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ORBIS / SUPPLEMENTA

MONOGRAPHIES PUBLIÉES PAR LE CENTRE INTERNATIONAL DE


DIALECTOLOGIE GÉNÉRALE (LOUVAIN)

MONOGRAPHS PUBLISHED BY THE INTERNATIONAL CENTER OF


GENERAL DIALECTOLOGY (LOUVAIN)

TOME 44

Language, Grammar, and Erudition:


From Antiquity to Modern Times
A collection of papers in honour of Alfons Wouters

Edited by

Pierre SWIGGERS

PEETERS
LEUVEN – PARIS – BRISTOL, CT
2018
TABLE DES MATIÈRES

Peter VAN DEUN – Pierre SWIGGERS, Preface . . . . . . . . . . . . . VII-VIII


Pierre SWIGGERS – Peter VAN DEUN, At the service of ancient
Greek language and literature: Alfons Wouters’s academic
career . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1-5
Pierre SWIGGERS, Grammatical papyri, and beyond: east of
Westerlo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7-13
Pierre SWIGGERS – Louise VISSER, Alfons Wouters: Liste des
publications . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15-34

Section I: Language, philosophy, and books: from ancient


Greece to Byzantium
Louis BASSET, L’enseignement de la déclinaison grecque dans
les papyri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37-47
Willy CLARYSSE, A Greek ostracon with alphabetic word-list . 49-52
Roberto GUSMANI – Tiziana QUADRIO, Δύνασθαι e δύναμις in
contesto linguistico . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53-67
Jean LALLOT, Πρόσωπον . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69-80
Anneli LUHTALA, Philo of Alexandria on grammar and the
liberal arts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81-92
Marie-Hélène MARGANNE, Érotien, l’érudition hellénistique et
la terminologie de la librairie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93-106
Stephanos MATTHAIOS, Aristoteles’ εἰκών-Definition als Aus-
gangspunkt für die Entstehung des grammatischen Terminus
πρόθεσις . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107-129
Vladimir MAZHUGA, Les voix verbales avant Apollonios: idées
péripatéticiennes et stoïciennes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131-144
Amphilochios PAPATHOMAS, Das Ringen um korrekte Sprache,
guten Stil und rechten Sinn. Grammatische und stilistische
Verbesserungen auf spätantiken griechischen Papyrus-
briefen (5.-8. Jh. n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145-166
Francesca SCHIRONI, Aristarchus, Greek Dialects, and Homer 167-185
Jean SCHNEIDER, Les allusions à la syntaxe orthographique
dans la Technè et dans les scholies de la Technè de Denys
le Thrace . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187-200
VIII TABLE DES MATIÈRES

Section II: Grammar, writing, language contacts: Latin


Antiquity and the Middle Ages

Frédérique BIVILLE, Tertium ex utroque (G.L. II.2.29). Le bilin-


guisme de Priscien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203-218
Guillaume BONNET, Réflexions sur praeverbium et l’analyse
des prépositions dans la grammaire latine . . . . . . . . . . . . 219-230
Paolo DE PAOLIS, Contributi per la caratterizzazione del De
Orthographia attribuito a Capro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231-246
Alessandro GARCEA, Cornificius, Varro and the quadripertita
ratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247-256
Ineke SLUITER – Dirk M. SCHENKEVELD, The grammarian and
the Olympic Athlete: intellectual old age in Terentianus
Maurus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257-271
Javier URÍA, Form and Content in an anonymous “De prono-
minibus” (Char. G.L. I. 160.1-161.1 = Barwick 203.25-
206.26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273-285

Section III: The classical heritage and its fruits: concepts


and techniques

Vicente BÉCARES BOTAS, Los cambios fonéticos del griego y la


gramática griega antigua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289-301
Pierangiolo BERRETTONI, Per un’archeologia del tempo verbale 303-317
Bernard COLOMBAT, La grammaire latine comme outil en France
à la Renaissance et à l’âge classique . . . . . . . . . . . . . . . . 319-335
Daniel DONNET, Un médecin dans l’histoire des grammaires
grecques: mise en perspective de Gonthier d’Andernach 337-356
Pierre SWIGGERS, Playing with the ‘Queen of Hearts’: The adverb
in the picture . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357-379
Daniel J. TAYLOR, Why the accusative is called ‘accusative’ . . 381-389

LIST OF ABBREVIATIONS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391-393


INDICES . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395-420
TABULA GRATULATORIA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421-422
ARISTOTELES’ ΕΙΚΩΝ-DEFINITION ALS AUSGANGSPUNKT
FÜR DIE ENTSTEHUNG DES GRAMMATISCHEN TERMINUS
ΠΡΟΘΕΣΙΣ

Stephanos MATTHAIOS
(Aristoteles-Universität Thessaloniki)

Die Ausformung einer fachspezifischen, den gesamten Komplex


der Beschreibung von Sprache betreffenden Terminologie stellt eines der
interessantesten Kapitel der antiken Sprachtheorie und ihrer historiogra-
phischen Erschließung dar. Trotz der vielfältigen, stets anwachsenden
Forschungstätigkeit, die sich in den letzten Jahrzehnten auf dem Gebiet
der antiken Linguistik abzeichnet, bleibt eine umfassende Untersuchung
der grammatischen Fachsprache nach wie vor ein offenes Desiderat. Der
vorliegende Beitrag befasst sich mit den Ursprüngen des grammati-
schen Terminus πρόθεσις, der in der griechischen Wortartensystematik
zur Bezeichnung von Präpositionen samt Präfixen verwendet wurde1. Ziel
unserer Betrachtungen ist es, den genauen Kontext, aus dem der Terminus
πρόθεσις stammt, zu ermitteln, zugleich auch den Prozess nachzuzeich-
nen, der zu seiner Grammatikalisierung geführt hat.
1996 hat Jean Lallot in einem aufschlussreichen Beitrag mit dem Titel
„Strates chronologiques dans le lexique technique des grammairiens grecs:
L’exemple des noms des parties du discours“ den Entstehungsprozess
der linguistischen Fachsprache am Beispiel des terminologischen Appa-
rates, der zur Bezeichnung von Wortarten diente, geschildert. Nach Lallots
Deutung (1996: 63) stellt der Terminus πρόθεσις einen im griechischen
Wortschatz bereits existierenden Ausdruck dar, der durch Bedeutungswan-
del bzw. Umdeutung (réinterpretation) seiner semantischen Komponen-
ten an die neue grammatische Wortverwendung angepasst worden ist. Mit

1
Dass die antike Kategorie der Präposition auch Präfixe umfasst, wird aus den Defi-
nitionen der Wortart πρόθεσις in den grammatischen Lehrbüchern ersichtlich: D. Thr. Ars
gramm. §18, G.G. I/1. 70.2: Πρόθεσίς ἐστι λέξις προτιθεμένη πάντων τῶν τοῦ λόγου
μερῶν ἔν τε συνθέσει καὶ συντάξει; Sch. D. Thr., G.G. I/3. 91.20 (=Ap. Dysc. Fragm.,
G.G. II/3. 133.1-10): πρόθεσίς ἐστι μέρος λόγου καθ᾿ ἕνα σχηματισμὸν λεγόμενον,
προθετικὸν ‹πάντων τῶν› τοῦ λόγου μερῶν ἐν παραθέσει ἢ συνθέσει, ὅτε μὴ κατὰ
ἀναστροφὴν ἐκφέρεται; P.Lond.Lit. 182 (Nr. 2 Wouters), ii 67-71. Zum Begriffsumfang
der Wortart πρόθεσις siehe Lallot (1998: 211-215); vgl. Wouters (1979: 80-81 und 161-
162).
108 S. MATTHAIOS

Rekurs auf Lallots Interpretation versucht der vorliegende Beitrag, Indizien


ausfindig zu machen, die den Umdeutungsprozess von πρόθεσις mar-
kiert und seinen grammatischen Gebrauch eingeleitet haben.

Der Ausdruck πρόθεσις im Übergang von der Rhetorik zur Grammatik

Das Wort πρόθεσις ist ein Verbalnomen bzw. ein nomen actionis von
προτιθέναι, zusammengesetzt aus dem Präfix προ- und dem aus τίθημι
mit dem Verbalsuffix -σι- gebildeten Ableitungsnomen θέσις. Nach Ety-
mologie und Wortbildung zu urteilen, bedeutet πρόθεσις im eigentlichen
Sinne ‘Setzen, Aufstellen, Stellen’ oder ‘Lage’, wobei das Präfix προ- das
begrifflich nötige Element zur Spezifizierung der besonderen θέσις her-
beiführt. Wie Lallot (1996: 63) anmerkte, ist der Ausdruck πρόθεσις in
der griechischen Sprache seit dem 4. Jh. v. Chr. belegt. Im LSJ s.v. sind
folgende Bedeutungen angeführt: a) placing in public, b) public notice,
c) purpose, goodwill, d) supposition, calculation, e) statement of a case,
theme, thesis, proposition und f) preposition, prefix. Den meisten von die-
sen Bedeutungen (a-e) ist gemeinsam, dass προ- im Sinne von ‘vorwärts,
nach vorne’ aufzufassen ist, selbst wenn in einigen Fällen das Komposi-
tum zu einem Begriff zusammengewachsen ist, was zu einer Verdunke-
lung der Grundbedeutung von προ- führte. Nur beim grammatischen
Gebrauch von πρόθεσις hat προ- die — sowohl zeitlich als auch lokal —
von rückwärts aus gerichtete Bedeutung ‘vor, voraus’ bzw. ‘voran’ inne2.
Genau in dieser Umdeutung des Präfixes προ- liegt der Unterschied der
grammatischen Verwendung des Ausdrucks πρόθεσις von seinen weite-
ren Gebrauchsweisen. Dabei muss aber auch das zweite Kompositions-
glied θέσις bzw. das der Nominalableitung zugrunde liegende Verb προ­
τιθέναι semantisch aktiviert worden sein und für die Prägung des Begriffs
‘Präposition’ stärker gewirkt haben. Denn προτιθέναι ist breiter und frü-
her als πρόθεσις in der (eigentlichen) Bedeutung ‘voransetzen, voranstel-
len, voranschicken, davorsetzen’ verwendet worden3. Durch die Neuinter-
pretation bezeichnet πρόθεσις den Vorgang des Voranstellens und darüber
hinaus auch das Gegenstandskonkretum, also das Wort, welches in münd-
licher oder schriftlicher Rede einem anderen vorangestellt wird. Diese

2
Zur Bedeutung der Präposition πρό und des Präfixes προ- siehe Schwyzer (1959-71:
II 505-508) mit Beispielen zu jeder Verwendung und Bedeutung.
3
Zu dieser Bedeutung von προτιθέναι/προτίθεσθαι siehe LSJ s.v. προτίθημι, I a 1
und IV a 1-2.
DIE ENTSTEHUNG DES TERMINUS ΠΡΟΘΕΣΙΣ 109

Funktion erfüllt die Präposition: Sie wird vor dem von ihr regierten Wort
ausgesprochen und steht vor ihm geschrieben4.
Der vorliegende Beitrag plädiert dafür, diese Entwicklung in Verbin-
dung mit Aristoteles’ Verwendung von πρόθεσις in der εἰκών-Definition
im dritten Buch seiner Rhetorik zu sehen. Selbst wenn πρόθεσις nicht
schon vor Aristoteles in der neuen Bedeutung verwendet oder von ihm
selbst so aufgefasst wurde, doch scheint sein Vorkommen an dieser Stelle
den Anstoß für seine Umdeutung gegeben und einen Wortgebrauch initi-
iert zu haben, der dem grammatischen Begriff ‘Präposition’ zugrunde
liegt.

Das aristotelische Zeugnis


Zu der εἰκών (‘[Kurz-]Vergleich’ bzw. ‘Gleichnis’)5 hat Aristoteles an
mehreren Stellen im dritten Buch der Rhetorik Stellung bezogen. Seine
Ausführungen über die εἰκόνες standen stets in Zusammenhang zu der
Metapher, da Gleichnisse nach Aristoteles’ Ansicht eine Sonderform von
Metaphern darstellten. In Rhet. III 10.1410b17-18 wird das Verhältnis
von εἰκών und Metapher folgendermaßen dargestellt6:
[1]
Rhet. III 10. 1410b15: ποιοῦσι μὲν οὖν καὶ αἱ τῶν ποιητῶν εἰκόνες τὸ
αὐτό· διόπερ ἂν εὖ, ἀστεῖον φαίνεται. ἔστι γὰρ ἡ εἰκών, καθάπερ
εἴρηται πρότερον, μεταφορὰ διαφέρουσα προθέσει· διὸ ἧττον ἡδύ,
ὅτι μακροτέρως· καὶ οὐ λέγει ὡς τοῦτο ἐκεῖνο· οὔκουν οὐδὲ ζητεῖ
τοῦτο ἡ ψυχή.
3 προθέσει A anon : προσθέσει β

Zunächst zum Kontext und Inhalt dieser Passage: Nachdem Aristote-


les in III 8 und 9 Rhythmus und Periodenbildung der Prosarede behan-
delt hat, kommt er in III 10 auf den sprachlichen Ausdruck zurück und

4
Siehe zutreffend Lallot (1996: 63): „la préposition s’énonce avant et se trouve écrite
devant le mot auquel elle se rattache“.
5
Aristoteles’ εἰκών-Begriff umfasst sowohl Kurzvergleiche als auch Dichter- bzw.
ausgeführte Gleichnisse; vgl. dazu McCall (1969: 30-37) und Schindler (2000: 29-30). Der
Ausdruck εἰκών wird in diesem Beitrag in Anschluss an Rapps Übersetzung der Rhetorik
(2002) mit ‘Gleichnis’ wiedergegeben.
6
Der Text der aristotelischen Rhetorik wird nach der Ausgabe von R. Kassel (1976)
zitiert; auch die hier im begleitenden textkritischen Apparat angeführten Informationen
beruhen auf Kassels Angaben. Auf die für die εἰκών relevanten Stellen aus Aristoteles’
Rhetorik, die hier näher betrachtet werden, wird im Verlauf dieses Beitrags mit der laufen-
den Nummer [1], [2] und [3], mit der sie in diesem Abschnitt angeführt sind, verwiesen.
110 S. MATTHAIOS

erläutert die Eigenschaften von Formulierungen, die ‘geistreich’ (τὰ ἀστεῖα)


sind und deswegen ‘gut ankommen’ (τὰ εὐδοκιμοῦντα). Als Grundvor-
aussetzung für diese Eigenschaften erweist sich der Lerneffekt, den eine
Formulierung evozieren soll. Im Gegensatz zu Dialektausdrücken und
üblichen bzw. geltenden Namen vermögen am ehesten die Metaphern,
den erwünschten Lerneffekt zu bewirken. Da aber auch die εἰκών eine
Art Metapher sei, könnte auch sie, wenn sie gelungen sei, den Effekt des
Geistreichen hervorrufen. Aristoteles äußert gewisse Einschränkungen
über den Gebrauch von Gleichnissen gegenüber dem von Metaphern:
Das Gleichnis sei weniger angenehm (ἧττον ἡδύ) als die Metapher, weil
es länger sei (ὅτι μακροτέρως) als diese, und besage nicht, dass dieses
jenes sei (οὐ λέγει ὡς τοῦτο ἐκεῖνο). Das Kriterium, welches das Gleich-
nis von der Metapher unterscheidet, wird von Aristoteles mit dem Aus-
druck πρόθεσις gefasst. Für diese Bestimmung beruft sich Aristoteles,
wie der Rückverweis καθάπερ εἴρηται πρότερον besagt, auf seine vor-
ausgegangenen Erläuterungen zu der εἰκών. Man verbindet [1] in der
Regel7 ausschließlich mit Rhet. III 4. 1406b20-24:
[2]
Rhet. III 4. 1406b20: ἔστι δὲ καὶ ἡ εἰκὼν μεταφορά· διαφέρει γὰρ
μικρόν· ὅταν μὲν γὰρ εἴπῃ, {τὸν Ἀχιλλέα} “ὡς δὲ λέων ἐπόρουσεν“,
εἰκών ἐστιν, ὅταν δὲ „λέων ἐπόρουσε“, μεταφορά· διὰ τὸ γὰρ ἄμφω
ἀνδρείους εἶναι, προσηγόρευσε μετενέγκας λέοντα τὸν Ἀχιλλέα.
χρήσιμον δὲ ἡ εἰκὼν καὶ ἐν λόγῳ, ὀλιγάκις δέ· ποιητικὸν γάρ. οἰστέαι
δὲ ὥσπερ αἱ μεταφοραί· μεταφοραὶ γάρ εἰσι διαφέρουσαι τῷ εἰρη­
μένῳ.
2 secl. Ross de exemplo ὡς δὲ λέων ἐπόρουσεν cf. Υ 164 ὦρτο λέων ὥς de
Achille, Λ 129 de Agamemnone; vide etiam exempla apud Kassel in apparatu critico
ad loc. collata

In III 2 hat Aristoteles die besondere Rolle der Metapher für die
ἀρετὴ τῆς λέξεως herausgestellt und ihren angemessenen Gebrauch
geschildert. Nach der Behandlung des ‘Frostigen’ (τὸ ψυχρόν) in III 3
kommt er in III 4 auf das Gleichnis (εἰκών) zu sprechen. Gleich zu
Beginn von III 4 merkt Aristoteles zum Verhältnis zwischen Gleichnis
und Metapher an: Auch die εἰκών sei eine μεταφορά; denn sie unter-
scheide sich nur geringfügig von dieser (διαφέρει γὰρ μικρόν). Den
Unterschied zwischen beiden Arten metaphorischer Ausdrucksweise

7
In ausschließlicher Verbindung mit dieser Stelle bringen den Rückverweis z.B.
Cope – Sandys (1877: III 108), Rhys Roberts (1924, ad loc. Anm. 7), Rapp (2002: II 892)
und Sieveke (1993: 190). Bereits Bonitz (1870: 638 s.v. πρόθεσις) berief sich zur Erläu-
terung des Wortgebrauchs von πρόθεσις in [1] auf [2].
DIE ENTSTEHUNG DES TERMINUS ΠΡΟΘΕΣΙΣ 111

macht Aristoteles anhand eines Beispiels, das offenbar nach einem home-
rischen Vergleich gebildet wurde8, deutlich: Die Formulierung ‘ὡς δὲ
λέων ἐπόρουσεν’ stelle ein Gleichnis, ‘λέων ἐπόρουσε’ hingegen eine
Metapher dar. Gleichnisse, fügt Aristoteles hinzu, seien eher für die Dich-
tung, weniger für die Prosarede geeignet. Die Gründe dafür sind in [1]
ausgeführt. Schließlich seien Gleichnisse wie Metaphern zu bilden, da sie
auch solche seien. Nach Anführung einer Reihe von Beispielen für εἰκό­
νες (III 4. 1406b26-1407a10)9 bezieht Aristoteles am Ende von III 4 noch
einmal zum Verhältnis von εἰκών und Metapher Stellung:
[3]
Rhet. III 4. 1407a10: πάσας γὰρ ταύτας καὶ ὡς εἰκόνας καὶ ὡς μετα­
φορὰς ἔξεστι λέγειν· ὥστε ὅσαι ἂν εὐδοκιμῶσιν ὡς μεταφοραὶ λεχθεῖ­
σαι, δῆλον ὅτι αὗται καὶ εἰκόνες ἔσονται, καὶ αἱ εἰκόνες μεταφοραὶ
λόγου δεόμεναι.
1 γὰρ ω (anon) : δὲ Γ 4 λόγου δεόμεναι ω (anon) : λόγῳ δὲ οὐ πρέπουσαι
vel λόγῳ δὲ σπάνιαι/-οι conj. e.g. McCall (1968: 164), λόγου δὲ οὐκ οἰκεῖαι
Lloyd-Jones apud McCall ibid.

Unter Berufung auf den zwischen [2] und [3] liegenden Beispielska-
talog für Gleichnisse unterstreicht Aristoteles erneut das enge Verhält-
nis zwischen Gleichnis und Metapher, was auch den Ausgangspunkt
seiner Erörterung bildete. Anfangs- und Schlussstelle von III 4 — also
[2] und [3] — sind bezeichnenderweise mit dem kausalen γὰρ mitein-
ander verbunden10. Zwischen Metapher und Gleichnis bestehe deswe-
gen eine Verwandtschaft, weil diese sich ineinander konvertieren las-
sen. Gelungene Metaphern könnten als Gleichnisse formuliert werden,
Gleichnisse wiederum als Metaphern, wenn man ersteren den λόγος
wegnehme.

8
Nach Cope – Sandys (1877: III 48 mit Anm.1) beruht dieses Beispiel auf Ilias Υ
164-165: Πηλείδης δ’ ἑτέρωθεν ἐναντίον ὧρτο, λέων ὣς/σίντης. Die Abweichungen
des aristotelischen Beispiels vom homerischen Wortlaut führen Cope – Sandys (ebd.)
darauf zurück, dass Aristoteles aus dem Gedächtnis zitierte. Als Vorbild für das angeführte
Beispiel kämen weitere Homerstellen, wie Λ 129-130, Δ 471-472, Ο 579 und Ε 161 in
Frage; vgl. Kassel (1976: 155) im Testimonienapparat z.St. Zum aristotelischen Beispiel
siehe McCall (1969: 33), Rapp (2002: II 850, Komm. zu b21) sowie Schindler (2000: 30
mit Anm. 12).
9
Zu den von Aristoteles angeführten Beispielen für Gleichnisse vgl. auch unten,
S. 113.
10
Die Lesart der handschriftlichen Überlieferung γὰρ ist deswegen dem aus den
lateinischen Übersetzungen der Rhetorik erschlossenen, von Ross (1959) gebilligten δὲ
vorzuziehen.
112 S. MATTHAIOS

Bedeutung und Deutungen von πρόθεσις bei Aristoteles


Nach dieser Kurzpräsentation der wesentlichen Äußerungen des Aris-
toteles zu der εἰκών kommen wir nun auf die Frage nach Bedeutung und
Begriffsumfang des Ausdrucks πρόθεσις in [1] zurück. Es sei hier von
vornherein betont, dass eine angemessene Deutung von πρόθεσις nicht
nur, wie bisher oft der Fall, die Konnotationen, die sich aus dessen Vor-
kommen in [1] ergeben, berücksichtigen, sondern Aristoteles’ Gesamt-
charakteristik des Gleichnisses Rechnung tragen muss. Wie für bisherige
Erklärungen zu dieser Aristoteles-Stelle zu zeigen sein wird, hat eine eng
oder breit gefasste Interpretation des aristotelischen Gleichnis-Begriffs
zu einer entsprechend engen oder breiten Deutung von πρόθεσις geführt.
Im Folgenden werden exemplarisch die wesentlichen von den bislang in
der Forschung vertretenen Erklärungen zum Ausdruck πρόθεσις auf ihre
Korrektheit hin überprüft:

1. Πρόθεσις als ‘Vergleichspartikel’

Besondere Verbreitung findet in der Literatur zur aristotelischen Rhe-


torik und speziell zur Metapher- und Gleichnistheorie die Ansicht, dass
mit πρόθεσις in [1] im Wesentlichen auf eine Vergleichspartikel, wie
etwa ὡς, verwiesen wird, die ein Gleichnis einführt bzw. begleitet11. Diese
enge Deutung des Ausdrucks πρόθεσις ist bereits im byzantinischen
Anonymos-Kommentar zur aristotelischen Rhetorik dokumentiert12. Sie
resultiert aus dem immer wieder angenommenen Bezug von [1] zu [2],
wo Aristoteles den Unterschied zwischen Gleichnis und Metapher mit
Hilfe der Beispiele ‘ὡς δὲ λέων ἐπόρουσεν’ und ‘λέων ἐπόρουσε’
anschaulich macht. Aus der Gegenüberstellung dieser Beispiele schließt
man, dass der Unterschied zwischen beiden Arten metaphorischer Aus-
drucksweise im Fehlen bzw. Zusatz einer Vergleichspartikel (± πρόθεσις)
liegt, wobei der Ausdruck πρόθεσις diese Partikel bezeichnet. Aus dieser
Interpretation ergibt sich folgende Formel:

11
Für diese Ansicht sei hier exemplarisch auf folgende Literatur verwiesen: Cope –
Sandys (1877: III 48), Cope (1867: 290), McCall (1969: 32-33), Schindler (2000: 29 und
30 Anm. 11), Rapp (2002: II 851 und II 922). Mit Blick auf das Vorkommen einer Ver-
gleichspartikel wird der Unterschied zwischen Gleichnis und Metapher z.B. von Jürgensen
(1968: 52-53), Snipes (1988: 206) und Corbett – Connors (1999: 396) gedeutet.
12
Über den Kommentar des Anonymos zu dieser Stelle wird unten, S. 118-120, aus-
führlich berichtet.
DIE ENTSTEHUNG DES TERMINUS ΠΡΟΘΕΣΙΣ 113

Metapher: –πρόθεσις
Gleichnis: +πρόθεσις
[πρόθεσις = Vergleichspartikel]

Akzeptiert man diese Deutung von πρόθεσις in [1], so könnte man daraus
schließen, dass hier bereits ein terminus technicus vorliegt, auf dessen
Grundlage die Umdeutung und die Entstehung des grammatischen Begriffs
‘Präposition’ vonstatten gegangen ist. Denn beiden Gebrauchsweisen, der
aristotelischen und der grammatischen, liegt dieselbe Bedeutung zugrunde:
Präpositionen sind genau wie Vergleichspartikel vorangestellte Wörter.
Es ist jedoch fraglich, ob diese Deutung Aristoteles’ Auffassung vom
Gleichnis entspricht. Dagegen spricht folgendes: Gleich im Anschluss an
die εἰκών-Definition in [2] illustriert Aristoteles das Gleichnis mit ins-
gesamt 10 Beispielen, die aus verschiedenen Autoren entnommen sind
(III 4. 1406b26-1407a10)13. Nicht alle Beispiele jedoch fügen sich nach
dem in [2] genannten Fall ‘ὡς δὲ λέων ἐπόρουσεν’ in das Muster:
‘Gleichnis = wie x’ (wo x der metaphorische Ausdruck ist) . Die seman-
tische Reduktion des Ausdrucks πρόθεσις auf Vergleichspartikeln ist
zudem deswegen problematisch, weil Gleichnisse in den in III 4 ange-
führten Beispielen unterschiedlich eingeleitet werden. Als Einleitungs-
wörter fungieren Ausdrücke wie ὅμοιος, εἰκάζω, ἔοικα, die zur traditio-
nellen Form eines Gleichnisses, bestehend in der Regel aus einem ‘Wie-’
und einem ‘So-Stück’, nicht passen14. Es ist ferner besonders auffallend,
dass Aristoteles in [2] den Unterschied zwischen Metapher und Gleichnis
eigentlich nicht ausdrücklich benennt, sondern nur aus den dort genannten
Beispielen erschließen lässt. Dennoch ist es voreilig, auf deren Grund-
lage den Unterschied zwischen Metapher und Gleichnis auf die formale
Seite bzw. auf die Vergleichspartikel einzuschränken. Denn dadurch
bleibt der inhaltliche Unterschied zu Unrecht unberücksichtigt. Dieser ist
laut [3] in einem λόγος, der im Falle einer Metapher fehlt, bei einem
Gleichnis dagegen vorhanden ist, expressis verbis gesehen worden, aber
auch in [1] — hier jedoch nur andeutungsweise — zum Ausdruck
gebracht15.

13
Die Beispiele erläutern, außer Cope – Sandys (1877: III 48-54) und Rapp (2002:
II 850-851), McCall (1969: 33-36) und Guidorizzi – Beta (2000: 146-147).
14
Siehe dazu McCall (1969: 33-36) und Rapp (2002: II 850).
15
Vgl. dazu unten, S. 116.
114 S. MATTHAIOS

2. Πρόθεσις als ‘Präsentation’ und/oder ‘Behauptung’

Nach der allgemein akzeptierten Ansicht, die auch fast in jeder Über-
setzung zu Aristoteles’ Rhetorik zum Ausdruck kommt, ist πρόθεσις in
[1] als ‘Art der Aufstellung’ bzw. ‘Form der Präsentation’ zu verstehen16.
Diese Interpretation geht von der Bedeutung ‘placing in public, laying out’
bzw. ‘Aufstellung, Darlegung’ aus, eine Bedeutung, die auch das zugrunde
liegende Verb προτιθέναι/προτίθεσθαι (‘davorlegen, hinstellen, öffent-
lich/zur Schau ausstellen’) innehat17. Bei Aristoteles ist sie sowohl für das
Verb προτιθέναι als auch für das nomen actionis πρόθεσις bezeugt18.
Dennoch ist die Forschung auch bei dieser Interpretation von πρόθε­
σις zu Konzessionen gezwungen, die die angenommene Bedeutung ‘Auf-
stellung, Darlegung, Präsentation’ relativieren. Denn wie ist zu erklären,
dass Rapp, obwohl er πρόθεσις als ‘die Art/die Formulierung, durch die
[…] das Gleichnis behauptet wird’ erläutert (2002: II 892), es in seiner
Übersetzung mit ‘Form der Behauptung’ (2002: I 144 ad loc.) wieder-
gibt? Noch deutlicher kommt diese Inkonsistenz bei Cope – Sandys (1877:
III 108) zum Ausdruck, wenn sie ‘the manner of setting forth’ inhaltlich
mit ‘the mode of statement’ gleichsetzen. Sowohl die von Rapp als auch
die von Cope – Sandys angenommenen Doppelinterpretationen zu πρόθε­
σις sind aber kaum miteinander deckungsgleich. Während von den jewei-
ligen Paaren die erste Deutung die formale Seite, also die Anlage eines
Gleichnisses, in den Vordergrund stellt, so bringt die zweite — ‘Behaup-
tung’/‘statement’ — den inhaltlichen Unterschied zur Metapher zum Aus-
druck, als ob man dabei nicht entscheiden kann, welches Element — die
Art der Formulierung oder die Behauptung — Aristoteles hier meint.
Diese Unstimmigkeit nimmt eine besondere Dimension ein je nach-
dem, ob man den Ausdruck πρόθεσις bei seiner Verwendung in [1] in
semantischer Beziehung zum Begriff propositio und, darüber hinaus, zu

16
Siehe Cope – Sandys (1877: III 108-109): ‘the manner’ bzw. ‘the mode of setting
forth’, Rhys Roberts (1924 ad loc.): ‘the way it is put’, Kennedy (1991: 244): ‘how it is
set out’, Dufour – Wartelle (1973: 64): ‘le mode de présentation’, Rapp (2002: II 892):
‘die Art/die Formulierung durch die […] das Gleichnis behauptet wird’ und Sieveke (1993:
190): ‘Art der Aufstellung’. Dieser Deutung folgend gibt Huys (2001-06, ad loc.) in der
Internet-Version seiner Rhetorik-Übersetzung den Ausdruck πρόθεσις mit „wijze van
voorstellen“ wieder; in der gedruckten Form dagegen (2004: 208) übersetzt er ihn mit
„voorvoegsel“. Diese letzte Übersetzung deutet darauf hin, dass Huys den Ausdruck πρό­
θεσις doch als ‘Vergleichspartikel’ versteht; zu dieser Deutung von πρόθεσις vgl. oben,
S. 112-113.
17
Zu πρόθεσις in dieser Bedeutung vgl. oben, S. 108; zu προτιθέναι siehe LSJ s.v.
II a 1-3.
18
Siehe Bonitz (1870: 638 s.v. πρόθεσις und 654 s.v. προτιθέναι).
DIE ENTSTEHUNG DES TERMINUS ΠΡΟΘΕΣΙΣ 115

der gleich lautenden Benennung einer pars orationis, also zu πρόθεσις


(Rhet. III 13)19, oder unabhängig davon sehen will. Cope – Sandys (1877:
III 156-158) und Rapp (2002) sehen beide Verwendungen als zueinander
äquivalent insofern, als sie die Bedeutung ‘statement’/‘Behauptung’ als
gemeinsames Element beider Anwendungsbereiche ansehen. Andere wie-
derum wollen zwischen beiden Wortverwendungen stärker differenzieren:
Den Terminus πρόθεσις in III 13 verstehen sie in der technischen Bedeu-
tung propositio; πρόθεσις in [1] dagegen geben sie mit ‘Präsentation[-sart]’
wieder20.
Die ambivalente Position der Forschung zeigt deutlich, dass man,
je stärker man die inhaltliche Seite des Gleichnisses in den Vordergrund
stellt, desto mehr zur Bedeutung ‘statement’/‘Behauptung’ neigt; rückt
man näher an die formale Ebene, dann tendiert man dazu, πρόθεσις die
Bedeutung ‘Aufstellung, Darlegung, Präsentation’ zuzuschreiben. Diese
Inkonsistenz ist darin begründet, dass man den Rückverweis: καθάπερ
εἴρηται πρότερον in [1] fast ausschließlich mit [2] in Verbindung bringt21.
Diese Ansicht führt dazu, im Ausdruck πρόθεσις nur das formale Element,
also die Anlage eines Gleichnisses zu sehen, und mit Rekurs auf die in
[2] genannten Beispiele reduziert man den Unterschied zwischen Gleich-
nis und Metapher auf das Vorkommen einer Vergleichspartikel, die bei
einer Metapher fehlt. Angesichts dieser engen Lesung von [1] und [2] ist
die Wendung: καὶ αἱ εἰκόνες [sc. ἔσονται] μεταφοραὶ λόγου δεόμε­
ναι in [3] so aufgefasst worden, als führte sie ein neues Merkmal ein.
Während also sich Gleichnis und Metapher nach [1] in ‘±πρόθεσις’ unter-
scheiden, liegt nun das Unterscheidungskriterium nach [3] in ‘±λόγος’,
woraus sich die Formel ergibt:
Metapher = – λόγος
Gleichnis = + λόγος

19
Zum Begriff propositio bei Aristoteles siehe Cope (1867: 332-334), Cope – Sandys
(1877: III 156-158) und Rapp (2002: II, 955-956 und 958-960). Über die propositio in
der antiken Rhetoriklehre siehe Volkmann (1885: 123-127 und 166-175); vgl. Fuhrmann
(1965: 166 mit Anm. 4) zum Gebrauch des Terminus πρόθεσις in der Alexander-Rhetorik.
20
Rhys Robert (1924 ad loc.) gibt πρόθεσις in III 13 mit ‘statement of the case’
wieder. Auch Dufour – Wartelle (1973: 77) differenzieren zwischen beiden Verwendun-
gen von πρόθεσις und übersetzen den Ausdruck als Bezeichnung für den bestimmten
Redeteil mit ‘proposition’; vgl. Dufour – Wartelle (1973: 120 [zu S. 77]). Ähnlich verfährt
auch Kennedy: Während er πρόθεσις in [1] mit ‘how it is set out’ übersetzt, gibt er es in
III 13 mit ‘statement’ (1991: 258), ‘statement of the proposition’ (1991: 259) oder schlicht
mit ‘proposition’ (1991: 259 Anm. 175) wieder. Vgl. auch die Angaben in Anm. 19.
21
Vgl. oben, S. 110 mit Anm. 7.
116 S. MATTHAIOS

So schreibt Rapp (2002: II 851) dazu: „Der Unterschied zwischen


Gleichnis und Metapher wird hier [d.i. in (3)] etwas anders gefasst als zu
Beginn des Kapitels [d.i. in (2)]. War es dort nur das Vergleichswort, das
beim Gleichnis hinzukommt, wird hier auf den fehlenden λόγος […]
verwiesen“. Auch Cope – Sandys (1877: III 109) sprechen von „two
distinguishable points in which the simile differs from the metaphor“22.
Führt aber [3] gegenüber [2] tatsächlich ein neues, ein unterschiedliches
Merkmal ein, worin sich die εἰκών von der Metapher unterscheidet?
Wie wir oben (S. 112) zu zeigen versucht haben, ist diese eigentlich enge
Deutung von [2], der zufolge das Gleichnis sich von der Metapher in der
Verwendung einer Vergleichspartikel unterscheidet, nur aus den dort
angeführten Beispielen erschlossen. Aus Aristoteles’ Schilderung geht
jedoch nicht hervor, ob nur dies das wesentliche Unterscheidungsmerk-
mal zwischen Metapher und Gleichnis bildet. Der ‘geringe Unterschied’,
der zwischen εἰκών und Metapher besteht, wird von Aristoteles hier
eigentlich nicht expliziert; stattdessen wird in Bezug auf die angeführten
Beispiele erläutert, worin die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Stilmit-
teln bestehen: λέων sei deswegen auf Achill übertragen, weil sowohl
Achill als auch der Löwe an der Tapferkeit teilhätten (διὰ τὸ … ἄμφω
ἀνδρείους εἶναι). Zieht man schließlich Aristoteles’ Äußerung in [3] in
Betracht, dann ist πρόθεσις anders zu gewichten. Aus Aristoteles’ Wort-
laut in [1] geht nämlich hervor, dass der Ausdruck πρόθεσις beide Merk-
male, sowohl das formale Element, d.h. die Länge des Gleichnisses gegen-
über der Metapher, als auch den inhaltlichen Unterschied mit einbezieht:
διαφέρουσα προθέσει => (1) ἧττον ἡδύ, ὅτι μακροτέρως und (2) οὐ
λέγει ὅτι ὡς τοῦτο ἐκεῖνο. Demnach scheint die Deutung von πρόθε­
σις mit dem weit gefassten Begriff ‘Präsentation’ Aristoteles’ Sinn doch
zu entsprechen. Wie ist aber die andere Interpretation, die πρόθεσις mit
‘Behauptung’ verbindet, zu werten? Zur Beantwortung dieser Frage ist
Aristoteles’ Äußerung in [3] näher zu betrachten.
Wie schon erwähnt, schließt Aristoteles seine Diskussion über die
εἰκών nach dem Beispielskatalog von Gleichnissen in III 4 mit der Beob-
achtung ab (s. [3]), Metapher und Gleichnis seien insofern austausch-
bar, als Metaphern in Gleichnisform, Gleichnisse wiederum in Form von
Metaphern ausgedrückt werden könnten, wenn man letzteren den λόγος
wegnehme. Der Ausdruck λόγος ist an dieser Stelle zwar verschieden

22
Siehe auch McCall (1969: 41): „It is possible that Aristotle wanted these two defi-
ciencies linked in a single process: because εἰκών is longer it is poetical and therefore
instructs less well. More probably the two should remain distinct“.
DIE ENTSTEHUNG DES TERMINUS ΠΡΟΘΕΣΙΣ 117

gedeutet worden23; nach der inzwischen allgemein akzeptierten Ansicht


ist er jedoch in der Bedeutung ‘Erklärung’ aufzufassen24. Mit λόγος wird
offenbar auf die Vergleichshinsicht, das tertium comparationis hingewie-
sen, auf dessen Basis die Übertragung eines Namens auf die Benennung
eines anderen Objekts gelingt25. Diese Konnotation von λόγος impliziert
Aristoteles’ Äußerung zu Beginn von III 4 (s. [2]), wo er die Verwendung
von λέων als Bezeichnung für Achill auf ihre Berechtigung hin prüfte:
λόγος ist hiernach das, was das Verhältnis des Achill zu einem Löwen
deutlich werden lässt. Während die Metapher etwas (um-)benennt und
dabei eine nominierende Funktion erfüllt, drückt das Gleichnis in Form
eines λόγος — also einer Aussage, einer Behauptung — erklärend die
Voraussetzung (z.B. ‘Achill ist ein Löwe’) aus, auf der die Übertragung
eines fremden Namens auf ein anderes Objekt erfolgt26.
So gesehen muss Aristoteles bei der Verwendung von πρόθεσις in [1]
mehr gemeint haben als bloß die Darlegung, die Präsentation und somit
nur die formale Seite eines Gleichnisses. Rapp ist deswegen zuzustim-
men, dass beim Ausdruck πρόθεσις in [1] die Konnotation ‘Behauptung’
schwerer wiegt als die von ‘Präsentation’27. Zwischen den Merkmalen
‘±πρόθεσις’ und ‘±λόγος’ dürfte also ein besonderer Bezug bestehen:
πρόθεσις ist weder nur mit der äußeren Form — etwa mit einer Vergleichs-
partikel — noch nur mit λόγος semantisch gleichzusetzen, sondern muss
beide Elemente mit einschließen. Die Deutung von πρόθεσις als ‘Form
der Behauptung’ hat den Vorteil, dass sie beiden Charakteristika gerecht
wird und beides als zueinander gleichwertig zur Geltung kommen lässt.
Der Ausdruck πρόθεσις deutet beim Gleichnis auf eine gegenüber der
Metapher anders angelegte bzw. anders zum Ausdruck gebrachte Aussage
über ein Objekt hin.

23
Einen Überblick über die vorgeschlagenen Erklärungen zu λόγος an dieser Stelle
gibt McCall (1968).
24
Laut Cope (1867: 290) ist die Wendung λόγου δεόμεναι wie folgt zu verstehen:
„with the explanation or details omitted“; Cope (ebd.) fügt hinzu: „a simile is a metaphor
‘writ large’, with the details filled in; this is λόγος“; vgl. Cope – Sandys (1877: III 54).
25
Siehe Rapp (2002: II 891-892 und 922).
26
Zu der nominierenden Funktion der Metapher, worin auch ihre kognitive Leistung
gesehen wird, siehe Rapp (2002: II 885-890 und 924-927); vgl. Laks (1994) mit weiterer
Literatur dazu.
27
Siehe Rapp (2002: II 892): „Entweder denkt [Aristoteles] hier bei der unterschied-
lichen ‘Form der Behauptung’ nicht nur an das Vergleichswort ‘wie’, sondern daran, dass
bei Gleichnissen bisweilen Gemeinsamkeiten explizit genannt oder entwickelt werden. […]
Oder Aristoteles meint hier die besondere Art von Suche, die nur durch die Behauptung
(oder Unterstellung), ‘dass dieses jenes ist’, veranlasst wird“.
118 S. MATTHAIOS

Πρόθεσις in der nacharistotelischen Rhetoriktradition


Selbst wenn die Bedeutung ‘Vergleichspartikel’ für Aristoteles nicht
anzunehmen ist, verfügen wir über eine Reihe von Indizien, die davon
zeugen, dass der Ausdruck πρόθεσις in der nacharistotelischen Rhetorik-
tradition, und zwar relativ früh, meist mit direktem Rekurs auf die εἰκών-
Definition in [1], aber auch in ähnlichen Kontexten, in der Bedeutung
‘Voranstellung einer Vergleichspartikel’ bzw. ‘Vergleichspartikel’ auf-
gefasst und verwendet wurde. Im Folgenden werden wir uns der Frage
zuwenden, wie es zu dieser Umdeutung von πρόθεσις gekommen ist.
Die Bedeutung ‘Vergleichspartikel’ legt der byzantinische Anonymos-
Kommentator28 seiner Auslegung der aristotelischen εἰκών-Definition
durchgehend zugrunde. Sein Kommentar zu [1] lautet (Anon. in Rhet.
III 10. 1410b17-18, CAG XXI/2. 202.30-203.1): ἡ εἰκὼν διαφέρει τῆς
μεταφορᾶς τῇ προθέσει· ἡ μὲν γὰρ εἰκὼν ἔχει τὸ ὥς ἢ τὸ καθώς,
ἡ δὲ μεταφορὰ οὔτε τὸ ὥς ἔχει οὔτε τὸ καθώς οὔτε ἄλλο τι τοιοῦτον·
ἡ δὲ εἰκών ὡς μακροαπόδοτος κακίζεται· ἔχει γὰρ τὸ ὥς, οἷόν
ἐστιν “ὡς δ᾽ ὅταν τις λέοντα ἰδών”. διὸ ἡ μεταφορὰ εἰ μακροτέρως
ἀποδοθῇ καὶ μακροαπόδοτος διὰ τὸ ὥς γένηται, οὐδαμῶς ἔχει τὸ
ἡδύ· εἰ γὰρ διὰ μακροῦ ἔχει τὴν ἀπόδοσιν, οὐκ εὔγνωστον ἡμῖν
παριστᾷ τὸ πρᾶγμα ἀλλ᾿ ἀσάφειαν ἐμποιεῖ. Der Wortlaut des Kom-
mentators gleich zu Beginn dieser Passage (202.30) ist als ein indirekter
Zeuge für die Lesart von A προθέσει, die ihm offensichtlich vorgelegen
hat, gegenüber dem in β überlieferten προσθέσει aufgefasst worden29.
Entspricht aber Anonymos’ Interpretation von [1], vor allem seine Deu-
tung des Ausdrucks πρόθεσις dem aristotelischen Wortgebrauch?
Nach Ansicht des Anonymos besteht der Unterschied zwischen εἰκών
und μεταφορά unter anderem in der äußeren Form und speziell in der Ver-
wendung eines Vergleichspartikels im Falle eines Gleichnisses, die im
Falle einer Metapher fehlt30. In ähnlicher Weise wird auch das inhaltliche

28
Der anonym überlieferte Kommentar zu Aristoteles’ Rhetorik stammt, wie auch der
unter dem Namen eines Stephanos überlieferte, aus dem 12. Jh. Beim Anonymos wird
spekuliert, ob es sich um Michael von Ephesos handelt. Über die byzantinischen Kom-
mentare der Rhetorik siehe Conley (1990: 30-40 und 1994: 237-240); vgl. Rapp (2002:
I 294-295).
29
Vgl. Kassels textkritischen Apparat z.St. — wiederabgedruckt unterhalb von [1],
S. 109. Zu den Gründen, die die varia lectio προσθέσει motivierten, siehe unten, S. 120-123.
30
Siehe Anon. in Rhet. III 4. 1406b20, CAG XXI/2. 178.3-5: διαφέρει καὶ κατὰ
τοῦτο, ἤτοι κατὰ τὴν ἐκφώνησιν καὶ φράσιν· ἐπὶ μὲν γὰρ τῆς εἰκόνος λέγεις τὸ ὥς
καὶ τὸ καθά καὶ ἠύ καὶ ἠύτε καὶ τὸ καθάπερ, ἐπὶ δὲ τῶν μεταφορῶν οὔτε τὸ ὥς
κεῖται οὔτε τὸ ἠύ οὔτε ἄλλο τι ὧν εἴπομεν. Dieselbe Ansicht wiederholt der Scholiast
etwas weiter unten; siehe Anon. in Rhet. III 4. 1406b25, CAG XXI/2. 178.12-15: ἐπεὶ
DIE ENTSTEHUNG DES TERMINUS ΠΡΟΘΕΣΙΣ 119

Kriterium, welches nach [3] die Austauschbarkeit von Metapher und


Gleichnis regelt, aufgefasst. Die Wendung καὶ αἱ εἰκόνες μεταφοραὶ
λόγου δεόμεναι wird wie folgt gedeutet: Eine Metapher könne als εἰκών
ausgedrückt werden, wenn man eine Vergleichspartikel wie ὥς und καθώς
hinzufüge; nehme man sie aber weg, dann ergebe sich daraus eine Meta-
pher31. Das Merkmal ‘±πρόθεσις’, das das Gleichnis von der Metapher
unterscheidet, wird mit Hinzufügung bzw. Weglassung einer Vergleichs-
partikel übersetzt: Gegenüber der Metapher entsteht die εἰκών durch Hin-
zufügung (προσθήκη) der Vergleichspartikel, durch deren Wegnahme
(ἀφαίρεσις) aber kommt eine Metapher zustande. Diese Interpretation
scheint auch die varia lectio προσθέσει anstelle von προθέσει in [1]
motiviert zu haben; darauf werden wir aber später eingehen.
Wie ist aber der Anonymos zu dieser engen Deutung von πρόθεσις
gekommen? Eine Antwort auf diese Frage liefert die oben zitierte Stelle
(Anon. in Rhet. III 10. 1410b17-18, CAG XXI/2. 202.30-203.1), an der
der Anonymos im Gegensatz zu Aristoteles’ Wortlaut nicht von προθέ­
σει spricht, sondern von τῇ προθέσει. Der Gebrauch des Artikels deutet
darauf hin, dass er unter πρόθεσις ausschließlich ein vorangestelltes Wort
bzw. eine Vergleichspartikel versteht, und darüber hinaus, dass πρόθε­
σις bei ihm den spezifischen terminus technicus zur Bezeichnung so
verwendeter Wörter liefert. In diesem Gebrauch von πρόθεσις liegt aber
genau die semantische Umdeutung und die Voraussetzung für die Prägung
des grammatischen Begriffs ‘Präposition’ vor; denn beide Verwendungen
setzen das semantische Element der ‘Voranstellung eines Wortes’ voraus.
Aus dieser Perspektive erscheint es durchaus denkbar, dass die besondere
Deutung von πρόθεσις durch den Anonymos vom grammatischen Wort-
gebrauch, der dem Kommentaror sicherlich bekannt war, veranlasst wurde.
Dennoch fällt es bei der Anonymos-Verwendung auf, dass mit πρόθεσις
Wörter bezeichnet werden, die nach grammatischer Auffassung nicht
zur Wortart der Präposition gehören. Nimmt man die unter dem Namen
des Dionysios Thrax überlieferte Τέχνη γραμματική als Beispiel, so
ist festzustellen, dass Vergleichspartikeln unter dem Begriffsumfang des

καὶ αἱ εἰκόνες μεταφοραί εἰσι, κατὰ τοῦτο δὲ καὶ μόνον διαφέρουσι τῶν μετα­
φορῶν, διότι ἐν μὲν ταῖς μεταφοραῖς οὔτε <τὸ> ὥς κεῖται οὔτε τὸ καθώς, ἐν δὲ ταῖς
εἰκόσι κεῖται τὸ ὥς καὶ τὸ καθώς.
31
Siehe Anon. in Rhet. III 4. 1407a10-14, CAG XXI/2. 179.21-25: πάντα γὰρ ταῦτα
ἔστι λέγειν καὶ ὡς εἰκόνας καὶ ὡς μεταφοράς· εἰ μὲν λέγομεν αὐτὰ μετὰ τοῦ ὥς
ἢ τοῦ καθώς, λέγονται εἰκόνες, εἰ δὲ χωρὶς τοῦ ὥς καὶ τοῦ καθώς λέγονται, εἰσὶ
μεταφοραί· ὥστε τῇ προσθήκῃ τοῦ ὥς καὶ πάλιν τῇ ἀφαιρέσει τοῦ ὥς τὸ αὐτὸ
ῥηθήσεται πῂ μὲν εἰκών, πῂ δὲ μεταφορά; vgl. auch ibid. 179.25-3.
120 S. MATTHAIOS

Adverbs subsumiert wurden und darin eine besondere Klasse von Adver-
bien, die so genannten παραβολῆς ἢ ὁμοιώσεως ἐπιρρήματα, bilde-
ten32. Die Tatsache, dass der Anonymos von πρόθεσις und nicht etwa von
ἐπίρρημα spricht, könnte bedeuten, dass bei seiner πρόθεσις-Verwendung
eine weitere terminologische Gebrauchsweise vorliegt, die sich parallel zu
der Anwendung dieses Ausdrucks im grammatischen Kontext abzeichnete.
Die Prägung eines speziellen Terminus πρόθεσις für die Bezeichnung
von Vergleichspartikeln muss nicht in der Zeit der Anonymos geschehen
sein, sondern früher, auf jeden Fall nicht wesentlich lange nach der Ent-
stehung von Aristoteles’ Rhetorik. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird,
ist dieser Gebrauch altertümlich genug, und, falls er nicht auf der Basis
des grammatischen Begriffs πρόθεσις entstanden ist, so hat er zumindest
den Anstoß für dessen Entstehung gegeben. Diese Annahme lässt sich
durch einige weitere Belege stützen, die in der nacharistotelischen Rheto-
riktradition vom Gebrauch des Ausdrucks πρόθεσις in dieser Bedeutung
zeugen.
Ein starkes Indiz dafür, dass Aristoteles’ Gebrauch von πρόθεσις in
[1] bereits früh enger gefasst wurde, liefert die in der Handschriftenfamilie
β bezeugte varia lectio προσθέσει, die gegenüber dem in A überlieferten
προθέσει eine lectio facilior darstellt und offenbar aus dem Bedürfnis
gewachsen ist, das originelle, jedoch nicht eindeutige προθέσει zu erläu-
tern33. Es empfiehlt sich aber nicht, die Lesart προσθέσει als wertlos und
unbedeutend zu diskreditieren34. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird,
war die Variante προσθέσει früh im Umlauf.
Wie ist es aber zu der Lesart προσθέσει gekommen? Welche Auf-
schlüsse sind aus dieser Variante über Bedeutung und Verwendung von
πρόθεσις in [1] zu gewinnen? προθέσει und προσθέσει sind zwei in
ihrer Aussprache und Orthographie eng miteinander verwandte Formen.
Auf den ersten Blick erscheint eine Verlesung bzw. Verschreibung kaum
verwunderlich. Der Grund, der die Änderung des προθέσει zu προσθέ­
σει verursachte, war jedoch nicht die Ähnlichkeit beider Formen zuein-
ander, sondern vielmehr der ambivalente Bezug des Partizips διαφέρουσα

32
Siehe D. Thr. Ars gramm. §19, G.G. I/1. 79.2: Τὰ δὲ παραβολῆς ἢ ὁμοιώσεως
(sc. ἐπιρρήματα), οἷον ὡς, ὥσπερ, ἠΰτε, καθάπερ; vgl. dazu Lallot (1998: 229-230).
33
Kassel (1971: 95-97) untersucht einige Varianten, die als Marginalerläuterungen
zum Wortlaut an den entsprechenden Rhetorik-Stellen nach β gelangt sind.
34
Das Verhältnis von A zu β schildert Kassel (1971: 97) wie folgt: „A [ist] stemma-
tisch in der Tat nichts als ein gleichberechtigter Partner von β, so daß der Editor bei der
Rekonstruktion des Archetypus im Falle von Divergenzen sich an keiner Stelle von einer
unvoreingenommenen Abwägung der Varianten dispensieren darf“.
DIE ENTSTEHUNG DES TERMINUS ΠΡΟΘΕΣΙΣ 121

in der Wendung: ἔστι γὰρ ἡ εἰκών, …, μεταφορὰ διαφέρουσα προθέ­


σει ([1]). Denn διαφέρουσα lässt sich, morphologisch gesehen, nicht nur
mit εἰκών — wie der aristotelische Text an dieser Stelle erfordert —,
sondern auch mit μεταφορά syntaktisch verbinden. Je nachdem was
man als Subjekt des Partizips διαφέρουσα jeweils annimmt — εἰκών
oder μεταφορά —, ergeben sich zwei unterschiedliche Bedeutungen von
πρόθεσις: Fassen wir den Unterschied zwischen εἰκών und μεταφορά
nach der Formel ‘±πρόθεσις’, so ergibt sich daraus, wie oben ausgeführt
wurde, dass das Gleichnis gegenüber der Metapher das Merkmal ‘+πρόθε­
σις’ aufweist, die Metapher hingegen eine ‘–πρόθεσις’ darstellt. Die
εἰκών, so sagt Aristoteles, unterscheidet sich von der Metapher durch das
Vorhandensein von πρόθεσις. Bezieht man aber das Partizip διαφέρουσα
auf μεταφορά, so steht die Metapher im Vordergrund, die nun mittels der
εἰκών definiert wird. Hieraus ergibt sich folgender Sinn: Eine Metapher
wird zu einem Gleichnis, wenn man das Merkmal ‘–πρόθεσις’ zu ‘+πρόθε­
σις’ macht. Das ‘+πρόθεσις’ ist demnach semantisch als ‘Zuwachs’ zu
deuten und konkret mit einem zusätzlichen Wort gleichzusetzen. Diese
Deutung ist aber auf den Wortlaut der aristotelischen Stelle übertragen
worden. Berücksichtigt man diesen Wechsel im syntaktischen Bezug von
διαφέρουσα auf μεταφορά, so scheint nicht mehr προθέσει, sondern
προσθέσει den Unterschied von Metapher zum Gleichnis präziser zu
fassen. προσθέσει kann zunächst am Rande als eine Sinnerläuterung zum
aristotelischen προθέσει gestanden haben, später von dort in den Text
aufgenommen worden sein und dieses ersetzt haben. Notwendige Voraus-
setzung für diese Textänderung aber ist die Einengung des Bedeutungsum-
fangs von πρόθεσις auf die Bedeutung ‘Voranstellen’ bzw. ‘vorange-
stelltes Wort’, was offensichtlich bei der Auslegung von [1] auch der Fall
gewesen ist.
Es lässt sich kaum mit Genauigkeit ermitteln, wann diese Textände-
rung entstanden ist. Sinngemäß liegt sie, wie schon gezeigt, der Interpre-
tation des Anonymos zum Unterschied zwischen Metapher und Gleichnis
zugrunde35. Wie bereits betont, ist sie nicht erst durch den Anonymos ver-
anlasst worden: Die enge Deutung des Ausdrucks προθέσει in [1] und
die daraus resultierende Lesung προσθέσει sind bereits in Demetrios’
Schrift De elocutione, und zwar im Abschnitt über die Metapher (§§78-90)
impliziert. Anders als Aristoteles unterscheidet Demetrios zwei Formen
von Vergleichungen, den Kurzvergleich (εἰκασία) und das ausgeführte

35
Siehe oben, S. 118-119.
122 S. MATTHAIOS

Gleichnis (παραβολή)36. Analog zu Aristoteles’ Ansichten jedoch werden


beide als Sonderformen der Metapher aufgefasst. Zu ihrer Unterscheidung
von der Metapher operiert Demetrios bezeichnenderweise mit den Ausdrü-
cken προστιθέναι und προτιθέναι. Die εἰκασία ist, wie auch die εἰκών
bei Aristoteles, mittels der Metapher definiert: Die εἰκασία sei eine erwei-
terte bzw. verlängerte Metapher (De eloc. §80): εἰκασία δ’ ἔστι μετα­
φορὰ πλεονάζουσα. Die Erweiterung bzw. Verlängerung besteht nach
dem angeführten Beispiel aus Demosthenes (18.136) darin, dass im Falle
einer εἰκασία der metaphorischen Ausdrucksweise eine Vergleichspartikel
wie ὥσπερ hinzugefügt wird: Die Metapher, die in der Wendung ‘τότε τῷ
Πύθωνι τῷ ῥήτορι ῥέοντι καθ’ ὑμῶν’ vorliegt, werde zu einem Vergleich,
wenn man sagte ‘ὥσπερ ῥέοντι καθ’ ὑμῶν’. Die Parallelität zu Aristoteles’
Beispielen in [2] ist unverkennbar. Auch die Definition, die Demetrios für
die εἰκασία anführt (εἰκασία δ’ ἔστι μεταφορὰ πλεονάζουσα), ist
eigentlich eine Übertragung der aristotelischen εἰκών-Bestimmung in [1]:
ἔστι γὰρ ἡ εἰκών, …, μεταφορά διαφέρουσα προθέσει. Das Zusatzele-
ment, das die εἰκών zu einer πλεονάζουσα μεταφορά macht, ist nichts
anderes als die Vergleichspartikel ὥσπερ. Während Aristoteles einen mit-
tels der Vergleichspartikel gefassten Unterschied zwischen Metapher und
Gleichnis nur andeutet, wird dies bei Demetrios explizit zum Ausdruck
gebracht. Die Umwandlung einer Metapher zu einem Vergleich bezeichnet
er mit dem Ausdruck προσθείς. Allem Anschein nach lag Demetrios nicht
die aristotelische Lesart διαφέρουσα προθέσει, sondern διαφέρουσα
προσθέσει zugrunde37. Signifikant ist auch die Tatsache, dass Demetrios
bei der Lesung des aristotelischen Textes vom Bezug des Partizips δια­
φέρουσα auf μεταφορά, nicht auf εἰκών ausgegangen zu sein scheint. In
De eloc. §89 hingegen beschreibt Demetrios den Unterschied, der zwischen
Kurzvergleich und ausgeführtem Gleichnis besteht: Stelle man einer εἰκα­
σία mehr als eine Vergleichspartikel voran, so entstehe eine παραβολή.
Diesen Vorgang gibt Demetrios mit dem Ausdruck προτιθέναι wieder.
Seiner Deutung liegt hier offenbar eine syntaktische Verbindung des Parti-
zips διαφέρουσα mit εἰκών zugrunde: Während man zur Metapher eine
Vergleichspartikel hinzusetzt, um sie in einen Vergleich oder ein Gleichnis
umzuwandeln, ist diese Partikel beim Vergleich oder Gleichnis stets voran-
gestellt.

36
Zur Metapher- und Gleichnis-Theorie des Demetrios und speziell zu ihrem Verhält-
nis zu Aristoteles siehe Schenkeveld (1964: 88-101), McCall (1969: 137-155) und Chiron
(2001: 205-217). Zu De eloc. §§78-90 vgl. Grube (1961: 80-83), Guidorizzi – Beta (2000:
171-177) und Marini (2007: 202-207).
37
Vgl. dazu McCall (1969: 39 Anm. 43 und 143 Anm. 51) und Grube (1961: 81).
DIE ENTSTEHUNG DES TERMINUS ΠΡΟΘΕΣΙΣ 123

Demetrios’ Auslegung von [1] sowie die eigene Verwendung von προσ­
τιθέναι und προτιθέναι bauen eindeutig auf einem engen Verständnis
des Ausdrucks πρόθεσις auf, das die semantische Reduktion des Begriffs
auf die Voranstellung von Wörtern bzw. auf vorangestellte Wörter vor-
aussetzt. Die Lesart προσθέσει erweist sich als ein Bindefehler, der
Demetrios’ mit dem aristotelischen Text verbindet. Somit liefert Deme-
trios einen terminus ad quem, auf jeden Fall einen terminus post quem
für die Entstehung der Lesart προσθέσει sowie für die Umdeutung des
aristotelischen Ausdrucks πρόθεσις, auf der letztlich diese varia lectio
beruht. Wegen der Datierungsprobleme von Demetrios’ Traktat kann
jedoch der terminus post quem vom 3. Jh. v. Chr. bis — wenn man der
extremen Position einer Spätdatierung folgt — zum 1. Jh. n. Chr. variie-
ren38. Folgt man aber der inzwischen allgemein vertretenen Position, dass
dieser Traktat im 2., spätestens zu Beginn des 1. Jh. v. Chr. entstanden
ist und einen viel älteren Lehrbestand enthält, den der Autor oft unver-
ändert wiedergibt, so kann man annehmen, dass in hellenistischer Zeit,
nicht erheblich lange nach der Entstehung der aristotelischen Rhetorik
die Lesart προσθέσει kursierte, ferner dass die Einengung der Bedeutung
von πρόθεσις auf den Begriff ‘Voranstellen’ bzw. auf ‘vorangestellte
Partikel’, wie letzlich auch die Verwendung von προτιθέντες in De
eloc. §89 bezeugt, bereits vollzogen war.
Besteht aber noch die Möglichkeit, das Zeugnis des Demetrios als
terminus ante quem für diese semantische Entwicklung anzusehen? Diese
Frage lässt sich konkret wie folgt formulieren: Ab wann ist die Verwen-
dung des Ausdrucks πρόθεσις oder auch des zugrunde liegenden Verbs
προτιθέναι in der Bedeutung ‘Voranstellen’ in ähnlichen Kontexten aktiv,
und ab wann ist der Begriffsumfang dieser Ausdrücke zur Bezeichnung
vorangestellter Wörter bzw. Vergleichspartikel belegt?
Einen Hinweis für die Beantwortung dieser Frage bietet wieder einmal
Demetrios. Zu Beginn des §80 warnt er vor dem Gebrauch einer kühnen
Metapher, die dadurch zu lindern sei, dass man sie in eine εἰκασία
umwandelt. Man hat bereits erkannt, dass Demetrios sich an dieser Stelle,
wie auch sonst häufig im gesamten Abschnitt über die Metapher, auf
Aristoteles und peripatetisches Gedankengut beruft39. Ps.-Longin schreibt

38
Einen Überblick über die verschiedenen Positionen zur Datierung dieser Schrift
bietet de Jonge (2009: 2 mit Angabe der betreffenden Literatur dazu). Marini (2007: 4-16)
plädiert für eine Datierung in das 1. Jh. n. Chr.; siehe jedoch die berechtigten Einwände
von de Jonge (2009: 2-4) gegen Marini’s Ansichten.
39
Es besteht kein Zweifel daran, dass Demetrios Aristoteles’ (Stil-)Theorien, speziell
dessen Metapherntheorie verarbeitet hat. Zu diesem Thema siehe Grube (1961: 32-39),
124 S. MATTHAIOS

diese Ansicht — wenn auch allgemeiner gefasst als bei Demetrios40 —


explizit Aristoteles und Theophrast zu (Subl. 32.3): διόπερ ὁ μὲν Ἀρι­
στοτέλης (fr. 131 Rose3) καὶ ὁ Θεόφραστος (fr. 690 FHSG) μειλίγ­
ματά φασί τινα τῶν θρασειῶν εἶναι μεταφορῶν, τὸ „ὡσπερεί“
φάναι καὶ „οἱονεί“ καὶ „εἰ χρὴ τοῦτον εἰπεῖν τὸν τρόπον“ καὶ „εἰ
δεῖ παρακινδυνευτικώτερον λέξαι“. ἡ γὰρ ὑποτίμησις, φασίν, ἰᾶται
τὰ τολμηρά. Dieses Testimonium verbindet man mit Aristoteles’ Gebot
zur Selbstzensur in Rhet. III 7. 1408b1-4 zwecks Vermeidung von Hyper-
beln41. Expliziter als bei Aristoteles ist aber diese Lehre für Theophrast
dokumentiert. Das Ps.-Longin-Testimonium ist Theophrasts Schrift Περὶ
λέξεως zugewiesen worden, in der dieser seine Metapherntheorie auch
mit Anweisungen zum angemessenen Metapherngebrauch versehen haben
soll. Außer Ps.-Longin haben Philodem und Cicero Theophrasts Positio-
nen referiert. Philodems Zeugnis lautet (Rh. IV 1.173.13-23 Sudhaus
[= Theophr. fr. 689A FHSG]): κατὰ λόγον τοί|νυ[ν οἱ] πλείονες αὐτῶν |
τὰς μ[ε]ταφορὰς διαβάλλου|σιν [ἢ] μεγαλύνουσιν ἐπι|[φ]ω[νο]ῦντες
ὅτι „σκληρὰν | δεῖ [μηδὲ] τὴν αἰ[σχ]υνομέ|νην εἶναι“ κατὰ τὸν
Θεό|φραστο[ν], „ἣ πραεῖα καὶ ἄλυ|πος, οἷαν εἶναι προσήκει | [δ]ή
[τιν᾿] ἀλλοτρίαν, ὥσπερ | οἰκ[ί]αν εἰσιοῦσαν“. Cicero wiederum
überliefert dazu (ad fam. 16.17.1 [=Theophr. fr. 689B FHSG]): nam et
doctrina et domus et ars et ager etiam fidelis dici potest, ut sit, quo modo
Theophrasto placet, verecunda tralatio.
Beide Testimonien weisen eindeutige inhaltliche Berührungen auf42;
sie scheinen auch die theophrastische Diktion bewahrt zu haben, wie die
Ausdrücke αἰσχυνομένη μεταφορά bzw. verecunda tralatio ersehen
lassen. An einer weiteren Stelle wiederholt Cicero Theophrasts Ansichten
— hier in stärkerer inhaltlicher Verbindung zu Ps.-Longin —, diesmal
jedoch ohne dessen Namen zu erwähnen. Ciceros Zeugnis lautet (de
Orat. 3.165 [cf. test. ad Theophr. fr. 690 FHSG]): atque etiam, si vere-
are, ne paulo durior translatio esse videatur, mollienda est praeposito
saepe verbo; ut si olim M. Catone mortuo ‘pupillum’ sentatum quis
relictum diceret, paulo durius; sin ‘ut ita dicam pupillum’, aliquanto

Schenkeveld (1964), Innes (1988: 315-322 und 1995: 312-321) und Marini (2007: 20-38).
Speziell zu De eloc. §80 siehe Schenkeveld (1964: 92-94) und McCall (1969: 142-144).
40
Siehe dazu McCall (1969: 53-55 und 156-157).
41
Siehe dazu Cope – Sandys (1877: III 77-78), Schenkeveld (1964: 93) und Forten-
baugh (2005: 289-290).
42
Siehe den Kommentar von Fortenbaugh (2005: 286-293) zu diesen Theophrast-
Fragmenten; vgl. Schenkeveld (1964: 93-94), Innes (1988: 320-321) und Guidorizzi –
Beta (2000: 163-164).
DIE ENTSTEHUNG DES TERMINUS ΠΡΟΘΕΣΙΣ 125

mitius. etenim verecunda debet esse translatio, ut deducta esse in ali-


enum locum, non inrupisse, atque ut precario, non si venisse videatur43.
An dieser Stelle gibt Cicero, wie auch Ps.-Longin, die konkrete Anwei-
sung, wie eine Metapher gelindert werden soll. Dass Cicero sich auch hier
auf Theophrast beruft44, wird aus dem Vergleich dieser Stelle mit Ps.-
Longins und Philodems Zeugnissen deutlich. Abgesehen von den inhaltlichen
Entsprechungen, die diese Zeugnisse zueinander aufweisen, sind mehrere
sprachliche Übereinstimmungen signifikant. Dennoch unterscheidet sich
Ciceros’ Zeugnis aus de Orat. 3.165 von den restlichen Belegstellen in
einem für unsere Argumentation besonders interessanten Punkt: Cicero
bezeichnet den zur Linderung einer Metapher befolgten Vorgang der Vor-
anstellung einer Partikel mit dem Ausdruck praeposito … verbo, ein Aus-
druck, der an das griechische προτιθέναι erinnert. Eine deutliche Parallele
zu Ciceros Ausdrucksweise finden wir bei Demetrios (De eloc. §89), der,
wie schon gezeigt, die Voranstellung von Vergleichspartikeln bei einem
Gleichnis bzw. einem Kurzvergleich mit προτιθέναι beschreibt.
Ciceros’ Zeugnis zufolge ist es durchaus möglich, dass Theophrast
selbst das Verb προτιθέναι in diesem Sinne verwendet hat. Von der Prä-
gung des nomen actionis πρόθεσις zur Bezeichnung der Voranstellung
und darüber hinaus des vorangestellten Wortes ist man demnach nicht
weit entfernt. Ob Theophrast die Nominalbildung πρόθεσις in dieser spe-
ziellen Bedeutung bereits bekannt war, lässt sich nicht mehr ermitteln.
Ps.-Longins Referat enthält kein Indiz hierfür. Auch der den Gleichnissen
gewidmete Abschnitt in der Schrift Über das Erhabene ist bis auf seinen
Beginn (Subl. 37) durch Ausfall von zwei folia in der handschriftlichen
Überlieferung verloren gegangen. Würden wir noch über den vollstän-
digen Text verfügen, dann wüssten wir, worin Ps.-Longin den Unter-
schied zwischen Metapher und Gleichnis genau gesehen hat, ferner welche
Rolle dabei die Voranstellung einer Vergleichspartikel gespielt hat und ob
schließlich der Ausdruck πρόθεσις bei ihm und vor allem in seinen Quel-
len einen festen Terminus zur Bezeichnung vorangestellter Wörter bzw.
Vergleichspartikeln darstellte.

43
Zu dieser Cicero-Stelle siehe den Kommentar von Fortenbaugh (2005: 290-291) und
Wisse – Winterbottom – Fantham (2008: 220-221).
44
In der Einleitung zum Abschnitt über den ornatus beruft sich Cicero (de Orat. 3.148)
auf auctores et inventores dieser Lehre. Damit meint er offenbar seine griechischen Vor-
bilder, die er an anderen Stellen auch namentlich erwähnt; dies sind unter anderem Isokra-
tes, Aristoteles und Theophrast. Vgl. dazu Wisse – Winterbottom – Fantham (2008: 187,
Komm. z.St.). Zu Ciceros Auseinandersetzung mit Aristoteles und Theophrast siehe
Fortenbaugh (1989 und 2006).
126 S. MATTHAIOS

Schlussbetrachtung
Auf der Suche nach den Ursprüngen des grammatischen Terminus
πρόθεσις als Bezeichnung der Wortart ‘Präposition’ stoßen wir auf Aris-
toteles’ Äußerung über die εἰκών und deren Gegenüberstellung zur Meta-
pher im dritten Buch der Rhetorik. Wie wir zu zeigen versuchten, hat der
dort vorkommende Gebrauch von πρόθεσις die Umdeutung des Wortes
ausgelöst und auf deren Basis eine neue Verwendung initiiert. Gegenüber
dem früheren Gebrauch des Wortes πρόθεσις enthält das Präfix προ- in
dieser neuen Verwendung die Bedeutung ‘voran’, so dass das Komposi-
tum, hier auch mit Rücksicht auf die sonstige Anwendung des zugrunde
liegenden Verbs προτιθέναι, in Kontexten, die Sprache und Wortstel-
lung betreffen, zur Bezeichnung des Vorganges der Voranstellung von
Wörtern und, darüber hinaus, der vorangestellten Wörter selbst dient.
Selbst wenn Aristoteles den Ausdruck πρόθεσις nicht in dieser Bedeu-
tung aufgefasst und verwendet hat, ist man doch bei der Auslegung seiner
εἰκών-Charakteristik in der folgenden Zeit durchgehend von dieser neuen
Bedeutung ausgegangen. Trotz vielen Lücken, die die Geschichte dieser
Wortverwendung im rhetorischen Kontext aufweist, können wir sie bis zu
einem relativ frühen Zeitpunkt zurückverfolgen, zu dem die Umdeutung
von πρόθεσις stattgefunden hat. Es ist sogar nicht auszuschließen, dass
eventuell schon Theophrast mit diesem neuen Gebrauch von πρόθεσις
und προτιθέναι vertraut war.
Sobald dieser neue Gebrauch von πρόθεσις aufgekommen ist und
semantisch fixiert wurde, oder auch parallel zu dieser Verwendung in der
Rhetoriktradition, dürfte der grammatische πρόθεσις-Begriff entstan-
den sein. Es ist möglich, dass die Grammatiker den durch die Rhetoriker
vorgeprägten Terminus zur Bezeichnung der neu ermittelten Wortkate-
gorie der Präposition übernommen haben. Er passte vortrefflich als
Bezeichnung von Wörtern, die vor den von ihnen regierenden Ausdrü-
cken ausgesprochen bzw. geschrieben werden. Es ist durchaus denkbar,
dass Aristophanes von Byzanz den modernen Terminus πρόθεσις in die
grammatische Tradition eingeführt und im Rahmen seiner Reflexion über
das ἴδιον von Präpositionen zur Bezeichnung der gesamten Wortklasse
verwendet hat45.

45
Aristophanes’ Reflexion über die Präpositionen ist bei Ap. Dysc. Synt. IV 11,
G.G. II/2. 443.8-10 (=Aristoph. Byz. fr. 382 Slater) überliefert. Siehe dazu Callanan
(1987: 28-30); vgl. Matthaios (1999: 588, 608 und 613 sowie 2002: 167 und 183). Über
die Möglichkeit, dass Aristophanes den Terminus doch einführte, siehe Matthaios (2010:
362-363).
DIE ENTSTEHUNG DES TERMINUS ΠΡΟΘΕΣΙΣ 127

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