der Schlossvogt unternimmt' die beiden Rappen ohne
im abschließenden Satz - mit dem ,,Rechtsgeflihl" für S.""itltt"g in dii wirtschaft der Burg zu übernehmen'
zuvor mit
die Tugend und dem ,,Räuber und Mörder" für die Aus- Biickweise und flüsternd hatte er sich bereits
dem Erwerb der Rappen gelegen
schweifung - präzisiert, doch keineswegs aufgelöst. Die dem Verwalter, dem an
wenigen Zeilen des Rahmens haben bereits Spannung war, über diese verständigt' Nachdem nun-der Junker
der Pferde verworfen hat' bringt der Vogt die
erzeugt und die Neugier des Lesers auf die Lösung des den Kauf
wieder
Rätsels geweckt. aus den Augen verlorene Frage des Passierscheins

HANDLUNGSVERLAUF 9
8 oen TNHALTLTcHE AUFBAU
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ins Gespräch. Das ,verlegne Gesicht' des Junkers deutet vokationen den Konflikt aufdie Spitze treibt. Nicht nur
an, dass selbst diesem der Passierschein eine unbekann- begegnet er Kohlhaas herausfordernd und beleidigend,
te Einrichtung zu sein scheint. Als er trotzdem Kohlhaas sondern stellt auch die Sache dem eben eintreffenden
unbehelligt ziehen lassen will, besteht der Vogt auf ei- Junker ,,unter der gehässigsten Entstellung" (9) dar und
Rappen als ffand nem Pfand frir den fehlenden Passierschein und schlägt verhöhnt Kohlhaas. Auch in dieser Szene bestätigt si.ch
die Rappen als solches vor. Da dem Junker wegen des die schwache Position des Junkers. Eine .flüchtige Bläs-
zwischenzeitlich wieder einsetzenden Regens der Auf- se" (ebd.), die ihm ins Gesicht tritt, legt den Verdacht
enthalt im Hof ungemütlich und die Verhandlung der nahe, dass er nicht der Drahtzieher der wahrschein-
Affäre offenbar lästig ist, weist er Kohlhaasens daraufhin lich dunklen Machenschaften um Kohlhaas' Pferde ist.
vorgebrachten Einwand barsch zunick und bestätigt die Trotzdem vermag er nicht anders in die Auseinander-
Forderung des Vogts. Kohlhaas sieht ein, dass er kaum setzung einzugreifen, als sich mit einem Kraftausdruck
gegen die von ihm als unverschämt empfundene Forde- den Beleidigungen des Vogts anzuschließen und sich Beleidigung
rung angehen kann, und lässt die beiden Rappen und mit einem ungerechten und aus Überdruss getroffenen Kohlhaasens
einen Knecht zu ihrer Betreuung auf der Burg zurück. Spruch die Sache vom Hals zu schaffen. Zu Beginn der
Seinen Argwohn gegenüber der vorgeblichen Bestim- Szene war Kohlhaas noch zu Zugeständnissen bereit
mung über den Passierschein, der nicht zuletzt vom gewesen und im weiteren Verlauf hatte er die Selbst-
Verlauf der Verhandlungen auf der Burg genährt wird, beherrschung und Gerechtigkeit nicht aus den Augen
versucht er mit der Annahme, dass eine solche Bestim- verloren: ,,sein Rechtsgeflihl, das einer Goldwaage glich, Kohlhaas'
mung doch immerhin möglich sei, zu beruhigen. wankte noch; er war vor der Schranke seiner eigenen Rechtsgefühl
Der Junker In dieser Initiierung des Konfliktfalls hat sich der Jun- Brust noch nicht gewiss, ob eine Schuld seinen Gegner
ker als überaus schwache Person gezeigt. Einerseits lässt drücke" (8).Am Ende zeigt er doch eine harsche Reak-
er sich in seinen Entscheidungen vom Schlossvogt ganz tion, indem er ohne seine Pferde die Burg verlässt. Da-
wesentlich beeinflussen und bestimmen, andererseits bei hat sich im Verlaufder Szene gezeigt, dass es l(ohl- Motiv
scheint er mehr dem Vergnügen zugetan zu sein und haas nicht um die Pferde als materiellen Wert zu tun Kohlhaasens

4*'* lässt sich auch vom Wetter zu missgelaunten Bestim-


mungen hinreißen. In der äußeren Erscheinung kon-
war; anfangs war er bereit gewesen, sie in schlechtem
Zustand mitzunehmen, und im Verlauf der Debatte mit
trastiert daher der als dürr und frierend beschriebene dem Vogt hätte er ,,den Wert der Pferde darum gegeben,
Junker mit dem Vogt und dessen ,,weitläuflge[ml Leib" wenn er den Knecht zur Hand gehabt und dessen Aus-
(4). sage mit der Aussage des dickmäuligen Burgvogts hätte
Auf Kohlhaasens Erkundigung bestätigen ihm die Be- vergleichen können" (10). Kohlhaas ftihlt sich also nicht
hörden in Dresden, dass ,,die Geschichte von dem Pas- so sehr durch die Zugrunderichtung der Pferde in seinen I
sierschein ein Märchen sei' (7). Kohlhaas tätigt in Ruhe Rechten angegriffen, sondern die llberheblichkeit, Will- I
seinen Handel und hegt keine tiefere Verbitterung ge- kür, Ungerechtigkeit und persönlichen Beleidigungen
genüber demJunker. treffen ihn zutiefst. I
Zugrunde- Doch macht er bei seiner Rückkehr zur Tronkenburg Trotz ärgster Herausforderungen veünag Kohlhaas sein
richtung der wieder schlechte Erfahrungen. Seine Pferde sind zwi- Gerechtigkeitsgeftihl zu bewahren. Obwohl er sich nach
fferde o
schenzeitlich zur Feldarbeit missbraucht worden und den üblen Erfahrungen auf der Tronkenburg unmittel-
befinden sich in einem elenden Zustand, und der bar auf den Weg nach Dresden gemacht hat, um sich
Knecht, den er zur Betreuung der Pferde zurückgelas- dort sein ,,Recht zu verschaffen" (10), bestimmen ihn die
sen hatte, ist schändlich weggejagt worden. Noch emp- Bedenken, ob sich sein I(necht nicht doch eines Verge- Zweifel
findet I(ohlhaas nichts als Ohnmacht und Ingrimm und hens schuldig gemacht habe, doch zur sofortigen Um- an Herse
ist bereit, mit den misshandelten Pferden wegzugehen. und Heimkehr nach Kohlhaasenbrück, um sich dort
Doch wieder ist es der Schlossvogt, der durch seine Pro- durch die Vernehmung seines Knechts seines Verdachts

10 DER TNHALTLTcHE AUFBAU HANDLUNGSVERLAUF 11


zu versichern. Dass er unterwegs allenthalben ,,von den in der Burg zurückgelassenen Gegenstände und Wertsa-
Ungerechtigkeiten hörte, die täglich auf der Tronken- chen überzeugende Argumente fiir seine Glaubwürdig-
burg gegen die Reisenden verübt wurden" (ebd.), lässt in keit geliefert. Kohlhaas kann somit die Rolle als gestren- Zuverlässigkeit
,f ihm das ethische Bewusstsein einer sozialen Verantwor- ger Richter aufgeben, Herse offen Glauben schenken und Herses
\/ tung und höheren Mission erwachen, dass ,,er mit sei- ihm Gerechtigkeit versprechen.
fiI nen Iftäften der Welt in der Pflicht verfallen sei, sich Ge- Kohlhaasens Frau bestärkt ihren Mann in seinem Ent-
nugtuung frir die erlittene Iftänkung und Sicherheit flir schluss, ,,die öffentliche Gerechtigkeit für sich aufzufor-
zulcinftige seinen Mitbürgern zu verschaffen" (ebd.). dern" (14), und in seinem Bewusstsein von einer höheren
Nach seiner Ankunft in Kohlhaasenbrück erfährt er vom Sendung, ,,dass es ein Werk Gottes wäre, Unordnungen,
üblen körperlichen Zustand, in welchem sein Knecht gleich diesen, Einhalt zu tun" (15). Der Erzähler hält sich Rolle
dort von der Tronkenburg her angekommen war, der hier zwar weitgehend zurück, indem er durch die direk- des Ezählers
auf schlimme Misshandlungen schließen lässt. Kohlhaas te Wiedergabe des Dialogs den Eindruck von Unmittel-
lässt sich seinen lhecht, den er wegen seiner ,Wahrhaf- barkeit und Authentizität erweckt, doch bleibt die Per-
Verhör Herses tigkeit' schätzt, rufen, um ihn einem strengen Verhör spektive auf Kohlhaas gerichtet, da nur von ihm Gefiihle
zu unterziehen. Um.wirklich den letzten Zweifel aus- (,,Herz emporquoll" [12],,,erzwungene Schelmerei" [14])
zuräumen, der sich als Ungerechtigkeit gegenüber dem mitgeteilt werden; Gedanken und Gefühle der anderen
Junker erweisen könnte, inszeniert Kohlhaas ein Rollen- Personen teilen sich dem Leser nur in Gesten und Ver- (
spiel: Er übernimmt die Rolle des sfengen Richters, der haltensweisen mit (,,auf dessen blassem Gesicht sich,
gewillt ist, den geringsten Zweifel zugunsten der Partei [...], eine Röte fleckig zeigte, schwieg eine Weile" [11]).
des Junkers zu werten, und teilt Herse die Rolle des An-
geklagten zu. Durch genaues und zum Teil suggestives Das Unrecht durch die Gerichte
Hinterfragen der Aussagen des Knechts versucht Kohl- Gänzlich konform mit dem bisherigen Bild seines Rechtsinstanzen
haas, diesen in die Enge zu treiben, und übernimmt sel- Charakters bemüht sich Kohlhaas, sein Recht auf dem
ber eine Rolle, die ihn zeitweise zwingt, seine von den Rechtsweg zu erlangen. Zwei Instanzen kommen hier-
Aussagen des Knechts hervorgerufenen Gefühle zu un- bei fiir ihn in Frage; er kann beim Landesherrn desJun-
terdrücken und zu verbergen. Doch trotz aller Fallen, kers, dem Kurftirsten von Sachsen, Klage erheben, und
die seine Fragen dem Knecht stellen, nimmt Kohlhaas er kann seinen eigenen Landesherrn, den Kurflirsten
ein gutes und lobenswertes Verhalten Herses zur Kennt- von Brandenburg, um seinen landeshemlichen Schutz
nis. Herse hat es aufder Burg vermocht, sich gegen die angehen, d.h. dass dieser seine Rechte gegenüber dem
Provokationen zu behaupten und durch Zugeständnisse anderen Landesherrn vertritt. Durch die Entwicklung
den Frieden so lang wie möglich zu wahren. der Sache ist Kohlhaas gezwungen, nach-einander beide
Willkür und Kohlhaas muss zu seinerVerbitterung erfahren, dass wie- Wege zu beschreiten.
Gewalt auf der der der Schlossvogt und der Verwalter sich hervorgetan Zunächst begibt er sich nach Dresden, um seine Klage Klage in Dresden
Tronkenburg haben, indem sie mit unverschämten Forderungen Herse mit dreifachem Ziel zu erheben: ,,auf gesetzmäßige Be-
provozierten. Nachdem Herse den Einsatz der Tiere bei strafung des Junkers, Wiederherstellung der Pferde in
der Feldarbeit bis zu einem gewissen Grad zugelassen, den vorherigen Stand und aufErsatz des Schadens, den
einer Anstiftung zum Betrug widerstanden und auch die er sowohl als sein Ifuecht erlitten hatten" (15). Das ge-
Umquartierung der Pferde hingenommen hatte, war- sunde Rechtsempfinden lässt fiir den Ausgang der Sache
fen sie bei der erstbesten Gelegenheit dem Knecht den Gutes hoffen, und auch der Erzähler kommentiert den
versuchten Diebstahl der Pferde vor, um ihn dann ohne Fall optimistisch: ,,Die Rechtssache war in der Tat klar"
weitere Verhandlungen mit Gewalt von der Burg zu ver- (ebd.).
treiben. Herse hat sich insgesamt als wirdiger Vertreter Umso überraschender erscheint daher die gänzliche Nie- Niederschlagung
für Kohlhaas erwiesen und mit seinem Hinweis auf die derschlagung der Klage nach übergroßer Verzögerung. der Klage

12 DER TNHALTLTcHE AUFBAU HANDLUNGSVERLAUF 13


I

...,",.,'*".***flsäiF],;.]'1"li.lriljb']1i.':i]!i,lj];,..:'.rini.i.ij{],],i{1:,Äl.ri],.

Und erst aufgenauere Erkundigung hin erftihrt Kohlhaas, dahin als so vorbildlich geschildertem Charakter eine
dass keineswegs rechtliche Gninde für diesen Ausgang radikale Wandlung. Nach dem Erhalt der Resolution
ausschlaggebend waren, sondern dass lediglich beste frirchtet er, dass ,,die Leute des Jungherren erscheinen
persönliche Beziehungen des Junkers zum sächsischen und ihm [...] die Pferde, abgehungert und abgehärmt,
Hof die ,,höhere Insinuation" (16) verursacht habe: Zwei wieder zustellen" (ebd.) könnten. Da ihm dieses wohl als
nahe Verwandte desJunkers beldeiden höchste Staatsäm- der Gipfel der höhnenden Beleidigung, der ,,vielleicht
Vetternwirtschaft ter am sächsischen Hof. Kohlhaasens rechtmäßige Iüage sogar mit einer Entschuldigung" (ebd.) die Krone aufge-
am Hofe ist buchstäblich an Vetternwirtschaft gescheitert. setzt würde, erscheinen müsste, sieht er diesem Ereig-
Dadurch dass Kohlhaas der landesherrliche Schutz von nis ,,mit der widerwärtigsten Erwartung, die seine Brust
einem hohen brandenburgischen Beamten, mit dem jemals bewegt hatte,'l (ebd.) entgegen. Er hält sich mit
Kohlhaas eine Bekanntschaft durch seine Geschäfte ver- seiner ,,von der Welt wohlerzogene[n] [d.h. von einem
Gegensatz bindet, angetragen wird, wird zum ersten Mal der Kon- positiven Weltbild geprägtenl Seele" (ebd.) gar nicht für
zwischen trast zwischen den Verhältnissen an den Höfen in Sach- ftihig, aufdiese Provokationen durch Hohn und Nieder-
Sachsen und sen und in Brandenburg aufgegnffen, der später von tracht angemessen zu reagieren. Die Nachricht von der
Brandenburg größerer Bedeutung sein wird. Kohlhaas folgt der Emp- Unverfrorenheit, mit der die Pferde weiterhin auf der
fehlung Geusaus und bittet den Kurfi.irsten von Branden-
burg um seinen landesherrlichen Schutz in dieser Affäre.
Tronkenburg misshandelt werden, zerbricht endgriltig
Kohlhaasens Weltbild und verursacht damit die Wand- I
Eingabe an Das Zutrauen in die Person des Kurfürsten und das Ver- lung in seinem Charakter, die sich in der Folge langsam
den Kurfürsten sprechen der persönlichen Verwendung Geusaus für ihn und allmählich durch die aus ihr resultierenden Hand-
lassen Kohlhaas ,,beruhigter über den Ausgang seiner lungen und Entschlüsse entlarvt. ,,Mitten durch den
Geschichte als je" (17) sein. Doch auch diese Zuversicht
wird herb enttäuscht, als Kohlhaas erfährt, dass der mit
Schmerz, die Welt in einer so ungeheuerlichen Unord-
nung zu erblicken, zuckte die innerliche Zuftiedenheit I
tl aE:a./.r{ht,rr
der Prüfung des Falles beauftragte brandenburgische empor, seine eigene Brust nunmehr in Ordnung zu se-
I(anzler I(allheim, statt sich unmittelbar an den Hof in hen." (21) An dieser Stelle kann der Leser nur vermuten,
Dresden zu wenden, beim Junker von Tronka Auskünf- dass die Erfahrungen in Kohlhaas Rachegelüste geweckt
te einholt. Auf seine Rückfrage erfährt Kohlhaas, dass haben, zu denen er sich durch den momentanen Stand
Beziehungen wieder verwandtschaftliche Beziehungen der Grund für der Dinge berechtigt glaubt. Die neu gefundene Zufrie-
des Junkers dieses unübliche Verfahren sind. Diese Auskunft bringt denheit lässt ihn mit Ruhe und Umsicht die folgenden
Kohlhaas in niedergeschlagene Stimmung, und seine befremdlichen Handlungen planen und durchflihren,
äußerst pessimistischen Erwarlungen bestätigen sich. deren Sinn und Zweck sich dem Leser erst später er-
Abweisung Die Resolution auf seine Bittschrift weist nicht nur seine schließt. An dieser Stelle verweigert der Erzähler dem
der Bittschrift Klage ab, sondern nennt als Begründung eine persönli- Leser den Blick in Kohlhaasens Inneres.
I
che Beleidigung: ,,er sei, nach dem Bericht des Tribunals Kohlhaas bietet seine gesamten Besitzungen seinem Verkauf
Nachbarn zum l(aufan. Mit diesem Schritt überrascht er des Hofes
in Dresden, ein unnützer Querulant" (18). Die Erfahrung
Beleidigung und der Beleidigung und die Machtlosigkeit gegenüber einer den Nachbarn ebenso wie seine eigene Frau. I(ohlhaas
Machtlosigkeit V solch komrpten und undurchdringlichen Staatsmaschi- nennt aufdie befremdete Rückfrage des Nachbarn ganz
0
nerie und Hofkamarilla sind wohl als Ursache ffir Kohl- geheimnisvoll als Grund ftir sein Angebot: ,,seine See-
haasens ,schäumende Wut' (vgl. ebd.) zu vermuten, denn le [...] sei auf große Dinge gestellt, von welchen er viel-
es zeigt sich wieder, dass es ihm nicht um die materiel- leicht bald hören werde" (19). Er hat auch bereits einen
len Werte geht: ,,er hätte gleichen Schmerz empfunden, I(aufriertrag vorbereitet und akzeptiert ohne Zögern ein
wenn es ein paar Hunde gegolten hätte" (ebd.). viel zu niedriges Gebot seines Nachbarn. So unterzeich-
lnnere Wandlung Das zweimalige Scheitern seines gerechten Anliegens an nen beide den Vertrag, obwohl ihnen bewusst ist, dass Kohlhaasens
Kohlhaas erhebliche Verluste in Kauf nimmt. Verluste
Kohlhaasens einer komrpten Obrigkeitverursacht in Kohlhaasens bis

14 DER TNHALTLTcHE AUFBAU HANDLUNGSVERLAUF 15


.lj ;. i r., q]!sL!i}:&t&,"i$*".

Erst als der Nachbar gegangen ist, fragt Kohlhaasens hierauf noch nicht vollkommen erfassen' doch wird
vollkommen verzweifelte Frau ihn nach den Gründen deutlich, wenn Kohlhaas denkt: ,,So möge mir Gott nie
flir sein seltsames Verhalten. In seiner Antwort zeigt er vergeben, wie ich dem Junker vergebe!" (ebd.)' dass er
sich teilweise noch als der Alte. Er kann sich die erhalte- keineswegs gewillt ist, sich dem letzten Willen seiner
ne kurflirstliche Resolution nur als ein Missverständnis Frau zu unterwerfen. An dieser Stelle wird nur erkenn-
Erneute erklären und möchte sich noch einmal an den Landes- bar, dass Kohlhaas versöhnliches Denken von sich weist
Bittschrift herrn persönlich wenden, da er aufdessen Gerechtigkeit und trotzdem auf Gottes Vergebung für sich und sein
vertraut. Für den Fall, dass seine Bittschrift erfolgreich unversöhnliches Handeln hoft .
ist, hat er sich im Kaufuertrag über seine Besitzungen Kohlhaasens folgende Handlungen sind von einer zuneh- Kohlhaasens
das Rücktrittsrecht ausbedungen. Doch falls er keinen menden Hybris (= Hochmut, Selbstüberhebung, Vermes- Hybris

Erfolg haben sollte, und hierin zeigt sich der Zweifel an senheit) gekennzeiöhnet. Er inszeniert flir seine Frau ein Lisbeths
dem ehemals positiven Weltbild, möchte er das Land Begräbnis, ,,das weniger ftir sie als fl.ir eine Fürstin ange- Begräbnis
verlassen: ,,Weil ich in einem Lande, liebste Lisbeth, in ordnet schien" (25). Im denkbar ungünstigsten Moment
welchem man mich in meinen Rechten nicht schützen der Begräbnisfeierlichkeiten erreicht ihn die landesherr-
will, nicht bleiben mag." (21) liche Resolution auf die Bittschrift, bei deren Überbrin-
Lisbeths Lisbeth ahnt, dass er es nicht beim Verlassen des Lan- gung Lisbeth ihre tödliche Verletzung erhalten hat. Diese
Ahnungen des bewenden lassen will, da er sie und die Kinder fiir Revolution gleicht der vorhergehenden exakt. Somit ist
die nächste Zeit außer Landes schicken will, damit er auch Kohlhaqleqlglllsl]@ch, sich auf rechtmäßi-
,,durch keine Rücksichten gestört werde" (22), und da er sem Wege Recht zu verschaffen, gcscheitert.
einige Pferde und Waffen vom I(aufuertrag ausgenom-
men wissen will. Lisbeth wagt zwar nicht, gegen sein
Vorhaben, sich mit Waffengewalt Recht zu verschaffen, 2. Abschnitt (26- 47):
Einspruch zu erheben, doch möchte sie alles in ihren Kohlhaas als,Outlaw'
Kräften Stehende tun, es gar nicht so weit kommen zu
Lisbeth als Botin lassen. So schlägt sie vor, anstatt seiner nach Berlin zu Kohlhaasens Rachefeldzug
gehen und ihre persönliche Bekanntschaft mit dem Kas- Über Kohlhaasens Motiv der folgenden Handlungen gibt Motiv der Rache
tellan des Schlosses aus füiherer Zeit auszunutzen, um der Erzähler vollkommene Aufl<iärung: ,,und übernahm
zum I(urfi.irsten vorzudringen und ihm die Bittschrift sodann das Geschäft der Rache" (25). Quasi als letzte
persönlich zu überreichen. Kohlhaas wiUigt ein. Warnung stellt er dem Junker in einem Rechtsschluss
Der Erzähler nimmt dem Leser die Möglichkeit, sich der das Ultimatum, ihm binnen dreier Tage die Pferde nach Ultimatum
Hoftrungderbeiden aufeinpositives Ende anzuschließen. Kohlhaasenbnick zu überliefern und dort persönlich
Er bezeichnet diesen Schritt als,,allerunglücklichste[n]" wieder dickzufüttern. Darin zeigt sich das Ziel seiner
(23) und deutet somit das kommende Unglück voraus. Rache: Er will dem lunker durch persönliche Demüti-
Lisbeth kann in der Tat ihr Vorhaben nicht ausführen, euns die erlittene Schmach heimzahlen. Da das Ultima-
sondern wird bei ihrem Versuch, sich dem Kurfrirsten zu tum nictrt erfüllt wird, vollzieht I(ohlhaas den Verkauf
nähern, durch unglücldiche Umstände schwer verletzt. seines Hauses endgultig, bringt seine Iünder außer Lan-
Sie kann noch nach Hause gebracht werden, wo sie aber des in Sicherheit und bricht mit seinen Knechten be-
Lisbeths Tod nach wenigen Tagen stirbt. Noch kurz vor ihrem Tod waftiet zur Tronkenburg auf.
versucht sie, ihren Mann von seinen, wie sie fürchten Mit Waffengewalt fällt Kohlhaas mit seiner Schar auf der Überfall auf
muss, schrecklichen Plänen abzubringen; sie weist mit Tronkenburg ein, und sie plündern, morden und brand- die Tronkenburg

letzter Kraft auf die Bibelstelle: ,,Vergib deinen Feinden; schatzen in so radikaler Manier, dass der Erzähler den
tue wohl auch denen, die dich hassen.' (24) Zwar kann Vergleich zum Jüngsten Gericht zieht: ,,Der Engel des
der Leser die Bedeutung von Kohlhaasens Gedanken Gerichts fährt also vom Himmel herab" (26). Die Gesell-

16 oen TNHALTLTCHE AUFBAU HANDLUNGSVERLAUF 17


schaft desJunkers sowie der Schlossvogtund derVerwal- zeitige Zustellung des .I(ohlhaasischen Mandats" an das
ter, die eigentlich Schuldigen bei der Beschlagnahmung Stift und bildet somit ein Glied in der Verkettung un-
und Zugrunderichtung der Pferde, fallen ihrer Wut, glücklicher Umstände, wie schon der Tod Lisbeths durch
insbesondere der Herses, zum Opfer. Obwohl Kohlhaas Äinen solchen verursacht war, die einen wesentlichen
einen lhecht des ]unkers zwingt, seine Rappen aus dem Anteil an der Eskalation der Gewalt haben; zum ande-
Feuer zu retten,beac weiter und ren greift ,,ein ungeheurer Wetterschlag" (ebd') direkt in
Flucht n. DerJun- die Handlung ein und hindert Kohlhaas gewissermaßen
des Junkers ker, das eigentliche Ziel der Racheaktion, hat zu fliehen als Fingerzeig von oben an allzu großem Frevei, nämlich
vermocht, so dass Kohlhaas sich nach intensiver Suche aus ,,unbefriedigter Rache" (ebd.) das Kloster in Brand
eingestehen muss, ,,dass die Unternehmung auf die Burg setzen zu lassen. So muss Kohlhaas zur Kenntnis neh-
fehlgeschlagen war" (27 f.). men, dass der Junker sich nicht mehr im Stift, sondern
Erstes Mandat Kohlhaas erlässt ein Mandat an die Bevölkerung, worin bereits in Wittenberg versteckt hält, und setzt seine Ver-
er ,,bei Strafe Leibes und Lebens und unvermeidlicher folgung fort.
Er veröffentlicht ein zweites Mandat, in welchem er zu- Zweites Mandat
Einäscherung alles dessen, was ein Besitztum heißen
mag," (28) die sofortige Auslieferung desJunkers fordert. nächst versucht, die Bevölkerung durch die ,,Erzählung
Er maßt sich in seiner Hybris die Rechte eines Fürsten dessen, was ihm im Lande begegnet," (30) auf seine Seite
an und fiihrt auch die Sprache eines solchen. Mit eini- zu ziehen, aber auch einer noch größeren Anmaßung
gen Knechten des Junkers, die wohl mehr ,,von der Aus- erliegt, indem er nicht nur seiner Sache eine allgemeine
sicht aufBeute gereizt" (ebd.) sind als durch ihre Unzu- Bedeutung verleihen möchte und den Junker zum ,'all-
friedenheit mit ihrem Herrn, vergrößert er seine Schar. gemeinen Feind aller Christen" (ebd.) erklärt' sondern
Als der Erzähler Kohlhaas' Handlungen mit dem Engel iuch sich selbst zum ,,reichs- und weltfreien, Gott allein
des Jüngsten Gerichts in Verbindung brachte, hat er sie unterworfenen Herrn" (ebd.) ernennt. Der Erzähler qua-
zwar als schrecklich beurteilt, aber dennoch im Kern lif,ziert dies als ,,Schwärmerei krankhafter und missge-
mit Gerechtigkeit assoziiert. Nun am Ende der Passage schaffenerArt" (ebd.) ab. Kohlhaas erhältweiteren Zulauf
distanziert er sich von Kohlhaasens Handlungen und von Leuten, die die Aussicht auf Geld und Beute lockt'
verurteilt sie als jämmerliche Geschäfte' (vgl. ebd.). Die Strategie seines Rachefeldzugs gegen denJunker ist Kohlhaas'Taktik

Verfolgung Hiermit beginnt l(ohlhaas seine Suche und Verfolgung ebenso brutal wie einfach. In nächtlichen Aktionen lässt
des Junkers des Junkers, in deren Verlauf die Gewalt eskaliert und er in Orten, wo er den Junker vermutet, Brände legen
die Dinge eine Eigendynamik gewinnen, so dass Kohl- und seine Forderung nach Auslieferung des Junkers ver-
haas nicht mehr absoluter Herr der Situation ist. Auf breiten. Dadurch bringt er zwar zunächst das Volk gegen
Erkundigungen hin erfährt er, dass der Junker in ein sich selbst auf, was sich in Bezeichnungen wie ,,Frevel"
(31), ,,Drache" (32), ,,Mordbrenner" (35) zeigt' doch ver- Auflehnung
nahe gelegenes Stift zu seiner Tante geflohen ist, die als
des Volks gegen
Abtissin in der Gegend ein hohes Ansehen genießt. Die- setzt er es dermaßen in Angst und Schrecken, dass sich
den Junker
ser Umstand kommt Kohlhaas keineswegs gelegen, da die Wut des Volks letztlich gegen den Junker richtet' so
ihm die Achtung vor der ,,fromme[n], wohltätigelnl und dass dieser ,,vor der Gewalttätigkeit des Volkes, das ihn
heilige[nl Frau" (ebd.) verbieten sollte, seine Verfolgung platterdings aus der Stadt entfernt wissen wollte"' (31)
des Junkers dort mit gleichen radikalen Mitteln fortzu- geschützt werden muss. Die Bürger Wittenbergs nennen
Bedeutung setzen. Das Wetter bildet mit ,,dem Gemurmel eines äen lunker nun offen ,'einen Blutigel, einen elenden
des Wetters entfernten Gewitters am Horizont" (29) nicht nur die Landplager und Menschenquäler, den Fluch der Stadt
effekwolle Kulisse für die düstere Handlung, sondern Wittenberg und das Verderben von Sachsen" (33)' und
repräsentiert auch das unwägbare Eingreifen höherer die Stadt Dresden weigert sich, ihn bei sich aufzuneh- Täuschungs-
manöver des
Gewalten in die Handlung. Zum einen verhindert ein men. Der wittenbergische Landvogt weiß Wittenberg
Landvogts
durch das Wetter verusachtes Hochwasser die recht- schließlich nicht anders als durch eine List vor Kohlhaas

19
18 DER TNHALTLTCHE AUFBAU
HANDLUNGSVERLAUF
.:i,1,i i:.r,äjiri.itlf*1gi:$ü

zu schützen, indem ervortäuscht, denJunker nach Leip-


In Verkleidung begibt er sich
(ebd.) unterzeichnet ist.
zig gebracht zu haben, wohin sich Kohlhaas daraufhin
sofort nach Wittenberg, um Luther zu einem Gespräch
auch tatsächlich wendet.
aufzusuchen.
Kohlhaas' Erfolge Zu Kohlhaas' fast legendärem Ruf in der Bevölkerung Das folgende Gespräch stellt einen der zentralen Punk- Kohlhaas
tragen aber auch seine militärischen Erfolge bei. Die Ob_
te der gesamten Handlung dar. Hier lässt der Erzähler bei Luther
rigkeit hatte sich gezwungen gesehen, mit militärischen
Kohlhaas noch einmal die Motivation und Begnindung
Strafaktionen gegen Kohlhaas und seine weiterhin ge_
seines Verhaltens mit eigenem Munde vortragen. Die
wachsene Schar vorzugehen. Doch durch äeches, be_
Positionen Luthers und Kohlhaasens sind nicht neu, bei-
herztes, mutiges und die Fehler der Gegner ausnutzen_
de wiederholen im Grunde bereits Bekanntes. Luthers
des Handeln hatte Kohlhaas jedes Mal vermocht, gegen
zentraler Vonarurf ist der gleiche des Plakats, die Un-
die Übermacht einen überraichenden Sieg zu erringen. gerechtigkeit Kohlhaasens, da der Kurfrirst seinen Fall
In einem Mandat, das Kohlhaas anlässlich seiner ,Bela_ nicht kenne und Kohlhaas voreilig und eigenmächtig
gerung'Leipzigs veröffentlicht, erreicht er den Gipfel
gehandelt habe.
seiner Hybris: Er nennt sich
Doch Kohlhaas will diese ,Meinung von ihm, dass er ein Kohlhaas'Selbst-
,,Statthalter ungerechter Mann sei, widerlegen' (vgl. 39). Da er sich legitimation
,,,einen Statthalter Michaels des Erzengels, der gekom_
Michaels" men sei, an allen, die in dieser Streitsache des aus der Gemeinschaft der Menschen verstoßen fühlt,
Junkers glaubt er, das Recht zu haben, mit dieser lGieg flihren zu
Partei ergreifen wtirden, mit Feuer und Schwert die
Arglist, in welcher die ganze Welt versunken sei, zu dürfen.
bestrafen'. [...] und das Mandat war, mit einer Art von
Vernickung unterzeichnet:,Gegeben auf dem Sitz ,,Verstoßen [...] nenne ich den, dem der Schutz der Ge- Kohlhaas'
unserer provisorischen Weltregierung, dem Erzschlosse setze versagt ist! Denn dieses Schutzes zum Gedeihen Verständnis von
zu Lützen."' (35) meines friedlichen Gewerbes bedarf ich; ja, er ist es, Gesellschaft
dessenhalb ich mich mit dem lGeis dessen, was ich er-
Aus dem ehemaligen durchaus berechtigten ethischen worben, in diese Gemeinschaft flüchte; und wer ihn
Bewusstsein einer höheren Sendung ist nun eine wahn- mir versagt, der stößt mich zu den Wilden der Einöde
hinaus; er gibt mir, wie wollt ihr das leugnen, die Keule,
hafte Anmaßung geworden, die er auch in seinem
die mich selbst schützt, in die Hand" (39f.).
äußeren Aufzug manifestiert: ,,ein großes Cherubs-
schwert, auf einem rotledernen Kissen, mit quasten
Kohlhaas reklamiert somit nicht nur das Recht zu sei-
von Gold verziert, ward ihm vorangetragen, und zwölf
nem Verhalten, sondern sieht sogar die Schuld hierfrir
Männer mit brennenden Fackeln folgten ihm.. (38).
aufseiten der Gesellschaft. Erschwerend kommt fiir ihn
der Tod seiner Frau hinzu: ,,es hat mich meine Frau ge-
Das Eingreifen Luthers
kostet; Kohlhaas will derWelt zeigen, dass sie in keinem
An diesem Punkt der Handlung greift Martin Luther ungerechten Handel umgekommen ist." (41)
ein, um ,,den Kohlhaas [...] in den Damm der mensch_
Er erklärt sich jedoch sofort bereit, in die Gemeinschaft
lichen Ordnung zurückzudrücken.. (36). Er richtet ein
zurückzukehren und seine Klage erneut beim Tribu-
Luthers Plakat öffentliches Plakat an Kohlhaas, in welchem er ihn der
nal des Landes vorzubringen, wenn Luther ihm hierfi.ir
Ungerechtigkeit und der Mord- und Raublust bezichtigt
freies Geleit verschaffen kann. Zur Bekräftigung seiner
und ihm das Recht aufsein Verhalten abspricht, da der
lauteren Absicht wiederholt er die drei ursprünglichen
Landesherr seinen Fall gar nicht kenne. Kohlhaas ist
Klagepunkte als sein Anliegen: Bestrafung des Junkers,
vom Inhalt dieses plakats sehr betroffen und ftihlt sich
Wiederherstellung der Pferde und Schadensersatz, wo-
,,in der ganzen Verderblichkeit, in der er dastand,.. (3g) bei er die ihm durch die Itiegsfrihrung gegen den Jun-
entwaftiet und beschämt. Dies wiegt umso schwerer ker entstandenen Kosten nicht inbegriffen sehen will.
fi.ir ihn, als das Plakat ,,von dem Namen Martin Luthers,.
Die von Luther geforderte Selbstbescheidung durch

20 orn tNHALTLIcHE AUFBAU


HANDLUNGSVERLAUF 21
Vergebung flir den Junker lehnt er jedoch ab und frihrt Kohlhaas automatisch gegenüber Kunz Stellung bezie-
wieder den Tod seiner Frau daftir ins Feld. Auch als hen müssen.
Luther die Spende der Kommunion von dieser Verge_ So bilden sich verschiedene Gruppierungen. Graf Wrede Parteienbildung
bung abhängig macht, zeigt er sich hart und begründet und der Prinz von Meißen distanzieren sich von Kunz
theologisch: ,,der Herr auch vergab allen seinen Feinden aufgrund allgemein moralischer Maßstäbe, nehmen
Veruveigerung nicht' (42). Luther verweigert ihm die Kommunion, sagt aber hinsichtlich Kohlhaas unterschiedliche Positionen
der Kommunion ihm jedoch seine Bemühung flir ein freies Geleit nach ein; Wrede schließt sich Luther an, der Prinz von Meißen
Dresden zu.
dringt aufharte Bestrafung - Kohlhaasens und Kunzens!
Luthers Einsatz In einem Brief an den sächsischen Kurfrirsten empfiehlt Graf Kallheim und Hinz von Tronka urteilen nach prag-
für Kohlhaas Luther diesem, Kohlhaas nicht nur freies Geleit, son_ matischen Gesichtspunkten; die Frage, wem nützt bzw.
dern auch Amnestie zuzusagen. Sein Brief zeigt staats_ schadet es, ist für sie entscheidend. Wdhrend Kallheim
politisch ausgesprochen diplomatisches Denken, wenn sich bezüglich Kohlhaas nicht äußert, schlägt Hinz ein
Luther die Kohlhaas freundlich gesonnene öffentliche taktisches Vorgehen vor, nämlich Kohlhaas zwar Recht
Meinung, dessen Argument der Rechtsverletzung durch zu geben, ihn jedoch ,,auf den Grund seiner Mordbren-
denJunker und die Gerichte und dessen Status als nereien und Räubereien einzustecken" (46).
,Aus-

Figur Luthers
lalder' als Begründung fiir seine Empfehlung anfrihrt. Auf seine Erkundigungen nach der Stimmung im Volk
Die Darstellung der Figur Martin Luthers übeirascht ei_
hin erfährt der Kurfürst,
nigermaßen. Statt einer respektablen und würdevollen
Person, die vor Zeiten ihrerseits mit ihren Gedanken und ,,dass der Rosshändler in der Tat schon zu einer Stärke
Handlungen voll rebellischen und revolutionären poten_ von vierhundert Mann angewachsen sei, ja, bei der all-
tials einiges an folgenreicher Unruhe und Erschütterung gemeinen Unzufriedenheit, die wegen der Unziemiich"
in die Welt gebracht hat, wird dem Leser eher das Bild keiten des Kämmerers im Lande herrschte, in kurzem
eines zurückgezogenen Schreibstubengelehrten vor Au- aufdie doppelte und dreifache Stärke rechnen könne"
(46 f.).
gen gestellt, der dem Intellekt und der Redegewandtheit
I(ohlhaasens nicht so recht gewachsen zu iein scheint Dies lässt es dem Kurflirsten geraten erscheinen, Kohl-
und der scheinbar Standhaftigkeit gegen Diplomatie haas freies Geleit fiir einen neuen Prozess und, im Falle
eingetauscht hat.
seines Gewinns, ,,völlige Amnestie seiner in Sachsen aus-
Der Staatsrat Der sächsische Kurfrirst berät im Staatsrat mit seinen geübten Gewalttätigkeiten wegen" (47) zuzugestehen.
höchsten Staatsbeamten, zu denen auch die beiden Das Amnestieversprechen bildet einen erneuten Wende- Amnestie
Verwandten des Junkers Hinz und Kunz von Tronka ge_ punkt im Geschehen.
hören, über Luthers Empfehlung. Für die politisch Ver-
antwortlichen stellt sich das problem, die Lage in den
Griff zu bekommen und trotzdem nach außen hin das 3.Abschnitt (+t-tt):
Gesicht zu wahren. Kunz von Tronka, der wegen des Kohlhaas in Dresden
Missbrauchs seiner Befugnis, sich des Namens und des
Wappens des Kurfi.irsten zu bedienen, als der letztlich Hoffnung aufeinen guten Ausgang
Verantwortiiche an der prekären Situation zu sehen ist, Sofort nach Kenntnisnahme dieser kurflirstlichen Ga- Auflösung
versucht, sich durch ,,Feuer der Beredsamkeit,, (a4) zl rantien macht Kohlhaas sich daran, seine Zusagen einzu- der Schar
rechtfertigen, und plädiert gegen Luthers Empfehlung, lösen. Er löst seine Schar auf und ,,legte alles, was er an
da Kohlhaas dadurch zu große Anerkennung zuteil wer_
Geld, Waffen und Gerätschaften erbeutet haben mochte,
de. Die anderen Ratgeber sind spätestens durch dieses
bei den Gerichten zu Lützen als kurftirstliches Eigentum
unbeabsichtigte Schuldeingeständnis Kunzens in die nieder" (47), womit er erneut seine nicht-materiellen In-
Lage versetzt, dass sie mit ihrer Meinung zum problem
teressen bei dieser Affire dokumentiert. In vollem Ver-

22 oeB TNHALTLICHE AUFBAU


HANDLUNGSVERLAUF 23
trauen auf den positiven Ausgang seiner Sache leitet er Die Erwartung eines fijr Kohlhaas günstigen Gerichtsur-
den Rückkaufseiner Güter ein, lässt seine Kinder holen
teils lässt es den Tronkas geraten erscheinen, Nachfor- Nachforschungen
und begibt sich nach Dresden. schungen nach den verschollenen Rappen anzustellen. nach den Rappen
Aufnahme Dort findet seine Ankunft größte Aufrnerksamkeit des
in Dresden
Die recht schwierige Suche hat Erfolg, und die Rappen
Volkes, das sich in Massen darum bemüht, den treffen nach einiger Zeit in Dresden ein. Ihr Zustand ist
,,Wür-
geengel [...], der die Volksbednicker mit Feuer und
in zweifacher Hinsicht ein jämmerlicher; zum einen ist
Schwert verfolge" ( 8) und dem darum seine Sympathie ihr körperlicher Zustand erbärmlich, zum anderen ist
gehört, zu sehen. Auch die beiden Repräsentinten
der ihr momentaner Besitzer ein Abdecker. Da Abdecker in
sächsischen Regierung, denen Kohlhaas zunächst be_ der damaligen Zeit als unehrenhafte gesellschaftliche
gegnet, der Oberbefehlshaber prinz von Meißen _
ob_ Außenseiter gelten, wird dies zu Verwicklungen flrhren,
wohl er im Rat gegen Kohlhaas plädiert hatte _ und der die die Gunst gegen Kohlhaas umschlagen lassen wird,
Großkanzler des Tribunals Graf Wrede, nehmen ihn was der Erzähler hier bereits mit seiner Wertung als
durchaus korrekt, ja, fast freundlich auf, Wegen des un_
,,Unglück" (52) vorausdeutet.
geheuren Volksauflauß erhält Kohlhaas zu seinem eige_
nen Schutz eine Wache, die aber auf sein Verlangen hin Die Abdeckerszene
entfernt werden soll, um seine persönliche Freiheit zu Die Ausfi.ihrlichkeit, mit der Kleist seinen Erzähier die Funktion
gewährleisten. Auf Empfehlung von Graf Wrede wendet
nun folgende Kernszene darstelien lässt, dient dazu, dem der Szene
sich Kohlhaas an einen benihmten Advokaten, der für Leser die vielfältige und vielschichtige Verflechtung zum
ihn erneut die drei ursprünglichen Klagepunkte vor Ge- Teil unvorhersehbarer.Ursachen und Anlässe der Hand-
richt einbringen soll. Nach diesen e.ri"., Erf"h*.rg"., Iungsmomente und damit das Eingreifen von Schicksal
in Dresden scheint Kohlhaas wieder Hoftrung hegen zu in die Handlung vor Augen zu fuhren. Neben solchen
dürfen. von außen kommenden wäg- oder unwägbaren Ereig- Motive
Die Tronkas Inzwischen ist auch derJunker Wenzel von Tronka von nissen spielen jedoch die zum Teil unangemessenen, für das Verhalten
Wittenberg her in Dresden eingetroffen, wo ihn seine von Stolz und Eitelkeit bestimmten inneren Reaktionen der Personen
Verwandten Hinz und Kunz ,,mit der größten Erbitterung und Zustände der Personen die entscheidende Rolle.
und Verachtung" (s0) erwarten. Ihre Einsicht, dass ihre Kunz und Wenzel von Tronka begeben sich zum Markt,
Verwendung fi.ir ihren Verwandten nicht nur um dort die Pferde in Augenschein zu nehmen, eventu-
,,Schande
und Schmach über die ganze Familie bringe,, (ebd.), son_ ell zu identifizieren und dann in Besitz zu nehmen. Dort
dern ihrer persönlichen Steltung und ihrem Ansehen in hat sich bereits eine Menschenmenge eingeftlnden und
der momentanen Stimmungslage alles andere als fcir- verleiht ihrem Hohn darüber, ,,dass die Pferde schon, Hohn der Menge
derlich ist, und ihre Angst vor dem .Hohngelächter der um derenthalben der Staat wanke, an den Schinder
Welt" (ebd.), das auch sie als Ziel haben könnte, sind als gekommen wären" (52), mit ,,unendlichem Gelächter"
Gründe für ihre Distanzierung von ihrem Verwandten (ebd.) Ausdruck. Der miserable Zustand der Tiere macht
anzunehmen. Um jede Schuld von sich zu weisen, gibt es dem Junker unmöglich, die Pferde zu identiflzieren,
der Junker seine Schwäche zu, indem er seine Verant-
und I(unz sieht sich trotz seines ,,sprachlosen Grimms"
worbung für die Zugrunderichtung der pferde, z.T. sogar (ebd.) gezwungen, an den Abdecker Fragen betreffs der
'seine Kenntnis hiervon von sich
weist und auf Verwalter Herkunft der Pferde zu richten. Dieser lässt sich von den
und Schlossvogt schiebt. In diesem gar nicht falsch dar_ Amtsinsignien und dem Titel des Kämmerers nicht be- Gleichgültigkeit
gestellten Zustand an seinem Schloss spiegeln sich die des Abdeckers
eindrucken und benimmt sich unbektimmert-ungebühr-
Verhältnisse am Dresdener Hof. Auch dort haben es die lich; weder lässt er sich in seinem ,,empfindungslose[n]
untergeordneten Funktionäre verstanden, ihre bevor_ Eifer" (53), mit dem er ,,seine Geschäfte betrieb" (ebd.),
zugte Stellung auszunutzen und im Namen des Fürsten stören, noch scheut er sich, die Hose herunterzulassen
zu ihren eigenen Gunsten zu handeln. und sein Wasser abzuschlagen! Dies steigert die Scham

24 oea INHALTLTcHE AUFBAU


HANDLUNGSVERL^UF 25
bei
des Kämmerers vor ,,der hohnlachenden Menge" (ebd.) ,,Dieser Vorfall [...] erweckte gleichwohl, auch
Kunzens Trotz und seinen Trotz, den er später in seiner ganzen Hal- dem Gemlißigteren und Besseren, eine, dem Ausgang
tung zum Ausdruck zu bringen versucht, ,,indem er sein seiner [d. i. Kohlhaasens] Streitsache höchst gefährliche
Schwert mit Stolz und Ansehen unter dem Arm hielt" Stimmung im Lande. Man fand das Verhältnis dessel-
ben [d. i. Kohlhaas] zum Staat ganz unerträglich' und
(55). Da die gleichgültigen Auskünfte des Abdeckers we-
in Piivathäusern und auföffentlichen Plätzen' erhob
nig befriedigend ausfallen, sieht Kunz sich gezwungen,
sich die Meinung, dass es besser sei, ein offenbares
Kohlhaas zwecks Identifizierung der Pferde herbeiru- Unrecht an ihm zu verüben und die Sache von neuem
fen zu lassen. In einem kurzen Auftritt auf dem Markt niederzuschlagen, als ihm Gerechtigkeit' durch Gewalt-
ldentifizierung erkennt Kohlhaas die Pferde nach einer nur flüchtigen taten ertrotzt, in einer so nichtigen Sache' zur bloßen
der Rappen Inspektion als die seinen an. Die Afftre beginnt ihm be- Befriedigung seines rasenden Starrsinns znkommen zu
drohlich zu werden, und er sucht nach einem versöhn- lassen." (58)
lichen Abschluss.
Kunz bezahlt dem Abdecker die Pferde und weist einen Wie so oft an den entscheidenden Stellen der Handlung
Knecht an, sie wegzuflihren. Daraus entsteht jedoch wird hier ein einseitiges und undifferenziertes Urteil ge-
Weigerung ein erheblicher Tumult. Da der Ifuecht nach einer In- sprochen, indem I(ohlhaas wie sonst anderen Personen
des Knechts tervention seines anwesenden Vetters sich wegen ihrer der Unmut über einen Umstand, den er nicht direkt zu
Unehrlichkeit weigert, die Pferde überhaupt nur anzu- verantwoften hat, aufgeladen und somit eine Schuld zu-
fassen, und fordert, ,,die Pferde müssten erst ehrlich gesprochen wird, die ihm nicht zukommt; damit wer-
gemacht werden" (57), verliert der unter großer Span- ä"n einmal mehr Handlungen in Gang gesetzt' die im
nung stehende Kämmerer endgültig die Beherrschung Grunde niemand verantworten kann'
und weist den Knecht mit einer demütigenden Geste aus So wird auch in der lolge der Hass der Familie
Tronka Hass derTronkas

seinen Diensten. Er richtet seine Wut auf einen im Grun- gegen Kohlhaas durch das Verhalten des Grafen Wrede
de Unschuldigen. Hierauf entlädt sich auch die in der gesteigert.
Volksmenge aufgestaute Aggression, und ihr Anflihrer Umstände'
Meister Himboldt ,,warf [...] den Kämmerer von hinten ,,Die Schmach, die zufolge der bestehenden
groß'
dadurch aufdie Familie des Junkers flel' war so
Handgemenge nieder, riss ihm Mantel, Kragen und Helm ab, wand ihm Gewicht' das sie' als
dass bei dem staatsbürgerlichen
das Schwert aus der Hand und schleuderte es in einem
eine der ersten und edelsten, im Lande hatte' nichts
grimmigen Wurf weit über den Platz hinweg" (ebd.). billiger und zweckmäßiger schien' als eine Vergütung
Nach den Verhandlungen mit einem Abdecker findet der Pferde in Geld einzuleiten"' (Ebd')
Entwürdigung hierin Kunzens Entwrirdigung ihren Höhepunkt; der
Kunzens Verlust der Insignien seines Standes und seiner Macht, Man geht den Großkanzler diesem Vorschlag an'
mit
Recht-
die er vorher stolz präsentiert hatte, symbolisiert dies doch äieser verweist die Tronkas ,,aus übergroßer
deutlich. Nur durch einen zufällig auftauchenden Trupp und einem davon herrührenden Hass gegen die
lichkeit
Soldaten kann der Kämmerer vor der ,,Wut der Menge" Familie von Tronka" (ebd.) an Kohlhaas persönlich'
(ebd.) gerettet werden. Dieser Vorfall stellt eine Spiege-
dessen Wille, durch den Vorfall' der
lung der Novellenhandlung im Kleinen dar: Ein stolzer 'Der Rosshändler,
sich auf dem Markt zugetragen, in der Tat gebrochen
Bürger reagiert auf die überhebliche Willkrir eines Ad- gemäß'
war, wartete auch nur, dem Rat des Großkanzlers
ligen, indem er ihn angreift, ihn tatsächlich in die Knie des oder seiner
auf eine Eröfftiung von seiten Junkers'
zwingt und ihm die selbst verliehenen Zeichen seiner Angehörigen, um ihnen mit völliger Bereirwilligkeit
und
Würde nimmt. VergeUung des Geschehenen entgegenzukommen: doch
Stimmungs- Der Vorfall hat für den Fortgang der Handlung fatale Fol- diese Eröftrung war den stolzen Rittem zu tun empfind-
umschwung gen und muss als erneuter Wendepunkt des Geschehens lich; und schwer erbittert über die Antwort' die sie von
im Volk angesehen werden: dem Großkanzler empfangen hatten" (58f')'

HANDLUNGSVERLAUF 27
26 oeB TNHALTLTcHE AUFBAU
wenden sie sich an den Kurfrirsten persönlich mit der Bruch der Amnestie
Bitte, ihnen die ,,erdenkliche Schmach und Schande" In dieser misslichen Lage sieht Kohlhaas sich gezwun-
(59) einer Bittstellung vor Kohlhaas zu ersparen. Der gen, Dresden zur Erledigung dringender Geschäfte auf
Kurfrirst zeigt sich seinem Kämmerer gegenüber wohl- ieinen mittlerweile wiedererworbenen Gütern flir kurze
Scheitern wollend. Somit scheitert die zu diesem Zeitpunkt mög- Zeit z'overlassen. Nur vage deutet der Erzähler hier an'
einer Einigung liche gütliche Einigung durch einen Vergleich an dem dass Kohlhaas sich außer von diesen sachlichen Gnin-
Stolz und der Eitelkeit der Beteiligten. den wahrscheinlich auch von seiner allmählich immer
Gegenoffensive Nicht nur dass sie in diesem Moment der Handlung eine bedrohlicheren Lage zu diesem Entschluss bestimmen
derTronkas mögliche gütliche Einigung nicht herbeifiihren, sondern lässt. Er lässt sich vom Großkanzler zwar nicht von die-
die Tronkas nutzen einen weiteren flir Kohlhaas ungüns- sem Entschluss abbringen, beantragt aber aufdessen Rat
Antrag auf Pässe
tigen Umstand, um durch geschicktes Taktieren in die hinPässe ftir seine Reise beim Prinzen von Meißen' Die-
Nagelschmidt Gegenoffensive überzugehen. Johann Nagelschmidt, ein ser Antrag wird jedoch ungewöhnlich lange hinausge-
Beteiligter aus der frtiheren Schar des Kohlhaas, setzt zögert, und durch die Antwort erlährt er, dass der Prinz
Kohlhaas' Feldzug fort und nennt sich dabei unberech- von Meißen für einige Zeit in seinem Amt vertreten wird
tigt ,,einen Statthalter des Kohlhaas" (60). So verrnag er von jemandem, auf dessen Loyalität er nicht rechnen
es, seinen ,,Mordbrennerhaufen als ein[en] zur bloßen kann. Da er damit auf einen verlässlichen Hofbeamten
Ehre Gottes aufgestandene[n] Kriegshaufen" (ebd.) er- weniger rechnen kann, bemächtigt sich seiner bei dem
scheinen zu lassen, der ,,bestimmt [sei], über die Befol- überlingen Ausbleiben der Pässe eine zunehmende Un-
gung der ihnen von dem Kurfürsten angelobten Amnes- ruhe. Ali er kurze Zeit später eine Verstärkung und In- Veränderung
der Bewachung
tie zu wachen" (ebd.). Das tatsächliche Motiv ist jedoch, tensivierung seiner Bewachung beobachtet, muss er um
,,unter dem Schutz solcher Vorspiegelungen desto un- seine Amneitie fürchten und beschließt, die Probe aufs
gestrafter und bequemer zu sengen und zu plündern" Exempel zu machen; ,,denn nichts missgönnte er der Re-
(ebd.). Auf diese Weise rächt es sich nun, dass Kohlhaas gierung, mit der er zu tun hatte, mehr, als den Schein
sich seinerzeit nicht gescheut hat, raub- und beute- äer Geiechtigkeit, während sie in der Tat die Amnestie'
lüsternes Gesindel in seinen Haufen aufzunehmen. die sie ihm angetobt hatte, an ihm brach" (65)'
Obwohl Kohlhaas versichert, dass er und Nagelschmidt Mit den folgenden Handlungen will Kohlhaas die Re- Herausforderung

als Todfeinde auseinandergegangen seien, nutzen die gierung zwingen, durch ihre Reaktionen offen Farbe zu
Tronkas das Bekanntwerden dieser Nachricht, um die bekennen, um selber Gewissheit zu gewinnen' Dass er
sich verschlechternde Stimmung gegen Kohlhaas noch seine eigene Lage dadurch eher verschlechtert' begreift
durch geschickten Einsatz dieser Meldungen, die sie mit er erst im Nachhinein. Er schickt sich an, die Stadt frir
zusätzlichen Gerüchten vernengen, anzuheizen. Kohl- einen Besuch bei einem Bekannten gemäß derVereinba-
Distanzierung von haas distanziert sich in einem Brieföffentlich von Nagel- rung mit dem Prinzen von Meißen ohne Bewachung zu
jedoch
Nagelschmidt schmidt, und der Prinz von Meißen erneuert nochmals verlassen. Der Kommandant der Wachen will ihn
die Zusage der Amnestie. nicht ohne berittene Landsknechte als Begleitung aus

Wegen der aufziehenden Gefahr bemüht sich Graf Wre- der Stadt lassen und verweist als Begründung auf eine
de, den Prozess zu beschleunigen, doch die Tronkas hal- höhere Anordnung. Diese Anordnung wird I(ohlhaas auf
ten es in ihrem Sinn frir günstig, den Prozess hinauszuzö- seine persönliche Nachfiage beim Freiherrn von Wenk'
gern, und erreichen dies durch ,,Wendungen arglistiger dem Vertreter des Prinzen, bestätigt' Unglücklicherwei-
und rabulistischer Art" (62f.), die jeweils langwierige se stört Kohlhaas diesen beim Verhör von einigen Kum-
Untersuchungen und Auseinandersetzungen notwendig panen Nagelschmidts, die man gefangen genommen
^trat,
machen. wesfratU der Freiherr Kohlhaas recht unfreundlich
und ungeduldig begegnet:

HANDLUNGSVERL^UF 29
28 orn TNHALTLTcHE AUFBAU
zu machen'
,,Kohlhaas liagte: ob er Gefangener wäre, und ob er schmidt deshalb gemeinschaftliche Sache
glauben solle, dass die ihm feierlich, vor den Augen der aufgegeben" (71).
ganzen Welt angelobte Amnestie gebrochen sei? worauf
Ant-
der Freiherr sich plötzlich glutrot im Gesicht zu ihm Er auch in dieser Hinsicht Vorsorge in seinem
trift
wandte, und, indem er dicht vor ihn üat, und ihm in den er dem Knecht' dessen
*o*Uri"f Nagelschmidt,
das Auge sah, antwortete: ja! ja! ja!" (68) "tt
Doppelspiel er nicht durchschaut, übergibt'
^stoi3",
Furcht vor Die so gewonnene Gewissheit lässt in Kohlhaas die Be- olä die Kohlhaas sich hiermit gegeben hat' Reaktion
des Hofes
Gefangenschaft frirchtung wachsen, dass ihm in dieser Situation nur ,.tr.l"t dem Hof ein willkommener Anlass und Vorwand
noch die Flucht übrig bleiben wird, deren Gelingen im ,t ,.irr, die inzwischen längst bedauerte Amnestiezusa-
Anbetracht der Umstände iedoch zu bezweifeln ist. g. ,r, U."ct Darauf weist die Hast der Maßnahmen
"n. hin. Im Verlaufe der sofort eingeleiteten
legen fohthaas
Ver-
Todesurteil üJßnattm"n uüßt auch GrafWrede' dessen einziges
Kohlhaas befindet sich nun in einer Verfassung, die ihn g.fr.. i"seiner Loyalität gegenüber Kohlhaas besteht'
seinen Posten zugunsten des den Tronkas
fteundlich
ohne tiefere Überlegung nach jedem rettenden Stroh- Verhaftung
Angebot halm greifen lässt. Einen solchen bietet ihm Johann g.ro""""." crafä Kailheim ein' Somit steht der Ver-
wird
Nagelschmidts Nagelschmidt an. Da auch dessen Lage immer bedräng- tarung des Kohlhaas nichts mehr im Wege' lhm
umgeh-end der Prozess gemacht' und in dem-Iodesurteil
ter wird, möchte er Kohlhaas als Anfi.ihrer für seinen
Haufen gewinnen und bietet ihm zu diesem Zweck seine g.gi" ift" machen siÄ aie aufgestauten Rachegelüs-
Mithilfe bei einer Flucht aus Dresden an. Doch einmal i.?"t* Kohlhaas Luft' Indem man ihn nur aufgrund
,.ii"i sti"f"t an Nagelschmidt ohne Berücksichtigung
mehr greift der Zufall in das Geschehen ein und be- Todesurteil
einflusst Kohlhaasens Geschick ungünstig. Der mit der des gegebenen AmnestieversPrechens verurteilt"'mit
Überbringung dieses Briefes beauftragte Kumpan Nagel- glthänäen Zangen von Schinderknechten gekniffen'
schmidts erleidet in einem Dorf dicht vor Dresden einen g.J*o, una Jein Körper zwischen Rad und ihn
Galgen
durch
i"rbr"n.tt zu werden," (ebd') möchte man
Entdeckung Krampfanfall, welcher zu seiner Entlarvung und der Ent-
diese Hinrichtungsprozedur nicht nur mit dem Tode
des Boten deckung des Briefes frihrt. Er wird festgenommen und
radikal seine moralische'
der Briefwird unverzüglich dem Kurflirsten zugeleitet. besftafen, sondern symbolisch
seetische und körperliche Vernichtung
und Austilgung
Die dort anwesenden Tronkas dringen auf eine soforti-
ge Verhaftung Kohlhaas', der der Kurfrirst wegen seines vollziehen.
und Ver- Sprachliche
gegebenen Amnestieversprechens nicht zustimmt. Man Zur Darstellung von Kohlhaasens Verhaftung Gestaltung
nicht mehr als zwei
beschließtjedoch, Kohlhaas aufdie Probe zu stellen, in- ;;il""g brauiht der Erzähler Eile
Sait". Oäa"t.h transformiert sich die fieberhafte
dem man ihm von dem bestochenen Knecht den Brief Und
Nagelschmidts doch überbringen lässt. der Aktivitäten unmittelbar in atemlose Sprache'
äiese Fieberhaftigkeit des Vorgehens steht
in offenba-
Die Falle In seiner verzweifelten Stimmung entschließt sich Kohl- Ent-
haas, das Hilßangebot Nagelschmidts anzunehmen. Sei- rem Gegensatz zi der bis dahin nur schleppenden
ne Absicht ist jedoch keineswegs, wieder die Waffen zu wicklung des Prozesses'
ergreifen und sich an die Spitze der Nagelschmidt-Bande
zu stellen, sondern vielmehr
4.Abschnitt (71-88):
,,mit seinen frinf Kindern nach Hamburg zu gehen, und Kohlhaas in Berlin
sich dort nach der Levante oder Ostindien, oder soweit
der Himmel über andere Menschen, als die er kannte, Brandenburg
blau war, einzuschiffen: denn die Dickftitterung der Das Eingreifen des Kurfürsten von
keine Hoffnung
Rappen hatte seine von Gram sehr gebeugte Seele auch Da nach-dieser rigorosen Verurteilung
mehr frir Kohlhaas zu bestehen scheint' bildet das Ein-
unabhängig von dem Widerwillen, mit dem Nagel-

HANDLUNGSVERLAUF 31
30 oEn TNHALTLIcHE AUFBAU
und
greifen des Kurfürsten von Brandenburg, Kohlhaasens war, nicht berufen konnte, friiheren Plünderungen
Plakats' worin sie ihm
Wendepunkt Landesherrn, einen erneuten Wendepunkt der Hand- Einäscherungen aber, wegen des
(73)'
lung. Er reklamiert Kohlhaas als seinen Untertan und vergeben worden waren, nicht erwähnen durfte"
fordert seine Auslieferung. Zwischenzeitlich hatte er
von dem an ff.iherer Stelle bereits als ehrenhaft vor- Der sächsische Hof hat sich in eine prekäre Situation
hineinlaviert und ist gezwungen, sich selbst die
gestellten Heinrich von Geusau von der Affire und der Zwei-
Schuld, die den brandenburgischen Hof in diesem Zu- felhaftigkeit seines Todesurteils für Kohlhaas einzuge-
sammenhang traf, erfahren, stehen.
der Majes- Anzeige
,,worüber der Kurftirst schwer entrüstet, den Erzkanzler, ,,[...] so beschloss der Kurfurst [von Sachsen]'
Bericht über den bewaF beim Kaiser
nachdem er ihn zur Rede gestellt und befunden, dass iät äes raisers in Wien einen
sich
die Verwandtschaft desselben mit dem Hause derer von neten Einfall des Kohlhaas in Sachsen vorzulegen'
Tronka an allem schuld sei, ohne weiteres, mit mehre- über den Bruch des von ihm eingesetzten öffentlichen
ren Zeichen seiner Ungnade, entsetzte und den Herrn Landfriedens zu beschweren, und sie' die allerdings
den
Heinrich von Geusau zum Erzkanzler ernannte" (72). durch keine Amnestie gebunden war' anzuliegen'
Kohlhaas bei dem Hofgericht zu Berlin deshalb durch
einen Reichskläger zur Rechenschaft zu ziehen'"
(73)
Mit diesem entschiedenen Handeln wird vom bran-
denburgischen Fürsten und den Zuständen an seinem
Kurfrrrst zu
Hof vordergründig ein positives Bild entworfen, das in Durch die oben genannten Umstände ist der
Gegensatz deutlichem Gegensatz zu den sächsischen Verhältnis- diesem Beschluss gezwungen, den er
jedoch später be-
- machen würde'
Brandenburg sen steht. Doch genauer betrachtet, sind für den bran- dauert und gerne wieder rückgängig
Sachsen denburgischen Herrscher hierfrir auch staatspolitische
Gründe ausschlaggebend: Er kann in seiner Regierung Amulett und Zigeunerin
folgendenjagd- 2. Exposition
keinesfalls ein Mitglied dulden, das Entscheidungen im Die Ausführlichkeit des Erzählers bei der
sächsischen Interesse ftllt. szene ist durchihre Funktion bedingt' sie bildet in gewis-
Politische Die politischen Umstände sind ftir das brandenburgische sem Sinne eine erneute Exposition'
und Beziehungen am
Umstände Anliegen grinstig. Da Polen Sachsen mit einer kriegeri- Nachträglich werden die verwandtschaftlichen sächsischen Hof
Hof
schen Auseinandersetzung bedroht und hierfrir Bran- freundschaft lichen Verfl echtungen am sächsischen
im Mittelpunkt' Sie ist
denburg als Verbündeten zu gewinnen sucht, sieht die deutlich: Heloise steht hierbei
die Schwester des sächsischen Präsidenten und
des so-
sächsische Regierung sich trotz erhobenem Einspruch
In-
aus übergeordneten politischen Erwägungen heraus eben abgesetzten brandenburgischen Erzkanzlers'
ist' ist er mit
Auslieferung gezwungen, nicht nur Kohlhaas auszuliefern, sondern dem Kuriz von Tronka mit ihr verheiratet
den lGllheims verschwägert' Gleichzeitig ist
Heloise
auch einem brandenburgischen Anwalt, der Kohlhaa-
Kurfrirsten' der sich auch
sens Klage vor dem Dresdner Gericht wieder aufgreifen auch die frühere Geliebte des
soll, hierfür Pässe auszustellen. Im Gegenzug will man Zeitpunkt noch ihren weiblichen Reizen
"rr^
i"trlg"tt
Kohlhaas beim Berliner Kammergericht wegen der in ,tg"i"r, zelgt una sich von ihr beeinflussen lässt' Bedeutung
Sachsen verübten Untaten verklagen und betraut - im füi a.r, forigang der Handlung ist diese Szene bedeut- des Amuletts
Gmnde gegen dessen Willen - den Prinzen von Meißen sam, da sie Äit dem Amulett ein Element
einführt' das
der Handlung nicken wird' Wie im ers-
mit dieser Aufgabe. nun ins Zentrum
Problem Die Klageerhebung erweist sich jedoch als Problem, ten Teil die beiden Rappen der Dreh- und Angelpunkt
motivier-
der Klage des Geschehens waren, d'h' die Handlungen
ten und auslösten und selbst wenigstens unterschwellig
.da man sich auf den leidigen Brief desselben [d. i. Kohl-
im Hintergrund stets vorhanden waren' so rückt
nun
haas] an den Nagelschmidt, wegen der zweideutigen
und unklaren Umstände, unter welchen er geschrieben das Amulätt in den Mittelpunkt' Dabei vertauschen

HANDLUNGsVERLAUF 33
32 oep. TNHALTucHE AUFBAU
sich die Rollen der Beteiligten. War es bislang Kohlhaas gegenüber durch die Vorgänge in Dresden teilweise er-
gewesen, der aktiv vom Kurfürsten etwas zu erlangen frillt.
Auf diese Erzählung hin sinkt der Kurfrirst in Ohnmacht'
Reaktion
strebte, so ist es nun der Kurftirst, der Kohlhaas wegen
des Kurfürsten
des Amuletts bedrängt. Rappen und Amulett repräsen- welche im wörtlichen Sinne seine Lage symbolisiert'
tieren jedoch nicht allein sich selbst, sondern verweisen Ohnmacht, Schwächung und Krankheit werden zum
symbolisch auf höhere und abstrakte Bedeutungsdimen- Dauerzustand des Kurfürsten. Auf die Beruhigungsver-
sionen. suche des l(ämmerers bedeutet er ihm, ,,dass ihm der
Begegnung Einmal mehr ist der Zufall, die Verzögerung auf Kohl- Besitz dieses Zettels von der äußersten Wichtigkeit sei"
des Kurfürsten haas' Reise nach Berlin wegen der Erkrankung seines (78). Doch vertraut er dem l(ämmerer, ,,dessen Willfäh-
mit Kohlhaas Kindes, verantwortlich für dieses erste Zusammentref- iigi..it er in diesem Falle misstraute' (79), den Inhalt
fen zwischen Kohlhaas und dem Kurftirsten. Obwohl d[ses Zettels nicht an. Er beauftragt einen Jagdjunker'
das Auftauchen des Kohlhaas bei der Jagdgesellschaft von dessen Zuverlässigkeit er sich bei friiheren Gelegen-
eine peinliche Szene verursacht, lässt sich der Kurfiirst heiten überzeugen konnte, damit, ihm den Zettel von
Angebot
später von Heloise überreden, heimlich und inkognito Kohlhaas zu besorgen. Als Preis bietet er Kohlhaas "Frei-
des Kurfürsten
mit ihr den in der Nähe des Jagdlagers übernachtenden heit und Leben" (SO)' ja sogar die Beihilfe zur Flucht an
Kohlhaas aufzusuchen. Im Verlauf des Gesprächs mit und begibt sich damit in die Illegalität' Doch l(ohlhaas'
Kohlhaas erkundigt sich der Kurfrirst beiläufig mehr ei- der miilerweile um die Identität jenes Besuchers weiß
nes Themas für die Konversation wegen als aus Interesse und in einem Freudentaumel seinen Triumph genießt'
nach der bleiernen Kapsel, die er an Kohlhaasens Hals lehnt das Angebot ohne Zögern strikt ab' Sein Rache-
hängen sieht, ohne zu ahnen, welch fatale Auswirkun- bedürfnis ist so stark, dass er bereit ist, sich selbst zu op-
fern, um dem Kurftirsten zu schaden: ,,,Du kannst mich
Kohlhaas'Rache
gen und Folgen die Antwort Kohlhaas' haben wird.
In der Folge wird der Kurfrirst unmittelbarer als bisher aufdas Schafott bringen, ich aber kann dir weh tun' und
ins Geschehen verwickelt und verliert seine innere und ich wills!"' (81)
äußere Haltung. Der Erzähler verfolgt die Strategie des Der Zustand des Kurfursten verschlimmert sich hierauf
Detektorisches detektorischen Erzählens, d. h. des nachträglichen - wie bis zur Lebensbedrohung und hält ihn mehrere Wochen
Erzählen z. B. bei den verwandtschaftlichen Verflechtungen - und auf dem Krankenlager. Einigermaßen wiederhergestellt'
allmählichen Aufdeckens. So legt er den Leser durch scheut er keine Mühe und Selbstentblößung' um l(ohl-
Kohlhaas' die wörtlich wiedergegebene Erzählung des Kohlhaas haas vor dem wahrscheinlichen Tod, den er mit seiner
Ezählung auf dessen Perspektive fest und gewährt ihm keinen Anzeige beim Kaiser selbst verursacht hatte' zu retten'
Wissensvorsprung vor Kohlhaas. Kohlhaasens Wissen ,,da ihm der Gedanke, denjenigen zu verderben' von
um das Amulett ist nämlich nicht vollständig und wird ä"*.. allein über die Geheimnisse des Zettels Auskunft
an späterer Stelle erst ergänzt werden. Kohlhaas weiß erhalten konnte, unerträglich war" (83)' Seine Bemü-
bisher nur, dass er das Amulett ganz überraschend auf hungen um Kohlhaas sind also keineswegs selbstlos'
einem Jahrmarkt von einer Zigeunerin, die dabei ihm sonJern von klaren eigenen Interessen motiviert' In den
unverständliche Dinge geredet habe, erhalten hat und folgenden Passagen gerät I(ohlhaas aus dem Blicldeld
dass die Kurfrirsten von Sachsen und Brandenburg eine des Lesers, und der Erzähler perspektiviert seine Dar-
Rolle bei dieser ihm unverständlichen Szene spielten. stellung auf den Kurfürsten.
Der Inhalt des versiegelten und in der bleiernen Kapsel
eingeschlossenen Zettels ist Kohlhaas nicht bekannt. Bemühungen des I(urfürsten um den Zettel
Bemühungen
Die mit der Überreichung verbundene Prophezeiung der Die vorheibereits in seinem Bewusstseinszustand sym-
um den Zettel
Zigeunerin: ,,,Ein Amulett, Kohlhaas, der Rosshändler; bolisch gespiegelte Ohnmacht zeigt sich nun auch in sei-
verwahr es wohl, es wird dir dereinst das Leben retten!"' ner tatsichlichen Ohnmacht den Vorgängen gegenüber'
(77) sieht Kohlhaas trotz seiner Skepsis diesen Dingen die er selber initiiert hat und die sich in einer Eigendyna-

HANDLUNGSVERLAUF 35
34 orn TNHALTLIcHE AUFBAU
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mik von ihrem Urheber unabhängig gemacht haben. So zahl, da er sein Reich verlieren, und den Namen dessen,
kann der Kurftirst seine Beschwercle beim I(aiser nicht der es durch die Gewalt der Waffen an sich reißen wird"
mehr aufhalten, da der hiermit beauftragte Anwalt be_ (87). Sie versiegelte den Zettel und tibergab ihn stätt
reits über sein Auftreten in Wien Bericht erstattet hat. dem l(urfürsten einem Fremden mit der Aufforderung
Auch der Kaiser kann seinen Abgesandten am Berliner an den l(urftirsten: ,,von jenem Mann dort, der, mit
I(ammergericht nicht zurückbeordern, worum ihn der dem Federhut, auf der Bank steht, hinter allem Volk,
sächsische Kurft.irst ,,auf herzliche und dringende Wei- am Kircheneingang, lösest du, wenn es dir beliebt, den
se" (83) in einem ,,eigenhändigen Brief.. (ebd.) bat. Auch Zettel ein" (ebd.). Der Leser weiß bereits, dass es sich
will er es nicht,da er sich als Reichsoberhaupt zu clieser bei diesem Fremden um l(ohlhaas handelt. Die soforti
Klage verpflichtet fl.ihlt unci keinen zwingenden Grund ge unglaubliche Erfüllung einer ihrer Prophezeiungen
frir einen Verzicht sieht. Die Niedergeschlagenheit des steigert den Glar.rben des I(urfi.irsten an die Zigeunerin
Kurfursten hierauf wird durch private Berichtc aus Ber_ und intensiviert seinen dringlichen Wunsch nach dem
lin, die die Befrirchtung äußern, ,,dass cler Kohlhaas Besitz des Zettels. Dass der Kurftirst nun seinen Kontra-
[...]
auf dem Schafott enden wer.de,, (g4), verstarkt. In einem henten I(ohlhaas im Besitz dieses Zettels weiß, ist eine
persönlichen Schreiben an den Kurflirsten von Branden- späte Rache frir sein vormaliges Desinteresse an seiner'
burg bittet er diesen mit clem Hinweis auf die von ihm Person; hätte er zeitig eine Begegnung mit i(ohlhaas
zugesagte Amnestie und einige nicht näher clargelegte herbeigellihrt, h;itte er wohl bessere Chancen flir das
Gninde ,,um des Rosshändlers Leben,, (ebd.). Auch der Einlösen cles Zettels gehabt.
I(urftirst von Brandenburg weist mit del. Begnindung, Mit dem Arnulett und der Zigeunerin tritt ein illationa- Zigeunerin
dass der l(aiser als Kläger an keine Amnestie gebunden les, übersinnliches Element in die Erzählung ein, das als irrationales
sei, diese Bitte zunick. sich nicht nahtlos in die bisherige i(onzeption der Er- Element der
Als sich sein Zustand darauflrin erneut verschlitlmert, zählung fugt, vielmehr entsteht hierdurch ein Bmch. Ezählung
sieht cr sich gczwungen, seinen l(ämmerer nun doch Doch die überrationalen Elemente der Figur der Zigeu-
ins Vertrauen zu ziehen. In einer wörtlich wieclergege_ nerin werden sich später als erzähltechnisch notwendig
Erzählung benen Erzählung des l(urfrirsten löst cler Erzähler in ei- erweisen. Durch diese Figur wird der Erzähler Informa-
des Kurfürsten ner Rückblende fur den Leser das Rätsei des merkwürdig tionen in die Erzählung einbringen, die ftir den Fortgang
starken Interesses des Kurftirsten an clem Zettel, indem der Handlung wichtig sein werden und die er mit realis-
seine Bedeutung ilir den I(urftirsten entdeckt wird, was tischen Elementen nicht einfi.ihren könnte.
der zurückhaltende Erzähler nur durch die perspektive Auf diese Erzählung des Kurfi.irsten hin, verspricht Kunz Kunzens Einsatz
des Kurflirsten leisten kann. Die Begebenheit mit der von Tronka, ihm diesen Zettel zu beschaffen, und reist
Zigeunerin auf dem Jahrmarkt kennt der Leser bereits nnter einem Vorwand nach Berlin. Dort ist der Prozess
teilweise aus der zurückliegenden Rückblende in Kohl- gegen I(ohlhaas zu seinem Ende gelangt. Zwar hatte
haasens Erzählung. Die Er-zählung des Kurllirsten liefert I(ohlhaas anfangs die ihm zugesagte Amnestie relda-
nun die ergänzenden Infor.mationen, riber die l(ohlhaas miert, doch fligte er sich der ,,Beiehrung, dass des i(aisers
nicht verfrigen konnte. Majestät, deren Anwalt hier die Beschwerde flihre, dar-
Rückblende Die beiden I(urfursten hatten beim Besuch eines
Jahr- auf keine Rücksicht nehmen könne" (89), umso lieber,
markts die Künstc einer wahrsagenclen Zigeunerin auf ,,da rnan ihm [...] erklärte, wie ihm dagegen von Dresden
die Probe gestellt. Dem brandenburgischen Fürsten her in seiner Sache gegen denJunker Wenzel von Tronka
und seinem Haus hatte sie eine glänzende Zukunft ver_ völlige Genugtuung widerfahren werde" (ebd.). I(ohlhaas
hießen, aber dem sächsischen Fürsten verweigerte sie wird zum zweiten Mal zum Tode vemrteilt, doch nimmt Erneutes
eine klare Aussage, sondern deutete eine Gefahr fi.ir sich die Enthauptung vergleichsweise milde gegen das Todesurteil
Prophezeiung seine Dynastie an und notierte auf einen Zettel ,,den radikale Todesurteil in Dresden aus, das ganze Folterpro-
der Zigeunerin Namen des letzten Regenten deines Hauses, clie
Jahres_ zeduren zur Hinrichtung vorgesehen hatte. Entgegen der

36 oe n tNHALTLIcHE AUFBAU
HANDLUNGSVERLAUF 37
allgemeinen Errvartung, die sich auflrund der Milde des ,,,[.. .] von dem Zettel den Gebrauch zu machen, zu

Urteils und des kurfi.irstlichen Wohlwollens flir I(ohlhaas welchem sie ihm denselben auf dem Jahrmarkt zu Jtiter-
bock eingehändigt, [.. ] und den Zettel, der ihm selbst
breitgemacht hatte, erfolgt keine Begnadigung, sondern
weiter nichts nutzen könne, fur Freiheit und Leben an
der I(urft.irst bestätigt das Urteil und setzt einen Termin
den Kurfursten von Sachsen auszuliefern.' Kohlhaas' der
f[ir die Hinrichtung fest.
über die Macht jauchzte, die ihm gegeben war, seines
Kunzens List Kunz plant, I(ohlhaas den Zettel mit List abzugewinnen. Feindes Ferse, in dem Augenblick, da sie ihn in den Staub
Er sr.rcht in den Straßen Berlins eine alte Frau, die ihm trat, tödlich zu verwunden, antwortete: ,Nicht um die
ais Doppelgängerin für die Zigeunerin, die er persönlich WeIt Mütterchen, nicht um die Welt!"' (92)
ja nie gesehen hat, zu taugen scheint, in der Hoffnung,
dass I(ohlhaas sich das Gesicht der Zigeunerin bei der Mit dem Hinweis auf seine Kinder versucht die Zigeune-
überraschenclen und flüchtigen Begegnung nicht fest rin, Kohlhaas von seinen Starrsinn abzubringen' Doch
genug eingeprägt hat und sich auf diese Weise tiiuschen Kohlhaas bleibt hart rnit der bedenkenswerten Uberle-
lässt. Er instruiert die AIte genau und gibt ihr den Aui gung: ,,,Wer mir sein Wort einmal gebrochen, [...] mit
trag, I(ohlhaas den Zettel unter dem Vorwand der ihm äem wechsle ich keines mehr."' (ebd.) Wegen ihres eili-
drohenden Gefahl abzuverlangen. Doch dass l(unz gen Aufbruchs kann die Zigeunerin Kohlhaas seiner Bitte
durch Zufall :rusgerechnet tatsiichlich an dic alte Zigeu- nach der Mitteilung des auf dem Zettel Notierten nicht
Unwahr- nerin ger:rten ist, ist ein so unwahrsclteinliches Faktum, mehr nachkommen. Zwei Beweggründe für Kohlhaasens
scheinlichkeit dass selbst del Erzählcr, obwohl er diese Tatsache gctreu Verhalten sind festzuhalten: Zum einen misstraut er mit Mögllchkeit
gutem Grund der Verlässlichl<eit des Kurfirrsten, zum an- der Rache
wiedergibt, sic mit ciner verstcckten Anrecle an clen Le-
ser kommentiert: deren ist er bereit, zur Befriedigung seines Racheverlan-
gens sein eigenes Leben zu lassen.
,,und wic denr-r die Wahlsche inlichkcit nicht itlt.t.rcl auf Nachclern der I(urflirst von Sachsetl wegen seiner auf
sciten dcr Wahlheit ist, so tra{ es sich, class hiel ctwas dem Zettel prophezeiten Zukunft zwei Astrologen ver-
gcschehcn war', das.,vir zrvar bclichten: clic lrreihe it
geblich zu Rate gezogen und ihn die Nachricht vom
aber, daran zu zweifcln, dcmjcnigen, clern es wohlgc-
Scheitern der Aktion seines Kämmerers erreicht hat,
füllt, zr.rgestehc'n mtisscn" (90).
reist er ztt einem Scheinziel ab. Der Erzähler lässt den Reise des
Kurfü rsten
Ahnlichkeit Dass I(ohlhaas ,,eine sonclerbnlc Ahnlichl<eit zwischen Leser durch seine A-ndeutungen ahnen, dass er sich nach
mit Lisbeth ihr und seinern verstorbeDen Weibe Lisbeth bemerkte" Berlin begibt.
(91), velleiht der Zigeunerin vollends einen tibernatiir- I(ohlhaas hat nach cler Verkündung des Todesurteils sei lnnerer Friede
für Kohlhaas
lichen Charakter. Die Identität der Zigcunerin mit Kohl- nen inneren Frieden gefunden: ',Demnach glich nichts
haas' verstorbener [,rau Lisbeth wird weiter'hin durch der Ruhe und Zufriedenheit seiner letzten Tage" (94)'
ihre Zuneigung zu den l(indern und clic Freundlichkeit Er darf Besuch seiner Freunde und Bekannten empfan-
des Hundes angedeutet, bis später ihre schriftliche gen und elhäit von einem Abgesandten Luthers neben
Botschaft an l(ohlhaas gar mit ,,,Deine Elisabeth!"' (95) einern Brief von diesem auch ,,die Wohltat der heiligen
unterzeichnet ist. Doch der Erzähler belässt es bei I(ornmunion" (ebd.), die Luther ihm vormals wegen sei-
diesen Andeutungen uncl stellt es clem Leser frei, sich ner Unversöhnlichkeit verweigert hatte. Dieses offen-
selbst eine Meinung tlber das Wesen der Zigeunelin zu bare S1'rnbol cler Versöhnung stärkt I(ohlhaas in seinem
bilclen. Bewusstsein, dass er mit seinem Tod ,,die Welt wegen
Rat der Diese zeigt sich jedenfalls weiterhin I(ohlhaas gegen- des allzu raschen Versuchs, sich selbst in ihr Recht ver-
Zigeunerin über freundlich, indcm sic ihm I(unzens Absichten ver- schaffen zu wollen, versöhnen sollte" (95). Mit dieser
rät r.rnd ihm rät, Läutemng findet I(ohlhaas zu seiner firiheren Charak-
tergröße zurück.

HANDLUNGSVERLAUF 39
38 oen TNHALTLTcHE AUFBAU
Hinrichtung ,,I(ohlhaas löste sich [...] die l(apsel von der Brust; er
Nachricht Auf dem Weg zur Hinrichtung erreicht ihn eine schrift- nahm den Zettel heraus, entsiegelte ihn und tiberlas
der Zigeunerin liche Botschaft der Zigeunerin, die deutlich macht, dass ihn: und das Auge unverwandt auf den Mann mit blauen
und weißen Federbüschen gerichtet, der bereits süßen
der übernatrirliche Charakter der Zigeunerin auch erzähl-
Hoffnungen Raum zu geben anfing, steckte er ihn in
technisch bedingt ist. Sie weist ihn nämlich nicht nur
den Mund und verschlang ihn. Der Mann mit blauen
auf die Anwesenheit r.rnd das Aussehen des sächsischen und weißen Federbüschen sank bei diesem Anblick
Kurfürsten hin, sondern weiß sogar dessen Absichten. ohnmächtig in l(rämpfen nieder." (ebd.)
Diese Informationen sind die Grundlage fi.ir I(ohlhaasens
folgendes Verhalten, können aber von einem normalen Indem I(ohlhaas so das Vorhaben des Kurfrirsten, bei sei-
Menschen kaum gegeben werden. nem Leichnam den Zettel zu finden, zunichte macht, sich
Schluss- Die Szene auf dern fuchtplatz ist effektvoll inszeniert. selbst in Besitz des Geheimnisses bringt, um es durch
steigerung Durch diese Kulisse mit symbolischer Anordnung und die Vernichtung des Zettels mit in den Tod zu nehmen,
Bedeutung werclen zum Schluss noch einmal alle wich- vollzieht er die moralische und seelische Vernichtung Vernichtung
I(urfursten, die in dessen Ohnmacht und l(rämpfen des Kurfürsten
tigen Personen und Handlungsmomente konzentriert des
zusanmengefasst. Auch die Handlung mit ihren ver- ihren symbolischen Ausdruck findet' Kohlhaas hat nach
schiedenen Bewegungsrichtungen kommt zu einem seiner Rache clie moralische Überlegenheit gewonnen,
Schlnsspr,rnkt. Kohlhaasens Bestreben nach Recht und sein Tod wird gewissermaßen Nebensache. Und tatsäch-
Genngtuung wird erflillt, er hat scirließlich noch Gele- lich erwähnt der Erzähler den Vollzug der Hinrichtung
genheit zur persönlichen Rache uncl muss seinerseits nur noch in einem Nebensatz. I(ohlhaasens moralische
fl.ir seine Verfehlungen Genugtuung leisten. furerkennung zeigt sich in seiner anständigen Beerdi- Kohlhaasens
gung auf einem Kirchhof, was man einem Hingerichte- Ehrung nach
Genugtuung Seiner I(lage in Dresden ist in allen Punkten stattgege-
dem Tod
für Kohlhaas ben worden. Er kann die wieder dickgellitterten Rap- ten normalerweise nicht gewährte, und in seiner post-
pen, seine und seines l(nechts Herses Geld und Sachen humen Ehrung durch den Ritterschlag seiner Söhne'
sowie eine Summe Geld als Schadenselsatz in Empfang In den letzten Sätzen schließt der Erzähier den uur an-
nehrnen. Darr.iber hinaus er'I?ihrt I(ohlhaas ar.rs dem ihm gedeuteten Rahmen und weist auf die Nachgeschichte Nachgeschichte
ausgehändigten Gerichtsufteil von einer zweijährigen hin. Das Schicksal des I(urfirrsten von Sachsen deutet
Geflingnisstrafe ftr den Junker Wenzel. Kohlhaas' Rache er ganz geschickt an durch die Erwähnung seiner leib-
an seinem persönlichen Feind ist gelungen, so dass er lichen und seelischen Zerrissenheit und dem Hinweis
äußern kann, .,dass sein höchster Wunsch auf Erden er- auf Geschichtsbticher. Dass er damit den Hinweis auf
ftillt sei" (96). Seine Zufriedenheit lässt ihn seine letzte den Untergang von dessen Dynastie geben will, zeigt
Sühne Habe großzügig verschenken. Seinerseits ist I(ohlhaas sich erst im letzten Satz, wo das Wörtchen ,,aber" den
durch Kohlhaas aufgefordert und bereit, ,,kaiserlicher Majestät [...] we- Gegensatz zu den noch länger lebenden Nachkommen
gen des Bruchs ihres Landfiiedens, [s]einerseits Genug- i(ohlhaasens schafft. I(ohlhaas' Triumph setzt sich in
tuung zu geben" (97). Seine Hinrichtr-rng wird ais Srihne der Zeit fort. Im aufinerksamen Leser weckt jedoch
fur das von ihm begangene Unrecht verstanden. die Merkwürdigkeit, dass I(ohlhaas' ,,frohe und rüstige
Rache Noch unmitteibar vor der Hinrichtung hat l(ohlhaas Nachkommen" (98) im Mecklenburgischen und nicht in
am Kurfürsten Gelegenheit, seine Rache, auch gegen den sächsischen Sachsen oder Brandenburg lebten, eine verstörende Fra-
I(ur{iirsten, zu vollenden. Er erkennt diesen an der ihn'r ge und Nachdenklichkeit: Warum?
von der Zigeunerin bezeichneten Verkleidung in der
Menschenmenge.

41
40 orn TNHALTLTcHE AUFBAU
HANDLUNGSVERLAUF
Erzähltechnik Ganze, der sich dem Leser bereits in den einleitenden
Sätzen mitteilt: Mit den paradoxen Anmerkungen, dass
I(ohlhaas ,,einer der rechtschaffensten zugleich und ent-
setzlichsten Menschen seiner Zeit" (ebd.) und dass er
zum ,,Räuber und Mörder" (ebd.) geworden sei, weckt
Erzähler und Erzählperspektive er die Neugier des Lesers, da er bereits zu Beginn aufdie Vorausdeutungen
spätere Handlung vorausdeutet.
Funktion Im überwiegenden Teil cler Fälle ist der Erzähler eine Ganz im Stile eines um Authentizität bemühten Chronis- Dokumente
des Ezählers vom Autor ebenso wie die Handiungsflguren erfundene
ten ergänzt er seinen Bericht durch (pseudo)historische
Person, die sich selber mehr ocler weniger ins Gespräch
Dokumente. So werden I(ohlhaasens Mandate (28, 30),
bringt, sogar an der Handlung teiinehmen kann. Zweck Luthers (36f.) und des sächsischen Kurfrirsten Plakate
eines solchen fiktiven Erzähiers als Vermittlungsinstanz (47), Kohlhaas' Brief an Nagelschmidt (70f.) und die
einer sorgfältig komponierten Handlung ist die geziel- Note des Kaisers (83) inhaltlich oder wörtlich zitiert.
te Lenkung des Lesers. Soll letztlich die Intention des Umgekehrt vergleicht der Erzähler Chroniken mitein-
Autors erkannt werden, müssen Rolle, Strategie uncl ander und gibt die dennoch verbleibende Lücke in sei-
Glaubhaftigkeit des Erzählers clurchschaut werden. ner Kenntnis zu: ,,Wohin er eigentlich ging und ob er
Der Erzähler in ,,Michael l(ohlhaas,, l<ann ieicht als per_
sich nach Dessau wandte, lassen wir dahingestellt sein,
son erkannt werden, die ar.rs großer zeitlicher Distanz indem die Chroniken, aus denen wir Bericht erstatten,
zum Geschehen berichtet. Im Untertitel der Novelle gibt an dieser Stelle auf bellemdende Weise einander wi-
er seine Quelle an: ,,Aus einer alten Chronik.., Der Erzäh-
dersprechen und auflreben.' (94) Die Erwähnung eines
ler ist somit nicht selber der Chronist, sondern bezieht verloren gegangenen Dokuments, des Lutherbriefs, lässt
lediglich seine Kenntnisse aus einer alten Chronik. Wie stutzen:
groß seine zeitliche Distanz zum Geschehen ist, deutet
er im letzten Satz des Textcs an: ,,Vom l(ohlhaas aber ha_ ,,Ja, er hatte noch die Genugtuung, den Theologen
ben noch im vergangenen Jahrhunclcrt im Mecklenbur_ Jakob Freising ais einen Abgesandten Doktor Luthers,
gischen einige frohe und nistige Nachkommen gelebt,, mit einem eigenhändigen, ohne Zweifel sehr merk-
(98). Da er bereits im ersten Satz clas Geschehen würdigen Brief, der aber verloren gegangen ist, in sein
,,um die Gelängnis treten zu sehen [...]" (ebd.).
Erzähler Mitte des sechzehnten Jahrhunclerts,, (3) zeitlich situiert
als Zeitgenosse hat, kann sich dcr Leser den Erzählcr als Zeitgenossen
Kleists Wie kann der Erzähler einen Brief, den er nicht kennen
I(leists denken.
kann, als ,,sehr merkwürdig" kennzeichnen? Das von
Über ihre erwähnte Funktion als
euelle flir den Stofl sei- ihm erzeugte Bild der Objeldivität erhäit Risse.
lmitation ner Geschichte hinaus prägt die erwähnte alte Chronik
des Chronikstils
Verständnis für seinen Helden trotz der großen zeitlichen
auch den Darstellungsstil des Erzlihlers: ,,Al den Ufern
Distanz versucht der Erzähler zu erzeugen, indem er ei-
der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten gene innere Erfahrungen auf Kohlhaas projiziert: ,,ein Projektionen
Jahrhun_
derts, ein Rosshändler, namens Michael l(ohlhaas, Sohn
Entschluss [...], ,n welchem vielleicht auch noch andere
eines Schulmeisters, I...1,. (S); unci spärer: ,,Er ritt einst
Grunde mitwirkten, die wir jedem, der in seiner Brust
mit einer l(oppel junger pferde, wohlgenährt alle und Bescheid weiß, zu erraten überlassen wollen" (63). Um
glänzend, [...]" (ebd.). Inclem der Erzähier solcherart
das I(ohlhaas' Motive nachzuvollziehen, soll eine Übertra-
Geschehen nacherzählt, organisiert er die Geschichte in
gung von Gefl.ihlen im Heute des Schreibers und Lesers
Lineare Handlung einem linearen Handlungsstrang, der nur durch zwei aufl(ohlhaas erfolgen. Jedoch hält sich der Erzähler zu-
kurze Rückblenden unterbrochen wird. Dass er das Ge_
rück und nennt die Emotionen, die er sich denkt, nicht,
Souveräner schehen aus einer großen zeitlichen Distanz berichtet,
Überblick
sondern bezieht den Leser in diesen Prozess der Rekons-
ermöglicht ihm einen souveränen überbiick tiber das truktion I(ohlhaasens mit ein. Das ,,Wir" ist nicht mehr

72 enzAHlrrcHrurr
ERZAHLER UND ERZAHLPERSPEKTIVE 73
,.:" lir ir i il;:::)'

Anstiftung nur bloßer Bescheidenheitsgestus, sondern stiftet


zur über-
den berichtet das Geschehen, quasi mit dem Rücken zum Zurückhaltung
Leser insgeheim zur Übereinstimmung an. Noch an
einstimmung einer Leser stehend, und enthält sich jeglichen Kommentars. des Ezählers
anderen Stelle wendet sich der Erzähler indirekt an den
Beispielsweise gibt der Erzähler beim Verhör l(ohlhaa-
ihm raffiniert die Freiheit des Glaubens an ihn
Leser, lässt
sens mit seinem Knecht Herse die Außerungen beider
und bringt somit den Rezeptionsprozess zur Sprache: Personen in direkter Rede wieder. Solche Technik bietet Direkte Rede
dem Leser nicht nur eine ausgesprochene Plastizität und
,,und wie clenn die Wahrscheinlichkeit nicht immer auf
Seiten der Wahrheit, so trafes sich, daß hier etwas ge_ unmittelbare Wirkung, sondern beweist darüber hinaus
schehen war, das wir zwar berichten, <lie Freiheit aber, die Zurückhaltung und Objektivität des Erzähler-Chro-
daran zu zweifeln, dcmjenigen, clenr es wohlgef;illt, nisten; die wörtliche Rede fungiert als authentisches
zugestehen müssen [. ]" (90). Dokument.
Ähnliche Zurückhaltung zeigt der Erzähler auch bei der Schilderung
Wertungen Mit gelegentlich eingestreuten, offen ausgesprochenen Wiedergabe innerer Regungen der beteiligten Personen. innerer
Wertungen des Gescheirens und der personen markiert Häufig vermeidet er es, die von ihm getreu referierten Regungen
der Erzähler neben der zeitlichen auch seine innere Spiegelungen innerer Vorgänge in Handlungen, Gesten
Distanz zum Geschehen. Gleich zu Beginn bezeichnet und Mimik im Sinne ihres Aussagegehalts zu deuten. Die-
er Kohlhaas als einen ,,cler rechtschaffensten zugleich se Aufgabe überlässt er dem Leser. Als der Schlossvogt im
und entsetzlichsten Menschen., (3) nncl verleiht ihn das Beisein des Junkers den Passierschein verlanS, erwähnt
Prädikat,außerordentlich. (vgl. ebd.). Seine Verwüstung der Erzähler zwar das ,verlegne Gesicht' (vgl. 6) des Jun-
der Tronka'schen Burg bewertet er als jämmerliche kers, doch der Leser muss allein zu dem Verdacht, dass
Geschäfte' (vgl. 2S) und seine Anmaßung cler ,,provisori
hier etwas nicht stimmen l(önnte, finden. Die Furcht der
schen Weltregierung" (3S) als ,eine Art von Vernickung..
Abtissin wird beim ersten Anblick offenbar, sie ist ,,bleich
Auch die Ritter Hinz und Kunz von Tr.onka müssen sich wie Linnenzeug" und hält das ,,silberne Bildnis des Ge-
das Urteil des Erzählers gefallen lassen: Sie selbst wer-
kreuzigten in der Hand" (29). Was I(ohlhaasens Geste im
den abschätzig als ,stolze. (vgl.58) und anlässlich ihrer Gespräch mit Luther zu bedeuten hat, bleibt relativ oF
Ränke gegen Kohlhaas als ,arglistige Ritter, (vgl. 59), ihre
fen; dass ,,er ans Fenster trat" (41), um in die Dunkelheit
Schachztige vor Gericht als ,,Wenclungen arglistiger r.rnd
hinauszusehen, kann Nachdenldichkeit genauso gut wie
rabulistischer Art' (62f.) gekennzeichnet. Der kommen_ resignierende Abwendung von Luther, der seinem Stand-
tarlos wiedergegebenen Meinung der Bevölkerung über punkt wenig Verständnis entgegenbringl, bedetiten. Im
Kohlhaasens Brandstiftung als,,unerhörten Frevel,, (31) Staatsrat hat l(unz die Veranrwortung fl.ir die Affäre l(ohl-
und über Kohlhaas selber als ,,entsetzlichen Wüterich,. haas auf sich genommen und sich so schützend vor den
(ebd.) schließt der Erzähler sich offenbar an.
I(urfrirsten gestellt. A.is der Prinz von Meißen ihn später
Mit dieser zeitlichen und innerlichen Distanz zum Ge_ angreift und er den Kurfl.irsten betroffen ansieht, wird
schehen, seiner r-iberiegenen Organisierung cler Hancl_ dieser ,,über das ganze Gesicht rot [...] und trat ans Fens-
lung, seinen Hinwendungen an clen Leser und seinen ter" (45). Mit dieserVeriegenheitsgeste pflanzt der Erzäh-
Wertungen von Personen und Handlung weist sich der ler dem Leser den Verdacht ein, dass der I(urftirst durch-
Auktoriales Erzähler als auktorialer aus. In der sprachlichen Gestai- aus Mitwisser von Kunz sein könnte.
Erzählen tung zeigt sich seine auktorial-erhöhte position in cler Doch die Zurückhaltung und Objektivität des Erzählers Scheinbare
souveränen B.h.t.r.hffir kom_ ist nur eine scheinbare. in Wirklichkeit steuert er ganz Objektivität
plexen Satzgeftige. geschickt die Aufilerksamkeit, Identiflkation und Wer-
Doch die Erzählperspektive der Novelle ist nicht durch_ tung des Lesers. Ganz wesentlich flrr die Analyse der In-
gängig als auktorial zu bezeichnen. Verschiedene passa_
tention sind die offenen und versteckten Wertungen des
Personales gen sind durch rein personalen Erzählstil gekennzeich_ Erzählers gegenüber Kohlhaas. Durch diese provoziert
Ezählen net. Der Erzähler häit sich dort vollkornmen zurück, er den Leser zum eigenen Urteil.

74 ERzAHLTEcHNtK
ERzAHLER UND ERzAHLPERSPEKTIVE 75
Weftungen Die offene Beurteilung Kohlhaasens wandelt sich im diesen. Der Leser begleitet I(ohlhaas ständig bei seinen
des Ezählers Verlaufder Handlung. In der Einleitung bezeichnet der Erlebnissen und Erkenntnissen. So erfolgt die Rück-
gegenüber Erzähler Kohlhaas als ,,außerordentliche[n] Mann" (3), blende, die den Erwerb und die Bedeutung der bleier-
Kohlhaas welches Urteil in den überaus positiven, aber auch wi- nen I(apsel dem Leser aus der Perspektive I(ohlhaasens
derspnichlichen Eigenschaften Kohlhaasens, die der Er- entdecict und damit mit ihrem Inhalt ins Zentrum der
zähler auffiihrt, begründet liegt. Solange Kohlhaas den Aufinerksamkeit rückt, erst zu dem Zeitpunkt, da I(ohI-
Rechtsweg nicht verlässt, bleibt der Erzähler auch bei haas selber die Bedeutung der Kapsel erfasst, obschon
Zustimmung seiner positiven und zustimmenden Bewertung; er nennt er sie schon länger besitzt. Dadurch, dass der Erzähler
I(ohlhaas' vorzügliches Rechtsgefrihl und beschreibt den Leser weitgehend auf Kohlhaasens Perspektive
sein daraus erwachsendes besonnenes und vorbiidliches festlegt und ihm dessen innere Vorgänge durchaus ver-
ständnisvoll mitteilt' stiftet er ihn zur Solidarität mit
Solidarität
Verhalten. Seine Selbstjustiz veranlasst ihn dann jedoch,
mit Kohlhaas
Ablehnung ihn und sein Vorgehen zu verrrrteilen. I(ohlhaas wird als diesem an. Damit nimmt er gleichzeitig versteckte Wer-
,entsetzlicher Wüterich' (vgl. 31), später als ,[rasender] tungen vor.
Mordbrenner' (vgl. 33, 34, 35, 36) bezeichnet; die Bewer- Die offenen Wertungen des Erzählers gegenüber dem
tungen seiner Untaten steigern sich von ,jämmerliche Geschehen stehen zuweilen in einem merkwürdigen
Widerspruch zu den Empfindungen des Lesers' Nach der
Widersprüch-
Geschäfte' (vgl. 28) zu ,mörderische Anstalten' (vgl. 31).
lichkeit der
Als Grund für dieses Verhalten sieht der Erzähler ,,eine Zerstörung der Ritterburg mag sich aufgrund der Vorge-
Wertungen
Schwärmerei krankhafter und missgeschaft " schichte bereits eine verhohlene Befriedigung im Leser
( breitgemacht iraben, wenn der Erzähler diese Handlung
Doch sowie das Plakat Luthers eine Wandlung in I(ohl- im Sinne der bestehenden Ordnung und tradierten Mo-
haasens Verhalten bewirkt, ändert sich mit dem Verhai- ral als jämmerliche Geschäfte' (vgl' 28) weftet' Seine
ten auch der Kommentar des Erzählers. Das Plakat hat militärischen und taktischen Erfolge nötigen dem Leser
es vermocht, Kohlhaas ,,in seiner ganzen Verderbiich- eine geheime Bewunderung flir diesen tiberlegenen Ha-
keit, in der er dastand, plötzlich zri entwaffien" (38). sarclÄr auf, gegentiber denr der Junker zunehmend an
Der Erzähler lässt Luther Kohlhaas noch als ,seltsamen Lächerlichkeit gewinnt und die Obrigkeit in ihrer Unge-
Menschen' (vgl. a0) empfinden, doch als die beiden Tron- schicklichkeit, Hill' Rat- uncl Machtlosigkeit schwächlich
Parteinahme kas ihren Gegenzug gegen Kohlhaas vorbereiten, nennt wirkt. So entsteht im Leser eine Spannung, die ihn durch
für Kohlhaas ihn der Erzähler,,den armen l(ohlhaas" (59), nach seiner die Frage, ob eine Ordnung, die eine so gut nachvoll-
Ven-rrteilung in Dresden einen ,sonderbaren und nicht ziehbare Reaktion einerseits verursacht und veranlasst
verwerflichen Mann' (vgl. 72). hat und sie andererseits verurteilt und bekämpft' nicht
selbst zu hinterfiagen ist, zur vertieften Reflexion und
Reflexion
Verständnis Bei aller Kritik an Kohlhaas lässt der Erzähler Verständ-
des Lesers
nis flir ihn trotzdem nicht vernissen; denn bei aller Ver- zur eigenen Urteilsfl ndung herausfordert'
Politische
derblichkeit l(ohlhaasens zeigt er ihn nicht als gmnd- Durch die Stellungnahme des Volkes erreicht Kohlhaas'
Bedeutung von
sätzlich böse, sondern als innerlich zerrissen. Die Szene I(ampf fi:r die eigene Sache in der Tat eine politische Kohlhaas'KamPf
am Stift hat in I(ohlhaas keinerlei Befliedigung ausge- DimÄnsion. I(oirlhaas ruft den Hass des Volkes gegen
löst, vielmehr empfindet er ,,Schmerz in seiner unglück- die Tronkas wach: Es ,'nannte ihn [d'i' Wenzel] einen
lichen Brust" (30). Die Einäscherung der Städte betreibt Blutigel, einen elenden Landplager und Menschenquä-
I(ohlhaas nicht mit Lust, sondern er hat eine ,zerrissene ter" Graf Wrede berichtet dem Kurfrirsten' "dass
1af1.
Brust' (vgl. 37). Selbst seine Hybris scheint dem Erzähler der Rosshändler [.'.] bei der allgemeinen Unzufrieden-
durch ,,Schwärmerei" (30) und ,,Vernickung" (35) noch heit, die wegen der Unziemlichkeiten des Kämmerers
entschuldbar. im Lande herrschte," (46f.) auf großen Zulauf rechnen
Perspektivierung Diese Mitteilung innerer Regungen Kohlhaasens ist kann. Die Bevölkerung von Dresden empfängt I(ohlhaas
auf Kohlhaas Teil der weitgehenden Perspektivierung des Textes auf als ,,Würgeengel [..'1, der die Volksbedrücker mit Feuer

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76 enzAslrrcHrurr ERZAHLER UND ERZAHLPERSPEKTIVE
und Schwert verfolge" ( !). Der Leser wird den Eindruck fieberhaften Aktivitäten des l(urftirsten zur Erlangung
nicht los, dass ein IGmpf gegen eine ungerechte Ord- des Zettels in deutlichem Kontrast zu seiner vorherigen
nung nicht ungerecht sein kann. Passivität der Afiäre Kohlhaas gegenüber stehen' Die
Bewertung Diese intendierte Parteinahme des Lesers f,.ir Kohihaas freundliche Gesinnung des Kurfürsten von Brandenburg
des Hofes wird durch die Wertungen des Erzählers gegenüber den flir Kohlhaas relativiert der Erzähler dadurch, dass die-
Tronkas und dem l(urfürsten verstärkt. An keiner Steile ser die Begnadigung I(ohihaasens, die ja von der Bevöl-
zeigt der Erzähler sich diesen gegenüber wohlwollend. kerung erwartet worden war, unterlässt'
Den versteckten Wer-tungen durch die Darstellung der Diese Handlungen jedoch offen zu bewerten' d'h' klar
Missstände am sächsischen Hof mit Vetternwirtschaft eine Iftitik am Staatssystem zu formulieren, unterlässt
$g1.7\, dem wenig ehrenhaften Gebaren der Ritter der Erzähler tunlichst. In der oberflächlichen Fassade
(vgl. a2 tr ) und der Passivität uncl Vergnügungssucht des seiner Erzählung, zumal in der glorifizierenden Darstel-
Fürsten (vgl.7af.l entsprechen die offen ausgesproche- lung der Hinrichtungsszene, gibt er sich den Anschein
nen: ,stolze Ritter' (vgl. 58), ,arglistige futter' (vgl. 59), einär der Obrigkeit freundlichen Gesinnung' Indem er Scheinbare
Freundlichkeit
,,Wendungen arglistiger und rabuiistischer Art" (62f.). dem Erzähler in seinem Erzählstil eine der öffentlichen
des Erzählers
Angesichts dieser Gegnerschaft flir den Helden i(ohlhaas Ordnung freundliche Haltung verleiht, die Fakten der
fasst der Erzähler wohl die Empfindungen des Lesers zu- Handlung aber ftir sich gegen den Hof sprechen lässt'
Ubermacht sammen, wenn er den sächsischen Hof mit ,,Übermacht schaft cler Autor l(leist zwei gegenläufige Erzählebenen'
und Willkür und Willkür" (71) bezeichnet. In den Passagen, in de- deren tiefere sich erst bei sehr genauem Hinsehen of-
nen der I(urflirst den Platz im Zentrum der Darstellung fenbart. In dieser strukturellen Ironie verbirgt sich die Strukturelle
lronie
einnimrnt, findet er trotzdem nicht die Syrnpathie des Iftitik an bestehenden Verhältnissen' Ohne flrr dessen
Erzäirlers. Seine wiederholten Ohnmachtsanflille lassen Unschuld oder Straffteiheit zu plädieren, hat I0eist
Schwäche ihn recht schwächlich, wenn nicht gar lächerlich er- clie Frage angerissen, ob ein ,außerordentlicher Mann'
des KurJürsten scheinen. Als der Leser in der zweiten Rückblende, der wie l(ohlhaas, den sein Rechtsgefuhl zum Räuber und
Erzählung des I(urffirsten, den Inhalt des Zettels erf?ihrt, Mörcler macht, der clie Zivilcourage und das Durchhal-
tevermögen aufbringt' sich gegen Ungerechtigkeit und
Kritik
ist er recht beliemdet: Dass ein Landesherr seinem Wun-
an bestehender
derglauben erliegt und n-rit solcher Energie die Prophe- Willkür zur Wehr zu setzen' so gar keiner mildernden Ordnung
zeiungen von dermaßen zweitrangiger Bedeutung in Umstände würdig ist und ob diese bestehende Ordnung
Erfahmng zu bringen sucht, erscheint doch nicht sehr in ihrer Fragwrirdigkeit weiter bestehen soll'
Solche Gedanken offen zu formulieren, konnte in der
Strategie
giaubhaft. Dass die Zukunft seiner Dynastie ihn mehr zu
der Verkleidung
interessieren scheint als das Wohl seines Landes, setzt Kleist-Zeit fur den Verfasser (lebens)geftihrlich sein' und
ihn in clen Verciacht der Selbstsucht. Der i(urfl.irst ist be- würde auch den überzeitlichen Metaphern- und Para-
reit, zur Erlangung des Zettelsjede Legalität zu veLlassen belcharakter von Literatur verfehlen' Daher vermeidet
es ein Autor, mit einem Seitenblick auf die Zensur'
eine
Verlust und jede Würde fallen zu lassen. Seine Lüge gegenriber
der Würde dem Prinzen, was seine Anordnr.urg über die Absendung aktnelle Tagespolemik zu schreiben, fasst seine Konzep-
des Anwalts zum kaiserlichen Gericht in Wien betrifft, te in eine Geschichte, die unter Umständen von einem
zeugt hiervon (vg1. 82). strategischen Versteckspiel wie dem oben dargestellten
Diesen Eindruck erzeugt der Erzähler im Leser durch gepragt ist, beschert dem Leser den Genuss einer an- Asthetisierung

die ausfrihrliche Darstellung der Al<tivitäten des Fürs- i.g.nä..t Erzählung mit beeindruckenden Bildern und
ten: die Missionen des Landjunkers und des l(ämmerers, kinn sich deren unmittelbaren Wirkung sicher sein'
seine Briefe an den l(aiser und den brandenburgisciren
Kurf[irsten und seine eigene Reise nach Berlin. Die Aus-
ftihrlichkeit unterstützt der Erzähler durch Pseudo-Do-
kumente, deren Häufung im Zusammenhang mit den

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78 EnzArurcururx ERZAHLER UND ERZAHLPERSPEKTIVE

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