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Im Verlauf dieses Kapitel dürfte deutlich zum Ausdruck gekommen

sein, dass sich die im dritten Kapitel beschriebenen Methoden der be-
havioristischen Konditionierungspsychologie nicht allein auf klinische
Therapie, Kindererziehung und Lerntheorie beschränken. Sie kommen
in den aktuellen Texten des zweiten Sozialgesetzbuches (SGB II) deut-
lich zum Ausdruck und spiegeln sich ebenso in den neoliberalen Kon-
zepten wie dem „Konsens von Washington“ wider.

Dies ist nicht sehr verwunderlich. Schließlich stieß der Behaviorismus


von Beginn an auf großes Interesse bei den Industriekonzernen, vor
allem für den Bereich der Arbeits- und Organisationspsychologie. So
war B. F. Skinner nicht nur im Labor mit seinen Rattenversuchen und
seiner Blackbox beschäftigt, sondern darüber hinaus auch als Militär-
und Industriepsychologe tätig. In seinem Buch „Jenseits von Würde
und Freiheit“ entwirft er Anfang der 1970er-Jahre ein Modell für ein
Gesellschaftssystem, in dem die Menschen mittels der Methoden von
positiver und negativer Verstärkung vollkommen gesteuert, überwacht
und kontrolliert werden. Nach der dort vertretenen Ansicht verlangt
das reibungslose Funktionieren einer technisch hoch entwickelten In-
dustriegesellschaft vonseiten ihrer Bürger absoluten Gehorsam, Füg-
samkeit und totale Kooperation (vgl. Leary, 1981b, S. 53).

Die Skinner’sche Ideologie, Menschen in gleichgeschaltete Industriero-


boter umzukonditionieren, geht hier so weit, dass sie die Abschaffung
des autonomen Menschen als längst überfällig bezeichnet. Origingal-
ton Skinner:

„Was im Begriff ist, abgeschafft zu werden, ist der ‚autonome


Mensch‘ – der innere Mensch, der Homunkulus, der besitzergrei-
fende Dämon, der Mensch, der von der Literatur der Freiheit und
der Würde verteidigt wird.“ (Skinner, 1973, S. 205).

Blicken wir auf den gesellschaftspolitischen Paradigmenwechsel, be-


finden wir uns also in einer äußerst paradoxen Situation. Sie spiegelt
sich in dem konkreten Widerspruch zwischen den dargestellten wis-
senschaftlichen Erkenntnissen aus der Gehirnforschung einerseits und
der vorherrschenden behavioristischen Sozialpolitik andererseits wi-
der. Wie in den ersten beiden Teilen dieses Buches ausführlich er-
läutertet wurde, sind die Entwicklung und Erweiterung neuronaler
Netzwerke von den entsprechenden Lern- und Erfahrungsprozessen
abhängig.

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Dass sich emotionale, soziale und kognitive Kompetenzen überhaupt
entfalten können, setzt voraus, dass die Bedürfnisse nach existenzieller
und emotionaler Sicherheit erfüllt sind. Aufgrund der offen stehenden
Zeitfenster, in denen die sozialen und kognitiven Fähigkeiten geprägt
werden, sind diese Aspekte insbesondere für die Kindesentwicklung
von allergrößter Bedeutung. Aber unabhängig davon, welchen Verlauf
die Persönlichkeitsentwicklung des einzelnen Menschen nimmt, ha-
ben diese Bedürfnisse natürlich auch für die Gehirne von Erwachse-
nen ihre existenzielle Gültigkeit, wie Abraham Maslow bereits in sei-
ner Motivationstheorie (Bedürfnispyramide) dargelegt hat und wie
dies im Modell der acht Gehirnschaltkreise ebenso deutlich zum Aus-
druck kommt.

Wird in einer technisch hoch entwickelten Industriegesellschaft der Zu-


fluss an benötigten Geldscheinen unterbrochen, dann wird seitens des
Gehirns akute Überlebensgefahr signalisiert, was zumindest einen vor-
läufigen Zusammenbruch der neuronalen Strukturen im präfrontalen
Kortex (vordere Stirnlappen) zur Folge hat. Durch diese Zerstreuung
entstehen Gefühle von Hilflosigkeit, Angst, Bedrohung und Unsicher-
heit, was nach dem Modell der acht Gehirnschaltkreise eine hochgra-
dige Aktivierung der ersten beiden Schaltkreise (Stamm- und Klein-
hirn, limbisches System) bedeutet. Somit vermindert sich durch diesen
Zustand die Energiezufuhr im Großhirn, was eine enorme Störung ko-
gnitiver Arbeitsprozesse beinhaltet. Wird dieser Zustand über einen
längeren Zeitraum aufrechterhalten, ergeben sich keine Lösungskon-
zepte für die Überwindung dieser Hilflosigkeit, so ist eine Auflösung
bereits vorhandener Netzwerke in diesen Gehirnbereichen unver-
meidbar. Aus neurologischer Sicht stellt sich hier schon fast die Frage,
inwieweit wir es hier mit einer gesellschaftlichen Massenhospitalisie-
rung zu tun haben. Schließlich führen Deprivationen immer auch zu
neuronalen Verkümmerungen, welche sich wiederum auf die mentale
und körperliche Gesundheit auswirken.

Nach kritischer Reflexion dieser gesellschaftspolitischen und sozialen


Zustände kann sowohl aus geistes- als auch aus naturwissenschaftlicher
Sichtweise die Erkenntnis gewonnen werden, dass die herrschenden
politischen Konzepte einer erfolgreichen Gehirn- und Persönlichkeits-
entwicklung in gravierender Weise entgegenwirken. Durch die Unter-
drückung und Deprivation menschlicher Potenziale, ausgelöst durch
existenzielle Bedrohung, werden wesentliche Faktoren wie Motivati-
on, Leistungsfähigkeit und soziale Kompetenzen weitgehend einge-

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schränkt, in den schlimmsten Fällen sogar verhindert. Im Hinblick auf
die formulierten Hauptpostulate von „Fördern und Fordern“ weisen
die Inhalte des zweiten Sozialgesetzbuches in ihren tatsächlichen Aus-
wirkungen einen ersichtlich kontraproduktiven Charakter auf.

Diese Tatsache ist anhand unserer gewonnenen Erkenntnisse durch-


aus erklärbar. Schließlich ist das hier angewandte eindimensionale
Prinzip von Bestrafung und Belohnung (Reiz-Reaktions-Schema) seit
Jahrzehnten in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen durch
komplexere, kybernetische Modelle widerlegt. Zudem konnte die Ge-
hirnforschung in den 1990er-Jahren durch bildgebende Verfahren bele-
gen, dass bestrafende Maßnahmen, also negative Verstärker, keinerlei
Auswirkungen auf die neurobiologischen Motivationsprozesse haben.
Und selbst wenn durch positive Verstärkung die Erwartungshaltung
(Kontigenz) erfüllt wird, tritt dadurch kein dynamischer Lernprozess
in Gang. Es findet kein Transfer statt, wie man in der Sprache der Er-
lebnispädagogik zu sagen pflegt. Dieser kann sich nach neurologischer
Erkenntnis nur dann vollziehen, wenn die Erwartungshaltung über-
troffen wird. Erst wenn die zuständigen Dopaminsysteme körpereige-
ne Endorphine ausschütten und daraufhin der berühmte „Aha-Effekt“
und mit ihm verbundene Glücksgefühle erfolgen, kann ein effektiver
Lernprozess in Gang gesetzt werden. Erst dann können, aufgrund der
dem Gehirn innewohnenden Plastizität, neue Verbindungen herge-
stellt und somit die neuronalen Netzwerke erweitert und die Gehirn-
strukturen in einem positiven Sinne verändert werden (vgl. Kapitel
2 u. 3).

Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse erfordern daher auf langfristige


Sicht eine kreative, emanzipatorische und intelligente Umstrukturie-
rung der sozioökonomischen und politischen Systeme, um die zuneh-
mend komplexer werdenden Prozesse im Informationszeitalter er-
folgreich gestalten zu können. Kurzfristig sind aber radikale, sprich
tief greifende Veränderungen in den sozialen Systemen dringend not-
wendig, um allen Mitgliedern der Gesellschaft die existenziellen Si-
cherheiten und sozialen Bedingungen zu gewährleisten, damit sie ein
menschenwürdiges Leben führen können. Eine solche Grundsiche-
rung würde zwar nicht von heute auf morgen eine bessere und fried-
lichere Welt schaffen und wohl auch nicht schlagartig über Nacht eine
gesellschaftliche und globale Intelligenzsteigerung bewirken. Aber sie
könnte einen enormen Beitrag leisten, das soziale Spannungsfeld zu
entkräften und sozialen Konflikten entgegenzuwirken. Und erst da-

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durch können die notwendigen Grundlagen geschaffen werden, damit
Bildungs- und Kreativitätsprozesse überhaupt weitgehend in Gang ge-
setzt werden können.

Bedingungsloses Grundeinkommen
Von grundlegendem Interesse für die hier skizzierte sozialpolitische
Problematik ist daher die Idee eines bedingungslosen Grundeinkom-
mens. Sie gewinnt im Kontext der öffentlichen Debatte um die umstrit-
tenen Hartz-IV- Gesetze auch hierzulande immer mehr an politischer
Bedeutung. Seitens ihrer Befürworter hat sich bereits ein breites Bünd-
nis formiert, das weite Teile des gesellschaftlichen und politischen
Spektrums umfasst. So haben sich verschiedene Initiativen, Interes-
sensverbände und Netzwerke gegründet, welche die Forderung nach
einem solchen Grundeinkommen in die öffentliche Debatte einbrin-
gen. Auch wenn bislang keine parlamentarischen Mehrheiten für eine
solche Idee in Sicht sind, haben deren Ideen und Argumente für ein
Grundeinkommen seit Längerem die mediale Öffentlicheit erreicht
und sogar einige Debatten in verschiedenen Parteien ausgelöst. Neben
vereinzelten Diskussionsansätzen in CDU und FDP sind bei Grünen
und Linken bereits Grundsatzdebatten zu diesem Thema zu beobach-
ten. Lediglich die sozialdemokratische Arbeitsethik demonstriert eine
geschlossene, flügelübergreifende Ablehnung im Hinblick auf die Idee
einer bedingungslosen Grundsicherung.

Eine Vertiefung dieser sozialpolitschen Debatte würde den Rahmen


dieses Kapitels wohl um ein Vielfaches übersteigen und kann hier
nicht geleistet werden. Dies gilt ebenso für die Darstellung der ver-
schiedenen Entwürfe, welche in einzelnen Initiativen und Netzwerken
diskutiert werden. Dennoch soll abschließend kurz erwähnt werden,
was denn die grundlegende Idee beinhaltet und welche Argumente
hierzu angeführt werden.

Unabhängig von der strategischen Kontroverse, auf welchem Wege


und in welcher Höhe eine solche Grundsicherung eingeführt werden
könnte, sind sich die Befürworter grundlegend darin einig, welche Kri-
terien ein solches bedingungsloses Grundeinkommen erfüllen soll. Zu-
nächst wird hier ein Einkommen definiert, das jedem Mitglied der Ge-
meinschaft grundsätzlich gewährt wird und an keinerlei Bedingungen
geknüpft ist. Die folgenden Kriterien, die ein solches Grundeinkom-
men beinhalten sollte, werden von verschiedenen Bürgerinitiaven und

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