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Eger 244 0593
Eger 244 0593
Hoffmanns
Kunstmärchen Klein Zaches genannt Zinnober
Hans Werner Weglöhner
Dans Études Germaniques 2006/4 (n° 244), pages 593 à 615
Éditions Klincksieck
ISSN 0014-2115
ISBN 9782252035535
DOI 10.3917/eger.244.0593
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ÉTUDES ALLEMANDES
I
Klein Zaches genannt Zinnober –
der Titel des Märchens als Fokus
Bereits der Titel verweist auf die Komplexität der Sinnschichten des
Märchens, da er neben der poetischen Programmatik die Gesellschafts-
dem « Turnvater » Jahn cf. Steinecke (Anm. 6), S. 49 und S. 209f. und in der Perspektive
Heinrich Heines innerhalb der strikten zeitgenössischen Zensur cf. Katarzyna Jaśtal : « Eine
tadelhafte Unziemlichkeit ». Über eine politische Episode E.T.A. Hoffmanns, in : Hartmut
Kircher / Maria Klańska (Hrsg.) : Literatur und Politik der Heine-Zeit. Die 48er Revolution
in Texten zwischen Vormärz und Nachmärz, Köln, Weimar u.a. : Böhlau, 1998, S. 17-25.
14. Cf. z.B. die Erneuerung der Indexkongregation, die alle oder einzelne Werke z.B.
von Bossuet, Leibniz, Voltaire, Rousseau, Friedrich II., Lessing, Kant, Ranke und Heine
indizierte. (Karl Heussi, : Kompendium der Kirchengeschichte, Tübingen : Mohr, 131971,
S. 435 ; cf. ebenfalls Hans-Walter Krumwiede, : Geschichte des Christentums III. Neuzeit : 17.
Bis 20. Jahrhundert. Stuttgart : Kohlhammer, 1977, S. 102f, S. 142-150).
15. Im folgenden werden die Textstellen aus E.T.A. Hoffmann : Klein Zaches genannt
Zinnober, in : Ders. : Sämtliche Werke, Ausgabe des Deutschen Klassiker Verlags, Bd. 3,
S. 531-649 in Klammern mit Seiten- und Zeilenzahl zitiert bzw. mit Klein Zaches.
16. Kremer (Anm. 4), S. 105.
17. Ibid.
18. Ibid., S. 110.
19. Ibid.
20. Zum alchemistischen Hintergrund des metamorphosierten Namen « Zinnober »
Cf. ibid., S. 109f.
II
Aufklärungssatire und Ironisierung der höfisch-feudalen
Welt in der Form des Kunstmärchens
21. Zur realhistorischen Ebene cf. Mann (Anm. 9), S. 128 : « Verfolgungen gab es trotz-
dem ; den Ruin unschuldiger Menschen. Geistiges Leben wurde beengt, eingeschüchtert,
aus dem Lande getrieben. »
22. Diese « Feinde der Aufklärung » im Sinne des Spätabsolutismus werden vom
Kammerdiener alias Minister Andres näher bestimmt : « Sie treiben ein gefährliches
Gewerbe mit dem Wunderbaren und scheuen sich nicht, unter dem Namen Poesie ein
heimliches Gift zu verbreiten, das die Leute ganz unfähig macht zum Dienste an der Auf-
klärung. » (S. 545, 4-7). Cf. u.a. einen späteren Beschluß des Deutschen Bundes von 1835
gegen die Mitglieder des « Jungen Deutschland », da deren « Bemühungen dahin [gingen],
in belletristischen, für alle Klassen von Lesern zugänglichen Schriften die christliche Reli-
gion auf frechste Weise anzugreifen, die bestehenden Verhältnisse herabzuwürdigen und
alle Zucht und Sittlichkeit zu zerstören. » In : Mann (Anm. 9), S. 166.
23. Cf. u.a. den diskursiv habitualisierten glücklichen Ausgang des Märchens aufgrund
der Gesellschafts- und Alltagsferne als utopisches Moment einer poetischen Existenz.
24. Cf. hierzu insbesondere die Märchentheorie eines Novalis‘ in den Fragmenten, in :
Gerhard Stenzel (Hrsg.) : Die deutschen Romantiker, Salzburg : Das Bergland-Buch, 1986,
Bd. 1, S. 513.
25. Cf. Friedrich Schlegel : « Athenäums »-Fragmente., in : Kritische und theoretische
Schriften. Stuttgart : Reclam, 1978. S. 90, S. 93, S. 138, ebenfalls Gespräche über die Poesie,
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Grund- und Lebenshaltung des Magiers Prosper Alpanus 33, die letzt-
lich im Sturm dieser « Aufklärungsmaßnahmen » zur Überlebensstra-
tegie werden und somit das genuin poetische Prinzip der Ironie prag-
matisieren 34, Parallelen zur lebensweltlichen Praxis und Biographie
Hoffmanns konstruieren 35, damit auch über die Märchenfiktion hinaus
die Ambivalenz der Staatsmacht, die die « Feinde der Aufklärung » aus
dem Bereich der Poesie und des Wunderbaren in ihren Möglichkeiten
beschneidet und zwangsweise unter Nutzung ihrer Fähigkeiten zur
ideologischen Manipulation des Volkes in das « aufgeklärte » System
« integriert » 36. Die Wirksamkeit derartiger Maßnahmen verdeutlicht
die Intrige des Barons Prätextatus von Mondschein gegen das Stifts-
fräulein Rosenschön, die einmal den trotz aller Aufklärung fortbeste-
henden mittelalterlichen Aberglauben des Volkes (bis hin zur « Hexen-
probe »), zum anderen den mittels Kabinettsbefehl verordneten
Rationalismus persifliert, der unter Strafandrohung das Denken aus-
richtet und die negativen Verirrungen einer wie auch immer gelenkten
Herdengesellschaft vorwegnimmt : « Sie gingen in sich, fürchteten sich
vor der angedrohten Strafe und dachten fortan gut von dem Fräulein »
(S. 542, 10-13). Damit gerät die Aufklärungssatire aus Gründen der zeit-
genössischen Literaturzensur zur stark verschlüsselten Restaurations-
kritik 37, die die Reformen als Rückkehr zur ebenfalls äußerlich fun-
dierten Feudalherrschaft sieht und den von Stein und Hardenberg
propagierten « Josephinismus » als repressiven Spätabsolutismus mit
einigen machterhaltenden Reformen von oben demaskiert. Unter die-
sem Aspekt ist auch das « trostlose Elend » des zerlumpten Bauernwei-
bes in der Einkleidung eines habitualisierten Märchenmotivs im Erzäh-
leingang (S. 533, 5-27)] als kritischer Beitrag zum preußischen Edikt
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33. Der Magier der Märchenebene, der in die bürgerliche Existenz des wohltätigen
Arztes sich kleidet, beweist, « daß ohne des Fürsten Willen es niemals donnern und blitzen
müsse, und daß wir schönes Wetter und eine gute Ernte einzig und allein seinen und seiner
Noblesse Bemühungen zu verdanken haben. » (S. 609, 9-12), womit der Autor die göttliche
Selbstlegimitation der Staatsgewalt ironisch auf die Spitze treibt.
34. Zur theoretischen Fundierung der Ironie Friedrich Schlegels und Ludwig Tiecks
Cf. Stenzel (Anm. 24), S. 524ff.
35. Cf. Wittkop-Ménardeau (Anm. 2), insbesondere S. 32-36, S. 114ff, S. 154.
36. Cf. die einzelnen Schritte der ‚Aufklärungsmaßnahmen‘, beginnend mit der ideo-
logisierenden Erklärung von der Nichtexistenz des phantastischen Landes Dschinnistan
(S. 547, 3-8) über die Verbannung (S. 544, 21) oder die « Umerziehung » (S. 545, 36-S. 546,
2), Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen des Besitzes (S. 546, 19 ; S. 545, 19-21 ;
S. 546, 6-13) bis hin zur nutzvollen « Integration » z.B. der Fee Rosabelverde, die als « nütz-
liches Geschäft » Socken für die Armee strickt (S. 545, 36-37), womit Hoffmann u.a. die
Auswirkungen der Heeresreform mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht von
1814 ironisch integriert.
37. Cf. die deutlichste Szene, in der das Schnarchen des Ministers Zinnober als traum-
hafte Vorbereitung eines « hübschen Reformchens » (S. 633, 23-37) interpretiert wird, das
mehrmals – im Gegensatz zum Diminutiv – als Großes und Entscheidendes bezeichnet
wird und in der Vermutung des Kammerdieners gipfelt : « O Jäger – vielleicht lassen wir
alle über kurz oder lang uns wieder Zöpfe wachsen. » (S. 633, 37-S. 634, 1).
38. So wird im Märchen alsbald der gefundene Schatz (der Freiheit) (S. 535, 23-32) von
Dieben gestohlen, d.h. auf der realhistorischen Ebene, daß die Freiheit der Landbevölke-
rung aufgrund der aussichtslosen wirtschaftlichen Lage der Mehrheit durch das sog. Regu-
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III
Wissenschaftler und Bürger als Philister innerhalb der
Restaurationssatire im Kontrast zur romantischen Künstlerexistenz
In diesem Konnex wäre auch zu eruieren, inwieweit Hoffmann in der Applikation von
theoretischen Vorgaben Novalis’ die Paradoxie als (höhere) Erkenntnisform literarisch
nutzt. (Cf. für Novalis : Dietrich Mathy : « Nichts ist dem Geist erreichbarer, als das
Unendliche ». Paradoxie als Erkenntnis, in : Carolina Romahn / Gerold Schipper-Hönicke
(Hrsg.) : Das Paradoxe. Literatur zwischen Logik und Rhetorik, Würzburg : Königshausen
& Neumann, 1999, S. 26-43. Im Zusammenhang mit E.T.A. Hoffmanns ‚Schizophrenie’ ist
zweifelsohne dessen exzessiver Alkoholkonsum von Bedeutung (Cf. Alexander Kupfer :
Die künstlichen Paradiese. Rausch und Realität seit der Romantik, Stuttgart : Metzler, 1996,
S. 479-502), der teils und in Ansätzen unter medizinischen Aspekten zu sehen ist : Wie
Rüdiger Safranski vermutet ([Anm. 2], S. 158f), hatte sich Hoffmann mit Syphilis infiziert –
eine Krankheit, die mit massiven Angstzuständen verbunden ist, gegen die der « skeptische
Phantast » den Alkohol in « hohen Dosen » als angstlösendes und schmerzstillendes Mittel
vermutlich einsetzte.
43. Cf. den Minister mit dem charakteristischen Namen Prätextatus, der ein « vortreff-
liches Memoire », das ein Untergebener verfaßt hat, als das seinige ausgibt, dieses aber
durch den verblendenden Feenzauber vor dem Fürsten wiederum dem Minister Zinnober
zugeschrieben wird (S. 601, 33-34).
44. Die « umständlichen » Ausführungen des Geographen und des Historikers mit dem
Resultat, das jeglicher kausaler Beweisstruktur und Logik entbehrt, schmeicheln und beför-
dern wissenschaftlich-ideologisch die politischen Strategien und Maßnahmen der Macht.
45. Mosch ist mit ziemlicher Sicherheit eine literarische Variation des jüdischen
Vornamens Moses alias (im Jiddischen) Moscheles, der dieser negativ angepaßten
bekämpften materialistischen Monismus ironisch rekurriert, der doktrinär von der absolu-
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rung des heiligen Einklangs aller Wesen als tiefstes Geheimnis der
Natur und des Menschen illustrieren 55. In diesem Sinne ist die Figur des
Balthasar wie u.a. Johannes in der Kreisleriana oder Anselmus in Der
goldene Topf in der literarischen Praxis Hoffmanns als Paradigma einer
romantischen Künstlerexistenz lesbar, für den die Sicht von Natur und
Welt durch das Medium der Poesie und die hieraus resultierende
Lebenshaltung und -gestaltung als Totalität des göttlichen Wesens
erscheint 56, die sich diametral in Gegensatz zur profanen Aufklärung
gleichsam utopisch setzt und per se den Keim des Widerstands nicht nur
gegen die gesellschaftliche und politische Realität in sich trägt 57. Ein
weiteres Element dieser im Inneren des Dichters begründeten Opposi-
tion besteht im unmittelbar vertrauten Verhältnis zum harmonischen
Dreiklang von göttlichem Wesen, der Poesie und Liebe 58, deren literari-
sche Umsetzung im Kunstmärchen Klein Zaches, von der Figur Baltha-
sar teilweise abstrahiert, nicht der sanften Ironie entbehrt (S. 559, 37-
S. 560, 18 ; S. 565, 35-S. 566, 13), die « die Natur in alles menschliche
Treiben gelegt » (S. 560, 13-14). Wohlmeinendes Korrektiv dieser roman-
tisch-idealistischen Lebenswahrnehmung und -haltung über die ironi-
sche Zeichnung durch den Autor hinaus ist in der Figur des « Realisten »
Fabian 59 angelegt, dessen Realismusprinzip aber in seiner Entwicklung
zum Scheitern geführt, damit als taugliche Kontrastfolie zum romanti-
schen Künstler ironisch aufgelöst wird und letztlich in der Umkehrung
dieses realistischen Prinzips und damit gängiger Sichtweisen die para-
digmatische romantische Existenz in der Poesie nur bestärkt. Denn
allein in ihr ist es möglich, das bestimmende, quasi leitmotivische
Moment des Märchens, den Dualismus von gesellschaftlichem Schein
und innerem Sein 60, zu einer Synthese zu führen. Hoffmanns Position
wie auch auf dem « Humor » gegründete Poetik 61 der Negation nicht
nur des gesellschaftlich-politischen Rahmens, sondern ebenfalls einer
realistischen Wirklichkeitskonzeption basiert auf der Novalischen
Maxime der « Selbstabsonderung », die, gestützt durch eine durch die
Poesie erhobene Liebe 62, am Märchenende den gesellschaftlich impli-
zierten schroffen Dualismus in einer märchenhaft utopischen Setzung
eines künstlerischen und damit hermetischen Raumes auf dem zauber-
haften Landgut des Magiers definitiv bewältigt. Nur durch diese Flucht
in die Idylle, identisch mit dem geistigen Freiheitsraum in der Poesie 63,
findet der Künstler seine Selbstverwirklichung mit der Unbedingtheit
seiner Kunst und damit eine nicht-entfremdete Privatexistenz 64. Diese
59. Die Figur Fabians befindet sich im Schnittpunkt der satirisch gezeichneten Bur-
schenschaften (S. 548-S. 551, 18), die als politische Kraft in Anspielung auf das Wartburg-
fest am 18. Oktober 1817 und die Bestrebungen Arndts, Jahns und Schleiermachers nach
moralisch-politischer Erneuerung zwar in die Restaurationssatire einbezogen werden,
aber ihren Gegensatz zum bürgerlichen Philistertum nur in Äußerlichkeiten und damit der
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vorherrschende Prinzip des Utilitarismus als Begegnung des Philisters mit seinem eigenen
Dämon gesehen werden kann. Die Bedeutsamkeit des Motivs der Nicht-Entfremdung in
einem Freiheitsraum (Cf. z.B. Anselmus in der Flasche in Der Goldene Topf und seine
Erlösung in Atlantis) ist über eine psychopathologische Erklärung einer schizophrenen
Befindlichkeit hinaus zugleich gesellschaftlich-struktural dimensioniert, da bei Hoffmann
« […] Individualerfahrung und Gesellschaftserfahrung untrennbar miteinander verknüpft
sind. » Mayer (Anm. 58), S. 479.
65. Cf. ibid., S. 464 und 471.
66. Cf. die Entfremdung der künstlerischen Leistung von der Person des Künstlers
und die Übertragung auf den « Usurpator » Zinnober. Klein Zaches, S. 571, 30-S. 573, 17 ;
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IV
Die Ebene der Märchengestalten und des Wunderbaren
war so lange donnernde Geschichte gewesen, jetzt sollte eine Zeit keine sein und der ein-
zelne nichts anderes mit den Gesetzen zu tun haben, als ihnen zu gehorchen. Der wirt-
schaftliche Existenzkampf sollte seine Sache sein ; […]. » Cf. hierzu auch Mayer (Anm. 58),
S. 487 : « […] Die bürgerliche Lebensmisere erscheint gerade dadurch [im romantischen
Künstler- und Liebesprinzip – H.W.W.] in aller Trostlosigkeit, daß sie – zu Unrecht – als
überaus stabil empfunden wird. »
72. Dies verdeutlicht sich nach dem Aufstand des Volkes gegen Zinnober im Rückfall
in die Verblendung bei der Staatstrauer (S. 642, 36-S. 644, 16) und in der paradigmatischen
« aufgeklärten » Figur des Mosch Terpin (S. 648, 11-15 ; S. 649, 3-5). Cf. auch die auf rein
physiologische, zur Satire geratenden Erklärungen der Todesursache Zinnobers durch den
fürstlichen Leibarzt (S. 640, 33-S. 642, 34).
73. Hierin liegt eine der Erklärungen für die nachhaltige europäische Rezeption des
literarischen Werks Hoffmanns, die Hans Mayer mit dem Begriff « Hoffmannismus »
zusammenfaßt. (Mayer [Anm. 58], S. 499.)
74. Preisendanz (Anm. 61), S. 48.
75. Klein Zaches, S. 534, 33-S. 536, 5 ; S. 538, 35-S. 542, 13 ; S. 582, 30-S. 583, 32 ; S. 590,
34-S. 596, 15. Hinsichtlich der Hoffmannschen Poetik ist die Präsentation dieser Märchen-
gestalten interessant, die zunächst über ihr scheinbar bizarres Handeln im Alltag nach
einem Effekt des Erstaunens erst sukzessiv ihr Wesen der Dualität dem Leser enthüllen.
76. Klein Zaches, S. 591, 6-8 : « […] es war, als schaue aus dem Gesichte noch ein klei- © Klincksieck | Téléchargé le 18/12/2023 sur www.cairn.info (IP: 46.150.68.231)
neres Gesichtchen wie aus einem gläsernen Gehäuse heraus. » Mit den physiognomischen
Besonderheiten, ebenfalls der Fee (S. 539, 13-25), entwickelt Hoffmann das Doppelgänger-
motiv weiter zu dem noch « unheimlicheren » der Doppelpersönlichkeit als Ausdruck der
Teilhabe an gegensätzlichen Wirklichkeiten und Seinsebenen.
77. Die Aufhebung dieser in einem Entfremdungszustand begründeten Dualität
gelingt auf einer monomodalen mythischen Ebene als dem wahren Sein, das auf einer
realen Ebene, z.B. durch den « Kristallspiegel » (S. 594, 17-S. 595, 7), das dem fokussieren-
den, emotional-intuitiven Wahrnehmungs- und Erkenntnisprinzip in der romantischen
Poesie sich verpflichtet, einen « Gegenzauber » zur gesellschaftlichen Verblendung dar-
stellt und damit einen Teil der Märchentheorie Novalis‘ umsetzt.
78. Schlegel (Anm. 25), S. 92. Unter Hinzuziehung des Schlegelschen Ideenbegriffs
gewinnt Hoffmanns « Rechtfertigung » seines Kunstmärchens Klein Zaches im Vorwort zu
Prinzessin Brambilla « als die lose, lockre Ausführung einer scherzhaften Idee » über die
Konstruktion einer Schutzmauer gegen die politische Zensur angesichts einiger die gesell-
schaftssatirische Komponente « verstehenden » Rezensionen hinaus eine bedeutsame Tie-
fendimension, die Hoffmanns ironisches Handeln innerhalb des restaurativen Repressi-
onsrahmens verdeutlichen kann und möglicherweise eine in der romantischen
Epistemologie vorhandene und auch rezipierte, im ursprünglichen Wortsinn exklusive lite-
rarische Kodierung nahelegt. Cf. auch Kaiser (Anm. 13), S. 78-85, insbesondere die anonym
erschienene Rezension (Adolf Müllners) im Literatur-Blatt zum Morgenblatt für gebildete
Stände vom 21. Dez. 1819.
79. Hoffmann nutzt literarisch mit den Implikationen der Spätromantik den Novali-
schen Begriff vom Wunder : « Wunder stehn mit naturgesetzlichen Wirkungen in Wechsel
– Sie beschränken einander gegenseitig, und machen zusammen ein Ganzes aus. Sie sind
vereinigt, indem sie sich aufheben. Kein Wunder ohne Naturbegebenheit und umgekehrt. »
Novalis (Anm. 52), S. 7.
80. Zur poetischen Verfahrensweise des In- und Nebeneinanders beider Welten cf.
Mayer (Anm. 58), S. 467f. Die innige Verwobenheit von ‚Wirklichkeit’ und Märchenebene
in der Poetik Hoffmanns führt H. Steinecke zu dem treffenden Begriff des « satirischen
Märchenroman[s] », Steinecke (Anm. 6), S. 153.
81. Cf. insbesondere die Figur des Prätextatus von Mondschein (S. 540, 24-S. 542, 7),
des Mosch Terpin (S. 646, 7-S. 647, 8 ; S. 649, 3-5) und des Fabian (S. 587, 21-S. 597, 11). Damit
eröffnet Hoffmann zwei Welterklärungsmodelle, deren kunstfeindlich-realistisches Prinzip
ironisch aufgehoben wird und die realistische Deutung als (Aber)Glauben in der Groteske
entlarvt. Cf. z.B. den ‚wissenschaftlichen‘ Nachahmungsversuch des Feenzaubers mittels
« magnetischer Striche » (S. 601, 6-8).
82. Cf. Klein Zaches, S. 542, 14-S. 543, 12 und das Märchenende mit der mythischen
« Heimkehr » des Magiers (S. 648, 28-S. 649, 2). Zum entsprechenden realen Lebensgefühl
der romantischen Generation cf. Arnold Hauser : Sozialgeschichte der Kunst und Literatur,
München : Beck, 1978, S. 694.
83. Die Bedeutung des Mythischen nicht nur in Abhängigkeit vom literarischen-philo-
sophischen Feld, sondern vor allem vom sozio-politischen Kontext wird, wenngleich noch in
V
Innerliterarische Implikationen und gesellschaftliches Feld
89. Über die Satire hinaus ist gerade die gesellschaftliche Isolation Basis des subversi-
ven Handelns der Fee. Klein Zaches. S. 541, 6-34.
90. So mündet z.B. die märchentypische und zugleich romantische Suchbewegung des
« Märchenhelden » Balthasar in die Initiation eines « gute[n] Dichter[s] ». (Klein Zaches,
S. 649, 8). Cf. auch Rüdiger Steinlein : Inszenierungen männlicher Adoleszenz im deutsch-
sprachigen Kunstmärchen des 18. Jahrhunderts und der Romantik (Wieland – Novalis –
E.T.A. Hoffmann), in : Manuel Köppen / Rüdiger Steinlein (Hg.) : Passagen. Literatur –
Theorie – Medien, Berlin : Weider 2001, S. 39-74, insbesondere S. 48 ff.
91. Z.B. die Aufklärungssatire im Vehikel der Feenbiographie, Satire der Burschen-
schaften, der Wissenschaftler usf.
92. Diese Beliebigkeit der Funktionen thematisiert die negative Dynamisierung der
Positionen des Individuums, wie sie der Autor selbst vor der Restauration erfahren hat und
wie es sich innerhalb der Restauration an den Folgen z.B. der sogenannten Bauernbefrei-
ung zeigt (ländliche Verelendung, Abwanderung in die Städte und dortige Proletarisie-
rung).
93. Hoffmanns demonstriertes Erzählen basiert einmal auf dem Spiel der einzelnen
Kapitelüberschriften, die in ihrem ironischen, sich erst im Kontext der jeweiligen Kapitel
enthüllenden Grundton zu einer scheinbaren Entschärfung der Kritik beitragen, zum
anderen auf den direkten, in einem vertraulich-ironischen Ton gehaltenen Anreden des
Autors an den Leser, oftmals vordergründig als Verweis auf den Fortgang des Märchens
oder als « Versprechen », die Phantasiewünsche des Lesers zu erfüllen. Zu dieser ironi-
schen « Balance-Technik» cf. vor allem Klein Zaches, S. 645, 22-27 : « […] Du mögest mit
recht heitrem unbefangenem Gemüt es Dir gefallen lassen, die seltsamen Gestaltungen zu
betrachten, ja sich mit ihnen zu befreunden, die der Dichter der Eingebung des spukhaften
Geistes, Phantasus geheißen, verdankt und dessen bizarrem launischem Wesen er sich viel-
leicht zu sehr überließ. »
94. Lea Mendelsohn-Bartholdy vom 1. Mai 1819, in : Kaiser (Anm. 13), S. 89.