Mensch

Stadt
Leben
No 1 | 2011

Was läuft eigentlich an der International School St.Gallen?

Begegnung mit Stadtoriginal Albert Nufer / China wird immer dicker
Kunst und Kommerz - was Unternehmer von Künstlern lernen können (und umgekehrt!)

Schwerpunkt: Wohlstand
Standortförderung macht glücklich / Die Chemie der Liebe / Bourlesque ist zurück
und viele weitere Geschichten.
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 Inhaltsverzeichnis

6 Schwerpunkt Wohlstand: Stefan Grob führt Sie in das Thema Wohlstand ein.
Von Pleitestaaten wie Irland über neue Wohlstandskennzahlen.

10 Was hat Standortförderung mit Wohlstand zu tun?

Isabel Schorer, Leiterin der Standortförderung der Stadt St.Gallen bringt Licht ins Dunkel.

12 Begegnung mit Stadtoriginal Albert Nufer: Was er von Wohlstand und Reichtum hält.
Und mit welcher Philosophie er durchs Leben geht.

18 China wird immer reicher. Und hat mittlerweile mit den gleichen Wohlstandskrankheiten
zu kämpfen wie wir. Zum Beispiel mit Übergewicht.

24 Was läuft eigentlich an der International School St.Gallen?

Und warum braucht St.Gallen eine Schule, an der nur Englisch gesprochen wird?

27 Fotostrecke: Details aus St.Gallen aus dem Blickwinkel

des Fotografen Mario Baronchelli.

28 Kunst und Kommerz - was Unternehmer von Künstlern lernen können (und umgekehrt!).
Wir haben Unternehmer und Künstler gefragt.

30 Bourlesque ist zurück: Wir fragen nach den Wurzeln dieses gerade wieder sehr aktuellen
Trends. Woher kommt Bourlesque? Und wer waren die Protagonistinnen?

38 Wer hat es nicht schon selbst erlebt, Herzschmerz, Verliebtheit, Liebeskummer.

Das Gefühl der Liebe löst im Körper ein Feuerwerk chemischer Prozesse aus.

Impressum
Herausgeber | Projektleiter: Stefan Grob Complecta GmbH - Agentur für Text und Konzept
Sittertalstrasse 34, CH-9014 St. Gallen, +41 (0)71 461 23 23, complecta.ch
+ Mario Romano: essenzium - Agentur für Konzept, Text- und Design
Gallusstrasse 29, CH-9000 St.Gallen, + 41 (0)71 222 35 63, essenzium.ch
Chefredaktor: Stefan Grob | Redaktor: Mario Romano
Redaktion: Brigitte Järmann, Reto Zanettin,
Lukas Aebersold, Benjamin Anderegg, Claudia Eugster,
Externe Autoren: Gregor Bucher, Rolf Wirth, Julia Kastl
CD + Magazin Design + diverse Illustrationen: Mario Romano: essenzium - Agentur für Konzept, Text- und Design
Fashion Editor National + International: Mario Romano
Fotograf City-Editorial: Mario Baronchelli, Schattenwerk.ch
Anzeigenleitung: Mario Romano, 41 (0)71 222 35 63, essenzium.ch
Scanning: Seelitho AG, Niederfeld 44, 9420 Stachen
Druckerei: dfmedia | Print | Verlag | Online, Burgauerstrasse 50, 9230 Flawil
Papier: Umschlag 250 g, Heaven42 FSC, holzfrei, chlorfrei und Inhalt 100g, Eminent FSC, holzfrei, chlorfrei von Fischer Papier
© Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren erlaubt.
Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos etc. wird keine Haftung übernommen.
Der Vertrieb im Ausland ist nur mit Genehmigung von sg9000 gestattet.
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4 // Vorwort

ST.GALLEN
WACHT
AUF!
Kennen Sie Alain Thierstein? Wahrscheinlich nicht. Denn Alain Thierstein ist Professor am
Münchner Lehrstuhl für Raumentwicklung. Vielleicht sind Sie aber mit Alain Thierstein
hier in St.Gallen aufgewachsen? Er ist nämlich gebürtiger St.Galler. Und als solcher hat er
sich kürzlich mit deutlichen Worten über seine Gallusstadt ausgelassen: St.Gallen habe es
verschlafen, sich wirtschaftlich zu positionieren.
Die Ostschweiz laufe somit Gefahr, den Anschluss zu verpassen.
Ja was soll das denn? Da trompetet ein Exil-St.Galler aus
sicherer Entfernung, dass wir eine verschlafene Region seien, dass
uns die Restschweiz abgehängt habe? Bei den hiesigen Politikern
machte sich sofort Empörung breit. Von Stadtpräsident Thomas
Scheitlin über Willi Haag bis zu Stadtparlamentarier Martin
Bösch kommt Kritik an Thiersteins Aussagen. Wir St.Gallerinnen
und St.Galler fühlen uns in unserem Stolz verletzt: WIR sollen
abgehängt sein? WIR sollen schlecht positioniert sein? WIR
sollen die Entwicklung verschlafen haben? Nein. Nein. Nein.
Dass dieser freche Raumentwickler aus München
unrecht hat, verdeutlichen ein paar aktuelle Beispiele: Im Bereich
Geothermie nimmt die Stadt St.Gallen eine Pionierrolle in der
Schweiz ein. Dasselbe gilt für die Nutzung von Social Media wie
Facebook, Twitter und der Plattform mysg.ch. Auch wenn es um
die Förderung von Innovationen und Jungunternehmertum geht, ist
St.Gallen spitze: Unter dem Namen STARTFELD haben sich nämlich die
Universität, die FHS St.Gallen, das tebo und die Stadt zusammengefunden und
ein überregionales Kompetenznetzwerk gegründet. Das Ziel: Innovationen in der Region
fördern. Und das bereits seit einem guten Jahr. Von wegen wirtschaftlich nicht positioniert!
Ha! Unternehmen wie Namics, Akris, Abacus und viele andere zeigen, dass auch bei uns
Top-Unternehmen gut aufgehoben sind.
Wir von sg9000 finden: St.Gallen bietet viel mehr, als viele gemeinhin denken
(nicht nur die Zürcher, Berner oder Basler, nein, auch viele Ostschweizer selbst!). St.Gallen
– es ist Zeit aufzuwachen! Zeigen wir es den Thiersteins und Co., dass wir uns längst
positioniert haben!
Das neue Magazin sg9000 will genau das, was sich bisher niemand getraut hat:
Selbstbewusstsein zeigen mit einem mutigen Auftritt. Und vor allem: etwas unternehmen
und nicht einfach abwarten. Denn wer nur abwartet, kommt nicht vorwärts, bleibt stehen
und wird letztlich eben abgehängt. sg9000 will das urbane Leben in allen Facetten zeigen:
leidenschaftlich, kreativ, anders. Und damit auch den Rest der Schweiz wachrütteln.
Wie gefällt Ihnen sg9000? Wir sind gespannt auf Ihre Antwort.

Stefan Grob, Chefredaktor

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6 // Editorial
 Schwerpunkt Wohlstand: Intro // 7

DER
WOHLSTAND
SIND WIR Autor: Stefan Grob
Illustration: Mario Romano + Stefan Grob
Jeder zehnte Milliardär auf der Welt wohnt in der Schweiz. Ja, uns geht
es gut, richtig gut. Der Mehrheit zumindest. Im Moment noch, immerhin.
Denn in Zeiten der Globalisierung und einem immer undurchsichtiger
werdenden Finanzsystem kann es mit einer Volkswirtschaft manchmal
sehr schnell wieder bergab gehen. Das zeigt das Beispiel der noch
unlängst hochgejubelten und mit Kapital vollgempumpten Irländer.
Aber was ist Wohlstand eigentlich? Geht es hier wirklich nur um
Geld? Oder kann man Wohlstand auch anders definieren als mit
monetären Kennziffern? In unserem Schwerpunktthema sind wir genau
diesen Fragen nachgegangen. Verschiedene Autoren haben sich mit
ihrer persönlichen Perspektive auf die Suche nach dem Wesen des
Wohlstands gemacht.

Vor kurzem ist mir zufällig ein altes Heft des Wirtschaftsmagazins
brandeins in die Hände gefallen. Schon als Student in Konstanz
war ich ein grosser Fan dieses eigenwillig aufgemachten, aber
immer selbstbewusst auftretenden Magazins mit seinem
weitsichtigen Blick. Ich habe es damals schon abonniert und
mich wie ein Kind jeden Monat darauf gefreut, wenn es endlich
in meinem Briefkasten lag. Bis heute habe ich kein einziges
Exemplar davon ins Altpapier geschickt, im Gegenteil: Es ist
immer wieder interessant, die alten Ausgaben durchzustöbern.
Als ich vor einigen Tagen das giftgrüne Januarheft aus dem Jahre
2001 fand, stiess ich auf einen Artikel mit dem Titel «Wohlstand».
Aha... dachte ich. Vielleicht steckt ja etwas Verwertbares für
meinen sg9000-Artikel über dieses Thema darin? Neugierig
begann ich zu lesen und musste dann erstaunt feststellen:
Es geht um Irland! Irland, meine Güte. Während der letzten
Wochen war in den Medien immer wieder von Irland die Rede:
Finanzkrise, Staatsbankrott, Immobilienwüste, Stillstand,
Auswanderungswelle, Rettungspaket – dies nur eine kleine
Auswahl an Stichworten, die in allen Berichterstattungen die
Runde machten. Nach der Pleite des griechischen Staates und dem
desolaten Zustand von Island traf es nun also auch die Irländer.
Ich halte also dieses uralte brandeins-Magazin in meinen Händen
und lese einen Bericht über genau dieses Irland. Unter dem
Titel «Wohlstand». Ziemlich skurril, was da steht: «Früher gab es
in Irland Kartoffeln, Whiskey, romantische Landschaften und
einfache Menschen. Das war toll für Touristen, die für einige
Wochen pittoresker Armut nicht extra nach Asien fahren mussten.
für die Iren war es weniger toll, und so zogen Zehntausende von
ihnen in Länder mit Zentralheizung, leckerem Essen und guten
Strassen. Doch seit einiger Zeit kehren die Auswanderer zurück:
Irland wird von der EU gefördert, es gibt viel Geld und zu wenig
Arbeitskräfte. Eine Rückwanderungswelle, wie es sie noch nie
gegeben hat, verändert die Insel.»
Vom Musterknaben zum Prügelknaben
Wenn man dies heute liest, klingt es schon fast zynisch. Heute
ist Irland wieder komplett am Boden. Für viele sieht das Leben
im Moment so aus: Keine Arbeit, keine Perspektive, kein
Wohlstand und nur ein Ziel: Auswandern. Dabei sah es vor 10
Jahren so gut aus, nochmals ein Zitat aus brandeins: «Wie gut die
Wirtschaftsförderung klappt, zeigt die Arbeitslosenquote: Binnen
zwölf Jahren ist sie von fast 20 auf vier Prozent gesackt. Wenn
die Konjunktur nicht einbricht, werden allein in den nächsten
fünf Jahren noch einmal 200’000 Leute benötigt – und die
sind im eigenen Land nicht zu finden. Also holt der Staat seine
8 // Intro
einst geflohen Söhne und Töchter zurück. Seit einigen Jahren
läuft eine gezielte «Junge, komm bald wieder»-Kampagne mit
Zeitungsannoncen und Job-Messen. Die dafür zuständige Behörde
Jobs Ireland half einst jungen Iren, Arbeit in der Fremde zu finden.
Jetzt holt die gleiche Behörde die gleichen Leute nach Irland
zurück.» – Was diese Behörde wohl jetzt gerade tut? Besonders
krass und irgendwie beängstigend an dieser Geschichte finde ich:
Wenn es um Wirtschaftswachstum und Wohlstand geht, weiss
man nie so genau, ob aus einem Boom nicht plötzlich ein jäher
Absturz wird. Und manchmal geht dies ganz schnell, wie das
Beispiel zeigt. Ich frage mich: Wie konnte das geschehen? Selbst
verschuldet? Heuschrecken-Politik? Oder haben sich hier einfach
ein paar Wirtschaftsförderer in der EU verzockt?
Uns geht es ja gut! Oder?
Aber verlassen wir Irland und werfen wir einen Blick auf die
Schweiz. Keine Frage: Wir leben in einem der reichsten Länder
der Welt. Und in einem wunderschönen dazu: Die Natur um uns
lust auf farbe
herum ist weitgehend intakt, unsere Wälder sind gesund, die
Luftqualität wird täglich im ganzen Land gemessen und aus
dem Wasserhahn kommt so einwandfrei sauberes Wasser, dass
man sich wundert, wieso so viele Menschen trotzdem literweise
Mineralwasser im Laden kaufen (eigentlich völlig bescheuert,
denn das Mineralwasser ist kein Deut gesünder!). Wir kaufen
Gemüse mit der Bioknospe, Demeter, Terra-Suisse oder «Aus der
Region. Für die Region.» Und wir haben wohl eines der besten
Gesundheitssysteme mit einer vergleichsweise hohen Spital- und
Ärztedichte, die auf der ganzen Welt seinesgleichen sucht. Es geht
uns wirklich gut. Kein Wunder also, dass Leute mit richtig viel
Geld gerne in die Schweiz ziehen. Gemäss einer Studie zum Thema
«Reiche in der Schweiz» wohnt jeder zehnte Milliardär der Welt in
Beratung
Qualität
Auswahl
Massarbeit
Fullservice

der Schweiz. Die Schweiz, ein Land des Wohlstands? Doch was ist
Wohlstand eigentlich genau?
Sarkozy definiert den Wohlstand neu
Wohlstand. Das hat doch etwas mit dem Wachstum der
Volkswirtschaft zu tun. Das haben wir doch alle einmal in der
Schule gelernt: Alle Güter und Dienstleistungen, die in einem
Land produziert werden, fliessen in einer magischen Kennziffer
zusammen, dem sogenannten Bruttoinlandsprodukt, oder
kurz: BIP. Das BIP ist zwar nicht die einzige Messzahl für die
Wirtschaftskraft eines Landes, doch sie ist die allgemein gültige,
da sie dank standardisierter Rechenmethoden schnell einen
Vergleich mit anderen Ländern ermöglicht. Ein Volkswirtschaftler
kann also ganz einfach den Wohlstand berechnen, indem er das
gesamte BIP durch die Anzahl der Einwohner teilt. Doch wie
aussagekräftig ist dieser Wert tatsächlich? Schon Robert Kennedy
sagte vor über 40 Jahren in den USA, dass das Bruttoinlandprodukt
alles messe, nur nicht das, was das Leben lebenswert mache.
Ebenso wenig hält offenbar auch der französische Staatspräsident
Nicolas Sarkozy von dieser ominösen Kennziffer. Im 2009 setzte
er nämlich eine Kommission aus 24 Wissenschaftlern ein, die
eine bessere Buchhaltungsmethode für den Staat entwickeln
sollte. An der Spitze dieser Kommission standen keine geringeren
Persönlichkeiten als die beiden Nobelpreisträger Amartya Sen und
Joseph Stiglitz.
Die Wirtschafts- und Finanzkrise habe deutlich
gemacht, dass die traditionellen Wege der Wachstumsmessung
nicht mehr ausreichten, meint Sarkozy. Frankreich werde daher
seine statistischen Methoden entsprechend anpassen. So müsse
zum Beispiel auch in die Bewertung einfliessen, welche Arbeit
innerhalb der Familie geleistet werde und wie gut der öffentliche
Dienst eines Staates funktioniere (oder eben nicht...). Frankreich
werde sich deshalb «einen eigenen statistischen Apparat» zulegen
– wir stecken bis zum Hals im Schlamassel». Der Wohlstand ist
und dafür kämpfen, «dass alle internationalen Einrichtungen ihr
statistisches System überarbeiten». Auch die EU-Kommission
denkt mittlerweile über ein neues Fortschrittsbarometer nach.
«Um die Welt zu verändern, müssen wir die Art und Weise ändern,
wie wir die Welt verstehen», erklärte Stavros Dimas, der bis 2010
als EU-Umweltkommissar tätig war.
Gutes Wachstum? Schlechtes Wachstum?
Ansatzweise ist das BIP bereits vor zwanzig Jahren vom Human
Development Index (HDI) vom Thron geschubst worden. Der
Schwerpunkt Wohlstand // 9
HDI ergänzt das BIP um eine Reihe wichtiger Faktoren. Im
Einzelnen werden erfasst: Die Lebenserwartung bei der Geburt,
die Alphabetisierung der erwachsenen Bevölkerung sowie
die Einschulungsrate in Grund-, Sekundär- und Hochschulen.
Aber Achtung, auch das ist nicht die ultimative Lösung. Denn
weder BIP noch HDI machen Aussagen über die Nachhaltigkeit
einer Volkswirtschaft. Wenn irgendwo natürliche Ressourcen
ausgebeutet werden, tja, dann steigen die beiden Werte. Doch
hat ein solches Wachstum wirklich Zukunft? Wohl kaum. Ein
brauchbarer Index müsste daher auch die Vernichtung von
natürlichen Werten berücksichtigten.
Der Club of Rome hatte im Jahr 1972 mit seiner
Studie «Die Grenzen des Wachstums» grosses Aufsehen
erregt. Die zentralen Schlussfolgerungen des Berichtes waren:
Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der
Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungs-
mittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen
anhalten, werden wie Wachstumsgrenzen im Laufe der nächsten
hundert Jahre erreicht. Klingt das alles nicht irgendwie ganz
aktuell, obwohl es schon fast unglaubliche 40 Jahre alt ist? Was,
wenn die Grenzen des Wachstums schon viel früher erreicht
werden? Was würde dies wohl für unseren Wohlstand bedeuten?
Irland kurz vor Redaktionsschluss: Enda Kenny hat die
Wahlen gewonnen. Er ist verzweifelt: «Das Land kann sich kein
Geld mehr leihen, die Banken können sich kein Geld mehr leihen
futsch.,...
10 // Schwerpunkt Wohlstand

WOHLSTAND
MACHT
GLÜCKLICH Autorin: Isabel Schorer, Leiterin Standortförderung Stadt St.Gallen
Bild: Mario Baronchelli
Das sei etwas hoch gegriffen, finden Sie? Mag sein. Doch wo von Wohlstand,
Wohlfahrt oder Wohlergehen die Rede ist – ob individuell oder gesellschaftlich – ist
auch der Gedanke an Glück und Lebensqualität nicht weit. Und letztere gehört zum
Kerngeschäft der Standortförderung. Diese muss dazu beitragen, Lebensqualität und
materiellen Wohlstand aus gesellschaftlicher Sicht zu mehren.

Was ist eigentlich Wohlstand? Was verbinden wir mit dem Begriff?
Wer dieser Frage nachgeht, könnte leicht einiges mehr als eine
einzelne Ausgabe eines Magazins füllen. Sicher spielen dabei
Aspekte wie Glück, Zufriedenheit, Lebensqualität, Vermögen und
Reichtum eine Rolle. Welche ist jedoch für jede und jeden von uns
verschieden.
BIP, HDI oder Engel-Koeffizient
Nüchtern definiert ist Wohlstand – oder auch «Wohlergehen»
und «Wohlfahrt» – ein positiver Zustand, der individuell
unterschiedlich wahrgenommen wird. Er setzt sich aus
immateriellem Wohlergehen und materiellem Wohlstand – einem
angenehmen Lebensstandard – zusammen. Umgangssprachlich
bezeichnen wir mit dem Begriff Wohlstand die Tatsache, dass
es jemandem in materieller Hinsicht an nichts mangelt. Was
das heisst, lässt sich messen. Für politische Entscheide und im
Länder-Vergleich – eine erfolgreiche Gesellschaft wird immer
mit Wohlstand gleichgesetzt – wird bislang meist nur der
materielle Wohlstand beleuchtet. «Die» Wohlstandsgrösse par
excellence ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf. Weitere
Wohlstandsindikatoren sind der Engel-Koeffizient und der Human
Development Index (HDI): Engel erfasst den Anteil des für die
Ernährung ausgegebenen Einkommens, der HDI berücksichtigt
neben dem Pro-Kopf-Einkommen auch die Lebenserwartung, den
Bildungsgrad und die Volksgesundheit einer Gesellschaft.
Von Smith bis zu Frey
Mit Blick auf den beschleunigten gesellschaftlichen Wandel
wird heute die Forderung immer lauter, auch andere Aspekte
von Wohlstand - wie etwa geistige Entwicklung und seelisches
Gleichgewicht - in den politischen Diskurs aufzunehmen.
Auch wer dazu Theorien sucht, wird rasch fündig: Gerade weil
Wohlstand von so vielen verschiedenen Faktoren abhängt und
sowohl gesellschaftlich wie individuell definiert werden kann,
sind die Wohlstands-Theorien so zahlreich wie verschieden. Sie
reichen vom 18. Jahrhundert und dem britischen Wirtschafts-
und Moralphilosophen Adam Smith mit seiner Theorie des
«Wohlstands der Nationen» bis hin zum Schweizer Ökonomen
Bruno Frey, der in seinem 2008 erschienenen Werk «Happiness,
a Revolution in Economics» dem Zusammenhang zwischen
der Einkommens-Entwicklung und dem Wohlstand nachging.
Schon für Smith waren Arbeit und Arbeitsteilung wesentliche
Voraussetzungen für Wohlstand, und auch Freys Erkenntnisse
führen uns zurück zum Ausgangspunkt, dem BIP: Unser
Glücksempfinden wird durch die Steigerung des Einkommens
positiv beeinflusst, durch Arbeitslosigkeit negativ.
Standort- als Wohlstandsförderung
Auf meinen Auftrag bezogen heisst das: Standortförderung
ist immer auch Wohlstandsförderung. Im Zusammenspiel der
wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und ökologischen
Faktoren, die unseren Wohlstand beeinflussen, kann und muss
die Standortförderung als staatliche Aufgabe einen Baustein
dazu beitragen. Richtig verstandene Standortförderung trägt zu
nachhaltig positiven Rahmenbedingungen für einen attraktiven
Arbeits-, Lebens- und Steuerstandort bei – sie sorgt nicht
etwa mit dirigistischen Eingriffen für Wohlstand. Zu guten
Rahmenbedingungen gehören einerseits «harte Faktoren» wie gute
Erreichbarkeit, stabile politische Verhältnisse, ein qualifizierter
Arbeitsmarkt oder ein günstiges Steuerklima. Andererseits zählt
 Stadt St.Gallen // 11

man immer mehr auch verschiedene «weiche Faktoren» dazu. Zu

einem guten Lebensgefühl gehört nicht zuletzt genügend Zeit – in
der heutigen hektischen Gesellschaft ein kostbares Gut. Hier haken
wir ein: Mit unbürokratischer Verwaltung, gut funktionierender
Infrastruktur und massgeschneiderten Dienstleistungen sparen
wir Zeit und leisten damit einen aktiven Beitrag zum Wohlstand in
der Stadt.
Wohlstand dank Interessenausgleich
Unser Wohlstand ist auch unser Kapital. Herr und Frau Schweizer
leben in einem Land mit hohem Wohlstand. Viele wohlhabende
Personen fühlen sich bei uns willkommen und gut aufgehoben.
Dies ohne unser «Bruttoinlandsglück» messen zu müssen, wie dies
andere Länder tun. Das soll auch so bleiben. Um den Wohlstand
der Bevölkerung zu sichern, trägt die Standortförderung deshalb
aktiv dazu bei, St.Gallen als lebendiges und pulsierendes
Zentrum der Ostschweiz, als attraktiven Arbeits- und Wohnort
weiterzuentwickeln. Was soll das konkret beinhalten? Dazu
sind die Meinungen ebenso verschieden wie die Definitionen
von Glück, Zufriedenheit und Wohlstand. Ist ein Standort
«attraktiv», lockt er viele Unternehmen sowie Bewohnerinnen und
Bewohner an. Genau diese Attraktivität lässt die Stadt für andere
Anspruchsgruppen wiederum unattraktiver erscheinen. Sie sehen
damit einen Verlust an persönlicher Lebensqualität verbunden.
Eine Gratwanderung also, die offensichtlich Zielkonflikte
in sich birgt: Einerseits streben wir neue Arbeitsplätze und
Bevölkerungswachstum an, anderseits soll auch das gute,
individuelle Lebensgefühl gewahrt bleiben. Das Bestreben der
Standortförderung muss es deshalb immer sein, diesen Zielkonflikt
für alle Anspruchsgruppen möglichst zufriedenstellend zu

,...
lösen. Dann macht Standortförderung glücklich. Nicht alle, aber
möglichst viele.
12 // Schwerpunkt Wohlstand: Stadtmenschen

EIN
BISSCHEN
LUXUS? Autor: Stefan Grob | Claudia Eugster
Foto: Stefan Grob
Wir sind einem Mann begegnet, der viel erlebt hat und weit gereist
ist: Albert Nufer, der ehemalige Stadtparlamentarier, Kantonsrat,
Strassenwischer und Stadtoriginal aus St.Gallen. Er erzählt
freigiebig und spricht auch das Unbequeme an. Dass ihm Geld nicht
viel bedeutet, ist kein Geheimnis. Doch ist Nufer auch glücklich mit
seinem Leben?

Ein Gespräch mit Albert Nufer über Wohlstand, Geld und
Zufriedenheit.
Es war nicht ganz einfach, mit Albert Nufer ein Interview
zu organisieren: Der pensionierte Strassenwischer mit Hippie-
Vergangenheit hat weder ein Telefon noch eine E-Mail-Adresse
– geschweige denn ein Handy. Also schickten wir unsere Anfrage
eben ganz traditionell per Brief (natürlich handgeschrieben). Nach
einem regen Briefwechsel stand der Termin schliesslich fest.
Seither ist mir bewusst, wie wertvoll es ist, den Nufer zufällig in
der Stadt zu treffen.
Wir sitzen im neu renovierten Migros Restaurant im
Bahnhofsgebäude. Albert Nufer ist gut vorbereitet. Er hat sich
Gedanken über den Begriff «Wohlstand» gemacht. Und wenn er
einen Computer besässe, hätte er die Bedeutung bei Wikipedia
nachgeschlagen oder gegoogelt, sagt er lachend. So aber erklärt
er es mit seinen eigenen Worten: «Wohlstand kommt von Wohl
und Stand, also ist es einem wohl, wie oder wo man im Leben
steht.» Für ihn persönlich sei es der Zustand, alles zu haben, was
er brauche. Und das sei nicht viel, denn es muss nicht immer alles
schöner oder besser sein, sagt er. Das glaubt man ihm auch, wenn
man ihn so sieht in seinen einfachen Kleidern, die er nach eigenen
Angaben gewöhnlich im Brockenhaus und auf dem Flohmarkt
findet. «Ausser meine Unterwäsche, die kaufe ich immer neu.» Ein
bisschen «Luxus» erlaubt er sich dann doch.
Materielle Sicherheit vs. Freiheit
Allgemein bedeute Wohlstand heute, dass es einem materiell gut
gehe, erklärt Nufer. «Alle sagen dir, was du alles nicht hast und
noch brauchst.» Viele Menschen wollten deshalb ihren Status
gegenüber anderen demonstrieren. «Wenn der Nachbar ein grosses,
tolles Auto fährt, dann möchtest du noch ein grösseres und
moderneres», sagt Nufer. Aber nicht, weil man es braucht. Denn der
Mensch definiert sich oft über das, was er hat oder eben nicht hat.
Es sei eben viel einfacher, sich mit dem Materiellen zu profilieren,
als sich auf der spirituellen Ebene zu verwirklichen.
Zu seinem persönlichen Wohlstand zählt Albert Nufer
in erster Linie seine Freiheit. Schon als Kind konnte er es kaum
erwarten, der elterlichen Fuchtel und der «Halbgefangenschaft»
des damaligen Schülerhauses zu entfliehen. Keine Zwänge und
kein Druck. Einfach nur das tun, was er möchte. Deshalb war er,
wie er selbst sagt, immer «bindungsscheu» und hat nie geheiratet
oder Kinder in die Welt gesetzt. Seine Arbeit als Strassenwischer
und seine politischen Ämter erledigte er immer mit viel Sorgfalt
und Pflichtbewusstsein. «Ich habe bei der Arbeit stets nach
bestem Wissen und Gewissen gehandelt», sagt Nufer. In der Politik
hiess dies für ihn vor allem: Die eigene, persönliche Meinung zu
vertreten – auch gegen die Stimmen in den eigenen Reihen seiner
Partei und meistens gegen den Rest des Parlaments. Er meint zwar,
es habe schon Politiker gegeben, die manchmal seine Sichtweise
geteilt hatten. Doch diese hätten sich offiziell nicht dazu bekannt,
um sich bei der eigenen Partei nicht unbeliebt zu machen. «Sie
hatten Angst, nicht mehr gewählt zu werden», sagt Nufer.
Wer gibt, dem wird gegeben?
Bei seinen Reisen ins Ausland habe er viel gelernt, denn Wohlstand
werde dort anders definiert. In Nicaragua zum Beispiel, wo er
mehrere Male hinreiste, war die Armut besonders augenfällig.
«Ich habe den Leuten immer Medikamente mitgebracht. Und
Angelhaken! Die gab es dort komischerweise gar nicht», erzählt
Nufer. Und was hat er dafür bekommen? «Natürlich ab und
Menschen in St.Gallen // 13
14 // Schwerpunkt Wohlstand: Stadtmenschen
zu einen Fisch. Den habe ich aber gleich wieder mit meinen
Freunden geteilt. Sonst aber vor allem eines: Freundlichkeit und
Herzlichkeit», entgegnet er lächelnd. Geld hat ihm sowieso nie viel
bedeutet, ganz ehrlich. Auch als er in Zürich mit dem Verkauf von
Drogen einiges verdiente. Er bezahlte davon einfach seine Miete,
kaufte gutes Essen ein oder lud seine Freunde und Freundinnen
ins «Hiltl» ein, einem noblen vegetarischen Restaurant in Zürich.
Dass er und seine Freunde meistens barfuss unterwegs waren und
anschliessend an das feine Essen einen Joint rauchten, störte dort
offensichtlich niemanden, erinnert er sich noch gut.
Vom Geld ist heute aber nichts mehr übrig. «Was
ich damals noch hatte, investierte ich hauptsächlich in meine
Reisen», sagt Nufer. Heute lebt er von einem bisschen AHV, seinem
Vermögen und dem Geld aus der Pensionskasse. «Ich war total
erstaunt, dass ich überhaupt etwas angespart hatte in meinem
Leben. Schliesslich habe ich ja meistens sowenig verdient, dass
ich gar nicht in die PK einzahlen musste», erklärt er. Geld gibt er
«Warum nicht unsere Recyclingmodelle auch in Malaysia
anwenden? Oder Solarkocher für Afrika.»
heute hauptsächlich für Essen und Trinken aus. «In die Beiz gehe
ich auch gerne». Oder er kauft damit Bücher, die er sich für ein paar
Franken im Brockenhaus oder auf dem Flohmarkt besorgt.
Die Schweiz stehe dank gutem Bildungsstand und hoher
Lebensqualität im Vergleich zu anderen Ländern gut da, so Nufer.
«Bei uns sehe ich den Wohlstand aber durch die Umwelt bedroht.
Der Müll, die Luftverschmutzung und die Klimaerwärmung
nehmen ständig zu. Das machte mir schon früher Sorgen. Doch
vor zwanzig Jahren haben mich das Stadtparlament und der
Kantonsrat wegen solcher Aussagen noch ausgelacht.»
Die Schweiz muss als Land mit Wohlstand auch mehr
Verantwortung gegenüber Entwicklungsländern übernehmen:
«Wir tun viel, aber nicht genug. Ich finde zum Beispiel, dass
wir unser Wissen im Bereich der Technologie viel mehr an
andere Länder weitergeben sollten.» Warum nicht unsere
Recyclingmodelle auch in Malaysia anwenden? Oder Solarkocher
für Afrika, das würde viele Probleme in der dritten Welt lösen.
Nufer hat ein ganzes Portfolio solcher Ideen. Am wichtigsten dabei
ist ihm aber die Wüstenbegrünung, um mehr fruchtbares Land zu
schaffen.
Das Streben nach Glück
«Es ist schwierig, glücklich zu sein, wenn man sieht, wie schlecht
es vielen Menschen auf der Welt geht», meint Nufer und senkt
seinen Blick nachdenklich. Glücklichsein sei eine andere Stufe
als Zufriedenheit. «Mit meinem persönlichen Leben bin ich
aber zufrieden.» Aber auch er muss ständig daran arbeiten.
Ihm ist in seinem Leben aufgefallen, dass einige Menschen nie
zufrieden sind, andere hingegen fast immer. Er bezeichnet dies
als eine «Mentalitäts- und Bewusstseinsfrage.» In der Schweiz
sei man oft auf materielle Sicherheit bedacht. Für ihn zählt aber
der immaterielle Wohlstand. «Wenn ein Mann wegen seines
Berufs keine Zeit mehr für Frau und Kinder hat, verarmt er doch
total.» Seine Devise: Menschliche Beziehungen dürfen nicht
vernachlässigt werden. Heute bezeichnet man das, wovon Nufer
spricht, als Work-Life-Balance: Das Gleichgewicht zu finden
zwischen beruflichem Engagement und Privatleben.
Klar, Nufers Lebensstil ist nicht jedermanns Sache. Er
selbst kann dies durchaus nachvollziehen und macht deswegen
auch niemandem Vorwürfe. «Jeder soll nach seiner Façon selig
werden. Nur schaden dürfen wir niemandem», fügt er hinzu.
Natürlich hat er während seiner Zeit als Hippie in den berüchtigten
Zürcher Abbruchhäusern schon auch Menschen kennengelernt,
die sich ebenfalls nichts aus materiellen Dingen machten.
Doch die haben sich früher oder später in die Gesellschaft
eingeordnet, haben geheiratet, ein Haus gekauft. Oder sie sind in
der Zwischenzeit ganz abgestürzt. Nufer ist seinen eigenen Weg
gegangen, gesund geblieben und unverheiratet (obwohl es schon
auch Frauen in seinem Leben gab). Er selbst schreibt dies vor
allem zwei Faktoren zu: Zum einen seiner körperlichen Fitness,
die er auch jetzt noch im Alter besitzt. Zum anderen, weil er nie
zum Alkoholiker oder Drogensüchtigen wurde, wie viele seiner
ehemaligen Freunde.
Manchmal fühlt auch er sich unverstanden, aber das
sei halt so. Für Nufer ist vor allem eines wichtig: Dass er noch in
den Spiegel schauen kann. Ob er denn überhaupt einen Spiegel
besitze, fragen wir etwas frech nach? «Ja, den habe ich tatsächlich,
,...
aber ich schaue ehrlich gesagt nicht oft rein. Und Haare und Bart
kämmen, das kann ich ja auswendig.»
 Schwerpunkt Wohlstand: Meinung // 15

WENIGER
IST
MEHR? Gregor Bucher
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«Wohlstand ist, wenn die Menschen mehr Uhren haben als Zeit», sagt ein Sprichwort.
Gerade für die Schweiz scheint dieses Sprichwort zuzutreffen. Für mich ist der
Wohlstand etwas Typisches für unsere Zeit und für unser Land. Denn vor allem hier
leben wir im Luxus: Wir haben mehr als wir wirklich brauchen!

Hoher Lebensstandard in der Schweiz
Wenn wir von Wohlstand sprechen, meinen wir in der Regel die
hohe Lebensqualität, die man in der Schweiz – gerade im Vergleich
mit vielen anderen Ländern – vorfindet. Natürlich gibt es auch
innerhalb der Schweiz grosse Unterschiede zwischen Arm und
Reich. Doch das Existenzminimum dürfte hierzulande bedeutend
höher sein als in vielen anderen Staaten. Zudem verfügen wir über
ein relativ dichtes Netzwerk an sozialen Einrichtungen, die viele in
Not geratene Menschen auffangen können.
Geld allein macht nicht glücklich
Dass aber materieller Luxus allein noch nicht glücklich macht,
ist längst kein Geheimnis mehr. So bedeutet für mich Wohlstand
auch gute Arbeitsbedingungen und ein funktionierendes soziales
Netzwerk. Voraussetzungen, die in der Schweiz grundsätzlich
erfüllt sind: Unser Staat und unsere Wirtschaft bieten Zugang
zu verschiedenen Bildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten,
einen ziemlich stabilen Arbeitsmarkt und soziale Absicherung.
Je nach dem, was man erreichen möchte, sind aber auch
Verantwortungsbewusstsein, Leistungsbereitschaft und etwas
Glück gefragt. Doch für eine hohe Lebensqualität braucht es noch
mehr: Es sind immaterielle Faktoren wie Gesundheit, Freiheit
sowie familiäre und freundschaftliche Beziehungen.
Wie verteilt sich der Wohlstand?
Zu wünschen wäre, dass wir alle über den gleichen hohen
Lebensstandard verfügen würden. Doch die Geschichte lehrt uns
etwas anderes: mehr Wachstum gleich mehr Wohlstandsgüter
gleich mehr Lebensqualität. Die derzeitige Entwicklung in
Wirtschaft und Politik führt zur Erkenntnis, dass der Fahrstuhl-
Effekt, (wir fahren stetig nach oben in eine Welt, in der es uns
immer besser geht), vom Paternoster-Prinzip abgelöst wird: Einige
fahren nach oben, andere nach unten – und müssen auf halber
Strecke oder gar unten aussteigen.
Wertewandel nötig
Die Frage ob die Weltwirtschaftskrise eine Bewusstseinsver-
änderung herbeigeführt hat, kann schon heute mit einem Nein
beantwortet werden. Denn zu so einer Veränderung würde auch
ein Bewusstseinswandel von den Waren zu den wahren Werten
gehören, inklusive veränderte Lebensziele und Lebensstile. Das
,...
könnte zur Folge haben, dass man weniger Güter besitzt und doch
besser lebt!
16 // Schwerpunkt Wohlstand: Global

REICH
SEIN MACHT
HUNGRIG Autor: Lukas Aebersold
Illustration: Mario Romano
Wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft. Das ermöglicht
den Menschen viele Annehmlichkeiten und eröffnet zahlreiche
persönliche Freiheiten. Doch leider bedeutet der Wohlstand nicht
das Ende aller unserer Probleme. Im Gegenteil: Eigentlich fängt
damit der Ärger erst richtig an.

Wohlstand ist toll. Man hat mehr als man zum Leben braucht und
man kann sich Dinge leisten, die einen erfreuen und das Leben
vereinfachen. Ja, man kann es sich recht bequem einrichten und
das Leben in vollen Zügen geniessen. Klingt eigentlich zu schön,
um wahr zu sein. Und leider ist es auch so. Wie fast alles im
Leben hat auch diese tolle Sache einen lästigen Haken. Denn der
Wohlstand lässt nicht nur das Portemonnaie dicker werden; auch
der Bauch schwillt in der Regel an.
China ist ein Land, das ganz aktuell von dieser
Entwicklung betroffen ist. Die Chinesen, ein Volk von Dicken?
Die gelten doch traditionellerweise als schlank. Das war einmal.
Am stärksten betroffen sind die Städte an der Ostküste. Vor
allem sie haben vom wirtschaftlichen Aufschwung profitiert und
es zu Wohlstand gebracht – Wohlstand, der die Gewohnheiten
von Chinas Städtern veränderte. Die Schlankmacher Reis und
Chinakohl sind immer weniger gefragt. Statt Getreide und Gemüse
gibt’s nun vermehrt Fleisch und fettigen Fast-Food, statt zu
Fuss oder mit dem Velo ist man mit dem Auto unterwegs, statt
der Treppe nimmt man den Lift. Erinnert ein wenig an einen
Mastbetrieb: Wenig Bewegung, viel futtern, und ordentlich
Gewicht zulegen. Rund 60 Millionen Chinesen sind bereits
übergewichtig – das entspricht ungefähr der Bevölkerung

Frankreichs. Bei 1,3 Milliarden Chinesen mag das (noch) nicht viel
sein. Doch die Geschwindigkeit der Entwicklung ist erstaunlich.
Zwischen 2000 und 2007 ist die Zahl der Übergewichtigen
zwischen 20 und 59 um satte 22 Prozent angestiegen.
Prominentes Opfer dieser Entwicklung: Xiao Pang. Kennen Sie
nicht? Nun, eigentlich heisst er Qian Zhijun. Qian ist, wenn auch
unfreiwillig, einer der grössten Internetstars in China. Dies hat
der heute 23jährige junge Mann, der über 100 Kilogramm wiegt,
seinem kugelrunden Gesicht zu verdanken. Der Name «Xiao Pang»
bedeutet nämlich «kleiner Dicker». Zahlreiche Internetnutzer
haben sich in Photoshop ausgetobt und Qians Gesicht auf die
Körper von berühmten Persönlichkeiten montiert. So findet man
Qians Konterfei auf der Mona Lisa, als blauer Avatar oder auf
Michael Douglas‘ Körper auf dem Cover von Basic Instinct. China
wird fett und die Welt lacht sich schlapp.
Doch man braucht nicht bis nach China zu gehen um
die fetten Früchte des Wohlstandes zu sehen. Auch in unseren
Gefilden kämpfte und kämpft man immer noch damit. Ein
Blick in die Geschichtsbücher Deutschlands zeigt ein ähnliches
Szenario wie das von vorhin: Die Bundesrepublik Ende der 50er
Jahre: Der Zweite Weltkrieg und die Hungerjahre sind vorbei, das
Wirtschaftswunder ist in vollem Gange. Endlich ist in Deutschland
wieder alles im Überfluss vorhanden. Doch die Kehrseite der fetten
Jahre wird schnell sichtbar. Bereits Ende der 60er Jahre wird das
Übergewicht zum Gesellschaftsproblem: In der Bundesrepublik
machen die Fettleibigen 15 Prozent der Bevölkerung aus – eine
Verdreifachung innerhalb von zehn Jahren. In der DDR sind es
gar 20 Prozent. Kampagnen und Aktionen werden gestartet um
der Verfettung der Bevölkerung entgegenzuwirken. In den 70er
Jahren kann der rasante Anstieg des Übergewichts schliesslich auf
hohem Niveau gebremst werden. Seit damals wächst der Anteil der
Fettleibigen nur noch langsam. Problem gelöst? Ist Übergewicht
die einzige Konsequenz?
Leider nein. Durch den steigenden Lebensstandard
sind eine ganze Reihe solcher Wohlstandskrankheiten
entstanden. Zum Übergewicht kommen Diabetes, Herz-
und Lungenkrankheiten, Bluthochdruck und noch weitere
Erkrankungen hinzu. Bewegungsmangel, schlechte Ernährung,
Luftverschmutzung durch den zunehmenden Verkehr; das sind
die Ursachen der Zivilisationskrankheiten, deren Ausbreitung
man aktuell in Schwellenländern mit steigendem Wohlstand
wie China, Indien oder Brasilien beobachten kann. 80 Millionen
Inder leiden an Herzkrankheiten. Des einen Leid ist des anderen
Freud. Pharmakonzerne und Medizintechnikhersteller sind in
den Schwellenländern dick im Geschäft. Blutzuckermessgeräte,
Insulinprodukte und Medikamente zur Prävention von
Herzinfarkten und Schlaganfällen erfreuen sich grosser Nachfrage.
Und ein Blick in die Zukunftsaussichten verspricht noch mehr
,...
fette Beute: Bis 2025 dürfte sich die Zahl der herzkranken Inder
verdoppelt haben.
18 // Kunst und Kommerz
MUT
FÜR
NEUES
Wirtschaft und Kunst sind zwei Sphären, die verschiedener nicht sein könnten –
so glaubt man. Doch der Schein trügt. Denn wer genauer hinsieht, entdeckt eine
erstaunliche Ähnlichkeit im Kern. Trotzdem findet zwischen Wirtschaft und Kunst
kaum ein Austausch statt. Wir haben St. Galler Künstler und Unternehmer gefragt,
wo sie Schnittstellen und Anknüpfungspunkte sehen.
Wirtschaft und Kunst. Auf den ersten Blick könnte man meinen,
dass die beiden soviel gemeinsam haben wie ein Staubsauger mit
einem Rosenkohl; nämlich rein gar nichts. Auf der einen Seite das
Seriöse, das kühl Berechnende, das Utilitaristische und auf der
anderen Seite das Provozierende, das Exzessive, das Ästhetische.
Hier spricht man von Human-Resources, von Marktstrukturen
und Key Accounts, dort geht es um Selbstverwirklichung, um
Visionäres und bisweilen auch darum, der Gesellschaft einen
Spiegel vorzuhalten. Zwei unterschiedliche Sprachen sind es, die
hier gesprochen werden. Und deren Muttersprachler bemühen sich
nicht darum, die Sprache des anderen zu verstehen, geschweige
denn zu lernen.
Unbrauchbare Kunst
Denn so verschieden wie die Sprachen sind auch ihre Standpunkte.
Zumindest will es das Klischee so. Für die Wirtschaftler ist Kunst
etwas unnötiges, etwas, das man nicht zum Leben braucht. Ein
bisschen Kunst ist schön und gut und natürlich besucht man auch
gerne mal eine Vernissage oder das Theater. Für einen kleinen
Input sind Kunstschaffende eventuell noch zu gebrauchen.
Aber im eigenen Unternehmen will man sie nicht haben. Kunst
dient letztlich doch mehr der Ablenkung als irgendeinem
nützlichen Zweck. Für die «echte» Arbeit, ja dafür kann man
weder sie noch ihre Erschaffer gebrauchen. Umgekehrt schauen
die Künstler mit Argwohn auf das wirtschaftliche Treiben. Für
sie ist das ständige Gefasel von Marketing, Umsatzsteigerung
Autoren: Stefan Grob + Lukas Aebersold
oder Zielgruppenanalyse nur kapitalistisches Geschwätz
und seelenloser Kommerz. Die an den Rand der Gesellschaft
gedrängten Künstler poltern gegen den Materialismus, der die
Menschen kaputt mache.
Der reiche Onkel und sein Neffe
Der einzige Berührungspunkt scheint die wirtschaftliche
Förderung der Kunst zu sein, das Sponsoring. Doch auch da
begegnen sich die beiden Welten nicht auf Augenhöhe. Auf der
einen Seite sind die, die Geld haben, und auf der Anderen die, die
welches brauchen. Da der reiche Onkel, dort der bedürftige Neffe.
Hinzu kommt, dass in Künstlerkreisen diesem wirtschaftlichen
Engagement oft mit Skepsis, ja gar Ablehnung begegnet wird. Der
Künstler wird abhängig, verliert seine Eigenständigkeit.
Natürlich ist dieses Bild überzeichnet. Doch es entlarvt
die falschen Vorstellungen, die immer noch vorherrschen, sich
hartnäckig halten und einen echten Dialog verunmöglichen. Einen
Dialog, in dem sich Kunst und Wirtschaft eigentlich viel zu sagen
hätten. Denn so unterschiedlich die beiden Bereiche auch zu sein
scheinen, so haben sie doch mehr gemeinsam als man denkt. Doch
was genau ist das? Was haben sie gemeinsam? Dazu ein kurzer
Exkurs.
Wissen als Rohstoff
Ab den 70er Jahren begannen Sozial- und Wirtschaftswissen-
schaftler den Wandel der Gesellschaft zu kommentieren – ein
Wandel, der uns von einer Industrie- über eine Dienstleistungs-
hin zur Wissensgesellschaft brachte, und der immer noch
anhält. Wissen wird immer mehr zum wichtigsten Rohstoff und
dessen Weitergabe in Form von Informationen zum wichtigsten
Handelsgut. Man spricht von einer «Ökonomie des Wissens».
Körperliche Arbeit und «herkömmliche» Rohstoffe wurden und
werden immer mehr verdrängt. Auf den Punkt gebracht hat dies
Carly Fiorinas im Jahre 2003, als sie noch CEO bei HP war:
Governors, keep your tax breaks, keep those roadway
interchanges, we don’t care about those giant stadiums you
all think we want. When we make a decision about where to
put one of our company factories or research and development
units or laboratories or offices, we only have one criterion in
mind – we go where the highly skilled and creative people are.
Frank und Patrik Riklin, Konzeptkünstler,
Atelier für Sonderaufgaben, St.Gallen
Setzen Sie für Ihre Arbeit Kreativitätstechniken ein?
Natürlich gibt es eine Reihe von Kreativitätstechniken wie
Brainstorming und andere Methoden. Doch das allein führt
meistens nicht zum Ziel. Besonders wichtig ist für uns, direkt
an den Ort des Geschehens, der Aufgabe zu gehen und dort mit
den Menschen in Kontakt zu treten. In einem ersten Schritt
geht es uns darum, möglichst viele Impulse und Gegebenheiten
Nun, wodurch werden neues Wissen und neue Ideen generiert?
Wie gelangt man zu Innovationen und zu neuen Ansätzen? Durch
Kreativität! Kreativität ist das Bindeglied zwischen Wirtschaft
und Kunst, ist die Produktionsanlage, die auf beiden Seiten den
Stoff für neue Ideen liefert. Kreativität ist in der Wirtschaft zum
wichtigsten Rohstoff geworden. Sie wurde vom künstlerischen
«Mythos» zum «wirtschaftlichen Imperativ», wie es die öster-
reichische Kulturmanagerin Doris Rothauser in ihrem Buch
Kreativität & Kapital schreibt. Heutzutage muss jeder kreativ sein.
Bild: Bodo Rüedi
aufzunehmen. Zurück in unserem Atelier versuchen wir dann das
Erlebte und Gehörte in akribischer Arbeit zu protokollieren – ein
recht mühsamer und aufwändiger Prozess, der aber enorm wichtig
ist. Denn durch das Verschriftlichen entsteht eine neue Struktur
der Gedanken.
Haben Sie für das Atelier für Sonderaufgaben eine
Marketingstrategie?
Wir verfolgen eine klare Strategie, wenn es um unser Unter-
nehmen geht. Von Anfang an haben wir versucht, uns als
20 // Kunst und Wirtschaft
essenzium
Kreatives Design und raffinierte
Kombinationen in jeder Preislage
zeichnen die exzellente Schmuck-
kultur an der Kugelgasse 2 aus.
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evelinefrischknecht.ch
Konzeptkünstler klar zu positionieren. Schliesslich geht es darum,
auf dem Markt eine gewisse Einzigartigkeit für sich in Anspruch
zu nehmen. Unsere Arbeit ist nicht im klassischen Kunstmarkt
angesiedelt, sondern an der Schnittstelle zwischen Kunst und
Wirtschaft. Die Berührungspunkte, die an dieser Schnittstelle
entstehen, geben unseren Arbeiten eine ganz besondere Dynamik
– das ist das eigentlich Spannende daran. Für klassische Werbung
haben wir nie Geld ausgegeben, auch Visitenkarten sind uns
fremd. Stattdessen nutzen wir die Mund-zu-Mund-Propaganda
zur Verbeitung unserer Ideen. Zu unserer Arbeit gehört auch
eine gewisse Hartnäckigkeit im Verfolgen des eingeschlagenen
Weges und Authentizität: Wir beide können uns voll und ganz mit
dem Atelier für Sonderaufgaben identifizieren. Damit ein Projekt
erfolgreich realisiert werden kann, starten wir oft aus einer kleinen
Struktur heraus und legen einfach einmal los. Nicht immer nur
reden oder behaupten, sondern erste Gehversuche unternehmen.
Sonst bleibt auch die beste Idee nur eine Idee.
_ Was kann die Kunst von der Wirtschaft lernen?
Kunst hat immer etwas mit Wirtschaft zu tun. Denn ein Künstler
muss in der Regel auch von seiner Arbeit leben können, wenn er
Kunst nicht nur als Hobby, sondern als Beruf ausübt. Und Kunst
kann unserer Meinung nach durchaus auch kommerziell sein
– deswegen muss sie nicht schlechter sein. Von der Wirtschaft
könnten Künstler ein bisschen «unternehmerisches Denken»
lernen. Unternehmer setzen sich in allen möglichen Bereichen
ganz pragmatisch Ziele, die sie erreichen wollen. Warum macht
das ein Künstler nicht auch? Etwas weg vom reinen Schöngeist
hin zu einer gewissen Strenge in der Zielsetzung des eigenen
Schaffens – da kann man der Wirtschaft schon noch einige
positive Punkte abschauen.
_ Ist jeder kreativ? Kann man Kreativität lernen?
Joseph Beuys sagte einmal: «Jeder Mensch ist ein Künstler.» In den
meisten Menschen schlummert eine Menge kreatives Potential,
das sie noch gar nicht entdeckt haben. Man muss es nur aus ihnen
herauskitzeln. Das erleben wir immer wieder in unseren Projekten,
wenn wir mit irritierenden Fragen die Welt der Menschen auf den
Kopf zu stellen versuchen. In solchen Momenten beginnt unser
Gegenüber überraschende Gedanken auszuspucken. Eigentlich ist
es ganz einfach. Wer Offenheit, Mut und Fantasie zulässt, schafft
die Voraussetzungen für das Entstehen von Kreativität.

Und genau hier ergibt sich ein riesiges Potential für die Wirtschaft:
Der Transfer von Wissen und Techniken aus einer Gruppe von
Menschen, die per Definition kreativ sein müssen und bei denen
die Kreativität seit je her oberste Priorität geniesst. Ein echter
Dialog, gepaart mit unternehmerischer Experimentierfreude
könnte wohl Möglichkeiten ungeahnten Ausmasses eröffnen.
Umgekehrt könnten auch Künstler vom Informationsaustausch
profitieren. In einer vernetzten und globalisierten Welt, in der die
Möglichkeiten für die Vermarktung aber auch die Konkurrenz
rasant ansteigen, ist unternehmerisches Know-How eminent
wichtig.
Mut für Neues
So stellt sich nun die Frage: Warum reden die beiden Welten
immer noch so hartnäckig aneinander vorbei – obwohl sie mit
demselben Rohstoff arbeiten und obwohl sie von den Techniken
des anderen profitieren könnten? Die vorherrschenden Vorurteile
sind sicherlich ein wichtiger Grund dafür. Ein anderer dürften wohl
die verschiedenen Sprachen sein, die gesprochen werden. So muss
es zuerst das Ziel sein, dass beide Seiten ihre Voreingenommenheit
ablegen. Nur eine Begegnung auf Augenhöhe schafft die
Voraussetzung für einen gewinnbringenden Dialog. Danach
Menschen in St.Gallen // 21
muss man sich auf eine gemeinsame Sprache einigen, damit der
Wissenstransfer erfolgen kann. Und schliesslich muss man gewillt
sein, das Gelernte auch tatsächlich konsequent einzusetzen.
Für ein solches Experiment braucht es Offenheit, vielleicht Mut
oder gar Überwindung – und zwar auf beiden Seiten. Denn für
einen Unternehmer mag es ein Experiment mit ungewissem
Ausgang sein, wenn er versucht, künstlerische Techniken der
Kreativitätsförderung im eigenen Unternehmen einzusetzen. Und
dem Künstler mag es einengend oder langweilig erscheinen, wenn
er sich mit Marketingstrategie-Fragen auseinandersetzen muss.
Doch der Transfer von Wissen und Techniken aus den beiden
unterschiedlichen Sphären sollte in die Tat umgesetzt werden.
Ansonsten lässt man wertvolles Potenzial einfach brach liegen.
Wir haben Künstler und Unternehmer aus St. Gallen gefragt, wie
,...
sie das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Kunst sehen und wo
sie die Schnittstellen und das Potenzial orten.
Marina Hufschmid
Designerin Glas Trösch AG INTERIEUR, St.Gallen.
_ Welche Techniken setzen Sie ein, um kreativ zu sein?
Unser Ziel ist es, sämtliche Techniken, die kreativ eingesetzt
werden können, gestalterisch auszuschöpfen, um den Kunden
die Materie Glas in einer breiten Variation und Vielfalt anbieten
zu können. Ich persönlich lasse mich in erster Linie von der
Architektur, der Natur und der Mode inspirieren, um meine
Kreativen Ideen anzukurbeln. So sammelt sich ein Repertoire von
Designmustern an.
_ Wie fördern Sie die Kreativität im eigenen Unternehmen
konkret?
Kreativität fängt unter anderem damit an, dass eine Firma
Gestalter beschäftigt. Diese sorgen dafür, dass das kreative
Denken und die gestalterischen Ideen in den Betrieb und auch
zur Produktion übergehen. Die Anwendungen von Glas im
Interieur- wie auch im Exterieurbereich sind sehr vielseitig. Darum
steht Jedes Objekt wieder in einem anderen Kontext. Zweck und
Anwendung des Glases stehen bei Produktentwicklung jedoch
immer im Fokus.
_ Glauben Sie, dass die Wirtschaft etwas von der Kunst lernen
könnte?
Es wäre eine Bereicherung für die Wirtschaft, wenn sie Kultur und
Kunst – in vielerlei Hinsicht betrachtet – stärker fördern würde.
Dies könnte bewirken, dass innovatives Denken zum Grundsatz
wird, was wiederum bedeuten könnte: Immer einen Schritt weiter
gehen, mutig sein und vieles wagen – mit anderen Worten: Grenzen
zu sprengen! Denn offenes Denken fördert die Freude und die
Einsatzbereitschaft für die Arbeit.
22 // Editorial

Dany Lützel, General Manager

Radisson Blu Hotel St.Gallen
Welchen Stellenwert messen Sie der Kreativität in Ihrem
Unternehmen zu?
Für mich persönlich ist Kreativität eine absolute Führungsaufgabe
im Unternehmen. Speziell in einem Dienstleistungsbetrieb
geht es darum, sich mit einem einzigartigen Angebot von
den Konkurrenten abzuheben. Als General Manager eines
Hotels möchte ich, dass der Gast bei seinem Besuch unsere
Einzigartigkeit spürt. Das können wir nur erreichen, wenn auch
unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer wieder von neuem
gute Ideen einbringen können.

Beni Bischof, Künstler, St.Gallen

Welche Techniken setzen Sie ein, um kreativ zu sein?
Ich benutze keine der allgemein bekannten Techniken um kreativ
zu sein. Manchmal versuche ich alle meine Gewohnheiten auf den
Kopf zu stellen, das heisst meine künstlerischen Vorgehensweisen
in Frage zu stellen und extra anders zu machen. Ich stelle alles auf
den Kopf und durchdenke alles neu. Dadurch entsteht viel Schrott,
manchmal aber auch eine sehr gute Arbeiten.
In welchen Bereichen könnte die Wirtschaft von der Kunst lernen?
Die Wirtschaft könnte von der Kunst lernen die Idee statt das
Profitdenken in den Vordergrund zu stellen. Ein bisschen naiver
denken und Fehler machen wäre auch nicht schlecht. Viele
meiner Arbeiten basieren auf Fehlern, die mir mal passiert sind.
Aber in der Wirtschaft sind zu viel Geld und zu viele Jobs im
Spiel, was das «Fehler machen» erschwert. Auch Dinge wie die
Kompromisslosigkeit, die Authentizität und die Unbestechlichkeit
von Künstlern könnten sich Firmen zum Vorbild nehmen.
Authentizität ist meiner Meinung nach das beste Marketing.
Glauben Sie, dass die Kunst etwas von der Wirtschaft lernen
könnte?
Umgekehrt bin ich mir nicht sicher, ob die Kunst etwas von
der Wirtschaft lernen könnte. Effizienz? Nein, das wäre sehr
wahrscheinlich das Ende. Aber die Wirtschaft dient vielen
Künstlern als Inspirationsquelle – natürlich sehr oft durch
negative Ereignisse oder Klischees.

Welche Techniken setzen Sie ein, um kreativ zu sein?
Ich gehe vor allem mit offenen Augen durch die Welt. Wir haben
im Radisson Blu Hotel aber auch ein Instrument aus dem ISO-
Zertifizierungsprozess, den sogenannten «Kontinuierlichen
Verbesserungsprozess» oder kurz KVP. Dieses Tool habe ich für
uns umfunktioniert in ein Ideenblatt. Meine Mitarbeitenden
werden ermuntert, möglichst viele gute, neue, kreative Ideen in den
betrieblichen Alltag einzubringen. Diese werden dann bewertet
und auf Kosten, Nutzen und Realisierbarkeit geprüft. Wer die
besten Ideen liefert, hat die Chance, Mitarbeiterin oder Mitarbeiter
des Monats – oder sogar des Jahres zu werden.
MISS SCHWEIZ KERSTIN COOK TRÄGT JIL SANDER
Menschen in St.Gallen // 23
Haben Sie eine Kreativstrategie für Ihr Unternehmen?
Wir haben natürlich eine Marketing-Strategie, aber eine konkrete,
schriftlich verfasste Kreativstrategie haben wir nicht. Ich denke,
das ist eher eine Frage der Unternehmenskultur, wie man mit
Kreativität umgeht.
Glauben Sie, dass die Wirtschaft etwas von der Kunst lernen
könnte?
Ja, natürlich! Ich denke, wir Unternehmer könnten sehr
stark davon profitieren, wenn wir mehr über den Tellerrand
hinausblicken würden, wie das Künstler eben oft tun. Vielleicht
sind wir als Unternehmer manchmal zu stark gehemmt, eine
mutige Idee zu verfolgen?
Ihr Augenoptiker mit der Goldmedaille.
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32 // ECO: Trendspotting

KAMPF-
ZONE:
ZUKUNFT Autor: Stefan Grob
Illustration: Mario Romano
Das Wetter der nächsten Tage kennen wir. Wie sich die Wirtschaft
im 2011 entwickeln wird, können wir auch in etwa abschätzen.

NO
Doch wie steht es um die wirklich handfesten Trends, jene also,
welche die Welt von morgen prägen werden? Das renommierte
Gottlieb Duttweiler Institut
CO N Tschaut
ROLL in die Zukunft. Und das
Magazin 9000 blickt ihm dabei über die Schulter.

Vier Frauen, die jüngste 21, die älteste 48, und zwei etwa 30-jährige
Männer hocken im Kreis. Ihre Hände wedeln zwei Stäbchen
durch die Luft. Etwa auf Bauchhöhe. Über Hände und Stäbchen
ergiesst sich ein Baumwollfaden in einen Wollteppich, der in
1 2
wenigen Wochen als Schal den Hals der jungen Dame zieren wird.
Sie strickt. Ihre fünf Gleichgesinnten trifft3 sie jeweils
4
mittwochs
zum «Lismerkränzli». Das sei von gestern, meinen Sie? Mit
Nichten. Die sechs Strickerinnen und Stricker reiten auf einer
Trendwelle in Richtung Zukunft: «Selbermachen, sein Terrain
zurückerobern», lautet die eine Devise, über die der Trendradar
3.10 des Gottlieb Duttweiler Instituts informiert. Weitere Trends
bündeln die Zukunftsforscher unter dem Titel «Die Rückkehr der
Macht»: In welchen Zonen wird in Zukunft gekämpft? Zwischen
Finanzmärkten und Staaten, zwischen Cyber-Fiktion und Realität,
zwischen «selbst gemacht» und «fremd produziert»? Im folgenden
Artikel lesen Sie es; es handelt sich um einen Auszug aus dem
aktuellen Trendradar des renommierten Gottlieb Duttweiler
Instituts (GDI) – der Auftakt zu einer Serie! Denn das Magazin
9000 wird in Zusammenarbeit mit dem GDI an dieser Stelle
regelmässig darüber berichten, mit welchen Entwicklungen wir in
Zukunft rechnen dürfen.
Der Kunde war König
Wissen ist Macht, und Macht ist Wissen. Darum sitzt, wer über
einen bestimmten Markt besser informiert ist, meist auch am
längeren Hebel. Im Zuge der Internetrevolution wurde es für
Konsumenten denn auch einfacher und billiger, sich über Produkte
zu informieren, Preise zu vergleichen und alternative Angebote
zu finden. Hersteller und Handel mussten Macht abgeben, die
Konsumenten gewannen dazu. Doch mit den Daten, die Anbieter
im Internet oder mit Loyalitätsprogrammen über ihre Kunden
sammeln, kehrt sich das Blatt wieder. Die «Big Data Revolution»
führt dazu, dass Unternehmen ihre Kunden immer genauer
kennen und sich so einen neuen Wissensvorsprung verschaffen –
und damit auch Macht (zurück-)gewinnen. Das Wissen über den
Konsumenten wird wichtiger als das Wissen über das Produkt.
Noch sind sich die meisten Konsumenten nicht bewusst, welchen
Wert ihre Daten haben, doch das ändert sich rasch. Sie werden in
Zukunft härter um die Kontrolle über die eigenen Daten kämpfen.
Kampf der Systeme
Auf dem Höhepunkt der Globalisierung schien die ökonomische
Machtfrage klar entschieden: Die Wirtschaft machte sich ihre
eigenen Gesetze, die Staaten hielten sich aus dem Marktgeschehen
weitgehend heraus. Doch seit dem Beginn der Finanzkrise im Jahr
2007 herrscht wieder Unübersichtlichkeit. «Systemrelevante»
Unternehmen werden, «too big to fail», vom Staat gerettet. Andere
reissen, «too big to bail», die Staaten gleich mit in den Insolvenz-

Abgrund. Staaten verschaffen sich Firmen-Interna, um einzelne
Unternehmen zu attackieren. Die Finanzmärkte wiederum
attackieren einzelne Staaten, Griechenland im Frühjahr, Irland im
Herbst 2010. Wer gewinnt? Harvard-Professor Dani Rodrik spricht
vom «weltwirtschaftlichen Trilemma»: Zwischen unvermeidlich
weitergehender wirtschaftlicher Globalisierung, Nationalstaat und
«Bei Facebook zum Beispiel findet sich nur der «Like-Button»,
für Missfallen gibt es keinen Knopf.»
politischer Demokratie könnten nur zwei Elemente, nicht aber
alle drei in eine Balance gebracht werden. Drei sei zu komplex. Der
Machtkampf schwelt weiter.
Macht und Spiele
Wer spielt, will gewinnen. Schach oder Fussball sind
Paradebeispiele für harmlose Machtkämpfe. Heute durchdringen
spielerische Elemente unseren Alltag zunehmend, vom Boom
der Game-Konsolen und -Apps bis zum Bonuspunktesammeln.
Besonders deutlich zeigt sich dies bei ortsbezogenen Online-
Spielen wie Foursquare, Gowalla oder Facebook Places, deren
Mitspieler bestimmte Orte «erobern»: Starbucks-Filialen,
Sehenswürdigkeiten, ganze Städte. Dazu melden sie sich am
jeweils aktuellen Aufenthaltsort über eine App des Mobiltelephons
an. Wer häufig «eincheckt», wird zum «Bürgermeister», noch
Infoabende: Möchten Sie ihrem Kind mit Englisch
31.03.2011 / 19.05.2011 eine zweite Muttersprache schenken?
Höhenweg 1 CH-9000 St.Gallen
ECO: Trendspotting // 33
fleissigere Mitspieler können ihn aber wieder entthronen. Um
die Vormachtstellung an beliebten Orten entstehen so unter
den Nutzern (fünf Millionen allein bei Foursquare) richtige
Wettkämpfe. – Und wer verliert, hat immer noch controltv.com:
Im neuen Reality-TV-Format bestimmen die Zuschauer online
sechs Wochen lang rund um die Uhr, was der 25jährige Tristan
Couvares tun soll. Die Fernbedienung bleibt das Machtinstrument
der Machtlosen.
Im Westen nichts Neues
Der Westen verliert gerade massiv an Macht, China überholt
uns in immer mehr Disziplinen. Der mächtigste Mann der Welt?
Laut «Forbes» der chinesische Präsident Ju Jintao. Der beste
Nachwuchs? Im Pisa-Test 2009 waren es die SchülerInnen von
Shanghai. Der schnellste Computer? Steht mit einer Leistung von
2,56 Petaflops in Tianjin. Die grösste Bank der Welt? Die Industrial
Bank of China (ICBC). Auch im Automarkt ist China laut «Focus»
seit 2010 führend, und in der «Fortune»-500-Liste von 2010 sind
insgesamt 46 chinesische Unternehmen vertreten, drei davon in
den Top-Ten. China ist der weltgrösste Konsumgüterproduzent
sowie die grösste Wirtschaftsmacht, seit es 2010 den
Exportweltmeister Deutschland überholte. Und wenngleich die
chinesische gemeinsam mit der indischen Mittelklasse heute nur
zehn Prozent der globalen Konsumgüter verbraucht, so werden es
bis 2050 gemäss OECD 60 Prozent sein. – In der Weltwirtschaft
wird sich die Macht nicht verschieben. Sie hat es bereits getan.
+41 (0)71 220 84 11 info@issg.ch www.issg.ch
34 // ECO: TrendspottingCO N T R O L L NO
Her mit den
1 Daten!
2
Google, iPhone, Kundenkarten
3 4 – unsere Abhängigkeit von
undurchschaubaren Maschinen und Algorithmen nimmt zu.
Meist sind die Interaktionsmuster vorgegeben: Bei Facebook zum
Beispiel findet sich nur der «Like-Button», für Missfallen gibt es
keinen Knopf. Nun merken aber immer mehr Leute, dass sie für
die kostenlosen Dienste mit ihrer Unabhängigkeit bezahlen. So
wächst denn auch die Kritik früher Netz-Propheten wie Douglas
Rushkoff («Program or be programed») oder Jaron Lanier («You
are not a gadget»). Und junge Nutzer wollen sich dieser Herrschaft
entziehen, indem sie sich dem offeneren Betriebssystem Android
zuwenden oder Facebook-Alternativen wie Diaspora. Der Pirate-
Bay-Mitbegründer Peter Sunde tüftelt sogar an einem neuen
Internet-Verzeichnisdienst, der das Netz weniger kontrollierbar
machen soll. Und der amerikanische Vordenker Doc Searls
propagiert als Reaktion auf Kundenbindungs-programme
mit Customer Relationship Management (CRM) ein Vendor
Relationship Management (VRM): Kundenbefreiungsprogramme
«Als Reaktion wehren sich immer mehr Männer; gegen den
Verlust patriarchaler Privilegien, oder, je nach Blickwinkel, für echte Gleichberechtigung.»
wie Bynamite, die dem Nutzer die Kontrolle über alle persönlichen
Information geben, die Werbetreibende sehen.
Emannzipation
Der Geschlechterkampf ist in eine neue Phase getreten. Das
erotische Kapital, traditionell eine Frauendomäne, gewinnt in
Politik und Wirtschaft an Bedeutung. Zunehmend erlangen Frauen
Führungspositionen, in der Schweiz stellen sie im Bundesrat die
Mehrheit, und in den Vereinigten Staaten ist eine Präsidentin
denkbar. Bildung ist zur Frauendomäne geworden, der Anteil an
Universitätsabsolventinnen liegt in weiten Teilen des Westens
über 50 Prozent. Das Schulsystem wird von Frauen geprägt,
der Unterricht hat sich auf Primarstufe stärker den weiblichen
Bedürfnissen angepasst. Knaben wird sehr viel häufiger Ritalin
verschrieben als Mädchen – damit sie, so eine These, ins weibliche
Schulsystem passen. Staatliche Gleichstellungsämter betreiben
in erster Linie Frauenförderung, Quoten und Qualifikationen
NO
CO N T R Ound
1 2
3 4
geraten in Widerspruch. Als Reaktion wehren sich immer mehr
Männer; gegen den Verlust patriarchaler Privilegien, oder, je nach
Blickwinkel, für echte Gleichberechtigung. Und einzelne
nennen sich gar offen «Antifeministen». Streit ist unvermeidlich,
etwa um Sorgerecht, Militärdienst oder Rentenalter. Eine
Entschärfung der Rollenkonflikte ist nicht in Sicht.
Cyberkrieg
Computer hacken, Software cracken, Viren bauen, Server
abschiessen, Netzwerke überfluten – Machtdemonstrationen
im Internet waren lange die Domäne weniger Technikfreaks.
Das ist vorbei. Die Online-Aktivisten rund um das Anonymous-
Kollektiv zum Beispiel bieten in ihrem Kampf für Wikileaks
kleine Programme zum Download an. Mit diesen sogenannten
AnonOps kann jeder auch ohne Programmierkenntnisse an einem
Hackerangriff teilnehmen. LOIC etwa, eine Software die Server in
die Knie zwingt, wird so angepriesen: «Runterladen, Zieladresse
eingeben und Zisch» – der «Attack-Button» als Pendant zum «Like-
Button». Im Arsenal des Cyberkriegs sind solche Apps die Molotow-
Cocktails: die Bomben des kleinen Mannes. Und es sind nicht ihre
einzigen Waffen, auch Twitter oder Whistleblower-Plattformen
wie Wikileaks unterstützen Nobodys und Unterdrückte auf ihren
Kreuzzügen: Schandtaten werden mit Lichtgeschwindigkeit
publik, Protestbewegungen formieren sich mit Pixelseile. Ein
neues Powerplay.
Ohnmächtiges Geld
Die vergangenen Jahrzehnte sahen einen weltwirtschaftlichen
Machtkampf um den Status der globalen Reservewährung:
Der Dollar, als Währung der Supermacht USA, musste seine
Spitzenstellung erst gegen den Yen und dann gegen den Euro
verteidigen. Zuletzt begaben sich auch der chinesische Renminbi
L L die IWF-Währung Sonderziehungsrechte in Startposition.
Parallel dazu verlieren alle nationalen Währungen an Bedeutung.
Denn dass die vielerorts massiv gestiegenen und steigenden
Staatsschulden überhaupt je zurückbezahlt werden, ist immer
unwahrscheinlicher. Es sei eine Frage der Zeit, bis die bestehenden
 ECO: Trendspotting // 35

Währungs-Monokulturen durch Währungs-Ökosysteme ersetzt

werden, prophezeit Douglas Rushkoff. Schon heute besteht
Bitcoin als digitale Währung, die auf einem Netzwerk ohne
zentrale Autorität aufbaut. Überweisungen geschehen ohne
Banken oder andere Dienstleister und können von Dritten weder
kontrolliert noch verhindert werden. Über kurz oder lang bedeutet
der Niedergang der nationalen Währungen einen drastischen
Machtverlust der Nationalstaaten.
Neuer Hunger
Klimawandel bedeutet Ernährungswandel, das belegt die
Geschichte. Selbst für Länder, die den Überfluss gewohnt
waren, dürfte ein globalisierter Agrarmarkt bald nicht mehr
zwingend Verfügbarkeit bedeuten. Das Bevölkerungswachstum,
der zunehmende Bedarf an Biosprit, immer extremere
Wetterereignisse sowie ein steigender Fleischkonsum in
Schwellenländern verschärfen Knappheiten. Zudem können
Ernteausfälle, Exportbeschränkungen, ein hoher Ölpreis, aber auch
Börsenspekulationen den Markt heute innert kurzer Zeit aus dem
Gleichgewicht bringen – das hat die Lebensmittelkrise der Jahre
2007/08 gezeigt: Die Regierungen reagierten mit Egoismus, Food
Security stand auf der politischen Agenda zuoberst. Auch hier
gilt: Wo’s weniger gibt, wird lauter gestritten. Und der Mächtigere
gewinnt.
Aussteiger
Die Do-it-yourself-Bewegung wächst seit einiger Zeit rasant.
selber kocht, näht, baut oder repariert, schafft sich einen kleinen
persönlichen Freiraum. Statt gegen oder um die Macht
in globalen Systemen zu kämpfen, versuchen immer mehr Leute,
sich ihr auf diese Weise zu entziehen.
Die Psychologie der Macht
Bleibt die Frage, warum Menschen überhaupt nach Macht
streben – und wie. Psychologen erklären, dass sie sich gut
anfühle, Freude und Stolz auslöse, währenddem Machtlosigkeit
Niedergeschlagenheit, Ehrfurcht oder gar Scham hervorrufe.
Zudem beflügelt Macht: Die Welt sieht einfacher aus, andere
Personen werden flüchtiger wahrgenommen. Macht erlangt,
wer das nötige Können, das Wissen und Geschick besitzt; vor
allem aber auch, wer den Willen zur Macht hat. Wobei Macht
nicht gefährlich oder böse sein muss. Vielmehr ist sie eine
Voraussetzung, um andere schützen und fördern zu können. Die
Gefahr der Macht liegt denn auch in ihrem Potenzial: Der grössere
Spielraum und fehlende Sanktionssysteme sind ein Nährboden
für persönliche Bereicherung und Rücksichtslosigkeit. Mächtige
umgeben sich oft mit Gleichgesinnten und Mitläufern, verlieren
(mehr oder weniger) grandios scheitern. ,...
dadurch den Realitätskontakt bis sie sich total verschätzen und

Der Trend ist nicht bloss eine Folge der Finanzkrise, in der Weitere Infos zum Trendradar des Gottlieb Duttweiler Instituts
das Geld für bestimmte gefertigte Produkt nicht mehr reichte. unter: http://www.gdi.ch
Vielmehr ist sie auch Ausdruck einer Rückeroberung des eigenen
Alltags. Selbermachen verspricht Kontrollgewinn, reduziert
Abhängigkeiten und vermittelt das gute Gefühl von Stärke; wer
produziert, statt konsumiert, fühlt sich mächtiger. Und wer

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36 // Editorial
 ECO: Innovation // 37

„THEY
ARE VERY
HAPPY“ Autorin: Brigitte Järmann
Bild: Stefan Grob
Seit gut anderthalb Jahren gibt es in St.Gallen eine International School – eine
weltumspannende Privatschule mit einheitlichem Grundkonzept. Die Schule
ist hauptsächlich für Kinder gedacht, deren Eltern ihren Wohnsitz am globalen
Arbeitsmarkt ausrichten wollen oder müssen. Gehört über die International School
St.Gallen (ISSG) haben wir viel. Nun wollten wir uns vor Ort selber einen Eindruck
über den Alltag in der ISSG verschaffen. Und über die Menschen, die dort ein- und
ausgehen.

Es ist ein trüber, nasskalter Januartag. Der Garten der
altehrwürdigen Villa am Höhenweg 1 auf dem St.Galler Rosenberg
ist tief im Winterschlaf versunken. Nur der Wind, der mit den
verdorrten Blättern spielt, haucht der Vegetation so etwas wie
Leben ein. Das Haus, in dem sich die International School
St. Gallen einquartiert hat, ist mehr Kunterbunt denn Villa:
Die Innendekorateurin liess sich nämlich von Pippi Langstrumpf
inspirieren. Und das sieht dann zum Beispiel so aus:
Im Entrée steht eine schwere, uralte Holzkiste, die
bis oben mit Kissen beladen ist. Eine schwarzgetupfte Theke
stilisiert das Pferd «Kleiner Onkel». Ein Einbauschrank bietet
zwei Rückzugs-Nischen für die Kids an, kuschelig ausstaffiert
mit weichen Schaffellen und Kissen, derweil Leselampen für eine
gute Sicht sorgen. Einen Stock höher verschafft ein zu einem
duftigen Zelt drapierter Betthimmel ebenfalls Privatsphäre.
Verkehrsleitkegel in Signalfarbe wurden kopfüber zu Abfalleimern
zweckentfremdet, eine rot-weiss-gestreifte Absperrschranke, die
man sonst auf der Baustelle sieht, dient als Hakenleiste für die
Garderobe.
Unsere Führung durch die ISSG geht weiter in die drei
Schulzimmer – Kindergarten, 1. und 2. Klasse sowie 3. bis 6. Klasse.
In jedem Zimmer fällt eine zusammengewürfelte, knallbunte
Reihe von Nachtschränkchen auf. Allesamt Schnäppchen aus der
Brockenstube, Unikate sowohl in Stil und Farbanstrich, wie man
uns erklärt. So einzigartig wie ihre Besitzer auf Zeit, die darin ihre
persönlichen Sachen aufbewahren – die Schülerinnen und Schüler
der ISSG. In jedem Winkel dieser Villa Kunterbunt gibt es etwas
Wunderliches, Witziges, Einfallsreiches zu bestaunen. Man fühlt
sich wie auf einem riesigen Kinderspielplatz.
Wissen aktiv entdecken
Unterrichtssprache an der ISSG ist Englisch. Diese Sprache
ist Voraussetzung für Weltbürger, wie es die Schulkinder und
ihre Familien sind. Die Eltern sind Angehörige dessen, was die
Wirtschaftsverbände unter der «neuen Zuwanderung» verstehen:
Hochqualifizierte Fachleute, die ihre Berufstätigkeit am globalen
Arbeitsmarkt ausrichten.
So wie Lem Clough, der mit seiner Familie vor rund
sechs Monaten von Vancouver ins appenzellische Teufen
gezogen ist. Seine fünf- und sechsjährigen Töchter, Bridget und
Madison, besuchen seither die ISSG. «They are very happy»,
versichert uns der Kanadier. Er erinnert sich gut an seine eigene
Schulzeit: «Damals mussten wir den ganzen Tag die Schulbank
drücken, während der Lehrer einfach den Schulstoff vortrug.»
Das war damals üblich – überall, nicht nur in Kanada. Das
moderne Schulsystem distanziert sich allmählich vom reinen
Frontalunterricht von einst. Dabei geht die ISSG noch einen Schritt
weiter, wie Lem Clough betont: «Hier wird Lernen zum Experiment
und die Kinder sind die Entdecker.»
Beispielsweise im Fach «Unit Of Inquiry», das jeweils
sechs Wochen à sieben Lektionen einem bestimmten Thema
gewidmet ist. Aktuell ist es das Thema Magnetismus, mit dem
 38 // ECO: Innovation

sich die Schülerinnen und Schüler quer über alle Alters- und
Klassenstufen hinweg beschäftigen. Gemeinsam und in
Eigenregie ergründen sie das Phänomen und beleuchten die
Funktion von Magneten sowie deren Sinn und Zweck aus
allen möglichen Perspektiven. Zur persönlichen Recherche
stehen ihnen verschiedenste kindgerechte Bücher auf Englisch,
Französisch und auf Deutsch zur Verfügung. Nach Absprache mit
den Klassenlehrern dürfen die Kinder auch das Internet zu Rate
ziehen. Aber auch die Eltern werden dazu angehalten, zu Hause
jeweils am Freitag während der Zusammenkunft, im «Assembly
all», erzählen, was sie die Woche über dazugelernt haben. Neben
den Spezialfächern werden an der ISSG natürlich auch die
üblichen Pflichtfächer aus dem kantonalen Lehrplan unterrichtet.
«Schliesslich muss die Anschlussfähigkeit an eine andere Schule,
auch an die Volksschule, gewährleistet sein», so Preisig.

«Wer Lernen als lustvolles Entdecken wahrnimmt

wird ganz nebenbei auch mit Selbstvertrauen belohnt.»

das Thema in den Alltag einzubinden. So ist es ganz normal, wenn
eines der Kinder plötzlich die Kühlschrankmagnete zur Ansicht
mit in die Schule nimmt.
Neugierde bewahren
Aus eigenem Antrieb etwas entdecken und erfahren, wird an der
ISSG gross geschrieben. Denn was sich ein Kind selber erarbeitet,
hat einen ungleich grösseren Lerneffekt als Gehörtes oder
Gelesenes. Ausserdem macht es den Kindern deutlich mehr Spass.
«Die Herausforderung an Lehrpersonen und Eltern ist es, den
kindlichen Wissenseifer zu erhalten und zu fördern», erklärt
Stefan Preisig, Schulleiter der ISSG. Mit starren Regeln und
Vorgaben von Seiten der Erwachsenen verspielt man sich dabei
viel. «Es ist wichtig, dass die Kinder in ihrer Neugierde bestärkt
werden und sie auf ihre eigene, kreative Weise befriedigen dürfen.»
Immanuel Kant drückte es so aus: «Ich kann, weil ich will, was
ich muss.» Wer Lernen als lustvolles Entdecken wahrnimmt, wird
ganz nebenbei auch mit Selbstvertrauen belohnt. Denn es macht
stolz, etwas herausgefunden zu haben. Darüber zu sprechen
sowieso. Deshalb dürfen die Schülerinnen und Schüler der ISSG
essenzium
Einen weiterer Schwerpunkt legt das Schulkonzept der
ISSG auf die persönlichen Fähigkeiten und Werte, welche den
Kindern – von den jüngsten bis zu den ältesten – vermittelt wird.
In jedem Klassenzimmer sind die wesentlichen Aspekte davon als
Gedächtnisstütze an die Wände gepinnt (siehe Textkasten). Zudem
weisen die Lehrpersonen die Kinder immer wieder darauf hin,
wenn sie eine entsprechende Beobachtung gemacht haben. «Bietet
ein Kind einem anderen spontan seine Hilfe an, dann erkläre ich
ihm, dass diese Verhalten dem entspricht, was wir unter «Caring»
verstehen», erklärt Veena Ramsawmy, Hauplehrerin der 1. und 2.
Klasse.
Eltern immer auf dem Laufenden
Die Lehrer erstellen für ihre Schüler individuelle Lernprofile,
die sie stets à jour halten. Diese dienen dem Lehrkörper, den
Eltern und den Kindern selbst als nützliche Orientierungshilfe.
Überhaupt nimmt die ISSG die Eltern stark in die Pflicht. «Als
meine Tochter Angela vergangenen August in den Kindergarten

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kam, musste ich sie einen ganzen Monat lang von 08:30 Uhr bis
12.00 Uhr begleiten», schmunzelt Monika, die ursprünglich aus
Slowenien stammt. Aber sie ist froh darüber, dass die Eltern in den
Schulbetrieb eingebunden werden. Denn trotz aller pädagogischen
und psychologischen Konzepte, an denen sich Lehrerschaft und
Schulbehörden orientieren, sind es in erster Linie die Eltern, die
für ihre Kinder die Verantwortung tragen. «Die ISSG gibt uns
ein Mitspracherecht und bezieht uns aktiv mit ein. Das verlangt
uns Eltern zwar viel Zeit ab. Aber wir wissen immer, was in der
Schule gerade läuft und pflegen eine vertrauensvolle Beziehung
untereinander, mit der Schulleitung und den Lehrern», erzählt
Monika.
Eine grosse Familie
Überhaupt ist der Umgang an der ISSG erstaunlich entspannt
und familiär. Schulleitung, Lehrer, Eltern und Kinder – sie alle
begegnen sich stets auf Augenhöhe. Das bestätigt auch Monika.
Die Schulzeit ihrer mittlerweile erwachsenen Söhne hat sie dazu
bewogen, ihr Nesthäkchen an eine Privatschule zu geben. «Einer
meiner Söhne wurde früher von seinen Schulkameraden massiv
gehänselt, und er litt schrecklich darunter», berichtet die Mutter.
Besonders stossend findet sie, dass dies auf dem Schulhof von den
Lehrpersonen offenbar unbemerkt blieb. «Die hatten einfach zu
viele Kinder zu betreuen und zu wenig Zeit, sich um die einzelnen
zu kümmern».
Aber ist Hänselei unter den Schülern an der ISSG
tatsächlich ein Fremdwort? Weil die Zahl der Kinder überschaubar
ist? Weil die ISSG den Eltern mehr Verantwortung überträgt, als
eine Volksschule dies tut? Ein anderer entscheidender Faktor
ist die unterschiedliche Herkunft und Kultur der Schülerinnen
und Schüler. Unter den Kindern gibt weder eine Mehrheit noch
eine Minderheit. Somit kann sich auch keine Gruppe bilden, die
eine andere ausschliesst. «Die Kinder suchen hier nicht nach
Unterschieden, davon gibt es einfach zu viele. Dafür finden
sie den gemeinsamen Nenner», weiss Stefan Preisig. Selbst
die Altersunterschiede unter den Schülerinnen und Schülern
an der ISSG führt nicht zu Spannungen. Im Gegenteil: Es ist
beeindruckend zu sehen, wie sich die älteren Kinder um die
jüngeren Kinder kümmern, ihnen bei schulischen Fragen helfen
oder bei Bedarf eine tröstende Schulter anbieten. Die ISSG ist eben
wie eine grosse Familie. Ein Eindruck, der sich auch während des
Mittagessens ausdrückt: Kinder, Lehrer und Schulleitung, sie alle
setzen sich gemeinsam an einen Tisch.
Die ideale Schule?
Allmählich drängt sich die Frage auf, ob die ISSG so etwas
wie die ideale Schule verkörpert. Nun, das lässt sich so nicht
sagen. Ebenso wenig, wie sich alle Menschen und Lebenspläne
über einen Kamm scheren lassen. Die ISSG ist nur eines von
verschiedenen gültigen pädagogischen Konzepten. Und damit
spricht sie Bedürfnisse an, die nicht alle Kinder respektive deren
40 // ECO: Innovation
Eltern in gleichem Masse teilen. Die ISSG steht grundsätzlich
zwar allen offen, hauptsächlich richtet sie sich aber an Kinder von
Eltern, die sich in ihrem Lebensplan nicht auf ein einziges Land
beschränken möchten (oder können).
Das Grundkonzept der ISSG liefert die «International
Baccalaureate® Organisation» (IBO), der sich weltweit über 3000
Schulen angeschlossen haben und die sich für ein einheitliches
Wissensniveau ihrer Schülerinnen und Schüler einsetzt. Das ist
insbesondere bei einem Umzug in ein anderes Land von grosser
Bedeutung: Die Kinder können innerhalb einer IBO zertifizierten
Schule jederzeit an ihre bisherige Schulbildung anknüpfen.
Ergänzend zum Konzept der IBO fliessen an der ISSG auch die
Werte mit ein, die das «Haus des Lernens» (SBW) in Romanshorn
für alle ihre Lernhäuser definiert hat. Denn auch die ISSG ist
organisatorisch und rechtlich der SBW-Gruppe angegliedert.
«Wobei sich das Konzept in vielen Punkten mit dem der IBO deckt.
Etwa das autonome Lernen oder der respektvolle Umgang mit den
Menschen und der Natur», erklärt Stefan Preisig.
Unser Besuch hat es nach sich gezogen, das Bild von
der ISSG zu revidieren, das wir ihr mangels Erfahrung leichtfertig
unterstellten: Das Bild einer nüchtern durchgestylten Schule, von
zugeknöpften Erwachsenen und verhätschelten Upper-Class-
Kids. Die ISSG hat nichts mit elitärem Gehabe zu tun. Sondern mit
einem Welt- und Menschenbild, das von gegenseitigem Respekt
über alle Klassen hinweg geprägt ist.
Die Kinder an der ISSG wissen, dass sie des Status
ihrer Eltern wegen privilegiert sind. Sowohl der Schulleitung und
Lehrerschaft, als auch den Eltern ist es ein grosses Anliegen, dass
die Kinder das zu schätzen wissen, dabei aber stets auf dem Boden
bleiben.
Anschubfinanzierung als Beitrag zur
Wirtschaftsförderung
Die Gründung der ISSG war wegen der Anschubfinanzierung
von der öffentlichen Hand von harscher Kritik begleitet.
Etwa die, St.Gallen würde die Grenzen der Bildungs- und der
Standortpolitik verwischen. Auch stellte sich die Frage, ob
St.Gallen überhaupt eine International School brauche, zumal
bereits mehrere Privatschulen in der Stadt angesiedelt sind.
Dazu der St.Galler Stadtpräsident Thomas Scheitlin: «Für uns
schliessen sich Bildungsstandort und Wirtschaftsstandort nicht
aus. Mit der ISSG bietet St.Gallen nun eine Schule, die in Englisch
und gemäss einem internationalen Lehrplan unterrichtet. Für
international ausgerichtete Unternehmen gehört ein solches
Angebot mittlerweile zu den wichtigsten Kriterien bei einem
Standortentscheid.»
Das war auch beim US-Chemie-Konzern Sigma-
Aldrich der Fall, der hier soeben seinen Betrieb aufgenommen
hat. Die ISSG spielte bei der geplanten Ansiedlung in St.Gallen
das Zünglein an der Waage. Schon Monate vor der Eröffnung
der Schweizer Niederlassung lagen bei der ISSG bereits zwei
Neuanmeldungen vor, weitere werden folgen. Denn Sigma-Aldrich
erwartet insgesamt 50 Führungskräfte aus ganz Europa, die
dem Unternehmen im Laufe dieses Jahres nach St.Gallen folgen
werden. «Das beste Beispiel dafür, dass sich die Investition in die
ISSG für St.Gallen gelohnt hat», freut sich Simon Dörig, Marketing-
 Bürowelt Schiff AG

24 Stunden erreichbar
Koordinator bei SBW. Die ISSG hat der Stadt aber auch einen
www.schiff.ch
indirekten Nutzen gebracht: «Neu sind in St.Gallen multilinguale
Kinderkrippen und Tagesstätten am Entstehen. Neben der

Arbeitsplätze», so Thomas Scheitlin.

,...
Ansiedlung neuer Firmen eröffnet sich auch ein neues Feld für

Weitere Infos unter: www.issg.ch

Die Schüler der ISSG streben folgende Fähigkeiten

und Werte an:

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Sie bewahren ihre natürliche Neugier und schätzen das Online Shop für
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Thinkers:
Sie denken kritisch und kreativ. Ihre Entscheidungen treffen
sie überlegt und nach ethischen Massstäben.
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ausdrücken. Dabei zeichnen sie sich durch ihre Teamfähigkeit aus.
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einen ausgeprägten Sinn für Fairness. Sie respektieren sowohl die Notizbücher
Würde eines Einzelnen wie die der Gesellschaft insgesamt.
Open-minded:
Sie kennen die eigene Persönlichkeit und verstehen sie im
Zusammenhang von Kultur und persönlicher Lebensgeschichte.
Deshalb sind sie offen gegenüber anderen Werten, Kulturen und
Traditionen und sind in der Lage, ihrer eigenen Sichtweise andere
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Mit Neugier, Mut, aber auch mit der gebotenen Vorsicht, lassen
sie sich auch auf ungewohnte Situationen, neue Ideen und
Strategien ein.
Balanced:
Sie wissen, wie wichtig geistiges, körperliches und seelisches
Gleichgewicht ist und kümmern sich um ihr eigenes Wohlergehen
sowie das Wohl anderer Menschen.
Reflective:
Sie reflektieren ihr Lernen und kennen ihre Stärken und
Schwächen. Dieses Wissen setzen sie für ihre persönliche
Weiterentwicklung ein.
42 // ECO: Moderne Arbeit
ZEIT
ALS
WÄHRUNG
Das liebe Geld. Es gehört zu unserem Alltag, wie das tägliche Zähneputzen.
Auch wenn der Franken mal stärker, mal schwächer ist und der Euro gar
launisch vor sich hindümpelt. Alternativen hat nur, wer an einer Zeitbörse
teilnimmt – und bereit ist, freiwillig zu arbeiten.
Der Euro kriselt vor sich hin und der starke Franken setzt den
Exporten nach wie vor ganz schön zu. So sehr, dass die Schweizer
Exporteure anfangs Jahr mit ihren Zulieferern vereinbarten, in
Euro abzurechnen. Dazu schrieb der «Sonntag», der Euro werde
zur Parallelwährung und lindere so die Währungsverluste der
Exportunternehmen. Und Ivo Zimmermann, der Sprecher des
Maschinenbauverbandes Swissmem, bezeichnete die Praxis als
das, was sie tatsächlich ist: ein Novum.
Zeit bleibt Zeit
Nicht ganz so neu und deshalb in so genannten Tauschringen
bereits etabliert, ist Zeit als Alternativwährung. So auch an der
Zeitbörse, die der Freiwilligenverein Benevol in St. Gallen und
Umgebung organisiert. Deren Mitglieder handeln seit über drei
Jahren mit der Währung, die keinen Deut schwankt, sondern
gleichförmig vor sich hintickt: Eine Stunde bleibt eine Stunde.
Und dieses einfache Prinzip nutzen die Zeitbörsianer aus: Wer
beispielsweise jemandem während zwei Stunden die Wäsche
bügelt, bekommt diese Zeit auf seinem Konto gutgeschrieben.
Mit den angesparten Stunden kann man sich anschliessend die
Steuererklärung von einer anderen Person ausfüllen oder die
Wäsche bügeln lassen. Jede Arbeit ist gleichwertig; es kommt
allein auf die Zeit an, die stets im Verhältnis eins zu eins getau-
scht wird. Dabei lernt man Leute kennen, knüpft Netzwerke
und scheffelt soziales Kapital. Wohl nicht zuletzt deshalb findet
die Idee rund um den ganzen Erdball Anhänger: Hunderte von
Time Banks, Tauschringen und Zeitbörsen sind während der
Autor: Reto Zanettin
Bild: Stefan Grob
letzten 20 Jahre in den USA, Grossbritannien, Japan, Chile, Israel,
Italien, Spanien, Portugal, Deutschland oder eben in der Schweiz
entstanden.
Eine Zeitbörse für KMU?
Erfahrungsgemäss funktionieren Zeitbörsen ausgesprochen
zuverlässig. Denn die Mitgliedschaft ist freiwillig; das System
schafft Vertrauen und sorgt für Transparenz: «No one is
anonymous in a Time Bank, so people don’t cheat», liest man
in den FAQ von Timebanks USA (http://www.timebanks.org).
Daher und angesichts der währungspolitischen Krise müssten
Zeitbörsen doch auch für Unternehmen attraktiv sein, oder? «Nein,
ganz grundsätzlich nicht», wehrt Sonja Müller, Geschäftsführerin
des Einstein Fitnessparks ab. Denn die Leistungen seien ja
kaum vergleichbar: und «98% aller Menschen gehen zwar zum
Coiffeur. Aber Aerobic-Stunden sind ja in dem Sinne nicht
lebenswichtig. Darum kann man die Angebote nicht eins zu
eins verrechnen.» Anders sieht man es beim Grand Coiffeur
Strauss, der grundsätzlich bereit wäre, an einer Zeitbörse für
KMU mitzumachen. Allerdings auch nur, wenn «wir wüssten,
wie eine solche Zeitbörse genau funktioniert, welche Angebote
es überhaupt gibt, welche anderen Geschäfte dabei sind und so
weiter. Wir würden kaum zu den Pionieren gehören.» Die Vertreter
der St.Galler KMU gehen also mit Vorsicht auf die Idee
der Zeitbörse zu. Ganz ähnlich wie ihre Kollegen im
internationalen Umfeld. Obschon: Dort gibt es Ansätze, auch
Organisationen durch Zeitbörsen miteinander zu vernetzen.
Zeit als Währung der Freiwilligenarbeit
«Um die bezahlte Arbeit nicht zu konkurrieren, sollten grund-
sätzlich keine Angebote aus dem eigenen Beruf angeboten
werden», lautet ein Grundsatz der St.Galler Zeitbörse. Denn wer
mitmacht, verdient kein Geld, muss also bereit sein, freiwillig zu
arbeiten. Genau das tun Non-Profit-Organisationen, die sich in den
Time Banks anderer Länder engagieren. Es gibt zwei Modelle: Bei
der Co-Produktion arbeiten Bürgerinnen und Bürger im Interesse
einer Organisation. Zum Beispiel leisten sie Pflegedienste in
Heimen, übernehmen administrative Arbeiten für Mieterverbände
oder helfen, Spenden-Mailings zu versenden. Die geleisteten
Stunden berechtigen dann, an lokalen Veranstaltungen, Kursen
und anderen Freizeitaktivitäten teilzunehmen. Wachsendem
Interesse erfreut sich auch ein Modell, nach dem Organisationen
untereinander Ressourcen und Kompetenzen tauschen, z.B.
Konferenzräume gegen Firmenautos oder einen Minibus gegen
Unternehmen am Time Banking geschnuppert, zogen sich
aber wieder zurück, wie Martin Simon, Founding Advisor bei
Timebanking UK, berichtet.
Fazit: Ob zwischen Organisationen oder zwischen
Privatpersonen, Zeit ist – und bleibt wohl auch – die Währung
der Freiwilligenarbeit. Dies jedoch mit Erfolg. Wo Zeitbörsen
entstehen, wachsen Netzwerke, die sogar öffentliche Güter und
Dienstleistungen – Gesundheit, Verkehr, Bildung – bereitstellen
und so zur Lebensqualität in Gemeinden und Städten beitragen.
auch in der Schweiz. Und in St. Gallen. ,...
Dies nicht nur in den USA und im Vereinigten Königreich, sondern

eine Software-Schulung. In die Praxis umgesetzt ist dieses Weitere Informationen: Zeitbörse in St. Gallen und Umgebung:
Modell bereits in Gloucestershire, einer Grafschaft im Südwesten http://www.zeitboerse.ch
Englands. Und auch in Wales erproben einige NPO eine Zeitbörse
für Organisationen. Zwar haben auch gewinnorientierte

Die Complecta ist nicht einfach eine Agentur. Wir verstehen uns viel mehr als Business-
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44 // CULT: History

RI-RI
MADE IN
SG 9000 Autor: Rolf Wirth
Illustration: Mario Romano
Als Dr. Martin Othmar Winterhalter 1961 auf dem Friedhof Feldli in St.Gallen
bestattet wurde, fand ein abenteuerliches Leben sein tragisches Ende. Der
Erfinder des Ri-Ri-Reissverschlusses führte ein Leben, das geprägt war von
Genialität und Sturheit, von Reichtum und Mittellosigkeit.

Martin Othmar Winterhalter wurde am 4. Mai 1889 in St.Gallen-
Tablat als jüngstes von sieben Kindern geboren. Schon als
Jurastudent an der Universität Leipzig gelang dem Tüftler eine
erste Erfindung: eine Bandage gegen Bruchleiden. Ursprünglich
gegen sein eigenes Leiden produziert, fand die Bandage
überraschend guten Absatz bei der Kundschaft. Die Produktion
wurde ausgeweitet und Winterhalter hätte ein ruhiges Leben mit
sicherem Einkommen führen können. Doch der findige Geist aus
St.Gallen strebte mehr an als nur ein angenehmes Leben – und
er musste nicht mehr lange warten. Sein Moment kam 1923,
als der US-Amerikaner Guideon Sundback die Schweiz bereiste
und eine Erfindung für die Textilindustrie verkaufen wollte: Ein
neues Verfahren zur Herstellung lösbarer Verbindungen mittels
konnte und innert kurzer Zeit einen weltweiten Siegeszug antreten
sollte: Eine lösbare Metallverbindung mit Rippen und Rillen, kurz
und prägnant «Ri-Ri» genannt. Eine erste Fabrik in Wuppertal
produzierte schon 1925 täglich rund 10’000 Meter am Laufband,
1928 wurden Filialen in Luxemburg, Mailand und St.Gallen
gegründet und weitere Patente zur maschinellen Produktion
angemeldet. Winterhalter war mit Ri-Ri äusserst erfolgreich –
die Produkte fanden reissenden Absatz. Er reiste in die ganze
Welt und bald produzierten Dutzende von Fabriken den Ri-Ri-
Reissverschluss in Lizenz.
Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 wollte der
deutschte Fiskus die Ri-Ri-Fabrik in Wuppertal wegen angeblicher
Steuer- und Devisenvergehen unter staatliche Obhut stellen. Damit

«Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 wollte der deutsche

Fiskus die Ri-Ri- Fabrik in Wuppertal unter staatliche Obhut stellen.»

Kugelgelenken und Klemmbacken. Die Textilbarone St.Gallens
hatten dafür zwar kein Gehör, doch Othmar Winterhalter erkannte
schnell die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, die sich durch einen
einfachen Schliessmechanismus in der Industrie ergaben.
Weitsicht und Tüftelei gebären Ri-Ri
Winterhalter kaufte für wenig Geld Sundbacks Patent und fing
an, die Erfindung systematisch weiterzuentwickeln. Schliesslich
lag ein Produkt vor, welches serienmässig hergestellt werden
war Winterhalter nicht einverstanden und in einer Nacht- und
Nebelaktion verfrachtete er seinen kompletten Maschinenpark
kurzerhand auf die verfügbaren Lastwagen und fuhr damit nach
Mendrisio. Dieses Unterfangen war je nach Betrachtungsweise
sehr mutig, tollkühn oder selbstmörderisch. Tatsächlich aber
war Winterhalter durch seine guten Beziehungen und seinen
Reichtum in der Lage, die notwendige Transportlogistik und die
umfangreichen Formalitäten in kürzester Zeit zu organisieren.
In Mendrisio wurde die Reissverschlussproduktion schliesslich
wieder aufgenommen. Winterhalter verlegte nun auch seinen
Wohnsitz in den Tessin und baute in Vita-Morcote am Seeufer
einen mondänen Palazzo mit dem Namen «Ri-Rita». Dazu besass er
über Melide einen Sommersitz, das Chalet S. Grato,
samt Gutsbetrieb.
Dramatischer Wendepunkt im Leben
Winterhalters
Das Leben schien es gut mit Othmar Winterhalter
zu meinen, wenigstens bis 1935. In jenem Jahr
erlitt er einen schweren Skiunfall, wahrscheinlich
mit einer Gehirnquetschung. Sein Leben geriet
nachher so ziemlich aus dem Gleichgewicht. Vielleicht
war dieser Unfall auch Ursache für die späteren
Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken. Eine andere
Theorie geisterte in der Presse herum: Nachdem
Winterhalter keine direkten Erben hatte, folgerten
manche Journalisten, dass seine Geschwister ihren
verschwendungssüchtigen Bruder in Anstalten
«versorgen» wollten, um sein riesiges Vermögen
zu erhalten. Tatsächlich gab seine reichlich
unorthodoxe Lebensweise der damaligen
Gesellschaft Anlass genug, in ihm einen
wenn nicht Geisteskranken, so doch einen
etwas verrückten Zeitgenossen zu sehen. Er tat, was
ihm gefiel, feierte das Leben und tat alles immer mit
grossen Gesten. Daneben sponserte er auch grosszügig
verschiedene religiöse und pseudowissenschaftliche
Gruppen. Kurz, er gab das Geld mit vollen Händen aus.
Und auch in der Wahl seiner Lebensgefährtinnen war
er auf Abwechslung bedacht. Nach der Scheidung von
seiner ersten Frau hatte Winterhalter verschiedene
junge Begleiterinnen. Heiraten sollte er aber nicht mehr.
Ein erstes Mal im Irrenhaus
Um das Jahr 1941 stellten Winterhalters Ärzte gewisse
neurotische Krankheitssymptome fest. Er begab sich
daraufhin auf Anraten einer Bekannten in ambulante
Behandlung von Psychiatern und Neurologen. 1945
verbrachte er einen ersten kurzen Aufenthalt in der
Heil- und Pfleganstalt Mendrisio, welchem in den
späteren Jahren Aufenthalte in verschiedenen Kliniken
in der Schweiz und im Ausland folgten. Winterhalters
Geschwister forderten Ende der Vierzigerjahre die
Einlieferung Winterhalters in eine psychiatrische
Klinik, aufgrund seines «verschwendungssüchtigen
Charakters und seiner Schizophrenie». Am 16. Januar
1949 wurde der Ri-Ri-Erfinder von zwei seiner
eigenen Fabrikdirektoren und einem Arzt in der
Villa Ri-Rita im Tessin überwältigt, betäubt und
nach Zürich überführt. Durch Vermittlung seines
Bruders Beat, der auch in dieser Situation noch zu
ihm hielt, kam er bald wieder frei, wurde aber von nun
an unter Vormundschaft gestellt. Die Leitung seiner
Unternehmen musste er abgeben.
Verhängnisvoller Plan eines «Verrückten»?
Doch Othmar Winterhalter wollte seine Fabriken
zurück. Dafür erdachte er sich einen ungeheuren
Plan. Er wollte über ausländische Strohmänner fiktive
Millionenaufträge an seine ehemalige Firma erteilen,
die Rechnungen dafür aber unbeglichen lassen, um
so das Unternehmen in den Konkurs zu treiben. Sein
Ziel war es, die wertlose Firma dann wieder aus dem
Ausland aufzukaufen und unter seine Kontrolle zu
bringen. Sein Plan misslang. Winterhalter hatte damit
nicht nur hoch gepokert, sondern seinen Gegnern
scheinbar auch den endgültigen Beweis für seine
Geisteskrankheit geliefert. Ende 1949 wurde er von der
Polizei verhaftet und in die Basler Anstalt Friedmatt
überführt. Dort blieb er allerdings nur wenige Tage,
da er mit Hilfe seiner jungen Privatsekretärin und
Geliebten fliehen konnte. Nachdem diese Beziehung in
die Brüche gegangen war, lebte Othmar Winterhalter
allein. Im Herbst 1950 wurde er mit der bereits früher
konstatierten Diagnose «Paranoide Schizophrenie»
in eine Konstanzer Klinik eingewiesen. Noch einmal
versuchte er die Flucht, wieder von einer jungen
Sekretärin unterstützt. Aber auch dieser Fluchtversuch
scheiterte – verschiedene Zeitungen berichteten
ausführlich darüber.
Nach 1951 drangen keine Nachrichten
mehr über Winterhalter an die Öffentlichkeit. Sogar
sein Anwalt durfte ihn nicht mehr sprechen. Er starb
zehn Jahre später in der Klinik. Sein märchenhaftes
Vermögen hatte sich in nichts aufgelöst. Die Ri-Ri-
Reissverschlüsse hingegen werden bis heute weiter
produziert.
Der Text stammt von Rolf Wirth, dem ehemaligen
Ratsschreiber der Ortsbürgergemeinde St. Gallen. ,...
46 // STYLE: Schöne Dinge

NIC
3_

5_

4_

THI
2_

1_

1_ ECLÉPENS, 2-plätzig mit Rücken, Bezug 100% Polyester,

Gestell Aluminium Design by Adrien Rovero, Möbel Pfister, CHF 1989.–
2_ Weekender, Canvas Recycling mit Leder, CRIZ St.Gallen, CHF 148.–
3_ Collection Johannes, Unisex-Ringe, Onyx CHF 760.–,
Rosagold CHF 2880.–, Weissgold mit Brillanten CHF 3480.–,
Silber CHF 660.–, Eveline Frischknecht fine jewellery, St.Gallen
4_ Conceptum Notizbücher von Sigl, div. Grösse und Modelle, ab CHF 17.90, Papeterie Schiff
5_ Kaweco Liliput Füllhalter schwarz CHF 48.–, Liliput Kugelschreiber silber CHF 35.–, Papeterie Schiff
6_ Damensonnenbrille Rickie Tom Ford, Metallfassung, CHF 498.–, Külling Optik St.Gallen
7_ Hängeleuchte Discocó, 35 Polycarbonatscheiben, Kugel Edelstahl poliert, (4 Gr.: 35, 53, 88, 132 cm),
Grösse 53 cm, weiss CHF 830.–, Raumlichtkunst St.Gallen
8_ Diesel Herrenuhr, DZ 1408, Stahl matt & glänzend mit IP Platingold, CHF 498.–, im Fachhandel
9_ Elektrische Jazzgitarre, Godin 5TH Avenue CW Kingpin II, Canadian Wild Cherry mit Silver Leaf Maple Neck,
Farbe Cognac Burst, CHF 1498.–, Musikhaus Bachmann St.Gallen
10_Ring in Silber 925 und Gelbgold 750 mit Mable-Perle, CHF 2700.–, Rene's Atelier für Schmuck
11_Cartier Pokerset, Teakholzschatulle, Chips aus Spezialkunstoff, CHF 655.–, cartier.com
12_Herrensonnenbrille Felix Tom Ford, Metallfassung, CHF 475.–, Külling Optik St.Gallen
13_Herrenuhr Marvin, Stahl 42 mm, Automatisch, Saphierglas, Opalin gekörnt, schwarz, CHF 2000-2999.–, im Fachhandel
6_

CE
_8

7_

ING
_ 10

9_

1_

_ 11

12 _

_ 13
48 // STYLE: Wohntrends

KEIN
STANDARD
BITTE Stephan Troll: Troll Interiors
Bilder: Anna-Tina Eberhard | Daniel Ammann
Zurzeit wandelt sich die Einrichtungsbranche in markanter Weise.
Die Zahl grosser Möbelhäuser nimmt seit rund 10 Jahren rasant
zu. Ein neuer Markt entsteht, dessen Anbieter praktisch alle
Gesellschaftsschichten bedienen – und dabei auf viele verschiedene
Bedürfnisse stossen.

Produktpaletten werden breiter, Preise für Einrichtungs-
Gegenstände sinken. Und das weckt das Interesse der Menschen.
Einrichten liegt im Trend. Für schier jedes Bedürfnis gibt ein
Produkt, das den Käufern allerdings nur wenig Spielraum lässt.
Meistens müssen sie zwischen einigen wenigen Varianten eines
Produktes entscheiden. Kurzum: Standards sind eingezogen. Die
logische Konsequenz: Wer seine Wohnung einrichtet, orientiert
sich meist am Katalog oder daran, was er oder sie am Messestand
des Herstellers gesehen hat. So ist man wenigstens sicher, in
Sachen Stil und Ästhetik alles richtig gemacht zu haben. Dies,
obwohl es eigentlich weder richtig noch falsch gibt. Es gibt so
viele Möglichkeiten, eine Wohnung zu gestalten, wie es Menschen
gibt. Schon fast paradox mutet es darum an, dass es trotzdem
Standards gibt.
Dem Kundenwunsch folgen
Als Einrichtungsberater habe ich verschiedene Strategien
entwickelt, um mich und meine Kunden diesem Standard zu
lösen. Zuerst ermittle ich nach dem Ziel, das Kundinnen und
Kunden mit ihrer Einrichtung verfolgen. Am Anfang steht also
die Idee, der Wunsch. Und eben das Konzept, das dann den
gesamten Beratungs- und Kaufprozess begleitet. Erst am Schluss
thematisiere ich, welche Produkte es denn nun konkret sein sollen.

Bild: Jung Von Matt
Immer wieder die Vogelperspektive einnehmen
Viele Leute lassen sich zu sehr von der Wirkung einzelner
Produkte leiten. Sie blenden aus, wie sich der Gegenstand in seine
Umgebung einfügt. Die Enttäuschung macht sich breit, sobald
Sofa oder Salontisch in den eigenen vier Wänden stehen oder der
Parkettboden und die Vorhänge unangenehm ins Auge stechen.
Darum achte ich stets darauf, möglichst unvoreingenommen
zu beraten, zu urteilen und immer wieder die Vogelperspektive
einzunehmen. Wenn ich eine Einrichtung plane, geht es mir stets
darum, die Persönlichkeit meiner Kunden wie auch Architektur
Auf die Bedürfnisse abgestimmter Raum
_ Essbereich befindet sich im zentralen Eingangsbereich
gemäss der Architektur die Idealplatzierung.
_ Gewünschte Farbintegration durch Abstimmung auf
Materialien und vorhandene Kunst.
_ Die Trapezförmigkeit des Raumes wird durch einen runden
Essplatz unterstützt.
STYLE: Wohntrends // 49
Standardwohnzimmer gemäss Studie von Jung von Matt:
_ Sofa in Microfaser 3er und 1er
_ Salontisch in Glas/Metall
_ Wohnwand in Buchedekor
_ Eicheparkett Mosaik (Klötzliparkett)
_ Vorhänge Tüll halbtransparent
www.jvm.ch/wohnzimmer
und Funktionalität eines Raumes in das Konzept einfliessen zu
lassen. Dafür benötige ich allerlei Daten, die ich in einem klar
strukturierten Briefing von meinem Kunden, meiner Kundin
erfahre.
Wenn ich so vorgehe, umgehe ich den Standard und
ermögliche es meiner Kundschaft, sich in ihrer neu eingerichteten
Wohnung wieder zu erkennen und wohl zu fühlen. Und darum geht
es doch. Sind es doch gerade die eigenen vier Wände, in denen man
,...
sich selbst sein kann. Wie schade wäre es also, wenn man sich
gerade hier einem Standard unterwerfen würde.
_ Der Schwarz-Weiss Kontrast der Produkte verstärkt die
Eigenwirkung der primären Farben.
_ Sehr pflegeleichte Möbel aus Kunststoff und lackierten
Oberfläche für einfaches Handling in der Wohngemeinschaft.
_ Stabparkett englisch verlegt aus Eiche geräuchert.
50 // STYLE: Kolumne
STRUMPF
WIE
HOSE
Was bin ich froh, haben wir den Winter überstanden! Nicht
etwa wegen den vereisten Strassen, den schmerzhaft hohen
Heizkosten oder den hektischen Feiertagen. Nein. Wegen der
lästigen Frage: «Was ziehe ich drunter an?»
Zwar haben die Leggings in nahezu jeder weiblichen Garderobe
Einzug gehalten. Dennoch dominiert die Strumpfhose seit
den 60er Jahren das hiesige Strassenbild. Aber was sage ich?
Dominiert? Dirigiert! Denn die «Hose darunter» dirigiert, was
ich darüber tragen muss. Schliesslich weiss jede Trägerin,
dass Strumpfhosen nicht das versprochene zarte Gefühl von
zweiter Haut erlauben – naht-, zwang- und zwicklos. Oh nein!
Wenn wir Glück haben, erwischen wir eine Strumpfhose
mit nur einer Naht in der Mitte, die sich an die natürliche,
anatomisch bedingte «Naht» anschmiegt. Wer aber Pech
hat, erwischt eine Kinderstrumpfhose für Erwachsene,
mit zwei zusätzlichen wülstigen Nähten, die sich unter
der Kleidung auffällig abzeichnen und links und rechts
die Pobacken akzentuieren.
Wirklich gut meinen es die Hersteller auch
mit der satten Passform um die Taille. Bemüht darum,
dass das Beinkleid jeder Aktivität gewachsen ist,
verrutscht garantiert nichts. Dafür zwickt es umso
mehr. Wer beim Öffnen einer neuen Strumpfpackung
der Grösse 40 noch frohlockt, weil das Taillengummi
für das Auge wie schmeichelhafte Grösse 36 aussieht,
hat sich leider zu früh gefreut. Denn – Elastan hin oder
her – aus einer scheinbaren Bundweite der Grösse 36
wird auch durch kraftvolles Dehnen höchstens eine
Passform der Grösse 38. Entscheidet sich Frau deshalb
Autorinnen: Brigitte Järmann + Mareike Zimmermann
Illustration: Mario Romano
für Grösse 42, darf sie zwar Röllchen bekennen,
kann diese aber auch nicht mehr kaschieren.
Mir ist noch keine
Strumpfhose – nicht einmal unter den
sogenannten Wellness-Strumpfhosen
– in die Finger geraten, die meinem
Umfang gnädig war. Und was kann ich
denn dafür, dass meine Taille mehr der eines
Preisboxers ähnelt statt der einer Primaballerina?
Um meiner Berufsgattung als
Modedesignerin gerecht zu werden, lege ich an
diversen Kleidungsstücken natürlich selber Hand an
und schrecke vor nahezu nichts zurück.
Auch nicht vor einer Strumpfhose:
Schnippeldischnapp und der mörderisch enge Bund
ist ab. Was für ein Tragekomfort! Ich kann wieder
atmen, und die zuvor sowieso zu hoch bemessene
Taillenlinie entspricht nun exakt der Hüfttiefe
meines Lieblingsrocks. Solange ich sitze, ist
die Welt in allerbester Ordnung. Doch nach
spätestens 100 Schritten rutscht die neue
Strumpfhosentaille auf Kniehöhe. Es sei
,...
denn, ich habe zuvor meine Unterhose über
meine Strumpfhose angezogen.
 STYLE: Fashion // 51

HIP Autorin: Mareike Zimmermann

Jeans-Trends Frühling/ Sommer 2011. Denim bleibt ein beliebter Bestandteil der
Frühjahr/Sommermode 2011. Neben der inzwischen altbewährten Jeansjacke, rückt
das Jeans-Hemd aus alten Zeiten wieder in den Fokus.

G-STAR DIESEL DIESEL G-STAR DIESEL DIESEL G-STAR

Jeanshosen werden vielfältiger denn je ausfallen: Bestehen bleibt die inzwischen bei jedermann etablierte Röhre oder
auch Skinny-Jeans genannt. Auch die Boyfriend ist nicht weg zu denken sowie die aktuelle, weichfliessende, sehr
hochtaillierte Marlenehose mit und ohne Aufschlag. Je weiter, desto besser. Zurück kehrt die Jeanshose mit geradem
Bein, welche jedes Bein lang und schlank erscheinen lässt, vor allem getragen mit Highheels.

,...
Brandneu ist die Harems-Jeans aus angenehm softem Denim - am besten mit enganliegendem Ringeltop,
legerem Blazer und frechen Pumps. Ein Muss in diesem Sommer!
5272_anzeige_dompi_uncoated 03.03.11 09:19 Seite 2

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DER FARBSPEZIALIST
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52 // STYLE: Reportage
DIE RENAISSANCE
VERGANGENEN
SEX-APPEALS
Bienvenue medames et messieurs, welcome ladies and gents,
willkommen im sinnlichen Leben burlesquen Daseins. Rote
Lippen, glänzende Nägel, schwarze Augen und feminine
Silhouetten – davon gibt es auffällig viele in der Münchner
Paradiso Tanzbar, denn die Nacht ruft zum «Oh! La La! Club
Cabaret». Ein Abend ganz im Sinne des Burlesque. Dass es hier um
Schein, Sein und den richtigen Auftritt geht, ob auf oder vor der
Bühne, ist offensichtlich. Das perfekte Aussehen als Femme Fatale
und Dandy Deluxe darf zelebriert werden. Ein wenig Eleganz, viel
Extravaganz gemischt mit einem Hauch Dekadenz. Männer in
Schiebermützen, Ladies im Stil der 20er und 30er Jahre oder im
Pin-Up-Look.
Burlesque erfährt knapp 50 Jahre nach seiner ersten
Renaissance ein neues Revival. Ob London, Berlin oder Zürich
– Varieté Clubs etablieren sich gerade wieder und die Ikonen
des klassischen Burlesque werden durch das sogenannte Neo-
Burlesque in hochkarätigen Bühnenshows oder durch leiden-
schaftliche Laien-Tänzerinnen in Erinnerung gerufen. Und
zugleich wird eine vollkommen neue Art des sinnlichen Striptease
zelebriert.
Doch was ist Burlesque überhaupt? «Es ist ganz einfach»,
versichert uns eine, die es wissen muss: Die Schweizerin Zoe
Scarlett, die als Nachfolgerin der berühmten Dita von Teese
angesehen wird, erklärt, «Burlesque ist der Vorfahre des Striptease.
Die Tänzerin entkleidet sich auf der Bühne, ist jedoch am Schluss
noch mit einem Höschen und Paisties bedeckt. Das heisst, man
sieht nicht mehr, als wenn eine Frau im Sommer im Bikini am
Meer liegt. New Burlesque heisst eigentlich Neo Burlesque und
Julia Kastl (München)
ist die Bezeichnung für den Burlesque-Stil, wie er heutzutage
aufgeführt wird.» Zwar ist das Element des Sich-Entkleidens der
Kern der Darstellung, doch geht es dabei um die Verführung und
die Anregung der Fantasie.
Der Königin der Burlesque-Kunst, Dita von Teese,
aber auch Zoe Scarlett, sieht man ein weiteres Merkmal auf
einen Blick an: die vollkommene Übertreibung und Üppigkeit in
Kostüm und Darstellung. Es werden nicht nur ein wenig Glitzer
hier und ein paar Perlen dort angelegt, vielmehr ist die Show der
wahren Burlesque-Diva ein Rausch aus funkelnden Swarowski-
Steinen, masslos vielen Federn und seidenen Roben, die im Laufe
der sinnlichen Selbstinszenierung auf luxuriöse Korsetts und
schillernde Dessous ladylike reduziert werden.
Die Verwandlung des Burlesque
Allein die kunstvollen, handgearbeiteten Kostüme und das
zelebrierte Dame-Sein zeigt, dass es heute wie auch in den 20er
Jahren, nicht um plumpe Anmache geht. Die 20er Jahre sind die
Anfänge dieser Tanz- und Bühnenkunst. Doch der Begriff stammt
schon aus dem Italien des 17. Jahrhunderts, unter welchem
man eine humorvolle, theatralische Darstellung verstand, die
komische und groteske Element beinhaltete. Die Verwandlung
der «Burlesken», des komischen Theaterstücks, hin zur Burlesque
als erotische Show geschah im 19. Jahrhundert in London. In ihr
verwebten sich Gesellschaftssatire, Musik und der kecke Auftritt
von Frauen. Die Shows wurden vor allem von der Mittelschicht und
Mimi Le Meaux | Bild: Karl Giant
54 // STYLE: Reportage

Arbeiterklasse besucht. Mit der Zeit schlichen sich

mehr und mehr Revue-Elemente in die Stücke, aus
denen sich schliesslich der erotische Charakter
entwickelte.
Von London ging die Reise des Burlesque
als europäische Travestie-Show in die Vereinigten
Staaten und entwickelte sich dort zu einem
eigenständigen Genre. Einflüsse auf das moderne
Burlesque als Bühnenshow kamen aus dem
Varietétheater des Moulin Rouge oder der Folies
Bergère. Das Burlesque wiederum inspirierte
amerikanische Filmemacher. Zu sehen ist das
im Cinema der 20er und 30er Jahre – diese sind
gespickt mit dem Humor dieses Bühnen-Genres.
Unter anderem machte Mae Wests Sinn für
Humor der Tradition des Burlesque alle Ehre.
Sie war berühmt für ihr loses Mundwerk. Am
besten bringt sie den Charakter der 30er Jahre
mit folgendem Zitat auf den Punkt: «Is that a gun
in your pocket, or are you just glad to see me?»
Sinngemäß übersetzt, bedeutet dies: Ist das eine Dirty Martini | Bild: Chris Blakely
Pistole in Ihrer Hose oder freuen Sie sich nur, mich
zu sehen? Aber kommt nicht alles wieder, was einfach gut ist? So
Die 20er Jahre waren die Ära der Femme Fatale. Sie war die Pin-Up-Kultur der 50er Jahre der perfekte Zeitpunkt für
trug Bob, hatte volle und sinnliche Lippen und rabenschwarz ein erstes Revival der Burlesque. Unangefochten war Bettie Page,
geschminkte Augen. Die Waffe der Koketterie war es, verrucht das amerikanische Fetisch- und Aktmodel, der Burlesque-Star
auszusehen. Damals war die Burlesque für das gemeine Volk. der 50er Jahre. Sie war es, und auch Lil St.Cyr, die zum ersten Mal
Den Eintritt zur erotischen Show konnte man sich leisten. Auch ihre Vorstellung wieder als Burlesque-Shows bezeichneten. Bettie
die Stücke waren einfach im Arrangement: Schöne Mädchen Pages hemmungslose Art beim Posieren vor der Kamera machte
zelebrierten das Sich-Entkleiden, spielten mit ihren Reizen und sie innerhalb kürzester Zeit zur Pin-Up-Ikone und Wegbereiterin
täuschten Glamour und Dekadenz vor. Doch Ende der 30er Jahre der sexuellen Revolution und stellte damit zugleich die Weichen
verblühte diese schillernde Kunst. Die Clubs wurden geschlossen, für den New Burlesque.
und das Burlesque-Feeling ging in die klassischen Revue-Shows Das Revival des schönen Scheins
am Broadway ein. Die Glanzzeit als eigenständiges Genre in Ende des 20. Jahrhunderts erlangte Burlesque wieder Ruhm. Es
Amerika war fürs Erste vorbei. war Dita von Teese, die den Pin-Up-Glamour mit dem klassischen
Burlesque verband. Angereichert mit Luxus, Tanz, Kabarett und
einem Hauch des Verbotenem wurden ihre Bühnenshows vor allem
bei der High Society beliebt. Ungewöhnliche Bühnenbilder (wie
das Baden im überdimensionalen Martini-Glas), Oppulenz und
Überschwang stehen für ihre Shows. Gerade bei ihr erkennt man,

dass das Burlesque-Revival in den 90er Jahren den Fokus mehr auf
das Entertainment legte als auf das reine stilvolle Strippen.
Das Publikum war also wieder bereit, und so konnten
sich in den letzten Jahren wahre Größen in der Kunst des
eleganten Striptease entwickeln und zeigen dies nun einer immer
breiter werdenden Masse. Es liegt also nahe, dass die Kunst des
Verführens als Bühnenshow nun auch an der Oberfläche des
Mainstreams kratzt. «Das Rad kann nicht neu erfunden werden!”
meint Zoe Scarlett, »Es ist das gleiche wie in der Modebranche: Es
wird immer wieder etwas aus vergangenen Tagen «ausgegraben»
und als neuster Trend verkauft!”
Das ist auch dem Film «Burlesque» mit Cher und
Christina Aguilera zu verdanken. Darin wird zwar ein recht
hollywood-verwöhntes und geplättetes Bild dargestellt, und
gerade die Langsamkeit sinnlichen Zelebrierens des Striptease
geht in dem Film verloren. Dennoch ist es schön, dass an diesem
«Von London ging die Reise des Burlesque als europäische
Travestie-Show in die Vereinigten Staaten.»
klassischen Thema der Reiz der Burlesque neu entdeckt wird. Da
sei es entschuldigt, dass die typischen Burlesque-Elemente wie
Pasties & Co nicht alle Einzug im Tanzmärchen à la Burlesque
zu finden sind. Das Interesse am Thema ist geweckt und hält
somit Einzug in den weiblichen Zeitgeist. Denn gerade das Neue
Burlesque inspiriert die Frauen, sich ihrer weiblichen Reize wieder
bewusster zu werden. «Strumpfnähte, Strapse, feminine Dessous,
verschwestert euch mit den coolen Business-Miezen und lasst das
Frau-Sein endlich wieder zu!», tönt es geradezu beim Anblick der
sinnlichen Cher im Film, den Show-Diven im kleinen Burlesque
Club, und vor allem natürlich im Frauenpower-strotzenden
«Cabaret New Burlesque».
Inspiriert von den vergangenen Zeiten und mit dem
Striptease als zentrales Element, lässt der New Burlesque wieder
eine eigene Mischung aus Theater, Choreographie, Glamour,
Humor, Satire und erotischen Ausschweifens entstehen und erhebt
das Burlesque von Neuem auf eine hohe Kunst der
Unterhaltung. In den USA gibt es mittlerweile jährliche Burlesque-
STYLE: Reportage // 55
Events wie das Teasorama, Wettbewerbe wie Miss Exotic World
und sogar ein eigenes Burlesque Museum in Las Vegas.
Frech, frivol und umwerfend stark –
das New Burlesque
Das Beste dieser Wiedergeburt des Burlesque zeigt das «Cabaret
New Burlesque» mit seiner aktuellen Show. Es setzt sich aus
charakterstarken, amerikanischen Burlesque-Stars zusammen. In
der Show klimpern falsche Wimpern, schwingen verführerisch die
Hüften und andere Körperteile und es wird reichlich blanke Haut
gezeigt. Es ist nicht zu übersehen: In dieser Show ist Körperrelief
gefragt! Und das haben Mimi Le Meaux, Dirty Martini, Evie
Lovelle, Kitten on the Keys und wie sie alle heissen - Temperament
inklusive! Frivole Wortspiele, Hüftschwünge, bizarre Positionen
und lautstarke Anzüglichkeiten gehören zu ihrer Ausrüstung, um
das Publikum anzuheizen. Der Perfektionismus in Schönheit und
Oppulenz wird überzeichnet. Die neuen Diven des New Burlesque
sind nicht mehr makellose Schönheiten à la Bettie Page oder Dita
von Teese. Ganz im Gegenteil: Im Neo-Burlesque werden vollbusige
Damen mit Orangenhaut, Schwabbelbauch und Reiterhosen wild
bejubelt.
Gewagt? Absolut nicht. Schönheitsideal hin oder ... –
besser, vergessen wir es gleich. Denn gerade die Inszenierung des
unperfekten Körpers gelangt zur Bühnenmacht. «Liebe dich selbst
und steh zu dir» rufen die neuen Femmes Fatales der neuen Shows
geradezu von der Bühne herunter. Und verdrehen vor allem auch
dem weiblichen Publikum den Kopf. Das ist auch das Neue am
New Burlesque. Das Publikum des ursprünglichen Burlesque ist
nicht mehr das Publikum des 20. Jahrhunderts. Waren es damals
überwiegend Männer, so sind heute die Reihen von begeisterten
Frauen besetzt. Vielleicht macht gerade das den Erfolg des
burlesquen Revivals aus. Denn fühlt die heute emanzipierte
Frauenwelt nicht einen gewissen Verlust ihrer Weiblichkeit? Sei es
aus Anpassung an die sachliche Karrierewelt oder aus Abgrenzung
vor dem reinen Hausfrauen-Dasein. Die Femme Fatale des 21.
Jahrhunderts darf wieder spielen: Mit ihren Reizen, ihrem Erfolg,
einem natürlichen Körper, der aber zugleich mit Make-up und
femininen Accessoires ganz klischeefrei verziert werden darf. Die
Sehnsucht, sich weiblich fühlen zu dürfen ist unüberhörbar mit

Zoe Scarlett | Bild: Marco Nietlisbach
dem Trend dieses Tanzes, ob getanzt, oder gesehen, verbunden.
Man selbst sein und dennoch in eine Rolle schlüpfen, mit seinen
(natürlichen) Reizen spielen, komisch sein – und zugleich
«Die Sehnsucht, sich weiblich fühlen zu dürfen
ist unüberhörbar mit dem Trend dieses Tanzes.»
verführerisch schön! Ein Frauenbild, in dem sich einige gefallen
würden. Und in Burlesque-Kostümen lässt sich ziemlich gut
Femme Fatale sein: Korsetts machen Sanduhrfiguren, Lidstrich,
falsche Wimpern und Lippenstift wiederum sorgen für umwerfend
schöne Gesichter. Fächer, Federboas, Schleifen und Strapse sind
zwar eher kleinere Requisiten, zeigen aber grosse Wirkung – vor
allem dem eigenen weiblichen Selbstbewusstsein. Am Schluss
fällt zwar letztendlich immer der Vorhang und die abgeworfenen
Kleidungsstücke werden eingesammelt. Aber die
Begeisterung für die verführerische Frau auf der
Bühne, aber auch das Strahlen in einem selbst
bleiben.
Um mit Dita von Teese abzuschliessen:
«.....Vielleicht übertreibe ich ein wenig, aber das
gehört zu meinem Beruf. Kostüme und Make-up und
die Burlesque sind doch letztendlich nichts anderes
als eine köstliche Art der Übertreibung.»
7 Fragen an die Schweizerin Zoe Scarlett,
bekannteste Pin Up in Europa. Als einzige
Europäerin ist sie in der Weltrang-liste der Top 10
Pin Up’s verzeichnet und gehört mit ihrer inter-
nationalen Bekanntheit zur Extraklasse des 50er-
Jahre-Glamour. Seit 2009 ist sie nicht nur auf als
Pin Up Model zu bewundern, sondern verzaubert ihr
Publikum auch als Burlesque Tänzerin.
Wie sind Sie zum Burlesque-Tanz gekommen?
Meinen beruflichen Werdegang habe ich als PinUp
Model angefangen. Das heisst ich habe als Model
für verschiedene Produkte und Magazine vor
der Kamera gestanden im Stil der 30er und 40er
Jahre. Da ich mich schon seit klein auf sehr für die
40er und 50er Jahre interessiert habe, kannte ich
natürlich auch Burlesque. So habe ich mich bald
dazu entschlossen, eine eigene Show zu kreieren.
Gibt es für Sie einen tieferen Sinn dahinter,
weshalb Frauen diese Tanzform wählen, auch
für Sie persönlich?
Es braucht keinen Sinn, um Burlesque zu performen! Brauchen Sie
denn als Frau einen Sinn, damit sie morgens die Wimperntusche
auftragen? Burlesque ist eine Form der Unterhaltung, meine
Leidenschaft und das was ich einfach am liebsten mache.
Kommt die Sinnlichkeit der Frauen in unserer Welt heutzutage
zu kurz?
Ich würde sagen, dass heutzutage die Sinnlichkeit der Frau einfach
von einer anderen Perspektive angesehen wird.
Was ist für Sie das Schönste am Burlesque-Tanz?
Das Schönste daran, eine Burlesque Tänzerin zu sein, ist bestimmt,
dass man grenzenlos kreativ sein kann. Es gibt nur wenige No
Go’s. Als Tänzerin kann man bei jeder Nummer eine andere
Persönlichkeit annehmen. Bei meiner Nummer «LadyRouge» bin

ich zum Beispiel eine verführerische französische Tänzerin, bei
der «Cynarina» versuche ich in die Rolle von Marlene Dietrich zu
schlüpfen, welche leicht arrogant wirkt, bevor ich dann in meinem
überdimensionalen Cynar-Glas baden gehe.
Haben Sie den Film «Burlesque» mit Cher und Christina
Aguilera gesehen?
Die Filmemacher haben den Film «Burlesque» genannt und
möchten den Zuschauern den richtigen «Burlesque» näher
bringen. Der Film hat aber sehr wenig mit dem originalen
Burlesque, geschweige denn mit dem Neo-Burlesque (Moderne
Art) zu tun. Burlesque ist eine Form der Unterhaltung, die es
bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts gibt. Hauptsächlich ist die
amerikanische Geschichte des Burlesque bekannt. Aber auch
wir Schweizer hatten eine bekannte Burlesque-Tänzerin namens
Syra Marty, die in den 50er-Jahren die Bühnen der Welt eroberte!
Im Film «Burlesque» werden die einzelnen Tanzeinlagen als
moderne Choreographie mit schnellen Bewegungen gezeigt. Aber
keineswegs werden die Acts mit Parodieeinlagen, dem klassischem
Tanz oder «the art of tease» dargestellt. Die Tänzerinnen tragen
wunderschöne Kostüme. Wo bleibt aber der Burlesque-Striptease,
wo bleibt der G-String und die Pasties (Stoffstücke, die die
Brustwarzen bedecken), die meiner Meinung nach einfach zum
klassischen Burlesque gehören? Man kann sich darüber streiten,
welche Elemente nun alle ausschlaggebend für den klassischen
Burlesque sind. Fakt ist aber, dass der Film eher an die moderne
Tanzunterhaltung erinnert, als an den klassischen Burlesque!
Badespass
HALLENBAD UND SAUNA
BLUMENWIES
S T. G A L L E N
STYLE: Reportage // 57
Welche Burlesque Tänzerin aus vergangenen Zeiten ist
Ihr Idol?
Mein Idol, dass ist schwer zu sagen, denn jede Tänzerin hatte
fantastische Seiten und ihr eigenes Markenzeichen. Lily St.Cyr
ist eine meiner absoluten Favoritinnen!
Ihre Zukunftsvisionen, Träume und Pläne....
Immer wieder eine schöne Frage! Hätte mir vor einigen Jahren
jemand gesagt, dass ich meinen KV Beruf nicht weiterführen
werde und stattdessen auf der Bühne auftreten und als Model vor
,...
der Kamera stehen werde, hätte ich dies nie geglaubt. Man weiss nie
wie es kommt. Ich bin schon sehr glücklich, wie es jetzt ist.
Burlesque erleben:
Jeden dritten Montag im Monat im Plaza
Badenerstrasse 109, Zürich (www.plaza-zurich.ch)
Tanzen lernen:
www.burlesque-academy.ch
Buchtipp:
Die Kunst der Burlesque, Dita von Teese
erschienen bei Schwarzkopf & Schwarzkopf
New Burlesque, Katharina Bosse
D.A.P./Distributed Art Publishers
Stadt St.Gallen
Sportamt
E i s z e i t
Eishalle St.Gallen
Lerchenfeld
 KO
58 // STYLE: Beauty

1_

SM
2_

ET
3_

_5
4_

IK
1_ Prada, Amber Pour Homme Intense,
Limited Edition 2011, Vaporisateur, 100ml,
CHF 150.– > Parfümerie Baettig
2_ Nina Ricci, L’air du Temps
by S+ARCK, Entworfen von Philippe Starck
Limited Edition, 45 ml,
CHF 99.– > Alpstein Parfümerie
3_ Hermès, Un Jardin sur le Toit, Hermès,
100ml, CHF 137.– > Alpstein Parfümerie
4_ Paco Rabanne, Lady Million, 50 ml,
6_ CHF 94.– > Parfümerie Baettig
5_ Comme des Garçons, Homme, Wonderwood,
50 ml, CHF 110.– > Parfümerie Baettig
6_ Nina Ricci, L'Elixir von Nina Ricci,
50ml, CHF 90.– > Alpstein Parfümerie
 _7

_8

7_ Dior Forever and Ever, Vaporisateur 100 ml,

ca. CHF 139.– > Parfümerie Baettig
8_ J’adore L’or Dior, Flaconhals mit Goldband,
40 ml, CHF 175.– > Parfümerie Baettig

bengtson
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unserer Website: www.bengtson-zahnklinik.ch
60 // LIFE: Paarlauf
CHEMIE
DER
LIEBE
Appetit- und Schlaflosigkeit, Herzrasen und ein neckisches Kribbeln im
Bauch – Symptome, die uns nahelegen, einen Arzt aufzusuchen. Oder
einfach nur harmlose Anzeichen dafür, verliebt zu sein? Was ist eigentlich
Liebe? Woher kommt sie, wenn sie uns trifft? Und wohin geht sie, wenn sie
uns verlässt?
Wir alle haben es schon einmal selbst erlebt, oder kennen
zumindest jemanden, der sich bis über beide Ohren verliebt hat.
Jemanden, der den Klängen eines Himmels voller Geigen lauscht.
Jemanden, der fühlt, wie in seinem Magen ein Schwarm von
Schmetterlingen herumflattert. Denn die Verliebtheit hat viel
mehr mit sich selber zu tun, als mit jemand anderem. Mit der
Sehnsucht, als Ganzes verstanden und geliebt zu werden. Mit
der Suche nach einem Spiegel, der die Persönlichkeit reflektiert
und – vielleicht auch – überhöht. Aber auch mit dem Wunsch,
das Versprechen der Liebe einzulösen, das Popsongs, Kunst und
Kultur tagtäglich kolportieren. Doch obwohl die Liebe schon so
oft erfahren, besungen, beschrieben und dargestellt wurde, ist sie
viel zu komplex, um sie in ein Narrativ zu fassen. Denn die Liebe
funktioniert und erklärt sich nur im Zusammenspiel psychischer,
physischer und soziokultureller Komponenten.
Biochemischer Trugschluss
Aus der Perspektive neurologischer und hämatologischer
Befunde, ist der Zustand der Verliebtheit eigentlich ein Betrug.
Angezettelt von biochemischen Prozessen, assistiert von
persönlichen Lebenserfahrungen und Projektionen in das Objekt
der Begierde. Nehmen diese das Zepter in die Hand, umnebeln
sie den Verstand und steuern das Denken, Fühlen und Handeln.
Zu den Protagonisten gehören unter anderem Pheromone, also
die individuellen Duftstoffe, die das Gegenüber unbewusst
wahrnimmt. Ebenso eine ganze Reihe an körpereigenen
Stimulanzien, wie etwa die Ausschüttung von Dopamin,
Neurotrophin oder Oxytocin. Allesamt Neurotransmitter, welche
die Sinne mit Glück, dem Wunsch nach einer lebenslangen,
Autorin: Brigitte Järmann
Illustration: Mario Romano
monogamen Beziehung und der Bereitschaft,
Verantwortung für eine Familie zu übernehmen,
überfluten. Auch Serotonin, das Glückshormon
schlechthin, ist Agens der Verliebtheit. Doch
statt, wie zu vermuten, die Serotonin-Schleusen zu
öffnen, dreht die Leidenschaft den Hahn zu. Donatella
Marazziti, Psychiaterin an der Universität Pisa, untersuchte
den Serotoninspiegel von Verliebten und verglich ihre Werte mit
denen von Zwangsneurotikern. Bei beiden Testgruppen lag der
Pegel rund 40 Prozent unter(!) der Norm. Ihr Fazit: Die für Verliebte
typische Fixierung auf die begehrte Person sei vergleichbar
mit dem Wiederholungsdrang von Menschen, die an einer
Zwangserkrankung leiden.
Vollkommenes Glück?
Doch halt, der Zustand der Verliebtheit ist zwar pathologisch, aber
völlig normal. Und anders als bei einer psychischen Erkrankung,
sind die intensiven Gefühle, sofern sie erwidert werden, im Glück
verortet. Verliebte Gefühle machen uns glücklich, kommen
oft plötzlich und unverhofft. Das macht sowohl die Beziehung
selber als auch das Gegenüber kostbar und damit auch anfällig
dafür, mystifiziert, romantisiert und idealisiert zu werden. Wie
gerne glauben leidenschaftlich Verliebte daran, an magische
Seelenverwandtschaft, an Amors Pfeil und an die ewige Liebe.
Und daran, sich mit dem vollkommensten Wesen auf Erden für alle
Zeit auf einer Welle unendlichen Glücks zu reiten.
Doch die Verliebtheit währt nicht ewig. Sobald sich der
Schleier romantischer Verklärung, der Projektionen und Fantasien
lichtet und dem kritischen Verstand mehr Platz einräumt, sobald
die biochemische Stimulierung nachlässt, steht die Beziehung
auf dem Prüfstand. Denn je mehr in die Partnerschaft und in das
Gegenüber hineinprojiziert, interpretiert und sie mit Erwartungen
aufgeladen wurden, umso höher ist der Fall auf den Boden der
Realität. Und manche Beziehung zerschellt daran.

Die St.Galler
Psychologin und
Paartherapeutin Ernestine Frei beschreibt bei unserer
telefonischen Anfrage den Übergang zwischen Verliebtheit und
Liebe als ein Moment, in dem sich das Paar nicht mehr als ein
«Beziehungen, die sich alleine auf Gefühle, Erwartungen und
Projektionen stützen, tragen ein hohes Risiko einer späteren Trennung.»
Ganzes versteht, sondern als zwei Individuen: Dem Ich und dem
Anderen.
Die grosse Herausforderung ist es, das emotionale
Vakuum, das die Verliebtheit hinterlassen hat, mit Liebe
auszufüllen. Einer tiefen Verbundenheit, die ohne Superlative
und überhöhte Erwartungen auskommt. Aber auch dann bleibt
die ewige Liebe ein Ideal ohne Verbindlichkeit. Gefühle sind eben
nur begrenzt rational erklär-, berechen- und steuerbar. Auch
sind Lebensentwürfe, Gefühle und Präferenzen selten geradlinig
und totalitär, meist sind sie sprunghaft und ambivalent. Jeder
Mensch liebt beispielsweise eine Musik, wenngleich nicht jede
LIFE: Paarlauf // 61
einzelne Passage davon oder in jeder Stimmungslage.
Der Schriftsteller Alain de Botton berichtet in seinem
«Versuch über die Liebe»: «Mögen wir die Abwechslung
sonst so sehr, klammern wir uns an den Glauben der
Beständigkeit unserer Gefühle. Und an die Idee einer
messerscharfen Trennlinie zwischen Liebe und
Ablehnung.»
Liebe nach Regeln der Kunst?
Was ist Liebe? Für den deutschen Soziologen und
Mitbegründer der Systemtheorie, Niklas Luhmann,
war die Liebe vor allem ein Kommunikationscode,
der weitgehend in den romantischen Dichtungen des
18. Jahrhunderts erfunden wurde. Luhmann meinte
damit, dass in einem Liebesbekenntnis ein ganzes
System an gegenseitigen Versprechen, Erwartungen
und Verhaltensmustern verpackt ist. Und zwar in dem
Masse, wie Kunst, Kultur und Gesellschaft diese vorgeben.
Im 18. und 19. Jahrhundert, der Zeit
des bürgerlichen Lebens, wurden Ehen vor allem aus
ökonomischen Überlegungen geschlossen. Im engen
Korsett von Sitte, Moral und Patriarchat fanden Gefühle wenig
Platz. Es war aber auch die Zeit der romantischen Dichter,
wie etwa Hölderlin oder Goethe, welche die Liebe mit viel
Pathos beschworen, überzeichneten, idealisierten. Doch diese
wundervollen Liebesgeschichten konnten zu der Zeit unmöglich
gelebt werden.
Der Französische Literat La Rochefoucauld bemerkte
einmal: «Wenige Leute würden sich verlieben, wenn sie nicht
davon gehört hätten.» Wenn dem so ist, trifft dies dann nicht auch
heute auf die Erwartungen an die Liebe, an den Partner und nicht
zuletzt an sich selbst zu?
Wenn Liebe Kummer macht
Beziehungen, die sich alleine auf Gefühle, Erwartungen und
Projektionen stützen, tragen ein hohes Risiko einer späteren
Trennung. Aktuell liegt in der Schweiz die Scheidungsrate bei rund
48 Prozent. Psychologin Ernestine Frei sieht für die hohe Zahl an
gescheiterten Beziehungen auch einen anderen Grund: Unseren
modernen Lebensstil. Das Leben in unserer Kultur ist komplex und
hektisch geworden. Rationaliät, Effizienz und Flexibilität führen
die Anforderungsliste im Beruf an. Informationsflut, kurzlebige
Technologien und die schier unendlichen Möglichkeiten, die sich
einer individualisierten Gesellschaft anbieten, hinterlassen viel
Unverbindliches und Orientierungslosigkeit. Viele Menschen
suchen in der Beziehung und im Partner nach einer Kompensation,
welche die Orientierung und das Urvertrauen wiederherstelle
und Emotionen zulasse, ist Frei überzeugt. Erwartungen, die oft
62 // LIFE: Paarlauf
unerfüllt bleiben und nicht wenige dazu veranlassen, die Erfüllung
in einer Aussenbeziehung zu suchen – was der am häufigsten
genannte Scheidungsgrund sei, gemäss der Psychologin. Frei
betont aber, dass eine Aussenbeziehung, so schmerzhaft sie für
den einen Partner im Moment auch sei, nicht zu einer Trennung
führen müsse. Dann nämlich, wenn es gelinge, das Vertrauen
und die Harmonie in sich selbst zu finden, statt sie dem Partner
aufzuerlegen.
Doch die Verletzung ist gross, wenn sich die Liebe auf
leisen Sohlen davonstiehlt. Oder das Band der Liebe zerreisst,
wenn sich die Partner auseinandergelebt haben. Der Schmerz sitzt
tief über den Verlust eines Menschen, über einen zur Makulatur
gewordenen Lebensentwurf und über die Entwurzelung aus
einem gemeinsamen Lebensabschnitt. An ihrer Stelle füllt
sich das gebrochene Herz mit Trauer, Wut, Selbstabwertung
und einem verzerrten Schwarz-Weiss-Denken. Und so enden
Liebesgeschichten in einigen Dingen, wie sie beginnen: In einer
Überflutung von Emotionen und Projektionen, die viel mehr mit
einem selbst zu tun haben als mit jemand anderem. Und in einem
Prozess, den – im Guten wie im Schlechten – wohl jeder einmal
durchlebt, der sich auf die Liebe einlässt.
Coaching gegen Liebeskummer
Für Mona Gross-Pfeiffer gehören die heftigen Emotionen und
Denkmuster, die Liebeskummer auslöst, zum Alltag. Seit Dezember
2010 betreibt sie in Teufen eine Liebeskummer-Praxis nach
dem Konzept von Silvia Fauck, die in Deutschland als führende
Expertin zu diesem Thema gehandelt wird.
Seit Mona Gross-Pfeiffer vor wenigen Monaten ihr
«LOVEPAIN-COACHING» eröffnete, wird sie von Hilfesuchenden
geradezu überrannt. «Weil ich im Moment schweizweit die Einzige
bin, die das Modell von Silvia Fauck anbietet, ist die Nachfrage
enorm. Dennoch bin ich erstaunt, wie viele unter Liebeskummer
leiden.» Mona Gross-Pfeiffer weiss sehr genau, wie schwierig
und schmerzhaft es ist, die Liebe aus dem Herzen zu verbannen.
Erst 2010 liess sie sich von ihrem Ehemann und bekannten
Fussballtrainer Christian Gross scheiden. Sie bemängelt, dass
Liebeskummer in der Psychologie oft als Stiefkind behandelt wird.
«Liebeskummer verursacht nicht nur starke seelische Schmerzen,
oft mündet er in Depressionen, Ess- und Schlafstörungen oder gar
Herzerkrankungen», erklärt Gross.
Dennoch, gehören die Leiden des gebrochenen Herzens
nicht einfach zum Leben dazu? Ähnlich wie blaue Flecken und
Schürfwunden bei den ersten Gehversuchen? Wann, wieso und
wie benötigen wir Unterstützung im Trauerprozess, um die
verflossene Liebe? «Jemand, der mit offenem Herzen zuhört,
kann in den ersten Tagen eine grosse Hilfe sein. Ratschläge sind
in diesem Moment nicht so wichtig,» weiss Gross. Es braucht
aber auch Zeit, um zu trauern, für Herzschmerz und Tränen. Wie
lange die Trauerphase dauert, ist jedoch sehr unterschiedlich.
Mit fachlicher Unterstützung wird der Prozess des «Entliebens»
aber kürzer und erträglicher. «Neben dem Zuhören und Trösten
muss auch der verwirrte Kopf und das Durcheinander im Herzen
sortiert und aufgelöst werden», so Gross. Sie erzählt, wie das bei
ihr war: «Ich war sprichwörtlich am Ende, die Trauer und meine
Angst nahmen mich komplett in Besitz. Irgendwann konnten mir
meine Familie und meine Freunde nicht mehr helfen.» Hilfe fand
sie in Berlin bei Silvia Fauck – und damit gleich auch eine neue
berufliche Herausforderung.
Was ist Liebe?
Jeder kennt sie, viele beschreiben, besingen oder zeigen sie. Doch
wer versteht ihre Facetten? Emotionen und Leidenschaft zählen
mehr, als dass wir die Liebe alleine den Statistikern und der
wissenschaftlicher Befundaufnahme überlassen können. Und die
Liebe ist viel zu komplex, um sie alleine in die Hände von Sängern,
Autoren und Filmproduzenten zu legen. Ebenso wenig nimmt
die Redaktion dieses Magazins in Anspruch, einen wahrhaft
Aufsatz kratzt doch nur an der Oberfläche. ,...
umfassenden Beitrag zum Thema geleistet zu haben. Denn dieser
Infos und Kontakte:
LOVEPAIN-COACHING : Mona Gross-Pfeiffer
Alte Speicherstrasse 10 : 9053 Teufen : 071 911 43 21
mona.gross@bluewin.ch | www.liebeskummer-praxis.de
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Di�–Fr�� �����–�����
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Sa�� �����–�����
 Das Buch // 63 Menschen in St.Gallen // 63

ES WAR
EINMAL...
Nun ist er da. Der neue, Unser Name steht für ein
äusserst umfangreiche,
Roman des grossen zeit-
genössischen niederlän-
abgerundetes Programm
dischen Schriftstellers
A.F.Th. van der Heijden. im Rehabilitations- und
Pius Frey Pflegebereich.
Buchhandlung Comedia
St.Gallen
comedia-sg.ch
Pflegebetten
Nach seinem Romanzyklus Die zahnlose Zeit gelingt
A.F.Th. van der Heijden mit Das Scherbengericht ein neues
Bade-/Duschhilfen
Meisterwerk. Auf über tausend Seiten schildert uns van der
Heijden in seiner starken Sprache Fragmente der 70er -Jahre,
Gehhilfen
die bis heute Spuren hinterlassen haben. Aufgebaut ist die
Geschichte auf der Begegnung zweier Häftlinge. Diese Häftlinge
Rollstühle
erscheinen uns bald sehr bekannt. Denn der Filmemacher
Polanski trifft im Gefängnis auf den Ritual-Mörder Manson.
Elektroscooter
Erinnern wir uns an die Manson-Gang und ihren brutalen
Mord an Polanskis Frau Sharon Tate. Und Polanskis Geschichte
kennen wir ja auch...Im vorliegenden Roman heisst Polanski
Umlagerungshilfen
Remo und Manson Charlie.
Van der Heijden gelingt es, in seinem Roman voller
Andeutungen, scham- und schonungslos und mit einer
fesselnden Sprache das jähe Ende des Summer of Love, der
Zeit der Blumenkinder, darzustellen. Dazu gibt es interessante
Abhandlungen zur damaligen populären Musik und den
widersprüchlichen Lebensentwürfen. Und eigentlich war ja
der Mord an Sharon Tate ein Zufall, denn Manson wollte sich
an einem Musikproduzenten rächen, welcher sich nicht mit
seinen Werken befassen wollte. Van der Heijden gelingt es sehr
gut, als Erzähler einen fiktiven Gefängniswärter einzusetzen.
Dieser verhilft dann schliesslich Remo (Polanski) zur Flucht
nach Europa. Da geht die Geschichte voll Spannung weiter.
Schonungslos wird das Leben von Remo aufgedeckt. Dazu
bringt van der Heijden immer auch andere aktuelle Themen
der damaligen Zeit, politische wie popkulturelle, in diesen
beunruhigenden Roman ein. Eine Stärke dieses Buches, das ein
überwätigendes Leseerlebnis bietet, ist die absolut könnerhafte
Beschreibung der zwei Menschen Manson und Polanski.
Trotz verschiedener Herkunft haben sie eine frappierende
Wesensverwandtschaft. Beide sind, auf ihre Art, ein Ausdruck
amerikanischer Träume. Und was so viele Märchen einleitet,

,...
steht in «Das Scherbengericht» am Ende: «Es war einmal, sagte
der neue Schatzmeister».

A.F.Th. van der Heijden: Das Scherbengericht.

Eine transatlantische Tragödie. Suhrkamp.
1168 Seiten, gebunden, ca. CHF 56.–
Naropa Reha AG
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64 // LIFE: Food

KOCHEN
IM
UNTERGRUND
«SECRET
DINING»

Autor: Stefan Grob

Wer nichts wird, wird Wirt, hiess es lange abschätzig im Volksmund. Doch
das ist schon lange nicht mehr so. Der Wirt als Berufsbezeichnung ist dem
viel wohlklingenderen «Gastronomen» gewichen. Und wer ein Restaurant
eröffnen will, muss nicht einfach nur eine gute Küche mit freundlichem
Personal vorweisen, sondern eigentlich auch eine Reihe von Bewilligungen
seitens der Behörden. Eigentlich.

Denn von New York, London, Berlin und anderen hippen Städten aus verbreitet sich ein
Trend, der sich «Secret Dining» nennt. Doch was ist an einem Essen so geheim? Ganz
einfach: Diese neue Art von Restaurants gibt es eigentlich gar nicht, zumindest nicht
offiziell. Gekocht und verzehrt wird hier nämlich am Rande der Legalität, im Untergrund
sozusagen. Und nur echte Insider erfahren jeweils davon, wo man sich gerade zum
«Secret Dining» trifft: In einer abgefuckten Industriehalle, einem leerstehenden Büro
oder ganz privat in einer schönen Villa. Hauptsache ungewöhnlich und eben: nicht in
einem bewilligten Restaurant.
Doch was hat es mit diesen Anti-Restaurants auf sich? Natürlich hat es etwas
mit dem «Reiz des Verbotenen» zu tun - für die Guerilla-Köche einerseits, aber sicher
auch für die Gäste. Das Gefühl, bei einer irgendwie verruchten aber absolut angesagten,
megatrendigen Aktion dabei zu sein. Denn gerade dieses Gefühl kann man in der Stadt
immer weniger spüren. Schliesslich kennt man jedes Restaurant in- und auswendig.
Und was gestern noch trendy war, ist heute schon wieder langweilig. Aber ein «Secret

,...
Dining» bleibt immer ein Erlebnis. Und wie sieht es in St.Gallen aus? Wer ist der Guerilla-
Koch der Gallusstadt?

Tipps könnt ihr auf unsere Facebook-Seite posten:

http://www.facebook.com/pages/Magazin-9000/163694647015296
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NO2
JUNI 2011 Vorschau:
Schwerpunkt Wasser - Ob coole Drinks für heisse Tage, verregneter Schweizer Sommer,
Autowaschen, Stadtbrunnen, Mineralwasserquellen und vieles mehr: Das Wasser ist fast überall anzutreffen.
So auch in unserer nächsten Ausgabe, wo wir dieses vielfältige Element zu fassen versuchen.
Unsere Autoren liefern spannende Hintergrundberichte, Interviews und Reportagen.
Zudem gibt es wieder vielseitige Stories zu Lifestyle, Wirtschaft und Kultur der Stadt St.Gallen. Bis bald!

WASSER

essenzium

Nachhaltigkeit beginnt auch mit der Frage,

darf es ein Armanihemd
aus einem Secondhandgeschäft sein.

Neue Öffnungszeiten Erster Secondhandladen für Männer

Mi - Fr 11.30 - 13.30 | 15.30 - 18.30
Sa 10.00 - 16.00 SCHÜTZENGASSE 6
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66 // LIFE: Gesundheit

NATUR
IM
TREND Autorin: Brigitte Järmann
Illustration: Mario Romano
Der Gesundheitsmarkt floriert in seinen vielfältigen
Behandlungsansätzen. Den rat- und hilfesuchenden Patienten,
Klienten und Konsumenten bietet sich eine enorme Auswahl an
Produkten und Therapieformen an. Für jedes Gebrechen und
passend zu jeder Lebensphilosophie. In der Naturheilkunde
erhält Regulat® aktuell viel Aufmerksamkeit. Wir wollten
wissen, was an diesem Produkt drin und dran ist.

Die Gesundheit ist unser wichtigstes Gut. Daran erinnern wir uns
spätestens dann, wenn die Nase trieft, uns Schmerzen quälen,
oder wir in irgendeiner anderen Form leiden. Bestrebungen,
unser Leid zu verhindern, gibt es viele. Schulmedizin, Pharma-
industrie, alternative Heilmethoden und auch immer mehr
Lebensmittelhersteller – sie alle haben sich darauf eingeschworen,
Therapien, Mittel und Konzepte zu erforschen und zu entwickeln,
die unsere Gesundheit unterstützen oder wiederherstellen.
Sanfte Heilmethoden mit der Kraft der Natur werden dabei immer
beliebter. Zum einen, weil das Risiko von Nebenwirkungen gering
und somit ein Versuch es zumindest wert ist. Zum anderen,
weil auch die Schulmedizin ihre Grenzen hat, diese kennt und
benennt, während in der Alternativmedizin für jedes Übel ein
Kraut gewachsen scheint. Die Frage nach der Wirksamkeit von
Naturheilmitteln allerdings spaltet die Lager der Verfechter und
der Skeptiker. Wobei die Schreibende zu letzterer Sorte gehört.
Natur im Trend
Bei natürlichen Heilmitteln und Nahrungsergänzungen zeichnet
sich nicht selten ein Produkte-Trend ab. Waren es vor einigen
Jahren Teebaumöl, Grapefruitkern-Extrakt oder Gelée Royale, die
mit ihren vielfältigen Indikationen und Applikationen regelrecht
einen Hype auslösten, macht aktuell Regulat® von sich reden.
Ein flüssiges Konzentrat aus fermentierten Nüssen, Früchten und
Gemüsen.
Verschiedene Studien und Erfahrungsberichte in
Internet-Blogs sind voll des Lobes ob der Wirksamkeit von
Regulat®. Signifikante Erfolge bescheinigen diverse Studien
beispielsweise bei Reizdarm, Stärkung des Immunsystems, oder
dem erhöhten Schutz vor schädlicher Oxidation, aber auch zur
Verzögerung der Hautalterung. Dabei ist Regulat® lediglich als
Nahrungsergänzung oder als Basis für Kosmetik gedacht – und
kein Medikament im Sinne des Arzneimittelgesetzes. Der ganz
andersartige Einsatz zu den oben genannten Hype-Produkten liegt
darin, dass Regulat® weder mit exotischen Inhaltsstoffen noch mit
Hochkonzentrationen solcher Inhaltsstoffe arbeitet.
Lange Tradition in Naturheilverfahren
Herstellerin von Regulat® ist die Dr. Niedermaier Pharma GmbH
bei München. Die EnzymPro AG in Appenzell regelt seit 2005 den
Import und den Vertrieb für den Schweizer Handel. Nicht zufällig.
Denn die Naturheilkunde hat in Appenzell eine über 300-jährige
Tradition und pflegt intensive Kontakte mit Heilpraktikern und
Naturproduktherstellern in den deutschsprachigen Ländern.
«Deshalb suchte die Dr. Niedermaier Pharma GmbH gezielt in

Appenzell einen Partner für den internationalen Vertrieb für ihre
Gesundheitsprodukte», erklärt Richard Wiesli, CEO der EnzymPro
AG. Seit seiner Einführung in der Schweiz hat Regulat® rasch
einen guten Platz bei den Heilpraktikern und Alternativmedizinern
erobert. «In vielen Praxen ist Regulat® ein fester Bestandteil
zur Unterstützung und Stärkung der Regulierungsvorgänge im
Organismus geworden», so Wiesli. Das Produkt ist aber auch in
Drogerien, Apotheken und Reformhäusern sowie im Direktbezug
bei der EnzymPro AG erhältlich.
Fermentation verbessert Aufnahme
Gemäss Hersteller und Handelspartner liege das Geheimnis
von Regulat® in der Kaskadenfermentation von gesunden
«Die Befürchtung linksdrehende Milchsäure würde zu einer
Übersäuerung des Körpers führen wurde belegt wie wiederlegt.»
und enzymhaltigen, vegetabilen Zutaten in milchsaurem
Milieu. «Weil das Produkt eine ganze Reihe an natürlichen und
hochaufgeschlossenen Enzymen und Aminosäuren enthält,
sprechen sehr viele Kunden positiv auf Regulat® an.» Die
Fermentation spaltet die natürlichen Enzyme mehrfach, so
dass sie für den Stoffwechsel besser nutzbar gemacht werden
können. Enzyme sind für den Organismus deshalb wichtig, weil sie
biochemische Prozesse auslösen, etwa indem sie die Verdauung
oder die Zellerneuerung respektive -regenerierung steuern.
praxisorientiert
fair
innovativ
Wenn die Zusammenarbeit Freude und Vertrauen benötigt.
Ihre Treuhandgesellschaft.
LIFE: Gesundheit // 67
Die im Regulat® ebenfalls enthaltene, physikalisch
rechtsdrehende Milchsäure wird im Vergleich zur linksdrehenden
schneller aufgenommen. Abgesehen von der Aufnahmezeit
ist es in der Wissenschaft jedoch umstritten, ob es für die
Gesundheitswirkung tatsächlich einen Unterschied macht, in
welche Richtung sich die Milchsäure dreht. Die Befürchtung,
linksdrehende Milchsäure würde zu einer Übersäuerung des
Körpers führen, wurde in verschiedensten Studien ebenso belegt
wie widerlegt.
Wirkung mehrfach bestätigt
Doch trotz aller Vorsicht, in Regulat® steckt zweifelsohne viel
Gesundes aus der Natur. Und die Erfolge, die viele Konsumenten
damit erzielen, können gewiss nicht geleugnet werden. «Die
Rückgewinnung der Vitalität, die Regulierung der Verdauung
und die rasche Rekonvaleszenz nach einer Erkrankung sind die
häufigsten Rückmeldungen, die wir von den Kunden erhalten», so
Richard Wiesli, der das Produkt seit gut drei Jahren selbst täglich
einnimmt. Skepsis gegenüber dem Kausalzusammenhang ist aber
sicher nicht falsch. Darauf verweist auch die fachärztliche Studie
von Dr. Ulrich Bergmann, die im Webauftritt des Handelspartners
verlinkt ist: «Auch wenn nicht ganz klar ist, welche der in (Rechts-)
Regulat® enthaltenen Komponenten für die Wirkung letztlich
verantwortlich sind.» Ob nun die Fermentation, die Enzyme, die
Rechtsdrehung oder die geballte Ladung an ohnehin gesunden
Zutaten die Selbstheilungskräfte des Körpers mobilisieren
,...
– wem es danach besser geht, dem dürfte die Ursache dafür
wahrscheinlich egal sein.
Weitere Infos: www.regulat.com
Bahnhofplatz
Kornhausstrasse 3
9000 St.Gallen
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68 // Die grünen Seiten
CRIZ Accessoires
Seit fünf Jahren sind die farbigen CRIZ
Taschen aus dem Stadtbild von St. Gallen
nicht mehr wegzudenken. Etwas versteckt
hinter dem farbenfrohen Zeitschriften-
wirrwarr des Kiosks entdeckt man an der
Neugasse 35 bei genauerem Hinsehn die
bekannten bunten CRIZ Ledertaschen. Der
kleine, aber feine CRIZ Accessoires Shop
versprüht dort pure Lebensfreude – von
den hochwertige Lederwaren wie Taschen,
Gür-tel, Portemonnaies und Schlüsselan-
hängern in fröhlichen Farbkombinationen
bis hin zu koloriertem Schmuck. Im Herbst
feiert Christoph Züger das 25jährige
Jubiläum in seinem Atelier in Grabs, wo er
seine erstklassigen Lederprodukte entwirft.
Sämtliche CRIZ Lederwaren sind reine
Schweizer Produkte, werden sie doch mit
grösster Sorgfalt und viel Liebe zum Detail
in der Schweiz produziert.
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Familie ist da. Die feinen
Stängel gibt's jetzt auch als
Tafel.
Wer kennt sie nicht, die MINOR Stängel
mit dem einzigartigen Praliné- und
Haselnussgeschmack. Seit 75 Jahren sind
sie bei Jung und Alt beliebt. Rechtzeitig zum
Jubiläum vermeldet die MINOR Familie nun in Tankstellenshops.
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Boutique notabene
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Merke wohl heisst notabene übersetzt. Seit
der Eröffnung vor 15 Jahren haben sich mehr
und mehr Kundinnen die  Boutique in der
Altstadt von St. Gallen wohl gemerkt. Vertraut
und ungezwungen ist die Atmosphäre
geblieben, persönlich und kompetent die
Beratung der beiden Inhaberinnen Vreni
Güntzel und Inge Betschart mit ihren
Mitarbeiterinnen.
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Bevorzugte vielfältig: ORWELL, CAMBIO,
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Erlebnisreiche Einkaufsorte // 69
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Do 14.00 - 21.00 Uhr
Sa 9.00 - 17.00 Uhr
70 // Kultuer St.Gallen

GOTT
SEI
DANK Autor: Stefan Millius
Bild : Open Air St.Gallen

Das OpenAir St.Gallen ist nicht Woodstock. Gott sei Dank. Der auf
den ersten Blick etwas schräge Vergleich zwischen den beiden
Freiluft-Veranstaltungen zeigt, dass grosse Vorbilder nicht zwingend
besser sein müssen – wenigstens nicht über lange Sicht. Erfolgreich
ist, wer nicht ein einziges Mal für ein Feuerwerk sorgt, sondern die
Glut über Jahrzehnte am Leben erhält. Eine Annäherung an den
wichtigsten kulturellen Anlass der Ostschweiz.

Ja, natürlich, Woodstock ist legendär. So viele Menschen, so

klingende Namen, für viele das Musik gewordene Signal für einen
Wendepunkt in der Gesellschaft. Aber schauen wir genauer hin.
Die erste Durchführung war das nackte Chaos, ein Vielfaches der
erwarteten Zuschauer erschien auf dem Gelände. Der Anlass war
(bevor die Filmaufnahmen kommerziell ausgeschlachtet wurden)
zunächst ein finanzieller Flop, weil die Kassenhäuschen nicht
rechtzeitig standen und das Festival somit gezwungenermassen
kostenlos war. Die zweite und dritte Ausgabe schliesslich waren
reine Jubiläumsanlässe, 25 beziehungsweise 30 Jahre nach
Original-Woodstock, mit dem die Neuauflagen nicht mehr viel
zu tun hatten. Ja, Woodstock wird auf ewig der bekannteste
Musikevent unter freiem Himmel bleiben. Aber einer, der von der
Erinnerung zehrt. Und der das Resultat vieler glücklicher Zufälle
war.
Den Zeitgeist getroffen
Apropos Zufall. Woodstock war 1969. Dass es acht Jahre dauerte,
bis die Region St.Gallen ihr Freiluftkonzertereignis, damals
noch in Abtwil beheimatet, erhielt, war kein Zufall. Es handelt
sich um die berühmte Verspätungs-Dekade: Was in den USA für
Aufsehen sorgt, schwappt jeweils etwa zehn Jahre später Richtung
Zentraleuropa. 1977 spielten 13 Bands vor rund 2000 Zuschauern
auf dem Ätschberg bei Abtwil: Die Geburtsstunde des OpenAir
St.Gallen. Angelockt worden waren sie vom Versprechen, bei guter
Musik in einem schönen Gelände campieren und Gemeinschaft
erleben zu können. Eine Beschreibung, die gewissermassen das
Abziehbild für sämtliche St.Galler OpenAirs bis heute darstellt.
Vergessen wir gross angelegte Strategiedebatten, Konzepte und
Workshops: Der Idee der damaligen Gründer war vermutlich das
Resultat eines gemütlichen Abends unter Freunden und traf
dennoch exakt das Bedürfnis der Menschen. Und zwar unabhängig
von einem gerade herrschenden Zeitgeist. Denn sonst würde das
OpenAir St.Gallen in diesem Jahr nicht zum 35. Mal durchgeführt.
Professionalisierung ohne Verlust
Natürlich hat sich der Anlass, nach einigen Jahren ins St.Galler
Sittertobel verlegt, zwischendurch immer wieder neu erfunden.
Und natürlich ist die Spontanität von damals sorgfältiger Vorarbeit
gewichen. Das OpenAir St.Gallen hat sich weiter entwickelt. Aber
das, ohne sich selbst untreu zu werden. Ende der 70er-Jahre war
das Konzept des Eventsponsorings noch weitgehend unbekannt
beziehungsweise wurde hemdsärmelig praktiziert. Improvisation
statt Planung, Freiwilligkeit statt Kommerzialisierung: Das waren
 Verlosung: 1x2 Nachtschwärmer-Tickets
Das OpenAir St.Gallen findet in diesem Jahr vom
30. Juni bis 3. Juli statt. Mit Linkin Park, Die Fantastischen
Vier, The National, Beatsteaks, Hurts und Dizzee Rascal
wurden Headliner verpflichtet, die bei den Openair-Fans für
grosse Vorfreude sorgen.
Weitere Namen: Wir sind Helden, John Butler Trio, The Young
Gods, Johnossi, Baschi, Gustav – Aufzählung alles andere
als vollständig. Alle Informationen, Ticketbestellung und
vieles mehr unter www.openairsg.ch.
Leser von 9000 können zum Nulltarif dabei
sein, wenn das Sittertobel kocht. Wir verlosen 1x2
Nachtschwärmer-Tickets. Einfach ein E-Mail mit dem
Betreff «OpenAir St.Gallen» und der eigenen Adresse an
sg9000@complecta.ch schreiben.
Einsendeschluss ist der 31. Mai 2011. Viel Glück!

damals die Maximen. Heute ist es unvorstellbar, einen Anlass in

dieser Grössenordnung durchzuführen, ohne auf professionelle
Strukturen zurückzugreifen. Trotz dieser Entwicklung nennt ein
grosser Teil der Besucher nach wie vor die einmalige Atmosphäre
als herausragendes Merkmal des OpenAir St.Gallen. Offenbar ist es
gelungen, mit der Zeit zu gehen und den Urgedanken des Anlasses
dennoch zu konservieren.
Das OpenAir St.Gallen ist 35 Jahre nach seiner
Entstehung von vielen entdeckt und von fast ebenso vielen
zum Eigentum erklärt worden. Es wird immer dann ins Feld
geführt, wenn die Ostschweiz – wer immer das ist – beweisen
will, dass «man» auch jemand ist. Und das nicht von kulturellen
Kreisen. Selbst die Vermarkter des Wirtschaftsstandortes
verweisen auf den Anlass, der St.Gallen einmal im Jahr so richtig
international werden lässt. Der Seele des OpenAir schaden diese
Vereinnahmungen nicht. Im Gegenteil. Wer 35 Jahre lang ohne
Unterbruch mit Volldampf läuft, dabei nie von der Nostalgie leben

,...
muss und dennoch den Geist der Geburtsstunde atmet, ist schon
längst eine lebende Legende.
72 // Schlusswort
EIN
GRABEN
ZUVIEL
«Diesmal ist das Ganze irgendwie anders. Es ist zu perfekt,
zu arrangiert.» Klaus Schmid, der Forensiker, schaut hoch
zu Kommissar Frischknecht. «Es ist wieder eine einfache
Frau, die auf ihrem Weg zur Arbeit war. Um die Vierzig, Typ
Verkaufsangestellte. Entweder eine Angestellte von H&M
oder eines anderen Bekleidungsgeschäfts hier in der Nähe.»
«Nein, dieses mal ist es keine Frau aus diesem Berufsfeld“,
antwortete Kommissar Frischknecht schaute dabei suchend dem
Schmittengässlein entlang, bis zum Ausgang wo sein Blick direkt
auf das Modeunternehmen Feldpausch und davor eine Wand
Schaulustiger fiel. «Marianne, wo ist mein zweiter Assistent?»
fragte Frischknecht und trat einen Schritt von der Leiche zurück
zu einem der gelben, leeren Schaukästen an der Hauswand zum
Kleiderriesen H&M. «Vinzens musste die Absperrung vergrössern.
Es ist ein Alptraum wie die sonst eher zurückhaltenden St.Galler
mit ihren Handys morgens um 7.00 Uhr schon parat sind, um
ein Bild für eine Billigzeitung zu schiessen.» Am dritten gelben
Schaukasten stehend, antwortet Frischknecht in einem harten
aber emotional beherrschten Ton: «Seit die Pendlerzeitung 20
Minuten diese beschissene Honoraraktion für jeden wirklichen
Hinweis angefangen hat, den ein Journalist dann bestätigen
muss, sind diese Couch-CSI-Freaks wie die Irren am Schnüffeln
und Jagen. Und dann diese Facebookseite mit Tausenden von
Freunden und Hinweisen. Es ist nicht auszuhalten, wie dieser
Tsunami an Informationen und Paranoia das Ganze zum
schlimmsten Falle meines Lebens macht, und dann...», plötzlich
hielt Frischknecht inne, er beugte sich zur linken Ecke des letzten
dieser gelben Schaukästen und verharrte einen Moment ganz
ruhig. «Schmid, hier, dieser kleine Stofffetzen. Die Ermordete
musste sich im Gegensatz zu den anderen fünf Ermordeten
gewehrt haben. Und ich glaube, sie wusste genau mit wem sie es
zu tun hatte. Irgendwas ist anders. Aber was nur!» Frischknechts
Assistentin Marianne Flammer, die schon einen ganze Weile
neben Klaus Schmid stand und sich alles anhörte, antworte
ruhig ohne dabei von der Leiche hochzusehen: «Es müssen zwei
Täter gewesen sein. Das Opfer hat eine zu kräftige Figur und sehr
starke Hände. Sie hat wohl versucht sich zu wehren, aber dazu
hat sie zuwenig Verletzungen an den Händen und Armen, und.....»
Frischknecht unterbrach sie, ging an ihr vorbei und gab ihr ein
Zeichen mitzukommen. «Schmid, Sie erreichen mich auf dem
Handy» «Klar Boss.»
Mario Romano
_ Flammer bestellte zwei Kaffees bei der feinen Rothaarigen mit
den Sommersprossen, während Frischknecht sich das St.Galler
Tagblatt schnappte, kurz die erste Seite mit der Titelstory zur
x-maligen Entlassung eines St.Galler Fussballtrainers überflog
und dann diese einfach auf die Heizung zu seinen Füssen
warf. «Gibt es was wichtiges zu lesen?» fragte Flammer trotzig.
«Flammer, sie sollten ihren Instinkt nicht durch diese Fantasien
im Tagblatt vernebeln lassen. Sagen Sie mir, was sie wirklich
gesehen haben.» Frischknecht schaute seine Asisstentin fordernd
fast väterlich an. Unbeeindruckt von der Strenge und Dominanz
ihres Chefs antwortete sie fast vergnügt: «Es sind zwei Täter. Sie
wissen, wir konnten bis jetzt die Symbole, die der Täter jeweils
am Tatort hinterliess, vor der Presse verheimlichen. Wir dachten
bis anhin, die Symbole sind kleine Fetische eines Irren. Es sind
aber Hinweise.» «Sie wollen mir damit sagen, der oder die Täter
legen uns eine Spur oder verarschen uns? Oder machen sich
sogar über uns lustig?» Frischknecht wurde im Gesicht leicht
farblos. «He Chef, ich glaube nicht, dass die sich über uns lustig
machen. Ich glaube, wir müssen alles nochmals durchgehen. Für
mich klingt das nach einer Geschichte, die hier erzählt werden
soll.» «Flammer, bitte, nicht so laut, wir sind hier nicht alleine im
Camillo», antwortete Frischknecht frustriert und starrte durch die
Scheibe auf die andere Seite der Gasse. Direkt in ein Schaufenster
eines Lichtkonzeptgeschäfts. Er starrte fast verzweifelt in diese
Richtung, als müsste ihm doch plötzlich ein Licht aufgehen:
«Gehen wir davon aus, dass die Tatorte und die Positionierung
der Leichen, und die abgetrennten Leichenteile, die jeweils fein
säuberlich neben die Leiche gelegt wurden, zusammenhängend
was zu erzählen haben, dann ist die Frage, wem wollen diese Irren
was erzählen.» «Chef? und?....... oder nur ihnen?» Marianne Flammer
konnte zusehen, wie sich im Gesicht ihres Chefs die Farben
wechselten, als würden ihn die verschieden bunten Lampen des
gegenüberliegenden Lichtgeschäfts persönlich illuminieren.
«Chef, ich denke, bei 30 Jahren Polizeiarbeit, haben Sie bestimmt
die eine oder andere Sache hinterlassen. Jeder hat so seine Leichen
im Keller.»
_/// Fortsetzung folgt.
Sämtliche Personen sind reine Erfindungen. Die erwähnte Strassen
und Gassen wie Lokale sind Originalplätze.
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