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Sozialarbeitswissenschaft,
Systemtheorie und Postmoderne
Lambertus
Für Noah und Tanja.
ISBN 3-7841-1489-X
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH-KONSTRUKTIVISTISCHE
GRUNDLEGUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
LITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
NACHWEISE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
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VORWORT
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Das Buch gliedert sich in drei Teile: Im ersten Teil werden grundlegen-
de Thesen einer systemtheoretisch-konstruktivistisch orientierten Sozi-
alarbeitswissenschaft referiert und diskutiert. Diese gehen insbesondere
aus von der Theorie selbstreferentieller Systeme, die der Soziologe und
transdisziplinär arbeitende Sozialwissenschaftler Niklas Luhmann
(1927-1998) über mehrere Jahrzehnte (von Mitte der 1960er Jahre bis
zu seinem Tode 1998) im Anschluss an unterschiedliche Innovationen
in der Kybernetik (Heinz von Foerster und Gregory Bateson), der Ma-
thematik und Logik (George Spencer-Brown und Gotthard Günther) so-
wie der Neurobiologie (Humberto Maturana und Francisco Varela) an
der Universität Bielefeld entwickelt hat. Es wird die Frage gestellt, wie
diese Theorie eine Sozialarbeitswissenschaft befruchten kann und wie
die Soziale Arbeit verstehbar ist aus der Perspektive der Systemtheorie
der Bielefelder Schule.1 Dabei werden drei Fragerichtungen immer wie-
der aufleuchten – erstens: Wie kann die Interaktion in der Sozialen Ar-
beit, also die unmittelbare face-to-face-Kommunikation zwischen Sozi-
alarbeiterInnen und KlientInnen beschrieben und erklärt werden? Zwei-
tens: Wie ist Soziale Arbeit institutionell organisiert und was bedeutet
dies für ihre alltägliche Praxis? Drittens: In was für einer Gesellschaft
findet Soziale Arbeit heute statt und welche Funktion erfüllt sie in die-
ser? Diese Fragestellungen werden in den ersten beiden Kapiteln zu-
nächst allgemein – vor allem hinsichtlich des Verhältnisses von System-
theorie und sozialarbeiterischer Praxis – diskutiert, während im 3. Ka-
pitel die aktuellen Tendenzen der sozialarbeiterischen Ökonomisierung
ins Verhältnis gesetzt werden zu einer systemtheoretischen Reflexion
Sozialer Arbeit.
1 Mit der Bezeichnung Bielefelder Schule lehne ich mich an eine Formulie-
rung von Peter Fuchs (2000, S. 158) an, der die Systemtheorie, die ausgehend
von Niklas Luhmann zunächst an der Universität Bielefeld entwickelt wurde,
aber inzwischen von verschiedenen WissenschaftlerInnen (Dirk Baecker, Peter
Fuchs Theodor M. Bardmann u.a.) an unterschiedlichen wissenschaftlichen Ein-
richtungen (zum Beispiel an der Privatuniversität Witten/ Herdecke, der Fach-
hochschule Neubrandenburg oder der Hochschule Niederrhein) weiter entwi-
ckelt wird, dermaßen bezeichnet. „Luhmann würde sich entschieden gegen
diese Bezeichnung gewehrt haben, aber ich brauche ein Wort für diese Theorie,
die sich mittlerweile deutlich absetzt von Theorieangeboten derselben Branche.
Im übrigen muß man das Wort Schule nicht von den Schülern her denken oder
von Orten der Lehre, man kann es von ihm selbst aus denken als schola“ (ebd.).
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VORWORT
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VORWORT
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Teil 1:
Systemtheoretisch-
konstruktivistische
Grundlegungen
1. Soziale Arbeit als wissenschaftliche Praxis
und als praktische Wissenschaft
Systemtheoretische Ansätze einer Praxistheorie Sozialer Arbeit
AUSGANGSPUNKTE
An den Anfang stelle ich zwei Fragen, denen bereits in vielen Publika-
tionen nachgegangen wurde – erstens: Was kann die moderne System-
theorie für die Soziale Arbeit leisten? Und zweitens: Wie kann system-
theoretisches Denken sowohl zur wissenschaftlichen als auch zur prak-
tischen Fundierung sozialarbeiterischen Handels beitragen?
Im Gegensatz etwa zu Maja Heiner (1995, S. 440) bin ich der Meinung,
dass bereits zahlreiche brauchbare Antworten auf diese Fragen formu-
liert wurden (siehe etwa Hollstein-Brinkmann 1993; Pfeifer-Schaupp
1995; 2002; Merten 2000). Dennoch ist es wohl nicht ganz falsch, wenn
Heiner (ebd.) konstatiert: „Überwiegend [...] wird die Systemtheorie in
der Sozialen Arbeit schlicht und einfach kaum zur Kenntnis genommen,
weder als Praxistheorie noch als Metatheorie.“ Dies kann m.E. als ein
Dilemma angesehen werden, denn es wird im interdisziplinären Diskurs
von der Physik bis hin zur Literaturwissenschaft kaum über ein Paradig-
ma so heftig diskutiert, wie über die moderne Systemtheorie bezie-
hungsweise deren erkenntnistheoretische Grundlage, den Konstrukti-
vismus (vgl. zur Einführung: Watzlawick 1981; Schmidt 1987; 1992).
Will die Soziale Arbeit, sowohl in ihrer Theorie als auch in ihrer Praxis,
den Anschluss an interdisziplinäre Entwicklungen erreichen, um nicht
zuletzt ihre eigene Wissenschaftlichkeit und praktische Glaubwürdig-
keit zu bekräftigen, ist ihr zu raten, sich systemtheoretisch beziehungs-
weise konstruktivistisch zu reflektieren. Ich habe an anderer Stelle dar-
gestellt, inwiefern der systemtheoretische Konstruktivismus als Refle-
xionstheorie Sozialer Arbeit konzipierbar wäre (vgl. Kleve 1996).
Eine derartige Reflexionstheorie könnte sich gleichzeitig als Hand-
lungstheorie verstehen; sie hätte dann aber auch kybernetische, neuro-
biologische, psychologische und soziologische Forschungsergebnisse
aufzunehmen, um in eine Praxistheorie Sozialer Arbeit zu emergieren.
Nur so wird meiner Ansicht nach der „Ganzheitlichkeit“ Sozialer Ar-
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II. KOMPLEXITÄT
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kus immer nur auf bestimmte Brennpunkte richten und nur zwischen be-
stimmten beobachteten Elementen Beziehungen herstellen. „Sowohl
operativ als auch in der Beobachtung setzt Komplexität daher immer ein
Reduktionsverfahren voraus, das ein Muster der Selektion von Beziehun-
gen festlegt und andere Möglichkeiten der Verknüpfung von Elementen
als bloße Möglichkeiten vorläufig ausschließt“ (Luhmann 1986, S. 267).
Wenn also PraktikerInnen ihre Handlungen mit ausgesprochen komplex
gebauten Theoriewerkzeugen (zum Beispiel der Systemtheorie) reflek-
tieren, können sie zu völlig unterschiedlichen Schlussfolgerungen gelan-
gen, weil sie, um letztlich wieder handlungsfähig zu werden, nicht anders
können, als diese Komplexität zu reduzieren. Sie wenden sich aufgrund
von bestimmten selektierten Praxiserfahrungen bestimmten selektierten
Theoriekonstrukten zu, mit Hilfe derer sie wiederum aus der Fülle der
möglichen Handlungen ganz bestimmte selektieren.
Insbesondere die Theorie und Praxis der konstruktivistisch orientierten
Supervision bezieht sich auf diese systemtheoretische Konzeption von
Komplexität. Konstruktivistische SupervisorInnen konfrontieren die
unter bestimmten praktischen Problemen leidenden SupervisandInnen
(SozialarbeiterInnen, BeraterInnen, TherapeutInnen etc.) mit den unter-
schiedlichen (möglichen) Deutungen oder Sichtweisen ihrer Probleme,
wodurch für die SupervisandInnen häufig anderes sichtbar wird. Die
SupervisandInnen gewinnen durch diese Differenzierung verschiedener
Deutungsmuster neue Informationen. Dadurch erhöht sich die Komple-
xität beziehungsweise wird anders reduziert, das heißt es können andere
theoretische Relationen zwischen beobachteten Elementen der Praxis
konstruiert werden, die zu anderen, bestenfalls weniger problemati-
schen Handlungen und Sichtweisen führen (vgl. ausführlich zum Bei-
spiel Kersting 1992).
Zusammenfassend können wir formulieren, dass die Demarkationslinie
zwischen Theorie und Praxis als Grenze zwischen zwei unterschiedli-
chen Komplexitäten verstanden werden kann, deren Überqueren zu inte-
ressanten Irritationen führen kann; besonders dann, wenn auf der theore-
tischen Seite systemisches Denken zirkuliert. Die moderne Systemtheo-
rie reflektiert nämlich ausdrücklich ihre Schwäche, die unüberschaubare
Komplexität der Praxis theoretisch reduzieren zu müssen. Daraus leitet
sie nun eine These ab, die mit der Erfahrung sozialen Handelns kompa-
tibel ist: Es könnte praktisch durchaus anders kommen als (theoretisch)
erwartet.
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III. KONTINGENZ
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... ALS WISSENSCHAFTLICHE PRAXIS UND ALS PRAKTISCHE WISSENSCHAFT
sorption [...] über die Stabilisierung von Erwartungen, nicht über die
Stabilisierung des Verhaltens selbst, was natürlich voraussetzt, dass das
Verhalten nicht ohne Orientierung an Erwartungen gewählt wird“ (Luh-
mann 1984, S. 158).
In der Sozialen Arbeit geht es allerdings gerade nicht darum, zukünftige
Verhaltensweisen von KlientInnen vorhersagen zu können. Meistens
können ohnehin lediglich die problematischen Verhaltensweisen, das
heißt jene stabilisierten beziehungsweise trivialisierten Handlungen,
die den Ausgangspunkt für die soziale Hilfe bildeten, prognostiziert be-
ziehungsweise erwartet werden. Außerdem sind gerade derartige Prog-
nosen, besonders wenn sie latent über einen langen Zeitraum der Hilfe
auftreten, eine Bedingung für die Erzeugung von sich selbsterfüllenden
Prophezeiungen: „Weil der Sozialarbeiter vom Klientensystem etwas
erwartet, verhält es sich schließlich so. Diese Erwartung kann sich als
Ermutigung auswirken. [...] Aber auch das Gegenteil ist der Fall. Wenn
das Klientensystem nach Meinung des Sozialarbeiters unfähig ist, sich
zu verändern (weil es zum Beispiel [nach Ansicht des Sozialarbeiters;
H.K.] zu dumm ist oder weil die gesellschaftlichen Verhältnisse so und
nicht anders sind), setzt der Sozialarbeiter so viele Signale (meist auf
der Beziehungsebene), daß sie die erwarteten Ereignisse negativ mitbe-
dingen [...]“ (Kersting 1992, S. 49).
Soziale Probleme können wir allgemein als trivialisierte Erwartungen
von Verhaltenserwartungen definieren, die immer wieder dasselbe pro-
blematische Verhalten herausfordern. Das heißt nicht, psychologisch zu
verfahren und die sozialen Probleme in den psychischen Strukturen der
KlientInnen zu lokalisieren. Vielmehr sind diese Erwartungserwartun-
gen sozial determiniert: Sie sind über soziale Strukturen, d.h über Kom-
munikation generiert. Problemlösung kann für SozialarbeiterInnen da-
her nur bedeuten: Kommunikation mit den KlientInnen, um die soziale
Komplexität wieder zu erhöhen – oder mit Heinz von Foerster (1988, S.
33) gesprochen: stets so zu handeln, dass die Anzahl der (Handlungs-
)Möglichkeiten der KlientInnen vergrößert wird. Dass dies ein sehr
kompliziertes und mithin häufig erfolgloses Unterfangen ist, wissen
PraktikerInnen nur allzu gut. Nur die Theorie bot bisher keine ausrei-
chenden Instrumente, um eine derartige Praxis zu erklären. Mit den
Konzepten der Autopoiesis und Selbstreferenz, die sowohl die Operati-
onsweise biologischer und psychischer als auch sozialer Systeme ver-
anschaulichen, ändert sich dieses theoretische Defizit.
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... ALS WISSENSCHAFTLICHE PRAXIS UND ALS PRAKTISCHE WISSENSCHAFT
der Systeme bedeutet für ein erkennendes Subjekt: „daß es kein Innen
und Außen gibt, keine Welt der dem Subjekt gegenüberstehenden Ob-
jekte [, sondern...] daß die Subjekt-Objekt-Trennung, auf deren Annah-
me sich die Myriaden von ‚Wirklichkeiten’ aufbauen, nicht besteht; daß
die Spaltung der Welt in Gegensatzpaare vom erlebenden Subjekt kon-
struiert wird“ (Watzlawick 1981, S. 314).
Aber nicht nur das subjektive Bewusstsein konstruiert selbstreferentiell
seine Wirklichkeit mittels Unterscheidungen wie zum Beispiel innen /
außen, Subjekt / Objekt usw. Auch Kommunikation, das heißt die Ein-
heit der Differenz von Information, Mitteilung und Verstehen (vgl.
Luhmann, 1984, S. 191ff.), zirkuliert in selbstreferentiellen Bahnen und
unterscheidet (konstruiert) daher das, was sie kommuniziert, selbst. Mit
anderen Worten: Wenn schon das Nervensystem selbstreferentiell ge-
schlossen, also autopoietisch operiert (vgl. Maturana /Varela 1984),
dann auch das Bewusstsein und erst recht Kommunikation (vgl. Luh-
mann 1984). In dieser Hinsicht kommt Luhmann an unterschiedlichen
Stellen seiner Publikationen immer wieder zu der Feststellung: „Nur
Kommunikation kann kommunizieren“. Bernd Woltmann-Zingsheim
(1994, S. 292) formuliert dazu: „Die Kommunikation begnügt sich [...]
in aller Regel nicht mit einem anonymisierten ‚es kommuniziert’, son-
dern sie rechnet Kommunikation auf Handlungen zu. Sie unterstellt
Motive, Absichten, Interessen, urteilt in ein ‚passives’ Erleben und ein
‚aktives’ Handeln. Sie differenziert Akteure und rechnet Verantwort-
lichkeiten zu. Sie ‚vergißt’ dabei in aller Regel, daß sie es ist, die sol-
chermaßen Unterscheidungen trifft, daß sie sich selbst von ihrem beob-
achteten ‚Objekt’ getrennt hat und rechnet dann das, was sie beobachtet,
den beobachteten Phänomen zu“.
Aus alledem folgt, dass SozialarbeiterInnen lebende, psychische oder
soziale Systeme immer nur zu Selbstveränderungen anregen können,
denn selbstreferentielle Systemstrukturen generieren ihre eigenen Re-
geln, die aus ihrer Umwelt, also etwa von SozialarbeiterInnen, zwar
verstört werden können aber niemals direkt, das heißt im unmittelbaren
Kontakt zielgerichtet veränderbar sind. So legen also die Kommunika-
tionsregeln eines sozialen Systems (zum Beispiel einer Familie, einer
Organisation oder einer Gesellschaft) fest, welche Informationen durch
die Mitteilungen der beteiligten Personen differenziert werden und wie
dieselben verstanden werden können. Daher unterscheiden sich nur all-
zu oft, wie SozialarbeiterInnen täglich beobachten können, ihre inten-
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V. SCHLUSSFOLGERUNGEN
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... ALS WISSENSCHAFTLICHE PRAXIS UND ALS PRAKTISCHE WISSENSCHAFT
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2. Soziale Arbeit als konstruktivistische Praxis
Anregungen für ein postmodernes Verständnis von Sozialarbeit
AUSGANGSPUNKTE
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SOZIALE ARBEIT ALS KONSTRUKTIVISTISCHE PRAXIS
4 Anders optiert Heino Hollstein-Brinkmann (1993, S. 187), der mit bezug auf
Thomas Olk (1986) meint, „Normalisierungsarbeit“ als Funktionsbestimmung
Sozialer Arbeit entspräche einer funktional differenzierten Gesellschaft. Nur,
was ist damit gewonnen, wenn diesbezüglich postuliert wird, dass zugleich der
Fall normalisiert und die Norm individualisiert werden müsse? (Vgl. ebd., S.
189f.) Wie kann ein individueller Fall normalisiert werden, wenn gleichzeitig
die Norm individualisiert wird? Vgl. dazu auch Kleve 2002a
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TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN
schwören, die personell und finanziell kaum noch bearbeitbar sind, sie
ist überdies auch soziologisch fragwürdig.
Der Diskurs um eine konstruktivistische Perspektive Sozialer Arbeit
könnte dazu anregen, die Pluralisierung und Differenz von Lebenswel-
ten sowie sozialer Wirklichkeitskonstruktionen im praktischen Handeln
ernster zu nehmen beziehungsweise für legitim zu halten. Ich jedenfalls
plädiere für eine Praxis Sozialer Arbeit, die nicht sogleich darauf fokus-
siert, entweder vermeintliches „soziales Anderssein“ über eine (wie
auch immer gemünzte) Normalisierungsarbeit einzuebnen oder die kon-
statierten „Abweichungen“ durch eine „fürsorgliche Belagerung“
(Heinrich Böll), die Problemkarrieren schafft, zu verstärken. In Abgren-
zung zu einer solchen normalisierenden beziehungsweise Probleme ver-
stärkenden Sozialen Arbeit, kann eine sozialarbeiterische Orientierung,
welche die Pluralität und Differenz von Realitätskonstrukten nicht zu
negieren versucht, sondern ausdrücklich anerkennt, im philosophischen
Sinne als postmodern charakterisiert werden.5
Eine postmoderne Sozialarbeit orientiert sich daher an der Differenz
von Helfen versus Nicht-Helfen (Baecker 1994) und beschäftigt sich
mit den Risiken, die die ausdifferenzierten Funktionssysteme der Ge-
sellschaft (etwa Wirtschaft, Politik, Erziehung, Familie) schaffen, wenn
sie immer weniger Menschen die personelle Teilnahme (Inklusion) an
ihrer Kommunikation ermöglichen. Die exkludierten, von bestimmten
Bereichen gesellschaftlicher Kommunikation ausgeschlossenen Men-
schen werden diesbezüglich etwa in materieller oder sozialisatorischer
Hinsicht gefährdet. Diese Gefährdungen greift Soziale Arbeit auf, in-
dem sie die gesellschaftlichen Exklusionsrisiken (zum Beispiel Mangel
an Geld, Macht, Bildung oder Liebe) als soziale Probleme definiert und
mittels Exklusionsvermeidung (Prävention), stellvertretender Inklusi-
on, Inklusionsvermittlung oder Exklusionsbetreuung bearbeitet (vgl.
5 Vgl. zum Diskurs über die Postmoderne zum Beispiel Wolfgang Welsch
(1987; 1992), der immer wieder betont, dass postmodernes Denken als radikal
modernes Denken zwar die Akzeptanz von Pluralität postuliert und damit der
möglichen Vielheit und Differenz von Lebensentwürfen oder Realitätskonstruk-
tionen gerecht wird, aber dennoch keineswegs mit Beliebigkeit zu verwechseln
ist. Vielmehr gehe es um situative Verbindlichkeiten (vgl. Welsch 1992, S. 46)
– sozusagen um Stimmigkeiten und Passungen „in-sich“ – von gleichberechtigt
nebeneinander stehenden, sich möglicherweise gegenseitig widersprechenden
Weltkonstruktionen.
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SOZIALE ARBEIT ALS KONSTRUKTIVISTISCHE PRAXIS
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wir so sind, und so zu handeln, wie wir gehandelt haben. Er zeigt uns,
daß unsere Erfahrung lebensfähig ist“ (Varela 1981, S. 308). Beim Be-
obachten der Welt finden wir lediglich unser Spiegelbild, das in Relation
zu unseren Handlungen (Beobachtungen, Beschreibungen, Erklärun-
gen, Bewertungen) entsteht. Demnach ist das Erscheinen der Wirklich-
keit immer relativ, das heißt es hängt insbesondere von den konkreten
psychischen und sozialen (Handlungs-)Bedingungen der BeobachterIn-
nen ab.
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von, dass in der heutigen Zeit der Postmoderne, die großen „Metaerzäh-
lungen“ der Moderne, wie etwa der Fortschritts- und Steuerungsmythos
des Kapitalismus oder der Emanzipationsgedanke des Marxismus, ihre
Glaubwürdigkeit verloren hätten (vgl. zum Beispiel Welsch 1992;
1993). Vielmehr bilden die Menschen oder soziale Systeme immer dif-
ferenziertere Sichtweisen der Welt aus, die nicht aufeinander reduzier-
bar sind. Daher können wir heute – etwa beeinflusst durch die rasante
Entwicklung der mobilitäts- und kommunikationsfördernden Technolo-
gien (vgl. dazu auch Gergen 1996) – eine unübersehbare Vielfalt von
häufig sehr gegensätzlichen Normen, Meinungen oder Weltbildern kon-
statieren, die alle ein mehr oder weniger passendes Bild von der „Wirk-
lichkeit“ vermitteln. Und speziell auf dieses Problem der Pluralität der
Sichtweisen reagiert der Konstruktivismus, indem er die Beobachtun-
gen oder Beschreibungen der Welt als kontingent, das heißt als so, aber
auch anders möglich, versteht.7
In einer postmodernen gesellschaftlichen Umwelt können auch Sozial-
arbeiterInnen zunehmend beobachten, dass ihre fachlichen Sichtweisen
nur mögliche unter vielen anderen sind. Mit anderen Worten, psychoso-
ziale PraktikerInnen werden mit der Relativität und der Selbstreferenz
ihrer Sichtweisen konfrontiert. SozialarbeiterInnen können immer we-
niger davon ausgehen, allgemeingültige Normen zu besitzen, die auch
für das Leben ihrer KlientInnen bindend sein sollten oder könnten. Da-
mit wird, wie bereits einleitend erwähnt, die traditionelle Orientierung
Sozialer Arbeit als Normalisierung von Abweichung fragwürdig. Dass
Normalisierung, verstanden als Intervention, die auf die Neutralisierung
von abweichenden Verhaltensweisen fokussiert, nicht nur soziologisch,
sondern auch wissenschaftstheoretisch mehr als fragwürdig erscheint,
werde ich im Folgenden zeigen. Eine auf Normalisierung von Abwei-
chungen zielende Soziale Arbeit hat die Wiederherstellung einer Norm
im Auge, sie versucht also, instruktiv zu intervenieren, was aus kon-
struktivistischer Sicht eine unmögliches Unterfangen darstellt – ganz
gleich, ob es sich um die Angleichung an psychische oder soziale Nor-
men handelt.
7 Kontingent ist nach Luhmann (1984, S. 152) „etwas, was weder notwendig
ist noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber
auch anders möglich ist“.
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will, wendet die Kybernetik zweiter Ordnung ihren Blick den Beschrei-
benden selbst zu. In der Kybernetik zweiter Ordnung geht es demnach
um die Beschreibung der Beschreibung (der Beschreibenden) bezie-
hungsweise um die Beobachtung der Beobachtung (der Beobachten-
den). Diesbezüglich wird versucht, reflexiv die Handlungen nachzuvoll-
ziehen, die BeobachterInnen ausführten, um die Wirklichkeit so zu er-
kennen, wie sie sie erkannten. Dabei können „blinde Flecke“ sichtbar
werden, die Voraussetzung für erzeugte Erkenntnisse waren. Denn
Wahrnehmung ist nie ganzheitlich; vielmehr teilt sie die Welt und kann
nur auf einer Seite der Teilung weiteres wahrnehmen; die andere Seite
bleibt als blinder Fleck, das heißt als Bedingung der Möglichkeit der er-
zeugten Erkenntnis verborgen (vgl. Luhmann 1990a, S. 41).
Kognitionstheorie: Ihren Einzug in die Diskurse der Wissenschaftsthe-
orien erhielten moderne konstruktivistische Anschauungen insbesonde-
re seitdem NaturwissenschaftlerInnen, die vermeintlich Objektivsten
unter den ForscherInnen, plausible biologische Gründe dafür lieferten,
dass die erkannte Wirklichkeit eine Konstruktion ist. Aufgrund empiri-
scher Forschungen (vgl. Schmidt 1987, S. 22) konzipierten Maturana
und Varela (zum Beispiel 1984) unser Nervensystem als ein operational
geschlossenes System, das keinen unmittelbaren (direkten) Kontakt zu
seiner Umwelt hat, sondern ausschließlich auf seine eigenen Zustände
Bezug nehmen kann, also selbstbezüglich operiert. Die Umwelt kann
die Zustände dieses Systems nicht determinieren, sondern nur „verstö-
ren“ beziehungsweise perturbieren, das heißt wie das System auf Ver-
änderungen oder Einflüsse aus seiner Umwelt reagiert, hängt von seiner
eigenen Struktur ab.
Das Nervensystem wird als operational geschlossener Bestandteil von
einem lebenden Organismus verstanden, das sich der organismischen
Selbstreproduktion unterordnet, die ebenfalls operational geschlossen
ist. Entsprechend dieser Theorie wird jeder Organismus derart konzi-
piert, dass er sowohl alle Bestandteile (Zellen), die ihn konstituieren, als
auch alle Informationen, die er für eine Orientierung in seiner Umwelt
benötigt, selbst konstruiert. Maturana prägte für diesen Prozess den Be-
griff der Autopoiese beziehungsweise Autopoiesis. Autopoietische Sys-
teme sind informationell geschlossen, aber energetisch und materiell ih-
rer Umwelt gegenüber offen.
Differenztheorie: Gregory Bateson (1979) definiert den Begriff der In-
formation als einen Unterschied, der einen Unterschied macht. Informa-
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SOZIALE ARBEIT ALS KONSTRUKTIVISTISCHE PRAXIS
tionen sind demnach nicht irgendwelche Daten, die aus der Umwelt nur
aufgenommen werden müssten, sondern sie werden vom erkennenden
System erst konstruierbar, wenn das System Unterschiede (in seiner
Umwelt) konstatieren kann, die es zur Erzeugung von systeminternen,
sozusagen eigenen Unterschieden verarbeitet. Hieran lassen sich die
auch als Unterscheidungslogik bezeichneten Gesetze der Form von
George Spencer-Brown (1969) anschließen. Mit Hilfe dieser Differenz-
theorie lässt sich die Entstehung jeder Form von Wirklichkeit auf das
Setzen von Unterscheidungen zurückführen.
Die Entstehung biologischer, psychischer und sozialer Systeme kann
diesbezüglich als das Setzen und Aufrechterhalten von System/ Um-
welt-Unterscheidungen beziehungsweise -Grenzen erklärt werden. Die
Autopoiese wäre als der systeminterne Prozess (des Lebens, Denkens
oder Kommunizierens) zu verstehen, der diese System /Umwelt-Gren-
zen permanent aufrechterhält.
Das Setzen von Unterscheidungen generiert also eine Zwei-Seiten-
Form (System /Umwelt, Subjekt /Objekt), die notwendig ist, damit sys-
temintern überhaupt etwas beobachtet (erkannt) werden kann; auf die
psychische Erkenntnis übertragen heißt das: Bevor erkannt werden
kann, müssen sich diejenigen, die erkennen wollen, von dem „Gegen-
stand“, der erkannt werden soll, unterscheiden. Erst dann können wei-
tere Unterscheidungen (Differenzierungen) angesetzt werden.
Soziologische Systemtheorie: Den Soziologen Niklas Luhmann be-
trachte ich als denjenigen unter den konstruktivistischen Denkern, der
in umfassendster Weise die verschiedenen konstruktivistischen Strö-
mungen aufgenommen und diese in eine einheitliche Theorie integriert
hat. Für die Soziale Arbeit erscheint mir die konstruktivistische System-
theorie Luhmanns vor allem deshalb am brauchbarsten, weil sie die
„Ganzheitlichkeit“ und Transdisziplinarität sozialen Handelns am ehes-
ten erfasst.
Luhmann nimmt den Begriff der Autopoiese von Maturana und Varela
auf und kennzeichnet damit die Funktionsweise von biologischen, psy-
chischen und sozialen Systemen. Alle derartigen Systeme konstruieren
Wirklichkeiten, indem sie sich als Systeme im Vollzug ihrer Autopoiesis
von einer Unwelt unterscheiden. Dies geschieht aber auf jeweils eigen-
ständige Weise, so dass biologische, psychische und soziale Systeme
nicht jeweils aufeinander zurückgeführt werden können. Anders gesagt,
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wörtlich, das heißt kommunikativ und niemals indem eine Psyche an eine
andere Psyche gekoppelt werden kann, um Gedanken auszutauschen.
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lerndem Taft geschneidert ist, und jedesmal, wenn wir uns nach ihr um-
drehen, sehen wir sie in einer anderen Farbe“.
Drittens: Da Wirklichkeit als ein Konstrukt verstanden wird, das nicht
als Widerspiegelung einer für alle objektiv gegebenen Realität gelten
kann, sollten HelferInnen immer von einem Dissens zwischen ihren
Wirklichkeiten und denen der KlientInnen ausgehen. Die Probleme
müssten also immer bis ins kleinste Detail konkretisiert und kontextua-
lisiert werden (vgl. ausführlich dazu 8. Kapitel), um zumindest einen er-
eignis- beziehungsweise momenthaften kommunikativen (und nicht
psychischen) Minimalkonsens auszuhandeln. Ebenso kann nicht von ei-
nem stillschweigenden Konsens über das Ziel der Hilfe ausgegangen
werden. Was die KlientInnen selbst wollen und nicht was die HelferIn-
nen wollen, wird zum ausschlaggebenden Punkt jedes Hilfeprozesses.
Viertens: Der Konstruktivismus lässt die SozialarbeiterInnen die Gren-
zen ihrer Möglichkeiten sehen; indem konstruktivistische Konzepte die
Selbstreferenz der biologischen, psychischen und sozialen Phänomene
hervorheben, wird deutlich, dass kein System aus seinen eigenen zirku-
lären Kreisläufen ausbrechen kann. Damit erscheint die instruktive In-
tervention beziehungsweise Interaktion als Mythos. Mit anderen Wor-
ten, es sind die KlientInnen Sozialer Arbeit, die bestimmen, wie sie auf
die Interventionen der SozialarbeiterInnen reagieren.
Fünftens: Indem der Konstruktivismus im interdisziplinären Diskurs ein
neues Paradigma darstellt (vgl. Schmidt 1987), das auch naturwissen-
schaftliche (zum Beispiel biologische und physikalische) Begründung
erfährt, schließt sich eine konstruktivistisch reflektierte Soziale Arbeit
dem sich wandelnden Wissenschaftsverständnis der Postmoderne an
(siehe dazu Teil 2). Davon ausgehend könnte die Ausdifferenzierung ei-
ner Wissenschaft Sozialer Arbeit, zumindest wenn diese sich selbst als
konstruktivistisch beschreibt, begünstigt werden (vgl. Kleve 1996,
145ff.), zumal konstruktivistische Thesen mit ihrer Hervorhebung von
Phänomenen wie Kontingenz oder Komplexität dem sehr nahe kom-
men, was PraktikerInnen täglich erfahren: der Unvorhersehbarkeit sozi-
aler Zustandsveränderungen. Diesbezüglich hilft eine konstruktivisti-
8 Zum Aspekt der Zeit, welcher in Beratungen entgegen den sachlichen und
sozialen Aspekten zumeist unterbelichtet bleibt, siehe Bardmann (1996a),
Kleve (1999, S. 280ff.).
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3. Systemtheorie und Ökonomisierung
Sozialer Arbeit
Zur Ambivalenz eines sozialarbeiterischen Trends
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SYSTEMTHEORIE UND ÖKONOMISIERUNG SOZIALER ARBEIT
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SYSTEMTHEORIE UND ÖKONOMISIERUNG SOZIALER ARBEIT
dass ein System ein Netzwerk von gleichartigen und permanent anein-
ander anschließenden Operationen ist, die sich von einer Umwelt ab-
grenzen, differenzieren. Das System realisiert seine Autopoiesis, seine
Selbsterhaltung nur dann, wenn es permanent gleichartige Operationen
hervorbringt, die aneinander anschließen, wenn es also, wie im Falle
Sozialer Arbeit, permanent soziale Hilfe leisten kann.
Die Autopoiesis der Sozialen Arbeit bringt also, wie ich noch einmal
betonten will, die strukturelle Notwendigkeit dieses Systems in den
Blick, dass es seine Kommunikationen von sozialer Hilfe kontinuieren
muss, will es sich erhalten. Insofern sind die Organisationen, die sich
diesem Funktionssystem zuordnen, laufend damit beschäftigt, Kriterien
bereitzustellen, die – wie Baecker (1994, S. 28) formuliert – „in ausrei-
chendem Maße Defizite zu identifizieren erlauben“. Denn mit jeder er-
folgreichen Hilfe, mit jedem Klienten, dem geholfen wurde, der also
nun auf der Nicht-Hilfe Seite des Systems steht, „diskontinuiert sich das
System“ (ebd.). Soziale Arbeit ist, kurz gesagt, auf permanenten Pro-
blemnachschub angewiesen; sie muss ständig neuen potentiellen Klien-
tinnen und Klienten Hilfe anbieten können oder – wenn das nicht ge-
lingt – ihren Adressatinnen und Adressaten in ausreichendem Maße
Kriterien bereitstellen, dass diese sich immer wieder erneut Probleme
zurechnen können, damit soziale Hilfe weiterhin geleistet werden kann.
Durch die beschriebene Autopoiesis der sozialen Hilfe geraten nun jene
Aspekte ins Visier, die durch eine Ökonomisierung Sozialer Arbeit be-
arbeitet werden könnten, nämlich dass Hilfe strukturell dazu tendiert,
einerseits Klientinnen und Klienten an das Hilfesystem zu binden und
andererseits deren Selbsthilfepotentiale nicht zu stärken, sondern zu
schwächen. Helfen selbst ist also ein ambivalentes, zweischneidiges
Unterfangen, das zwar in der Regel vorgibt, auf die Klientensysteme
emanzipierend zu wirken und deren Selbsthilfepotentiale zu aktivieren,
welches aber auch dazu beitragen kann, neue Abhängigkeiten und Hilf-
losigkeiten zu schaffen. Reinhart Wolff (1990) bezeichnet dieses Phä-
nomen als das zentrale Hilfeparadox Sozialer Arbeit. Und Dirk Baecker
(1997a, S. 100) formuliert diesbezüglich, dass das “Funktionssystem
der Sozialen Hilfe versucht, den Leuten zu helfen, unter der Bedingung,
daß es so, wie es gegenwärtig arbeitet, nicht genau weiß, wie es die Leu-
te, die es sich zu seinem eigenen Problem macht, wieder los wird [...]”.
Speziell auf dieses Problem lassen sich etwa die mit der Ökonomisie-
rung Sozialer Arbeit einhergehenden Konzepte des Case Managements
49
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN
beziehen (vgl. zum Beispiel Wendt 1997; Raiff/ Shore 1993; Kleve u.a.
2003). Case Management ist ein Verfahren des sozialarbeiterischen
Fall-Managements, in dem die ökonomischen Begriffe Effektivität und
Effizienz zentrale Stichworte sind. Effektivität beschreibt in diesem Zu-
sammenhang die Zielwirksamkeit sozialer Hilfen, „ob und in welchem
Maße der mit dem Handeln beabsichtigte Erfolg eintritt“ (Wendt 1997,
S. 46). Eine am Kriterium der Effektivität ausgerichtete Soziale Arbeit
misst sich also daran, welche Ziele sie tatsächlich erreicht, was sie bei
ihren Klientinnen und Klienten bezüglich der Problemlösung bewirkt
hat und nicht daran, welche guten Intentionen, Werte und Normen sie
hat oder hatte. Denn „Organisationen müssen sich an ihren Effekten und
können sich nicht länger an ihren Absichten messen lassen“ (Baecker
1997, S. 53).
Außerdem soll eine soziale Hilfe, die im Sinne des Case Managements
geleistet wird, effizient sein. „Effizienz meint die Ergiebigkeit des Ein-
satzes, die Relation des in der Vorgehensweise getriebenen Aufwandes
zum Ertrag, also wie kostengünstig gearbeitet wurde“ (Wendt 1997, S.
46). Offensichtlich hat Effizienz etwas mit der Zeit und mit dem Einsatz
von professionellem Personal zu tun, so dass man meinen könnte: Je
kürzer eine soziale Hilfe ist und je weniger Professionelle tätig werden,
desto effizienter, das heißt desto kostengünstiger ist sie. Darüber hinaus
könnte vermutet werden: Je kürzer eine Hilfe ist und je weniger Profes-
sionelle tätig werden, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass
sich eine ineffektive und ineffiziente Abhängigkeitsbeziehung zwischen
Klientsystem und Hilfesystem entwickelt.
Aus diesem Grund wird im Case Management – einerseits – intensiv am
Faktor Zeit gearbeitet. Mit anderen Worten, soziale Hilfen sind so kurz
wie möglich und so lang wie nötig durchzuführen. Andererseits wird
versucht, so effektiv wie möglich die lebensweltlichen Ressourcen und
Netzwerke der Klientinnen und Klienten, etwa Freunde, Verwandte
oder Nachbarn, für mögliche Hilfeleistungen zu aktivieren. Alles das,
was auch von Laien an Unterstützung angeboten werden kann, soll
nicht von Professionellen übernommen werden. Den Klientinnen und
Klienten soll im Prozess der Hilfe ein Maximum an Unabhängigkeit
und Selbstverantwortung bewahrt bleiben. Die professionellen Case
Managerinnen und Manager haben in diesem Zusammenhang die Funk-
tion der Koordination; zum Beispiel koordinieren sie den Einsatz und
die Verknüpfung der lebensweltlichen, informellen und der professio-
50
SYSTEMTHEORIE UND ÖKONOMISIERUNG SOZIALER ARBEIT
nellen, formellen Hilfen, so dass der größtmögliche Nutzen für die Kli-
entinnen und Klienten entstehen kann.
Schließlich geht mit der Ökonomisierung Sozialer Arbeit durch das
Case Management eine radikale Kundenorientierung einher. Damit er-
reicht man bestenfalls, dass die selbstreferentielle Autopoiesis sozialer
Hilfe stärker an fremdreferentiellen Kriterien ausgerichtet wird. Die Be-
dürfnisse, Zielvorstellungen und Bewertungen der Klientinnen und Kli-
enten bezüglich der sozialen Hilfe geraten so in den Mittelpunkt. Auch
eine marktwirtschaftliche Steuerung der sozialen Dienstleistungen wird
in diesem Zusammenhang angestrebt (vgl. etwa Vogel 1997, S. 255ff.),
so dass die Nachfrage der Kundinnen und Kunden – also sowohl der Kli-
entinnen und Klienten als auch der finanzierenden Auftraggeber – nach
sozialen Dienstleistungen bestimmt, welche sozialen Hilfen angeboten
werden. Nicht die Klientinnen und Klienten haben sich den Problemde-
finitionen und Kategorisierungen der sozialen Dienstleister anzupassen,
sondern umgekehrt: die helfenden Organisationen bieten das an, was
nachgefragt wird. Damit wird einem systemtheoretischen Postulat ent-
sprochen, dass nämlich die „Programme [der sozialarbeiterischen Orga-
nisationen; H.K.] an Personen und nicht Personen an Programme anzu-
passen [sind]“ (Hollstein-Brinkmann 1993, S. 190; vgl. auch Kleve
1996, S. 64ff.).
51
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN
52
SYSTEMTHEORIE UND ÖKONOMISIERUNG SOZIALER ARBEIT
dann kann nicht der Preis, nicht das Zahlen „das ausschlaggebende Kri-
terium der Hilfe sein – oder man hat es mit einem Wirtschaftsmarkt zu
tun“ (Vogel 1997, S. 256).12
(2) Die aus einer vermeintlich modernen Ökonomie importierten Effek-
tivitäts- und Effizienzforderungen innerhalb der Sozialen Arbeit gehen
von recht simplen, man könnte auch sagen systemtheoretisch unreflek-
tierten, unterkomplexen, ja von trivialen Rationalitäts-, Technologie-,
Interventions- und Steuerungsvorstellungen aus. Diesbezüglich wird of-
fensichtlich im Sinne einer (alten) Kybernetik erster Ordnung (vgl. Bae-
cker 1993a, S. 18) an Vorstellungen einer zielgerichteten, planvollen
und rationalen Steuerungs- und Interventionsmöglichkeit bezüglich
psychischer und sozialer Systeme festgehalten. Man glaubt weiter an die
zielgerichtete Veränder- und Steuerbarkeit psychischer und sozialer
Systeme, an den aufklärerischen Mythos der menschlichen Mach(t)bar-
keit. Ausgehend von dieser Vorstellung ist es beispielsweise im Sinne
der Ökonomisierung Sozialer Arbeit leicht, eine Erhöhung der Effekti-
vität, der Zielwirksamkeit sozialer Hilfen zu fordern.
Wenn wir nun aber systemtheoretisch nach den Möglichkeiten von
Steuerung und Intervention fragen, dann ergibt sich ein weitaus kompli-
zierteres und weniger optimistisches Bild, dann steht grundsätzlich in-
frage, ob ein kausaler, ein determinierender Zusammenhang zwischen
sozialarbeiterischen Handlungsintentionen und den Effekten auf der
Klientenseite beobachtet werden kann (siehe dazu Fuchs 1999). Denn
12 An diesem Punkt stellt sich die Frage, ob die nach ökonomischen Kriterien
orientierten Finanzierungen in der Sozialen Arbeit (zum Beispiel über Fachleis-
tungsstundensätze) nicht der sozialarbeiterischen Professionalität, etwa der
„Hilfe zur Selbsthilfe“-Orientierung grundsätzlich entgegenlaufen. Die am öko-
nomischen Kalkül orientierten Finanzierungsformen machen die Kostenrech-
nung für den Hilfebedarf pro KlientIn und Stunde (Fachleistungsstunde) erfor-
derlich. Dementsprechend wird etwa die öffentliche Finanzierung der freien
Träger der Wohlfahrtspflege von pauschalen Jahreszuwendungen umgestellt auf
eine konkret leistungs-, zeit- und klientenabhängige Finanzierung. Dies könnte
dann in Zeiten von sinkender Hilfe-Nachfrage oder von veränderten (insbeson-
dere zurückgehenden) Auftragslagen der öffentlichen (finanzierenden) Träger
gegenüber freien Trägern der Sozialen Arbeit zu dem nicht intendierten Effekt
führen, dass KlientInnen „fürsorglich belagert“ werden, um sich als Träger, als
Organisation auch weiterhin finanzielle Zuwendungen zu sichern (vgl. ausführ-
licher dazu Kleve 1999, S. 200f.).
53
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN
54
SYSTEMTHEORIE UND ÖKONOMISIERUNG SOZIALER ARBEIT
13 Es macht schon nachdenklich, wenn man sieht, dass die Ökonomie bezie-
hungsweise das Management seit einigen Jahren bestrebt ist, das auszuhalten,
anzunehmen, zu akzeptieren und zu integrieren, was die Sozialarbeit seit jeher
kennt, aber nun durch vermeintlich moderne Konzepte aus der Betriebswirt-
schaft zu eliminieren sucht: eben Ungewissheit, Ambivalenz, Kontingenz oder
Chaos.
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TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN
56
SYSTEMTHEORIE UND ÖKONOMISIERUNG SOZIALER ARBEIT
57
TEIL 1: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDLEGUNGEN
58
SYSTEMTHEORIE UND ÖKONOMISIERUNG SOZIALER ARBEIT
59
2. Teil:
Postmoderne
Grundlegungen
4. Postmodernes Wissen für die Soziale Arbeit
Soziale Arbeit im Lichte der Postmoderne Jean-François Lyotards
AUSGANGSPUNKTE
14 Dies hat sicher auch damit zu tun, dass die postmoderne Debatte in der mar-
xistisch beziehungsweise klassisch links-intellektuell dominierten deutschen
Geistes- und Sozialwissenschaft eher kritisch bis ablehnend als positiv oder
befürwortend aufgenommen wurde. Siehe ausführlich dazu Neumeister 2000.
63
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
64
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT
Im Jahre 1979 hat Lyotard Das postmoderne Wissen verfasst und damit
eine geistes- und sozialwissenschaftliche Debatte um die Postmoderne
losgetreten. In diesem Buch entwickelt er u.a. seine zentrale These vom
Ende der großen Meta-Erzählungen der Moderne (Dialektik des Geis-
tes, Hermeneutik des Sinns, Emanzipation des vernünftigen und arbei-
tenden Subjekts) sowie vom Zerfallen gesellschaftlicher und kultureller
Einheitstendenzen in einander entgegengesetzte, unüberwindlich diffe-
rente Diskurse und Sprachspiele. Darüber hinaus grenzt er sich ent-
schieden von der Diskurstheorie und -ethik Jürgen Habermas’ ab, in der
der Konsens als letztes und zentrales Ziel von Kommunikation behaup-
tet wird. Lyotard räumt demgegenüber die Notwendigkeit eines kom-
munikativen Gerechtigkeitskonzeptes ein, in dem das Aushalten von
sozialer Vielfalt, von Pluralität, das heißt von Differenzen und Dissen-
sen, die die vermeintlichen Konsense sprengen, möglich sein muss.
Dieses Gerechtigkeitskonzept entwickelt er in seinem 1983 veröffent-
lichten philosophischen Hauptwerk Der Widerstreit (Lyotard 1983).
Der deutsche Streit um die postmoderne Philosophie Lyotards ent-
brannte nach einer Rede von Habermas, Die Moderne – ein unvollende-
tes Projekt, die er 1980 anlässlich seiner Ehrung mit dem Adorno-Preis
in Frankfurt am Main hielt. In dieser Rede bewertete er die postmoder-
nen Tendenzen in der Philosophie als antimodern und neokonservativ.
Habermas, der in seinen Schriften (zum Beispiel 1981) selbst gesell-
schaftliche oder kulturelle Differenzen und vor allem die Differenz zwi-
schen System und Lebenswelt beschreibt, plädiert – in Anlehnung an
Albrecht Wellmer – jedoch dafür zu versuchen, diese Differenzen, etwa
zwischen den Diskursen der Erkenntnis, der Ethik und der Politik wie-
der in Einheitserfahrungen zu überführen (vgl. Habermas 1980, S.
190f.); und zwar mit Hilfe der modernen Kunst, mit Hilfe der ästheti-
schen Erfahrung, die nämlich die Erfahrung der Versöhnung von Diffe-
renzen leisten könne. Für Habermas ist die Kunst jene gesellschaftliche
Sphäre, die die Moderne dort, wo sie zu zerbersten drohe, wieder zu-
sammenführen könne: bei der radikalen Ausdifferenzierung von gesell-
schaftlichen Spezialstrukturen und -semantiken.
Speziell auf diese These von Habermas reagiert Lyotard mit einem Auf-
satz von 1982, der den Titel trägt: Beantwortung der Frage: Was ist
65
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
66
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT
schen. Die Realität werde allerdings schon ausgehöhlt durch die Macht
des Kapitalismus, der „Gebrauchsgegenstände, Rollen des sozialen Le-
bens und Institutionen“ (ebd., S. 36) so zurichte, dass deren („realisti-
sche“) Darstellung „nur noch in Form von Sehnsucht oder Spott“ (ebd.),
nur noch „als Anlaß von Leiden [...denn...] als [...] Befriedigung“ (ebd.)
möglich sei. Denn wir leben nach Lyotard (ebd., S. 37) in einer Welt,
„in der Wirklichkeit in einem Maße destabilisiert ist, daß sie keinen
Stoff mehr für Erfahrung gewährt, wohl aber für Erkundung und Expe-
riment“ (ebd.).
Auch wenn etwa Tendenzen der Fotografie oder des Films zu beobach-
ten seien, die einem großen Publikumsgeschmack entsprechend vorge-
ben, Wirklichkeit darzustellen, handele es sich hierbei lediglich um
„Phantasmen des Realismus“ (ebd., S. 38), die sozusagen zum Trost
und zur Ablenkung Scheinwirklichkeiten produzieren. Den realisti-
schen Tendenzen grundsätzlich gegenläufig sei demgegenüber eine mo-
derne Kunst, die sich reflexiv sich selbst zuwendet („Was macht Kunst
zur Kunst [und Literatur zur Literatur]?“, ebd., S. 39) und ihre eigenen
Regeln permanent experimentell in Frage stellt, die mit Formen, Farben
etc. experimentiert, die sich weiterhin einem kapitalistischen Kunst-
Konzept entgegenstellt, dessen Kunstproduktion sich ausschließlich an
den Bedürfnissen und der Kaufkraft derer ausrichtet, die diese Werke
konsumieren.
Dieses moderne Kunst-Konzept des Avantgardistisch-Experimentellen
konkretisiert Lyotard in dem nächsten Schritt weiter, indem er es präzi-
siert durch die Entgegensetzung von „schön“ und „erhaben“.
Zweiter Schritt: Entgegensetzung von „schön“ und „erhaben“: Die
Moderne geht für Lyotard aufgrund der Ausdifferenzierung verschie-
denster Wirklichkeitsbereiche mit der „Erschütterung des Glaubens“
(ebd., S. 42) an die eine Wirklichkeit einher. Die Moderne erlaube die
Entdeckung, „wie wenig wirklich die Wirklichkeit ist“ (ebd.). Diese
Entdeckung sei bereits im Kantschen Konzept des Erhabenen präsent.
Das Erhabene ist, um Kant zu zitieren, die „Erweckung eines Gefühls
eines übersinnlichen Vermögens in uns“ (z. n. Welsch 1990, S. 89), es
ist damit nach Lyotard etwas, was sich einer Darstellung oder einer
Wirklichkeitswerdung entzieht. Das Erhabene sei weiterhin ein Gefühl,
das entsteht, wenn man an etwas denkt, das man zwar ideell erahnen
oder denken, aber niemals fassen und erfahren kann: etwa das Absolute,
das Ganze, das Nicht-Mehr-Teilbare.
67
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
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POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT
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2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
70
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT
Wie lässt sich nun der dargestellte postmoderne Gemüts- und Geistes-
zustand begründen? Um dieser Frage nachzugehen, wenden wir uns im
Folgenden explizit einigen zentralen Thesen aus Lyotards Programm-
schrift Das postmoderne Wissen zu. In dieser Schrift wird zweierlei ge-
boten, zum einen beschreibt Lyotard die Transformation von der Mo-
derne zur Postmoderne, zum anderen skizziert er postmoderne Formen
der Wissenschaft. Damit stellt dieses Werk eine Begründung für die
Notwendigkeit der postmodernen Gemüts- und Geisteszustände dar.
Weiterhin ist die Schrift soziologisch und philosophisch zugleich – in
soziologischer Hinsicht beschreibt sie die sozialen Veränderungen, die
zu einer Postmoderne führen, in philosophischer Hinsicht diskutiert sie
moderne und postmoderne Legitimationsformen der Wissenschaft.
Dies will ich nun etwas ausführlicher darstellen, wobei ich mich eher
auf die philosophische Seite beschränke und die Legitimationskrise der
modernen Wissenschaft beschreibe sowie postmoderne Auswege aus
dieser Krise diskutiere, um schließlich daraus Rückschlüsse für die Re-
flexion der Sozialen Arbeit zu ziehen.
Die Basis der Argumentation von Lyotard ist seine These – die er be-
reits in der Einleitung seines Buches Das postmoderne Wissen knapp
erläutert (1979, S. 13ff.) –, dass sich die Legitimation des wissenschaft-
lichen Wissens drastisch verändert. Dieses Wissen kann nicht mehr auf
die sogenannten großen Erzählungen der Moderne zurückgreifen, es
kann nicht mehr vor ihren Hintergründen bestätigt werden, weil diese
Erzählungen ihre Glaubwürdigkeit verloren haben. Und das Paradoxe
daran ist, dass die Wissenschaft selbst, die sich im Rahmen dieser Er-
zählungen legitimiert, die Glaubwürdigkeit dieser Erzählungen infrage
stellt. Denn: „Die Wissenschaft ist von Beginn an in Konflikt mit den
Erzählungen. Gemessen an ihren eigenen Kriterien, erweisen sich die
meisten als Fabeln“ (ebd., S. 13). Bevor dies deutlich wurde, also vor
„den Transformationen, welche die Regeln der Spiele der Wissenschaft,
der Literatur und Künste seit dem Ende des 19. Jahrhunderts getroffen
haben“ (ebd.), griff die Wissenschaft auf die großen Erzählungen zu-
rück. Dies ist ihr aber immer weniger möglich, und genau das ist mit
postmoderner Kondition der Wissenschaft gemeint.
71
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
72
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT
73
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
fen wird, sondern ausschließlich die Synthesis. Eine Dialektik ohne Syn-
thesis, die sich für die Widersprüche interessiert, die Ambivalenzen ana-
lysiert, die Gegensätze als Gegensätze, eben das Inkommensurable, wie
Lyotard sagen würde, akzeptiert, ist offenbar mehr denn je gefordert.
Denn in postmoderner Zeit sind keine synthetischen Einheitsperspekti-
ven gefragt, weil die Wirklichkeit sich eben nicht einheitlich zeigt. Da-
her scheint keine „Wirklichkeitsbeschreibung tragfähig zu sein, die
nicht zugleich die Plausibilität der Gegenthese verfolgt“ (Welsch 1990,
S. 192), denn: „Ambivalenz ist das mindeste, womit man bei den gegen-
wärtigen Weltverhältnissen rechnen muß“ (ebd.). Und dies gilt im be-
sonderen Maße auch für die Soziale Arbeit, so dass eine diesbezügliche
Wissenschaft die Ambivalenzreflexion als wichtige Methode zur Refle-
xion nutzen kann.17
Hiermit ist das Verstehen von Sinn gemeint, etwa Sinn-Verstehen von
Texten, aber auch von gesprochenen Worten. Das Problem der Herme-
neutik scheint bereits im Begriff der Hermeneutik auf (vgl. Hörisch
1998, S. 13ff.). Denn Hermeneutik verweist auf zweierlei Bedeutungen:
Zum einen auf die Botschaft, die aus Texten spricht und die verstanden
werden kann, die gewissermaßen von Hermes, dem Götterboten aus der
griechischen Mythologie überbracht wird. Zum anderen kann Herme-
neutik aber nicht nur den Prozess der Überbringung von Botschaften
durch Hermes meinen, sondern auch etwas Hermetisches, also etwas
dicht Abgeschlossenes, aus dem nichts herausdringen kann.
Wenn wir diesen eher etymologischen Zugang zur Hermeneutik mitma-
chen, dann sehen wir, dass Sinnverstehen als das Verstehen von abge-
schlossenen Botschaften betrachtet werden kann. Und so haben die
Hermeneutiker der Theologie und Philosophie in den letzten Jahrtau-
senden ja tatsächlich immer wieder versucht, die wahren Botschaften
von Texten, etwa aus der Bibel und anderen „heiligen Schriften“ oder
von philosophischen Klassikern, abschließend zu verstehen und sich
darüber gestritten, wer denn nun tatsächlich das Verstehen abschließen
kann, weil er richtig verstanden hat.
74
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT
18 Dies ließe sich sehr genau systemtheoretisch zeigen (siehe Luhmann 1984;
Fuchs 1993), was ich hier jedoch nur erwähnen kann; siehe zu den Grundlagen
der systemtheoretischen Kommunikationstheorie 1. und 2. Kapitel.
75
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
76
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT
beitende Besitzer der Mittel, mit denen die Arbeiter arbeiten, eben der
Produktionsmittel. Beide Erzählungen verlieren in der Postmoderne
ihre Glaubwürdigkeit. Vom Glaubwürdigkeitsverlust der Marxschen
Anschauung, dass die Geschichte auf ein dialektisch sich einstellendes
Ziel zustrebt, der Emanzipation der Arbeiter in der klassenlosen Gesell-
schaft, habe ich oben bereits geschrieben. Deshalb soll hier die Eman-
zipation des vernünftigen Subjekts problematisiert werden.
Immanuel Kant, als ein wichtiger Begründer der Aufklärung, erhebt mit
seiner Philosophie die Vernunft zum obersten Regulator der menschli-
chen Erkenntnis und des menschlichen Zusammenlebens. Für ihn geht
die Vernunft allen menschlichen Erkenntnismöglichkeiten (à priori)
voraus, sie bildet die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis, sie ist
in diesem Sinne transzendental. Obwohl Kant in der Kritik der reinen
Vernunft etwas zeigt, was Postmoderne und Konstruktivismus ebenfalls
verdeutlichen, dass nämlich keine objektive Erkenntnis möglich ist,
dass Erkenntnis vielmehr nur Dinge, wie sie für uns sind und nicht wie
sie an sich sind, erkennen kann, ist seine Philosophie – im Gegensatz zu
Postmoderne und Konstruktivismus – zwar implizit, aber nicht explizit
relativistisch (siehe dazu – mit einer etwas anderen Deutung – Welsch
2000, S. 35f.). Denn Kant setzt die Erkenntnis zwar in Relation, in Ab-
hängigkeit zu den erkennenden Subjekten, zu den Menschen, aber er
negiert diese Relativität sogleich wieder, wenn er in allen vernünftigen,
aufklärungsfähigen menschlichen Subjekten die gleichen transzenden-
talen Prinzipien am Wirken sieht: zum einen eben die Vernunft selber
mit ihren Ordnungsbegriffen und Kategorien, zum anderen die An-
schauungsformen von Raum und Zeit. Erkenntnis bringe nach Kant
zwar nur selbstkonstruierte Erscheinungen hervor, aber diese Erschei-
nungen müssen aufgrund der transzendentalen Bedingungen der Mög-
lichkeit von Erkenntnis bei allen mit Vernunft ausgestatten menschli-
chen Wesen dieselben sein.
Eine Emanzipation des vernünftigen Subjekts bedeutet nun, dass das
transzendentale, allen Menschen zugängliche Prinzip der Vernunft auch
das menschliche Zusammenleben als praktisches Gesetz ordnen soll.
Denn nur das verdiene allgemeine Anerkennung, zum Beispiel als Re-
gel für den sozialen Verkehr, was vernünftigen Kriterien genüge, so
zum Beispiel der kategorische Imperativ, der in unterschiedlicher Wei-
se formuliert wird (zit. n. Ulfig 1999, S. 218): „Handle so, daß die Ma-
xime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen
77
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
78
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT
79
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
Vordergründig werde die Wissenschaft nach dem Ende der großen Er-
zählungen durch Performativität, was man vielleicht übersetzen könnte
mit Leistungsfähigkeit, Machtvergrößerung, legitimiert (vgl. Lyotard
1979, S. 123ff.). Lyotard macht mit dieser These etwas deutlich, was
viele von uns im Alltag ohnehin oft vermuten und was noch einmal vor-
führt, dass die Metaerzählungen, die immer auch mit Wahrheitssuche
verbunden waren, tatsächlich verebbt sind: Wissenschaft habe nicht
(mehr) das Ziel, Wahrheit zu finden, sondern Macht zu erhalten, ja zu
vergrößern. „Man kauft keine Gelehrten, Techniker und Apparate, um
die Wahrheit zu erfahren, sondern um die Macht zu erweitern“ (Lyotard
1979, S. 135). Wissenschaft wird zu einer Produktivkraft, wird also ka-
pitalisiert, ökonomisiert und ist, weil sie immer mehr auf teuere Technik
angewiesen ist, geldabhängiger denn je. „Also kein Beweis, keine Ve-
rifizierung von Aussagen und keine Wahrheit ohne Geld. Die wissen-
schaftlichen Sprachspiele werden Spiele der Reichen werden, wo der
Reichste die größte Chance hat, recht zu haben. Eine Gleichung zwi-
schen Reichtum, Effizienz und Wahrheit zeichnet sich ab“ (ebd., S.
131).
Wenn das Kriterium der Performativität, der Machtvergrößerung und
Leistungsfähigkeit die Entwicklung der Wissenschaft bestimmt, dann
werden eben lediglich solche Wissenschaften gefördert, die in diesem
Sinne performativ sind. Damit bestimme schließlich auch das Geld, was
wahr ist und wer recht hat. Denn Wahrheit werde an der Realität gemes-
sen und diese werde über den Umweg der Technik von der Wissen-
schaft beeinflusst, so dass sich rückwirkend das bestätigen könne, was
von den Mächtigen über die Realität ausgesagt wurde. Denn dies ist das,
was nun auch die Wissenschaftler erkennen können. So legitimiere sich
Wissenschaft über den Umweg der Performativität und Leistungsfähig-
keit durch Macht und Geld. Wir können hier eine Zirkularität erkennen:
Wissenschaft wird durch das Kriterium der Performativität von der
Macht, von denjenigen, die Einfluss und Geld haben, legitimiert, die
wiederum von der Wissenschaft legitimiert werden.
Wenn wir die derzeitige Situation der Sozialen Arbeit betrachten, kön-
nen wir uns fragen, ob wir nicht gerade Zeugen eines Prozesses sind, in
dem uns genau dieses Prinzip der Legitimierung durch Performativität
vorgeführt wird; es könnte also nicht nur für die Wissenschaft gelten,
80
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT
Die Legitimierung durch die Performativität ist zwar jene von der Politik
und der Ökonomie favorisierte Legitimationsform, die jedoch ebenfalls
zunehmend in eine Krise gerät. Dies ist, wie Lyotard (1979, S. 157) sagt,
„die Krise [...] des Determinismus. Der Determinismus ist die Hypothe-
se, auf der die Legitimation durch die Performativität beruht: Da diese
sich durch ein Verhältnis Input/ Output definiert, muß man annehmen,
daß das System, in das man den Input einbringt, in einem stabilen Zu-
stand ist; es gehorcht einer regelmäßigen ‚Bahn‘, wovon sich die stetige
und ableitbare Funktion erstellen läßt, die den Output entsprechend zu
antizipieren erlauben wird“ (ebd.). Lyotard spricht hier offenbar davon,
dass die Legitimierung durch die Performativtät das voraussetzt, was
Heinz von Foerster (1988) eine triviale Maschine nennt; eine solche Ma-
schine lässt sich über den Input steuern, der Input bestimmt den Output.
Die Pragmatik des postmodernen Wissens hat jedoch wenig Affinität
für solche Maschinen (vgl. Lyotard 1979, S. 158), vielmehr ist sie ge-
kennzeichnet von nicht-trivialen Prozessen, von Prozessen, deren Out-
put nicht durch den Input gesteuert werden kann, die eigenen internen,
nicht linearen Gesetzen gehorchen, die in ihren Reaktionen und Ergeb-
nissen daher unvorhersehbar sind. Genau solche Prozesse kennzeichnen
die Soziale Arbeit, die sich daher nur begrenzt durch Performativität,
durch Effektivität und Effizienz legitimieren lässt.
81
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
Aber die Soziale Arbeit ist nur ein Beispiel für ein Praxisfeld und eine
Wissenschaft, das von hochkomplexen Prozessen, um mit Niklas Luh-
mann (1984) zu sprechen, von autopoietischen Systemen durchzogen
ist, die von außen nur begrenzt steuerbar und deren Verhalten keines-
falls mit Hilfe des kausalen Determinismus erklärbar sind. Inzwischen
beziehen sich viele Wissenschaften auf derartige hochkomplexe Syste-
me. Lyotard (1979, S. 163) führt als Beispiele die Quantentheorie und
die Mikrophysik heran. Je komplexer die Untersuchungsobjekte der
Wissenschaften werden, desto deutlicher wird, dass Ziel und Methode
der Wissenschaft nicht mehr durch Performanz gekennzeichnet sind,
sondern durch die Paralogie.
Paralogie bedeutet, dass wissenschaftliches Wissen nicht logisch, son-
dern eben paralogisch funktioniert und geordnet ist, und zwar aus zwei
Gründen: erstens führt es genau genommen nicht dazu, eine Ordnung zu
sichern und zu legitimieren, sondern produziert permanent – sowohl in
positiver als auch in negativer Hinsicht – Neues, Unvorhersehbares,
Überraschungen, Unsicherheiten, Risiken und Chancen; genau dies le-
gitimiert weitere wissenschaftliche Forschung, für die das Gleiche gilt.
Zweitens führt die Wissenschaft zur Produktion von differenten bis an-
tagonistisch sich gegenüberstehenden „Wahrheiten“, die jeweils in sich
selbst schlüssig, aber zueinander widersprüchlich sind. In einer Termi-
nologie von Peter Fuchs (1992) könnte man vielleicht sagen, dass die
Wissenschaften Polykontexturalität erzeugen, also in sich – auch aus lo-
gischen Gesichtspunkten – schlüssige, aber zueinander in Widerspruch
stehende Weltbeschreibungen.
Für die Soziale Arbeit und für die auf sie bezogenen Wissenschaften
lässt sich daraus vielleicht lernen, dass die klassische Suche nach der
Sozialarbeitswissenschaft erfolglos ist, wenn sie intendiert, Sicherheit
und Klarheit zu finden. Wenn Soziale Arbeit ihre Wissenschaftlichkeit
ausbaut, dann kann sie jedoch zweierlei gewinnen: zum einen natürlich
brauchbares, äußerst nützliches, als durchaus performatives Wissen und
zum anderen aber auch weitere Pluralität und Unsicherheit – als Folge
des Wissenszuwachses. Mit Lyotard (1979, S. 163) gesagt: „Es ist nicht
wahr, daß die Ungewißheit, das heißt das Fehlen von Kontrolle, sich in
dem Maße verringert, wie die Exaktheit wächst: Sie [die Ungewissheit;
H.K.] wächst auch“.
82
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT
Es sollte deutlich geworden sein, dass die Soziale Arbeit im Lichte der
postmodernen Philosophie Lyotards reflektiert werden kann, ja dass
dieses Konzept Auswirkungen auf die Soziale Arbeit haben kann. Dies
ist freilich nicht erstaunlich, ist die Soziale Arbeit als eine sich wissen-
schaftlich orientierende Praxis und als theoretische Reflexion dieser
Praxis freilich genauso eingebunden in gesellschaftliche Transformati-
onen, wie alle anderen gesellschaftlichen Sphären auch. Dennoch
scheint mir, dass die Soziale Arbeit ein ganz besonderes Verhältnis zur
Postmoderne, zur postmodernen Philosophie im Besonderen und zur
postmodernen Reflexion der Gesellschaft im Allgemeinen entwickeln
könnte. Denn – wie ich an anderen Stellen bereits ausführlicher gezeigt
habe (vgl. vor allem Kleve 1999; 2000): Die Soziale Arbeit ist bei ge-
nauerem Hinsehen sowohl hinsichtlich ihrer Geschichte als auch hin-
sichtlich ihrer Praxis sowie ihrer Theorie seit ihrer professionellen Aus-
differenzierung ein postmodernes Unternehmen – zumindest implizit.
Diese These mag erstaunen. Deshalb will ich sie erläutern, und damit
gewissermaßen die implizite Postmoderne der Sozialen Arbeit explizie-
ren.
Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung Sozialer Arbeit lässt sozio-
historisch, sozio-strukturell und wissenschaftlich etwas aufscheinen,
was mit Lyotard als ein wesentliches Kriterium der Postmoderne ange-
sehen werden kann, nämlich die Paralogie, genauer: die Ambivalenz.
83
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
Zum anderen ist das ausgehende 19. Jahrhundert eine Zeit, welche die
Ambivalenz der Moderne oder – mit Max Horkheimer und Theodor W.
Adorno (1969) gesprochen – die Dialektik der Aufklärung augenschein-
lich werden ließ. Spätestens jetzt wurde nämlich der moderne Januskopf
offenbar, der sichtbar machen kann, dass der Fortschritt nicht nur Reich-
tum, Wissen, Rationalität und Ordnung mit sich bringt, sondern zugleich
auch zur Steigerung von Armut, Unwissen, Irrationalität und Unord-
nung führt. Schließlich wissen wir inzwischen, dass die Dialektik der
Aufklärung, die Widersprüchlichkeit der Entwicklung der Moderne ne-
ben der – seit dem 11. September 2001 geradezu inflationär konstatier-
ten – Zivilisation mit ihren Menschen- und Völkerrechten auch Faschis-
mus und Stalinismus hervorgebracht hat.
Zurück zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Zu eben dieser Zeit,
und zwar 1886 schrieb ein sensibler philosophischer Geist, nämlich
Friedrich Nietzsche (1844-1900) in Jenseits von Gut und Böse (S. 17):
„Es wäre sogar noch möglich, daß was den Wert jener guten und ver-
ehrten Dinge ausmacht, gerade darin bestünde, mit jenen schlimmen,
scheinbar entgegengesetzten Dingen auf verfängliche Weise verwandt,
verknüpft, verhäkelt, vielleicht gar wesensgleich zu sein“. Auf genau
diese Ambivalenz, dass das Gute, das Erstrebsame untrennbar, ja nega-
tiv dialektisch (denn es lässt sich nicht synthetisieren) mit dem Schlech-
ten, mit dem, was man vermeiden will, verbunden ist, reagiert die Sozi-
ale Arbeit. Sie belichtet – allein schon durch ihre gesellschaftliche Exis-
tenz – die anderen, die Schattenseiten des Fortschritts und des
Reichtums, des Wissens und der Ordnung, indem sie ihre Legitimation
aus der Existenz der Menschen bezieht, die aus welchen (sozialen, psy-
chischen oder körperlichen) Gründen auch immer nicht fortschrittlich
sein können, weil sie eben arm, ungebildet, ja – aus Sicht der Postulate
der Moderne – unordentlich sind. Der sozio-historische Ursprung der
Sozialen Arbeit ist also die Ambivalenz der Moderne selbst. Oder etwas
ausführlicher und poetischer zusammengefasst: Die Sozialarbeit ent-
springt dem maskierten Geist der Moderne, der nicht das halten kann,
was er versprach, demaskiert ihn und entblößt damit, was ihm ins Ge-
sicht geschrieben steht: das Vexierbild der Ambivalenz (siehe ausführ-
licher dazu das folgende 5. Kapitel).
84
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT
Die Paralogie in Form der Ambivalenz ist auch Markenzeichen der Pro-
fession Soziale Arbeit. Diskursive Reflexe für diese Situation sind etwa
die Klagen der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, dass sie zwi-
schen vielen unterschiedlichen Stühlen sitzen (vgl. mit einer ähnlichen
Diagnose auch Petrov 2000), beispielsweise sowohl (Klienten) helfen
wollen als auch von gesellschaftlichen Institutionen (zum Beispiel dem
Recht) angehalten werden, dieselben zu kontrollieren. Neben dieser
wohl prominentesten sozialarbeiterischen Ambivalenz habe ich an an-
derer Stelle versucht, weitere solcher Ambivalenzen zu reflektieren
(vgl. Kleve 1999, insbesondere S. 237ff.), die ich hier nur nennen kann:
Ambivalenz der Kontexte, in denen von Sozialarbeit zugleich oft sehr
Unterschiedliches und Widersprüchliches erwartet wird, Ambivalenz
von Berufsarbeit und Nächstenliebe, Ambivalenz von Macht und Ohn-
macht, Ambivalenz von Hilfe und Nicht-Hilfe, Ambivalenz von Pro-
blem und Lösung, Ambivalenz von Vergangenheit und Zukunft, Ambi-
valenz von Ethik und Pragmatik.19
Die zahlreichen sozialarbeiterischen Struktur-Ambivalenzen führen
schließlich dazu, dass Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter Schwie-
rigkeiten haben, eine eindeutige und klare, eine moderne Identität zu
konstruieren. Mein These ist (vgl. Kleve 2000), dass sie dies auch nicht
müssen, wenn sie sich vom modernen hin zum postmodernen Gemüts-
und Geisteszustand bewegen (siehe ausführlich 6. Kapitel). Dieser be-
trauert nämlich nicht, wie ich bereits oben bezüglich der These, dass die
postmoderne Philosophie aus dem Geist der modernen Kunst erwachsen
ist, das Verebben von Einheitserfahrungen, zum Beispiel von klaren
Identitätserfahrungen, sondern bejubelt die Möglichkeiten, die bei Dif-
ferenzerfahrungen entstehen, zum Beispiel angesichts multipler bezie-
hungsweise Patchwork-Identitäten. Ich gehe sogar so weit und sage,
dass die Sozialarbeit die bereits erwähnte und postulierte Haltung der
19 Inzwischen liegen zwei Diplomarbeiten vor, die mit der von mir vorgeschla-
genen Methode der Ambivalenzreflexion unterschiedliche sozialarbeiterische
Praxisfelder untersuchen, ja erforschen und meine These der strukturellen
Ambivalenz Sozialer Arbeit – zumindest für die erforschten Felder Fallarbeit
(Geissler 2000) und parteiliche Soziale Arbeit mit Mädchen und Frauen (Ely
2002) – belegen können.
85
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
ironischen Gelassenheit nur erlangen kann, wenn sie sich von der mo-
dernen Identitätssuche verabschiedet und ihre ambivalente sozial-struk-
turelle Form annimmt, ihre offene Identität experimentell und spiele-
risch einsetzt.
Inzwischen zeigt sich wohl deutlicher denn je, dass auch die Wissen-
schaft der Sozialen Arbeit aus mindestens zwei Gründen nur postmo-
dern zu haben ist: erstens, weil sie – zumindest, wenn sie sich nichts
vormacht – kaum anderes kann (und damit ist viel gewonnen), als hoch-
komplexe Prozesse zu beschreiben und damit Instabilitäten, die die Pra-
xis Sozialer Arbeit kennzeichnen, zu konstatieren; zweitens, weil sie als
wissenschaftliches Programm in gewisser Weise auf das stößt, was die
postmoderne Philosophie Vernunft im Plural nennt. Beide Aspekte sol-
len noch etwas deutlicher heraus gestellt werden.
Wir haben bereits mehrfach erwähnt, dass es Soziale Arbeit, zum Bei-
spiel hinsichtlich des Verstehens, mit Kontextabhängigkeit und Unab-
schließbarkeit zu tun hat. Auch eine Sozialarbeitswissenschaft kann
diese Situation nicht verändern, sie kann der Praxis nicht mehr Sicher-
heiten geben, aber sie kann die Unsicherheiten, die Instabilitäten be-
schreiben, erklären und als unausweichlich bewerten. Wenn dies der
Sozialarbeitswissenschaft auf hohem wissenschaftlichen Niveau plau-
sibel gelingt, dann hätte sie bereits viel erreicht. Denn sie könnte davon
ausgehend etwa die politischen Ökonomisierungsansprüche abwehren,
die die Soziale Arbeit mit – vielleicht zu trivialen, aber kaum zu nicht
trivialen Prozessen passenden – Effektivitäts- und Effizienzansprüchen
in die Enge treiben. Wissenschaftlich könnte in dieser Hinsicht gezeigt
werden, was es angesichts instabiler, hoch komplexer Systeme für So-
zialarbeiterinnen und Sozialarbeitern heißen könnte, effektiv und effizi-
ent zu arbeiten. Die Forderung nach drei notwendigen Einstellungen,
die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter spätestens nach dem Studi-
um auszeichnen sollte, dürfte dabei sicherlich nicht fehlen; diese Ein-
stellungen sind: Ambivalenztoleranz, Kontingenz- und Komplexitätsbe-
wusstsein.
Schließlich ist die Sozialarbeitswissenschaft auch als strukturelle Grö-
ße, also als wissenschaftliche Disziplin innerhalb von Hochschulen
86
POSTMODERNES WISSEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT
87
5. Die postmoderne Theorie Sozialer Arbeit
Ein möglicher Blick auf die real- und theorie-historische
Entwicklung der Sozialarbeit /Sozialpädagogik
AUSGANGSPUNKTE
88
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT
89
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
Wie eingangs bereits erwähnt, will ich in drei Schritten die Ambivalenz
und damit die Postmodernität der Sozialen Arbeit darstellen, und zwar
– in einem ersten Schritt – ausgehend von der ambivalenten Realität der
Sozialen Arbeit, die ich zunächst beispielhaft und dann auch theoretisch
abstrakter beschreiben möchte (I.). Diese ambivalente Realität wird im
zweiten Schritt in einen real-historischen Kontext gestellt. Damit soll
deutlich, soll erklärt werden, dass die Soziale Arbeit an dem Punkt der
Entwicklung der modernen Gesellschaft entstanden ist, an dem die pro-
blematische Seite des Fortschritts, an dem der Januskopf der Moderne
eine eigene Profession, nämlich die Soziale Arbeit nötig machte (II.).
Im dritten Schritt wird schließlich die Theorie- und Wissenschaftsent-
wicklung Sozialer Arbeit betrachtet, um zu zeigen, dass die Probleme
bei der Bildung der Sozialarbeitswissenschaft ebenfalls aus dem Ur-
sprung der Sozialen Arbeit aus der Ambivalenz der Moderne hervorge-
hen und dass die Soziale Arbeit eine ambivalenzreflexive, postmoderne
und transdisziplinäre Wissenschaft benötigt (III).
90
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT
den, als Einzelfallhelfer tätig zu werden, dann konnten in der Regel an-
dere Professionen nicht mehr helfen beziehungsweise können noch
nicht (wieder) helfen.
Daher scheint es so zu sein, dass SozialarbeiterInnen in diesem Arbeits-
feld tätig werden, wenn die Probleme der Menschen so komplex, viel-
fältig und diffus werden, dass der spezialisierte Blick der klassischen
Professionen nicht mehr oder noch nicht ausreicht. Die Situation ist
dann zumeist so, dass sich so viele Probleme (Krankheiten, insbesonde-
re Süchte, Ängste, Schulden, Isolation etc.) kumuliert haben, dass Sozi-
alarbeiterInnen in Zusammenarbeit mit den KlientInnen erst einmal ei-
nen Überblick herstellen, Prioritäten setzen, neue Kontakte knüpfen etc.
Dabei haben sie in der Regel dreierlei im Auge zu behalten: erstens:
psychische Schwierigkeiten und Belastungen, zweitens: soziale Proble-
me und drittens: gesundheitliche Themen. Sie können bezüglich der
drei Ebenen Psychisches, Soziales und Biologisches (Gesundheitliches)
keine Ebene vernachlässigen, alle Ebenen sind in ihrer Arbeit relevant
(siehe die folgende Übersicht 1).
Wenn wir überdies in Anlehnung an Kurt Ludewig (1993, S. 123) ver-
suchen würden, für die sozialarbeiterische Tätigkeit, die in diesem so-
zialpsychiatrischen Bereich ausgeübt wird, einen eindeutigen Oberbe-
griff zu finden, wird es ebenfalls schwierig. Ludewig unterscheidet hel-
fende Tätigkeiten in vierfacher Weise, und zwar in Anleitung, Beratung,
Begleitung und Therapie mit jeweils unterschiedlichen Aufträgen /
Funktionen. Demnach geht es in der Anleitung darum, KlientInnen dabei
zu helfen, dass diese ihre Möglichkeiten (etwa der Problemlösung) er-
weitern können; während der Beratung soll dabei geholfen werden, die
vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen; die Begleitung unterstützt dabei,
dass eine nicht veränderliche Lage (zum Beispiel bezüglich einer Be-
hinderung) ertragen werden kann; und schließlich hat die Therapie das
Ziel, Gesundung zu erreichen, mithin Leiden zu beenden.
In meiner Tätigkeit als sozialpsychiatrischer Einzelfallhelfer, leitete ich
zwar an, aber nicht nur, beriet ich, aber nicht nur, begleitete ich auch,
aber nicht nur, ja ich therapierte manchmal sogar, aber wiederum nicht
nur. In diesem Bereich kann keine Entweder /Oder-Haltung eingenom-
men werden, sondern es wird ein Sowohl-Als-Auch im Hinblick auf
Beratung, Betreuung, Begleitung und Therapie gefordert. Das, was ge-
tan wird, kann nicht nur in eine Kategorie eingeordnet werden; vielmehr
treffen alle Kategorien zu, um diese Tätigkeit zu beschreiben. Konkret
91
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
Übersicht 1
heißt das dann etwa, dass Menschen mit den beschriebenen Problemen
angleitet werden, zum Beispiel um einen Antrag auf Erwerbsunfähig-
keitsrente zu stellen, dass sie Beratung erfahren, zum Beispiel bezüglich
ihrer Möglichkeiten, ihre Schulden zu tilgen, dass sie begleitet werden,
zum Beispiel um die Ängste beim Einkaufen, auf dem Sozialamt oder
in Arztpraxen zu ertragen oder dass mit ihnen therapeutisch gearbeitet
wird, zum Beispiel um – etwa im Sinne der Kurzzeittherapie (zum Bei-
spiel nach Insoo Kim Berg 1992) – ein Alkoholproblem anzugehen (sie-
he auch Übersicht 2).
92
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT
Übersicht 2
93
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
94
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT
95
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
Der universelle Generalismus bezieht sich auf die Heterogenität des so-
zialarbeiterischen Gesellschaftsbezugs, auf die Vielfalt der Aufgaben
des gesellschaftlichen Funktions- und Berufssystems Soziale Arbeit.
Wie Wilhelm Klüsche (1994, S. 76) feststellt, ergibt sich ein „Er-
schwernis für die Ausbildung eindeutiger Konturen [...] aus der Vielfalt
der Arbeitsfelder [in der Sozialen Arbeit; H.K.]. In der Regel sind be-
rufliche Identitäten dadurch geprägt, daß umschriebene Arbeitsbereiche
speziellen Berufsgruppen eindeutig zugeordnet werden können. Sozial-
arbeiter /Sozialpädagogen arbeiten aber in sehr unterschiedlichen Tä-
tigkeitsfeldern und Institutionen“. Wenn wir den Gesellschaftsbezug
der Sozialen Arbeit betrachten, dann sehen wir, dass sich Soziale Arbeit
potentiell auf alle Bevölkerungsgruppen – gewissermaßen von der Ge-
burt bis zum Tod – bezieht. So hilft Soziale Arbeit – als Prävention, In-
tervention (Kuration) und Postvention (Rehabilitation) – jungen, er-
wachsenen und alten Menschen, armen, süchtigen, behinderten, ob-
dachlosen, kranken oder schuldenbelasteten Menschen und thematisiert
deren Schwierigkeiten. Die Soziale Arbeit ist mittlerweile gesell-
schaftsweit tätig. Ein Markenzeichen ist ihr gesellschaftsweiter Bezug,
der nicht ausschließlich auf die „armen“ Bereiche der Gesellschaft ver-
weist, sondern sich durch alle Bevölkerungsgruppen und -lagen, durch
alle Lebenswelten hindurchzieht. So wird bereits im Jahrbuch der So-
zialarbeit von 1978 diagnostiziert, dass die „‚Klientel‘ sozialer Arbeit
[...] nicht mehr nur der randständige Jugendliche, der Kranke, der Kri-
minelle [ist], sondern [...] tendenziell alle Teile der Bevölkerung. Durch
den Ausbau öffentlicher Vorschulerziehung, durch die Ausweitung von
Jungendbildungsmaßnahmen, durch den Ausbau von Familien-, Eltern-
und Erziehungsberatung wird jeder tendenziell zu Klientel der Sozial-
arbeit“ (zit. n. Schumann 1979, S. 69).
96
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT
Übersicht 3
Behindertenhilfe Psychisches
insb. Bedürfnisse,
Obdachlosenhilfe Wahrnehmungen, Gedanken,
Gefühle, Einstellungen, kognitive
Suchthilfe Entwicklungen etc.
Krankenhilfe
Soziales
Schuldnerhilfe insb. Bedürfnisse,
Familiäres, Erzieherisches, Bildendes,
Rechtshilfe Ökonomisches, Politisches, Rechtli-
ches, Religiöses (Spirituelles), Künst-
Altenhilfe lerisches, Wissenschaftliches etc.
etc.
97
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
Ich komme jetzt zur Frage, auf welche gesellschaftliche Situation, auf
welches gesellschaftliche Problem die Soziale Arbeit eine Antwort ist.
Um diese Frage zu beantworten, sollen einige ausgewählte Aspekte der
Geschichte der professionellen Sozialen Arbeit betrachtet werden.
Bei den GeschichtsschreiberInnen der Sozialen Arbeit scheint darin Ei-
nigkeit zu bestehen, dass die professionelle Soziale Arbeit, also sozial-
arbeiterische Berufstätigkeit in der Zeit um die Wende vom 19. zum 20.
Jahrhundert entstanden ist. In dieser Zeit wurden etwa die ersten Schu-
len gegründet, in denen Sozialarbeiterinnen (zunächst fast ausschließ-
lich Frauen) ausgebildet wurden. Beispielsweise entstand auf Initiative
von Alice Salomon 1908 in Berlin eine soziale Frauenschule.
Der Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert wird als der Zeitpunkt ange-
sehen, an dem sich die soziale Hilfe von einer primär moralisch oder re-
ligiös inspirierten „Mildtätigkeit“ (Luhmann 1973) deutlich zu wandeln
begann in die professionelle Soziale Arbeit, die wir heute kennen. Zu-
gleich gilt diese Jahrhundertwende als Zeit, in der sich die moderne Ge-
sellschaft als eine funktional differenzierte Gesellschaft (vgl. Luhmann
1997) vollendete. Die professionelle Soziale Arbeit entstand also zu ei-
ner Zeit, in der sich das Projekt der Moderne vollends in Europa und
Nordamerika etablierte.
Die Moderne lässt sich als eine historische Periode kennzeichnen, „die
in Westeuropa mit einer Reihe von grundlegenden sozio-kulturellen
und intellektuellen Transformationen des 17. Jahrhunderts begann und
ihre Reife erreichte: (1) als ein kulturelles Projekt – mit dem Entstehen
der Aufklärung; (2) als eine sozial vollendete Lebensform – mit dem
Entstehen der industriellen [...] Gesellschaft“ (Bauman 1991, S. 348,
Anm. 1). Ein Markenzeichen der Moderne ist das permanente Ringen
um Ordnung, Eindeutigkeit, Rationalisierung, Kontrolle, Klassifizie-
rung und Bestimmung, also um Ambivalenzfreiheit. Ein Ergebnis die-
ses Ringens ist die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in voneinander
getrennte funktionale Systeme, die jeweils eigenständige Aufgaben für
die gesamte Gesellschaft bearbeiten und jeweils eigenständige Codes
und Medien zur Kommunikation heraus gebildet haben (siehe dazu die
folgende Übersicht 4).
98
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT
Übersicht 4
Übersicht 5
99
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
100
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT
101
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
102
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT
103
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
104
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT
Meine These lautet: Soziale Arbeit wird dann tätig, wenn andere Pro-
fessionen nicht mehr oder noch nicht tätig werden können, wenn die
Spezialisierung, die Zergliederung menschlicher Probleme in jeweils
biologische, psychische oder soziale Dimensionen zu kurz greift, wenn
kein (moderner) Entweder /oder-, sondern ein (postmoderner) Sowohl-
Als-Auch-Blick gefordert ist. Soziale Arbeit tritt also offenbar dann auf
den Plan, wie Wilhelm Klüsche (1994, S. 81) schreibt, „wenn das Re-
pertoire der Experten anderer Fachrichtungen zur Problemlösung nicht
105
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
106
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT
Übersicht 6
Zusammenfassend lässt sich sagen: Soziale Arbeit ist ein Ergebnis der
Ambivalenz, dass die klassischen Professionen mit ihrer Spezialisie-
rung zwar bestimmte, und zwar klar und eindeutig biologisch, psy-
chisch oder sozial beschreibbare Probleme effektiv und effizient bear-
beiten können, aber überall dort, wo die Einnahme einer mehrdeutigen,
einer Ambivalenzperspektive nötig ist, in der Regel versagen. Genau
hier ist Soziale Arbeit „als generalistisches Expertentum“ (Klüsche
1994, S. 86) gefragt.
Was für eine Wissenschaft braucht nun eine professionelle Soziale Ar-
beit, die auf die Ambivalenz der Moderne reagiert und sich daher selbst
als ambivalente, mehrdeutige Profession zu erkennen gibt? Diese Frage
will ich schließlich aus einer postmodernen Perspektive beantworten.
Meine These ist, dass die Wissenschaft und Theorie der Sozialen Arbeit
ausgehend von der sozialarbeiterischen Praxis ebenfalls nur ambiva-
lent und mehrdeutig, nämlich transdisziplinär und zwischen Theorie
und Praxis stehend konstituiert sein kann.
In der Betrachtung der Theorie-Geschichte Sozialer Arbeit zeigt sich,
dass die wissenschaftlichen und theoretischen Versuche Sozialer Arbeit
107
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
108
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT
109
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
110
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT
Übersicht 7
Theorie Praxis
Disziplin Profession
Wissenschaftssystem Anwendungssystem
„Wahrheit“ als Medium „Wirksamkeit“/ „Angemessenheit“
als Medium
Fachhochschulen als ambivalente Orte zwischen Theorie und Praxis
111
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
112
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT
113
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
Übersicht 8
etc.
114
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT
wie es in der Praxis selbst erforderlich ist“ (ebd.). Die Koordination die-
ser interdisziplinären Forschung und Lehre (zum Beispiel im Projekt-
studium) hätte im Falle der Sozialarbeit die Sozialarbeitswissenschaft
zu leisten, die dafür sorgt, dass das interdisziplinär erarbeitete sozialar-
beiterische Wissen transdisziplinär reflektiert, verbunden und systema-
tisiert wird.
Dass eine derartige Mittlerrolle zwischen verschiedenen Disziplinen
durch die Sozialarbeitswissenschaft überhaupt gelingen kann und nicht
an der Inkommensurabilität (Unvergleichbarkeit) disziplinären Wissens
scheitert, lässt sich mit Welsch (1996, insbesondere S. 946ff.) verdeut-
lichen. Denn aus der postmodernen Perspektive, die sowohl die Diffe-
renz als auch die Einheit, sowohl die Independenz (Unabhängigkeit) als
auch die Interdependenz (Abhängigkeit) etwa von disziplinären wissen-
schaftlichen Rationalitäten plausibilisiert, wird erkennbar, dass „Diszi-
plinen [...] nicht durch einen ‚Kern‘ konstituiert [sind], sondern um netz-
artige Knoten [...]“ (ebd., S. 947). Besonders die Aufgabe einer Sozial-
arbeitswissenschaft läge nun darin, die „Stränge“ (ebd.) und die
„Verbindungslinien“ (ebd.) der relevanten Disziplinen auszuarbeiten
und zu verfolgen. Wenn dies gelänge dann wird man Sozialarbeitswis-
senschaft selbst nicht anders als transdisziplinär beschreiben können
(vgl. dazu auch Kopperschmidt 1996).
Welsch betont überdies, dass ein Übergang zur Transdisziplinarität
weitreichende wissenschaftspolitische Folgen hätte: „Forschungsinsti-
tutionen und Universitäten hätten das Feld des Wissens nicht mehr nach
territorialen Herrschaftsbereichen, Dominien, Disziplinen, Fächern zu
gliedern, sondern hätten Transdisziplinarität zum Strukturprinzip zu er-
heben. Die faktisch transdisziplinäre Verfassung der disziplinären Ge-
halte wäre von Anfang zur Geltung zu bringen“ (Welsch 1996, S. 947).
Diese transdisziplinäre Verfassung lässt sich bezüglich der Sozialen Ar-
beit bereits latent beobachten, sie muss sich nur noch sozial-kommuni-
kativ manifestieren – und zwar durch die institutionelle Verankerung
der Sozialarbeitswissenschaft als die Koordinationswissenschaft der in-
terdisziplinären Zugänge auf soziale Probleme, die die Interdisziplina-
rität erst zum transdisziplinären Verbindungswissen transformiert.
115
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
116
DIE POSTMODERNE THEORIE SOZIALER ARBEIT
117
6. Sozialarbeit als postmoderne Profession
ohne eindeutige Identität
Eine Umdeutung, ihre Begründung und Auswirkung
AUSGANGSPUNKTE
118
SOZIALARBEIT ALS POSTMODERNE PROFESSION OHNE EINDEUTIGE IDENTITÄT
119
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
120
SOZIALARBEIT ALS POSTMODERNE PROFESSION OHNE EINDEUTIGE IDENTITÄT
121
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
Wie uns die Soziologie lehrt ist die Gesellschaft in vielfältige Funkti-
onsbereiche differenziert (vgl. etwa Luhmann 1997), in denen unter-
schiedlichste professionelle Tätigkeiten ausgeführt und besondere Spe-
zialsprachen gesprochen werden, auf die sich die Menschen erfolgreich
beziehen müssen, wollen sie ihre physische und psychische Reproduk-
tion sichern. Unser Leben ist abhängiger denn je von funktionalen Sys-
temen, an denen wir ankoppeln müssen, deren Sprachen wir zwar nicht
sprechen, aber doch so verstehen sollten, dass wir die systemischen Er-
wartungen entschlüsseln können, die uns orientieren, wenn wir einer
Arbeit nachgehen oder eine solche suchen, wenn wir Rechtsansprüche
einlösen, Massenmedien gebrauchen, MedizinerInnen, PsychologInnen
oder JuristInnen aufsuchen, PädagogInnen unsere Kinder anvertrauen
etc.
Soziale Arbeit ist für ihre KlientInnen, die Schwierigkeiten beim Ver-
stehen dieser Spezialsprachen oder beim Realisieren der gesellschaft-
lich kommunizierten Erwartungen haben, eine Expertin, die dabei hilft,
die Spezialsprachen zu entschlüsseln und die systemischen Erwartun-
gen zu erfüllen. Dazu benötigt die Sozialarbeit eine offene Identität,
eine Identität der Identitätslosigkeit, eine collagenhafte, fragmentierte
Identitätsform, metaphorisch formuliert: die Fähigkeit, sich wie ein
Chamäleon der jeweiligen Umwelt, das heißt den unterschiedlichen
Spezialsprachen, Verständnissen, Sitten, Gebräuchen, Kulturen adä-
quat anzupassen.
SozialarbeiterInnen sind in dieser Hinsicht keine „Fachspezialisten“,
sondern „Kommunikationsvirtuosen“ (Münch 1995), deren Leistung in
der Transprofessionalität und Transdisziplinarität liegt, das heißt im
Überspringen von Professions- und Disziplingrenzen, sie sind professi-
122
SOZIALARBEIT ALS POSTMODERNE PROFESSION OHNE EINDEUTIGE IDENTITÄT
123
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
Wenn ich dafür plädiere, die Soziale Arbeit als postmoderne Profession
zu verstehen, dann geht es mir also um eine Umdeutung, um ein Refra-
ming, und zwar in der Hinsicht, dass das, was klassischerweise als Ma-
kel, als zu behebendes Defizit der Sozialen Arbeit betrachtet wird, eben
ihre Vielfältigkeit und Diffusität als funktionale Normalität bewertet
werden sollte. Mit anderen Worten: In der Schwäche, sich als Sozialar-
124
SOZIALARBEIT ALS POSTMODERNE PROFESSION OHNE EINDEUTIGE IDENTITÄT
beit nicht klar identifizieren zu können, liegt die Stärke, die eigentlich
Professionalität sozialarbeiterischer Praxis. Denn gerade die Mehr-
deutigkeit, die komplexe Vielschichtigkeit der Welt ist für moderne
Professionen ein Problem, ist etwas, das sie ausschließen wollen. Mo-
derne Professionen streben nach Eindeutigkeit, klar abgrenzbare, diffe-
renzierte Bezugsthemen, Handlungsbereiche und Aufgaben. Moderne
Professionen, zum Beispiel die Berufe des Arztes, des Psychologen und
des Rechtsanwalts, sind entstanden mit der Moderne, das heißt mit dem
Ordnen, Rationalisieren und Differenzieren der Welt. Moderne Profes-
sionen beziehen sich demnach auf bestimmte Ausschnitte des Mensch-
lichen, die Medizin bezieht sich auf das Körperlich-Biologische, die
Psychologie auf das Psychisch-Seelische, das Recht auf das gesetzte
Normativ-Soziale. Moderne Professionen sind klar und eindeutig spezi-
alisiert. Sie sind Ergebnis gesellschaftlicher Differenzierung, also Er-
gebnis von Arbeitsteilung und Spezialisierung. Moderne Professionen
waren und sind (noch) in der Lage, ein eindeutig von anderen Professi-
onen abgegrenztes Berufswissen und ein eindeutiges gesellschaftliches
Mandat zur Ausübung ihres Berufs zu erlangen. Dazu ist, wie ich ver-
sucht habe zu zeigen, die Sozialarbeit allerdings nicht in der Lage.
Deshalb sprechen ihr VertreterInnen einer modernen Professionstheorie
den Status einer eigenständigen und vollwertigen Profession ab (siehe
dazu etwa erneut Stichweh 2000) oder versuchen, auch in der Sozialar-
beit diese Eindeutigkeit zu finden (siehe dazu etwa Merten 1997). Ich
optiere weder für das Eine noch für das Andere. Ich plädiere vielmehr
dafür, bei der Bewertung der Sozialen Arbeit den Maßstab zu verändern
und nicht mehr von modernen, sondern von postmodernen Kriterien
auszugehen. Die moderne Professionstheorie ist für die Beschreibung
der Sozialen Arbeit nicht angemessen, denn Sozialarbeit ist keine Pro-
fession, die auch nur ansatzweise modernen Prinzipien von Rationalität,
Ordnung, Eindeutigkeit und Differenzierung gerecht wird; sie ist viel-
mehr eine strukturell ambivalente, eine mehrdeutige Profession, ja ihr
Markenzeichen ist die postmoderne Mehrdeutigkeit, die Identitätslosig-
keit.
Es ist meines Erachtens ein aussichtsloser Kampf, wenn die Soziale Ar-
beit angesichts ihrer, aus der Perspektive der klassischen Professionen
gesprochen: „semi-professionellen“ Eigenart versucht, professionelle
Eindeutigkeit, Identität und Ordnung zu erringen. Denn die uneindeuti-
ge Stellung der Sozialen Arbeit in und zwischen den Systemen der mo-
125
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
dernen Gesellschaft ist gerade das, was die Soziale Arbeit auszeichnet,
was ihre Spezifik, ihren postmodernen Professionskern ausmacht. Und
genau dies ist meine These, die ich noch einmal formulieren will: Sozial
Arbeit kann als postmoderne Profession bewertet werden, weil sie keine
andere Wahl hat, als sich der uneindeutigen Heterogenität, den vielfäl-
tigen Ambivalenzen in ihrem sozialstrukturellen und semantischen Feld
zu stellen und diese anzunehmen, mit ihnen zu leben. „Mit Ambivalenz
leben“ (Bauman 1991, S. 281), Widersprüchlichkeit, Mehrdeutigkeit,
Mehrwertigkeit anerkennen – das ist das Kriterium der Postmoderne,
wie mit Zygmunt Bauman gesagt werden kann.
„Mehrwertigkeit und Mehrdeutigkeit sind natürlich keine Erfindungen
des Postmodernismus, treten nicht erst in der Postmoderne auf. Aber die
Postmoderne hat ein anderes Verhältnis zu [...] Ambivalenz als die Mo-
derne“, wie der Soziologe Heinz-Günter Vester (1993, S. 44) formuliert.
Während die Moderne (noch) versuchte, Ambivalenzen, Widersprüche
und Paradoxien etwa durch die dialektische Methode, durch den dialek-
tischen Dreischritt, These, Antithese, Synthese, in einer abschließenden,
transzendenten, synthetischen Einheit stillzustellen, favorisiert die Post-
moderne eine Negative Dialektik ohne Synthese (vgl. grundsätzlich dazu
Adorno 1966), eben die Annahme der Thesen und Antithesen in ihrer
Gegensätzlichkeit. Negative Dialektik „tendiert nicht auf die Identität in
der Differenz jeglichen Gegenstandes von seinem Begriff;“, wie Theo-
dor W. Adorno (1966, S. 148) – gewissermaßen ein früher postmoderner
Philosoph – sagt, „eher beargwöhnt sie Identisches. Ihre Logik ist eine
des Zerfalls: der zugerüsteten und vergegenständlichten Gestalt der Be-
griffe“ (ebd., S. 148).
In diesem Sinne ist postmodernes Denken ein Differenzdenken (und kein
Identitätsdenken), welches das Differente als different, eben als nicht-
identisch akzeptiert. Während mit dem modernen Begründer der Dia-
lektik, nämlich mit Hegel, die Identität von Identität und Differenz be-
tont wird, betont der Postmodernismus, zum Beispiel in Form der Sys-
temtheorie, die Differenz von Identität und Differenz (vgl. Luhmann
1984, S. 26). Daher ist postmodernes „Differenzdenken immer auch Kri-
tik der Identitätsphilosophie“ (Kamper 1995, S. 21).
Warum die Sozialarbeit genau einer solchen postmodernen differenz-
theoretischen Auffassung bedarf, warum sie mit Ambivalenz leben
muss und es ihr mithin nicht gelingen kann, den eindeutigen Kriterien
der klassischen Professionen zu genügen, habe ich anhand der beiden
Generalismen versucht herauszustellen.
126
SOZIALARBEIT ALS POSTMODERNE PROFESSION OHNE EINDEUTIGE IDENTITÄT
127
2. TEIL: POSTMODERNE GRUNDLEGUNGEN
128
3. Teil:
Systemtheoretisch-
konstruktivistische und
postmoderne Anwendungen
7. Zwei Logiken des Helfens
Ambivalenz- und systemtheoretische Betrachtungen
AUSGANGSPUNKTE
131
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
132
ZWEI LOGIKEN DES HELFENS
133
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
Die selbstkonstruktive Logik des Helfens führt vor allem zu zwei Er-
gebnissen, nämlich erstens zu langen, ja möglicherweise sogar zu end-
losen Hilfen und zweitens zu Hilfemustern, die die Klientinnen und Kli-
enten vom Hilfesystem abhängig und unselbstständig machen. Die Hil-
fe ist selbstkonstruktiv in dem Sinne, dass sie aufgrund ihrer eigenen
Dynamik permanent Hilfe beziehungsweise Hilfenotwendigkeiten her-
vorbringt, sie ist selbstkonstruktiv, weil sie Hilfemuster erzeugt, die im-
mer erneut Hilfe und kein Hilfeende konstruieren. Diese, wie wir sicher
schnell zugeben werden, problematische Logik des Helfens kann mit
zwei theoretischen Ansätzen etwas näher erklärt werden, und zwar zu-
nächst mit der Ambivalenztheorie des Helfens und sodann mit der The-
orie autopoietischer Systeme.
Nach dieser Theorie geht jede Hilfe mit der Gefahr von nicht intendier-
ten, nicht gewollten Effekten einher (Kleve 1999, S. 270ff.). Diese Ge-
fahr besteht darin, dass jede Hilfe dazu führen kann, dass gerade nicht
geholfen, sondern Unselbstständigkeit und Inaktivität der Klienten her-
ausgefordert wird, dass die Klienten vom Hilfesystem abhängig wer-
134
ZWEI LOGIKEN DES HELFENS
den. Wie kann diese Gefahr erklärt werden? Sie kann damit erklärt wer-
den, dass jede helfende Interaktion zu einer Rollenasymmetrie, einer
Rollenungleichheit, einem Rollengefälle von Helfern und Hilfsbedürf-
tigen führt. Indem eine Person einer anderen, eben hilfsbedürftigen Per-
son, hilft, wird quasi automatisch der einen Person, der hilfsbedürftigen,
ein Defizit unterstellt, das die andere, helfende Person, zu beheben ver-
sucht.
Wenn eine solche Interaktion in einem professionellen Setting ge-
schieht, in dem von vornherein reziprokes, also gegenseitiges Helfen
eher ausgeschlossen ist, wie bei professionellen (in Berufsarbeit geleis-
teten) Hilfen, und sich solche einseitig gerichteten helfenden Interakti-
onen über einen längeren Zeitraum wiederholen, dann wird die erwähnte
Rollenasymmetrie festgeschrieben. Es bilden sich Strukturlogiken,
Muster aus, die dazu führen, dass die Beteiligten in ihren jeweiligen Rol-
len verharren und sich gegenseitig entweder die Hilflosigkeit bezie-
hungsweise die Möglichkeit zu helfen unterstellen und bestätigen. Diese
Form der Rollenausdifferenzierung und ihre spezifische Systemrationa-
lität innerhalb professioneller Hilfesysteme wird durch die Betrachtung
des zweiten theoretischen Ansatzes noch deutlicher.
Nach dieser Theorie, die auf Niklas Luhmann (1984; 1997) zurückgeht
und zuerst von Dirk Baecker (1994; 1997) auf die soziale Hilfe ange-
wandt wurde, ist professionelles Helfen eine spezifische Kommunikati-
on in der modernen Gesellschaft, die sich zu einem eigenen Funktions-
system der sozialen Hilfe ausdifferenziert hat. Genauso wie Wirtschaft,
Politik, Wissenschaft, Kunst oder Religion bildet das professionelle
Helfen einen speziellen gesellschaftlichen Funktionsbereich mit eige-
nen Gesetzmäßigkeiten und Logiken aus. Genauso wie die anderen
Funktionssysteme der Gesellschaft ist das System der sozialen Hilfe ein
autopoietisches System, ein System, das sich durch seine eigenen Ope-
rationen, im Fall der sozialen Hilfe durch das Helfen, permanent selbst
reproduzieren und erhalten muss. Denn Autopoiesis heißt, dass ein Sys-
tem seine Systemhaftigkeit, seine „Existenz“ (das heißt seine Differenz
zur Umwelt) dadurch aufrechterhält, dass es Operationen (zum Beispiel
Helfen, helfende Kommunikationen) produziert, die weitere Operatio-
nen des selben Typs herausfordern und schaffen.
135
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
Das Hilfesystem der Sozialen Arbeit wird also dadurch angetrieben und
erhält sich dadurch als System, dass es permanent Hilfe, helfende Kom-
munikationen produziert. Man kann daher das System der sozialen Hil-
fe auch als eine rückgekoppelte Maschine beschreiben, die zugleich
Hilfe und damit Hilfsbedürftigkeit produziert sowie Hilfsbedürftigkeit
und Hilfe voraussetzt, damit sie laufen kann. Denn nur wenn das Sys-
tem helfen, helfende Kommunikationen produzieren kann, kontinuiert
es seinen systemischen Kommunikationszusammenhang. Und helfende
Kommunikationen können nur produziert werden, wenn das System der
sozialen Hilfe die Rollen Helfer und Klient ausdifferenziert. Dazu muss
es freilich Personen Probleme zuschreiben, und zwar Probleme, die so
beschaffen sind, dass sie durch Hilfe als potentiell lösbar erscheinen.
Oder es muss Personen die Möglichkeit bieten, sich selbst oder anderen
Probleme zuzuschreiben, die dann ebenfalls als durch die Hilfe des Hil-
fesystems lösbar erscheinen. Denn erst die Beobachtung von Proble-
men, die von der Hilfe gelöst werden können, von Defiziten, die durch
die Hilfe behoben werden können, legitimiert das professionelle Hel-
fen.
Nach der Systemtheorie ist diese Autopoiesis des Helfens dem sozialen
Funktionssystem der sozialen Hilfe strukturell eingeschrieben und darf
nicht verwechselt werden mit den psychischen, den subjektiven Intenti-
onen, den persönlichen Absichten der professionellen Helferinnen und
Helfer. Die strukturelle Logik der Autopoiesis des Helfens vollzieht
sich sozusagen hinter dem Rücken der helfenden Akteure. Daher wer-
den also nicht die Helferinnen und Helfer, die menschlichen Akteure
verdächtigt, wenn ich jetzt in Anlehnung an Dirk Baecker (1994, S. 93,
ausführlicher dazu auch Kleve 1999, S. 199ff.) drei Verdachtsmomente
nenne, denen ein solches Helfen grundsätzlich unterliegt; vielmehr pro-
blematisiere ich die autopoietische, sich unabhängig von den Helfern
vollziehende Strukturlogik, die zum Motivverdacht, zum Stigmatisie-
rungsverdacht und zum Effizienzverdacht des Helfens führt.
Mit dem ersten Verdacht, dem Motivverdacht, geht die Skepsis einher,
ob die Hilfe wirklich denjenigen hilft, denen sie Hilfsbedürftigkeit at-
testiert, oder ob sie nicht eher der Selbsterhaltung des Hilfesystems und
dessen Organisationen dienlich ist, wie dies die Autopoiesis des Hel-
fens nahe legt. Vor allem wenn die Bezahlung der Hilfeleistung am
Faktor Zeit, wie zum Beispiel bei der marktwirtschaftlich orientierten
Finanzierung über Fachleistungsstundensätze, gekoppelt ist und nicht
136
ZWEI LOGIKEN DES HELFENS
137
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
Auch diese Form des Helfens ist ein ambivalentes Unterfangen. Wäh-
rend die selbstkonstruktive Hilfe-Logik ambivalent ist, weil sie potenti-
ell dazu tendiert, statt Hilfe Abhängigkeit und Unselbstständigkeit zu
erzeugen, scheint der selbstdekonstruktiven Hilfe-Logik die Reflexion
dieser Gefahr eingeschrieben zu sein. Denn sie markiert von den ersten
Momenten ihres Anlaufens eine andere Ambivalenz, und zwar die, dass
professionelle Hilfe nur anläuft, um sobald wie möglich wieder beendet
zu werden, weil sie in Selbsthilfe übergeht. Das Ziel professioneller hel-
138
ZWEI LOGIKEN DES HELFENS
Mit dieser Theorie kann zunächst sichtbar werden, dass die Hilfe, die
nach der selbstdekonstruktiven Logik verfährt, ebenfalls gefährlich ist
– allerdings nicht für die Klientinnen und Klienten, wie die selbstkon-
struktive Logik, sondern für das Hilfesystem selbst. Denn wir hatten ja
gesehen, dass dieses System, wie jedes andere gesellschaftliche Funkti-
onssystem, autopoietisch operiert und somit als Hilfesystem auf die Au-
topoiesis, die Selbsterhaltung des Helfens angewiesen ist, will es sich
als System erhalten. Es muss immer wieder Hilfe konstruieren, An-
schlussmöglichkeiten für weitere Hilfe schaffen, damit es sich als Sys-
tem vollziehen kann. Aber wem soll es helfen, wie soll es seine Auto-
poiesis realisieren, wenn sich die Klientinnen und Klienten vom System
emanzipieren, wenn sie selbstständig werden und die Helferinnen und
Helfer dann vielleicht gar nicht mehr brauchen?
139
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
Sicherlich ist die Gefahr, dass die Fachkräfte keine Personen mehr fin-
den, denen sie Hilfen anbieten können, so groß nicht – auch nicht, wenn
sie im Sinne der selbstdekonstruktiven Hilfe-Logik arbeiten. Sie helfen
dann gewiss effektiver und effizienter, aber machen sich nicht überflüs-
sig. Vor den Toren des Systems warten noch viele Leute, und immer
neue kommen dazu, die Hilfe begehren, die also potentielle Klientinnen
und Klienten sind. Denn die Gesellschaft produziert permanent soziale
Lagen, die Hilfe notwendig machen. Ich glaube, dies muss ich nicht ei-
gens begründen, es ist evident, es ist augenscheinlich.
Aber auch wenn das Hilfesystem sich nicht selbst überflüssig macht,
seine Autopoiesis, seine Selbsterhaltung nicht gefährdet, wenn es
selbstdekonstruktiv hilft, scheint das System das, was mit dieser Hilfe-
Logik notwendig ist, nur sehr verhalten, nur in den sprichwörtlichen ho-
möopathischen Dosen aufnehmen und umsetzen zu können. Vielleicht
ist das System, wie alle anderen gesellschaftlichen Systeme auch, so
strukturkonservativ, dass es nur sehr langsam Neues praktizieren kann.
Außerdem hat sich vielleicht noch nicht wirklich herum gesprochen,
dass ein Hilfesystem möglicherweise hilfreicher helfen kann, wenn es
die andere Seite der Hilfe, nämlich die Nichthilfe beziehungsweise die
Begrenzung der Hilfe als eine Option neben der Hilfe mit einbezieht.
Nicht überall, wo Angebote gemacht werden können zu helfen, ist Hel-
fen die richtige Option. Denn die begleitende Nichthilfe könnte gerade
angemessen sein, um hilfreich zu sein, um Menschen zu aktivieren, sich
selbst zu helfen (Baecker 1994; 1997).
Die selbstdekonstruktive Logik des Helfens muss jedoch nicht aus-
schließlich paradox gedacht werden. Und möglicherweise erkennt das
Triangel-Projekt selbst gar nicht, dass es mit dieser Paradoxie arbeitet.
Oder diese Paradoxie erscheint als eine Konzession an all jene, welche
die Möglichkeiten von Hilfe im Zuge von Sparmaßnahmen einschrän-
ken wollen. Daher will ich nicht weiter bei dieser paradoxen Form des
Helfens durch Nichthilfe bleiben, sondern eine weitere Ausprägung der
selbstdekonstruktiven Hilfe-Logik beschreiben und erklären. Diese
Form kann einerseits recht schnell systemtheoretisch plausibilisiert wer-
den, stellt die Systemtheorie aber andererseits auch vor eine aufwendi-
gere Erklärungssuche.
Wie Michael Biene mir mehrfach berichtet hat, wirkt die Selbstverän-
derung der Interaktionen im Hilfesystem unmittelbar auf die an diesem
System gekoppelten Klientensysteme, zum Beispiel auf Eltern-Kind-In-
140
ZWEI LOGIKEN DES HELFENS
141
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
142
ZWEI LOGIKEN DES HELFENS
mit genau dies eintritt, damit ein solches Verhältnis des Spiegelns ent-
steht. Ich möchte dazu drei Vermutungen formulieren:
Erste Vermutung: Ich habe es bereits erwähnt, dass Menschen als Ein-
heiten psychischer und biologischer Systeme an sozialen Systemen par-
tizipieren. Diese soziale Partizipation regelt sich durch das, was die so-
ziologische Systemtheorie Inklusion (Luhmann 1995) nennt, nämlich
durch das kommunikative Relevantwerden von Personen in sozialen
Systemen. Und wie, mit welchen Eigenschaften, Verhaltensweisen, per-
sönlichen Potentialen, Personen in sozialen Systemen relevant werden
können, bestimmen maßgeblich die sozialen Interaktionen und andere
Kommunikationen, zum Beispiel Aktennotizen, Hilfepläne etc. Wenn
also mündliche Interaktionen und auch schriftliche Kommunikationen
Klientinnen und Klienten mit defizitorientierten Begriffen bezeichnen
oder ausschließlich die hilfsbedürftigen Seiten der Klienten fokussieren,
werden sich die Personen, die Klienten ja zuallererst sind, möglicher-
weise nicht anders zeigen können als defizitär und problembelastet.
Wenn allerdings andere kommunikativen Angebote in der Interaktion
und im Schriftverkehr gemacht werden, Klientinnen und Klienten als
aktive, mit Potentialen ausgestatte Personen betrachtet werden, die sich
selber am besten kennen und damit auch am besten helfen können, dann
scheinen plötzlich andere Persönlichkeitsanteile der Klienten auf (dazu
auch de Shazer 1988; 1991). An diesem Punkt bestätigt sich die kon-
struktivistische Sichtweise, die die methodische Prämisse von Michael
Biene (2003, S. 4) teilt, „dass wesentliche zwischenmenschliche Proble-
me durch die Art bedingt sind, wie die Beteiligten über den anderen
Menschen beziehungsweise das Problem mit diesem Menschen den-
ken“, wie sie über dieses Problem sprechen und schreiben. Selbstdekon-
struktive Hilfen schaffen es, von der Problemsprache zu einer Lösungs-
, einer Ressourcensprache zu wechseln.
Die Klientinnen und Klienten können dann sozial anderes inkludieren,
anderes, und zwar für die Problemlösung nützlicheres wird plötzlich
nicht nur sichtbar, sondern auch nutzbar, realisierbar (dazu auch Kleve
1999, S. 295). Für sich selbst und für andere oftmals überraschend, kön-
nen Klientinnen und Klienten dann aktiv und zu Personen werden, die
sich selbst helfen, die selbstbewusst ihre eigenen Schwierigkeiten ange-
hen. Meine Vermutung ist, dass das Triangel-Projekt Klientinnen und
Klienten solche problemlösenden Inklusionen anzubieten vermag.
143
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
144
ZWEI LOGIKEN DES HELFENS
145
8. Die sechs Schritte helfender Kommunikation
Eine Handreichung für die Praxis und Ausbildung
Sozialer Arbeit mit Britta Haye
AUSGANGSPUNKTE
In der Praxis und Ausbildung der Sozialen Arbeit stellt sich immer wie-
der die Aufgabe, die professionelle und exemplarische Fallarbeit ange-
messen zu strukturieren. Schon Alice Salomon und Mary Richmond
stellten sich die Frage nach der Strukturierung des methodischen Vor-
gehens und bezogen sich in ihren Büchern zur Sozialen Diagnose auf
das klassische medizinische Konzept von Anamnese (gr.-lat.; Erinne-
rung, und zwar im Sinne von Vorgeschichte), Diagnose (gr.-fr.; unter-
scheidende Beurteilung, Erkenntnis, und zwar im Sinne einer Ursache-
Wirkungs-Erklärung) und Behandlung (vgl. Müller 1988, S. 145). Die-
ser klassische methodische Dreischritt kann auch noch heutigen Sozial-
arbeiterInnen dazu dienen, ihr praktisches Handeln, ihr Kommunizieren
mit den KlientInnen zu planen und durchzuführen.
Kurt Eberhard (1999) ist sogar der Meinung, dass dieser Dreischritt im-
mer dann zum Einsatz kommt, wenn persönliche, kollektive oder ge-
sellschaftliche Probleme zu lösen sind. Auch wenn er nicht die genann-
ten Begriffe Anamnese, Diagnose und Behandlung verwendet, sondern
von phänomenalen, kausalen und aktionalen Erkenntnisinteressen
spricht, um diesen Dreischritt zu bezeichnen, beschreibt er doch genau
die anamnestischen, diagnostischen und behandelnden Erkenntnis- und
Handlungsprozesse. Denn das phänomenale Erkenntnisinteresse lässt
sich mit der anamnestischen Frage: „Was war und ist los?“ umschrei-
ben; das kausale Erkenntnisinteresse ist angeleitet durch die diagnosti-
sche Frage: „Warum ist das so?“; und das aktionale Erkenntnisinteresse
fragt nach der Behandlungsmöglichkeit: „Was ist zu tun?“. Wir können
davon ausgehend auch sagen, dass es erstens darum geht, die aktuelle
Situation mit ihrer Vorgeschichte zu beschreiben, zweitens soll erklärt
werden, welche Ursachen die in der aktuellen Situation beobachtbaren
Wirkungen erzeugen, und drittens geht es um ein Bewerten von Hand-
lungsmöglichkeiten hinsichtlich der Lösung der Problemsituation.
146
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION
Übersicht 9
Was war und ist los? Warum ist das so? Was ist zu tun?
Übersicht 10
Was war und ist los? Warum ist das so? Was ist zu
tun?
147
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
I. KONTEXTUALISIERUNG
148
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION
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3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
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DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION
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3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
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DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION
teren kann es im Verlauf der Hilfe wichtig sein, mit den anderen Helfe-
rInnen Kontakt aufzunehmen, um Absprachen zu treffen, das weitere
Vorgehen gemeinsam zu koordinieren (zum Beispiel mittels einer Hil-
fekonferenz). Die beteiligten HelferInnen können ebenfalls visualisiert
werden, um die mögliche Komplexität des Hilfesystemkontextes zu be-
trachten. Wichtig ist also, dass die anderen Helfersysteme bekannt sind,
die jeweiligen Ziele kommuniziert werden könne, um gegenseitige Be-
hinderungen und Doppelbetreuungen zu vermeiden.
153
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
Übersicht 11
Ein wichtiger Aspekt bei der Problemdefinition ist die rechtliche Seite
Sozialer Arbeit. Unsere Sozialgesetze sind problem- und individuums-
zentriert, das heißt immer auf einen konkreten Einzelfall bezogen. Wir
müssen also individuelle oder familiäre Probleme in den Blick bringen,
definieren können, mithin Probleme Individuen oder Familien zurech-
nen, um bestimmte rechtlich zugesicherte Hilfen (zum Beispiel im Sin-
ne des KJHG oder des BSHG) einleiten zu können. Mit anderen Wor-
ten, um Hilfen ausgehend von rechtlichen Regelungen zu finanzieren,
müssen in der Regel Symptom- beziehungsweise Problemträger identi-
fiziert werden. Dies bringt mindestens zwei Probleme mit sich: zum ei-
nen das Problem, dass das Umfeld, die sozialsystemischen und struktu-
rellen Ebenen der Problembedingungen zunächst einmal unberücksich-
tigt bleiben und zum anderen das Problem, dass die Ressourcen, die
besonderen Fähigkeiten, das, was klappt, nicht ins Blickfeld gerät.
Gerade deshalb ist die systemische Sichtweise hier hilfreich, um das po-
tenziell Ausgeblendete einzublenden: die sozialsystemischen Bedingun-
gen der Probleme und die Ressourcen. Besonders die systemisch-lö-
sungsorientierte Sicht versucht, den Aspekt der Ressourcen so radikal
wie keine andere Beratungs- und Therapiemethode zu berücksichtigen.
154
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION
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3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
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DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION
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3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
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DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION
Übersicht 12
Familiärer Lebenszyklus
Phase Zu bewältigende Aufgaben
• Aufeinander einstellen
• Klären gegenseitiger Erwartungen
Paarbildung • Einüben von Verhaltensmustern
• Ausgleich von Wertvorstellungen
• Differenzierung zu den Herkunfts-familien
(Regeln finden, welche Herkunftsfamilie setzt
sich durch?)
• Erweiterung des 2-er Systems
• Paarbeziehung sollte neu geregelt werden
Geburt eines Kindes • Mutter-Kind-Symbiose sollte gelöst werden
• Einsetzen gruppendynamischer Prozesse
• Dreiecksbildung (kann stabilisierende und kon-
fliktmildernde Funktion für die Paar-beziehung
haben)
• Einsetzen sozialer Kontrolle durch öffentliche
Institutionen
Kind kommt in die Kita / • Kind lernt andere Beziehungen und Wert-vor-
Schule stellungen kennen (Loyalitätskonflikte)
• „Leistung“ wird thematisiert
• Autonomiebestreben des Kindes verstärkt sich
und ruft u.U. Verlustängste bei den Eltern hervor
• Entwicklung geschlechtlicher Identität
• Infragestellung elterlicher Autorität
Heranwachsen des Kindes • Hinwendung zu peer-groups
• Ablösung vom Elternhaus
• Eltern sollten Kind mehr Autonomie und Ver-
antwortung zugestehen
• Übergang zum 2-er System
• Eltern sollten sich wieder als Paar definieren
Auszug des Kindes • Bewältigung des Verlustes des Kindes
• Kind baut sich eine Paarbeziehung auf (Symp-
tome können auftreten, weil Autonomiebestrebun-
gen evtl. boykottiert werden; Kind phantasiert: es
würde etwas Schlimmes passieren, wenn ich raus
gehe)
159
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
160
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION
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3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
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DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION
163
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
dann erreicht, können Sie dann? Und was müssen Sie möglicherweise
auch lassen oder aufgeben? Was ist der Preis, den Sie zahlen müssen,
oder den Sie zu zahlen bereit sind, um Ihre Ziele erreichen?“
V. HANDLUNGSPLANUNG
164
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION
klar ist, dass diese Beziehung nach Erreichung der vereinbarten Ziele
beendet wird. Dieser professionelle Kern der helfenden Beziehung in
der Sozialen Arbeit ist von Anfang an den KlientInnen gegenüber zu be-
tonen, was auch heißt, dass der mögliche Ablösungsprozess bei der Be-
endigung gestaltet werden muss.
Vor dem Hintergrund ethischer, moralischer und professioneller Ver-
antwortung (vgl. dazu etwa DBSH 1997) sind der Kreativität von Inter-
ventionen keine Grenzen gesetzt. HelferInnen können auch ungewöhn-
lich wirkende Wege beschreiten (zum Beispiel Reframing, vgl. 10. Ka-
pitel; oder Provokationen, vgl. Kersting 1991) – vorausgesetzt die
helfende Beziehung ist tragfähig. Mit Watzlawicks Unterscheidung von
Beziehungs- und Inhaltsaspekten der Kommunikation (vgl. Watzlawick
u.a. 1969) können wir sagen, dass ungewöhnliche Wege dann beschrit-
ten werden können, wenn die Beziehungsebene aus beiden Perspekti-
ven (aus der Sicht der KlientInnen und aus der Sicht der HelferInnen)
durch Sympathie und hohe Wertschätzung gekennzeichnet ist. Wenn
dies der Fall ist, dann können auf der Inhaltsebene provozierende Inter-
ventionen gesetzt werden, die die KlientInnen in Richtung Problemlö-
sung aktivieren oder sie motivieren, neue Denk- und Handlungsmög-
lichkeiten auszuprobieren. Zum Beispiel kann ein Reframing auch ein-
gesetzt werden, um bisher problematisch bewertete Verhaltensweisen
positiv zu konnotieren. Wir gehen – ganz konstruktivistisch – davon
aus, dass alle Beschreibungen, zum Beispiel von Problemen, mindes-
tens zwei Seiten haben, wovon die eine zumeist ausgeblendet bleibt.
Dies haben wir bereits thematisiert bezüglich des so genannten „sekun-
dären Krankheitsgewinns“.
Außerdem müssen wir eine professionelle Verantwortungsbegrenzung
thematisieren, die darin besteht, dass wir zwar als HelferInnen auf der
Grundlage unserer Problembeschreibungen, Ressourcenanalysen und
kausalen Hypothesen für unsere Handlungen und Interventionen auch
verantwortlich sind und uns natürlich besonders für die Wirkungen, die
daraus resultieren, interessieren, aber nicht die Macht und den Einfluss
haben, diese Wirkungen zu prognostizieren und zu determinieren. Ni-
klas Luhmann und Karl Eberhard Schorr (1979) prägen dafür den Be-
griff „Technologiedefizit“. Ein solches Technologiedefizit ist allen Pro-
fessionen, die „people processing“, also Arbeit am und mit Menschen
betreiben, eigen. Demnach besteht während der Hilfe die Unsicherheit,
dass wir nicht wissen können, welche Wirkungen aus welchen Ursa-
165
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
166
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION
VI. EVALUATION
Im letzten Schritt wird nun das, was erreicht wurde, gemessen anhand
der vereinbarten Ziele. Dabei ist natürlich der Prozess zu berücksichti-
gen, der dazu führt, dass sich anfangs vereinbarte Ziele verändern. Den-
noch wird verglichen, ob tatsächlich die Ergebnisse erzielt wurden, die
die KlientInnen während der Hilfe erreichen wollten (Effektivität). Au-
167
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
ßerdem ist das Verhältnis von Aufwand (Zeit und Personal) und Nutzen
(Effizienz) zu beschreiben. Wie viel Geld wurde für die jeweilige Hilfe
ausgegeben und welcher Nutzen ging damit einher? Der Nutzen kann
freilich nur bestimmt werden durch Befragungen der Beteiligten, insbe-
sondere der KlientInnen. In der Regel – so banal es klingen mag – sollte
es allen Beteiligten, vor allem natürlich den KlientInnen nach Beendi-
gung der Hilfe besser gehen.
RHIZOMATISCHE NACHBEMERKUNG
168
DIE SECHS SCHRITTE HELFENDER KOMMUNIKATION
bereits dokumentieren, was erreicht wurde, wird man dies bewerten und
einschätzen. Der sozialarbeiterische Problemlösungsprozess ist so
komplex, weil er niemals linear ablaufen, niemals im Sinne einer indus-
triellen oder technischen Dienstleistung verstanden werden kann. Denn
er ist nicht nur ein Prozess, ein Werden, er bezieht sich auch auf Prozes-
se, in unserem Fall auf das Werden von psychischen und sozialen Sys-
temen, von einzelnen Personen und von Familien.
Übersicht 13
169
9. Mediation – Eine systemische
Methode Sozialer Arbeit20
AUSGANGSPUNKTE
170
MEDIATION – EINE SYSTEMISCHE METHODE SOZIALER ARBEIT
hen Mediatoren auf der Seite des Und beziehungsweise des Sowohl-Als-
Auch und befinden sich damit – beispielsweise mit Wassily Kandinsky,
auf den sich Ulrich Beck (1993, S. 9ff.) mit seinem Plädoyer für das
Und beruft – auf der Höhe der Zeit. Denn das 20. und mit Sicherheit
auch das gerade angebrochene 21. Jahrhundert sind – im Gegensatz
zum 19. Jahrhundert, in dem das Entweder-Oder regierte – vom Und
geprägt: „Dort [im 19, Jahrhundert; H.K.]: Trennung, Spezialisierung,
das Bemühen um Eindeutigkeit, Berechenbarkeit der Welt – hier [im 20
und 21. Jahrhundert; H.K.]: Nebeneinander, Vielheit, Ungewißheit, die
Frage nach dem Zusammenhang, das Experiment des Austausches, des
eingeschlossenen Dritten, Synthese, Ambivalenz“ (ebd., S. 9).
In einer sehr zugespitzten, die mediative Grundhaltung und deren kon-
struktiv ambivalente Auswirkung aber gerade deshalb sehr veranschau-
lichenden Form wird dieses Und beziehungsweise Sowohl-Als-Auch in
der Geschichte vom Rabbi (siehe oben) überaus deutlich. In den Worten
des systemischen Ansatzes Sozialer Arbeit könnten wir die Haltung des
Rabbi mit Allparteilichkeit bezeichnen. Allparteilichkeit (multidirectio-
nal partiality) ist ein Prinzip, das von dem Familientherapeuten Ivan
Boszormenyi-Nagy in den 1960er Jahren erarbeitet wurde und das in der
Familientherapie eine Haltung umschreibt, „die es dem Therapeuten er-
möglicht, sich empathisch in jedes Familienmitglied, seine Positionen
und insbesondere seine Notlage innerhalb der Familie einzufühlen, sei-
ne Verdienste zu erkennen und diesen entsprechend für ihn Partei zu er-
greifen“ (Simon/ Clement/Stierlin 1999, S. 29). Genau diese Haltung
stellt nun auch ein zentrales Prinzip jeder Mediation, ja die Grundhal-
tung von Mediatoren dar. Nur wenn Mediatoren eine allparteiliche Hal-
tung einnehmen, ist es möglich, dass die am Konflikt beteiligten Streit-
parteien das Ziel erreichen, das die Mediation ihnen verspricht, nämlich
dass sie am Ende des Mediationsprozesses eine gemeinsame und ein-
vernehmliche Lösung erarbeiten, die beiden Parteien als Gewinn er-
scheinen kann. Die Mediation wird also von einer grundsätzlich syste-
mischen Orientierung strukturiert: von der Allparteilichkeit der Medi-
atoren.
Dass nicht nur dieses Prinzip der Mediation der systemischen Orientie-
rung Sozialer Arbeit entspricht, sondern dass die Mediation – so zumin-
dest meine These – als eine (relativ) neue Methode der Sozialen Arbeit
als ein grundsätzlich systemisch ausgerichtetes Verfahren bewertet
werden kann, soll im Folgenden eingehender gezeigt werden.
171
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
Simone ist neun Jahre alt und lebt bei ihrer Mutter. Ihre Eltern, Frau und
Herr Müller, haben sich vor kurzem – nach einer längeren Krisensitua-
tion – getrennt. Herr Müller zog inzwischen aus der gemeinsamen Woh-
nung aus und lebt jetzt bei seiner neuen Partnerin. Frau Müller blieb mit
Simone in der Wohnung und möchte dort auch wohnen bleiben. Die El-
tern einigten sich darauf, dass Simone zweimal in der Woche von ihrem
Vater abgeholt wird und dass Vater und Tochter dann zwei bis drei
Stunden gemeinsame Zeit verbringen. Diese Kontakte liefen einige
Wochen lang problemlos – bis Simone psycho-somatische Auffällig-
keiten zeigte. Sie klagt seit einiger Zeit immer wieder über anhaltende
Kopf- und Bauchschmerzen. Frau Müller nimmt mit ihrer Tochter viele
Arzttermine wahr. Auch die schulische Situation von Simone hat sich
verschlechtert. Bestärkt durch die Kinderärztin glaubt die Mutter inzwi-
schen, dass die Symptome ihrer Tochter mit den Kontakten zum Vater
zu tun haben. Daher beendet sie diese Kontakte. Herr Müller ist mit dem
Kontaktabbruch nicht einverstanden und kann seine Frau nicht verste-
hen. Da seine Bemühungen, sich mit seiner Frau zu verständigen, kei-
nen Erfolg haben, droht er mit einem gerichtlichen Verfahren. Da dies
seine Frau auf jeden Fall verhindern will und sie kürzlich in einer Zeit-
schrift etwas über ein außergerichtliches Verfahren zur Konfliktver-
172
MEDIATION – EINE SYSTEMISCHE METHODE SOZIALER ARBEIT
mittlung, nämlich über Mediation, gelesen hat, fragt sie ihren Mann, ob
er sich auf eine solche Vermittlung einlassen würde. Ihr Mann willigt
ein und beide begeben sich auf die Suche nach einer Möglichkeit zur
Mediation.
Der Kinderladen Zauberzwerge existiert bereits knapp elf Jahre und ist
in einem großen überregionalen Träger eingebunden. Vier Erzieherin-
nen und ein Erzieher arbeiten dort – ohne hierarchische Struktur, son-
dern „basisdemokratisch“ organisiert – mit Kindern im Alter zwischen
ein bis sechs Jahren. Diese Arbeit, die in enger Kooperation mit den El-
tern stattfindet, lief bisher reibungslos. Dennoch wurde zwischenzeit-
lich bereits mehrmals Team-Supervision in Anspruch genommen, be-
sonders um die eigenen Ressourcen im Team und spezielle Arbeitsspe-
zialisierungen gemeinsam zu organisieren. Seit einiger Zeit klagen
einige Mitarbeiterinnen allerdings über Schwierigkeiten mit einer Kol-
legin, die häufig zu spät zur Arbeit erscheint. Da immer zwei Erzieher
zusammen arbeiten, fällt dieses morgendliche Fehlen besonders ins Ge-
wicht. Die Aufgaben am Morgen, zum Beispiel die Kontakte mit den
Eltern, die die Kinder zum Kinderladen bringen, die Ankommensspiele
mit den Kindern, die Planung des Tages sind von einem Erzieher allein
kaum zu schaffen, so dass das Fehlen der häufig ein bis zwei Stunden
zu spät kommenden Erzieherin ausgesprochen stark spürbar ist. Im Er-
zieherteam herrscht daher bereits große Unzufriedenheit. Es bildeten
sich schon zwei Parteien heraus. Die einen zeigen Verständnis für das
Zuspätkommen, da die Kollegin Konflikte in ihrer eigenen Familie
habe und häufig verzweifelt und traurig wirke, die anderen äußern klar,
dass diese Konflikte nicht ihre Arbeit im Kinderladen beeinträchtigen
dürften. In einem sind sich die Erzieherinnen allerdings einig, sie wol-
len mit ihrem Supervisor sprechen, ob er bereit ist, mit ihnen an diesem
Problem zu arbeiten. Nach einem Telefonat sagt dieser allerdings, dass
er keine Supervision, sondern Mediation vorschlage.
173
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
Alle drei dargestellten Fälle sind Fälle, in denen eine Mediation, eine
Konflikt-Vermittlung, greifen konnte. Denn in allen Fällen geht es um
Konflikte zwischen mindestens zwei Parteien, die bereits unterschiedli-
che soziale, psychische, psycho-soziale und /oder psycho-somatische
Auswirkungen auf die beteiligten Personen haben. Die Fälle unterschei-
det allerdings das konkrete Konfliktfeld; im ersten Fall geht es um einen
Konflikt infolge einer Trennung /Scheidung, genauer gesagt um einen
Konflikt bezüglich der Umgangsregelung; im zweiten Fall handelt es
sich um einen Teamkonflikt; im dritten Fall geraten Nachbarn in Streit
miteinander. Mit diesen drei Bereichen sind die Felder der Mediation al-
lerdings noch keineswegs erschöpfend aufgelistet. Auch bei interkultu-
rellen Konflikten, im außergerichtlichen Täter/ Opfer-Ausgleich, bei
Streit innerhalb von Familien, zum Beispiel zwischen Eltern und Kin-
dern, im Schulbereich, das heißt bei Konflikten zwischen Schülern oder
174
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3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
und ihren Fernseher lediglich so einstelle, dass sie etwas von dem hört,
was dort gesagt wird.
Nun könnte man annehmen, dass diese Phase der Mediation nicht son-
derlich wichtig erscheint, weil die Streitparteien ohnehin jeweils etwas
anhören, was sie aufgrund der bereits eskalierten Auseinandersetzun-
gen bereits kennen: nämlich die unterschiedlichen Positionen im Konf-
likt. Dies wäre allerdings ein Fehlschluss. Denn das Neue an der jetzi-
gen Situation ist der andere Kontext, in dem die Positionen jetzt ange-
hört werden: Möglicherweise sitzen die Beteiligten zum ersten Mal mit
einem Dritten zusammen, der ein Gespräch über den Streit, ja der den
Streit selbst moderiert, der weiterhin bestimmte Regeln eingeführt hat
(zum Beispiel „Ausreden lassen““, „Keine Beschimpfungen!“, „Keine
Gewalt!“ „90 Minuten Gesprächszeit für eine Mediationssitzung!“) und
der schließlich sogar das mit verständlichen, allparteilichen, positiv und
empathisch orientierten Worten zusammenfasst und paraphrasiert, was
gesagt wird. Dies schafft eine völlig neue Situation, in der die Beteilig-
ten Distanz zum Streitthema gewinnen, in der sie ihre Äußerungen, ihre
Selbstwahrnehmungen spiegeln, ja brechen lassen können, und zwar an
der Gestalt des Mediators. Schon dies allein erhöht die Wahrscheinlich-
keit, dass der Streit konstruktiver angegangen wird, dass sich die Partei-
en einander eher als vorher zuhören.
Systemisch formuliert führt die Mediation zu einem Kontextwechsel
des Streits. Ein Kontext ist ein von einer Umwelt anderer Kontexte un-
terschiedener Raum, in dem bestimmte Regeln des Kommunizierens
gelten, bestimmte Handlungen mit bestimmten Bedeutungen und Be-
wertungen verbunden werden (vgl. Simon/ Clement/Stierlin 1999, S.
183ff.). Mediation ist daher ein Kontext, in dem die Regeln der Kom-
munikation, zum Beispiel die Darstellung der Positionen und Sichtwei-
sen des Streits vom Mediator so strukturiert werden, dass Streitparteien
wieder ins Gespräch kommen, sich wieder zuhören. Dies wird in der
nächsten, ja vielleicht sogar wichtigsten Stufe noch deutlicher.
3. Stufe: Vertiefung beziehungsweise von den Positionen zu den Inter-
essen, Gefühlen und Konflikt aufrecht erhaltenden Mustern: In der drit-
ten Stufe wird versucht, das bei der Kommunikation der sachlichen Po-
sitionen und Sichtweisen Ausgeblendete einzublenden: die hinter den
Positionen versteckten und verborgenen Interessen (a), die mit den
Konflikten einhergehenden, häufig „tief“ sitzenden Emotionen (b) und
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MEDIATION – EINE SYSTEMISCHE METHODE SOZIALER ARBEIT
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Übersicht 14
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190
MEDIATION – EINE SYSTEMISCHE METHODE SOZIALER ARBEIT
191
10. Reframing in der systemischen
Beratung und Supervision
Ein Beispiel für praktizierten (De-)Konstruktivismus
mit Britta Haye
AUSGANGSPUNKTE
192
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION
nen über ihre Probleme mitteilen, auch anders sein könnten. Und das ist
fast immer der Fall.
Reframing ist nun genau jene Methode, die das (Aus-)Denken und
Kommunizieren von anderen Wirklichkeitskonstruktionen bezüglich
der als problematisch erfahrenen alten Beobachtungen möglich macht.
Die Möglichkeit, Beobachtungen, Beschreibungen usw. umzukonstru-
ieren, besteht deshalb, weil alle Beobachtungen oder Beschreibungen,
indem sie bestimmte Sichtweisen eingrenzen beziehungsweise einblen-
den, andere ausgrenzen beziehungsweise ausblenden.23 Indem Refra-
ming andere Sichtweisen zu Tage fördert, blendet es Ausgeblendetes
ein. Diesbezüglich lässt sich Umdeuten auch als eine Form der Dekon-
struktion verstehen (vgl. auch de Shazer 1988, S. 117ff.). Denn es bietet
eine „‚Lektüre‘ der Welt, die das Ausgegrenzte wieder ans Licht bringt“
(Engelmann 1990, S. 31), wofür der Begründer dekonstruktionistischen
Denkens, Jacques Derrida, plädiert (vgl. ebd.).24
Im Folgenden wollen wir versuchen darzustellen, wie in der Beratung
und Supervision umgedeutet, das heißt dekonstruiert und wieder neu
konstruiert werden kann. Dazu werden wir zunächst ausführen, wie wir
systemisch-konstruktivistische Beratung und Supervision konzeptuali-
sieren, nämlich als Beobachten des Beobachtens. Beim Beobachten des
Beobachtens können KlientInnen und SupervisandInnen ihre Wirklich-
keitskonstruktionen umdeuten, indem sie nämlich die Komplexität, Re-
lativität und Kontingenz ihrer beobachteten Welt erfahren. Dadurch
wird es ihnen möglich, ihre Beobachtungen in andere Kontexte einzu-
193
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
Ein schlechtes Gedächtnis muss nicht unbedingt negativ sein, ihm kann
durchaus ein (positiver) Sinn zugeschrieben werden; es kommt ganz
darauf an, in welchem Kontext es beobachtet wird. Dies führt uns wie-
derum zu der (konstruktivistischen) These, dass sich die beobachtete
Welt immer auch anders beobachten lässt. Die Relevanz dieses Satzes
erscheint besonders dort bedeutend, wo andere Sichtweisen zu Tage ge-
fördert werden sollen, wo Menschen, die ihren Alltag als problematisch
bewerten, AnsichtenmaklerInnen (vgl. Kersting 1992, S. 20) begegnen:
in der Supervision und Beratung. Aber, wie ist es möglich, dass Beob-
achtungen kontingent sind, dass sie auch anders getroffen (gesetzt) wer-
den können? Um diese Frage beantworten zu können, deren Klärung
auch Voraussetzung für das Verstehen unseres Reframing-Konzeptes
ist, werden wir zunächst darstellen, was konstruktivistische Beratung
und Supervision für uns bedeutet, wenn wir sie als Beobachten des Be-
obachtens bezeichnen.
Nach dem system- beziehungsweise differenztheoretischen Konstrukti-
vismus entsteht Wirklichkeit durch einen Konstruktionsakt von Beob-
achtern. Als Beobachter gelten nicht ausschließlich mit Bewusstsein be-
gabte menschliche Subjekte, sondern alle (biologischen, psychischen
oder sozialen) Systeme, die sich in Differenz zu einer Umwelt setzen
können, um weitere Unterscheidungen zu treffen (vgl. etwa Luhmann
194
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION
195
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
bezüglich muss sich dasselbe (psychische oder soziale) System von sich
selbst unterscheiden,27 was paradox ist, wenn von der Zeit abstrahiert
wird – wie gesagt, wenn eigenes Beobachten beobachtet wird, dann ist
dieses beobachtete Beobachten immer schon vergangenes Beobachten.
Wenn dasselbe System sich im Prozess der Reflexion von sich selbst
unterscheidet, dann beobachtet es sich selbst mittels der Unterschei-
dung, mit der es sich von seiner Umgebung unterscheidet: der System /
Umwelt-Differenz. In dieser Hinsicht kommt es zu einem Wiederein-
tritt (re-entry) der Unterscheidung in das durch sie Unterschiedene. Nur
so kann ein System selbst beobachten, dass es sich von seiner Umwelt
unterscheidet; diesbezüglich wird es ihm möglich, sich als erlebend
oder handelnd zu beobachten, je nachdem ob es seine Zustandsverände-
rungen sich selbst (Selbstreferenz) oder seiner Umwelt (Fremdreferenz)
zurechnet.
Zusammenfassend können wir sagen, mit jeder Operation des Beobach-
tens entsteht eine Form mit zwei Seiten, von der die eine und nicht die
andere Seite bezeichnet wird, die weitere Unterscheidungen und Be-
zeichnungen herausfordert. Derartiges Unterscheiden und Bezeichnen
produziert eine Vielfalt von weiteren Differenzierungsmöglichkeiten,
die Selektionszwang oder Ent- beziehungsweise Unterscheidungs-
zwang herausfordern. An diesem Punkt kommt die Komplexität ins
Spiel, die das Ausgangsproblem jeder Beobachtung zu sein scheint (sie-
he ausführlich dazu 1. Kapitel). Denn es gibt immer mehr Unterschei-
dungsmöglichkeiten als jene, die im Moment aufgegriffen werden kön-
nen, so dass Beobachter, die das Beobachten beobachten, sagen können:
Es hätte auch anders unterschieden und bezeichnet werden können.
Diesbezüglich erscheinen die Inhalte der Beobachtungen als relativ zu
den Beobachtern und damit als kontingent.
Unterschiedliche Beobachter beobachten gerade das, was sie beobach-
ten, weil es für sie Sinn macht. Denn beobachten lässt sich in Anleh-
nung an Bateson (1972; 1979)) immer nur ein solcher Unterschied, der
im Netzwerk der (vergangenen) Beobachtungen einen (bedeutsamen
27 Sobald sich ein Beobachter selbst beobachten will, muss er also zugleich
derselbe und nicht derselbe sein, ansonsten würde er sich nicht von sich selbst
unterscheiden können, um sich zu beobachten. Allerdings dürfte er dies nicht,
wenn er das Paradoxieverbot der Theorie der Logischen Typen von Alfred North
Whitehead und Bertrand Russel (1925) ernst nehmen würde.
196
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION
28 Wir bieten hier also eine andere Erklärungsweise des Umdeutens an als etwa
Paul Watzlawick u.a. (1974), die auf die Logische Typentheorie von Whitethead
und Russel rekurrieren. Aus einem differenztheoretischen Ansatzpunkt
erscheint es uns problematisch, mit der Typentheorie eine Hierarchie (von Klas-
sen und Elementen) zu konstatieren, wo unserer Ansicht nach keine besteht.
Denn das Setzen von Unterscheidungen als Bedingung der Möglichkeit von
Wirklichkeitskonstruktion ist immer selbstreferentiell. Anders gesagt, Unter-
scheidungen können (wie im Falle des Reframing) zwar gewechselt werden, sie
beziehen sich (tautologisch oder paradox) aber immer auf ihr eigenes (autopoi-
etisches) Netzwerk; sie können also niemals hierarchisch über (oder unter)
andere Unterscheidungen gesetzt werden; denn das würde die Grenzen des Beo-
bachters sprengen, die Differenz von System und Umwelt auflösen. Dennoch
gehen wir mit Watzlawick auch davon aus, dass Umdeutungen als ‚Lösungen
zweiter Ordnung’ den Sprung zu einer Metawirklichkeit, besser: zu einer ande-
ren Wirklichkeit, initiieren können, so dass „Veränderungen selbst dann mög-
lich sind, wenn die konkreten Gegebenheiten einer Sachlage unverändert blei-
ben“ (ebd., S. 121), da bekanntlich die Beschreibung nicht das Beschriebene, die
Landkarte nicht das Gebiet, die Speisekarte nicht die Speise oder die Logik nicht
das Leben ist (vgl. dazu auch Simon 1995a; Kleve 1999c).
197
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
ren psychischen Systemen ab, sondern genauso von dem sozialen Sys-
tem Beratung oder Supervision, in dem die Umdeutungen als Informa-
tionen mitgeteilt werden. Da uns dieser Aspekt für ein systemisches
Verständnis von Beratung und Supervision wichtig erscheint und das
Beobachten des Beobachtens in sozialer Hinsicht sogar erst ausmacht,
wollen wir an dieser Stelle einen kleinen Exkurs in die soziologische
Systemtheorie machen. Nebenbei gesagt, die folgenden Zeilen können
auch als ein (systemtheoretischer) Umdeutungsversuch verstanden wer-
den, denn das Individuum wird dekonstruiert und an seine Stelle treten
psychische und soziale System /Umwelt-Differenzen.29
29 Vgl. dazu beispielsweise Peter Fuchs (1995), der in seiner Umschrift die
Phänomene japanische Kommunikation und Autismus nicht wie dies üblicher-
weise der Fall ist psychisch deutet, sondern kommunikationstheoretisch a’ la
Niklas Luhmann.
30 Vgl. Helmut Willke (1993, S. 59ff.), der mit „innerer Umwelt“ beziehungs-
weise „Innenwelt“ die Relationen eines sozialen Systems mit seinen Mitglie-
dern umschreibt, während er als „Außenwelt“ („äußere Umwelt“) die externen
Relationen des Systems (zum Beispiel mit anderen Systemen) versteht.
198
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION
199
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
wortete: „Das habe ich gestern auch gemacht, aber heute gehen wir ins
Kino.“
Und weil derartige Geschichten Verstehensprobleme am besten illust-
rieren, noch eine zweite, die wir dem Ha-Handbuch der Psychotherapie
von Bernhard Trenkle (1994, S. 51f.) entnahmen: Zwei Freunde treffen
sich zufällig nach langer Zeit auf der Straße. Sie kommen miteinander
ins Gespräch und erzählen sich, was die letzten Jahre in ihrem Leben al-
les geschah, und dabei entwickelt sich folgender Dialog:
„Freund 1: ‚Ja und vor zehn Monaten habe ich geheiratet, aber leider
starb meine Frau vor vier Wochen.‘
Freund 2: ‚Welche Tragödie! Was hat sie denn gehabt?‘
Freund 1: ‚Ein kleines Einzelhandelsgeschäft und ein paar Tausend
Mark Festgeldanlagen.‘
Freund 2: ‚Nein, das meine ich nicht. Was hat ihr denn gefehlt?‘
Freund 1: ‚Na, gut. Ein Bauplatz und das Geld, das Geschäft vernünftig
auszubauen.‘
Freund 2: ‚Das meine ich doch nicht. An was ist sie denn gestorben?‘
Freund 1: ‚Ach so. Sie wollte in den Keller, um fürs Mittagessen Kar-
toffeln und Sauerkraut hoch zu holen. Dabei ist sie auf der Treppe ge-
stürzt und hat sich das Genick gebrochen.‘
Freund 2: ‚Um Himmels willen! Was habt Ihr denn da gemacht?‘
Freund 1: ‚Nudeln.‘“
Die „Moral“ aus den Geschichten: Soziales und psychisches Verstehen
unterscheiden sich voneinander.33 Sozial wird immer etwas anderes se-
lektiert, das heißt beobachtet, das heißt unterschieden und bezeichnet
als psychisch, ansonsten würde es keinen Unterschied zwischen Be-
wusstsein und Kommunikation geben – differenzierter formuliert: Die
sozialen Unterscheidungen, sprich: die Mitteilungen von Informatio-
nen, unterscheiden sich von den psychischen Unterscheidungen, sprich
von den Gedanken, die während einer Kommunikation im Bewusstsein
der beteiligten Personen assoziiert (beziehungsweise selektiert) werden
(vgl. auch Fuchs 1995, S. 41f.). In einer nochmals anderen Formulie-
rung: Ausgesprochene Worte können niemals das sein, was psychisch
gedacht oder körperlich gefühlt wurde. Körper, Psyche und Kommuni-
200
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION
I.3 Schlussfolgerungen
201
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
ler klingelt an einem Haus, und eine alte Frau schaut daraufhin oben
zum Fenster hinaus. ‚Gute alte Frau‘, jammert der Bettler nach oben,
‚drei Tage habe ich schon nichts mehr gegessen.‘ Die Oma antwortet
ihm: ‚Musst Dich halt zwingen‘“.
II. 1 Kontingenzerfahrung
Die alte Frau hat die Situation des Bettlers umgedeutet. Sie hat eine aus-
geblendete Bedeutung eingeblendet und damit einen neuen Kontext für
nachfolgende Unterscheidungen generiert. Der Bettler erscheint nicht
mehr als armer Mann, der deshalb nichts isst, weil er nichts zum Essen
hat, sondern eher als Kranker, der gar nichts essen kann. Möglicherwei-
se wird der Mann, der diese Umdeutung von der alten Frau hört, erst
einmal sprachlos reagieren, da er zunächst keine Unterscheidungen
mehr setzen kann; er sieht sich plötzlich in einen völlig anderen Kontext
gestellt als erwartet. Für einen Bruchteil einer Sekunde (oder auch län-
ger!) wird für ihn die Welt anhalten.34 Er stößt möglicherweise auf die
Leere der Unterscheidungslosigkeit, auf den „unmarked state“ (Spen-
cer-Brown), um schon im nächsten Moment mit der Fülle der mögli-
chen Formen konfrontiert zu werden (vgl. Baecker 1993b, S. 151), die
das Setzen von neuen Unterscheidungen herausfordert. Welche Verhal-
tensweisen auch immer mit diesen Unterscheidungen einhergehen, sie
reagieren auf einen völlig anderen Kontext als er beim Betteln zunächst
erwartet hatte.35
Ähnlich wirken unserer Ansicht nach alle erfolgreichen Umdeutungen:
Sie ermöglichen Kontingenzerfahrung, wo Nicht-Kontingenz erwartet
wurde. Dadurch enttäuschen sie jene „generalisierte[n] Verhaltenser-
wartungen“ (Luhmann 1984, S. 139), durch die sich doppelt kontingente
soziale Situationen erst strukturieren. Doppelte Kontingenz heißt nichts
anderes, als dass interagierende Personen mit einer doppelten Unsicher-
heit umgehen müssen: zum einen mit Handlungsunsicherheit (bezüglich
34 Vgl. Carlos Castaneda (1972, S. 12), der von dem Schamanen Don Juan
lernte, dass „‚die Welt anhalten‘ [...] tatsächlich eine zutreffende Beschreibung
für bestimmte Bewußtseinszustände [war], in denen die Realität des alltäglichen
Lebens verändert ist, weil der Strom der Interpretationen, der für gewöhnlich
ununterbrochen fließt, durch eine Reihe ihm fremder Umstände unterbrochen
ist“.
202
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION
35 Möglicherweise wird der Bettler durch die Umdeutung der alten Frau auch
provoziert. Und genau so einen provozierenden Effekt haben wirksame Umdeu-
tungen in der Beratung und Supervision ebenfalls nicht selten. Wie Heinz Ker-
sting (1991, S. 123ff.) meint, stören provozierende Unterscheidungen und
Bezeichnungen alte, eingefahrene und problematische Sichtweisen besonders
gut. Provozierende Deutungen, die etwa mit Übertreibung, Spott, Entstellung,
Sarkasmus, Witz, Nachahmung des Verhaltens etc. mitgeteilt werden, „locken“
die supervisorisch Ratsuchenden gewissermaßen „aus der Reserve“ (ebd., S.
123). Sie sind allerdings nur angebracht, wenn die Beziehung zwischenBerate-
rIn/ SupervisorIn und Ratsuchenden als stabil erlebt wird und mit gegenseitiger
Akzeptanz und Achtung einhergeht. Aber gerade wenn in einer solchen Bezie-
hung mit einer (Um-)Deutung provoziert wird, entsteht sozusagen ein supervi-
sorischer double-bind (vgl. Kleve 1996, S. 125), der kreatives Verhalten heraus-
fordert: Die betreffenden KlientInnen werden einerseits – möglicherweise bis
zur Wut – provoziert, während sie andererseits mit Empathie und liebevoller
Zuwendung bedacht werden. Dabei kann etwas ganz Entscheidendes gesche-
hen: Im Wehren gegen die Provokation kann der Ratsuchende seine Abwehr-
kräfte aktivieren und eine eigene (neue) Sichtweise konstruieren.
36 Diesbezüglich kann Verhalten für Beobachter auch als ‚verrückt’ erschei-
nen, weil sie den persönlichen (Interpretations-)Kontext der sich verhaltenden
Person nicht teilen; es könnte aber genauso gut als ‚böse’ aufgefasst werden,
wenn andere Personen meinen, es richte sich gegen sie; dazu Fritz B. Simon
(1995a, S. 66f.): „’Mad or bad?’ – ‚Verrückt oder böse?’, das ist die Frage, die
sich stellt, wenn jemand den Rahmen der gewohnten Spielregeln verläßt und
ihre Gebote und Verbote mißachtet“.
203
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
II.2 Komplexitätserfahrung
204
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION
II.3 Relativitätserfahrung
Dass die Wirklichkeit als relativ beschrieben werden kann, heißt nichts
anderes, als dass sie sich in Abhängigkeit von (unterschiedlichen) Kon-
texten anders zeigt. Ein Kontext, so hatten wir gesagt, wird mit jedem
Setzen von Unterscheidungen generiert. Denn das Setzen von Unter-
scheidungen entscheidet darüber, welche Anschlussunterscheidungen
möglich sind. Diesbezüglich erlauben erst Kontexte, dass Wirklichkeit
als stabil erfahrbar ist; denn sie sind immer schon reduzierte Komplexi-
205
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
206
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION
ierter) anderer Rahmen dazu, die aus dem Blickfeld ausgegrenzten ei-
genen Verhaltensmöglichkeiten zu beobachten, die Schlüssel für die
Problemlösung sein können. So ist das plötzliche Feststellen von Pro-
blem-Ausnahmen gleichbedeutend mit einer Umdeutung, da nun mög-
licherweise dasselbe Problem völlig anders, das heißt in einem neuen
Rahmen gesehen werden kann – beispielsweise schon dadurch, dass
problemlösendes Verhalten in Ausnahme-Zeiten oder -Situationen
selbst bereits praktiziert wurde. Auch de Shazer bezeichnet sein Kon-
zept, mit dem er versucht, Zweifel bei den KlientInnen hinsichtlich ih-
rer globalen Rahmen zu wecken, ausdrücklich als Dekonstruktion.
Bevor wir am Ende dieses Beitrages auf den dekonstruktionistischen
Aspekt des Reframing zurückkommen, wollen wir im Folgenden aus-
führen, wie das Umdeuten praktiziert werden kann.
207
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
(vgl. Krapohl 1992, S. 156f.) – bei der ersten, Inhalts- oder Bedeutungs-
reframing, bleibt der situative Kontext, auf den sich eine Aussage be-
zieht, erhalten, während ihr Inhalt mittels anderer Unterscheidungen be-
zeichnet wird; bei der zweiten, Kontextreframing,38 wird das beschrie-
bene Verhalten in einen anderen zeitlichen, sozialen und örtlichen
Kontext gestellt.
Um erfolgreich umdeuten zu können, ist es wichtig, sich auf die psychi-
schen Werteskalen der KlientInnen zu beziehen. Denn im Vorfeld jeder
Umdeutung geht es darum, eine Idee darüber zu entwickeln, in wel-
chem Rahmen ein Ereignis für die betreffende Person annehmbar sein
könnte. Die Umdeutung, speziell eine Kontextumdeutung soll also der
sozialen Wirklichkeit und dem psychischen Wertesystem der KlientIn-
nen entsprechen; bei einer Bedeutungsumdeutung sollte das Reframing
in etwa zu der sozialen Lebenssituation des Klienten beziehungsweise
der Klientin passen. Die richtige Umdeutung kann es nicht geben, da die
psychischen und sozialen Wirklichkeiten jeweils nicht direkt von außen
beobachtet, sondern lediglich erschlossen werden können. Es lassen
sich demzufolge nur solche Umdeutungen denken, die mehr oder weni-
ger auf eine bestimmte Person in einer bestimmten Situation bezie-
hungsweise in einem spezifischen sachlichen, sozialen und zeitlichen
Kontext passen und davon abhängig mehr oder weniger überzeugend
vorgetragen werden können.
Hierzu zwei Beispiele aus der Supervision:39
1. Beispiel: Eine Teamsupervision mit SozialarbeiterInnen aus dem Ju-
gendamt findet montags statt. Eine Teilnehmerin fliegt am Freitag für
sieben Wochen mit ihrem 11-jährigen Sohn nach Australien, einer lang
ersehnten Reise. In der Sitzung vor dem Abflug klagt die Teilnehmerin
über starke Arbeitsüberlastung. Ihre Stimme wirkt weinerlich, als sie
von vielen offenen Anfragen berichtet, von zu erledigenden Hausbesu-
38 Die Benutzung des Begriffs ‚Kontextreframing’ können wir nur mit Vorbe-
halt empfehlen, denn, wie wir versucht haben zu zeigen, ändern sich bei allen
Umdeutungen die Kontexte – um es noch einmal zu betonen: jede Umdeutung
ist nichts anderes als ein sprunghafter Ausbruch aus den tradierten Gewohnhei-
ten des Unterscheidens und Bezeichnens, der immer mit einem Kontextwechsel
im Hinblick auf Bewusstsein oder Kommunikation einhergeht.
39 Die folgenden beiden Beispiele stammen aus der Supervisionspraxis von
Britta Haye.
208
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION
209
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
Praxis wird sich dann herausstellen, wie passend das alternative Han-
deln ist, das mit der Umdeutung einhergeht, das heißt ob es brauchbarer
ist, um die Ziele der HelferInnen und KlientInnen zu erreichen, als das
problematisch bewertete Handeln.
Darüber hinaus erscheint uns die systemische Beratung oder Supervision
als ein Ort, an dem immer wieder erneut gelernt werden kann, wie Kli-
entensysteme systemtheoretisch betrachtet werden können. Auch das
setzt unseres Erachtens Umdeutungen voraus. Denn wir sind zu sehr in
unseren alteuropäischen Sichtweisen verstrickt, als dass wir von heute
auf morgen ein Denken praktizieren könnten, das etwa Linearität durch
Zirkularität ersetzt oder Menschen nicht als Teile von sozialen Systemen
betrachtet. Gerade der letzte Aspekt schafft einen Kontext, der völlig an-
dersartige Anschlussunterscheidungen erlaubt als jene Sichtweisen, die
soziale Probleme personenzentriert erklären. Diesbezüglich wollen wir
noch etwas bei diesem uns wesentlich erscheinenden Punkt verweilen,
welcher aus der Umdeutung beziehungsweise Umschrift (vgl. Fuchs
1995) folgt, dass die Probleme von KlientInnen nicht (mehr) hauptsäch-
40 Heinz Kersting (1992, S. 142f.; 1996, S. 19f.) erzählt hierzu gern die fol-
gende alte chinesische Geschichte Vielleicht sagte der Bauer, die deutlich
macht, wie man sich (nicht nur) als BeraterIn und SupervisorIn vor mancherlei
Enttäuschungen schützen kann und seinem Möglichkeitssinn treu bleibt: In
einem schrecklich armen Dorf in China lebte, als der himmlische Kaiser noch
reagierte, ein Bauer. Die Leute im Dorf hielten ihn für reich, denn er besaß ein
Pferd. Mit diesem Pferd pflügte er sein Feld und transportierte schwere Lasten.
Eines Tages jedoch lief sein Pferd auf und davon. Alle Nachbarn des Bauern
kamen zusammen, gestikulierten, jammerten und klagten: „Wie groß ist Dein
Verlust!“ Doch der Bauer meinte nur: „Vielleicht“. Wenige Tage darauf kam
das Pferd zurück, in seinem Gefolge trabten zwei Wildpferde. Wieder liefen alle
Nachbarn zusammen, sie freuten sich und priesen den Bauern glücklich, aber
der Bauer sagte nur: „Vielleicht“. Am Tag darauf versuchte des Bauern Sohn
eines der Wildpferde zuzureiten. Doch das Pferd warf ihn im hohen Bogen ab
und er brach sich ein Bein. Wieder liefen alle Nachbarn zusammen, jammerten,
wehklagten und bedauerten sein Missgeschick, aber der Bauer sagte nur: „Viel-
leicht“. Eine Woche später kamen die Offiziere des himmlischen Kaisers ins
Dorf, um die jungen Männer für den Krieg gegen die Feinde im Norden auszu-
heben. Des Bauern Sohn nahmen sie nicht mit, weil sein Bein gebrochen war.
Alle Nachbarn sagten dem Bauern, welches Glück er gehabt habe, doch er ant-
wortete nur: „Vielleicht“ ...
210
REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION
lich mittels dem Rekurrieren auf ihre Psyche, sondern auf soziale Kom-
munikation erklärt werden.
Zunächst ermöglicht eine derartige Umdeutung, in radikalerer Weise
fortzuführen, was die Mütter und Väter der systemischen Beratung
(zum Beispiel Gregory Bateson, Mara Selvini-Palazzoli, Paul Watzla-
wick, Lynn Hoffman u.v.a.) begonnen haben, nämlich zu zeigen, dass
symptomatisches Verhalten innerhalb von Familien oder größeren sozi-
alen Systemen mit den kommunikativen Regeln innerhalb dieser Syste-
me mehr zu tun hat als mit den psychischen Zuständen der beteiligten
Personen. In den Worten von Watzlawick (1988, S. 18): „Das Wesen ei-
ner Beziehung erweist sich als komplexes Phänomen sui generis, das
seine eigene Gesetzmäßigkeit und seine eigenen Pathologien hat und
dessen Eigenschaften sich weder auf den einen noch den anderen Part-
ner zurückführen lassen.“
Bei der Problemlösung sollte es also darum gehen, die kommunikativen
Regeln oder Gesetzmäßigkeiten zu stören, welche jene Zustände inner-
halb sozialer Systeme aufrechterhalten, die als „Pathologien“ bewertet
werden und unter denen die beteiligten Personen leiden (vgl. dazu auch
Willke 1994). Bei dem Fokus auf Kommunikation werden außerdem
Fragen nach persönlicher Schuldzurechnung unbedeutend, die ansons-
ten immer wieder problemverstärkendes Thema werden könnten. Denn
es erscheint bei interaktionellen (zwischenmenschlichen) Problemen
zunächst am einfachsten, kausal zu attribuieren (zuzurechnen) und da-
mit Personen direkt oder indirekt anzuklagen. „Obwohl alles Unheil in
der sich selbst reproduzierenden, Abweichungen verstärkenden, Kon-
flikte durch Interpretation fixierenden Kommunikation liegt, wird da-
von ausgegangen, daß die Schuld in den Personen (in der jeweils ande-
ren) liegt“, wie Luhmann (1992, S. 130) formuliert.
Indem der systemtheoretische Kontext von Unterscheidungen die Ge-
nese von individuell attribuierten Symptomatiken nicht den psychi-
schen Systemen von Personen zurechnet, sondern dem durch die zwi-
schenmenschliche Interaktion entstehenden sozialen Kommunikations-
systemen, externalisiert es Probleme. Gleichzeitig können durch die
vollständige (operationale) Trennung von Psyche und Kommunikation
die Ressourcen zur Problemlösung internalisiert werden. Da Menschen
als Umwelt von Kommunikation komplexer sind als jene sozialen Sys-
teme, die sie durch ihre Interaktionen hervorbringen, und sich außerdem
jeder sozialen Determination sträuben, können sie immer auch anders
211
3. TEIL: SYSTEMTHEORETISCH- KONSTRUKTIVISTISCH UND POSTMODERN
Wir hoffen, dass mit dem Lesen dieses Beitrags deutlich geworden ist,
dass das Umdeuten nicht eigentlich eine besondere Methode ist, son-
dern das brauchbare „Basiskonstrukt schlechthin für jede psychosoziale
Veränderung“ (Kersting 1992, S. 116; vgl. Simon/ Stierlin 1984, S.
370), aber auch für Witze, Märchen und Fabeln (vgl. zum Beispiel
Bandler /Grinder 1982, S. 14f.) oder für andere Erzählungen, sprich:
„Texte“, die wir selber täglich in unserem Sprechen oder Schreiben an-
fertigen.
Nichts, aber auch gar nichts, kann sicher vor Umdeutungen sein, schon
gar nicht das, was schon passiert ist: die Vergangenheit. Je nachdem wie
die Komplexität der Erfahrungen im Moment reduziert wird, können
andere Unterscheidungen den Kontext für das Ordnen des Vergangenen
bilden, kann eine andere Geschichte, können andere Geschichten er-
zählt werden. Diesbezüglich erscheint die Vergangenheit, wie Milan
Kundera (1973, S. 120) metaphorisch schreibt, wie ein Kleid, das „aus
schillerndem Taft geschneidert [ist], und jedesmal, wenn wir uns nach
ihr [der Vergangenheit; d.A.] umdrehen, sehen wir sie in einer anderen
Farbe“. Reframing weist also darauf hin, dass Zeit die Aktualisierung
des Inaktuellen ist; denn Vergangenheit und Zukunft sind immer nur in
der Gegenwart beobachtbar. Wie das Inaktuelle (zum Beispiel die Ver-
gangenheit) aktualisiert wird, ist wie alles andere, was beobachtet wird,
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REFRAMING IN DER SYSTEMISCHEN BERATUNG UND SUPERVISION
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Nachweise
Für die Kapitel dieses Buch habe ich Aufsätze zusammengestellt und
zum Teil überarbeitet, die an unterschiedlichen Orten bereits veröffent-
licht wurden:
Haben Sie diese Nachweise im Text platziert, wo? 1.-10.
6. Dieses Kapitel ist entstanden aus den Texten: Sozialarbeit als post-
moderne Profession, in: Soziale Arbeit, 1/ 2001: S. 21-26 und Sozialar-
beit als Beruf ohne (eindeutige) Identität, in: Forum sozial, 3 /2001: S.
15-17.
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NACHWEISE
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Der Autor
Heiko Kleve (geb. 1969), Prof. Dr. phil., Diplom-Sozialarbeiter /Sozi-
alpädagoge und Sozialwissenschaftler sowie systemischer Berater und
Konflikt-Mediator; lehrt als Professor für Theorie und Geschichte Sozi-
aler Arbeit an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin, Praxiserfahrun-
gen insbesondere in den Bereichen der Hilfen zur Erziehung, der ambu-
lanten Sozialpsychiatrie und der Erwachsenenbildung; zahlreiche Ver-
öffentlichungen, u.a.: Konstruktivismus und Soziale Arbeit, Aachen
1996; Postmoderne Sozialarbeit, Aachen 1999; Die Sozialarbeit ohne
Eigenschaften, Freiburg 2000; Systemisches Case Management, Aa-
chen 2003. Kontakt: kleve@asfh-berlin.de; http://www.asfh-berlin.de /
hsl / kleve.
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