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Heiko Kleve

Sozialarbeitswissenschaft, Systemtheorie und Postmoderne

Grundlegungen und Anwendungen


eines Theorie- und Methodenprogramms
Heiko Kleve

Sozialarbeitswissenschaft,
Systemtheorie und Postmoderne

Grundlegungen und Anwendungen eines


Theorie- und Methodenprogramms

Lambertus
Für Noah und Tanja.

ISBN 3-7841-1489-X

Alle Rechte vorbehalten


© 2003, Lambertus-Verlag, Freiburg im Breisgau
Umschlag, Gestaltung, Satz: Ursi Aeschbacher, Biel-Bienne (Schweiz)
Herstellung: Franz X. Stückle, Druck und Verlag, Ettenheim

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek


Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH-KONSTRUKTIVISTISCHE
GRUNDLEGUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

1. Soziale Arbeit als wissenschaftliche Praxis


und als praktische Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
I. Theorie und Praxis Sozialer Arbeit – zwei Seiten einer Form . . . 19
II. Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
III. Kontingenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
IV. Autopoiesis und Selbstreferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
V. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

2. Soziale Arbeit als konstruktivistische Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . 30


Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
I. Konstruktivismus als praktische
Epistemologie der Sozialarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
II. Gesellschaftlicher Kontext
der konstruktivistischen Erkenntnistheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
III. Systemtheoretische Spielarten des Konstruktivismus . . . . . . . . 37
IV. Schlussfolgerungen für die Praxis
und Theorie der Sozialen Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

3. Systemtheorie und Ökonomisierung Sozialer Arbeit . . . . . . . . . . 45


Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
I. Ökonomisierung als Lösung
sozialarbeiterischer Funktionsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
II. Ökonomisierung als Problem Sozialer Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . 51
III. Zur Ambivalenz der Systemtheorie Sozialer Arbeit . . . . . . . . . 58
INHALT

2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

4. Postmodernes Wissen für die Soziale Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . 63


Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
I. Lyotard im philosophischen Kontext
der Debatte um die Postmoderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
II. Von der modernen zur postmodernen Natur
des Wissens und der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
III. Soziale Arbeit als postmoderne Profession und Disziplin . . . . 83

5. Die postmoderne Theorie Sozialer Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88


Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
I. Ambivalente Realität Sozialer Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
II. Ambivalenz der Moderne als real-historischer
Ursprung Sozialer Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
II.1 Soziale Arbeit als Reaktion auf die
Ambivalenzen funktionaler Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
III. Ambivalenz der Wissenschaft und Theorie Sozialer Arbeit . . 107

6. Sozialarbeit als postmoderne Profession


ohne eindeutige Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
I. Vom modernen zum postmodernen
Gemüts- und Geisteszustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
II. Der identitätssprengende Generalismus Sozialer Arbeit . . . . . 120
III. Die postmoderne Wandlungsfähigkeit Sozialer Arbeit . . . . . . 122
IV. Postmoderne Sozialarbeit – Vorschlag
für eine Umdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH-KONSTRUKTIVISTISCHE UND


POSTMODERNE ANWENDUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

7. Zwei Logiken des Helfens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131


Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
I. Selbstkonstruktive Logik des Helfens – ein
Beschreibungs- und Erklärungsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
II. Selbstdekonstruktive Logik des Helfens – ein
Beschreibungs- und Erklärungsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
INHALT

8. Die sechs Schritte helfender Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . 146


Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
I. Kontextualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
II. Beschreibung der Probleme und Analyse der Ressourcen . . . . 153
III. Bildung von Hypothesen über die Problembedingungen . . . . . 156
IV. Zielfindung und Auftragsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
V. Handlungsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
VI. Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
Rhizomatische Nachbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

9. Mediation – Eine systemische Methode Sozialer Arbeit . . . . . . 170


Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
I. Drei Fälle für die Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
II. Mediation – eine Methode Sozialer Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 174
III. Das Systemische der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
IV. Das Stufenmodell der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
V. Die Aktualität der Mediation in der Postmoderne . . . . . . . . . . . 189

10. Reframing in der systemischen


Beratung und Supervision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
I. Beratung und Supervision als Beobachten
des Beobachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
II. Reframing als Mittel zum Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
III. Reframing in Aktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
IV. Epilog: Reframing als (De-)Konstruktion von Kontexten . . . . 212

LITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

NACHWEISE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

DER AUTOR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232


Vorwort

Sozialarbeitswissenschaft, Systemtheorie und Postmoderne sind The-


men, die das Theorie- und Methodenprojekt kennzeichnen, an dem ich
seit einigen Jahren arbeite.
Sozialarbeitswissenschaft steht dabei für eine wissenschaftliche Refle-
xion der Sozialen Arbeit, die beginnt, aus ihrer Dominierung und Kolo-
nialisierung durch andere Disziplinen herauszutreten. Inzwischen kön-
nen diesbezüglich bereits erste vorsichtige Erfolge vermeldet werden.
So ist es sicher nicht übertrieben zu sagen, dass sich eine scientific com-
munity heraus differenziert hat, die an diesem Ziel arbeitet. Auch die
mittlerweile von der Kultusministerkonferenz der Bundesländer und
der Hochschulrektorenkonferenz verabschiedete Rahmenordnung für
den Studiengang Soziale Arbeit, die sich an der Sozialarbeitswissen-
schaft, an der Fachwissenschaft Soziale Arbeit orientiert (siehe http://
www.dbsh.de /rahmenstudien.pdf [7.6.2003]), kann ein Beleg dafür
sein. Kritische Stimmen sind jedoch auch nicht überhörbar. So interpre-
tiere ich die Einwände Christian Niemeyers (zum Beispiel 2003) gegen
die Sozialarbeitswissenschaft vor allem so, dass wir die Traditionslinie
der Sozialpädagogik in Deutschland nicht vergessen sollten; denn gera-
de diese Linie steht für eine geistes- und sozialwissenschaftliche Be-
gründung sozialer Wohlfahrts-, Fürsorge- und Erziehungspraxis.
Zweifellos können wir jedoch davon ausgehen, dass mit dem Programm
einer Sozialarbeitswissenschaft die Konsolidierung einer Profession
und einer Disziplin der Sozialen Arbeit voranschreitet. Dieses Voran-
schreiten führt dazu, dass sich innerhalb der Sozialarbeitswissenschaft
unterschiedliche theoretische und methodische Paradigmen konstituie-
ren. In diesem Buch geht es um ein solches Paradigma, und zwar um ei-
nes, das sich sowohl als systemtheoretisch-konstruktivistisch wie auch
als postmodern versteht. Die Sozialarbeitswissenschaft – als Theorie-
und als Methodenprogramm – soll mithilfe systemischer und postmo-
derner Ansätze unterfüttert werden. Denn meine These ist, dass wir die
Entwicklung und Konstituierung der Sozialarbeitswissenschaft – so-
wohl in theoretischer als auch in methodischer Hinsicht – vorantreiben
können, wenn wir die Entwicklungen der Systemtheorie und der Post-
moderne aufgreifen.

9
VORWORT

Diese These war bereits Ausgangspunkt unterschiedlicher Publikatio-


nen, in denen ich versucht habe, ihre Stichhaltigkeit zu erhärten. So
ging es mir 1996 in Konstruktivismus und Soziale Arbeit vor allem dar-
um, die erkenntnistheoretische Grundlage der Systemtheorie darzustel-
len und zu fragen, welchen Nutzen diese Theorie für die Soziale Arbeit
haben könnte. In Postmoderne Sozialarbeit habe ich 1999 ausgeführt,
dass als Strukturmerkmal der praktischen Sozialen Arbeit der Umgang
mit und das Aushalten von Ambivalenzen angesehen werden kann und
dass daher auch versucht werden sollte, die sozialarbeiterische Theorie
als eine ambivalenzreflexive Theorie, als Inszenierung der Ambivalen-
zen Sozialer Arbeit zu konzipieren. Die Sozialarbeit ohne Eigenschaf-
ten aus dem Jahre 2000 führt vor, dass es in der Sozialen Arbeit nicht
möglich ist, klassischen Identitätskonzepten zu folgen; vielmehr liegt
die Stärke von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern gerade darin,
sich offen zu halten für eine Vielfalt von möglichen Identitäten und
Aufgaben. Und schließlich haben Britta Haye, Andreas Hampe-Gros-
ser, Matthias Müller und ich mit dem Buch Systemisches Case Manage-
ment (2003) erst kürzlich versucht, systemtheoretische und postmoder-
ne Entwicklungen für eine methodische und ausgesprochen praxisrele-
vante Konzeption der Sozialen Arbeit mit Einzelnen und Familien
nutzbar zu machen.
Die vorliegende Publikation unterscheidet sich von den genannten Bü-
chern dadurch, dass sie breiter angelegt ist, alle bereits behandelten
Themen streift und damit vor allem zweierlei intendiert: Erstens will sie
eine einführende Lektüre in die systemtheoretisch-konstruktivistische
und postmoderne Sozialarbeit bieten und zweitens kann sie als ein erstes
Resümee dieses Theorie- und Methodenprogramms gelesen werden.
Einen einführenden Charakter hat das Buch insofern, da es Texte verei-
nigt, die grundsätzliche Fragen der Theorie und Methodik Sozialer Ar-
beit auf der Basis systemtheoretischer, konstruktivistischer und post-
moderner Ansätze diskutieren, ohne dass allzu umfangreiches theoreti-
sches Vorwissen bereits vorausgesetzt wird. Das benannte Theorie- und
Methodenprogramm wird resümiert, weil das Buch unterschiedliche
Themen, mit denen ich mich in den letzten Jahren beschäftigt habe, do-
kumentiert und zusammenfasst. Dabei können die Möglichkeiten und
Grenzen eines systemtheoretischen, konstruktivistischen und postmo-
dernen Ansatzes innerhalb der Sozialarbeitswissenschaft bereits ausge-
lotet werden.

10
VORWORT

Das Buch gliedert sich in drei Teile: Im ersten Teil werden grundlegen-
de Thesen einer systemtheoretisch-konstruktivistisch orientierten Sozi-
alarbeitswissenschaft referiert und diskutiert. Diese gehen insbesondere
aus von der Theorie selbstreferentieller Systeme, die der Soziologe und
transdisziplinär arbeitende Sozialwissenschaftler Niklas Luhmann
(1927-1998) über mehrere Jahrzehnte (von Mitte der 1960er Jahre bis
zu seinem Tode 1998) im Anschluss an unterschiedliche Innovationen
in der Kybernetik (Heinz von Foerster und Gregory Bateson), der Ma-
thematik und Logik (George Spencer-Brown und Gotthard Günther) so-
wie der Neurobiologie (Humberto Maturana und Francisco Varela) an
der Universität Bielefeld entwickelt hat. Es wird die Frage gestellt, wie
diese Theorie eine Sozialarbeitswissenschaft befruchten kann und wie
die Soziale Arbeit verstehbar ist aus der Perspektive der Systemtheorie
der Bielefelder Schule.1 Dabei werden drei Fragerichtungen immer wie-
der aufleuchten – erstens: Wie kann die Interaktion in der Sozialen Ar-
beit, also die unmittelbare face-to-face-Kommunikation zwischen Sozi-
alarbeiterInnen und KlientInnen beschrieben und erklärt werden? Zwei-
tens: Wie ist Soziale Arbeit institutionell organisiert und was bedeutet
dies für ihre alltägliche Praxis? Drittens: In was für einer Gesellschaft
findet Soziale Arbeit heute statt und welche Funktion erfüllt sie in die-
ser? Diese Fragestellungen werden in den ersten beiden Kapiteln zu-
nächst allgemein – vor allem hinsichtlich des Verhältnisses von System-
theorie und sozialarbeiterischer Praxis – diskutiert, während im 3. Ka-
pitel die aktuellen Tendenzen der sozialarbeiterischen Ökonomisierung
ins Verhältnis gesetzt werden zu einer systemtheoretischen Reflexion
Sozialer Arbeit.

1 Mit der Bezeichnung Bielefelder Schule lehne ich mich an eine Formulie-
rung von Peter Fuchs (2000, S. 158) an, der die Systemtheorie, die ausgehend
von Niklas Luhmann zunächst an der Universität Bielefeld entwickelt wurde,
aber inzwischen von verschiedenen WissenschaftlerInnen (Dirk Baecker, Peter
Fuchs Theodor M. Bardmann u.a.) an unterschiedlichen wissenschaftlichen Ein-
richtungen (zum Beispiel an der Privatuniversität Witten/ Herdecke, der Fach-
hochschule Neubrandenburg oder der Hochschule Niederrhein) weiter entwi-
ckelt wird, dermaßen bezeichnet. „Luhmann würde sich entschieden gegen
diese Bezeichnung gewehrt haben, aber ich brauche ein Wort für diese Theorie,
die sich mittlerweile deutlich absetzt von Theorieangeboten derselben Branche.
Im übrigen muß man das Wort Schule nicht von den Schülern her denken oder
von Orten der Lehre, man kann es von ihm selbst aus denken als schola“ (ebd.).

11
VORWORT

Im zweiten Teil des Buches wird die systemtheoretisch-konstruktivisti-


sche durch eine postmoderne Perspektive ergänzt. Die These ist, dass
Soziale Arbeit eine Profession und Disziplin ist, die die Gesellschaft auf
postmoderne Probleme aufmerksam macht und diese Probleme bear-
beitet. Spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zu Beginn des soge-
nannten „sozialpädagogischen Jahrhunderts“ (Hans Thiersch) wurde
die Gesellschaft gewahr, dass die Ideale, die mit der Aufklärung und der
Modernisierung aller Lebensbereiche verbunden waren, nicht realisier-
bar sind. Es zeigte sich, dass der Fortschritt kein lineares nur nach vorne
strebendes Phänomen ist, sondern immer auch einher geht mit Rück-
schritt. Lösung und Problem, Reichtum und Armut offenbarten sich als
zwei Seiten einer Medaille – und inzwischen scheint klar: das eine ist
untrennbar mit dem anderen verbunden. Insbesondere Friedrich Nietz-
sche, später auch Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, aber vor
allem die Philosophen der Postmoderne stehen für eine solche Diagnose
ambivalenter gesellschaftlicher Entwicklung.
Diese Ambivalenz der gesellschaftlichen Bewegung lässt erkennbar
werden, wofür die Soziale Arbeit gesellschaftlich zuständig ist: für die
Bearbeitung der nicht-intendierten, der anderen, der problematischen
Seiten gesellschaftlicher Entwicklung. Zu sehen, dass jede soziale Ent-
wicklung in dieser Hinsicht ambivalent ist, dass sie mindestens zwei wi-
derstreitende Seiten produziert, kann als postmodern bezeichnet wer-
den. Postmoderne meint also, die Grenzen der Moderne und ihrer Ideale
zu reflektieren, offen zu werden für die unüberwindlichen Ambivalen-
zen gesellschaftlicher Prozesse. Wie Soziale Arbeit in diesem Kontext
als eine postmoderne Profession und Disziplin bewertbar ist, wird in
drei Etappen entwickelt – erstens, im 4. Kapitel, geht es um eine Ein-
führung in den Klassiker des postmodernen Denkens, in Lyotards
Schrift Das postmoderne Wissen; zweitens, im 5. Kapitel, wird die his-
torische Entwicklung sowie die Praxis und Theorie Sozialer Arbeit
postmodern gedeutet und drittens schließlich, im 6. Kapitel, wird ein
Vorschlag unterbreitet, wie die leidige Identitätsfrage in der Sozialen
Arbeit postmodern beantwortet werden könnte.
Im dritten Teil des Buches werden die systemtheoretisch-konstruktivis-
tischen und postmodernen Ansätze einer Sozialarbeitswissenschaft auf
die praktische Methodik Sozialer Arbeit bezogen. Hier geht es um die
Frage, wie die Praxis der Sozialen Arbeit ausgehend von den beschrie-
benen theoretischen Grundlagen ihre Handlungen und Kommunikatio-

12
VORWORT

nen strukturieren kann. Zunächst werden, in Kapitel 7, zwei gegensätz-


liche Logiken des Helfens unterschieden, die selbstkonstruktive und die
selbstdekonstruktive Logik. Die Praxis neigt aufgrund ihrer Strukturen
dazu, eher selbstkonstruktiv zu helfen, potentiell KlientInnen an das
Hilfesystem zu binden. Wie diese Logik jedoch durchbrochen werden
kann in Richtung einer selbstdekonstruktiven Logik der Hilfe zur
Selbsthilfe wird anhand unterschiedlicher Möglichkeiten gezeigt. Die
beiden daran anschließenden Kapitel schlagen methodische Strukturie-
rungshilfen, Phasenmodelle, für die Arbeit mit Einzelnen und Familien,
Kapitel 8, und für die Vermittlung in Konflikten (Mediation), Kapitel 9,
vor – beide Strukturen werden ausgefüllt mit systemtheoretisch-kon-
struktivistischen und postmodernen Vorschlägen für das konkrete prak-
tische Handeln. Schließlich wird im letzten Kapitel (10) die konstrukti-
vistische Grundlage schlechthin für die beschriebenen Methodiken dis-
kutiert, und zwar das Umdeuten, das Reframing. Reframing wird am
Beispiel der Beratung und Supervision als ein Phänomen vorgestellt,
das letztlich mit allen psychosozialen Veränderungen einhergeht.
Erwähnt sei noch, dass ich die Kapitel 8 und 10 zusammen mit Britta
Haye, Professorin für Methoden Sozialer Arbeit an der Alice-Salomon-
Hochschule Berlin, verfasst habe; für diese ausgesprochen inspirieren-
de Zusammenarbeit möchte ich ihr herzlich danken. Sehr geholfen ha-
ben mir auch ihre sowohl bestätigenden als auch kritischen Kommenta-
re, die die Entstehung dieses Buches begleitet haben. Meinen herzlichen
Dank möchte ich schließlich an Heinz J. Kersting, Andreas Hampe-
Grosser und Matthias Müller richten, ihre freundschaftlichen Rückmel-
dungen waren hilfreiche Verstörungen für mich – sie ermöglichten mir,
brauchbare Antworten auf jene Fragen zu finden, welche während der
Fertigstellung dieses Buches bei mir immer wieder aufschienen.

Berlin, im Sommer 2003 Heiko Kleve

13
Teil 1:
Systemtheoretisch-
konstruktivistische
Grundlegungen
1. Soziale Arbeit als wissenschaftliche Praxis
und als praktische Wissenschaft
Systemtheoretische Ansätze einer Praxistheorie Sozialer Arbeit

AUSGANGSPUNKTE

An den Anfang stelle ich zwei Fragen, denen bereits in vielen Publika-
tionen nachgegangen wurde – erstens: Was kann die moderne System-
theorie für die Soziale Arbeit leisten? Und zweitens: Wie kann system-
theoretisches Denken sowohl zur wissenschaftlichen als auch zur prak-
tischen Fundierung sozialarbeiterischen Handels beitragen?
Im Gegensatz etwa zu Maja Heiner (1995, S. 440) bin ich der Meinung,
dass bereits zahlreiche brauchbare Antworten auf diese Fragen formu-
liert wurden (siehe etwa Hollstein-Brinkmann 1993; Pfeifer-Schaupp
1995; 2002; Merten 2000). Dennoch ist es wohl nicht ganz falsch, wenn
Heiner (ebd.) konstatiert: „Überwiegend [...] wird die Systemtheorie in
der Sozialen Arbeit schlicht und einfach kaum zur Kenntnis genommen,
weder als Praxistheorie noch als Metatheorie.“ Dies kann m.E. als ein
Dilemma angesehen werden, denn es wird im interdisziplinären Diskurs
von der Physik bis hin zur Literaturwissenschaft kaum über ein Paradig-
ma so heftig diskutiert, wie über die moderne Systemtheorie bezie-
hungsweise deren erkenntnistheoretische Grundlage, den Konstrukti-
vismus (vgl. zur Einführung: Watzlawick 1981; Schmidt 1987; 1992).
Will die Soziale Arbeit, sowohl in ihrer Theorie als auch in ihrer Praxis,
den Anschluss an interdisziplinäre Entwicklungen erreichen, um nicht
zuletzt ihre eigene Wissenschaftlichkeit und praktische Glaubwürdig-
keit zu bekräftigen, ist ihr zu raten, sich systemtheoretisch beziehungs-
weise konstruktivistisch zu reflektieren. Ich habe an anderer Stelle dar-
gestellt, inwiefern der systemtheoretische Konstruktivismus als Refle-
xionstheorie Sozialer Arbeit konzipierbar wäre (vgl. Kleve 1996).
Eine derartige Reflexionstheorie könnte sich gleichzeitig als Hand-
lungstheorie verstehen; sie hätte dann aber auch kybernetische, neuro-
biologische, psychologische und soziologische Forschungsergebnisse
aufzunehmen, um in eine Praxistheorie Sozialer Arbeit zu emergieren.
Nur so wird meiner Ansicht nach der „Ganzheitlichkeit“ Sozialer Ar-

17
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

beit, die soziale beziehungsweise gesellschaftliche Phänomenbereiche


genauso tangiert wie individuell-personelle Ebenen, Rechnung getra-
gen. In den Worten von Heino Hollstein-Brinkmann (1993, S. 193): „ei-
ne Handlungstheorie Sozialer Arbeit, die [...] zugleich als Praxistheorie
zu begreifen ist, also Interpretation konkreter Handlungszusammenhän-
ge und daraus abgeleitete Forderungen für berufliches Handeln ein-
schließt, [müßte] systemische Elemente zum Verständnis der funktiona-
len und strukturellen Dimensionen mit verstehenden Ansätzen des sub-
jektiv Gemeinten und Gewollten [...] verbinden“.
Und genau diesem Postulat wird die moderne Systemtheorie bezie-
hungsweise der systemtheoretische Konstruktivismus gerecht. Die ver-
schiedenen systemtheoretisch-konstruktivistischen Theorieansätze er-
lauben nämlich, die Operationsweisen biologischer, psychischer und
sozialer Systeme einheitlich zu beschreiben beziehungsweise zu rekon-
struieren, ohne aber deren spezifische, nicht aufeinander zu reduzieren-
de Eigendynamik außer acht zu lassen. Vielmehr ist ein zentraler Aus-
gangspunkt moderner systemtheoretischer Forschung, dass ein Ver-
ständnis der Funktionsweisen der genannten Systemklassen nicht
adäquat möglich ist, wenn sie (analytisch) jeweils aufeinander reduziert
werden. So erlaubt etwa der Marxismus, welcher die Psychodynamik
auf soziale – genauer: ökonomische Prozesse – zurückführt, kaum ein
Verständnis der individuell-subjektiven Dynamik von Bewusstseins-
prozessen, während etwa die Psychoanalyse soziale Dynamiken kaum
brauchbar rekonstruieren kann, da sie dieselben aus individuellen psy-
chischen Prozessen ableitet. Dagegen können wir mit Hilfe der System-
theorie Soziales aus Sozialem, Psychisches aus Psychischem und Bio-
logisches aus Biologischem erklären.
Obwohl die bisherigen Ausführungen und auch die zentralen Begriff-
lichkeiten aus der systemtheoretisch-konstruktivistischen Forschung –
wie Form, Komplexität, Kontingenz, Autopoiesis und Selbstreferenz –
zunächst sehr theoretisch klingen mögen und einen unmittelbaren Be-
zug zur sozialarbeiterischen Praxis schwerlich erkennen lassen, kann
bei näherem Betrachten dieser Theoriekonstrukte ihre praktische Rele-
vanz für Probleme von SozialarbeiterInnen augenscheinlich werden. So
lautet meine These, dass die Inhalte, welche insbesondere von den ge-
nannten Begriffen bezeichnet werden, an empirisch beobachtbare Phä-
nomene der sozialen Praxis anschließbar sind und damit auf der ande-
ren Seite praktisches sozialarbeiterisches Handeln wissenschaftlich be-

18
... ALS WISSENSCHAFTLICHE PRAXIS UND ALS PRAKTISCHE WISSENSCHAFT

gründen können. Ich möchte explizit darauf hinweisen, dass diese


These diametral steht zu einem nicht selten zu hörenden Argument, dass
nämlich die Systemtheorie, etwa die Theoriefigur der Autopoiesis, kei-
ne Verknüpfung mit handlungsorientierten Ansätzen erlauben würde.
Ich behaupte im Folgenden das Gegenteil: dass nämlich die Systemthe-
orie ausgesprochen praktisch ist.

I. THEORIE UND PRAXIS SOZIALER ARBEIT – ZWEI SEITEN EINER FORM

Meiner Ansicht nach kann professionelle Soziale Arbeit nur geleistet


werden, wenn die handelnden SozialarbeiterInnen in der Lage sind, ers-
tens: ihre Praktiken theoretisch zu reflektieren und zweitens: Theorien
praktisch zu integrieren. Deshalb ist es eher unpassend, von einem Ge-
gensatz von sozialarbeiterischer Theorie und Praxis auszugehen. Keine
Sozialarbeiterin beziehungsweise kein Sozialarbeiter kann handeln,
ohne von bestimmten (wo auch immer erworbenen) Vorannahmen aus-
zugehen. Diese Vorannahmen, die ich allgemein als Theorie bezeich-
nen möchte, leiten das Handeln und sind meist eine Mischung aus allen
möglichen psychologischen oder pädagogischen Annahmen und leben-
spraktischen „Weisheiten“, denn die Soziale Arbeit selbst hat wenig ei-
gene (wissenschaftliche) Theorien konstruiert, die als Grundlage des
Handelns und Reflektierens dienen könnten.
Aufgrund der praktischen Notwendigkeit von (wie auch immer gearte-
ten) Theorien scheint es in Anlehnung an die Differenztheorie von
George Spencer-Brown (1969) passend zu sein, Theorie und Praxis als
zwei unterschiedene Seiten ein und derselben Form beziehungsweise
Einheit zu verstehen. Wenn SozialarbeiterInnen ihre Handlungen theo-
retisch reflektieren (zum Beispiel während der Supervision oder Selbst-
evaluation), sind sie explizit oder implizit gezwungen, die Unterschei-
dung Praxis/ Theorie ihren Selbstbeobachtungen als Differenzschema
zur Informationsgewinnung zugrunde zu legen. Die Unterscheidung
Theorie /Praxis ist in diesem Sinne eine notwendige Beobachtungsvor-
aussetzung, da nach Gregory Bateson (1979) eine Information ein Un-
terschied ist, der einen Unterschied ausmacht („a difference which
makes a difference“). So informiert die Form der Differenz Theorie /
Praxis zunächst einmal darüber, dass es einen Unterschied macht, ob
praktisch gehandelt oder theoretisch reflektiert wird. Erst dieser Unter-

19
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

schied ermöglicht weitere Differenzierung von Informationen; etwa


darüber, ob es theoretisch begründbar ist, wie praktisch gehandelt wurde
oder ob mit Hilfe der Theorie andere Handlungsmöglichkeiten konstru-
ierbar sind als jene, die möglicherweise erfolglos angewendet wurden.
Sobald PraktikerInnen ihre Handlungen reflektieren beziehungsweise
(selbst) beobachten, begeben sie sich zwangsläufig auf die Seite der The-
orie; sie werden zu BeobachterInnen zweiter Ordnung, die ihre eigenen
Beobachtungen beziehungsweise Handlungen beobachten. In einem ge-
wissen Sinne werden reflektierende SozialarbeiterInnen quasi zu Wis-
senschaftlerInnen ihrer Praxis, denn: „Wissenschaft operiert prinzipiell
auf der Ebene der Beobachtungen zweiter Ordnung“ (Schmidt 1994, S.
45). Auf der anderen Seite sind SozialarbeiterInnen uneingeschränkt
PraktikerInnen, sobald sie – wie bewusst oder unbewusst auch immer –
theoriegeleitet ihre helfenden Tätigkeiten ausführen. Somit ist die Form
der sozialarbeiterischen Theorie und Praxis also niemals von außen etwa
objektiv beobachtbar: SozialarbeiterInnen sind entweder TheoretikerIn-
nen ihrer Praxis oder PraktikerInnen mit ihren Theorien. Sie unterschei-
den beide Seiten (Theorie /Praxis), um sich zu entscheiden, auf welcher
Seite sie jeweils – zwecks Informationsgewinnung – operieren wollen:
auf der theoretischen zur Reflexion der Praxis oder auf der praktischen
mit Hilfe von Theorien.
Aus dieser Form können auch PsychologInnen oder SoziologInnen, die
die Soziale Arbeit (kritisch) beobachten und ihr beispielsweise Theo-
riefeindlichkeit vorwerfen, nicht ausbrechen, denn sie stehen ja schon
immer auf der Seite ihrer sozialarbeiterisch nicht beachteten Theorien.
Nebenbei gesagt, es sind wohl nicht selten derartige nicht-beachtete
TheoretikerInnen, die, wenn sie SozialarbeiterInnen zur Beachtung ih-
rer Theorien missionieren wollen, zu hören bekommen: „Ihr könnt uns
nichts erzählen, wir kommen ja aus der Praxis.“ Damit PraktikerInnen
dies allerdings konstatieren können, benötigen sie wiederum Theorien;
wenn auch in ablehnender Hinsicht.
Fassen wir zusammen: Die zwei Seiten der Form Theorie /Praxis sind
wechselseitig vermittelt beziehungsweise setzen sich jeweils voraus.
Mit anderen Worten, die Theorie bestimmt, dass und sogar was praktisch
beobachtet werden kann, während auf der anderen Seite die Praxis be-
stimmt, dass und was theoretisch plausibilisierbar ist. Aus diesem Kreis
gibt es kein Entkommen. Diesbezüglich kann es nur noch als eine Illu-
sion gelten, dass der Zirkel, der die lästige Form generiert, welche zur

20
... ALS WISSENSCHAFTLICHE PRAXIS UND ALS PRAKTISCHE WISSENSCHAFT

Praxis Theorie benötigt und zur Theorie Praxis, durchbrochen werden


kann. Daher ist letztbegründetes objektives Wissen unmöglich. Wir os-
zillieren vielmehr zwischen den beiden Seiten, das heißt theoretisches
Wissen verweist auf die Praxis, während die praktische Erfahrung auf
die Theorie verweist.
Der Zaun zwischen der theoretischen und der praktischen Seite kann
nichts anderes als eine Grenzlinie sein, bei deren Überqueren Sozialar-
beiterInnen bestenfalls derart verstört werden, dass sie merken: die er-
fahrbare (theoretische oder praktische) Komplexität ist größer als sie
dachten, denn die jeweilige (Theorie- beziehungsweise Praxis-)Wirk-
lichkeit zeigte sich anders als erwartet. Um allerdings eine derartige Ver-
störung, die neue Sichtweisen und Handlungsalternativen aufzeigen
kann, auszulösen, sind SozialarbeiterInnen gezwungen, ihre (wenig pro-
fessionellen) Alltagstheorien mit Hilfe von komplexen wissenschaftli-
chen Theorien zu professionalisieren.

II. KOMPLEXITÄT

Systemtheoretisch gesehen lässt sich vor allem zwischen wissenschaft-


licher Theorie und alltäglicher Praxis ein Komplexitätsgefälle konsta-
tieren. Wenn also aus der Sicht der Praxis die wissenschaftliche Theo-
rielandschaft beobachtet wird, dann stellt sich die Letztere in der Regel
sehr unübersichtlich, vielfältig, hoch voraussetzungsvoll, kurz gesagt:
enorm komplex dar. Sicherlich ist dies ein Grund dafür, warum sich
PraktikerInnen eher vorsichtig oder misstrauisch auf theoretischem Bo-
den bewegen. Von der anderen, der theoretischen Seite aus gesehen gilt
dasselbe in Bezug auf die Beobachtung der Praxis: Die praktischen Pro-
bleme werden immer komplexer sein als die Möglichkeiten der wissen-
schaftlichen Theorie, diese Komplexität vollends zu verarbeiten.
Wie Niklas Luhmann (1990) ausführt, stellt sich der Wissenschaft der
Gesellschaft, also dem System, das Theorien kommuniziert, wie auch
jedem anderen System grundsätzlich das Problem der Komplexität.
Wenn es also darum geht, wie TheoretikerInnen und PraktikerInnen
sich gegenseitig, aber auch sich selbst (praktisch oder theoretisch) beo-
bachten, dann wird „das Problem der Komplexität zum Ausgangsprob-
lem jeder Beobachtung“ (ebd., S. 277f.).
Komplexität konfrontiert BeobachterInnen mit der Einschränkung, dass
dieselben nur selektiv beobachten können, das heißt sie können den Fo-

21
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

kus immer nur auf bestimmte Brennpunkte richten und nur zwischen be-
stimmten beobachteten Elementen Beziehungen herstellen. „Sowohl
operativ als auch in der Beobachtung setzt Komplexität daher immer ein
Reduktionsverfahren voraus, das ein Muster der Selektion von Beziehun-
gen festlegt und andere Möglichkeiten der Verknüpfung von Elementen
als bloße Möglichkeiten vorläufig ausschließt“ (Luhmann 1986, S. 267).
Wenn also PraktikerInnen ihre Handlungen mit ausgesprochen komplex
gebauten Theoriewerkzeugen (zum Beispiel der Systemtheorie) reflek-
tieren, können sie zu völlig unterschiedlichen Schlussfolgerungen gelan-
gen, weil sie, um letztlich wieder handlungsfähig zu werden, nicht anders
können, als diese Komplexität zu reduzieren. Sie wenden sich aufgrund
von bestimmten selektierten Praxiserfahrungen bestimmten selektierten
Theoriekonstrukten zu, mit Hilfe derer sie wiederum aus der Fülle der
möglichen Handlungen ganz bestimmte selektieren.
Insbesondere die Theorie und Praxis der konstruktivistisch orientierten
Supervision bezieht sich auf diese systemtheoretische Konzeption von
Komplexität. Konstruktivistische SupervisorInnen konfrontieren die
unter bestimmten praktischen Problemen leidenden SupervisandInnen
(SozialarbeiterInnen, BeraterInnen, TherapeutInnen etc.) mit den unter-
schiedlichen (möglichen) Deutungen oder Sichtweisen ihrer Probleme,
wodurch für die SupervisandInnen häufig anderes sichtbar wird. Die
SupervisandInnen gewinnen durch diese Differenzierung verschiedener
Deutungsmuster neue Informationen. Dadurch erhöht sich die Komple-
xität beziehungsweise wird anders reduziert, das heißt es können andere
theoretische Relationen zwischen beobachteten Elementen der Praxis
konstruiert werden, die zu anderen, bestenfalls weniger problemati-
schen Handlungen und Sichtweisen führen (vgl. ausführlich zum Bei-
spiel Kersting 1992).
Zusammenfassend können wir formulieren, dass die Demarkationslinie
zwischen Theorie und Praxis als Grenze zwischen zwei unterschiedli-
chen Komplexitäten verstanden werden kann, deren Überqueren zu inte-
ressanten Irritationen führen kann; besonders dann, wenn auf der theore-
tischen Seite systemisches Denken zirkuliert. Die moderne Systemtheo-
rie reflektiert nämlich ausdrücklich ihre Schwäche, die unüberschaubare
Komplexität der Praxis theoretisch reduzieren zu müssen. Daraus leitet
sie nun eine These ab, die mit der Erfahrung sozialen Handelns kompa-
tibel ist: Es könnte praktisch durchaus anders kommen als (theoretisch)
erwartet.

22
... ALS WISSENSCHAFTLICHE PRAXIS UND ALS PRAKTISCHE WISSENSCHAFT

III. KONTINGENZ

Mit der Konstatierung des Komplexitätsproblems, das immer Selekti-


onszwang und damit reduzierte Komplexität generiert, sind wir gleich-
zeitig mit dem Phänomen der Kontingenz konfrontiert. Wenn also die
Praxis dermaßen komplex ist, dass wir aus der Vielfalt möglicher Beob-
achtungen etwa bezüglich eines sozialen Problems immer nur ganz be-
stimmte auswählen können, also dermaßen selektieren müssen, dass nur
die wenigen, zeitlich sowie kognitiv und kommunikativ verarbeitbaren
Deutungen in den Fokus gebracht werden können, dann bedeutet das:
Wir hätten auch anders und damit anderes auswählen können. Was wir
also beobachten ist davon abhängig, wie wir aus der jeweiligen Komple-
xität selektieren. Natürlich ist dieses Wie der Selektion keineswegs be-
liebig. Vielmehr ist es neben vielen anderen (psychologischen, sozialen,
kulturellen) Bedingungen von unseren theoretischen Präferenzen abhän-
gig. Aber gerade aus diesem Grund ist die Selektion beziehungsweise
Reduktion von Komplexität kontingent, das heißt, um es noch einmal zu
betonen, sie könnte in Abhängigkeit von anderen psychologischen, sozi-
alen, kulturellen oder theoretischen Bedingungen anders ausfallen.
In diesem Sinne ist etwas kontingent, „was weder notwendig ist noch
unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber
auch anders möglich ist. Der Begriff bezeichnet mithin Gegebenes (Er-
fahrenes, Erwartetes, Gedachtes, Phantasiertes) im Hinblick auf mögli-
ches Anderssein; er bezeichnet Gegenstände im Horizont möglicher
Abwandlungen“ (Luhmann 1984, S. 152).
Sobald etwas komplex ist, werden BeobachterInnen dieser Komplexität
mit der Kontingenz konfrontiert, welche für SozialarbeiterInnen in
mehrfacher Hinsicht als Unsicherheit erscheinen mag: Ob die Interven-
tionen von SozialarbeiterInnen, die diese auswählten, da sie ihnen be-
züglich der zu lösenden sozialen Probleme als hilfreich und adäquat er-
schienen, auch in der gleichen Weise von den KlientInnen aufgenom-
men werden, ist beispielsweise im höchsten Maße unsicher. Schließlich
produzieren sozialarbeiterische Interventionen Komplexität, das heißt
sie erzeugen einen Spielraum möglicher Reaktionsweisen der KlientIn-
nen. Dass die SozialarbeiterInnen gerade jene Reaktionen von den Kli-
entInnen erwarten, die dann tatsächlich (sozialarbeiterisch) beobachtet
werden können, ist ebenfalls unsicher. Paradox formuliert: Sicher ist
einzig und allein die Unsicherheit.

23
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

Wenn auch (theoretisch gesehen) unwahrscheinlich, sind dennoch auch


sich bestätigende Vorhersagen etwa bezüglich der Verhaltensweisen
von KlientInnen durch SozialarbeiterInnen möglich. Nach meinem Ver-
ständnis moderner Systemtheorie sind „Prognosen über gesellschaftli-
che Entwicklungen oder menschliches Verhalten“ (Heiner 1995, S. 433)
ausgehend von dieser Theorie keineswegs „unmöglich beziehungsweise
unsinnig“ (ebd.), wie Heiner allerdings glaubt. Nur sind derartige Prog-
nosen sicherlich nicht selbstverständlich. Nebenbei gesagt: Mir er-
scheint das Streben nach genauer Vorhersagbarkeit komplexer Prozesse
eine Voraussetzung für das burnout-Syndrom bei SozialarbeiterInnen zu
sein. Ist es denn nicht häufig so, dass SozialarbeiterInnen immer frust-
rierter werden, wenn sie den Anspruch haben, genau vorauszuplanen,
wie sich ihre Hilfe auf die KlientInnen auswirkt? Und ist es nicht gerade
das Scheitern dieser Versuche, welches einige SozialarbeiterInnen zu
der pessimistischen Überzeugung kommen lässt, nichts verändern zu
können?
Jedoch ist erfolgreiches Prognostizieren durchaus möglich; denn sozia-
le Strukturen generieren sich durch „generalisierte Verhaltenserwartun-
gen“ (Luhmann 1994, S. 139). „Erwartungen bilden sich mithin durch
Zwischenselektion eines engeren Repertoires von Möglichkeiten, im
Hinblick auf die man sich besser und vor allem rascher orientieren
kann“ (ebd., S. 140). In diesem Sinne sind Erwartungen mehr oder we-
niger stabile Komplexitätsreduktionen, die das Umgehen mit doppelter
Kontingenz erleichtern.
Doppelte Kontingenz als Charakteristikum sozialer Interaktionen be-
deutet, dass Personen die Kontingenz anderer Personen „als ein Problem
mangelnder Erwartungssicherheit“ (Willke 1993, S. 280) und „die eige-
ne Kontingenz [...] als Freiheitsgrade und Alternativspielräume“ (ebd.)
erfahren. Personen können als Adressaten von Erwartungen angesehen
werden. Eine Person ordnet in dieser Hinsicht Verhaltenserwartungen –
genauer: Selbsterwartungen und Fremderwartungen (vgl. Luhmann
1984, S. 429). Diese Erwartungen können im Sinne von Heinz von Foer-
ster (1988) trivialisieren, das heißt sich dermaßen stabilisieren, dass sie
in bestimmten sozialen Kontexten immer wieder dieselben Verhaltens-
weisen erwartbar werden lassen. Damit kommen möglicherweise die
Selbsterwartungen und Fremderwartungen zur Kongruenz, was sich be-
stätigende Verhaltensprognosen etwa von SozialarbeiterInnen bezüg-
lich der KlientInnen ermöglicht. Dermaßen läuft die „Unsicherheitsab-

24
... ALS WISSENSCHAFTLICHE PRAXIS UND ALS PRAKTISCHE WISSENSCHAFT

sorption [...] über die Stabilisierung von Erwartungen, nicht über die
Stabilisierung des Verhaltens selbst, was natürlich voraussetzt, dass das
Verhalten nicht ohne Orientierung an Erwartungen gewählt wird“ (Luh-
mann 1984, S. 158).
In der Sozialen Arbeit geht es allerdings gerade nicht darum, zukünftige
Verhaltensweisen von KlientInnen vorhersagen zu können. Meistens
können ohnehin lediglich die problematischen Verhaltensweisen, das
heißt jene stabilisierten beziehungsweise trivialisierten Handlungen,
die den Ausgangspunkt für die soziale Hilfe bildeten, prognostiziert be-
ziehungsweise erwartet werden. Außerdem sind gerade derartige Prog-
nosen, besonders wenn sie latent über einen langen Zeitraum der Hilfe
auftreten, eine Bedingung für die Erzeugung von sich selbsterfüllenden
Prophezeiungen: „Weil der Sozialarbeiter vom Klientensystem etwas
erwartet, verhält es sich schließlich so. Diese Erwartung kann sich als
Ermutigung auswirken. [...] Aber auch das Gegenteil ist der Fall. Wenn
das Klientensystem nach Meinung des Sozialarbeiters unfähig ist, sich
zu verändern (weil es zum Beispiel [nach Ansicht des Sozialarbeiters;
H.K.] zu dumm ist oder weil die gesellschaftlichen Verhältnisse so und
nicht anders sind), setzt der Sozialarbeiter so viele Signale (meist auf
der Beziehungsebene), daß sie die erwarteten Ereignisse negativ mitbe-
dingen [...]“ (Kersting 1992, S. 49).
Soziale Probleme können wir allgemein als trivialisierte Erwartungen
von Verhaltenserwartungen definieren, die immer wieder dasselbe pro-
blematische Verhalten herausfordern. Das heißt nicht, psychologisch zu
verfahren und die sozialen Probleme in den psychischen Strukturen der
KlientInnen zu lokalisieren. Vielmehr sind diese Erwartungserwartun-
gen sozial determiniert: Sie sind über soziale Strukturen, d.h über Kom-
munikation generiert. Problemlösung kann für SozialarbeiterInnen da-
her nur bedeuten: Kommunikation mit den KlientInnen, um die soziale
Komplexität wieder zu erhöhen – oder mit Heinz von Foerster (1988, S.
33) gesprochen: stets so zu handeln, dass die Anzahl der (Handlungs-
)Möglichkeiten der KlientInnen vergrößert wird. Dass dies ein sehr
kompliziertes und mithin häufig erfolgloses Unterfangen ist, wissen
PraktikerInnen nur allzu gut. Nur die Theorie bot bisher keine ausrei-
chenden Instrumente, um eine derartige Praxis zu erklären. Mit den
Konzepten der Autopoiesis und Selbstreferenz, die sowohl die Operati-
onsweise biologischer und psychischer als auch sozialer Systeme ver-
anschaulichen, ändert sich dieses theoretische Defizit.

25
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

IV. AUTOPOIESIS UND SELBSTREFERENZ

Die Konzepte der Autopoiesis und der Selbstreferenz erklären zweierlei


– erstens: wie lebende Systeme als operational geschlossene Systeme
operieren und daher informationell von ihrer Umwelt unabhängig, aber
materiell und energetisch von dieser abhängig sind; zweitens: dass die
oben genannten Systeme ihre Wirklichkeit konstruieren, da sie immer
nur an eigene Zustände beziehungsweise Informationen oder Operatio-
nen anschließen können (vgl. dazu ausführlich Maturana /Varela 1984).
Uns soll in diesem Zusammenhang besonders Luhmanns Adaption des
Autopoiesis-Modells im Zusammenhang mit der Theorie selbstreferen-
tieller Systeme interessieren (vgl. Luhmann, 1984). Diese Theorie er-
scheint m.E. für den „ganzheitlichen“ Aufgabenreich Sozialer Arbeit
besonders passend zu sein. Da die „Gegenstände“ beziehungsweise die
Themen Sozialer Arbeit soziale Probleme sind (vgl. Engelke 1992), die
sich kommunikativ repräsentieren aber auch biologische und psycholo-
gische Auswirkungen haben, ist es zunächst sehr hilfreich, alle drei
Phänomenbereiche (Organismus, Psyche, Sozialität) anhand desselben
Modells verstehen zu können: der Autopoiesis. „Der Begriff bezieht
sich auf (autopoietische) Systeme, die alle elementaren Einheiten, aus
denen sie bestehen, durch ein Netzwerk eben dieser Elemente reprodu-
zieren und sich dadurch von einer Umwelt abgrenzen – sei es in der
Form von Leben [bei biologischen Systemen; H.K], in der Form von
Bewußtsein [bei psychischen Systemen; H.K.] oder (im Falle sozialer
Systeme) in der Form von Kommunikation“ (Luhmann 1986, S. 266).
Alle Elemente derartiger Systeme müssen, damit sie sich als Identität,
das heißt als System beziehungsweise Einheit von ihrer Umwelt diffe-
renzieren können, selbstreferentiell operieren, also sich immer wieder
auf ihre eigene operationale Einheit beziehen.
Die Theorie selbstreferentieller Systeme geht mit der konstruktivisti-
schen Erkenntnistheorie einher, die (neurophysiologisch, psychologisch
und soziologisch) verdeutlicht, dass Erkenntnisse beziehungsweise Be-
obachtungen nichts mit einer unabhängig existenten Außenwelt zu tun
haben. Maturana und Varela (1984) haben gezeigt, dass das Nervensys-
tem lebender Systeme keinen direkten Kontakt zu seiner Umwelt hat;
seine eigenen Zustände sind ausschließlich durch Selbstkontakte, die
über materielle und energetische Austauschprozesse mit der Umwelt an-
geregt werden, determiniert. Eine derartige kognitive Autonomie leben-

26
... ALS WISSENSCHAFTLICHE PRAXIS UND ALS PRAKTISCHE WISSENSCHAFT

der Systeme bedeutet für ein erkennendes Subjekt: „daß es kein Innen
und Außen gibt, keine Welt der dem Subjekt gegenüberstehenden Ob-
jekte [, sondern...] daß die Subjekt-Objekt-Trennung, auf deren Annah-
me sich die Myriaden von ‚Wirklichkeiten’ aufbauen, nicht besteht; daß
die Spaltung der Welt in Gegensatzpaare vom erlebenden Subjekt kon-
struiert wird“ (Watzlawick 1981, S. 314).
Aber nicht nur das subjektive Bewusstsein konstruiert selbstreferentiell
seine Wirklichkeit mittels Unterscheidungen wie zum Beispiel innen /
außen, Subjekt / Objekt usw. Auch Kommunikation, das heißt die Ein-
heit der Differenz von Information, Mitteilung und Verstehen (vgl.
Luhmann, 1984, S. 191ff.), zirkuliert in selbstreferentiellen Bahnen und
unterscheidet (konstruiert) daher das, was sie kommuniziert, selbst. Mit
anderen Worten: Wenn schon das Nervensystem selbstreferentiell ge-
schlossen, also autopoietisch operiert (vgl. Maturana /Varela 1984),
dann auch das Bewusstsein und erst recht Kommunikation (vgl. Luh-
mann 1984). In dieser Hinsicht kommt Luhmann an unterschiedlichen
Stellen seiner Publikationen immer wieder zu der Feststellung: „Nur
Kommunikation kann kommunizieren“. Bernd Woltmann-Zingsheim
(1994, S. 292) formuliert dazu: „Die Kommunikation begnügt sich [...]
in aller Regel nicht mit einem anonymisierten ‚es kommuniziert’, son-
dern sie rechnet Kommunikation auf Handlungen zu. Sie unterstellt
Motive, Absichten, Interessen, urteilt in ein ‚passives’ Erleben und ein
‚aktives’ Handeln. Sie differenziert Akteure und rechnet Verantwort-
lichkeiten zu. Sie ‚vergißt’ dabei in aller Regel, daß sie es ist, die sol-
chermaßen Unterscheidungen trifft, daß sie sich selbst von ihrem beob-
achteten ‚Objekt’ getrennt hat und rechnet dann das, was sie beobachtet,
den beobachteten Phänomen zu“.
Aus alledem folgt, dass SozialarbeiterInnen lebende, psychische oder
soziale Systeme immer nur zu Selbstveränderungen anregen können,
denn selbstreferentielle Systemstrukturen generieren ihre eigenen Re-
geln, die aus ihrer Umwelt, also etwa von SozialarbeiterInnen, zwar
verstört werden können aber niemals direkt, das heißt im unmittelbaren
Kontakt zielgerichtet veränderbar sind. So legen also die Kommunika-
tionsregeln eines sozialen Systems (zum Beispiel einer Familie, einer
Organisation oder einer Gesellschaft) fest, welche Informationen durch
die Mitteilungen der beteiligten Personen differenziert werden und wie
dieselben verstanden werden können. Daher unterscheiden sich nur all-
zu oft, wie SozialarbeiterInnen täglich beobachten können, ihre inten-

27
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

dierten Interventionsziele von den tatsächlich (kommunikativ) beob-


achtbaren Ergebnissen, die ihre Interventionen bei den KlientInnen aus-
lösen.

V. SCHLUSSFOLGERUNGEN

Im Folgenden sollen zusammenfassend fünf Aspekte referiert werden,


die noch einmal auf den Punkt bringen, in welcher Hinsicht die moder-
ne Systemtheorie die Theorie und Praxis Sozialer Arbeit befruchten
kann:
Erstens: Theorie und Praxis sind als zwei Seiten einer Form immer prä-
sent, wenn sozialarbeiterisch gehandelt oder reflektiert wird. Daher
bleibt SozialarbeiterInnen eigentlich gar nichts anderes übrig als sich
theoretisch auf die Praxis vorzubereiten und die Praxis theoretisch aus-
zuwerten. Die Anwendung einer – wie auch immer konzipierten – Pra-
xistheorie Sozialer Arbeit ist also unumgänglich.
Zweitens: Eine derartige Theorie sollte nicht auf die Möglichkeit ver-
zichten, interdisziplinäre Standards zu nutzen; zumal diese, zumindest
in Gestalt systemtheoretischer Aussagen, mit schon seit jeher konsta-
tierten Praxiserfahrungen von SozialarbeiterInnen kompatibel sind.
Was Dirk Baecker (1994a, S. 13) im Zusammenhang mit der Reflexion
von Management konstatiert, gilt gleichfalls für den Bereich Sozialer
Arbeit, dass nämlich „die hochgetriebenen Abstraktionen der Theorien
[...] als erstaunlich praxisnah erscheinen“.
Drittens: Die moderne Systemtheorie kann als Praxistheorie Sozialer
Arbeit konzipiert werden, weil sie im Gefolge der Beschreibung von
Komplexitäts- und Kontingenz-Problemen sozialarbeiterisches Han-
deln nicht nur begründen, sondern vor allem reflektieren kann. Das läuft
nun keineswegs darauf hinaus, wie Heiner (1995, S. 435) glaubt, jede
beliebige Praxis Sozialer Arbeit zu rechtfertigen; ganz im Gegenteil:
Wenn die Komplexität der Praxis und der Theorie viele verschiedene
(kontingente) Möglichkeiten sozialarbeiterischer Handlungen anbietet,
dann müssen sich SozialarbeiterInnen fragen beziehungsweise fragen
lassen, warum sie gerade diejenigen Interventionen auswählen, die sie
auswählen – oder: warum sie immer auf dieselbe möglicherweise un-
passende Art intervenieren, obwohl sie auch anders könnten. Sozialar-

28
... ALS WISSENSCHAFTLICHE PRAXIS UND ALS PRAKTISCHE WISSENSCHAFT

beiterInnen sind unter systemtheoretischen Prämissen mehr als zuvor


dazu gezwungen, Verantwortung für ihre Interventionen zu überneh-
men.
Viertens: Die sozialen Probleme sind keineswegs mit der Zuschiebung
von Verantwortung an die KlientInnen zu lösen, obwohl es für die Lö-
sung der Probleme sicherlich hilfreich ist, wenn KlientInnen für ihr Tun
Verantwortung übernehmen. Alles soziale Handeln ist eingebunden in
kommunikative Strukturen und entzieht sich damit individuellen Inten-
tionen. Somit liegt die Aufgabe der Sozialen Arbeit nicht darin, psychi-
sche Strukturen zu verändern, was die Aufgabe von Psychotherapie ist,
sondern Kommunikationsmuster und -regeln dermaßen zu funktionali-
sieren, dass KlientInnen ihre eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten
vergrößern können. So soll Soziale Arbeit eine Hilfe sein, die Personen,
welche aufgrund von gesellschaftlichen Bedingungen vom Zugang zu
den wichtigen Funktionssystemen (zum Beispiel Wirtschaft, Politik,
Kunst, Erziehung etc.) ausgeschlossen sind, stellvertretend inkludiert,
das heißt an gesellschaftlicher Kommunikation beteiligt (vgl. Baecker
1994).
Fünftens: Da jede sozialarbeiterische Intervention immer Kommunika-
tion ist, kann sie die psychische Autopoiesis der KlientInnen nicht ver-
ändern; sie kann lediglich darauf hinwirken, Kommunikation zu funkti-
onalisieren (vgl. Lüssi 1992, S. 71). Alle Veränderungen von Personen
während der Hilfe sind Selbstveränderungen, die zwar von Kommuni-
kation angeregt aber nicht determiniert sein können.
Schließlich lässt sich festhalten, die Soziale Arbeit hätte es beim An-
wenden einer systemtheoretischen Praxistheorie gleichzeitig mit einer
Metatheorie zu tun. Diese Theorie kann niemals die Unsicherheit sozi-
alen Handelns sicherer machen, sie kann allerdings dessen Unsicherheit
begründen. So ergibt sich die Paradoxie, dass eine Soziale Arbeit, die
die Stärke einer wissenschaftlichen Absicherung sucht, ihre Praxis mit
der Schwäche konfrontiert, dass sozialarbeiterisches Handeln nicht
(mehr) als instruktive Interaktion denkbar ist.

29
2. Soziale Arbeit als konstruktivistische Praxis
Anregungen für ein postmodernes Verständnis von Sozialarbeit

AUSGANGSPUNKTE

Systemtheoretisch-konstruktivistische Ansätze scheinen in der prakti-


schen Sozialen Arbeit, aber auch in ihrer theoretischen Reflexion derzeit
Konjunktur zu haben. Auf der einen Seite belegen (im Verhältnis zu an-
deren psychosozialen Berufsgruppen) eine immer größere Anzahl von
SozialarbeiterInnen systemische Fortbildungen,2 während andererseits
der Berg von Publikationen zum Themenkreis systemtheoretisch orien-
tierter Sozialer Arbeit ebenfalls wächst (siehe zum Beispiel Bardmann
u.a. 1991; Bardmann/ Hansen 1996; Hollstein-Brinkmann 1993; Kleve
1996, 1999, 2000; Pfeifer-Shaupp 1995, 2002; Staub-Bernasconi 1995;
Merten 2000; Miller 2001; Ritscher 2002).3 Davon ausgehend beginnen
praktizierende und theoretisierende SozialarbeiterInnen, ebenso wie
etwa systemische PsychologInnen oder TherapeutInnen, ihr berateri-
sches oder supervisorisches Tun konstruktivistisch, das heißt erkennt-
nistheoretisch zu betrachten (siehe etwa Bardmann u.a. 1991; 1992;
Kersting 1992; Kersting /Neumann-Wirsig 1992; Kleve 1996).

2 Dies könnte zumindest aus einer empirischen Untersuchung von Bettina


Noack (1996), die sie am Berliner Institut für Familientherapie e.V. durchführte,
geschlossen werden. Denn Noack stellte im größten Berliner Bildungsträger in
Sachen systemischen Denkens und Handelns in der psychosozialen Praxis fest,
dass „der prozentuale Anteil der SozialarbeiterInnen, die die Weiterbildung
besuchen [in der Zeit von 1987 bis 1995; H.K.], nicht nur steigt, sondern den
Anteil der zunächst am stärksten vertretenen Psychologen inzwischen über-
steigt“ (ebd., S. 60).
3 Es sollte allerdings nicht übersehen werden, dass sich die aufgeführten
Publikationen auf die Vielfalt systemtheoretischer Konzepte beziehen, die von
der Familientherapie, der klassischen (allgemeinen) Systemtheorie, der Kyber-
netik bis hin zu jüngsten soziologischen Ansätzen reichen. Denn: „’Systemthe-
orie’ ist heute ein Sammelbegriff für sehr verschiedene Bedeutungen und sehr
verschiedene Analyseebenen. Das Wort referiert keinen eindeutigen Sinn“
(Luhmann 1984, S. 15).

30
SOZIALE ARBEIT ALS KONSTRUKTIVISTISCHE PRAXIS

Dieses epistemologische, auf biologische, philosophische und soziolo-


gische Theoriemodelle sich stützende Vorgehen (zum Beispiel in der
Supervision oder Selbstevaluation) zeitigt nicht nur praktische Reflexi-
onsgewinne im unmittelbaren Umgang mit KlientInnen, sondern es
scheint die Chancen einer wissenschaftstheoretischen Fundierung der
Sozialen Arbeit zu erhöhen. Diesbezüglich passt systemisch-konstruk-
tivistisches Denken in den Diskurs um die Entwicklung und Etablierung
einer Sozialarbeitswissenschaft (siehe grundlegend Engelke 1992; Mer-
ten u.a. 1996; Puhl 1996). Meines Erachtens könnte die Verwissen-
schaftlichung und Professionalisierung der Sozialen Arbeit durch ein
Aufgreifen von Theorieinnovationen, wie des Konstruktivismus, der
Systemtheorie oder der Kybernetik, gestützt werden, ohne dabei den
Blick zu sehr auf einige wenige theoretische Modelle einengen zu müs-
sen (kritisch dazu siehe zum Beispiel Staub-Bernasconi 1995; Heiner
1995). Bekanntlich ist der Konstruktivismus als transdisziplinäres Er-
kenntnisprogramm mit seinen verschiedenen Spielarten (vgl. Knorr-
Cetina 1989; Bardmann 1994, S. 45ff.), ähnlich wie die Sozialarbeit, ein
vielfältiges, kaum auf einen Nenner zu bringendes Unternehmen, das
etwa biologische, psychologische, kulturanalytische, kommunikations-
theoretische und soziologische Forschungen integriert.
Des Weiteren begünstigt eine konstruktivistisch reflektierte Soziale Ar-
beit ein Abschiednehmen von traditionellen und in zunehmender Weise
unbrauchbaren Orientierungen von SozialarbeiterInnen. Eine derartige
Orientierung, die in einer lebensweltlich pluralisierten und funktional
ausdifferenzierten Gesellschaft aus meiner Sicht nicht mehr passt, ist
etwa die Anschauung, KlientInnen seien von der gesellschaftlichen
Norm abweichende Personen, die normalisiert werden müssten.4 Die
Differenz von Norm und Abweichung als Richtschnur Sozialer Arbeit
kann nicht nur zu Stigmatisierungen im Sinne des labeling führen (vgl.
etwa Baecker 1994, S. 94) und Problemkarrieren geradezu heraufbe-

4 Anders optiert Heino Hollstein-Brinkmann (1993, S. 187), der mit bezug auf
Thomas Olk (1986) meint, „Normalisierungsarbeit“ als Funktionsbestimmung
Sozialer Arbeit entspräche einer funktional differenzierten Gesellschaft. Nur,
was ist damit gewonnen, wenn diesbezüglich postuliert wird, dass zugleich der
Fall normalisiert und die Norm individualisiert werden müsse? (Vgl. ebd., S.
189f.) Wie kann ein individueller Fall normalisiert werden, wenn gleichzeitig
die Norm individualisiert wird? Vgl. dazu auch Kleve 2002a

31
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

schwören, die personell und finanziell kaum noch bearbeitbar sind, sie
ist überdies auch soziologisch fragwürdig.
Der Diskurs um eine konstruktivistische Perspektive Sozialer Arbeit
könnte dazu anregen, die Pluralisierung und Differenz von Lebenswel-
ten sowie sozialer Wirklichkeitskonstruktionen im praktischen Handeln
ernster zu nehmen beziehungsweise für legitim zu halten. Ich jedenfalls
plädiere für eine Praxis Sozialer Arbeit, die nicht sogleich darauf fokus-
siert, entweder vermeintliches „soziales Anderssein“ über eine (wie
auch immer gemünzte) Normalisierungsarbeit einzuebnen oder die kon-
statierten „Abweichungen“ durch eine „fürsorgliche Belagerung“
(Heinrich Böll), die Problemkarrieren schafft, zu verstärken. In Abgren-
zung zu einer solchen normalisierenden beziehungsweise Probleme ver-
stärkenden Sozialen Arbeit, kann eine sozialarbeiterische Orientierung,
welche die Pluralität und Differenz von Realitätskonstrukten nicht zu
negieren versucht, sondern ausdrücklich anerkennt, im philosophischen
Sinne als postmodern charakterisiert werden.5
Eine postmoderne Sozialarbeit orientiert sich daher an der Differenz
von Helfen versus Nicht-Helfen (Baecker 1994) und beschäftigt sich
mit den Risiken, die die ausdifferenzierten Funktionssysteme der Ge-
sellschaft (etwa Wirtschaft, Politik, Erziehung, Familie) schaffen, wenn
sie immer weniger Menschen die personelle Teilnahme (Inklusion) an
ihrer Kommunikation ermöglichen. Die exkludierten, von bestimmten
Bereichen gesellschaftlicher Kommunikation ausgeschlossenen Men-
schen werden diesbezüglich etwa in materieller oder sozialisatorischer
Hinsicht gefährdet. Diese Gefährdungen greift Soziale Arbeit auf, in-
dem sie die gesellschaftlichen Exklusionsrisiken (zum Beispiel Mangel
an Geld, Macht, Bildung oder Liebe) als soziale Probleme definiert und
mittels Exklusionsvermeidung (Prävention), stellvertretender Inklusi-
on, Inklusionsvermittlung oder Exklusionsbetreuung bearbeitet (vgl.

5 Vgl. zum Diskurs über die Postmoderne zum Beispiel Wolfgang Welsch
(1987; 1992), der immer wieder betont, dass postmodernes Denken als radikal
modernes Denken zwar die Akzeptanz von Pluralität postuliert und damit der
möglichen Vielheit und Differenz von Lebensentwürfen oder Realitätskonstruk-
tionen gerecht wird, aber dennoch keineswegs mit Beliebigkeit zu verwechseln
ist. Vielmehr gehe es um situative Verbindlichkeiten (vgl. Welsch 1992, S. 46)
– sozusagen um Stimmigkeiten und Passungen „in-sich“ – von gleichberechtigt
nebeneinander stehenden, sich möglicherweise gegenseitig widersprechenden
Weltkonstruktionen.

32
SOZIALE ARBEIT ALS KONSTRUKTIVISTISCHE PRAXIS

Baecker 1994; Fuchs/ Schneider 1995; Bommes /Scherr 1996; Kleve


1997; Merten 2000).
Im Folgenden soll die Bearbeitung der sozialen Probleme auf der Hand-
lungsebene von SozialarbeiterInnen reflektiert werden, um ausgehend
von fünf Theorieströmungen einige Vorschläge für einen systemtheore-
tisch-konstruktivistischen Blick auf die Interaktionspraxis von Sozial-
arbeiterInnen unterbreiten zu können.

I. KONSTRUKTIVISMUS ALS PRAKTISCHE


EPISTEMOLOGIE DER SOZIALARBEIT

SozialarbeiterInnen haben es bei jedem KlientInnenkontakt in erster Li-


nie mit erkenntnistheoretischen Problemen zu tun.6 Das sogenannte
psychosoziale Diagnostizieren beziehungsweise jede Problemdefiniti-
on können wir als einen Erkenntnisprozess verstehen, bei dem die So-
zialarbeiterInnen eine bestimmte (von den KlientInnen selbst oder von
anderen) als problematisch bewertete Wirklichkeit beobachten, be-
schreiben und erklären (vgl. Simon 1995, S. 17). Von diesen Beschrei-
bungen, Bewertungen und Erklärungen, die über das Medium Sprache
erfolgen, hängt das gesamte weitere Vorgehen der Hilfe ab. Es macht
für den Verlauf der Hilfe also einen Unterschied, ob die Probleme der
KlientInnen als Resultate ihrer individuellen Defizite beschrieben wer-
den (psychoanalytisches Vorgehen) oder ob sie als Reaktionen auf so-
ziale und familiäre Dynamiken verstanden werden (systemisches Vor-
gehen); bei der ersten Betrachtungsweise wird sich der Fokus der Hilfe
aller Wahrscheinlichkeit nach auf den Klienten beschränken, der die
Symptome zeigt, während es bei dem zweiten Ansatz passend erscheint,
das soziale Umfeld bei der Problemlösung mit einzubeziehen.

6 Siehe dazu auch, allerdings nicht von konstruktivistischen Konzepten aus-


gehend: Eberhard (1987, S. 11), der betont, dass „die Erkenntnis- und Wissen-
schaftstheorie das praktischste ist oder doch jedenfalls sein könnte, was die Phi-
losophie zu bieten hat“. Denn: „Wir alle sind Erkenntnissuchende – die Erkennt-
nistheorie sollte uns helfen, unsere Erkenntnisprozesse zu verstehen und zu
entfalten. [...] Wir sind alle Anwender wissenschaftlicher Theorien – die Wis-
senschaftstheorie sollte uns befähigen, die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher
Erkenntnisse kritisch zu beurteilen“.

33
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

Derartige Beschreibungen, Erklärungen und Bewertungen von Proble-


men definieren beziehungsweise konstruieren erst die im Verlauf der
Hilfe bearbeitbaren Probleme. Soziale Probleme sind also keine objek-
tiv gegebenen Sachverhalte, sondern Konstrukte, die kommunikativ
über Sprache entstehen – zum Beispiel in Form von Hilfeplänen im So-
zialpädagogischen Dienst der Jugendämter, in Vermerken oder Akten-
notizen sowie nicht zuletzt in den Gesprächen zwischen Sozialarbeite-
rInnen und KlientInnen.
Wenn wir von der These ausgehen, dass die bearbeitbaren Probleme in
ihrer konkreten Beschreibung, Erklärung und Bewertung während der
Hilfe erst konstruiert werden, dann erscheint es lohnend, Soziale Arbeit
konstruktivistisch zu reflektieren; denn der Konstruktivismus beschäf-
tigt sich mit der Frage: Wie erzeugen psychische und soziale Systeme
ihre Erkenntnisse beziehungsweise Beschreibungen von der Welt?
Zunächst einmal beantwortet die Erkenntnistheorie des Konstruktivis-
mus diese Frage ausgehend von biologischen, kybernetischen oder so-
ziologischen Forschungsergebnissen sowie differenztheoretischen An-
sätzen, die ich weiter unten näher vorstellen werde, folgendermaßen:
Unsere Wirklichkeit ist durch Bewusstsein und Kommunikation kon-
struierte Realität. Diesbezüglich gehen wir niemals mit einer Wirklich-
keit an sich um, „sondern stets mit unseren eigenen ‚Erfahrungswirk-
lichkeiten‘“ (Bardmann u.a. 1992, S. 11). Mit anderen Worten, weil wir
uns als lebende Systeme ausschließlich auf unsere eigenen Zustände
(zum Beispiel Sinneswahrnehmungen, Beobachtungen oder Beschrei-
bungen) beziehen können, muss alles, was wir wahrnehmen und für
„objektiv“ gegeben halten, durch uns selbst hervorgebracht werden.
Dieses Phänomen wird auch als Selbstbezüglichkeit oder Selbstrefe-
renz bezeichnet. Beim Erkennen sind wir nicht in der Lage, die „Dinge
an sich“ zu erreichen, um zu sehen, wie sie „wirklich“ sind. Wenn wir
dies versuchen, geraten wir in einen unendlichen Regress, das heißt, wir
nehmen unsere eigenen Wahrnehmungen wahr, die eigene Wahrneh-
mungen wahrnehmen etc.
Wir können nur auf eigene Wahrnehmungen (Gedanken, Gefühle etc.)
zurückgreifen, wenn wir uns auf etwas anderes beziehen wollen, das
heißt Fremd- beziehungsweise Umweltkontakt ist ausschließlich über
Selbstkontakt zu realisieren. Im Sinne der Selbstbezüglichkeit ist „unser
Verhältnis zur Welt wie das zu einem Spiegel, der uns weder verrät, wie
die Welt ist, noch wie sie nicht ist. Er zeigt uns, daß es möglich ist, daß

34
SOZIALE ARBEIT ALS KONSTRUKTIVISTISCHE PRAXIS

wir so sind, und so zu handeln, wie wir gehandelt haben. Er zeigt uns,
daß unsere Erfahrung lebensfähig ist“ (Varela 1981, S. 308). Beim Be-
obachten der Welt finden wir lediglich unser Spiegelbild, das in Relation
zu unseren Handlungen (Beobachtungen, Beschreibungen, Erklärun-
gen, Bewertungen) entsteht. Demnach ist das Erscheinen der Wirklich-
keit immer relativ, das heißt es hängt insbesondere von den konkreten
psychischen und sozialen (Handlungs-)Bedingungen der BeobachterIn-
nen ab.

II. GESELLSCHAFTLICHER KONTEXT


DER KONSTRUKTIVISTISCHEN ERKENNTNISTHEORIE

Bereits die antiken Skeptiker vertraten relativistische Positionen, die die


Möglichkeit der Erkenntnis einer objektiven oder absoluten Welt be-
zweifelten. Aber vor allem Philosophen wie Immanuel Kant, Friedrich
Nietzsche oder Ludwig Wittgenstein werden immer wieder zitiert,
wenn es um konstruktivistische Erkenntnistheorien geht. Auch alte
mystische Anschauungen, die heutzutage vor allem durch die soge-
nannte New-Age-Bewegung, aber auch in den Wissenschaften wieder
zunehmende Beachtung finden (vgl. Capra 1992), lassen sich zum Teil
konstruktivistisch deuten. So schreibt zum Beispiel ein Kult-Autor der
New-Age-Bewegung, Carlos Castaneda (1972, S. 8), dass ihm der Ya-
qui Indiander Don Juan erklärte, „die Welt des alltäglichen Lebens [sei]
nicht wirklich oder so, wie wir es annehmen“, sie sei vielmehr „nur eine
Beschreibung“. Castaneda fügt allerdings hinzu, dass „die Realität der
Welt, wie wir sie kennen, als so feststehend angesehen [wird], daß die
Grundprämisse [... des Schamanen Don Juan; H.K.], nämlich daß unse-
re Realität nur eine von vielen möglichen Beschreibungen ist, kaum
eine Chance hat, als ernsthafte These akzeptiert zu werden“ (ebd., S. 9).
Dies dürfte sich in der heutigen postmodernen Zeit, in der soziologische
Arbeiten die Individualisierung beziehungsweise Pluralisierung der Le-
benswelten (vgl. etwa Beck 1986) oder die funktionale Differenzierung
(vgl. etwa Luhmann 1986) beschreiben, geändert haben. Es lassen sich
kaum noch einheitliche und allgemeingültige Normen oder Werte aus-
machen, die gleichermaßen für alle Menschen bindend sein könnten.
Der französische Philosoph Lyotard (1979; siehe ausführlich dazu 4.
Kapitel) und viele andere sogenannte postmoderne Denker sprechen da-

35
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

von, dass in der heutigen Zeit der Postmoderne, die großen „Metaerzäh-
lungen“ der Moderne, wie etwa der Fortschritts- und Steuerungsmythos
des Kapitalismus oder der Emanzipationsgedanke des Marxismus, ihre
Glaubwürdigkeit verloren hätten (vgl. zum Beispiel Welsch 1992;
1993). Vielmehr bilden die Menschen oder soziale Systeme immer dif-
ferenziertere Sichtweisen der Welt aus, die nicht aufeinander reduzier-
bar sind. Daher können wir heute – etwa beeinflusst durch die rasante
Entwicklung der mobilitäts- und kommunikationsfördernden Technolo-
gien (vgl. dazu auch Gergen 1996) – eine unübersehbare Vielfalt von
häufig sehr gegensätzlichen Normen, Meinungen oder Weltbildern kon-
statieren, die alle ein mehr oder weniger passendes Bild von der „Wirk-
lichkeit“ vermitteln. Und speziell auf dieses Problem der Pluralität der
Sichtweisen reagiert der Konstruktivismus, indem er die Beobachtun-
gen oder Beschreibungen der Welt als kontingent, das heißt als so, aber
auch anders möglich, versteht.7
In einer postmodernen gesellschaftlichen Umwelt können auch Sozial-
arbeiterInnen zunehmend beobachten, dass ihre fachlichen Sichtweisen
nur mögliche unter vielen anderen sind. Mit anderen Worten, psychoso-
ziale PraktikerInnen werden mit der Relativität und der Selbstreferenz
ihrer Sichtweisen konfrontiert. SozialarbeiterInnen können immer we-
niger davon ausgehen, allgemeingültige Normen zu besitzen, die auch
für das Leben ihrer KlientInnen bindend sein sollten oder könnten. Da-
mit wird, wie bereits einleitend erwähnt, die traditionelle Orientierung
Sozialer Arbeit als Normalisierung von Abweichung fragwürdig. Dass
Normalisierung, verstanden als Intervention, die auf die Neutralisierung
von abweichenden Verhaltensweisen fokussiert, nicht nur soziologisch,
sondern auch wissenschaftstheoretisch mehr als fragwürdig erscheint,
werde ich im Folgenden zeigen. Eine auf Normalisierung von Abwei-
chungen zielende Soziale Arbeit hat die Wiederherstellung einer Norm
im Auge, sie versucht also, instruktiv zu intervenieren, was aus kon-
struktivistischer Sicht eine unmögliches Unterfangen darstellt – ganz
gleich, ob es sich um die Angleichung an psychische oder soziale Nor-
men handelt.

7 Kontingent ist nach Luhmann (1984, S. 152) „etwas, was weder notwendig
ist noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber
auch anders möglich ist“.

36
SOZIALE ARBEIT ALS KONSTRUKTIVISTISCHE PRAXIS

III. SYSTEMTHEORETISCHE SPIELARTEN DES KONSTRUKTIVISMUS

Das konstruktivistische Erkenntnisprogramm der Systemtheorie, wel-


ches mir für eine postmoderne Soziale Arbeit passend erscheint, kann
aus folgenden fünf Forschungsrichtungen zusammengefügt werden –
erstens: der pragmatischen Kommunikationstheorie von Paul Watzla-
wick (1969; 1974; 1976; 1977); zweitens: der Kybernetik zweiter Ord-
nung von Heinz von Foerster (zum Beispiel 1993); drittens: der Kogni-
tionstheorie von Humberto Maturana und Francisco Varela (zum Bei-
spiel 1984); viertens: der Differenztheorie von George Spencer-Brown
(1969) beziehungsweise eines verwandten Ansatzes von Gregory Bate-
son (1972; 1979) und fünftens: der systemtheoretischen Soziologie von
Niklas Luhmann (zum Beispiel 1984).
Pragmatische Kommunikationstheorie: Im Zusammenhang von psy-
chosozialer Praxis sind insbesondere die Forschungen zur menschli-
chen Kommunikation von Paul Watzlawick und seinen MitarbeiterIn-
nen, die sich auf die anthropologischen und psychiatrischen Forschun-
gen von Gregory Bateson u.a. (zum Beispiel 1972) stützen, schon seit
Anfang der siebziger Jahre vor allem durch die systemische Familien-
therapie aufgenommen worden. Watzlawick bezeichnete sich bereits in
den siebziger Jahren als Konstruktivist und vertrat die These, „daß die
sogenannte Wirklichkeit das Ergebnis von Kommunikation ist“ (Watz-
lawick 1976, S. 7). Überdies führten Watzlawick und seine familienthe-
rapeutischen KollegInnen den eminent konstruktivistischen Begriff des
Umdeutens (Reframing) in die Therapie und Beratung ein (siehe aus-
führlich dazu 10. Kapitel).
Umdeuten wird als eine Methode verstanden, die explizit davon aus-
geht, dass Wirklichkeit kommunikativ konstruiert wird und dass es
dementsprechend möglich ist, Beschreibungen in einen anderen, einen
neuen (Konstruktions-)Rahmen zu stellen (vgl. Watzlawick 1977). Die
kommunikative Konstruktion eines anderen Rahmens führt bestenfalls
zu anderen Sichtweisen (bezüglich eines Problems) und fördert damit
möglicherweise andere, vielleicht problemlösende Handlungsweisen,
die den Kreislauf des problemverstärkenden Verhaltens unterbrechen.
Kybernetik zweiter Ordnung: Während sich die Kybernetik (erster Ord-
nung) als Steuerungstechnik versteht, die sich mit der Betrachtung von
Rückkopplungsprozessen beschäftigt, welche sie objektiv beschreiben

37
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

will, wendet die Kybernetik zweiter Ordnung ihren Blick den Beschrei-
benden selbst zu. In der Kybernetik zweiter Ordnung geht es demnach
um die Beschreibung der Beschreibung (der Beschreibenden) bezie-
hungsweise um die Beobachtung der Beobachtung (der Beobachten-
den). Diesbezüglich wird versucht, reflexiv die Handlungen nachzuvoll-
ziehen, die BeobachterInnen ausführten, um die Wirklichkeit so zu er-
kennen, wie sie sie erkannten. Dabei können „blinde Flecke“ sichtbar
werden, die Voraussetzung für erzeugte Erkenntnisse waren. Denn
Wahrnehmung ist nie ganzheitlich; vielmehr teilt sie die Welt und kann
nur auf einer Seite der Teilung weiteres wahrnehmen; die andere Seite
bleibt als blinder Fleck, das heißt als Bedingung der Möglichkeit der er-
zeugten Erkenntnis verborgen (vgl. Luhmann 1990a, S. 41).
Kognitionstheorie: Ihren Einzug in die Diskurse der Wissenschaftsthe-
orien erhielten moderne konstruktivistische Anschauungen insbesonde-
re seitdem NaturwissenschaftlerInnen, die vermeintlich Objektivsten
unter den ForscherInnen, plausible biologische Gründe dafür lieferten,
dass die erkannte Wirklichkeit eine Konstruktion ist. Aufgrund empiri-
scher Forschungen (vgl. Schmidt 1987, S. 22) konzipierten Maturana
und Varela (zum Beispiel 1984) unser Nervensystem als ein operational
geschlossenes System, das keinen unmittelbaren (direkten) Kontakt zu
seiner Umwelt hat, sondern ausschließlich auf seine eigenen Zustände
Bezug nehmen kann, also selbstbezüglich operiert. Die Umwelt kann
die Zustände dieses Systems nicht determinieren, sondern nur „verstö-
ren“ beziehungsweise perturbieren, das heißt wie das System auf Ver-
änderungen oder Einflüsse aus seiner Umwelt reagiert, hängt von seiner
eigenen Struktur ab.
Das Nervensystem wird als operational geschlossener Bestandteil von
einem lebenden Organismus verstanden, das sich der organismischen
Selbstreproduktion unterordnet, die ebenfalls operational geschlossen
ist. Entsprechend dieser Theorie wird jeder Organismus derart konzi-
piert, dass er sowohl alle Bestandteile (Zellen), die ihn konstituieren, als
auch alle Informationen, die er für eine Orientierung in seiner Umwelt
benötigt, selbst konstruiert. Maturana prägte für diesen Prozess den Be-
griff der Autopoiese beziehungsweise Autopoiesis. Autopoietische Sys-
teme sind informationell geschlossen, aber energetisch und materiell ih-
rer Umwelt gegenüber offen.
Differenztheorie: Gregory Bateson (1979) definiert den Begriff der In-
formation als einen Unterschied, der einen Unterschied macht. Informa-

38
SOZIALE ARBEIT ALS KONSTRUKTIVISTISCHE PRAXIS

tionen sind demnach nicht irgendwelche Daten, die aus der Umwelt nur
aufgenommen werden müssten, sondern sie werden vom erkennenden
System erst konstruierbar, wenn das System Unterschiede (in seiner
Umwelt) konstatieren kann, die es zur Erzeugung von systeminternen,
sozusagen eigenen Unterschieden verarbeitet. Hieran lassen sich die
auch als Unterscheidungslogik bezeichneten Gesetze der Form von
George Spencer-Brown (1969) anschließen. Mit Hilfe dieser Differenz-
theorie lässt sich die Entstehung jeder Form von Wirklichkeit auf das
Setzen von Unterscheidungen zurückführen.
Die Entstehung biologischer, psychischer und sozialer Systeme kann
diesbezüglich als das Setzen und Aufrechterhalten von System/ Um-
welt-Unterscheidungen beziehungsweise -Grenzen erklärt werden. Die
Autopoiese wäre als der systeminterne Prozess (des Lebens, Denkens
oder Kommunizierens) zu verstehen, der diese System /Umwelt-Gren-
zen permanent aufrechterhält.
Das Setzen von Unterscheidungen generiert also eine Zwei-Seiten-
Form (System /Umwelt, Subjekt /Objekt), die notwendig ist, damit sys-
temintern überhaupt etwas beobachtet (erkannt) werden kann; auf die
psychische Erkenntnis übertragen heißt das: Bevor erkannt werden
kann, müssen sich diejenigen, die erkennen wollen, von dem „Gegen-
stand“, der erkannt werden soll, unterscheiden. Erst dann können wei-
tere Unterscheidungen (Differenzierungen) angesetzt werden.
Soziologische Systemtheorie: Den Soziologen Niklas Luhmann be-
trachte ich als denjenigen unter den konstruktivistischen Denkern, der
in umfassendster Weise die verschiedenen konstruktivistischen Strö-
mungen aufgenommen und diese in eine einheitliche Theorie integriert
hat. Für die Soziale Arbeit erscheint mir die konstruktivistische System-
theorie Luhmanns vor allem deshalb am brauchbarsten, weil sie die
„Ganzheitlichkeit“ und Transdisziplinarität sozialen Handelns am ehes-
ten erfasst.
Luhmann nimmt den Begriff der Autopoiese von Maturana und Varela
auf und kennzeichnet damit die Funktionsweise von biologischen, psy-
chischen und sozialen Systemen. Alle derartigen Systeme konstruieren
Wirklichkeiten, indem sie sich als Systeme im Vollzug ihrer Autopoiesis
von einer Unwelt unterscheiden. Dies geschieht aber auf jeweils eigen-
ständige Weise, so dass biologische, psychische und soziale Systeme
nicht jeweils aufeinander zurückgeführt werden können. Anders gesagt,

39
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

obwohl alle derartigen Systeme als selbstreferentielle und autopoietische


Systeme verstanden werden, kann nicht jeweils von einer Systemklasse
auf eine andere geschlossen werden; vielmehr erscheint es passender, So-
ziales aus Sozialem, Psychisches aus Psychischem und Biologisches aus
Biologischem zu folgern. Denn alle genannten Systemklassen realisieren
ihre Autopoiesis auf einer eigenständigen (emergenten) Operationswei-
se: biologische Systeme in Form von Leben (ständiger Zellneubildung),
psychische Systeme in Form von Bewusstsein (Gedanke schließt an Ge-
danke an) und soziale Systeme in Form von Kommunikation (mitteilen-
des Verhalten schließt an mitteilendes Verhalten an).
Biologische, psychische und soziale Systeme sind strukturell gekoppelt
und ermöglichen sich damit gegenseitig. Sie müssen ihre Operationen
immer gleichzeitig vollziehen; denn sie setzen sich als System/ Umwelt
wechselseitig voraus – konkreter formuliert: Kommunikation benötigt
den Umweltfaktor Mensch genauso wie Bewusstsein den Umweltfaktor
Gehirn (Nervensystem, Körper) benötigt; dennoch entsteht etwa Kom-
munikation nicht durch die Summierung der einzelnen Psychen, die an
der Kommunikation beteiligt sind; sie ist vielmehr ein selektiver Pro-
zess, der Welt-Komplexität anders reduziert als die beteiligten psychi-
schen Systeme (vgl. ausführlich dazu Luhmann 1984; 1990).
Allerdings benutzen die Psyche und die Kommunikation zur Konstruk-
tion von Wirklichkeit dasselbe Medium: die Sprache. Diese wird psy-
chisch aber anders verstanden als in Kommunikationssystemen und
umgekehrt. Jedes System, ob nun die Psyche oder ein soziales System,
reduziert Komplexität. Wie eine Person Kommunikationen, das heißt
mitgeteilte Informationen versteht, hängt von ihrer Komplexitätsreduk-
tion ab. Und wie Informationen innerhalb eines sozialen Systems mit-
geteilt und verstanden werden können, hängt von der Struktur dieses
Systems ab. Anders ausgedrückt, ein ausgesprochenes Wort ist im sozi-
alen Kontext schon nicht mehr das, was es psychisch war, bevor es aus-
gesprochen wurde. So hängt das Verständnis etwa von Worten nicht
von der Intention der beteiligten Personen ab, sondern vom sozialen
Kontext, der Bedeutungen zuschreibt.
Genau genommen kann es in der Kommunikation niemals zu einem
wirklichen Konsens kommen. Wenn Personen miteinander sprechen,
dann werden die Worte, die in die Kommunikation eingebracht werden,
bei jeder beteiligten Personen psychisch völlig unterschiedliche Assozi-
ationen und Bedeutungen hervorrufen. Man kann sich zwar über Sprache
und Worte verständigen, das geschieht aber ebenfalls sprachlich und

40
SOZIALE ARBEIT ALS KONSTRUKTIVISTISCHE PRAXIS

wörtlich, das heißt kommunikativ und niemals indem eine Psyche an eine
andere Psyche gekoppelt werden kann, um Gedanken auszutauschen.

IV. SCHLUSSFOLGERUNGEN FÜR DIE PRAXIS


UND THEORIE DER SOZIALEN ARBEIT

Abschließend möchte ich fünf Punkte zusammenfassen, die verdeutli-


chen sollen, was die Rezeption konstruktivistischer Modelle für die
Selbstbeschreibung der Sozialen Arbeit bedeuten könnte:
Erstens: Der Konstruktivismus, speziell die Kybernetik zweiter Ord-
nung, sensibilisiert SozialarbeiterInnen für die Notwendigkeit der Re-
flexion, das heißt der Beobachtung von BeobachterInnen etwa mittels
Supervision oder Selbstevaluation. Denn nur das Helfersystem selbst
kann sich beim Unbrauchbarwerden seiner Deutungen bezüglich der
professionsspezifischen Wirklichkeit passendere neue Sichtweisen kon-
struieren. Dies leitet sich aus der informationellen Geschlossenheit au-
topoietischer Systeme zwingend ab und gilt nicht nur im Hinblick auf
die psychische Systemreferenz der einzelnen HelferInnen, sondern
ebenso bezüglich der sozialen Systemreferenz der Interaktions-, Orga-
nisations- und Funktionssystemebene (vgl. etwa Baecker 1994).
Wenn sich SozialarbeiterInnen beobachten oder beobachten lassen,
kann ihnen deutlich werden, dass ihre Unterscheidungen kontingent
sind, das heißt dass andere (etwa umgedeutete) Beobachtungen, Be-
schreibungen, Erklärungen oder Bewertungen andere Handlungen, die
vielleicht passender sind, ermöglichen. In diesem Zusammenhang er-
scheint es nicht erstaunlich, dass es SupervisorInnen waren, die im Kon-
text Sozialer Arbeit als erste versucht haben, ihre Praxis und Theorie
konstruktivistisch zu reflektieren (siehe etwa Kersting 1992; Kersting /
Neumann-Wirsig 1992). Denn in der Supervision geht es um Reflexion,
das heißt um das Beobachten von BeobachterInnen, die bestrebt sind,
problematisch bewertete Sichtweisen gegen brauchbarere auszuwech-
seln. Es wird also von Kontingenz ausgegangen, von der Möglichkeit,
dass bezüglich derselben Probleme beziehungsweise KlientInnen ande-
re Sichtweisen konstruierbar sind, die anderes Handeln gestatten.
Zweitens: Wenn Wirklichkeit ein Konstrukt ist, können Sozialarbeite-
rInnen ihre Erkenntnisse über die KlientInnen nicht objektivieren und

41
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

etwa als Diagnose auffassen. Vielmehr stehen die Anschauungen der


KlientInnen, zumindest epistemologisch betrachtet, gleichberechtigt
neben denen der HelferInnen. Für den Hilfeprozess brauchbare Be-
schreibungen, Bedeutungen oder Bewertungen der Probleme müssen
daher kommunikativ im Hilfesystem, an dem sowohl KlientIn als auch
SozialarbeiterIn beteiligt sind, erst erarbeitet werden. Bevor die Hilfe
beginnen kann, muss also zusammen mit den KlientInnen eine gemein-
same Problemdefinition konstruiert (beschrieben) werden (zum Bei-
spiel in der Jugendhilfe während eines Hilfeplangespräches nach § 36
Kinder- und Jugendhilfegesetz, SGB VIII). Diese Problemdefinition ist
nicht als Diagnose miss zu verstehen; denn sie wird nicht einseitig und
allein vom Sozialarbeiter erstellt, sondern erscheint vielmehr als Kon-
strukt eines interaktiven, kommunikativen Aushandlungs-Prozesses.
Es ist davon auszugehen, dass eine soziale Situation (zum Beispiel ein
Erstgespräch zwischen SozialarbeiterIn und KlientIn) niemals durch
eine Subjekt/Objekt-Beziehung im Sinne klassischer Erkenntnistheorie
oder Diagnoseverfahren verstanden werden kann; denn die problembe-
lasteten KlientInnen als die „Objekte“ der Sozialen Arbeit sind zugleich
Subjekte; sie sind ebenso wie die SozialarbeiterInnen reflexive Syste-
me, das heißt sie beobachten, wie die SozialarbeiterInnen (sie) beobach-
ten und können ihr Verhalten (ihre weiteren Beobachtungen) daraufhin
einstellen. Anders ausgedrückt, KlientInnen entziehen sich, wie alles
andere, was beobachtet wird ebenso, einer beobachterunabhängigen
Beschreibung; und dies aus zweierlei Gründen: zum einen, weil Sozial-
arbeiterInnen ausgehend von ihren Unterscheidungen selbstreferentiell
beobachten (beschreiben, erklären, bewerten) und zum anderen, weil
die KlientInnen den SozialarbeiterInnen ebenfalls als BeobachterInnen
gegenübertreten und ihr Verhalten dieser sozialen Situation entspre-
chend ausrichten.
Daher erscheint auch die Anamnese einer Problemgeschichte in einem
anderen Licht; sie lässt sich ebenso wenig als objektiv verstehen und
unterliegt vielmehr den Beobachtungsverhältnissen und Kontexten so-
wie der Zeit. Wie ein Klient seine Problemgeschichte erzählt, ist zum
einen abhängig davon, welche Unterscheidungen er aktuell anwendet
(Beobachtungs- und Zeit-Kontext8), um seine Geschichte zu (be-)deu-
ten, und zum anderen, wo er sie wem erzählt (örtlicher und sozialer
Kontext). Mit einem Zitat von Milan Kundera (1973, S. 120) könnte
man sagen, die Vergangenheit erscheint wie ein Kleid, „das aus schil-

42
SOZIALE ARBEIT ALS KONSTRUKTIVISTISCHE PRAXIS

lerndem Taft geschneidert ist, und jedesmal, wenn wir uns nach ihr um-
drehen, sehen wir sie in einer anderen Farbe“.
Drittens: Da Wirklichkeit als ein Konstrukt verstanden wird, das nicht
als Widerspiegelung einer für alle objektiv gegebenen Realität gelten
kann, sollten HelferInnen immer von einem Dissens zwischen ihren
Wirklichkeiten und denen der KlientInnen ausgehen. Die Probleme
müssten also immer bis ins kleinste Detail konkretisiert und kontextua-
lisiert werden (vgl. ausführlich dazu 8. Kapitel), um zumindest einen er-
eignis- beziehungsweise momenthaften kommunikativen (und nicht
psychischen) Minimalkonsens auszuhandeln. Ebenso kann nicht von ei-
nem stillschweigenden Konsens über das Ziel der Hilfe ausgegangen
werden. Was die KlientInnen selbst wollen und nicht was die HelferIn-
nen wollen, wird zum ausschlaggebenden Punkt jedes Hilfeprozesses.
Viertens: Der Konstruktivismus lässt die SozialarbeiterInnen die Gren-
zen ihrer Möglichkeiten sehen; indem konstruktivistische Konzepte die
Selbstreferenz der biologischen, psychischen und sozialen Phänomene
hervorheben, wird deutlich, dass kein System aus seinen eigenen zirku-
lären Kreisläufen ausbrechen kann. Damit erscheint die instruktive In-
tervention beziehungsweise Interaktion als Mythos. Mit anderen Wor-
ten, es sind die KlientInnen Sozialer Arbeit, die bestimmen, wie sie auf
die Interventionen der SozialarbeiterInnen reagieren.
Fünftens: Indem der Konstruktivismus im interdisziplinären Diskurs ein
neues Paradigma darstellt (vgl. Schmidt 1987), das auch naturwissen-
schaftliche (zum Beispiel biologische und physikalische) Begründung
erfährt, schließt sich eine konstruktivistisch reflektierte Soziale Arbeit
dem sich wandelnden Wissenschaftsverständnis der Postmoderne an
(siehe dazu Teil 2). Davon ausgehend könnte die Ausdifferenzierung ei-
ner Wissenschaft Sozialer Arbeit, zumindest wenn diese sich selbst als
konstruktivistisch beschreibt, begünstigt werden (vgl. Kleve 1996,
145ff.), zumal konstruktivistische Thesen mit ihrer Hervorhebung von
Phänomenen wie Kontingenz oder Komplexität dem sehr nahe kom-
men, was PraktikerInnen täglich erfahren: der Unvorhersehbarkeit sozi-
aler Zustandsveränderungen. Diesbezüglich hilft eine konstruktivisti-

8 Zum Aspekt der Zeit, welcher in Beratungen entgegen den sachlichen und
sozialen Aspekten zumeist unterbelichtet bleibt, siehe Bardmann (1996a),
Kleve (1999, S. 280ff.).

43
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

sche Wissenschaft keinesfalls dabei, erkenntnistheoretische Sicherhei-


ten oder Gewissheiten zu erzeugen und nicht-triviale Phänomene zu
trivialisieren (vgl. von Foerster 1988); vielmehr trifft das Gegenteil zu:
„Sie reflektiert die Unsicherheit der Erkenntnis und bietet dafür Gründe
an“ (Luhmann 1990a, S. 58). Allerdings lässt sich aus der Not der er-
fahrbaren Unsicherheit von Erkenntnis und Wissen mit Heinz von Foer-
ster (1988, S. 33) eine Tugend machen, die allen psychosozialen Helfe-
rInnen empfohlen werden kann: „Handle stets so, daß Du die Anzahl der
Möglichkeiten vergrößerst“ – und ich füge hinzu: ohne vorher wissen
zu können, wie die (gewählten) Möglichkeiten konkret aussehen wer-
den.

44
3. Systemtheorie und Ökonomisierung
Sozialer Arbeit
Zur Ambivalenz eines sozialarbeiterischen Trends

AUSGANGSPUNKTE

Sowohl Systemtheorie als auch Ökonomisierung sind zwei seit einigen


Jahren in der Sozialen Arbeit sehr angesagte Themen.
Auf der einen Seite wird die Systemtheorie in ihren unterschiedlichen
Spielarten in Wissenschaft und Praxis der Sozialarbeit derzeit stärker
als je zuvor thematisiert (siehe dazu 1. und 2. Kapitel). Es finden Tagun-
gen zum Thema statt, Sammelbände erscheinen (siehe etwa Merten
2000), und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter besuchen in zuneh-
mendem Umfang die zahlreich angebotenen Fort- und Weiterbildungs-
veranstaltungen zur systemischen Beratung /Familientherapie, Supervi-
sion oder Organisationsentwicklung (vgl. beispielhaft dazu noch einmal
die empirische Untersuchung von Noack 1996).
Auf der anderen Seite halten seit Anfang der 1990er Jahre – sowohl auf-
grund der knappen öffentlichen Kassen als auch wegen der dysfunktio-
nal wirkenden Organisationsstruktur beziehungsweise ineffektiven Ar-
beitsweise der klassischen sozialen Dienste (vgl. Schweitzer 2000, S.
17) – verstärkt betriebswirtschaftliche Denkmuster Einzug in die Sozi-
alarbeit (vgl. etwa Müller 1997, S. 217ff.). Die Sozialarbeit ökonomi-
siert sich, und – wie mir scheint – in einem rasenden Tempo. Viele So-
zialarbeiterinnen und Sozialarbeiter verstehen sich bereits als Manage-
rinnen und Manager, deren Aufgabe es ist, ihre Produkte auf dem Markt
der sozialen Dienstleistungen erfolgreich anzubieten sowie effektiv und
effizient an ihre Kunden zu verkaufen. Und zum Teil wird diese (neue)
ökonomische Orientierung, die die Soziale Arbeit in ihren Struktur-,
Prozess- und Ergebnisqualitäten sowie in ihren Planungs- und Interven-
tionsmöglichkeiten klarer, eindeutiger und sicher machen soll, selbst
systemtheoretisch begründet.
Im Folgenden sollen die beiden genannten aktuellen Tendenzen Sozia-
ler Arbeit, Systemtheorie und Ökonomisierung, theoretisch aufeinander
bezogen werden. Die Frage ist: Was und wie sieht man, wenn man die

45
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

Systemtheorie der Bielefelder Schule benutzt, um Aspekte der sozialar-


beiterischen Ökonomisierung zu beobachten. Und die These ist, dass
man eine Ambivalenz zu Gesicht bekommt, die zunächst einmal und
ganz allgemein formuliert darin besteht, dass der aktuelle ökonomisch-
betriebswirtschaftliche Trend in der Sozialarbeit ausgehend von sys-
temtheoretischen Positionen sowohl begrüßt und gefördert als auch ra-
dikal kritisiert und infrage gestellt werden muss.9
Die Ambivalenz des gleichzeitigen Begrüßens und Kritisierens der so-
zialarbeiterischen Ökonomisierung will ich explizieren, indem ich zu-
nächst die Sozialarbeit als Funktionssystem der Gesellschaft beschrei-
be. Dabei werde ich die sozialarbeiterischen Probleme deutlich machen,
die durch einen gezielten Einsatz von ökonomischen Konzepten bear-
beitet werden können (I). Im Anschluss daran geht es mir um die andere
Seite der Ambivalenz, also um jene Aspekte der Ökonomisierung Sozi-
aler Arbeit, die aus systemtheoretischer Sicht radikal infrage zu stellen
sind (II). Schließlich möchte ich ausgehend von der systemtheoretisch
reflektierten Ambivalenz der Ökonomisierung resümierend einige
grundsätzliche Aspekte zur (ambivalenten) Brauchbarkeit der System-
theorie für die Soziale Arbeit skizzieren (III).

I. ÖKONOMISIERUNG ALS LÖSUNG


SOZIALARBEITERISCHER FUNKTIONSPROBLEME

Die sozialwissenschaftliche Systemtheorie der Bielefelder Schule ver-


steht Soziale Arbeit – in Anlehnung an einen frühen Aufsatz von Niklas
Luhmann (1973) zu den Formen des Helfens im Wandel gesellschaftli-
cher Bedingungen – als ein soziales System, das in der Gesellschaft und
für die Gesellschaft soziale Hilfe anbietet. Inzwischen konnten verschie-

9 Ambivalenz lässt sich grundsätzlich als das Strukturmerkmal Sozialer


Arbeit beschreiben, so dass schließlich auch bei einer (systemtheoretischen)
Reflexion der Ökonomisierung Sozialer Arbeit nichts anderes aufscheint als das
Zweilicht der Ambivalenz. Vgl. dazu ausführlich Kleve 1999, wo die These
expliziert wird, dass „Sozialarbeit [...] so offensichtlich strukturell ambivalent
[ist], daß ihre Ambivalenzen kaum erfolgreich invisibilisiert werden können“
(ebd., S. 20); siehe zu empirischen Befunden für die Ambivalenzthese Geissler
2000.

46
SYSTEMTHEORIE UND ÖKONOMISIERUNG SOZIALER ARBEIT

dene systemtheoretisch orientierte Autoren, zum Beispiel Dirk Baecker


(1994; 1997) oder Peter Fuchs (vgl. Fuchs /Schneider 1995; Fuchs
2000), zeigen, dass es sich im Falle Sozialer Arbeit sogar um ein auto-
nomes gesellschaftliches Funktionssystem handelt (vgl. zu dieser Dis-
kussion Kleve 1999, S. 180ff.; Weber/ Hillebrandt 1999). Ein gesell-
schaftliches Funktionssystem, wie zum Beispiel das Funktionssystem
der Wirtschaft, des Rechts, der Wissenschaft, der Politik, der Religion,
der Erziehung oder der Sozialen Arbeit, ist ein systemisch von anderen
gesellschaftlichen Bereichen (Funktionssystemen und Lebenswelten)
abgegrenzter Kommunikationszusammenhang.
Weil sich nach der soziologischen Systemtheorie der Bielefelder Schule
nahezu die gesamte Gesellschaft in Funktionssysteme ausdifferenziert,
wird davon gesprochen, dass unsere moderne Gesellschaft eine primär
funktional differenzierte Gesellschaft ist (vgl. Luhmann 1997). So sei
für die moderne Gesellschaft beispielsweise nicht mehr die Differenzie-
rung in Klassen und Schichten zentrale Ausdifferenzierungsform, son-
dern, wie gesagt, die funktionale Differenzierung.10
Funktionssysteme erfüllen jeweils eine gesamtgesellschaftliche Funkti-
on und strukturieren ihre jeweiligen Kommunikationen nach bestimm-
ten Codes, denen spezifische Kommunikationsmedien zur Seite stehen.
Somit wird systemtheoretisch in der Wirtschaft beispielsweise der Code
Haben/ Nichthaben beziehungsweise Zahlen /Nichtzahlen oder im
Rechtssystem der Code Recht /Unrecht beobachtet. Als Medium der
Wirtschaft fungiert das Geld, welches Eigentum repräsentiert und durch
Zahlungen zum kommunikativen Einsatz kommt (vgl. Luhmann 1988).

10 Inzwischen wird allerdings insbesondere von Rodrigo Jokisch (1996) die


These vertreten, dass innerhalb der funktionalen Differenzierungsform der
modernen Gesellschaft bereits eine neue Form der sozialen Differenzierung
kalibriert: eine auf systemische Reflexion aufbauende reflexive Differenzierung.
Demnach scheint es durch die erfolgreiche evolutionäre Durchsetzung der funk-
tionalen Differenzierung nicht mehr in Frage zu stehen, ob und dass die funkti-
onalen Teilsysteme der Gesellschaft ihre Funktionen rational und rationell erfül-
len, sondern wie sie diese Funktionen erfüllen, mit welchen Nebenfolgen und
Auswirkungen auf ihre natürliche, personale und soziale Umwelt. In der refle-
xiven Differenzierung wandelt sich also der zentrale Differenzierungsfokus von
der Erfüllung der Funktionen zur Reflexion der Funktionen bezüglich der Fol-
gen für die Umwelten der Funktionssysteme. Vgl. zur Diskussion reflexiver Dif-
ferenzierung im Teilsystem Sozialer Arbeit Kleve (1997; 1999, S. 152ff./230ff).

47
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

Die Kommunikation im Recht realisiert sich über das Medium Recht,


das heißt über Gesetze, die die Rechtssprechung ermöglichen und damit
zugleich Unrecht ausdifferenzieren (vgl. Luhmann 1993).
Bezüglich der Sozialarbeit werden von den verschiedenen Autoren un-
terschiedliche Codes beobachtet. Nach Dirk Baecker sei der Code der
Sozialarbeit die Differenz von Hilfe und Nicht-Hilfe, während das Me-
dium, in dem sich dieser Code kommunikativ realisiert beziehungsweise
ausdrückt, als Fürsorglichkeit zu bezeichnen sei (vgl. Baecker 1994). Im
Gegensatz dazu beobachtet Peter Fuchs als Code der Sozialarbeit die
Unterscheidung von Fall/ Nicht-Fall und als Medium die Klienten11
(Fuchs /Schneider 1995). Ungeachtet dieser unterschiedlichen inhaltli-
chen Positionen bezüglich des sozialarbeiterischen Funktionssystems
(vgl. weiterführend Kleve 2000, S. 77ff.), lassen sich ausgehend von
beiden Positionen dieselben Funktionsprobleme der Sozialarbeit beob-
achten.
Ein Funktionssystem ist ein autopoietisch organisiertes System, das
heißt die systemischen Kommunikationen, zum Beispiel die Kommuni-
kationen von sozialer Hilfe, von Fürsorglichkeit, zirkulieren in einem
kreisförmigen, einem selbstreferentiellen, selbstbezüglichen Netzwerk,
das sich selbst permanent durch eigene Operationen hervorbringen be-
ziehungsweise kontinuieren muss, damit es als System erhalten bleiben
kann. Für soziale Hilfe heißt das: Das Funktionssystem Soziale Arbeit
kontinuiert sich solange, solange es hilft, solange vom System genü-
gend Fälle und damit genügend KlientInnen identifiziert (unterschie-
den /bezeichnet, definiert, konstruiert) werden, denen Hilfe angeboten
werden kann und die diese Hilfe annehmen. Autopoiesis – ein Zentral-
begriff der Theorie selbstreferentieller Systeme – bedeutet nämlich,

11 Kommunikationsmedien sind bestimmte (lose gekoppelte) kommunikative


Formen, die zur Motivation und Annahme der spezifischen funktionssystemi-
schen Kommunikationen führen. Demnach sind KlientInnen besondere Leute
beziehungsweise Personen, die den Zusammenhang von Motivation und
Annahme von sozialarbeiterischer Hilfe „nach allen Seiten hin augenfällig
machen und die doch wieder in die Nicht-form-für-das-System (andere Perso-
nen) zurückspringen können“ (Fuchs/ Schneider 1995, S. 217). Allerdings muss
man sich diesbezüglich fragen, ob auch die Gemeinwesenarbeit innerhalb des
Mediums ‚Klient’ operiert. Denn Gemeinwesenarbeit zeichnet sich durch ihren
sozialstrukturellen Fokus aus, der nicht in erster Linie oder überhaupt nicht kli-
enten- beziehungsweise personenbezogen ausgerichtet ist.

48
SYSTEMTHEORIE UND ÖKONOMISIERUNG SOZIALER ARBEIT

dass ein System ein Netzwerk von gleichartigen und permanent anein-
ander anschließenden Operationen ist, die sich von einer Umwelt ab-
grenzen, differenzieren. Das System realisiert seine Autopoiesis, seine
Selbsterhaltung nur dann, wenn es permanent gleichartige Operationen
hervorbringt, die aneinander anschließen, wenn es also, wie im Falle
Sozialer Arbeit, permanent soziale Hilfe leisten kann.
Die Autopoiesis der Sozialen Arbeit bringt also, wie ich noch einmal
betonten will, die strukturelle Notwendigkeit dieses Systems in den
Blick, dass es seine Kommunikationen von sozialer Hilfe kontinuieren
muss, will es sich erhalten. Insofern sind die Organisationen, die sich
diesem Funktionssystem zuordnen, laufend damit beschäftigt, Kriterien
bereitzustellen, die – wie Baecker (1994, S. 28) formuliert – „in ausrei-
chendem Maße Defizite zu identifizieren erlauben“. Denn mit jeder er-
folgreichen Hilfe, mit jedem Klienten, dem geholfen wurde, der also
nun auf der Nicht-Hilfe Seite des Systems steht, „diskontinuiert sich das
System“ (ebd.). Soziale Arbeit ist, kurz gesagt, auf permanenten Pro-
blemnachschub angewiesen; sie muss ständig neuen potentiellen Klien-
tinnen und Klienten Hilfe anbieten können oder – wenn das nicht ge-
lingt – ihren Adressatinnen und Adressaten in ausreichendem Maße
Kriterien bereitstellen, dass diese sich immer wieder erneut Probleme
zurechnen können, damit soziale Hilfe weiterhin geleistet werden kann.
Durch die beschriebene Autopoiesis der sozialen Hilfe geraten nun jene
Aspekte ins Visier, die durch eine Ökonomisierung Sozialer Arbeit be-
arbeitet werden könnten, nämlich dass Hilfe strukturell dazu tendiert,
einerseits Klientinnen und Klienten an das Hilfesystem zu binden und
andererseits deren Selbsthilfepotentiale nicht zu stärken, sondern zu
schwächen. Helfen selbst ist also ein ambivalentes, zweischneidiges
Unterfangen, das zwar in der Regel vorgibt, auf die Klientensysteme
emanzipierend zu wirken und deren Selbsthilfepotentiale zu aktivieren,
welches aber auch dazu beitragen kann, neue Abhängigkeiten und Hilf-
losigkeiten zu schaffen. Reinhart Wolff (1990) bezeichnet dieses Phä-
nomen als das zentrale Hilfeparadox Sozialer Arbeit. Und Dirk Baecker
(1997a, S. 100) formuliert diesbezüglich, dass das “Funktionssystem
der Sozialen Hilfe versucht, den Leuten zu helfen, unter der Bedingung,
daß es so, wie es gegenwärtig arbeitet, nicht genau weiß, wie es die Leu-
te, die es sich zu seinem eigenen Problem macht, wieder los wird [...]”.
Speziell auf dieses Problem lassen sich etwa die mit der Ökonomisie-
rung Sozialer Arbeit einhergehenden Konzepte des Case Managements

49
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

beziehen (vgl. zum Beispiel Wendt 1997; Raiff/ Shore 1993; Kleve u.a.
2003). Case Management ist ein Verfahren des sozialarbeiterischen
Fall-Managements, in dem die ökonomischen Begriffe Effektivität und
Effizienz zentrale Stichworte sind. Effektivität beschreibt in diesem Zu-
sammenhang die Zielwirksamkeit sozialer Hilfen, „ob und in welchem
Maße der mit dem Handeln beabsichtigte Erfolg eintritt“ (Wendt 1997,
S. 46). Eine am Kriterium der Effektivität ausgerichtete Soziale Arbeit
misst sich also daran, welche Ziele sie tatsächlich erreicht, was sie bei
ihren Klientinnen und Klienten bezüglich der Problemlösung bewirkt
hat und nicht daran, welche guten Intentionen, Werte und Normen sie
hat oder hatte. Denn „Organisationen müssen sich an ihren Effekten und
können sich nicht länger an ihren Absichten messen lassen“ (Baecker
1997, S. 53).
Außerdem soll eine soziale Hilfe, die im Sinne des Case Managements
geleistet wird, effizient sein. „Effizienz meint die Ergiebigkeit des Ein-
satzes, die Relation des in der Vorgehensweise getriebenen Aufwandes
zum Ertrag, also wie kostengünstig gearbeitet wurde“ (Wendt 1997, S.
46). Offensichtlich hat Effizienz etwas mit der Zeit und mit dem Einsatz
von professionellem Personal zu tun, so dass man meinen könnte: Je
kürzer eine soziale Hilfe ist und je weniger Professionelle tätig werden,
desto effizienter, das heißt desto kostengünstiger ist sie. Darüber hinaus
könnte vermutet werden: Je kürzer eine Hilfe ist und je weniger Profes-
sionelle tätig werden, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass
sich eine ineffektive und ineffiziente Abhängigkeitsbeziehung zwischen
Klientsystem und Hilfesystem entwickelt.
Aus diesem Grund wird im Case Management – einerseits – intensiv am
Faktor Zeit gearbeitet. Mit anderen Worten, soziale Hilfen sind so kurz
wie möglich und so lang wie nötig durchzuführen. Andererseits wird
versucht, so effektiv wie möglich die lebensweltlichen Ressourcen und
Netzwerke der Klientinnen und Klienten, etwa Freunde, Verwandte
oder Nachbarn, für mögliche Hilfeleistungen zu aktivieren. Alles das,
was auch von Laien an Unterstützung angeboten werden kann, soll
nicht von Professionellen übernommen werden. Den Klientinnen und
Klienten soll im Prozess der Hilfe ein Maximum an Unabhängigkeit
und Selbstverantwortung bewahrt bleiben. Die professionellen Case
Managerinnen und Manager haben in diesem Zusammenhang die Funk-
tion der Koordination; zum Beispiel koordinieren sie den Einsatz und
die Verknüpfung der lebensweltlichen, informellen und der professio-

50
SYSTEMTHEORIE UND ÖKONOMISIERUNG SOZIALER ARBEIT

nellen, formellen Hilfen, so dass der größtmögliche Nutzen für die Kli-
entinnen und Klienten entstehen kann.
Schließlich geht mit der Ökonomisierung Sozialer Arbeit durch das
Case Management eine radikale Kundenorientierung einher. Damit er-
reicht man bestenfalls, dass die selbstreferentielle Autopoiesis sozialer
Hilfe stärker an fremdreferentiellen Kriterien ausgerichtet wird. Die Be-
dürfnisse, Zielvorstellungen und Bewertungen der Klientinnen und Kli-
enten bezüglich der sozialen Hilfe geraten so in den Mittelpunkt. Auch
eine marktwirtschaftliche Steuerung der sozialen Dienstleistungen wird
in diesem Zusammenhang angestrebt (vgl. etwa Vogel 1997, S. 255ff.),
so dass die Nachfrage der Kundinnen und Kunden – also sowohl der Kli-
entinnen und Klienten als auch der finanzierenden Auftraggeber – nach
sozialen Dienstleistungen bestimmt, welche sozialen Hilfen angeboten
werden. Nicht die Klientinnen und Klienten haben sich den Problemde-
finitionen und Kategorisierungen der sozialen Dienstleister anzupassen,
sondern umgekehrt: die helfenden Organisationen bieten das an, was
nachgefragt wird. Damit wird einem systemtheoretischen Postulat ent-
sprochen, dass nämlich die „Programme [der sozialarbeiterischen Orga-
nisationen; H.K.] an Personen und nicht Personen an Programme anzu-
passen [sind]“ (Hollstein-Brinkmann 1993, S. 190; vgl. auch Kleve
1996, S. 64ff.).

II. ÖKONOMISIERUNG ALS PROBLEM SOZIALER ARBEIT

Nachdem ich ausgehend von systemtheoretisch in den Blick geratenen


Funktionsproblemen Sozialer Arbeit der sozialarbeiterischen Ökono-
misierung das Wort geredet habe, soll nun die andere Seite der Ambi-
valenz betrachtet werden. Genauso wie man aus systemtheoretischer
Sicht etwa Case Management-Konzepte oder die marktwirtschaftliche
Kundenorientierung begrüßen kann, muss aus derselben Sicht vor allzu
optimistischen Erwartungen gewarnt werden. Dazu möchte ich im Fol-
genden zwei Gründe anführen.
(1) Die geschilderte marktwirtschaftliche Steuerung sozialer Hilfen, die
sich über Nachfrage regulieren soll, unterhöhlt genau das, was ich oben
als Vorteil der Ökonomisierung Sozialer Arbeit dargestellt habe, näm-
lich die an Effektivität und Effizienz orientierte fremdreferentielle Kun-

51
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

denorientierung. Denn je deutlicher sozialarbeiterische Organisationen


wie wirtschaftliche Unternehmen auf dem Markt sozialer Dienstleistun-
gen um potentielle Kunden, das heißt um Klientinnen und Klienten so-
wie um öffentliche und private Geldgeber konkurrieren, desto stärker
sind sie gezwungen, sich der wirtschaftlichen Autopoiesis des Zahlens
unterzuordnen. Eine zwar funktionssystemisch ausdifferenzierte, aber
verstärkt an ökonomischen Kriterien ausgerichtete Sozialarbeit steht
also vor der Gefahr, ihre gewonnene systemische Autonomie des sozi-
alarbeiterischen Helfens (vgl. Merten 1997) gleich wieder an wirt-
schaftliche Orientierungen, an die ökonomische Autopoiesis des Zah-
lens zu verlieren. Denn sobald die wirtschaftliche Rationalität in den so-
zialen Hilfesystemen stärker wird als die helfende, ist der eigene
professionelle Code Hilfe /Nicht-Hilfe außer Kraft gesetzt (vgl. auch
Vogel 1997, S. 256; siehe ansatzweise dazu ebenfalls Fuchs 2000).
Auf einem „freien Markt“ sozialer Dienstleistungen können sich sozial-
arbeiterische Organisationen als autopoietische Systeme der Wirtschaft
nur dann reproduzieren, wenn sie einerseits ihre Konkurrenten, eben an-
dere Organisationen Sozialer Arbeit, ausstechen und andererseits durch
Werbung und Marketing immer wieder neue Personengruppen als Kli-
entel gewinnen sowie permanent neue Hilfsbedürftigkeiten, neue Fälle
konstruieren. Effektivität und Effizienz beziehen sich dann vermutlich
nicht mehr so sehr auf den effektiven und effizienten Einsatz sozialer
Hilfen, um etwa – wie im Sinne des Case Managements – die Selbsthil-
fepotentiale der Klientinnen und Klienten zu fördern. Vielmehr hat eine
wirtschaftliche Organisation aufgrund ihrer Autopoiesis effektiv und ef-
fizient dafür zu sorgen, dass jederzeit genügend Gelder, genügend Zah-
lungen eingefahren werden. Und Zahlungen werden sichergestellt, so-
lange Klientinnen und Klienten als hilfsbedürftig gelten, als hilfsbedürf-
tig konstruiert werden, solange etwa rechtlich zugesicherte Hilfen von
der öffentlichen Hand, von Krankenkassen oder anderen Trägern für
Hilfsbedürftige finanziert werden.
Zusammenfassend gesagt, je deutlicher und stärker sich die Soziale Ar-
beit an ökonomischen Kriterien und Konzepten beziehungsweise am
wirtschaftlichen Code orientiert, um so mehr gibt sie sich als eigenstän-
diges, als autonomes Funktionssystem der sozialen Hilfe auf bezie-
hungsweise entfernt sich von ihrem originären professionellen Selbst-
verständnis. Wenn der Code der Sozialen Arbeit als Hilfe / Nicht-Hilfe
oder als Fall /Nicht-Fall konzipiert beziehungsweise beobachtet wird,

52
SYSTEMTHEORIE UND ÖKONOMISIERUNG SOZIALER ARBEIT

dann kann nicht der Preis, nicht das Zahlen „das ausschlaggebende Kri-
terium der Hilfe sein – oder man hat es mit einem Wirtschaftsmarkt zu
tun“ (Vogel 1997, S. 256).12
(2) Die aus einer vermeintlich modernen Ökonomie importierten Effek-
tivitäts- und Effizienzforderungen innerhalb der Sozialen Arbeit gehen
von recht simplen, man könnte auch sagen systemtheoretisch unreflek-
tierten, unterkomplexen, ja von trivialen Rationalitäts-, Technologie-,
Interventions- und Steuerungsvorstellungen aus. Diesbezüglich wird of-
fensichtlich im Sinne einer (alten) Kybernetik erster Ordnung (vgl. Bae-
cker 1993a, S. 18) an Vorstellungen einer zielgerichteten, planvollen
und rationalen Steuerungs- und Interventionsmöglichkeit bezüglich
psychischer und sozialer Systeme festgehalten. Man glaubt weiter an die
zielgerichtete Veränder- und Steuerbarkeit psychischer und sozialer
Systeme, an den aufklärerischen Mythos der menschlichen Mach(t)bar-
keit. Ausgehend von dieser Vorstellung ist es beispielsweise im Sinne
der Ökonomisierung Sozialer Arbeit leicht, eine Erhöhung der Effekti-
vität, der Zielwirksamkeit sozialer Hilfen zu fordern.
Wenn wir nun aber systemtheoretisch nach den Möglichkeiten von
Steuerung und Intervention fragen, dann ergibt sich ein weitaus kompli-
zierteres und weniger optimistisches Bild, dann steht grundsätzlich in-
frage, ob ein kausaler, ein determinierender Zusammenhang zwischen
sozialarbeiterischen Handlungsintentionen und den Effekten auf der
Klientenseite beobachtet werden kann (siehe dazu Fuchs 1999). Denn

12 An diesem Punkt stellt sich die Frage, ob die nach ökonomischen Kriterien
orientierten Finanzierungen in der Sozialen Arbeit (zum Beispiel über Fachleis-
tungsstundensätze) nicht der sozialarbeiterischen Professionalität, etwa der
„Hilfe zur Selbsthilfe“-Orientierung grundsätzlich entgegenlaufen. Die am öko-
nomischen Kalkül orientierten Finanzierungsformen machen die Kostenrech-
nung für den Hilfebedarf pro KlientIn und Stunde (Fachleistungsstunde) erfor-
derlich. Dementsprechend wird etwa die öffentliche Finanzierung der freien
Träger der Wohlfahrtspflege von pauschalen Jahreszuwendungen umgestellt auf
eine konkret leistungs-, zeit- und klientenabhängige Finanzierung. Dies könnte
dann in Zeiten von sinkender Hilfe-Nachfrage oder von veränderten (insbeson-
dere zurückgehenden) Auftragslagen der öffentlichen (finanzierenden) Träger
gegenüber freien Trägern der Sozialen Arbeit zu dem nicht intendierten Effekt
führen, dass KlientInnen „fürsorglich belagert“ werden, um sich als Träger, als
Organisation auch weiterhin finanzielle Zuwendungen zu sichern (vgl. ausführ-
licher dazu Kleve 1999, S. 200f.).

53
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

in der Sozialarbeit haben wir es mit psychischen und sozialen Systemen


zu tun, die als operational-geschlossene, als autopoietische Systeme
vorgestellt werden. Ein autopoietisches System ist operational seiner
Umwelt gegenüber geschlossen, das heißt es kann von dieser lediglich
zur Selbstveränderung angeregt, verstört werden. Wie ein autopoieti-
sches System letztlich auf Störungen aus seiner Umwelt reagiert, das
liegt bei ihm selbst, das resultiert aus seiner inneren (gedanklichen oder
kommunikativen) Struktur. Demnach ist es systemtheoretisch unwahr-
scheinlich, dass sich etwa Klientinnen und Klienten von sozialen Hilfe-
systemen zielgerichtet und planvoll ändern lassen. Mit anderen Worten,
die Intentionen der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die mit einer
Intervention einhergehen, haben letztlich keinen Einfluss auf die tat-
sächlichen Änderungsmöglichkeiten und Änderungen des Klientensys-
tems. Das macht die Erfolge von sozialarbeiterischen Interventionen
äußerst unsicher.
Was eine professionelle Sozialarbeit allerdings kann und können muss,
ist, soziale Prozesse zu initiieren und ökologische Rahmenbedingungen
zu schaffen, die eine selbstbestimmte Veränderung von psychischen und
sozialen Systemen in Richtung Problemlösung wahrscheinlicher ma-
chen als ohne sozialarbeiterische Interventionen (vgl. Pfeifer-Schaupp
1995; Kleve 1996, S. 105ff.). Und dass dies möglich ist, das beweist tag-
täglich die Praxis und sollte in verstärktem Maße durch empirische So-
zialarbeitsforschung genauer untersucht und dokumentiert werden.
Dass Fremdveränderung von autopoietischen Systemen unmöglich ist,
das heißt ja noch lange nicht, dass die Sozialarbeit durch ihre Interven-
tionen nicht Selbstveränderungen von Systemen anregen kann. Viel-
mehr ist der Sozialarbeit seit jeher ein systemtheoretisches Prinzip ein-
geschrieben, nämlich das Postulat der Hilfe zur Selbsthilfe. Genau die-
ses Prinzip wird mit der Bielefelder Schule der Systemtheorie auf hohem
Abstraktionsniveau wissenschaftlich begründbar.
Allerdings ist eine am ökonomischen Effektivitätsmodell orientierte
Sozialarbeit im höchsten Maße problematisch. Die Sozialarbeit kann si-
cherlich ihren „Output“, ihre Prozessqualität genau beschreiben, sie
kann also das, was sie täglich macht und was gemacht wurde, beobach-
ten und anhand von methodischen Orientierungen bewerten. Aber das,
was sie bewirkt, der Grad ihrer Zielerreichung, ihr „Outcome“, ihre Er-
gebniseffektivität beziehungsweise -qualität ist im Prozess des sozialar-
beiterischen Handelns potentiell unbestimmbar, nicht prognostizierbar

54
SYSTEMTHEORIE UND ÖKONOMISIERUNG SOZIALER ARBEIT

und auch nicht wirtschaftlich nach Effizienzkriterien quantifizierbar. In


dieser Hinsicht ist professionelle Sozialarbeit darauf bedacht, entspre-
chend ihrer Qualitätsstandards gelingende Hilfeprozesse zu initiieren,
aber sie muss mit der Unsicherheit leben, dass (gelingende) Prozesse
und (zielwirksame) Ergebnisse nicht zwangsläufig zusammen fallen.
Daher ist der Sozialarbeit ein Management der Ungewissheit und Kon-
tingenz, ein „postheroisches Management“ (Baecker 1994a) zu emp-
fehlen, welches ihr ermöglicht, „mit Ungewißheit auf eine Art und Wei-
se umzugehen, die diese bearbeitbar macht, ohne das Ergebnis mit Ge-
wißheit zu verwechseln“ (ebd., S. 9). Das postheroische Management,
das der Sozialen Arbeit gegenüber trivialen Ökonomisierungstenden-
zen nahe gelegt werden kann, lässt sich in Organisationen offenbar nur
langsam durchsetzen, weil es „gegenläufig [ist] zu deren Prinzip der
Absorption von Ungewißheit, des Wegarbeitens des Zweifels“ (ebd.).13
Ein postheroisches Management ist der Sozialarbeit schließlich deshalb
anzuraten, weil sie sich – wie alle Professionen, die mit nicht-trivialen
Systemen arbeiten – strukturell rationalen Möglichkeiten der Zielplan-
barkeit entzieht; vielmehr ist sie – wie man mit Luhmann und Schorr
(1979, zum Beispiel S. 120) sagen könnte – von einem „Technologie-
defizit“ gekennzeichnet, das heißt „eine allgemeine Prämisse rationaler
Technologien, nämlich eine zureichende Isolierbarkeit von kausalen
Faktoren“ (ebd.), zum Beispiel hinsichtlich des Bewirkens einer sozia-
len Problemlösung, erscheint in diesem hochkomplexen Feld unmög-
lich. Im Vorfeld ist also kaum mit Sicherheit feststellbar, ob eine geplan-
te sozialarbeiterische Intervention die Wirkungen zeitigen, verursachen
wird, die intendiert werden. Immer erst im Nachhinein können Erklä-
rungen gesucht werden, die vermeintliche „Wirkungen“ auf vermeintli-
che „Ursachen“ zurechnen, also im Grunde genommen Kausalität kon-
struieren.
Da Kausalität keine objektive Größe, sondern eine konstruierte Erklä-
rung ist, ist sie kontingent. So könnten in Abhängigkeit von anderen Be-

13 Es macht schon nachdenklich, wenn man sieht, dass die Ökonomie bezie-
hungsweise das Management seit einigen Jahren bestrebt ist, das auszuhalten,
anzunehmen, zu akzeptieren und zu integrieren, was die Sozialarbeit seit jeher
kennt, aber nun durch vermeintlich moderne Konzepte aus der Betriebswirt-
schaft zu eliminieren sucht: eben Ungewissheit, Ambivalenz, Kontingenz oder
Chaos.

55
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

obachtern andere Ursache /Wirkungs-Zusammenhänge konstruiert


werden. Dementsprechend können die Kausalzuschreibungen von Beo-
bachter zu Beobachter völlig verschiedenartig sein, so dass es bei jeder
Warum-Frage dermaßen viele konstatierte Ursachen geben kann, „daß
die Frage, welche Ursache man für die wichtige hält, nicht zu entschei-
den ist“ (Luhmann 1988a, S. 130). Denn die Vergangenheit, in der die
„Ursachen“ verortet werden, ist vergangen und lediglich aus den viel-
fältigen Perspektiven der Gegenwart erinnerbar. Mit Milan Kundera
(1973, S. 120) lässt sich die Vergangenheit daher verstehen wie ein
Kleid, „das aus schillerndem Taft geschneidert ist, und jedesmal, wenn
wir uns nach ihr umdrehen, sehen wir sie in einer anderen Farbe“.
Deshalb kann in der Gegenwart quasi alles das erklärt werden, was diese
Gegenwart an Erklärungen zulässt. Die Restriktionen der Erklärungen
sind also die Restriktionen der Gegenwart und nicht jene der Vergan-
genheit. Denn die Plausibilität der Erklärungen ist von der Gegenwart,
von den gegenwärtigen Erklärungs- und Beschreibungsmöglichkeiten
und nicht von der niemals zugänglichen Vergangenheit abhängig (vgl.
Kleve 1999, S. 280ff.).
Weiterhin besteht in der Sozialen Arbeit eine „auf Metaebenen nicht be-
hebbare Unsicherheit darüber [...], ob falsch oder richtig gehandelt wor-
den ist“ (Luhmann/ Schorr 1979, S. 120). Dies kann man in der postmo-
dernen Moderne wohl so grundsätzlich formulieren wie es Dietmar
Kamper (1999, S. 104) macht: „Es ist in allen wichtigen Dingen unmög-
lich geworden, zu behaupten, daß ein Sachverhalt entweder falsch oder
richtig ist“.
Mit einem Beispiel lässt sich das systemtheoretisch beschriebene Tech-
nologiedefizit, die Unsicherheit über die Richtigkeit und Falschheit so-
zialarbeiterischen Handelns verdeutlichen, und zwar mit dem von Tho-
mas Mörsberger und Jürgen Restemeier (1997) dokumentierten Fall ei-
ner Osnabrücker Sozialarbeiterin eines Allgemeinen Sozialen Dienstes
(ASD). Diese Sozialarbeiterin betreute eine alleinerziehende Mutter,
deren sechs Monate altes Kind – trotz sozialpädagogischer Betreuung
und trotz des Einsatzes sozialpädagogischer Familienhilfe – infolge
grober Vernachlässigung durch die Mutter an Unterernährung verstor-
ben ist. Aufgrund dieses tragischen Ereignisses ermittelte die Staatsan-
waltschaft gegen die betreffende Sozialarbeiterin. Es kam zu einem
Strafprozess. Die Staatsanwaltschaft warf der Sozialarbeiterin vor, Mit-
schuld am Tode des Säuglings zu tragen. Ihr wurden Defizite in der

56
SYSTEMTHEORIE UND ÖKONOMISIERUNG SOZIALER ARBEIT

fachlichen Arbeit unterstellt. Außerdem hätte sie prognostizieren müs-


sen und können, dass die Mutter aufgrund ihrer Lebenssituation mit der
Versorgung ihres Kindes so überfordert gewesen sei, dass es zu einem
derartigen Ereignis wie dem Tod des Säuglings kommen könne.
Dieser Sichtweise entsprach auch das Gerichtsurteil in erster Instanz, so
dass die Sozialarbeiterin schuldig gesprochen wurde. Im ersten Berufs-
verfahren wurde die Angeklagte dann freigesprochen, im zweiten wur-
de das Verfahren schließlich – laut Strafprozessordnung wegen der ge-
ringen Schuld des Täters und aufgrund des mangelnden öffentlichen In-
teresse an der Strafverfolgung – eingestellt.
Ohne diesen Fall hier genauer besprechen zu können, wird m.E. den-
noch deutlich, welche Unsicherheit über die Möglichkeiten und Gren-
zen Sozialer Arbeit bestehen und kaum ausgeräumt werden können.
Was hätte die Sozialarbeiterin tun können, um den Tod des Kindes zu
verhindern? Hätte sie überhaupt etwas dafür tun können? Muss es ande-
re gesetzliche Rahmenbedingungen als das lebenswelt- und dienstleis-
tungsorientierte Kinder- und Jugendhilfegesetz für die Jugendhilfe ge-
ben, damit es zu solchen Vorfällen nicht kommt?
Dies sind möglicherweise unbeantwortbare Fragen, oder es sind Fra-
gen, auf die mit vielen konkurrierenden, ja widersprüchlichen Antwor-
ten reagiert werden kann. Aber es wird sich kaum die eine richtige Ant-
wort finden lassen.
Diese Unbeantwortbarkeit und Unsicherheit, ja diese Kontingenz müs-
sen die Soziale Arbeit und die Gesellschaft m.E. aushalten. Sozialarbeit,
und dies kann auch eine Erkenntnis aus dem geschilderten Osnabrücker
Fall sein, bleibt trotz formaler (verrechtlichter, bürokratisierter, rationa-
ler und ökonomisierter) Organisation und methodisch strukturierter In-
teraktion den Unsicherheiten alltäglicher menschlicher Beziehungen
ausgesetzt, sie ist nur bedingt rationalisierbar. Denn sie agiert in einem
Feld von psychischen und sozialen Systemen, die man in den Worten
des Kybernetikers Heinz von Foerster (1988) auch als nicht-triviale
Systeme bezeichnen kann. Nicht-triviale Systeme sind solche Systeme,
deren Verhalten aufgrund ihrer komplexen inneren Struktur nicht vor-
hergesagt werden kann. Auch wenn man weiß, welche Umweltprozesse
auf solche Systeme einwirken, bleiben sie in ihrem Verhalten, in ihren
Reaktionen potentiell unberechenbar.
In diesem Sinne der Nicht-Trivialität betont der Familientherapeut und
Supervisor Friedhelm Kron-Kless (1998, S. 30) – mit Bezug auf den ge-

57
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN

schilderten Osnabrücker Fall –, dass „Öffentliche Jugendhilfe insbeson-


dere und die Öffentlichkeit allgemein [...] immer damit leben müssen,
daß bei Hilfen zur Erziehung keine Erfolgsgarantien für ihr Wirken ge-
geben werden können“. Und somit ist die ökonomische Größe der Ef-
fektivität Sozialer Arbeit eine ausgesprochen unsichere Variable und
nur sehr bedingt messbar.
Zusammenfassend gesagt: Angesichts der dargestellten nicht-trivialen,
hochkomplexen beziehungsweise systemisch-autopoietischen Operati-
onsweise der Sozialen Arbeit sollte deutlich werden, dass die Ergebnis-
se sozial(arbeiterisch)er Hilfen nicht in einer Weise antizipiert werden
können, wie dies bei herkömmlichen betriebswirtschaftlichen Vorgän-
gen (etwa in der Industrie) die Regel sein sollte. Es lassen sich im Pro-
zess der Hilfe keine eindeutigen ökonomisch bewertbaren Zustände vo-
rausdenken. Denn am Anfang jeder sozialen Hilfe können – auch nach
gründlicher Kontext- und Zielplanung im Sinne des Case Managements
oder der systemischen Beratung – nur sehr vage und unsichere Aussa-
gen darüber getroffen werden, wie der Endzustand beziehungsweise das
Ergebnis der Hilfe konkret aussehen wird. Das „Endprodukt“ Sozialer
Arbeit lässt sich nicht annähernd so konkret beschreiben wie das Ergeb-
nis eines industriellen Produktionsprozesses, so dass es auch nur äu-
ßerst unklar durch ökonomische Faktoren ausgedrückt werden kann.
Soziale Arbeit ist eben keine (einfache) Produktion, sondern eine kom-
munikative Ko-Produktion, ein Dialog (vgl. etwa Kleve 2000, S. 172)
und sollte daher „postheroisch“ gemanagt werden.

III. ZUR AMBIVALENZ DER SYSTEMTHEORIE SOZIALER ARBEIT

Mit Hilfe der Grundbegriffe, Positionen und Perspektiven der sozial-


wissenschaftlichen Systemtheorie der Bielefelder Schule ist es möglich,
den derzeitigen Ökonomisierungsschub der Sozialarbeit zu beleuchten.
Dabei ergibt sich allerdings ein Zwielicht, eine Ambivalenz. Genauso
wie die Systemtheorie die Ökonomisierung Sozialer Arbeit begrüßen
könnte, fordert sie dazu auf, diesen Prozess äußerst kritisch und nüch-
tern zu sehen. Sie vermittelt kein eindeutiges und einheitliches Bild.
Aus der Sicht der Systemtheorie bleibt auch die ökonomisierte Sozial-
arbeit ein ambivalentes Gebilde, ja es ist ausgehend von jener sozialwis-
senschaftlichen Systemtheorie, welche ich ansatzweise vorgestellt ha-

58
SYSTEMTHEORIE UND ÖKONOMISIERUNG SOZIALER ARBEIT

be, generell unmöglich, Sozialarbeit als Wissenschaft oder als Praxis


eindeutig zu fundieren. So schreibt Niklas Luhmann (1990b, S. 58),
dass die Bielefelder Schule der Systemtheorie und insbesondere die mit
ihr einhergehende konstruktivistische Erkenntnistheorie die „Wissen-
schaften [...] nicht fundieren [kann], [...] ihnen nicht Grundlagen, Argu-
mente oder Gewissheiten anbieten [kann]“.
Diese Aussagen müssen für jene Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter
enttäuschend sein, die nach wie vor daran festhalten, Soziale Arbeit ein-
deutig und ambivalenzfrei fundieren oder definieren zu wollen, und die
dies in den letzten Jahren möglicherweise verstärkt durch Anleihen aus
der Betriebswissenschaft versuchen. Auch wenn die Sozialarbeit inzwi-
schen vermehrt mit Größen wie Effektivität und Effizienz kalkuliert,
wenn sie ihre Angebote in Produkte umschreibt oder die von der Kom-
munalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung geforder-
ten neuen Steuerungsmodelle huldigt, sie wird aus systemtheoretischer
Sicht dadurch keineswegs rationaler, planbarer oder technologischer.
Das, was Sozialarbeit seit jeher auszeichnet, nämlich Ambivalenz und
Unschärfe (vgl. Kleve 1999) sowie eine eher postmoderne brüchige,
flexible Patchwork-Identität (vgl. Kleve 2000), bleibt auch nach dem
Ökonomisierungsschub erhalten. Wer dies akzeptieren kann und sich
nicht scheut, sich immer wieder erneut kreativ mit dieser Ambivalenz
auseinander zusetzen, dem sei die sozialwissenschaftliche Systemtheo-
rie der Bielefelder Schule als Reflexionsgrundlage empfohlen. Denn
diese Theorie reflektiert die Unsicherheit und die Kontingenz unserer
Erkenntnis, unserer Kommunikation, ja unseres psychischen sowie so-
zialen Lebens und bietet dafür plausible wissenschaftliche Erklärungen
und Gründe an.

59
2. Teil:
Postmoderne
Grundlegungen
4. Postmodernes Wissen für die Soziale Arbeit
Soziale Arbeit im Lichte der Postmoderne Jean-François Lyotards

„Das postmoderne Wissen ist nicht allein


das Instrument der Mächte. Es verfeinert
unsere Sensibilität für die Unterschiede
und verstärkt unsere Fähigkeit, das Inkom-
mensurable zu ertragen. Es selbst findet
seinen Grund nicht in der Übereinstimmung
der Experten, sondern in der Paralogie
der Erfinder.“

Jean-François Lyotard (1979, S. 16)

AUSGANGSPUNKTE

Die Postmoderne, ob als Philosophie, Geistes- und Sozialwissenschaft


oder als kultureller Ausdruck und künstlerische Haltung, ist in der deut-
schen Sozialen Arbeit bisher wenig thematisiert worden;14 und dies, ob-
wohl es für die Soziale Arbeit viele Anschlussstellen an postmoderne
Diskurse gibt. Denn das, was in der Debatte um die Postmoderne the-
matisiert wird, lässt sich grundsätzlich auf die Soziale Arbeit beziehen,
zum Beispiel die Frage nach dem Umgang mit sozialer Vielfalt, mit
Pluralität. Gerade wenn man bedenkt, dass die Soziale Arbeit klassi-
scherweise die Funktion hat, die sozial markierte Differenz von Norm
und Abweichung zu bearbeiten, also abweichendes Verhalten zu norma-
lisieren versucht, drängen sich geradezu zwangsläufig postmoderne

14 Dies hat sicher auch damit zu tun, dass die postmoderne Debatte in der mar-
xistisch beziehungsweise klassisch links-intellektuell dominierten deutschen
Geistes- und Sozialwissenschaft eher kritisch bis ablehnend als positiv oder
befürwortend aufgenommen wurde. Siehe ausführlich dazu Neumeister 2000.

63
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Fragen auf: Wie kann in einer immer pluraler werdenden Gesellschaft


eine klare Grenze zwischen Norm und Abweichung gezogen werden?
Ist es ethisch vertretbar, vermeintlich abweichende Verhaltensweisen
zu renormalisieren? Müsste die Soziale Arbeit nicht vielmehr dafür sor-
gen, dass soziale Differenzen anerkannt, akzeptiert und nicht als zu nor-
malisierende Devianzen stigmatisiert werden? Dies sind nur einige Fra-
gen, die mit Hilfe postmoderner Ansätze wenn nicht beantwortet, so
doch differenziert diskutiert werden könnten.
Weiterhin wäre auch daran zu denken, dass die Soziale Arbeit ihre
Selbstreflexion postmodern wendet. Denn das, was der Sozialen Arbeit
seit jeher Probleme macht, nämlich die Frage ihrer eigenen Identitäts-
bestimmung, ließe sich postmodern relativ gelassen angehen. Denn die
Postmoderne geht mit Identitäten spielerisch um, anerkennt beispiels-
weise auch chamäleonhafte Identitäten, die zwischen unterschiedlichen
Selbstbeschreibungen changieren, so wie die Identitäten von Sozialar-
beiterinnen und Sozialarbeitern (siehe weiterführend dazu 6. Kapitel
und grundsätzlich Kleve 2000).
Wenn wir nun etwas genauer fragen, was die Postmoderne für die Sozi-
ale Arbeit zu bieten hat, dann fallen sehr schnell die philosophischen
Angebote des 1924 geborenen und 1998 verstorbenen französischen
Philosophen Jean-François Lyotard ins Auge. Denn Lyotard gilt als Be-
gründer der philosophischen Postmoderne (vgl. Welsch 1987, S. 169).
Mit seinem inzwischen zum Klassiker avancierten Buch Postmodernes
Wissen (Lyotard 1979) hat er eine soziologische und philosophische
Debatte über postmoderne Philosophie und Wissenschaft, ja generell
über eine postmoderne Gesellschaft ausgelöst, die auch viele An-
schlussstellen für die Soziale Arbeit bietet. So lautet meine These, die
ich im Weiteren verfolgen will, dass die Soziale Arbeit von dem post-
modernen Wissen Lyotards profitieren kann, dass, mit anderen Worten,
Reflexionsgewinne möglich sind, wenn die Soziale Arbeit ausgehend
von der postmodernen Philosophie Lyotards betrachtet wird.
Im Folgenden möchte ich daher vor allem zentrale Thesen aus Lyotards
Buch Das Postmoderne Wissen diskutieren, sie mit neueren theoreti-
schen Ansätzen und aktuellen praktischen Erfahrungen konfrontieren
und schließlich immer auch auf Anschlussstellen für die Reflexion der
Sozialen Arbeit absuchen. Bevor ich jedoch dazu komme, will ich in
den philosophischen Kontext einführen, in dem Lyotard – insbesondere
aus Sicht der deutschen Geisteswissenschaft – verortet wird und darstel-
len, was der Begriff „Postmoderne“ für ihn überhaupt bedeutet.

64
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT

I. LYOTARD IM PHILOSOPHISCHEN KONTEXT


DER DEBATTE UM DIE POSTMODERNE

Im Jahre 1979 hat Lyotard Das postmoderne Wissen verfasst und damit
eine geistes- und sozialwissenschaftliche Debatte um die Postmoderne
losgetreten. In diesem Buch entwickelt er u.a. seine zentrale These vom
Ende der großen Meta-Erzählungen der Moderne (Dialektik des Geis-
tes, Hermeneutik des Sinns, Emanzipation des vernünftigen und arbei-
tenden Subjekts) sowie vom Zerfallen gesellschaftlicher und kultureller
Einheitstendenzen in einander entgegengesetzte, unüberwindlich diffe-
rente Diskurse und Sprachspiele. Darüber hinaus grenzt er sich ent-
schieden von der Diskurstheorie und -ethik Jürgen Habermas’ ab, in der
der Konsens als letztes und zentrales Ziel von Kommunikation behaup-
tet wird. Lyotard räumt demgegenüber die Notwendigkeit eines kom-
munikativen Gerechtigkeitskonzeptes ein, in dem das Aushalten von
sozialer Vielfalt, von Pluralität, das heißt von Differenzen und Dissen-
sen, die die vermeintlichen Konsense sprengen, möglich sein muss.
Dieses Gerechtigkeitskonzept entwickelt er in seinem 1983 veröffent-
lichten philosophischen Hauptwerk Der Widerstreit (Lyotard 1983).
Der deutsche Streit um die postmoderne Philosophie Lyotards ent-
brannte nach einer Rede von Habermas, Die Moderne – ein unvollende-
tes Projekt, die er 1980 anlässlich seiner Ehrung mit dem Adorno-Preis
in Frankfurt am Main hielt. In dieser Rede bewertete er die postmoder-
nen Tendenzen in der Philosophie als antimodern und neokonservativ.
Habermas, der in seinen Schriften (zum Beispiel 1981) selbst gesell-
schaftliche oder kulturelle Differenzen und vor allem die Differenz zwi-
schen System und Lebenswelt beschreibt, plädiert – in Anlehnung an
Albrecht Wellmer – jedoch dafür zu versuchen, diese Differenzen, etwa
zwischen den Diskursen der Erkenntnis, der Ethik und der Politik wie-
der in Einheitserfahrungen zu überführen (vgl. Habermas 1980, S.
190f.); und zwar mit Hilfe der modernen Kunst, mit Hilfe der ästheti-
schen Erfahrung, die nämlich die Erfahrung der Versöhnung von Diffe-
renzen leisten könne. Für Habermas ist die Kunst jene gesellschaftliche
Sphäre, die die Moderne dort, wo sie zu zerbersten drohe, wieder zu-
sammenführen könne: bei der radikalen Ausdifferenzierung von gesell-
schaftlichen Spezialstrukturen und -semantiken.
Speziell auf diese These von Habermas reagiert Lyotard mit einem Auf-
satz von 1982, der den Titel trägt: Beantwortung der Frage: Was ist

65
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

postmodern? Mit diesem Text versucht er eine programmatische Be-


stimmung des Postmoderne-Konzeptes zu formulieren. Kennern der
Philosophiegeschichte wird der Titel von Lyotards Aufsatz an die pro-
grammatische Schrift zur Aufklärung von Immanuel Kant (1724-1804)
von 1783 erinnern: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? Für
Wolfgang Welsch (1994, S. 30) deutet diese Anlehnung an Kants For-
mulierung darauf hin, dass Lyotards Postmoderne-Konzept „eine aktu-
elle Version von Aufklärung“ darstellt.
Interessant ist diese Deutung deshalb, weil die Postmoderne gerade von
ihren Kritikern als antiaufklärerische Strömung innerhalb der Philoso-
phie bewertet wird (vgl. ausführlich dazu Neumeister 2000). Lyotard
reagiert mit seinem Aufsatz auf eine derartige Bewertung und bezieht
sich, wie erwähnt, insbesondere auf den Postmoderne-Kritiker Jürgen
Habermas (1980), mit dem er spätestens seit Ende der 1970er Jahre in
Auseinandersetzung steht. Entgegen Habermas sieht Lyotard in der mo-
dernen Kunst gerade nicht die Möglichkeit, die Differenzen der Moder-
ne zu versöhnen, vielmehr vertritt er eine entgegengesetzte Position,
dass nämlich – wie Welsch (1990, S. 95) ausführt – die postmoderne
Philosophie aus dem Geist der modernen Kunst geboren wurde: „Die
postmoderne Philosophie artikuliert diskursiv, was die moderne Kunst
künstlerisch vorexerziert hat“.
Dies nun zeigt Lyotard (1982) in seinem Aufsatz in drei Schritten: in
dem ersten Schritt setzt er dem künstlerischen Realismus-Konzept ein
Konzept der Reflexion beziehungsweise des Avantgardistisch-Experi-
mentellen entgegen; in dem zweiten Schritt stellt er dem Kunst-Konzept
des „Schönen“ das bereits von Kant in der Kritik der Urteilskraft (1790)
dargestellte (gewissermaßen postmoderne) Konzept des „Erhabenen“
gegenüber, um schließlich nach der Beschäftigung mit der modernen
Kunst in einem dritten Schritt die Postmoderne auch als Philosophie
emporsteigen zu lassen.
Erster Schritt: Entgegensetzung von Realismus und Reflexion bezie-
hungsweise Experiment: Der Realismus (in der Kunst wie in der Philo-
sophie) suche nach der einen objektiven Wirklichkeit, nach einer zen-
tralen Verankerung, eben nach Realität, die es darzustellen gelte. Es
gehe dem Realismus weiterhin um Ordnung, Einheit, Identität, Sicher-
heit und um Popularität (vgl. Lyotard 1982, S. 36), anders gesagt: um
das Beenden, das Liquidieren des Experimentellen, des Avantgardisti-

66
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT

schen. Die Realität werde allerdings schon ausgehöhlt durch die Macht
des Kapitalismus, der „Gebrauchsgegenstände, Rollen des sozialen Le-
bens und Institutionen“ (ebd., S. 36) so zurichte, dass deren („realisti-
sche“) Darstellung „nur noch in Form von Sehnsucht oder Spott“ (ebd.),
nur noch „als Anlaß von Leiden [...denn...] als [...] Befriedigung“ (ebd.)
möglich sei. Denn wir leben nach Lyotard (ebd., S. 37) in einer Welt,
„in der Wirklichkeit in einem Maße destabilisiert ist, daß sie keinen
Stoff mehr für Erfahrung gewährt, wohl aber für Erkundung und Expe-
riment“ (ebd.).
Auch wenn etwa Tendenzen der Fotografie oder des Films zu beobach-
ten seien, die einem großen Publikumsgeschmack entsprechend vorge-
ben, Wirklichkeit darzustellen, handele es sich hierbei lediglich um
„Phantasmen des Realismus“ (ebd., S. 38), die sozusagen zum Trost
und zur Ablenkung Scheinwirklichkeiten produzieren. Den realisti-
schen Tendenzen grundsätzlich gegenläufig sei demgegenüber eine mo-
derne Kunst, die sich reflexiv sich selbst zuwendet („Was macht Kunst
zur Kunst [und Literatur zur Literatur]?“, ebd., S. 39) und ihre eigenen
Regeln permanent experimentell in Frage stellt, die mit Formen, Farben
etc. experimentiert, die sich weiterhin einem kapitalistischen Kunst-
Konzept entgegenstellt, dessen Kunstproduktion sich ausschließlich an
den Bedürfnissen und der Kaufkraft derer ausrichtet, die diese Werke
konsumieren.
Dieses moderne Kunst-Konzept des Avantgardistisch-Experimentellen
konkretisiert Lyotard in dem nächsten Schritt weiter, indem er es präzi-
siert durch die Entgegensetzung von „schön“ und „erhaben“.
Zweiter Schritt: Entgegensetzung von „schön“ und „erhaben“: Die
Moderne geht für Lyotard aufgrund der Ausdifferenzierung verschie-
denster Wirklichkeitsbereiche mit der „Erschütterung des Glaubens“
(ebd., S. 42) an die eine Wirklichkeit einher. Die Moderne erlaube die
Entdeckung, „wie wenig wirklich die Wirklichkeit ist“ (ebd.). Diese
Entdeckung sei bereits im Kantschen Konzept des Erhabenen präsent.
Das Erhabene ist, um Kant zu zitieren, die „Erweckung eines Gefühls
eines übersinnlichen Vermögens in uns“ (z. n. Welsch 1990, S. 89), es
ist damit nach Lyotard etwas, was sich einer Darstellung oder einer
Wirklichkeitswerdung entzieht. Das Erhabene sei weiterhin ein Gefühl,
das entsteht, wenn man an etwas denkt, das man zwar ideell erahnen
oder denken, aber niemals fassen und erfahren kann: etwa das Absolute,
das Ganze, das Nicht-Mehr-Teilbare.

67
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Demgegenüber beruhe das Konzept des Schönen, auf dem Fassbaren,


dem begrifflich und erfahrbar Darstellbaren, was geschmackliche und
ästhetische Übereinkünfte erlaube. Das Erhabene ist dagegen dasjenige,
welches auf ein Anästhetisches (Welsch), ein Nichtdarstellbares an-
spielt. Moderne Kunst ist für Lyotard nun jene Kunst, welche mittels
Formlosigkeit oder mittels der Vermeidung von allem Figurativen oder
Abbildhaften zu zeigen versucht, „daß es ein Nicht-Darstellbares gibt.
Sichtbar zu machen, daß es etwas gibt, das man denken, nicht aber sehen
oder sichtbar machen kann: das ist der Einsatz der modernen Malerei“
(Lyotard 1982, S. 43).
Ausgehend von der Bestimmung der modernen Kunst als reflexives, ex-
perimentelles Projekt, das nicht das Schöne, sondern das Erhabene, das
eigentlich Nicht-Darstellbare im Sinn hat, versucht Lyotard im letzten
Schritt seines Aufsatzes zu zeigen, was Postmoderne beziehungsweise
postmoderne Philosophie ist.
Dritter Schritt: Postmoderne Philosophie: Aufgrund Lyotards Ausfüh-
rungen zur Moderne, zur modernen Kunst erübrigt es sich fast zu sagen,
dass er die Postmoderne nicht eindeutig von der Moderne unterscheiden
kann; vielmehr sieht er die Ideen der Moderne, der modernen Kunst ge-
rade durch die Postmoderne verwirklicht (ebd., S. 45). Der entscheiden-
de Unterschied, den er einführt und der einen modernen von einen post-
modernen Geisteszustand unterscheidet, ist nämlich, dass der moderne
Geisteszustand trauert und der postmoderne jubelt angesichts des Auf-
lösens der einen Wirklichkeit und des Erblühens von vielen Möglich-
keiten der experimentellen „Erfindung neuer Spielregeln, bildnerischer
oder künstlerischer“ Art (ebd., S. 46). Die Moderne verweise zwar, zum
Beispiel in der Kunst, bereits auf ein Nicht-Darstellbares, auf die Un-
fasslichkeit der Wirklichkeit als Ganzes, aber sie betrauert das Verlo-
rengegangene, das Entschwinden des Schönen in der Darstellung.
Demgegenüber sei das Postmoderne „dasjenige, das im Modernen in
der Darstellung selbst auf ein Nicht-Darstellbares anspielt; das sich dem
Trost der guten Formen verweigert, dem Konsensus eines Geschmacks,
der ermöglicht, die Sehnsucht nach dem Unmöglichen gemeinsam zu
empfinden und zu teilen; das sich auf die Suche nach neuen Darstellun-
gen begibt, jedoch nicht, um sich an deren Genuß zu verzehren, sondern
um das Gefühl dafür zu schärfen, daß es ein Undarstellbares gibt“ (ebd.,
S. 47).

68
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT

In der postmodernen Philosophie gehe es demnach darum zu zeigen,


„daß es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielun-
gen auf ein Denkbares zu finden, das nicht dargestellt werden kann“ (S.
48). Und mit Kant plädiert Lyotard schließlich dafür zu sehen, welchen
Terror die (Hegelsche) Illusion der (sog. dialektischen) Aufhebung des
Entgegengesetzten im Einen mit sich bringt. Für diesen Terror des Einen,
des Totalitären sei nämlich das 20. Jahrhundert (mit Phänomenen wie Fa-
schismus und Stalinismus) das beste Beispiel; insofern komme es heute
darauf an, die Differenzen vor allen einebnenden Tendenzen zu retten.
Postmoderne ist für Lyotard also „nicht das Ende der Moderne [...], son-
dern eine andere Beziehung zur Moderne“ (Lyotard 1987, S. 121), ein
„Gemüts- und Geisteszustand“ (Lyotard 1981, S. 97), vielleicht könnte
man auch sagen eine Reflexionsfigur, die für dreierlei steht: erstens für
die Erfahrung und Anerkennung der Konstrukthaftigkeit der Wirklich-
keit, zweitens für die Erfahrung und Anerkennung von unüberwindli-
chen Differenzen in der Welt des Persönlichen und Sozialen und drit-
tens für den experimentellen Umgang mit den Wirklichkeitskonstrukti-
onen und Differenzen innerhalb unserer Wirklichkeiten.

Wenn wir angesichts von Lyotards Verständnis der Postmoderne fra-


gen, wie die Soziale Arbeit ausgehend von diesem Konzept betrachtet
werden kann, dann lässt sich bereits sagen, dass die Soziale Arbeit vor
allem methodisch in eine postmoderne Richtung tendiert. In einigen ak-
tuellen Methodenströmungen, die mit den Attributen lebensweltorien-
tiert oder systemisch-konstruktivistisch versehen werden, finden wir
die drei genannten groben Bestimmungsmerkmale der postmodernen
Gemüts- und Geisteshaltung wieder. Denn diese Methoden anerkennen
erstens die individuelle und soziale Konstrukthaftigkeit von lebenswel-
tlichen Wirklichkeiten, zweitens akzeptieren sie die Verschiedenartig-
keit, die Differenz beispielsweise zwischen den Wirklichkeitskonstruk-
tionen der Sozialarbeiter und jenen der Klienten und versuchen drittens
mit diesen Differenzen spielerisch, experimentell umzugehen, sie zu
nutzen, um Problemlösungen der Klienten anzuregen, die zu deren le-
bensweltlichen Kontexten passen.15 Methodischen Haltungen wie All-
parteilichkeit und Kontextsensibilität oder Verfahren wie zirkuläres

69
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Fragen und Reframing liegen genau diese drei Bestimmungsmerkmale


zugrunde.16
Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sind methodisch daher vor allem
Kommunikationsexperten, die gemeinsam mit den Klienten etwas zu
konstruieren haben, was sich nicht mehr von selbst versteht, nämlich
Wirklichkeitssichten über die Probleme, deren Entstehungsbedingun-
gen, über mögliche Ziele der Problemlösung und über mögliche Hand-
lungen zur Erreichung der Ziele (vgl. ausführlich dazu 8. Kapitel). Wenn
sich die Postmoderne durch eine zentrale Erfahrung auszeichnet, dann
ist es genau diese: dass sich eben nichts mehr von selbst versteht, dass
die Aushandlung, der Dialog, die Kommunikation an die Stelle der vor-
mals vermeintlich harten Evidenz rückt.

15 Hans Thiersch (1993), theoretischer Begründer der sozialarbeiterischen


Lebensweltorientierung, versteht diese methodische Richtung Sozialer Arbeit
auch als Reaktion auf die gesellschaftliche Pluralisierung und Individualisie-
rung der Lebenslagen. Lebensweltorientierung meint demnach: das Insistieren
auf die „Eigensinnigkeit lebensweltlicher Erfahrung der AdressatInnen“ Sozia-
ler Arbeit, sie ist „Versuch und Instrument der Gegenwehr zu den normalisie-
renden, disziplinierenden, stigmatisierenden und pathologisierenden Erwartun-
gen, die die gesellschaftliche Funktion der Sozialen Arbeit seit je zu dominieren
drohen“ (ebd., S. 13). Mit der Lebensweltorientierung wird der Versuch unter-
nommen, dass klassische sozialarbeiterische Leitparadigma, das sich an der Dif-
ferenz Norm /Abweichung beziehungsweise Konformität / Devianz orientiert,
zu verabschieden, ja postmodern zu überwinden. Bei einer genauen Betrachtung
der aktuellen Diskurse in der Sozialen Arbeit fällt auf, dass sozialarbeiterische
Theorien und Methoden, allen voran die lebensweltorientierte und systemische
Theorie und Methodik von vier Strukturmerkmalen gekennzeichnet sind, die für
eine postmoderne sozialarbeiterische Perspektive sprechen: und zwar von der
Betonung, erstens: der Kommunikation und des Dialogs, zweitens: der Aner-
kennung von Differenz und Dissens, drittens: der Anerkennung der Grenzen des
sozialarbeiterischen Handelns, viertens: von Reflexionsnotwendigkeiten (vgl.
ausführlich zu diesen Punkten Kleve 2000, S. 59ff.).
16 Diese methodischen Haltungen kommen aus der systemischen beziehungs-
weise der systemisch-familientherapeutischen Beratung und Therapie, die sich
inzwischen explizit dem postmodernen Diskurs zuordnen lässt; und dies nicht
nur, weil es sowohl im postmodernen als auch im systemischen Diskurs um
einen Abschied vom Prinzipiellen und Absoluten hin zum Akzeptieren des Plu-
ralen und Differenten geht (vgl. Schweitzer/ Retzer /Fischer 1992).

70
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT

Wie lässt sich nun der dargestellte postmoderne Gemüts- und Geistes-
zustand begründen? Um dieser Frage nachzugehen, wenden wir uns im
Folgenden explizit einigen zentralen Thesen aus Lyotards Programm-
schrift Das postmoderne Wissen zu. In dieser Schrift wird zweierlei ge-
boten, zum einen beschreibt Lyotard die Transformation von der Mo-
derne zur Postmoderne, zum anderen skizziert er postmoderne Formen
der Wissenschaft. Damit stellt dieses Werk eine Begründung für die
Notwendigkeit der postmodernen Gemüts- und Geisteszustände dar.
Weiterhin ist die Schrift soziologisch und philosophisch zugleich – in
soziologischer Hinsicht beschreibt sie die sozialen Veränderungen, die
zu einer Postmoderne führen, in philosophischer Hinsicht diskutiert sie
moderne und postmoderne Legitimationsformen der Wissenschaft.
Dies will ich nun etwas ausführlicher darstellen, wobei ich mich eher
auf die philosophische Seite beschränke und die Legitimationskrise der
modernen Wissenschaft beschreibe sowie postmoderne Auswege aus
dieser Krise diskutiere, um schließlich daraus Rückschlüsse für die Re-
flexion der Sozialen Arbeit zu ziehen.

II. VON DER MODERNEN ZUR POSTMODERNEN NATUR


DES WISSENS UND DER WISSENSCHAFT

Die Basis der Argumentation von Lyotard ist seine These – die er be-
reits in der Einleitung seines Buches Das postmoderne Wissen knapp
erläutert (1979, S. 13ff.) –, dass sich die Legitimation des wissenschaft-
lichen Wissens drastisch verändert. Dieses Wissen kann nicht mehr auf
die sogenannten großen Erzählungen der Moderne zurückgreifen, es
kann nicht mehr vor ihren Hintergründen bestätigt werden, weil diese
Erzählungen ihre Glaubwürdigkeit verloren haben. Und das Paradoxe
daran ist, dass die Wissenschaft selbst, die sich im Rahmen dieser Er-
zählungen legitimiert, die Glaubwürdigkeit dieser Erzählungen infrage
stellt. Denn: „Die Wissenschaft ist von Beginn an in Konflikt mit den
Erzählungen. Gemessen an ihren eigenen Kriterien, erweisen sich die
meisten als Fabeln“ (ebd., S. 13). Bevor dies deutlich wurde, also vor
„den Transformationen, welche die Regeln der Spiele der Wissenschaft,
der Literatur und Künste seit dem Ende des 19. Jahrhunderts getroffen
haben“ (ebd.), griff die Wissenschaft auf die großen Erzählungen zu-
rück. Dies ist ihr aber immer weniger möglich, und genau das ist mit
postmoderner Kondition der Wissenschaft gemeint.

71
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Welches sind nun die großen Erzählungen, die ihre Glaubwürdigkeit


verlieren? Lyotard nennt insbesondere drei Metaerzählungen – Dialek-
tik des Geistes, Hermeneutik des Sinns sowie Emanzipation des ver-
nünftigen und arbeitenden Subjekts –, die ich etwas deutlicher heraus
stellen und auf die Soziale Arbeit beziehen möchte.

II. 1 Dialektik des Geistes

Hiermit ist die Höherentwicklung des Geistes, des menschlichen Be-


wusstseins nach zyklischen Gesetzmäßigkeiten gemeint, was insbeson-
dere von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) vertreten wurde.
Demnach strebe die Geschichte des Geistes einem Ziel, einem Absolu-
ten zu, das sich durch die (dialektische) Bewegung, durch den Dreisatz
von These, Antithese und Synthese verwirkliche. „Alle Verwirklichung
des Absoluten, als Natur wie als Geist, und damit alle Geschichte dieser
Verwirklichung geschieht [...] dialektisch: Jedes gesetzte Stadium (The-
sis) treibt seinen Gegensatz (Antithesis) hervor, beide sind in der folgen-
den Synthesis aufgehoben, das heißt verneint, bewahrt und erhöht zu-
gleich – so wie jeder Begriff aus sich den Gegenbegriff erzeugt und bei-
de im Überbegriff aufgehoben sind“ (Müller /Halder 1958, S. 73f.).
Bekanntlich hat Karl Marx (1818-1883) dieses dialektische Denken
vom Kopf auf die Füße gestellt; für ihn geht es nicht mehr um die Hö-
herentwicklung des Geistes, sondern um die dialektische Verwirkli-
chung der gesellschaftlichen Entwicklung, der materiellen Produktions-
verhältnisse. Demnach ist Geschichte eine Geschichte von Klassenant-
agonismen, von Klassenkämpfen, die im Ausgang der Urgesellschaft in
der Sklavenhalterordnung sich manifestieren und ihren Weg finden
über unterschiedliche Klassenordnungen – vom Feudalismus über den
Kapitalismus bis hin zum Sozialismus – und sich schließlich dialektisch
aufheben in der klassenlosen Gesellschaft des Kommunismus.
Die Metaerzählung der Dialektik der Geschichte (des Geistes oder der
Gesellschaft) gibt der Geschichte also ein klares (objektives) Ziel. Die-
sem Ziel konnten sich auch die Wissenschaften unterordnen. Und nichts
anderes geschah ja auch beispielsweise in den sogenannten real-sozia-
listischen Staaten, wo die zur Staatsideologie erklärte marxistische Di-
alektik nicht nur das wissenschaftliche, sondern das gesamte soziale Le-
ben zu programmieren versuchte.
Aber auch die Soziale Arbeit der späten 1960er und der gesamten
1970er Jahre ist geprägt von einer dialektischen, insbesondere marxis-

72
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT

tischen Sicht. Sozialarbeit unter kapitalistischen Produktionsverhält-


nissen (Hollstein /Meinhold 1973) hieß das Programm einer Kritik, die
deutlich zu machen versuchte, dass Soziale Arbeit zwei Möglichkeiten
habe: Im Klassenkampf der antagonistischen Kräfte könne sie auf der
einen Seite den Machthabern, dem kapitalistischen Bürgertum behilf-
lich sein, die Macht zu sichern, indem sie nämlich daran mitarbeite, die
Massen, das Proletariat durch die Almosen „Geld und gute Worte“ „ru-
hig zu stellen“. Auf der anderen Seite könne sie sich in dem historischen
Prozess zur Verwirklichung der Geschichte für das Proletariat entschei-
den und es dabei unterstützen, – wie in den real-sozialistischen Staaten
leninistisch gesagt wurde – seine „historische Mission“, die Errichtung
einer klassenlosen Ordnung zu erfüllen.
Aus der heutigen Perspektive hören sich derartige Funktionsbestim-
mungen Sozialer Arbeit reichlich anachronistisch an. Denn die Idee der
dialektischen Bewegung der Geschichte des Geistes oder der Gesell-
schaft scheint tatsächlich ihre Glaubwürdigkeit verloren zu haben ange-
sichts der Weltlage, die wir seit Ende der 1980er Jahre beobachten kön-
nen. Vielmehr scheinen Denker wie Friedrich Nietzsche (1844-1900),
die die ewige Wiederkehr des Gleichen voraussagten, glaubwürdiger
als Dialektiker. Das Einzige, was sich vorwärts bewegt, scheint die
Wissenschaft und Technik zu sein mit immer neuen materiellen, physi-
kalischen und chemischen, aber auch biologischen Möglichkeiten der
Naturveränderung, was gleich zu bleiben scheint ist der menschliche
Geist, das Bewusstsein und seine soziale Lebensform, die Gesellschaft.
Die alten Existenzängste sind nicht verschwunden, Armut, Hunger und
Not regieren immer noch große Teile der Welt, und inzwischen kom-
men mit den Flutkatastrophen auch die alten Naturängste wieder, die
vor Jahrtausenden der Antrieb waren, die Wissenschaft und Technik zu
entwickeln. Wissenschaft und Technik sollten die Menschen erretten
vor den Naturgewalten. Mittlerweile sehen wir, dass der wissenschaft-
lich-technische Fortschritt selbst das auslöst, was er einstmals beseiti-
gen sollte: menschenlebengefährdende Naturereignisse.
Wir kommen zurück zum eigentlichen Thema: Die Dialektik verliert
ihre Glaubwürdigkeit, dies zeigt sich vor allem angesichts der gesell-
schaftlichen Entwicklung. Aber auch philosophisch liegen dafür Be-
gründungen vor, die gar nicht so neu sind, eine der bedeutendsten ist si-
cherlich Theodor W. Adornos Schrift Negative Dialektik (Adorno
1966), in der nicht das dialektische Prinzip als Ganzes über Bord gewor-

73
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

fen wird, sondern ausschließlich die Synthesis. Eine Dialektik ohne Syn-
thesis, die sich für die Widersprüche interessiert, die Ambivalenzen ana-
lysiert, die Gegensätze als Gegensätze, eben das Inkommensurable, wie
Lyotard sagen würde, akzeptiert, ist offenbar mehr denn je gefordert.
Denn in postmoderner Zeit sind keine synthetischen Einheitsperspekti-
ven gefragt, weil die Wirklichkeit sich eben nicht einheitlich zeigt. Da-
her scheint keine „Wirklichkeitsbeschreibung tragfähig zu sein, die
nicht zugleich die Plausibilität der Gegenthese verfolgt“ (Welsch 1990,
S. 192), denn: „Ambivalenz ist das mindeste, womit man bei den gegen-
wärtigen Weltverhältnissen rechnen muß“ (ebd.). Und dies gilt im be-
sonderen Maße auch für die Soziale Arbeit, so dass eine diesbezügliche
Wissenschaft die Ambivalenzreflexion als wichtige Methode zur Refle-
xion nutzen kann.17

II.2 Hermeneutik des Sinns

Hiermit ist das Verstehen von Sinn gemeint, etwa Sinn-Verstehen von
Texten, aber auch von gesprochenen Worten. Das Problem der Herme-
neutik scheint bereits im Begriff der Hermeneutik auf (vgl. Hörisch
1998, S. 13ff.). Denn Hermeneutik verweist auf zweierlei Bedeutungen:
Zum einen auf die Botschaft, die aus Texten spricht und die verstanden
werden kann, die gewissermaßen von Hermes, dem Götterboten aus der
griechischen Mythologie überbracht wird. Zum anderen kann Herme-
neutik aber nicht nur den Prozess der Überbringung von Botschaften
durch Hermes meinen, sondern auch etwas Hermetisches, also etwas
dicht Abgeschlossenes, aus dem nichts herausdringen kann.
Wenn wir diesen eher etymologischen Zugang zur Hermeneutik mitma-
chen, dann sehen wir, dass Sinnverstehen als das Verstehen von abge-
schlossenen Botschaften betrachtet werden kann. Und so haben die
Hermeneutiker der Theologie und Philosophie in den letzten Jahrtau-
senden ja tatsächlich immer wieder versucht, die wahren Botschaften
von Texten, etwa aus der Bibel und anderen „heiligen Schriften“ oder
von philosophischen Klassikern, abschließend zu verstehen und sich
darüber gestritten, wer denn nun tatsächlich das Verstehen abschließen
kann, weil er richtig verstanden hat.

17 Genau dies versuche ich in meinem Buch Postmoderne Sozialarbeit (Kleve


1999) vorzuführen. Ich komme auch hier noch einmal darauf zurück.

74
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT

Es kam sogar soweit, dass die Politik in den real-sozialistischen Län-


dern ein Bündnis mit dieser Form von Hermeneutik geschlossen hat und
ein für alle mal versuchte, die Botschaft der Texte von Marx und Lenin
abschließend zu deuten und als Grundlage für die Regelung des gesam-
ten sozialen Lebens zu nutzen. Was daraus geworden ist, haben wir in
der jüngsten Geschichte gesehen. Nur noch eines dazu: Ich kann mich
sehr gut daran erinnern, wie diese Form von Hermeneutik auch die Me-
thode meiner Deutschlehrer in der DDR war. Wenn wir als Schüler auf-
gefordert wurden, über Erzählungen, Gedichte oder Romane zu disku-
tieren und wir gefragt wurden, was der jeweilige Autor wohl gemeint
haben mag mit seinen Sätzen, dann wurde uns nach einer kurzen Dis-
kussion die Antwort auf diese Frage vom Lehrer präsentiert; er kannte
die Botschaft der Texte, die abschließend dokumentiert und wieder ab-
gefragt werden konnte.
Mit einer solchen Form von Hermeneutik macht spätestens die Postmo-
derne ein Ende; vielmehr nimmt sie die Erfahrung ernst, dass die Deu-
tung und Interpretation von Texten niemals abschließbar ist, es sei denn
in der Form von Macht. Aber bei Deutungsversuchen jedoch, die sich
jenseits von totalitären Deutungsmächten vollziehen können, ist die
Hermeneutik durch die Form der différence gekennzeichnet.
Jacques Derrida (1988) bezeichnet mit diesem Begriff zweierlei, ers-
tens dass jedes Sinnverstehen unabschließbar ist, auf eine unerreichbare
Zukunft hin aufgeschoben werden muss; denn es kann im Nachhinein
immer wieder infrage gestellt und neu verstanden werden; zweitens ist
Sinnverstehen abhängig von Differenzen, von Unterschieden, zum Bei-
spiel von den Kontexten, in denen es erfolgt: von den verschiedenen
Personen, die jeweils verstehen wollen (Sozialdimension), von den ver-
schiedenen Zeiten, in denen zu verstehen versucht wird (Zeitdimensi-
on), von den verschiedenen Erkenntnisinteressen, die Verstehen moti-
vieren (Sachdimension).
Auch das Verstehen der gesprochenen Worte, das in der Sozialen Arbeit
ja in jeder Beratungssituation erfolgen soll, steht mit einer postmodern
gewendeten Hermeneutik in Frage, denn dafür gilt das Gleiche wie für
das Textverstehen, es ist unabschließbar und kontextabhängig.18

18 Dies ließe sich sehr genau systemtheoretisch zeigen (siehe Luhmann 1984;
Fuchs 1993), was ich hier jedoch nur erwähnen kann; siehe zu den Grundlagen
der systemtheoretischen Kommunikationstheorie 1. und 2. Kapitel.

75
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Die Kontextabhängigkeit von Verstehen scheint leicht ersichtlich und


somit kaum erklärungsbedürftig. Denn wir wissen nicht nur in der So-
zialen Arbeit, sondern auch im Alltag, dass unterschiedliche Personen
unterschiedlich verstehen, dass Verstehen davon abhängig ist, wann et-
was verstanden wird und schließlich auch davon, was das Verstehen
motiviert. Aber auch die zunächst vielleicht schwerer nachvollziehbare
These der Unabschließbarkeit lässt sich leicht nachvollziehen, wenn
man bedenkt, dass es unmöglich ist, die Gedanken von Personen durch
Kommunikationen zu erreichen (In die Köpfe kann man eben nicht hi-
nein schauen!), erreichbar für die Kommunikation sind nur die gespro-
chenen Worte, und diese müssen verstanden werden. Aber ob sie ver-
standen wurden, kann immer nur im Nachhinein überprüft werden, etwa
durch ein Nachfragen. Für dieses Nachfragen gilt wieder das Gleiche,
es und die daraus folgenden möglichen Antworten müssen verstanden
werden. Aber ob sie verstanden wurden, kann nur im Nachhinein über-
prüft werden usw. usf. Wir kommen nicht heraus aus der Form der dif-
férence.
Dies sollte uns in der Sozialen Arbeit zu denken geben. Denn wie oft
neigen wir dazu zu glauben, schon verstanden zu haben, was die Klien-
ten meinen oder wollen. Auch unsere klassischen Methoden (zum Bei-
spiel die klientenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers) ver-
führen uns dazu anzunehmen, wir würden schon verstehen, wenn wir
empathisch, kongruent und akzeptierend, annehmend kommunizieren.
Dennoch: Wir sollten uns davor hüten zu schnell zu glauben, verstanden
zu haben. Vielmehr ist angesichts der postmodernen Kondition hin-
sichtlich der Unabschließbarkeit und der Kontextabhängigkeit des Ver-
stehens, die Sensibilität für das Nicht-Verstehen, für die Unerreichbar-
keit des „wirklichen“ Verstehens, für den permanent mitlaufenden Dis-
sens auszubauen.

II.3 Emanzipation des vernünftigen oder arbeitenden Subjekts

Hiermit sind genau genommen zwei Philosophien beziehungsweise Er-


zählungen gemeint: Zum einen jene von Immanuel Kant, die die Eman-
zipation des vernünftigen Subjekts anstrebt und die Jürgen Habermas in
seiner Theorie der vernünftigen (rationalen) Kommunikation beerbt hat
und zum anderen Karl Marx Idee der Emanzipation, der Befreiung des
arbeitenden Subjekts aus der Unterdrückung durch nicht produktiv ar-

76
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT

beitende Besitzer der Mittel, mit denen die Arbeiter arbeiten, eben der
Produktionsmittel. Beide Erzählungen verlieren in der Postmoderne
ihre Glaubwürdigkeit. Vom Glaubwürdigkeitsverlust der Marxschen
Anschauung, dass die Geschichte auf ein dialektisch sich einstellendes
Ziel zustrebt, der Emanzipation der Arbeiter in der klassenlosen Gesell-
schaft, habe ich oben bereits geschrieben. Deshalb soll hier die Eman-
zipation des vernünftigen Subjekts problematisiert werden.
Immanuel Kant, als ein wichtiger Begründer der Aufklärung, erhebt mit
seiner Philosophie die Vernunft zum obersten Regulator der menschli-
chen Erkenntnis und des menschlichen Zusammenlebens. Für ihn geht
die Vernunft allen menschlichen Erkenntnismöglichkeiten (à priori)
voraus, sie bildet die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis, sie ist
in diesem Sinne transzendental. Obwohl Kant in der Kritik der reinen
Vernunft etwas zeigt, was Postmoderne und Konstruktivismus ebenfalls
verdeutlichen, dass nämlich keine objektive Erkenntnis möglich ist,
dass Erkenntnis vielmehr nur Dinge, wie sie für uns sind und nicht wie
sie an sich sind, erkennen kann, ist seine Philosophie – im Gegensatz zu
Postmoderne und Konstruktivismus – zwar implizit, aber nicht explizit
relativistisch (siehe dazu – mit einer etwas anderen Deutung – Welsch
2000, S. 35f.). Denn Kant setzt die Erkenntnis zwar in Relation, in Ab-
hängigkeit zu den erkennenden Subjekten, zu den Menschen, aber er
negiert diese Relativität sogleich wieder, wenn er in allen vernünftigen,
aufklärungsfähigen menschlichen Subjekten die gleichen transzenden-
talen Prinzipien am Wirken sieht: zum einen eben die Vernunft selber
mit ihren Ordnungsbegriffen und Kategorien, zum anderen die An-
schauungsformen von Raum und Zeit. Erkenntnis bringe nach Kant
zwar nur selbstkonstruierte Erscheinungen hervor, aber diese Erschei-
nungen müssen aufgrund der transzendentalen Bedingungen der Mög-
lichkeit von Erkenntnis bei allen mit Vernunft ausgestatten menschli-
chen Wesen dieselben sein.
Eine Emanzipation des vernünftigen Subjekts bedeutet nun, dass das
transzendentale, allen Menschen zugängliche Prinzip der Vernunft auch
das menschliche Zusammenleben als praktisches Gesetz ordnen soll.
Denn nur das verdiene allgemeine Anerkennung, zum Beispiel als Re-
gel für den sozialen Verkehr, was vernünftigen Kriterien genüge, so
zum Beispiel der kategorische Imperativ, der in unterschiedlicher Wei-
se formuliert wird (zit. n. Ulfig 1999, S. 218): „Handle so, daß die Ma-
xime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen

77
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Gesetzgebung gelten könne“. Oder: „Handle so, daß du die Menschheit,


sowohl in deiner Person als in der Person eines anderen jederzeit zu-
gleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ Oder: „Handle so,
als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemei-
nen Naturgesetz werden sollte“.
Obwohl Kant mit seinen drei kritischen Schriften – Kritik der reinen
Vernunft (1781 /87), Kritik der praktischen Vernunft (1788) und Kritik
der Urteilskraft (1790) – bereits andeutet, dass es Vernunft nur im Plu-
ral gibt, wie dies der postmoderne Philosoph Wolfgang Welsch (1996)
in seinem bedeutenden Werk zur transversalen Vernunft begründet,
steht die aufklärerische Moderne für das Prinzip der einen Vernunft.
Vernunft im Singular – das ist das Motto der Moderne. Nur ausgehend
von diesem Motto ist das aufklärerische Streben nach Wahrheit und
Verständigung erklärbar. Dieses Streben führt schließlich zu zwei An-
sichten: erstens dass die menschlichen Existenzfragen beantwortbar
sind, wenn die Antworten mit Vernunft gesucht werden und zweitens
dass alle, die die Antworten mit Vernunft, eben mit dieser einen Ver-
nunft, mit der Vernunft (im Singular) suchen, zu denselben Antworten
kommen müssten.
Die Fragen sind dann nur: Was passiert, wenn unterschiedliche Antwor-
ten gefunden werden? Wer bestimmt bei einer Mehrzahl von unter-
schiedlichen Antworten, wer die vernünftige Antwort hat? Unsere heu-
tige Erfahrung kann uns lehren, dass solche Fragen in der Regel durch
Macht entschieden wurden. Aber damit wären wir bereits bei Michel
Foucault (1926-1984) einem anderen Denker der Postmoderne, nach
dem es nicht die Vernunft ist, die die Bedingungen der Erkenntnis und
des menschlichen Zusammenlebens bestimmt, sondern Macht.
In der Postmoderne jedenfalls zerbrechen die Vorstellungen der einen
Vernunft, auf die in gewisser Weise auch Habermas Diskursethik ba-
siert. Denn in dieser Ethik wird der rationale, am Prinzip der kommuni-
kativen Vernunft orientierte Konsens angestrebt, der geradezu zwangs-
läufig sich einstellen würde, wenn die Diskursteilnehmer nach vernünf-
tigen Regeln im herrschaftsfreien Raum kommunizieren. Aus
postmoderner Perspektive ist dies nicht plausibel. Denn wie Lyotard
(1979, S. 36ff.) mit Bezug auf Ludwig Wittgenstein (1889-1951) her-
vorhebt, denken und kommunizieren wir in Form von Sprachspielen,
von denen es eine Vielfalt gibt, die nicht von einem ordnenden Meta-
Sprachspiel, schon gar nicht von einer obersten Vernunft bestimmt wer-

78
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT

den kann. Jedes Sprachspiel gehorcht eigenen begrenzten Regeln, die


für es, aber schon nicht mehr für andere Spiele gelten (müssen).
Wenn dies nun besonders offensichtlich für die Postmoderne gilt, dann
ist Verständigung unwahrscheinlich und Dissens, Unabschließbarkeit,
wie ich oben bereits mit Bezug zur Hermeneutik gesagt habe, alltägliche
Erfahrung. Und meiner Ansicht nach ist dies auch in der Sozialen Arbeit
so.
Für uns Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter könnte das bedeuten, zur
Einsicht zu gelangen, dass wir uns nicht mit Hilfe von Vernunft oder ra-
tionaler Kommunikation aus den Fallstricken der vielen Sprachspiele
befreien, emanzipieren können, wir spielen diese Spiele mit unseren
Klienten wie mit unseren Kollegen. Wir sollten daher versuchen, eine
für Professionen typische Haltung, nämlich die Haltung des Besserwis-
sens zu verabschieden und uns öffnen für die vielfältigen Möglichkeiten
der Erkenntnis und des menschlichen Zusammenlebens. Freilich könn-
ten wir angesichts der Unabschließbarkeit des Verstehens und Erken-
nens, der Unerreichbarkeit oberster vernünftiger Prinzipien auch fata-
listisch oder zynisch werden, ich jedoch plädiere für eine ironische Ge-
lassenheit. Eine ironische Gelassenheit setzt paradox, ambivalent an:
Sie weiß um die Beschränktheiten und Unabschließbarkeiten des Ver-
stehens, aber versucht es dennoch immer wieder, sie öffnet sich gerade
für die Möglichkeit des Nicht-Verstehens und des Nicht-Wissens, spielt
mit Neugierde und der Möglichkeit, das Verstehen und Wissen in Ab-
hängigkeit von sozialen, zeitlichen und sachlichen Bedingungen, Kon-
texten, immer wieder anders ausfallen kann; kurz: ironische Gelassen-
heit ermöglich das, was man mit Kontingenzbewusstsein und Komple-
xitätstoleranz zusammenfassen könnte.

Wie legitimiert sich nun die Wissenschaft in der Postmoderne, also


nach dem Unglaubwürdigwerden der drei großen Metaerzählungen und
was könnte das für die Soziale Arbeit heißen? Lyotard sieht zwei wis-
senschaftliche Legitimationen in der Postmoderne, die m.E. auch un-
mittelbar die Soziale Arbeit tangieren, die Legitimierung durch die Per-
formativität und die Legitimierung durch die Paralogie.

79
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

II. 4 Postmoderne Legitimierung durch Performativität

Vordergründig werde die Wissenschaft nach dem Ende der großen Er-
zählungen durch Performativität, was man vielleicht übersetzen könnte
mit Leistungsfähigkeit, Machtvergrößerung, legitimiert (vgl. Lyotard
1979, S. 123ff.). Lyotard macht mit dieser These etwas deutlich, was
viele von uns im Alltag ohnehin oft vermuten und was noch einmal vor-
führt, dass die Metaerzählungen, die immer auch mit Wahrheitssuche
verbunden waren, tatsächlich verebbt sind: Wissenschaft habe nicht
(mehr) das Ziel, Wahrheit zu finden, sondern Macht zu erhalten, ja zu
vergrößern. „Man kauft keine Gelehrten, Techniker und Apparate, um
die Wahrheit zu erfahren, sondern um die Macht zu erweitern“ (Lyotard
1979, S. 135). Wissenschaft wird zu einer Produktivkraft, wird also ka-
pitalisiert, ökonomisiert und ist, weil sie immer mehr auf teuere Technik
angewiesen ist, geldabhängiger denn je. „Also kein Beweis, keine Ve-
rifizierung von Aussagen und keine Wahrheit ohne Geld. Die wissen-
schaftlichen Sprachspiele werden Spiele der Reichen werden, wo der
Reichste die größte Chance hat, recht zu haben. Eine Gleichung zwi-
schen Reichtum, Effizienz und Wahrheit zeichnet sich ab“ (ebd., S.
131).
Wenn das Kriterium der Performativität, der Machtvergrößerung und
Leistungsfähigkeit die Entwicklung der Wissenschaft bestimmt, dann
werden eben lediglich solche Wissenschaften gefördert, die in diesem
Sinne performativ sind. Damit bestimme schließlich auch das Geld, was
wahr ist und wer recht hat. Denn Wahrheit werde an der Realität gemes-
sen und diese werde über den Umweg der Technik von der Wissen-
schaft beeinflusst, so dass sich rückwirkend das bestätigen könne, was
von den Mächtigen über die Realität ausgesagt wurde. Denn dies ist das,
was nun auch die Wissenschaftler erkennen können. So legitimiere sich
Wissenschaft über den Umweg der Performativität und Leistungsfähig-
keit durch Macht und Geld. Wir können hier eine Zirkularität erkennen:
Wissenschaft wird durch das Kriterium der Performativität von der
Macht, von denjenigen, die Einfluss und Geld haben, legitimiert, die
wiederum von der Wissenschaft legitimiert werden.
Wenn wir die derzeitige Situation der Sozialen Arbeit betrachten, kön-
nen wir uns fragen, ob wir nicht gerade Zeugen eines Prozesses sind, in
dem uns genau dieses Prinzip der Legitimierung durch Performativität
vorgeführt wird; es könnte also nicht nur für die Wissenschaft gelten,

80
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT

sondern im weiteren Sinne auch für wissenschaftlich sich begründende


Professionen. Denn die Performativität der Sozialen Arbeit scheint der-
zeit infrage zu stehen, so dass das Argument der knappen öffentlichen
Kassen dazu dient, drastische Kürzungen vorzunehmen. In einem ra-
santen Tempo wird das Sprachspiel der Sozialen Arbeit, das wir viel-
leicht mit den Unterscheidungen Helfen/ Nicht-Helfen (vgl. Baecker
1994) oder bedürftig /nicht bedürftig (Weber /Hillebrandt 1999) be-
zeichnen könnten, vom ökonomischen Spiel der Effizienz überrollt (sie-
he ausführlicher dazu 3. Kapitel). Und die Soziale Arbeit hat es schwer,
sich dagegen zu wehren, ihr fallen kaum Gegenargumente ein, wenn ihr
Ineffizienz oder Ineffektivität, also die anderen Seiten der Performativi-
tät vorgehalten werden. Vielleicht könnte die zweite postmoderne Legi-
timationsgrundlage bei der Suche nach Gegenargumenten helfen: die
Legitimierung durch die Paralogie.

II.5 Postmoderne Legitimierung durch die Paralogie

Die Legitimierung durch die Performativität ist zwar jene von der Politik
und der Ökonomie favorisierte Legitimationsform, die jedoch ebenfalls
zunehmend in eine Krise gerät. Dies ist, wie Lyotard (1979, S. 157) sagt,
„die Krise [...] des Determinismus. Der Determinismus ist die Hypothe-
se, auf der die Legitimation durch die Performativität beruht: Da diese
sich durch ein Verhältnis Input/ Output definiert, muß man annehmen,
daß das System, in das man den Input einbringt, in einem stabilen Zu-
stand ist; es gehorcht einer regelmäßigen ‚Bahn‘, wovon sich die stetige
und ableitbare Funktion erstellen läßt, die den Output entsprechend zu
antizipieren erlauben wird“ (ebd.). Lyotard spricht hier offenbar davon,
dass die Legitimierung durch die Performativtät das voraussetzt, was
Heinz von Foerster (1988) eine triviale Maschine nennt; eine solche Ma-
schine lässt sich über den Input steuern, der Input bestimmt den Output.
Die Pragmatik des postmodernen Wissens hat jedoch wenig Affinität
für solche Maschinen (vgl. Lyotard 1979, S. 158), vielmehr ist sie ge-
kennzeichnet von nicht-trivialen Prozessen, von Prozessen, deren Out-
put nicht durch den Input gesteuert werden kann, die eigenen internen,
nicht linearen Gesetzen gehorchen, die in ihren Reaktionen und Ergeb-
nissen daher unvorhersehbar sind. Genau solche Prozesse kennzeichnen
die Soziale Arbeit, die sich daher nur begrenzt durch Performativität,
durch Effektivität und Effizienz legitimieren lässt.

81
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Aber die Soziale Arbeit ist nur ein Beispiel für ein Praxisfeld und eine
Wissenschaft, das von hochkomplexen Prozessen, um mit Niklas Luh-
mann (1984) zu sprechen, von autopoietischen Systemen durchzogen
ist, die von außen nur begrenzt steuerbar und deren Verhalten keines-
falls mit Hilfe des kausalen Determinismus erklärbar sind. Inzwischen
beziehen sich viele Wissenschaften auf derartige hochkomplexe Syste-
me. Lyotard (1979, S. 163) führt als Beispiele die Quantentheorie und
die Mikrophysik heran. Je komplexer die Untersuchungsobjekte der
Wissenschaften werden, desto deutlicher wird, dass Ziel und Methode
der Wissenschaft nicht mehr durch Performanz gekennzeichnet sind,
sondern durch die Paralogie.
Paralogie bedeutet, dass wissenschaftliches Wissen nicht logisch, son-
dern eben paralogisch funktioniert und geordnet ist, und zwar aus zwei
Gründen: erstens führt es genau genommen nicht dazu, eine Ordnung zu
sichern und zu legitimieren, sondern produziert permanent – sowohl in
positiver als auch in negativer Hinsicht – Neues, Unvorhersehbares,
Überraschungen, Unsicherheiten, Risiken und Chancen; genau dies le-
gitimiert weitere wissenschaftliche Forschung, für die das Gleiche gilt.
Zweitens führt die Wissenschaft zur Produktion von differenten bis an-
tagonistisch sich gegenüberstehenden „Wahrheiten“, die jeweils in sich
selbst schlüssig, aber zueinander widersprüchlich sind. In einer Termi-
nologie von Peter Fuchs (1992) könnte man vielleicht sagen, dass die
Wissenschaften Polykontexturalität erzeugen, also in sich – auch aus lo-
gischen Gesichtspunkten – schlüssige, aber zueinander in Widerspruch
stehende Weltbeschreibungen.
Für die Soziale Arbeit und für die auf sie bezogenen Wissenschaften
lässt sich daraus vielleicht lernen, dass die klassische Suche nach der
Sozialarbeitswissenschaft erfolglos ist, wenn sie intendiert, Sicherheit
und Klarheit zu finden. Wenn Soziale Arbeit ihre Wissenschaftlichkeit
ausbaut, dann kann sie jedoch zweierlei gewinnen: zum einen natürlich
brauchbares, äußerst nützliches, als durchaus performatives Wissen und
zum anderen aber auch weitere Pluralität und Unsicherheit – als Folge
des Wissenszuwachses. Mit Lyotard (1979, S. 163) gesagt: „Es ist nicht
wahr, daß die Ungewißheit, das heißt das Fehlen von Kontrolle, sich in
dem Maße verringert, wie die Exaktheit wächst: Sie [die Ungewissheit;
H.K.] wächst auch“.

82
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT

III. SOZIALE ARBEIT ALS POSTMODERNE PROFESSION UND DISZIPLIN

Es sollte deutlich geworden sein, dass die Soziale Arbeit im Lichte der
postmodernen Philosophie Lyotards reflektiert werden kann, ja dass
dieses Konzept Auswirkungen auf die Soziale Arbeit haben kann. Dies
ist freilich nicht erstaunlich, ist die Soziale Arbeit als eine sich wissen-
schaftlich orientierende Praxis und als theoretische Reflexion dieser
Praxis freilich genauso eingebunden in gesellschaftliche Transformati-
onen, wie alle anderen gesellschaftlichen Sphären auch. Dennoch
scheint mir, dass die Soziale Arbeit ein ganz besonderes Verhältnis zur
Postmoderne, zur postmodernen Philosophie im Besonderen und zur
postmodernen Reflexion der Gesellschaft im Allgemeinen entwickeln
könnte. Denn – wie ich an anderen Stellen bereits ausführlicher gezeigt
habe (vgl. vor allem Kleve 1999; 2000): Die Soziale Arbeit ist bei ge-
nauerem Hinsehen sowohl hinsichtlich ihrer Geschichte als auch hin-
sichtlich ihrer Praxis sowie ihrer Theorie seit ihrer professionellen Aus-
differenzierung ein postmodernes Unternehmen – zumindest implizit.
Diese These mag erstaunen. Deshalb will ich sie erläutern, und damit
gewissermaßen die implizite Postmoderne der Sozialen Arbeit explizie-
ren.
Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung Sozialer Arbeit lässt sozio-
historisch, sozio-strukturell und wissenschaftlich etwas aufscheinen,
was mit Lyotard als ein wesentliches Kriterium der Postmoderne ange-
sehen werden kann, nämlich die Paralogie, genauer: die Ambivalenz.

III.1 Sozio-historische Genese der Sozialen Arbeit

Sozio-historisch ist leicht zu sehen und in Geschichtsbüchern zur Sozi-


alen Arbeit immer wieder konstatiert sowie an unterschiedlichen Bei-
spielen beschrieben worden (vgl. etwa Wendt 1995; Hering/ Münch-
meier 2000), dass die Soziale Arbeit als Profession, also als eine sich
wissenschaftlich begründende und an Ausbildungsinstitutionen erlern-
bare Praxis in der Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstan-
den ist. Genau dies ist auch die Zeit, in der zum einen jene Transforma-
tionen begannen, „welche die Regeln der Spiele der Wissenschaft, der
Literatur und der Künste [...] getroffen haben“, wie Lyotard (1979, S.
13) schreibt, und damit die Krise der Meta-Erzählungen (damals noch
eher versteckt) zum Ausdruck brachten.

83
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Zum anderen ist das ausgehende 19. Jahrhundert eine Zeit, welche die
Ambivalenz der Moderne oder – mit Max Horkheimer und Theodor W.
Adorno (1969) gesprochen – die Dialektik der Aufklärung augenschein-
lich werden ließ. Spätestens jetzt wurde nämlich der moderne Januskopf
offenbar, der sichtbar machen kann, dass der Fortschritt nicht nur Reich-
tum, Wissen, Rationalität und Ordnung mit sich bringt, sondern zugleich
auch zur Steigerung von Armut, Unwissen, Irrationalität und Unord-
nung führt. Schließlich wissen wir inzwischen, dass die Dialektik der
Aufklärung, die Widersprüchlichkeit der Entwicklung der Moderne ne-
ben der – seit dem 11. September 2001 geradezu inflationär konstatier-
ten – Zivilisation mit ihren Menschen- und Völkerrechten auch Faschis-
mus und Stalinismus hervorgebracht hat.
Zurück zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Zu eben dieser Zeit,
und zwar 1886 schrieb ein sensibler philosophischer Geist, nämlich
Friedrich Nietzsche (1844-1900) in Jenseits von Gut und Böse (S. 17):
„Es wäre sogar noch möglich, daß was den Wert jener guten und ver-
ehrten Dinge ausmacht, gerade darin bestünde, mit jenen schlimmen,
scheinbar entgegengesetzten Dingen auf verfängliche Weise verwandt,
verknüpft, verhäkelt, vielleicht gar wesensgleich zu sein“. Auf genau
diese Ambivalenz, dass das Gute, das Erstrebsame untrennbar, ja nega-
tiv dialektisch (denn es lässt sich nicht synthetisieren) mit dem Schlech-
ten, mit dem, was man vermeiden will, verbunden ist, reagiert die Sozi-
ale Arbeit. Sie belichtet – allein schon durch ihre gesellschaftliche Exis-
tenz – die anderen, die Schattenseiten des Fortschritts und des
Reichtums, des Wissens und der Ordnung, indem sie ihre Legitimation
aus der Existenz der Menschen bezieht, die aus welchen (sozialen, psy-
chischen oder körperlichen) Gründen auch immer nicht fortschrittlich
sein können, weil sie eben arm, ungebildet, ja – aus Sicht der Postulate
der Moderne – unordentlich sind. Der sozio-historische Ursprung der
Sozialen Arbeit ist also die Ambivalenz der Moderne selbst. Oder etwas
ausführlicher und poetischer zusammengefasst: Die Sozialarbeit ent-
springt dem maskierten Geist der Moderne, der nicht das halten kann,
was er versprach, demaskiert ihn und entblößt damit, was ihm ins Ge-
sicht geschrieben steht: das Vexierbild der Ambivalenz (siehe ausführ-
licher dazu das folgende 5. Kapitel).

84
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT

III.2 Sozio-strukturelle Ambivalenz der Sozialen Arbeit

Die Paralogie in Form der Ambivalenz ist auch Markenzeichen der Pro-
fession Soziale Arbeit. Diskursive Reflexe für diese Situation sind etwa
die Klagen der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, dass sie zwi-
schen vielen unterschiedlichen Stühlen sitzen (vgl. mit einer ähnlichen
Diagnose auch Petrov 2000), beispielsweise sowohl (Klienten) helfen
wollen als auch von gesellschaftlichen Institutionen (zum Beispiel dem
Recht) angehalten werden, dieselben zu kontrollieren. Neben dieser
wohl prominentesten sozialarbeiterischen Ambivalenz habe ich an an-
derer Stelle versucht, weitere solcher Ambivalenzen zu reflektieren
(vgl. Kleve 1999, insbesondere S. 237ff.), die ich hier nur nennen kann:
Ambivalenz der Kontexte, in denen von Sozialarbeit zugleich oft sehr
Unterschiedliches und Widersprüchliches erwartet wird, Ambivalenz
von Berufsarbeit und Nächstenliebe, Ambivalenz von Macht und Ohn-
macht, Ambivalenz von Hilfe und Nicht-Hilfe, Ambivalenz von Pro-
blem und Lösung, Ambivalenz von Vergangenheit und Zukunft, Ambi-
valenz von Ethik und Pragmatik.19
Die zahlreichen sozialarbeiterischen Struktur-Ambivalenzen führen
schließlich dazu, dass Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter Schwie-
rigkeiten haben, eine eindeutige und klare, eine moderne Identität zu
konstruieren. Mein These ist (vgl. Kleve 2000), dass sie dies auch nicht
müssen, wenn sie sich vom modernen hin zum postmodernen Gemüts-
und Geisteszustand bewegen (siehe ausführlich 6. Kapitel). Dieser be-
trauert nämlich nicht, wie ich bereits oben bezüglich der These, dass die
postmoderne Philosophie aus dem Geist der modernen Kunst erwachsen
ist, das Verebben von Einheitserfahrungen, zum Beispiel von klaren
Identitätserfahrungen, sondern bejubelt die Möglichkeiten, die bei Dif-
ferenzerfahrungen entstehen, zum Beispiel angesichts multipler bezie-
hungsweise Patchwork-Identitäten. Ich gehe sogar so weit und sage,
dass die Sozialarbeit die bereits erwähnte und postulierte Haltung der

19 Inzwischen liegen zwei Diplomarbeiten vor, die mit der von mir vorgeschla-
genen Methode der Ambivalenzreflexion unterschiedliche sozialarbeiterische
Praxisfelder untersuchen, ja erforschen und meine These der strukturellen
Ambivalenz Sozialer Arbeit – zumindest für die erforschten Felder Fallarbeit
(Geissler 2000) und parteiliche Soziale Arbeit mit Mädchen und Frauen (Ely
2002) – belegen können.

85
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

ironischen Gelassenheit nur erlangen kann, wenn sie sich von der mo-
dernen Identitätssuche verabschiedet und ihre ambivalente sozial-struk-
turelle Form annimmt, ihre offene Identität experimentell und spiele-
risch einsetzt.

III.3 Sozialarbeitswissenschaft als postmoderne,


ambivalenzreflexive Wissenschaft

Inzwischen zeigt sich wohl deutlicher denn je, dass auch die Wissen-
schaft der Sozialen Arbeit aus mindestens zwei Gründen nur postmo-
dern zu haben ist: erstens, weil sie – zumindest, wenn sie sich nichts
vormacht – kaum anderes kann (und damit ist viel gewonnen), als hoch-
komplexe Prozesse zu beschreiben und damit Instabilitäten, die die Pra-
xis Sozialer Arbeit kennzeichnen, zu konstatieren; zweitens, weil sie als
wissenschaftliches Programm in gewisser Weise auf das stößt, was die
postmoderne Philosophie Vernunft im Plural nennt. Beide Aspekte sol-
len noch etwas deutlicher heraus gestellt werden.
Wir haben bereits mehrfach erwähnt, dass es Soziale Arbeit, zum Bei-
spiel hinsichtlich des Verstehens, mit Kontextabhängigkeit und Unab-
schließbarkeit zu tun hat. Auch eine Sozialarbeitswissenschaft kann
diese Situation nicht verändern, sie kann der Praxis nicht mehr Sicher-
heiten geben, aber sie kann die Unsicherheiten, die Instabilitäten be-
schreiben, erklären und als unausweichlich bewerten. Wenn dies der
Sozialarbeitswissenschaft auf hohem wissenschaftlichen Niveau plau-
sibel gelingt, dann hätte sie bereits viel erreicht. Denn sie könnte davon
ausgehend etwa die politischen Ökonomisierungsansprüche abwehren,
die die Soziale Arbeit mit – vielleicht zu trivialen, aber kaum zu nicht
trivialen Prozessen passenden – Effektivitäts- und Effizienzansprüchen
in die Enge treiben. Wissenschaftlich könnte in dieser Hinsicht gezeigt
werden, was es angesichts instabiler, hoch komplexer Systeme für So-
zialarbeiterinnen und Sozialarbeitern heißen könnte, effektiv und effizi-
ent zu arbeiten. Die Forderung nach drei notwendigen Einstellungen,
die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter spätestens nach dem Studi-
um auszeichnen sollte, dürfte dabei sicherlich nicht fehlen; diese Ein-
stellungen sind: Ambivalenztoleranz, Kontingenz- und Komplexitätsbe-
wusstsein.
Schließlich ist die Sozialarbeitswissenschaft auch als strukturelle Grö-
ße, also als wissenschaftliche Disziplin innerhalb von Hochschulen

86
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT

nicht modern zu haben, sondern lediglich postmodern. Denn das Pro-


blem der wissenschaftlichen Sozialen Arbeit war ja schon immer, dass
sie für sich keinen klaren Kern, keinen reinen Gegenstandsbereich auf-
finden konnte. Soziale Probleme, die man immer wieder als Themen, als
Gegenstandsbereiche Sozialer Arbeit bewertet, befinden sich nun wahr-
lich nicht in einem reinen Raum, der so etwas wie professional purity
erreichbar erscheinen lässt. Vielmehr sind soziale Probleme politisch
wie wissenschaftlich heiß umkämpfte soziale Sachverhalte, die erst
durch mächtige gesellschaftliche Deutungsprozesse (zum Beispiel auch
der Massenmedien) das werden, was sie aus unterschiedlichen Sichten
recht unterschiedlich sind: eben sozial relevante soziale, psychische und
körperliche Probleme.
Will die Wissenschaft der Sozialen Arbeit einen einigermaßen realitäts-
nahen Zugang zu den sozialen Problemen ihrer Klienten finden, dann
öffnet sie sich für die Pluralität der diesbezüglichen wissenschaftlichen
Deutungen und hört darauf, was aus den sozialarbeiterischen Bezugs-
wissenschaften Psychologie, Soziologie, Politologie, Jurisprudenz oder
Ökonomie zu vernehmen ist. Sozialarbeitswissenschaft wird, will sie ihr
Thema, eben soziale Probleme, adäquat beobachten, beschreiben, erklä-
ren und bewerten, etwas anstreben müssen, was eine Paralogie, aus mo-
derner Sicht: eine identitätslogische Unmöglichkeit ist: sie muss zwi-
schen den Identitäten der Psychologie, Soziologie, Politologie, Jurispru-
denz oder Ökonomie driften, temporal, je nach den Erfordernissen mal
die eine Identität annehmen, mal die andere. Dabei kann ihr sicherlich
die postmoderne Vernunftform der Transversalität (vgl. Welsch 1996)
behilflich sein. Die postmoderne Notwendigkeit der Transversalität ist
schließlich eine plausible Erklärung dafür, warum Sozialarbeitwissen-
schaft heutzutage eigentlich nicht mehr anders zu denken ist als trans-
disziplinär.

87
5. Die postmoderne Theorie Sozialer Arbeit
Ein möglicher Blick auf die real- und theorie-historische
Entwicklung der Sozialarbeit /Sozialpädagogik

„Ambivalenz ist das mindeste, womit man bei den


gegenwärtigen Weltverhältnissen rechnen muß.“

Wolfgang Welsch (1990, S. 192)

AUSGANGSPUNKTE

Die Geschichte der Sozialen Arbeit kann sehr unterschiedlich erzählt


werden (siehe zu einschlägigen Publikationen Landwehr /Baron 1983;
Müller 1988; 1997; Kunstreich 1997; 1998; Wendt 1995; Herring /
Münchmeier 2000). In Abhängigkeit davon, von welchen erkenntnislei-
tenden Fragestellungen die BetrachterInnen ausgehen, geraten unter-
schiedliche Ereignisse in den Blick und können diese jeweils anders
eingeschätzt, beschrieben, erklärt und bewertet werden. Ich gehe im
Folgenden von der Frage aus, welche geschichtlichen, genauer: real-
historischen Bedingungen dazu geführt haben, dass die Soziale Arbeit
zu der Profession geworden ist, die wir heute beobachten können.
Um diese Frage zu beantworten, möchte ich erstens die reale, empirisch
beschreibbare Situation der Sozialen Arbeit zum einen an einem Bei-
spiel meiner eigenen bisherigen Praxis und zum anderen theoretisch re-
flektiert darstellen. Zweitens sollen die real-historischen und (m.E. noch
aktuellen) gesellschaftlichen Probleme aufgespürt werden, auf die die
Soziale Arbeit mit ihrer Entstehung als ein gesellschaftlicher Lösungs-
versuch reagierte. Drittens werden in diesem Zusammenhang die theo-
retischen Bemühungen hinsichtlich einer Wissenschaft Sozialer Arbeit
in den Blick genommen. Dabei soll deutlich werden, dass die Theorie-
Geschichte unmittelbar mit der Real-Geschichte Sozialer Arbeit verwo-
ben ist. Denn das, was sich in der gesellschaftlichen Situation Sozialer
Arbeit und auch in der sozialarbeiterischen Praxis zeigt, kommt auch in
der Theorie Sozialer Arbeit zum Ausdruck: Probleme mit der klaren

88
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT

Identifizierung, mit der Eindeutigkeit, mit der Abgrenzung des „Gegen-


standes“. Genauso wie die Praxis genügt auch die Theorie Sozialer Ar-
beit keinen modernen Postulaten nach klarer Identität, nach Eindeutig-
keit, nach klaren Grenzen. Vielmehr ist sowohl sozialarbeiterische Pra-
xis als auch sozialarbeiterische Theorie aufgeladen mit Identität
sprengender Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit, kurz: mit Ambiva-
lenz.
Mit Zygmunt Bauman (1991, S. 13f.) können wir sagen, dass Ambiva-
lenz die Möglichkeit bezeichnet, „einen Gegenstand oder ein Ereignis
mehr als nur einer Kategorie zuzuordnen [...] Die Situation wird ambi-
valent, wenn die sprachlichen Werkzeuge der Strukturierung sich als in-
adäquat erweisen; entweder gehört die Situation zu keiner der sprach-
lich unterschiedenen Klassen oder sie fällt in verschiedene Klassen zu-
gleich [...], was immer der Fall ist, das Ergebnis ist das Gefühl der
Unentschiedenheit, Unentscheidbarkeit und infolgedessen des Verlus-
tes an Kontrolle.“
Soziale Arbeit, als Praxis und als Theorie, erscheint in dieser Weise am-
bivalent. Die sozialarbeiterische Ambivalenz verunmöglicht es, dass
Soziale Arbeit sich wie andere Professionen und Disziplinen eindeutig
praktisch und theoretisch identifiziert, sie bleibt diesbezüglich eine Pro-
fession und Disziplin der Vielfalt, der Pluralität, der Heterogenität, der
Komplexität, kurz: eine postmoderne Profession und Disziplin. Denn
Postmoderne heißt: „Mit Ambivalenz leben“ (Bauman 1991, S. 281),
meint aber auch „eine entschlossene Emanzipation von dem charakte-
ristisch modernen Drang, die Ambivalenz zu überwinden“ (ebd., S.
127), bedeutet also die Akzeptanz von unüberwindbarer Vielfalt, Plura-
lität, Heterogenität und Komplexität (vgl. grundlegend dazu Lyotard
1979). Während es das Kennzeichen der Moderne ist zu versuchen, per-
manent darum zu ringen, Ambivalenz zu beseitigen, sie in Eindeutigkeit
zu verwandeln, bezeichnet Postmoderne einen „Gemüts- oder [...] Geis-
teszustand“ (Lyotard 1988, S. 294), dem es darum geht, Ambivalenz zu
akzeptieren und kreativ zu nutzen (vgl. auch Welsch 1992).
Weil ich also erstens davon ausgehe und auch genauer zeigen werde,
dass Soziale Arbeit eine ambivalente Profession und Disziplin ist und
zweitens für eine Akzeptanz und einen kreativen Umgang mit dieser
Ambivalenz plädiere, bezeichne ich meinen theoretischen Blick auf die
Soziale Arbeit als postmodern, lässt sich mein Theorieverständnis So-
zialer Arbeit als postmodern charakterisieren.

89
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Wie eingangs bereits erwähnt, will ich in drei Schritten die Ambivalenz
und damit die Postmodernität der Sozialen Arbeit darstellen, und zwar
– in einem ersten Schritt – ausgehend von der ambivalenten Realität der
Sozialen Arbeit, die ich zunächst beispielhaft und dann auch theoretisch
abstrakter beschreiben möchte (I.). Diese ambivalente Realität wird im
zweiten Schritt in einen real-historischen Kontext gestellt. Damit soll
deutlich, soll erklärt werden, dass die Soziale Arbeit an dem Punkt der
Entwicklung der modernen Gesellschaft entstanden ist, an dem die pro-
blematische Seite des Fortschritts, an dem der Januskopf der Moderne
eine eigene Profession, nämlich die Soziale Arbeit nötig machte (II.).
Im dritten Schritt wird schließlich die Theorie- und Wissenschaftsent-
wicklung Sozialer Arbeit betrachtet, um zu zeigen, dass die Probleme
bei der Bildung der Sozialarbeitswissenschaft ebenfalls aus dem Ur-
sprung der Sozialen Arbeit aus der Ambivalenz der Moderne hervorge-
hen und dass die Soziale Arbeit eine ambivalenzreflexive, postmoderne
und transdisziplinäre Wissenschaft benötigt (III).

I. AMBIVALENTE REALITÄT SOZIALER ARBEIT

Wenn wir uns beispielsweise das Handlungsfeld anschauen, in dem ich


u.a. gearbeitet habe, nämlich die als aufsuchende Soziale Arbeit durch-
geführte Wiedereingliederungshilfe (in Berlin Einzelfallhilfe genannt)
für „psychisch kranke Menschen“, dann kann die Ambivalenz Sozialer
Arbeit sehr schnell deutlich werden.
Die HelferInnen arbeiten in diesem Bereich mit KlientInnen unter-
schiedlichen Alters, die häufig schon jahrelang Sozialhilfe beziehen,
bei denen Ärzte und Psychologen verschiedene körperliche und psychi-
sche Krankheiten diagnostiziert haben. Die meisten dieser KlientInnen
haben bereits kürzere oder längere Krankenhaus- beziehungsweise Psy-
chiatrieaufenthalte hinter sich. Sie sind zudem häufig verschuldet und
haben wenig soziale Kontakte. Bei diesen KlientInnen handelt es sich
um Personen, die oft von sich selbst glauben, dass ihnen nicht mehr ge-
holfen werden kann, geschweige denn, dass sie sich selbst nachhaltig
helfen können. Denn sie haben die unterschiedlichsten Professionen
(insbesondere die Medizin und die Psychologie) erfolglos durchlaufen,
ohne dass sich ihr Zustand wesentlich gebessert hat. Wenn dann Sozi-
alarbeiterInnen vom Sozial- und vom Gesundheitsamt beauftragt wer-

90
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT

den, als Einzelfallhelfer tätig zu werden, dann konnten in der Regel an-
dere Professionen nicht mehr helfen beziehungsweise können noch
nicht (wieder) helfen.
Daher scheint es so zu sein, dass SozialarbeiterInnen in diesem Arbeits-
feld tätig werden, wenn die Probleme der Menschen so komplex, viel-
fältig und diffus werden, dass der spezialisierte Blick der klassischen
Professionen nicht mehr oder noch nicht ausreicht. Die Situation ist
dann zumeist so, dass sich so viele Probleme (Krankheiten, insbesonde-
re Süchte, Ängste, Schulden, Isolation etc.) kumuliert haben, dass Sozi-
alarbeiterInnen in Zusammenarbeit mit den KlientInnen erst einmal ei-
nen Überblick herstellen, Prioritäten setzen, neue Kontakte knüpfen etc.
Dabei haben sie in der Regel dreierlei im Auge zu behalten: erstens:
psychische Schwierigkeiten und Belastungen, zweitens: soziale Proble-
me und drittens: gesundheitliche Themen. Sie können bezüglich der
drei Ebenen Psychisches, Soziales und Biologisches (Gesundheitliches)
keine Ebene vernachlässigen, alle Ebenen sind in ihrer Arbeit relevant
(siehe die folgende Übersicht 1).
Wenn wir überdies in Anlehnung an Kurt Ludewig (1993, S. 123) ver-
suchen würden, für die sozialarbeiterische Tätigkeit, die in diesem so-
zialpsychiatrischen Bereich ausgeübt wird, einen eindeutigen Oberbe-
griff zu finden, wird es ebenfalls schwierig. Ludewig unterscheidet hel-
fende Tätigkeiten in vierfacher Weise, und zwar in Anleitung, Beratung,
Begleitung und Therapie mit jeweils unterschiedlichen Aufträgen /
Funktionen. Demnach geht es in der Anleitung darum, KlientInnen dabei
zu helfen, dass diese ihre Möglichkeiten (etwa der Problemlösung) er-
weitern können; während der Beratung soll dabei geholfen werden, die
vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen; die Begleitung unterstützt dabei,
dass eine nicht veränderliche Lage (zum Beispiel bezüglich einer Be-
hinderung) ertragen werden kann; und schließlich hat die Therapie das
Ziel, Gesundung zu erreichen, mithin Leiden zu beenden.
In meiner Tätigkeit als sozialpsychiatrischer Einzelfallhelfer, leitete ich
zwar an, aber nicht nur, beriet ich, aber nicht nur, begleitete ich auch,
aber nicht nur, ja ich therapierte manchmal sogar, aber wiederum nicht
nur. In diesem Bereich kann keine Entweder /Oder-Haltung eingenom-
men werden, sondern es wird ein Sowohl-Als-Auch im Hinblick auf
Beratung, Betreuung, Begleitung und Therapie gefordert. Das, was ge-
tan wird, kann nicht nur in eine Kategorie eingeordnet werden; vielmehr
treffen alle Kategorien zu, um diese Tätigkeit zu beschreiben. Konkret

91
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Übersicht 1

Biologisches Psychisches Soziales


Fokus gesundheitliche psychische /emoti- soziale Fragen,
Fragen, körperli- onale Fragen, psy- soziale Bedürf-
che / physische chische/ emotio- nisse
Bedürfnisse nale Bedürfnisse
Beispiele Ausstattung mit kognitive und soziale Beziehun-
(gesunder) Nah- emotionale Bewäl- gen in der Familie
rung, Kleidung, tigung /Verarbei- oder durch
Wohnraum etc.; tung von Ereignis- Freunde (Integra-
(angemessener) sen (Ängste, tion); Zugang zu
Umgang mit dem Süchte etc.) sozial-ökonomi-
eigenen Körper, schen Ressourcen
mit Krankheiten (Inklusion)
etc.
Methodische Gleichzeitigkeit der Beachtung der unterschiedlichen
Orientierung I (bio-psycho-sozialen) Ebenen
im sozialarbeiterischen Handeln
Methodische Gleichzeitigkeit der Beachtung der unterschiedlichen
Orientierung II (bio-psycho-sozialen) Ebenen
im sozialarbeiterischen Blick

(zum Beispiel im Sinne von Case Management: Koordina-


tion unterschiedlicher Hilfen)

heißt das dann etwa, dass Menschen mit den beschriebenen Problemen
angleitet werden, zum Beispiel um einen Antrag auf Erwerbsunfähig-
keitsrente zu stellen, dass sie Beratung erfahren, zum Beispiel bezüglich
ihrer Möglichkeiten, ihre Schulden zu tilgen, dass sie begleitet werden,
zum Beispiel um die Ängste beim Einkaufen, auf dem Sozialamt oder
in Arztpraxen zu ertragen oder dass mit ihnen therapeutisch gearbeitet
wird, zum Beispiel um – etwa im Sinne der Kurzzeittherapie (zum Bei-
spiel nach Insoo Kim Berg 1992) – ein Alkoholproblem anzugehen (sie-
he auch Übersicht 2).

92
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT

Übersicht 2

Anleitung Beratung Begleitung Therapie


Auftrag/ „Hilf uns, „Hilf uns, „Hilf uns, „Hilf uns,
Funktion unsere Mög- unsere Mög- unsere Lage zu unser Leiden
lichkeiten zu lichkeiten zu ertragen!“ zu beenden!“
erweitern!“ nutzen!“
Beispiele Hilfe bei Hilfe bei der Hilfe beim Hilfe bei der
Antrag-stel- Tilgung von Aushalten von Therapie von
lungen; Ver- Schulden; Ängsten oder Süchten/
mittlung von Erkennung beim Umge- Abhängig-
Informatio- und Nutzung hen mit nicht keiten etc.
nen bezüg- eigener psy- veränderlichen
lich chischer und / Lebensumstän-
bestimmter oder sozialer den (zum Bei-
Rechts- Ressourcen spiel körperli-
ansprüche des Verhal- che oder psy-
etc. tens oder der chische
Lebenswelt Krankheiten
etc. und/ oder
Behinderun-
gen)
Methodische Gleichzeitigkeit der unterschiedlichen Hilfearten
Orientierung I im sozialarbeiterischen Handeln
Methodische Gleichzeitigkeit der unterschiedlichen Hilfearten im
Orientierung im sozialarbeiterischen Blick
II
(zum Beispiel im Sinne von Case Management: Koordination
unterschiedlicher Hilfen)

Mit dem psychischen, sozialen und biologischen Bezug Sozialer Arbeit,


mit der bio-psycho-sozialen Perspektive und den Begriffen Anleiten,
Beraten, Begleiten und Therapieren ist das Handlungsspektrum der So-
zialen Arbeit aber noch keineswegs endgültig beschrieben. Denn darü-
ber hinaus wird in der Sozialarbeit betreut, kontrolliert, normalisiert, in-
tegriert, inkludiert, erzogen, gebildet, verwaltet usw. usf. (siehe zu einer
empirisch gewonnen Liste von 35 Begriffen Klüsche 1994, S. 93). Die-
ser Befund der Ambi- besser: Polyvalenz kann auch ausgehend von ei-
ner empirischen Studie zum Selbstverständnis von SozialarbeiterInnen

93
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

und SozialpädagogInnen, die Wilhelm Klüsche (1994, S. 92) durchführ-


te, bestätigt werden. Demnach ist das, was diese Professionellen leisten,
„tatsächlich schwer zu operationalisieren, da die Fülle an beruflichen
Tätigkeiten, die zu übernehmen sind, in eine Vielzahl von Einzelaktivi-
täten zerfallen“. Das, was wir als SozialarbeiterInnen tun, scheint so am-
bivalent zu sein, dass uns eindeutige Klassifizierungen und homogene
theoretische Konzepte zu fehlen scheinen, um unsere Praxis zu beschrei-
ben, zu erklären und zu bewerten.
Bereits Alice Salomon (1928, S. 139f.) konstatierte diese Schwierigkeit
und sah sie darin begründet, dass Soziale Arbeit sich auf die „Einheit
des Menschen“ bezieht: „So notwendig es aber auch ist, die verschiede-
nen Erscheinungsformen der Not und ihre Ursachen deutlich zu erfas-
sen, so vergewaltigt doch alle begriffliche Formulierung und Einteilung
das Leben in seiner Einheit und Mannigfaltigkeit. Der Mensch, dem alle
Wohlfahrtspflege gilt, ist ein unteilbares Wesen (Individuum das heißt
Unteilbares). Man kann seine wirtschaftlichen, geistig sittlichen und ge-
sundheitlichen Bedürfnisse nicht voneinander lösen und als gesonderte
Angelegenheiten betrachten. Der Notstand, in dem ein Mensch sich be-
findet, die soziale Schwierigkeit, die ihn trifft, hängen meist mit den
verschiedenen Seiten seines Wesens zusammen. Die Ursachen der Not
sind oft ebenso unlösbar miteinander verknüpft, wie die menschlichen
Bedürfnisse es sind. Man kann die Wirtschaft eines Menschen nicht
völlig von seiner Gesundheit und Bildung ablösen. Man kann seine Er-
ziehung und Bildung nicht ohne Rücksicht auf berufliche und wirt-
schaftliche Zwecke gestalten. Man kann seine Gesundheit nicht för-
dern, wenn es ihm an Einsicht und Willen, an geistigen und sittlichen
Kräften fehlt und wenn die Wirtschaftslage eine gesunde Lebensweise
zunichte macht. Darum ist der Mensch in seiner Einheit Gegenstand der
Wohlfahrtspflege, nicht seine wirtschaftliche Lage oder seine Gesund-
heit oder seine Sittlichkeit.“
Dass Soziale Arbeit nach Alice Salomon „die Einheit des Menschen“
betrachtet und an dieser Einheit auch praktisch ansetzt, will ich mit dem
Konzept des doppelten Generalismus Sozialer Arbeit noch einmal dif-
ferenzierter veranschaulichen. Im Sinne dieses Konzepts kann die Sozi-
ale Arbeit als spezialisiert generalistisch und als universell generalis-
tisch betrachtet werden (siehe dazu auch Übersicht 3).

94
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT

I.1 Spezialisierter Generalismus

Der spezialisierte Generalismus bezieht sich auf die Ambivalenz, die


Vielfalt und Komplexität des (interaktiven und organisatorisch einge-
bundenen) sozialarbeiterischen Handlungsbezugs, auf die Heterogeni-
tät des sozialarbeiterischen Fallbezugs. Wie Klüsche (1994, S. 77) fest-
stellt, sind die Tätigkeiten, die in der Sozialen Arbeit in den unter-
schiedlichen Handlungsfeldern jeweils erbracht werden, „komplex und
unscharf“. Diese Komplexität und Unschärfe resultiert zum einen dar-
aus, dass Soziale Arbeit auf unterschiedlichen sozialen Ebenen ansetzt,
auf der Ebene des Individuums oder der Familie (Einzel- und Familien-
arbeit), auf der Ebene der Gruppe (soziale Gruppenarbeit) und auch auf
einer sozialstrukturellen Ebene, zum Beispiel eines Gemeinwesens
(Gemeinwesenarbeit). Diesbezüglich ist Sozialarbeit sowohl individu-
al- als auch sozialsystem-orientiert (vgl. Kleve 1999, S. 120ff./124ff.);
mit anderen Worten, sie hat sowohl psychisch-individuelle als auch so-
ziale Systeme im Blick und ist daher eine psycho-soziale Praxis. Auf
diesen doppelten Fokus von Individual- und Sozialsystemorientierung,
von Verhaltens- und Verhältnisänderung verweist ebenfalls bereits Ali-
ce Salomon (1928, S. 133), wenn sie schreibt, dass „Wohlfahrtspflege
[...] mit der wechselseitigen Anpassung von Menschen und Lebensum-
ständen zu tun [hat]. Sie hat entweder Individuen zu fördern oder zu be-
einflussen, damit sie sich in ihrer Umwelt bewahren, oder sie hat Le-
bensumstände, die Umwelt der Menschen so zu gestalten, daß sie da-
durch geeigneter für die Verfolgung ihrer Lebenszwecke werden“.
Genau genommen ist hier jedoch nicht ein Entweder /Oder gefragt;
vielmehr wird eine Haltung des Sowohl-Als-Auch bezüglich Individu-
al- und Sozialsystemorientierung eingenommen.
Aber nicht nur die psychischen und sozialen, sondern auch die biologi-
schen Systeme sind beispielsweise bezüglich der körperlichen Gesund-
heit potentielle Themen der Sozialen Arbeit, wie wir gesehen haben.
Soziale Arbeit hat also biologische, psychische und soziale Bedürfnisse
im Blick und thematisiert die Probleme, die entstehen, wenn Menschen
aus jenen gesellschaftlichen Systemen ausgeschlossen (exkuldiert)
sind, welche ihnen in dieser Hinsicht die notwendige Bedürfnisbefrie-
digung sichern. Soziale Arbeit versucht durch ihre Hilfe die Chancen ei-
ner Wieder-Teilnahme (Re-Inklusion) in die sozialen Systeme der bio-
logischen, psychischen und sozialen Bedürfnisbefriedigung (zum Bei-

95
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

spiel Wirtschaft, Erziehung/ Bildung, Politik) zu erhöhen. Dabei kann


sie sowohl am Verhalten der Menschen selbst als auch an den sozialen
Verhältnissen ansetzen.

I.2 Universeller Generalismus

Der universelle Generalismus bezieht sich auf die Heterogenität des so-
zialarbeiterischen Gesellschaftsbezugs, auf die Vielfalt der Aufgaben
des gesellschaftlichen Funktions- und Berufssystems Soziale Arbeit.
Wie Wilhelm Klüsche (1994, S. 76) feststellt, ergibt sich ein „Er-
schwernis für die Ausbildung eindeutiger Konturen [...] aus der Vielfalt
der Arbeitsfelder [in der Sozialen Arbeit; H.K.]. In der Regel sind be-
rufliche Identitäten dadurch geprägt, daß umschriebene Arbeitsbereiche
speziellen Berufsgruppen eindeutig zugeordnet werden können. Sozial-
arbeiter /Sozialpädagogen arbeiten aber in sehr unterschiedlichen Tä-
tigkeitsfeldern und Institutionen“. Wenn wir den Gesellschaftsbezug
der Sozialen Arbeit betrachten, dann sehen wir, dass sich Soziale Arbeit
potentiell auf alle Bevölkerungsgruppen – gewissermaßen von der Ge-
burt bis zum Tod – bezieht. So hilft Soziale Arbeit – als Prävention, In-
tervention (Kuration) und Postvention (Rehabilitation) – jungen, er-
wachsenen und alten Menschen, armen, süchtigen, behinderten, ob-
dachlosen, kranken oder schuldenbelasteten Menschen und thematisiert
deren Schwierigkeiten. Die Soziale Arbeit ist mittlerweile gesell-
schaftsweit tätig. Ein Markenzeichen ist ihr gesellschaftsweiter Bezug,
der nicht ausschließlich auf die „armen“ Bereiche der Gesellschaft ver-
weist, sondern sich durch alle Bevölkerungsgruppen und -lagen, durch
alle Lebenswelten hindurchzieht. So wird bereits im Jahrbuch der So-
zialarbeit von 1978 diagnostiziert, dass die „‚Klientel‘ sozialer Arbeit
[...] nicht mehr nur der randständige Jugendliche, der Kranke, der Kri-
minelle [ist], sondern [...] tendenziell alle Teile der Bevölkerung. Durch
den Ausbau öffentlicher Vorschulerziehung, durch die Ausweitung von
Jungendbildungsmaßnahmen, durch den Ausbau von Familien-, Eltern-
und Erziehungsberatung wird jeder tendenziell zu Klientel der Sozial-
arbeit“ (zit. n. Schumann 1979, S. 69).

96
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT

Übersicht 3

Doppelter Generalismus Sozialer Arbeit


Soziale Arbeit als gesellschaftliches Soziale Arbeit als organisatorisches
Berufs- und Funktionssystem und interaktionelles Handlungssystem
Universeller Generalismus: Heteroge- Spezialisierter Generalismus: Hetero-
nität des sozialarbeiterischen Gesell- genität des sozialarbeiterischen Fall-
schaftsbezugs bezugs
Prävention Einzelfallarbeit
(case-work, case-management)
Intervention
Gruppenarbeit
Postvention
Gemeinwesenarbeit
Sozialhilfe Biologisches
insb. Bedürfnisse,
Kinder- und Jugendhilfe Körperfunktionen und -entwicklun-
gen, Gefühle, Ökologisches etc.
Familienhilfe

Behindertenhilfe Psychisches
insb. Bedürfnisse,
Obdachlosenhilfe Wahrnehmungen, Gedanken,
Gefühle, Einstellungen, kognitive
Suchthilfe Entwicklungen etc.

Krankenhilfe
Soziales
Schuldnerhilfe insb. Bedürfnisse,
Familiäres, Erzieherisches, Bildendes,
Rechtshilfe Ökonomisches, Politisches, Rechtli-
ches, Religiöses (Spirituelles), Künst-
Altenhilfe lerisches, Wissenschaftliches etc.
etc.

97
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

II. AMBIVALENZ DER MODERNE ALS REAL-HISTORISCHER


URSPRUNG SOZIALER ARBEIT

Ich komme jetzt zur Frage, auf welche gesellschaftliche Situation, auf
welches gesellschaftliche Problem die Soziale Arbeit eine Antwort ist.
Um diese Frage zu beantworten, sollen einige ausgewählte Aspekte der
Geschichte der professionellen Sozialen Arbeit betrachtet werden.
Bei den GeschichtsschreiberInnen der Sozialen Arbeit scheint darin Ei-
nigkeit zu bestehen, dass die professionelle Soziale Arbeit, also sozial-
arbeiterische Berufstätigkeit in der Zeit um die Wende vom 19. zum 20.
Jahrhundert entstanden ist. In dieser Zeit wurden etwa die ersten Schu-
len gegründet, in denen Sozialarbeiterinnen (zunächst fast ausschließ-
lich Frauen) ausgebildet wurden. Beispielsweise entstand auf Initiative
von Alice Salomon 1908 in Berlin eine soziale Frauenschule.
Der Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert wird als der Zeitpunkt ange-
sehen, an dem sich die soziale Hilfe von einer primär moralisch oder re-
ligiös inspirierten „Mildtätigkeit“ (Luhmann 1973) deutlich zu wandeln
begann in die professionelle Soziale Arbeit, die wir heute kennen. Zu-
gleich gilt diese Jahrhundertwende als Zeit, in der sich die moderne Ge-
sellschaft als eine funktional differenzierte Gesellschaft (vgl. Luhmann
1997) vollendete. Die professionelle Soziale Arbeit entstand also zu ei-
ner Zeit, in der sich das Projekt der Moderne vollends in Europa und
Nordamerika etablierte.
Die Moderne lässt sich als eine historische Periode kennzeichnen, „die
in Westeuropa mit einer Reihe von grundlegenden sozio-kulturellen
und intellektuellen Transformationen des 17. Jahrhunderts begann und
ihre Reife erreichte: (1) als ein kulturelles Projekt – mit dem Entstehen
der Aufklärung; (2) als eine sozial vollendete Lebensform – mit dem
Entstehen der industriellen [...] Gesellschaft“ (Bauman 1991, S. 348,
Anm. 1). Ein Markenzeichen der Moderne ist das permanente Ringen
um Ordnung, Eindeutigkeit, Rationalisierung, Kontrolle, Klassifizie-
rung und Bestimmung, also um Ambivalenzfreiheit. Ein Ergebnis die-
ses Ringens ist die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in voneinander
getrennte funktionale Systeme, die jeweils eigenständige Aufgaben für
die gesamte Gesellschaft bearbeiten und jeweils eigenständige Codes
und Medien zur Kommunikation heraus gebildet haben (siehe dazu die
folgende Übersicht 4).

98
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT

Übersicht 4

Funktionssystem Code (Kommunikations-)


Medium
Wirtschaft Zahlen /Nichtzahlen Geld beziehungsweise
Eigentum
Recht recht / unrecht Recht (=Gesetze,
Entscheidungen)
Wissenschaft wahr/ unwahr Wissenschaftliche
Erkenntnisse
Medizin gesund /krank Diagnose /Behandlung
Politik Macht / Ohnmacht Macht (öffentliche Ämter)
Religion Immanenz / Transzendenz Glaube
Erziehung / gute / schlechte Zensuren „Das Kind“ beziehungs-
Bildung weise Bildung

Ein damit einhergehendes Ergebnis ist die Differenzierung in Professi-


onen, die Spezialisierung bestimmter Berufsgruppen für bestimmte,
klar ein- und abgrenzbare gesellschaftliche Probleme (vgl. Stichweh
1992; 1996). So zerteilen die klassischen Professionen – zum Beispiel
Medizin, Psychologie und Jurisprudenz – das, was Alice Salomon die
„Einheit des Menschen“ genannt hat, in unterschiedliche Zuständig-
keitsbereiche: Die Medizin bezieht sich auf die mit der Biologie zusam-
men hängenden Themen, mithin auf das Körperliche des Menschen, die
Psychologie auf das Psychische und die Jurisprudenz auf die Regeln
und die Regelung des Sozialen, des zwischenmenschlichen Zusammen-
lebens (siehe Übersicht 5).

Übersicht 5

Medizin Psychologie Recht


Bezugspunkt Biologisches Psychisches Soziales
Funktion körperliche psychische Regelung des
Gesundheit Gesundheit Sozialen

99
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Was die moderne Gesellschaft ausmacht, ist also die Differenzierung


und Spezialisierung der Aufgabenbereiche und die formal organisierte
sowie bürokratisierte Strukturierung dieser Bereiche.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde nun auch versucht, soziale Hilfe,
also Armen- und Jugendfürsorge, Hilfe für kranke und behinderte Men-
schen, für Menschen, die ihre biologischen, psychischen und sozialen
Grundbedürfnisse nur angesichts der Hilfe anderer Menschen befriedi-
gen können, zu modernisieren. So wurden bis hinein in die 1920er Jahre
in den Städten Deutschlands die unterschiedlichsten sozialen Verwaltun-
gen etabliert: das Wohnungsamt, Gesundheitsamt, Jugendamt, Wohl-
fahrtsamt und Arbeitsamt (vgl. Salomon 1928, S. 141). Zusätzlich zu die-
sen Einrichtungen forderte Alice Salomon den Ausbau der Sozialen Ar-
beit auf den Gebieten der sozialen Erziehungsarbeit für Erwachsene, der
Volksbildungsarbeit und der Familienfürsorge (ebd., S. 143f.).
Das Spezielle der Sozialen Arbeit auf allen ihren unterschiedlichen Ge-
bieten ist nun jedoch ein Prinzip, das der Differenzierungs- und Spezi-
alisierungsordnung der Moderne entgegen läuft: nämlich den Menschen
als Einheit beziehungsweise – wie ich im letzten Abschnitt ausgeführt
habe – aus einer doppelt generalistischen, einer gesellschaftsweiten und
bio-psycho-sozialen Perspektive zu betrachten. Die moderne Differen-
zierungs- und Spezialisierungsordnung überantwortet biologische, psy-
chische und soziale Probleme des Menschen jeweils unterschiedlichen
Professionen. Dieser Ordnung widerstrebt die Soziale Arbeit, jedes ihrer
Arbeitsgebiete muss „von den verschiedensten Gesichtspunkten aus be-
trachtet werden [...]“ (ebd., S. 144). Denn in allen diesen Arbeitsberei-
chen zeigt sich „die Unteilbarkeit des Menschen, der Zusammenhang
seiner Bedürfnisse“ (ebd.). Wenn wir Spezialisierung und Generalismus
als entgegen gesetzte Pole betrachten, dann lässt sich die Entstehung der
Sozialen Arbeit als paradoxer Prozess bewerten: Ihre Spezialisierung ist
ihre Ent-Spezialisierung, ihr Generalismus.
Diese spezialisierte Entspezialisierung, dieser Generalismus der Sozia-
len Arbeit soll als ein Lösungsversuch des Problems der Ambivalenz
der Moderne bewertet werden. Diese Ambivalenz drückt sich darin aus,
dass die moderne Gesellschaft mit ihren Prinzipien der Differenzierung
und Spezialisierung zwar angetreten ist, um Lösungen auf gesellschaft-
liche Probleme zu erzielen, sie produziert mit diesen Prinzipien jedoch
zugleich Probleme. Auf diese Probleme reagiert nun die Soziale Arbeit,
und zwar zum einen bezüglich der Ambivalenzen, die mit der funktio-

100
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT

nalen Differenzierung der Gesellschaft entstehen und zum anderen be-


züglich der Probleme, die mit der professionellen Spezialisierung ein-
her gehen.

II.1 SOZIALE ARBEIT ALS REAKTION AUF DIE


AMBIVALENZEN FUNKTIONALER DIFFERENZIERUNG

Modernisierung der Gesellschaft heißt zunächst Auslagerung von ge-


sellschaftlichen Aufgaben aus der Lebenswelt der Menschen hinein in
formal organisierte gesellschaftliche Systeme, heißt Differenzierung
und Zergliederung der Gesellschaft in unterschiedliche Teilsysteme
(vgl. dazu sowohl Habermas 1981 als auch Luhmann 1997). Gewirt-
schaftet wird also nicht mehr im eigenen Haus, nicht mehr durch Fami-
lienarbeit, sondern in kapitalistischen Betrieben, erzogen und gebildet
werden die Kinder nicht mehr (nur) durch die Eltern, sondern in Kinder-
gärten und Schulen.
Zur Zeit der Entstehung der Sozialen Arbeit war es insbesondere die
Dynamik des gesellschaftlichen Teilsystems Wirtschaft, das Probleme
produzierte, die selbst nicht mehr durch dieses System oder durch ande-
re gesellschaftliche Systeme (zum Beispiel durch die Kirchen) lösbar
waren. Deshalb wollen wir beispielhaft vor allem dieses System be-
trachten, um die Ambivalenzen in den Blick zu bringen, die zur Entste-
hung der professionellen Sozialen Arbeit führten.
Die Wirtschaft differenzierte sich im Rahmen der Industrialisierung,
der Kapitalisierung der Gesellschaft als ein System heraus, das nach ei-
genen, von den Lebenswelten der Menschen entfremdeten Gesetzen ge-
steuert wird. Nicht die menschlichen Bedürfnisse leiten dieses System
an, sondern die Gesetze der Kapitalmaximierung, wie wir dezidiert bei
Karl Marx (1890) nachlesen können. Dieses System produziert Proble-
me und lagert diese Probleme in die gesellschaftliche Umwelt aus. Ge-
nau auf diese Probleme, die wir uns genauer anschauen wollen, reagier-
te mit ihrem Entstehen die Soziale Arbeit.
Im 19. Jahrhundert wuchsen im Zuge der Industrialisierung die Städte,
immer mehr Menschen wanderten aus den ländlichen Gegenden in die
rasant anwachsenden Städte der Arbeit nach. Wie Christoph Sachsse
und Florian Tennstedt am Beispiel der Entstehung des „Elberfelder Sys-
tems“ der Armenfürsorge beschreiben, wuchs die Stadt Elberfeld in der

101
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

1. Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer großen Industriestadt heran.


Weil Elberfeld „1800 nur etwa 12.000, 1852 schon 50.364 und 1885
106.492 Einwohner zählte, gehörte [sie] zu den am raschesten empor-
wachsenden Fabrikstädten Deutschlands“ (zit. nach Kunstreich 1997,
S. 75). Die Wirtschaft schaffte also Arbeitsplätze und suchte mithin Ar-
beitskräfte, zog sie auch dort hin, wo die Fabriken waren, produzierte
aber zugleich Arbeitslosigkeit und damit Einkommensarmut. Arbeitslo-
sigkeit und damit Geldmangel, -not, und -armut sind die sozialen Pro-
bleme, die die Industrialisierung, die Kapitalisierung der Gesellschaft
im gleichen Maße produziert(e) wie Reichtum, wie Kapital. Und diese
Probleme wurden von der Wirtschaft selbst nicht bearbeitet, sie wurden
vielmehr aus ihrem Blick exkludiert. Die Menschen fühlten sich daher
mit ihren Problemen der Armut auf sich selbst zurück geworfen.
Auch die religiös inspirierte kirchliche Armenfürsorge brach – wie etwa
exemplarisch am Beispiel von Elberfeld gesagt werden kann – mit dem
Anwachsen dieser Probleme zusammen. Die Summe des Hilfebedarfs
„und die Zahl der Unterstützung suchenden Personen“ (ebd.) wuchsen
„in so erheblicher Weise [...], daß die kirchliche Armenpflege in eine
bürgerliche Armenpflege umgestaltet werden mußte“ (ebd.). Mit der
Etablierung der bürgerlichen Armenpflege, beispielsweise mit der Eta-
blierung des „Elberfelder Systems“ (1853) begann die Modernisierung
des Armenwesens, die Rationalisierung sozialer Hilfe, kurz: die Entste-
hung moderner Sozialer Arbeit, die dann beispielsweise im Straßburger
System (in Form von bezahlten Berufsarmenpflegern) bereits deutlich
wurde (vgl. Kunstreich 1997, S. 77).
Timm Kunstreich (1997, S. 70) bezeichnet dieses entstehende erste Sys-
tem Sozialer Arbeit als ein re-aktives Modell, in dem Prinzipien der Ra-
tionalisierung und Individualisierung, der Professionalisierung und der
Kolonialisierung durchgesetzt wurden. Rationalisierung und Individu-
alisierung meinen die Verwandlung sozialer Ereignisse in individuelle
Defizite; Professionalisierung bezeichnet die Vermittlung dieser Ver-
wandlung, dieser Transformation in sozialen Verwaltungsinstitutionen;
und Kolonialisierung kennzeichnet die Ausdifferenzierung „sozialer
Zensuren“, mithin dass Hilfe also zugleich eine Devianzkontrolle, eine
kontrollierende Durchsetzung sozialer Normen bedeutet.
Aber auch ein zweites System der Sozialen Arbeit bildete sich heraus,
und zwar ebenfalls in der Zeit des späten 19. Jahrhunderts, beispielswei-
se in den USA, maßgeblich entwickelt von Jane Addams (1860-1935)

102
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT

in Chicago (vgl. dazu auch Staub-Bernasconi 1995, S. 43ff.) Hier rea-


gierte man auf die anwachsende Armut, insbesondere der EinwanderIn-
nen mit einem – wie Kunstreich (1997, S. 111) formuliert: pro-aktiven
Modell Sozialer Arbeit. Dieses Modell ist gekennzeichnet durch Prinzi-
pien wie Aktivierung, Solidarisierung und Selbstregulierung. Aktivie-
rung kennzeichnet das Bestreben, ein soziales Ereignis zu einem exis-
tenziell wichtigen Thema zu erklären. Dieses Thema regt Solidarisie-
rung an, führt dazu, dass etwas „gemeinsames Drittes“ entsteht, das
sowohl die armen Menschen selbst als auch die HelferInnen zu gemein-
samen Taten aktiviert. Schließlich erwächst daraus eine Selbstregulie-
rung, die Menschen anregt, selbst mächtig zu werden (Empowerment),
sich gegenseitig zu unterstützen und für soziale Verbesserungen zu
kämpfen.
Abstrahiert von diesen beiden unterschiedlichen Reaktionsweisen Sozi-
aler Arbeit auf die mit der Industrialisierung anwachsende Armut, lässt
sich fest halten, dass die Entstehung der professionellen Sozialen Arbeit
offenbar aus zwei Prozessen resultiert:
Erstens entsteht professionelle Soziale Arbeit aus den Prozessen der
Modernisierung der Wirtschaft, der Industrialisierung. Diese Prozesse
führten zu einer Mobilisierung und Flexibilisierung der Menschen, zum
Beispiel in Form von Landflucht, die die Industriestädte explosionsartig
anwachsen ließ oder zur Auswanderung nach Übersee, meist in die USA
(vgl. Kunstreich 1997, S. 72). In diesem Zusammenhang, so können wir
ganz allgemein formulieren, entstand die professionelle, also säkulari-
sierte und in Berufsarbeit geleistete Soziale Arbeit. Soziale Arbeit kann
als Versuch bewertet werden, die durch gesellschaftliche, insbesondere
wirtschaftliche Modernisierung auseinander fallenden primären famili-
är-lebensweltlichen Bezüge durch materielle und ideelle Hilfeleistun-
gen zu kompensieren. So diagnostiziert auch Alice Salomon (1928, S.
137): „Die Menschen sind von der Scholle losgelöst. Sie müssen der Ar-
beit dorthin nachwandern, wo sie Gelegenheit zum Unterhalt finden. Die
Familie ist aufgerissen. Wie Flugsand, wie Blätter, die im Winde ver-
weht werden, treibt die Arbeit sie von Ort zu Ort“. Dies führe nicht nur
zu psycho-sozialen Entwurzelungserscheinungen, die „geistig-sittliche
Not“ (ebd.) mit sich brächten, auch „wirtschaftliche Not“ (ebd.), Armut
wird produziert. Denn: „Der wirtschaftliche Anhalt, den früher Familie
und Arbeitsverhältnis dem Einzelnen in Zeiten persönlicher Schwierig-
keiten boten, besteht oft nicht mehr“ (ebd.). Hier seien nun „allgemeine

103
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Maßnahmen der Wohlfahrtspflege“ (ebd.) notwendig, um die Lücke zu


schließen, wie man sagen könnte, zwischen individuellen Hilfe-Not-
wendigkeiten und familiär-lebensweltlichen Hilfe-Möglichkeiten.
Wir können aber auch sehen, dass nicht nur wirtschaftliche Notlagen
Soziale Arbeit nötig machen, sondern dass sämtliche Funktionssysteme
Probleme produzieren, die sie selbst nicht mehr bearbeiten können, die
sie in ihre Umwelt auslagern und die von der Sozialen Arbeit aufgegrif-
fen werden. Dabei wird deutlich, dass diese Probleme so unlösbar mit-
einander verknüpft sind, wie die menschlichen Bedürfnisse selbst und
daher die bereits mehrmals erwähnte Perspektive von Alice Salomon er-
fordern, nämlich an der „Einheit des Menschen“ anzusetzen. Peter
Fuchs und Dietrich Schneider (1995) meinen genau diese unlösbare
Verknüpfung der von der Sozialen Arbeit zu bearbeitenden Probleme,
wenn sie bezüglich des Funktionssystems Soziale Arbeit vom „Haupt-
mann-von-Köpenick-Syndrom“ funktionaler Differenzierung sprechen.
Denn bekanntlich kann die Figur von Carl Zuckmayer, der Hauptmann
von Köpenick, sich polizeilich nicht anmelden, weil sie keine Arbeit
hat, und Arbeit kann sie nur bekommen, wenn sie polizeilich gemeldet
ist. Mit anderen Worten, der Ausschluss (die Exklusion, zum Beispiel
aus der Wirtschaft in Form von Arbeitslosigkeit) aus einem System
führt zu weiteren Ausschlüssen, so dass die davon betroffenen Personen
mehr oder minder stark aus weiteren Teilen der Gesellschaft ausge-
schlossen werden: „Generalbeispiel ist hier, daß mangelnde Zahlungs-
möglichkeiten Chancen aktiver Inklusion in fast allen Inklusionsdomä-
nen [in fast allen Funktionssystemen; H.K.] mindern“ (ebd., S. 209f.).
Luhmann (1997, S. 630f.) formuliert diesen Effekt noch deutlicher,
wenn er schreibt: „Denn die faktische Ausschließung aus einem Funk-
tionssystem – keine Arbeit, kein Geldeinkommen, kein Ausweis, keine
stabilen Intimbeziehungen, kein Zugang zu Verträgen und zu gerichtli-
chem Rechtsschutz, keine Möglichkeit, politische Wahlkampagnen von
Karnevalveranstaltungen zu unterscheiden, Analphabetentum und me-
dizinische wie auch ernährungsmäßige Unterversorgung – beschränkt
das, was in anderen Systemen erreichbar ist und definiert mehr oder we-
niger große Teile der Bevölkerung, die häufig auch wohnmäßig sepa-
riert und damit unsichtbar gemacht werden“. Auf die Möglichkeit sol-
cher Exklusionslagen reagiert Soziale Arbeit; sie hat genau deshalb den
Menschen in allen seinen Bezügen und Dimensionen im Blick. Soziale
Arbeit versucht – gewissermaßen als Interdependenzunterbrecherin –

104
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT

zu verhindern, dass Menschen, die aus Funktionssystemen ausgeschlos-


sen sind, zugleich vom Ausschluss aus anderen Systemen bedroht wer-
den.
Zweitens resultiert die Entstehung der professionellen Sozialen Arbeit
aus den Prozessen der Erodierung religiöser und moralischer Beweg-
gründe und Möglichkeiten, effektiv und effizient soziale Hilfe zu leis-
ten. In der Mitte und zum Ende des 19. Jahrhunderts zeigte sich, dass
die Folgeprobleme der Modernisierung, insbesondere der Industrialisie-
rung nicht mehr erfolgreich bearbeitbar waren, durch klassische, vormo-
derne moralisch oder religiös geleitete Hilfetätigkeiten innerhalb von
Familien oder durch wenig institutionalisierte Ressourcenumverteilun-
gen zwischen verschiedenen Schichten der Gesellschaft. Zum einen be-
freite der Säkularisierungsprozess die Menschen zunehmend von den re-
ligiös-moralischen Motivationen, Hilfe zu leisten, und zum anderen
wurden – wie bereits erwähnt – die Familien durch Industrialisierung
und Urbanisierung mit neuen Anforderungen (zum Beispiel nach sozi-
aler Flexibilität und örtlicher Mobilität) konfrontiert, die schließlich
dazu führten, dass Familien nur noch äußerst beschränkt fähig waren, ih-
ren hilfebedürftigen Mitgliedern soziale, emotionale und materielle Hil-
fe zu gewähren.
Diese beiden Tendenzen zusammenfassend, können wir formulieren:
Die Soziale Arbeit ist ein Ergebnis der Ambivalenz, dass die gesell-
schaftliche Modernisierung nicht nur den gesellschaftlichen und indivi-
duellen Wohlstand oder die psycho-soziale Stabilität steigert, sondern
dass sie auch gegensätzliche Tendenzen wie Massenarmut und psycho-
soziale Probleme produziert.

II.2 Soziale Arbeit als Reaktion auf die


Ambivalenzen professioneller Spezialisierung

Meine These lautet: Soziale Arbeit wird dann tätig, wenn andere Pro-
fessionen nicht mehr oder noch nicht tätig werden können, wenn die
Spezialisierung, die Zergliederung menschlicher Probleme in jeweils
biologische, psychische oder soziale Dimensionen zu kurz greift, wenn
kein (moderner) Entweder /oder-, sondern ein (postmoderner) Sowohl-
Als-Auch-Blick gefordert ist. Soziale Arbeit tritt also offenbar dann auf
den Plan, wie Wilhelm Klüsche (1994, S. 81) schreibt, „wenn das Re-
pertoire der Experten anderer Fachrichtungen zur Problemlösung nicht

105
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

ausreicht oder die Schwierigkeiten der Klienten zu komplex, nicht ein-


deutig fassbar oder zu langwierig sind. Man greift auf Sozialarbeiter /
Sozialpädagogen zurück, um eine widersprüchliche, überfordernde,
eben konflikthafte Situation anzugehen“ (ebd.).
Die spezialisierten Professionen sind äußerst rational in der Bearbei-
tung jeweiliger Spezialprobleme, sie sind aber offenbar nicht in der La-
ge, kumulierte Probleme, Probleme, die aus der Wechselwirkung biolo-
gischer, psychischer und sozialer Bedingungen resultieren, adäquat zu
bearbeiten. Mit anderen Worten, spezialisierte Professionen produzie-
ren ein Zuordnungsproblem; sie exkludieren, wenn die Zuordnung zu
ihren speziellen Perspektiven nicht mehr möglich ist beziehungsweise
inkludieren erst gar nicht, wenn diese Zuordnung noch nicht möglich
ist. Genau dies ist ein Ansatzpunkt von Sozialer Arbeit; sie thematisiert
und bearbeitet Probleme, die die Einnahme einer generalistischen Dop-
pelperspektive, einer Perspektive der Ambivalenz erfordern. Dies könn-
te exemplarisch am Beispiel einer sozialarbeiterischen Methode, deut-
lich gemacht werden, und zwar anhand der Mediation.
Da ich die Mediation im 9. Kapitel ausführlich vorstelle, will ich ledig-
lich erwähnen, dass die Mediation unterschiedliche professionelle Per-
spektiven vereint. Denn gerade die Vermittlung in Konflikten verlangt
die Einnahme einer mehrseitigen, einer ambi- beziehungsweise polyva-
lenten Perspektive, die unterschiedliche professionelle Sprachen, Logi-
ken und Denkweisen kombiniert; um eine derartige Kombination zu
leisten, greift der spezialisierte juristische Blick, aber auch der speziali-
sierte psychologische Blick zu kurz, vielmehr sind hier besonders Di-
plom-SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen gefragt. Denn in der
Mediation sind eindeutig sachbezogene (zum Beispiel rechtliche, sozio-
ökonomische) Dimensionen von Konflikten mit den psycho-sozialen,
den emotionellen sowie den psycho- und beziehungsdynamischen Di-
mensionen von Konflikten zu koppeln. Was sozialarbeiterische Bera-
tung schlechthin auszeichnet, nämlich der doppelte Fokus auf die sozio-
ökonomischen, auf die sachlich sozial-strukturellen und auf die psycho-
sozialen Facetten des Lebens, kennzeichnet auch die Mediation (siehe
Übersicht 6).

106
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT

Übersicht 6

Dimensionen der Sozialarbeiterischen Beratung und Mediation


sozio-ökonomische Dimension psycho-soziale Dimension
sach- beziehungsweise beziehungs- und/ oder
informationsorientiert emotionsorientiert
Erweiterung kognitiver Kompetenzen Erweiterung sozialer, emotionaler
(Wissen) Kompetenzen
professionelle Kompetenzen/ professionelle Kompetenzen/
Grundlagen u.a.: Grundlagen u.a.:

Rechtskompetenz; Verwaltungs-/ Gesprächsführungskompetenz;


Management-/ Organisations-Kompe- Adressatenkompetenz;
tenz; sozialpolitische Kompetenz; Kontextkompetenz; Konfliktfähig-
Gemeinwesenkompetenz keit; Selbsterfahrung /Selbstreflexion

Zusammenfassend lässt sich sagen: Soziale Arbeit ist ein Ergebnis der
Ambivalenz, dass die klassischen Professionen mit ihrer Spezialisie-
rung zwar bestimmte, und zwar klar und eindeutig biologisch, psy-
chisch oder sozial beschreibbare Probleme effektiv und effizient bear-
beiten können, aber überall dort, wo die Einnahme einer mehrdeutigen,
einer Ambivalenzperspektive nötig ist, in der Regel versagen. Genau
hier ist Soziale Arbeit „als generalistisches Expertentum“ (Klüsche
1994, S. 86) gefragt.

III. AMBIVALENZ DER WISSENSCHAFT UND THEORIE SOZIALER ARBEIT

Was für eine Wissenschaft braucht nun eine professionelle Soziale Ar-
beit, die auf die Ambivalenz der Moderne reagiert und sich daher selbst
als ambivalente, mehrdeutige Profession zu erkennen gibt? Diese Frage
will ich schließlich aus einer postmodernen Perspektive beantworten.
Meine These ist, dass die Wissenschaft und Theorie der Sozialen Arbeit
ausgehend von der sozialarbeiterischen Praxis ebenfalls nur ambiva-
lent und mehrdeutig, nämlich transdisziplinär und zwischen Theorie
und Praxis stehend konstituiert sein kann.
In der Betrachtung der Theorie-Geschichte Sozialer Arbeit zeigt sich,
dass die wissenschaftlichen und theoretischen Versuche Sozialer Arbeit

107
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

bereits seit ihren Anfängen den modernen Postulaten nach Differenzie-


rung und Spezialisierung zuwiderliefen. Dies wird etwa von Silvia
Staub-Bernasconi (1995, S. 49ff.) am Beispiel der Sozialarbeiterin und
-wissenschaftlerin Jane Addams beschrieben. Moderne Wissenschaft
fordert die klare Trennung zwischen Theorie und Praxis; diese Tren-
nung ist in der Sozialen Arbeit nicht möglich. Und so hat in Jane Ad-
dams’ praktischer Arbeit und in ihren Schriften das „Schisma zwischen
Denken und Handeln, Theorie und Praxis, zwischen Philosophie, Ethik
und Politik“ (ebd., S. 50) nicht stattgefunden. In einer modernen wis-
senschaftlichen Orientierung, die Eindeutigkeit, Ausblendung der Am-
bivalenz anstrebt, war es jedoch nicht möglich, eine solche Orientierung
universitär zu etablieren: „Das, was hier eng zusammengehörte, näm-
lich Individuum und Gesellschaft, Gefühl, soziale Empathie und Ratio-
nalität, Wissenschaft, Wertbezug und Praxis auf allen sozialen Ebenen
einer Gesellschaft – kurz: Liebe, Macht und Erkenntnis – musste aus-
einandergerissen, isoliert, domestiziert und mithin unschädlich gemacht
werden“ (ebd., S. 36). Wie dies konkret in Chicago mit der Arbeit von
Jane Addams geschah, verdeutlicht Staub-Bernasconi (ebd., S. 36ff.) in
vier Schritten:
Erstens zeigt sie, dass an der Universität in Chicago patriarchalische
Machtstrukturen dazu führten, eine nach Geschlechtern differenzierte
sozialwissenschaftliche Ausbildung zu etablieren, es kam zu einer „ge-
schlechterhierarchischen Arbeitsteilung“ (ebd.), kurz: die Männer soll-
ten wissenschaftliche Theorie und die Frauen die praktische Arbeit ma-
chen. Zweitens wurde Jane Addams systemisch orientierte Sozialökolo-
gie vom biologistisch orientierten Konzept der Humanökologie der
Chicago-Soziologie verdrängt; denn jenes Konzept lag quer zu den In-
teressen der Machthaber, es erlaubte keine Legitimierung der kapitalis-
tischen und hierarchischen Differenzierung der Gesellschaft, während
dieses Konzept genau diese Ordnung zu legitimieren versuchte. Drittens
widersetzte sich Jane Addams Wissenschaftsverständnis der eindeuti-
gen Trennung von reiner und angewandter Theorie und Wissenschaft.
Ihre theoretischen Bemühungen dienten genauso einer Praxis, die wir
weiter oben mit Timm Kunstreich als pro-aktive Soziale Arbeit bezeich-
net haben. Viertens waren in Jane Addams Ansatz Werte und Theorien
miteinander verknüpft, wurde in diesem Konzept nicht differenziert
zwischen wertfreier Theorie, Werten und wertbezogener Praxis; viel-
mehr hatte auch das Theoretisieren Werte der sozialen Praxis im Blick,

108
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT

nämlich – mit Kunstreich (1997, S. 111) gesprochen: Aktivierung, So-


lidarisierung und Selbstregulation.
Wollte eine Theorie, eine wissenschaftliche Orientierung akademisch
anerkannt werden, dann musste sie allerdings die beschriebenen Ebenen
– etwa Theorie und Praxis, reine Theorie und angewandte Theorie so-
wie Werte und Theorien – trennen, voneinander separieren. „Durch alle
diese Separierungen entwickelten sich allmählich zwei Bereiche: Zwei
Typen von Wissen, zwei Typen von Theorien, zwei Typen von Wertho-
rizonten, zwei Typen von Praxis, zwei institutionelle Netzwerke und
zwei Sets von Kolleginnen und Kollegen. Soziale Arbeit wurde zur
weiblichen, Soziologie zur männlichen Profession“ (Staub-Bernasconi
1995, S. 39).
Wenn wir uns nun aber von den modernen Postulaten nach Ambivalenz-
freiheit, nach klarer Differenzierung und Trennung der Sphären verab-
schieden, dann ergeben sich völlig neuartige Perspektiven, dann kann
das, was die Soziale Arbeit als Wissenschaft auszeichnet, völlig neu be-
wertet werden. Und genau eine solche Orientierung erlaubt der Postmo-
dernismus, so Heinz Günter-Vester (1993, S. 31f.): „Anders als der Mo-
dernismus mit seiner Differenzierungsideologie, deren Auswüchse
Schubladendenken, Berührungsängste und Vernichtung des Fremd- und
Andersartigen sind, sieht der Postmodernismus in der Überschreitung
und Überlappung von Differenzen etwas Positives, Begrüßenswertes.
Der Modernismus hat einen Horror vor dem Eklektizismus, der Postmo-
dernismus erhebt die Durchmischung von Unterschiedlichem zum kre-
ativen Prinzip“.
Dieses postmoderne Prinzip der Durchmischung und Grenzüberschrei-
tung ist typisch für die Soziale Arbeit. Dies will ich im Folgenden am
Beispiel der Theorie/ Praxis-Differenz noch deutlicher zeigen; wobei
zunächst die (moderne) Grenze zwischen Theorie und Praxis (3.1) und
sodann die (postmoderne) Auflösung sowohl dieser Barriere als auch
der Grenze zwischen den einzelnen Disziplinen in der Sozialarbeitswis-
senschaft deutlich gemacht werden soll (3.2).

III.1 Theorie /Praxis-Differenz

Die Praxis/ Theorie-Unterscheidung wird durch die sozialstrukturelle


funktionale Differenzierung gesellschaftlich verfestigt. Aus soziologi-
scher Perspektive kann man nämlich sehen, dass (wissenschaftliche)

109
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Theorie und (professionelle) Praxis zwei operational verschiedenartig


sich ausdifferenzierenden Sozialsystemen zugerechnet werden können
(vgl. Stichweh 1992): die Theorie dem gesellschaftlichen Funktionssys-
tem Wissenschaft und die Praxis den davon differenzierten anderen
Funktionssystemen, etwa der Wirtschaft, der Politik, dem Recht, der Er-
ziehung, der Religion oder eben der Sozialen Arbeit. In dieser sozial-
strukturellen Differenzierung von Theorie und Praxis wird die Praxis
üblicherweise als professionelle Praxis, als Profession bewertet, die das
von der Wissenschaft durch Forschung und Theoriebildung bereitge-
stellte Wissen (lediglich) anwendet. Es wird also zwischen Wissen-
schafts- und Anwendungssystem unterschieden (vgl. Luhmann 1977).
In der soziologischen Betrachtung wird weiterhin deutlich, dass sich die
jeweiligen wissenschaftlichen von den jeweiligen professionell-prakti-
schen innersystemischen Orientierungsstrukturen und den darauf bezo-
genen Handlungs- und Kommunikationsprozessen grundsätzlich unter-
scheiden. „Man kann sagen: Wissenschaftssystem und Anwendungs-
system haben je eigene Relationen zwischen Struktur und Prozeß
ausdifferenziert“ (ebd., S. 323). Diese differenten Ausdifferenzierungs-
bewegungen von wissenschaftlichen und professionell-praktischen
Handlungs- und Kommunikationsprozessen werden beispielsweise zu
fassen versucht, indem man Wissenschaft als eine Kommunikations-
form begreift, die sich durch das Medium der „Wahrheit“ strukturiert,
während die professionelle Praxis ihre Kommunikationen an dem Prin-
zip der „Wirksamkeit“ ausrichtet (vgl. Merten 1997, S. 113).
Diese je eigenen kommunikativen Bezüge machen eine einfache Inter-
aktion zwischen Wissenschaft und Praxis unwahrscheinlich; es ist also
zu kurz gegriffen, sich vorzustellen, die Praxis wende die Theorien an,
die die Wissenschaft bereitstellt. Beide, Wissenschaft und Praxis, haben
je eigene, je spezifische und differente Selektionskriterien, die das Han-
deln und Kommunizieren leiten, so dass wissenschaftliche Theorien in
der Praxis (wenn überhaupt, dann nur) in einer von der Wissenschaft
nicht determinierbaren Weise verwendet werden. Systemtheoretisch
formuliert, Wissenschaft und Praxis gehören zwei miteinander zwar
strukturell gekoppelten, aber operational differenten Systemen an, die
ihre Umwelten nach jeweils anderen (eigenen) Kriterien beobachten
und dementsprechend die jeweiligen Umweltkomplexitäten anders (ei-
genständig) reduzieren.
Am anschaulichsten wird die Differenz zwischen Wissenschafts- und
Anwendungssystem freilich vor allem, wenn man die unterschiedlichen

110
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT

organisatorischen Mitgliedschaften, Rollen und Personen betrachtet, de-


nen wissenschaftliche beziehungsweise professionell-praktische Kom-
munikationen als Handlungen zugerechnet werden; die einen, die Wis-
senschaftler/ innen, arbeiten an den Hochschulen, die anderen, die pro-
fessionellen Praktiker/ innen, in den verschiedensten Organisationen
etwa der Sozialen Arbeit.
Speziell in der Sozialen Arbeit haben wir es allerdings mit einer ganz
besonderen organisatorischen Form innerhalb der wissenschaftssyste-
mischen Ausdifferenzierung zu tun, nämlich mit den Fachhochschulen.
Fachhochschulen sind aufgrund ihrer geschichtlichen Entwicklung und
ihres besonderen Auftrags, nämlich in erster Linie wissenschaftlich ge-
bildete Praktiker /innen und in zweiter Linie praktisch versierte Wissen-
schaftler /innen auszubilden, wissenschafts- und forschungspolitisch
explizit abgegrenzt von Universitäten oder anderen Hochschulen. Ob-
wohl Fachhochschulen wissenschaftliche Einrichtungen sind, lassen sie
sich m.E. dennoch nicht klar dem binären Schema Wissenschafts-/ An-
wendungssystem unterordnen. Denn sie nehmen gewissermaßen eine
ambivalente Zwischenstellung ein, eine Stellung zwischen Wissen-
schafts- und Anwendungssystem. Insbesondere die Sozialarbeit, die als
Diplomstudiengang, anders als alle anderen Studiengänge in der BRD,
lediglich an den Fachhochschulen vertreten ist, lässt sich als ein im
höchsten Maße ambivalentes Konstrukt betrachten (siehe folgende
Übersicht 7).

Übersicht 7

Theorie Praxis
Disziplin Profession
Wissenschaftssystem Anwendungssystem
„Wahrheit“ als Medium „Wirksamkeit“/ „Angemessenheit“
als Medium
Fachhochschulen als ambivalente Orte zwischen Theorie und Praxis

Diese ambivalente Zwischenstellung der Sozialen Arbeit in den Feldern


von Theorie und Praxis, die es ausgesprochen schwer macht, zwischen
sozialarbeiterischer Disziplin und Profession klar zu unterscheiden, die

111
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

mithin die jeweils orientierenden Selektionskriterien (siehe oben) von


Wissenschaft und Praxis geradezu ununterscheidbar werden lässt, bietet
einen fruchtbaren Boden, um erfolgreiche Theorie-Praxen und Praxis-
Theorien in der Sozialen Arbeit zu konstruieren.

III.2 Theorie / Praxis- und Disziplin-Überschreitung

Soziale Arbeit entzieht sich allen klaren Differenzierungen zwischen


Wissenschaft und Praxis; und dies in zweifacher Hinsicht: zum einen ist
es ihr bisher – zumindest in Deutschland – nicht vergönnt gewesen, in
den Reigen der klassischen modernen, an der Universität vertretenen
wissenschaftlichen Disziplinen aufgenommen zu werden, zum anderen
sprengt sie jegliche wissenschaftliche Disziplingrenzen, da sie nicht erst
aus modischen Erwägungen in den letzten Jahren, sondern seit ihrer
Ausdifferenzierung als Ausbildungsdisziplin Inter-, Multi- und Trans-
diziplinarität benötigt und postuliert (vgl. Kopperschmidt 1996). In die-
sem Sinne passt Soziale Arbeit nicht hinein in die klassischen, moder-
nen Schemata; vielmehr könnte man davon sprechen, dass Soziale Ar-
beit eine postmoderne Disziplin und Profession ist.
Soziale Arbeit ist nicht fassbar mit den hergebrachten, auf Identität und
Ordnung ausgerichteten Konzepten von Disziplin und Profession. Die
Heterogenität und Pluralität, die Ambivalenz des gesellschaftlichen
Einsatzes Sozialer Arbeit, die – wie wir gesehen haben – für die Bear-
beitung der Ambivalenzen der funktionalen Differenzierung und der
professionellen Spezialisierung zuständig ist, sprengt und überschreitet
jede human- und sozialwissenschaftliche professionelle und disziplinä-
re Grenze. Nicht nur professionell, sondern auch wissenschaftlich be-
zieht sich Soziale Arbeit daher auf die biologischen und psychischen
und sozialen Ebenen des Menschlichen und muss daher aus den unter-
schiedlichen Human- und Sozialwissenschaften Wissen integrieren
(siehe die folgende Übersicht 8).
Die Sozialarbeitswissenschaft muss jedoch bei der wissenschaftstheo-
retischen Begründung ihrer ambivalenten Stellung zwischen Theorie
und Praxis und zwischen den Disziplinen nicht bei Null anfangen, son-
dern könnte sich insbesondere an zwei Diskurse anschließen: an den
Diskurs der Transdiziplinarität postmoderner Wissenschaften und an
die Systemtheorie.

112
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT

III.2.1 Transdisziplinarität als postmodernes Wissenschaftspostulat

Hier sollen insbesondere die Ansätze zu transdisziplinären Konzepten


von Richard Münch (1995) und Wolfgang Welsch (1996) angeführt
werden. Beide Konzepte lassen sich besonders deutlich auf die Konsti-
tution der wissenschaftlichen Sozialen Arbeit übertragen. Mit Münch
(1995, insbesondere S. 145ff.) lässt sich das Sozialarbeitsstudium be-
sonders wegen seiner zweifachen Mittlerrolle – erstens – zwischen The-
orie und Praxis und – zweitens – zwischen den unterschiedlichen Diszi-
plinen als ein transdisziplinärer Studiengang beschreiben. Denn derar-
tige Studiengänge „widersprechen den ehrwürdigen Prinzipien der
Wissenschaften und der Praxis, weil sie zwischen ihnen liegen. Sie
scheinen der zwangsläufigen Ausdifferenzierung von immer neuen
Teildisziplinen und der beruflichen Spezialisierung entgegenzulaufen“
(ebd., S. 146). Dies sei allerdings nur die vordergründige Beobachtung,
denn hintergründig „handelt es sich um Studiengänge, die einerseits
eine Marktlücke schließen und so das Spektrum der Berufe um den neu-
en Beruf des Moderators erweitern und andererseits dem Wissen ein-
zelner wissenschaftlicher Disziplinen das langsam zu erarbeitende Wis-
sen über Möglichkeiten ihrer Verknüpfung hinzufügen“ (ebd.; Hervor-
hebung von mir; H.K.). Damit wird im Prinzip das zuvor spezifizierte
Aufgabenfeld der Sozialarbeitswissenschaft umschrieben, die es sich
zur Aufgabe machen könnte, ein neues, ein besonderes Spezialwissen
zu konstruieren, „dessen Spezifikum in der Verknüpfung von anderem
Spezialwissen besteht“ (ebd.).
Obwohl sich Münch freilich nicht eigens auf eine Sozialarbeitswissen-
schaft bezieht, wenn er von neuen transdisziplinären Studiengängen
spricht, die die Studiengänge der Zukunft sein könnten, dann fällt den-
noch ins Auge, dass seine grundsätzlichen Ausführungen präzis die Si-
tuation des sozialarbeiterischen Studiums an Fachhochschulen um-
schreiben; dazu zwei Beispiele – erstens: Auf der einen Seite ist ein we-
sentlicher Aspekt dieser Studiengänge eine besondere Qualität der
Studierenden, die nämlich bereits häufig über ausgewiesene Praxiser-
fahrungen verfügen oder neben dem Studium in der Praxis tätig sind
(vgl. ebd., S. 142ff.). Auf der anderen Seite sind die „Praxisanteile der-
neuen transdisziplinären Studiengänge [...] von elementarer Bedeutung
für deren Erfolg, weil nur auf diesem Wege das Berufsfeld erschlossen
und das dafür erforderliche praktische Wissen mitsamt der praktischen

113
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Übersicht 8

Dimensionen der Theorie Sozialer Arbeit

Biologisches Psychisches Soziales

Körperliche Psychische Soziale Bedürfnisse


Bedürfnisse Bedürfnisse
... und alle damit
... und alle damit ... und alle damit zusammen hängenden
zusammen hängenden zusammen hängenden Fragen der sozialen
Fragen der körperli- Fragen der psychi- Entwicklung und Ein-
chen (gesundheitli- schen und emotionalen bindung (Inklusion,
chen) Entwicklung Entwicklung Integration)

Medizin Psychologie Sozialwissenschaften/


Soziologie
Biologie Pädagogik (Erzie-
hungswissenschaft) Jurisprudenz
Ökologie
Psychiatrie Politologie
etc.
etc. Ökonomie
(Betriebs- und Volks-
wirtschaftslehre)

etc.

Philosophie / Ethik / Theologie / Wissenschaftstheorie


der Sozialen Arbeit / Hilfe

Transdisziplinarität der Sozialarbeitswissenschaft


... Verknüpfung des Spezialwissens aus den Bezugswissenschaften

Vermittlung zwischen dem Wissen verschiedener Disziplinen an die


Studierenden vermittelt werden kann“ (ebd., S. 147). Zweitens: Die
transdisziplinären Studiengänge bestehen aus „Anteilen von Lehrveran-
staltungen zu bestimmten Problemstellungen, zu denen mehrere Diszi-
plinen einen Beitrag leisten, Seminare mit Dozenten aus mehreren
Fachdisziplinen, die in der Lehre exemplarisch so zusammenarbeiten,

114
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT

wie es in der Praxis selbst erforderlich ist“ (ebd.). Die Koordination die-
ser interdisziplinären Forschung und Lehre (zum Beispiel im Projekt-
studium) hätte im Falle der Sozialarbeit die Sozialarbeitswissenschaft
zu leisten, die dafür sorgt, dass das interdisziplinär erarbeitete sozialar-
beiterische Wissen transdisziplinär reflektiert, verbunden und systema-
tisiert wird.
Dass eine derartige Mittlerrolle zwischen verschiedenen Disziplinen
durch die Sozialarbeitswissenschaft überhaupt gelingen kann und nicht
an der Inkommensurabilität (Unvergleichbarkeit) disziplinären Wissens
scheitert, lässt sich mit Welsch (1996, insbesondere S. 946ff.) verdeut-
lichen. Denn aus der postmodernen Perspektive, die sowohl die Diffe-
renz als auch die Einheit, sowohl die Independenz (Unabhängigkeit) als
auch die Interdependenz (Abhängigkeit) etwa von disziplinären wissen-
schaftlichen Rationalitäten plausibilisiert, wird erkennbar, dass „Diszi-
plinen [...] nicht durch einen ‚Kern‘ konstituiert [sind], sondern um netz-
artige Knoten [...]“ (ebd., S. 947). Besonders die Aufgabe einer Sozial-
arbeitswissenschaft läge nun darin, die „Stränge“ (ebd.) und die
„Verbindungslinien“ (ebd.) der relevanten Disziplinen auszuarbeiten
und zu verfolgen. Wenn dies gelänge dann wird man Sozialarbeitswis-
senschaft selbst nicht anders als transdisziplinär beschreiben können
(vgl. dazu auch Kopperschmidt 1996).
Welsch betont überdies, dass ein Übergang zur Transdisziplinarität
weitreichende wissenschaftspolitische Folgen hätte: „Forschungsinsti-
tutionen und Universitäten hätten das Feld des Wissens nicht mehr nach
territorialen Herrschaftsbereichen, Dominien, Disziplinen, Fächern zu
gliedern, sondern hätten Transdisziplinarität zum Strukturprinzip zu er-
heben. Die faktisch transdisziplinäre Verfassung der disziplinären Ge-
halte wäre von Anfang zur Geltung zu bringen“ (Welsch 1996, S. 947).
Diese transdisziplinäre Verfassung lässt sich bezüglich der Sozialen Ar-
beit bereits latent beobachten, sie muss sich nur noch sozial-kommuni-
kativ manifestieren – und zwar durch die institutionelle Verankerung
der Sozialarbeitswissenschaft als die Koordinationswissenschaft der in-
terdisziplinären Zugänge auf soziale Probleme, die die Interdisziplina-
rität erst zum transdisziplinären Verbindungswissen transformiert.

115
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

III.2.2 Systemtheorie als transdisziplinäres Basiskonzept

Schon früh hat sich die Soziale Arbeit an systemtheoretischen Konzep-


ten orientiert (siehe zu den Entwicklungslinien Hollstein-Brinkmann
1993). Wie keine andere wissenschaftstheoretische Orientierung erlaubt
die Systemtheorie offenbar etwas, was die Soziale Arbeit als Wissen-
schaft benötigt, nämlich einen Blick, der die Disziplingrenzen sprengt
und – mit Alice Salomon gesprochen – die „Einheit des Menschen“ in
den Fokus zu rücken. In der Sozialen Arbeit finden unterschiedliche sys-
temtheoretische Orientierungen ihre Anwendung (siehe Merten 2000;
Staub-Bernasconi 1995); ich beziehe mich hier auf die Theorie selbst-
referentieller Systeme von Niklas Luhmann (1984; 1997).
Wie andere Systemtheorien auch, erlaubt diese Theorie das, was die So-
zialarbeitswissenschaft benötigt, nämlich heterogene, aber zusammen
hängende Ebenen des Menschlichen, eben Organismus (biologisches
System), Psyche (psychisches System) und soziales System (Interakti-
on, Organisation, Funktionssystem, Gesellschaft), mit homogenen Be-
griffen zu beschreiben und bietet der Sozialarbeit damit ein Instrumen-
tarium an, das Verschiedenartiges transdisziplinär vergleichbar und
verbindbar darzustellen und zu systematisieren vermag. Da ich bereits
mehrfach an anderen Stellen versucht habe zu zeigen, wie die System-
theorie diesbezüglich einsetzbar ist (siehe etwa Kleve 1999; 2000, ins-
besondere S. 179ff.), soll hier der Begriffsapparat systemtheoretisch-
konstruktivistischen Denkens nicht noch einmal eigens expliziert wer-
den. Dennoch soll knapp die wissenschaftstheoretische Methode der
Systemtheorie vorgestellt werden, die es erlaubt, grundsätzlich Ver-
schiedenartiges nach einheitlichen, nämlich nach funktionalen Kriteri-
en zu betrachten: die funktionale Analyse.
Die Methode der funktionalen Analyse erlaubt es, verschiedenartige
Systeme unter dem Fokus der Funktionalität zu beobachten. Funktiona-
lität heißt in diesem Zusammenhang, dass ein System oder spezifische
Systemzustände von Organismen, Psychen und Sozialsystemen struk-
turelle Lösungen von funktionalen systemischen Anforderungen bezie-
hungsweise Problemen sind. Die Funktionalanalyse geht davon aus,
dass die strukturellen Lösungen von funktionalen Systemproblemen
selbst zum Problem werden können und dass es daher den Einsatz von
alternativen, von funktional äquivalenten strukturellen Lösungen be-
darf. Diesbezüglich wird Vorhandenes als kontingent, als auch anders

116
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT

möglich betrachtet und Verschiedenes als vergleichbar. Die Frage bei


einer funktionalen Systemanalyse bezieht sich darauf zu ermitteln, ers-
tens: auf welche Fragen reale Zustände eine Antwort, auf welche Pro-
bleme sie eine Lösung sind und zweitens: welche alternativen Antwor-
ten diese Fragen ebenfalls beantworten, beziehungsweise welche funk-
tional äquivalenten Lösungen bezüglich der funktionalen Probleme
ebenfalls möglich sind.
Obwohl die Funktionalanalyse eher professionell, mithin bei der prak-
tischen Lösung von sozialen Problemen hilfreich sein kann, eröffnet sie
insbesondere auch einer Wissenschaft den Blick auf das Gemeinsame
des Verschiedenen, „die sich nicht auf die akademischen Richtungs-
kämpfe beschränken [kann]“ (Mühlum/ Bartholomeyczik /Göpel 1997,
S. 241): nämlich der Sozialarbeitswissenschaft. Wenn diese Wissen-
schaft nun eine eigenständige Leistung vollbringen will, dann müsste
ihre „eigentliche Bedeutung“, so ist Albert Mühlum (ebd.) schließlich
zuzustimmen, statt „in der weiteren Differenzierung (als Einzelwissen-
schaft) [...] in ihrer Integrationsleistung liegen, ob als ‚Integrationswis-
senschaft‘, ‚transdisziplinäre Wissenschaft‘ oder ‚Querschnittswissen-
schaft‘ [...]“. Ich optiere für Soziale Arbeit als transdisziplinäre Wissen-
schaft, als Wissenschaft zwischen Theorie und Praxis und zwischen den
(Bezugs-)Disziplinen.

117
6. Sozialarbeit als postmoderne Profession
ohne eindeutige Identität
Eine Umdeutung, ihre Begründung und Auswirkung

AUSGANGSPUNKTE

„Überall, wo sich Sozialarbeiter treffen oder wo über Sozialarbeit ge-


schrieben wird“, so stellt Peter Lüssi (1992, S. 23) fest, „kommt auf die
eine oder andere Art die Identitätsproblematik des Berufes zur Spra-
che“. Womöglich gehört es bereits „zur beruflichen Identität des Sozi-
alarbeiters, ein Identitätsproblem zu haben [...]“ (ebd.).
Die Identität der Sozialarbeit versteht sich nicht von selbst, sie ist frag-
würdig, sie muss offenbar immer und immer wieder be- und verhandelt,
be- und ersprochen, be- und erschrieben werden. Die Liste der Konzep-
te, die auf diese Problematik reagieren und die die Soziale Arbeit aus
dem vermeintlichen Defizit ihrer Identitätsproblematik heraus helfen
wollen ist lang. Denn in der Geschichte der Sozialen Arbeit wurde be-
reits viel versucht, um das Identitätsproblem zu lösen. Soziale Arbeit
hat viel ausprobiert, um ihr berufliches Selbstverständnis eindeutiger
und sicherer zu machen. Sie hat andere Wissenschaften zu Rate gezo-
gen (etwa Pädagogik, Soziologie, Psychologie, Jurisprudenz), um aus-
gehend von deren theoretischen Konzepten und Reflexionen sich selbst
zu bestimmen, sie hat sich an diversen psychotherapeutischen Schulen
orientiert, um ihre Uneindeutigkeit in den Griff zu bekommen, um mehr
Klarheit und Selbstsicherheit zu gewinnen, und jüngst versucht sie sich
zu fundieren, schärfer zu konturieren mittels Ökonomisierung, also
durch den Einbezug insbesondere betriebswirtschaftlicher Konzepte,
die die Effektivität und Effizienz des sozialarbeiterischen Tuns nicht
nur steigern, sondern auch eindeutig messbar machen sollen (siehe aus-
führlich dazu 3. Kapitel).
Was ist nun aber von allen diesen Versuchen der sozialarbeiterischen
Identitätsfindung, ja der Identitätsfixierung und -festschreibung zu hal-
ten? Meine Antwort darauf ist ambivalent, denn sie lautet: zugleich sehr
viel und sehr wenig – sehr viel, wenn es darum geht, Soziale Arbeit mit
theoretischen Konzepten, neuen Methoden, mit bisher außergewöhnli-

118
SOZIALARBEIT ALS POSTMODERNE PROFESSION OHNE EINDEUTIGE IDENTITÄT

chen Reflexionen und vielversprechenden Verfahren hinsichtlich ihrer


Aufgaben flexibler und erfolgreicher zu machen; sehr wenig, wenn da-
mit das Identitätsproblem der Sozialen Arbeit gelöst werden soll. Denn
dieses Problem ist nicht lösbar, weil es gar keins ist.
Diese Aussage wird sicherlich überraschen. Verdeutlichen wir uns je-
doch, dass die infrage stehende Identität der Sozialarbeit in ihrer Unsi-
cherheit, Fragilität, Unschärfe lediglich ein Problem darstellt, wenn wir
von einem Identitätspostulat ausgehen, wenn wir eine Klarheit der eige-
nen Identität als notwendig und erstrebenswert erachten, dann wird die-
se Aussage meines Erachtens schon verständlicher. Und wir gehen in
der Regel von einem solchen Postulat aus. Wir glauben an die vermeint-
liche Notwendigkeit und das vermeintlich Erstrebenswerte einer klaren
Identität. Denn – so haben uns etwa die Philosophen Theodor W. Ador-
no (1966) und Gilles Deleuze (1968) veranschaulicht – wir ordnen im
Sinne der alteuropäischen Schulen der Metaphysik, zum Beispiel im
Sinne der Hegelschen Dialektik die Vielfalt, das Uneindeutige, das Wi-
dersprüchliche, das Nicht-Identische, das Differenzierte der Identität
unter. Identität soll Ausgangs- und Endpunkt unserer Selbst- und
Fremdbeschreibungen sein; es gilt, das unübersichtlich Differenzierte
auf übersichtliche Identitäten zu beziehen. Meine These ist jedoch, dass
wir damit einem überholten, der Sozialarbeit nicht angemessenen mo-
dernen Geistes- und Gemütszustand aufsitzen, obwohl wir – nicht nur
bezüglich der Sozialarbeit, sondern hinsichtlich unserer Gesellschaft
schlechthin – bereits einen postmodernen Gemüts- und Geisteszustand
brauchen.

I. VOM MODERNEN ZUM POSTMODERNEN


GEMÜTS- UND GEISTESZUSTAND

Der moderne Gemüts- und Geisteszustand mutet uns zu, ja überfordert


uns damit, überall Ordnung, Eindeutigkeit, überall Identität erzeugen, al-
les eindeutig identifizieren zu müssen, er hält es nicht aus, wenn etwas
sich unseren klaren, Übersichtlichkeit anstrebenden Identifizierungen
entzieht, wenn etwas aufgrund seiner Differenz und Pluralität nicht auf
den Punkt gebracht werden kann, wenn es widersprüchlich, mehrdeutig,
ambivalent ist und bleibt (vgl. Bauman 1991). Im Gegensatz dazu of-
fenbaren uns postmoderne Konzepte einen versöhnlicheren Umgang mit

119
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Differenz, mit dem Nicht-Identischen, mit Vielfalt, Unübersichtlichkeit


und Ambivalenz (vgl. exemplarisch Welsch 1987; Vester 1993).
Die Postmoderne als Gemüts- und Geisteszustand (vgl. Lyotard 1981)
akzeptiert die Differenziertheit unserer Welt in ihrer Vielfalt, sie strebt
nicht mehr nach Eindeutigkeit, nach Identität. Sie gibt dieses Bemühen
auf und stellt sich auf Unübersichtlichkeit ein, fragt vielmehr nach
brauchbaren, kreativen, konstruktiven Weisen im Umgang mit Vielfalt
und Unübersichtlichkeit. Genau einen solchen postmodernen Umgang
benötigt die Soziale Arbeit, einen Umgang mit ihrer Identitätsproble-
matik, der ihre offene, fragile, vielfältige, widersprüchliche, ambivalen-
te Identität akzeptiert, sich darauf einstellt. Die Postmoderne erlaubt es,
aus der modernen Not der sozialarbeiterischen Identitätsproblematik
eine postmoderne Tugend der sozialarbeiterischen Identität der Identi-
tätslosigkeit zu machen. Diese Umdeutung wird mit Hilfe der postmo-
dernen Wissenschaft begründbar (siehe Kleve 1999), die ihre Legiti-
mierung in der Paralogie (vgl. Lyotard 1979, S. 175ff.), im akzeptierten
und konstruktiven Umgang mit Widersprüchlichkeit, Unordnung, Cha-
os findet (vgl. dazu 4. Kapitel).
Mit der Postmoderne im Rücken unserer professionellen Selbstbestim-
mung konstruieren wir also eine paradoxe Identität, deren maßgebliche
Eigenschaft eben Identitätslosigkeit, mit Theodor Bardmann (1996, S.
16) gesprochen: Eigenschaftslosigkeit ist: „Eigenschaftslosigkeit ist die
hervorragende und maßgebliche Eigenschaft der praktischen Sozialar-
beit“. Ihre unreine Identität, ihre „‚Schmuddeligkeit‘ ist nicht ihr Ma-
kel, sondern ihr Markenzeichen, nicht ihr Defizit, sondern ihre Kompe-
tenz“, mehr noch: „Eigenschaftslos zu sein ist ihr Erfolgsrezept,
Schmuddeligkeit ihr Prinzip [...]“ (ebd.).

II. DER IDENTITÄTSSPRENGENDE GENERALISMUS SOZIALER ARBEIT

Die Sozialarbeit ist nicht eindeutig fassbar, nicht klar identifizierbar,


weil sie von vielen Widersprüchen durchwachsen (siehe Lüssi 1992,
24ff.), von Paradoxien des professionellen Handelns besonders stark
betroffen (siehe Schütze 1992), vielfältigen Ambivalenzen ausgesetzt
(siehe Mühlum u.a. 1997, S. 183ff.), ja aus erkenntnis-, wissenschafts-,
sozial- und praxistheoretischer Perspektive strukturell ambivalent (sie-
he Kleve 1999) ist. Diese Widersprüche, Paradoxien und strukturellen

120
SOZIALARBEIT ALS POSTMODERNE PROFESSION OHNE EINDEUTIGE IDENTITÄT

Ambivalenzen der Sozialen Arbeit hängen zusammen mit ihrem dop-


pelten Generalismus (vgl. 5. Kapitel). Demnach ist Sozialarbeit einer-
seits bezogen auf ihre gesellschaftliche Funktion (universell) generalis-
tisch beziehungsweise multi-funktional und andererseits ist sie fallbe-
zogen (spezialisiert) generalistisch.
Soziale Arbeit ist universell generalistisch, weil sie inzwischen gesell-
schaftsweit tätig ist, sich von der Geburt bis zum Tode allen Lebenspha-
sen der Menschen widmet, mittlerweile in allen Bevölkerungsgruppen,
Lebenswelten, Milieus etc. angetroffen werden kann, kurz: potentiell
keine Person von ihren Angeboten (mehr) ausschließt. Sozialarbeit ist
zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus der Ambivalenz der Moderne, aus
der „Dialektik der Aufklärung“ (Adorno/ Horkheimer) geboren. Denn
Modernisierung (etwa Rationalisierung, Spezialisierung, Bürokratisie-
rung, Verrechtlichung etc.) und Aufklärung (zum Beispiel Säkularisie-
rung, Individualisierung) sind janusköpfige Gestalten, deren Fortschrei-
ten bis in alle Gesellschaftsbereiche hinein beides produziert, ja poten-
ziert: Lösungen und Probleme, Reichtum und Armut, Wissen und
Unwissen, Chancen und Risiken. So expandiert mit der gesellschaftli-
chen Ausbreitung der Modernisierung ebenfalls die Soziale Arbeit, die
sich auf die überall in der Gesellschaft anzutreffenden Bereiche der di-
versen Probleme, der Armut, des Unwissen und der Risiken bezieht.
Sozialarbeit ist spezialisiert generalistisch, weil sie sich jeweils zwar
(zum Beispiel organisatorisch) auf bestimmte Arbeitsgebiete, auf spezi-
fische Handlungsfelder, AdressatInnen, Probleme etc. bezieht, sich auf
diese begrenzt, aber dabei einen – klassisch gesprochen: „ganzheitli-
chen“ Ansatz favorisiert. Demnach ist Soziale Arbeit von ihrer profes-
sionellen Grundauffassung, ja von der Legitimation ihrer Existenz bio-
psycho-sozial orientiert. Anders als andere Professionen, die von ihren
Selbstverständnissen her tendenziell eher Ausschnitte des Menschli-
chen, also nur das Biologische (MedizinerInnen), nur das Psychische
(PsychologInnen) oder nur das Soziale (zum Beispiel JuristInnen) bear-
beiten, bearbeitet Soziale Arbeit (fallbezogen) alle diese Bereiche zu-
gleich, ist sie keine Entweder/ Oder-, sondern eine Sowohl/Als Auch-
Profession. Diese professionelle Grundhaltung der Sozialarbeit erkann-
te bereits Alice Salomon (1928, S. 139f.), als sie betonte, dass es in der
Wohlfahrtspflege, ob diese nun wirtschaftliche, gesundheitliche, erzie-
herische /pädagogische, familiäre oder psychische Notstände bearbeitet
(bekämpft, lindert, verwaltet etc.), um die „Einheit des Menschen“ geht.

121
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Aufgrund ihrer spezialisiert-generalistischen Orientierung steht die So-


zialarbeit fast zwangsläufig zwischen vielen Stühlen, handelt sie sich
vielfältige Ambivalenzen ein, ist sie mit den widersprüchlichen System-
und Lebenswelten der Menschen konfrontiert. Genau daraus resultiert
ihre fragmentierte Identität, pointiert ausgedrückt: ihre Identität der
Identitätslosigkeit. Daraus erwachsen auch ihre sozialen Funktionen,
die man als vermittelnde, transversale Funktionen bezeichnen kann.

III. DIE POSTMODERNE WANDLUNGSFÄHIGKEIT SOZIALER ARBEIT

Wie uns die Soziologie lehrt ist die Gesellschaft in vielfältige Funkti-
onsbereiche differenziert (vgl. etwa Luhmann 1997), in denen unter-
schiedlichste professionelle Tätigkeiten ausgeführt und besondere Spe-
zialsprachen gesprochen werden, auf die sich die Menschen erfolgreich
beziehen müssen, wollen sie ihre physische und psychische Reproduk-
tion sichern. Unser Leben ist abhängiger denn je von funktionalen Sys-
temen, an denen wir ankoppeln müssen, deren Sprachen wir zwar nicht
sprechen, aber doch so verstehen sollten, dass wir die systemischen Er-
wartungen entschlüsseln können, die uns orientieren, wenn wir einer
Arbeit nachgehen oder eine solche suchen, wenn wir Rechtsansprüche
einlösen, Massenmedien gebrauchen, MedizinerInnen, PsychologInnen
oder JuristInnen aufsuchen, PädagogInnen unsere Kinder anvertrauen
etc.
Soziale Arbeit ist für ihre KlientInnen, die Schwierigkeiten beim Ver-
stehen dieser Spezialsprachen oder beim Realisieren der gesellschaft-
lich kommunizierten Erwartungen haben, eine Expertin, die dabei hilft,
die Spezialsprachen zu entschlüsseln und die systemischen Erwartun-
gen zu erfüllen. Dazu benötigt die Sozialarbeit eine offene Identität,
eine Identität der Identitätslosigkeit, eine collagenhafte, fragmentierte
Identitätsform, metaphorisch formuliert: die Fähigkeit, sich wie ein
Chamäleon der jeweiligen Umwelt, das heißt den unterschiedlichen
Spezialsprachen, Verständnissen, Sitten, Gebräuchen, Kulturen adä-
quat anzupassen.
SozialarbeiterInnen sind in dieser Hinsicht keine „Fachspezialisten“,
sondern „Kommunikationsvirtuosen“ (Münch 1995), deren Leistung in
der Transprofessionalität und Transdisziplinarität liegt, das heißt im
Überspringen von Professions- und Disziplingrenzen, sie sind professi-

122
SOZIALARBEIT ALS POSTMODERNE PROFESSION OHNE EINDEUTIGE IDENTITÄT

onelle Nomaden, Grenzgänger zwischen den vielfältigen Differenzen


unserer Gesellschaft. Mit dem Soziologen Richard Münch (1995, S.
146) könnte man sagen, dass die Sozialarbeit zur Gruppe jener neuen
Berufe gehört, welche der „zwangsläufigen Ausdifferenzierung von im-
mer neuen Teildisziplinen und der beruflichen Spezialisierung“ zumin-
dest teilweise entgegenläuft, zu den Berufen die „ein neues Spezialwis-
sen“, ein Spezialwissen zweiter Ordnung herstellen, „dessen Spezifikum
in der Verknüpfung von anderem Spezialwissen besteht“. Innerhalb der
bis zum Extrem gesteigerten gesellschaftlichen Differenzierung und
Spezialisierung ist Sozialarbeit daher unverzichtbar, weil sie sich in Lü-
cken und Spalten zwischen den Differenzen und Spezialisierungen ein-
nistet und damit für ihre KlientInnen Übergänge schafft, Brücken baut,
Fähren betreibt. Mit Peter Albers (2001) könnte man auch sagen, dass
Sozialarbeit so etwas ist „wie Gelenkschmiere, die den Karren am Lau-
fen hält“.
Die professionelle Form der (identitätslosen beziehungsweise identitäts-
offenen) Sozialarbeit ist ein Spiegel für deren gesellschaftliche Aufgabe
der Kommunikationsstiftung zwischen kommunikativ differenzierten,
verschiedensprachigen Räumen, Sphären, Perspektiven. Dies ist seit
dem Bestehen professioneller Sozialarbeit eine ihrer wesentlichen Leis-
tungen, die mittlerweile auch von anderen Professionen gefordert und
erwartet wird. Auch andere Professionen (zum Beispiel die Medizin)
sollen ihre Grenzen öffnen für neue Ansätze, alternative Behandlungs-
formen, „ganzheitlichere“ Methoden, Austausch mit anderen wissen-
schaftlichen Disziplinen, koordinierende, vermittelnde Aufgaben. Was
andere Professionen erst jetzt verstärkt versuchen, war allerdings immer
schon Kern der Sozialer Arbeit. „Damit wird die Sozialarbeit zur Trend-
setterin künftiger Professionsentwicklungen, weil Probleme, die andere
Professionen gerade erst zu sehen beginnen, der Sozialarbeit schon lan-
ge vertraut sind“ (Knoll 2000, S. 36).
Dies wird bereits am Beispiel des Studiums deutlich (siehe dazu auch 5.
Kapitel). Denn inzwischen wird von universitären Studiengängen etwas
gefordert, was das fachhochschulische Studium der Sozialarbeit seit je-
her prägt, nämlich zum einen die hybride, unreine, dialogische Stellung
zwischen Theorie und Praxis und zum anderen die nicht minder diffuse
und bestenfalls Dialoge eröffnende Platzierung zwischen unterschiedli-
chen wissenschaftlichen Disziplinen. So fordert etwa Münch (1995, S.
145ff.) die verstärkte Schaffung von transdisziplinären Studiengängen.

123
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

Mit Münch können wir davon ausgehen, dass Sozialarbeit zu solchen


transdisziplinären Studiengängen der Zukunft gehört, denn sie erfüllt
zwei Aspekte, die solche Studiengänge kennzeichnen: Erstens sind die
Studierenden solcher Studiengänge von besonderer Qualität, da sie häu-
fig bereits über ausgewiesene Praxiserfahrungen verfügen oder neben
dem Studium in der Praxis tätig sind. Die transdisziplinären Studien-
gänge bestehen – zweitens – aus „Anteilen von Lehrveranstaltungen zu
bestimmten Problemstellungen, zu denen mehrere Disziplinen einen
Beitrag leisten, Seminare mit Dozenten aus mehreren Fachdisziplinen,
die in der Lehre exemplarisch so zusammenarbeiten, wie es in der Pra-
xis selbst erforderlich ist“ (ebd.).
Die Soziale Arbeit ist also mit der Form ihrer Ausbildung bereits gut auf
dem Weg, wie man sagen könnte. Es kommt allerdings darauf an, eine
Sozialarbeitswissenschaft zu etablieren, die den weiteren Weg aus-
kundschaftet und bahnt, die den institutionellen Rahmen für die Dialoge
zwischen Theorie und Praxis sowie zwischen den Bezugswissenschaf-
ten organisiert, diese Dialoge moderiert, koordiniert, mediiert, supervi-
diert. Die Sozialarbeitswissenschaft als disziplinäre Entsprechung der
professionellen Identität der Identitätslosigkeit hätte schließlich auch
dazu beizutragen, dass die Sozialarbeit ihre Identität weiterhin offen
hält, dass sie endlich erkennt, worin die Stärke, die Kompetenz, der Er-
folg, die Zukunft der Sozialarbeit liegt: eben in ihrer Offenheit, Fragili-
tät, Collagenhaftigkeit, Ambivalenz. Also halten wir nicht weiterhin an
alten, überkommenen Forderungen fest, verabschieden wir endlich die
Identitätspostulate, akzeptieren wir unsere offene Identitätsform, unsere
Identitätslosigkeit und widmen uns den Aufgaben, die unsere KlientIn-
nen und die Gesellschaft uns stellen.

IV. POSTMODERNE SOZIALARBEIT – VORSCHLAG


FÜR EINE UMDEUTUNG

Wenn ich dafür plädiere, die Soziale Arbeit als postmoderne Profession
zu verstehen, dann geht es mir also um eine Umdeutung, um ein Refra-
ming, und zwar in der Hinsicht, dass das, was klassischerweise als Ma-
kel, als zu behebendes Defizit der Sozialen Arbeit betrachtet wird, eben
ihre Vielfältigkeit und Diffusität als funktionale Normalität bewertet
werden sollte. Mit anderen Worten: In der Schwäche, sich als Sozialar-

124
SOZIALARBEIT ALS POSTMODERNE PROFESSION OHNE EINDEUTIGE IDENTITÄT

beit nicht klar identifizieren zu können, liegt die Stärke, die eigentlich
Professionalität sozialarbeiterischer Praxis. Denn gerade die Mehr-
deutigkeit, die komplexe Vielschichtigkeit der Welt ist für moderne
Professionen ein Problem, ist etwas, das sie ausschließen wollen. Mo-
derne Professionen streben nach Eindeutigkeit, klar abgrenzbare, diffe-
renzierte Bezugsthemen, Handlungsbereiche und Aufgaben. Moderne
Professionen, zum Beispiel die Berufe des Arztes, des Psychologen und
des Rechtsanwalts, sind entstanden mit der Moderne, das heißt mit dem
Ordnen, Rationalisieren und Differenzieren der Welt. Moderne Profes-
sionen beziehen sich demnach auf bestimmte Ausschnitte des Mensch-
lichen, die Medizin bezieht sich auf das Körperlich-Biologische, die
Psychologie auf das Psychisch-Seelische, das Recht auf das gesetzte
Normativ-Soziale. Moderne Professionen sind klar und eindeutig spezi-
alisiert. Sie sind Ergebnis gesellschaftlicher Differenzierung, also Er-
gebnis von Arbeitsteilung und Spezialisierung. Moderne Professionen
waren und sind (noch) in der Lage, ein eindeutig von anderen Professi-
onen abgegrenztes Berufswissen und ein eindeutiges gesellschaftliches
Mandat zur Ausübung ihres Berufs zu erlangen. Dazu ist, wie ich ver-
sucht habe zu zeigen, die Sozialarbeit allerdings nicht in der Lage.
Deshalb sprechen ihr VertreterInnen einer modernen Professionstheorie
den Status einer eigenständigen und vollwertigen Profession ab (siehe
dazu etwa erneut Stichweh 2000) oder versuchen, auch in der Sozialar-
beit diese Eindeutigkeit zu finden (siehe dazu etwa Merten 1997). Ich
optiere weder für das Eine noch für das Andere. Ich plädiere vielmehr
dafür, bei der Bewertung der Sozialen Arbeit den Maßstab zu verändern
und nicht mehr von modernen, sondern von postmodernen Kriterien
auszugehen. Die moderne Professionstheorie ist für die Beschreibung
der Sozialen Arbeit nicht angemessen, denn Sozialarbeit ist keine Pro-
fession, die auch nur ansatzweise modernen Prinzipien von Rationalität,
Ordnung, Eindeutigkeit und Differenzierung gerecht wird; sie ist viel-
mehr eine strukturell ambivalente, eine mehrdeutige Profession, ja ihr
Markenzeichen ist die postmoderne Mehrdeutigkeit, die Identitätslosig-
keit.
Es ist meines Erachtens ein aussichtsloser Kampf, wenn die Soziale Ar-
beit angesichts ihrer, aus der Perspektive der klassischen Professionen
gesprochen: „semi-professionellen“ Eigenart versucht, professionelle
Eindeutigkeit, Identität und Ordnung zu erringen. Denn die uneindeuti-
ge Stellung der Sozialen Arbeit in und zwischen den Systemen der mo-

125
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

dernen Gesellschaft ist gerade das, was die Soziale Arbeit auszeichnet,
was ihre Spezifik, ihren postmodernen Professionskern ausmacht. Und
genau dies ist meine These, die ich noch einmal formulieren will: Sozial
Arbeit kann als postmoderne Profession bewertet werden, weil sie keine
andere Wahl hat, als sich der uneindeutigen Heterogenität, den vielfäl-
tigen Ambivalenzen in ihrem sozialstrukturellen und semantischen Feld
zu stellen und diese anzunehmen, mit ihnen zu leben. „Mit Ambivalenz
leben“ (Bauman 1991, S. 281), Widersprüchlichkeit, Mehrdeutigkeit,
Mehrwertigkeit anerkennen – das ist das Kriterium der Postmoderne,
wie mit Zygmunt Bauman gesagt werden kann.
„Mehrwertigkeit und Mehrdeutigkeit sind natürlich keine Erfindungen
des Postmodernismus, treten nicht erst in der Postmoderne auf. Aber die
Postmoderne hat ein anderes Verhältnis zu [...] Ambivalenz als die Mo-
derne“, wie der Soziologe Heinz-Günter Vester (1993, S. 44) formuliert.
Während die Moderne (noch) versuchte, Ambivalenzen, Widersprüche
und Paradoxien etwa durch die dialektische Methode, durch den dialek-
tischen Dreischritt, These, Antithese, Synthese, in einer abschließenden,
transzendenten, synthetischen Einheit stillzustellen, favorisiert die Post-
moderne eine Negative Dialektik ohne Synthese (vgl. grundsätzlich dazu
Adorno 1966), eben die Annahme der Thesen und Antithesen in ihrer
Gegensätzlichkeit. Negative Dialektik „tendiert nicht auf die Identität in
der Differenz jeglichen Gegenstandes von seinem Begriff;“, wie Theo-
dor W. Adorno (1966, S. 148) – gewissermaßen ein früher postmoderner
Philosoph – sagt, „eher beargwöhnt sie Identisches. Ihre Logik ist eine
des Zerfalls: der zugerüsteten und vergegenständlichten Gestalt der Be-
griffe“ (ebd., S. 148).
In diesem Sinne ist postmodernes Denken ein Differenzdenken (und kein
Identitätsdenken), welches das Differente als different, eben als nicht-
identisch akzeptiert. Während mit dem modernen Begründer der Dia-
lektik, nämlich mit Hegel, die Identität von Identität und Differenz be-
tont wird, betont der Postmodernismus, zum Beispiel in Form der Sys-
temtheorie, die Differenz von Identität und Differenz (vgl. Luhmann
1984, S. 26). Daher ist postmodernes „Differenzdenken immer auch Kri-
tik der Identitätsphilosophie“ (Kamper 1995, S. 21).
Warum die Sozialarbeit genau einer solchen postmodernen differenz-
theoretischen Auffassung bedarf, warum sie mit Ambivalenz leben
muss und es ihr mithin nicht gelingen kann, den eindeutigen Kriterien
der klassischen Professionen zu genügen, habe ich anhand der beiden
Generalismen versucht herauszustellen.

126
SOZIALARBEIT ALS POSTMODERNE PROFESSION OHNE EINDEUTIGE IDENTITÄT

Angesichts der besonderen professionellen Situation der Sozialen Ar-


beit, die sich durch die Identität der Identitätslosigkeit ausdrückt, kön-
nen wir die Sozialarbeit als eine besondere, als eine postmoderne Pro-
fession bewerten. Diese Bewertung deckt sich auch mit der Sichtweise
des soziologischen Professionstheoretikers Fritz Schütze (1992), der
ebenfalls nicht mehr versucht, die Soziale Arbeit mithilfe der modernen
Professionskriterien zu verorten. Schütze ist wohl derjenige Professi-
onstheoretiker der Sozialarbeit, der bisher am deutlichsten gesehen hat,
dass die Sozialarbeit eine Profession neuen Typs ist, eine „‘bescheide-
ne‘ Profession“, die den klassischen professionellen Kriterien nicht ge-
nügen kann, deren Professionalität allerdings gerade darin zum Aus-
druck kommt, mit strukturellen Widersprüchen, mit „Paradoxien des
professionellen Handelns“ (ebd., S. 146ff.) besonders stark konfrontiert
zu sein und mit diesen umzugehen, umgehen zu können. Diese Parado-
xien, die von Regine Gildemeister (1997, S. 69) als „systematische Pro-
blemstellen in der Interaktion Sozialarbeiter-Klient“ bezeichnet werden
und die „‚in der Natur der Sache‘ liegen, das heißt sich aus der Struktur
dieses [bestimmten professionellen; H.K.] Handelns herleiten“, lassen
sich in vielfältigen Beschreibungen und Typisierungen verdeutlichen
(vgl. ausführlich dazu auch Kleve 1999; 2000).
Allen diesen Typisierungen ist gemeinsam, dass sie als strukturelle so-
zialarbeiterische Ambivalenzen, als nicht zu überwindende sozialarbei-
terische Widersprüche angesehen werden können. Jede /r Sozialarbei-
ter /in muss in den alltäglichen professionellen, kommunikativen Voll-
zügen diese Ambivalenzen aushalten und akzeptieren, ja gerade dies
macht die Professionalität der Sozialen Arbeit aus.
Wie der Umgang mit Ambivalenzen produktiv und ‚gesund’ ist, wird
schon aus der psychodynamischen Perspektive ersichtlich. So bedeutet
für die Psychoanalytikerin Thea Bauriedl (1980, S. 32) psychische Ge-
sundheit, eine „Spannungstoleranz im Feld zwischen ambivalenten Po-
len“ entwickeln zu können, die das freie Bewegen zwischen wider-
sprüchlichen Polen ermöglicht und nicht gekennzeichnet ist durch die
„Abspaltung oder Verdrängung“ (ebd.) eines Pols, um sich so der
‚krankhaften‘ Situation einer scheinbaren Widerspruchsfreiheit, Ein-
deutigkeit oder logischen Klarheit des Lebens zu erfreuen – mit der für
Sozialarbeitern unmöglichen Konsequenz, nämlich intra- und intersub-
jektiven Konflikten permanent ausweichen zu müssen. Damit werden
unserem Denken und Handeln und der Professionalität der Sozialen Ar-

127
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN

beit allerdings große Leistungen abverlangt. Denn SozialarbeiterInnen


haben zu versuchen, wie mit Dietmar Kamper (1995, S. 28) formuliert
werden kann, „empfindlich zu werden für die Ambivalenzen [nicht nur;
H.K.] der Sprache und sich immer auf zwei Seiten des Problems zu-
gleich aufhalten zu können“.
Um eine solche ambivalenzreflexive Haltung einnehmen zu können,
hilft eine postmodernen Gemüts- und Geisteshaltung, die in einer er-
folgreichen Sozialen Arbeit wohl immer schon eingenommen und nur
nicht als solche benannt wurde.

128
3. Teil:
Systemtheoretisch-
konstruktivistische und
postmoderne Anwendungen
7. Zwei Logiken des Helfens
Ambivalenz- und systemtheoretische Betrachtungen

AUSGANGSPUNKTE

Derzeit befindet sich die Berliner Jugendhilfe – sowohl die öffentlichen


als auch die freien Träger – in einer Verunsicherungsphase, ja in einer
Krise. Diese Krise ist vor allem finanzpolitisch verursacht: Der Stadt ist
– aus den unterschiedlichsten Gründen – das Geld ausgegangen. Überall
soll und muss gespart werden, freilich auch (manchmal kann man den
Eindruck haben: vorrangig) in der Sozialen Arbeit mit Kindern, Jugend-
lichen und Familien. Parallel zu diesen Sparaufforderungen, zu diesen
wirtschaftlichen Notwendigkeiten, die Berliner Jugendhilfe „umzusteu-
ern“, wird seit geraumer Zeit ebenfalls von neuen fachlichen Konzepten
gesprochen, die Einsparungen erlauben, ohne jedoch die sozialpädago-
gische Fachlichkeit zu unterlaufen beziehungsweise zu reduzieren – im
Gegenteil: Durch solche Konzepte wie Sozialraumorientierung (Merten
2002) oder Case Management (Wendt 1997, Neuffer 2002, Kleve u.a.
2003) soll nicht nur die sozialpädagogische Effizienz (Wirtschaftlich-
keit: Verhältnis von Aufwand und Nutzen), sondern auch die Effektivi-
tät Sozialer Arbeit (Zielwirksamkeit: Verhältnis von Zielen und Ergeb-
nissen) erhöht werden.
Die Idee, die sowohl in der Sozialraumorientierung als auch im Case
Management Effizienz- und Effektivitätssteigerungen verspricht, ist
eine neue Fachlichkeit, eine neue Philosophie des Helfens. Abgesehen
von veränderten Finanzierungsbedingungen, die zum Beispiel darin be-
stehen, die marktwirtschaftlich orientierten und wirkenden Fachleis-
tungsstundensätze durch Sozialraumbudgets zu ersetzen, geht diese
neue Philosophie des Helfens davon aus, dass professionelle Hilfen
nicht das alleinige Mittel sein können und sein sollen, um Kinder, Ju-
gendliche und Familien zu unterstützen. Vielmehr wird eine Flexibili-
sierung der Hilfen postuliert, eine Kreativität gefordert, die professio-
nelle Helferinnen und Helfer dazu ermahnt, stärker als zuvor die sozia-
len Ressourcen des Gemeinwesens, das heißt des Sozialraumes zu
nutzen sowie die persönlichen und sozialen Ressourcen der Klientinnen
und Klienten zu aktivieren und zu fördern.

131
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

Genau genommen ist diese Ressourcenorientierung nicht neu, vielmehr


wird mit ihr das in Deutschland auch gesetzlich verankerte Prinzip der
Subsidiarität eingefordert, das darin besteht, dass das, „was einzelne,
kleinere Institutionen (wie zum Beispiel die Familie), Gruppen (zum
Beispiel Verbände) oder Körperschaften (zum Beispiel Gemeinden,
Länder, Kirchen) aus eigener Kraft tun können, [...] ihnen nicht von ei-
ner jeweils übergeordneten Instanz oder dem Staat durch Macht entzo-
gen werden [darf], damit die Kompetenz des jeweils personennäheren
Lebenskreises erhalten bleibt“ (Schmitz-Elsen 1993, S. 939). Denn das
heißt auf der anderen Seite, dass die kleineren Einheiten, zum Beispiel
die Familien, die Nachbarschaften, ja die Bürgerinnen und Bürger,
selbst aktiv werden können und müssen, um ihre Belange zu klären, ihre
Probleme zu lösen, bevor sie professionelle Instanzen beauftragen, dies
zu tun. Daher wird mit dem Subsidiaritätsprinzip „die Verantwortung
der jeweils personennäheren Instanz angesprochen, Aufgaben, die von
ihr selbst bewältigt werden können, aufzugreifen und nicht deren Erle-
digung der übergeordneten Instanz zu überlassen“ (ebd.).
Konzepte der Sozialraumorientierung und des Case Management sollen
versuchen, die Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips auf der Ebene des
Einflusses professioneller sozialpädagogischer Hilfen zu managen, sie
sollen Individuen, Eltern und Familien dabei unterstützen herauszufin-
den, erstens, was sie selber tun, wie sie selber aktiv werden können, um
sich bei Problemen erfolgreich zu helfen und, zweitens, wo die Grenzen
der Selbstaktivität liegen, wann und wie also professionelle Leistungen
notwendig und angemessen sind.
Die Vermutung, die gehegt wird, besteht freilich darin, dass es einen
unausgeschöpften Puffer von sozialräumlichen sowie persönlichen und
lebensweltlichen Ressourcen der Klientinnen und Klienten gibt, der von
professionellen Fachkräften (zum Beispiel von Case Managerinnen und
Case Managern) jeweils aufgespürt und wirksam aktiviert werden kann,
damit sozialpädagogische Hilfen effizienter (kostengünstiger) und ef-
fektiver (zielwirksamer) werden können (bezogen auf die Sozialpäda-
gogische Familienhilfe dazu Kleve 2000a). Diese neue beziehungswei-
se das Subsidiaritätsprinzip sehr ernst nehmende Form sozialpädagogi-
scher Arbeit verspricht langfristig nicht nur Spareffekte, sondern auch
eine Aufwertung und einen Ausbau des sogenannten bürgerschaftlichen
Engagements und schließlich die Weiterentwicklung der Fachlichkeit
beziehungsweise Professionalität der Sozialen Arbeit (und nicht deren
Abbau).

132
ZWEI LOGIKEN DES HELFENS

Neben den beiden genannten Konzepten Sozialraumorientierung und


Case Management, die dazu dienen sollen, die Selbstaktivität der Bür-
gerinnen und Bürger bei der Lösung ihrer Probleme zu fördern, lassen
sich freilich viele weitere methodische Orientierungen der Sozialen Ar-
beit nennen, die eine derartige Zielrichtung eingeschlagen haben. Eine
solche Orientierung ist sicherlich auch die systemische Perspektive in
der Sozialen Arbeit (zum Beispiel Pfeifer-Schaupp 2002). Ein Beispiel
für eine systemische Initiative, um die Selbstaktivität von Familien
durch Soziale Arbeit erfolgreich zu fördern, soll im Folgenden etwas
näher dargestellt werden, und zwar das Projekt-Triangel, das der Di-
plom-Psychologe und systemische Familientherapeut Michael Biene
im Rahmen des Kinder- und Jugendhilfezentrums Girlitzweg in Berlin
aufgebaut hat. Allerdings will ich hier nicht die konkreten methodi-
schen Prinzipien und Verfahrensweisen erläutern (kurz und knapp dazu
Biene 2003). Mir geht es vielmehr um zwei ausdrücklich theoretische
Fragestellungen – erstens: wie das, was das Triangel-Projekt anbietet
und realisiert, wissenschaftlich beschrieben werden kann und zweitens:
wie wissenschaftlich erklärt werden kann, was dieses Projekt durch sei-
ne Arbeit erreicht.
Ich setze in diesem Beitrag nicht vorrangig methodisch, sondern theo-
retisch an, weil ich denke, dass das, was in diesem Jugendhilfeprojekt
realisiert wird, eine Herausforderung für die sozialarbeiterische Theorie
darstellt. Wenn die Theorie diese Herausforderung ernst nimmt, auf-
greift und befriedigende Beschreibungen und Erklärungen konstruiert,
die hinreichend abstrakt, also verallgemeinerungsfähig sind, besteht
nicht nur die Möglichkeit des Erkenntnisgewinns; vielmehr kann die
Theorie dann vielleicht auch Projekte stimulieren, die das beherzigen,
was sie beschreibt und erklärt, was sie der Praxis nahe legt. Dennoch ist
eine solche Theoriearbeit nicht mehr und nicht weniger als ein hypothe-
sengenerierendes Unterfangen, es wird also nicht versucht oder behaup-
tet, die Wahrheit, die Objektivität zu finden. Der Anspruch besteht –
ganz bescheiden – lediglich darin, brauchbare Beschreibungen und Er-
klärungen zu liefern, die das einzufangen vermögen, was in der erfolg-
reichen Praxis des Triangel-Projektes geleistet wird und die mithin für
eine komplexe Praxis ausreichend komplex sind.
Aber was wird durch die Arbeit von Triangel überhaupt geleistet? Was
kann theoretisch beschrieben werden, wenn wir dieses Projekt beobach-
ten? Meine These ist, dass die Arbeitsergebnisse von Triangel zwei un-

133
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

terschiedliche, ja gegensätzliche Logiken des Helfens in den Blick brin-


gen. Triangel zeigt uns, dass die Praxis die Wahl hat und sich entschei-
den kann, wie sie helfen will, und zwar entweder im Sinne einer
(ineffizienten und ineffektiven) selbstkonstruktiven Logik oder im Sinne
einer (sehr effizienten und sehr effektiven) selbstdekonstruktiven Logik,
die die Logik von Triangel-Hilfen ist.
Diese beiden gegensätzlichen Hilfelogiken sollen im Folgenden sowohl
beschrieben als auch erklärt werden, und zwar jeweils aus zwei theore-
tischen Perspektiven, zum einen aus der Perspektive einer Ambivalenz-
theorie des Helfens (Kleve 1999) und zum anderen aus der Perspektive
der sozialwissenschaftlichen Systemtheorie der Bielefelder Schule, ins-
besondere der Theorie autopietischer Systeme (vor allem Luhmann
1984; 1997).

I. SELBSTKONSTRUKTIVE LOGIK DES HELFENS – EIN


BESCHREIBUNGS- UND ERKLÄRUNGSVERSUCH

Die selbstkonstruktive Logik des Helfens führt vor allem zu zwei Er-
gebnissen, nämlich erstens zu langen, ja möglicherweise sogar zu end-
losen Hilfen und zweitens zu Hilfemustern, die die Klientinnen und Kli-
enten vom Hilfesystem abhängig und unselbstständig machen. Die Hil-
fe ist selbstkonstruktiv in dem Sinne, dass sie aufgrund ihrer eigenen
Dynamik permanent Hilfe beziehungsweise Hilfenotwendigkeiten her-
vorbringt, sie ist selbstkonstruktiv, weil sie Hilfemuster erzeugt, die im-
mer erneut Hilfe und kein Hilfeende konstruieren. Diese, wie wir sicher
schnell zugeben werden, problematische Logik des Helfens kann mit
zwei theoretischen Ansätzen etwas näher erklärt werden, und zwar zu-
nächst mit der Ambivalenztheorie des Helfens und sodann mit der The-
orie autopoietischer Systeme.

I.1 Ambivalenztheorie des Helfens

Nach dieser Theorie geht jede Hilfe mit der Gefahr von nicht intendier-
ten, nicht gewollten Effekten einher (Kleve 1999, S. 270ff.). Diese Ge-
fahr besteht darin, dass jede Hilfe dazu führen kann, dass gerade nicht
geholfen, sondern Unselbstständigkeit und Inaktivität der Klienten her-
ausgefordert wird, dass die Klienten vom Hilfesystem abhängig wer-

134
ZWEI LOGIKEN DES HELFENS

den. Wie kann diese Gefahr erklärt werden? Sie kann damit erklärt wer-
den, dass jede helfende Interaktion zu einer Rollenasymmetrie, einer
Rollenungleichheit, einem Rollengefälle von Helfern und Hilfsbedürf-
tigen führt. Indem eine Person einer anderen, eben hilfsbedürftigen Per-
son, hilft, wird quasi automatisch der einen Person, der hilfsbedürftigen,
ein Defizit unterstellt, das die andere, helfende Person, zu beheben ver-
sucht.
Wenn eine solche Interaktion in einem professionellen Setting ge-
schieht, in dem von vornherein reziprokes, also gegenseitiges Helfen
eher ausgeschlossen ist, wie bei professionellen (in Berufsarbeit geleis-
teten) Hilfen, und sich solche einseitig gerichteten helfenden Interakti-
onen über einen längeren Zeitraum wiederholen, dann wird die erwähnte
Rollenasymmetrie festgeschrieben. Es bilden sich Strukturlogiken,
Muster aus, die dazu führen, dass die Beteiligten in ihren jeweiligen Rol-
len verharren und sich gegenseitig entweder die Hilflosigkeit bezie-
hungsweise die Möglichkeit zu helfen unterstellen und bestätigen. Diese
Form der Rollenausdifferenzierung und ihre spezifische Systemrationa-
lität innerhalb professioneller Hilfesysteme wird durch die Betrachtung
des zweiten theoretischen Ansatzes noch deutlicher.

I.2 Theorie autopoietischer Systeme

Nach dieser Theorie, die auf Niklas Luhmann (1984; 1997) zurückgeht
und zuerst von Dirk Baecker (1994; 1997) auf die soziale Hilfe ange-
wandt wurde, ist professionelles Helfen eine spezifische Kommunikati-
on in der modernen Gesellschaft, die sich zu einem eigenen Funktions-
system der sozialen Hilfe ausdifferenziert hat. Genauso wie Wirtschaft,
Politik, Wissenschaft, Kunst oder Religion bildet das professionelle
Helfen einen speziellen gesellschaftlichen Funktionsbereich mit eige-
nen Gesetzmäßigkeiten und Logiken aus. Genauso wie die anderen
Funktionssysteme der Gesellschaft ist das System der sozialen Hilfe ein
autopoietisches System, ein System, das sich durch seine eigenen Ope-
rationen, im Fall der sozialen Hilfe durch das Helfen, permanent selbst
reproduzieren und erhalten muss. Denn Autopoiesis heißt, dass ein Sys-
tem seine Systemhaftigkeit, seine „Existenz“ (das heißt seine Differenz
zur Umwelt) dadurch aufrechterhält, dass es Operationen (zum Beispiel
Helfen, helfende Kommunikationen) produziert, die weitere Operatio-
nen des selben Typs herausfordern und schaffen.

135
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

Das Hilfesystem der Sozialen Arbeit wird also dadurch angetrieben und
erhält sich dadurch als System, dass es permanent Hilfe, helfende Kom-
munikationen produziert. Man kann daher das System der sozialen Hil-
fe auch als eine rückgekoppelte Maschine beschreiben, die zugleich
Hilfe und damit Hilfsbedürftigkeit produziert sowie Hilfsbedürftigkeit
und Hilfe voraussetzt, damit sie laufen kann. Denn nur wenn das Sys-
tem helfen, helfende Kommunikationen produzieren kann, kontinuiert
es seinen systemischen Kommunikationszusammenhang. Und helfende
Kommunikationen können nur produziert werden, wenn das System der
sozialen Hilfe die Rollen Helfer und Klient ausdifferenziert. Dazu muss
es freilich Personen Probleme zuschreiben, und zwar Probleme, die so
beschaffen sind, dass sie durch Hilfe als potentiell lösbar erscheinen.
Oder es muss Personen die Möglichkeit bieten, sich selbst oder anderen
Probleme zuzuschreiben, die dann ebenfalls als durch die Hilfe des Hil-
fesystems lösbar erscheinen. Denn erst die Beobachtung von Proble-
men, die von der Hilfe gelöst werden können, von Defiziten, die durch
die Hilfe behoben werden können, legitimiert das professionelle Hel-
fen.
Nach der Systemtheorie ist diese Autopoiesis des Helfens dem sozialen
Funktionssystem der sozialen Hilfe strukturell eingeschrieben und darf
nicht verwechselt werden mit den psychischen, den subjektiven Intenti-
onen, den persönlichen Absichten der professionellen Helferinnen und
Helfer. Die strukturelle Logik der Autopoiesis des Helfens vollzieht
sich sozusagen hinter dem Rücken der helfenden Akteure. Daher wer-
den also nicht die Helferinnen und Helfer, die menschlichen Akteure
verdächtigt, wenn ich jetzt in Anlehnung an Dirk Baecker (1994, S. 93,
ausführlicher dazu auch Kleve 1999, S. 199ff.) drei Verdachtsmomente
nenne, denen ein solches Helfen grundsätzlich unterliegt; vielmehr pro-
blematisiere ich die autopoietische, sich unabhängig von den Helfern
vollziehende Strukturlogik, die zum Motivverdacht, zum Stigmatisie-
rungsverdacht und zum Effizienzverdacht des Helfens führt.
Mit dem ersten Verdacht, dem Motivverdacht, geht die Skepsis einher,
ob die Hilfe wirklich denjenigen hilft, denen sie Hilfsbedürftigkeit at-
testiert, oder ob sie nicht eher der Selbsterhaltung des Hilfesystems und
dessen Organisationen dienlich ist, wie dies die Autopoiesis des Hel-
fens nahe legt. Vor allem wenn die Bezahlung der Hilfeleistung am
Faktor Zeit, wie zum Beispiel bei der marktwirtschaftlich orientierten
Finanzierung über Fachleistungsstundensätze, gekoppelt ist und nicht

136
ZWEI LOGIKEN DES HELFENS

am Erfolg, wird augenscheinlich, dass Organisationen der sozialen Hil-


fe nicht unbedingt das Ziel haben, Hilfen zu beenden, sondern sie wei-
terzuführen – zumindest dann, wenn keine neuen Personen in Aussicht
sind, denen Hilfe angeboten werden kann, die als Klientinnen und Kli-
enten Hilfe begehren. Denn nur die Weiterführung der Hilfe sichert den
Geldfluss, der nötig ist, um die Organisation zu erhalten.
Das professionelle Helfen unterliegt zweitens dem Stigmatisierungsver-
dacht, weil solches Helfen zuallererst erfordert, dass Personen zu Kli-
entinnen und Klienten werden, denen bestimmte Probleme zugeschrie-
ben, die mit Problemmarken versehen werden. Um diese markierten
Probleme generieren sich dann Systeme, die psychische Aufmerksam-
keiten und soziale Kommunikationen stimulieren, um diese Probleme
zu diagnostizieren, zu definieren, zu differenzieren, zu klassifizieren, zu
systematisieren, kurz: festzuschreiben, um dann zu versuchen, sie zu lö-
sen. Die Frage wäre, ob nicht die Problemmarkierung die Probleme erst
zu dem macht, was sie dann für die helfenden Fachkräfte und die Hilfs-
bedürftigen sind und ob damit die Problemlösung schwieriger, ja aus-
sichtsloser wird, als vor der Markierung.
Drittens unterliegt Helfen einem Effizienzverdacht, der zu der Frage
führt, ob Hilfe uneffizient ist, weil sie die Potentiale der Selbsthilfe eher
verdeckt als hervorholt. Der Effizienzverdacht verweist damit auf die
bereits erläuterte Ambivalenztheorie des Helfens, dass Helfen auch zur
Abhängigkeit von den Helfern, zur Unselbstständigkeit der Klienten
führen kann, statt zur Selbsthilfe und Emanzipation.
An diesem Punkt möchte ich die Beschreibung und Erklärung der selbst-
konstruktiven Logik des Helfens beenden. Ich hoffe, es ist deutlich ge-
worden, welche problematische Logik das Helfen in sich birgt. Und
wenn wir der Systemtheorie vertrauen, dann können wir sogar davon
ausgehen, dass diese Logik alltäglich ist, dass sie sich permanent hinter
dem Rücken der helfenden Akteure, der Sozialarbeiterinnen und Sozi-
alarbeiter, Erzieherinnen und Erzieher, Psychologinnen und Psycholo-
gen, so wie beschrieben abspielt. Aber wo und wie ist eine andere Logik
des Helfens möglich? Um diese Fragen zu beantworten, brauchen wir
nur unseren Blick auf die Ergebnisse und die Praxis des Projekts Trian-
gel richten. Diese Ergebnisse und diese Praxis veranschaulichen meines
Erachtens eine Logik des Helfens, die ich als selbstdekonstruktive Logik
bezeichnen und im Folgenden theoretisch, also (hoffentlich) hinrei-
chend abstrakt, um verallgemeinerbar zu sein, beschreiben und erklären
möchte.

137
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

II. SELBSTDEKONSTRUKTIVE LOGIK DES HELFENS – EIN


BESCHREIBUNGS- UND ERKLÄRUNGSVERSUCH

Die selbstdekonstruktive Logik des Helfens führt zu Hilfemustern, die


die Dekonstruktion, die das Ende der Hilfen zum Ziel haben, indem sie
Klientinnen und Klienten die Chance geben, unabhängig zu werden von
der Hilfe oder während der Hilfe selbst aktiv zu werden und damit die
Rollenasymmetrie so zu verändern, dass sie aufgrund ihrer gewonnenen
oder gestärkten Kompetenz selber anfangen, anderen zu helfen. Meine
Vermutung ist, wie gesagt, dass diese selbstdekonstruktive Hilfe, jene
ist, welche das Projekt Triangel vorführt. Denn, so meint Michael Biene
(2003, S. 4), „der Zustand in dem KlientInnen im Jugendamt, Sozial-
dienst oder bei anderen Hilfeeinrichtungen erscheinen, [ist] nicht in ers-
ter Linie Ausdruck ihrer Persönlichkeit oder ihrer Familiendynamik,
sondern Ausdruck der ihnen bekannten oder von ihnen erwarteten Rolle
im Hilfeprozess“. Wenn das Hilfesystem Klientenrollen erwartet, die
mit Hilflosigkeit einhergehen, die vor allem der Fremdhilfe bedürfen,
dann zeigen sich die Klienten entsprechend. Daher kann die Hilfe selbst-
dekonstruktiv werden, wenn versucht wird, „aus den Beziehungsmus-
tern zwischen Helfenden und KlientInnen, die eine wirkliche Hilfe er-
schweren oder verunmöglichen, ‚auszusteigen‘“ (ebd.), so dass die Kli-
entinnen und Klienten aktiv werden und Verantwortung übernehmen
können.
Um dieses, wie ich sage: selbstdekonstruktive Verständnis von profes-
sioneller Hilfe theoretisch zu beschreiben und zu erklären, bietet es sich
wieder an, zunächst von der Ambivalenztheorie und sodann von der so-
ziologischen Theorie autopoietischer Systeme auszugehen.

II.1 Ambivalenztheorie des Helfens

Auch diese Form des Helfens ist ein ambivalentes Unterfangen. Wäh-
rend die selbstkonstruktive Hilfe-Logik ambivalent ist, weil sie potenti-
ell dazu tendiert, statt Hilfe Abhängigkeit und Unselbstständigkeit zu
erzeugen, scheint der selbstdekonstruktiven Hilfe-Logik die Reflexion
dieser Gefahr eingeschrieben zu sein. Denn sie markiert von den ersten
Momenten ihres Anlaufens eine andere Ambivalenz, und zwar die, dass
professionelle Hilfe nur anläuft, um sobald wie möglich wieder beendet
zu werden, weil sie in Selbsthilfe übergeht. Das Ziel professioneller hel-

138
ZWEI LOGIKEN DES HELFENS

fender Beziehungen ist das Beenden dieser Beziehungen. Genau in die-


sem Sinne ist diese Hilfe-Logik selbstdekonstruktiv; ihr ist ein Dekon-
struktionsprinzip inhärent.
Dieses Dekonstruktionsprinzip verhindert, dass die Hilfe die mit ihr
einhergehende Rollenasymmetrie zementiert. Vielmehr wird die Rol-
lenasymmetrie permanent durch die Hilfe selbst infrage gestellt und da-
hingehend befragt, ob den Hilfebedürftigen durch eine mögliche Hilfe
tatsächlich geholfen wird, oder ob nicht vielmehr das begleitete Nicht-
helfen beziehungsweise das Aushalten, gerade nicht mehr zu helfen,
wenn nicht unbedingt geholfen werden muss, hilfreich ist.
Diese Logik des Helfens sperrt sich vor der Etablierung von Hilfemus-
tern, die Michael Biene „Abgabemuster“ nennt. Den Hilfebedürftigen
wird eben nicht das abgenommen, was als vermeintliches Problem gilt,
zum Beispiel die Erziehung eines Kindes. Im Gegenteil: Die Klientinnen
und Klienten werden damit konfrontiert, dass sie sich nur selbst erfolg-
reich helfen können, indem sie etwa andere Formen der erzieherischen
Interaktion lernen oder einüben. Bei diesem Lernen oder Einüben ver-
mögen die Helfer professionelle und differenzierte Unterstützung zu ge-
ben. Wie sieht diese Unterstützung nun aus theoretischer Perspektive
aus?
Um dies zu verdeutlichen, komme ich zur zweiten theoretischen Orien-
tierung: zur soziologischen Theorie autopoietischer Systeme.

II.2 Theorie autopoietischer Systeme

Mit dieser Theorie kann zunächst sichtbar werden, dass die Hilfe, die
nach der selbstdekonstruktiven Logik verfährt, ebenfalls gefährlich ist
– allerdings nicht für die Klientinnen und Klienten, wie die selbstkon-
struktive Logik, sondern für das Hilfesystem selbst. Denn wir hatten ja
gesehen, dass dieses System, wie jedes andere gesellschaftliche Funkti-
onssystem, autopoietisch operiert und somit als Hilfesystem auf die Au-
topoiesis, die Selbsterhaltung des Helfens angewiesen ist, will es sich
als System erhalten. Es muss immer wieder Hilfe konstruieren, An-
schlussmöglichkeiten für weitere Hilfe schaffen, damit es sich als Sys-
tem vollziehen kann. Aber wem soll es helfen, wie soll es seine Auto-
poiesis realisieren, wenn sich die Klientinnen und Klienten vom System
emanzipieren, wenn sie selbstständig werden und die Helferinnen und
Helfer dann vielleicht gar nicht mehr brauchen?

139
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

Sicherlich ist die Gefahr, dass die Fachkräfte keine Personen mehr fin-
den, denen sie Hilfen anbieten können, so groß nicht – auch nicht, wenn
sie im Sinne der selbstdekonstruktiven Hilfe-Logik arbeiten. Sie helfen
dann gewiss effektiver und effizienter, aber machen sich nicht überflüs-
sig. Vor den Toren des Systems warten noch viele Leute, und immer
neue kommen dazu, die Hilfe begehren, die also potentielle Klientinnen
und Klienten sind. Denn die Gesellschaft produziert permanent soziale
Lagen, die Hilfe notwendig machen. Ich glaube, dies muss ich nicht ei-
gens begründen, es ist evident, es ist augenscheinlich.
Aber auch wenn das Hilfesystem sich nicht selbst überflüssig macht,
seine Autopoiesis, seine Selbsterhaltung nicht gefährdet, wenn es
selbstdekonstruktiv hilft, scheint das System das, was mit dieser Hilfe-
Logik notwendig ist, nur sehr verhalten, nur in den sprichwörtlichen ho-
möopathischen Dosen aufnehmen und umsetzen zu können. Vielleicht
ist das System, wie alle anderen gesellschaftlichen Systeme auch, so
strukturkonservativ, dass es nur sehr langsam Neues praktizieren kann.
Außerdem hat sich vielleicht noch nicht wirklich herum gesprochen,
dass ein Hilfesystem möglicherweise hilfreicher helfen kann, wenn es
die andere Seite der Hilfe, nämlich die Nichthilfe beziehungsweise die
Begrenzung der Hilfe als eine Option neben der Hilfe mit einbezieht.
Nicht überall, wo Angebote gemacht werden können zu helfen, ist Hel-
fen die richtige Option. Denn die begleitende Nichthilfe könnte gerade
angemessen sein, um hilfreich zu sein, um Menschen zu aktivieren, sich
selbst zu helfen (Baecker 1994; 1997).
Die selbstdekonstruktive Logik des Helfens muss jedoch nicht aus-
schließlich paradox gedacht werden. Und möglicherweise erkennt das
Triangel-Projekt selbst gar nicht, dass es mit dieser Paradoxie arbeitet.
Oder diese Paradoxie erscheint als eine Konzession an all jene, welche
die Möglichkeiten von Hilfe im Zuge von Sparmaßnahmen einschrän-
ken wollen. Daher will ich nicht weiter bei dieser paradoxen Form des
Helfens durch Nichthilfe bleiben, sondern eine weitere Ausprägung der
selbstdekonstruktiven Hilfe-Logik beschreiben und erklären. Diese
Form kann einerseits recht schnell systemtheoretisch plausibilisiert wer-
den, stellt die Systemtheorie aber andererseits auch vor eine aufwendi-
gere Erklärungssuche.
Wie Michael Biene mir mehrfach berichtet hat, wirkt die Selbstverän-
derung der Interaktionen im Hilfesystem unmittelbar auf die an diesem
System gekoppelten Klientensysteme, zum Beispiel auf Eltern-Kind-In-

140
ZWEI LOGIKEN DES HELFENS

teraktionen oder allgemein auf die familiären Interaktionen des Klien-


tensystems. Wenn also im Hilfesystem angefangen wird, zum Beispiel
während der Fallkonferenzen, in Teamgesprächen, in Supervisionen, in
spontanen Gesprächen unter Kolleginnen und Kollegen und natürlich
auch mit den Klientinnen und Klienten, wertschätzend und akzeptierend,
authentisch und empathisch zu kommunizieren, dann fangen mit hoher
Wahrscheinlichkeit die Klientinnen und Klienten ebenfalls an, in ihren
Systemen in ähnlicher – wie ich sagen würde: konstruktiven, förderli-
chen und problemlösenden – Weise zu kommunizieren.
Carl Rogers scheint recht gehabt zu haben, als 1959 formulierte: „Wir
können [...] mit einer gewissen Sicherheit sagen, dass eine Beziehung,
in der der Therapeut einen hohen Grad an Kongruenz oder Authentizi-
tät, eine sensitive und gründliche Empathie, einen hohen Grad an Be-
achtung, Respekt, Zuneigung für den Klienten, und in dieser Hinsicht
Bedingungslosigkeit zeigt, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine effektive
therapeutische Beziehung ist. Diese Qualitäten sind offensichtlich die
primär veränderungsverursachenden Einflüsse auf Persönlichkeit und
Verhalten“ (zit. n. Kersting 2002a, 11f.).
Wie sieht die systemtheoretische Erklärung dieses Phänomens aus?
Nach der Theorie autopoietischer Systeme sind Menschen Einheiten aus
psychischen und biologischen Systemen, die an sozialen Systemen par-
tizipieren. Die drei genannten Systeme – biologisches System, psychi-
sches System, soziales System – setzen sich zwar wechselseitig voraus
(keines kann ohne die jeweils anderen existieren), aber sie können sich
nicht direkt beeinflussen, sie sind auf der Ebene ihrer jeweiligen Auto-
poiesis von außen unbeeinflussbar. Die einzige Möglichkeit dieser Sys-
teme, sich zu ändern, ist die Selbstveränderung. Dazu können interne
oder externe Ereignisse der Systeme beitragen, immer aber bestimmt das
System selbst, ob und wie es sich selbst verändert – und wenn es dies
tut, dann jedenfalls nach Maßgabe der eigenen Möglichkeiten der Ver-
änderung.
Wenn aber, wie gesagt, neben internen Ereignissen auch externe Ereig-
nisse eine systemische Selbstveränderung anregen können, so liegt auf
der Hand, kann eine Selbstveränderung eines Systems, zum Beispiel
des Hilfesystems, eine Selbstveränderung eines anderen Systems, zum
Beispiel des Klientensystems, anregen – ob und wie diese Veränderung
geschieht, liegt jedoch in der Autonomie des jeweiligen Systems selbst,
hängt davon ab, wie das jeweilige System die Ereignisse in seiner Um-
welt aufgreift und verarbeitet.

141
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

An diesem Punkt liegt eine Erklärung, ja eine systemtheoretische Bestä-


tigung der Arbeit von Triangel: Die Triangel-Teams machen es genau
richtig, wenn sie nicht direkt versuchen, die Probleme ihrer Klientinnen
und Klienten zu lösen, sondern wenn sie sich selbst in dem Sinne ver-
ändern, wie sie es von ihren Klienten erwarten. Genauso wichtig, wie
die Arbeit mit den Klientinnen und Klienten, wenn nicht sogar bedeu-
tender, sind daher „explizite Abstimmungsprozesse zwischen den betei-
ligten Helfenden“ (Biene 2003, S. 4). Den „Klienten neue Rollenange-
bote zu machen, setzt in der Regel eine sehr genaue Abstimmung der
Rollen, Verantwortlichkeiten und Vorgehensstrategien zwischen den
verschiedenen beteiligten Instanzen voraus“ (ebd.). Aus der Perspektive
der Helferinnen und Helfer gesprochen: Die Fremdveränderung der
Klientinnen und Klienten kann niemals direkt, sondern nur über den
Umweg der Selbstveränderung des Hilfesystems erfolgen. Eigentlich
geht man bei dieser Vorgehensweise keinen Umweg, sondern den Kö-
nigsweg des Helfens – zumindest aus der Perspektive der Theorie auto-
poietischer Systeme. Wenn die Klientinnen und Klienten in Hilfepro-
zessen aktiv werden und Verantwortung übernehmen sollen, dann muss
das Hilfesystem genau dies auch von den ihnen erwarten (können), ja es
ihnen mit allen Konsequenzen, die das dann hat, zutrauen und entspre-
chende Rollenangebote machen.
Schwieriger wird eine systemtheoretische Erklärung, wenn wir von ei-
nem weiteren Phänomen ausgehen, das Michael Biene mir beschrieben
hat, dass nämlich die Klienten die Selbstveränderungen des Hilfesystem
immer so aufgreifen, wie das Hilfesystem sie ihnen vormacht, so dass
sie dieses gewissermaßen spiegeln. Wenn sich das Hilfesystem also in
der oben beschriebenen Art und Weise hinsichtlich seiner Interaktionen
ändert, dann ist eine Änderung des Klientensystem hoch wahrschein-
lich. Diese Korrelation zwischen Hilfesystem und Klientensystem trifft
dann vermutlich auch im negativen Fall zu: Wenn das Hilfesystem sich
in einer die Klientinnen und Klienten abschätzigen Weise verhält, durch
bestimmte Hilfeangebote den Eintritt in die Unmündigkeit herausfor-
dert, dann wird genau dies von den Klientinnen und Klienten gespie-
gelt.
Dennoch: nach der Systemtheorie ist dieses Bedingungsverhältnis zu-
nächst unwahrscheinlich, ungewöhnlich, aber gewiss nicht unmöglich.
Wenn es möglich, ja sogar beobachtbar wird, dann sollten wir uns jedoch
fragen, welche Bedingungen eintreten müssen, was passieren muss, da-

142
ZWEI LOGIKEN DES HELFENS

mit genau dies eintritt, damit ein solches Verhältnis des Spiegelns ent-
steht. Ich möchte dazu drei Vermutungen formulieren:
Erste Vermutung: Ich habe es bereits erwähnt, dass Menschen als Ein-
heiten psychischer und biologischer Systeme an sozialen Systemen par-
tizipieren. Diese soziale Partizipation regelt sich durch das, was die so-
ziologische Systemtheorie Inklusion (Luhmann 1995) nennt, nämlich
durch das kommunikative Relevantwerden von Personen in sozialen
Systemen. Und wie, mit welchen Eigenschaften, Verhaltensweisen, per-
sönlichen Potentialen, Personen in sozialen Systemen relevant werden
können, bestimmen maßgeblich die sozialen Interaktionen und andere
Kommunikationen, zum Beispiel Aktennotizen, Hilfepläne etc. Wenn
also mündliche Interaktionen und auch schriftliche Kommunikationen
Klientinnen und Klienten mit defizitorientierten Begriffen bezeichnen
oder ausschließlich die hilfsbedürftigen Seiten der Klienten fokussieren,
werden sich die Personen, die Klienten ja zuallererst sind, möglicher-
weise nicht anders zeigen können als defizitär und problembelastet.
Wenn allerdings andere kommunikativen Angebote in der Interaktion
und im Schriftverkehr gemacht werden, Klientinnen und Klienten als
aktive, mit Potentialen ausgestatte Personen betrachtet werden, die sich
selber am besten kennen und damit auch am besten helfen können, dann
scheinen plötzlich andere Persönlichkeitsanteile der Klienten auf (dazu
auch de Shazer 1988; 1991). An diesem Punkt bestätigt sich die kon-
struktivistische Sichtweise, die die methodische Prämisse von Michael
Biene (2003, S. 4) teilt, „dass wesentliche zwischenmenschliche Proble-
me durch die Art bedingt sind, wie die Beteiligten über den anderen
Menschen beziehungsweise das Problem mit diesem Menschen den-
ken“, wie sie über dieses Problem sprechen und schreiben. Selbstdekon-
struktive Hilfen schaffen es, von der Problemsprache zu einer Lösungs-
, einer Ressourcensprache zu wechseln.
Die Klientinnen und Klienten können dann sozial anderes inkludieren,
anderes, und zwar für die Problemlösung nützlicheres wird plötzlich
nicht nur sichtbar, sondern auch nutzbar, realisierbar (dazu auch Kleve
1999, S. 295). Für sich selbst und für andere oftmals überraschend, kön-
nen Klientinnen und Klienten dann aktiv und zu Personen werden, die
sich selbst helfen, die selbstbewusst ihre eigenen Schwierigkeiten ange-
hen. Meine Vermutung ist, dass das Triangel-Projekt Klientinnen und
Klienten solche problemlösenden Inklusionen anzubieten vermag.

143
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

Zweite Vermutung: Die Triangel-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter


schaffen es, einem Postulat von Niklas Luhmann (1997a, S. 72) zu fol-
gen, und zwar „ein weniger technisches, dafür [...] ein mehr menschli-
ches Verständnis“ ihren Klientinnen und Klienten gegenüber zu prakti-
zieren. Dies ist ihnen wohl deshalb möglich, weil sie ausgesprochen
stark (statt inhalts- beziehungsweise sachorientiert) beziehungsorien-
tiert sind. Denn ich denke, sie arbeiten beispielsweise im Sinne der ge-
nannten Beratervariablen von Rogers, also authentisch/ kongruent, ak-
zeptierend, wertschätzend und empathisch.
Dritte Vermutung: Wahrscheinlich koppeln sich die Triangel-Mitarbei-
ter durch ihre starke Beziehungsorientierung sehr eng an das Klienten-
system an, ohne jedoch der selbstkonstruktiven Hilfe-Logik aufzusit-
zen. Sie werden nicht zu unselbstständig machenden Fachkräften, die
ihre Hilfe unermesslich weit ausdehnen, sondern zu relevanten bezie-
hungsweise signifikanten Anderen der Klientinnen und Klienten. Mit
der Systemtheorie könnten wir vielleicht sagen, dass es zu einer sehr en-
gen strukturellen Kopplung zwischen beiden, zwischen Hilfesystem
und Klientensystem kommt. Und erst diese enge strukturelle Kopplung
führt wohl zu den effektiven Interaktionsbeziehungen, die durch die
Selbstveränderung auf der einen Seite zur angeregten Selbstverände-
rung auf der anderen Seite führen.
Hilfesystem und Klientensystem verkoppeln sich zu einem ko-evoluti-
ven Verhältnis, das möglicherweise zu einem Phänomen führt, das Carl
Gustav Jung für etwas andere, noch ungewöhnlichere Ereignisse als er-
folgreiche Hilfen Synchronizität genannt hat (Capra 1991, S. 407). Die
Systeme synchronisieren sich, schwingen sich offenbar aufeinander ein.
Und dieses Sich-aufeinander-Einschwingen geht dann ja nicht selten so
weit, dass diejenigen, denen erfolgreich geholfen wurde, irgendwann
etwas Ähnliches machen, wie die professionellen Helfer: nämlich hel-
fen, andere Menschen, die in der gleichen Lage sind, in der sie waren,
unterstützen. Genau dies zeichnet Triangel schließlich aus, dass dieses
Projekt nämlich ehemaligen Klientinnen und Klienten ermöglicht, an-
deren zu helfen, die in der gleichen Lage sind, wie sie es waren.
Wenn derzeit also in der öffentlichen und der freien Jugendhilfe nicht
immer aus fachlichem Ehrgeiz, sondern – wie eingangs erwähnt – weil
gespart werden soll, nach erfolgreichen Hilfekonzepten gesucht wird,
dann kann sicher viel vom Projekt Triangel, das heißt von der Etablie-

144
ZWEI LOGIKEN DES HELFENS

rung einer selbstdekonstruktiven Hilfelogik gelernt werden. Meine the-


oretischen Beschreibungs- und Erklärungsversuche haben dies hoffent-
lich gezeigt. Vor allem sollte eines zumindest in Ansätzen deutlich ge-
worden sein: Effektive und effiziente Hilfen können recht einfach
entwickelt werden, und zwar vor allem dadurch, dass wir uns selbst, das
heißt unsere helfenden Kommunikationen im Sinne der beschriebenen
selbstdekonstruktiven Logik verändern. Aber vielleicht ist genau das
das Schwerste.

145
8. Die sechs Schritte helfender Kommunikation
Eine Handreichung für die Praxis und Ausbildung
Sozialer Arbeit mit Britta Haye

AUSGANGSPUNKTE

In der Praxis und Ausbildung der Sozialen Arbeit stellt sich immer wie-
der die Aufgabe, die professionelle und exemplarische Fallarbeit ange-
messen zu strukturieren. Schon Alice Salomon und Mary Richmond
stellten sich die Frage nach der Strukturierung des methodischen Vor-
gehens und bezogen sich in ihren Büchern zur Sozialen Diagnose auf
das klassische medizinische Konzept von Anamnese (gr.-lat.; Erinne-
rung, und zwar im Sinne von Vorgeschichte), Diagnose (gr.-fr.; unter-
scheidende Beurteilung, Erkenntnis, und zwar im Sinne einer Ursache-
Wirkungs-Erklärung) und Behandlung (vgl. Müller 1988, S. 145). Die-
ser klassische methodische Dreischritt kann auch noch heutigen Sozial-
arbeiterInnen dazu dienen, ihr praktisches Handeln, ihr Kommunizieren
mit den KlientInnen zu planen und durchzuführen.
Kurt Eberhard (1999) ist sogar der Meinung, dass dieser Dreischritt im-
mer dann zum Einsatz kommt, wenn persönliche, kollektive oder ge-
sellschaftliche Probleme zu lösen sind. Auch wenn er nicht die genann-
ten Begriffe Anamnese, Diagnose und Behandlung verwendet, sondern
von phänomenalen, kausalen und aktionalen Erkenntnisinteressen
spricht, um diesen Dreischritt zu bezeichnen, beschreibt er doch genau
die anamnestischen, diagnostischen und behandelnden Erkenntnis- und
Handlungsprozesse. Denn das phänomenale Erkenntnisinteresse lässt
sich mit der anamnestischen Frage: „Was war und ist los?“ umschrei-
ben; das kausale Erkenntnisinteresse ist angeleitet durch die diagnosti-
sche Frage: „Warum ist das so?“; und das aktionale Erkenntnisinteresse
fragt nach der Behandlungsmöglichkeit: „Was ist zu tun?“. Wir können
davon ausgehend auch sagen, dass es erstens darum geht, die aktuelle
Situation mit ihrer Vorgeschichte zu beschreiben, zweitens soll erklärt
werden, welche Ursachen die in der aktuellen Situation beobachtbaren
Wirkungen erzeugen, und drittens geht es um ein Bewerten von Hand-
lungsmöglichkeiten hinsichtlich der Lösung der Problemsituation.

146
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION

Übersicht 9

1. Schritt 2. Schritt 3. Schritt

Anamnese Diagnose Behandlung

Phänomenales Kausales Aktionales


Erkenntnisinteresse Erkenntnisinteresse Erkenntnisinteresse

Was war und ist los? Warum ist das so? Was ist zu tun?

Beschreibung Erklärung Bewertung von Hand-


lungen und Hand-
lungsentwurf

Dieses Drei-Schritt-Modell soll im Folgenden jedoch – im Sinne aktu-


eller Anforderungen Sozialer Arbeit – in sechs Schritte differenziert
werden, die sich allerdings durchaus auf die Kategorien von Anamnese
(phänomenale Frage), Diagnose (kausale Frage) und Behandlung (akti-
onale Frage) beziehen lassen:

Übersicht 10

1. Schritt 2. Schritt 3. Schritt 4. Schritt 5. Schritt 6. Schritt

Kontext- Beschrei- Bildung Zielfin- Handlung / Evalua-


ualisie- bung der von dung und Intervention tion
rung Pro- Hypo- Auf-
bleme thesen tragsklä-
und Ana- rung
lyse der
Ressour-
cen

Anamnese Diagnose Behandlung

Phänomenale Frage: Kausale Frage: Aktionale


Frage

Was war und ist los? Warum ist das so? Was ist zu
tun?

147
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

Besonders betonen möchten wir, dass alle sechs Schritte in Kommuni-


kation, Kooperation und Dialog mit den KlientInnen und KundInnen er-
arbeitet, ausgehandelt werden sollten. Wir unterscheiden zwischen Kli-
entInnen und KundInnen; KlientInnen sind die AdressatInnen Sozialer
Arbeit, während KundInnen die finanzierenden Auftraggeber (zum Bei-
spiel Jugend-, Sozial- und Gesundheitsämter, Krankenkassen) sind (vgl.
zur Begründung dieser Unterscheidung Kleve u.a. 2003, S 43f.). Wie die
einzelnen Schritte nun zu verstehen und auszufüllen sind, soll Thema
der folgenden Ausführungen sein. Dabei werden wir ebenfalls in sechs
Schritten vorgehen, zunächst also darstellen, wie kontextualisiert wird
(I.), dann die Problembeschreibung und Ressourcenanalyse darstellen
(II.), einige Aspekte der Hypothesenbildung erläutern (III.), die Zielfin-
dung und Auftragsklärung beschreiben (IV.), skizzieren wie Handlun-
gen geplant werden können (V.), um schließlich knapp die Evaluation
zu erläutern (VI.). Den Abschluss unserer Ausführungen bildet eine so
genannte rhizomatische Nachbemerkung, in der wir die Linearität unse-
rer theoretischen Darstellungen mit der komplexeren Zirkularität der
Praxis konfrontieren.

I. KONTEXTUALISIERUNG

Da wir grundsätzlich von einer systemischen Sichtweise Sozialer Ar-


beit ausgehen, sind wir der Meinung, dass die bio-psycho-sozialen Pro-
bleme der KlientInnen nur verstanden und erfolgreich gelöst werden
können, wenn sie in dem Kontext betrachtet werden, in dem sie gezeigt
werden. Uns interessieren in der Sozialen Arbeit soziale Kontexte, also
soziale Rahmen und Zusammenhänge, in denen Verhalten gezeigt wird,
in denen es als Kommunikation, das heißt als Mitteilung von Informati-
onen verstanden wird (vgl. Luhmann 1984, S. 191ff.). Wir können mit
der systemischen Theorie davon ausgehen, dass zwischenmenschliches
Verhalten nur verständlich beziehungsweise erklärbar wird, wenn wir
es in dem Rahmen betrachten, in dem es sich realisiert (vgl. Simon /
Stierlin 1984, S. 198). Dafür lassen sich unterschiedliche Belege anfüh-
ren, so zum Beispiel die Forschungen, die zur Entwicklung der systemi-
schen Familientherapie führten (siehe Bateson u.a. 1969).
Diese in erster Linie kommunikationstheoretischen Studien, die in den
1950er Jahren durchgeführt wurden, offenbarten am Beispiel schizo-

148
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION

phrenen Verhaltens, dass der Sinn dieses Verhaltens nur verstanden


werden kann, wenn es in seinem familiären Kontext gesehen wird. Am
Beispiel des Verhaltens von als schizophren diagnostizierten Familien-
mitgliedern wurde also deutlich, dass Schizophrenie nicht nur das Sym-
ptom eines Patienten ist. Vielmehr entdeckten Gregory Bateson und sei-
ne Kollegen, dass schizophrene Verhaltensweisen Resultat einer (para-
doxen) Kommunikation in einem bestimmten sozialen Kontext sind
(vgl. dazu auch Watzlawick u.a. 1969, S. 171ff.). Will man diese Ver-
haltensweisen beeinflussen, so reicht es demnach nicht, individuell be-
ziehungsweise personenzentriert anzusetzen, sondern es ist erforder-
lich, die Familie und ihr Umfeld zumindest in die Diagnostik und mög-
lichst auch in den Behandlungsplan mit einzubeziehen.
Wenn man die Verhaltensweisen und allgemein die Probleme der Kli-
entInnen in ihren sozialen Kontexten analysieren und behandeln soll,
dann ist es während der sozialarbeiterischen Fallarbeit ausgesprochen
wichtig, zunächst etwas durchzuführen, was wir Kontextualisierung
nennen (vgl. ausführlicher zur Kontextualisierung Kleve u.a. 2003, S.
97ff.). Diese Kontextualisierung ist im Grunde genommen das, was in
der Klinischen Sozialarbeit bereits als die Person-in-der-Situation-Per-
spektive beschrieben wird (vgl. Kling-Kirchner 2000, S. 107). Das Pos-
tulat, eine solche Perspektive einzunehmen, hat die Soziale Arbeit
schon immer von der individuumsorientierten klassischen Psychothera-
pie unterschieden. Dies unterstreicht Fritz B. Simon (1983, S. 349f.),
wenn er konstatiert, dass die bereits erwähnte systemische Familienthe-
rapie ihre Wurzeln nicht nur in der Schizophrenieforschung, sondern
auch in der Sozialen Arbeit hat. Denn „beides sind Bereiche, die die Er-
fahrung vermitteln, daß das menschliche Individuum nicht ‚kleinste
therapiefähige Einheit‘ ist“ (ebd.).
Wie soll nun kontextualisiert werden? Wir schlagen vor, dass sich die
sozialarbeiterische Kontextualisierung grundsätzlich auf mindestens
drei Bereiche bezieht: auf den lebensweltlich-familiären Kontext, auf
den sozio-ökonomischen Kontext und schließlich auf den Hilfesystem-
Kontext.
Der lebensweltlich-familiäre Kontext: Dieser Kontext umfasst den
Kontext, den wir auch als Integrationsbereich (vgl. Kleve 2000, S.
45ff.) bezeichnen könnten, als einen Bereich, in dem Personen als ganze
Menschen relevant werden. In diesem Kontext ist der Mensch einge-

149
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

bunden in Familien- und Freundschaftsbeziehungen und teilt mit ande-


ren Menschen bestimmte Werte und Normen. In der Familie oder unter
Freunden kann alles Persönliche, das heißt kann alles, was gedacht oder
wann auch immer getan wurde, Thema von Kommunikation werden. In
der Systemtheorie spricht man davon, dass vor allem Intimsysteme wie
Familien oder Paarbeziehungen etwas ermöglichen, was in den anderen
Teilen der Gesellschaft nicht realisiert werden kann: die Komplettbe-
treuung der Person, die Inklusion (vgl. Luhmann 1995) (vielleicht bes-
ser: Integration) der Gesamtpersönlichkeit (vgl. Fuchs 1999a).
Ein Verfahren, das sich in der Praxis bewährt hat, um insbesondere den
familiär-intimen Kontext zu analysieren, ist das aus der Familienthera-
pie stammende Genogramm (siehe zu den Symbolen und Visualisie-
rungsregeln Schlippe / Schweitzer 1996). Genogramme dienen der über-
sichtlichen Darstellung von komplexen Informationen über Familien-
systeme. Ein Genogramm kann bis zu drei Generationen umfassen und
wird in der Regel gemeinsam – diskursiv, dialogisch – mit den Famili-
enmitgliedern oder den einzelnen KlientInnen erarbeitet.
Ein Genogramm ist eine (Re-)Konstruktion der familiären Vergangen-
heit aus der jeweiligen sozialen, sachlichen und zeitlichen Perspektive;
insofern offenbart ein Genogramm nicht, wie die familiäre Geschichte
wirklich war, sondern wie sie „hier und jetzt“ (Zeitdimension) aus der
Perspektive der entsprechenden Person(en) (Sozialdimension) bezüg-
lich einer bestimmten in der Beratung zu bearbeitenden Problemstel-
lung beziehungsweise bezüglich eines bestimmten Themas (Sachdi-
mension) beschrieben wird / werden kann.
Das Genogramm wird in der Regel ausgehend von einem jeweils infra-
ge stehenden Klienten erarbeitet. In das Bild lassen sich dann wichtige
Fakten einschreiben: Name, Alter, Geburts- und eventuell Todesdaten,
Datum der Heirat, eventuell auch des Kennenlernens, Daten der Tren-
nung und Scheidung, Wohnorte, Herkunftsorte der Familie, Ortswech-
sel, Krankheiten, Symptome, Todesursachen, Berufe. Interessant sind
auch weitere Informationen, die sich im Gespräch über das Genogramm
herausdifferenzieren: Eigenschaften, die Personen zugeschrieben wer-
den – auch besondere Fähigkeiten, Auffälligkeiten und Stärken, Begrif-
fe zur Kennzeichnung der jeweiligen Familienatmosphäre, Hinweise
auf bestimmte immer wiederkehrende Themen in der Familie, Tabus
und ‚weiße Stellen‘ im Genogramm (zum Beispiel Familienmitglieder,
von denen nur wenig oder nichts bekannt ist), Ressourcen, besondere

150
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION

Leistungen der Familie. „Das Wichtigste bleiben jedoch die Geschich-


ten, die zu den Genogrammdaten erzählt werden. Sie bilden den Hinter-
grund für ein neues Verständnis der Gegenwart“ (Schlippe /Schweitzer
1996, S. 131).
Die Erarbeitung eines Genogramms dient einem zweifachen Ziel: ers-
tens soll die aktuelle (Familien-)Situation visualisiert werden mit allen
dazu gehörenden Personen; und zweitens sollen aktuelle und vergange-
ne Themen neu, das heißt anders als bisher beschrieben werden, und
zwar bestenfalls so, dass Ressourcen entdeckt werden können, die bei
der Lösung aktueller Schwierigkeiten /Probleme hilfreich sind. Mittels
Genogrammen sind also nicht lediglich problematisch bewertete As-
pekte, Eigenschaften von Personen, Familienthemen etc. zu explizie-
ren, sondern insbesondere auch Stärken, Ressourcen von Personen und
vor allem die (verschütteten, bisher ausgeblendeten) ‚Schätze‘ der Fa-
milie, die es gilt, schätzen zu lernen.
Der sozio-ökonomische Kontext: Dieser Kontext kann auch als der In-
klusionsbereich (vgl. Kleve 2000, S. 45ff.) beschrieben werden, als ein
Bereich, in dem die Personen nur teilweise, ausschnitthaft als Rollenträ-
ger, zum Beispiel als ArbeitnehmerInnen, KäuferInnen, SchülerInnen,
KlientInnen etc., teilnehmen und mit anderen Personen interagieren, die
sich ebenfalls in einer solchen Rolle befinden, zum Beispiel in einer
professionellen Berufsrolle. In diesen Kontexten werden im Gegensatz
zum lebensweltlich-familiären Kontext, wo die Gesamtperson relevant
wird, je nach den kommunikativen Erfordernissen, je nach den Inklusi-
onsnotwendigkeiten und -möglichkeiten immer nur bestimmte Persön-
lichkeitsteile inkludiert, im sozialen Verkehr relevant.
Wichtig ist dieser Kontext vor allem deshalb, weil die moderne Gesell-
schaft funktional differenziert, das heißt in unterschiedliche Systeme
zergliedert ist, an denen wir teilnehmen, inkludieren, dazu gehören
müssen, um unsere physische und psychische Existenz zu sichern. Sol-
che Systeme wie das Wirtschafts-, das Erziehungs-/Bildungs-, das Ge-
sundheits- oder das Politiksystem sind damit gemeint. Ohne Chancen,
an diesen Systemen teilzunehmen, könnten wir unser Überleben nicht
sichern, könnten wir kein Geld verdienen, um uns zu ernähren, zu klei-
den oder zu wohnen, könnten wir keine Bildung erwerben, um uns Ver-
dienstmöglichkeiten zu sichern etc. Daher bringt gerade die Exklusion
aus diesen Systemen Soziale Arbeit auf den Plan, die Exklusionen zu

151
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

verhindern oder – wenn bereits eingetreten – durch stellvertretende In-


klusion und Exklusionsverwaltung zu kompensieren sucht. In der Sozi-
ologie der Sozialen Arbeit wird daher davon gesprochen, dass die ge-
sellschaftliche Funktion der Sozialen Arbeit als Exklusionsprävention,
Re-Inklusion oder Exklusionsverwaltung bezeichnet werden kann (sie-
he ausführlicher zu dieser Diskussion Kleve 2000, S. 77ff.).
An diesem Punkt lässt sich nicht nur die Wichtigkeit der Explizierung
dieses Kontextes begründen, sondern auch, warum Soziale Arbeit ange-
sichts der auf Inklusion und Exklusion bezogenen Funktion bio-psycho-
sozial anzusetzen hat: „Die bio-psycho-soziale Orientierung der Sozial-
arbeit wird leicht verständlich, wenn man bedenkt, daß jedes individu-
elle Ausgeschlossensein von Menschen aus gesellschaftlichen Syste-
men, somatisch (biologisch), psychisch oder eben sozial wirken kann.
Umgekehrt können auch die biologischen, psychischen und sozialen
Systemebenen der Menschen das individuelle Ausgeschlossensein be-
dingen. Da Sozialarbeit eben dieses soziale Ausgeschlossensein aus
wirtschaftlichen, politischen, rechtlichen oder pädagogischen Systemen
thematisiert und bearbeitet, hat sie alle möglichen Bedingungen, die die-
ses Ausgeschlossensein bewirken und / oder damit einhergehen, eben so-
ziale, psychische und somatische Bedingungen, zu beachten“ (Kleve /
Ortmann 2000, S. 115).
Im Einzelnen gehören zum sozio-ökonomischen Kontext u.a. infrastruk-
turelle Gegebenheiten wie Arbeitsmöglichkeiten, die Ausstattung mit
medizinischen, erzieherischen, schulischen u.a. Dienstleistungssyste-
men sowie die Möglichkeiten und strukturellen Behinderungen der Kli-
entInnen, an diesen Einrichtungen zu partizipieren. Zu Beginn der Hilfe
sollte es eine gründliche Analyse dieser kontextuellen Bedingungen ge-
ben, um vor diesem Hintergrund die Probleme und Ressourcen der Kli-
entInnen, ihre jeweiligen Zugangsmöglichkeiten verstehen zu lernen.
Der Hilfesystem-Kontext: Dieser Kontext gehört ebenfalls, wie der so-
zio-ökonomische Kontext, zum Inklusionsbereich. Seine Betrachtung
erscheint wichtig, weil KlientInnen Sozialer Arbeit häufig bereits unter-
schiedliche andere Hilfesysteme durchlaufen haben, bevor sie zu Fällen
der jeweils aktuellen Sozialen Arbeit werden, sie haben möglicherweise
bereits eine Problemgeschichte durchschritten. Die Frage ist dann, was
sie bereits an Erfahrungen gesammelt haben, welche Bedeutung diese
anderen Hilfesysteme für sie hatten oder immer noch haben. Des Wei-

152
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION

teren kann es im Verlauf der Hilfe wichtig sein, mit den anderen Helfe-
rInnen Kontakt aufzunehmen, um Absprachen zu treffen, das weitere
Vorgehen gemeinsam zu koordinieren (zum Beispiel mittels einer Hil-
fekonferenz). Die beteiligten HelferInnen können ebenfalls visualisiert
werden, um die mögliche Komplexität des Hilfesystemkontextes zu be-
trachten. Wichtig ist also, dass die anderen Helfersysteme bekannt sind,
die jeweiligen Ziele kommuniziert werden könne, um gegenseitige Be-
hinderungen und Doppelbetreuungen zu vermeiden.

II. BESCHREIBUNG DER PROBLEME UND ANALYSE DER RESSOURCEN

Ein zentraler Schritt der helfenden Kommunikation ist die Beschrei-


bung der jeweiligen Probleme und die Analyse der Ressourcen, an wel-
che während der Phasen der Zielfindung und der Handlungsplanung an-
geschlossen werden kann.
Beschreibung der Probleme: Aus systemischer Sicht sind Probleme
keine objektiven Gegebenheiten, sondern sozial konstruierte Phänome-
ne. Sie differenzieren sich ausgehend von der Unterscheidung Norm
und Abweichung. Ohne diese Unterscheidung, die einen Soll-Wert,
eben die Norm und einen Ist-Wert, eben die aktuelle Abweichung zu
konstatieren erlaubt, können keine Probleme beobachtet werden (vgl.
Kleve 1996, S. 27ff.; 2001). Die Frage ist jedoch, wer diese Differenz
von Norm und Abweichung wie setzt und beobachtet. Handelt es sich
um eine Differenzsetzung und -beobachtung, die von den KlientInnen
selbst vorgenommen wird? Rechnen sich die KlientInnen die Probleme
also zu, oder wird ihnen von anderen, die eine bestimmte Differenz von
Norm und Abweichung zugrunde legen, ein Problem zugerechnet? Die-
se Fragen der Attribution, der Zurechnung sind in der Phase der Fallar-
beit zunächst zu thematisieren. Im weiteren Verlauf sollte dann die Pro-
blemanalyse dreidimensional erfolgen: bio-psycho-sozial. Was Soziale
Arbeit von anderen Professionen unterscheidet, ist nämlich ihr dreifa-
cher Fokus auf die biologischen, psychischen und sozialen Systeme und
Bedürfnisse von Menschen, ihr spezialisierter Generalismus (vgl. Kle-
ve 2000, S. 94ff; Kleve 2002b).

153
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

Übersicht 11

Bio-Psycho-Soziale Gleichzeitigkeit Sozialer Arbeit


Biologisches Psychisches Soziales
Fokus gesundheitliche psychische / emo- soziale Fragen,
Fragen, körperli- tionale Fragen, soziale Bedürf-
che/ physische psychische / emo- nisse
Bedürfnisse tionale Bedürf-
nisse
Beispiele Ausstattung mit kognitive und soziale Beziehun-
(gesunder) Nah- emotionale gen in der Familie
rung, Kleidung, Bewältigung/ oder durch
Wohnraum etc.; Verarbeitung von Freunde (Integra-
(angemessener) Ereignissen tion); Zugang zu
Umgang mit dem (Ängste, Süchte sozial-ökonomi-
eigenen Körper, etc.) schen Ressourcen
mit Krankheiten (Inklusion)
etc.

Ein wichtiger Aspekt bei der Problemdefinition ist die rechtliche Seite
Sozialer Arbeit. Unsere Sozialgesetze sind problem- und individuums-
zentriert, das heißt immer auf einen konkreten Einzelfall bezogen. Wir
müssen also individuelle oder familiäre Probleme in den Blick bringen,
definieren können, mithin Probleme Individuen oder Familien zurech-
nen, um bestimmte rechtlich zugesicherte Hilfen (zum Beispiel im Sin-
ne des KJHG oder des BSHG) einleiten zu können. Mit anderen Wor-
ten, um Hilfen ausgehend von rechtlichen Regelungen zu finanzieren,
müssen in der Regel Symptom- beziehungsweise Problemträger identi-
fiziert werden. Dies bringt mindestens zwei Probleme mit sich: zum ei-
nen das Problem, dass das Umfeld, die sozialsystemischen und struktu-
rellen Ebenen der Problembedingungen zunächst einmal unberücksich-
tigt bleiben und zum anderen das Problem, dass die Ressourcen, die
besonderen Fähigkeiten, das, was klappt, nicht ins Blickfeld gerät.
Gerade deshalb ist die systemische Sichtweise hier hilfreich, um das po-
tenziell Ausgeblendete einzublenden: die sozialsystemischen Bedingun-
gen der Probleme und die Ressourcen. Besonders die systemisch-lö-
sungsorientierte Sicht versucht, den Aspekt der Ressourcen so radikal
wie keine andere Beratungs- und Therapiemethode zu berücksichtigen.

154
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION

Demnach zeigt diese systemische Perspektive die Notwendigkeit auf,


nicht in einer „Problemtrance“ zu verharren (vgl. etwa de Shazer 1988;
1991), sondern die Probleme nur so lange in den Mittelpunkt der Be-
trachtung zu stellen, bis eine sinnvolle Problembeschreibung erarbeitet
wurde.
Schließlich wollen wir – und damit laufen wir zumindest der Argumen-
tation der radikalen Lösungsorientierung eines Steve de Shazer entgegen
(vgl. ebd.) – betonen, dass die Problembeschreibung auch aus bezie-
hungsdynamischen Gründen wichtig ist. Denn wir können von zweierlei
ausgehen, und zwar erstens davon, dass sich die Wahrscheinlichkeit, er-
folgreich zu helfen, erhöht, wenn die Beteiligten (KlientInnen, KundIn-
nen und HelferInnen) ihre Beziehungen als produktiv, kooperativ, wert-
schätzend und wohlwollend empfinden; zweitens erhöht sich die Wahr-
scheinlichkeit einer erfolgreichen Hilfe je größer die Veränderungsbe-
reitschaft der KlientInnen ist. Unsere Erfahrung legt es nahe, davon
auszugehen, dass die SozialarbeiterIn/ KlientIn-Beziehung sich produk-
tiver, kooperativer und wertschätzender gestalten lässt und die Verände-
rungsbereitschaft der KlientInnen wächst, wenn zunächst die Probleme
durch den aufmerksamen Fokus der Beratungskommunikation gewürdigt
werden.
Analyse der Ressourcen: Neben der Problembeschreibung ist der Res-
sourcenanalyse besondere Bedeutung beizumessen. Letztlich schließen
wir damit an zwei klassische sozialarbeiterische Postulate an, und zwar
erstens an das Prinzip, dort anzufangen, wo der Klient steht und zwei-
tens an die Maxime, von den Stärken des Klienten auszugehen.
Wir können mindestens vier Ressourcendimensionen unterscheiden:
Erstens: Persönliche Ressourcen: Damit sind alle Fähigkeiten der Kli-
entInnen gemeint, die sie biologisch, psychisch und sozial erworben ha-
ben, zum Beispiel Humor, Sensibilität, Talente, Gesundheit, handwerk-
liches Geschick, verzeihen können, Hilfe annehmen können, im Leben
einen Sinn sehen können, Bindungsfähigkeit etc.
Zweitens: Lebensweltlich-soziale Ressourcen: Damit sind alle aus der
Sicht der Beziehungspartner guten, also konstruktiven, unterstützenden,
wertschätzenden Beziehungen zu Verwandten, Freunden, Nachbarn etc.
gemeint.
Drittens: Soziale Ressourcen im Gemeinwesen der KlientInnen: Damit
sind beispielsweise Mitgliedschaften in Vereinen gemeint, hilfreiche

155
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

Beziehungen zu Ärzten, Psychologen, Pfarrern etc., kooperative Kon-


takte zu Schulen, Kirchgemeinden oder anderen jeweils relevanten oder
hilfreichen Einrichtungen im Gemeinwesen beziehungsweise Sozial-
raum.
Viertens: sozio-ökonomische Ressourcen: Damit sind alle materiellen,
sozialen und ökonomischen Ausstattungen gemeint, wie etwa einen Ar-
beitsplatz besitzen, etwas Vermögen (zum Beispiel durch Erbschaft) er-
worben zu haben, Bildungsabschlüsse nachweisen zu können, ange-
messenen Wohnraum zu nutzen etc.
Für HelferInnen, die ihren Ressourcenblick schärfen wollen, kann es
sinnvoll sein, Ressourcen dadurch zu erkennen, dass sie das, was sie
normalerweise (etwa in ihrer eigenen Lebenswelt) als selbstverständ-
lich und alltäglich ansehen, als besonders beachtenswert, als nicht all-
täglich bewerten. Mit anderen Worten, alles das, was gut, brauchbar,
hilfreich ist, beziehungsweise was an Beziehungen positiv und kon-
struktiv läuft und was an materiellen Ausstattungen Sicherheit bieten
kann, lässt sich als Ressource ansehen. Ferner können bestimmte Pro-
blembeschreibungen auch mittels der „sanften Kunst des Umdeutens“
(vgl. Watzlawick 1977), durch das Reframing (vgl. Haye / Kleve 1998)
in Ressourcen transformiert werden. Durch Reframing lassen sich die
Bewertungen und Bedeutungen von Phänomenen (zum Beispiel von
Symptomen) verändern. Günstigenfalls lassen sich problematische Be-
wertungen in weniger problematische beziehungsweise als für den kon-
struktiven Fortgang der Beratung stützende Bewertungen transformie-
ren. Wir werden noch erläutern, dass die systemische Sichtweise, Sym-
ptome als nützliche, beziehungsgestaltende Phänomene zu betrachten,
eine solche Umdeutung darstellt.

III. BILDUNG VON HYPOTHESEN ÜBER DIE PROBLEMBEDINGUNGEN

Aus konstruktivistischer Sicht (vgl. Kleve 1996) können wir niemals


die wahren oder wirklichen Gründe für ein bio-psycho-soziales Pro-
blem ermitteln (vgl. exemplarisch für das Symptom ADHS dazu Baer-
wolff 2002). Denn psychische und soziale Systeme strukturieren sich
nach komplexen und eigenen, von außen nicht direkt beobachtbaren
Regeln. Und jeder Beobachter beobachtet nach ganz spezifischen und
selbstreferentiellen Mustern – mit anderen Worten: jeder Beobachter

156
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION

beobachtet anders. Daher lassen sich aus unterschiedlichen sachlichen,


sozialen und zeitlichen Dimensionen möglicherweise unendlich viele
Gründe beziehungsweise Ursachen für Probleme aufführen.
Diese Dimensionen können – auch innerhalb von Selbstreflexionen in
Supervisions- und Evaluationsprozessen – mit folgenden Fragen einge-
grenzt werden – Sachdimension: „Anhand welcher theoretischer Vor-
annahmen und auf der Grundlage welcher Informationen erkläre ich das
Problem?“; Sozialdimension: „Wer erklärt das Problem und aus wel-
cher Perspektive?“; Zeitdimension: „Wann erkläre ich das Problem?“.
Erklärungen, also Beschreibungen über das Warum, über die Ursachen
von Beobachtungen, sind kontingent, sie könnten in Abhängigkeit der
sachlichen, sozialen und zeitlichen Dimensionen „so, aber auch anders“
ausfallen. Auch Beschreibungen, also was beobachtet wird beziehungs-
weise welche Phänomene dem Beobachter als Realität erscheinen, und
Bewertungen, die die Bedeutung des Beobachteten markieren, können
„so, aber auch anders“, also kontingent sein.
In dieser Hinsicht sind Hypothesen zunächst (noch) unüberprüfte Erklä-
rungen über die möglichen Bedingungen, Gründe beziehungsweise Ur-
sachen der jeweils relevanten Probleme. Sie dienen dazu, weitere Über-
legungen (vor allem bezüglich der Problemlösung /Handlungsplanung)
anzuregen. Hypothesen sollten daher die bekannten Informationen des
Falls in sinnvoller Weise zu Erklärungen verknüpfen. Hypothesen sind
weiterhin im Konjunktiv, in der Möglichkeitsform zu formulieren. Die
Hypothesenbildung arbeitet deshalb – wie in Anlehnung an den Schrift-
steller Robert Musil (1930 /42, S. 16) gesagt werden könnte – mit dem
Möglichkeitssinn: „Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist
dies oder das geschehen, wird geschehen, muß geschehen; sondern er-
findet: Hier könnte, sollte oder müßte geschehen; und wenn man ihm von
irgend etwas erklärt, daß es so sei, wie es ist, dann denkt er: Nun, es könn-
te wahrscheinlich auch anders sein“.
Weiterhin empfehlen wir beim Bilden von kausalen Hypothesen vier
Aspekte zu beachten:
Erstens: Hypothesen sollten beziehungsdynamisch formuliert sein. Er-
klärungen für die problematischen Verhaltensweisen sollten sich also
auf die Interaktionen beziehen, in deren Kontext diese Verhaltenswei-
sen als (Re-)Aktionen bezüglich anderer Verhaltensweisen gezeigt wer-
den. Mit anderen Worten, die am Problem beteiligten beziehungsweise
vom Symptom betroffenen Personen sollten in die Erklärungen einbe-

157
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

zogen sein. Aus beziehungsdynamischer Sicht könnten wir auch von


der Perspektive, von dem Reframing (s.o.) ausgehen, dass Symptome
oder Probleme beziehungsgestaltend wirken, einen Sinn machen kön-
nen, eine Funktion erfüllen und einem Zweck dienen. Mit psychoanaly-
tischer Terminologie wäre hier auch von dem so genannten „sekundä-
ren Krankheitsgewinn“ (Freud 1942, S. 202ff.) zu sprechen. Wir sollten
also schauen, in welchen Beziehungen das jeweilige Symptom oder
Problem welche „positive“ Wirkung, welche Funktion, welchen Sinn
hat.
Zweitens: Hypothesen sollten erklären, wie, das heißt aufgrund welcher
Annahmen, Modelle, Sichtweisen, kurz: „inneren Landkarten“ der Kli-
entInnen Probleme zustande kommen beziehungsweise aufrecht erhal-
ten werden. Denn mit Watzlawick u.a. (1974) können wir davon ausge-
hen, dass Probleme inadäquate Lösungsversuche sind, die mit bestimm-
ten Sichtweisen, Annahmen, Modellen beziehungsweise „inneren
Landkarten“ der KlientInnen einhergehen. Menschen, die sich Proble-
me zuschreiben, überlegen, wie sie diese lösen können. Genau diese
Überlegungen können aber durch die daraus resultierenden Handlungen
die Probleme erst zementieren oder verstärken, das heißt – paradox ge-
sagt: die Lösung beziehungsweise der Lösungsversuch wird selbst zum
Problem. Daher ist es wichtig, die Aussagen der KlientInnen dahinge-
hend auszuwerten, ob sich in ihnen derartige problematische Sichtwei-
sen, Annahmen oder Modelle über die Probleme beobachten lassen.
Außerdem sollten die bisherigen Lösungsversuche mit den KlientInnen
besprochen werden, um zu sehen, warum diese nicht greifen konnten
und möglicherweise das Problem verstärkten.
Drittens: Hypothesen sollten relevante Ereignisse in den Blick bringen,
die das Problem möglicherweise bedingen könnten. Hierbei sind die na-
türlichen Lebenszyklen von Menschen und Familien zu beachten, die
markante Punkte aufweisen, an denen mit individuellen und sozialen An-
passungen reagiert werden muss. In Abhängigkeit davon, wie diese An-
passungen gelingen, kann es zu Problem- beziehungsweise Symptombil-
dungen kommen. Als Unterstützung für diesen Aspekt der Hypothesen-
bildung kann beispielsweise die folgende Tabelle als grobes Raster
dienen, die den natürlichen Lebenszyklus von Familien mit seinen unter-
schiedlichen Stationen, Ereignissen und Entwicklungsaufgaben deutlich
macht.

158
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION

Übersicht 12

Familiärer Lebenszyklus
Phase Zu bewältigende Aufgaben
• Aufeinander einstellen
• Klären gegenseitiger Erwartungen
Paarbildung • Einüben von Verhaltensmustern
• Ausgleich von Wertvorstellungen
• Differenzierung zu den Herkunfts-familien
(Regeln finden, welche Herkunftsfamilie setzt
sich durch?)
• Erweiterung des 2-er Systems
• Paarbeziehung sollte neu geregelt werden
Geburt eines Kindes • Mutter-Kind-Symbiose sollte gelöst werden
• Einsetzen gruppendynamischer Prozesse
• Dreiecksbildung (kann stabilisierende und kon-
fliktmildernde Funktion für die Paar-beziehung
haben)
• Einsetzen sozialer Kontrolle durch öffentliche
Institutionen
Kind kommt in die Kita / • Kind lernt andere Beziehungen und Wert-vor-
Schule stellungen kennen (Loyalitätskonflikte)
• „Leistung“ wird thematisiert
• Autonomiebestreben des Kindes verstärkt sich
und ruft u.U. Verlustängste bei den Eltern hervor
• Entwicklung geschlechtlicher Identität
• Infragestellung elterlicher Autorität
Heranwachsen des Kindes • Hinwendung zu peer-groups
• Ablösung vom Elternhaus
• Eltern sollten Kind mehr Autonomie und Ver-
antwortung zugestehen
• Übergang zum 2-er System
• Eltern sollten sich wieder als Paar definieren
Auszug des Kindes • Bewältigung des Verlustes des Kindes
• Kind baut sich eine Paarbeziehung auf (Symp-
tome können auftreten, weil Autonomiebestrebun-
gen evtl. boykottiert werden; Kind phantasiert: es
würde etwas Schlimmes passieren, wenn ich raus
gehe)

159
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

Phase Zu bewältigende Aufgaben


Neuorientierungs-/ • Ende der Berufstätigkeit
Altersphase • Suche nach neuem Lebenssinn
• Geburt von Enkeln
• Umgang mit Pflegebedürftigkeit
Tod • Abschied

Neben diesen eher natürlichen, zeitbedingten Ereignissen kommen häu-


fig weitere (zum Beispiel externe, sozio-ökonomische) Ereignisse dazu,
die als Belastungen und damit als problemauslösend wirken; zum Bei-
spiel könnten das Ereignisse wie Trennungen und Scheidungen, Erkran-
kungen, Umzüge, früher Tod, Arbeitslosigkeit, Unfall, Gründung einer
Zweitfamilie etc. sein.
Viertens: Sozialarbeiterische Hypothesen sollten sozio-ökonomische
Faktoren zur Problemerklärung einbeziehen. Derartige Faktoren sind
beispielsweise gesellschaftliche Veränderungen (zum Beispiel die Ver-
einigung der beiden deutschen Staaten), gesamtgesellschaftliche Wirt-
schaftskrisen (zum Beispiel strukturelle Arbeitslosigkeit), Veränderun-
gen der Rollenanforderungen an die Geschlechter (Gender-Thematik),
politische und rechtliche Strukturvorgaben (zum Beispiel Veränderung
beziehungsweise Abbau der Infrastruktur wie Schließung wichtiger
Einrichtungen), aber auch Geld- oder Wohnraummangel etc.
Zusammenfassend gesagt geht es bei der Hypothesenbildung um die Er-
arbeitung von handlungsleitenden Ideen, die nicht wahr, sondern bes-
tenfalls brauchbar beziehungsweise nützlich sind bei der weiteren Ar-
beit mit den KlientInnen. Denn die Bestätigung über die Brauchbarkeit
unserer Hypothesen erfahren wir nur im Dialog mit den KlientInnen. In-
sofern empfehlen wir immer mehr als eine, möglicherweise auch sich
widersprechende Hypothesen zu bilden, die den KlientInnen angeboten
werden können oder von denen während der Arbeit ausgegangen wer-
den kann. Mit Helm Stierlin (1989, S. 151) ist es uns wichtig zu bemer-
ken, dass es „nicht darum [geht], die eine ‚richtige’, sondern eine sinn-
volle Hypothese zu finden oder, vielleicht besser: zu erfinden. Diese
Hypothese sollte dann jederzeit auf Grund neuer Informationen verwor-
fen, modifiziert oder durch eine zutreffendere ersetzt werden können.
Anders als zum Beispiel klassisch psychoanalytisch orientierte Profes-
sionelle gehen wir nicht davon aus, dass der „Widerstand“ gegenüber

160
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION

einer Deutung beziehungsweise Hypothese deren Richtigkeit beweist,


im Gegenteil: bei „Widerstand“ gegenüber einer Hypothese ziehen wir
selbst diese in Zweifel und suchen – auch gemeinsam mit den KlientIn-
nen – eine neue. Dies resultiert aus den oben genannten beziehungsge-
staltenden Aspekten der Wertschätzung und des Akzeptierens der klien-
tären Meinungen und Überzeugen und aus der Kontingenz und Fehlbar-
keit jeder Hypothesenbildung.

IV. ZIELFINDUNG UND AUFTRAGSKLÄRUNG

Die Zielfindung und Auftragsklärung sind Aspekte, die im klassischen


methodischen Dreischritt neben der Kontextualisierung und Evaluation
nicht explizit benannt werden. Daher wollen wir zunächst erklären, wa-
rum diese Aspekte aus unserer Sicht besonders wichtig sind.
Ausgehend vom systemisch-lösungsorientierten Ansatz versuchen wir
die Aufmerksamkeit der KlientInnen auf eine zufriedenstellende bezie-
hungsweise problemfreie Zukunft zu fokussieren. Dafür ist es sinnvoll,
die anzustrebenden Ziele gemeinsam mit den KlientInnen zu definieren.
Idealerweise sind die Ziele der KlientInnen in den Mittelpunkt zu stel-
len. Denn dies ist die Voraussetzung, die Basis für eine kooperative,
partnerschaftliche Gestaltung des Hilfeprozesses. Außerdem fordert
eine (post)moderne Soziale Arbeit die noch zu besprechende Evaluati-
on, die nur durchgeführt werden kann, wenn die tatsächlich erreichten
Ergebnisse der Hilfe mit den vereinbarten Zielen verglichen werden
können (Aspekt der Effektivität). Auch möchten wir auf die Unterschei-
dung von Positionen und Interessen hinweisen. Die Positionen sind die
geäußerten Absichten und Wünsche und verdecken häufig die „eigent-
lichen“ Bedürfnisse und Interessen der KlientInnen, die die Grundlage
für die Zielformulierung sein sollten. Um zu verdeutlichen, wie wir Po-
sitionen von Interessen unterscheiden, möchten wir das folgende, viel-
leicht bekannte Beispiel anführen:
Zwei Schwestern streiten sich um eine Apfelsine, beide äußern den
Wunsch, die Apfelsine zu besitzen. Der Kompromiss, zu dem gelangen,
ist, die Apfelsine zu teilen. Wie sich dann heraus stellt, wollte eine
Schwester die Schale der Apfelsine zum Kuchenbacken benutzen, wäh-
rend die andere das Fruchtfleisch essen wollte. Wäre es den beiden vor-

161
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

her gelungen, ihre eigentlichen Interessen, ihre Ziele heraus zu finden,


hätten sie eine bessere Lösung vereinbaren können.
Bei der Zielfindung erscheint es uns sinnvoll, die zunächst geäußerten
Positionen und Wünsche auf ihre nicht artikulierten Bedeutungsgehalte
zu befragen. Denn erst die Bedeutungen, die hinter Positionen und
Wünschen stehen oder mit diesen latent einher gehen, ermöglichen die
Explizierung der eigentlichen Ziele unserer KooperationspartnerInnen.
Bei der Zielfindung sind aus unserer Sicht weiterhin vor allem folgende
Aspekte zu beachten (vgl. Walter /Peller 1994): Ziele sollten eindeutig
definiert werden, sie sollten so konkret, überschaubar und klein wie
möglich sein. Beispielsweise ist aus dieser Sicht die häufig formulierte
„Selbstwerterhöhung“ in sozialarbeiterischen Hilfe- und Zielplanungen
eine eher unangemessene Beschreibung, weil sie sehr schwer zu opera-
tionalisieren ist – es sei denn, das Ziel der „Selbstwerterhöhung“ wird
durch konkret beschriebene Verhaltensweisen operationalisiert, an de-
nen diese – sowohl für die KlientInnen in der Selbst- als auch für die
HelferInnen in der Fremdwahrnehmung – erkennbar ist. Zielformulie-
rungen sollten in unserem Sinne also operationalisierbar sein, das heißt
konkrete Verhaltensweisen benennen, die von den KlientInnen in abseh-
barer Zeit auch erreichbar und überprüfbar („messbar“) sind. Weiter-
hin sollten Ziele positiv formuliert sein, also keine Negationen, was man
nicht mehr tun will, enthalten. Beispielsweise könnte in dieser Diktion
das Ziel „Ich will nicht mehr rauchen“, das eine Negation enthält, trans-
formiert werden in das Ziel: „Ich will wieder gut atmen können.“ Das
Postulat der positiven Formulierung von Zielen resultiert aus der Erfah-
rung, dass es Menschen leichter fällt, negativ bewertete Verhaltenswei-
sen durch andere, positive bewertete Verhaltensweisen zu ersetzen, als
die negativ bewerteten Verhaltensweisen einfach nicht mehr zu tätigen.
Wir wollen also den Fokus der Aufmerksamkeit nicht auf ein Defizit,
nicht auf einen Verlust lenken, sondern auf einen Gewinn, eben auf die
Möglichkeit, neues positives Verhalten zu erlernen beziehungsweise
zeigen. Damit betonen wir, dass Ziele dazu dienen sollen, funktionale
Äquivalente für problematisch bewertete Verhaltensweisen zu finden.
Mit anderen Worten geht es bei der Zielfindung darum zu erfragen, was
statt des problematischen Verhaltens getan werden beziehungsweise er-
reicht werden soll.
Während der Zielvereinbarung sollte differenziert werden, wer was
wann mit wem wie wozu erreichen beziehungsweise tun möchte. Bei

162
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION

diesen Fragestellungen gerät bereits die Auftragsklärung ins Blickfeld.


Bei der Auftragsklärung stellt sich der Sozialen Arbeit jedoch ein be-
sonderes Problem. Denn wir haben es zumeist mit einer triadischen Be-
ziehung zu tun, die sich strukturiert durch die Aufträge der KlientInnen,
der KundInnen und der HelferInnen. Wir unterscheiden zwischen Kli-
entInnen und KundInnen, jene sind die so genannten Hilfsbedürftigen,
die AdressatInnen Sozialer Arbeit, diese sind die auf der Grundlage der
sozialrechtlichen Bestimmungen Hilfe einleitenden und finanzierenden
Stellen (zum Beispiel Sozial-, Jugend-, Gesundheitsamt, Gerichte,
Krankenkassen etc.). Die eigentlichen HelferInnen sind zumeist Sozial-
arbeiterInnen von unterschiedlichen freien Trägern, oder LehrerInnen,
ErzieherInnen, ÄrztInnen etc., die in dem Auftragsklärungsprozess
durch eine koordinierende Fachkraft (zum Beispiel durch eine /n Case
ManagerIn) einbezogen werden sollten. Denn wir gehen auch davon
aus, dass die in den Fall involvierten HelferInnen – häufig ohne es zu
explizieren – jeweils eigene Ziele beziehungsweise Aufträge verfolgen.
Die Aufgabe während der Auftragsklärung besteht darin, die mögli-
cherweise unterschiedlichen beziehungsweise widersprüchlichen Ziele
und Aufträge offen zu legen und im Sinne der KlientInnen miteinander
zu vermitteln. Es geht hierbei um einen Einigungs- und Koordinations-
prozess, der das Ziel hat, dass die Aufträge miteinander kompatibel sind
und den Kriterien von Effektivität und Effizienz entsprechen.
Effektivität meint, dass die vereinbarten Ziele in tatsächliche Ergebnis-
se, Erfolge transformiert werden (Zielwirksamkeit). Effizienz bringt
zum Ausdruck, dass sich die Arbeit an ökonomischen Kriterien orien-
tiert, dass mit so wenig Aufwand an Personal und Zeit, sprich: an Kos-
ten wie möglich der größtmögliche Nutzen erreicht wird. Aus unserer
Erfahrung können wir sagen: je größer die Klarheit der erarbeiteten Zie-
le ist, je deutlicher sie sich also an unseren Empfehlungen anlehnt, desto
mehr Engagement und Motivation zeigen alle Beteiligten bei der Ziel-
erreichung.
Schließlich ist bei der Zielerarbeitung zu beachten, dass mit den Klien-
tInnen über die Auswirkungen der Zielereichung gesprochen wird.
Denn die Erreichung der Ziele kann neben den gewünschten Effekten
auch nicht intendierte Nebeneffekte zeitigen. Über die Möglichkeit der
nicht erwünschten Effekte sollten sich die KlientInnen wie die Sozial-
arbeiterInnen bewusst sein. So könnte gefragt werden: „Stellen Sie sich
vor, Sie haben Ihr Ziel erreicht, was ist dann anders? Was haben Sie

163
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

dann erreicht, können Sie dann? Und was müssen Sie möglicherweise
auch lassen oder aufgeben? Was ist der Preis, den Sie zahlen müssen,
oder den Sie zu zahlen bereit sind, um Ihre Ziele erreichen?“

V. HANDLUNGSPLANUNG

Bevor wir die Phase der Handlungsplanung beschreiben, möchten wir


mit einem metaphorischen Hilfe-Postulat beginnen:
Kluge und erfolgreiche HelferInnen werden hungrigen Menschen, die
am Ufer eines Meeres, Sees oder Flusses leben, nicht jeden Tag einen
Fisch zum Essen bringen, sondern sie lehren, sich diesen Fisch selbst
zu fangen.
In diesem Postulat verbirgt sich eine entscheidende Ethik jeder Sozial-
arbeit beziehungsweise Hilfe, nämlich Hilfe anzubieten, die Selbsthilfe
ermöglicht, die die Hilfe wieder zu beenden erlaubt. Diese Ethik ent-
spricht einem alten Postulat Sozialer Arbeit, Menschen nicht von Hilfe
abhängig zu machen, sondern Emanzipations- beziehungsweise Ver-
selbstständigungsprozesse anzuregen. Mit Reinhart Wolff (1990, S. 22)
können wir jedoch davon ausgehen, dass jede Hilfe mit einem gegentei-
ligen Trend, ja einem Paradox einher geht: „Hilfe stärkt nicht in jeder
Hinsicht, sondern sie macht auch abhängig und schafft schiefe Ebenen.
Insofern schwächen die vielfältig entwickelten Hilfesysteme in der mo-
dernen Gesellschaft möglicherweise die Kräfte, die sie stützen wollen.
Das ist das zentrale Hilfeparadox der modernen Gesellschaft“.
In dieser Paradoxie verbirgt sich eine andere, wichtige Paradoxie Sozi-
aler Arbeit, dass nämlich eine helfende Beziehung dann erfolgreich (ge-
wesen) ist, wenn sie beendet werden kann. HelferInnen beginnen eine
helfende Beziehung mit dem Ziel, sie so schnell wie möglich wieder zu
beenden.
Nebenbei gesagt gilt das auch für andere Professionelle, zum Beispiel
für Ärzte oder Rechtsanwälte. Der Patient ist dann geheilt, wenn er
nicht erneut den Arzt aufsuchen muss. Der Klient ist dann zufrieden,
wenn er den Rechtsanwalt nicht mehr benötigt. Natürlich kann die Hilfe
nur erfolgreich sein, wenn die Beziehung – wie oben bereits erwähnt –
tragfähig ist und durch den Faktor der gegenseitigen Sympathie struk-
turiert wird, aber auch nur dann, so wollen wir gleich hinzufügen, wenn

164
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION

klar ist, dass diese Beziehung nach Erreichung der vereinbarten Ziele
beendet wird. Dieser professionelle Kern der helfenden Beziehung in
der Sozialen Arbeit ist von Anfang an den KlientInnen gegenüber zu be-
tonen, was auch heißt, dass der mögliche Ablösungsprozess bei der Be-
endigung gestaltet werden muss.
Vor dem Hintergrund ethischer, moralischer und professioneller Ver-
antwortung (vgl. dazu etwa DBSH 1997) sind der Kreativität von Inter-
ventionen keine Grenzen gesetzt. HelferInnen können auch ungewöhn-
lich wirkende Wege beschreiten (zum Beispiel Reframing, vgl. 10. Ka-
pitel; oder Provokationen, vgl. Kersting 1991) – vorausgesetzt die
helfende Beziehung ist tragfähig. Mit Watzlawicks Unterscheidung von
Beziehungs- und Inhaltsaspekten der Kommunikation (vgl. Watzlawick
u.a. 1969) können wir sagen, dass ungewöhnliche Wege dann beschrit-
ten werden können, wenn die Beziehungsebene aus beiden Perspekti-
ven (aus der Sicht der KlientInnen und aus der Sicht der HelferInnen)
durch Sympathie und hohe Wertschätzung gekennzeichnet ist. Wenn
dies der Fall ist, dann können auf der Inhaltsebene provozierende Inter-
ventionen gesetzt werden, die die KlientInnen in Richtung Problemlö-
sung aktivieren oder sie motivieren, neue Denk- und Handlungsmög-
lichkeiten auszuprobieren. Zum Beispiel kann ein Reframing auch ein-
gesetzt werden, um bisher problematisch bewertete Verhaltensweisen
positiv zu konnotieren. Wir gehen – ganz konstruktivistisch – davon
aus, dass alle Beschreibungen, zum Beispiel von Problemen, mindes-
tens zwei Seiten haben, wovon die eine zumeist ausgeblendet bleibt.
Dies haben wir bereits thematisiert bezüglich des so genannten „sekun-
dären Krankheitsgewinns“.
Außerdem müssen wir eine professionelle Verantwortungsbegrenzung
thematisieren, die darin besteht, dass wir zwar als HelferInnen auf der
Grundlage unserer Problembeschreibungen, Ressourcenanalysen und
kausalen Hypothesen für unsere Handlungen und Interventionen auch
verantwortlich sind und uns natürlich besonders für die Wirkungen, die
daraus resultieren, interessieren, aber nicht die Macht und den Einfluss
haben, diese Wirkungen zu prognostizieren und zu determinieren. Ni-
klas Luhmann und Karl Eberhard Schorr (1979) prägen dafür den Be-
griff „Technologiedefizit“. Ein solches Technologiedefizit ist allen Pro-
fessionen, die „people processing“, also Arbeit am und mit Menschen
betreiben, eigen. Demnach besteht während der Hilfe die Unsicherheit,
dass wir nicht wissen können, welche Wirkungen aus welchen Ursa-

165
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

chen folgen und dass wir demnach nur Wahrscheinlichkeiten prognos-


tizieren können. Mit Heinz von Foerster (1988) können wir formulie-
ren, dass wir es bei allen Menschen oder bei allen psychischen und so-
zialen Systemen mit nicht-trivialen Systemen zu tun haben, deren
Handeln und Kommunizieren potentiell selbstbestimmt und von außen
nicht steuerbar ist. Daher können wir uns zwar seinem ethischen Impe-
rativ anschließen: „Handle stets so, dass du die Anzahl der Möglichkei-
ten erweiterst“ (ebd., S. 33). Aber wir werden vorher nie mit Sicherheit
wissen können, welches diese Möglichkeiten sein werden.
Bei der Handlungsplanung ist es weiterhin ratsam, die Sprache der Kli-
entInnen zu beachten, einen sprachlichen Zugang zu ihnen zu finden,
uns auf die klienteneigene Sprache einzustellen, bestenfalls mit der
Sprache der KlientInnen zu sprechen (vgl. Watzlawick 1977), um die
Handlungsschritte zu beschreiben. Dieses Vorgehen resultiert aus zwei
Annahmen: erstens sind wir der Meinung, dass die Empathie in der hel-
fenden Beziehung erhöht wird, wenn wir uns auf die Sprache der Klien-
tInnen einstellen. Dies erhöht wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass
wir die Beziehungsseite der Hilfe in Richtung Wertschätzung, Koope-
ration und gegenseitiger Achtung ausbauen. Zweitens glauben wir, dass
Handlungen, die in das Wertesystem der KlientInnen passen, eher um-
gesetzt werden können, als von außen heran getragene Handlungsemp-
fehlungen. Und dieses Wertesystem drückt sich aus in der Sprache der
KlientInnen, so dass wir versuchen sollten, Handlungen zu planen und
umzusetzen, die in diesem Sprachsystem beschrieben werden können.
Watzlawick soll in diesem Zusammenhang seinen Therapeutenkollegen
empfehlen: „You have to speak in the language of the clients!“ (persö-
liche Aussage Andras Wienand)
Betonen wollen wir, dass sich dieses sprachsensible Herangehen von
psychoanalytisch orientierten Vorgehensweisen unterscheidet. Dazu
eine Metapher:
Den KlientInnen von psychoanalytisch orientierten TherapeutInnen
wird nachgesagt, dass sie irgendwann lernen, ihre Träume nach den
Theorien von Freud oder Jung und den entsprechenden Metaphern zu
strukturieren. Bei uns sollte dies genau umgekehrt sein: Nicht unsere
KlientInnen sollten so träumen wie wir, oder wie unsere theoretischen
und methodischen Protagonisten und Vorbilder es von ihnen erwarten,
sondern umgekehrt: wir sollten die metaphorische und die Traumspra-

166
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION

che der KlientInnen erlernen, um uns an ihren kognitiven Modellen und


inneren Landkarten anzukoppeln.
Schließlich können wir bei der Beschreibung der Handlungsschritte von
den Regeln ausgehen, die wir bereits bei der Zielfindung nannten. Die
geplanten Handlungen sollten so konkret wie möglich zum Ausdruck
bringen, wer was wann wo mit wem wie und wozu tun soll, um die de-
finierten Ziele zu erreichen. Weiterhin empfehlen wir die folgenden
drei Postulate von Insoo Kim Berg (1991, S. 30): „Repariere nicht, was
nicht kaputt ist! Wenn du weißt, was funktioniert, mach mehr davon!
Wiederhole nicht, was nicht funktioniert, mach etwas anderes!“ (ebd.).
Bei der Handlungsplanung versuchen wir letztlich, Ausnahmen zu den
problematischen Zeiten, Situationen zu fokussieren. Es geht darum zu
fragen, wann und wo die Probleme nicht oder weniger auftreten und
was dann anders ist beim Handeln beziehungsweise was dann funktio-
niert. Das Handeln, das in diesen Ausnahme-Situationen gezeigt wird,
gilt es zu untersuchen und in andere Situationen zu übertragen.
Solche Ausnahmen können zugleich als Ressourcen unserer KlientIn-
nen angesehen werden, mit denen wir weiter arbeiten können. Wir bau-
en auf die Stärken, auf das, was funktioniert. Zugleich aktivieren wir
mit dieser Orientierung die Selbstbestimmung der KlientInnen. Denn
wir setzen dort an, wo die KlientInnen bereits die Fähigkeiten und
Handlungen zeigen, die sie benötigen, um ihre Probleme zu lösen. Wir
„kitten“ also keine Defizite, indem wir von außen etwas Neues einfüh-
ren (wollen), sondern wir ermöglichen die Aktivierung dessen, was die
KlientInnen bereits können und tun, ohne dies häufig selbst zu wissen.
Genau dadurch erreichen wir dann das, was viele SozialarbeiterInnen in
ihren Hilfeplänen als Ziel benennen: eine Erhöhung des „Selbstwertge-
fühls“ der KlientInnen. Und dies führt dann bestenfalls dazu, dass die
KlientInnen wieder fähig werden, ohne Hilfe zu leben.

VI. EVALUATION

Im letzten Schritt wird nun das, was erreicht wurde, gemessen anhand
der vereinbarten Ziele. Dabei ist natürlich der Prozess zu berücksichti-
gen, der dazu führt, dass sich anfangs vereinbarte Ziele verändern. Den-
noch wird verglichen, ob tatsächlich die Ergebnisse erzielt wurden, die
die KlientInnen während der Hilfe erreichen wollten (Effektivität). Au-

167
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

ßerdem ist das Verhältnis von Aufwand (Zeit und Personal) und Nutzen
(Effizienz) zu beschreiben. Wie viel Geld wurde für die jeweilige Hilfe
ausgegeben und welcher Nutzen ging damit einher? Der Nutzen kann
freilich nur bestimmt werden durch Befragungen der Beteiligten, insbe-
sondere der KlientInnen. In der Regel – so banal es klingen mag – sollte
es allen Beteiligten, vor allem natürlich den KlientInnen nach Beendi-
gung der Hilfe besser gehen.

RHIZOMATISCHE NACHBEMERKUNG

Obwohl wir die sechs Schritte helfender Kommunikation in einer line-


aren Abfolge vorgestellt haben, verlangt die Praxis ein anderes Vorge-
hen. In der Praxis wird sich diese Linearität durch Schleifen verkomp-
lizieren; zwischen den Schritten wird hin- und hergesprungen werden
müssen, so dass sich kein linearer, sondern ein zirkulärer Zeitpfeil, eher
ein Netz abzeichnet (siehe die Abbildung unten). Der Prozessablauf der
sechs Schritte ist praktisch nur zirkulär vorstellbar, das heißt die Reali-
sierung jedes Schritts kann immer auch den Rückverweis auf die je-
weils vorgängigen Schritte erfordern. Diese zirkuläre Struktur nennen
wir mit den französischen Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guat-
tari eine rhizomatische Struktur. Eine solche Struktur ist die Struktur ei-
nes Rhizoms, einer netzwerkartigen Wurzel, eines verwobenen Ge-
spinstes. „Jeder Punkt eines Rhizoms kann (und muß) mit jedem ande-
ren verbunden werden.“ (Deleuze /Guattari 1980, S. 16). Dies wird in
der folgenden Visualisierung deutlich:
Unser methodisches Vorgehen ist also nicht linear, sondern verwoben,
rückläufig, vorläufig, fragmentarisch, hin- und hergehend kurz: rhizo-
matisch. Dies ist leicht einzusehen, wenn wir – erstens – bedenken, dass
Soziale Arbeit grundsätzlich in Kommunikation abläuft. Alle sechs
Schritte sind kommunikative Schritte. Und die Grundlage dieser Kom-
munikation, das, worüber gesprochen wird, kann sich – zweitens – per-
manent ändern, nämlich die Probleme der KlientInnen. Es können neue
Fakten hinzu kommen, so dass der Fall neu eingeschätzt werden muss
(1. Schritt), obwohl man sich beispielsweise bereits damit beschäftigt,
über die Ziele zu sprechen, diese auszuhandeln (4. Schritt). Auch die
Evaluation (6. Schritt) wird permanent mitlaufen müssen, immer – wäh-
rend jedes einzelnen Schrittes – wird man sich fragen und bestenfalls

168
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION

bereits dokumentieren, was erreicht wurde, wird man dies bewerten und
einschätzen. Der sozialarbeiterische Problemlösungsprozess ist so
komplex, weil er niemals linear ablaufen, niemals im Sinne einer indus-
triellen oder technischen Dienstleistung verstanden werden kann. Denn
er ist nicht nur ein Prozess, ein Werden, er bezieht sich auch auf Prozes-
se, in unserem Fall auf das Werden von psychischen und sozialen Sys-
temen, von einzelnen Personen und von Familien.

Übersicht 13

Können Sie mir für diese Übersicht bitte einen


stimmigen Ausdruck schicken? Danke.
In der Datei war sie leider „zerhackt“.

169
9. Mediation – Eine systemische
Methode Sozialer Arbeit20

Ein Rabbi hält in seinem Wohnzimmer regelmäßig als Dorfrichter Gerichts-


sitzungen ab. Eines Vormittags kommt ein höchst erregter Dorfbewohner
und schildert die Untaten eines seiner Nachbarn. Der Rabbi hört sich alles
an und sagt am Ende: „Da hast Du aber Recht.“ Kaum zwei Stunden später
taucht der Nachbar auf. Er schildert in allen Einzelheiten, was sich der
andere alles hat zuschulden kommen lassen. Der Rabbi hört wiederum auf-
merksam zu und sagt schließlich: „Da hast Du aber Recht.“ Die Frau des
Rabbi, die aus der Küche das Geschehen mitverfolgt hat, betritt das Wohn-
zimmer und stellt ihren Mann zur Rede: „Sag mal, bist Du eigentlich noch
bei Trost. Erst kommt die eine Seite, und Du sagst: ‚Da hast Du aber Recht.‘
Kurz darauf kommt die Gegenseite, und auch da sagst Du: ‚Da hast Du aber
Recht.‘ So geht das doch nicht! Das kannst Du doch im Ernst nicht
machen!“ Der Rabbi denkt eine Weile nach und sagt: „Da hast Du aber
Recht“.21

AUSGANGSPUNKTE

Um ihre Arbeit für die Klienten gewinnbringend zu gestalten, verab-


schieden sich Mediatoren, also professionelle Konflikt-Vermittler, von
der üblichen beziehungsweise unreflektierten Vorstellung, dass es in
Konflikten zwischen zwei Parteien eine Partei gibt, die Recht hat, die
auf der Seite des Richtigen, des Wahren oder des Guten steht und eine
Partei, die Unrecht hat, die also auf der Seite des Falschen, des Unwah-
ren oder des Bösen ihr Unwesen treibt. Mediatoren lehnen das alte Dog-
ma der klassischen Logik ab, dass Beobachtungen, Beschreibungen, Er-
klärungen und Bewertungen (in der Welt beziehungsweise über etwas
in dieser Welt) entweder wahr oder falsch sind. Im Gegensatz dazu ste-

20 Ich danke Jürgen Schroeder-Banzhaf, Diplom-Psychologe und verantwort-


licher Dozent der Weiterbildung Konflikt-Mediation an der Hochschule „Alice
Salomon“ Berlin, für hilfreiche Anregungen und Kommentare zu einer früheren
Version des Textes.
21 Siehe zu dieser Geschichte Trenkle 1999, S. 175f.

170
MEDIATION – EINE SYSTEMISCHE METHODE SOZIALER ARBEIT

hen Mediatoren auf der Seite des Und beziehungsweise des Sowohl-Als-
Auch und befinden sich damit – beispielsweise mit Wassily Kandinsky,
auf den sich Ulrich Beck (1993, S. 9ff.) mit seinem Plädoyer für das
Und beruft – auf der Höhe der Zeit. Denn das 20. und mit Sicherheit
auch das gerade angebrochene 21. Jahrhundert sind – im Gegensatz
zum 19. Jahrhundert, in dem das Entweder-Oder regierte – vom Und
geprägt: „Dort [im 19, Jahrhundert; H.K.]: Trennung, Spezialisierung,
das Bemühen um Eindeutigkeit, Berechenbarkeit der Welt – hier [im 20
und 21. Jahrhundert; H.K.]: Nebeneinander, Vielheit, Ungewißheit, die
Frage nach dem Zusammenhang, das Experiment des Austausches, des
eingeschlossenen Dritten, Synthese, Ambivalenz“ (ebd., S. 9).
In einer sehr zugespitzten, die mediative Grundhaltung und deren kon-
struktiv ambivalente Auswirkung aber gerade deshalb sehr veranschau-
lichenden Form wird dieses Und beziehungsweise Sowohl-Als-Auch in
der Geschichte vom Rabbi (siehe oben) überaus deutlich. In den Worten
des systemischen Ansatzes Sozialer Arbeit könnten wir die Haltung des
Rabbi mit Allparteilichkeit bezeichnen. Allparteilichkeit (multidirectio-
nal partiality) ist ein Prinzip, das von dem Familientherapeuten Ivan
Boszormenyi-Nagy in den 1960er Jahren erarbeitet wurde und das in der
Familientherapie eine Haltung umschreibt, „die es dem Therapeuten er-
möglicht, sich empathisch in jedes Familienmitglied, seine Positionen
und insbesondere seine Notlage innerhalb der Familie einzufühlen, sei-
ne Verdienste zu erkennen und diesen entsprechend für ihn Partei zu er-
greifen“ (Simon/ Clement/Stierlin 1999, S. 29). Genau diese Haltung
stellt nun auch ein zentrales Prinzip jeder Mediation, ja die Grundhal-
tung von Mediatoren dar. Nur wenn Mediatoren eine allparteiliche Hal-
tung einnehmen, ist es möglich, dass die am Konflikt beteiligten Streit-
parteien das Ziel erreichen, das die Mediation ihnen verspricht, nämlich
dass sie am Ende des Mediationsprozesses eine gemeinsame und ein-
vernehmliche Lösung erarbeiten, die beiden Parteien als Gewinn er-
scheinen kann. Die Mediation wird also von einer grundsätzlich syste-
mischen Orientierung strukturiert: von der Allparteilichkeit der Medi-
atoren.
Dass nicht nur dieses Prinzip der Mediation der systemischen Orientie-
rung Sozialer Arbeit entspricht, sondern dass die Mediation – so zumin-
dest meine These – als eine (relativ) neue Methode der Sozialen Arbeit
als ein grundsätzlich systemisch ausgerichtetes Verfahren bewertet
werden kann, soll im Folgenden eingehender gezeigt werden.

171
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

Zunächst möchte ich allerdings exemplarisch drei Fallbeispiele darstel-


len, die mögliche Handlungsfelder für Mediatoren verdeutlichen kön-
nen. Alle Fallbeispiele stammen aus meiner eigenen Praxis beziehungs-
weise aus der Praxis von Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich zu-
sammen an Supervisionen teilnahm und sind selbstverständlich so
verfremdet, dass nicht auf die realen Gegebenheiten zurück geschlossen
werden kann (I.). Im Anschluss daran will ich verdeutlichen, warum
Mediation als eine (generalistisch und lebensweltlich orientierte) Me-
thode der Sozialen Arbeit verstanden werden kann (II.), um sodann ex-
plizit das Systemische der Mediation anhand von zentralen mediativen
Verfahrenselementen heraus zu stellen (III.). Schließlich soll die Medi-
ation in die gegenwärtige Gesellschaftsentwicklung als eine sozialar-
beiterische Methode eingeordnet werden, die ein neues Verhältnis von
Funktionssystemen und Lebenswelten deutlich macht (IV.).

I. DREI FÄLLE FÜR DIE MEDIATION

Simone ist neun Jahre alt und lebt bei ihrer Mutter. Ihre Eltern, Frau und
Herr Müller, haben sich vor kurzem – nach einer längeren Krisensitua-
tion – getrennt. Herr Müller zog inzwischen aus der gemeinsamen Woh-
nung aus und lebt jetzt bei seiner neuen Partnerin. Frau Müller blieb mit
Simone in der Wohnung und möchte dort auch wohnen bleiben. Die El-
tern einigten sich darauf, dass Simone zweimal in der Woche von ihrem
Vater abgeholt wird und dass Vater und Tochter dann zwei bis drei
Stunden gemeinsame Zeit verbringen. Diese Kontakte liefen einige
Wochen lang problemlos – bis Simone psycho-somatische Auffällig-
keiten zeigte. Sie klagt seit einiger Zeit immer wieder über anhaltende
Kopf- und Bauchschmerzen. Frau Müller nimmt mit ihrer Tochter viele
Arzttermine wahr. Auch die schulische Situation von Simone hat sich
verschlechtert. Bestärkt durch die Kinderärztin glaubt die Mutter inzwi-
schen, dass die Symptome ihrer Tochter mit den Kontakten zum Vater
zu tun haben. Daher beendet sie diese Kontakte. Herr Müller ist mit dem
Kontaktabbruch nicht einverstanden und kann seine Frau nicht verste-
hen. Da seine Bemühungen, sich mit seiner Frau zu verständigen, kei-
nen Erfolg haben, droht er mit einem gerichtlichen Verfahren. Da dies
seine Frau auf jeden Fall verhindern will und sie kürzlich in einer Zeit-
schrift etwas über ein außergerichtliches Verfahren zur Konfliktver-

172
MEDIATION – EINE SYSTEMISCHE METHODE SOZIALER ARBEIT

mittlung, nämlich über Mediation, gelesen hat, fragt sie ihren Mann, ob
er sich auf eine solche Vermittlung einlassen würde. Ihr Mann willigt
ein und beide begeben sich auf die Suche nach einer Möglichkeit zur
Mediation.

Der Kinderladen Zauberzwerge existiert bereits knapp elf Jahre und ist
in einem großen überregionalen Träger eingebunden. Vier Erzieherin-
nen und ein Erzieher arbeiten dort – ohne hierarchische Struktur, son-
dern „basisdemokratisch“ organisiert – mit Kindern im Alter zwischen
ein bis sechs Jahren. Diese Arbeit, die in enger Kooperation mit den El-
tern stattfindet, lief bisher reibungslos. Dennoch wurde zwischenzeit-
lich bereits mehrmals Team-Supervision in Anspruch genommen, be-
sonders um die eigenen Ressourcen im Team und spezielle Arbeitsspe-
zialisierungen gemeinsam zu organisieren. Seit einiger Zeit klagen
einige Mitarbeiterinnen allerdings über Schwierigkeiten mit einer Kol-
legin, die häufig zu spät zur Arbeit erscheint. Da immer zwei Erzieher
zusammen arbeiten, fällt dieses morgendliche Fehlen besonders ins Ge-
wicht. Die Aufgaben am Morgen, zum Beispiel die Kontakte mit den
Eltern, die die Kinder zum Kinderladen bringen, die Ankommensspiele
mit den Kindern, die Planung des Tages sind von einem Erzieher allein
kaum zu schaffen, so dass das Fehlen der häufig ein bis zwei Stunden
zu spät kommenden Erzieherin ausgesprochen stark spürbar ist. Im Er-
zieherteam herrscht daher bereits große Unzufriedenheit. Es bildeten
sich schon zwei Parteien heraus. Die einen zeigen Verständnis für das
Zuspätkommen, da die Kollegin Konflikte in ihrer eigenen Familie
habe und häufig verzweifelt und traurig wirke, die anderen äußern klar,
dass diese Konflikte nicht ihre Arbeit im Kinderladen beeinträchtigen
dürften. In einem sind sich die Erzieherinnen allerdings einig, sie wol-
len mit ihrem Supervisor sprechen, ob er bereit ist, mit ihnen an diesem
Problem zu arbeiten. Nach einem Telefonat sagt dieser allerdings, dass
er keine Supervision, sondern Mediation vorschlage.

Herr Konrad ist Bewohner einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Berlin


Prenzlauer Berg. Er gehört mit 35 Jahren zu den älteren Semestern der

173
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

Philosophie Studierenden. Aus diesem Grund hat er beschlossen, sein


Studium, das bereits zwanzig Semester dauert, schnellstens zu beenden.
So hat er begonnen, seine Magisterarbeit zu schreiben. Täglich arbeitet
er mindestens sechs Stunden an seinem Thema. Seit einiger Zeit kann
er dieses Arbeitspensum, das er vor allem gegen Nachmittag beginnt,
nicht mehr durchhalten. Morgens arbeitet er regelmäßig bei einem Pa-
ketdienst, so dass er bezüglich seiner Magisterarbeit auf die Nachmit-
tags- und Abendstunden angewiesen ist. In dieser Zeit beginnt nun aber
die ältere Dame, die in der Wohnung unter ihm lebt, laut Radio zu hören
oder fern zu schauen, und zwar in einer Lautstärke, dass er sich gestört
fühlt und das Schreiben an seiner Arbeit oft nicht fortsetzen kann. Auch
nach mehrmaligen persönlichen Beschwerden und Klopfen auf den Bo-
den, besserte sich die Situation nicht. Vielmehr wurde ihm deutlich,
dass die Dame offenbar nur noch schwer hören könne und sie deshalb
ihr Radio und ihren Fernseher so laut stellen müsse. Nachdem Herr
Konrad die fristgerechte Fertigstellung seiner Arbeit in Gefahr sieht,
ruft er bei seiner Hausverwaltung an, um dort über sein Problem zu be-
richten. Nachdem man sich zunächst ratlos fühlt, weil man um das Pro-
blem der alten Dame weiß, schlägt man ihm dann vor, eine Mediation
in Anspruch zu nehmen und auch seine Nachbarin dafür zu gewinnen.

II. MEDIATION – EINE METHODE SOZIALER ARBEIT

Alle drei dargestellten Fälle sind Fälle, in denen eine Mediation, eine
Konflikt-Vermittlung, greifen konnte. Denn in allen Fällen geht es um
Konflikte zwischen mindestens zwei Parteien, die bereits unterschiedli-
che soziale, psychische, psycho-soziale und /oder psycho-somatische
Auswirkungen auf die beteiligten Personen haben. Die Fälle unterschei-
det allerdings das konkrete Konfliktfeld; im ersten Fall geht es um einen
Konflikt infolge einer Trennung /Scheidung, genauer gesagt um einen
Konflikt bezüglich der Umgangsregelung; im zweiten Fall handelt es
sich um einen Teamkonflikt; im dritten Fall geraten Nachbarn in Streit
miteinander. Mit diesen drei Bereichen sind die Felder der Mediation al-
lerdings noch keineswegs erschöpfend aufgelistet. Auch bei interkultu-
rellen Konflikten, im außergerichtlichen Täter/ Opfer-Ausgleich, bei
Streit innerhalb von Familien, zum Beispiel zwischen Eltern und Kin-
dern, im Schulbereich, das heißt bei Konflikten zwischen Schülern oder

174
MEDIATION – EINE SYSTEMISCHE METHODE SOZIALER ARBEIT

zwischen Schülern und Lehrern, im wirtschaftlichen Management so-


wie in der Politik ist Mediation einsetzbar. Dennoch kann Mediation als
eine typisch sozialarbeiterische Methode bewertet werden, die ihre
Wurzeln insbesondere in den USA hat (vgl. Besemer 1993; Galuske
1998, S. 191).
Dort wurde professionelle Mediation in den 1960er und 1970er Jahren
als eine Alternative zum gerichtlichen Streitverfahren, nämlich als eine
außergerichtliche Streitvermittlung entwickelt und hat sich inzwischen
erfolgreich in unterschiedlichen Lebensbereichen, aber insbesondere
bei der Beratung in Phasen der Trennung und Scheidung zur einver-
nehmlichen Konfliktlösung bewährt. In den 1930er Jahren des letzten
Jahrhunderts wurden an kalifornischen Gerichten Beratungsstellen auf-
gebaut, deren Ziel eine sogenannte „Versöhnungsberatung“ war. Nach
einer Erprobungsphase in verschiedenen amerikanischen Bundesstaa-
ten in den 1970er Jahren ist in Kalifornien 1980 ein Gesetz in Kraft ge-
treten, das alle Fragen des Sorgerechts und der Umgangsregelung der
getrennten beziehungsweise geschiedenen Elternteile im Vorfeld der
gerichtlichen Klärung obligatorisch einem außergerichtlichen mediati-
ven Konfliktregulierungsverfahren zuführt. In den USA haben laut Ro-
land Proksch (vgl. Galuske 1998, S. 191) bereits mehr als die Hälfte der
Bundesstaaten entsprechende Regelungen auf verbindlicher bezie-
hungsweise freiwilliger Basis eingeführt. Aber auch in der Bundesrepu-
blik Deutschland nahmen in den 1980er und 1990er Jahren die Diskus-
sionen über die Möglichkeiten von Mediation zu, so dass inzwischen
ebenfalls über gesetzliche Verbindlichkeiten in Sachen Mediation de-
battiert wird und bereits erste diesbezüglich Ergebnisse vorliegen.
Einerseits soll Mediation im Rahmen der Jugendhilfe realisiert werden,
und zwar im Falle der Trennung /Scheidung von Eltern bezüglich ein-
vernehmlicher und vor allem am Kindeswohl orientierter Sorgerechts-
und Umgangsregelungen sowie ebenfalls bei Konflikten in der gesetz-
lich geforderten Kooperation von professionellen Fachkräften und Kli-
enten etwa während der Hilfeplanung (siehe dazu beispielhaft Senats-
verwaltung für Schule, Jugend und Sport Berlin 1999). Andererseits hat
sich der Gesetzgeber auf Bundesebene zu der Einführung eines Gesetzes
zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung entschlossen
(siehe Bundesgesetzblatt 1999, S. 2400). Demnach sollen, zum Beispiel
in Berlin seit Mitte 2001 (vgl. Das Grundeigentum 2000) bestimmten zi-
vilgerichtlichen Verfahren zwingend Schlichtungsverfahren bezie-

175
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

hungsweise Mediationen vorangestellt werden. Erst wenn dieses außer-


gerichtliche Verfahren scheitert, wird das Gericht tätig. Dies betrifft
zum einen vermögensrechtliche Streitigkeiten bis zu einem bestimmten
Streitwert (inklusive Mietstreitigkeiten), zum anderen sollen auch nach-
barschaftsrechtliche Streitigkeiten und Streitigkeiten über die Verlet-
zung der persönlichen Ehre außergerichtlich geregelt werden.
In allen diesen Bereichen eröffnen sich neue Felder Sozialer Arbeit.
Denn Mediation ist – wie ich knapp ausführen will – aufgrund ihrer ge-
neralistischen (a) und lebensweltlichen (b) Orientierung eine typisch
sozialarbeiterische Methode.
(a) Generalistisch ist Mediation deshalb, weil diese Methode die Kom-
bination unterschiedlicher professioneller Sprachen, Logiken bezie-
hungsweise Denkweisen erfordert; um eine derartige Kombination zu
leisten, sind besonders Diplom-Sozialarbeiter /Sozialpädagogen durch
ihre inter-, multi- und transdisziplinäre Ausbildung im Rahmen einer
Sozialarbeitswissenschaft geeignet. Wie im nächsten Abschnitt bei der
Darstellung des Stufenmodells der Mediation noch deutlich wird, sind
in der Mediation eindeutig sachbezogene (zum Beispiel rechtliche, so-
zio-ökonomische) Dimensionen von Konflikten mit den psycho-sozia-
len, den emotionellen sowie den psycho- und beziehungsdynamischen
Dimensionen von Konflikten zu koppeln. Das, was sozialarbeiterische
Beratung schlechthin auszeichnet, nämlich der doppelte Fokus auf die
sozio-ökonomischen, auf die sachlich sozial-strukturellen und auf die
psycho-sozialen Facetten des Lebens, kennzeichnet auch die Mediation.
(b) Lebensweltorientiert ist Mediation vor allem deshalb, weil sie eine
Alternative zum gerichtlich institutionalisierten, soziologisch gespro-
chen: zum funktionssystemisch aus den Lebenswelten ausgegliederten
Verfahren der juristischen Streitregelung darstellt. Die Mediation ist ge-
wissermaßen der Versuch, das, was im Zuge der Modernisierung der
Gesellschaft aus den (privaten) Lebenswelten ausgelagert wurde (siehe
ausführlich dazu Habermas 1981), nämlich die Regelung bestimmter
Konflikte, durch funktionssystemische Gerichtsverfahren, wieder näher
an die Lebenswelten heran zu holen. Während in Gerichtsverfahren so-
zusagen instrumentelle Kommunikationspraktiken (zum Beispiel recht-
lich begründete Entscheidungen der Richter) zum Tragen kommen,
wird in der Mediation verständigungs- beziehungsweise aushandlungs-
orientiert, kurz: dialogisch kommuniziert. Mit anderen Worten: In Ge-

176
MEDIATION – EINE SYSTEMISCHE METHODE SOZIALER ARBEIT

richtsverfahren strukturiert das funktionssystemische Medium Recht


das Verfahren, während in der Mediation ein zwar durch Soziale Arbeit
vermitteltes, moderiertes, aber dennoch lebensweltliches Medium das
Verfahren strukturiert: das Medium der alltäglichen, moralisch und
normativ aufgeladenen Sprache.
Im Gegensatz zur gerichtlichen Konfliktregelung wird in der Mediation
zur Streitbeilegung keine Entscheidung von einem Außenstehenden,
sprich: von einem Richter, getroffen, sondern die Konfliktregelung wird
von einem Mediator (bestenfalls) so strukturiert, dass die Streitparteien
selbst in die Lage versetzt werden, eine einvernehmliche Vereinbarung
zur Konfliktlösung zu erarbeiten. Während das Gerichtsverfahren ge-
wissermaßen lebensweltdistanzierte Strukturen und dementsprechendes
Expertenwissen voraussetzt, nämlich die richterliche Kenntnis von Ge-
setzen zur Urteilsverkündung, geht die Mediation von den Selbstorga-
nisationspotentialen der Streitenden aus, die allerdings in einem – zwar
dem funktionssystemischen Kontext der Sozialen Arbeit angehörenden,
aber dennoch: lebensweltnahen Moderationsverfahren konstruktiv be-
gleitet werden. Und diese konstruktive Begleitung geht nicht zuletzt von
systemisch orientierten Prinzipien Sozialer Arbeit aus.

III. DAS SYSTEMISCHE DER MEDIATION

Systemische Sozialarbeit ist inzwischen eine so vielschichtige und kom-


plexe Methodik, dass es unmöglich ist, den sozialarbeiterischen Begriff
des Systemischen in seiner Bedeutungsvielfalt hier auch nur ansatzwei-
se zu klären (siehe dazu etwa Lüssi 1992; Pfeifer-Schaupp 1995; Staub-
Bernasconi 1995; von Schlippe /Schweitzer 1996; Milowitz 1998; Mil-
ler 2001). So will ich lediglich betonen, dass ich von einem systemisch-
konstruktivistischen Ansatz ausgehe, der für die Felder der Sozialen Ar-
beit, insbesondere für deren Theorie sowie für die Supervision und Or-
ganisationsberatung im Umfeld des Instituts für Beratung und Supervi-
sion Aachen entwickelt wurde (siehe grundsätzlich dazu etwa Bardmann
u.a. 1991; 1992; Kersting 1992; Bardmann/ Hansen 1996; Kleve 1996;
1999). Demnach wird Soziale Arbeit selbst als ein (Funktions-)System
innerhalb der Gesellschaft verstanden, das Organisations- und Interak-
tionssysteme ausdifferenziert und eine ambivalente, genauer: eine dop-

177
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

pelte Zwischen-Stellung in der Gesellschaft einnimmt: erstens steht es


zwischen anderen Funktionssystemen (etwa zwischen Wirtschaft, Poli-
tik, Recht, Erziehung /Bildung, Wissenschaft, Religion, Massenmedien,
Kunst etc.), deren ausgelagerte Probleme, deren Exklusionen es inklu-
diert und in Organisationen und Interaktionen bearbeitet; andererseits
steht es als intermediäre Instanz zwischen diesen Funktionssystemen
und der Lebenswelt, wobei es dieser hilft, die desintegrierenden Erwar-
tungen, die Inklusionsanforderungen jener auszuhalten und zu erfüllen
(vgl. ausführlich dazu Kleve 1999, S. 184ff./210ff.).
Uns interessieren bezüglich der Mediation insbesondere Interaktions-
systeme, also Kommunikationssysteme, die entstehen, wenn anwesen-
de Personen (zum Beispiel Klienten und Mediatoren) in einem konkre-
ten sozialarbeiterischen Kontext (zum Beispiel in der Mediation) ihre
sprachlichen und nicht sprachlichen Verhaltensweisen als Mitteilungen
von Informationen verstehen. In solchen Interaktionssystemen gelten
die Axiome zwischenmenschlicher Kommunikation, die Paul Watzla-
wick und seine Mitarbeiter vom Mental Research Institute Palo Alto er-
arbeitet haben (siehe Watzlawick u.a. 1969), also u.a.: dass man in In-
teraktionssystemen nicht nicht kommunizieren kann; dass jede Kom-
munikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt hat, wobei
dieser die Bedeutung von jenem bestimmt; dass Kommunikation digi-
tale und analoge Anteile hat, wobei diese (zum Beispiel in Form von
Körpersprache, Betonung etc.) komplex und vieldeutig, während jene
(zum Beispiel in Form von Buchstaben, Wörtern und Sätzen) eher ein-
deutig sind; und dass Kommunikationen kreisförmig verlaufen, genau
genommen keinen (eindeutigen) Anfang und kein (eindeutiges) Ende
haben. Die vermeintlich eindeutige Struktur von Kommunikation mit
ihren Anfängen und Enden, mit ihren Ursachen und Wirkungen wird
von den beteiligten miteinander kommunizierenden Personen jeweils
recht unterschiedlich interpunktiert, ja konstruiert.
Das zuletzt genannte Axiom verdeutlicht uns die Konstrukthaftigkeit
unserer Beschreibungen, Erklärungen und Bewertungen der Welt: weil
unsere Welt so komplex (vielschichtig, unübersichtlich, möglichkeits-
reich) ist, müssen wir diese Komplexität – wie uns insbesondere die so-
zialwissenschaftliche Systemtheorie lehrt (siehe Teil 1) – erstens auf ein
psychisch (kognitiv) und zweitens auf ein sozial (kommunikativ) verar-
beitungsfähiges Maß reduzieren. Dass diese Konstruktion von Welt,
diese Reduktion von Komplexität auch solche unterschiedlichen Wirk-

178
MEDIATION – EINE SYSTEMISCHE METHODE SOZIALER ARBEIT

lichkeiten erzeugt, die im zwischenmenschlichen Bereich zu Konflikten


führen, braucht im Kontext der Mediation zwar kaum eigens erwähnt zu
werden. Dennoch will ich das bekannte Beispiel von Watzlawick u.a.
(1969, S. 58) zitieren, in dem diese Konflikte generierenden Konstruk-
tionen von Welt deutlich werden, und zwar jenes Beispiel vom sich zu-
rück ziehenden Ehemann und der nörgelnden Ehefrau: „Ein oft zu beo-
bachtendes Eheproblem besteht zum Beispiel darin, daß der Mann eine
im wesentlichen passiv-zurückgezogene Haltung an den Tag legt, wäh-
rend seine Frau zu übertriebenem Nörgeln neigt. Im gemeinsamen In-
terview beschreibt der Mann seine Haltung typischerweise als einzig
mögliche Verteidigung gegen ihr Nörgeln, während dies für sie eine
krasse und absichtliche Entstellung dessen ist, was in ihrer Ehe ‚wirk-
lich’ vorgeht: daß nämlich der einzige Grund für ihre Kritik seine Ab-
sonderung von ihr ist. Im wesentlichen erweisen sich ihre Streitereien
als monotones Hin und Her der gegenseitigen Vorwürfe und Selbstver-
teidigungen: ‚Ich meide dich, weil du nörgelst’ und ‚Ich nörgle, weil du
mich meidest’“.
In dem Beispiel wird deutlich, dass es zu einer völlig unterschiedlichen
Konstruktion von Wirklichkeit, genauer: von Kausalität, von Ursache
und Wirkung bezüglich des vermeintlich selben Phänomens (in unserem
Fall: des Ehekonflikts der beschriebenen Partner) kommen kann. Aus
ihrer jeweiligen Perspektive haben die Partner trotz der Unterschiedlich-
keit ihrer Verhaltenserklärungen und -begründungen dennoch jeweils
recht: Denn der Mann wählt sein zurück ziehendes „passives“ Verhalten
– aus seiner subjektiven Sicht – aufgrund des Nörgelns seiner Frau; wäh-
rend sie – aus ihrer Perspektive betrachtet – nörgelt, weil er sich zurück
zieht. Beide (beziehungsweise ihre Verhaltensweisen) sind allerdings
Teile dieses interaktiven Problemsystems, mehr noch: Ihre Verhaltens-
weisen bilden dieses System allererst und halten es durch die jeweiligen
ineinander verschränkten Handlungen in seiner destruktiven Dynamik
aufrecht.
In dieser systemischen Sichtweise lässt sich kein allein Schuldiger oder
Verursacher ausmachen. Die Therapie, die Lösung des Problemsystems
bestände demnach nicht darin, verursachende Personen der „pathologi-
schen“ Situation zu finden, um diese zu therapieren; vielmehr wäre eine
mögliche Lösungsstrategie das Erkennen des Musters, das zu den sich
gegenseitig bedingenden Handlungen führt, um sodann diesen Kreis der
immer wiederkehrenden Verhaltensweisen mittels alternativer Verhal-
tensweisen durchbrechen zu können.

179
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

Festzuhalten bleibt bis hierher, dass die konstruktivistische Position, die


die beiden Erklärungsweisen (Ehemann: „Meine Frau verursacht das
Problem, weil sie nörgelt.“; Ehefrau: „Mein Mann verursacht das Pro-
blem, weil er sich zurück zieht“.) zunächst annimmt, mit einer allpartei-
lichen Haltung des Und beziehungsweise des Sowohl-Als-Auch einher-
geht. Denn die konstruktivistische Position anerkennt die Vielfalt von
möglichen Wirklichkeitssichten und kann daher gleichzeitig unter-
schiedlichen, ja auch sich gegenseitig widersprechenden Wirklichkeits-
sichten (wie auch in der eingangs beschriebenen Geschichte vom Rabbi
deutlich wurde) zustimmen.
Wer allerdings an die klassische Logik glaubt, nach der es nur eine
Wirklichkeit gibt, für deren Beschreibungen entweder die Wertung
„wahr“ oder „falsch“ gilt, der kann nicht allparteilich sein, der sucht
nach der einen wirklichen Beschreibung. Dass eine solche Suche für die
Mediation unangemessen, ja für deren konstruktiven Fortgang zerstöre-
risch wäre, kann spätestens deutlich werden, wenn wir das mediative
Stufenmodell betrachten.

IV. DAS STUFENMODELL DER MEDIATION

Nach diesem Modell haben Mediatoren die Aufgabe, den Prozess in


fünf – zirkulär miteinander vernetzten und nur analytisch trennbaren –
Stufen zu gliedern: 1. Stufe: Begrüßung und Einführung; 2. Stufe: Dar-
stellung der Positionen beziehungsweise Sichtweisen; 3. Stufe: Vertie-
fung, von den Positionen zu den Interessen, Gefühlen und Konflikt auf-
recht erhaltenen Mustern; 4. Stufe: Lösungssuche; 5. Stufe: Erarbeitung
einer einvernehmlichen Vereinbarung.
1. Stufe: Begrüßung und Einführung: In dieser Phase geht es neben der
Begrüßung und Einstimmung auch darum, den Konfliktparteien die Re-
geln der Mediation mitzuteilen, ihnen deutlich zu machen, dass der Me-
diator eine allparteiliche Haltung einnimmt sowie den Prozess struktu-
riert, während die Inhalte von den Klienten bestimmt werden. Des Wei-
teren kann es wichtig sein zu erwähnen, dass der Mediator die Lösung
für den Konflikt nicht kennt und daher keine inhaltlichen Vorgaben
macht, er aber weiß, dass der Prozess der Mediation die Wahrschein-
lichkeit erhöht, dass am Ende eine einvernehmliche Lösung des Konf-
liktes und eine diesbezügliche Vereinbarung steht. Schließlich wird vor

180
MEDIATION – EINE SYSTEMISCHE METHODE SOZIALER ARBEIT

allem während der ersten Stufe der besondere – zwar lebensweltnahe,


aber doch professionelle – Kontext geschaffen, den Mediation darstellt.
Wie ich noch eingehender zeigen werde, ist dieser Kontext der Media-
tion, mit seinen besonderen Regeln und Kommunikationsformen die
Voraussetzung für den Erfolg eines Mediationsprozesses.
2. Stufe: Darstellung der Positionen beziehungsweise Sichtweisen: In
dieser Phase sind die Konfliktparteien eingeladen, ihre persönlichen Po-
sitionen beziehungsweise Sichtweisen bezüglich des zu mediierenden
Konflikts zu schildern. Dabei hat der Mediator die Aufgabe, das Gesag-
te durch Paraphrasieren zu „spiegeln“ beziehungsweise mit solchen
Worten zu vermitteln, dass es ebenfalls vom jeweils anderen Konflikt-
beteiligten angehört werden kann. Wichtig dabei ist, dass der Mediator
hier – im Gegensatz zur nächsten Stufe – eindeutig sach- beziehungs-
weise inhaltsbezogen paraphrasiert, das heißt ohne die emotionalen
Kommunikationsanteile zu verbalisieren. Gerade dadurch kann der In-
halt von der jeweils anderen Konfliktpartei eher angenommen und als
Argument überdacht werden. Im Sinne der bereits erwähnten pragmati-
schen Kommunikationstheorie von Watzlawick und Mitarbeitern könn-
te man also sagen, dass es in dieser Phase vornehmlich um die Sachas-
pekte der Konfliktkommunikation geht.
Beispielsweise konnte die Mutter des ersten geschilderten Falls in die-
ser Phase ihre Position deutlich machen, dass sie den Kontakt ihrer
Tochter mit dem Vater nicht mehr wünsche, ihn abgebrochen habe, weil
sie – unterstützt von der Kinderärztin – davon ausgehe, dass dieser Kon-
takt zu den körperlichen Symptomen des Kindes führe. Der Vater äu-
ßerte heftig und aufgebracht sein Unverständnis darüber, dass die Mut-
ter sich von der Kinderärztin sagen lasse, was sie tun soll. Außerdem be-
stritt er vehement, dass der Umgang mit seiner Tochter zu derartigen
Problemen führen könne.
Im zweiten Fall wurde das Thema des zu spät Kommens der Kollegin
eingebracht. Wobei zunächst noch nicht deutlich wurde, wie sich die
Konfliktparteien gruppieren, wer also beispielsweise (potentiell) auf der
Seite der besagten Kollegin steht und wer die Gegenposition einnimmt
und die Pünktlichkeit oder verbindliche Arbeitsorganisation einklagt.
Im dritten Fall wurde das Thema Ruhestörung vom Mieter, Herrn Kon-
rad, sogleich zum Thema gemacht. Die Mieterin, deren Verhalten An-
lass für Herrn Konrads Mediations-Initiative war, äußerte zunächst,
dass sie sich keiner Ruhestörung bewusst sei, sondern dass sie ihr Radio

181
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

und ihren Fernseher lediglich so einstelle, dass sie etwas von dem hört,
was dort gesagt wird.
Nun könnte man annehmen, dass diese Phase der Mediation nicht son-
derlich wichtig erscheint, weil die Streitparteien ohnehin jeweils etwas
anhören, was sie aufgrund der bereits eskalierten Auseinandersetzun-
gen bereits kennen: nämlich die unterschiedlichen Positionen im Konf-
likt. Dies wäre allerdings ein Fehlschluss. Denn das Neue an der jetzi-
gen Situation ist der andere Kontext, in dem die Positionen jetzt ange-
hört werden: Möglicherweise sitzen die Beteiligten zum ersten Mal mit
einem Dritten zusammen, der ein Gespräch über den Streit, ja der den
Streit selbst moderiert, der weiterhin bestimmte Regeln eingeführt hat
(zum Beispiel „Ausreden lassen““, „Keine Beschimpfungen!“, „Keine
Gewalt!“ „90 Minuten Gesprächszeit für eine Mediationssitzung!“) und
der schließlich sogar das mit verständlichen, allparteilichen, positiv und
empathisch orientierten Worten zusammenfasst und paraphrasiert, was
gesagt wird. Dies schafft eine völlig neue Situation, in der die Beteilig-
ten Distanz zum Streitthema gewinnen, in der sie ihre Äußerungen, ihre
Selbstwahrnehmungen spiegeln, ja brechen lassen können, und zwar an
der Gestalt des Mediators. Schon dies allein erhöht die Wahrscheinlich-
keit, dass der Streit konstruktiver angegangen wird, dass sich die Partei-
en einander eher als vorher zuhören.
Systemisch formuliert führt die Mediation zu einem Kontextwechsel
des Streits. Ein Kontext ist ein von einer Umwelt anderer Kontexte un-
terschiedener Raum, in dem bestimmte Regeln des Kommunizierens
gelten, bestimmte Handlungen mit bestimmten Bedeutungen und Be-
wertungen verbunden werden (vgl. Simon/ Clement/Stierlin 1999, S.
183ff.). Mediation ist daher ein Kontext, in dem die Regeln der Kom-
munikation, zum Beispiel die Darstellung der Positionen und Sichtwei-
sen des Streits vom Mediator so strukturiert werden, dass Streitparteien
wieder ins Gespräch kommen, sich wieder zuhören. Dies wird in der
nächsten, ja vielleicht sogar wichtigsten Stufe noch deutlicher.
3. Stufe: Vertiefung beziehungsweise von den Positionen zu den Inter-
essen, Gefühlen und Konflikt aufrecht erhaltenden Mustern: In der drit-
ten Stufe wird versucht, das bei der Kommunikation der sachlichen Po-
sitionen und Sichtweisen Ausgeblendete einzublenden: die hinter den
Positionen versteckten und verborgenen Interessen (a), die mit den
Konflikten einhergehenden, häufig „tief“ sitzenden Emotionen (b) und

182
MEDIATION – EINE SYSTEMISCHE METHODE SOZIALER ARBEIT

schließlich auch die systemischen Muster des sich selbst verstärkenden


Konfliktkreislaufs (c).
(a) Die Mediation trennt beziehungsweise unterscheidet die in der zwei-
ten Stufe artikulierten Positionen beziehungsweise Sichtweisen von den
nicht gleich sichtbaren, selten deutlich artikulierten Interessen. Denn
Menschen in Konflikten „erstarren“ in gewissem Sinne, wiederholen
permanent die gleichen Muster, die gleichen Positionen, zeigen im Sin-
ne Watzlawicks immer „mehr des selben“ problematischen Verhaltens
(vgl. Watzlawick u.a. 1974), verstärken dies, ohne dadurch jedoch aus
dem Konflikt heraus zu kommen.
Zum Beispiel reagierten einige Kolleginnen der eingangs beschriebe-
nen regelmäßig zu spät kommenden Erzieherin mit Vorwürfen: wie
könne sie ihre Kolleginnen im morgendlichen Stress alleine lassen,
welch geringes Verantwortungsbewusstsein habe sie für den Kinderla-
den, wie wenig sei sie an ihrer Arbeit interessiert etc. Auf diese Positi-
onen zeigte die Kollegin abwehrendes, rechtfertigendes Verhalten. Bis
zu dem Punkt, als der Kinderladen beschloss, sich professionelle Hilfe
beim Supervisor zu suchen, spitzten sich die Vorwürfe und Rechtferti-
gungen im genannten Sinne des „Mehr desselben“ weiter zu, und die
Kollegin blieb – aufgrund einer vermeintlichen Krankheit – sogar eine
ganze Woche ihrer Arbeit fern. Erst mit dem Anruf beim Supervisor
wurde dieser Kreislauf des „Mehr desselben“ unterbrochen.
Frühestens wenn die Interessen, die hinter den Konflikten liegen, arti-
kuliert werden, können häufig erst Schritte in Richtung Problemlösung
gegangen werden. Wie kann man sich nun das Verhältnis von eingefah-
renen Positionen /Sichtweisen und Interessen vorstellen? Dazu ein Bei-
spiel von Christoph Besemer (1993, S. 25):
„Zwei Schwestern streiten sich über eine Orange, die sie beide haben
wollen. Schließlich kommen sie überein, die Frucht zu halbieren. Die
eine nimmt nun ihre Hälfte, isst das Fruchtfleisch und wirft die Schale
weg. Die andere wirft stattdessen das Innere weg und benutzt die Scha-
le, weil sie damit einen Kuchen backen will.“
Wie Besemer (ebd., S. 26) sagt, zeigt das Beispiel, dass „selbst unter-
schiedliche Interessen sehr gut zu einer optimalen einvernehmlichen
Lösung zusammen geführt werden, wenn man Positionen (‚Ich will die
Orange.‘) auf Interessen hin (‚Ich will das Fruchtfleisch essen.‘ – ‚Ich
will die Schale zum Backen.‘) untersuchen und erst dann entschieden

183
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

würde.“ Auch in unserem Fall Kinderladen Zauberzwerge konnten in


der Mediation derartige Interessen schließlich artikuliert werden:
Es zeigte sich nämlich, dass die Kollegin ihren Dienst grundsätzlich erst
mittags beginnen wollte, und dass es sogar zwei andere Kolleginnen
gab, die lieber morgens arbeiten wollten. So konnte schließlich ein neu-
er veränderter Dienstplan erarbeitet werden, der diese komplementären
Interessen berücksichtigte.
(b) Aber nicht nur die Interessen sind oft verborgen, sondern auch jene
Gefühle, welche über die Wut hinaus gehen: Gefühle der Verletzung,
der Trauer, der Verzweiflung. Mediatoren haben daher neben ihrer sys-
temischen, etwa allparteilichen Orientierung ebenso Postulate der klien-
tenzentrierten Beratung nach Carl Rogers zu beachten; sie nehmen eine
empathische Haltung ein, die es ihnen erlaubt, sensibel auch solche Ge-
fühle anzusprechen, die nicht explizit artikuliert werden, sondern die aus
der Gestik, Mimik, Haltung, Lautstärke, Aussprache /Betonung, Wort-
wahl etc. der jeweiligen Konfliktpartei, also aus den analogen Kommu-
nikationsanteilen hervor scheinen. Diese emotionalen Kommunikati-
onsanteile verbalisieren sie beziehungsweise ermutigen die Klienten,
ihre Gefühle selbst zu artikulieren.
So geschah es in der Mediation, die das eingangs zitierte Beispiel des
Nachbarschaftskonfliktes nach sich zog, dass einerseits der Mieter Herr
Konrad seinen Druck äußern konnte, die Magisterarbeit termingerecht
abgeben zu müssen. Auch seine Gefühle der Verzweiflung und Panik,
die bei ihm entstanden, als er aufgrund des „Lärms“ aus der Wohnung
unter ihm, an der Arbeit nicht konzentriert weiter schreiben konnte,
brachte er zu Gehör. Andererseits wurde auch deutlich, unter welcher
starken Schwerhörigkeit die alte Dame litt und dass sie es aufgrund un-
bestimmter Ängste vor medizinischen Eingriffen bisher versäumt hatte,
die Ohren ärztlich überprüfen zu lassen, um sich eventuell ein Hörgerät
anzuschaffen. Überdies wirkte die Nachbarin ängstlich und überfordert
mit dem Konflikt, in dem sie – aus ihrer Sicht – völlig überraschend und
natürlich unbeabsichtigt hinein geraten war.
Das Verbalisieren der emotionalen Kommunikationsanteile erhöht die
Wahrscheinlichkeit, dass sich die Konfliktparteien einander annähern,
dass ihre verfestigten Positionen aufweichen, gegenstandslos werden
oder (bestenfalls) gänzlich verschwinden, dass sie Verständnis für die
Lage des jeweils Anderen aufbringen, kurz: dass sie miteinander in eine

184
MEDIATION – EINE SYSTEMISCHE METHODE SOZIALER ARBEIT

konstruktivere Beziehung eintreten, in der sie sich wieder stärker achten


und anerkennen können. Daher wird in dieser Phase hauptsächlich auf
die (emotionale) Beziehungsseite der Kommunikation fokussiert und
man kann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Konfliktparteien ei-
nen entscheidenden Schritt weiter kommen in Richtung einvernehmli-
cher Konfliktlösung.
(c) Schließlich kann die dritte Stufe der Mediation auch zur Metakom-
munikation der Beteiligten über ihre systemischen Konfliktmuster füh-
ren. Diesbezüglich weisen die Mediatoren die Konfliktparteien auf Hin-
dernisse, Grenzen, Barrieren hin, die es ihnen bisher verunmöglicht ha-
ben, Schritte in Richtung Konfliktlösung zu gehen; sie werden dabei
etwa eingeladen, nicht in ihrer Beziehung über den Konflikt zu kommu-
nizieren, sondern über ihre Beziehung selbst zu kommunzieren (Meta-
kommunikation). Erst bei solch einer Metakommunikation können die
Konfliktparteien sehen, welche Spiele sie spielen, in welchen Konflikt
verstärkenden Mustern sie verfangen sind, die sie möglicherweise le-
diglich aufgeben, nur verlernen müssten, um konstruktiver miteinander
umzugehen, um neue, brauchbarere Spiele einzuüben, andere Verhal-
tensmuster zu probieren.
Wenn beispielsweise die in diesem Kapitel erwähnten Eheleute, die je-
weils „nörgelndes“ oder „zurück ziehendes“ Verhalten zeigen, „über
ihre individuellen Definitionen der Beziehung [...] metakommunizie-
ren“ (Watzlawick u.a. 1969, S. 59) würden, könnten sie ihr problemati-
sches Muster erkennen. Da sie dies bisher allerdings nicht tun, wird „ih-
re Interaktion zu einer Ja-nein-ja-nein-ja-nein-Oszillation, die theore-
tisch ad infinitum andauern kann, praktisch aber fast unweigerlich zu
den typischen gegenseitigen Vorwürfen von Böswilligkeit oder Ver-
rücktheit führt“ (ebd.).
Metakommunikation heißt auch, Distanz zu gewinnen, ein Stück aus
der konfliktträchtigen Beziehung heraus zu treten. Diese Distanz er-
möglicht es häufig erst, dass die Beteiligten sich nüchterner, überlegter
und weniger affektiv aufgewühlt auf die Suche nach Lösungen begeben
können.
Bevor diese Lösungssuche als Inhalt der nächsten Stufe beschrieben
wird, bleibt noch einmal festzuhalten, dass die Aufdeckung der Interes-
sen, das Verbalisieren von Gefühlen und die Metakommunikation aus-
gesprochen hilfreiche, wenn nicht gar notwendige Möglichkeiten sind,
um der Konfliktlösung näher zu kommen. Aufgrund des Prinzips des

185
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

Aufdeckens des Verdeckten, des Einblendens des Ausgeblendeten, so


will ich schließlich noch betonen, könnte man die dritte Stufe der Me-
diation im philosophischen Sinne auch als eine Phase der Dekonstrukti-
on (Jacques Derrida) bezeichnen – zumindest wenn wir in Anlehnung
an Peter Engelmann (1990, S. 31) sagen, dass die Dekonstruktion „eine
‚Lektüre’ der Welt [ist], die das Ausgegrenzte wieder ans Licht bringt“
(siehe ausführlich dazu auch Kleve 1999, S. 52ff.; siehe grundlegend
ebenso de Shazer 1988, S. 117ff.).
4. Stufe: Lösungssuche: Nachdem beide Konfliktparteien die konkre-
ten, sachbezogenen (2. Stufe) und die affektiven Seiten, aber auch die
jeweiligen Interessen und die Konfliktmuster (3. Stufe) kennen gelernt
haben, nachdem sie sich emotional näher gekommen sind, einander
mehr Verständnis als vorher entgegen bringen konnten, beginnt die Su-
che, die Erarbeitung von Lösungsmöglichkeiten. Diesbezüglich kann
man sich gemeinsam im Sinne eines Brainstormings auf die Suche be-
geben; es kann zunächst einmal – in einem ersten Schritt – alles, was
den beiden Konfliktparteien oder auch dem Mediator einfällt, aufgelis-
tet, aufgeführt werden, um sodann – in einem zweiten Schritt – das aus-
zuwählen, was aus der Sichtweise beider als machbar erscheint, so dass
schließlich – in einem dritten Schritt – die genauen Verhaltensweisen
für die Lösungsumsetzung so konkret wie möglich erarbeitet werden.
Aber hier beginnt bereits die fünfte Mediationsstufe. Bevor wir zu die-
ser kommen, soll die zentrale Orientierung der Mediatoren beschrieben
werden, die die Lösungssuche aus systemischer Sicht begleitet: die Res-
sourcenorientierung.
Im Gegensatz zum Gerichtsverfahren, geht die Mediation nicht davon
aus, dass einem System von außen (etwa durch eine Richterentschei-
dung) eine Lösung vorgegeben werden kann; in systemischer Termino-
logie formuliert: Das Mediationsverfahren orientiert sich an Selbstorga-
nisationsfähigkeiten der Konfliktparteien, es lehnt – aus theoretischer
und aus ethischer Sicht – „instruktive Interventionen“ (siehe dazu zum
Beispiel Kersting 1991) nahezu gänzlich ab. Eine wesentliche Voraus-
setzung für die Selbstorganisation, für die – von Mediatoren zwar mo-
derierte, aber dennoch auf die eingebrachten Inhalte der Klienten basie-
rende Lösungserarbeitung – sind die Ressourcen der Konfliktparteien
selbst. In der systemischen Sozialen Arbeit wird als Ressource, wie in
der systemischen Therapie, „jedes Potential verstanden, das die Verhal-
tensoptionen eines Systems erhöht und damit seine Lebens- und Pro-

186
MEDIATION – EINE SYSTEMISCHE METHODE SOZIALER ARBEIT

blemlösefähigkeit verbessert. Eine Ressource kann materiell-wirt-


schaftlicher, sozialer, emotionaler oder intellektueller Natur sein“ (Si-
mon /Clement/ Stierlin 1999, S. 275). Die Ressourcenorientierung
betont die „Verhaltensmöglichkeiten, die einem Klientensystem zur
Verfügung stehen“ (ebd.); sie setzt – in klassisch sozialarbeiterischer,
quasi vorwissenschaftlicher Sprache gesagt – also dort an, wo die Kli-
enten selbst stehen. Mit nochmals anderen Worten gesagt: Nach der
Ressourcenorientierung verfügen – auch wenn es ihnen nicht bewusst
ist – die Klienten immer schon über die „Weisheit“ der möglichen Kon-
fliktlösungen. Dies kann in dem folgenden Beispiel deutlich werden:
Ich habe bereits erwähnt, dass sich eine Lösung im beschriebenen Kon-
flikt der Erzieherinnen des Kinderladens Zauberzwerge ergab, als klar
wurde, dass es unterschiedliche, aber sich gegenseitig ergänzende Inte-
ressen der Erzieherinnen gab: Die bisher morgens regelmäßig zu spät
kommende Erzieherin wollte lieber mittags beziehungsweise nachmit-
tags arbeiten und zwei andere Erzieherinnen lieber morgens. Aus diesen
Interessen konnte ein neuer Dienstplan erarbeitet werden, der eine Kon-
fliktlösung darstellte.
Im Konflikt zwischen der älteren schwerhörigen Nachbarin und dem
Studenten Herrn Konrad konnte die Lösung gefunden werden, dass
Herr Konrad seiner Nachbarin in deren Auftrag Kopfhörer kauft, und
sie in Zukunft damit sowohl Radio hört als auch fernsieht. Des Weiteren
war es ein Erfolg der emotionalen Annäherung, dass sich die Nachbarin
so öffnete und berichtete, dass sie keine Verwandte und Freunde mehr
habe, so dass Herr Konrad vorschlug, sie zum Beispiel beim Arztbesuch
bezüglich der Gehöruntersuchung zu begleiten.
Im Fall des strittigen Umgangs konnten, nachdem die Ängste der Mut-
ter und des Vaters artikuliert waren (die Mutter ängstigte sich wegen
des Gesundheitszustandes ihrer Tochter und der Vater wegen der ange-
drohten dauerhaften Einstellung des Umgangs), ebenfalls neue Ideen
erarbeitet werden: Mutter und Vater einigten sich darauf, dass sie mit
der Tochter gemeinsam eine Kinderpsychologin aufsuchen werden, um
über die Symptome der Tochter und deren mögliche Bedingungen zu
sprechen. Beide kamen zu dem Punkt, dass es für die Tochter – trotz
Trennung – wichtig sei, beide Eltern als Kontakt- und Vertrauensperso-
nen zu behalten.
Die Ressourcenorientierung ist ein wesentlicher Aspekt, der die oben
beschriebene Lebensweltnähe der Mediation zum Ausdruck bringt.

187
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

Denn es werden keine Lösungen von außen vorgeschrieben, die Medi-


atoren instruieren hier nicht, vielmehr nehmen sie eine „Hebammen-
funktion“ ein, sie helfen, das zu gebären, was die Konfliktparteien an
Verhaltensmöglichkeiten selbst entwickeln und realisieren können, was
zur Lösung des Konflikts beiträgt.
5. Stufe: Erarbeitung einer einvernehmlichen Vereinbarung: Die letzte
Stufe, die ich vorstellen möchte, konkretisiert die Lösungen so, dass sie
praktisch umsetzbar sind. Dabei ist aus systemischer Sicht darauf zu
achten, dass die Verhaltensweisen und Handlungen, die mit der einver-
nehmlichen Lösung einhergehen, so konkret wie möglich erarbeitet
werden. Es geht also darum, in einem Vertrag, auf den sich beide Kon-
fliktparteien verbindlich einigen, festzuschreiben, was wann wer wo
wie mit wem und wozu tun muss, um die erarbeiteten Lösungen umzu-
setzen. Erst wenn dies gelingt und wenn die erarbeiteten Lösungen tat-
sächlich greifen, was erst in einer nachfolgenden Evaluation feststellbar
ist, kann die Mediation als erfolgreich bewertet werden.

Übersicht 14

Stufenmodell der Mediation


Stufe Thema Aufgabe des Mediators
1 Begrüßung und Einführung. Markierung des Kontextes Medi-
ation durch Einführung der gel-
tenden Kommunikations-regeln.
2 Darstellung der Positionen Paraphrasieren der sachlichen
beziehungsweise Sichtweisen. Aspekte des Konflikts (Fokus
auf Sachthemen der Kommuni-
kation).
3 Vertiefung: von den Positionen/ 1. Trennung der Positionen/
Sichtweisen zu den Interessen, Sichtweisen von den dahinter
Gefühlen und Konflikt erhalten- liegenden Interessen.
den Mustern. 2. Verbalisieren der emotionalen
Aspekte/ Erlebnisinhalte des
Konflikts.
3. Metakommunikation über die
Muster der Konfliktkommunika-
tion.

188
MEDIATION – EINE SYSTEMISCHE METHODE SOZIALER ARBEIT

Stufe Thema Aufgabe des Mediators


4 Lösungssuche Brainstorming: Schaffung eines
Kontextes, in dem alle Lösungs-
ideen artikuliert und aufgelistet
werden können.
5 Erarbeitung einer einvernehmli- Konkretisierung der Lösungs-
chen Vereinbarung. ideen und gründliche Vorberei-
tung ihrer Umsetzung; Ver-
schriftlichung in Form einer
gemeinsamen Vereinbarung.

Ich will am Ende der Darstellung des mediativen Stufenmodells noch


einmal auf den wichtigen Aspekt hinweisen, dass sich die Mediations-
stufen in der Praxis zirkulär vernetzen. Da jede nach der 1. Stufe den
Durchgang durch die jeweils vorher liegende / n Stufe /n voraussetzt,
kann es durchaus passieren, dass zum Beispiel von der 4. Stufe (Lö-
sungssuche) noch einmal auf die 3. Stufe (Vertiefung) zurück gegangen
werden muss, weil etwa die Thematisierung der Gefühle noch Raum be-
nötigt, bevor die Konfliktparteien sich auf die Lösungssuche einlassen
können. In diesem Sinne erfordert das mediative Stufenmodell eine
hohe Sensibilität und Erfahrung des Mediators, um abzuschätzen, wann
zur jeweils nächsten Stufe übergegangen werden kann oder wann es nö-
tig ist, eine bereits bearbeitete Stufe nochmals zu durchlaufen.

V. DIE AKTUALITÄT DER MEDIATION IN DER POSTMODERNE

Die Mediation ist eine kommunikative, kognitiv wie emotional dialogi-


sche, verfahrensorientierte, prozedurale Methode Sozialer Arbeit, sie ist
also bezüglich der Aufgabe der Mediatoren weniger inhalts- als prozes-
sorientiert: Die Mediatoren geben nicht vor, was in der Mediation kom-
muniziert wird, sondern strukturieren, wie in der Mediation kommuni-
ziert wird; sie bestimmen inhaltlich nicht die Ziele, sondern strukturie-
ren den Weg zu einem Ziel, das die Konfliktparteien selbst inhaltlich
erarbeiten. Dieser Vorgehensweise liegen zwei zentrale Annahmen zu-
grunde – erstens: dass der mediative Weg, das heißt die Struktur des be-
schriebenen Stufenmodells bei allen, aber insbesondere bei „fest gefah-
renen“, „verstrickten“, hoch emotionalisierten Streitigkeiten die Wahr-

189
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

scheinlichkeit einer einvernehmlich erarbeiteten Konfliktlösung erhöht;


und zweitens: dass es keine befriedigenden und angemessenen Lösun-
gen geben kann, die den Konfliktparteien nur von außen angeraten wer-
den müssten, sondern dass es strukturierter, aushandlungs- und verstän-
digungsorientierter, kurz: dialogischer Kommunikation zwischen den
Konfliktparteien bedarf, damit eine für sie passende Lösung von ihnen
selbst erarbeitet werden kann.
Daher ist Mediation ein Verfahren, das auch aktuellen ethischen Postu-
laten gerecht wird (siehe etwa Honneth 2000). Diese Postulate fordern
nicht mehr, was aus ethischer oder moralischer Hinsicht „richtig“ und
„falsch“ ist, sondern legen Verfahren, Prozeduren, Methoden nahe, wie
Menschen, die sich über Normen und Werte streiten, diesen Streit auch
– hinsichtlich Fragen nach „guten /richtigen“ in Abgrenzung zu „unan-
gemessenen /bösen/ falschen“ Normen und Werten – konstruktiv aus-
tragen können: nämlich diskursiv, dialogisch, kommunikativ. Weil un-
ter heutigen Gesellschaftsbedingungen die individuellen Lebensideale
in so hohem Maße divergieren, kann „die Ethik angesichts moralisch-
praktischer Konflikte nicht mehr bestimmte Werte [zum Beispiel hin-
sichtlich der Fragen: ‚Was sollen wir tun?’ ‚Was ist ein gutes Leben?’;
H.K.], sondern nur noch ein spezifisches Lösungsverfahren normativ
empfehlen“ (ebd., S. 140): zum Beispiel den Diskurs beziehungsweise
Dialog.
Dem ethischen Diskurs- beziehungsweise Dialog-Postulat geht die Ge-
sellschaftsdiagnose einer Postmoderne voraus, in der allgemeinver-
bindliche Erzählungen, „Metaerzählungen“, wie Jean-François Lyotard
(1979) sagt, an denen Menschen ihre Lebenswege und Moralvorstellun-
gen ausrichten können, mehr und mehr erodieren. Auch gesellschaftli-
che Funktionssysteme, etwa formal organisierte Institutionen (zum Bei-
spiel Gerichte), sind somit immer weniger in der Lage, adäquate Orien-
tierungen für die Lebenswelten bereit zu stellen oder gar für diese
Entscheidungen zu treffen, die den Erwartungen und Erfordernissen
dieser Lebenswelten entsprechen sowie den Bedürfnissen der Men-
schen gerecht werden. Deshalb zeichnet sich langfristig die Notwendig-
keit ab, den Menschen selbst wieder das in die Hände zu geben, was ih-
nen von den großen Institutionen der Moderne (auch von einer stark auf
„Fremdhilfe“ ausgerichteten Sozialarbeit) auf immer breiteren Gebie-
ten abgenommen wurde: das eigene Leben zu planen und diesbezügli-
che Entscheidungen zu treffen.

190
MEDIATION – EINE SYSTEMISCHE METHODE SOZIALER ARBEIT

Die Mediation ist ein Weg in Richtung lebensweltorientierter Sozialar-


beit; sie hilft in einer Art postmoderner Professionalität dabei, dass die
Lebenswelten unterstützt werden, das (wieder) selber in die Hand zu
nehmen und zu tun, womit die traditionellen Funktionssysteme der Mo-
derne (zum Beispiel das Rechtssystem) mehr und mehr überfordert
sind: angemessene Werte und Normen für ein gelingendes Leben eigen-
verantwortlich zu konstruieren.

191
10. Reframing in der systemischen
Beratung und Supervision
Ein Beispiel für praktizierten (De-)Konstruktivismus
mit Britta Haye

AUSGANGSPUNKTE

Mit anderen Beobachtungen kann anderes beobachtet werden, so lässt


sich eine der zentralen Thesen des system- und differenztheoretischen
Konstruktivismus in einem Satz zusammenfassen. Die Inhalte von Be-
obachtungen, das heißt von (psychischen) Wahrnehmungen und (sozi-
alen) Kommunikationen erscheinen damit als kontingent, also als „et-
was, was weder notwendig ist, noch unmöglich ist; was also so, wie es
ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist“ (Luhmann
1984, S. 152). Diese Kontingenz können KlientenInnen von BeraterIn-
nen und SupervisorInnen vor allem dann am eigenen Leibe spüren,
wenn in Beratungs- und Supervisionsprozessen mittels Reframing, also
durch das Wechseln von Rahmen der Wahrnehmung und Kommunika-
tion, die sanfte Kunst des Umdeutens (vgl. Watzlawick u.a. 1974, S.
116ff.) praktiziert wird.
Wie alle Künste bestimmte Sinne ansprechen und diese schärfen, hat
auch Reframing den Effekt, einen speziellen, wie wir vermuten, in uns
allen angelegten Sinn zu sensibilisieren: den Möglichkeitssinn à la Mu-
sil.22 Wenn die Entwicklung des Möglichkeitssinnes in der Supervision
gefördert wird, dann ist es wahrscheinlich, dass dieser sich immer dann
bemerkbar macht, wenn beobachtet wird, dass Beobachtungen, genau-
er: Beschreibungen, Erklärungen und Bewertungen (vgl. Simon 1995,
S. 17ff.) beziehungsweise Wirklichkeitskonstruktionen, die KlientIn-

22 „Wenn es aber einen Wirklichkeitssinn gibt, und niemand wird bezweifeln,


daß er seine Daseinsberechtigung hat, dann muß es auch etwas geben, das man
Möglichkeitssinn nennen kann. Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier
ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muß geschehen; sondern erfindet:
Hier könnte, sollte oder müßte geschehen; und wenn man ihm von irgend etwas
erklärt, daß es so sei, wie es ist, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich
auch anders sein“ (Musil 1930/ 42, S. 16).

192
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION

nen über ihre Probleme mitteilen, auch anders sein könnten. Und das ist
fast immer der Fall.
Reframing ist nun genau jene Methode, die das (Aus-)Denken und
Kommunizieren von anderen Wirklichkeitskonstruktionen bezüglich
der als problematisch erfahrenen alten Beobachtungen möglich macht.
Die Möglichkeit, Beobachtungen, Beschreibungen usw. umzukonstru-
ieren, besteht deshalb, weil alle Beobachtungen oder Beschreibungen,
indem sie bestimmte Sichtweisen eingrenzen beziehungsweise einblen-
den, andere ausgrenzen beziehungsweise ausblenden.23 Indem Refra-
ming andere Sichtweisen zu Tage fördert, blendet es Ausgeblendetes
ein. Diesbezüglich lässt sich Umdeuten auch als eine Form der Dekon-
struktion verstehen (vgl. auch de Shazer 1988, S. 117ff.). Denn es bietet
eine „‚Lektüre‘ der Welt, die das Ausgegrenzte wieder ans Licht bringt“
(Engelmann 1990, S. 31), wofür der Begründer dekonstruktionistischen
Denkens, Jacques Derrida, plädiert (vgl. ebd.).24
Im Folgenden wollen wir versuchen darzustellen, wie in der Beratung
und Supervision umgedeutet, das heißt dekonstruiert und wieder neu
konstruiert werden kann. Dazu werden wir zunächst ausführen, wie wir
systemisch-konstruktivistische Beratung und Supervision konzeptuali-
sieren, nämlich als Beobachten des Beobachtens. Beim Beobachten des
Beobachtens können KlientInnen und SupervisandInnen ihre Wirklich-
keitskonstruktionen umdeuten, indem sie nämlich die Komplexität, Re-
lativität und Kontingenz ihrer beobachteten Welt erfahren. Dadurch
wird es ihnen möglich, ihre Beobachtungen in andere Kontexte einzu-

23 Vgl. Hans-Christoph Vogel (1996), der dies am Beispiel der Organisations-


entwicklung verdeutlicht, die er als Einblenden des Ausblendens konzeptuali-
siert.
24 Wer an diesem Punkt moniert, dass wir mit philosophischen Begriffen, wie
zum Beispiel mit dem der Dekonstruktion, zu freizügig umgehen, dem sei mit-
geteilt, dass wir diesbezüglich so verfahren wie (systemisch-konstruktivisti-
sche) BeraterInnen und SupervisorInnen im Umgang mit Beschreibungen: sys-
tematisch unsystematisch, sprich: respektlos und offensiv eklektizistisch (vgl.
Bardmann /Hansen 1996, S. 18). Außerdem sind wir der Meinung, dass gerade
durch das Aufgreifen von Begriffen und Beschreibungen aus anderen Professi-
onen, insbesondere aus der Soziologie und Philosophie, besser verstehbar wird,
was in der psychosozialen Beratung geschieht, nämlich die Veränderung von
Sinnsystemen, welche KlientInnen in problematische Situationen geführt haben
(vgl. zum Beispiel auch de Shazer 1991).

193
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

ordnen, das heißt Unterscheidungen zu treffen, die Unterschiede ma-


chen. Das Treffen von Unterscheidungen ist die Grundoperation des
Beobachtens und damit der Konstruktion von Wirklichkeiten.
Bevor wir uns allerdings dem Unterscheiden in der Supervision wid-
men, wollen wir Ihnen, wie im Laufe des weiteren Textes noch häufi-
ger, zur Auflockerung einen Witz erzählen. Denn Witze basieren in der
Regel auf Umdeutungen. Bei dem folgenden Spruch handelt es sich
nicht eigentlich um einen Witz, sondern vielmehr um einen Aphorismus
von Friedrich Nietzsche (1878, S. 576): „Schlechtes Gedächtnis. – Der
Vorteil des schlechten Gedächtnisses ist, daß man dieselben guten Din-
ge mehrere Male zum ersten Mal genießt.“

I. BERATUNG UND SUPERVISION ALS BEOBACHTEN DES BEOBACHTENS

I.1 Unterscheidung und Kontext

Ein schlechtes Gedächtnis muss nicht unbedingt negativ sein, ihm kann
durchaus ein (positiver) Sinn zugeschrieben werden; es kommt ganz
darauf an, in welchem Kontext es beobachtet wird. Dies führt uns wie-
derum zu der (konstruktivistischen) These, dass sich die beobachtete
Welt immer auch anders beobachten lässt. Die Relevanz dieses Satzes
erscheint besonders dort bedeutend, wo andere Sichtweisen zu Tage ge-
fördert werden sollen, wo Menschen, die ihren Alltag als problematisch
bewerten, AnsichtenmaklerInnen (vgl. Kersting 1992, S. 20) begegnen:
in der Supervision und Beratung. Aber, wie ist es möglich, dass Beob-
achtungen kontingent sind, dass sie auch anders getroffen (gesetzt) wer-
den können? Um diese Frage beantworten zu können, deren Klärung
auch Voraussetzung für das Verstehen unseres Reframing-Konzeptes
ist, werden wir zunächst darstellen, was konstruktivistische Beratung
und Supervision für uns bedeutet, wenn wir sie als Beobachten des Be-
obachtens bezeichnen.
Nach dem system- beziehungsweise differenztheoretischen Konstrukti-
vismus entsteht Wirklichkeit durch einen Konstruktionsakt von Beob-
achtern. Als Beobachter gelten nicht ausschließlich mit Bewusstsein be-
gabte menschliche Subjekte, sondern alle (biologischen, psychischen
oder sozialen) Systeme, die sich in Differenz zu einer Umwelt setzen
können, um weitere Unterscheidungen zu treffen (vgl. etwa Luhmann

194
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION

1990, S. 68ff.).25 Für beobachtende Systeme gewinnt etwas immer


dann Realität, wenn mittels einer Operation des Unterscheidens die eine
und nicht die andere Seite dieser Unterscheidung bezeichnet wird. Die
Form der Unterscheidung, das heißt die Einheit der zwei unterschiede-
nen Seiten, kann selbst nicht beobachtet, das heißt unterschieden und
bezeichnet werden. Anders gesagt, ein System kann im Moment seiner
Beobachtung selbst nicht beobachten, wie es seine Umwelt beobachtet,
das heißt unterscheidet und bezeichnet. In einer ausschließlich auf den
Menschen bezogenen Formulierung: Das eigene Sehen kann im Augen-
blick des Sehens selbst nicht gesehen werden. Unterscheidungen ope-
rieren also blind.
Erst zu einem späteren Zeitpunkt (im nächsten Augenblick) kann ver-
sucht werden, das eigene (vergangene) Beobachten zu beobachten; dies
geschieht allerdings auch wieder ohne selbst beobachtbar zu sein, es sei
denn, es wird von anderen Beobachtern beobachtet. Derartige Beobach-
tungsformen, die wir permanent vollführen, weil wir niemals die Welt
„an sich“ beobachten, sondern (selbstreferentiell) ausschließlich unsere
eigenen Beobachtungen, die möglicherweise fremde Beobachtungen
beobachten, werden Beobachtungen zweiter Ordnung genannt. Das Be-
obachten zweiter Ordnung operiert offensichtlich zirkulär beziehungs-
weise rekursiv, denn es bezieht sich mit jeder Operation auf das (eigene)
Netzwerk, welches es selbst permanent reproduziert.26 Dermaßen zir-
kulär prozessiert sowohl die (psychische) Wahrnehmung als auch die
(soziale) Kommunikation.
Solche Rekursionen führen zu Reflexionen, das heißt zum Bedenken
des eigenen Denkens oder zum Kommunizieren über das Kommunizie-
ren (Metakommunikation), wenn sich die Psyche beziehungsweise das
soziale System mit den eigenen Beobachtungen selbst beobachtet. Dies-

25 Der differenztheoretische Ansatz, der insbesondere auf George Spencer-


Brown (1969) und Gregory Bateson (1972; 1979) zurückgeht, scheint sich mit-
tlerweile im systemtheoretischen (radikalen und operationalen) Konstruktivis-
mus als Erklärungsmodell der Wirklichkeitsgenese durchgesetzt zu haben. So
lässt sich der hier relevante Konstruktivismus auch als Theorie des Unterschei-
dens bezeichnen.
26 Derartiges Beobachten ist im Prinzip jener Prozess, den Humberto R.
Maturana und Francisco Varela (zum Beispiel 1984) und im Anschluss daran
Niklas Luhmann (zum Beispiel 1984) als Autopoiesis bezeichnet haben.

195
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

bezüglich muss sich dasselbe (psychische oder soziale) System von sich
selbst unterscheiden,27 was paradox ist, wenn von der Zeit abstrahiert
wird – wie gesagt, wenn eigenes Beobachten beobachtet wird, dann ist
dieses beobachtete Beobachten immer schon vergangenes Beobachten.
Wenn dasselbe System sich im Prozess der Reflexion von sich selbst
unterscheidet, dann beobachtet es sich selbst mittels der Unterschei-
dung, mit der es sich von seiner Umgebung unterscheidet: der System /
Umwelt-Differenz. In dieser Hinsicht kommt es zu einem Wiederein-
tritt (re-entry) der Unterscheidung in das durch sie Unterschiedene. Nur
so kann ein System selbst beobachten, dass es sich von seiner Umwelt
unterscheidet; diesbezüglich wird es ihm möglich, sich als erlebend
oder handelnd zu beobachten, je nachdem ob es seine Zustandsverände-
rungen sich selbst (Selbstreferenz) oder seiner Umwelt (Fremdreferenz)
zurechnet.
Zusammenfassend können wir sagen, mit jeder Operation des Beobach-
tens entsteht eine Form mit zwei Seiten, von der die eine und nicht die
andere Seite bezeichnet wird, die weitere Unterscheidungen und Be-
zeichnungen herausfordert. Derartiges Unterscheiden und Bezeichnen
produziert eine Vielfalt von weiteren Differenzierungsmöglichkeiten,
die Selektionszwang oder Ent- beziehungsweise Unterscheidungs-
zwang herausfordern. An diesem Punkt kommt die Komplexität ins
Spiel, die das Ausgangsproblem jeder Beobachtung zu sein scheint (sie-
he ausführlich dazu 1. Kapitel). Denn es gibt immer mehr Unterschei-
dungsmöglichkeiten als jene, die im Moment aufgegriffen werden kön-
nen, so dass Beobachter, die das Beobachten beobachten, sagen können:
Es hätte auch anders unterschieden und bezeichnet werden können.
Diesbezüglich erscheinen die Inhalte der Beobachtungen als relativ zu
den Beobachtern und damit als kontingent.
Unterschiedliche Beobachter beobachten gerade das, was sie beobach-
ten, weil es für sie Sinn macht. Denn beobachten lässt sich in Anleh-
nung an Bateson (1972; 1979)) immer nur ein solcher Unterschied, der
im Netzwerk der (vergangenen) Beobachtungen einen (bedeutsamen

27 Sobald sich ein Beobachter selbst beobachten will, muss er also zugleich
derselbe und nicht derselbe sein, ansonsten würde er sich nicht von sich selbst
unterscheiden können, um sich zu beobachten. Allerdings dürfte er dies nicht,
wenn er das Paradoxieverbot der Theorie der Logischen Typen von Alfred North
Whitehead und Bertrand Russel (1925) ernst nehmen würde.

196
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION

beziehungsweise sinnvollen) Unterschied ausmacht und damit als In-


formation registriert werden kann. In dieser Hinsicht sind zuvor getrof-
fene Unterscheidungen der Kontext für die weiteren Unterscheidungen
und Bezeichnungen. Ein Kontextwechsel, das heißt Reframing wäre in
dieser Hinsicht also ein Ausbruch aus den tradierten Gewohnheiten des
Unterscheidens und Bezeichnens, um andere Anschlussdifferenzierun-
gen zu ermöglichen.28 Dies hört sich theoretisch leichter an als es prak-
tisch möglich ist.
Deshalb möchten wir anmerken, dass das Setzen von Unterscheidungen
zwar kontingent ist, weil es als Reduktion von Komplexität bestimmte
Unterscheidungen eingrenzt, während es das Potential aller anderen
ausgrenzt und damit einen Kontext für die nächsten Unterscheidungen
generiert. Kontingenz heißt aber nicht, wie wir noch genauer sehen wer-
den, dass das Unterscheiden beliebig ist. Umdeuten als das Setzen von
anderen Unterscheidungen, die als neuer Kontext für die nächsten Un-
terscheidungen dienen, muss Sinn machen; zumindest wenn es verstö-
rend und nicht effektlos sein soll.
Ob und wie eine Umdeutung Sinn macht, ob und wie sie verstanden
wird, hängt aber nicht nur von den BeraterInnen und KlientInnen oder
den SupervisorInnen und SupervisandInnen beziehungsweise von de-

28 Wir bieten hier also eine andere Erklärungsweise des Umdeutens an als etwa
Paul Watzlawick u.a. (1974), die auf die Logische Typentheorie von Whitethead
und Russel rekurrieren. Aus einem differenztheoretischen Ansatzpunkt
erscheint es uns problematisch, mit der Typentheorie eine Hierarchie (von Klas-
sen und Elementen) zu konstatieren, wo unserer Ansicht nach keine besteht.
Denn das Setzen von Unterscheidungen als Bedingung der Möglichkeit von
Wirklichkeitskonstruktion ist immer selbstreferentiell. Anders gesagt, Unter-
scheidungen können (wie im Falle des Reframing) zwar gewechselt werden, sie
beziehen sich (tautologisch oder paradox) aber immer auf ihr eigenes (autopoi-
etisches) Netzwerk; sie können also niemals hierarchisch über (oder unter)
andere Unterscheidungen gesetzt werden; denn das würde die Grenzen des Beo-
bachters sprengen, die Differenz von System und Umwelt auflösen. Dennoch
gehen wir mit Watzlawick auch davon aus, dass Umdeutungen als ‚Lösungen
zweiter Ordnung’ den Sprung zu einer Metawirklichkeit, besser: zu einer ande-
ren Wirklichkeit, initiieren können, so dass „Veränderungen selbst dann mög-
lich sind, wenn die konkreten Gegebenheiten einer Sachlage unverändert blei-
ben“ (ebd., S. 121), da bekanntlich die Beschreibung nicht das Beschriebene, die
Landkarte nicht das Gebiet, die Speisekarte nicht die Speise oder die Logik nicht
das Leben ist (vgl. dazu auch Simon 1995a; Kleve 1999c).

197
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

ren psychischen Systemen ab, sondern genauso von dem sozialen Sys-
tem Beratung oder Supervision, in dem die Umdeutungen als Informa-
tionen mitgeteilt werden. Da uns dieser Aspekt für ein systemisches
Verständnis von Beratung und Supervision wichtig erscheint und das
Beobachten des Beobachtens in sozialer Hinsicht sogar erst ausmacht,
wollen wir an dieser Stelle einen kleinen Exkurs in die soziologische
Systemtheorie machen. Nebenbei gesagt, die folgenden Zeilen können
auch als ein (systemtheoretischer) Umdeutungsversuch verstanden wer-
den, denn das Individuum wird dekonstruiert und an seine Stelle treten
psychische und soziale System /Umwelt-Differenzen.29

I.2 Kommunikationssystem Beratung und Supervision:


Versuch einer systemtheoretischen Umdeutung

Im Sinne der soziologischen Systemtheorie lässt sich Beratung und Su-


pervision als soziales System, genauer: als Interaktionssystem (vgl.
Luhmann 1984, S. 551ff.), verstehen, in dem die Beobachtungen, das
heißt Unterscheidungen und Bezeichnungen als Kommunikationen zir-
kulieren. Dementsprechend können BeraterIn beziehungsweise Super-
visorIn und KlientInnen als (innere30) Umwelten des Systems Beratung
oder Supervision angesehen werden, nicht als dessen Teile oder Ele-
mente. Allerdings sorgen die beteiligten Personen (BeraterInnen, Su-
pervisorInnen und KlientInnen) dafür, dass das soziale System Bera-
tung /Supervision als emergentes Phänomen entsteht, indem sie beob-
achten (unterscheiden und bezeichnen), dass sie beobachtet werden und
ihr Beobachten des Beobachtetwerdens beobachten (vgl. ebd., S. 561).
In einer derartig komplexen Verschränkung von Beobachtungen kann
nicht nicht kommuniziert werden (vgl. Watzlawick u.a. 1969), denn die
Personen rechnen sich ihre Unterscheidungen und Bezeichnungen, das

29 Vgl. dazu beispielsweise Peter Fuchs (1995), der in seiner Umschrift die
Phänomene japanische Kommunikation und Autismus nicht wie dies üblicher-
weise der Fall ist psychisch deutet, sondern kommunikationstheoretisch a’ la
Niklas Luhmann.
30 Vgl. Helmut Willke (1993, S. 59ff.), der mit „innerer Umwelt“ beziehungs-
weise „Innenwelt“ die Relationen eines sozialen Systems mit seinen Mitglie-
dern umschreibt, während er als „Außenwelt“ („äußere Umwelt“) die externen
Relationen des Systems (zum Beispiel mit anderen Systemen) versteht.

198
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION

heißt ihr Verhalten gegenseitig (komplexitätsreduzierend) als Handeln,


genauer: als Mitteilung von Information, zu. Diesbezüglich ist Beratung
und Supervision immer Kommunikation.31 Wenn wir im Folgenden
also (von sprachlich formulierten) Umdeutungen sprechen, dann sind
die Unterscheidungen und Bezeichnungen gemeint, die kommuniziert,
das heißt als Mitteilung von Information verstanden werden. Schließ-
lich ist es bisher so gewesen, dass Umdeutungen, zumindest in allen uns
bekannten Fällen, mitgeteilt und nicht mittels Telepathie direkt von
Psyche zu Psyche ausgetauscht wurden. Und da es vermutlich auch in
Zukunft noch genauso sein wird, besteht keine Gewähr, dass die Klien-
tInnen die Umdeutungen der BeraterInnen und SupervisorInnen in dem
Sinne verstehen, wie die Letzteren sie meinen.
Denn welche Informationen Personen jeweils verstehen, determiniert
nicht die beraterische oder supervisorische Kommunikation. Vielmehr
unterscheiden und bezeichnen die psychischen Systeme auf eigenstän-
dige Weise. Daher kann das, was für die einzelnen TeilnehmerInnen der
Beratung oder Supervision einen Unterschied macht, der einen Unter-
schied macht, also Information ist, sehr unterschiedlich sein. So kom-
muniziert das Kommunikationssystem, indem es Mitteilungen und In-
formationen versteht, ohne dass die beteiligten Personen sich verstehen
müssen.
Zur Illustration möchten wir Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, die
den Titel trägt Der Mann mit dem Pinguin:32 Ein Mann ging, gefolgt
von einem Pinguin, die Straße entlang, bis er einen Polizisten traf und
diesen fragte: „Gestern ist mir dieser Pinguin zugelaufen, können Sie
mir sagen, wohin ich mit ihm gehen kann?“ Daraufhin sagte der Poli-
zist: „Ja natürlich, bringen Sie ihn in den Zoo.“ Am nächsten Tag traf
der Polizist erneut auf den Mann, der den Pinguin wiederum mit sich
führte und sprach ihn erstaunt an: „Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie kön-
nen den Pinguin in den Zoo bringen.“ Der Mann mit dem Pinguin ant-

31 Zu dem äußerst komplex angelegten und dem Alltagsverständnis zuwider-


laufenden systemtheoretischen Kommunikationsbegriff, welcher von der Theo-
rieentscheidung ausgeht, dass biologische, psychische und soziale Systeme
jeweils füreinander Umwelten bilden, siehe ausführlicher 1. und 2. Kapitel.
32 Die folgende Geschichte erzählte uns Jürgen Linke vom Berliner Institut für
Familientherapie in einem Gespräch über Kreativität. Übrigens, Kreativität
setzt ebenso wie Reframing Mut voraus: Mut, in andere Kontexte zu springen.

199
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

wortete: „Das habe ich gestern auch gemacht, aber heute gehen wir ins
Kino.“
Und weil derartige Geschichten Verstehensprobleme am besten illust-
rieren, noch eine zweite, die wir dem Ha-Handbuch der Psychotherapie
von Bernhard Trenkle (1994, S. 51f.) entnahmen: Zwei Freunde treffen
sich zufällig nach langer Zeit auf der Straße. Sie kommen miteinander
ins Gespräch und erzählen sich, was die letzten Jahre in ihrem Leben al-
les geschah, und dabei entwickelt sich folgender Dialog:
„Freund 1: ‚Ja und vor zehn Monaten habe ich geheiratet, aber leider
starb meine Frau vor vier Wochen.‘
Freund 2: ‚Welche Tragödie! Was hat sie denn gehabt?‘
Freund 1: ‚Ein kleines Einzelhandelsgeschäft und ein paar Tausend
Mark Festgeldanlagen.‘
Freund 2: ‚Nein, das meine ich nicht. Was hat ihr denn gefehlt?‘
Freund 1: ‚Na, gut. Ein Bauplatz und das Geld, das Geschäft vernünftig
auszubauen.‘
Freund 2: ‚Das meine ich doch nicht. An was ist sie denn gestorben?‘
Freund 1: ‚Ach so. Sie wollte in den Keller, um fürs Mittagessen Kar-
toffeln und Sauerkraut hoch zu holen. Dabei ist sie auf der Treppe ge-
stürzt und hat sich das Genick gebrochen.‘
Freund 2: ‚Um Himmels willen! Was habt Ihr denn da gemacht?‘
Freund 1: ‚Nudeln.‘“
Die „Moral“ aus den Geschichten: Soziales und psychisches Verstehen
unterscheiden sich voneinander.33 Sozial wird immer etwas anderes se-
lektiert, das heißt beobachtet, das heißt unterschieden und bezeichnet
als psychisch, ansonsten würde es keinen Unterschied zwischen Be-
wusstsein und Kommunikation geben – differenzierter formuliert: Die
sozialen Unterscheidungen, sprich: die Mitteilungen von Informatio-
nen, unterscheiden sich von den psychischen Unterscheidungen, sprich
von den Gedanken, die während einer Kommunikation im Bewusstsein
der beteiligten Personen assoziiert (beziehungsweise selektiert) werden
(vgl. auch Fuchs 1995, S. 41f.). In einer nochmals anderen Formulie-
rung: Ausgesprochene Worte können niemals das sein, was psychisch
gedacht oder körperlich gefühlt wurde. Körper, Psyche und Kommuni-

200
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION

kation sind jeweils füreinander intransparent; sie können sich gegensei-


tig lediglich dazu anregen, eigene Unterscheidungen zu treffen.

I.3 Schlussfolgerungen

Wenn wir davon ausgehen, dass gesetzte Unterscheidungen und Be-


zeichnungen sowohl psychisch als auch kommunikativ den Kontext für
die nachfolgenden psychischen oder sozialen Beobachtungen bilden
und damit etwas Bestimmtes, was für die Beobachter sinnvoll ist, be-
zeichnen, so dass anderes unbezeichnet bleiben muss, was ebenfalls
sinnvoll bezeichnet werden könnte, bedeutet Reframing für uns zweier-
lei – erstens: unterdrückte Bedeutungen, das heißt andere sinnvolle Un-
terscheidungen und Bezeichnungen sichtbar zu machen und zweitens:
jenen Unterscheidungen und Bezeichnungen von „der anderen Seite“,
die als sekundär, nebensächlich und wertlos betrachtet wurden, den Vor-
rang zu geben.
Diese beiden Aspekte, die Michael White (1992, S. 55) in Anlehnung
an die dekonstruktive Methode von Derrida formuliert, können als Mit-
tel zur Erreichung von drei wichtigen Beratungs- und Supervisionszie-
len gelten: der Komplexitäts-, Relativitäts-, und Kontingenzerfahrung
(vgl. Kleve 1996, S. 122ff.).

II. REFRAMING ALS MITTEL ZUM ZIEL

Zunächst ein weiterer Witz aus dem Ha-Handbuch der Psychotherapie


(Trenkle 1994, S. 130): „Ein heruntergekommener und hungriger Bett-

33 Und zwar deshalb, weil Personen ihr (Nicht-)Verstehen mittels Verhaltens-


erwartungen prüfen, die sie gegenseitig voneinander erwarten, ohne aber je wis-
sen zu können, ob das Verhalten, welches sie jeweils als Verstehensmitteilung
erwarten, auch psychisches Verstehen der jeweils anderen Person bedeutet. So
können interagierende Personen in dem Glauben, sich zu verstehen, ein Kom-
munikationssystem, das Mitteilungen, Informationen und Verstehen differen-
ziert, aufrechterhalten, ohne sich zu verstehen, denn „als Verstehen kommt alles
in Betracht [...], was das verstehende System für verstehen hält“ (Luhmann
1986a, S. 85; siehe dazu auch: Kleve 1996, S. 60ff.; Haye/ Kleve 1997). Das-
selbe umschreibt Theodor Bardmann (1994, S. 85) mit seinem konstruktivisti-
schen Motto: „’Sage mir, was Du denkst, und ich denke mir, was Du meinst“.

201
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

ler klingelt an einem Haus, und eine alte Frau schaut daraufhin oben
zum Fenster hinaus. ‚Gute alte Frau‘, jammert der Bettler nach oben,
‚drei Tage habe ich schon nichts mehr gegessen.‘ Die Oma antwortet
ihm: ‚Musst Dich halt zwingen‘“.

II. 1 Kontingenzerfahrung

Die alte Frau hat die Situation des Bettlers umgedeutet. Sie hat eine aus-
geblendete Bedeutung eingeblendet und damit einen neuen Kontext für
nachfolgende Unterscheidungen generiert. Der Bettler erscheint nicht
mehr als armer Mann, der deshalb nichts isst, weil er nichts zum Essen
hat, sondern eher als Kranker, der gar nichts essen kann. Möglicherwei-
se wird der Mann, der diese Umdeutung von der alten Frau hört, erst
einmal sprachlos reagieren, da er zunächst keine Unterscheidungen
mehr setzen kann; er sieht sich plötzlich in einen völlig anderen Kontext
gestellt als erwartet. Für einen Bruchteil einer Sekunde (oder auch län-
ger!) wird für ihn die Welt anhalten.34 Er stößt möglicherweise auf die
Leere der Unterscheidungslosigkeit, auf den „unmarked state“ (Spen-
cer-Brown), um schon im nächsten Moment mit der Fülle der mögli-
chen Formen konfrontiert zu werden (vgl. Baecker 1993b, S. 151), die
das Setzen von neuen Unterscheidungen herausfordert. Welche Verhal-
tensweisen auch immer mit diesen Unterscheidungen einhergehen, sie
reagieren auf einen völlig anderen Kontext als er beim Betteln zunächst
erwartet hatte.35
Ähnlich wirken unserer Ansicht nach alle erfolgreichen Umdeutungen:
Sie ermöglichen Kontingenzerfahrung, wo Nicht-Kontingenz erwartet
wurde. Dadurch enttäuschen sie jene „generalisierte[n] Verhaltenser-
wartungen“ (Luhmann 1984, S. 139), durch die sich doppelt kontingente
soziale Situationen erst strukturieren. Doppelte Kontingenz heißt nichts
anderes, als dass interagierende Personen mit einer doppelten Unsicher-
heit umgehen müssen: zum einen mit Handlungsunsicherheit (bezüglich

34 Vgl. Carlos Castaneda (1972, S. 12), der von dem Schamanen Don Juan
lernte, dass „‚die Welt anhalten‘ [...] tatsächlich eine zutreffende Beschreibung
für bestimmte Bewußtseinszustände [war], in denen die Realität des alltäglichen
Lebens verändert ist, weil der Strom der Interpretationen, der für gewöhnlich
ununterbrochen fließt, durch eine Reihe ihm fremder Umstände unterbrochen
ist“.

202
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION

der eigenen Handlungsmöglichkeiten) und zum anderen mit Erwar-


tungsunsicherheit (hinsichtlich der Handlungsmöglichkeiten der ande-
ren Personen /KommunikationsteilnehmerInnen); denn jede Person
kann sich immer auch so verhalten, dass sie die Erwartungen der ande-
ren enttäuscht.36 Solche doppelt kontingenten Situationen fordern gera-
dezu den Aufbau von Kommunikationssystemen heraus, von Systemen
also, die alle an ihnen beteiligten Personen mit dem Phänomen konfron-
tieren, dass das (eigene) Beobachten des Beobachtens (der anderen von
diesen) beobachtet wird.
Die soziale Ordnung, die erfahrungsgemäß während einer jeden (dop-
pelt kontingenten) Interaktionssituation früher oder später entsteht, ist
bedingt durch die Rekursivität der aufeinander gerichteten Beobachtun-
gen; denn Rekursionen generieren nach Heinz von Foerster (1988) sta-
bile Eigenwerte, die auch als Komplexitätsreduktionen betrachtet wer-

35 Möglicherweise wird der Bettler durch die Umdeutung der alten Frau auch
provoziert. Und genau so einen provozierenden Effekt haben wirksame Umdeu-
tungen in der Beratung und Supervision ebenfalls nicht selten. Wie Heinz Ker-
sting (1991, S. 123ff.) meint, stören provozierende Unterscheidungen und
Bezeichnungen alte, eingefahrene und problematische Sichtweisen besonders
gut. Provozierende Deutungen, die etwa mit Übertreibung, Spott, Entstellung,
Sarkasmus, Witz, Nachahmung des Verhaltens etc. mitgeteilt werden, „locken“
die supervisorisch Ratsuchenden gewissermaßen „aus der Reserve“ (ebd., S.
123). Sie sind allerdings nur angebracht, wenn die Beziehung zwischenBerate-
rIn/ SupervisorIn und Ratsuchenden als stabil erlebt wird und mit gegenseitiger
Akzeptanz und Achtung einhergeht. Aber gerade wenn in einer solchen Bezie-
hung mit einer (Um-)Deutung provoziert wird, entsteht sozusagen ein supervi-
sorischer double-bind (vgl. Kleve 1996, S. 125), der kreatives Verhalten heraus-
fordert: Die betreffenden KlientInnen werden einerseits – möglicherweise bis
zur Wut – provoziert, während sie andererseits mit Empathie und liebevoller
Zuwendung bedacht werden. Dabei kann etwas ganz Entscheidendes gesche-
hen: Im Wehren gegen die Provokation kann der Ratsuchende seine Abwehr-
kräfte aktivieren und eine eigene (neue) Sichtweise konstruieren.
36 Diesbezüglich kann Verhalten für Beobachter auch als ‚verrückt’ erschei-
nen, weil sie den persönlichen (Interpretations-)Kontext der sich verhaltenden
Person nicht teilen; es könnte aber genauso gut als ‚böse’ aufgefasst werden,
wenn andere Personen meinen, es richte sich gegen sie; dazu Fritz B. Simon
(1995a, S. 66f.): „’Mad or bad?’ – ‚Verrückt oder böse?’, das ist die Frage, die
sich stellt, wenn jemand den Rahmen der gewohnten Spielregeln verläßt und
ihre Gebote und Verbote mißachtet“.

203
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

den können. Soziale Kommunikationssysteme entstehen also, indem die


Komplexität der möglichen Verhaltenserwartungen in (sozial) verar-
beitbarer Weise reduziert wird. Denn es kann keine soziale Ordnung ent-
stehen, wenn Personen nicht Verhaltenserwartungen aufeinander aus-
richten, die als einigermaßen sicher erwartet werden können. Umdeu-
tungen stören diese zumeist als sicher erwartete Reduktion von
Komplexität, weil sie Erwartungen enttäuschen.

II.2 Komplexitätserfahrung

Wenn die Kontingenz, die zumindest in jeder neuen sozialen Situation,


wie zum Beispiel bei einem Treffen zweier bisher unbekannter Men-
schen, deutlich erfahrbar ist, wieder ans Licht kommt, dann ist die Erfah-
rung von Komplexität ebenfalls nicht weit. Komplexität wird beispiels-
weise dann erfahren, wenn Unsicherheit darüber besteht, was getan wer-
den soll oder kann, weil es verschiedene gleich passende Handlungsalter-
nativen bezüglich einer bestimmten Situation zu geben scheint.
Psychosoziale PraktikerInnen beispielsweise, die in die Supervision
kommen, haben nicht selten Probleme damit, dass alle ihre bisherigen In-
terventionen bezüglich der KlientInnen (von ihnen selbst, den KlientIn-
nen oder anderen) als erfolglos bewertet werden. Ihre oft schon länger
andauernden Beziehungen zu den Klientensystemen haben trivialisierte
Verhaltensmuster beziehungsweise starre Komplexitätsreduktionen ent-
stehen lassen, die immer wieder das gleiche problematische Verhalten
sowohl auf Seiten der HelferInnen als auch auf jener der KlientInnen he-
rausfordern. Die HelferInnen kommen dann zu SupervisorInnen, weil sie
keinen Möglichkeitsspielraum mehr erleben, aus dem sie schöpfen könn-
ten. Ihre Wirklichkeitskonstruktionen erscheinen als unbrauchbar. Sie
unterscheiden in einem Kontext von Unterscheidungen, der nur noch das
Setzen von Anschlussunterscheidungen erlaubt, die als problematisch
bewertet werden.
Diesen PraktikerInnen könnten Umdeutungen helfen, die Kontingenz
ihres Beobachtens zu beobachten, was gleichzeitig Komplexitätserfah-
rung für sie bedeutet. Immer dann, wenn sie merken, dass neben ihren
als problematisch bewerteten („unbrauchbaren“) Beschreibungen noch
andere denkbar, oder besser: kommunizierbar, sind, erfahren sie die
Komplexität ihrer beobachteten Welt; ihnen wird beispielsweise offen-
bar, dass die Situation eines Klientensystems ganz verschiedenartig be-
obachtbar, beschreibbar, erklärbar oder bewertbar ist.

204
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION

Um eine derartige Komplexitätserfahrung zu erreichen, könnten Klien-


tInnen mit der Bedeutungsvielfalt von Begriffen, die ihnen zur Selbst-
oder Umweltbeschreibung dienen, konfrontiert werden. Diesbezüglich
fördert allein schon die Umdeutung von Adjektiven, mit denen etwa
Personen bestimmte (zumeist negative) Charaktereigenschaften zuge-
schrieben werden, unterdrückte, abwesende und doch implizite Bedeu-
tungen zu Tage. So ließe sich etwa „faul“ als unbesorgt sein, sich ent-
spannen können deuten; „ungeduldig“ könnte in handlungsorientiert
übersetzt werden; „depressiv“ ließe sich auch als still und nachdenklich
umschreiben; „aggressiv“ bedeutet möglicherweise auch kraftvoll oder
vielleicht die eigene Stärke unterschätzend (vgl. Berg 1991, S. 152).
Mittels derartiger Umdeutungen werden Begriffe und Beschreibungen,
die zuvor möglicherweise als eindeutig aufgefasst wurden, ihrer Ein-
deutigkeit beraubt. Sie werden in einen komplexeren Kontext gestellt,
das heißt in einen Kontext, der mehr und bestenfalls brauchbarere An-
schlussunterscheidungen erlaubt als zuvor. Allerdings reduziert das
Setzen von Anschlussunterscheidungen die gerade aufgedeckte Kom-
plexität wieder; dies aber in anderer Weise als in jener, die als proble-
matisch bewertet wurde. „Der Weg geht also vom Reduzierten zum
Komplexen und dann wieder zu einer neuen, hoffentlich brauchbareren
Reduktion“ (IBS 1995, S. 7). Das heißt natürlich auch, dass die Pro-
blemlösungen von heute wahrscheinlich die Probleme von morgen sein
werden (vgl. Kersting 1996, S. 20). Denn ob die neue Komplexitätsre-
duktion brauchbarer ist als die alte, kann nicht im Kommunikationssys-
tem Supervision getestet werden, sondern wird erst in der Praxis offen-
bar. Dennoch konnten die KlientInnen erfahren, dass Beobachtungen
relativ sind, das heißt, sie zeigten sich als abhängig von den Unterschei-
dungen, die als Kontexte für die Anschlussunterscheidungen dienten.

II.3 Relativitätserfahrung

Dass die Wirklichkeit als relativ beschrieben werden kann, heißt nichts
anderes, als dass sie sich in Abhängigkeit von (unterschiedlichen) Kon-
texten anders zeigt. Ein Kontext, so hatten wir gesagt, wird mit jedem
Setzen von Unterscheidungen generiert. Denn das Setzen von Unter-
scheidungen entscheidet darüber, welche Anschlussunterscheidungen
möglich sind. Diesbezüglich erlauben erst Kontexte, dass Wirklichkeit
als stabil erfahrbar ist; denn sie sind immer schon reduzierte Komplexi-

205
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

tät und damit kontingenzmindernd. Anders gesagt, Kontexte sind als


Rahmen der Wahrnehmung und Kommunikation sowohl exklusiv als
auch inklusiv, das heißt durch den Einschluss bestimmter Unterschei-
dungen werden andere ausgeschlossen und umgekehrt (vgl. Bateson
1979, S. 254). Indem derartige Rahmen aus dem Potential möglicher
Beobachtungen, Beschreibungen, Erklärungen oder Bewertungen ganz
bestimmte selektieren, definieren sie (soziale) Situationen und organi-
sieren unsere diesbezügliche (psychische) Wahrnehmung (vgl. dazu
auch Goffmann 1974).
Relativitätserfahrung wird deshalb möglich, weil mit dem Offenbaren
der Kontingenz und der Komplexität gleichzeitig die Rahmen unter-
schieden werden können, die es ermöglichten, dass die Wirklichkeit „so
und nicht anders“ beobachtet wurde, obwohl es möglich gewesen wäre,
wie Reframing verdeutlicht. Umdeutungen verhelfen KlientInnen also
zu der Erfahrung, dass Beobachtungen zwar kontingent sind, aber nicht
beliebig. Vielmehr sind sie abhängig von psychologischen, sozialen,
kulturellen oder theoretischen Kontexten (Ausgangsunterscheidungen)
und damit relativ zu den Beobachtern, die in derartigen Kontexten ihre
Wirklichkeit konstruieren. So könnte in der Supervision zum Beispiel
zwischen defizit- und ressourcenorientierten Sichtweisen unterschieden
werden, da beide aller Wahrscheinlichkeit nach völlig verschiedenartige
Beschreibungen (Deutungen) derselben Klientensysteme ermöglichen.
Die Relativität einer Beobachtung, das heißt ihre Abhängigkeit von ih-
ren Ausgangsunterscheidungen hat unseres Erachtens insbesondere
Steve de Shazer (1988; 1991) mit seinem ressourcenorientierten Ansatz
von (konstruktivistischer) Kurzzeittherapie kenntlich gemacht. Indem
de Shazer mittels Ausnahme-Fragen die KlientInnen zum Unterschei-
den und Bezeichnen von Zeiten oder Situationen herausfordert, in de-
nen das als problematisch bewertete Verhalten nicht gezeigt wurde,
hilft er ihnen beim Konstruieren von möglichen Problemlösungen, die
die klienteneigenen Ressourcen zugleich nutzen und stärken.
Durch das Fokussieren von Ausnahmen wird deutlich, dass beobacht-
bare Verhaltensweisen relativ zu den Rahmen sind, welche die (Selbst-
und Fremd-) Beobachtung strukturieren. Während mit einem (in der
Beratung zu dekonstruierenden) Rahmen hauptsächlich Probleme un-
terschieden und bezeichnet werden können, weil die Ausgangsunter-
scheidungen, die seiner Struktur zugrunde liegen, die Beobachtung von
eigenen Ressourcen fast unmöglich machen, verhilft ein (neu konstru-

206
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION

ierter) anderer Rahmen dazu, die aus dem Blickfeld ausgegrenzten ei-
genen Verhaltensmöglichkeiten zu beobachten, die Schlüssel für die
Problemlösung sein können. So ist das plötzliche Feststellen von Pro-
blem-Ausnahmen gleichbedeutend mit einer Umdeutung, da nun mög-
licherweise dasselbe Problem völlig anders, das heißt in einem neuen
Rahmen gesehen werden kann – beispielsweise schon dadurch, dass
problemlösendes Verhalten in Ausnahme-Zeiten oder -Situationen
selbst bereits praktiziert wurde. Auch de Shazer bezeichnet sein Kon-
zept, mit dem er versucht, Zweifel bei den KlientInnen hinsichtlich ih-
rer globalen Rahmen zu wecken, ausdrücklich als Dekonstruktion.
Bevor wir am Ende dieses Beitrages auf den dekonstruktionistischen
Aspekt des Reframing zurückkommen, wollen wir im Folgenden aus-
führen, wie das Umdeuten praktiziert werden kann.

III. REFRAMING IN AKTION

Reframing wird als explizite Methode besonders von Neurolinguisti-


schen ProgrammiererInnen benutzt, um durch das Wechseln von Rah-
men andere (nicht symptomatische) Verhaltensweisen herauszufordern.
Diesbezüglich wurde das sogenannte Sechs-Schritte-Reframing entwi-
ckelt.37 In der beraterischen und supervisorischen Praxis erscheint uns
insbesondere ein Umdeuten passend, das die oben beschriebene Kontin-
genz-, Komplexitäts- und Relativitätserfahrung mit recht subtil wirken-
den Neubeschreibungen von Problemen ermöglicht. Die Umdeutung
von Adjektiven, um festgeschriebene Charakterbeschreibungen zu ver-
flüssigen, haben wir bereits als Beispiel für praktiziertes Reframing an-
geführt. Hier wollen wir nun zwei weitere Reframing-Arten vorstellen

37 Im Sechs-Schritt-Reframing geht es darum, als problematisch empfundene


Verhaltensweisen durch weniger problematisch bewertete zu ersetzen. Dazu
wurde im NLP ein Verfahren entwickelt, das dabei helfen soll, die intendierte
(„positive“) Absicht und das bisher damit verbundene („negative“) Verhalten zu
trennen. Dem liegt die Hypothese zugrunde, dass die Absicht, die den als pro-
blematisch empfundenen Verhaltensweisen zugrunde liegt, sinnvoll und nütz-
lich ist, so dass es gilt, alternative Handlungen, welche dieselbe Absicht bezie-
hungsweise denselben Zweck erfüllen, zu konstruieren und in Zukunft auszu-
führen (vgl. dazu ausführlich: Bandler /Grinder 1979; 1982; Dilts/ Bandler /
Grinder u.a. 1980; O’Connor/ Seymour 1990).

207
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

(vgl. Krapohl 1992, S. 156f.) – bei der ersten, Inhalts- oder Bedeutungs-
reframing, bleibt der situative Kontext, auf den sich eine Aussage be-
zieht, erhalten, während ihr Inhalt mittels anderer Unterscheidungen be-
zeichnet wird; bei der zweiten, Kontextreframing,38 wird das beschrie-
bene Verhalten in einen anderen zeitlichen, sozialen und örtlichen
Kontext gestellt.
Um erfolgreich umdeuten zu können, ist es wichtig, sich auf die psychi-
schen Werteskalen der KlientInnen zu beziehen. Denn im Vorfeld jeder
Umdeutung geht es darum, eine Idee darüber zu entwickeln, in wel-
chem Rahmen ein Ereignis für die betreffende Person annehmbar sein
könnte. Die Umdeutung, speziell eine Kontextumdeutung soll also der
sozialen Wirklichkeit und dem psychischen Wertesystem der KlientIn-
nen entsprechen; bei einer Bedeutungsumdeutung sollte das Reframing
in etwa zu der sozialen Lebenssituation des Klienten beziehungsweise
der Klientin passen. Die richtige Umdeutung kann es nicht geben, da die
psychischen und sozialen Wirklichkeiten jeweils nicht direkt von außen
beobachtet, sondern lediglich erschlossen werden können. Es lassen
sich demzufolge nur solche Umdeutungen denken, die mehr oder weni-
ger auf eine bestimmte Person in einer bestimmten Situation bezie-
hungsweise in einem spezifischen sachlichen, sozialen und zeitlichen
Kontext passen und davon abhängig mehr oder weniger überzeugend
vorgetragen werden können.
Hierzu zwei Beispiele aus der Supervision:39
1. Beispiel: Eine Teamsupervision mit SozialarbeiterInnen aus dem Ju-
gendamt findet montags statt. Eine Teilnehmerin fliegt am Freitag für
sieben Wochen mit ihrem 11-jährigen Sohn nach Australien, einer lang
ersehnten Reise. In der Sitzung vor dem Abflug klagt die Teilnehmerin
über starke Arbeitsüberlastung. Ihre Stimme wirkt weinerlich, als sie
von vielen offenen Anfragen berichtet, von zu erledigenden Hausbesu-

38 Die Benutzung des Begriffs ‚Kontextreframing’ können wir nur mit Vorbe-
halt empfehlen, denn, wie wir versucht haben zu zeigen, ändern sich bei allen
Umdeutungen die Kontexte – um es noch einmal zu betonen: jede Umdeutung
ist nichts anderes als ein sprunghafter Ausbruch aus den tradierten Gewohnhei-
ten des Unterscheidens und Bezeichnens, der immer mit einem Kontextwechsel
im Hinblick auf Bewusstsein oder Kommunikation einhergeht.
39 Die folgenden beiden Beispiele stammen aus der Supervisionspraxis von
Britta Haye.

208
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION

chen, von vielen Telefonaten und noch zu schreibenden Berichten. Alles


müsse sie bis Freitag schaffen und daneben noch viele Reisevorberei-
tungen treffen. Sie sei fertig, könne nicht mehr und wisse nicht, was sie
zuerst tun solle.
Meine Reaktion: „Wenn sie nachher nach Hause kommen und auf ihr
Flugticket schauen und dann entdecken, dass der Flug nicht Freitag, son-
dern schon morgen abgeht, würden Sie dann fliegen?“
2. Beispiel: Eine Supervisandin raucht nach 40 Jahren starken Tabak-
konsums seit einem Jahr aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr. In
einer Sitzung beklagt sie sich, wie stark ihr das Rauchen fehle, wie sehr
sie doch ihre Zigarette geliebt habe, wie allein sie sich jetzt fühle und
um wie viel schöner der Alltag mit Zigarette war, wie schwer ihr das Ar-
beiten und die Konzentration ohne Zigarette falle. Meine Antwort: „Ja,
da sind sie eine richtige Zigarettenwitwe.“
Derartige Umdeutungen können in sehr flexibler Weise in die berateri-
sche und supervisorische Kommunikation eingebracht werden, um so-
wohl im Kommunikationssystem als auch in den beteiligten psychi-
schen Systemen Unterschiede zu initiieren, die Unterschiede machen.
Welche Unterschiede allerdings (kommunikativ und psychisch) sele-
giert werden, kann vorher nicht bestimmt werden. Über die Brauchbar-
keit der Umdeutung zur Konstruktion passender, das heißt problemlö-
sender Anschlussunterscheidungen kann also ausschließlich diejenige
entscheiden, deren Verhalten umgedeutet wurde: die KlientInnen. In
dieser Hinsicht lassen sich Umdeutungen wie alle anderen Interventio-
nen bezüglich strukturdeterminierter, autopoietischer Systeme (vgl.
Maturana /Varela 1984) als Irritationen (Perturbationen oder Störun-
gen) verstehen, die in der Beratung und Supervision nach Plan ausge-
führt werden können, ohne im Hinblick auf ihre Wirkungsweise planbar
zu sein (vgl. dazu auch Bardmann u.a. 1991).
Daher können BeraterInnen und SupervisorInnen immer nur hoffen,
dass die SupervisandInnen mit den mitgeteilten Umdeutungen viel-
leicht etwas anfangen können.40 Dafür kann die Wahrscheinlichkeit al-
lerdings erhöht werden, wenn Umdeutungen auf die beschriebenen Pro-
bleme passen. Passend sind Umdeutungen als alternative Beschreibun-
gen immer dann, wenn sie dazu beitragen, die Genese eines Phänomens
zu erklären (vgl. Maturana / Varela 1984, S. 34f.), anders gesagt, wenn
sie wie ein Schlüssel ein Schloss aufzuschließen vermögen. Erst in der

209
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

Praxis wird sich dann herausstellen, wie passend das alternative Han-
deln ist, das mit der Umdeutung einhergeht, das heißt ob es brauchbarer
ist, um die Ziele der HelferInnen und KlientInnen zu erreichen, als das
problematisch bewertete Handeln.
Darüber hinaus erscheint uns die systemische Beratung oder Supervision
als ein Ort, an dem immer wieder erneut gelernt werden kann, wie Kli-
entensysteme systemtheoretisch betrachtet werden können. Auch das
setzt unseres Erachtens Umdeutungen voraus. Denn wir sind zu sehr in
unseren alteuropäischen Sichtweisen verstrickt, als dass wir von heute
auf morgen ein Denken praktizieren könnten, das etwa Linearität durch
Zirkularität ersetzt oder Menschen nicht als Teile von sozialen Systemen
betrachtet. Gerade der letzte Aspekt schafft einen Kontext, der völlig an-
dersartige Anschlussunterscheidungen erlaubt als jene Sichtweisen, die
soziale Probleme personenzentriert erklären. Diesbezüglich wollen wir
noch etwas bei diesem uns wesentlich erscheinenden Punkt verweilen,
welcher aus der Umdeutung beziehungsweise Umschrift (vgl. Fuchs
1995) folgt, dass die Probleme von KlientInnen nicht (mehr) hauptsäch-

40 Heinz Kersting (1992, S. 142f.; 1996, S. 19f.) erzählt hierzu gern die fol-
gende alte chinesische Geschichte Vielleicht sagte der Bauer, die deutlich
macht, wie man sich (nicht nur) als BeraterIn und SupervisorIn vor mancherlei
Enttäuschungen schützen kann und seinem Möglichkeitssinn treu bleibt: In
einem schrecklich armen Dorf in China lebte, als der himmlische Kaiser noch
reagierte, ein Bauer. Die Leute im Dorf hielten ihn für reich, denn er besaß ein
Pferd. Mit diesem Pferd pflügte er sein Feld und transportierte schwere Lasten.
Eines Tages jedoch lief sein Pferd auf und davon. Alle Nachbarn des Bauern
kamen zusammen, gestikulierten, jammerten und klagten: „Wie groß ist Dein
Verlust!“ Doch der Bauer meinte nur: „Vielleicht“. Wenige Tage darauf kam
das Pferd zurück, in seinem Gefolge trabten zwei Wildpferde. Wieder liefen alle
Nachbarn zusammen, sie freuten sich und priesen den Bauern glücklich, aber
der Bauer sagte nur: „Vielleicht“. Am Tag darauf versuchte des Bauern Sohn
eines der Wildpferde zuzureiten. Doch das Pferd warf ihn im hohen Bogen ab
und er brach sich ein Bein. Wieder liefen alle Nachbarn zusammen, jammerten,
wehklagten und bedauerten sein Missgeschick, aber der Bauer sagte nur: „Viel-
leicht“. Eine Woche später kamen die Offiziere des himmlischen Kaisers ins
Dorf, um die jungen Männer für den Krieg gegen die Feinde im Norden auszu-
heben. Des Bauern Sohn nahmen sie nicht mit, weil sein Bein gebrochen war.
Alle Nachbarn sagten dem Bauern, welches Glück er gehabt habe, doch er ant-
wortete nur: „Vielleicht“ ...

210
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION

lich mittels dem Rekurrieren auf ihre Psyche, sondern auf soziale Kom-
munikation erklärt werden.
Zunächst ermöglicht eine derartige Umdeutung, in radikalerer Weise
fortzuführen, was die Mütter und Väter der systemischen Beratung
(zum Beispiel Gregory Bateson, Mara Selvini-Palazzoli, Paul Watzla-
wick, Lynn Hoffman u.v.a.) begonnen haben, nämlich zu zeigen, dass
symptomatisches Verhalten innerhalb von Familien oder größeren sozi-
alen Systemen mit den kommunikativen Regeln innerhalb dieser Syste-
me mehr zu tun hat als mit den psychischen Zuständen der beteiligten
Personen. In den Worten von Watzlawick (1988, S. 18): „Das Wesen ei-
ner Beziehung erweist sich als komplexes Phänomen sui generis, das
seine eigene Gesetzmäßigkeit und seine eigenen Pathologien hat und
dessen Eigenschaften sich weder auf den einen noch den anderen Part-
ner zurückführen lassen.“
Bei der Problemlösung sollte es also darum gehen, die kommunikativen
Regeln oder Gesetzmäßigkeiten zu stören, welche jene Zustände inner-
halb sozialer Systeme aufrechterhalten, die als „Pathologien“ bewertet
werden und unter denen die beteiligten Personen leiden (vgl. dazu auch
Willke 1994). Bei dem Fokus auf Kommunikation werden außerdem
Fragen nach persönlicher Schuldzurechnung unbedeutend, die ansons-
ten immer wieder problemverstärkendes Thema werden könnten. Denn
es erscheint bei interaktionellen (zwischenmenschlichen) Problemen
zunächst am einfachsten, kausal zu attribuieren (zuzurechnen) und da-
mit Personen direkt oder indirekt anzuklagen. „Obwohl alles Unheil in
der sich selbst reproduzierenden, Abweichungen verstärkenden, Kon-
flikte durch Interpretation fixierenden Kommunikation liegt, wird da-
von ausgegangen, daß die Schuld in den Personen (in der jeweils ande-
ren) liegt“, wie Luhmann (1992, S. 130) formuliert.
Indem der systemtheoretische Kontext von Unterscheidungen die Ge-
nese von individuell attribuierten Symptomatiken nicht den psychi-
schen Systemen von Personen zurechnet, sondern dem durch die zwi-
schenmenschliche Interaktion entstehenden sozialen Kommunikations-
systemen, externalisiert es Probleme. Gleichzeitig können durch die
vollständige (operationale) Trennung von Psyche und Kommunikation
die Ressourcen zur Problemlösung internalisiert werden. Da Menschen
als Umwelt von Kommunikation komplexer sind als jene sozialen Sys-
teme, die sie durch ihre Interaktionen hervorbringen, und sich außerdem
jeder sozialen Determination sträuben, können sie immer auch anders

211
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN

denken oder handeln als es die sozialen Beobachtungen (Kommunika-


tionen) von ihnen erwarten. Diesbezüglich lassen sich in ihnen die Res-
sourcen finden, die dazu beitragen können, die Probleme zu lösen, die
das Kommunikationssystem schafft. Mittels anderer Verhaltensweisen
kann die Kommunikation dermaßen irritiert werden, dass womöglich
anders attribuiert wird und damit weniger leidvolle Differenzierungen
von Mitteilungen, Informationen und Verständnissen initiiert werden.
Die Dekonstruktion des Individuums, das heißt seine kommunikative
Externalisierung durch die Systemtheorie, stattet es (zumindest theore-
tisch) mit einer Freiheit aus, die es in die Lage versetzt, die Lösung sei-
ner Probleme selbst anzugehen, was nichts anderes heißt, als die Ideen
und Verhaltensweisen, welche letztlich über die Problemlösung ent-
scheiden, (individuell, menschlich oder subjektiv) zu internalisieren.

IV. EPILOG: REFRAMING ALS (DE-)KONSTRUKTION VON KONTEXTEN

Wir hoffen, dass mit dem Lesen dieses Beitrags deutlich geworden ist,
dass das Umdeuten nicht eigentlich eine besondere Methode ist, son-
dern das brauchbare „Basiskonstrukt schlechthin für jede psychosoziale
Veränderung“ (Kersting 1992, S. 116; vgl. Simon/ Stierlin 1984, S.
370), aber auch für Witze, Märchen und Fabeln (vgl. zum Beispiel
Bandler /Grinder 1982, S. 14f.) oder für andere Erzählungen, sprich:
„Texte“, die wir selber täglich in unserem Sprechen oder Schreiben an-
fertigen.
Nichts, aber auch gar nichts, kann sicher vor Umdeutungen sein, schon
gar nicht das, was schon passiert ist: die Vergangenheit. Je nachdem wie
die Komplexität der Erfahrungen im Moment reduziert wird, können
andere Unterscheidungen den Kontext für das Ordnen des Vergangenen
bilden, kann eine andere Geschichte, können andere Geschichten er-
zählt werden. Diesbezüglich erscheint die Vergangenheit, wie Milan
Kundera (1973, S. 120) metaphorisch schreibt, wie ein Kleid, das „aus
schillerndem Taft geschneidert [ist], und jedesmal, wenn wir uns nach
ihr [der Vergangenheit; d.A.] umdrehen, sehen wir sie in einer anderen
Farbe“. Reframing weist also darauf hin, dass Zeit die Aktualisierung
des Inaktuellen ist; denn Vergangenheit und Zukunft sind immer nur in
der Gegenwart beobachtbar. Wie das Inaktuelle (zum Beispiel die Ver-
gangenheit) aktualisiert wird, ist wie alles andere, was beobachtet wird,

212
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION

davon abhängig, welche Unterscheidungen jetzt und hier getroffen wer-


den.
Der Hauptaspekt des Umdeutens in der systemischen Beratung und Su-
pervision, die Dekonstruktion von Kontexten, um dadurch andere Kon-
texte zu konstruieren, die das Anschließen passenderer Beobachtungen
(Unterscheidungen und Bezeichnungen) ermöglichen sollen, bedeutet
für systemische PraktikerInnen: Schulung des Möglichkeitssinnes, um
sensibel dafür zu sein, dass alles Gedachte oder Kommunizierte auch
anders beobachtet, beschrieben, erklärt oder bewertet werden kann.
Diesbezüglich gilt für Reframing dasselbe Postulat wie für Dekonstruk-
tionen nach Derrida: Sie setzen „immer eine große Aufmerksamkeit für
den Kontext voraus [...], für alle Kontexte, für die geschichtlichen, wis-
senschaftlichen, soziologischen, usw. Entsprechend den Kontexten
kann man dann die Regeln der Dekonstruktion gewinnen, relative Re-
geln, die eine relative Allgemeinheit haben, die man aber bis zu einem
gewissen Punkt benutzen, übersetzen und lehren kann. Es gibt aller-
dings einen Punkt, an dem die Abhängigkeit vom Kontext - vielleicht
ein autobiographischer Kontext oder ein politischer oder ein historisch-
wissenschaftlicher Kontext ist –, wo die Abhängigkeit vom Kontext be-
wirkt, daß es keine universelle Methodologie der Dekonstruktion gibt.
[...] jeder Text, das heißt Kontext [...] erfordert eine idiomatische, de-
konstruktive Geste, so idiomatisch wie möglich“ (zit. nach Engelmann
1990, S. 24ff.).
Wir sind also schließlich dort angelangt, wo das Besondere, das nicht
Übertragbare beginnt, wo die eigentlichen Umdeutungen zu wirken be-
ginnen, wenn sie etwa von der Kommunikation dieses Textes (oder ei-
ner Supervision) in die persönliche Sprech- und Ausdrucksweise – und
idiomatisch heißt nichts anderes als das – der LeserInnen (oder der Kli-
entInnen) übergehen. So soll Reframing, indem es die Vielfalt der mög-
lichen Kontexte offenbart, dem entgegenwirken, was totalisierende,
Absolutheiten und Fundamentalismen fördernde Kommunikationen
hervorrufen können: die Unterdrückung des (auch) Andersmöglichen.
Reframing ist demgegenüber die Inszenierung von Alternativität und
entspricht damit dem ethischen Imperativ Heinz von Foersters, stets so
zu handeln, dass die Anzahl der wählbaren Möglichkeiten wächst.

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Nachweise
Für die Kapitel dieses Buch habe ich Aufsätze zusammengestellt und
zum Teil überarbeitet, die an unterschiedlichen Orten bereits veröffent-
licht wurden:
Haben Sie diese Nachweise im Text platziert, wo? 1.-10.

1. In früherer Version erschienen in: Neue Praxis, 3 /1996: S. 245-252.

2. In früherer Version erschienen in: Soziale Arbeit, 7/ 1997: S. 218-


226.

3. Zuerst erschienen in: Neue Praxis, 1 /2001: S. 29-40.

4. Zuerst erschienen in: Das gepfefferte Ferkel. Online-Zeitschrift für


systemisches Denken und Handeln, http://www.ibs-networld.de /ferkel,
2003.

5. Zuerst erschienen in: Das gepfefferte Ferkel. Online-Zeitschrift für


systemisches Denken und Handeln, http://www.ibs-networld.de /ferkel,
2002.

6. Dieses Kapitel ist entstanden aus den Texten: Sozialarbeit als post-
moderne Profession, in: Soziale Arbeit, 1/ 2001: S. 21-26 und Sozialar-
beit als Beruf ohne (eindeutige) Identität, in: Forum sozial, 3 /2001: S.
15-17.

7. In früherer Version erschienen in: Soziale Arbeit, 6/ 2003: S. 220-


227.

8. Erweiterte und aktualisierte Fassung des Textes Die sechs Schritte


helfender Kommunikation. Eine Handreichung für die Praxis und Aus-
bildung Sozialer Arbeit, in: Sozialmagazin, 12 /2002: S. 41-52.

9. In früherer Version erschienen in: Pfeifer-Schaupp, Ulrich (Hrsg.):


Systemische Praxis. Modelle – Konzepte – Perspektiven. Freiburg /Br.:
Lambertus: S. 156-176.

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NACHWEISE

10. Veränderte Fassung des Textes Reframing in der systemischen Su-


pervision, in: Kersting, Heinz J. (Hrsg.): Supervision in der Postmoder-
ne. Systemische Ideen und Interventionen in der Supervision und Orga-
nisationsberatung. Aachen: Kersting: S. 79-108.

231
Der Autor
Heiko Kleve (geb. 1969), Prof. Dr. phil., Diplom-Sozialarbeiter /Sozi-
alpädagoge und Sozialwissenschaftler sowie systemischer Berater und
Konflikt-Mediator; lehrt als Professor für Theorie und Geschichte Sozi-
aler Arbeit an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin, Praxiserfahrun-
gen insbesondere in den Bereichen der Hilfen zur Erziehung, der ambu-
lanten Sozialpsychiatrie und der Erwachsenenbildung; zahlreiche Ver-
öffentlichungen, u.a.: Konstruktivismus und Soziale Arbeit, Aachen
1996; Postmoderne Sozialarbeit, Aachen 1999; Die Sozialarbeit ohne
Eigenschaften, Freiburg 2000; Systemisches Case Management, Aa-
chen 2003. Kontakt: kleve@asfh-berlin.de; http://www.asfh-berlin.de /
hsl / kleve.

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