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PROJECTX

ProjectX:ProjectX 4/19/2009 6:36 PM Seite 1

… mit der Gesamtsituation unzufrieden

WKR Ball 2009 – Kein Grund zum braucht der Staat? - oder Die neue „Kameradinnen und braune
feiern! / Alte Ideen und neuer ABC-Gruppe in Wien / „Eine Schwestern“ - Publikationen über
Wind – Hausbesetzung hat Arbeitsgemeinschaft der national- Frauen und Rechtsextremismus /
Hochkonjunktur / „Haiders zwei freiheitlichen, farbentragenden PartisanInnen in den
letzte Stunden – Privat oder poli- Korporationen“ / „Wir sind viele, Literaturkanon! Autobiografische
tisch? Oder einfach homophob?” / wir sind krass, Antifa da geht noch Werke aus Kärnten/Koroška /
„Zurück zur Natur...“ - Tourismus was???” / Der italienische Delirieren durch Utopia – Stationen
in Tansania / Wieviel Knast Antifaschismus in der Krise / eines zeitlosen Experiments
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2 Euronen P R O J E C T X

Impressum:
Herausgeberin: Margarete Nowaski Berggasse 17, 1090 Wien
Redaktion: Dani Kermit, Mike Fozzie, Maria Scooter, Franz Gonzo
Grafikkonzept: Link Ringelschwanz,
Herstellerin: Floyd Pepper GmbH, Boulevard Beauregard, 38100 Grenoble
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P R O J E C T X
1

Inhalt
Aktuelle Kurzmeldungen............................2

WKR-Ball 2009:
Kein Grund zum Feiern!.............................5

Alte Ideen und neuer Wind –


Hausbesetzung hat Hochkonjunktur..........7

“Haiders zwei letzte Stunden”


Wenn ihr diese Zeilen lest, haltet ihr die erste Aus- Privat oder politisch? Oder einfach
gabe der Zeitschrift Project x in euren Händen. Ein homophob?...................................................10
Fünkchen Ironie angesichts wechselhafter Geschicke
linker Publizistik ist auch bei der Namensgebung zu EU-Migrationspolitik während der
französischen Ratspräsidentschaft.............13
finden, schließlich wagen wir den x-ten Versuch eines
Spagates zwischen wechselndem Schwerpunkt, inhalt- „Zurück zur Natur…“
lichen Debatten und aktuellen Entwicklungen. Tourismus in Tansania..............................15
Wenig überraschend: Diesmal ein Antifaschwer-
punkt. Vielleicht entspricht es der österreichischen Wieviel Knast braucht der Staat? -
Normalität, wenn selbst bürgerliche Medien sich zu oder Die neue ABC Gruppe in Wien.........18
klassischer Antifarecherchejournalistik bemüßigt füh-
E d i t o r i a l

len und die wiederkehrende Frage nach dem Parteilichkeit ist gefragt!
Aufschrei schon fast eine rhetorische wird. Nach Die Gruppe DEFMA stellt sich vor............ 21
einer plausiblen Antwort werdet ihr auch in dieser
„Eine Arbeitsgemeinschaft der
Ausgabe vergeblich suchen, finden werdet ihr jedoch
national-freiheitlichen,
gewiß unter anderem aktuelle Einblicke in die farbentragenden Korporationen“.................23
Situation in Italien, Analysen der selbstdeklarierten
völkischen Avantgarde, sprich den Burschis und „Wir sind viele, wir sind krass,
ihrem WKR, BFJ sowie rechter bis rechtsextremer Antifa da geht noch was???“.......................27
Frauen.
Wir hoffen, durch die, in der Rubrik “Debatte” publi- Der italienische Antifaschismus
zierten, Artikel bestehende Kontroversen nicht zu in der Krise ................................................30
verfestigen, sondern zu beleben und voranzutreiben.
Im Rahmen der “Artefacts” präsentieren wir diesmal Der “Bund freier Jugend” -
“volkstreue Jugendgruppe”
unter anderem eine in dieser Ausführlichkeit einzig-
oder Neonazi-Schmiede?.............................33
artige Sammelrezension autobiographischer Literatur
slowenischer Partisan_innen in Koroška. “Kameradinnen und braune Schwestern”
Euch geübten Leser_innen wird die theoretische Publikationen über Frauen und
Bestimmung der Rubrik “Aktuell” sicherlich keine Rechtsextremimus........................................37
Probleme bereiten.
Nach hoffentlich angenehmer Lektüre eurerseits freu- PartisanInnen in den Literaturkanon!
en wir uns sowohl auf ein Wiederlesen in einem Autobiographische Werke aus
Vierteljahr als auch auf Artikel, Anregungen und Kärnten/Koroška......................................... 41
Kritik von Leuten, die ebenfalls mit der Gesamtsitua-
tion unzufrieden sind: Delirieren durch Utopia
Stationen eines
projectx@riseup.net zeitlosen Experiments..................................47

„Frauen, die zur Waffe griffen“


- Widerstand jugoslawischer
Partisaninnen...............................................49
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Brandstiftung in Kärntner medizinische Versorgung beschrieben. Das


Flüchtlingsheim BZÖ unterstrich bereits am darauf folgenden
Tag durch eine Presseaussendung seinen
Während der Fußballeuropameisterschaft kam Standpunkt, von dem Prestigeprojekt
es am 12. Juni 2008 in einem Asylbewer- „Sonderanstalt für kranke und straffällige
ber_innenheim in Klagenfurt/Celovec zu Asylbewerber“ nicht abrücken zu wollen.
einem Brand, bei dem der 42jährige Alex- Zwischenzeitlich wurden Privatunterkünfte
ander Darkwah Oppong starb und 19 weitere für die 16 Personen, denen das Land
Menschen verletzt wurden, einige davon Kärnten/Koroška die Grundversorgung gestri-
schwer. Erzählungen der Flüchtlinge ließen chen hat, sichergestellt.
bereits damals vermuten, dass Politik und Weiteres Vorgehen ist noch unklar, da mit
Polizei Brandstiftung zu vertuschen versuch- einem Einlenken der Landesregierung, die bei
ten. Obgleich es zu Beginn geheißen hatte, ihrer rassistischen Kurssteuerung die
Brandstiftung sei auszuschließen (da Mehrheit der Kärntner Bevölkerung hinter
Zigarettenstummel das Feuer verursacht hät- sich weiß, kaum zu rechnen ist.
ten, weil im Müll Kippen gefunden wurden)
stellte sich nun, beinahe sechs Monate später, Nazigedenkfeier in Budapest!

A k t u e l l e s
heraus, dass das Feuer absichtlich gelegt und
ein Brandbeschleuniger verwendet wurde. Seit 10 Jahren schon treffen sich Mitte
Während im Juni alle Medien fleißig die „sel- Februar Mitglieder der internationalen neona-
ber Schuld“ Gerüchte verbreiteten, scheint zistischen „Blood & Honour“– Szene in
sich nun niemand mehr für das gelegte Feuer Budapest, um eine Gedenkfeier für die gefalle-
zu interessieren. Kein Wunder, schließlich ist nen Wehrmachtssoldaten abzuhalten, die kurz
die Asylpolitik in Österreichs südlichstem vor Ende des zweiten Weltkrieges den sowjeti-
Bundesland gekennzeichnet von offen zur schen Belagerungsring um die Stadt durchbre-
Schau gestelltem Rassismus, der bereits einige chen wollten. Neben deutschen und ungari-
Todesopfer forderte und zuletzt zu der schen (Neo-)Nazis werden auch „Kameraden“
Errichtung einer „Sonderunterbringung“ für aus Tschechien, Schweden, Dänemark und
Asylwerber_innen auf der Saualpe in 1.200 Italien erwartet.
Meter Höhe führte. Dieses Jahr haben sich in Budapest verschie-
dene Menschen aus antirassistischen, antika-
Protest im Flüchtlingsreferat pitalistischen und antifaschistischen
Zusammenhängen zusammengeschlossen, um
Kurz vor den Feiertagen wurde am 22.12.08 zu Gegenaktivitäten zu mobilisieren.
das Flüchtlingsreferat in Klagenfurt/Celovec Beteiligt euch an den Aktionen gegen das
besetzt. Dieser politische Akt wurde von den Blood&Honour-Treffen am 14.Februar 2009
beteiligten 16 Asylbewerbern, die von der in Budapest!
„Sonderunterbringung“ auf der Saualm
geflüchtet waren, mit der Unmöglichkeit, an Weitere Infos demnächst unter:
dem Ort ihrer Unterbringung leben zu kön- http://www.afafi.wordpress.com
nen, begründet. Mit einem Brief richteten sie
sich an den zuständigen Flüchtlingsreferenten
Steiner, seines Zeichens BZÖ- Mitglied und
der Parteilinie entsprechend rassistisch. Als
unzumutbar wurden vor allem die Isolation,
der Mangel an Abwechslung und die fehlende
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Autonomes Zentrum in Stockholm nur noch Griechenland: Polizei erschoß Jugendlichen


Asche!
Am 6.12.08 wurde der 15- jährige Alexandros
In der Nacht des 29.11. brannte das autonome Grigoropoulos von dem Streifenpolizist Epamin-
Kulturzentrum „Cyclopen“ in Stockholm bis auf die ondas Korkoneas erschossen. Dies geschah nach ver-
Grundmauern nieder. Aktivist_innen vor Ort sind balen Auseinandersetzungen und gegenseitigen
sich sicher, dass Brandstiftung die Ursache und orga- Beleidigungen zwischen der Polizei und einer
nisierte Neonazis verantwortlich dafür sind. Schon in Gruppe Linker im alternativen Viertel Exarchia.
der Vergangenheit wurde das Haus regelmäßig im Bereits in der gleichen Nacht kam es zu heftigen
Vorfeld des alljährlichen Naziaufmarsches in Salem Protesten in ganz Griechenland. Das Rücktritts-
bedroht. Als eines der großen schwedischen Zentren angebot des griechischen Innenminister Prokopis
zur Koordinierung antifaschistischer Gegenaktivitä- Pavlopoulos und seines Stellvertreters am Sonntag,
ten war es den Faschisten_innen schon länger ein lehnte Ministerpräsident Konstantinos Karamanlis
Dorn im Auge und in den Wochen davor wurden jedoch ab.
zwielichtige Typen herausgeworfen, die in dem Griechischen Medienberichten zufolge, hatte die
Projekt Fotos machten und bei ihrer Ertappung Polizei am frühen Montagabend die Lage im
fluchtartig das Haus verließen. Erhärtet wird der Zentrum von Athen nicht mehr unter ihrer
Verdacht durch die Tatsache, dass das Feuer an drei Kontrolle. Mehrere tausend Demonstrant_innen hat-
verschiedenen Stellen gleichzeitig ausbrach und ten bereits die dritte Nacht in Folge dutzende
offensichtlich Brandbeschleuniger verwendet wurde. Geschäfte geplündert und angezündet. Nach einem
Das Cyclopen war jedoch mehr als ein Knotenpunkt Treffen mit Karolos Papoulias kündigt der Minister-
der Antifa-Koordinierung in Stockholm. So beher- präsident Karamanlis ein hartes Durchgreifen der
bergte es neben selbstverwalteten Kultur- und Sicherheitskräfte an.
Sozialprojekten auch eine Vielzahl an linken, politi- Auf einer von den Gewerkschaften angemeldeten
schen Initiativen und Gruppen sowie Proberäume, Kundgebung anlässlich des Generalstreiks versam-
Werkstätten, eine Druckerei und eines der europa- melten sich am Mittwoch mehr als 10.000 Menschen.
weit größten Archive zur Dokumentation sozialer Der internationale Flughafen von Athen hat seinen
Kämpfe unserer Zeit. Betrieb eingestellt, aber auch Schulen, Universitäten
Zudem fielen die Materialien der dort arbeitenden und Krankenhäuser blieben geschlossen. Nach einer
Gruppen dem Brand zum Opfer, unter Anderem Großkundgebung zogen die Teilnehmer_innen zum
Arbeitscomputer, Musikinstrumente und Bücher. Parlament, um auf ihre Forderungen, wie etwa
Dass keine Menschen zu Schaden gekommen sind, Lohnerhöhungen, aufmerksam zu machen. Am
ist glücklicher Zufall, war dies doch offensichtlich Donnerstag wurden insgesamt mind. 25 Polizeista-
mit einkalkuliert. Ein Vernetzungstreffen von anti- tionen im gesamten Land angegriffen. Im Laufe des
rassistischen Gruppen, welches zum Zeitpunkt des Tages gingen in Athen, Patras und Thessaloniki wie-
Brandausbruches stattfinden sollte, wurde kurz zuvor der mehrere tausend Menschen auf die Straßen. Die
abgesagt, im Internet jedoch immernoch beworben. Auseinandersetzungen zwischen den
Die schwedische Neonazi-Szene reagierte euphorisch Demonstrant_innen und der Polizei setzen sich fort.
und feierte den feigen Anschlag als Heldentat. In einer Umfrage der Tageszeitung "Kathimerini"
Das selbstverwaltete autonome Zentrum Cyclopen bezeichnete die Mehrheit der befragten
wird wieder aufgebaut. Die Zweck: cyklopen Griech_innen die Proteste als "Volksaufstand".
Aktivist_innen um das EmpfängerIn:
Cyclopen brauchen hierfür kulturkampanjen
finanzielle Unterstützung: IBAN: SE09 9500 0099
6034 1607 5525
BIC/Swift: NDEASESS
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60 Jahre – und immer noch stirbt die Tragen von gleicher Kleidung mit politischem
Sicherheit Ausdruck untersagt. Personen um die Organisation
der Demonstration gegen die Münchner
Am 4. April dieses Jahres gibt es die Nato genau 60 Sicherheitskonferenz gehen von einem Verbot der
Jahre. Doch seit ihrer Gründung lässt sich bekannt- Demonstration aus, vorraussichtlich wird diese
licher Weise keine Sicherung der Zustände feststel- trotzdem stattfinden.
len, sondern eher eine Reihe von Kriegen und Infos unter: gipfelsoli.org
Konflikten aufzählen, die durch die Nato angefacht no-nato.de
wurden und keinenfalls den Interessen der
Zivilbevölkerung entsprechen. Die Floskeln von
„Humanitären Einsätzen“ im Ausland mit Hilfe des Braunau bleibt Braunau?!?
Militärs oder „Sicherheitspolitik“ im Inneren durch
Überwachung sind es nicht mehr wert, enttarnt zu Zum 18.04.09 ruft die rechtsextreme „Nationale
werden. Volkspartei“(NVP) zu einer Demonstration in
Beginn dieses Jahres gibt es gleich zwei wichtige Braunau auf. Unter dem Motto: „Mehr Demokratie
Nato-Treffen in Europa. - gegen totalitäre Systeme. Zum Gedenken der 100
Am 3. April werden sich die Nato-TeilnehmerInnen Millionen Opfer des Kommunismus“ wollen
in Baden-Baden und 4. April in Strasbourg zum „Kameraden“ aus Österreich und Deutschland ihre
Geburtstagsfest und der daran angeschlossenen menschenverachtende Ideologie auf die Straße tra-
Konferenz zur Planung der Zukunft der Nato gen. Die zeitliche Nähe zu Hitlers Geburtstag (am
zusammen finden. Doch die Tage um den 3. und 4. 20.4.) als auch die Tatsache, dass Braunau die
April 2009 werden nicht ohne sichtbaren Wider- Geburtsstätte desselbigen ist, verdeutlichen zusätz-
stand ablaufen, denn schon seit 2008 gibt es lich den zynischen Charakter dieses Vorhabens.
Bündnisse wie das "Bye Bye Nato" Bündnis. Dass rund 25 Neonazis im Oktober letzten Jahres
Außerdem wird es einen Kongress, Camps, Demos, ein Rockkonzert der KJÖ angegriffen haben, hin-
Blockaden und andere Aktionen gegen den Gipfel dert die Veranstalter des rechtsextremen Aufmar-
im April geben. sches nicht daran, in ihrem Aufruf gegen eben diese
Und immer noch findet, dieses Jahr am 6. und 7. antifaschistische Jugendgruppe zu hetzen. Die kürz-
Februar, in München die sogenannte „Sicherheits- lich erfolgte Eröffnung des landesweit einzigen
konferenz“ statt. Doch einiges hat sich verändert Geschäfts der Neonazimarke „Thor Steinar“ in
zum Vorjahr. Statt dem ehemaligen Leiter Horst Braunau zeigt um ein weiteres, dass antifaschisti-
Teltschik, der nicht zuletzt durch seine gleichzeitige sche Politik und Jugendkultur in dieser Stadt drin-
Präsidentschaft bei dem Luftfahrt- und gend notwendig ist. Traditionell gibt es an diesem
Rüstungskonzern Boing in die Kritik geraten war, Datum eine antifaschistische Demonstration vor
lädt diesmal der unscheinbare Wolfgang Ischinger Ort, die an die Opfer der NS-Diktatur erinnern soll.
zur ehemals „Wehrkundetagung“ getauften Angesichts der neonazistischen Provokationen steht
Kriegskonferenz. Außerdem wird es die erste es wohl außer Frage, dass es gerade heuer gilt nach
„Sicherheitskonferenz“ unter dem neuen Bayrischen Braunau zu fahren und den Nazis Einhalt zu gebie-
Versammlungsgesetz sein, das im ersten Schritt ten. Weitere Infos folgen…
auch auf Baden-Württemberg und Niedersachsen
ausgeweitet werden soll. Hiermit geht ein
Präzidenzfall für das Militanzverbot einher, das
nicht nur gleichartige Kleidung verbietet, „sofern
damit eine einschüchternde Wirkung verbunden
ist“ sondern unter anderem auch die Daten-
speicherung von Videomaterial erlaubt und das
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WKR-Ball 2009: Kein Grund zum Feiern! Doch rechtsextreme PolitikerInnen treffen sich nicht
Gegen Rechtsextremismus im Parlament, nur beim WKR-Ball und reaktionärem Gedankengut
in den Köpfen und auf der Straße wird nicht bloß einmal im Jahr in der Hofburg eine
Bühne geboten.
Am 30. Jänner 2009 findet zum 56. Mal der tradi-
tionsreiche Ball des Wiener Korporations-Rings Rechtsextremismus im Parlament…
(WKR) in der Hofburg statt. Seit nun über 40 Jahren Die Nationalratswahlergebnisse vom September
wird dem Korporations-Ring eine der repräsentativ- waren eindeutig. 17,5% votierten für die FPÖ, 10,7%
sten Örtlichkeiten in Österreich zur Verfügung der Stimmen gingen an das BZÖ. Damit ging das
gestellt. Dabei ist der veranstaltete Ball mehr als hei- „dritte Lager“ als eindeutiger Sieger aus den Wahlen
kel. Der WKR ist die Dachorganisation von insge- hervor, während die anderen Parlamentsparteien
samt mehr als zwanzig „national-freiheitlichen“ Kor- allesamt Stimmen verloren. Die Rede vom
porationen aus dem deutschnationalen Lager. Im „Rechtsruck“ machte die Runde. Und tatsächlich hat
WKR sind offen rechtsextreme Männerbünde wie sich einiges nach rechts verschoben: Neben einem
die Olympia, die Teutonia, sowie die Cimbria organi- deutlich aggressiveren Wahlkampf der ÖVP zum
siert – um nur einige zu nennen. In der Vergang- Thema Migration und Integration, holten die
enheit zeigte sich immer wieder wie fließend der Freiheitlichen 13 zusätzliche Parlamentssitze, das
Übergang zwischen rechten Verbindungen und dem BZÖ konnte seine Mandate auf 21 Sitze verdreifa-
Neonazi-Spektrum war (mehr unter chen. Dritter Nationalratspräsident wurde Martin
http://aua.blogsport.de/images/Scharnier.pdf). Graf, ein Mitglied der rechtsextremen Burschen-
Der Ball des WKR gilt als ein Highlight im Kalender schaft Olympia. Die Anzahl der Parlamentarier in
rechter bis rechtsextremer Studentenverbindungen deutschnationalen Verbindungen ist, v.a. durch die
im gesamten deutschsprachigen Raum. Und wieder FPÖ, der höchste der letzten vier Jahrzehnte.
einmal fungieren hier Korporationen und besonders Verbunden mit dem Zuwachs an Stimmen für Blau
Burschenschaften als Bindeglied zwischen der bür- und Orange ist natürlich auch ein Zuwachs an
gerlichen Rechten und dem Rechtsextremismus. Geldern und medialer Öfflichkeit für die reaktionä-
Allein der Blick auf die BesucherInnen vom letzten ren Anschauungen. Wie die mediale Öffentlichkeit
Jahr liest sich wie ein who is who der österreichi- genutzt wird, lässt sich an der rassistischen Rhetorik
schen und europäischen extremen Rechten. Neben sehen. Auf der einen Seite stand BZÖ-Haider, der
haufenweise Burschenschaftern fanden sich – wie seinerzeit ein minarettfreies Kärnten verkündete,
nicht anders zu erwarten – eine Vielzahl namhafter tschetschenische Flüchtlinge nach Niederösterreich
FPÖlerInnen auf dem deutschnationalen Großevent „abschob“ und eine „Sonderanstalt“ für Flüchtlinge
wieder, darunter: Heinz-Christian Strache, Martin einrichten ließ. Nicht weniger deutlich positionierte
Graf, Barbara Rosenkranz, sowie Johann und John sich die FPÖ im rassistischen Diskurs. Unvergessen
Gudenus. Es erübrigt sich fast zu erwähnen, dass die sind Plakatständer mit „daham statt Islam“,
erwähnten FPÖler allesamt Mitglieder männerbün- „Asylbetrug heißt Heimatflug“ und „deutsch statt
discher Verbindungen sind. Aber auch ältere ‘nix versteh´n’“. Es wird faktisch keine Gelegenheit
Generationen waren mit von der Partie: So tauchten ausgelassen gegen die immergleichen Feindbilder zu
etwa auch die ehemaligen NSDAP-Mitglieder Otto hetzen und soziale Probleme ethnisiert aufzuladen.
Scrinzi und Friedrich Hausmann als Unterstützer des Bei dieser rassistischen Politik verwundert es nicht,
Balls auf. Letztlich rundeten die Führungsmitglieder dass sich Neonazis in der Nähe des „dritten Lagers“
diverser rechtsextremer europäischer Parteien das wohlfühlen. Bestes Beispiel dafür ist die Demo zum
braune Gesamtbild ab. Aus Frankreich kam Jean- EU-Reformvertrag. Unweit der Parteigrößen Haider
Marie Le Pen (Front National), aus Belgien Frank und Strache marschierten Neonazis ungestört mit
Vanhecke (Vlaams Belang), ebenso waren einem Transparent für die Freilassung des
„Kameraden“ aus Bulgarien anwesend. Holocaustleugners Gerd Honsik. Unnötig zu erwäh-
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nen, dass keine der Parteien es für nötig hielt, sich Rede, in der er den Vorsitzenden der Israelitischen
währenddessen und danach davon zu distanzieren. Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, antisemitisch dif-
famierte. In weiten Teilen der Bevölkerung löst das
… in den Köpfen… aber nicht mehr als Schulterzucken oder Desinter-
Doch wäre es falsch die Schuld an den rechten esse aus. Rassistische und antisemitische Positionen
Wahlerfolgen allein bei FPÖ und BZÖ zu suchen. sind somit salonfähig und Teil der
Vielerorts wurde verharmlosend von „Protestwäh- Mainstreampolitik geworden.
lern“ geredet, die gar nicht rechtsextrem seien oder
nur die jeweils achso charismatischen Führungs- … und auf der Straße
figuren Strache bzw. Haider gewählt hätten. Fakt ist Und als wären die politischen Rahmenbedingungen
jedoch, dass jede und jeder, die/der FPÖ oder BZÖ nicht schon Herausforderung genug, formiert sich
wählt, kein Problem mit den rassistischen, antisemi- seit geraumer Zeit die Neonazi-Szene neu. Am
tischen, sexistischen und homophoben Inhalten zu deutlichsten zeigte sich dies an mehreren Übergrif-
haben scheint. Dabei greifen die rechten Parteien in fen im Herbst 2008. Vermummte Rechtsextreme
den meisten Fällen offen oder latent in der überfielen ein Fest des linken Kulturvereins W23 in
Bevölkerung vorhandende Vorurteile auf und prä- Wien. In Braunau störten Neonazis ein antifaschi-
sentieren sich in der Propagierung dieser als „An- stisches Konzert mit Hitler-Parolen und
wälte des kleinen Mannes“, wobei „Mann“ durchaus Hakenkreuzfahne. Weiters provozierte eine
wörtlich zu verstehen ist. Oder in den Worten von Gruppierung aus „freien Kräften“ und Burschen-
Karlheinz Klement: „Die FPÖ ist eine Männer-par- schaftern eine linke Kundgebung vor dem
tei“. Denn wenn das rechte Spektrum wiedermal Parlament. Der Schluss liegt nahe, dass sich die neo-
lauthals nach „Männerrechten“ verlangt, gegen den nazistische Szene von den politischen Umständen
angeblich vorherrschenden „Gender-Wahnsinn“ im Land bestätigt fühlen kann. Gerade wenn die
und „MenschInnen“ polemisiert und bei Abtreib- Rechtsaußenparteien die flächendeckend vorhan-
ungen nicht vor Vergleichen mit Holocaust und denden Vorurteile reproduzieren und noch mehr
zweitem Weltkrieg zurückschreckt, dann greift die bekräftigen, muss die Gewalt auf der Straße als radi-
Rechte damit gesellschaftlich verankerte und salon- kalisierte Weiterführung der verbalen Hetze im
fähige sexistische und frauenfeindliche Überzeu- Parlament erkannt werden. Die rechte und rassisti-
gungen auf. Ebenso verhält es sich mit allem, was sche Hetze kann sich aber nur solange selbstsicher
nicht ins heteronorme Muster passt. So bezeichnete präsentieren, wie ihr kein organisierter Protest ent-
der ehemalige FPÖler Klement Homosexualität als gegen gesetzt wird und sich keine negativen
„Kultur des Todes“ und setzte Ehe und Adoptions- Konsequenzen daraus ergeben. Darum ist es an der
recht Homosexueller mit Kindesmissbrauch gleich. Zeit, ein lautes und deutliches Zeichen gegen den
Weiters äußerst bedenklich sind die antisemitisch Rechts-Block aus FPÖ/BZÖ, studentischen
konnotierten Statements ranghoher Parteimitglieder Männerbünden und Neonazis zu setzen. Der WKR-
von Blau und Orange. Ein Martin Graf konnte sich Ball ist dafür ein passender Anlass. Dort trifft sich
zwar dazu überwinden einzugestehen, dass es im nationales wie internationales Spektrum der extre-
Nationalsozialismus millionenfaches Leid gab. Dass men Rechten um sich selbst zu feiern und in Szene
es sich dabei vor allem um Jüdinnen und Juden zu setzen. Wir wollen daher den Protest direkt zu
handelte, brachte dieser jedoch nicht über die den ProtagonistInnen der rechten und rechtsextre-
Lippen. Im Wahlkampf forderte der freiheitliche men Ideologie tragen und zeigen, dass ihre
Harald Stefan die Einfrierung öffentlicher Gelder Selbstinszenierung in der Hofburg nicht all!
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für die jüdische Gemeide, um im Anschluss gleich unwidersprochen bleibt.
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zu verkünden, er mache „einen Sekt auf, wenn der nat pla
eutsch Europa
israelische Botschafter nicht mehr in Wien ist.“ nd hr,
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Unvergessen ist auch Haiders Aschermittwoch- o g 9, 1 ho f
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Alte Ideen und neuer Wind –


Hausbesetzung hat
Hochkonjunktur

n ganz Europa werden besetzte besetzende Objekt der Stadt oder die

I Häuser reihenweise geräumt. Wenn


offensichtliche Besetzungen stattfin-
den, gibt es in vielen Ländern selten die
BesitzerInnen sind in Erbschaftsstreitig-
keiten verwickelt. Bei der Besetzung des
Ernst-Kirchweger-Hauses (EKH) lag eine
Chance, mehr als eine Nacht im neuen zu besondere Situation vor, denn seine
Hause zu bleiben. In Österreich ist das Eigentümerin war die Kommunistische
anders. Motive, Gedanken zur europäi- Partei Österreichs (KPÖ). Dadurch
schen Linie und das vermeintliche öster- erlangte die Besetzung noch einen ande-
reichische Erfolgsrezept. ren Grad an Legitimation, denn wie Nadir
Die Motive werden durch klare Logik ein- Aykut der ATGF nach Lenin zitierte: „Was
fach und einleuchtend. Wo Raum einem Kommunisten gehört, gehört allen
leersteht, wird er genutzt. Platzmangel Kommunisten.“ Doch leider konnten sich
plus leer stehender oder nicht genutzter die BesetzerInnen nur bis 2005 auf den
Raum ergibt Raumaneignung. Doch viele, ideologischen Background der
die Häuser besetzen, haben viel mehr KommunistInnen verlassen. In diesem
D e b a t t e

Ideen als diese kurze Rechnung. Jahre verkaufte die KPÖ unter Walter
Wichtigster Punkt dabei ist das Baier das EKH für einen Spottpreis an den
Anzweifeln und Nichtakzeptieren von stadtbekannten und inzwischen rechtsmä-
bestehenden Besitzverhältnissen. Es ist ßig als solchen zu bezeichnenden
nicht nur so, dass Freiräume genommen Rechstextremen Christian Machowetzx.
werden, da das Bedürfnis nach Raum so Inzwischen gehört das Haus einem
x:Einen Prozess wegen
groß ist, einher geht die Kritik an den Zusammenschluss der Vereine aus Ruf- und
kapitalistischen Verhältnissen sowie das Wienhouse GmbH und Wieder Wohnen, Kreditschädigung gegen
den im EKH ansässigen
Anzweifeln und Anprangern der unge- welches das Haus für mehr als das „Verein für Gegenkultur“
rechten Verteilung von Eigentum. Wer an Doppelte des ursprünglichen Kaufpreises verlor Machowetz, da ihm
nachgewiesen werden
diesem Punkt angelangt ist, kann von Machowetz erstand. Am 7. November konnte, rechtsextrem zu
Hausbesetzung schwerlich als nicht legi- unterschrieben alle im Kirchwegerhaus sein.

tim betrachten. Doch gibt es Ausnahmen, ansässigen Gruppen Mietverträge. Damit


wenn andere Faktoren ins Spiel kommen. ist das EKH nun jetzt offiziell kein besetz-
Die „Initiative Pankahyttn“ besetzte ein tes Haus mehr, alle Bereiche im
Haus, das von den NationalsozialistInnen Kirchweger Haus haben Hauptmietver-
enteignet wurde und deren ehemalige träge zu einem symbolischen Mietzins
EigentümerInnen nie entschädigt wurden. von einem Euro. Einerseits könnte der
Den BesetzerInnen war das in diesem Fall guten Zeit der Verhandlungen nachge-
egal, leerstehender Raum bleibe dennoch trauert werden, da diese Position die best-
Raum, egal wem er gehört, war die mögliche war, denn das Bestehen des
Devise. Generell sind natürlich die Hauses war bis dato gesichert und der
BesitzerInnen auszumachen, bevor besetzt Status von „besetzt“ hat doch einige büro-
werden kann, im Idealfall gehört das zu kratische und finanzielle Vorteile,
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andererseits wurden alle Forderungen, die BesetzerInnenszene zeichnet sich im allge-


seit Beginn der Verhandlungen am 24.6.2005 meinen jedoch nicht nur durch außerordent-
gestellt wurden, erfüllt. Schlussendlich wurde liche Vitalität und Kreativität aus, sie ist auch
von den im Haus ansässigen Vereinen kein extrem gut (selbst-)organisiert. Kurz nach
Grund mehr gefunden, die Mietverträge dem Betreten eines Hauses und den ersten
nicht zu unterschreiben. Dass ein Haus wirk- Absprachen im Plenum, gibt es sofort
lich, und das muss mensch sich auf der Raumgestaltung wie Volxküchen,
Zunge zergehen lassen, unbefristete Haupt- Kinoabende, Konzerte aber auch
mietverträge zu einem symbolischen Mietzins Informationsveranstaltungen zu politischen
von einem Euro bekommt, ist nicht der Themen. Auch wenn meistens nur wenige
nächstliegende Teil klassischer kapitalistischer Tage Zeit in den entsprechenden Häusern
Verwertungslogik. Das kann durchaus als bleibt, wird diese Zeit effektiv genutzt und je
nach Bedürfnissen der Menschen gestaltet.
Doch nicht immer sind sich die Besetzer-
Innen einig, wer die angeeigneten Räumlich-
keiten wie nutzen darf. Es handelt sich um
verschiedene Arten von zwischenmenschli-
chem Umgang, um „Hippies versus
Militante“ oder um “Israel und Palästina”.
Doch abseits der Streitfragen wird zumindest
der Umgang mit Behörden gut organisiert.
Nicht nur die rechtliche Aufklärung über die
Rechte der Einzelnen, sondern auch der spä-
tere Umgang mit möglichen Strafen, die
gesetzeswegen meist Verwaltungsstrafen sind,
wird kollektiv gemeistert. Die Erfahrungen
der letzten Jahre bewähren sich gerade dies-
Szene bei einer Signal aufgefasst werden und den bezüglich, dadurch werden selten Menschen
Besetzung in Graz.
BesetzerInnen in anderen Städten Mut hart bestraft und falls es doch Probeme gibt,
machen. ist die kollektive Problemlösung und der
och das EKH in Wien ist nur ein gemeinsame Umgang mit Strafe Usus. Somit

D Freiraum und das reicht der großen


österreichischen BesetzerInnenszene,
die alles andere als eine homogene Gruppe
werden Szenen vermieden, wie sie 2007 in
München passierten. Drei Punks, zum
„Tat“zeitpunkt zwischen siebzehn und neun-
darstellt, nicht aus. In allen größeren Städten zehn Jahren alt, besetzten ein Haus auf eigene
in Österreich gab es in den letzten Jahren Faust, verteidigten es militant und sind in
Besetzungen, die „International Squatting ihrem späteren Verfahren zu Gefängnisstra-
Days“ waren Anlass für Aktionen in Form fen von drei bis fünf Jahren wegen versuchten
von Demonstrationen, Kundgebungen und Todschlags verurteilt worden. Abgesehen von
natürlich Besetzungen in Innsbruck, allen Unklarheiten bezüglich dem Verhalten
Salzburg, Linz, Graz und Wien. Auch in der Münchner Polizei und abgesehen von
Feldkirch in Vorarlberg wurde im Oktober einer Bewertung oder Psychologisierung des
2008 ein Haus für eine Woche, als Finale Verhaltens der Jugendlichen sei hinzugefügt,
eines ganzen „Freiraum Aktionsmonats“, dass es mehrere Monate brauchte, bis die
besetzt. Die österreichische „Rote Hilfe“ die Namen der Punks herausfin-
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den konnte. Rechtshilfe und generelle Unterstützung Spendentopf des Mietshaussyndikats, von dem dann
konnte somit lange nicht gewährleistet werden. Das neue Gebäude erstanden werden. Der Nachteil an
zeigt, wie wichtig die Vernetzung ist und die dem System ist, dass Hausprojekte in großen Städten
Weitergabe von Know-How, damit dramatische begehrt sind, die Häuser in ländlichen Regionen aber
Vorkommnisse wie in München nicht passieren. eher finanzierbar.
Denn das Ende dieser Geschichte wäre definitiv In Österreich zieht das Nichtbefolgen der
anders gekommen, hätten die Jugendlichen Verordnung nach §37 des Sicherheitspolizeigesetzes
Unterstützung im Vorfeld gefunden. Doch nicht nur zur „Auflösung von Besetzungen“ nicht einmal eine
das Vorgehen in Österreich ist ein anderes, zudem Verwaltungsstrafe nach sich. Die Organe des öffent-
unterscheiden sich die Gesetzeslagen von Österreich lichen Sicherheitsdienstes können jedoch, wenn und
und Deutschland in wichtigen Punkten. Der Vorwurf weil sie durch die Verordnung dazu ermächtigt wer-
des Hausfriedens-bruchs ist in Deutschland eine den, die verharrenden Personen wegweisen und
Straftat und dann schon erfüllt, wenn die berechtigte diese Wegweisung zwangsweise durchsetzen.
Person, also meistens “Die BewohnerInnen des Hauses zahlen Trotzdem fallen den
BesitzerIn, nicht mit dem keine Miete, sondern einen Beitrag in den „Sicherheitsorganen“ immer
Eindringen einverstanden Spendentopf des Mietshaussyndikats.” wieder Absurditäten ein, wie
ist und wenn die die Anzeigen auf Grund der
BesetzerInnen, das Haus nach 3maliger Besetzung in der Spitalgasse in Wien im April 2008,
Aufforderung nicht verlassen wollen. Es kann eine bei denen Verwaltungsstrafen wegen „Blockieren des
Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr verhängt wer- Gehsteigs“ versendet wurden.
den. Die organisiertere BesetzerInnenszene in uch in Spanien lässt die Gesetzeslage einiges an
Deutschland versucht mit immer geschickter verbar- A Spielraum offen. BesitzerIn eines leerstehenden
rikadierten Häusern über die gesetzlich vorgeschrie- Hauses muss erst ein gerichtliches Ansuchen auf eine
bene Zeit von 48 Stunden hinaus zu kommen. Dann Räumung stellen, gegen das die BesetzerInnen
muss die Polizei verhandeln, vorher werden keine Einspruch erheben können. Damit ist schon einmal
Gespräche aufgenommen. Leider ist diese Strategie Zeit gewonnen, bis der Prozess statt findet. Es
nur mäßig erfolgreich, denn gegen Räumpanzer hat kommt auch nicht selten vor, dass so ein Prozess
es selten eine Gruppe geschafft, ein Haus 48 Stunden gewonnen wird, denn wenn der/die BesitzerIn nicht
zu halten. Und selbst dann ist das Haus noch nicht vorweisen kann, was er mit dem leerstehenden
gewonnen, es gibt erst die gesetzlich vorgeschriebe- Gebäude vor hat (darunter fallen Baugenehmigungen
nen Verhandlungen. Wie die Chancen der Besetzer- oder Abrisspläne), gehört den BesetzerInnen das
Innen im Moment in Deutschland stehen, ist an den Haus nach einer gewissen Frist. Inzwischen ist gängi-
neu erschlossenen Hausprojekten abzulesen, sie ge Praxis der HausbesitzerInnen, bezahlte
gehen gegen Null. Immer mehr Hausprojekte werden SchlägerInnentrupps zu schicken, die die
geräumt, in Dresden beispielsweise gibt es kein BesetzerInnen brutal aus dem Haus prügeln, Hunde
besetztes Wohnprojekt mehr, auch in Berlin ist die erschießen und das Haus unbewohnbar machen, um
Zeit von erfolgreichen Besetzungen vorbei. Die die BesetzerInnen los zu werden. Doch auch wenn
Hintertür, der sich die Menschen auf der Suche nach die Gesetzeslage zum Besetzen in manchen Ländern
frei gestaltbaren Räumen bedienen, ist das einige Möglichkeiten offen lässt, schützt diese nicht
Mietshaussyndikat. Was auf den ersten Blick wie ein davor, dass sogar die ältesten und bekanntesten
Schneeball- oder Pyramidenspiel erscheint, hat sich Häuser wie das Ungdomshuset in Kopenhagen, die
in vielen deutschen Städten und Dörfern bewährt. Ex-Steffi in Karlsruhe oder Les Tanneries in Dijon
Begonnen wurde mit einem Spendenaufruf, bis geräumt werden. In Amsterdam gab es allein 2008
genug Startkapital gesammelt war, um das erste Haus drei Räumungswellen, bei der letzten Welle wurden
zu kaufen. Die BewohnerInnen des Hauses zahlen sechs Häuser in einer Nacht geräumt.
keine Miete, sondern einen Beitrag in den Doch woran liegt der markante Unterschied zwi-
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10 P R O J E C T X

schen den meisten europäischen Ländern und mit der Uni Wien auseinandersetzen musste. Rektor
Österreich? Dass gerade in diesem Land, in dem Winckler zeigte weder Verständnis noch den Willen
30% der WählerInnen für die FaschistInnen zu den eine Lösung für beide Seiten zu finden, er wollte die
Urnen marschierten, Häuser entstehen und nicht "Störenden" so schnell wie möglich vom Hals
geräumt werden, scheint paradox. Einerseits liegt haben, verweigerte Verhandlungen und schickte die
der Umstand von neu entstehenden Freiräumen Polizei zur Räumung jeder Aktion. Ein anderes
sicherlich auch an der Sozial- und Legalisierungs- Problem ist sicherlich, dass die BesetzerInnen
und Befriedungspolitik der Stadt Wien, denn nur in immer vom guten Willen der BesitzerInnen abhän-
Wien wurden durch Besetzungen Freiräume gig sind, ein Haus physisch gegen die Polizei zu ver-
geschaffen wie die „Pankahyttn“. Die Stadt sieht das teidigen, erscheint unmöglich und endet im
Haus als Sozialprojekt für obdachlose Punks an und schlimmsten Fall wie die oben erwähnte Geschichte
stellen ihnen SozialarbeiterInnen zur Verfügung. aus München. Die Zustimmung der BesitzerInnen
Durch Hartnäckigkeit in der Besetzungspraxis gin- kann allerdings auf unterschiedliche Art und Weise
gen die Punks der Stadt Wien so lange „am Oarsch“, erlangt werden. Manchmal durch Zermürbung mit
bis die Verhandlungen ein Ergebnis in Form dieses Hartnäckigkeit, manchmal durch ideologische oder
„Kultur- und Sozialprojekts“ zeigten. Doch die parteiinterne Zwänge, manchmal sogar durch Angst
Hartnäckig-keit alleine ist noch nicht das vor militantem Handeln der BesetzerInnen, allein
Erfolgsrezept, denn auch die Gruppe „Freiraum“ das Ziel ist klar, auch wenn es zu Beginn utopisch
initiierte viele Besetzungsaktionen und kam nicht erscheint.
zu dem gesicherten Raum, der über lange Jahre anchmal jedoch, sind es aber gerade die unre-
gefordert wurde. Doch erschwerender Umstand war
definitiv, dass „Freiraum“ sich ein bestimmtes
M alistischen Träumereien, die dazu führen,
dass das unmöglich Erscheinende zur Realität aus
Gebäude am Unicampus wünschte und sich somit Stahlbeton wird.

“Haiders zwei letzte Stunden“


Privat oder politisch? Oder einfach homophob?

Vom Gerücht zum Outing

eit dem Tod des Kärntner Landeshaupt- Lange Zeit vermuteten viele, dass es sich bei

S manns lassen sich in Österreich vor


allem zwei Tendenzen im Umgang mit
dem spontanen Ableben Jörg Haiders antref-
den Gerüchten rund um die Homosexualität
Jörg Haiders um eine „Taktik“ seiner
GegnerInnen handeln würde, um ihm poli-
fen. Einerseits wurde das politisch „Sagbare“ tisch zu schaden. Tatsächlich hätte ein solches
über den „Ziehvater des Rechtsextremismus“ Outing durchwegs Auswirkungen für das
auf das Minimalste reduziert. Andererseits las- Image des Rechtsaußen-Politikers mit sich
sen sich gerade in der fragwürdigen gebracht und nicht zuletzt auch homophobe
Berichterstattung über die „letzten zwei Bestrebungen bedient. „Geoutet“ wurde
Stunden“ und die unausgesprochene Haider allerdings spätestens 2000 als sowohl
Homosexualität Haiders durchwegs homo- Elfriede Jelinek als auch Rosa von Praunheim
phobe Herangehensweisen festmachen. dazu öffentlich Stellung bezogen sowie in
diversen Schwulen- und Lesbenzeitungen aus
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der ganzen Welt darüber berichtet wurde. Auch die der durch Hetze gegen Homosexualität aufgefallen
wichtigste Interessenvertretung von Lesben und sind. Hilmar Kabas bezeichnete die Rosa Lila Villa
Schwulen in Österreich, die Homosexuellen Initiative als „subventioniertes Bordell“, Volksanwalt Ewald
(HOSI), veröffentlichte zum gleichen Zeitpunkt eine Stadler Homo-Paare als „pervers“, um nur einige
Presseaussendung, in der sie betonten, dass sie gera- wenige Beispiele zu nennen. Auch der mehrfach aus
de die Haider-GegnerInnen als aufgeschlossen genug der FPÖ ausgeschlossene Klement fühlte sich schon
einschätzten, diesen Umstand nicht gegen ihn einzu- in seiner Parteizeit dazu berufen, vor der
setzen und es genug Gründe gäbe, Haider und seine Homosexualität als „Kultur des Todes“ zu warnen.
Politik zu bekämpfen, Homosexualität könne und Klubobmann der Wiener FPÖ Eduard Schock fiel
dürfe aber auf keinen Fall einer sein. Ein Outing kürzlich in seinem Feldzug gegen die gleichge-
Haiders würde für Schwule und Lesben nichts schlechtliche Ehe und die „Rathaussozialisten“, wel-
Positives bringen, da er sich weder für che der Bevölkerung „pausenlos Homosexualität
Homosexuellenrechte eingesetzt hatte, noch eine schmackhaft machen“ würden, auf und ernannte sich
positive Identifikationsfigur darstellen würde. gleichsam zum „letzte[n] und vor allem wahre[n]
Dennoch wurde von der HOSI auch hervorgehoben: Hüter des traditionellen Familienbildes“. Zuletzt im
„Betrachtet man Outing als politischen Akt gegen Wahlkampf wurde aber auch mit einer
versteckte Homosexuelle, die in wichtigen politi- Presseaussendung von FPÖ-Generalssekretär Harald
schen Funktionen anti-homosexuell agieren und Vilimsky mit Anspielungen wie Haider „vergnügt
handeln, so ist gerade in Haiders Fall ein Outing sich im Tollhaus nicht nur mit Knaben“ und Stadler
gerechtfertigt.“ In österreichischen bürgerlichen wäre „offenbar einer der letzten, die Jörg Haider die
Medien wurde jedoch weder die Aussendung der Stange halten“ würde, Homophobie gegen Haider in
HOSI aufgegriffen noch die Thematisierung von Stellung gebracht.
Haiders sexuellen Vorlieben in internationalen
Medien. Elfriede Jelinek hingegen hatte bereits 1991 Dorfdisko „Tollhaus“ und Szenelokal
das Homoerotische und die sogenannte Buberl-
Partie, die Jörg Haider stets umgeben hatte, zum Zugespitzt hatte sich die Gerüchteküche abermals
Thema gemacht. vor einem Jahr, als einige Fotos auftauchten, die
Haider mit jungen Burschen in der 99 Cent-Sauf-
Nie durch Homophie aufgefallen? Disko „Tollhaus“ in Kärnten/Koroška zeigten.
Während die einen meinten, ein Outing würde nun
Als Argument für all jene, die Haiders Homo- (endlich) anstehen, verbanden andere die „Kritik“ an
sexualität keinen Glauben schenken konnten, wurde Haiders Auftritt bzw. seinem „Doppelleben“ sogar
gerne angeführt, mit einer Forderung nach Rücktritt. So
dass zuerst die “Hilmar Kabas bezeichnete die Rosa Lila zeigt sich deutlich, dass sich auch in die-
FPÖ, dann aber Villa als „subventioniertes Bordell“, sem Fall, die Ebenen der vermeintlichen
auch das BZÖ nie
Volksanwalt Ewald Stadler Homo-Paare Kritik an Haiders „Komasaufen“ sowie die
als „pervers“...”
durch homophobe Empörung über die Fotos, die ihn mit
Politik aufgefallen jungen Burschen zeigten, vermischten
wären. Die HOSI hat in diesem Zusammenhang und nicht mehr voneinander zu trennen waren.
bereits 2000 darauf verwiesen, dass Haider 1996 als Schließlich blieb auch das homophobe Bild des älte-
Nationalratsabgeordneter zwar „nur“ gegen die ren Mannes, der junge Burschen verführt, kommen-
Aufhebung der menschenrechtswidrigen tarlos in der medialen Berichterstattung stehen. Die
Paragraphen 209 und 220 (diskriminierendes Kärntner SPÖ brachte im Landtag darüber hinaus
Mindestalter, Informationsverbot über Homosexua- einen „Benimm“-Antrag für Haider ein.
lität) mit gestimmt hatte, andere Politiker der beiden Westenthaler hingegen erwähnte in einer
Parteien in ihren Wahlkämpfen jedoch immer wie- Pressekonferenz, dass die Fotos ein Beleg für die
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Volksnähe und den Umgang mit der Jugend seitens Jörg und mich verband […] etwas ganz Besonderes“
der BZÖ wären. Hans Rauscher bezeichnete in war und, dass sich auch Ehefrau Claudia nicht
einem Standard-Kommentar die Fotos als „lächer- gestört hätte, stellte sich bei den ZuschauerInnen
lich“, Karl Öllinger von den Grünen als „unverzeih- die Frage des Umgang mit Petzners „Trauer“.
lich“ - was genau sparten beide aus. Lediglich ein Während in den Medien vor allem das Wort „pietät-
Kommentar in der Presse mit dem Titel „Haider los“ kursierte und gegen jegliche Kritik an Haiders
schwul? Wer will das wissen?“ nahm explizit Bezug Person, seiner Politik sowie Freude über seinen Tod
auf das „ungeschriebene Gesetz, dass über das in Stellung gebracht wurde, boten gerade Petzners
Privatleben eines Politikers nur dann geschrieben „lächerliche“ Auftritte viel Projektionsfläche für
wird, wenn es dieser selbst thematisiert“. Ähnliche „Schadenfreude“ aber auch Homophobie. Nicht nur,
Tendenzen waren erneut im Zusammenhang mit dass er ohne Haider „ganz alleine“ war und in der
Haiders Tod anzutreffen. Nach ein paar Tagen Nacht Angst hatte, Petzner erinnerte sich ebenfalls
tauchten Details auf, die von der offiziellen Version genau, „welche Kleidung wir trugen, welche
über seinen Tod abwichen. Haider soll nämlich die Temperatur es hatte und dass Weihnachten war und
letzten Stunden in dem Schwulenlokal “Stadtkrä- der Duft von Lebkuchen in der Luft lag“, als sie sich
mer”, in der österreichischen Presse zumeist als kennenlernten. Dass derartige Aussagen politisch
“Szenelokal“ (welcher auch immer) bezeich- kaum verwertet oder kritisiert
net, mit einem jungen Mann verbracht haben “...boten gerade Petzners werden können, scheint
und auch der enge Mitarbeiter Stefan Petzner „lächerliche“ Auftritte viel offensichtlich und dennoch
sprach von Haider als seinem Projektionsfläche für sorgten sie in vielen Kreisen
„Lebensmenschen“ und von einer Beziehung, „Schadenfreude“ aber auch für großes (homophobes)
die weit über ein freundschaftliches Maß Homophobie.” Gelächter. So bleibt zu vermu-
hinausgegangen wäre. Während die einen diesen ten, dass Claudias Tränen kaum für soviel Gelächter
Teil der Geschichte in ihrer Haider-Glorifizierung gesorgt hätten, wie jene von Petzner und so wurden
ignorierten, waren andere darauf bedacht, die durch Haiders Tod auch in „reflektierten“ Kreisen
Hintergründe der kryptischen Anspielungen auf homophobe Witze und Scherze wieder salonfähig.
Haiders vermeintliches Doppelleben „aufzudecken“. Gleichzeitig zeigt sich dabei auch, dass
Marco Schreuder meinte dazu treffend in einem Homosexualität in Österreich nach wie vor ein
Standard-Kommentar, dass beide Formen der Tabuthema darstellt und Outings vor allem von
Auseinandersetzung homophob wären. „In beiden KünstlerInnen bekannt sind, während es in anderen
Arten der Berichterstattung ist die sexuelle Orien- europäischen Ländern durchaus bekannte und
tierung nämlich vor allem eins: Nicht normal.“ erfolgreiche homosexuelle PolitikerInnen gibt.
Insofern muss hierzulande sowohl auf medialer als
Homophobes Gelächter auch politischer Ebene weiterhin daran gearbeitet
werden, ein Klima zu schaffen, in dem weder
Bereits in den ersten Pressekonferenzen, die den Outings noch die Berichtserstattung darüber von
Tod Jörg Haiders bestätigten, war Stefan Petzner, homophoben Tendenzen begleitet werden. Nicht
Pressesprecher und Wahlkampfmanager des ehema- zuletzt führten Petzners Aussagen zum stetigen
ligen Kärntner Landeshauptmanns, durch seine ver- Zurückdrängen des Jungpolitikers aus wichtigen
heulten Auftritte und den Verweis auf seinen Funktionen innerhalb des BZÖs, schließlich wäre er
„Lebensmensch“ aufgefallen. Gerade nach der für viele „zu skandalträchtig gewesen“.
Ausstrahlung der beiden Interviews mit Petzner, in
der von Claudia Stöckl moderierten ORF- http://www.hosiwien.at/haiderouting/
Radiosendung „Frühstück bei mir“ sowie im Krone
TV, in denen er davon sprach, dass „das, was den
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EU-Migrationspolitik während der


französischen Ratspräsidentschaft

Die „Direktive der Schande“ und andere Widrigkeiten

m 8. Dezember 2008 verabschiedete der die französische Ratspräsidentschaft auszeichnet.

A Ministerrat der EU die „europäische


Abschiebe-Direktive“. Von NGOs und
Menschenrechtsorganisationen wurde sie als die
Die RepräsentantInnen derselben, allen voran
Präsident Nicholas Sarkozy und Minister Hortefeux,
sind allerdings weit davon entfernt, auf diese Kritik
„directive de la honte“ - die „Direktive der Schande“ zu reagieren. Vielmehr rühmen sie sich jetzt schon
bezeichnet. Der französische „Minister für Zuwand- für die migrationspolitischen „Errungenschaften“ der
erung und nationale Identität“ (!), Brice Hortefeux, EU während ihrer Amtszeit. Bereits am 15. Oktober
hat bereits vor einigen Wochen angekündigt, dass die 2008 wurde in Brüssel unter französischem Vorsitz
Direktive, über die das europäische Parlament am 18. der „Europäische Pakt zu Migration und Asyl“ abge-
Juni positiv abgestimmt hatte und die in weiten schlossen. Ihm folgte am 3. und 4. November der
Teilen der europäischen Zivilgesellschaft scharfe „Integrationsgipfel“ der Europäischen Union, zu dem
Kritik hervorgerufen hat, noch Anfang Dezember die Justiz- und InnenministerInnen geladen waren.
offiziell angenommen werden soll. Nicht nur außer- Sarkozy scheute nicht davor zurück, diesen Gipfel in
parlamentarische politische Gruppen hatten dagegen einer Stadt abzuhalten, die eine nur allzu eindeutige
protestiert, sondern auch die offiziellen Vertretungen Symbolik hat: In Vichy, der Hauptstadt des französi-
einer Reihe von afrikanischen und lateinamerikani- schen Kollaborateur-Regimes.
schen Ländern. Boliviens Präsident Evo Morales Am 25. November fand dann in Paris der zweite
hatte mit seinem offe- “Die neuen Bestimmungen sehen vor, dass Euro-Afrikanische
nen Brief, in dem er die Asylsuchende in allen Mitgliedsstaaten bis zu 18 Gipfel zur Migrations-
Migrationspolitik der Monaten in Schubhaft genommen werden können.” politik statt. An dem
EU, und im Speziellen Gipfel nahmen insge-
die Abschiebe-Richtlinie kritisierte, Aufsehen erregt. samt nicht weniger als 80 Regierungsdelegationen
In einem weiteren Protestbrief, der u.a. von den fran- teil: 53 Delegationen aus allen Staaten des afrikani-
zösischen NGOs Cimade und Gisti aufgesetzt wurde, schen Kontinents sowie die Delegationen der 27
wird die Direktive abgelehnt, da sie „die Mitgliedsländer der Europäischen Union. Es war die
Inhaftierung, oder besser gesagt sie Internierung von zweite Konferenz dieser Art, die Folgekonferenz
MigrantInnen in Europa zur Regel macht, weil sie eines ersten Gipfeltreffens, das 2006 in der marokka-
ein scheußliches Bild auf Europa wirft, das auf der nischen Hauptstadt Rabat stattgefunden hatte.
ganzen Welt und im Speziellen in den Den Delegierten der Konferenz „des ponts pas des
Herkunftsländern der MigrantInnen auf Empörung murs“ („Brücken keine Mauern“), die zwei Wochen
stößt. Darüber hinaus verstärkt die Direktive die zuvor ebenfalls in Paris stattgefunden hatte, um
Misere und die Ungerechtigkeit in den aktuellen gegen die rassistische Politik der EU zu mobilisieren
Kräfteverhältnissen nur noch mehr.“ und die 330 Organisationen aus Afrika und Europa
Die neuen Bestimmungen sehen vor, dass umfasst, wurde der Zutritt verwehrt. In der
Asylsuchende in allen Mitgliedsstaaten bis zu 18 Presseaussendung von „des ponts pas des murs“
Monaten in Schubhaft genommen werden können. heißt es dazu: „Diese Weigerung (uns zu empfangen,
All das fand im Vorfeld zu den Feiern des sechzig- Anm.) ist die Folge des absoluten Misstrauens gegen-
sten Jahrestages der Erklärung der Menschenrechte über den Organisationen der Zivilgesellschaft, die zu
statt, was für oben genannte Gruppen zurecht als ein keinem Zeitpunkt in die Reflexionen einbezogen
weiteres Zeichen für die Ignoranz gilt, durch die sich wurden, trotz unserer wiederholten Ansuchen gegen-
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über den OrganisatorInnen in Paris. Konzepte zur „migration choisie“, also zur
Wir lassen uns jedoch nicht von der kategori- „ausgewählten Migration“. Mit letzterem ist
schen Empfangs-Verweigerung entmutigen. die gezielte Rekrutierung von Arbeitskräften
Unsere Versammlung bot schlussendlich für bestimmte Wirtschaftssektoren in der EU
Anlass, den Opfern der Migrationspolitik gemeint, die je nach Bedarf und konjunktu-
reller Lage
gesteuert werden
kann. Unter
anderem betrifft
das die saisonale
Migration für
Landwirtschaft
oder Tourismus.
In der südspani-
schen Provinz
Huelva wurden
auf diese Weise
bereits tausende
marokkanische
Frauen für die
Erdbeerernte
rekrutiert. Wie
die andalusische
Landarbeiter-
Innengewerk-
schaft SOC
unsere Ehre zu erweisen: Weiße Rosen wur- berichtet, die in der Region eine Plattform für
Demonstration der den in die Seine geworfen und ein den Widerstand migrantischer ArbeiterInnen
Organisation "des Blumengebinde wurde an der Grenelle- bietet, sind diese sogenannten „Herkunfts-
ponts pas des Brücke angebracht.“ Die Zahl derjenigen verträge“ mit groben sozial- und arbeitsrecht-
murs" Mitte Menschen, die allein im Jahr 2007 beim lichen Verstößen verbunden.
Oktober in Paris. Versuch, auf Territorium der EU zu gelangen, Kurzum, die französische Ratspräsidentschaft
Forderungen starben oder seither vermisst werden, beläuft gibt einen rabiaten Ton vor, was die
waren u. a. eine sich auf über 2.200. Die Ziele dieses, oben „Harmonisierung“ der nationalen Praktiken
“Regularisierung” beschriebenen, Gipfeltheaters lassen sich auf der Mitgliedsländern in Bezug auf Migration
der sans papiers. einige wichtige Punkte reduzieren, die auf betrifft. Dass sich dies in Form von enormem
EU-Ebene durchgesetzt werden sollen: Noch politischen Druck, ja Erpressung, gegenüber
stärkere Abschottung der Grenzen (mit Hilfe afrikanischen Ländern auswirkt, kann
der Grenzschutzagentur FRONTEX), ver- mensch an einer Hand abzählen. In der
stärkter Druck auf Auswanderungsländer, Presseaussendung von „des ponts pas des
ihre Migrationsströme zu kontrollieren (im murs“ zur Konferenz vom 25. Oktober heißt
Gegenzug wurden Hilfsprogramme und es dazu: „Es handelt sich eindeutig um einen
Investitionen versprochen), Erleichterung von Prozess, bei dem die afrikanischen Länder in
Abschiebungen aus der EU, die Durchsetzung einen 'Dialog' gezwungen werden, der nur als
von sogenannten Rücknahmeabkommen Parodie gelten kann – denn es sind aus-
gegenüber den Herkunftsländern sowie neue schließlich die europäischen Länder, die
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darin die Richtung vorgeben. Hinter dem Vorwand, Regierung in Bamako weigerte sich.
einen 'globalen Ansatz zum Thema der Migration' zu Seit zwei Jahren hatte Frankreich Druck auf Mali
entwickeln, verbirgt sich in Wirklichkeit das ausgeübt, finanzielle Erpressungs- und Anlock-
Vorhaben, repressive Maßnahmen durchzusetzen. manöver durchgeführt, um sie zur Annahme des
Um das zu erreichen, wird den entsprechenden Migrationspakts zu bewegen. Nun hat die Regierung
Ländern vorgegaukelt, dass es im Gegenzug in Bamako das ihr „vorgeschlagene“ Abkommen, das
Möglichkeiten der legalen Immigration (Stichwort am 25. November hätte unterzeichnet werden sollen,
'migration choisie', Anm.) sowie Entwicklungshilfe explizit ausgeschlagen. Ein kleiner Schritt, aber
gäbe.“ immerhin.
Gemeinsam mit transnationalen, antirassistischen
Mali verweigert Erpressung Netzwerken wie „des ponts pas des murs“, dem
„NoBorder“ Netzwerk oder dem Manifeste-Euro-
Ein einziges Land hat dem Druck, den Frankreich Africain, bzw. im Ensemble mit allen sozialen
und die EU entwickelten, um am Tag des Gipfels Bewegungen, die v.a. in Westafrika immer stärker
über „vorzeigbare Ergebnisse“ verfügen zu können, werden, wächst auch die Hoffnung, dass der
vorerst widerstanden und den Mächtigen in die Gegendruck groß genug wird, um zukünftige politi-
Suppe gespuckt. Es handelt sich um eines der ärm- sche Erpressungen der EU gegenüber afrikanischen
sten Länder der Welt, nämlich um das in Westafrika Ländern zu verhindern. Für die französische
gelegene Mali. Nach den Vorstellungen der Ratsprä- Ratspräsidentschaft war das Spiel noch relativ ein-
sidentschaft hätte der Anteil jener von Frankreich fach. Wie es in Zukunft sein wird, hängt von der
unerwünschten MigrantInnen, denen das malische Entwicklung eben dieser gesellschaftlichen
Konsulat in Paris während der Dauer ihrer Kräfteverhältnisse ab.
Abschiebehaft gültige Rückreisedokumente ausstellt,
von 30 auf 60 % verdoppelt werden sollen. Die

„Zurück zur Natur…“


Tourismus in Ländern Afrikas
er Tourismussektor stellt einen einen Gegenpol zum Massentourismus

D der weltweit am stärksten wach-


senden Wirtschaftssektoren dar.
Gerade innerhalb des letzten Jahrzehnts
darstellen sollen. Am Beispiel des
Tourismussektors in Ländern des Südens
lassen sich Machtungleichheiten zwischen
1: Ich verwende in die-
sem Artikel den Begriff
„Länder des Südens“
anstatt jenem der
ist die „Reise-Welle“ auch auf Länder des Nord und Süd einerseits, sowie einheimi-
„Entwicklungsländer“,
Südens1 übergeschwappt, wo bei einigen schen Eliten und marginalisierten um auf das ungleiche
Machtgefälle und die
das Produkt „Tourismus“ nun zu einem Bevölkerungsgruppen anderseits gut ver- Interessenskonflikte zwi-
der wichtigsten Exportgüter geworden ist. anschaulichen. schen dem industriali-
sierten „Norden“ und
„Entwicklung“ durch Tourismus…ein dem Süden (Entwick-
Thema, das schon seit einiger Zeit Einzug Tourismus als neuer lungsländer Asiens,
Afrikas Lateinamerikas
in Entwicklungsdiskussionen gefunden „Entwicklungs“weg? und Ozeaniens.) auf-
hat. In diesen Diskussionen fallen immer merksam zu machen.

wieder Begriffe wie „Öktourismus“ oder Laut einer Welbank-Studie betrugen die
„Community-Based-Tourism“ (CBT), die Einnahmen aus dem Tourismussektor für
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Länder aus dem subsaharischen Raum im Jahr 2004


14 Milliarden US-Dollar. Offizielle Entwicklungs-
gelder betrugen im Vergleich dazu 26,1 Milliarden
US-Dollar. Es drängt sich nun die Frage auf, in wel-
cher Weise Tourismus als ein Wirtschaftssektor mit
einem Potenzial zur Armutsbekämpfung angesehen
werden kann.
Als gängige Argumente für den Ausbau des Touris-
mussektors in Ländern des Südens werden meist
folgende angeführt: Tourismus gilt vor allem in
Ländern des Südens neben der Landwirtschaft als Maasaifrauen warten auf TouristInnen,
einer der zentralen Devisenbringer. Weiters schafft um ihre Souvenirs zu verkaufen

der Tourismussektor sowohl direkt, sprich in Hotels, sen. Armutsbekämpfung durch „Nachhaltigen
Reiseorganisationen usw., als auch indirekt, wie z.B. Tourismus“ – ein Konzept, das in vielen
über eine steigende Nachfrage nach Gütern aus dem Entwicklungsdiskussionen angepriesen wird hängt
informellen Bereich, verschiedene Arbeitsplätze. demnach stark von der Frage der Umverteilung der
Die Weltbank rühmt sich in einem Bericht über die Gewinne aus dem Tourismussektor ab. Dabei stellt
Chancen des weiteren Ausbaus des Tourismus- sich jedoch die Frage, wie eine solche geschehen
sektors mit dem Argument, dass der soll, wenn der Großteil der Tourismusindustrie in
Tourismussektor in diesen Ländern über 4 Ländern des Südens in ausländischen Händen- und
Millionen Menschen anstellt und ca. 10,6 Millionen, zwar in Händen des „Nordens“- oder in jenen einer
wenn auch der informelle Sektor und indirekt kleinen elitären einheimischen Bevölkerungsgruppe
betroffene Bereiche mit einberechnet werden. liegt. Wie in anderen Wirtschaftsbereichen wird
Weitere Argumente in diesem Zusammenhang auch im Tourismusbereich ein klar privatwirtschaft-
beinhalten den Ausbau von Infrastruktur, der auch liches Vorgehen propagiert, was in einem starken
der Bevölkerung zu Gute kommen soll und eine Widerspruch zu gemeinschaftsorientierten
eventuelle gesteigerte Einnahme an Steuern für die Tourismusansätzen steht.
betreffenden Staaten. In Diskussionen über Auswegstrategien aus dem
Gerade gegen diese gängigen Pro-Tourismus-Argu- „Tourismus-Dilemma“ für Länder des Südens fallen
mente können nun verschiedene Gegenstandpunkte immer wieder Begriffe wie „Community-Based-
hervorgebracht werden. Ausgehend von der Tourism“ (CBT), „Ökotourism“ oder „Pro-Poor-
Tatsache, dass gerade in afrikanischen Staaten die Tourism“. Dabei handelt es sich um Tourismus-
Mehrheit der Bevölkerung im Landwirtschaftssek- ansätze, bei denen Tourismus als eine Form der
tor tätig ist, ist es leicht nachvollziehbar, dass diese Einkommenssicherung für Gemeinschaften und in
ohne gezielte Umverteilung vonseiten des Staates weiterer Folge als eine Unterstützungsmöglichkeit
bzw. ohne Verbesserung des Zugangs der ländlichen lokaler Initiativen angesehen wird. Die International
Bevölkerung zum Tourismussektor bzw. zu anderen Ecotourism Society definiert Öktourismus als
Märkten keinen Vorteil aus einer Ausweitung des „Responsible travel to natural areas that conserves
Tourismussektors ziehen kann. the environment and improves the well-being of the
Jobs im Tourismusbereich wie Guides usw. mögen people.” (International Ecotourism Society).
zwar relativ stabile Einkommen im Vergleich zu Ein zentrales Ziel von CBT stellt die nachhaltige
anderen Anstellungen in Ländern des Südens dar- Entwicklung verschiedenster lokaler Aktivitäten zur
stellen, die zentrale Frage besteht jedoch darin, wer Einkommensbeschaffung dar. Dafür sind diese aber
Zugang zu solchen Anstellungen hat. Aufgrund feh- vorerst auf einen regen Tourismusansturm angewie-
lender Qualifikationen bleibt dieser Job-Sektor gro- sen. Verschiedenste Seiten wie multi- und bilaterale
ßen Teilen armer Bevölkerungsgruppen verschlos- Geber, EntwicklungstheoretikerInnen usw. appellie-
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ren immer wieder für eine Eingliederung lokaler diesen Gebieten, die an Nationalparks angrenzen
CBT-Projekte in den Mainstream-Tourismus bzw. für durch die Tierwanderungen stark beeinträchtigt, da
eine verstärkte Vernetzung zwischen großen z.B. große Tiere wie Elefanten über Äcker usw. ein-
PrivatanbieterInnen und kleinen lokalen Betrieben fach hinüber trampeln.
und Initiativen. CBT soll demnach „marktkonform“ Diese nun umgesiedelten Gesellschaften werden auf-
gemacht werden. grund ihrer neuen Lebenssituation, in der sie nicht
Angesichts der derzeitigen Finanzkrise stellt sich nunmehr jagen dürfen, zur Landwirtschaft „gezwungen“.
die Frage, inwieweit diese auch Auswirkungen auf Eine solche Ausweitung der Landwirtschaft steht
die Tourismusmärkte in Ländern des Südens haben jedoch in einem starken Gegensatz zu Bestrebungen
wird. In Arusha, einer Tourismusmetropole verschiedenster Seiten wie den Staaten, der interna-
Tansanias haben verschiedenste Hotel- und tionalen Gemeinschaft, NGOs usw., die Biodiversität
Guesthouse-Betreibende schon während der letzten auch außerhalb geschützter Gebiete zu erhalten.
Monate (Oktober, November) von Defiziten gespro- Es darf jetzt jedoch nicht der Anschein erweckt wer-
chen. In Tansania stellt der Tourismussektor bei- den, als wäre die lokale Bevölkerung nicht an einer
spielsweise 17, 2 Prozent des BIP dar. In diesem Erhaltung ihrer Umwelt interessiert. Der entschei-
Sinne kann von einer zentralen Abhängigkeit vom dende Punkt liegt eher darin, dass die ländliche
Tourismussektor gesprochen werden. Bevölkerung vom Safari- und Jagdtourismus nicht
und wenn, nur in geringem Maß profitiert. Daher
Natur versus Mensch? erscheint der lokalen Bevölkerung die Erhaltung der
Natur als etwas, das für andere, sprich TouristInnen
Die Diskussion um die Erweiterung von und die Tierwelt, aber nicht für sie einen Vorteil
Naturschutzgebieten bzw. Nationalparks stellt einen bringt. Es ist daher auch verständlich, dass lokale
weiteren Bereich von starken Interessenkonflikten Gesellschaften gerade die Landwirtschaft einsetzen,
und Machtungleichheiten innerhalb des um einer Ausweitung der Nationalparks entgegen zu
Tourismussektor in Ländern des Südens dar. wirken. Die Umsiedelungen und fehlende Einbind-
Die Politik der Nationalparks hat gerade in Ländern ung lokaler Gesellschaften in eine Erhaltung der
im zentral- und ostafrikanischen Raum, die reich an Biodiversität haben demnach wiederum beträchtli-
natürlichen Ressour- che Folgen für letztere: In den
"Der Schutz der Tiere und der Biodiversität
cen sind, zu einem scheinen mehr wert als der Schutz des Lebens letzten Jahren ist ein Sinken der
paradoxen Phänomen der dort ansässigen Bevölkerung zu sein." Biodiversität und auch ein
geführt: Der Schutz Rückgang des Tierbestands zu
der Tiere und der Biodiversität scheinen mehr wert beobachten – letzterer ist unter anderem auf die auf-
als der Schutz des Lebens der dort ansässigen grund des Jagdverbots entstandene Wilderei und
Bevölkerung zu sein. Die unaufhaltsame Praxis die- Missbräuche im Jagdtourismus zurückzuführen.
ser Länder, immer mehr Land unter Naturschutz zu Die Situation der Gesellschaft der Maasai in der
stellen, hat zu vielen Vertreibungen und Ngorongoro Conservation Area (NCA), dessen
Umsiedelungen verschiedener Bevölkerungsgruppen Krater mit einer Fläche von 260m² zum Welterbe
in diesen Ländern geführt.Vertreibungen ohne zählt, stellt ein gutes Beispiel in Bezug auf die ver-
Kompensierung bringen beträchtliche Folgen wie schiedenen Auswirkungen geschützter Gebiete auf
Landlosigkeit, Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung lokale Gesellschaften dar. Die NCA ist ein touristi-
usw. für die betroffenen Gesellschaften mit sich. scher Anziehungspunkt gerade aufgrund der
Gesellschaften, die bis dahin einen Hauptanteil ihres Tatsache, dass mensch eine perfekte Verkörperung
Lebensunterhalts durch Jagd- und Sammeltätigkeiten des Bildes vom „wilden Afrika“ bekommt. Im
verdient haben, sollen nun von einem Tag auf den Gegensatz zu Nationalparks haben die Maasai dort
anderen Landwirtschaft betreiben. die Erlaubnis erhalten, außer im Krater selbst ihre
Landwirtschaftlicher Anbau wird jedoch gerade in Ansiedelungen weiter zu behalten. Landwirtschaft ist
ProjectX:ProjectX 4/19/2009 6:36 PM Seite 20

18 P R O J E C T X

jedoch auf 1-2 Hektar pro Familie begrenzt, was Bevölkerung“ darin geendet, dass die im NCA
gerade in dieser Gegend bei einer wachsenden lebenden Maasai ihre traditionelle Lebensweise als
Bevölkerung und einem gleich bleibenden ViehhüterInnen nicht weiterführen können, son-
Viehbestand zu einer starken Verarmung unter den dern ihre Kultur zur Ware machen mussten, um
dort ansässigen Maasai geführt hat. überleben zu können.
Diese Verarmung und die Restriktionen in Bezug s stellt sich nun die Frage, ob „Ökotourismus“
auf Landwirtschaft und Viehhaltung, zusammen mit
einer steigenden Anzahl an TouristInnen in diesem
E und „kultureller Tourismus“ in diesem Falle
nicht auch zu einer weiteren Marginalisierung
Gebiet haben zu einer Ausweitung des „kulturellen“ bestimmter Gesellschaften wie in diesem illustrier-
Tourismus unter den dort ansässigen Maasai ten Falle der Maasai führen kann.
geführt. Dies hat nun folgende Situation hervorge-
bracht, dass sobald mensch mit dem Safariauto Weiterführende Lektüre:
irgendwo in dieser Region stehen bleibt, eine Schar http://www.atlas-euro.org/pages/pdf/Cultural%20tourism%20in
an Maasai-Jugendlichen, Frauen und Kindern her- %20Africa%20Deel%201.pdf
beistürmen, um einen/eine nur so mit „kulturellen“ http://www.earthlore.ca/clients/WPC/English/grfx/sessions/PDFs/

Acessoirs zu überhäufen. session_3/Cernea.pdf


http://www.csae.ox.ac.uk/conferences/2004-GPRaHDiA/papers/
In diesem Fall hat nun die starke Nachfrage des
1f-Kweka-CSAE2004.pdf
Tourismus nach einem „authentischen Afrika“ im
http://www.ilri.org/Link/Publications/Publications/Theme%201/
Sinne einer „unbelassenen Natur“ und einer „har- Pastoral%20conference/Papers/SachedinaJune16.pdf
monisch mit der Natur im Einklang lebenden http://www.arushatimes.co.tz/

Wieviel Knast braucht der Staat? -


oder
Die neue ABC Gruppe in Wien

as Anarchist Black Cross ist ein Netzwerk nur ein Faktor. So wird zum Beispiel eine

D von Gruppen in der ganzen Welt, die unter


anderem (politische) Gefangene unterstüt-
zen bzw. Antiknast-Arbeit leisten. Seit kurzem gibt
Vergewaltigung nicht als solche bewertet, wenn die
Betroffene sich „nicht ausreichend“ gewehrt hat.
Dass Gesetze für alle „gleich“ gelten, bedeutet nur,
es auch in Wien wieder eine solche Gruppe. Aus dass jedes Gesetz jedes Individuum formal gleicher-
Freude darüber soll in dieser Ausgabe ein Artikel maßen erfassen muss. So waren etwa Ausschlüsse -
dem Thema Anti- Knast gewidmet werden. in Form von aufflammenden Nationalismen sowie
einer Zuspitzung des Geschlechterdualismus, mit
Warum ist Antiknast-Arbeit eigentlich nötig? Gibt der Frau als dem „anderen“ Wesen - den bürger-
es Alternativen zu Gefängnissen? Wenn ja, welche? lichen Revolutionen des 18. Jh. um „gleiche Rechte“
Diese Fragen sind sicher nicht mit drei Sätzen zu inhärent. Die (Straf)gesetze sind zu Papier geronne-
beantworten. Entgegen einer verbreiteten ne, konkrete und vielschichtige Machtverhältnisse,
Auffassung stellt das Strafgesetzbuch nicht seien es die Absicherung des Privateigentums, das
bestimmte Verhaltensweisen unter Strafe, sondern Patriarchat mit seiner heteronormativen Matrix, die
die Einbettung dieses Verhaltens in bestimmte Organisation von Mobilität anhand von
Kontexte. Die Intention während der Tat ist hierbei Staatsbürger_innenschaft etc.. Strafgesetze sollen
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P R O J E C T X
19

zwar auch zum Schutz des einzelnen Individuums einem autoritären Prinzip strukturieren. Insofern der
fungieren, funktionieren aber nach der Logik der Strafvollzug abschrecken soll, muss er auch repressiv
Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung. Dies sein. Er muss langweiliger sein als der durchschnittli-
ergibt den allgemeinen Kontext, in dem sie als Text che Scheißjob, die Autorität muss schlimmer sein als
immer wieder interpretiert werden müssen und in der durchschnittliche Chef oder Ehemann. Kurz
dem sie auch wandelbar sind. gesagt, er muss all den Gewalterfahrungen, die 1:
wir im Alltäglichen erleben, die Stirn bieten Vgl. Foucault,
Michel: Überwa-
Gesinnungswandelmaschine können. Insofern sich das Gefängnis nicht chen und Strafen.
Knast? so sehr auf die isolierte Tat, als auf das Die Geburt des
Gefängnisses.
gefährliche Individuum bezieht,
Das Gefängnis in seiner heuti- muss es auch ein Wissensapparat
gen Form ist ein Produkt der sein, der um Verbesserungs-
Moderne. Die humanistische techniken Bescheid weiß. Es darf
Idee von Strafen hat sich mehr nicht nur einfach gezüchtigt wer-
oder weniger von christlichen den, der Gezüchtigte muss den
Konzeptionen der „Rache“ und eigenen Vorteil darin erkennen.
„Sühne“ verabschiedet. Und auch der Die simultane Verkörperung dieser
Souverän, der später das Gesetz selbst Maßnahmen zur Abschreckung und
verkörperte, ist tot. Vorbei mit den Wiedereingliederung spiegeln das
Volksfesten der öffentlichen Marterungen, vorbei Paradoxe an dieser Institution wieder.
mit der Willkür der Herrschenden1. Willkommen im
humanen Strafvollzug des 20. und 21. Jahrhunderts! Resozialisierungs- Paradox 2
Legitimiert sich der heutige Strafvollzug doch vor
allem dadurch, die Gesellschaft vor sich selbst zu „Man sperrt mich ein, um mich auf
schützen. Oder noch besser, vor „den Anderen“ . Es ein Leben in Freiheit vorzubereiten.
gilt tunlichst zu vermeiden, „die Falschen“ einzusper- Man nimmt mir alles, um mich zu lehren,
ren, und „die Richtigen“ falsch zu behandeln. Die mit Dingen verantwortungsvoll umzugehen.
Falschen dürften nicht eingesperrt werden, da Strafe Man reglementiert mich permanent,
nicht nur Sanktionierung des Verhaltens beinhaltet. um mir zur Selbstständigkeit zu verhelfen.
Sie dient auch der Abschreckung und funktioniert Man entfremdet mich den Menschen,
nach dem Prinzip: wenn ich mich konform verhalte, um mich ihnen näher zu bringen.
wird mir nichts passieren. Hinzu kommt, dass auch Man bricht mir das Rückgrat,
jene abgeschreckt werden, die potenziell mir schaden um mir den Rücken zu stärken.
könnten. Man programmiert mich auf Anpassung,
Und die Richtigen dürfen nicht falsch behandelt wer- damit ich lerne, kritisch zu leben.
den, da es schließlich darum geht, deviante Elemente Man bringt mir Misstrauen entgegen,
möglichst zügig wieder aufzulösen. Dafür gibt es damit ich lerne, zu vertrauen.
zwei Möglichkeiten: die physische Auslöschung des Man bricht vor meinen Augen die Gesetze,
Individuums (durch die Todesstrafe), oder die damit ich lerne, diese zu achten.
Variante, für die sich die meisten „modernen“ Man sagt „Zeige deine Gefühle“,
Staaten entschieden haben, nämlich zuerst die räum- damit man mit ihnen spielen kann.
liche Auflösung durch Wegsperren, gefolgt von sozi- Man sagt „Du bist resozialisiert“,
aler Auflösung durch Wiedereingliederung. wenn ich zu allem nur noch nicke!“ 2:
Michael Diel2 http://www.knast.net/
Der Strafvollzug ist nach wie vor eine totale
article.html?id=4069
Institution. Er beruht auf Zwang und fremdbestimm-
ten Abläufen, welche den gesamten Alltag nach
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20 P R O J E C T X

Sogar das Bundesjustizministerium in Deutschland


musste zugeben, so richtig klappt das alles nicht. In Deleuze stellt die Frage, inwiefern dem Staat diese
einer vom Ministerium in Auftrag gegebenen Studie totale Institution nicht mittlerweile selbst peinlich
von 2004 zeigte sich, dass die Rückfallgefahr mit der ist. Er verortet eine Krise aller Milieus, die auf
Schwere der Strafe ansteigt. Besonders Jugendliche, Einschließung basieren. Seien dies Familie, Schule,
3: die keine Bewährung erhalten, weisen hohe Fabrik oder eben Gefängnis. Die zunehmenden
http://www.bmj. Rückfallquoten auf. (3) Verfolgt mensch den Formen von Kontrolltechnologien wie Überwa-
bund.de
aktuellen Diskurs über die „steigende chung im öffentlichen Raum, die Überlegungen zu
4:
Deleuze, Gilles:
Kriminalität“, kippt das Bild immer wieder zwi- elektronischen Fußfesseln, etc. passen in diese libe-
Postskriptum schen Kriminellen als Opfer (ihres sozialen rale Effizienzlogik und weisen auf Versuche hin, die
über die
Kontrollgesell- Umfeldes) und Täter_innen. totale Institution
schaften „Fortschrittlichere“ durch Prozesse der
Maßnahmen sind jedoch eng Deterritorialisier-
mit ökonomischen Fragen ver- ung scheinbar auf-
knüpft. Prävention und „alter- zulösen. Das
native Methoden“ haben ihren Gefühl ständig
Preis und das „Gelingen“ dieser unter Beobach-
ist schwer vorauszusehen. Dies tung zu stehen
zeigt sich etwa anhand der ewi- schreibt sich in
gen Debatte um die Drogen- das Verhalten ein,
szene am Wiener Karlsplatz . Ist wodurch Kontrolle
es nun sinnvoller die Sozial- wiederum repro-
arbeit zu verstärken oder doch duziert wird. Ideal
die Polizei hart durchgreifen zu wäre, wenn jede_r
lassen? Letztendlich bleibt jede_n überwacht
immer die Frage: sinnvoller für wen eigentlich? und jede_r sich selbst. Und das alles ganz freiwillig.
Nichts desto trotz wird die plumpe, die offensichtli-
Tot(al)e Institution Knast? che, die repressive Macht nicht ihre Gültigkeit ver-
lieren. Die Darstellung der Macht als produktive,
„Es ist einfach, jede Gesellschaft mit welche die Subjekte gebiert, darf nicht übersehen,
Maschinentypen in Beziehung zu setzen, nicht weil dass abseits von semantischen, symbolischen und
die Maschinen determinierend sind, sondern weil kognitiven Ebenen vor allem widerständige
sie die Gesellschaftsformen ausdrücken, die fähig Individuen Herrschaft auch ganz materiell und kör-
sind, sie ins Leben zu rufen und einzusetzen. Die perlich zu spüren bekommen.
alten Souveränitätsgesellschaften gingen mit einfa-
chen Maschinen um: Hebel, Flaschenzüge, Uhren; Widerstand hinter Mauern
die jüngsten Disziplinargesellschaften waren mit
energetischen Maschinen ausgerüstet, welche die Widerstände von Gefangenen dringen jedoch aus
passive Gefahr der Entropie und die aktive Gefahr den Institutionsmauern kaum nach außen.
der Sabotage mit sich brachten; die Hungerstreik etwa ist eine gängige Widerstands-
Kontrollgesellschaften operieren mit Maschinen der praxis in Gefängnissen. In Österreich wird er vor
dritten Art, Informationsmaschinen und allem von Flüchtlingen angewandt, um sich gegen
Computern, deren passive Gefahr in der Störung die Internierung in Schubhaft zu wehren. So in den
besteht und deren aktive Gefahr Computer-Hacker zwei Polizeianhaltezentren (PAZ) in Wien, die für
und elektronische Viren bilden.“4 die Anhaltung in Schubhaft verwendet werden. Im
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Jahr 2004 befanden sich ca. 10 000 Personen in Nonkonformismus für alle?
Schubhaft. Unterschiedlichen Zahlen zufolge, gingen
davon mindestens an die 1000 Leute in Hunger- Nicht jeder Widerstand von Gefangenen ist „poli-
5
streik . Es war auch das Jahr 2005, als mit dem tisch“ motiviert. Oder nicht mehr als alles politisch
neuen Fremden- Er verortet eine Krise aller Milieus, die auf ist. Zunächst einmal ist er
rechtspaket die Einschließung basieren. Seien dies Familie, Schule, eine Reaktion auf unerträg-
Möglichkeit der Fabrik oder eben Gefängnis. Die zunehmenden liche Zustände. Und nicht
Zwangsernährung Formen von Kontrolltechnologien wie Überwachung jeder Nonkonformismus ist
als Maßnahme im öffentlichen Raum, die Überlegungen zu elektroni- emanzipatorisch. Wenn sich
dagegen, einge- schen Fußfesseln, etc. passen in diese z.B. Neo- Nazis auf
führt wurde. Einer liberale Effizienzlogik Antiknast Kampagnen
Umfrage für die ORF-Sendung Report von Ende Mai beziehen, weil sie „nur ihre freie Meinung“ geäußert
2005 zufolge, meinten 51 Prozent, dass dieses Mittel haben, können wir wohl kaum von derselben
angemessen sei, lediglich 39 Prozent lehnten „Antiknast“- Logik sprechen, bzw. müssen wir die
Zwangsernährung generell ab. Es konnte sich hierbei Unterschiede klar verorten.
also auf den rassistischen Mainstream berufen wer- Wer Alternativen fordert, ohne grundsätzliche gesell-
den, denn in Schubhaft gelangen jene, denen die pas- schaftliche Veränderungen mit einzubeziehen, for-
sende Staatsbürger_innenschaft fehlt. dert am Ende nur eine Effizienzsteigerung des bür-
gerlichen Strafsystems und damit die Aufrecht-
erhaltung des Status Quo. In diesem Sinne:
Für selbstbestimmte Kollektive.
Gegen Repression und Knäste!

Parteilichkeit ist gefragt!


Die Gruppe DEFMA stellt sich vor

eit 8.März 2008 bietet die Gruppe DEFMA, die standen, die es ermöglicht, dass allein die Betroffene

S ihren Namen aus den Schlagwörtern DIY,


EMANZIPATORISCH, FEMINISTISCH,
MILITANT und AUTONOM sowie vom Begriff
bestimmt, ob eine sexualisierte Grenzverletzung vor-
gefallen ist. (Sexualisierte) Gewalt wird aufgrund der
persönlichen Geschichte, Gegenwart und Erfahrung
„Definitionsmacht“ ableitet, Betroffenen sexualisier- von Betroffenen stets unterschiedlich erlebt, einge-
ter Gewalt aus "linksradikalen" bzw. sich als emanzi- ordnet und eingeschätzt. Mit dem Instrument der
patorisch verstehenden Szenen ihre Unterstützung Definitionsmacht ist es möglich, dass unabhängig
an. Im Interview erzählt DEFMA von ihrer Arbeit. davon, wie ein sexualisierter Übergriff aussah, einzig
und allein die Betroffene eine Vergewaltigung oder
Was versteht ihr unter Definitionsmacht? einen sexualisierten Übergriff als solchen bezeichnet,
denn das entspricht dann ihrer Wahrnehmung und
Unter Definitionsmacht wird im Allgemeinen eine ist als genau das zu akzeptieren. Dafür stehen und
feministische Strategie zur Stärkung von Frauen ver- kämpfen wir als Gruppe.
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22 P R O J E C T X

Wie sieht eure Unterstützung aus? „Opfer“, da dieser Begriff für uns eine (scheinbare)
unüberwindbare Passivität impliziert, wodurch eine
Wenn uns eine Betroffene von ihren Erfahrungen schwache, unterlegene Person konstruiert wird.
erzählt, behandeln wir diese streng vertraulich. Sie Wenn sich eine Betroffene allerdings selbst als
kann sich anonym an uns wenden und/oder sich „Opfer“ bezeichnen will, dann ist das klarerweise zu
mit uns persönlich treffen. Wir wollen einen Raum akzeptieren. Denn manchmal ist das Zulassen die-
schaffen, in dem die Betroffene selbst definieren ser Selbstbezeichnug ein erster Schritt zur
kann, was ihr passiert ist. Außerdem bieten wir z.B. Realisierung der Gewalt, die passiert ist.
Unterstützung beim Formulieren und Vermitteln Ebenso verwenden wir den Begriff „sexualisierte
von Forderungen an den Täter an. Wichtig ist, dass Gewalt“ statt „sexueller Gewalt“ weil zweiteres
wir als Gruppe nur das machen, was die Betroffene impliziert, dass es primär um Sexualität ginge, was
ausdrücklich verlangt, und wir werden uns dafür bei sexualisierter Gewalt aber nicht der Fall ist. Sie
einsetzen, dass ihre Wünsche auch von anderen dient der Aufrechterhaltung und Herstellung von
respektiert werden. So können Betroffene Unter- Machtverhältnissen, indem z.B. das Selbst-
stützung bekommen, ohne sich Belästigungen durch bestimmungsrecht über den eigenen Körper der
definitionsmachtfeindliche Aussagen bzw. Aktionen Betroffenen übergangen wird. Außerdem verwen-
aussetzen zu müssen. Wir werden aber niemals die den wir den Begriff "Täter" in seiner männlichen
Betroffene zu irgendetwas zwingen, über Art und Form, weil sexualisierte Gewalt hauptsächlich von
Weise der Unterstützung durch DEFMA entscheidet Männern ausgeht. Wir wollen damit nicht ver-
sie ganz alleine. schweigen, dass auch andere Genders sexualisierte
Wir sind keine herkömmliche Beratungsstelle, keine Gewalt ausüben können. Eine gendergerechte
Psycholog_innen oder Therapeut_innen, sondern Formulierung könnte allerdings die tatsächlichen
eine Gruppe, die für und mit Betroffenen innerhalb Herrschaftsverhältnisse in dieser Gesellschaft ver-
einer linken Szene parteilich agieren will. Wir ver- schleiern.
suchen, Betroffenen Spielraum und Optionen anzu-
bieten, die im staatlichen Rahmen nicht zu finden Woran arbeitet ihr gerade?
sind und versuchen Schutz – zumindest was inner-
halb unserer Möglichkeiten liegt - anzubieten. Wir haben gerade an einen Text zum Umgang mit
Wenn eine Betroffene zum Beispiel wünscht, dass Tätern aus dem eigenen Umfeld/Freund_innenkreis
ein Täter aus bestimmten linken Freiräumen oder gearbeitet, der mittlerweile fertig ist. Einige von uns
Gruppen ausgeschlossen wird, oder wenn er einfach wollen auch Texte und Veranstaltungen zum Thema
gehen soll, wenn er sie irgendwo trifft, wollen wir Zustimmung, ein anderes Beispiel von ganz prakti-
uns darum kümmern, dass diese Forderungen schem Antisexismus, nämlich das Einverständnis zu
umgesetzt werden. jeder einzelnen sexuellen Handlung, organisieren.
Plakate, Pickerl und Broschüren sind ebenfalls in
In euer Arbeit kommt es auch auf sensible Sprache Arbeit. Wir werden auf jeden Fall präsent sein und
an. Könnt ihr die Begriffe, mit denen ihr arbeitet, Schweigen im Umgang mit sexualisierter Gewalt
erklären? innerhalb und außerhalb unserer eigenen Szenen
bekämpfen!
Wir verwenden den Begriff „Betroffene“ in seiner
weiblichen Form, weil wir sichtbar machen wollen, Betroffene können sich unter defma@pulk.net an
wer in den meisten Fällen die Betroffenen von sexu- die Gruppe wenden.
alisierter Gewalt sind. Uns ist aber bewusst, dass es
Betroffene aller Genders gibt und wir bieten unsere Buchtipp: Antisexismus_reloaded, Zum Umgang
Unterstützung nicht nur für Frauen an. Bewusst mit sexualisierter Gewalt – ein Handbuch für die
vermeiden wir in unserer Arbeit die Bezeichung antisexistische Praxis, re.Action, Münster 2007.
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P R O J E C T X
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„Eine Arbeitsgemeinschaft der


national-freiheitlichen,
farbentragenden
Korporationen“
Hintergründe zum alljährlichen rechten Burschiball
und sonstigen Tätigkeiten des WKR
eutschnationale Burschenschafter ter Ideologe des österreichischen Neo-

D
S c h w e r p u n k t

stehen in Österreich und Deutsch- nazismus antreffen, der nicht dem korpo-
land für völkischen Nationalis- rierten Milieu entstammt. Dass diese revi-
mus, NS-Verherrlichung und Holocaust- sionistischen Verbindungen nach wie vor
Leugnung. Ihre Deutschtümelei stellen sie “salonfähig” sind, zeigt sich u.a. an dem
in Wien unter anderem bei ihrem wöch- jährlichen Ball des Wiener Korporations-
entlichen Mittwochstreffen zur Schau, rings (WKR), der in der Hofburg mitten
wenn sich farbentragende Korporierte in der Wiener Innenstadt ausgerichtet
“aus Tradition” vor dem Hauptportal der werden kann und 2008 von zahlreichen
Universität zusammenfinden. Immer öfter Prominenten und PolitikerInnen, zu den-
treten ihnen dabei jedoch AntifaschistIn- en beispielsweise auch fünf Rektoren
nen entgegen, um dieses Treiben zu stören österreichischer Universitäten zählten,
und ihm langfristig ein Ende zu setzen. unterstützt wurde. Allzu Recht hatte die
Knapp ein Jahr ist es nun her, dass sich blaue Parteizeitung NFZ mit ihrer rhetori-
am Ball des Wiener Korporationsrings die schen Frage, „welche Räumlichkeiten …
deutschnationale VerbindungsstudentIn- sich für diese Menschenmassen besser
nenszene ein Stelldichein gab, während eignen“ würden, „als die riesigen Säle der
DemonstrantInnen in den Straßen Wiens Hofburg?“ In einem Staat, in dem aktuell
die Exekutive in Atem hielten. beide Großparteien um die Gunst einer
rechtsextremen Fraktion rittern, hätte es
Burschenschaftliche Verstrickungen wirklich keinen angemesseneren Ort für
das Treffen von Rechten und äußerst
Das extrem antisemitische, homophobe, Rechten geben können als die repräsenta-
rassistische und frauenfeindliche Weltbild tivsten Räumlichkeiten des Landes. So
des österreichischen Korporationswesens scheint ein großer Teil der österreichi-
stellt wahrlich kein marginalisiertes gesell- schen Polit- und Gesellschaftsprominenz
schaftliches Randphänomen dar. Deutsch- ebenso wie auch die Universitäten keine
nationale Burschenschaften fungieren vor Berührungsängste mit jenen Verbindun-
allem auch als Kaderstätte und Verbind- gen zu haben, die in Österreich als Hort
ungsglied zwischen legal organisiertem rechtsextremer Gesinnungen einzustufen
Rechtsextremismus und der militanten sind. Heribert Schiedel und Martin Tröger
Neonaziszene. So waren beispielsweise 15 stellen fest: “Doch erschöpft sich die Be-
von 19 Nationalratsabgeordneten der FPÖ deutung der Burschenschaften nicht in
in der vergangenen Legislaturperiode der Funktion einer Kaderschmiede oder
“Alte Herren” von Burschenschaften und eines Auffangbeckens für den militanten
es lässt sich auch sonst kaum ein namhaf- Rechtsextremismus (Neonazismus), auch
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24 P R O J E C T X

die entliberalisierte Freiheitliche Partei Öster- Michael Podesser tat selbiges im heimatlichen
reichs (FPÖ) rekrutiert ihr Führungspersonal Kärnten/Koroška. Nichtsdestotrotz kann kein
wieder vorrangig im korporierten Milieu.”(1) Zweifel bestehen, dass die Erklärung des Aus-
Auch im Zusammenhang mit dem WKR-Ball schusses, wonach die Ballgäste „in allen drei
zeigen sich Verbindungen zwischen Bursch- traditionellen politischen Lagern zu finden“
enschaftern und der FPÖ. Angesichts der im seien, in gutem Glauben erfolgt war. Dass
Vorfeld geübten Kritik an dem Ball ließ der sich dann doch größtenteils „Freiheitliche“
Ballausschuss verlauten, dass seine Aktivitäten (aber durchaus auch Vertreter ausländischer
„parteipolitisch ungebunden“ und „nicht auf Rechtsparteien) einfinden würden, hatte vor-
die Nähe zu irgendeiner politischen Beweg- her ja wohl niemand wissen können. Folge-
ung ausgerichtet“ seien. Die Zusammensetz- richtig ergingen sich Andreas Mölzers „Zur
ung des Ausschusses belegte diese Aussage Zeit“ und der „NFZ“ („beim Einzug waren
dann auch eindrucksvoll: Obmann Udo Gug- sämtliche freiheitliche [sic!] Mandatare ver-
genbichler war fraglos rein irrtümlich auf die treten“) in langatmigen Aufzählungen der
UnterstützerInnenliste für den anwesenden FP-Prominenz, die sich – von
letzten Europa-Wahlkampf Strache und Rosenkranz bis hin zu den bei-
Andreas Mölzers (in dessen den Gudenüssen – auf dem Ehrenpodium
„Zur Zeit“ Guggenbichler ge- drängte, während ParteigängerInnen anderer
legentlich schreibt) und auf Fraktionen auch von den freiheitlichen Hof-
die KandidatInnenlisten der berichterstatterInnen nicht ausgemacht wer-
FPÖ für die Nationalratswahl- den konnten. Den „Ehrenschutz“ hatte Ex-
en 2006 gerutscht (die 10 Vor- Staatssekretär Reinhart Waneck übernom-
zugsstimmen, die er in Wien men, der es sich nicht nehmen ließ, mit dem
erreichte, sind mutmaßlich in nicht-österreichischen politischen Kultur-
Wahlspruch einer seinen Bundesbrüdern von en ob seiner rassistischen und antisemiti-
Klagenfurter Bur-
schenschaft der Wiener B!Albia und dem von ihm präsi- schen Ausfälle verfemten Jean-Marie Le Pen
dierten Pennälerring zu verdanken). Freilich für Fotos zu posieren. Strache und Mölzer lie-
ein Einzelfall, an dem die einschlägigen par- ßen sich für „Zur Zeit“ unterdessen mit der
teipolitischen Aktivitäten von mindestens Gattin von Le Pens Nummer 2 im Front
fünf weiteren der insgesamt sieben österrei- National, dem 2004 wegen Holocaustrelati-
chischen Ausschussmitglieder rein gar nichts vierender Aussagen vorübergehend von sei-
ändern. So ist Alexander Pawkowicz FP- ner Lyoner Universität mit Betretungsverbot
Bezirksrat in Wien XII, geschäftsführender belegten Bruno Gollnisch ablichten.
Bezirksparteiobmann sowie Mitglied der
Landesparteileitung; Christian Ebner war Der WKR als rechtsextreme
Mitarbeiter im Kabinett Gorbach, Ex-FP- Organisation?
Gemeinderat in Salzburg sowie Kandidat für
die Europawahlen 1999; in Gorbachs Kabinett Der WKR definiert sich selbst als „eine
werkte auch Herbert Rauch von den Freiheit- Arbeitsgemeinschaft der national-freiheit-
lichen Akademikerverbänden; Reimer Tim- lichen, farbentragenden Korporationen in
mel, ebenfalls Mitglied im Mölzer-Personen- Wien“ zum Zwecke der „Vertretung gemein-
komitee, Obmann der Freiheitlichen Akade- samer Interessen, vor allem ... in allen rein
mikerverbände Wien/NÖ/Burgenland und hochschulpolitischen Fragen.“ Auf universitä-
bekennender Fan des Antisemiten, Neonazis rem Boden tritt der WKR v.a. durch den
und Holocaustleugners Horst Mahler, kandi- jeden Mittwoch auf der Rampe der Uni Wien
dierte bei der Wien-Wahl 2005 für die FP, abgehaltenen „Farbenbummel“ seiner
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Mitgliedskorporationen in Erscheinung, der seit vie- (ÖLM) und des Österreichischen Turnerbundes
len Jahren immer wieder antifaschistischen Wider- (ÖTB) auf.
stand hervorruft. Abseits der Rampe agiert der WKR
alljährlich als (Mit-)Veranstalter des WKR-Balls, der Sonstige (rechtsextreme) Tätigkeiten des WKR
seit 1953 ein Nachfolgeereignis des „Burschenbund-
balles“ und Höhepunkt der Ballsaison für jeden auf- Während AntifaschistInnen am 8.Mai die Befreiung
rechten Fascho mit Frack und jeden (Neo-)Nazi mit Europas von der Nazi-Diktatur feiern, begehen die
Latinum im deutschsprachigen Raum darstellt. Bis korporierten Deutschnationalen ihn als „Tag der to-
Mitte der 1990er Jahre pflegte zudem der jeweilige talen Niederlage“, womit sie sich (wie auch in ande-
Rektor der Uni Wien dem Ball seinen „Ehrenschutz“ ren Belangen) mit manifesten Neu- und Altnazis im
angedeihen zu lassen. Seit sich dagegen antifaschisti- Einklang wissen. Besonders offensichtlich wurde dies
sche Proteste regten, muss üblicherweise der Rektor 2002, als die neonazistische Kameradschaft Germa-
der Montanuni Leoben zu diesem Behufe herange- nia zur Gedenkveranstaltung der Burschenschafter
karrt werden. aufrief – dies unter Angabe der Mailadresse und
Homepage des WKR als Anlaufstelle und Informa-
Gegenwärtig gehören dem 1952 tionsquelle für die „Kameraden“.
gegründeten Verband mehr als „[w]eit rechts stehende Auch auf diversen deutschen Neo-
20 deutschnationale Wiener Burschenschaften“ wie etwa die nazi-Seiten wurde zu der Veranstal-
Studentenverbindungen an. Olympia „[geben] im Korp- tung aufgerufen. An der Uni Wien
Darunter Burschenschaften orationsring den Ton an.“ hatte der WKR gemeinsam mit dem
(Olympia, Teutonia, u.a.), Ring Freiheitlicher Studenten (RFS)
Landsmannschaften (Cimbria, Kärnten), Corps – seiner Filiale innerhalb der Österreichischen Hoch-
(Posonia, Saxonia), sowie je eine Jägerschaft (Silvan- schülerInnenschaft (ÖH) – eine Podiumsdiskussion
ia), Sängerschaft (Barden), ein „Verein Deutscher mit Ewald Stadler, Josef Feldner (Kärntner Heimat-
Studenten“ (Sudetia), eine „akademische Verbin- dienst) und dem deutschen Rechtsextremisten Claus
dung“ (Wartburg) und ein akademischer Turnverein Nordbruch geplant, die von der Unileitung jedoch
(WATV). Der Vorsitz wechselt alljährlich im Som- untersagt wurde und schließlich am Josefsplatz statt-
mersemester zwischen den Verbindungen (seit SoSe finden sollte. Bei der abendlichen „Heldenehrung“
2008: aB! Aldania). So wollte es der Zufall, dass An- sprach der Wiener FPÖ-Landtagsabgeordnete Wolf-
fang der 90er Franz Radl jun., wenig später erstmals gang Jung (pB! Albia Bad Ischl, akademische Tafel-
wegen Wiederetätigung verurteilter Neonazi, auf runde Wiking Wiener Neustadt). Am 8. Mai 2004
Flyern und in Aussendungen als Sprecher des WKR wiederum trat Heinz- Christian Strache (pB! Van-
auftrat, dessen Vorsitz damals Radls aB! Teutonia dalia Wien) als Redner auf der WKR-Veranstaltung
innehatte. Wenngleich eine pauschale Einstufung in Erscheinung. Unter den ZuhörerInnen: Ex-VAPO-
aller WKR-Korporationen als „rechtsextrem“ – Führer Gottfried Küssel. Auch die Redner der Jahre
anders als etwa Kritik an ihrem durchwegs männer- 2006 (FP-Europaparlamentarier Andreas Mölzer, C!
bündischen, deutsch-völkischen und konservativen Vandalia Graz) und 2007 (FP-Nationalrat Lutz Wein-
Charakter – nicht haltbar ist, so konstatierte Heribert zinger, aB! Bruna Sudetia Wien) unterstreichen die
Schiedel vom Dokumentationsarchiv des österreichi- engen Verbindungen zwischen deutschnationalem
schen Widerstandes (DÖW) 2005, dass „[w]eit rechts Korporationswesen und FPÖ. Bei der alljährlichen
stehende Burschenschaften“ wie etwa die Olympia Versammlung am Grab von NS-Kriegsverbrecher
„im Korporationsring den Ton an[geben].“(2) Im Walter Nowotny am Wiener Zentralfriedhof im No-
vom DÖW herausgegebenen „Handbuch des öster- vember trifft sich alles, was in der Wiener rechtsextre-
reichischen Rechtsextremismus“ scheint der WKR men bis Neonazi-Szene Rang und Namen hat. So sind
mehrfach als Kontaktorganisation rechtsextremer auch Burschenschafter stets zahlreich vertreten. 2004
Vereine – wie der Österreichischen Landsmannschaft veröffentlichte der WKR gemeinsam mit RFS und RFJ
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einen Aufruf zur Gedenkveranstaltung, der wortident Veranstaltung keinen Raum zu bieten. Der Kommers
mit jenem des neonazistischen Bundes freier Jugend musste in ruralere Umgebung (Altlengbach) umzie-
(BfJ) war. hen. Alle paar Jahre werden zudem unter maßgeb-
licher Beteiligung des WKR bzw. seiner Mitglieds-
Gemeinsam mit der rechtsextremen ÖLM lädt der bünde überregionale Burschenschafterkommerse in
WKR alljährlich am 21. Juni zum Scheiterhaufenab- Wien abgehalten, wie zuletzt der „Schiller-Kommers“
brennen, genannt Sonnwendfeier, in den letzten Jahr- in der Hofburg 2005. In dessen Umfeld stellte die Uni
en stets am Wiener Cobenzl. In geschlossener Gesell- Wien trotz gegenteiliger Ankündigung den Burschen,
schaft treffen sich dort FPÖ-Granden, Nazigrößen repräsentiert durch ihren verlängerten Arm RFS,
wie Gottfried Küssel (der einstige Stammgast war erst Räumlichkeiten im Neuen Institutsgebäude (NIG)
2007 – wohl aus taktischer Rücksichtnahme auf Fest- für ein Symposium zur Verfügung, das schließlich
redner Strache – erstmals nicht eingelassen worden) von Polizei sowie dem privaten Sicherheitsdienst des
und andere Brüder und Schwestern im deutschen einschlägig bekannten Christian Machowetz herme-
Geiste, um germanischer Tradition zu huldigen. Die tisch abgeschirmt wurde. Studierenden wie auch
„Feuerreden“ wurden in den letzten Jahren u.a. vom Lehrenden wurde der Zutritt zu ihrem Arbeitsplatz
Abgeordneten im FPÖ-Parlamentsklub Ewald Stad- verwehrt. Unter den Rednern befand sich u.a. Walter
ler (2001, Sängerschaft Skalden Innsbruck), dem Marinovic, prominenter rechtsextremer Publizist
Obmann des Ringes Freiheitlicher Jugend (RFJ) (schreibt u.a. in fakten, dem Eckart, Nation & Eur-
Johann Gudenus (2006, pB! Vandalia Wien) und opa, Deutsche Stimme) und gerngesehener Vor-
Parteichef Heinz-Christian Strache (2007) gehalten. tragender bei rechtsextremen Vereinen (u.a. dem
Letzterer dürfte sich dort immer wieder auch Inspi- mittlerweile aufgelösten Verein Dichterstein Offen-
ration für anstehende Wahlreden holen. Der Feuer- hausen) und Parteien (u.a. Arbeitsgemeinschaft für
redner und WKR-Sprecher Jochen Leidl (aB! Silesia demokratische Politik). Am Kommers selbst, der
Wien) wiederum verlieh 2004 seiner Überzeugung neben dem WKR vom Ring Volkstreuer Verbände,
Ausdruck, dass wo „Lebensräume von Völkern der FPÖ Wien, der Deutschen Burschenschaft (DB),
durchmischt werden, [...] diese auf Dauer in dem Österreichischen Pennäler Ring (ÖPR) und der
Konflikte [geraten]“. ÖLM getragen wurde, beschwor u.a. der Olympe
Harald Stefan (zugleich Landesparteiobmann-Stell-
Der alljährliche WKR-Kommers im Wintersemester vertreter der FPÖ Wien) „die positive kollektive Er-
stellt eine festliche Veranstaltung dar, auf der – wie in innerung an die Leistungen der deutschen Wehr-
jeglichem burschenschaftlichen Zeremoniell – das macht“ und ordnete den „Südtiroler Freiheitskampf “
rechte Wort zur rechten Zeit und kühles Blondes der 1960er, im Zuge dessen (nicht zuletzt) österrei-
gleichermaßen im Vordergrund stehen. 2004 widme- chische und deutsche Burschenschafter mit terroristi-
te der WKR die Veranstaltung zum „Konrad-Lorenz- schen Anschlägen zahlreiche Menschen in den Tod
Kommers“ um, anlässlich dessen sich Geistesgrößen rissen, als „fortschrittlich positive[s] Ereignis“ ein.
wie Bernd Rabehl (vom linken zum rechten Antise- Laut FPÖ-Parteizeitung fanden Stefans Worte unter
miten konvertierter Professor aus Berlin), Rolf den Zuhörern „ebenso viel Anklang wie der Aufruf
Kosiek (führender deutscher Geschichtsfälscher mit des RVV-Vorsitzenden Walter Sucher zur Einheit
engen Beziehungen zum neonazistischen Milieu), durch Wiederzusammenrücken des dritten Lagers zu
Otto „Ich war immer schon rechts, auch in der einem politischen Arm.“
NSDAP“ Scrinzi und Friedrich Romig (ehemaliger
Berater von Bischof Kurt Krenn, der bevorzugt in Durch die ungetrübte Durchführung ihrer Veranstal-
Mölzers Zur Zeit seiner antisemitischen Paranoia tungen sowie ihre gesellschaftliche Anerkennung
freien Lauf lässt) am Podium versammelten. Ange- bleibt der völkische Größenwahn dieser Verbindung-
sichts dessen sahen sich sowohl die Uni Wien als en ebenso wie ihr Geschichtsrevisionismus und ihre
auch ein Hotel im 7. Wiener Bezirk veranlasst, der Frauenfeindlichkeit alltäglich und “normal”. So ist
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den aktuellen Protesten sicher zu Gute zu halten, dass (1) Schiedel, Heribert/ Tröger, Martin: “Durch Reinheit zur
die neu aufflammende Diskussion um die männer- Einheit” - Zum deutschnationalen Korporationswesen in Öster-
bündischen Organisationen schon lange anstand und reich abrufbar unter http://aua.blogsport.de/2007/10/27/durc ... r-
durchwegs zur Verschlechterung des Meinungsklimas einheit/
gegen Burschenschafter beigetragen hat. Umso wich- (2) http://derstandard.at/?url=/?id=1862886
tiger scheint es, diese Diskussionen fortzusetzen und
Burschis jederzeit und überall entgegenzutreten.

„Wir sind viele, wir sind krass,


Antifa da geht noch was???“

ebatten über „Antifapolitik“ können lang einer österreichischen postnazistischen Gesellschaft,

D und anstrengend sein. Neben der Frage


nach der Ausrichtung dieser politischen
Arbeit, dem Versuch, sämtliche revolutionäre, Kapi-
die sich nicht nur zum ersten Opfer der deutschen
Nationalsozialisten hochstilisiert, sondern dem aus-

talismus als Ganzes negierende oder wie auch immer


geartete, Kritik und Praxis mit diesem Begriff har-
monieren zu lassen, werden unendlich viele Teil-
aspekte diskutiert: Ist klassische Anti-Nazi-Arbeit
eigentlich notwendig in Wien? Dient „Antifa“ nicht
vielmehr nur der Profilierung einer Riege theoriefei-
ndlicher Vollkontaktsportler und verdienen andere
Ekelhaftigkeiten der österreichischen Gesellschaft,
oder vielleicht auch der radikalen Linken, zur Zeit
nicht viel eher unsere kritische Aufmerksamkeit?

Immer wieder, immer wieder, immer wieder


Österreich (österreichisches Fußballlied)

Antifa-Politik als Reaktion auf bestehende Neonazi-


Strukturen, als gesellschaftliche Intervention und als
Versuch, damit Grundlage, Bedingung und Motor
linksradikaler Politik zu etablieren, bedarf einer per-
manenten Überprüfung des eigenen Standpunktes.
Und sie ist notwendig. Notwendig als zentrales Ele-
ment linksradikaler Politik vor dem Hintergrund
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trofaschistischen Ständestaat am liebsten heute Dass sich das Konzept „freier Kameradschaften“ in
noch den versteckten Platz unter der dunklen Kel- Österreich lange Zeit nicht so richtig durchsetzen
lertreppe österreichischer Geschichtsschreibung konnte, liegt wohl in der Tatsache begründet, dass es
zukommen lässt, um ihn zu ausgewählten Zeit- dafür schlicht keine plausible Erklärung gegeben
punkten ans Tageslicht zu befördern und als antina- hätte. Wozu eine Konkurrenz zur „ideologieverbün-
tionalsozialistisches Widerstandsnest zu lobhudeln. deten Volksbewegung“ schaffen, wenn es dieser an
Ein Land, dessen ekelhafte Vergangenheit heutzutage Salonfähigkeit nicht mangelt und das Auftreten in
zur Aufforderung parteipolitischer Zärtlichkeiten deutscher Kameradschafts-manier der nationalen
benutzt-wird und zum Appell an die nationale Sache Imagekratzer zufügen könnte?
Einheit dienen soll. Bedeutend erscheint vor Allem
die österreichische Kontinuität des Austrofaschismus Wie deutsche Brüder – von antiarabischem
vom vermeintlichem Bollwerk gegen die deutschen Rassismus zu den Herrschern der Welt
Nazis bis zum konstituierenden
Element des postnazistischen Obwohl gerade Kundgebungen a
Österreich-Nationalismus, in des- la „Österreich vs. Brüssel“ oder
sen Rahmen sich die Doppellüge die Wahlkampfveranstaltungen
der ÖsterreicherInnen als Opfer der FPÖ immer auch als Sam-
der Nationalsozialisten als auch melbecken für schmissige Bur-
der „alliierten Besatzungstruppen“ schenschafter, BürgerInnen, die
entwickelt hat. Dass es nur eine denen da oben mal ihre Empör-
Frage der Zeit war, bis Großteile ung kundtun wollen, rassistische
der alten Garde deutschnationaler Würschtelstandgäste und mili-
Ehemaliger mit den neuen öster- tante Neonazis fungieren, regt
reichischen PatriotInnen zum ge- sich bei letzteren zunehmend
samtösterreichischen Volksmob das Bedürfnis nach politischer
fusionierten, liegt auf der Hand. Abgrenzung und dem Aufbau
eigener Strukturen. Im Mittel-
30. März 2008; Tatort punkt steht dabei der Deutsch-
Wien/Österreich nationalismus, noch offener zur
Schau gestellter Geschichtsrevi-
Anhand von welchem Beispiel kann die Verzahnung sionismus, die Abwendung von der FPÖ und ande-
dieser österreichischen Ideologie der Mitte mit ren rechten Parteien als „Systemverfechtern“ sowie
denen die offensichtlich bekennende (Neo-)Nazis die explizite Ausformulierung von dem, was die
sind, anschaulicher illustriert werden als mit der FPÖ meist etwas subtil, manchmal jedoch auch sehr
Demonstration gegen die EU und den EU-Reform- direkt zum Ausdruck bringt: Antisemitismus und
vertrag Ende März letzten Jahres in Wien? Während die Vorstellung von der Gängelung des Volkes
die Kameraden einen eigenen Block bildeten und durch dickbäuchig-zigarrenrauchende Juden im
versuchten, den Rest der Demo mit Sprechchören Chefsessel ostamerikanischer Skyscraper-Büros. So
wie „Freiheit für Gerd Honsik“ akustisch zu über- hat „der ewige Jude“ den „türkischen Messerstech-
trumpfen, konnten bei „Wir sind das Volk“ alle mit- er“ im Themen-Ranking neonazistischer Internet-
schreien und die Tendenz vieler DemonstrantInnen, foren schon längst überholt und Hamas und Hisbol-
sich in ihrer Analyse und Bewertung des EU-Re- lah entwickeln sich mehr und mehr zu gerngesehe-
formvertrages auf schonlängst gemachte Erfahrungen nen Mitstreitern im Kampf gegen Zionismus, Israel
zu stützen, fand ihren passenden Ausdruck im Plakat und die USA.
eines historisch besonders versierten Teilnehmers:
„1938: Hitler; 2008: EU – Gott schütze Österreich“
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„The sound of silence“ Wellen schlagen müsse. Darüber, dieses Bild gerade zu
rücken, und die Legiti-mität einer antifaschistischen
Obwohl die Nationalratswahl im September 2008 Demonstration, Nazis auch mit körperlichem Nach-
verdeutlicht hat, dass der österreichische Normal- druck aus solch einer auszuschließen, wurde weder
zustand reicht, um linke Köpfe zum Rauchen zu diskutiert noch öffentlich richtiggestellt. Wieso setzt
bringen, ist der zu verzeichnende Anstieg neonazisti- mensch der Entpoli-tisierung und Privatisierung des
scher Aktivitäten Besorgnis erregend. Neben einer Politischen durch bürgerliche Medien und Polizei
regelrechten Hetzjagd wildgewordener Nazi-Horden nichts entgegen?
auf Linke im Anschluss an die „Anti-EU-Demos“ auf
dem Ballhausplatz, gewalttätige Übergriffe auf Anti- PartnerInnenwahl
faschistInnen in der Innenstadt, permanente Aufkle-
beraktionen, dem Naziüberfall auf ein linkes Konzert Dass Antifaschismus als Praxisfeld in Österreich der
in Braunau und Hakenkreuz-Schmierereien im In- radikalen Linken in voller Gänze überlassen wurde,
nenhof der Pankahyttn, bildet der Überfall von gut ist traurig. Trotz aller Widersprüchlichkeiten mit
zehn vermummten Neonazis auf das Geburtstagsfest eventuellen BündnispartnerInnen und der Gefahr,
der Rosa Antifa Wien einen neuen Höhepunkt sich die selbsternannten RetterInnen der Nation ins
rechtsextremer Gewalt. Die Häufung der Vorfälle Boot zu holen, erscheint punktuelle Zusammenarbeit
sowie teilweise deren systematisches Vorgehen lässt mit Gruppen, die außerhalb linker Szene-Zusam-
auf eine gewisse Organisierung schließen – oder menhänge stehen, geradezu notwendig. Weniger als
zumindest den Versuch einer solchen. Trotzdem inhaltliche Verdünnisierung muss das Erreichen
wähnte sich die linke, antifaschistische Szene in Still- breiterer Bevölkerungsschichten im Kampf gegen
schweigen und verpasste damit die Möglichkeit, an- Nazis auch als rein pragmatischer Pluspunkt bei
hand eines sehr konkreten Beispieles, auf die physi- Gegenaktivitäten zu rechtsextremen Events vermerkt
sche Bedrohung durch Nazis hinzuweisen und den werden (siehe dazu die Verhinderung etlicher Nazi-
Schulterschluss zwischen Rechtsextremen im Parla- aufmärsche in Deutschland durch das Nebeneinan-
ment und an der Uni, dumpfen Nazischlägern und der von legalem Rückzugsraum in Form von „Bunt
dem österreichischen, rechten Konsens der Mitte als statt Braun“-Festen und militanten Aktionen oder
Bedingung dafür zu skandalisieren. Von effektiver Massenblockaden). Umso mehr Antifaschismus die
Medienarbeit jenseits der obligatorischen Presseaus- Aufgabe hat, nicht nur den rechten Rand einer Ge-
sendung, Aktionen oder einer kraftvollen, antifaschi- sellschaft in den Fokus der Kritik zu stellen, muss er
stischen Demonstration keine Spur. Die Gründe da- auch im unüberschaubaren Trubel gesellschaftlicher
für liegen im Verborgenen. Schließlich verhält es sich Vernetzung dazu fähig sein, der Mobilmachung
normalerweise umgekehrt. Bei Konfrontationen mit gegen Nazis zur „Aufwertung des Heimatlandes“
Nazis wird in der Regel von Seiten der Polizei und eine klare Absage zu erteilen.
Presse versucht, verharmlosend und entpolitisierend
zu wirken. Aus "Linken und Rechten" werden "rivali- „How much is the fish“
sierende Jugendbanden", statt von "politischer Motiva-
tion" wird entkontextualisierend von "hoher Aggressi- Die Lifestyle-Attitüde und das mackerhafte Geb-
vität und Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten" ge- ahren vieler männlicher Antifas hat in der jüngsten
sprochen. Als sämtliche Printmedien nach einer anti- Vergangenheit zurecht zu Diskussionen über Sexis-
faschistischen Kundgebung auf der Parlamentsrampe mus und sexistische Verhaltensweisen in der linken
von einer friedlichen Studenten-demo berichteten, die Szene geführt. Tatsächlich verhilft der Wunsch nach
von zehn Nazis überfallen worden sei, wähnte mensch Streetfighter-Qualitäten, „krassen“ Parolen und der
sich teilweise in ungebrochener Freude darüber, dass Anpassung an den subkulturell-typischen Kleidungs-
die Gewalttätigkeit der Nazis ja in Anbetracht ihrer stil weder der Linken zu Schritten in Richtung Ema-
harmlosen Opfer in der Öffentlichkeit besonders hohe nzipation, noch dem Begriff der Militanz zu strategi-
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schen Höheflügen. Stehengeblieben ist die Debatte eben des Faschismus in der Demokratie sein kriti-
dabei leider meist an der Stelle, wo es gegolten hätte, sches Hauptaugenmerk zu schenken, ist die Ausein-
einen positiven Militanzbegriff, fernab von dicken andersetzung mit dem Nachleben oder Anstieg fa-
Oberarmen, halbtoten Nazis und pathetischen Hel- schistischer Tendenzen gegen die Demokratie, im
dengeschichten zu entwickeln. Militanz als Form konkreten Falle jedoch meist gegen MigrantInnen,
eines hohen Organisationsgrades und der Enschlos- Roma, Homosexuelle oder politische GegnerInnen,
senheit, den Rechten überall entgegenzutreten, wo von unbedingter Notwendigkeit. Dass in diesem
sie sich aufstellen, um ihre menschenverachtende Kampf pragmatisch-bedingte Kompromisse einge-
Propganda zu verbreiten, sollte jedoch immer noch gangen werden, ist nicht zwangsläufig schlecht, so-
zur Praxis linker AntifaschistInnen gehören. Im Sin- lange sich linksradikaler Antifaschismus gegen die
ne der Frage, wie sich diese unversöhnliche Haltung Existenz physischer Bedrohung durch Nazis wendet
ausdrücken kann, ist es weder richtig, die direkte und das postfaschistische Österreich als Grundlage
körperliche Konfrontation mit Nazis als per sè mak- dieser, als auch als Hindernis auf dem Weg zu einer
kerhaft zu disqualifizieren, noch dieses Mittel als befreiten Gesellschaft versteht."
identisch mit militanter Praxis zu verstehen.

Obwohl es, vor allem auch in Österreich, als drin-


gend notwendig erscheint, dem bekannten Nachl-

Der italienische Antifaschismus


in der Krise

Die aktuelle Situation tenza, der sozialen Kämpfe und der starken und
aktionsfähigen ausserparlamentarischen Bewegung-
talien hat in den letzten Jahren einen massiven en in diese Richtung entwickelt. Am offensichtlich-

I gesellschaftlichen und politischen Rechtsruck


durchlaufen. Immer mehr wird eine grundle-
gende Veränderung des politischen Diskurses offen-
sten ist der Rechtsruck Italiens im parlamentarischen
Zuwachs post- und neofaschistischer Kräfte und
deren Akzeptanz in der Politik. In der Regierungs-
sichtlich, die den antifaschisti- fraktion von Berlusconis Wahlbünd-
schen Konsens der Republik- nis Popolo delle Libertà (PdL - Volk
gründung 1945 schrittweise der Freiheiten) sitzen neofaschisti-
delegitimiert und auch vor sche Abgeordnete, die sich wie Ales-
einer Revision der Geschichte sandra Mussolini, Nichte des Duce,
nicht halt macht. Es ist trauri- offen als FaschistInnen bekennen.
ge Realität, dass sich Italien Marcello Dell'Utri, Senator der PdL,
trotz der Erfahrung der Resis- verbreitet neben öffentlichen Be-
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kenntnissen zum Duce als “Ehrenmann” vor PostfaschistInnen zumindest nominell der bür-
allem die Ansicht, der Antifaschismus sei ein gerlich-liberalen Gesellschaft zu. Die Veränder-
“obsoletes Konzept”. Und mit Gianni Alemanno ung zu einer rechtskonservativen Partei ist der
wählten sich die Römer BürgerInnen mit 53,7% AN dabei zumindest im Image durchaus
einen Bürgermeister, der sich in seiner Jugend-gelungen - sie schafften es, viele konservative
zeit als militanter faschistischer Schläger mitWählerInnen der verstorbenen DC für sich zu
Angriffen und Anschlägen einen Namen ge- gewinnen. Die AN konnte sich als
macht hatte. Die Tatsache, dass solchen Gestal-Bündnispartnerin Silvio Berlusconis immer als
stabile Law-and-Order-Partnerin profilieren,
ten in Italien der Zutritt zur Mitte der politisch-
en Landschaft gewährt wird, liegt nicht etwa und avancierte zu einer der stärksten politi-
schen Kräfte Italiens. Ein weiterer markanter
daran, dass sie als seriös getarnt im Schafspelz
agieren würden. Alemanno etwa ließ bereits Grund für die Krise des bürgerlichen
nach kurzer Amtszeit verlauten, am Faschismus Antifaschismus ist der Niedergang der politi-
sei nicht alles schlecht gewesen, und ordnete schen Dimension der Partisanenverbände, ins-
die Räumung aller Roma-Camps der Stadt an. besondere der Associazione Nazionale
Partigiani d'Italia (ANPI). Waren die ANPI
Es ist hingegen so, dass sich in Italien eine Ak-
und andere Partisanenverbände früher vor
zeptanz offen faschistischer Positionen breitge-
macht hat, die sich in Deutschland oder Öster- allem durch ihre Nähe zur PCI und durch die
reich so nicht finden ließe. Die Gründe dafür aktive Mitgliedschaft tatsächlicher Parti-
sind die politische Entwicklung der parlamen- sanInnen ein Bollwerk antifaschistischer gesell-
tarischen Rechten seit 1994 und die außerge- schaftlicher Mobilmachung, so ist diese Rolle
wöhnliche Krise des italienischen in den letzten Jahrzehnten zunehmend ver-
Antifaschismus. schwunden. Die neuen Kader der ANPI, meist
40-50jährige PostkommunistInnen oder So-
Die Krise des Antifaschismus zialdemokratInnen, haben sich der reinen Er-
innerungsarbeit historischer Natur verschrie-
Das italienische Parteiensystem war in den ben, und lehnen, bis auf einzelne lobenswerte
frühen 90er Jahren zusammengebrochen, sei Fälle, eine aktive politische Rolle ab. Dies geht
es durch Korruptionsskandale, die den bürger- sogar soweit, dass sich die ANPI entgegen den
lichen ChristdemokratInnen (DC) und Sozial- Wünschen vieler PartisanInnen und Antifa-
istInnen (PSI) den Garaus machten, oder schistInnen für die Kampagne zur Anerken-
durch den Fall der Sowjetunion, die die mäch- nung der Gefallenen der RSI ausgesprochen
tige Kommunistische Partei (PCI) ins Chaos hat.
stürzte. Die rechtsextreme Kleinpartei Movi-
mento Sociale Italiano (MSI), geistiger und PartisanInnendiskussion
rechtlicher Nachfolger der Faschistischen Par-
tei Benito Mussolinis, nutzte die Gunst der Im kulturell stark segregierten Südtirol oder in
Stunde. Im Jahr 1994 den konservativen Gegenden
wurde unter dem neuen des Lazio oder des Veneto
Parteivorsitzenden Gian- kann sich die AN sogar als
franco Fini die sogenann- zweitstärkste Partei etablie-
te “Wende von Fiuggi” ren. Diese parlamentarische
vollzogen- als Alleanza Entwicklung geht natürlich
Nazionale (AN) wieder- einher mit einer ideologi-
geboren, wandten sich die schen Fortentwicklung, die
neugebackenen im öffentlichen Diskurs
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Italiens stattfindet. Der antifaschistische Konsens, italienischen SS-Männern. Die Gleichsetzung der
der die Resistenza und die PartisanInnen als gefallenen Mörderbanden, die den aussichtslosen
Gründungsmotiv der italienischen Republik aner- Endkampf ihres Führers Mussolini mit brutalen
kennt, wird immer weiter aufgeweicht. Die ehemals Überfällen auf die Zivilbevölkerung Norditaliens
starken PartisanInnenverbände, allen voran die schlugen, mit den Gefallenen der antifaschistischen
Associazione Nazionale Partigiani d'Italia (ANPI), Kräfte ist dabei ein Lehrstück politischer
haben in dieser Zeit eine Veränderung durchlaufen, Redefinition gesellschaftlicher Begriffe.
die sie ihrer politischen Einflusswirkung auf die ita-
lienische Gesellschaft beraubt hat. Das altersbeding- Widerstand?
te Wegsterben vieler PartisanInnen hat das politi-
sche Gleichgewicht in der ANPI stark in Richtung Indes ist militanter Antifaschismus, der auf der
jüngerer sozialdemokratischer Funktionäre verscho- Strasse aktiv ist und Proteste und Aktionen zum
ben, die sich die ANPI nicht als politisches Organ, Mittelpunkt antifaschistischer Tätigkeit macht, in
sondern als Traditionsverband ehrwürdiger Italien mittlerweile nur noch innerhalb der radika-
Denkmalpflege vorstellen. Die Kader der len Linken, insbesondere der Centri Sociali, mobili-
SozialdemokratInnen und PostkommunistInnen sierbar. Dies zeigt sich in der geringen Größe und
haben den Antifaschismus zu einer reinen auch Seltenheit antifaschistischer Mobilisierungen
Gedenkangelegenheit ohne aktuelle politische ausserhalb linker Ballungsräume. Gleichzeitig hat
Schlagkraft umdefiniert, und sind auch zu grossen sich die Ansicht, Faschismus sei eine akzeptable
Eingeständnissen gegenüber den PostfaschistInnen Meinung im Spektrum des demokratischen Pluralis-
bereit. Am bezeichnendsten ist hierbei die mus, in der italienischen Gesellschaft vielerorts fest-
Diskussion der letzten Jahre um die Gefallenen der gesetzt. Von einer sozialen Ausgrenzung der
Republica Sociale Italiana (RSI), Mussolinis letzter Faschisten kann nicht mehr die Rede sein, in einigen
Zuflucht am Gardasee. Die Soldaten der RSI waren Regionen, wie dem Lazio oder Veneto, ist das öffent-
im Wesentlichen zur PartisanInnenbekämpfung liche Bekennen der faschistischen Gesinnung sogar
eingesetzt worden und hatten zusammen mit deut- unproblematisch. Im Fahrwasser der “gezähmten”
schen Truppen vielerorts schwere Kriegsverbrechen Faschisten von Alleanza Nazionale bewegen sich
begangen. Ihnen kam die Rolle der Kollaborateure andere Gruppierungen, die sich durch brutales
und Verräter zu, die in der italienischen Auftreten und durch gute Kontakte zur internationa-
Gesellschaft als zumindest nicht salonfähige Perso- len Neonazi-Szene hervortun. Forza Nuova, Veneto
nenkreise gesehen wurden. Lanciert von postfaschi- Fronte Skinheads, und die faschistischen Hausbeset-
stischen Kräften kam es in den letzten Jahren zu der zer des römischen Zentrums Casa Pound machen
Diskussion, die Toten der RSI sollten von der Repu- aus ihrer Gesinnung keinen Hehl. Ihnen werden
blik genauso geehrt werden wie die gefallenen Parti- auch die vielen Angriffe auf Antifaschisten und auf
sanInnen - alles seien ItalienerInnen gewesen, die linke Jugendliche der letzten Jahre zugeschrieben, die
dachten um ihre Heimat zu kämpfen. Diese Diskus- mehrere Tote verursacht haben und in einigen
sion löste erschreckenderweise nicht nur wenig Auf- Städten wie Rom und Verona zu einem Klima der
sehen aus, sondern wurde sogar von einzelnen Ver- Angst in den Centri Sociali gesorgt haben.
treterInnen von Partisanenverbänden begrüsst -
auch wenn die ANPI protestierte. Als nächstes Die StudentInnenproteste
besuchte der rechte Mailänder Vizebürgermeister
Albertini die Gräber der gefallenen RSI-Leute und Die italienischen StudentInnenproteste der letzten
mehrere Gemeinden ließen Denkmäler erbauen, auf Wochen haben offenbart, wie aktionsfähig und
denen die Namen aller Gefallenen 1940-45 aus- durchorganisiert neofaschistische Gruppierungen in
nahmslos alphabetisiert wurden, KZ-Häftlinge Italien tatsächlich sind. Die erklärtermaßen faschi-
neben faschistischen Paramilitärs, Partisanen neben stischen Organisationen Blocco Studentesco und
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Azione Giovani haben nicht nur teils erfolgreich an die FaschistInnen, ob Neo-, Post- oder Katho-, sind
Protestaktionen, Besetzungen und Kundgebungen in Italien dermaßen salonfähig geworden, dass sich
teilnehmen können, sondern haben vor allem eine gegen ihre Aktivitäten nur mehr die radikale ausser-
sehr erfolgreiche Medienkampagne gefahren, die sie parlamentarische Linke und vereinzelte kommunisti-
ins Rampenlicht der italienischen Öffentlichkeit bef- sche Parteiunterorganisationen aktiv wehren. Dieser
ördert hat. Die Bilder der gewalttätigen Auseinander- Zustand ist der traurige Schlusspunkt einer langen
setzungen vor dem römischen Senatsgebäude sind Entwicklung, die wohl mit dem Zusammenbruch der
als trauriger Höhepunkt der neofa- Sowjetunion und dem darauf fol-
schistischen Interventionsversuche genden Bedeutungsverlust der
anzusehen. Dabei hatten Neo- Kommunistischen Partei Italiens
faschistInnen des Blocco Studen- (PCI) ihren Lauf genommen hat.
tesco, einer SchülerInnenorgani- Historisch etwas weiter ausgegrif-
sation, die dem rechtsextremen fen, basierte die „alte“ italienische
Squat Casa Pound nahesteht, sich Republik sowohl auf dem antifa-
gewaltsam in die Kundgebung der schistischen Konsens der Nach-
SchülerInnen Eintritt verschafft. kriegsparteien als auch auf der
Sie wurden zwar durch den herbeigeeilten Sicher- Wiederbeschäftigung faschistischer Würdenträger-
heitsdienst der studentischen Kollektive und der Innen in staatlichen Stellen. Es bleibt zu hoffen dass
Rifondazione Comunista vertrieben, konnten dafür diesem Trend in der näheren Zukunft eine entschlos-
jedoch in den folgenden Tagen durch Fernsehauf- sene Gegenbewegung folgen wird, die wieder ver-
tritte nicht nur den eigenen Opfermythos pflegen, stärkt Akzente auf den militanten Antifaschismus
sondern auch eine landesweite Medienöffentlichkeit und aktionsgetriebene Politik setzt. Insbesondere in
für ihre Zwecke nutzen. Tatsache ist, dass neofaschi- Rom ist diese Entwicklung abzusehen, da sich einige
stische Gruppierungen insbesondere in Rom, aber der sehr Kultur- und Partyorientierten Centri Sociali
auch in Städten wie Verona oder Mailand sich derart nun wieder verstärkt dem Antifaschismus als Politik-
etabliert haben, dass mit ihnen als ernstzunehmende feld widmen. Inwiefern ein in den Parlamenten ver-
politische Kraft gerechnet werden muss. Nicht nur tretener Antifaschismus in den nächsten Jahren wie-
auf der Strasse hat sich dabei die Hegemonie faschis- der Realität werden kann ist unklar- die Parteien der
tischer Gewalt als durchschlagend erwiesen - auch in Mitte-Links-Koalition sind immer noch nicht mit
den Parlamenten sitzen bekennende Faschismusan- der katastrophalen Wahlniederlage und ihren Konse-
hängerInnen unter dem Deckmantel von Premier quenzen zu Rande gekommen. Ein interessantes Bei-
Berlusconis Regierungsbündnis Partito delle Libertà. spiel für eine positive Zukunftsentwicklung sind die
Gründungen von „Nuova Resistenza“- Gruppen.
Wie weiter? Diese Gruppen haben sich die Organisierung junger
Leute in den PartisanInnenenverband ANPI zur Auf-
Italien durchlebt bereits seit Jahren eine schwere gabe gemacht und versuchen durch eine Verjüngung
Krise des bürgerlichen Antifaschismus, die sich mas- des ehrwürdigen Dachverbandes auch wieder mehr
siv auf das politische Geschehen auswirkt. Die bür- Energie und Mut zum militanten Antifaschismus zu
gerlichen Mechanismen der parlamentarischen und vermitteln. Die große Aufgabe, den revisionistischen
medialen Ausgrenzung faschistischer Meinungsträ- Kräften aus der postfaschistischen und konservativen
gerInnen sind vollkommen zusammengebrochen, Ecke der Gesellschaft Paroli zu bieten, wird jedoch
ebenso wie die Mobilisierungsfähigkeit bürgerlicher wohl noch jahrzentelang präsent bleiben.
antifaschistischer BündnispartnerInnen. Kurzum -
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Der “Bund freier Jugend” -


“volkstreue Jugendgruppe” oder
Neonazi-Schmiede?
er „Bund freier Jugend“, eine rechtsextreme persönliches Symbol ein Männchen unter einem

D Jugendorganisation in Österreich, trat


unter diesem Namen erstmals Anfang 2003
öffentlich auf. Er stellt eine Nachfolgeorganisation
Staubmantel verwendete. Ideologisch gesehen könn-
te „der Kreis“ als konspirative „Nachrichtenorgani-
sation“ der AfP betrachtet werden, der es wichtig
der im Jahr 2002 gegründeten „AfP-Jugend“ dar. erscheint, Informationen über staatstragende Per-
Die Umbenennung erfolgte vor allem deshalb, um sonen und Institutionen wie Militär, Gericht, Polizei
nach außen hin keinen Zusammenhang mit der AfP und Justiz zu sammeln. Kürzlich postete im „Hei-
erkennen zu lassen. Die „Arbeitsgemeinschaft für matschutzforum“ der „Jungen Aktion“ der User
demokratische Politik“ (AfP) ist eine 1963 gegrün- „..WN 62!..“ unter dem Titel „Jüdische Politiker in
dete, sehr aktive rechtsextreme Partei. Der BfJ sollte Österreich“ eine als unvollständig dargestellte Auf-
die Jugendorganisation und Kaderschmiede für die listung jener PolitikerInnen und anderer bekannter
AfP sein. Gründungsvater war vor allem der angeb- Persönlichkeiten, die seiner Meinung nach „Voll-
liche „Menschenrechtsberater“ des BfJ, Dr. Horst juden“, „Halbjuden (oder geringer)“ seien bzw.
Ludwig, der Vorsitzender der AfP war. Nachdem deren Status noch „offen“ sei. Wie diese Menschen
ursprünglich die Gründung des BfJ als Verein ange- als „Juden“ identifiziert wurden, wird nicht beant-
dacht war, entschied man sich aus juristischen und wortet, offenbar handelt es sich um Menschen, die
politischen Gründen für die Konstruktion einer ihre „arischen Wurzeln“ gegenüber den Herren von
Ein-Mann-Organisation in Person von Rene Hönig. BfJ, AfP und co. nicht nachgewiesen haben. Das
Die Verantwortlichen wurden nicht müde, immer „Heimatschutzforum“ der „Jungen Aktion“ entwik-
wieder zu betonen, dass der BfJ keine Partei und kelte sich aus dem traurigen Rest des „Bund freier
kein Verein sei. Er könne daher auch keine Mit- Jugend“, der wegen des Prozesses und damit der
glieder haben. De facto war das Unsinn und konnte damit verbundenen, massiv negativen Medien-
im Zuge des 2008 stattgefundenen Prozesses gegen Berichterstattung aus dem Rampenlicht genommen
den BfJ auch klar herausgearbeitet werden. Im Laufe wurde und stark an Mitgliedern einbüßen musste.
der Zeit zum BfJ hinzu gestoßen war Stephan
Magnet (Pseudonym: Stephan Mairinger), der bald Der Schwerpunkt der BfJ-Mutterpartei AfP liegt auf
die eigentliche Führungskraft werden sollte und kultureller Arbeit mit ausgesprochen rechtsextremer
Rene Hönig nur noch als Marionette vor sich stellte. Tendenz. Immer wieder finden sich in den Zeit-
Stephan Magnet und Dr. Horst Ludwig – beide schriften der AfP Beiträge mit neonazistischer und
Mitglieder der AfP – errichteten das „NIZ“ – ein „revisionistischer“ Tendenz, z. B. warb man für Pu-
nationales Ideologie Zentrum des „inneren Kreises“, blikationen, in denen die Existenz von Gaskam-
das später in „Neues Institut für Zeitgeschehen“ mern zur Ermordung von Menschen in nationalso-
umbenannt wurde und in den letzten Jahren keine zialistischen Konzentrations- und Vernichtungs-
Tätigkeit mehr nachwies. Eine stark mit der AfP lagern geleugnet wird. Die AfP verfügt über zahlrei-
verknüpfte Vereinigung ist „Der Kreis“, der auch im che Kontakte zur nationalen und internationalen
Buch „Der Rechte Rand“ von Heribert Schiedel auf rechtsextremen Szene, darüber hinaus auch zur
Seite 90 erwähnt wird. Zahlreiche „ehrenwerte“ FPÖ. Jährlich veranstaltet die AfP die bereits er-
Gäste der jährlich stattfindenden „politischen Aka- wähnten „politischen Akademien“, bei denen regel-
demien“ der AfP zählen sich dazu, allen voran eine mäßig - und meist ungestört - bekannte Rechts-
Person namens Edmund Eminger, der den BfJ vor extremistInnen Vorträge halten können. In einem
allem im neonazistischen „Thiazi“-Forum mental Gutachten im Jahr 2005 kam der Verfassungs-
stark unterstützte. Edmund Eminger führte die Be- rechtler DDr. Heinz Mayer zu dem Schluss, dass
zeichnung „Der Kreis“ sogar auf Briefpapier und als „die von der AfP zu verantwortenden Publikationen
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seit Jahrzehnten massiv gegen die Bestimmungen des tionen u. a. in Deutschland und Rumänien durch.
Verbotsgesetzes verstoßen. Offenkundige und ver- Mehrmals veranstaltete der BfJ den „Tag der volks-
brämte Verherrlichung nationalsozialistischer Ideen treuen Jugend“. – Ähnlich wie bei den AfP-„Aka-
und Maßnahmen, zynische Leugnung von national- demien“ konnten hier Vortragsveranstaltungen mit
sozialistischen Gewaltmaßnahmen, eine hetzerische rechtsextremen RednerInnen stattfinden sowie „Lie-
Sprache mit deutlich aggressivem Ton gegen Aus- dermacher“ usw. auftreten. Im März 2006 veranstal-
länder, Juden und ‚Volksfremde’ sowie eine Darstel- tete der BfJ in Ried/ Innkreis (Oberösterreich) eine
lung ‚des Deutschen’ als Opfer sind typische und Demonstration, an der sich rund 150 einschlägig
stets wiederkehrende Signale. Von besonderer Ag- gesinnte Personen beteiligten: Die vorwiegend
gressivität sind die Beiträge im ‘Jugend Echo’“, somit männlichen Rechtsextremen grölten ihre Lieblings-
einer - laut Mayer - vom BfJ gestalteten Zeitschrift, parole „Frei, sozial und national“ und andere men-
die ebenfalls der AfP zuzurechnen ist. schenverachtende Sprüche wie „Ausländer rein? Wir
sagen nein!“ und trugen Plakate und Transparente
Der BfJ ist eine „unselbständige Unterorganisation“ mit einschlägigen Parolen. Die Demo war ein Ersatz
der AfP und als solche – wie bereits erwähnt - weder für den an diesem Tag aufgrund öffentlichen Drucks
als Partei noch als Verein existent, nichtsdestotrotz verhinderten „Tag der volkstreuen Jugend“. Als An-
existiert(e) der BFJ natürlich inoffiziell. In einer Aus- melder der Demonstration trat der Welser Rechts-
gabe des „Jugend Echo“ von 2004 ist zu lesen, dem extremist Ludwig Reinthaler in Erscheinung, führen-
BfJ gehe es um die Rekrutierung von „Überzeu- de Positionen in der Demo übernahmen jedoch BFJ-
gungstäter(n)“, das „herrschende System“, die parla- Kader. Der Großraum Wels war auch der Stützpunkt
mentarische Demokratie, gehe „unaufhörlich dem des „Bund freier Jugend“ in Oberösterreich. Die Er-
Ende entgegen“, hier solle mit „eine(r) zielsichere(n), richtung einer weiteren Zweigstelle in Wien scheiter-
entschlossene(n) und stolze(n) Bewegung” nachge- te. Mit Stephan Magnet hatte man zwar eine Führ-
holfen werden. Im September 2004 veranstaltete der ungsperson gefunden, die die Aufbauarbeit über-
BfJ in Steyr eine homophobe „Mahnwache“ gegen nommen hätte, diese Kraft alleine war aber nicht
die „Homo-Ehe“ und den damit in Zusammenhang ausreichend. Hitzige Diskussionen innerhalb der AfP
stehenden „Mord an unserem Volk“, schließlich sei darüber verloren sich im Kreisreden, letztendlich
die Familie die „Keimzelle des Volkes“. In einem legte man dieses „Kind“ gemeinsam mit dem damals
anderen „Jugend Echo“ aus demselben Jahr betrauer- schon existierenden „Jugendkreis Hagen“ weg.
te der BfJ des „Ende des deutschen Reiches“, da mit
dem Nationalsozialismus eine „passende(n) und völ- Im Jahr darauf (2007) wollte der BfJ in St. Johann im
kisch-geprägte(n) Kultur“ sowie die „gewachsene(n) Pongau wieder seine alljährliche Veranstaltung
Volksgemeinschaft“ untergegangen sei. Das Print- durchführen, diesmal hatte die langjährige zivilge-
medium „Jugend Echo“ war das Sprachrohr des BfJ – sellschaftliche Kritik aber zur Auflösung des Treffens
fast ausschließlich von Stephan Magnet betrieben - durch die Polizei geführt. Einige Tage später kam es
wie er im Zuge des Prozesses gegen ihn auch zuge- zur Verhaftung von drei führenden Kadern des BfJ
ben musste. Die letzte Ausgabe erschien Anfang (Stefan Magnet, Michal Scharfmüller und Rene
2007. Die „Kampfschrift der Nationalen Jugend in Hönig). Sie blieben unter dem Vorwurf der NS-Wie-
Österreich“ – wie sie mit Untertitel firmierte – dürfte derbetätigung ein halbes Jahr in U-Haft. Am 14. Mai
eingestellt worden sein. 2008 begann am Landesgericht in Wels schließlich
der Prozess gegen die drei zuvor inhaftierten Kader
Abgesehen von der Gestaltung der Zeitschrift sowie gegen einen weiteren Kader (Markus Knoll),
„Jugend Echo“ führte der BfJ zahlreiche Kund- der als „Propaganda-Chef “ für das „Jugend Echo“
gebungen und Demonstrationen mit einschlägiger verantwortlich war und den ehemaligen Vorsitzen-
Ausrichtung, Flugblattaktionen, Lesungen, Vorträge den der AFP, Dr. Horst Ludwig wegen NS-Wiederbe-
sowie Reisen zu Neonazigruppen und –demonstra- tätigung nach § 3a Z1 (Wiederherstellung einer NS-
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Organisation, in diesem Fall der „Hitlerjugend“) bestand zu großen Teilen aus VertreterInnen der
und 3g Verbotsgesetz. Den Prozess begleitete eine rechtsextremen Szene, diese störten nicht selten
Propaganda-Kampagne der übrigen BfJ-Mitglieder durch abfällige Zwischenrufe.
und der AfP. In diesem Zusammenhang stellte man
das Verfahren etwa als „Patriotenprozess“ und Als Rechtsanwälte hatten die Angeklagten die
„Gesinnungsterror in Österreich“ dar. Man berief Anwälte Herbert Schaller und Andreas Mauhart
sich auf die „Meinungs- und Gesinnungsfreiheit“, engagiert. Die AfP druckte eine Rede Schallers bei
die freilich nur dann Anwendung finden sollte, einem in Teheran im Jahr 2006 stattgefundenen
wenn Rechtsextreme etwa wegen NS-Wiederbetä- Holocaust-Leugner-Kongress ab. In dem Pamphlet
tigung vor Gericht stehen. An anderer Stelle, etwa heißt es unter anderem: “… Erstens die Tatsache,
im letzten „Jugend Echo“ des BfJ, wird die Mei- daß die Beschuldigung der Deutschen mit dem
nungsfreiheit widersprüchlicher Weise scharf kriti- Holocaust bisher nicht ordnungsgemäß bewiesen
siert: So dürfe die „hemmungslose ‚freie Meinungs- ist; …” (…) “Tatsache ist aber auch, daß von einem
äußerung’ ungestraft und frech die Kulturwerte und rechtsstaatlich einwandfrei erbrachten Nachweis der
die sittliche Haltung unseres Volkes zerstören und NS-Gaskammern nach wie vor keine Rede sein
zersetzen“. Nachdem der Strafrahmen bei Paragraph kann.”(…)”(…) die Existenz von Gaskammern
3a des Verbotsgesetzes mindestens 10 Jahre beträgt, scheint im Rang eines quasi-religiösen Dogmas zu
war eigentlich bereits im Vorhinein absehbar, dass stehen, dem die Wirklichkeit von Sachbeweisen
es zu keiner Verurteilung der Angeklagten kommen nichts anhaben darf.”
würde. Ebenso verabsäumte man es, die nationalso-
zialistischen Tendenzen exakter darzustellen – man Speziell Mauhart verstand es bestens mit seinen
verzichtete obendrein auf die Zeugenaussage von schauspielerischen Fähigkeiten vom eigentlichen
DDr. Mayer, der wie erwähnt ein umfangreiches Thema der NS-Wiederbetätigung abzulenken.
Gutachten zu AfP und BfJ erstellt hatte und - auf Selbst manipulativ veränderte Fotos im Zuge der
ein eigentlich absolut notwendiges Gutachten Hauptverhandlung einbringend, die nie Teil des
eines/einer Historikers/Historikerin. Gerichtsaktes waren, gelang es ihm in eloquenter
Weise dem Verfassungsschutz den Vorwurf der
Während der Verhandlungen wurden zahlreiche Beweismittelfälschung unterzuschieben. Während
VertreterInnen der rechtsextremen Szene als Zeug- Dr. Haas die Manipulationen des Verteidigers zu
Innen vernommen, die meisten verweigerten jedoch unterbinden verstand, schwieg der Ankläger zu den
die Aussage. Geladen war etwa auch ein oberöster- mehr als schwerwiegenden Äußerungen der Vertei-
reichischer RFJ-Obmann, der im Internet mit T- digung trotz strafrechtlicher Relevanz. Die Laien-
Shirts von Neonazi-Bands posiert hatte (Stefan richterInnen ließen sich von den Darbietungen der
Kohlbauer) und enge Kontakte zum BfJ pflegt(e). Verteidung überzeugen, und sprachen alle Ange-
Bereits 2007 deckte mensch auf, dass es enge Ver- klagten vom Vorwurf der Wiederbetätigung frei, die
bindungen eines Bezirksobmannes (Andreas Ret- BfJ–Kader mit 8:0, den angeblichen „Menschen-
schitzegger) des oberösterreichischen „Ring freiheit- rechtsverteidiger“ mit angeblicher Funktion „juristi-
licher Jugend“ (RFJ, Jugendorganisation der FPÖ) scher Beratung“ aber nur mit 6:2.
zum „Bund freier Jugend“ gab. Im Juli 2008 gerieten
neue Kontakte von RFJ-Bezirks- und Landesobleu- Dieses (nicht rechtskräftige) Urteil bedeutet natür-
ten (Christian Praher, Christian Aichinger, Stefan lich einen deutlichen Wink für die heimische
Kohlbauer, Stefan Haider) zum BFJ ans Licht. Als Rechtsextremisten- und Neonaziszene, da es – sollte
Zeuge sagte bei einem Prozesstermin auch ein FPÖ- es rechtskräftig werden - quasi einem Freibrief für
Funktionär (Ernst Kronegger) aus Oberösterreich den Aufbau von einschlägigen Strukturen gleich-
aus, bei dem der BfJ ein „Sommerfest“ veranstaltet kommt. Bereits wenige Tage nach dem Freispruch
hatte. Auch das Publikum bei den Prozessterminen marschierte der BfJ-Intimus Ludwig Reinthaler mit
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befreundeten AnhängerInnen der rechten Szene bei Erzeugen von Angst und in weiterer Folge (die Angst
einer Kundgebung zum Gedenken an die antisemiti- und Panik als Rückenwind verwendend) um die
sche Pogromnacht der Nazis am 09. November 1938 Verschärfung der Repression gegen die oppositionel-
auf, um hier zu provozieren und die TeilnehmerIn- le, volkstreue Jugend“, heißt es etwa auf der Seite der
nen der Kundgebung ab zu fotografieren. BfJ-Nachfolger „Junge Aktion“, wo nun scheinbar
wieder einer die braune Feder übernommen hat, der
Auch in der rechtsextremen bis Anfang November ander-
Monatspostille „Aula“ und weitig verhindert war. Weiters
bei der rechtsextremen „Na- heißt es im BFJ-Pamphlet: „Die
tionalen Volkspartei“ ist volkstreue, für Freiheit und
man über den Freispruch Recht streitende Jugend Öster-
natürlich erfreut: Stefan reichs, hätte täglich allen Grund
Magnet, freigesprochener an den Lügen, Niederträchtig-
Führungskader des BfJ, wird keiten und Schlägen der Feinde
in der „Aula“ als „aufrechter unseres Volkes irre zu werden.“
Aktivist“ dargestellt, in Hier ist natürlich die Frage zu
einem anderen Artikel mo- stellen: Ist sie das nicht schon
TeilnehmerInnen der Anti-EU-Demo am
kiert man sich über die 29.3.08 längst – nämlich irre? Wie
„Ausgrenzung und Ver- sonst soll man Menschen be-
nichtung des nationalen Gegners im politisch rech- zeichnen, die ihren Selbsthass und ihre Minderwer-
ten Spektrum“ – demonstrativ wird eine tigkeitskomplexe dadurch zu kompensieren versuch-
Emailnachricht eines ORF-Redakteurs, der es gewagt en, dass sie auf rassistische und antisemitische Weise
hatte, gegen die unerwünschte Zusendung von ein- gegen Minderheiten hetzen, den nationalsozialisti-
schlägigen Emails durch den Rechtsextremisten Lud- schen Massenmord verharmlosen und/ oder verherr-
wig Reinthaler etwas zu sagen, abgedruckt. Die „Na- lichen, sich auf eine nicht existente „arische Volks-
tionale Volkspartei“ NVP freut sich über die angeb- gemeinschaft“ berufen und von Freiheit und Recht
lich „klare Niederlage für Verfassungsschutz und schwafeln, während sie in Wahrheit auf eine Abschaf-
linke Hetzer“. Ob der Ausgang des BfJ-Prozesses tat- fung der Freiheit und der Menschenrechte abzielen?
sächlich eine Niederlage für die antifaschistische Be- „Dieses verleumdet (sic!), verteufelte, verfolgte und
wegung werden wird, wird das Urteil des Obersten geschändete volkstreue Lager ertrug in den Jahrzehn-
Gerichtshofes in Wien zeigen. Wichtig ist nun, nicht ten des Hasses alle Niederträchtigkeiten, ohne Gewalt
die Motivation zu verlieren und weiterhin entschie- anwenden zu müssen“, heult man weiter auf der „Jun-
den gegen rechtsextreme und neonazistische Um- ge Aktion“-Homepage. Aber stimmt das? Was ist mit
triebe à la BfJ aufzutreten. den Mordanschlägen des „Einzeltäters“ Franz Fuchs,
was mit den Anschlägen der VAPO (nach deren Zer-
Nachdem ein Neonazi Mitte Dezember einen Mord- schlagung einige Kader auch beim BfJ untergekro-
anschlag auf den Polizeichef Mannichl verübte, ist chen sind), was mit den Anschlägen auf linke Feste in
man nun auch in der braunen Szene um Schadens- den letzten Monaten? Festzuhalten bleibt: weiterhin
begrenzung bemüht. Während die Passauer NPD werden der BfJ, die Junge Aktion oder wie auch im-
Feigen als Symbol für den „feigen Mordanschlag“ mer die Neonazis sich nennen, aktiv in der rassisti-
verteilte und anbot, bei der Tätersuche (im eigenen schen, antisemitischen und braunen Hetze bleiben,
Freundeskreis?) behilflich zu sein, wird beim BfJ auf weiterhin muss es heißen:
die übliche Weise gegen alles, was links vom Na-
tionalsozialismus steht, gehetzt: Es gehe den Medien Kein Fußbreit dem braunen Pack!!
und Antifaschisten „gar nicht um die Vermittlung
von Wahrheit“, sondern „um das künstliche
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Kameradinnen und braune Schwestern


Publikationen über Frauen und
Rechtsextremimus

ie Debatten rund um die Mittäterinnen- Anders verhält es sich mit dem etwas fragwürdigen

D schaft von Frauen im Nationalsozialismus


waren zweifellos ein wichtiger Schritt in
den Auseinandersetzungen innerhalb der Frauen-
Band „Wir sind auch die kämpfende Front – Frauen
in der rechten Szene“ von Sonja Balbach (1994), in
dem die Autorin ausschließlich und völlig unkom-
bewegung(en) wie auch der Geschichtswissen- mentiert Interviews mit rechten Frauen, vor allem
schaften und so lassen sich bis heute zahlreiche Skin Girls abdrucken ließ. Auch die Fantifa Kassel
Publikationen, Symposien und degleichen finden, gab bereits 1991 unter dem Titel „Auch Sie, Frau
die versuchen die Rolle von Frauen im nationalsozi- Mustermann...?!“ einen Reader zum Thema „Mäd-
alistischen Vernichtungsregime näher zu fassen. chen/ Frauen und Rechtsextremismus“ heraus.
Diese Entwicklung ermöglichte es auch, im Rahmen Wenige Jahre später fand im November 1996 in
der Beschäftigungen mit den Kontinuitäten des NS Saarbrücken auch eine Tagung über „Mädchen,
sowie der Fortsetzung rechtsextremen Gedanken- Frauen und Rechtsextremismus“ statt. Franziska
guts in den postnazistischen Gesellschaften, sich Tenner (1996) beschreibt in ihrem Werk „Ehre, Blut
mit dem Themenfeld „Rechte Frauen“ näher zu und Mutterschaft - Getarnt unter Nazifrauen heute“
befassen. So erschienen vor allem in den 90ern des ihre Erfahrungen, die sie getarnt als Sympathisantin
vergangenen Jahrhunderts in Bezug auf jahrelang in der rechtsradikalen Szene beobachtet.
Deutschland gleich mehrere Über den wenig später von Re-
Publikationen, die von der „Gleichzeitig besteht von journalisti- nate Bitzan (1997) herausgegebe-
„Friedfertigkeit“ und scher Seite immer wieder die unbe- nen Band „Rechte Frauen –
„Opferrolle“ der Frau gründete und daher rasch enttäuschte Skingirls, Walküren und feine
Abstand nahmen und Frauen Erwartung, mit diesem Thema neuar- Damen“ schreibt die Volksstim-
zunehmend als Anhänger- tige Sensationen liefern zu können.” me vom 27.11.1997: „Angestrebt
innen rechter Gesinnungen wird eine Sichtbarmachung und
analysierten, um nicht zuletzt auch aufzuzeigen, zugleich Differenzierung des Spektrums „rechter
dass Frauen eben in den unterschiedlichsten Spek- Frauen“, die sich, offensichtlich, in keine einheitliche
tren des Rechtsextremismus aktiv waren und sind. Klischeefigur fügen [lassen].“ In der 2000 veröffent-
In den unterschiedlichen Besprechungen dieser lichten Forschungsarbeit „Selbstbilder rechter Frau-
Werke wurde zumeist auch deren Besonderheit und en“ der gleichen Autorin verortet sie rechte Frauen
Vorreiterrolle hervorgehoben. In diesem Zusam- „zwischen Antisexismus und völkischem Denken“.
menhang ist beispielsweise der Sammelband „Ka- „Anfang der 90er Jahre erschien eine Vielzahl von
meradinnen – Frauen stricken am rechten Netz“ der Publikationen zum Thema „Frauen und Rechts-
Fantifa Marburg zu nennen, über den es in der extremismus“ - reißerische Berichte in der Boule-
Volksstimme vom 30.3.1995 heißt: „Inmitten einer vardpresse, aber auch theoretische Auseinander-
regelrechten Flut – in bezug auf das vorangegangene setzungen mit dem rechtsextremen Frauenbild und
Schweigen – von Publikationen zum Thema dem Zugang von Frauen zu rechtsextremen Orien-
„Frauen in der rechten Szene“ reiht sich dieses Buch tierungen, sowie empirische Untersuchungen waren
nur scheinbar ein, denn weder wird ein – wie auch „en vogue“. In letzter Zeit ist wieder Ruhe eingekehrt,
immer gearteter – Opferstatus von Frauen diagno- die Aktivitäten der heutigen Rechtsextremistinnen in
stiziert, noch kommen Proponentinnen des Rechts- den Parteien und Organisationen werden in der Öf-
extremismus selbst unkommentiert zu Wort.“ fentlichkeit und der Wissenschaft, das heißt auch in
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der Frauenforschung, nicht mehr adäquat Verunsicherungen mit der Individualisierungs-


wahrgenommen.“ (Sturhan 1997: 104) Auch these während der weiblichen Sozialisation zu
Brigitte Bailer-Galanda (1997) bemängelt in erklären versucht. (Vgl. Köttig 2005: 58, Ottens
ihrem Text „Frauenbild und Frauenrepräsen- 1997: 200ff) Andere wiederum halten an Theo-
tanz im österreichischen Rechtsextremismus“: rien fest, die rechte / rechtsextreme Frauen
„Gleichzeitig besteht von journalistischer Seite durch patriarchale Unterdrückung zu erklären
immer wieder die unbegründete und daher versuchen. Die meist als Sammel-
rasch enttäuschte Erwartung, mit diesem The- bände herausgegebenen Schriften
ma neuartige Sensationen liefern zu können. In beschäftigen sich nicht nur mit
Deutschland mündete dieses Interesse in einige der Affinität von Frauen zu rech-
von ihrer Aussagekraft eher wertlose Publika- tem bis rechtsextremem Gedan-
tionen, die zumeist in einer analyselosen Anei- kengut, sondern versuchen auch
nanderreihung von Interviews mit rechtsextre- unterschiedliche rechte bis rechts-
men Aktivistinnen bestehen.“ So verwundert es extreme Frauengruppen wie bei-
kaum, dass es um das Thema schnell wieder spielsweise die „Deutsche Frauen-
ruhig wurde. Eine der wenigen Ausnahmen in front“ (DDF), „Skingirlfront
diesem Zusammenhang stellt der vom „Anti- Deutschland“ (SFD) oder die
faschistischen Frauennetzwerk“ und „For- „Women for Aryan Unity“ (WAU)
schungsnetzwerk Frauen und Rechtsextrem- samt ihrer historischen Entwick-
ismus“ herausgegebene Sammelband „Braune lungen, Eigenheiten, Frauen-
Schwestern- Feministische Analysen zu Frau- bildern und so weiter näher zu
en in der extremen Rechten“ dar, bei dem auch untersuchen. Selten wird in diesen Unrast Verlag 2005
neuere Forschungsansätze aufgegriffen wer- Werken auf Österreich Bezug genommen, ob-
den. So zeigt sich beispielsweise in dem Bei- wohl beispielsweise die VAPO-Frauen ihren
trag von Renate Bitzan, dass bei einer genaue- „deutschen Kameradinnen“ um nichts nach-
ren Betrachtung feministischer Ansätze For- stehen und in der medialen Berichtserstattung
schungen der letzten Jahre nicht nur gezeigt immer wieder Erwähnung finden. So mussten
haben, dass Feminismus und Faschismus kei- sich 1997 auch in Österreich die „Gattinnen
neswegs in einem Widerspruch stehen, son- und Freundinnen der ehemaligen VAPO
dern auch, dass nicht nur, wie vermutet wer- (Volkstreue Außerparlamentarische Oppo-
den könnte, differenzfeministische Ansätze in sition)-Kader wegen nationalsozialistischer
rechtskonservativen bis rechtsextremen femi- Wiederbetätigung verantworten.“ (Uni Libre
nistischen Ansätzen auftauchen, sondern 1997: 15) Auch in einem Beitrag „Krimhields
durchwegs auch gleichheitsorientierte Ansätze. Töchter“ (Sax 1987: 102) heißt es über Jörg
(Bitzan 2005: 82) Zuvor hatten sich die Publi- Schimanek, Sohn des „Argumente“-Redak-
kationen Anfang der 1990er mit den Profilen teurs H.J. Schimanek, dass den Kameraden
rechter Frauen, ihren Positionen, den unter- Frauen wichtig wären und er nach „ideolo-
schiedlichen Frauenorganisationen beschäftigt gisch gefestigte[n] Mädchen, die andere Mäd-
und verschiedene (theoretische) Ansätze auch chen anwerben“ suchen würde. Dieser Ver-
versucht, Erklärungen zu finden, was rechtes such, durch Freundinnen und Ehegattinnen
Gedankengut für Frauen attraktiv macht. Her- ihrer Mitglieder eine eigene Frauengruppe
vorzuheben sind in diesem Zusammenhang aufzubauen, war jedoch bereits in seiner An-
einerseits ein Ansatz, der sich vor allem an der fangsphase zum Scheitern verurteilt. In diesem
These der Dominanzkultur orientiert, anderer- Sinne meint auch Bailer-Galanda (1997):
seits jener der Affinität von Frauen für Rechts- „Während für Deutschland bereits eine ganze
konservatismus und Rechtsextremismus über Reihe von sozialwissenschaftlichen Studien
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und theoretisch orientierten Sammelbänden zur heiten zu unterstellen, die sich in einem Geschlecht-
Thematik Frauen und Rechtsextremismus vorliegt, ervergleich vielleicht gar nicht als Spezifikum bei
fehlen solche Untersuchungen für Österreich nach Frauen erweisen würden.“
wie vor. Insgesamt wird dieser Fragenkomplex in
verschiedener Hinsicht über- bzw. unterbewertet. ... Bailer-Galanda, Brigitte (1997): Frauenbild und
Die eher spärlichen österreichischen sozialwissen- Frauenrepräsentanz im österreichischen
schaftlichen Arbeiten zu Vorurteilsstrukturen bzw. Rechtsextremismus. Referat Senatsarbeitskreis Innsbruck,
rechtsextremen Einstellungsmustern verzichten nur 22. 1. 1997 Abrufbar unter
zu oft darauf, nach Geschlechtern getrennte Aus- http://www.doew.at/thema/thema_alt/rech ... ildre.html
wertungen anzugeben.“ Bailer-Galanda (ebd.) be-
mängelt außerdem, dass die meisten Forschungs- Bitzan, Renate (2005): Differenz und Gleichheit. Zur
arbeiten „die wesentliche Frage des Geschlechter- Geschlechterideologie rechter Frauen und ihren
verhältnisses im Rechtsextremismus sowie der ideo- Anknüpfungspunkten zu feministischen Konzepten. In
logischen Festschreibung der Frauenrolle in diesem Antifaschistisches Frauennetzwerk, Forschungsnetzwerk
Spektrum außer acht“ lassen. Dennoch kann auch Frauen und Rechtsextremismus [Hrg.innen] (2005):
nicht geleugnet werden, dass in der (extremen) Braune Schwestern? Feministische Analyse zu Frauen in
Rechten nach wie vor Männer den politischen Be- der extremen Rechten. Münster: Unrast Verlag
reich dominieren und auch das (medial verbreitete)
Bild von Männern geprägt wird. Nichtsdestotrotz ist Köttig, Michaela (2005): Mädchen und Frauen in der
rechtes und rechtsextremes Gedankengut keines- extremen Rechten. Ein Diskussionsbeitrag zu
wegs ein „Männerproblem“ und Frauen, wie gerade Erklärungskonzepten und Forschungsansätzen. In
auch in diesen Werken belegt wird, in keinster Wei- Antifaschistisches Frauennetzwerk, Forschungsnetzwerk
se weniger anfällig für reaktionäres Gedankengut Frauen und Rechtsextremismus [Hrg.innen] (2005):
sind. „Zwar sind Amtsträgerinnen in Machtposi- Braune Schwester? Feministische Analyse zu Frauen in
tionen [...] sehr selten, doch zeigt sich trotzdem die der extremen Rechten. Münster: Unrast Verlag
Bereitschaft von rechten bis rechtsextremen Frauen,
wichtige Aufgaben zu übernehmen und vielleicht Ottens, Svenja (1997): Eigene Motive - eigene Formen. In
auch nach einer Parteikarriere zu streben [...].“ Bitzan, Renate [Hrg.in] (1997): Rechte Frauen –
(Sturhan 1997 :116) So meint Brigitte Bailer-Gal- Skingirls, Walküren und feine Damen, Berlin: Elefanten
anda (1997), dass die rechtsextreme Szene Öster- Press
reichs und der Bundesrepublik „deutlich klarer
männerdominiert als andere Politikbereiche“ wäre, Sax, Manfred (1987): Kriemhilds Töchter. Die Frauen der
jedoch rund ein Drittel der WählerInnen weiblich Neonazis. In: Wiener September 1987, S. 97-102
sei. Gleichzeitig zeigt sich auch, dass, wenngleich
Frauenbilder bzw. die Rolle der Frau unterschiedlich Sturhan, Kathrin (1997): Zwischen Rechtskonservativ-
diskutiert werden, zumeist der großdeutsche Ge- ismus und Neonazismus – Frauen in rechtsextremen
danke als einendes Bindeglied zwischen vermeint- Parteien und Organisationen. In Bitzan, Renate [Hrg.in]
lich „männlichem“ und „weiblichen“ rechtem und (1997): Rechte Frauen – Skingirls, Walküren und feine
rechtsextremen Gedankengut fungiert. Gleichzeitig Damen, Berlin: Elefanten Press
muss angemerkt werden, wie auch Svenja Ottens
(1997: 209) in ihrem Aufsatz „Eigene Motive - eige- Uni Libre (1997): Wiederbetätigunganklage gegen
ne Formen“ betont, dass „[g]erade indem die femi- VAPO-Frauen. In Uni Libre 3/1997, S.15
nistische Rechtsextremismusforschung sich auf die
Analyse der Äußerungsformen und Motive bei
Frauen konzentriert, läuft sie Gefahr, Geschlechter-
unterschiede überzubetonen und Frauen Besonder-
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PartisanInnen in den
Literaturkanon!
Autobiographische Werke aus
Kärnten/Koroška
ber 60 Jahre Befreiung meint vor damals waren, literarisch verarbeiteten. So

Ü allem in Kärnten/Koroška
„Niederlage" und in Bezug auf die
Erinnerungstradition in erster Linie eine
erzählt der 1933 in Blasnitzen/Plaznica, in
der Gemeinde Eisenkappel - Vellach
/Železna Kapla - Bela geborene Franc
Kultivierung faschistoider und antislowe- Kukovica in seinem Werk „Als uns die
nischer Brauchtumspflege. Dies verdeut- Sprache verboten wurde. Eine Kindheit in
licht sich in der Fortsetzung eines Ge- Kärnten (1938-1945)“ von der systemati-
denkens, welches an die vermeintlichen schen Ausschaltung der slowenischen
„Opfer" der PartisanInnen erinnert, nicht Sprache in Kärnten/Koroška sowie der
jedoch an ihren antifaschistischen Beitrag voranschreitenden Benachteiligung,
A r t e f a c t s

zur Befreiung. Auch die von ehemaligen Zurücksetzung und Demütigung von slo-
PartisanInnen und anderen Kärntner slo- wenischsprechenden
wenischen AutorInnen niedergeschriebe- Menschen durch die
nen (Lebens-)Geschichten werden weitge- Nazis. In der Schule als
hend marginalisiert und haben bis heute „Windischer“ stigmati-
keinen Eingang in den Literaturkanon siert, erinnert sich
hierzulande gefunden. Dass die ohnehin Kukovica auch an seine
in kleinen Verlagen publizierten Werke Angst, die Verluste, die er
meist nur in niedriger Auflage produziert schon als Kind machen
werden, spiegelt auch die mangelnde musste und an jene
Nachfrage nach derartigen Texten wieder. Männer und Frauen, die
Im Gegensatz zu anderer Kärntner für die Freiheit kämpften und mit denen Empfindliche Irritation des
Prominenz wie Turrini, Handke etc., die seine Eltern während des Kriegs in engem Kärtner Konsenses:
Partisan_innendenkmal am
in ihren Werken ebenso Bezug auf die slo- Kontakt standen. Während sein Vater in Persmanhof
wenische Minderheit nehmen, sind bei- der Fabrik für die PartisanInnen nützliche
spielsweise die Erzählungen von Prezihov Materialien, Gegenstände und Geld sam-
Voranc, Janko Messner oder Florjan Lipus melte und sich später auch dem bewaffne-
weder auf den Literaturlisten der Schulen ten Widerstand anschloss, übernahm
noch in den meisten österreichischen Kukovica selbst Kurierdienste. In seinen
Buchhandlungen anzutreffen. Der Drava Erinnerungen schreibt er: „Bei der Erle-
Verlag hat in den letzten Jahren mehrere digung meiner Kurierdienste fühlte ich in
autobiographische Werke und Über- meinem Körper oft eine plötzliche
setzungen von ehemaligen PartisanInnen Spannung, mir wurde so heiß, dass ich
und/oder anderen (Kärntner) Slowen- schwitzte, das Herz schlug mir sehr stark,
Innen, die sich auf unterschiedliche Art ich fühlte es im Halse, Angst befiel mich.
und Weise gegen das nationalsozialisti- Gewöhnlich dann, wenn meine Zwei-
sche Vernichtungsregime zur Wehr setz- literkanne vollgefüllt mit verschiedenen
ten, veröffentlicht. So erschienen bei- Sachen für die Partisanen war und ich am
spielsweise im Herbstprogramm 2007 die Wachposten vor der Brücke über die
Erzählungen zweier Autoren, Anton Vellach vorbei musste. Mit vollem
Haderlap und Franc Kukovica, die die Rucksack ging ich nie über die Brücke.“
Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg Die Sprachauseinandersetzungen des spä-
und die damit verbundenen Erlebnisse teren Lehrers werden in einem Anhang
aus der Perspektive der Kinder, die sie über den Bedeutungswandel des
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„Windischen“ sowie über die Eindeutschung slowe- seinen Erinnerungen schreibt er: „Für einen jungen,
nischer Familiennamen fortgeführt und durch neugierigen Menschen wie mich, war vieles schwer
Dokumente und Fotos veranschaulicht. Seine Kind- zu verstehen. Es gab viele Fragen, auf die man
heitserinnerungen waren bereits 2006 auf einem Kind zu seinem Schutz und zum Schutz der
Slowenisch unter dem Titel „Nepozabljeno“ im ganzen Gruppe keine Antwort geben durfte.
Drava Verlag erschienen und wurden 2008 von Geheimhaltung war lebenswichtig. Zu großes
Traudi Pasterk übersetzt. Aus der Perspektive eines Vertrauen und Arglosigkeit haben viele ins
Vierzehnjährigen wird auch das autobiographische Verderben gestürzt. Immer musste man mit
Werk „Graparji. So haben wir gelebt. Erinnerungen Verrätern, Spitzeln und Denunzianten rechnen. Also
an Kärntner Slowenen in Frieden und Krieg“ von musste ich in meinem neuen Heim warten und
Anton Haderlap, ebenso 2007 im Drava Verlag auf mich an das Leben im einsamen, muffigen Raum
Slowenisch sowie auf Deutsch in der Übersetzung gewöhnen.“ „Banditenkinder“, wie die Kinder von
von Metka Wakounig und Klaus Amann erschienen, PartisanInnen von den Nazis bezeichnet wurden,
erzählt. Ebenfalls in der Gegend von Eisenkappel waren hingegen die beiden ErzählerInnen des von
/Železna Kapla situiert, bearbeitet Haderlap die Lisa Rettl und Vida Obid herausgegebenen Katalogs
Geschichte zur Ausstellung
seiner eines Projekts,
Familie, sei- welches sich zur
nes Tals Aufgabe machte,
sowie der „Jugendliche aus
slowenisch- dem Grenz-
sprachigen gebiet Öster-
Bevölkerung reich-Slowenien
seit dem zusammenzu-
Ersten Welt- bringen und sie
krieg bis zur zu motivieren,
späteren Verständnis und
Verfolgung Toleranz gegen-
und Unter- über Minder-
drückung heiten zu ent-
durch die wickeln“.
Nazis. So Gleichzeitig
finden auch beinhaltet der
die verharm- unter dem Titel
losend als „Partisanenkin-
‚Aussied- der“ veröffent-
lung’ bezeichneten Portrait bei den Gedenkfeiern zur Befreiung des KZs Loibl lichte, zweisprachig gehaltene
Deportationen von Katalog auch zwei „Lebens-
mehr als 1000 Kärntner Sloweninnen und Slowenen geschichten von Kindern, die auf beiden Seiten der
im Frühjahr 1942 Erwähnung in dem besagten heutigen Grenze zu Opfern des Nationalsozialismus
Werk. Weiters beschreibt Haderlap auch den starken wurden, jedoch das Glück hatten, zu überleben.“ So
Zulauf der slowenischsprachigen Bevölkerung erzählt Janez Kmet unter dem Titel „Ich lebte ohne
Kärntens zu den PartisanInnen, denen sich auch Liebe und Zuneigung“ von seiner Mutter, die sich
sein Vater anschloss. Während Haderlaps Mutter, den PartisanInnen angeschlossen hatte und von
zwei Tanten und ein Onkel sowie eine im gemeinsa- deren Tod er erst nach der Rückkehr seines Vaters,
men Haushalt lebende Cousine Mici von den Nazis der ebenfalls als Partisan aktiv gewesen war, aus
verhaftet und nach Ravensbrück und Dachau dem Krieg erfuhr. „Die Italiener hatten Kinder, die
deportiert wurden, gelang dem Autor selbst gemein- solche Kriegswaisen waren wie ich und deren Eltern
sam mit einer weiteren Tante und seinem elfjähri- sie arretiert hatten, nach Italien verschleppt. Das
gen Bruder Zdravko die Flucht in die Wälder, wo er waren die gestohlenen Kinder. Auch mich hätte ver-
sich ebenfalls dem bewaffneten Widerstand gegen mutlich dieses Schicksal ereilt, hätte nicht die
den Nationalsozialismus anschloss, als Kurier tätig Organisation der Ziherl-Mama dafür gesorgt, uns
wurde und so den Zweiten Weltkrieg überlebte. In irgendwie in verschiedenen Familien zu verstecken.“
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Auch nach 1945 lebte der Erzähler mehrere Jahre bei der Nazis zur Sprache bringt. Während der Großteil
seiner Großmutter. Die Bedeutung des Worts der Familie die Gräueltaten überlebte, wurde bei-
„Mutter“ erfuhr er erst später, als sein Vater ein wei- spielsweise der älteste Sohn der Familie, Jozek, von
teres Mal heiratete, aber auch in dieser Familien- der Familie getrennt und wie sich 25 Jahre später
konstellation wurde ihm nicht die Aufmerksamkeit herausstellte, von dem Konzentrationslager
und Liebe zuteil, die er als Kind benötigt hätte und Mauthausen in das von Österreich so lange ver-
so wünschte er sich auch, als er selbst schon Kinder schwiegene Konzentrationslager an der Nordseite des
hatte, dass seine Mutter sich für ihn und nicht für Loiblpasses gebracht, wo er als einziger Kärntner
den Widerstand entschieden hätte. Romana Verdel Slowene arbeitete, bevor er zurück in Mauthausen
hingegen erzählt unter dem Titel „Wir sind immer umgebracht wurde. Unter dem Geleitwort von Heinz
marschiert, von Bunker zu Bunker“ wie sie durch Fischer und einem Nachwort von Klaus Ottomayr,
Zufall, weil sie mit einem Kind am benachbarten Hof der die Erzählung „selbst [als] Teil einer
spielte, der Verschleppung ihrer Familie, die engen Traumaverarbeitung“ einstuft, beschreibt Kokot
Kontakt zu den PartisanInnen pflegte, durch die jedoch nicht nur das Schicksal, das einem Großteil
Gestapo entging. Da die Nachbarin das Kind jedoch der slowenischsprachigen Bevölkerung Kärntens/
nicht lange verstecken konnte, übergab sie es den Koroškas während der nationalsozialistischen
PartisanInnen, wo Verdel einen Teil ihrer Kindheit in Vernichtungsherrschaft widerfahren ist, sondern
Bunkern verbrachte und das mühsame Leben im auch die Schwierigkeiten nach dem Krieg. Als Kokot
Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime als Neunjähriger mit seiner Familie nach dem Krieg
kennenlernte. Von diesen Erfahrungen geprägt, in ihren Heimatort Oberdorf/Zgornja vas nei
überlebt sie als eine der wenigen ihrer Familie die Köstenberg/Kostanje im Kärntner Rosental zurück-
Gräueltaten der Nazis, da sie von Vater- und kehrte, musste jene ihren Bauernhof erst von einem
Mutterseite insgesamt 13 Familienangehörige verlor. deutschsprachigen Nachbarn, dem dieser zugespro-
„Etwas anderes ist aber auch geblieben, nämlich dass chen worden war, wieder zurückverlangen. In seinen
ich nie ein Vertrauen zu jemanden gehabt habe, über von Bildmaterial untermalten Beschreibungen hält
meine eigenen Gefühle, also nicht nur die Kokot an seinen kindlichen Eindrücken fest und so
Kriegsgefühle, sondern meine eigenen, ganz persön- wusste er beispielsweise von Krieg kaum etwas.
lichen Gefühle zu reden. Das bleibt in mir. Ich weiß Dennoch erinnert er sich, als sein Vater über die
nicht ob das gut ist, aber mit dem lebe ich.“ Alliierten sprach: „Ich wusste noch nicht, wen sie
Wie bereits der Titel „Das Kind, das ich war. damit meinten. Ich konnte auch zwischen der Roten
Erinnerungen an die Vertreibung der Slowenen aus Armee, den Amerikanern oder den Engländern nicht
Kärnten“ des 1996 auf Slowenisch und 1999 auf unterscheiden. Für mich war die vergnügliche Fahrt
Deutsch im Drava Verlag erschienen Werks von mit dem Lastwagen wichtiger als das Gerede über
Andrej Kokot vermuten lässt, handelt es sich auch in Krieg und Frieden. Noch wichtiger waren die
diesem Fall um die Lebensmittel, die wir von den Bauern
Erinnerungen eines Kindes an “übergab sie es den PartisanInnen, bekamen.“ Der 1916 in Loibach/
die Gräueltaten des Zweiten wo Verdel einen Teil ihrer Libuče geborene Tone Jelen war zwar
Weltkriegs. „Als sich Öster- Kindheit in Bunkern verbrachte alt genug, um sich als Erwachsener
reich mit einer Abstimmung und das mühsame Leben im den PartisanInnen anzuschließen und
an Hitlerdeutschland ange- Widerstand gegen das nationalso- hatte dies auch geplant, seine frühzeiti-
schlossen hatte und mit dem zialistische Regime kennen lernte. ge Verhaftung und spätere Odysee
Namen Ostmark eine der
Von diesen Erfahrungen geprägt, durch eine Vielzahl italienischer und
Provinzen des Dritten Reiches deutscher Lager und Zuchthäuser, die
überlebt sie als eine der wenigen
geworden war, war ich zwei er während des Nationalsozialismus
Jahre alt." schreibt Kokot am ihrer Familie die Gräueltaten der überlebte, verunmöglichte ihm jedoch,
Beginn seiner Erzählung, in Nazis, da sie von Vater- und diese Entscheidung umzusetzen.
der er u.a. die Deportation Mutterseite insgesamt 13 Davon berichtet er in der biographi-
und Internierung seiner Familienangehörige verlor.” schen Erzählung, die unter dem Titel
Familie in die verschiedenen „Auf den Spuren der Hoffnung.
Lager Frauenaurach, Rehnitz, Rastatt und Odysee eines Kärntner Slowenen (1938-1945)” einer
Gerlachsheim in den Jahren 1942-1945 beschreibt überarbeiteten Übersetzung der 2002 erschienenen
und die unzähligen Erniedrigungen und Verbrechen slowenischsprachigen Erstausgabe von Vida Obid
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und Helena Verdel. Auch sein Jusstudium, das er Mein Weg in den Widerstand", die Entscheidung,
mehrmals unterbrechen musste und erst nach dem sich den PartisanInnen anzuschließen, als klare
Krieg abschließen konnte, trug zu seinen Entscheid- Entscheidung für die Hoffnung und somit für das
ungen bei. Nachdem er in Innsbruck nicht mehr Leben. Die von Erwin Köstler übersetzte deutsch-
weiter studieren konnte und sich auch nicht dem sprachige Ausgabe erschien 2001 im Drava Verlag,
Dienst für das nationalsozialistische Regime unter- die slowenische Erstausgabe wurde hingegen bereits
ordnen wollte, beschloss er, nach Jugoslawien zu 1997 im selben Verlag veröffentlicht. Nach einem
fliehen. Nachdem er bereits als Student politisch Vorwort von Janko Messner beschreibt der 1925 in
aktiv gewesen war, St. Margarethen bei Bleiburg/Smarjeta
wollte er Kontakt mit pri Pliberku Geborene die Zeit, als die
der slowenischen Deportationen der slowenischen
Befreiungsbewegung Bevölkerung aus Kärnten/Koroška ein-
aufnehmen und sich setzten und der junge Lipej aus der
den PartisanInnen Wehrmacht desertierte und sich den
anschließen. Er Partisanen anschloss. So werden sowohl
wurde jedoch zuvor Vertreibung, Aussiedlung sowie die
im Juni 1942 von den systematische Benachteiligung und
italienischen Demütigung von Angehörigen der slo-
BesatzerInnen ver- wenischen Minderheit als auch die
haftet und in das Realität der deutschen Internierungs-
Lager Gonars lager, die Zwangsarbeit, dem Einzug vie-
gebracht. Als ler Kärntner Slowenen in die deutsche
„Reichsflüchtling“ Wehrmacht und der Zulauf vieler
wurde er jedoch der Deserteure zu den PartisanInnen thema-
SS übergeben und tisiert. Seine unprätentiösen Aus-
landete im Gefängnis führungen und
von Vigaun, wo er einen Hochverratsprozess Erinnerungen gehen
erwartete. Zu Weihnachten 1942 wurde Jelen aber auch auf das
nach Klagenfurt/Celovec überstellt, wo er unter Risiko und die
anderen jene Kärntner Slowenen kennen lernte, Gefahr, im
die wegen Hochverrats zum Tod verurteilt und „Bandengebiet“ von
im April 1943 hingerichtet wurden. Im Juli 1943 den Nazis erwischt
wurde Jelen schlussendlich vor Gericht gestellt: zu werden, ein und
„Hauptsächlich wurden wir damit belastet, dass beschreiben die
wir antideutschen Kreisen der Nationalslowenen Solidarität, mit der die slowenischsprachige
angehören, dass wir uns willentlich und wohlüber- Bevölkerung dennoch den Widerstand unterstützte.
legt der Staatsbürgerpflicht der Wehrdienstleistung Nach seiner schweren Verletzung im März 1945
entzogen haben, was in Kriegszeiten ein besonders wurde er von Versteck zu Versteck gebracht, über-
schweres Verbrechen darstellt. Das Urteil lautete: lebte so die letzten Kriegsmonate. Seine präzisen
zehn Jahre strenges Zuchthaus und Verlust der Beschreibungen enden jedoch nicht mit Kriegsende,
Staatsbürgerrechte.“ Als ein „rechtskräftig Verur- sondern bringen auch die Enttäuschungen nach der
teilter“ kam er nicht in ein KZ, sondern in die Befreiung zur Sprache, als Kolenik – so wie viele
Strafanstalt Stein, wo er das Massaker vom 6. April andere PartisanInnen in Österreich – diffamiert,
1945 durch glückliche Fügung überlebte. Unter wiederholt verhaftet, eingesperrt, als Verräter ange-
einem Vorwort von Andreas Pittler, einem sehen wurde. Er hatte nämlich wie auch vielen
Kommentar der ÜbersetzerInnen und durch zahl- andere im Befreiungskampf der „Osvobodilna fron-
reiche Erklärungen und von Bildmaterial ergänzt, ta“, der politischen Organisation der slowenischen
beschreibt Jelen auf eindrucksvolle Weise die PartisanInnenbewegung, für den Anschluss an
Gräueltaten und Brutalität mehrerer Haftanstalten, „Tito-Jugoslawien“ plädiert und auch dafür gekämpft
die am eigenen Leibe erfahren musste. Die und wurde in weiterer Folge als Verräter und Nicht-
Hoffnung scheint er dabei nie aufgegeben zu haben. Patriot diffamiert. „Um zu den Tagen nach
Auch Lipej Kolenik erkennt in seinem autobiogra- Kriegsende zurückzukehren: Nach dem Abzug der
phischen Werk „Für das Leben, gegen den Tod. Partisanenarmee waren wir Partisanen über Nacht
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zu unerwünschten Titokommunisten geworden. Wir Erfahrungen im Umgang mit den ehemaligen


waren nicht wenig über solche Behandlung ent- PartisanInnen in Kärnten/Koroška nach 1945 aus,
täuscht, schon über die Möglichkeit, dass die frühe- die sowohl von einem antislowenischen Geschichts-
ren Verbündeten sich der Befreiungsbewegung revisionismus gezeichnet waren als auch ehemalige
schämten.“ Aber enttäuscht wurde Kolenik auch von Angehörige des PartisanInnenkampfes als vermeint-
der englischen Besatzungsmacht, die nicht nur die liche TäterInnen brandmarkten und sie somit von
PartisanInnen zurückdrängte, sondern teilweise auch Neuem ausgrenzten. Neben den ca. 20 Zeitzeug-
mit ehemaligen, gesellschaftlich bald wieder inte- Innenberichte fanden auch zwei wissenschaftliche
grierten Nazis paktierte. Bis zu seinem traurigen Tod Beiträge von Brigitte Entner und Avguštin Malle
letztes Jahr ist er jedoch politisch aktiv geblieben. Eingang in das Werk sowie ausgewählte Zitate aus
Zuletzt erschien im dem „Slovenski vest-
Herbstprogramm des
“Auch seine Erlebnisse unter der britischen nik“ um antisloweni-
Drava Verlags 2008 der Besatzungsmacht wie beispielsweise die sche, minderheiten-
von Lipej Kolenik her- Exkommunikation der ehemaligen Angehörigen der und partisanenfeindli-
ausgegebene und von „Osvobodilna fronta“, parteiinterne Konflikte und che Vorkommnisse zu
Metka Wakounig über- Richtungsstreitigkeiten zwischen den KommunistInnen dokumentieren. Vor
setzte Sammelband sowie Kärntner SlowenInnen sowie die nahtlose allem die wissen-
„Von Neuem - Die Integration ehemaliger Nazis und anderer schaftlichen Beiträge
Kärntner Slowenen Deutschnationaler in führende Positionen des verdeutlichen nicht
unter der britischen Nachkriegskärntens fanden Eingang in seinen Bericht.” nur die historische
Besatzungsmacht nach Dimension und
1945. Zeitzeugen, Beiträge und Berichte“. In dem Relevanz der Berichte der ZeitzeugInnen, sondern
Band verarbeitet und beschreibt Kolenik ebenfalls geben ihnen auch den richtigen Rahmen. Nicht
nicht nur seine Zeit während der Befreiung, das nur zuletzt sind auch mehrere Nachrufe auf Kolenik ent-
kurz andauernde Gefühl des Sieges über das men- halten, der leider bereits vor dem Erscheinen des
schenverachtende Regime der Nazis sowie die Werks verstarb. Karel Prušnik-Gašper widerum
Bestrebungen, Teile Südkärntens an Yugoslawien schrieb seine Autobiographie „Gemsen auf der
anzuschließen. Auch seine Erlebnisse unter der briti- Lawine – Der Kärntner Partisanenkampf “, die bereits
schen Besatzungsmacht wie beispielsweise die 1958 unter dem Titel „Gamsi na plazu“ in Ljubljana
Exkommunikation der ehemaligen Angehörigen der erschienen war, in der Strafanstalt Karlau, in die er
„Osvobodilna fronta“, parteiinterne Konflikte und
Richtungsstreitigkeiten zwischen den Kommunist-
Innen sowie Kärntner SlowenInnen sowie die nahtlo-
se Integration ehemaliger Nazis und anderer
Deutschnationaler in führende Positionen des Nach-
kriegskärntens fanden Eingang in seinen Bericht.
Neben seinen Ausführungen sammelte Kolenik auch
die Erzählungen anderer Zeitzeug-Innen seiner
Generation, zu denen Marko Dumpelnik, Franc
Hafner, Blaž Kordež, Lenčka Kralj, Peter Kuhar,
Danilo Kupper, Kristi Lajčahar, Marija Lienhard,
Janko Messner, Janez Milač, Mira Prušnik, Marija
Smrečnik, Albert Smrečnik, Leopold Smrečnik, Karl
Štorman, Lubo Urbajs, Janez Wutte – Luc, Marija
Žele und Apolonija Žmavce gehören. Während der
Großteil der genannten Kärntner SlowenInnen ihre
Erlebnisse auf unterschiedliche Art und Weise selbst
niederschrieben, protokollierte Kolenik die persön-
lichen Erinnerungen anderer und integrierte sie in
weiterer Folge in das vorliegende Werk. Einen
Schwerpunkt der verschiedenen Erzählungen
machen dabei auch erneut die enttäuschenden Einzigartig in Koroska: Antifaschistischstes Museum
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nach dem Sieg über die Nazis von der britischen den Werken sind vor allem auch die zahlreichen
Besatzungsmacht interniert wurde. Auch er erlebte Namen und Lebensgeschichten, an die sich die
die Publikation seines Werkes in deutscher Sprache unterschiedlichen AutorInnen erinnern und welche
nicht mehr, da er kurz davor im Jahr 1980 starb, auf diese Art und Weise Zeugnis von ihren Taten
zuvor jedoch gemeinsam mit Avguštin Malle und ablegen, um ihnen die Aufmerksamkeit zuteil wer-
Florian Lipuš an der deutschen Ausgabe gearbeitet den zu lassen, die ihnen eigentlich zusteht. Die
hatte. In seinem persönlichen Bericht stehen eben- Werke sind Denkmäler für jene Menschen, die sich
falls die Erinnerungen an seinen Weg in den gegen den Nationalsozialismus zur Wehr setzten
Widerstand gegen das nationalsozialistische Vernich- und/oder ihm zum Opfer fielen. So benennen die
tungsregime sowie AutorInnen jene Menschen, die ihnen in der Not zur
“Unser Ziel war ein gerechter
seine Zeit als Seite gestanden sind, die PartisanInnen auf unter-
Frieden, eine gerechte demokra-
PartisanInnenführer schiedliche Weise unterstützten oder an ihrer Seite
tische Ordnung, die völlige
und die Menschen, kämpften. Durch die Erinnerungen an Menschen,
die ihn begleiteten Liquidierung des die in den besagten Werken erwähnt und beschrie-
ebenso im Vorder- Faschismus". Ein Ziel, das im ben werden, wird nicht zuletzt auch ihr Schicksal
grund wie seine offiziellen Kärnten/Koroška davor gerettet, vergessen zu werden. So ist es ihnen
Enttäuschungen und seinem ewigen zu verdanken, dass diese Teile der deutsch-österrei-
nach 1945. So wurde Abwehrkampf gegen alles chischen Geschichte nicht in Vergessenheit geraten
er nämlich u.a. nach Undeutsche weder und als warnendes Mahnmal niedergeschrieben wur-
seiner Rede bei der manzutreffen war noch ist.” den. Keines der Werke endet mit der Befreiung vom
Denkmalenthüllung Nationalsozialismus, vielmehr wird auch der
1947 in St. Ruprecht zu 12 Monaten Haft verurteilt. Leidensweg thematisiert, der den Kärntner
In seinen detaillierten Erinnerungen beschreibt er SlowenInnen und insbesondere den ehemaligen
folglich nicht nur den Umgang mit den Partisan- PartisanInnen unter ihnen auch nach 1945 noch
Innen in Kärnten/Koroška, sondern auch mit der slo- bevorstand. „Wir ahnten, dass die Zukunft dem bis-
wenischen Minderheit und versucht damit gegen den herigen Schicksal der Kärntner Slowenen gleichen
hegemonialen Geschichtsrevisionismus in Kärnten/ würde“ schreibt Lipej Kolenik über die Nachkriegs-
Koroška anzuschreiben und somit seinen Kampf auf zeit, die für ihn in mancher Hinsicht noch schlim-
gewisse Art und Weise auch fortzuführen. So schrieb mer gewesen war. Als ehemaliger Partisane den
Franci Zwitter, ehemaliger Obmann des Diffamierungen als „eigentlicher Täter und Verräter“
Slowenischen Zentralverbandes Kärnten, zur ersten ausgesetzt und den großen Erwartungen der Freiheit
deutschsprachigen Ausgabe dieses Werkes 1980: entgegen wurde er von einer wieder installierten
„Das vorliegende Werk wird sicherlich dazu beitra- slowenInnenfeindlichen Kärntner Obrigkeit bis Ende
gen, nicht nur den ehemaligen Widerstandskampf 1949 13 Mal eingesperrt. Auch Karel Prušnik-Gašper,
der Kärntner Slowenen gegen den ein weiterer bekannter Kärntner PartisanInnen-
Nationalsozialismus im richtigen Lichte zu sehen, führer, erzählt in seinem Erinnerungsbuch „Gemsen
sondern auch den heutigen Kampf der Kärntner auf der Lawine“ (1981) von seiner Verurteilung zu
Slowenen um ihre verbrieften Rechte zu verstehen einer zwölfmonatigen Haft, weil er in seiner Rede bei
und die nach wie vor notwendige Einheit der slowe- der Denkmalenthüllung in St. Ruprecht 1947 unter
nischsprachigen und deutschsprachigen fortschritt- anderem dazu aufgerufen hatte, das Denkmal möge
lichen Kräfte in ihren Bemühungen um die den Kärntner SlowenInnen für alle Zeiten eine
Sicherung und Festigung der schwer erkämpften Mahnung sein, niemals wieder „Sklaven zu sein" und
Demokratie zu stärken.“ Für seinen Beitrag zur immer dann zu den Waffen zu greifen, wenn es
Befreiung wurde Prušnik-Gašper erst 1977 durch darum geht, „gegen die Fremdherrschaft" zu
den Bundespräsidenten ausgezeichnet. kämpfen: „Unser Ziel war ein gerechter Frieden, eine
So zeigt sich in den autobiographischen Schriften gerechte demokratische Ordnung, die völlige
ehemaliger PartisanInnen, dass die Literatur eine der Liquidierung des Faschismus".
wenigen Möglichkeiten darstellte, dem von ihnen
in Ziel, das im offiziellen Kärnten/Koroška und
Erlebtem Gehör zu verschaffen, ihre Anliegen sicht-
bar zu machen und das auszusprechen, was nach E seinem ewigen Abwehrkampf gegen alles
Undeutsche weder anzutreffen war noch ist.
1945 in Kärnten/Koroška wie auch anderswo in
Österreich fast niemand hören wollte. Auffallend bei
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Delirieren durch Utopia


Stationen eines zeitlosen Experiments

ie hatte und hat es nie leicht gehabt, die oft aus wäre eure berechtigte Hoffnung, dass dieser akade-

S einem längeren Gedankenspiel resultierende misch-trüben Einleitung etwas Lebendigeres folgen


und eventuell gar nicht zur Realisierung drän- könnte, bereits eine moderne Utopie des dritten
gende Utopie: Des Öfteren von Neokonservativen Jahrtausends und Blochs Sozialutopien kein
(Fest...) totgesagt und in den Kontext der gescheiter- Pleonasmus. Keine Angst, ihr seid nicht alleine, die-
ten totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts gestellt, ser Ausschluss trifft sowohl pastorale Idyllen, in wel-
schon lange vor Morus gattungskonstituierendem chen sich der einsame Schäfer angesichts der arkadi-
Werk “Utopia” satirisch belächelt oder gar wie bei schen Natur ein “Einst lebt ich wie die Götter” kaum
Aristophanes Vögeln, welche in luftigen Höhen flie- verkneifen kann, als auch ästhetische Welten, welche
gend das Bestreben der erdigen Menschen nach der trotz ihrer teilweise visionären Gestaltung und aufge-
Besten aller Welten betrachten, mit höhnendem zeigten Möglichkeiten häufig gerade als letztmög-
Spott bedacht, erfreut sie sich dennoch einer virulen- licher Zufluchtsort vor der rauen Sozialität erachtet
ten Beliebtheit und leider auch Beliebigkeit. werden.
Letztgenannte ist, trotz des wirklich lobenswerten Beliebigkeit und Beliebtheit eines Begriffes reichen
Bemühens, das Kunstwerk der Sphäre einer rein sich des Öfteren (auch ohne Bloch) zaghaft die
kapitalistischen Verwertung zu entziehen, eine der Hände, so soll es kaum überraschen, dass auf einer
Konsequenzen des in Blochs Standardwerk “Das Totalität basierende (wenn auch gut gemeinte)
Prinzip Hoffnung” entwickelten und phasenweise Definitionen wie Kunst/Literatur/Architektur... ist
von linksromantischer Nostalgie getragenen Modells. Utopie hier ebensowenig von Belang sind wie die oft-
Jenes erhebt Utopie zur anthropologischen Konstante mals unserer visionären Radikalität entgegengehalte-
und ist letztendlich zu universal gehalten: "Utopie ne und schon längst vor Engels abwertend verwende-
[...] beginnt schon beim kleinsten Tagtraum: der te Formulierung “Das ist ja utopisch”! (Zumindest
Lottogewinn, die Reise in
Nein, hier geht es nicht um Realisierbarkeit oder könnten die
den Süden, der neue Freund
fragmentarische Utopiesplitter, sondern schlicht Empörten mittels
/ die neue Freundin, eine
und ergreifend um literarische Utopien, die in der Verwendung des
deutsche Regierung ohne
Darstellung des sozial Machbaren auch stets die Begriffes dystopisch
Kohl u. s. w.". Bloch ist so zeigen, wessen Geistes
Kritik des Bestehenden eingeschrieben haben
weit gegangen, sogar die Kind sie sind, aber das
aggressiven Tagträume vom Typus ,Tod der ist eine andere Geschichte.) Nein, hier geht es nicht
Schwiegermutter' als Beginn der Utopie anzuerken- um Realisierbarkeit oder fragmentarische
nen. Immer findet sich in unserem Utopiesplitter, sondern schlicht und ergreifend um
Lebenszusammenhang ein noch nicht eingelöstes, literarische Utopien, die in der Darstellung des sozial
ein >Noch-Nicht<". Abgesehen von dem bei strenger Machbaren auch stets die Kritik des Bestehenden
ontologischer Analyse auftauchenden Dilemma, dass eingeschrieben haben. Auch mit diesen
ein Noch-Nicht weiterhin ein Nichts ist, verhilft die- Einschränkungen ist ihre Zahl Legion, die immense
ser zu universalistische Utopiezugang auch rein indi- Aktualität der Utopie fasst Trousson in folgende
vidualistischen oder ästhetischen Erfahrungen zu Worte: "Einzig in Utopia gibt es keine Utopien mehr."
einem utopischen Charakter. Als Minimaldefinition Funke erweitert Trousson lakonisch mit “nur in
in dieser (Oh Schreck) bescheidenen Serie wird von Utopia gibt es keine Utopieforschung, aber selbst das
Utopien als “soziales Gestaltetes” ausgegangen, sonst ist nicht so sicher”.
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Wir registrieren das wohlwollend und widmen uns Inhalte in lebende Sprachen verbietet, wird der
endlich den ersten literarischen Utopien. Bericht Winers in eine tote Sprache, das Deutsche,
welches “nicht mehr lebendigen Schritt [...] mit der
Zwei Gelehrtenrepubliken technischen oder sozialen Entwicklung halten”(AS, p.
8) kann, übersetzt. Diese Arbeit übernimmt ein wohl
Zwischen Klopstocks 1774 erschienener “Deutscher ganz bewußt in Argentinien weilender, emeritierter
Gelehrtenrepublik” und Arno Schmidts beißender Studiendirektor namens Chr. M. Stadion, welcher
Parodie “Die Gelehrtenrepublik” liegen 183 Jahre, mit seinen insgesamt 94 Anmerkungen zu dem
während Klopstocks “aufgeklärtes”, antifeudales saloppen Bericht einen parodistischen, aber auch
Projekt eine Institutionalisierung einer deutschen ideologischen Kontrast bildet. Jener markiert auch
Gelehrtenrepublik nach dem Vorbild europäischer den Namen Klopstock und führt den Titel ein: “Für
Nationalstaaten – Frankreich besaß seit Richelieu, die IRAS (=International Republic for Artists and
Preußen seit Leibniz “seine” Akademie – vorantreibt, Scientists) des Originals. Ich wähle das deutsche
wagt Arno Schmidt im historischen Kontext des des- Wort, zum ehrenden Gedenken an das uns – zumin-
illusionierenden Nachkriegsdeutschlands eine litera- dest einstens – geläufige Stück des großen
rische Korrektur der “deutschen Spielart” des Klopstock”(AS, p. 78). Spätestens ab diesem Zeit-
Geschichtspositivismus. Eine Warnung vorweg: punkt wird die Kontrastierung zwischen
Klopstocks Werk zählt zu den langweiligsten der Klopstockschen Gesetzen wie Landesverweis wegen
gesamten deutschen Literaturgeschichte und bedient Publikation in Fremdsprachen oder Herabsetzung
mit seiner paragraphenähnlichen Gliederung der von Modewörtern, welche “unter dem Scheine etwas
Gesetze das sich hartnäckig haltende Vorurteil der Neues zu sagen, das Alte nur verwirren”(K, p. 55)
stilistischen Armut so mancher Utopien, zudem und der vor Neologismen und phonetischen
strotzt es nur so von expansivem Schreibweisen nur so strotzenden
Patriotismus, Elitismus und für Ausdrucksweise des Amerikaners
heutige Leser_innen Winer offensichtlich. Die
unverständlichen Kontrastierung ist jedoch
Sprachpurismus, nicht sprachphiloso-
könnte also genau- phisch auf den Sprach-
sogut nostalgische purismus reduziert,
Lektüre so mancher sondern gewinnt logi-
Burschis sein. Radikal scherweise, falls ein desil-
erfrischend präsentiert lusionierter "Altnazi" aus
sich hier Arno Schmidts seinem argentinischen Exil über-
Szenario: Gesteht er den "deutschen setzt, auch an politischem Gehalt. So
Landen" in der Schule der Atheisten noch ein klei- kommentiert er Winers Schillerstoffe: “Was nichts
nes, streng atheistisches “Reservat”, welches zwischen mit unserem teuren deutschen Toten zu schaffen hat,
amerikanischen Matriarchat und chinesischen sondern im Sinne von <Irisieren> zu verstehen ist”
Patriarchat vom Tourismus abhängig ist, zu, ist im (AS, p. 69). Arno Schmidt operiert auf vielen refe-
Jahre 2008 ganz Europa im Sinne mancher nuklearen rentiellen Ebenen, um deutsches Expansions- und
Warnutopien von der Landkarte gelöscht. Der Hegemonialstreben, welches bei Klopstock noch
Journalist Winer bereist die moderne Gelehrten- dezidiert und höchst pathetisch ausformuliert ist, in
republik in Form einer schwimmenden Stahlinsel, seiner Gefährlich- und Haltlosigkeit zu kennzeich-
welche als sozialgeschichtlicher Reflex des Kalten nen. Klopstocks “Von Ariovisten bis Hermannen
Krieges in rivalisierende Hälften geteilt und als opti- thaten die Römer zehn Feldzüge nach Deutschland:
maler Forschungsort gedacht ist. Da das "Interworld- Einen gegen Hütten, zween zur Schau, einen geflüch-
Gesetz Nr. 187" die Publikation politisch brisanter teten, fünf siegende, keinen erobernden; den letzten
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ohne Widerkehr” (K, p. 137), transformiert Schmidt Wir sehen hier eindrucksvoll, dass selbst in fast rein
leicht erkennbar zu “Von Konrad bis Adenauer taten literarischen Universen Utopie stets das Potential hat,
die Deutschen 10 Feldzüge nach Rußland: 4 gegen das Bestehende gerade im Kontrast zu der erdachten
Hütten; 2 zur Schau; 2 geflüchtete; 2 erobernde; kei- Welt in vielen Facetten zu kritisieren. Das restriktive
nen siegenden; den letzten ohne Wiederkehr.” (AS, p. Klima der Adenauerzeit und der aus den Erfahr-
160). Besonders interessant sind Verflechtungen im ungen des 2. Weltkrieges resultierende Geschichts-
intertextuellen Universum Schmidts. So kommen- pessimismus sind nur zwei Aspekte, welche hier her-
tiert Winer das auf der Gelehrtenrepublik aufgeführ- vorgehoben werden können, zudem kann es keine
te Massenbachstück seines Urgroßenkels Arno Utopie geben, welche der Komplexität sämtlicher
Schmidt (welcher sich wiederholt in seine eigene Aspekte menschlichen Daseins gerecht wird. Welche
Romane schummelt, siehe den Namen des Überset- Dynamik die Stahlinsel erfasst und ob die Gelehrten-
zers) mit “Wenn der tatsächlich schon vor 1800 republik ihrem Namen gerecht wird, sowie was es
gesagt hatte: “Europa wird eine Wüste und Amerika mit dem Hominidenstreifen und Pferdeköpfen auf
tritt an dessen Stelle.” : ”Deutschland wird geteilt, wie sich hat, solltet ihr unbedingt selber lesen.
Polen geteilt worden ist”(AS, p. 22), während der im
argentinischen Exil grummelnde Übersetzer für die- Illustration: Auch satirisch der Utopietradition verpflich-
tet: Schmidts Plan der vermeintlichen Ordnungsutopie
ses Werk einzig “Eine tendenziöse Verherrlichung
AS= Arno Schmidt: Die Gelehrtenrepublik.
des vergessenen Landesveräters von 1806”(AS, p. K= Klopstock: Die deutsche Gelehrtenrepublik
126) übrig hat.

„Frauen, die zur Waffe griffen“


- Widerstand jugoslawischer
Partisaninnen
Der ihm Rahmen der Reihe zur Feministischen 25.000 gefallen und 40.000 verletzt worden seien.
Geschichtswissenschaft erschiene 17. Band der Wiesinger zeigt aber auch, dass die Rolle der Frauen
L'Homme Schriften widmet sich dem breiten im kommunistischen Widerstand nicht immer ein-
Spektrum der Beteiligung von Frauen am aktiven fach war, Emanzipation und Gleichberechtigung
und passiven Widerstand in Jugoslawien zwischen wurden von Parteiführungen zwar propagiert, selten
1941-1945. Barbara Wiesinger geht dabei sowohl auf jedoch umgesetzt. So stellt das „Fehlen eines
den Alltag der Partisaninnen, ihre Motive wie auch Bewusstseins von weiblicher Kriegsbeteiligung in der
die Art der Beteiligung in Titos „Volksbefreiungs- Geschichte“ ihrer Meinung nach eine der „wichtig-
kampf “ ein. sten Ursachen dafür dar, dass der Einsatz von Frauen
Neben der Bearbeitung von Fachliteratur und als Kämpferinnen in der Volksbefreiungsarmee
Interviews mit ehemaligen Partisaninnen zeigt die umstritten war.“ Die unter dem Titel „Partisaninnen“
Autorin die Schwierigkeiten der Recherche, die sich veröffentlichte und mit dem Herbert Steiner-Preis
aufgrund der oftmals unkritischen Aufarbeitung offi- ausgezeichnete Dissertation hat sich dem-
zieller Dokumentsammlungen sowie der Verklärung nach nicht nur einem äußerst schwierigen
der „Volksheldinnen“ ergeben. So spricht beispiels- Thema genähert, sondern vor allem eine
weise das „Lexikon des Volksbefreiungskrieges und Forschungslücke gefüllt.
der Revolution in Jugoslawien“ von der stark über-
Wiesinger, Barbara N.: Partisaninnen.
triebenen Zahl von 100.000 Frauen, die in Titos
Widerstand in Jugoslawien 1941-1945. Wien,
Volksbefreiungsarmee gedient hätten, von denen Köln, Weimar: Böhlau 2008.
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