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NATIONS UNIES

DROITS DE L’HOMME
HAUT-COMMISSARIAT
HAUT-COMMISSARIAT AUX DROITS DE L’HOMME
PALAIS DES NATIONS – GENEVA 10, SWITZERLAND
www.ohchr.org – TEL. : +41 22 917 9119 – FAX: +41 22 917 9022 – E-MAIL: petiti-
ons@ohchr.org

REFERENCE: G/SO 229/31 DEU (2)


CE/YH/ak 430/2010

Le Secrétaire Général de l’Organisation des Nations Unies (Haut-Commissaire aux


droits de l’homme) présente ses compliments au Représentant permanent de l’Allemagne
auprès de l’Office des Nations Unies à Genève et a l’honneur de transmettre sous ce pli le
texte (version provisoire non-éditée) d’une décision adoptée par le Comité contre la torture le
21 mai 2013, relative à la requête No. 430/2010, présentée au Comité en vertu de l’article 22
de la Convention contre la torture, au nom de M. Onsi Abichou.

Le Secrétaire-Général a l'honneur d’attirer l'attention de l’Etat partie quant au para-


graphe 12 de la décision du Comité, constatant une violation de l’article 3 de la convention
suite du renvoi du requérant vers la Tunisie. Conformément à la demande du Comité au pa-
ragraphe 13, l’Etat partie est invité à informer le Comité, dans les 90 jours à compter de
l’envoi de la décision de toutes les mesures entreprises pour donner suite à celle-ci.

Selon la pratique établie, le texte de la décision sera rendu public.

Le 3 juillet 2013
Nations Unies CAT/C/50/D/430/2010
Convention contre la torture et autres Distr. Générale
peines ou traitements cruels, inhumains 27. Juni 2013
ou dégradants Original : français
Version provisoire non-éditée

Comité Contre la Torture

Communication n° 430/2010
Décision adoptée par le Comité à sa cinquantième session
(6 mai – 31 mai 2013)

Présentée par : Inass Abichou (née Seifeddine), représentée


par l’ACAT-France – Action des Chrétiens
pour l’abolition de la torture
Au nom de : Onsi Abichou (son époux)
État partie : Deutschland
Date de la requête : 25 août 2010 (lettre initiale)
Date de la présente décision : 21. Mai 2013
betreff: Expulsion de l’Allemagne vers la Tunisie
Questions de procédure : Affaire considérée par une autre instance
internationale de règlement et épuisement
des voies de recours internes
Questions de fond : Risque de torture après extradition
Articles de la Convention : 3 e 22, paragraphe 5 a)
Nichtamtliche Übersetzung aus dem Französischen

Anhang

Entscheidung des Ausschusses gegen Folter gemäß Artikel 22 des Übereinkommens


gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
oder Strafe (50. Sitzung)

betreffend die

Mitteilung Nr. 430/2010

vorgelegt von Inass Abichou (geborene Seifeddine), vertre-


ten von der ACAT-France – Action des
Chrétiens pour l’abolition de la torture (Akti-
on der Christen für die Abschaffung der Fol-
ter)
Im Namen von Onsi Abichou (ihrem Ehemann)
Vertragsstaat: Deutschland
Zeitpunkt der Beschwerde: 25. August 2010 (Erstes Schreiben)

Der gemäß Art. 17 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, un-
menschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe eingerichtete Anti-Folter-
Ausschuss,
der am 21. Mai 2013 zusammengetreten ist,
nach Prüfung der Beschwerde Nr. 430/2010, die im Namen von Inass Abichou auf-
grund von Artikel 22 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschli-
che oder erniedrigende Behandlung oder Strafe eingelegt wurde,
unter Berücksichtigung aller Informationen, die ihm von dem Beschwerdeführer, sei-
nem Rechtsbeistand und dem Vertragsstaat übermittelt wurden,
erlässt folgende

Entscheidung nach Artikel 22 Absatz 7 des Übereinkommens gegen Folter

1.1 Die Beschwerdeführerin Inass Abichou (geborene Seifeddine), geboren am 22. Au-
gust 1983 in Beirut (Libanon), und wohnhaft in Frankreich, unterbreitet die Mitteilung im Na-
men ihres Ehemannes Onsi Abichou, geboren am 21. August 1982 in Zarzis (Tunesien),
französischer Staatsangehöriger, zum Zeitpunkt der Übermittlung der Mitteilung an den Aus-
schuss in Haft befindlich in der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken, Deutschland. Sie macht
geltend, dass die Auslieferung des Onsi Abichou nach Tunesien eine Verletzung von Artikel
3 des Übereinkommens gegen Folter darstellen würde. Die Beschwerdeführerin wird vertre-
ten von der ACAT-France – (Action des Chrétiens pour l’abolition de la torture - Aktion der
Christen für die Abschaffung der Folter)1.

1.2 Am 25. August 2010 hat der Ausschuss den Vertragsstaat in Anwendung von Artikel
114 (früherer Artikel 108) seiner Verfahrensordnung (CAT/C/3/Rev.5) gebeten, Onsi Abichou
so lange nicht nach Tunesien auszuliefern, wie dessen Beschwerde geprüft wird.

1.3 Am 26. August 2010 hat der Rechtsbeistand der Beschwerdeführerin den Ausschuss
darüber in Kenntnis gesetzt, dass der Vertragsstaat Onsi Abichou am 25. August 2010 nach
Tunesien ausgeliefert hatte. In derselben Mitteilung bekräftigte der Rechtsbeistand seinen
Wunsch, die Mitteilung der Beschwerdeführerin vor dem Ausschuss aufrechtzuerhalten.

1.4 Am 21. Januar 2011 hat der mit neuen Beschwerden und vorläufigen Maßnahmen be-
auftragte Berichterstatter im Namen des Ausschusses entschieden, gleichzeitig die Zulässig-
keit und die Begründetheit der Mitteilung zu prüfen.

Darstellung des von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Sachverhalts

2.1 Der französische Staatsangehörige Onsi Abichou ist am 17. Oktober 2009 bei einer
Überprüfung der Personalien in Deutschland, wohin er aus beruflichen Gründen gereist war,
von der deutschen Polizei festgenommen worden. Nach Überprüfung seiner Identität wurde
er von den Polizeibeamten mit der Begründung festgenommen, gegen ihn liege ein am 14.
März 2008 von Tunesien ausgestellter internationaler Haftbefehl vor. Onsi Abichou wurde
danach in der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken inhaftiert. Wegen der in Tunesien verhäng-
ten schweren Strafe ist die Haftanordnung vom Oberlandesgericht wiederholt verlängert
worden, weil im Falle einer vorläufigen Haftentlassung ernsthafte Fluchtgefahr bestehe.

2.2 Onsi Abichou wird in Tunesien in folgender Angelegenheit verfolgt: Am 15. Februar
2008 ist ein gewisser Mohamed Jelouali im Hafen von Goulette in Tunesien festgenommen
worden, als er sich gerade am Steuer eines Lastkraftwagens, in dem die Zollbeamten Can-

1
Deutschland hat am 19. Oktober 2001 die Zuständigkeit des Ausschusses gegen Folter zur Entgegennahme und
Prüfung von Beschwerden anerkannt, die gemäß Artikel 22 des Übereinkommens gegen Folter von Einzelpersonen
eingelegt werden.
nabis sichergestellt hatten, in Richtung Genua einschiffen wollte. Bei seiner Vernehmung hat
Herr Jelouali den Namen eines vermeintlichen Mittäters, Mohamed Zaied, preisgegeben, der
am selben Tag am Flughafen Tunis festgenommen wurde, als er ein Flugzeug nach Frank-
reich besteigen wollte. Bei seiner Vernehmung hat Mohamed Zaied – wahrscheinlich unter
Zwang - „zugegeben”,2 mit Onsi Abichou im Oktober/November 2007 einen ähnlichen Can-
nabistransfer durchgeführt zu haben.

2.3 Nach der Vernehmung wurden Strafverfolgungsmaßnahmen gegen fünf Personen ein-
geleitet, von denen lediglich zwei, Mohamed Jelouali und Mohamed Zaied, tatsächlich fest-
genommen, während die weiteren Verdächtigen von dem tunesischen Gericht als flüchtig
angesehen wurden. Die Verdächtigen werden in zwei Sachen3, die sich auf den gleichen
Sachverhalt beziehen, verfolgt.

2.4 Am 14. März 2008 hat der Staatsanwalt zwei Internationale Vorführungsbefehle gegen
Onsi Abichou in den beiden Fällen erlassen. Zu dem Zeitpunkt befand sich Onsi Abichou in
Frankreich und wurde von der französischen Justiz in keiner Weise belangt. Am 28. April
2008 hat Interpol Tunis dem Interpol-Generalsekretariat ein Ersuchen um Festnahme und
Auslieferung des Onsi Abichou nach Tunesien übermittelt.

2.5 Am 27. Juni 2009 hat die 4. Strafkammer des Tribunal de première instance Tunis Onsi
Abichou in den beiden in Rede stehenden Sachen4 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und
zu 5 Jahren Freiheitsstrafe mit vorläufiger Vollstreckung wegen Bandenbildung in Tunesien
und im Ausland zum Zwecke der Begehung von Straftaten im Zusammenhang mit Betäu-
bungsmitteln verurteilt.

2.6 Nach der Festnahme des Onsi Abichou durch die deutsche Polizei hat der Untersu-
chungsrichter des 8. Büros des Tribunal de première instance Tunis den deutschen Justiz-
behörden am 24. Oktober 2009 ein „Ersuchen der tunesischen Behörden an die deutschen
Behörden um Auslieferung des tunesischen Staatsangehörigen Onsi Abichou übermittelt”.
Der Vertragsstaat hat am 25. März und 6. Mai 2010 zwei Verbalnoten an Tunesien gerichtet
und um Zusicherungen gebeten, dass die Rechte des Onsi Abichou im Falle der Ausliefe-
rung nach Tunesien beachtet werden. Mit zwei Schreiben5 hat das tunesische Außenministe-
rium geantwortet und insbesondere zugesichert, dass in dem nach erfolgter Auslieferung des
Onsi Abichou eingeleiteten neuen Verfahren die Kriterien des von Tunesien ratifizierten In-

2
In Anführungszeichen in der Urschrift der Beschwerde.
3
Sache 17911/09 und Sache 17946/09.
4
siehe unter 2.3. Gemäß Artikel 56 des tunesischen Strafgesetzbuchs hat das Gericht beschlossen, die beiden Stra-
fen zusammenzulegen.
5
deren Datierung unleserlich ist (wahrscheinlich vom 13. Mai 2010)
ternationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte beachtet würden und Onsi
Abichou, im Falle einer Verurteilung, seine Strafe in einer Haftanstalt verbüßen würde, in der
die Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen befolgt werden.

2.7 Das Saarländische Oberlandesgericht hat die Auslieferung am 20. Mai 2010 für zuläs-
sig erklärt und dem Auswärtigen Amt somit gestattet, die Auslieferung des Onsi Abichou
förmlich anzuordnen. Onsi Abichou hat mit Unterstützung seines Rechtsbeistands die Ent-
scheidung vom 20. Mai 2010 mit der Begründung angefochten, das Oberlandesgericht habe
sich nicht zu verschiedenen Aspekten der Argumentation geäußert, insbesondere nicht zu
der Gefahr der Folter. Obwohl das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, hat sich
die Staatsanwaltschaft verpflichtet, Onsi Abichou nicht abzuschieben, solange das Gericht
sich nicht zu diesen Punkten geäußert hat.

2.8 Am 8. Juli 2010 hat das Auswärtige Amt der Tunesischen Botschaft in Berlin eine Ver-
balnote übermittelt, und darin die Bewilligung hinsichtlich der Auslieferung des Onsi Abichou
durch Deutschland bestätigt. Der Rechtsbeistand des Onsi Abichou hat erst am 19. Au-
gust 2010 auf seine Nachfrage hin Kenntnis von diesem Schreiben erhalten.

2.9 Das Saarländische Oberlandesgericht hat am 12. Juli 2010 seine Entscheidung vom
20. Mai 2010 mit der Begründung bestätigt, dass das Gericht zwar die Unterlagen internatio-
naler NGOs zu Foltergefahren in Tunesien zur Kenntnis genommen habe, es jedoch der
tunesischen Regierung Vertrauen schenken wolle. Das Gericht hat im Übrigen darauf hinge-
wiesen, es lägen keine Beweise für eine unmittelbare Bedrohung des Antragstellers vor.

2.10 Am 22. Juli 2010 hat Onsi Abichou einen Antrag auf vorläufige Maßnahmen und einen
Antrag auf Aufhebung der Entscheidung des Oberlandesgerichts an das Bundesverfas-
sungsgericht gerichtet. Dieser Antrag ist am 28. Juli 2010 abgewiesen worden, woraufhin die
Staatsanwaltschaft Saarbrücken ein Schreiben an das Bundeskriminalamt in Wiesbaden
gerichtet und gebeten hat, die Auslieferung des Onsi Abichou in die Wege zu leiten.

2.11 Am 20. August 2010 hat Onsi Abichou den Europäischen Gerichtshof für Menschen-
rechte mit einem Antrag auf eine vorläufige Maßnahme6 aufgrund des Artikels 39 der Verfah-
rensordnung des Gerichtshofs befasst. Der Antrag ist vom Gerichtshof am 23. August 2010
ohne Angabe des Ablehnungsgrundes abgewiesen worden.

2.12 Am 25. August 2010 erfuhr die Beschwerdeführerin, dass die Auslieferung ihres Ehe-

6
In ihren Kommentaren zur Stellungnahme des Vertragsstaats zur Begründetheit erläutert die Beschwerdeführerin,
dass die beiden Anträge auf vorläufige Maßnahmen am 3. bzw. 19. August 2010 gestellt wurden.
mannes Onsi Abichou für ebendiesen Tag um 13 Uhr geplant war. Die Auslieferung erfolgte
tatsächlich am 25. August 2010.

Inhalt der Beschwerde

3.1 Die Beschwerdeführerin bezieht sich auf die Abschließenden Bemerkungen des Men-
schenrechtsausschusses vom 28. März 2008 betreffend Tunesien7, denen zufolge in Tune-
sien die Folter sowohl gegenüber Gesinnungstätern als auch Verdächtigen gemeinrechtli-
cher Straftaten als eine vollwertige Ermittlungstechnik eingesetzt wird. Letztere werden wäh-
rend der Vernehmung nahezu systematisch Opfer grausamer, unmenschlicher oder erniedri-
gender Behandlung in Form von Fußtritten, Ohrfeigen und Fausthieben. Die unnachgiebigen
Verdächtigen werden anschließend gefoltert.8 Durch die Folterung von Personen, die wegen
gemeinrechtlicher Delikte inhaftiert sind, sollen Geständnisse im Hinblick auf das angeblich
vom Beschuldigten begangene Verbrechen erpresst sowie bestimmte ungeklärte Fälle abge-
schlossen werden.

3.2 Nach Auffassung der Beschwerdeführerin haben die Zusicherungen der tunesischen
Regierung in ihren beiden Verbalnoten im Hinblick auf die Achtung der physischen und psy-
chischen Unversehrtheit des Onsi Abichou keinen Garantiewert, denn Tunesien habe schon
einmal die Versprechen nicht eingehalten, die es einem Staaten gegenüber machte, der es
um die Auslieferung oder Abschiebung eines ihrer Staatsangehörigen ersucht hat9. Im Übri-
gen habe der Anwalt von Mohamed Jelouali, der in der gleichen Sache angeklagt ist, in einer
fernmündlichen Unterredung dem Rechtsbeistand der Beschwerdeführerin mitgeteilt, sein
Mandant habe ihm gegenüber bestätigt, von den Zollbeamten, die ihn festnahmen, brutal
behandelt und danach von den Polizeibeamten der Dienststelle Goulette, denen er am sel-
ben Tag übergeben wurde, gefoltert worden zu sein. Er sei in den fünf Tagen nach seiner
Festnahme mit Fausthieben, Fußtritten und Stockschlägen traktiert worden. Er sei in der
ersten Nacht vernommen worden, um ihn am Schlafen zu hindern. Er sei dem Untersu-

7
Danach ist der Ausschuss "über die ernsthaften und übereinstimmenden Informationen besorgt, wonach es im Ho-
heitsgebiet des Vertragsstaats Fälle von Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gibt.
Einigen dieser Informationen zufolge: (a) weigern sich Richter oder Staatsanwälte, Beschwerden über Misshandlungen
oder Folter zu den Akten zu nehmen; (b) überschreiten Ermittlungen im Anschluss an solche Beschwerden die ange-
messene Frist, und (c) entgehen die für das Verhalten - unter Missachtung des Artikels 7 des Paktes - ihrer Bedienste-
ten verantwortlichen Vorgesetzten Ermittlungen oder Verfolgungsmaßnahmen jeglicher Art." (CCPR/C/TUN/CO/5, 28.
März 2008, Rdnr. 11).
8
Die Beschwerdeführerin bezieht sich auf einen Bericht der Weltorganisation gegen Folter (OMCT) und der tunesi-
schen Vereinigung zur Bekämpfung der Folter in Tunesien (ALTT) ("Schreiben betr. die Kontrolle der Durchführung der
Empfehlungen des Menschenrechtsausschusses durch Tunesien", veröffentlicht im August 2009), in dem „der sehr
häufige Einsatz der Folter durch Polizeibeamte und Gefängnisaufseher gegenüber festgenommenen oder verurteilten
und wegen gemeinrechtlicher Fälle inhaftierten Personen“ angeführt wird.
9
Die Beschwerdeführerin verweist auf den Fall des Sami Ben Khemais Essid, der im Juni 2008 aus Italien abgescho-
ben und einige Monate nach seiner Ankunft in Tunesien von Angehörigen der Staatssicherheit im Innenministerium
gefoltert worden ist. Die italienischen Behörden hatten diese Abschiebung mit den von der tunesischen Regierung
gemachten Zusicherungen gerechtfertigt.
chungsrichter erst 25 Tage nach seiner Festnahme unter Verletzung tunesischen Rechts,
das den Polizeigewahrsam auf 6 Tage begrenzt, vorgeführt worden. Diese Fakten seien von
Mohamed Jelouali und seinem Anwalt vor dem Untersuchungsrichter, dem erstinstanzlichen
Gericht und den Berufungsinstanzen vorgetragen worden, wobei keiner die Konsequenzen
aus diesen schweren Verletzungen gezogen habe, deren Opfer der Angeklagte geworden
sei. Gemäß seinem Anwalt habe Mohamed Zaied, der zweite Angeklagte in der gleichen
Sache, eine ähnliche Behandlung erfahren. Die beiden Entscheidungen des Tribunal de
première instance Tunis vom 27. Juni 2009 verwiesen darauf, dass gegen Mohamed Zaied
und Mohamed Jelouali die von ihren Anwälten angeführte und als Verteidigungsmittel gel-
tend gemachte Folter zum Einsatz kam. Das Gericht habe jedoch in beiden Fällen ohne
ernsthafte Begründung abgelehnt, dem Rechnung zu tragen10.

3.3 Da in Tunesien häufig auf die Folter zurückgegriffen werde und angesichts der Miss-
handlung der beiden in dieser Sache festgenommenen Beschuldigten, bestehe eine ernst-
hafte Gefahr, dass Onsi Abichou ebenfalls Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung unterworfen werde, sollte er unter Verletzung des Artikels 3 des Übereinkom-
mens nach Tunesien ausgeliefert werden.

Stellungnahme des Vertragsstaats zur Zulässigkeit

4.1 Am 19. Oktober 2010 hat der Vertragsstaat die Zulässigkeit der Mitteilung nach Artikel
22 Absatz 5 Buchstabe a in Frage gestellt.

4.2 Der Vertragsstaat ruft in Erinnerung, dass der französische und tunesische Staatsan-
gehörige Onsi Abichou in Abwesenheit wegen mehrerer Anklagepunkte im Zusammenhang
mit Drogenhandel und Schmuggel in großem Umfang zu einer lebenslänglichen Gefängnis-
strafe verurteilt worden sei. Im Zuge einer Interpol-Fahndung sei Onsi Abichou am 17. Okto-
ber 2009 in Saarbrücken festgenommen worden. Tunesien habe zum Zwecke der Vollstre-
ckung seiner Strafe um Auslieferung ersucht. Gemäß dem innerstaatlichen Auslieferungsver-
fahren des Vertragsstaats wurde die Auslieferung vom OLG Saarbrücken für zulässig erklärt;

10
Sache 17946 „Da die Verteidigung es dabei bewenden lässt, dass das Geständnis des Beschuldigten [Mohamed
Zaied] vor der ersten Instanz, das dem Zwang zuzurechnen sei, nicht gerechtfertigt ist, abgesehen davon, dass dieses
Geständnis durch äußere Beweise erhärtet wird, die hauptsächlich in der bei den Beschuldigten vorgenommenen Be-
schlagnahme und deren Festnahme nach der Tat in der vorliegenden Sache bestehen; gestattet es dies dem Gericht,
diese schwach bleibende Einrede abzuweisen (Tribunal de première instance Tunis, Sache 17946, Verhandlung vom
27. Juni 2009, S. 22 der beeidigten Übersetzung des Urteils, die von der Beschwerdeführerin beigebracht wurde); Sa-
che 17911: „Da nach Ansicht der Verteidigung die Tatsache, dass die vom Ermittlungsbeamten zu Lasten der Ange-
klagten aufgezeichnete Aussage durch Gewalt erlangt wurde, jeglicher Beweise entbehrt, abgesehen davon, dass
diese Aussage durch externe Beweise untermauert wird, die hauptsächlich in den beschlagnahmten Sachen und der
Menge an Betäubungsmitteln bestehen, die in dem für die Ausfuhr ausgestatteten Lastkraftwagen perfekt unterge-
bracht war, was das Gericht dazu bewogen hat, dieses Argument abzuweisen (Tribunal de première instance Tunis,
Sache 17911, Verhandlung vom 27. Juni 2009, S. 27 der beeidigten Übersetzung des Urteils, die von der Beschwerde-
führerin beigebracht wurde).
das Gericht habe festgestellt, dass nach tunesischem Recht ein Berufungsverfahren in den
Fällen zulässig sei, in denen ein Abwesenheitsurteil ergangen ist, und dass für Onsi Abichou
nach 15 Jahren Gefängnis die Möglichkeit einer Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung
bestehe, obwohl er zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Daher habe
die Bundesregierung des Vertragsstaats die Auslieferung bewilligt. Diese Entscheidung sei
der tunesischen Regierung am 8. Juli 2010 mit Verbalnote mitgeteilt worden.

4.3 Gegen diese Entscheidung habe Onsi Abichou Beschwerde vor dem Bundesverfas-
sungsgericht eingelegt und angeführt, dass er im Falle seiner Auslieferung ernsthaft Gefahr
laufe, der Folter unterzogen zu werden, und dass das gegen ihn ergangene Urteil auf Zeu-
genaussagen basiere, die durch Folter erlangt wurden. Das Bundesverfassungsgericht habe
die Beschwerde abgewiesen. Daher habe Onsi Abichou am 23. August 201011 Beschwerde
beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Beschwerde Nr. 33841/10) eingelegt
nach Artikel 3 und 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie dem Protokoll Nr. 7
zur Konvention, das jedoch von dem Vertragsstaat nicht ratifiziert worden sei. In derselben
Beschwerde habe Onsi Abichou auch einen Antrag auf vorläufige Maßnahmen gemäß Arti-
kel 39 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs gestellt. Der Gerichtshof habe diesem An-
trag jedoch nicht stattgegeben.

4.4 Der Vertragsstaat trägt vor, dass Onsi Abichou sich mit dieser Mitteilung erst an den
Ausschuss gewandt hat, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ablehnte, sei-
nem Antrag auf Aussetzung des Auslieferungsverfahrens durch den Vertragsstaat stattzuge-
ben. Der mit neuen Beschwerden und vorläufigen Maßnahmen beauftragte Berichterstatter
habe den Vertragsstaat ersucht, Onsi Abichou nicht nach Tunesien auszuliefern. Dieses Er-
suchen sei dem Vertragsstaat am 25. August 2010 mitgeteilt worden. Es habe die zuständi-
gen Behörden des Vertragsstaates jedoch erst nach der Auslieferung des Onsi Abichou er-
reicht. Daher habe der Vertragsstaat dem Ersuchen des Ausschusses auf vorläufige Maß-
nahmen nicht entsprechen können. Nach der Aktenlage des Vertragsstaates habe seine
Ständige Vertretung in Genf den Antrag des Ausschusses auf vorläufige Maßnahmen am 25.
August 2010 um 12.05 Uhr erhalten. Die zuständige Person habe ihn umgehend per E-Mail
um 12.10 Uhr dem Auswärtigen Amt (Referat Menschenrechte) übermittelt. Die Mitteilung sei
in diesem Stadium unmittelbar von den dort für Völkerrecht zuständigen Abteilungen behan-
delt worden. Um 13.39 Uhr sei das Justizministerium über das Ersuchen des Ausschusses
informiert worden. Die verantwortliche Person habe umgehend die mit dem Auslieferungs-
verfahren beauftragte zuständige Landesbehörde (Saarländisches Justizministerium) kontak-
tiert. Diese Person sei informiert worden, dass Onsi Abichou den tunesischen Behörden ge-

11
Laut der ersten Mitteilung der Beschwerdeführerin wurde der Gerichtshof am 20. August 2010 befasst.
gen 13.15 Uhr am Flughafen Frankfurt überstellt worden sei.

4.5 Der Vertragsstaat ist der Auffassung, dass die für die interne Übermittlung des Ersu-
chens des Ausschusses um vorläufige Maßnahmen zugunsten des Onsi Abichou benötigte
Zeitspanne unter allen Aspekten, d.h. unter Berücksichtigung der erforderlichen Zeit für die
Benachrichtigung der zuständigen Behörden eines Bundesstaats, angemessen war. Unter
den gegebenen Umständen sei die zuerkannte Reaktionszeit zu kurz gewesen. Der Ver-
tragsstaat ist von der Notwendigkeit überzeugt, im Zusammenhang mit Artikel 3 des Über-
einkommens zügig zu handeln, und bekräftigt seinen Willen, den Anträgen des mit neuen
Beschwerden und vorläufigen Maßnahmen beauftragten Berichterstatters gemäß Artikel 108
der Verfahrensordnung des Ausschusses zu entsprechen.

4.6 Der Vertragsstaat fügt hinzu, dass die Mitteilung a-limine aufgrund von Artikel 22 Ab-
satz 5 Buchstabe a des Übereinkommens12 unzulässig ist, da Onsi Abichou eine Beschwer-
de in derselben Sache vor dem Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt ha-
be. Der Gerichtshof habe zudem seinen Antrag auf vorläufige Maßnahmen zurückgewiesen.
Diese Beschwerde habe dieselben Handlungen betroffen wie die vor dem Ausschuss gel-
tend gemachten, und zwar die Behauptung, Onsi Abichou sehe sich der ernsthaften Gefahr
ausgesetzt, im Falle einer Rückkehr nach Tunesien gefoltert zu werden. Die Tatsache, dass
Onsi Abichou in seiner Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
zusätzliche Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention geltend gemacht
habe, sei ohne Folgen. Der Vertragsstaat fügt hinzu, dass der Einsatz vorläufiger Maßnah-
men die Fälle ausschließen sollte, die eindeutig unter den Grund der Unzulässigkeit des Arti-
kels 22 Absatz 5 Buchstabe a fallen.

Kommentare der Beschwerdeführerin zur Stellungnahme des Vertragsstaats zur Zu-


lässigkeit

5.1 Am 23. Dezember 2010 hat die Beschwerdeführerin Kommentare zur Stellungnahme
des Vertragsstaats vorgelegt. Sie weist das Argument des Vertragsstaats zurück, demzufol-
ge die Mitteilung nach Artikel 22 Absatz 5 Buchstabe a des Übereinkommens mit der Be-
gründung für unzulässig erklärt werden sollte, dass Onsi Abichou den Europäischen Ge-
richtshof für Menschenrechte mit einem Antrag auf sofortige Maßnahmen gemäß Artikel 39
der Verfahrensordnung des Gerichtshofs befasst habe, der darauf abzielte, gegenüber
Deutschland anzuordnen, die Auslieferung des Onsi Abichou auszusetzen und abzuwarten,
dass der Gerichtshof befasst werde und sich zur Sache äußere.

12
Der Vertragsstaat bezieht sich auf die Mitteilung Nr. 305/2006 A.R.A. ./. Schweden, vom 30. April 2007 Rdnr. 6.2.
5.2. Nach den Angaben der Beschwerdeführerin lautet die von Onsi Abichou über seinen
Rechtsbeistand an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerichtete Beschwer-
de "Beschwerde Artikel 39". Ebenso betreffe die Ablehnungsentscheidung des Gerichtshofs
nur den Antrag aufgrund von Artikel 39. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin wurde der
Gerichtshof zu keinem Zeitpunkt mit einem Antrag befasst, noch habe er die Begründetheit
eines solchen Antrags auf Verurteilung der Bewilligung durch die deutschen Justizbehörden
der Auslieferung des Onsi Abichou nach Tunesien geprüft. Lediglich der Ausschuss gegen
Folter sei mit einem solchen Antrag befasst worden, so dass nicht behauptet werden könne,
dass "dieselbe Sache nicht bereits in einem anderen internationalen Untersuchungs- oder
Streitregelungsverfahren geprüft wurde oder wird", so wie dies in Artikel 22 Absatz 5 Buch-
stabe a des Übereinkommens vorgesehen sei.

5.3. Im Hinblick auf die durch den Vertragsstaat erfolgte Nichtbeachtung des Antrags des
Ausschusses auf vorläufige Maßnahmen, den der Vertragsstaat auf die zu kurzen Fristen
zurückführt, legt die Beschwerdeführerin dar, dass Onsi Abichou erst am Morgen des 25.
August 2010 erfahren habe, dass er noch am Nachmittag desselben Tages ausgeliefert wer-
den würde, trotz der Bitte der deutschen Staatsanwaltschaft an die Kriminalpolizei, den Zeit-
punkt der Auslieferung zwei Wochen im Voraus anzukündigen.13 Nach Auffassung der Be-
schwerdeführerin haben die Behörden daher beschlossen, die Auslieferung zu beschleuni-
gen, was ihr keine andere Wahl gelassen habe, als den Ausschuss einige Stunden vor der
tatsächlichen Auslieferung anzurufen.

Stellungnahme des Vertragsstaats zur Begründetheit

6.1 Am 19. April 2011 hat der Vertragsstaat Kommentare zur Begründetheit der Mitteilung
vorgelegt. Der Vertragsstaat bezieht sich in erster Linie auf die Zulässigkeit der Mitteilung
und weist das Argument der Beschwerdeführerin zurück, wonach Onsi Abichou lediglich ei-
nen Antrag auf vorläufige Maßnahmen an den Europäischen Gerichtshof gerichtet habe und
letzterer demzufolge die Begründetheit der Sache nicht geprüft habe, was daher nicht zur
Unzulässigkeit der Mitteilung vor dem Ausschuss aufgrund von Artikel 22 Absatz 5 Buchsta-
be a des Übereinkommens führe. Nach Auffassung des Vertragsstaats ist die Auslegung der
Beschwerdeführerin falsch, denn das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Men-
schenrechte erlaube keine gesonderte Prüfung eines Antrags auf vorläufige Maßnahmen.
Derartige Schutzmaßnahmen dienten nur zur Aussetzung einer Ausweisungsmaßnahme,

13
Die Beschwerdeführerin verweist auf ein Schreiben des Staatsanwalts in Saarbrücken vom 28. Juli 2010 an
das BKA in Wiesbaden, das auf die Modalitäten und die Vorbereitung der Auslieferung des Onsi Abichou Bezug
nimmt (s. Rdnr. 2.10).
während die Sache zur Prüfung vor dem Gerichtshof anstehe. Im Übrigen lasse sich eindeu-
tig ersehen, dass es sich um eine ordnungsgemäß von Onsi Abichou nach Artikel 34 der
Europäischen Menschenrechtskonvention vor dem Europäischen Gerichtshof eingelegte
Beschwerde gehandelt habe.14 In jedem Falle habe es sich um die einzige Art gehandelt,
einen Antrag auf vorläufige Maßnahmen an den Gerichtshof zu stellen, und der Rechtsbei-
stand des Onsi Abichou habe dies wissen müssen. Am 12. August 2010 habe der Europäi-
sche Gerichtshof für Menschenrechte Onsi Abichou mitgeteilt, dass dessen Antrag auf vor-
läufige Maßnahmen abgewiesen worden sei. Am 24. August 2010 habe der Gerichtshof ihm
mitgeteilt, dass seine Beschwerde dem Gerichtshof so schnell wie möglich vorgelegt würde.
Sein Rechtsbeistand habe zwangsläufig wissen müssen, dass die Einreichung an den Ge-
richtshof als eine Beschwerde zur Begründetheit angesehen und als solche behandelt wür-
de. Der Vertragsstaat fügt hinzu, dass er den Gerichtshof um Bestätigung gebeten - und die-
se am 7. Februar 2011 erhalten habe -, dass die Beschwerde des Onsi Abichou sehr wohl
eine vor dem Gerichtshof anhängige vollständige Beschwerde sei. Erst zu diesem Zeitpunkt,
als ihr deutlich wurde, dass dieser Sachverhalt dem Ausschuss nicht länger verborgen blei-
ben würde, habe die Beschwerdeführerin entschieden, ihre Beschwerde vor dem Europäi-
schen Gerichtshof zurückzuziehen. Dies zeige sehr wohl, dass sie wusste, dass ihre Be-
schwerde vor dem Gerichtshof anhängig bleiben würde. Nach Ansicht des Vertragsstaats
handelt es sich um eine wissentlich falsche Erklärung der Beschwerdeführerin und daher um
Missbrauch des Rechts auf Einreichung von Mitteilungen im Sinne des Artikels 22 Absatz 2
des Übereinkommens. Daher ersucht der Vertragsstaat den Ausschuss, ihre Mitteilung zu-
rückzuweisen, da sie einen Missbrauch des Rechts, Mitteilungen einzureichen, darstellt, so-
wie aufgrund des Artikels 22 Absatz 5 Buchstabe a des Übereinkommens.

6.2. Auf der Ebene der Begründetheit verweist der Vertragsstaat darauf, dass diese Stel-
lungnahme eingereicht wird, obwohl er weiterhin der Ansicht ist, dass die Mitteilung keine
gesetzliche Grundlage hat, und legt dar, dass das Auslieferungsverfahren zwei Kontrollebe-
nen umfasst: Jedes derartige Ersuchen müsse zunächst von einem Oberlandesgericht für
zulässig erklärt werden, das in seiner Entscheidung Berichte aus zahlreichen Quellen, darun-
ter auch nicht aus Regierungskreisen stammende Quellen, zu der Lage der Menschenrechte
im ersuchenden Staat berücksichtige. Der betroffenen Person stehe es frei, zu den potentiel-
len Gefahren, die von ihr behauptet werden, jedwede Information einzureichen. Nach der
Zulässigkeitserklärung durch das Oberlandesgericht müsse die Regierung des Vertrags-
staats die Auslieferung noch bewilligen. Das Justizministerium prüfe, ob die Kriterien für die

14
Der einschlägige Absatz der Beschwerde lautet wie folgt: "Der Beschwerdeführer legt eine Beschwerde ein gegen
Frankreich wegen Verletzung des Artikels 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und
Grundfreiheiten sowie des Artikels 4 des Protokolls Nr. 7 zur Konvention und des Artikels 3 des Übereinkommens
gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafen" (S. 21 der Be-
schwerde).
Auslieferung, einschließlich der völkerrechtlichen Verpflichtungen des Vertragsstaats, erfüllt
sind. Das Auswärtige Amt müsse die Auslieferung ebenfalls bewilligen. Während aller Ver-
fahrensstufen würden Berichte herangezogen, die sowohl aus Regierungs- als auch von
Nichtregierungsorganisationen stammten, so dass eine realistische Feststellung zu der Lage
im ersuchenden Staat getroffen würde. Falls erforderlich, könnten Bedingungen an die Aus-
lieferung geknüpft werden.

6.3 Der Vertragsstaat versichert, die von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde an-
geführten Berichte zu kennen, die im Hinblick auf die Lage der Menschenrechte in Tunesien
sehr besorgniserregend seien. Die Entscheidung, Onsi Abichou auszuliefern, sei nach sorg-
fältiger und eingehender Bewertung der spezifischen Onsi Abichou treffenden Risiken gefällt
worden. Das Auswärtige Amt habe den tunesischen Behörden eine Zusicherung unter ande-
rem dahingehend abverlangt, dass garantiert werde, dass Onsi Abichou in den Genuss eines
neuen Urteils gelange, das die vom Pakt über bürgerliche und politische Rechte vorgesehe-
nen Rechte beachtet, und dass er im Falle einer neuen Verurteilung in einer Haftanstalt un-
tergebracht würde, die den Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen für die Behandlung
der Gefangenen Rechnung trägt. Das tunesische Ministerium für Auswärtige Angelegenhei-
ten habe dem Vertragsstaat am 8. Mai 2010 diese Zusicherungen gegeben15. Das OLG
Saarbrücken, welches das Auslieferungsersuchen zu prüfen hatte, habe in seiner Entschei-
dung die Berichte des Auswärtigen Amtes des Vertragsstaats, von Amnesty International
sowie des amerikanischen Außenministeriums zu der Lage der Menschenrechte in Tunesien
berücksichtigt. Auf der Grundlage dieser Berichte habe das OLG erachtet, dass die rechts-
widrige Behandlung von verdächtigen Personen in Tunesien nicht ausgeschlossen werden
könne, es jedoch keine Hinweise darauf gebe, dass eine solche Behandlung von den tunesi-
schen Behörden initiiert wäre oder gebilligt würde, zumindest nicht im Hinblick auf andere
Verbrechen als Terrorismus.

6.4. Im Hinblick auf die Folter, die angeblich von den Zeugen erlitten wurde, aufgrund deren
Aussagen Onsi Abichou verurteilt worden sein soll, erachtete das OLG Saarbrücken diese
Behauptungen für nicht bewiesen. Im Übrigen gründe die Verurteilung des Onsi Abichou auf
weiteren bekräftigenden Beweisen. Zudem vertrat das Gericht die Auffassung, dass kein

15
Es wurden folgende Zusicherungen erteilt: (i) die Tatsache, dass "sobald Widerspruch gegen die Urteile, auf deren
Grundlage um die Auslieferung des Onsi Abichou ersucht wird, das Verfahren in Bezug auf alle damit zusammenhän-
gende Handlungen wieder aufgenommen wird"; (ii) die Tatsache, dass "das neue Verfahren" dem Angeklagten insbe-
sondere zusichert, die Belastungszeugen sowie die Mitangeklagten zu befragen; (iii) die Tatsache, dass das neue Ver-
fahren die Kriterien des von Tunesien ratifizierten Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte beachtet;
(iv) Im Falle einer Verurteilung wird Onsi Abichou seine Strafen in einem Gefängnis verbüßen, das die Mindeststan-
dards der Vereinten Nationen beachtet; (v) Onsi Abichou wird nur für die in dem Auslieferungsersuchen vom 24. Okto-
ber 2009 aufgeführten Handlungen und in Anwendung des Grundsatzes der Spezialität abgeurteilt; (vi) Die Möglichkeit
einer Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung ist auf Onsi Abichou in Anwendung des Artikels 353 der Strafprozess-
ordnung anwendbar.
Grund zur Annahme vorlag, dass Onsi Abichou nicht in den Genuss eines fairen Verfahrens
kommen würde, da er nach tunesischem Recht die Möglichkeit habe, um ein Urteil in einem
neuen Verfahren („jugement de novo“) zu ersuchen, was von den tunesischen Behörden
ausdrücklich in den dem Vertragsstaat gegebenen Zusicherungen bestätigt worden sei. Der
Vertragsstaat fügt hinzu, dass das OLG auch die Besorgnisse im Hinblick auf die Haftbedin-
gungen in Tunesien, so wie sie in den o.a. Berichten aufgeführt sind, zur Kenntnis genom-
men habe. Er vertrat jedoch die Auffassung, dass die von Tunesien erteilten Zusicherungen,
denen zufolge Onsi Abichou in einer Haftanstalt untergebracht würde, die den Mindest-
grundsätzen der Vereinten Nationen für die Behandlung der Gefangenen Rechnung trägt,
ausreichend seien, um eine solche Gefahr auszuschließen. Die Gerichte und die zuständi-
gen Behörden des Vertragsstaats hätten daher sorgfältig die Risiken in Bezug auf die Auslie-
ferung des Onsi Abichou nach Tunesien abgewogen. Im Übrigen habe die deutsche Bot-
schaft in Tunis die diplomatischen Zusicherungen weiterverfolgt und Onsi Abichou von Ver-
tretern der französischen Botschaft in Tunis (aufgrund seiner französischen Staatsbürger-
schaft) betreut worden 16. Die deutsche Botschaft habe ebenfalls die Verhandlungen seines
neuen erstinstanzlichen Verfahrens sowie das derzeit anhängige Berufungsverfahren ver-
folgt17. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass Onsi Abichou der Folter oder anderer un-
menschlicher Behandlung unterworfen wurde.

6.5 Im Hinblick auf die Gefahr, der Folter unterworfen zu werden, macht der Vertragsstaat
geltend, dass er die erhebliche Gefahr kennt, die bestimmte Gruppen Verdächtiger treffen,
und dass diese Gefahr als Teil einer systematischen Praxis angesehen werden könne.
Gleichwohl gehört Onsi Abichou nach Auffassung des Vertragsstaats nicht zu den Gruppen,
von denen angenommen werden könnte, dass sie einer solchen Gefahr ausgesetzt sind. Die
Beschwerdeführerin beziehe sich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Men-
schenrechte in der Sache Ben Khemais ./. Italien18. In dieser Sache habe der Gerichtshof
ausdrücklich auf die spezifischen Gefahren Bezug genommen, denen Personen ausgesetzt
sind, die terroristischer Aktivitäten verdächtig sind. Onsi Abichou falle nicht darunter. Wenn
solche Vorwürfe gegen ihn erhoben worden wären, sei es sehr unwahrscheinlich, dass er
ausgeliefert worden wäre. Der Ausschuss könne selbst die sich aufdrängenden Schlussfol-
gerungen ziehen, in dem Wissen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im
Bewusstsein seiner Rechtsprechung hinsichtlich der Auslieferung nach Tunesien mehrfach
den Antrag des Onsi Abichou auf vorläufige Maßnahmen abgelehnt habe.

6.6 Der Vertragsstaat fügt hinzu, dass diplomatische Zusicherungen unterschiedlichen

16
Der Vertragsstaat führt diesen Punkt nicht weiter aus.
17
Das Appellationsgericht Tunis hat seine Entscheidung am 19. Mai 2011 erlassen (siehe unten Rdnr. 7.1).
18
Beschwerde 264/07, Urteil vom 24. Februar 2009.
Wert besitzen, je nachdem, ob sie in Auslieferungs- oder Abschiebungsfällen erteilt werden.
Es könne zu Recht angenommen werden, dass ein ersuchender Staat zukünftige Ausliefe-
rungen nicht durch Nichtbeachtung der dem ersuchten Staat erteilten Zusicherungen gefähr-
den möchte. Dies sei umso deutlicher in Fällen ohne politischen oder terroristischen Hinter-
grund, wie im vorliegenden Fall, bei dem es um einen nicht komplexen Drogenhandel geht.
Aus den genannten Gründen hält der Vertragsstaat an seiner Auffassung fest, dass seine
Gerichte und zuständigen Behörden das Risiko des Onsi Abichou im Hinblick auf seine Aus-
lieferung nach Tunesien korrekt bewertet haben. Zum Zeitpunkt der Entscheidung hätten
keine Anhaltspunkte vorgelegen, dass Onsi Abichou der Folter unterzogen würde, die tune-
sischen Behörden ihre Zusicherungen nicht einhalten oder nicht auf eine diesbezügliche Be-
schwerde reagieren würden. Folglich verstoße diese Entscheidung nicht gegen Artikel 3 des
Übereinkommens. Daher ersucht der Vertragsstaat den Ausschuss, die Beschwerde als un-
zulässig anzusehen, da sie einen Missbrauch des Rechts, Mitteilungen einzureichen, darstel-
le, oder alternativ aufgrund des Artikels 22 Absatz 5 Buchstabe a des Übereinkommens.
Sollte der Ausschuss die Beschwerde als zulässig erachten, ersucht der Vertragsstaat den
Ausschuss, sie für unbegründet zu erklären.

Ergänzende Informationen des Vertragsstaats

7.1 Am 27. Mai 2011 hat der Vertragsstaat weitere Informationen vorgelegt, indem er den
Ausschuss darüber unterrichtet hat, dass das Berufungsgericht Tunis Onsi Abichou am 19.
Mai 2011 von allen Anklagepunkten freigesprochen hatte und er freigelassen worden war.
Die deutsche Botschaft habe den Prozess verfolgt und es habe den Anschein, dass Onsi
Abichou infolge der Zeugenaussagen der Verteidigung freigelassen worden sei.

7.2 Dem Vertragsstaat zufolge verdeutlicht dies, dass die tunesischen Behörden ihren dip-
lomatischen Zusicherungen nachgekommen sind, was den Vertragsstaat in seinen vorheri-
gen Stellungnahmen zur Zulässigkeit und Begründetheit der Mitteilung bestärkt.

Kommentare der Beschwerdeführerin zu den Stellungnahmen des Vertragsstaats zur


Zulässigkeit und Begründetheit

8.1 In ihren Kommentaren vom 26. Juni 2011 behauptet die Beschwerdeführerin, dass in
dem Zeitpunkt, in dem sie ihre ursprüngliche Beschwerde dem Ausschuss am 25. Au-
gust 2010 vorgelegt habe, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Gegen-
stand ihrer Beschwerde nicht geprüft habe und weder Onsi Abichou noch sein Rechtsbei-
stand gewusst hätten, dass eine Beschwerde vor dieser Instanz anhängig war. Die Be-
schwerdeführerin erinnert an die Unterscheidung, die ihres Erachtens zwischen einer Mittei-
lung und einem Ersuchen um vorläufige Maßnahmen zu treffen ist. Artikel 22 Absatz 5 Buch-
stabe a des Übereinkommens untersage dem Ausschuss, eine Mitteilung zu prüfen, wenn
die Sache vor einer anderen internationalen Instanz bereits geprüft wurde oder geprüft wird,
finde aber keine Anwendung auf Ersuchen um vorläufige Maßnahmen, und zwar aus offen-
sichtlichen Gründen im Zusammenhang mit dem Erfordernis, dem Schutz der physischen
und psychischen Unversehrtheit der Person gegenüber jeder anderen verfahrensrechtlichen
Erwägung Vorrang einzuräumen.

8.2 Auf Ersuchen der ACAT-France (Rechtbeistand der Beschwerdeführerin) habe die
Kanzlei von Rechtsanwalt William Bourdon den Europäischen Gerichtshof für Menschen-
rechte am 3. und 19. August 2010 mit zwei Anträgen auf vorläufige Maßnahmen aufgrund
des Artikels 39 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs befasst, damit der Gerichtshof
Deutschland ersuche, die Auslieferung von Onsi Abichou nach Tunesien auszusetzen.19 Am
12. bzw. 23. August 2010 habe der Gerichtshof diese Anträge abgelehnt.20 Die Ablehnungs-
entscheidungen des Gerichthofs beträfen nur die Anträge aufgrund des Artikels 39 der Ver-
fahrensordnung des Gerichtshofs (vorläufige Maßnahmen). Folglich habe der Gerichtshof nie
über den Antrag entschieden, der vom Ausschuss geprüft wird, so dass nicht behauptet wer-
den könne, dass der Antrag, der Gegenstand der Mitteilung an den Ausschuss ist, bereits
von einer anderen internationalen Instanz geprüft worden ist.

8.3 Als der zweite Antrag auf vorläufige Maßnahmen abgelehnt wurde, habe ein Mitarbei-
ter des Gerichtshofs Rechtsanwalt Bourdon angerufen und ihn gefragt, ob er wünsche, dass
der Gerichtshof die Begründetheit der Beschwerde prüfe, was Rechtsanwalt Bourdon dem
Wunsch der ACAT-France und der Familie des Onsi Abichou entsprechend verneint habe.
Er habe im Übrigen dem Gerichtshof in dieser Sache keine weiteren Unterlagen übersandt.
Seitdem habe Rechtsanwalt Bourdon den Fall des Onsi Abichou nicht mehr weiter verfolgt,
der ausschließlich von der ACAT-France betreut worden sei. Erst als die Kanzlei von
Rechtsanwalt Bourdon am 7. Februar 2011 das vom EGMR an die deutsche Regierung ge-
richtete Schreiben erhalten habe, hätten Rechtsanwalt Bourdon und die ACAT-France fest-
gestellt, dass die Sache entgegen den erteilten Anweisungen beim Gerichtshof anhängig
war.

8.4 Die ACAT-France habe daher Rechtsanwalt Bourdon gebeten, dieses Missverständnis
unverzüglich aufzuklären, was er getan habe, indem er am 8. März 2011 ein Schreiben an

19
Ein Rechtsanwalt wurde hinzugezogen, weil die Person, die sich mit dem Fall des Onsi Abichou innerhalb der
ACAT befasste, kein Anwalt war.
20
Die Beschwerdeführerin schloss sich der Entscheidung des Gerichtshofs vom 12. August 2010 an.
den Gerichtshof gerichtet habe, mit dem er daran erinnert habe, dass er nach der Ablehnung
des zweiten Antrags auf vorläufige Maßnahmen dem Gerichtshof mitgeteilt habe, dass er
nicht wünsche, dass dieser die Begründetheit des Antrags prüfe. In einem Schreiben vom
25. März 2011 habe der Kanzler des Gerichthofs Rechtsanwalt Bourdon geantwortet, dass
dieser schriftlich hätte mitteilen müssen, dass er die Beschwerde nicht weiterzuverfolgen
beabsichtige, und dass die Beschwerde folglich aufrechterhalten worden sei. Am 7. April
2011 habe der Gerichtshof schließlich auf ausdrückliches Ersuchen von Rechtsanwalt Bour-
don die Beschwerde des Onsi Abichou im Register des Gerichtshofs gestrichen. Da die
ACAT-France an dem Schriftwechsel zwischen der Kanzlei von Rechtsanwalt Bourdon und
der Kanzlei des EGMR nicht beteiligt gewesen sei, könne sie nicht feststellen, wer für dieses
Missverständnis verantwortlich sei, und bittet den Ausschuss sicherzustellen, dass Onsi
Abichou, der in keiner Weise für dieses Missverständnis verantwortlich sei, nicht die Folgen
zu tragen hat.

8.5 Mit Blick auf die Begründetheit stellt die Beschwerdeführerin die Behauptungen des
Vertragsstaats in Abrede, denen zufolge die herangezogenen Berichte es nicht erlaubt hät-
ten festzustellen, dass für Onsi Abichou ein ernsthaftes Risiko der Folter bestand, insoweit
als dieser nicht im Rahmen der Bekämpfung des Terrorismus verfolgt würde. Die Beschwer-
deführerin bezieht sich in diesem Zusammenhang auf zahlreiche, im Wesentlichen nicht aus
Regierungskreisen stammende Berichte,21 die dem Europäischen Gerichtshof für Menschen-
rechte am 19. August 2010 mit dem Antrag auf vorläufige Maßnahmen in Bezug auf Onsi
Abichou übermittelt worden waren und in denen darauf hingewiesen wurde, dass Gefange-
ne, die wegen gemeinrechtlicher Verbrechen verfolgt wurden, gefoltert worden seien. Die
Beschwerdeführerin bezieht sich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs Ben Khemais
./. Italien, das der Vertragsstaat angeführt hat, um daraus den Schluss zu ziehen, dass die
Gefahr der Folter nur Personen betrifft, die verdächtigt werden, terroristische Handlungen zu
begehen. Die Tatsache, dass dieses Urteil eine Person betrifft, die von den tunesischen Be-
hörden terroristischer Aktivitäten verdächtigt und gefoltert wurde, könne im Umkehrschluss
nicht bedeuten, dass die Personen, die wegen anderer Arten von Straftaten verfolgt würden,

21
Bericht des amerikanischen Außenministeriums von 2009, der vom Vertragsstaat in seiner Stellungnahme zitiert wird
und der auf den Fall des Abdelmottaleb Ben Marzoug Bezug nimmt, der am 12. März 2009 von Sicherheitskräften gefol-
tert wurde, die ihn zwingen wollten zu gestehen, an einer Schlägerei in einem Café beteiligt gewesen zu sein; Bericht
der Weltorganisation gegen Folter (OMCT) und der Vereinigung zur Bekämpfung der Folter in Tunesien (Association de
lutte contre la torture en Tunisie - ALTT) von 2009, in dem mehrfach darauf hingewiesen wird, dass Gefangene, denen
gemeinrechtliche Straftaten zur Last gelegt worden waren, gefoltert wurden; Bericht der ACAT-France 2010, "Un monde
tortionnaire" ("Eine Welt der Folterknechte"), der herausstellt, dass "Personen, die verdächtigt werden, ein gemeinrecht-
liches Verbrechen begangen zu haben, (...) während der Vernehmung nahezu systematisch Opfer grausamer, un-
menschlicher oder erniedrigender Behandlung werden, beispielsweise in Form von Fußtritten, Ohrfeigen und Faust-
schlägen. Bei Opfern und Rechtsanwälten gesammelten Zeugenaussagen zufolge sind Festgenommene mehrheitlich
bei ihrer Vernehmung auf der Polizeidienststelle oder in den Räumlichkeiten der Nationalgarde zumindest Beleidigun-
gen, Ohrfeigen und Fußtritten ausgesetzt. Die unnachgiebigen Verdächtigen dürfen gefoltert werden"; Bestätigung von
Rechtsanwalt Mohammed Abbou vom 18. August in Bezug auf das Foltern von des Betäubungsmittelhandels verdäch-
tigten Personen.
in Tunesien nicht Gefahr liefen, gefoltert zu werden. Zahlreiche glaubwürdige Quellen hätten
belegt, dass politische Oppositionelle, Gewerkschaftler, Journalisten und andere in einem
anderen Rahmen als der Bekämpfung des Terrorismus festgenommene Personen gefoltert
wurden.22

8.6 In Bezug auf die diplomatischen Zusicherungen weist die Beschwerdeführerin darauf
hin, dass drei von Tunesien dem Vertragsstaat gegebene Zusicherungen nicht eingehalten
worden seien: (1) "Das neue Verfahren garantiert insbesondere das Recht des Angeklagten,
nach Artikel 143 der Strafprozessordnung die Belastungszeugen sowie die Mitangeklagten
durch den Vorsitzenden der Verhandlung zu befragen". Im neuen Verfahren des Onsi
Abichou im Anschluss an seine Auslieferung durch Deutschland habe der tunesische Richter
Mehrez Hammami - der nach der tunesischen Revolution seines Amtes enthoben wurde -
die Gegenüberstellung mit Zeugen verweigert. Er habe den Angeklagten am 11. Dezember
2010 allein auf der Grundlage von Zeugenaussagen, die unter Folter von seinen vermeintli-
chen Mittätern erlangt worden seien, zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Eine Gegen-
überstellung des Onsi Abichou mit seinen vermeintlichen Mittätern wäre für diese eine Gele-
genheit gewesen, an die während der Vernehmungen erlittene Folter zu erinnern;23 (2) "Das
neue Verfahren wird die Kriterien des von Tunesien aufgrund des Gesetzes Nr. 30 vom 29.
November 1968 ratifizierten Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte
beachten; dadurch wird dem Angeklagten ermöglicht, wirksam verteidigt zu werden." Onsi
Abichou sei am 11. Dezember 2010, dem Tag der ersten Verhandlung, verurteilt worden,
ohne dass es seiner Anwältin, Me Radhia Nasraoui, erlaubt worden sei, in der Hauptsache
zu plädieren; (3) "Im Falle einer Verurteilung wird Onsi Abichou seine Strafe in einer Haftan-
stalt verbüßen, in der die Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen befolgt werden". Wie
das amerikanische Außenministerium in seinem Bericht von 2009, den die Behörden des
Vertragsstaats herangezogen hätten, feststelle, "entsprachen die Haftbedingungen ganz
allgemein nicht den internationalen Standards", eine von der ACAT-France in ihrem Bericht
"Un monde tortionnaire" bestätigte Feststellung.24

8.7 Die Beschwerdeführerin tritt in allen Punkten der Schlussfolgerung entgegen, die der

22
Amerikanisches Außenministerium, Amnesty International, ACAT-France, FIDH, Human Rights Watch, OMCT.
23
Die Beschwerdeführerin nimmt auf die Pressemitteilung der ACAT-France vom 15. Dezember 2010 "Nouvelle paro-
die de justice en Tunisie" ("Neue Justizparodie in Tunesien") Bezug.
24
ACAT-France, Un monde tortionnaire (2010), Seite187: "Die Haftbedingungen in den tunesischen Haftanstalten sind
in jeder Hinsicht schlecht. Die Überbelegung ist ein häufig auftretendes Problem. Zeugenaussagen zufolge, welche die
ACAT-France bei ehemaligen Gefangenen eingeholt hat, sind Gefangene sehr oft verpflichtet, sich zu zweit oder zu
dritt ein Bett zu teilen oder auf dem Boden zu schlafen. Etwa hundert Gefangene teilen sich die Sanitäranlagen, einen
Wasserhahn und eine Toilette. Jeder Gefangene hat ein Mal pro Woche Anspruch auf eine Dusche, jedoch wird dieses
Recht bisweilen nicht beachtet, entweder wegen der zu großen Anzahl an Gefangenen oder um einen Gefangenen zu
bestrafen. Aufgrund der schlechten hygienischen Bedingungen verbreiten sich Krankheiten sehr rasch. Der Zugang zu
medizinischer Versorgung ist eingeschränkt und ihr Entzug wird häufig als Strafmaßnahme genutzt, vor allem gegen-
über politischen Gefangenen."
Vertragsstaat aus dem in der Berufung ergangenen Freispruch und der anschließenden Frei-
lassung des Onsi Abichou am 19. Mai 2011 zieht, nämlich dass diese Umstände unter Be-
weis stellten, dass Tunesien seine Zusicherungen eingehalten habe. Wenn Onsi Abichou in
den Genuss eines fairen Berufungsverfahrens kommen konnte, sei dies nicht dank der von
der früheren tunesischen Regierung gegebenen Zusicherungen geschehen, sondern dank
der positiven Veränderungen infolge der Revolution vom 14. Januar 2011 und des aktiven
Einsatzes der ACAT-France und von Radhia Nasraoui, der Anwältin des Angeklagten, in
dieser Sache. Dieser aktive Einsatz habe es insbesondere ermöglicht, die Gegenüberstel-
lung mit Zeugen zu erwirken, eine in der tunesischen Rechtspraxis erstmalige Maßnahme.
Der Vertragsstaat unterlasse es bewusst, die radikale politische Veränderung zu berücksich-
tigen, welche die Freilassung des Onsi Abichou ermöglicht habe, und klammere das in der
ersten Instanz, einen Monat vor der Revolution, gegen ihn geführte ungerechte Verfahren
aus. Die Beschwerdeführerin weist schließlich auf den Fehler des Oberlandesgerichts Saar-
brücken hin, das die Auffassung vertreten hatte, die Verurteilung des Onsi Abichou habe sich
auf andere bekräftigende Beweise gestützt und beruhe nicht allein auf der Grundlage der
Aussagen von Zeugen, die gefoltert wurden. Der Freispruch des Onsi Abichou durch den
tunesischen Berufungsrichter beweist der Beschwerdeführerin zufolge das Gegenteil.

8.8 Im Hinblick auf das Argument des Vertragsstaats, dass die behauptete Folterung der
mutmaßlichen Mittäter des Onsi Abichou nicht bewiesen sei,25 verweist die Beschwerdefüh-
rerin schließlich auf zwei Berichte über Gespräche, die ACAT-France mit den Gefangenen
Mohammed Zaied und Mohammed Jelouali am 21. März 2011 in der Haftanstalt von Mo-
maguia geführt habe und die bestätigten, dass die mutmaßlichen Mittäter des Onsi Abichou
während der Ermittlungen gefoltert worden seien.26 Sie führt auch die Beschwerde wegen
Folter an, die Mohammed Abbou, Anwalt des Mohammed Zaied, verfasst und am 19. April
2011 an den Staatsanwalt beim Tribunal de première instance Tunis gerichtet habe. Die Be-
schwerdeführerin schließt, indem sie wiederholt, dass diese durch zahlreiche Quellen
(Schriftstücke) untermauerten Zeugenaussagen das Phänomen der Folter in Tunesien be-
stätigen und ausreichen, um zu beweisen, dass bei der Auslieferung des Onsi Abichou eine
ernsthafte und schwerwiegende Gefahr der Folter für ihn bestanden habe. Die meisten die-

25
Siehe oben, Rdnr. 6.4
26
Der Zeugenaussage zufolge sind die beiden Gefangenen bei ihrer Festnahme am 15. Februar 2008 zusammenge-
schlagen und danach während der 10 Tage ihres Gewahrsams bei der Zollbrigade brutal gefoltert worden. Sie seien
schließlich dem Untersuchungsrichter vorgeführt und danach in die Haftanstalt von Mornaguia überführt worden. Für die
Zwecke der richterlich angeordneten Ergänzung der Ermittlungen seien die beiden Gefangenen mehrfach zur Betäu-
bungsmittelbrigade in Kabaria zurückgekehrt, wo sie erneut gefoltert worden seien. Die beiden seien schließlich vom
Tribunal de première instance Tunis unter dem Vorsitz des Richters Mehrez Hammami, der seit der Revolution seines
Amtes enthoben ist, zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden. Mohammed Jelouali, der von der vor dem Unter-
suchungsrichter erlittenen Folter gesprochen habe, habe von dem Letztgenannten zur Antwort erhalten, dass "er ver-
dient [hat], was ihm widerfahren war". Mohammed Zaied sei seinerseits von dem Arzt, den er bei seiner Ankunft in der
Haftanstalt von Mornaguia gesehen habe, eindeutig davon abgebracht worden, von der erlittenen Folter zu sprechen.
Mohammed Zaied und Mohammed Jelouali leiden infolge der erlittenen Folter unter schweren physischen und psychi-
schen Folgen.
ser Informationen hätten dem Vertragsstaat zur Verfügung gestanden, als er die Ausliefe-
rung durchführte. Die Tatsache, dass Onsi Abichou bei seiner Ankunft in Tunesien nicht ge-
foltert worden sei, - sicherlich größtenteils dank des insbesondere medialen Interesses an
seiner Situation - könne das Vorgehen des Vertragsstaats nicht im Nachhinein rechtfertigen.
Aus diesen Gründen fordert die Beschwerdeführerin den Ausschuss auf, festzustellen, dass
der Vertragsstaat unter Verletzung des Artikels 3 des Übereinkommens und der von ihm
angeordneten vorläufigen Maßnahmen gehandelt hat.

Beschlüsse des Ausschusses

Nichtbeachtung des an den Ausschuss nach Artikel 114 seiner Verfahrensordnung gerichte-
ten Ersuchens um vorläufige Maßnahmen

9.1 Der Ausschuss bedauert, dass sein Ersuchen um vorläufige Maßnahmen nicht beach-
tet werden konnte. Er erkennt die Bemühungen an, die der Vertragsstaat unternommen hat,
um das Ersuchen des Ausschusses um vorläufige Maßnahmen angesichts der Umstände
schnellstmöglich weiterzuleiten, und gelangt zu dem Schluss, dass ihm im vorliegenden Fall
nicht vorgeworfen werden kann, seinen Verpflichtungen aus Artikel 22 des Übereinkommens
nicht nachgekommen zu sein.

Prüfung der Zulässigkeit

10.1 Bevor eine in einer Mitteilung unterbreitete Beschwerde geprüft wird, muss der Aus-
schuss gegen Folter entscheiden, ob sie nach Artikel 22 des Übereinkommens zulässig ist
oder nicht. Der Ausschuss stellt diesbezüglich fest, dass Onsi Abichou den Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte mit einer unter der Nr. 33841/10 registrierten Beschwerde
befasst hat, und weist darauf hin, dass sich diese Beschwerde auf denselben Sachverhalt
bezog. Der Ausschuss weist jedoch darauf hin, dass die Beschwerde zurückgenommen und
am 7. April 2011 aus dem Register gestrichen worden ist, bevor sie von dieser Instanz hin-
sichtlich der Begründetheit geprüft worden war. Infolgedessen ist der Ausschuss der Auffas-
sung, dass die Bestimmungen des Artikels 22 Absatz 5 Buchstabe a des Übereinkommens
der Prüfung der Beschwerde nicht entgegenstehen.27

10.2 Da keine weiteren Hinderungsgründe für die Zulässigkeit der Mitteilung vorliegen, prüft
der Ausschuss sie nach Artikel 3 des Übereinkommens im Hinblick auf ihre Begründetheit.

27
Siehe die Mitteilung Nr. 215/2002, M. J. A. G. V. ./. Schweden, Entscheidung vom 11. November 2003,
Rdnr. 6.1.
Prüfung der Begründetheit

11.1 Gemäß Artikel 22 Absatz 4 des Übereinkommens hat der Ausschuss diese Mitteilung
unter Berücksichtigung aller Informationen geprüft, die ihm die Parteien übermittelt haben.

11.2 Der Ausschuss muss entscheiden, ob der Vertragsstaat, als er den Beschwerdeführer
an Tunesien auslieferte, die ihm in Artikel 3 Absatz 1 des Übereinkommens auferlegte Ver-
pflichtung verletzt hat, eine Person nicht in einen Staat auszuweisen oder abzuschieben,
wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie dort Gefahr liefe, gefoltert zu
werden. Der Ausschuss unterstreicht, dass er über die Frage unter Berücksichtigung der
Auskünfte entscheiden muss, in deren Besitz die Behörden des Vertragsstaats im Zeitpunkt
der Auslieferung sein mussten oder hätten sein müssen. Die späteren Ereignisse können nur
dahingehend genutzt werden, um die Kenntnis zu beurteilen, die der Vertragsstaat im Zeit-
punkt der Auslieferung hatte oder hätte haben müssen.28

11.3 Der Ausschuss ruft in Erinnerung, dass das Ziel dieser Beurteilung darin besteht zu
bestimmen, ob der Betroffene persönlich einer vorhersehbaren und konkreten Gefahr aus-
gesetzt war, bei seiner Rückkehr nach Tunesien gefoltert zu werden. Der Ausschuss ver-
weist auch auf seine Allgemeine Stellungnahme zur Anwendung des Artikels 3, der zufolge
"das Bestehen der Gefahr der Folter anhand von Kriterien zu beurteilen ist, die sich nicht auf
bloße Einschätzungen oder Verdachtsmomente beschränken. Es ist jedenfalls nicht erforder-
lich zu beweisen, dass die Gefahr äußerst wahrscheinlich ist",29 sondern dass sie für eine
bestimmte Person und aktuell besteht. Der Ausschuss war in dieser Hinsicht der Meinung,
die Gefahr, gefoltert zu werden, müsse vorhersehbar, konkret und personenbezogen sein.30
Der Ausschuss weist ferner darauf hin, dass er gemäß seiner Allgemeinen Stellungnahme
Nr. 1 den Tatsachenfeststellungen der Organe des betroffenen Vertragsstaats erhebliches
Gewicht beimisst,31 dass er jedoch nicht an solche Feststellungen gebunden und im Gegen-
teil nach Artikel 22 Absatz 4 des Übereinkommens berechtigt ist, den Sachverhalt frei zu
würdigen und sich dabei auf die gesamten Umstände eines Einzelfalls zu stützen.

11.4 Bei der Feststellung, ob die Auslieferung des Beschwerdeführers nach Tunesien eine
Verletzung der Verpflichtungen des Vertragsstaats aus Artikel 3 des Übereinkommens dar-
gestellt hat, muss der Ausschuss alle maßgeblichen Erwägungen berücksichtigen, ein-
schließlich des Umstands, dass in dem betreffenden Staat eine ständige Praxis grober, of-
28
Siehe die Mitteilung Nr. 428/2010, Kalinichenko ./. Marokko, Rdnr. 15.2; Nr.°233/2003, Agiza ./. Schweden, Entschei-
dung vom 20. Mai 2005, Rdnr. 13.2
29
Siehe A/53/44, Anhang IX, Rdnr. 6.
30
Siehe, unter anderen, die Mitteilungen Nrn. 258/2004, Mostafa Dadar ./. Kanada, Entscheidung vom 23. Novem-
ber 2005, und 226/2003, T. A. ./. Schweden, Entscheidung vom 6. Mai 2005.
31
Siehe, unter anderem, die Mitteilung Nr.°356/2008, N. S. ./. Schweiz, Entscheidung vom 6. Mai 2010, Rdnr. 7.3.
fenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrscht. Er weist jedoch
darauf hin, dass durch seine Prüfung festgestellt werden soll, ob für den Betroffenen persön-
lich eine konkrete und vorhersehbare Gefahr besteht, in dem Land, in das er zurückgeschickt
würde, gefoltert zu werden. Folglich ist der Umstand, dass in dem betreffenden Staat eine
ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte
herrscht, als solcher kein hinreichender Grund, um nachzuweisen, dass diese Person Gefahr
läuft, bei ihrer Rückkehr in dieses Land gefoltert zu werden; es müssen weitere Gründe vor-
liegen, die Anlass zur Annahme geben, dass sie persönlich in Gefahr ist. Umgekehrt bedeu-
tet der Umstand, dass in dem betreffenden Staat keine ständige Praxis offenkundiger Verlet-
zungen der Menschenrechte herrscht, nicht, dass bei einer Person nicht angenommen wer-
den kann, sie liefe Gefahr, in ihrer ganz speziellen Situation gefoltert zu werden. Bei der Be-
urteilung, ob eine vorhersehbare, konkrete und persönliche Gefahr besteht, entscheidet der
Ausschuss nicht vorab über die Richtigkeit oder Schwere der im Zeitpunkt der Auslieferung
des Onsi Abichou gegen ihn bestehenden Tatvorwürfe.

11.5 Der Ausschuss erinnert daran, dass das Verbot der Folter absolut ist und ohne Aus-
nahme gilt, und dass ein Vertragsstaat sich auf keinen außergewöhnlichen Umstand berufen
kann, um Folterhandlungen zu rechtfertigen.32 Der Ausschuss nimmt die vom Vertragsstaat
getroffenen Kontrollmaßnahmen zur Kenntnis und weist gleichzeitig darauf hin, dass diplo-
matische Zusicherungen nicht dazu genutzt werden dürften, um die Anwendung des in Arti-
kel 3 des Übereinkommens verankerten Grundsatzes des Non-refoulement zu umgehen.33
Der Ausschuss hat die Argumente der Beschwerdeführerin zur Kenntnis genommen, denen
zufolge in Anbetracht der Tatsache, dass in Tunesien häufig auf Folter zurückgegriffen wird,
und angesichts der Misshandlung der beiden in dieser Sache festgenommenen Beschuldig-
ten eine ernsthafte Gefahr bestand, dass Onsi Abichou ebenfalls Folter oder unmenschlicher
oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird, sollte er nach Tunesien ausgeliefert wer-
den. Er hat ferner das Argument des Vertragsstaats herangezogen, dem zufolge Onsi
Abichou nicht zu den Gruppen gehörte, die einer solchen Gefahr ausgesetzt sind, da ihm
keine terroristischen Handlungen zur Last gelegt worden seien. Der Vertragsstaat hat vor
dem Ausschuss ebenfalls geltend gemacht, dass das Auslieferungsersuchen mit diplomati-
schen Zusicherungen Tunesiens einherging, die besagten, dass Onsi Abichou in den Ge-
nuss eines neuen Urteils gelange, das die vom Pakt über bürgerliche und politische Rechte
vorgesehenen Rechte beachtet, und dass er im Falle einer neuen Verurteilung in einer Haft-
anstalt untergebracht würde, die den Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen für die
Behandlung der Gefangenen Rechnung trägt.

32
Siehe Ausschuss gegen Folter, Allgemeine Stellungnahme Nr. 2 (2007) über die Anwendung des Artikels 2 durch die
Vertragsstaaten, Amtliche Dokumente der Generalversammlung, dreiundsechzigste Tagung, Zusatz Nr.°44 (A/63/44),
Anhang VI, Rdnr. 5.
33
Siehe Rechtssache 444/2010, Abdussamatov et al. ./. Kasachstan, Entscheidung vom 1. Juni 2012, Rdnr. 13.10.
11.6 Trotz der diplomatischen Zusicherungen muss der Ausschuss die tatsächliche Situati-
on auf dem Gebiet der Menschenrechte in Tunesien im Zeitpunkt der Auslieferung des Ehe-
mannes der Beschwerdeführerin berücksichtigen. Der Ausschuss verweist auf die Abschlie-
ßenden Bemerkungen, die er in Bezug auf den Zweiten periodischen Bericht Tunesiens
(CAT/C/20/Add.7) im Jahr 1998 gemacht hat und in denen sich der Ausschuss "besonders
besorgt aufgrund der Berichte" gezeigt hat, "die verbreitete Folterpraktiken und andere grau-
same und erniedrigende Behandlungen feststellten, die von Sicherheits- und Polizeikräften
vorgenommen wurden und die in bestimmten Fällen zum Tod der in Polizeigewahrsam ge-
nommenen Personen geführt haben".34 In jüngerer Zeit, im Jahr 2008, war der Menschen-
rechtsausschuss nach der Prüfung des periodischen Berichts Tunesiens (CCPR/C/TUN/5)
"beunruhigt aufgrund der ernsthaften und übereinstimmenden Informationen, denen zufolge
Fälle von Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Ho-
heitsgebiet des Vertragsstaats vorkommen."35 Der Ausschuss war ferner "besorgt aufgrund
der Informationen, denen zufolge unter Folter zustande gekommene Geständnisse als Be-
weismittel in einem Verfahren nicht ausgeschlossen sind".36Diese Informationen werden
durch zahlreiche nicht aus Regierungskreisen stammende Quellen untermauert, die sowohl
von der Beschwerdeführerin als auch dem Vertragsstaat angeführt werden, wobei der Letzt-
genannte sogar die besorgniserregende Situation der Menschenrechte, die im Zeitpunkt der
Auslieferung des Onsi Abichou in Tunesien herrschte, eingeräumt und letztlich auch die Auf-
fassung vertreten hat, dass "eine rechtswidrige Behandlung von Verdächtigen in Tunesien
nicht ausgeschlossen werden kann".

11.7 Daher wussten die Behörden des Vertragsstaats im Zeitpunkt der Auslieferung des
Onsi Abichou oder hätten wissen müssen, dass Tunesien systematisch in großem Umfang
politische Strafgefangene, aber auch wegen gemeinrechtlicher Straftaten inhaftierte Perso-
nen, foltert. Der Ausschuss hat auch die Behauptung der Beschwerdeführerin zur Kenntnis
genommen, der zufolge zwei in derselben Sache Beschuldigte gefoltert wurden, damit sie
Geständnisse ablegen, und zwar nicht nur während des Gewahrsams, sondern auch wäh-
rend des Gerichtsverfahrens, nachdem der Untersuchungsrichter ergänzende Ermittlungen
angeordnet hatte. Der Ausschuss misst den von der Beschwerdeführerin hierzu beigebrach-
ten und belegten Informationen den ihnen gebührenden Stellenwert zu, insbesondere den
bei den beiden Angeklagten selbst eingeholten Zeugenaussagen und ihren Beschwerden

34
A/54/44, Rdnr. 96.
35
CCPR/C/TUN/CO/5, Rdnr. 11. In dem Absatz heißt es weiter: "Laut einiger dieser Informationen: a) weigern sich Rich-
ter oder Staatsanwälte, Beschwerden über Misshandlungen oder Folter zu den Akten zu nehmen; b) überschreiten
Ermittlungen im Anschluss an solche Beschwerden die angemessene Frist, und c) entgehen die für das Verhalten -
unter Missachtung des Artikels 7 des Paktes - ihrer Bediensteten verantwortlichen Vorgesetzten Ermittlungen oder
Verfolgungsmaßnahmen jeglicher Art."
36
Rdnr. 12.
wegen Folterhandlungen, die bei der tunesischen Justiz eingereicht und ohne Überprüfung
oder Ermittlung abgewiesen wurden. Die wahrscheinlich von diesen beiden Personen erlitte-
ne Folter hat das persönliche Risiko des Onsi Abichou nur noch verstärkt, der nach seiner
Auslieferung nach Tunesien in den Genuss einer neuen Verhandlung gelangen sollte, der
sich infolgedessen einem neuen Gerichtsverfahren, einschließlich neuer Ermittlungen, hätte
stellen müssen und der unter diesen Umständen der konkreten Gefahr ausgesetzt war, Fol-
ter oder Misshandlungen zu erleiden. Die diplomatischen Zusicherungen, die der Vertrags-
staat erhalten hat, reichten nicht aus, um es ihm zu erlauben, diese offensichtliche Gefahr
nicht zur Kenntnis zu nehmen, zumal keine der Garantien speziell den Schutz vor Folter oder
Misshandlung betraf. Der Umstand, dass Onsi Abichou nach seiner Auslieferung letzten En-
des solche Behandlungen nicht erlitten hat, kann das Vorliegen einer solchen Gefahr im
Zeitpunkt der Auslieferung nicht im Nachhinein in Frage stellen oder mindern. Der Aus-
schuss gelangt zu dem Schluss, dass die Beschwerdeführerin hinlänglich bewiesen hat,
dass Onsi Abichou im Zeitpunkt seiner Auslieferung nach Tunesien der vorhersehbaren,
konkreten und persönlichen Gefahr ausgesetzt war, gefoltert zu werden. Hieraus folgt, dass
seine Auslieferung durch den Vertragsstaat eine Verletzung des Artikels 3 des Übereinkom-
mens dargestellt hat.

12. Der Ausschuss gegen Folter, der gemäß Artikel 22 Absatz 7 des Übereinkommens
gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder
Strafe tätig wird, entscheidet, dass die Handlungen, über die er zu befinden hat, eine Verlet-
zung des Artikels 3 des Übereinkommens durch den Vertragsstaat darstellen.

13. Nach Artikel 118 Absatz 5 (früherer Artikel 112) seiner Verfahrensordnung bittet der
Ausschuss den Vertragsstaat nachdrücklich, Onsi Abichou Wiedergutmachung, auch durch
eine angemessene Entschädigung, anzubieten. Der Ausschuss bittet auch, ihm innerhalb
einer Frist von neunzig Tagen Informationen über die Maßnahmen zu übermitteln, die der
Vertragsstaat ergriffen hat, um dieser Entscheidung nachzukommen.

[Angenommen in Französisch (Originalfassung), Spanisch und Englisch. Die Entscheidung


wird später im Jahresbericht des Ausschusses an die Generalversammlung in Arabisch,
Russisch und Chinesisch erscheinen.]

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