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Dilthey - 03 Studien Zur Geschichte Des Deutschen Geistes Leibniz, Friedrich Der Grosse Und Die Deutsche Aufklärung
Dilthey - 03 Studien Zur Geschichte Des Deutschen Geistes Leibniz, Friedrich Der Grosse Und Die Deutsche Aufklärung
Studien zur Geschichte des deutschen Geistes : Leibniz und sein Zeitalter, Friedrich der Grosse und die deutsche Aufklärung, das achtzehnte Jahrhundert und
die geschichtliche Welt. 1927.
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Dilthey, Wilhelm
Gesammelte Schriften
Studien zur Geschichte des ~M~C~CM Geistes, Leibniz und
~ï Zeitaiter
Tome 3
Symboleapplicable
pourtout, ou partie
des documentsm<crof!!més
Original illisible
NF Z 43-120-10
Symboleapplicable
pour tout, ou partie
des documentsm!crof!!més
Aufsâtzen für die Deutsche Rundschau die Geschichte des t8. Jahr-
hunderts sein ganzes Interesse in Anspruch nahm. Denn an diesem
Thema.kam ihm uberwâttigend die Bedeutung zum BewuBtsein,die
für das Leben des Geistes die wissenschaftlichen Verbande und An-
stalten und dann der Staat besitzen als Ideen tragende, bestimmende,
crzeugende Mâchte. Diese Einsicht diktierte schon die Rundschau-
artikel, sic leitete die weitere Arbeit, und sie soUte in den "Studien"
dem Leser eingepragt werden. Was Dilthey damals von der Geschicht-
schreibung des t 8. Jahrhundertssagte. daB sie den ,,Zusammen-
hang der Kultur" in sich aufzunchmen begonnen habe, und da8 das
nichts mit dem "falschen Ideal einer Kulturgeschichte" zu tun habe,
,,welchesdie Verbindung zerreiût, in der mit Zustânden groBe Men-
schen und mit regelmâl3igen Fortschritten der Zivilisation die Macht-
kampfe der Nationen verknüpft sind" dieser Satz war ihm aus dem
eigenen Schaffen heraus gesprochen. Damals griff er immer wiederzu
seinem neu erworbenen Exemplar der samtlichen Werke Rankes, be-
kanntc er sich in der Rede, mit der er an seinem siebzigsten Geburts-
tage die Gtuckwunsche der Freunde und Schüler erwiderte, dankbar
zu dem Meister, der ihm einst "die Erscheinung des historischen Ver-
môgens selber" gewesen sei. Und sb war es auch kaum ein Zufall, daB
er sich damals zum Hilfsarbeiter einen Historiker aus der Schule von
Max Lenz ausersah. Von 1898 bis zu seinem Tode hat mein inniges
Verhattms zu Wilhelm Dilthey bestanden. Insoweit es für diese Stu-
dien zur Geschichte des deutschen Geistes eine Bedeutung gehabt hat,
kann ich es mit Diltheys eigenen Worten aus der Vorrede des Werkcs
bezeichnen: .,Die Aufgabe, die ich mir gestellt habe, wàre nach dem
Ma6 der verfiigbaren Zeit und Kraft nicht !ôsbar gewesen ohne die
Mitarbeit meines lieben Freundes Paul Ritter, welche dem Werke von
seinen ersten Anfangen an zugute kam. Wenn ich es ihm heute wid-
men darf, so ist mir das eine besondere Freude: unsere langjahrigc
geistige Gemeinschaft und die Mitzugehorigkeit des Werkes zu ihm
kommen darin zum Ausdruck." Reides. Widmung und Vorrede,
von Diltheys eigener Hand. wâhrend er sonst zu diktieren pflegte,
habe ich erst bei der Ordnung seines Nachlasses gefunden.
Diese persônHcheErinnerung môge mir nun auch als Rechtferti-
gung dafür dienen, dat~ und wie ich das Werk jetzt herausgebe.Dilthey
batte mir fur den Fait. daB cr es selber n!cht mehr abschliel3enwùrdc,
wiederholt die Vollendung aufgetragen und dabci ein rücksichtsloses,
von aller falschen Pietat absehendes Schalten und Walten mit seiner
Vt!! M~w~ ~i'/MM~'A'~
eigencn Arbeit zur Pfticht gemacht. Aber als ich dann mit dem Testa-
mentsvollstrecker, meinem nun auch verewigten Freunde Heinrich
Yorck, und mit Georg Misch, Hermann Nohl und Bernhard Groethuy-
sen vor der Fülle der Manuskripte stand, wurde es uns siog~ich klar,
daB ein solcher Versuch, den gigantischen Plan der "Studien" dm-ch-
zuführen auch wenn sich ein Mut dazu gefunden hâtte–, mit der
Absicht einer Gesamtausgabe der Diltheyschen Schriften nicht zu ver-
einigen war. Alles, wasDiItheyschon selber auûerhatb deaRaimista der
,,Studien" veroffentHcht hattc, muBte jetzt diese seine ursprungliche
oder nachtragliche Selbstandigkeit bewàhren. Damit wurden wesent-
liche Stücke der ,Studien" von vornherein dem zweiten und demvierten
Bande der ,Gesarnmelten Schriften" ûberwiesen, und die ,Jugend-
geschichte Hegels" zog auch sogleich alle Manuskripte zur Ce-
schichte des objektiven Idealismusnach sich. Nof h weniger durfte na-
türlich an dieAufsatze gerührt werden, die als ,,ErtebnisundMchtung"
schon ihren eigenen Weg gegangen waren. und auch damit verloren
wieder vieJe altere und jüngere Manuskripte ihren Zusammenhang.
Was ich mit dem immer noch überreichen Reste beginnen habe
kh in den Jahren, die seitdemverstrichensind, oft erwogen undversucht.
Ich habe mich schlieBUchfur ein schr radikalesVerfahren entschiedftt,
Mn aber sicher, daB ich, wie dicDingc liegen, nur dieses vor dem An-
denken Diltheys verantworten kann. Ich habe vorab alle Manuskripte
beiseite gelassen, die schon vor tçoo entstanden und noch nicht fur die
..Studien" mit ihren besonderen Gesichtspunkten umgearbeitet waren.
Dann auch von den jüngeren Niederschriften alle, denen die prwahn-
ten Konzessionenan die anderen Bande der Gesamtausgabe den Boden
cntMgcn hatten. oder die, wie die DarsteUung der Dichtung des Mit-
telaltcrs. von dem Hauptteil des Werkes durch allzu weite, noch nicht
ausgefu!!te Raume getrennt waren. Endlich alle Beitrâge ~us meiner
Feder, die Dilthey noch nicht geprüft und gebilligt hatte. Ich habe
es also vorgezngcn.statt einer umfangreichen Sammlung vnn Fragtnen-
ten einen schmalen' Bandherauszugeben, der sich auf das Zeitalter der
Aufktarung beschrankt, dieses aber in einer Rcihc von zusammenhan-
genden Untersuchungen. in einer voUkommenenForm und mit dem
Geprâge eines hestimmten Abschnittc~ in Dittheys Entwickhmg zur
Darstellung bringt. Den Grundstockbilden die sechs Rundschauartikel.
Indessen sind nur die beiden tctzten: "Das achtzehnte Jahrhundert und
die geschichtliche Wett" und der ihnen jetzt angehangte Aufsatz über
die .Anfânge der historischen Weltanschauung Niebuhrs" (Deutsche
~MM~M~ IX
PAUL RITTER
INHALT
LEIBNIZ UND SEIN ZEITALTER
Dttthty. Gt~tmatttM
iiUthttot
ttt t
WISSENSCHAFT DES SÏEBZEHNTEN
(~lë EU~PÂlSCHE ÏHRE ORGANE
~AHRHUNDERTS UND
Eine gro6e geistige Bewegungerfüllt das siebzehnteJahrhundert.
ïn ihr erhob sich der menschliche Geist zu einer aUgemeingultigen
Wissenschaft, welche im Zusammenwirken der Kulturnationen stètig
und unauflialtsamvorwârts schreitet, diese Erde der Machtdes Men-
schen durch das Denken unterwirft und die Lebensfuhrungdes Em-
zdnen wie der Gesellschaftder Leitung der Erkenntnis unterzuordnen
strebt.
1.
Auf zwei Stufen hatte vorher der menschlicheGeist sichdem Ziele
seiner Miindigkeitdurch eine allgemeingûltige Wissenschaftgenâhert.
Auf jeder von diesen beiden Stufen wirktenNationen zusammen,welche
in einem râum!ichen Zusammenhang standen und trotz aller Unter-
schiede und Cegensatze durch die Gleichartigkeit ihrer Kultur ver-
bunden waren.
DieVôlker des Ostens im alten Asien und Agypten gelangtenzuerst
zu der idee einer einheitlichen geistigen Ursachc der Welt. Aber ihre
Weltanschauungverblieb im Zusammenhang mit dem religiôsen Le-
ben. Selbst die bewundernswürdigenSpekulationen der Inder habcn
diese Stufe doch nicht überschritten. AUe Moglichkeiten,das hôchste
Wesen aufzufassen,welche in den Schranken der Religiositâtgelegen
sind, wurdenhier durchlaufen. !n der babylonischen Spekulationent-
stand die retigiose Form der Evolutionslehreoder die Theogonie:aus
den Ordnungen dunkler Mâchte erhebt sich der hochste Gott, der die
Welt schafft, den Menschenbildet und ihm sein Gesetz gibt. Die wirk-
samste unter aUen Vorstellungen der Gottheit war die einer von der
Welt geschiedenengôttlichen Person: der Gott, der liebt, vorziehtund
auswahit, der straft, sich erbarmt und seine Feinde vemichtet. Diese
Vorstellungbildete sich in der israelitischen Reltgiositat und hat sich
spâter in der mohammedanischennoch einseitiger entwickelt. Sie ont'
hatt das lebendigste BewuBtseinder gôttlichen Person und ihrer Wech.
seiwirkung mit den Vôlkem und den einzelnen Individuen, und so
kommtsie mehr ats irgend ein anderer Gottesbegriff der Bedûrftigkeit
der menschlichen Natur entgegen. Die aktive, mânntiche persische
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RetigiositSt !ebte in dem Gegensatzder beiden Reiche, des guten und
des bosen, und setzte dem Menschendas erhabene Ziei~in der Gefolg-
schaft des reinen und guten Gottes mitzuwirken zur Verwirklichung
der Herrschaft des Guten und dadurch sich ewige
SeHgkeit zu gewin-
nen. Auch dieser kraftvolle Glaube ist durch verschiedene Zwischen-
glieder bis in die neueren Zeiten ubertragen worden, er wirkte noch in
der Frommigkeit der SchwedenGustav Adolfs und der Reiter Crom-
wells. In Indien entstand die tiefsinnigste unter diesen Formen des
ôstlichen Glaubens, der religiose Pantheismus, und er entwickelte sich
hier bis in seine letzten weltverneinenden
Folgerungen. Versenktin das
wechsellos Eine, abgewandt von der WirkHchkeit der Welt und von
aH ibrer Schônheit, aïs dem Mannigfaltigen und Vetânderlichen, das
uns in schmerdichen Ha6 und in vergângliche Liebe verstrickt, setzt
diese Gemütsverfassung die Welt und das Leben herab zu wesentosem
Scheine. Wie sie die tiefsten Zuge der religiôsen Kontemplation, den
Schmerz über die Vergsnglichkeit und uber die Trennung des Jch
von jedem Dasein au8er ihm, in sich trug, lebtesiefortindemBuddhis-
mus und in der pantheistischen Mystikaller Zeiten, auch in der christ-
lichen.
Das gemeinsame Werk dieser religiôsen Stufe in den ôstlichen
Vo!kem war die Disziptinierung der menschlichen Triebe durch die
Macht des Gottesglaubens. In den Schranken religiôser Gebundenheit
entstand hier zugleich ein hoheres BewuBtsein des Weltzusammen-
hanges und auf ihm gegründet ein Ideal der Lebensführung, das die
Menschen und die Nationen erfüllte. Und in den priesterMchenGe-
nossenschaftendes Ostens bildete sich nun auch zuerst ein Zusammen-
wirken von Personen zu der gemeinsamen Arbeit wissenschaftlicher
Forschung. Eine Aristokratie von feiner organisierten Menschenwurde
hier in langen Zeitrâumen gezuchtet,welche das groBe Geheimnis des
menschlichenDaseins in der Seele trugen und unter ihm litten. Mathe-
matik und Astronomie wurden hier gepflegt. und in den Aufzeich-
nungen über die Schicksale der Kônige und Volker entstanden die
Anfânge der Geschichtschreibung.
An den Küsten des Mittelmeeresentfaltete sich die zweiteStufe der
europâischenKultur. Ihre vomehmstenTrager waren die Griechen und
die Italiker. Und wie die Kultur dieser beiden Nationen von der orien'
talischen bedingt war und zuletzt die religiôsen Vorstellungen selber,
auf denen diese beruhte, in sich aufnahm, so sind dann auch die o!ker
des Ostens durch die Einwirktmg der griechisch-romischen Bildung
teilweisezu einer hôheren Stufe emporgehoben worden.
!n Griechenland vollzog sich ein unermeBHchcr Fortschritt den
Zielen des mudernen t;eistcs entgegen. Freie Y'crfa&sungen. fine groGe
der albn J~~r
Die MM<M.~<HMM!g<M 5
Kunst von aHgemeinem,allen Zeiten verstandiichem Gehalt in einer
ewig gültigen Formensprache, eine unabhangige, mit logischer Ge-
nauigkeit beweisende Wissenschaft, und auf diesen Grundlagen, los.
gctost von Kultus und Priesterschaften, eine Philosophie, welcheinncr'
halb der Schranken der damaligen Wissenschaft nun wiederalle Mog'
lichkeitcnmenschlicherWeltanschauung durchmaB das vomehmUch
waren die groBen Werte, welche dieses Volk für die Menschheitge-
schaffen hat.
Die Griechen zuerst losten die Wissenschaft los von den Bedürf.
nissen der Ffômtnigkeit und des praktischen Lebens. Ihre Naturef.
kenntnis gelangte bis xu dem Punkt, an welchem wenn man von
wenigen Fortschritten der Araber absieht die Renaissancesic wie*
der aufnahm. Früh erfaBten sie die Erhaltung der Masse im physi'
schen Universum, die Gleichartigkeit aller Teile desselben, seinen ur'
sâchlichen Zusammenhang und seine mathematische GesetxmâBigkeit.
Wie sie eine einzigeBegabung für die Auffassung der Fonnen der Er-
scheinungenbesaBen,drangen sie mit dem Hilfsmittel ihrer Geometrie
bis zu der Entdeckung des heliozentrischenWettsystems vor. Mit dem-
selben genialen Formensinnschufen sie die Anatomie des animauschen
Korpers und das vergleichende Studium der Pflanzen und der Tiere.
Sie erfaBten die Struktur der Sprache und die innere Form des Epos
und des Dramas. Vomehmtichaber zergliederten sie mustetgûttig den
Staat und entwarfen die Typen der Verfassungen und das Gesetzihrer
Abwand!ung. Mochte nun aber ihre Begabung oder ihre Geschichte
ihnen diese Grenze ziehen: ihre Analysis der Natur stand still vor den
Formender Bewegung,und ihre Anschauung der geschichtlicbenWelt
drang nicht zu dem Begriff des Fortschrittes in der Wechselwirkung
der Nationen vor. Denn ihrer Naturerkenntnis fehlte die methodische
\'erwcrtung des Expérimentes und ihrer historischen Auffassung die
Analysisder Krafte, welchedie Formen des politischen Lebenshervor.
bringen. So erfa6te dieser griechische Geist auch in der Epoche, in
welcher er zu setbststândigen Erfahrungswissenschaften fortschritt,
nicht einen wirklichen Zusammenhang derselben, denn er erreichte
weder ihre Grundlage in der Dynamik noch ihren Zielpunkt in dem
Begriff der Solidaritât und des Fortschrittes der Menschheit. Er lebte
in der Grundvorstellungdes Kreislaufes aller Dinge vonden in ewi-
ger Monotonie wiederkehrenden Perioden des Universums bis zu
Wachatum, Blüte und Verfai! in Pflanzen und Tieren, Menschenund
o!kem.Und wie man in diesem bestândigen Wechsel dem Staat und
sciner Vcrfassung Daucr verschaffen konne, dies Problem suchen die
tiefsten Konzeptioncnder griechischen Staatslehrer aufzutôsen.
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J~
Auf der Grundlage der Wissenschaft erwuchsen in dieser griechi.
schen Kultur Weltanschauungen von philosophischem Charakter. In
den religiôsen Systemen des Ostens batte das affektive Verhâltnis des
Menschenm seiner Gottheit geherrscht. Diese neuen
philosophischen
Systeme sind bestimmt von dem natürlichen Verhâltnis des Menschen
zur Wirklichkeit, wie es in der Erkenntnis erfaSt wird. Aber der
grie-
chische Genius stand unter der Macht des anschauenden, âsthetischen
Verhaltens. Erkennen war ihm ein Abbilden und die Welt ein Kunst.
werk. Er erblickte überall Form und Verhaltnis, Typus und Stmktur.
Das gab auch dem philosophischenDenken dieses Volkesseine
schôpfe.
rische Kraft und setzte ihm doch zugleiçh bestimmte Schranken.
Eine andere Welt von Begriffen erhob sich, als das rômische Volk
sich die griechische Bildung aneignete. In ihm herrschte der
juristisch
und tnilitârisch geschulte Wille. Es lebte in dem
BewuGtsein, ,,in
seinen Waffen trage es sein Recht, und den tapferen Mânnem
gehôre
die Welt". Die originale wissenschaftlicheLeistung Roms war sonach
seine Jurisprudenz. Aus diesem willentlichen Verhalten des romischen
Geistesergaben sich die Lebensbegriffe,unter denen er das Universum
auffaÛte. Diese Kategorien sind Willensmacht,
Herrschaftsverhâltnis,
ein oberstes Gesetz, an welches auch die gotttiche Herrschermacht
ge.
bunden ist, und das sie dem Gewissendes Menschen
cingepf!anzt hat.
Die Gottheit übt ihr hochstes Imperium über freie und verantwortliche
Personen, die Natur ist herabgedrückt zu dem Inbegriff der Sachen,
die den Personen unterworfen sind, und von dem
verfassungsmaBigen
gôttlichen Herrscher abwârts erstrecken sich die Abgrenzungen der
WiUenssphârenin Rechten und Pflichten durch den Staat zur Familie
und bis zur Einzelperson. Eine unermcNiche
Wirkung ist von dieser
originalen Lebensansicht ausgegangen.
Und wieder eine andere Form empfing die antike
Weltanschauung,
als die benachbarten ôstlichen Vôlkerin den
Zusammenhang der helle-
nistischen Kultur und in den Verband des romischen Weltreiches ein-
traten. Nun entstand der Vcrsuch,die religiosen
Konzeptionen,in denen
diese ostlichen Vôlker lehten, in die Region einer wissenschaftlichen
Philosophiezu erheben. So emuchs ein seltsames ZwittergebHde: reli-
giôse Metaphysik,ausgerüstet und verteidigt mit den Waffen der grie-
chischen Wissenschaft. Chimâren, welche die Menschheit bis heute
gequâlt und genarrt haben: Schatten von Jcnseitigkeiten, Begriffe,
denen keine Erfahrungen entsprechcn. Die beiden
wichtigsten und um.
fassendsten unter ihnen so!!ten das re!:giose Problem
loscn, die unend-
liche Vottkommenheitder Gottheit zusammenzudenkenmit der Endlich.
keit, dem Cbel und der Schuld der Welt. Da wurde die Kindervor-
stellung der Schôpfung in eine pseudo-philosophischeFormel gebracht.
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Die Welt entsteht aus der gôttlichen Person durch einen Willensakt,
der m seiner unbedingten Jenseitigkeit dem Kausalzusammenhangent-
nommen ist; daher die Herrenmacht Gottes nichts von ihrem Wesen
hineinzutunbraucht in das, was ihre Willkür setzt. Alte sinnlicheBilder
von Geburten und Geschlechterfolgen der Gottheiten wandelten sich
dann in den anderen halb-phiiosophischen Begriff der Emanation. Die
unendliche, reine und unfa6Uche Fülle der Gottheit entlaBt aus sich
abwârtsimmer neue Stufen der Endlichkeit, wie Lichtstrahlen,die sich
in der Dammerang verlieren. Und mit diesen beiden Truggebilden
kam ein ganzes Gefolge von Fiktionen, die sich nahrten an den Ein-
bildungen des Herzens, das denken mochte. Sie treiben noch heute~
in dem Zwielicht dieser religiôsen Metaphysik ihr gespenstigesWesen.
2.
Eine neue Generation von Vôlkem teste diese alternde Welt ab.
In ihrer Wechselwirkungentsprang nun die Kulturgemeinschaft,der
wir selber angehoren.
Die griechisch redenden Vôlker im ostromischenReich verfielen
nach Justinian und Johannes Damascenus einer voUigengeistigen Er-
einst so
starrung, und wie ein abgestorbenes G!ied loste sich diese
abend-
geistesmâchtigegriechische Welt vom lebendigen Kôrper der
!andischenKultur. Auf den Trummem des westromischenReichesaber
begannen die germanischen Heerkonige sich in neuen Staatsgebiîden
So bildete
einmrichten,und die Sieger mischten sich mit den Besiegten.
sich die abendtandische Christenheit, die Kulturwelt der germanischen
und romanischenNationen. Der Gegcnsatxgegendiemohammedanische
in ihnen
Welt, in welchem sic ihr Mitte!alter durchlebten, verstarkte
das Bewu&tseinihrer Zusammengehôrigkeit.
Ein Glaube. eine Kirche und eine religiôse Metaphysik wer-
banden diese jugendlichen Volker. !n dieser Metaphysikverknüpften
sich die groBen Lebensanschauungender Nationen, welche die Mittel-
meerkuhur gebildet hatten. Die griechische Anschauungdes Kosmos,
der romische Herrschaftsgedanke und die Jenseitigkeit der ôstlichen
Tonwerksind
Re!igiositâten:wie drei Motive in einem vielgegliederten
sie in dieser kunstvoll verschlungenen theologischen Philosophie der
mittelalterlichen Christenheit verwoben. Gott ist hier zugleich die voll-
kommeneVernunft, der machtvollste Imperator und in seinerHeiligkeit
und Jenseitigkeit der Gegenstand anterwurfiger Dévotion. Unter die-
ser Gottheit besteht die Welt als ein Reich der materiellen und ein
anderes Reich der geistigen Substanzen. Die Geschichte ist nun die
Verwirklichungder Herrschaft Gottes in der Gemeinschaftdiesergeisti-
Weltvernei-
gen Substanxen. Das Mchste Lebensideal ist die religiôse
8 Z«!~M'ft
MMf~At ~~<t/i~
nung; indcm sich die Person ihrer weltlicher, Gebundenheitentzieht, er-
wachst ihr die Kraft, jene Gottesherrschaft herbeizufuhren. Die neue
religiôse Metaphysik wird in logischen Beweisfuhrungen gegrundet,
dann wieder entrci6t sie sich ihnen, und wie sic aus den Tiefen der
re!igiosen Erfahrung hervorgetreten war, müssen zuletzt alle logischen
Begrûndungen derselben untergehen in dem Erlebnis der einsamen
Seele. Vor diesem verlierenalle Herrschaftsverhâltnisseder Kirche und
alle ScMusseder groûen philosophischen Lehrer als der Diesseitigkeit
angehôrig ihren Wert. Das ist das Ende der mittelalterlichen autori-
tativen Lehr-Religion und der Anfang einer "Freiheit des Christen-
~nenschen".
Das lange MitteMter der modemen Vôlker neigte sich vom t4.
Jahrhundert ab seinemEnde entgegen. !n der Arbeit des Denkens hatte
das Individuum seine Freiheit errungen. Zugleich aber vollzog sich
nun eine entscheidendc Veranderung in dcm wirtschaftlichen Leber.
und in den sozialen Ordnungen Europas, und diese hatte eine ganztiche
Vcrschiebung der geistigen Interessen zur Folge. Die Arbeit der
burgcrnchcn Klassenin Industrie und Handel trat als eine seibstandige
Kraft mitten in den feudalcn und !drchlichen Lebensordnungenhcrvor.
Sie gab dem Geiste die Richtung auf das Diesseits. Das Denken ver-
tk'fte sich in die Natur und in den Menschen. Die
Bedcutung der
Wirklichkeit und der setbstândige Wert von Familie, Arbeit und Staat
wurden gefühlt und anerkannt.
Das erste Werk des neuen Geistes war die Ausbildung des Stâdte-
wescnsund der groBen nationalen Staaten. tn Florenz,in Vencdig und
in dem Frankreich von Richelieu wurde die weltlicheStaatsraison zur
bcwegcnden Kraft aller politischen Handlungen. Diese Verânderung in
der Staatskunst war begleitet von einer moralischen und
potitischen
Literatur, welche den EinftuS der religiôsen Beweggriinde auf die
Handiungen der Individuenund der Staaten vermindertcund das Rccht
der neuen weltlichen
Lebensauffassung begründete. Machiavelli war
der grôStc Reprâscntant dieser neuen Richtung.
Eine andere Leistung dieser drittehaÏb Jahrhundprtc lag in der
gcgenstandtichcn Erfassung der diesseitigen Wirklichkeitin der groBcn
Kunst der Renaissance. Denn inderRegctentwickettsichderGcha!tcim'r
neuen Epoche zunachst in der bildlichen
Anschauung der Künstler.
So sprach sich das neue Verstandnisdes Lebens, des Menschenund der
Natur, die Bejahung der Werte des diesseitigen l.ebens damals mit
einer Gcwatt ohnegleichen in einer Welt von künstlerischen (.estattcn
aus. welche bis auf diesen Tag uns lehren, was die Wirklichkeit soi.
Eine letzte VerânderungvoUzogsich innerhalbder christlichenRe!i.
giositât und der Kirche. Sie machte sich zuerst in der kirchlichcn
~A~M~ 9
Aristokratie, untcr den hohen Geistlichcn und dcn Hâuptem der Uni-
versitâten geltend. Es entstand ein universaler Begriff der Gottheit
und der Offenbarung. In der Weitherzigkeit, welcheder Renaissance
entsprach, !ie6 dieser universale Thcismus alle geschichtlichenKrafte
und alle Gestalten Gottes. die philosophischen wie die religiôsen, gel-
ten. Es war die hôchste Fonn, zu der sich die religiôse Metaphysik
überhaupt erhoben hat. So trat man nun auch zu den kirchlichcn
Dogmen, welche aus engeren Vorstellungenentsprungen waren, in ein
kritisches VerhSitnis. Erasmus bezeichnet den gtanzvoHenHohepunkt
dieser theologischen Kritik. Und wie hâtte nicht zugleich diese kirch-
liche Aristokratie dem Papsttum gegenüber ihr seibstandiges Recht
und die Bedeutung der nationalen Kirchen geltend machensollen?Aber
ebenhierdurch entstand ein Widerstreit mit dem Papsttum, in welchem
die Wurdentrâgcr der Kirchc und die Hâupter der Wissenschaftunter-
lagen. So erhob sich nun von unten die volkstiimlicheBewegungder
Reformation. Luther und Zwingli, diese machtigsten germanischenPer-
snnHchkeitendes !6.Jahrhunderts. erkannten in der ganzen hierarchi-
schenDiszip!!neinen damonischen Mechanismus,we!cherder Seele den
îreien Zugang zu ihrem Gott versperrt. Sie zerbrachendiese Schranken
und gingen zurück auf das unzerstorbare Recht desMenschen.sich mit
dem unsichtbaren Zusammenhang der Dinge. in welchemer befa6t ist,
in cigener Kraft auseinanderzusetzen.Hierin nâherten sie sich wieder
dem ursprünglichen Christentum. Aber sie erfüllten es mit der neuen
Freude an den Ordnungen des Lebens in Familie, Beruf und Staat.
Jetzt fielen die Grenzen zwischen der christlichen Gemeinde.dem Volk
wie der Sprache des Volkes. und der fortschreitenden Wissenschaft.
Auf dem so entstehenden lebendigen Verhattnis dieser Krafte beruht
die ganze folgende Entwirkiung der germanischen Nationen.
Doch ebenin dem Kampîc. dcn die Rpformationentzundete. wurden
aus der katholischen Kirche jcne freieren Richtungen ausgestoBen;
die neuen Gemeinschaften selber mu6ten sich in festen dogmatischen
und kirchlichenFormrn xusammenschneOendie harten Einseitigkeiten
steigertensich auf bciden Seiten. Und so schienam Beginn des t~.Jahr-
hunderts, als die rc!igi6sen Gegensâtze überall in den groBen Kultur-
tandem sich im Kampte gegeneinander befanden. der ganze Erwerb
an neuen geistigen Werten scit der Renaissancein Fragp gestellt. Einp
SintHutvon G!aubcnshaC und ReHgionskricg.von blutiger Verfolgung
und Mindpm Dogmengtaubcn war liber Europa hereingebrochen.
Es war einer der grô&ten Wendepunkte in der Geschichte drr
neurren Vôlker. în den Wissens<haften und in dem philosophischen
Denken lag die Macht. dur<'h wctchp diese Krisis uberwanden und
der Fortschritt des pur"pâ!s(hcn Geistes ermogHcht wurde.
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_n. "-0" _n_u. -M. Z<~ und M&)&M&r
Auch die Kultur der Mittelmcervolkerhatte einst von dem Zeit.
alter Alexandersab die Stufe erreicht, auf der die Erfahrungswissen-
schaften sich von der Spekulation toslostcn und zur Seibstandigkeit
gelangten. Sôldnerwesen,Kriegs- und Belagerungskunst, die Finanz-
und VerwaltungstechnikemporkommenderMonarchien, groBe Stâdte
und ihre Industrie,glânzendeHôfe und ihre wissenschaftlichenLuxas,
bedürfnisse alle diese Momente wirkten damals so gut als im
!7.
Jahrhundcrt auf die selbstàndige Entfaltung der Erfahrungswissen.
schaften und ihre Beziehung xum Leben. Auch entstanden in jener
bellenistischenKulturweltebenso wie in dem England, Frankrcich und
Deutschland des 17. Jahrhunderts aus den Mittcln machtiger Fursten
wissenschaftlicheVereinigungenund Anstalten in groBem Stil. Den.
noch wurde jetzt erst das Ziel erreicht, das den Alten nicht beschieden
war Herrschaft ùber die Natur und Leitung der Gesellschaft durch
die Wissenschaftenvon dem gesetzmâBigen Zusammenhang des Uni.
versums.
Es besteht eine Kontinuitâtin der geistigen Kultur, nach welcher
das Gewonnene neues Fortschreiten bedingt. So folgte
jetzt der Re.
naissanceder kunstlenschenFormensprache der Alten und ihrer
philo.
sophischen Ideen die WiedcrhcrsteHungihrer Erfahrungs~'issenschaf.
ten. Das Studium der Astronomieund Mechanik, der beschreibendcn
Naturwissenschaften,der Rechts.und Staatslehre wurde an den Punkten
wiederaufgenommenund weitergeführt,bis zu denen das Altertum vor.
geschritten war. Aber die Nationen, welchenun in das Erbe der alten
Wcit eintraten, erfaBtendie Natur mit einem krâftigeren WirMichkeits.
sinh. ïn den freien Industrie, und Handeisstâdten der neueren Volker
entstand eine innigere Verbindung zwischen der
kôrperlichen Arbeit
und dem Geisteder Erfindung. zwischendem Nutzenund dem wissen-
schaftlichenDenken. als sie unter der SHavenwirtschaft der Griechen
und Rômer moglich gcwesen~-ar. Und die Grenzedes in Formen den.
kenden griechischcn Geistes hielt diese neuen, ganz anders
gearteten
Nationen nicht zurück. Das Experiment erhielt jetzt endlich die ihm
zukommendeSteHnng. Eine wirHiche Analyse der Natur begann.
Unter allen Fortschritten des menschlichen Geistes ist derjenige,
welchenunter diesen neuen Bedingungendas Jahrhundert von
Kepler.
Ga1ilei,Descartes und Leibniz vollbracht hat, der schwerste und viel-
leicht der groBte gewesen. Der menschlicheGeist crfaGte seine Auto.
nomie. Der Fortschrittaus der Traumweltder Zauberer,
Propheten und
Priester durch das goldene Tor der kunst!erischen Phantasie in das
Land der Wahrheit immer neu batte er bci den Volkem der altcn
Welt angesetït: nun erst, auf dieser Stufe der neueren Volker, in ihrem
Xusammenwirken.ward in der Dynamik Galileis das Fundament einer
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wirklichenKausalerkenntnis der Natur gelegt, und sofort strahlten von
ihr nach allen Seiten Anwendungenund Folgerungen aus. Wie, wenn
die Bedingungcn erfüllt sind, in einer Flüssigkeit der Krystallisations-
proze6 sich verbreitet. Nun wurde auf allen Gebietendie wissenschaft-
liche Einbildungskraft des Menschendurch die strengen Methodenge-
regelt, welche in dem Verfahren Galileis enthalten waren. Diese Me-
thoden beruhten auf der Verbindungdes mathematischenDenkens mit
der Beobachtung und dem Experiment. Die Môglichkeiten,die in dem
mathematischen Denken lagen, wurden der Erprobung an den Tat-
sachen unterworfen. So prüfte Galilei an den Tatsachen und durch
das Experiment die MôgHchkeitenvon stetiger Zunahme in der Ge'
schwindigkeit der Bewegung. Durch ein âhnliches Verfahren leitetc
Kepler aus dem Material der BeobachtungenTychos seineGesetze ab.
Unterordnung der Erfahrungen unter quantitativ bestimmte Gesetz-
maBigkeit war von dieser Zeit ab die Methode, durch welche das
menschlicheDenken in der Physik und Astronomiesiegreich vorwârts
drang. Seitdem wurde ein einmutiges Zusammenarbeitender Forscher
auf dem Gebiete des Naturerkennensmnglich. Denn sie arbeiteten nun
alle auf derselben Grundiagc der mechanischen Einsichten und mit
denselben Methoden. Diese gemeinsame Arbeit der Forscher in ver-
schiedenenLândern hatte ein zusammenhangendesund regelmâBiges
Fortschreiten in der Naturerkenntnis zur Folge. Daher wirkte die
menschlicheVemunft innerhalb der verschiedenenKultumationen als
eine einheitliche Kraft. Sie unterwarf sich die Wirklichkeitdurch die
Erkenntnis. und wie sie nun, des Gelingens froh, von Erkenntnis zu
Erkenntnis stetig vorwarts schritt, schien sich der Zweckdes Menschen-
geschlechteserst zu enthgllen: Autonomie des Dcnkens.Herrschaftdcs
Menschenüber den PIaneten, den er bewohnt, vcrmitte!stdes Wissens,
Zusammengehôngkeit AHcr. die so am Ziel des Ganzen mitarbeiten,
<'in unaHâssiges, unaufhaltsames, stetiges Fortschreiten dem Welt-
besten entgegen.
Das Lebensgefühl der Menschheiterreichte hierdurch eine hôhere
Stufe. Das BewuBtsein erhob sich, daB die Vemunftdes Menschenge-
schlechtes eine Einheit bilde. welche durch das Zusammenwirkender
einzelnen Forscher ihr Werk vollbringt und in der fortschreitenden
Erkenntnis der GesetzmâBigkeitdes Wirklichendie Herrschafttiberdie
Erde erringen wird. So finden wir am Beginn des t8. Jahrhundertsdie
Menschenerfu!!t von dem Gedanken eines gesetxmaBigenFortschrittes
imMenschengescMecht.Das furchtbareGefuMderUnstetigkeitmensch-
lichen Tuns. das immer neu in den einzelnen Menschen, Zeitaltern
und Votkpm anzusetzen scheint, dies Gefühl eines bestandigen Kreis-
laufes von Geburt, Wachstum und Untergang in Individuen und in
!2 Z«~& und M< ~M~
Vdkem erfuHte alles Dichtcn und Denken der attcn Welt; auf der
Hohe der gricchischen Kultur. in diesen von
Tempeln, Statuen und
dem Klange der Chorlieder erfüllten Stâdten hat der Mensch das tra-
gische Gefühl von Unbestândigkeit und ZieUosigkeit seines Lebens
nie zu Sberwinden vermocht: nun erst, am
Beginn des t8. Jahrtnm-
derts, findet er in dem Fortschreiten der Menschheit,dem Weltbesten
cntgegen, ein Ziel, das nicht in Eingebungen von Propheten und in
Gottcsgesandtschaften oder in den Gesichten der Dichter, sondem in
erweisbarer Erkenntnis gegeben ist. Es- war ~'ie eine nette
Religion.
Die Naturwissenschaften und ihre Anwendungen auf das Leben
beherrschen das Jahrhundert. Der Gesichtskreis der Menschenhat sich
auSerordent'ich erweitert. Unser Sonnensystem ist nur eines unter den
unzâh!i~en Systemen, welchedie Welt ausmachen. Das physische Uni-
versum ist uberal! gleichartig, unveranderHchin seiner Masse und von
densdhen Gesetzen an jeder Stelle des Raumcs beherrscht. Die sinn.
lichen Quatitâten, welchean den Kôrpem auftreten, ats Licht und
Farbe,
Temperatur und Ton. sind nur Erscheinungen, die in unseren Sinnes-
organen entstehen; in Wirklichkeit gibt es in dieser physischen Welt
keine anderen Unterschiede als die von Gro&e, Gestalt und
Lage, von
Dichtigkeit, Ruhe und Bewegnng. Daher ersch!ie6t die Erkenntnis der
Bewegungsgesetze dem Jahrhundert die Aussicht, alle Art von Ver.
anderunp: in der Korper~'p!t !:u crk!aren. Die physischen Vorgange
bilden einen einmütigen Zusammenhang. welcher der
Rechnung und
der Messung. der Beobachtung und dem
Experiment aHmâMichzu'
gang!ich gemacht werden wird. So eroffnet sich von der Erkenntnis
der wahren Struktur des Sonnensystemsaus der
Weg zu einer erkiârcn.
den Theorie desselben. Die mechanischen
Grundvorstellungen werden
allmdhlich verwertet für das Verstandnisder Erscheinungen von SchaH
und Licht. sowie der Vorgange des Bjutumiaufes und der
Sinnesemp-
findungen im tierischen Kôrper. Aus diesen Fortschritten des Wissens
entspringt eine zunehmende ~hcht des Menschen uber die Natur.
Denn die Einsicht in die Gesetzlichkeit,nach welcherin der
physischrn
Welt die Bewegungen verknüpft sind. gestattet.
Wirkungen in ihr her-
vorzubringen. zu hindem oder doch vorauszusehen.
Die andere Aufgahe. die sich die Wissenschaft des Jahrhunderts
stellte, vermochte sic in diesem Stadium der Erfahrungserkenntnis noch
nicht endgiHtig aufzulôsen. Sie untemahm es. aus
Prinzipien der Ver-
nunft eine rationale Rerhts- und Staatsordnung abzttletten. Das Natur-
recht, welches sich diese Aufgabe setzte, war in seinem Ansatx ein
auBerordentHcher Fortschritt. Das Denken geht auch hier hinter die
Fonn und die Struktur zurück:es will die Kmftp erfassen. durch wc!che
die rerhtlkhen Ordnun~cn der GescHschaft
hervorgebracht werden.
~<M~)~y<M!~ '3
Diese Krâfte sind die Seelenbewegungender einzelnenMenschen,ihre
Triebe und ihre Leidenschaften. Denn alles Denkendientnach der gro-
Ben Erkenntnis dieser Epoche nur dem Willen, der im Zusammen-
stoO der Interessen sich zu behaupten strebt. Das Materialeiner Lchre
von den Gemutsbewegungen fand sich bei den Alten; aber nun erst
wurde daraus eine wissenschaftlicheTheorie geschaffen. Hobbes und
Spinoza haben zuerst die Gesetz!ichkeitin den Bewegungendes Seelen-
lebens aufzuzeigen untemommen. Sie haben mit einer rucksichtsiosen
Energie, die in nichts hinter Feuerbach oder Nietzschezurückblcibt,
die christliche Askese bekâmpft; Demut, Mit!eidund Reue verurtei-
]en sie als ~linderungen der Kraft: in der Behauptungdes eigenen Da-
seins, in dem Machtwillen der Person erfassen sie die hôchste VoU-
kommcnheit des Menschen. Und ihre Formeln sind nur der hârteste
Ausdruck für jene Verehrung von Kraft und Natur, welchedie grôBten
Kôpfe der Zeit durchdringt.
So entsprang in dem Naturrecht die Richtung auf den Schutz der
Interessen des Einzelwillens. Die Rechts- und Staatsordnung muSte
sonadt als das Mittel der Vemunft begriffen werden, den Frieden der
Gesellschaft und die souverane Macht des Staates zu sichem und zu-
gleich so vie) von der Freiheit der einzelnen Personen zu bewahren,
a!s hiennit vertraglich war. Es lag doch eine vorwarts drangendeKraft
von der groBten geschichtlichen Bedeutung in den naturrechtlichen
Lehren, die so entstanden sind. Aber geschichtsloswie sie waren, ohne
Kenntnis der wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhange,die sich
zwischen den Individuen und den Rechts- und Staatsordnungen er-
strecken, ohne Anerkennung der naturgcwachsenenVerschiedenheiten
der Nationen, haben diese ~ehren nur so lange nûtziich gewirkt, aïs es
galt, veraltete Institutionen aus dem Wege zu râumea. Sie haben die
Ausbildung der groûen Monarchien und die Durchführung der ein-
heituchen Staatsmacht in ihnen unterstützt, und sie haben zugleich den
Rechts. und Wohlfahrtsstaat des !8. Jahrhunderts vorbereitet. Ihre
Funktion war nur vohibergehend, wie ihre wissenschaftlicheBegrun*
dung ungenügend war. Doch schon bildeten sich neben ihnen in der
gro6en Philologie dieses Jahrhunderts die Hilfsmittelund Instrumente
der historischen Kritik aus, welche ein neues Stadium der Geistesr
wissenschaften ermoglichen sollten.
Und wenn nun nach der wissenschaftlichenVenuchtung der in-
ha!t!ich einmütigen theologischen Metaphysikaus dem Chaos von phi-
losophischen Môgtichkeiten und Ansâtzen von neuem mâchtige phi-
losophische Systeme sich erhoben, so erhielten doch auch diese in der
Erkenntnis des mechanischen Zusammenhangesim Unnersmn eiuc gc-
meinsatne wissenschaftHcht' Grundlage, und durch den letzten und
J4_ _L'~L~'j~
grôûtea Metaphysikerdes Jahrhunderts, Leibniz, empfingen sie in dem
Begriff der Solidarit&tund des Fortschrittes im Menschengeschlecht
durch die Aufkiârung ein neues, allgemeingültiges Zid.
Die uralten Ideen von Lebenskraften in der Natur und die bild-
lichen Vorstellungen, welche die antike Kultur von einem jenseitigen
Zusammenhang entwickeltbatte, traten nun aus dem Gesichtskreisder
wissenschaftlichenKôpfe und lebten nur in den niederen Regionen
einer ruckstândigen Bildung fort. Das Universum selber war der
Gegenstand dieser PhiLosophen.Der seibstândige Wert aller seiner
Telle, im Gegensatzzu der engen Beziehung aller Dinge auf den Men-
schen als ihren letzten Zweck,war die Grundstimmung der neuen Meta-
physik. So war auch unter den Problemen, welche dieselbe nun aufzu-
losen strebte, das vomehmste von der Erfahrungswissenschaft aufge-
geben, und es batte den Zusammenhang in der Wirklichkeit selberzum
Gegenstande. Wenn das physische Universum ein in sich geschlossener
Medtanismus ist, in welchem Masse und BewegungsgrôBe sich weder
vermindern noch vennehren, welches Verhaltnis haben dann zu diesem
die gcistigen Tatsachen?
Descartes behauptete den alten Idealismus der Freiheit, indem
er unabhangige geistige Substanzen festhielt, deren freies Handeln in
Wechselwirkung mit den Bewegungen des Stoffes steht. Ein Stand-
punkt, in welchemuniôsbare Schwierigkeiten enthalten waren. Hobbcss
gab dem Materialismus seine erste moderne Fassung: die geistigen
\'organgc sind ihm das Erzeugnis der physischen Prozesse. Auch in
dieser VorsteUunglagenSchwierigkeiten, die eineUmbildung forderten.
Spinoza erhob von dêmselben Problem aus den Pantheismus der
altcn Welt zu einer neuen Form: jeder geistige Vorgang ist einem phy'
~ischcnzugeordnet, und Ausdehnung und Denken sind nur die Grund-
eigeuschaftcn dcrsclbcn gottlichcn Substanz. Der letzte dieser groûen
Uenker des Jahrhunderts, neben Descartes der erfindungsgcwaltigste
unter ihnen, toate dasselbe Problem durch den ganz neuen Begriff von
der Phânumenalitat der gesamten physischen We!t. Das Universum
war für Descartes zusamniengesetztaus zwei Klassen von Substanzen,
für Spinoza war es eine SubstaM in zwei Erscheinungsweisen, Hobbes
faCte die geistigen Tatsachen als Erzeugnisse der physischenWett, und
nun crgriff Leibniz die letzte unter den groUcnMôgtichkcttcn. indem
cr diesen ganzen physischen Zusammenhang als ein Phânomen auf'
fa~tc, das in unraumiichen seelischen Lebenseinheiten gegrùndet ist.
Metaphysik, dieses delgestaltige Zwtschenwescn, das an den Konfi-
nien der vom Gemut bestimmten Einbildungskraft und der aHgcmem'
gültigen Wissenschaftwohnt, schien so zuerst doch an cincn bestimm-
ten Krcis von Mugtichkeitengebunden werden zu kônncn.
~<y<M~Mt<M ~~M. M~fJM~ t~AM _t5
3.
Soweit wir die Kultur des Menschengeschlechteszurück verfolgen
konnen, finden wir Gemeinschaften,in denen ein Zusammenwirkenfür
die Zwecke der Wissenschaften bestand. Die atteste der mit der Wirk-
lichkeit beschâftigten Wissenschaften, die Astronomie, forderte ein sol-
ches Zusammenwirken. In den Pricsterschaften des Ostens waren Ver-
einigungen gegeben, welche gemeinsame Arbeit ermoglichten. Hier
wurde die Mathematik gepflegt, und auf den Sternwarten von Agyp-
ten und Babylon waren diese Priesterschaften mit der Astronomie be-
schaftigt. In dem Bunde der Pythagoreer setzte sich die gemeinsame
Arbeit an den Aufgaben der &îathematik,Astronomie und Spekulation
fort. Die von Platon begründete Genossenschaft war vomehmtich auf
eben dieselben Wissenschaften gerichtet, und sie zuerst war von allen
rdigtôsen und praktischen Beziehungenlosgelost; von ihr stammt auch
der Name "Akademie". Die Renaissance rief dann zunachstin Italien
solchc Gelehrtenvereine zur Forderung der Wissenschaft in gro6er
Zahl hervor, unter denen die Platonische Akademie in Florenz die be-
rührntestewar. Und âhaliche Gründungen in anderen Lândern
folgten.
Sie sind alle untergegangen, diese âheren Gesellschaften. Demi
die Aufgaben, die sie sich stellten, waren entweder an
religiôse Ge-
mcinschaften gebundcn, oder sie waren mit der Vertretung einer be-
stimmten Metaphysik verknüpft, oder sie standen auch mit vorüber-
gehendenZwecken in Verbindung, die der Kultur einer Stadt oder eines
Landes dienten.
Erst das t7.Jahrhundert hat die Bedingungen geschaffen, unter
denen die modernen Akademien stehen. Denn erst dicses
Jahrhundert
brachte in der mechanischen Naturerkenntnis eine Wissenschaft her-
vor, welchedurch ihre Hegrûndung auf die Sâtze der Mathematikund
durch ihre Verwertbarkeit für die Zwecke der Technik den vollen Cha.
rakter der AiJgemeinguhigkeit bcsaû und den bestandigen Fortschritt
der Kultur. verbürgte.
Zwischen den wenigen Personen, welche dieser ncuen Wisiienschaft
ihr Leben widnieten, bestand ein Zusammenhang, der durch keine
Grenze von Sprache und Nation eingeschrankt war. Sic bildeten eine
neue Aristokratic und fühlten sich als solche. Wie vordem in den Zeiten
der Renaissance Humanisten und Künstler sich so gefühlt hatten. Die
latcinische und dann die franzôsische Sprache emiôgiichten die lcich-
teste gegenseitige erstândigung, und sie wurdcn das Instrument ciner
wissenschaftlichen Weltliteratur. Paris war schon um die Mitte des
t7. Jahrhunderts der Mittelpunkt des Zusammenwirkcnsder Denker
und Naturforscher. Dort tauschten Gassendi, Mersenne und Hobbes
ihre Ideen aus, selbst der stolze Einsicdler Descartes trat zcitweise in
t6 /~M ~'tt ~<&
Planen, seinem Eingreifen in das Leben der Zeit entgegen. Diese Plane
sind aile aus dem genialsten Verstândnis der Aufgaben menschlicher
Kultur entsprungen. Kaum einer war unter ihnen, der nicht wenigstens
in seinem Kerne spâtcr verwirklicht worden wâre: von der Akademie
und der Union der protestantischen Konfessionen bis zu den Missio-
nen und Handelsverbindungen nach China hin und den Aufgaben der
franzosischen Politik in Nordafrika. Aber derselbe Mann, dessen Di-
vination dem Jahrhundcrt vorauseilte, verkannte durchaus die be-
schrankten, harten und bôsen Wirkiichkeiten um ibn her. Er war
gleichsam weitsichtig. Dem vergeistigten Denker blieben diese fürst-
lichen Personen doch stets unverstandiich, welche bis an die Knochel
in sehr irdischen Materien wateten, in Sinnlichkeit und hartem Egois-
mus, zuweilen auch in Blut, aber Gôttem vergleichbar dahinschritten,
vorwârts getrieben von dem Gefühl, daB der Staat in ihnen gegen-
wârtig sei. Und dieser Mangel an Verstândnis war gegenseitig. In
Hannover hat er nach dem Tode des Fürsten, der ihn berief, kein Vcr-
trauen mehr genossen. Bessere Würdigung fand er bei den beiden
groBen Fürstinnen, denen er gedient bat. Frauen haben ein natur-
liches Gefühl für das GroBe, das kommt und lebendig ist, wenn es
ihnen personlich entgegentritt. So fand der stolze Einsiedler der Nie-
derlande, Descartes, in Elisabeth von der Pfalz und in Christine von
Schweden Schülerinnnen, und so fand auch Leibniz bei den beiden
fürstlichen Freundinnen in Hannover und in Berlin ein Verstândnis
dessen,was ihn erfüllte, wie bei keiner anderen Person an diesen Hôfen.
Ohne Sophie Charlotte würde damals die Akademie in Berlin nicht
zustande gekommen sein. Lebensfreudig bis zum ubermudgen Spiel
mit dem Schimmer der Dinge, durch die Mutter in politische Intri-
guen tief verwickelt, empfand sie doch, wie sie erzogen war, an diesem
halb-barbarischen Hofe Bedürfnissefeinerer Art, denen uur Leibniz ge-
nugtat. Und doch: auch mit diesen glücklichsten Beziehungen seines
Lebens hingen die ticfen Enttâuschungen zusammen,die das alles ilun
bringen sollte. Die beiden fürstlichen Frauen verwickelten ihn in das
fcine Gespinst ihrer politischen Intriguen. Aïs sie vor ihm hinweg-
starben, lieCen sie ihn einsamund von Verdacht umgeben zurück.
Das Schlimmste war: Plane verschiedenster Art hatten sich in ihm
solchergestalt verwickelt und verknotet, daB der Zuschauer schwer
unterscheiden konnte, was ihm Mittel und was ihm Zweck in einem
gegebenen Augenblick war. Zuweilen scheint er seine Akademie als
Mittel zu benutzen, um in Berlin einem politischen Zwecke nachzu-
gehen dann wieder benutzt er die politischen Personen und Ange-
Icgenheiten, um seine Akademie durchzusetxen. Er bedient sich seiner
Philosophie, um Dugmen plausibel zu machen und seine Uninnspulitik
32 J~~& und -f~
zu fordem: und dann scheint es wicder, als wolle er so den Theologcn
seine Phitosophemeannehmbar machen. Und auf diesem Theater der
Welt, auf dcm damals mehr aïs je ein jeder seine eigenen Zweckever-
folgte, fand cr die SteUc, die cr selbst einnahm, sein Wirken gleichsam
hinter der Bühne, nicht entsprechend dem, als was er sich fuhîte. So
wurde sein berechtigter Stolz in dieser Welt zur Eitelkeit. Er mischtc
die eigenen Intercssen mit den allgemeincn. Er suchte Geld, um es
dann wieder in einem vemachtâssigtcn Haushalt und fur groBe sach-
liche Zwecke auszugebcn. AuBere Ehren erstrebte er als eine Not-
wendigkeit, die seiner groBen wissenschaftlichen Position entspreche,
und blieben sie an irgendeiner Stelle aus, so vermiOte cr sic so
weit sein gtuckHcherOptimismus das zulieû. Es konntc nicht fehlen,
daB er den Menschen, mit denen er Icbtc, auf diese Art dunkol und
râtselhaft wurde. Ein unbestimmtcr Verdacht umgab in der letzten
Zcit seines Lebens den Mann, der hier in Berlin als Agent vo!~Han-
nover und dort in seiner Hcimat als von brandenburgischen Interessen
bestimmt erschien. Mit keinem, der einseitig bestimmten interessen
nachging, konnte er dauernd zusammengehen. So kam immer ein Mu.
ment, in welchemer MiBtrauen erweckte. Er hatte weder politische
noch wissenschaftlicheFreunde. Immer einsatner wurde es um ihn
her. So endete ein Leben, das zu dem Mchsten Glück angelegt war,
tief tragisch. Welch ein Gegensatz zwischen diesem Leben und dem
von Kant und Goethe, die fern von den We!thânde!n in ausgebreiteter
Arbcit und dabei tief beschaulich in die spateren Jahre traten und
xu immer allgeincinerer Ancrkennung aufstiegen.
2.
Es lag in Leibniz ein cinzigcs Tatcnt, die Ergcbnisse tMucr
Studien und Lcbcnsverhâttnisse für die Fortbildung sciner Ideen zu
bcnutzen und dcn Inbe~riff des Erworbenen von ihncn aus einer Re-
vision zu unterwcrfen.So entwickettesich ihm sein letzter Begriff der
~îonadc, so haben auch seine Gedanken über die Organisation dcr
wissenschaMichcnArbeit immer neue Erwciterungen und Umgestal-
tungen erfahrcn, bis sic Ut dem Plan der preu&ischeHAkadcn)ieihre
lctzte Zusammcnfassungfinden.
Auf der Univcrsitât.in Leipzig untor Jakob Thunias!usund in Jcna
UiUerErhardWeiKet.unpfangt derGeist desJùngHngs diebestimmende
Rirhtung auf Philosophie, Mathematik und Physik, und die moderne
Wissenschaftdes Descartes siegt auch in ihm sogleich über Aristoteles
und die Schotastik.Von Anfang an findet er sich fcmer auf die Be-
dcutung dc< Wisscns für das Leben hingewiesen. !.dpzig. seine Vatcr-
/W. Z)~ <?~MWM/~ J~
stadt, entwickelt sich eben in diesen Jahren zu dem ersten Emporium
für den Austausch der Manufakturendes Westens gegen die Rohstoffe
der sJawischen Lander. In Nümberg lemt er darauf das sicher und
setbstbewuût dahinstromende Leben einer deutschen Reichsstadt ken-
nen, die als Mittelpunkt eines weitverzweigtcnHandels und als Sitz
einer hochentwickeltenIndustrie noch immer ihren Rang m der Welt
behauptete und doch auch die Gefahren, welche dieser Blüte nun
von dem mâchtigen Aufschwungder fremdcn Nationen drohten. Und
wie er nun m die alchymistischeGesellschafteintritt, die hier bestand,
erfüllt er sich zugleich mit dem eigentumUchenGeist, der in diesen
ersten deutschen Sozietaten lebte, mit dieser Mischung von phantasti.
scher Spekulation und nùchterner Wissenschaft,von sittlichen und reli-
giosen und derb praktischen Motiven. Mânner aller Stânde und .Ce-
rufe bilden hier seinen Umgang, Pastoren von St. Lorenz und St. Ja-
kub, Lehrer von der lateinischen Schule, Patrizier, Kaufleute, Hand-
werker. Leibniz ist diesem Kreise doch sehr nahe getreten. Er hat die
Beziehungen zu demselben noch in seinen spâteren Jahren gem gc-
pflegt, und die Tendenzen, die hier herrschten, sind in seinen eigenen
Akadenuep)ânen deutlich zu erkennen. Und wieder eine andere Welt
ersch!ie6t sich ihm in Mainz. Johann Ptuupp von Schônborn und Jo-
hann Christian von Boineburg leben in der Ideensphâre ihrer groBen
orgânger, der Werner von Epstein, Diether von Isenburg und Bert-
hold von Henneberg. Die nationalen Forderungen des deutschen Vol-
kes, die nun immer lauter sich geltend machen, sollen erfuUt werden:
durch die Stiftung eines deutschen Furstenbundes und die Vereini-
gung der getrennten Bekenntnisse zu einer nationalen Kirchc. Der
Kurfürst von Mainz soll als Erzkanzler und Erzbischof das neue
Deutschland regieren. Leibniz, der seinen neuen Freunden als Sekre-
târ und Ilublizist dient, nimmt auch dieseGedanken in sich auf.
Hier in Mainz hat er nun auch seine ersten Plane xur Organisation
der wissenschaftlichenArbeit entworfenund latin den ganzen Schatz
seiner Studien und Erfahrungen zusammengefaBt.
Das alteste Projekt geht auf eine deutsche Sozietat der Wisscn-
schaftcn in Frankfurt, unter der Leitung des Kurfürsten von Mainz.
Die in England und Frankreich vorhandenenAkademien, welche nach
der Lage der Wissenschaften in der mathematischenNaturerkenntnis
ihren Mittetpunkt hatten, dienen ats Motivund Vorbild. Aber Leibniz
betont starker die praktische Beziehungder Wissenschaft zu Industrie
und Handel. Vor allem ist doch der jungc Polyhistor darauf gerichtet,
diese Sozietat gleichsam zu einem Archiv aller vorhandencn Kennt-
nissc zu machen. Hier soU eine universale Bibtiothek zusammcnge-
hrarht, cine Rcatcnzyktopadie attes Wisscns hergestctit, cinc Korrc*
Ditthc; CcmmtM'tte
Schhftm M! 3
34 ~H~ <«~?<)*~&t/~
spondenz mit den Gelehrten aller Lander unterhalten werden. Ja er
fordert bereits eine Kooperation dieser Sozietât mit den Akademien von
Frankreich, England und Italien. Mit dem gefâhriichen Finanzgenie,
das seitdem in immer neuen Projekten sich kund gab, hat er für die
Unterhaltung dieser Akademie eine Papiersteuer ins Auge gefaBt.
Ein anderer Plan ist der voUkommensteAusdruck des Begriffes von
Kultur, wie ihn das Jahrhundert gebildet hat und Leibniz ihn reprâ-
sentiert. Es handelt sich um eine Sozietât, welche die gesamte Kultur
des deutschenVolkesnach hôchsten wissenschaftlichen Prinzipien leiten
sou. Die wissenschaftlicheArbeit soUin dieser Sozietât den Fortschritt
der Naturerkenntnis erwirken, sie soU die natürliche Gottesverehrung
durch eine metaphysische Begrundung beleben und leiten, und sie soU
die Anwendung der Wissenschaftcn für die Kultur auf allen Gebieten
beeinflussen. Leibniz weist selber auf Platons Herrschaft des wissen-
schaftlichen Gedankens durch die Gemeinschaft der Forscher aIs seiner
Organe hin. Und er antizipiert in einem gewissen Sinne die von Comte
geforderte Leitung der Geselischaft durch den wissenschaftlichenGeist.
Gedankcn, welche, so wenig sic sich in die Wirklichkeitder Dinge
einfügen woUen, doch eine groBe Tendenz ausdrücken, die seit den
Tagen der Pythagoreer und dann stârker seit dem Zusammenwirkender
wissenschaftlichenGeister zur Herrschaft über die Natur in Wirksam-
keit ist. Auch tut Leibniz selbst der Atlantis von Bacon, des Sonnen-
staates von Campanella und der Utopie von Morus Erwâhnung; eine
solche erstandigungzum Zweck der Glückseligkeit der menschlichen
Gesellschaft,wie diese Schriften sie planen, würde moglich sein, ,wenn
nicht gemeinigtich der alIergroBten Herren consilia zu weit von ait'
gemeiner Wohlfahrt wâren." Der groBe Begriff der Kultur des Men-
schengeschlechtes, der sein ganzes Leben beherrschen soUte, sprach
sich in diesen Plânen mit dem unerfahrenen Enthusiasmus der Jugend
aus. Es war dafür gesorgt, daB er mit den tatsâchHchen Kraften, die
sein Zeitalter bcherrschten, rechnen lernte.
Zunâchst wird auch er hineingerissen in die patriotischeBewegung,
welche der erste Raubkrieg Ludwigs XtV. in Deutschland erregt hat.
und die nun in immer neuen AuSerungen die letxten drei Jahrzehnte
des 17. Jahrhunderts beherrscht. Es ist die grobe Wandlung in der
deutschen Publizistik, die fortan nicht mehr in der ôsterreichisch-spani-
schen Monarchie des t6. Jahrhunderts, s)ondem in dem neuen Frank-
reich Ricbelieus. Mazarins und Ludwigs XIV. das Ziel ihres An-
griffes findet. Leibniz hat an dieser Publizistik seinen unmittelbaren
Anteil: aber auch seine akademischen Plane empfangcn jetzt cinc natio-
nale Farbung. Ein dritter Entwurf aus diesen Tagen von Mainzunter-
nimmt den stolzen Beweis, daB die Deutschen die eigentlichen Erfinder
M~?.' A~M-, ~MMMW<W
auf dem ganzenFelde der reatenWissenschaften und Künstesind. Aber
sie haben ,geschlafen"; die andem Nationen konnten das Gut des
deutschen Geistes an sich reiBen und praktisch nutzen; die Deutschen
tragen selber die Schuld daran, daB die Franzosen und Englânder sie
jetzt weit überflügelt haben, wissenschaftlich,wirtschaftlich, politisch.
Also sollen sie sich aufraffen und ihr Talent gebrauchen, sich zu-
sammentun und organisieren zu Sozietâten und Akademien, wie das
in Frankreich und England geschehen ist.
Wie aber batte sich in dem Deutschland dieser Zeit, in diesem
Bündel souverâner Kleinstaaten mit ihrem furchtbaren Egoismus, der
Plan einer nationalen Akademie verwirklichenlassen? Nur in dem Rah-
men der neuen territorialen und dynastischenGewalten war es môglich,
irgend etwas Lebensfâhiges zu schaffen; diese bittere Erfahrung hat
seit jenen Tagen zwei Jahrhunderte lang jeder in der langen Reihe
der Enthusiasten machen müssen, die sich an Kaiser, Reich und Nation
wandten. Leibniz hat sich in diese Wahrheit nicht leicht und nie voll-
stândig finden kônnen; sein Optimismus hat ihn auch in der Folgezeit
immer wieder verleitet, organisatorische P!âne für das ganze Reich zu
entwerfen. Und nie hat er die nationalen Aufgaben, die er einer solchen
deutschcn Sozietât gesteckt batte, wiederaus den Augen verloren.
In der entscheidenden Epoche seines Lebens verknüpft sich nun
aber in ihm mit diesen patriotischen Tendenzen der unmittelbare Ein-
druck der neuen europâischenWissenschaft. Er war 26 Jahre alt, als er
nach Paris ging, um seinen durch den weitenBlick in die Zukunft und
die vollstândige Verkennungder politischen Lage der Gegenwart gleich
merkwurdigen Plan, der den drohenden franxôsischenAngriff von Hol-
land auf Agypten ablenken wollte, bei Ludwig XIV. und seinen Mini-
stem persünlich zu vertreten. Dieser Zweck der Reise scheiterte. Aber
hier in der franzosischen Weltstadt, und dann in London und in den
Niederlanden hat er die neue mathematische Naturwissenschaft im per-
sôn!ichen Vcrkehr mit ihrcn groûen Hâuptern kennen gelemt; er wurde
selber ein Mathematiker und Techniker ersten Ranges. Von nun an
muBte es ihm als die erste Aufgabe einer deutschen Sozietât erscheinen,
in Deutschland einen Mittc!punkt für die neuen Methoden der Natur-
erkenntnis zu schaffen und sein Vaterland in den internationalen Zu-
sammenhang einzuführen, in welchem sich der Fortschritt der wissen-
schaftlichen Arbeit und der auf sie gegründeten Kultur vollziehensollte.
Einstweilen schickt auch er sich in die Dinge. Er geht nach Han-
novcr, in den Dienst einer der starksten der neuen deutschen Ktein-
staatenbildungen. Aber wenn er daran die Hoffnung knüpft, daB er
hier einen Boden für seine Bestrebungen finden werde, so verkennt er
die geistige Verfassung dièses Hofes und doch auch seine eigene Ste!-
36 /M? <~ M~t Zf~r
3.
Diese Personlichkeitenwaren zunachst in der Literatur und Dich-
tung auf ein festes Ziel gerichtet. Innerhalb der Renaissancepoesie
Europas wollten sic dem ruckstândigen deutschen Volke durch Werke
von dauerndem Kunstwerteinen Platz erringen. Hierbei stellten sich
ihnen auBcrordentnche Sch~'ierigkeitcn entgegcn. Der groBc Weg,
den Shakespeare gegangen ist, die Verbindung des Voiksma&igenund
Nationalen mit den Kunstmitteln und der Formenschonheit der Re-
naissance. war der deutschen Dichtung durch unsere politische und
soziate Entwicklung verschlossen. Kein gemeinsames gro&es Handeln
verband mehr die Teile unseres Volkes. Jeder ,,mainteniertc" seine
Standescxistenz.der stâdtische Bürger, der mtsfâhige Kaufherr, die
Geistlichenund die Gelehrten, und über alle weit hinausgehoben, Adcl
und Furstentum. Aber auch die aristokratische Kunstdichtung Frank-
reichs war bei uns nicht môgtich. Sie sctzt eine hohe
Entwicklung der
Gesellschaft voraus. Gewôhnung der herrschenden Stande an vor.
nehme Lebcnshaltung, Verzicht auf grôbere Genüsse und Gefühle zu
gunsten der feineren, geistigeren, und dazu Obung, sich diese Seelen-
zustande bcwujit zu machen und ausxudruckcn. Eine solche gesell-
~~a/ und ~<a~~
schaftlicheEntwicklung hatte in den gro6en italienischenStâdten und
an den Hôfen von Madrid, Paris und London stattgefunden:in Deutsch-
land gab es keine Stelle dafür. Der osterreichischeHof lebte im Schat-
ten der katholischen Kirche und der Jesuiten. In den deutschen Zwerg-
staaten mangelten Raum und Mittel. Der vorùbergehendenKunstNute
in Dresden unter August dem Starken fehlte die Bodenstândigkeit.
Und die Neigung des ersten Kônigs von PreuBen, im Glanz einer Ge-
sellschaftvon Künstlern, Philosophen, Geschichtschreibernsich zu son-
ncn,machte unter seinemSohne dringenderen praktischenBedurfnissen
und einem halb barbarischen, halb pietistischen Geiste Platz. Dies
warendie Ursachen, welchedamals keine dauemde poetischeSchôpfung
bei uns aufkommen lieBen. Feine Kôpfe wie Opitz, bedeutende Per-
sonlichkeiten wie Fleming und Gryphius, eine hervorragende dichte-
rische Kraft wie Grimmelshausen,erlangten Ruhm oder doch starkes
Interesse in ihrer Zeit: aber es gab eine verborgene Schranke, die
sic alle umgab, die kein Wille und kein Talent durchbrechen konnte.
Auchden starken Personlichkeitenunter ihnen mangelte die aus Leben
und Gesellschaft entspringende freie Beweglichkeitdes Gefühls, die
Weite der Ertebnisse, die Tiefe des Nachverstândnisscsvon groGem
Dasein in Geschichte und Gcgenwart. Ihre Phantasie ist wie einge-
schnûrt,schematisch und darum unfâhig, die ganze Rundung des Men.
schendaseinshinzustellen. Stuben-und Kirchenluft umgibtihre Gebilde.
Am augenscheinlichsten machte sich der unvollkommeneZustand
der deutschen Sprache geltend. Sie besaB eine unvergleichlicheAus-
drucksfahigkeit für die reHgiôse Innerlichkeit: aber wie weit stand sic
zurückin der philosophischen Prosa, in der freien, fHeBendenErorte-
rung und Betrachtung, in jedem Hilfsmittel für gesellschaftliche Le-
bensformen. Die Literaturen des modernen Europa beruhten auf der
vornehmenGesellschaft in den Hauptstadten und an den Hôfen Ita-
liens, Spaniens, Frankreichs und Englands. Eine starke Entwicklung
der Reflexion über Welt und Leben umgab sie. Eine nationale Prosa
war ihrc Grundlage. Eine feine Differenzierung der Gefühle und der
gegenstandtichenAuffassung in den herrschendenKlassenâuBerte sich
in ihrer Dichtersprache. In Deutschland hatte keine gebildete Gesell-
schaft den Wortschatz für die feinere Unterhaltung und Darstellung,
fur den Ausdruck der edlen Leidenschaft, für die Anmutdes poetischen
Stils, ausgesondert und emporgehoben über die Sprache des Volkes
und des AUtags. Um dem Bedürfnis von Vers und Reim zu genügen,
stumpfte man skrupeuos die Worte ab oder weitete sie aus und fügte
Ansâtzehinzu. So muB man selbst bei der Lektüre von Fleming und
Gryphius bestandig die Unvollkommenheiten des sprachlichen Aus-
drucks auszuschalten suchen, und darum sind sie für uns heute fast
Z~m? ~</ ~t 2'~y<t/&r
restlos untergegangen. tn der Prosa gingen aus der Nachahmung der
Alten die gedehnten Perioden, und aus der Einwirkung der Neueren
die Sprachmengerei hervor.
Die literarische Bewegung, die schon wâhrend des gro6en Krieges,
vorwiegend im Kreise der studierten Beamten, Gelehrten und Gcist-
lichen begann, tichtete sich daher zunachst auf die Reform der Sprache
und der mit ihr eng verbundenen Verskunst. Sie war angewiesen auf
die Nachahmung der ausgebildeten fremden Literaturen. Weckherlin,
der die neue Ktmsttyrik des Auslandes einführte, brachte uns zuerst
die starke, kraftstrotzendeSprache, denVers- undStrophenbau und den
mythologischen Apparat der Renaissancepoesie. In Heidelberg ent-
stand unter hofischem Einftuû cin Mittctpunkt der neuen Kunstrich-
tung, dem Scliede und Zinkgref angehôrten. Auch die ,.Frucht-
bringende Gesellschaft"arbeitete an aUgemeiner Regelung der Sprache,
Befreiung von der Fremd!ânderei, Fortbildung der Verskunst.
Inmitten dieser Bestrebungen ist Martin Opitz aufgetreten. Er
ging aus vom Studium der Alten und der damaligen Renaissancedich-
tung. Da setzte er sich nun in erster Linie die begrcnzte Aufgabe, eine
Regulierung der verwildertenVerskunst herbeizuführen, und er hat sic
für seine Zeit geiôst, durch einteuchtende Regeln und durch das Bei'
spiel des neuen Wohlklanges seiner Gedichte. Gegenüber der btoCen
Zahlung der Silben und der Vemachiâssigung des Tonwertes ging er
zunick auf das metrische Grundgesctz unscrer Dichtung, nach welchem
die Betonung der Silben in der Rede bestimmend bleiben muB fur den
Versakzent. Er führte die Gleichheit der Silbenzahl in den einzelnen
VersfuBen strenger und freilich auch cinfonniger durch. Und wenn
man im Interesse des Versbaues der Sprache auf Schritt und 'I'ritt
<.ew:th angetan hatte, so erhob er auch hiergegen Eitispruch und
wirkte überhaupt wohttâtig auf ein reineres Deutsch. Er regelte den
Reim und brachte die Begriffe der neuen Poetik seit Scaliger über
die Gattungen der Dichtung und deren Wert zur Geltung. Ais Dichter
hat er sich beinahe in allen Gattungen versucht. Das Beste gelang
ihm doch in seinen Liedern. Prutestantische Religiositât, Freundes-
treue. eine heitere, spielcnde Auffassung der Liebe. manger GenuB
und verstândige Frôhlichkeit bilden ihre Grundstimmung. Der I.ebens*
erfahrcne predigt überall reHgiosc Duldsamkeit. Von einer âuScrcn
Vt-rbindung des Christlichen und Wehiichen ist er doch noch nicht zu
dem neuen Inhah der kommendenPoésie fortgeschritten. Seine Stârke
tie~t in cinem Woh)!autder Verse, der auf ihrer Reinheit beruht. Eine
gieichma~igp tagesbcteuchtung ist über sie gebr<'itct. Es gibt in ihncn
kfinr damtnerndcn Hintergrundc.
Su entfaht'tc sich unscre lyrisc!~ Kunstdichtung. In ihr zuerst
.Va~ < 7''&w~ 49
sprachsich das LebensgefuMdieser neuen Menschenaus. Innerhalb der
dcutschen Religiositât vollzog sich eine Verschiebung der Werte. Die
Dogmentraten zurück, aber die reUgioseAuffassung von der Bedeutung
des Lebens gelangte um so freier zur Geltung. Diese emsten Menschen
lebtenin dem aus der Summe ihrer Erfahrung xusammengefaûtenBe-
wuBtseinvon der Unsicherheit und Vergângtichkeit des Lebens: da
trat in ihnen der Kern der .protestantischen Religiositât heraus,
das Vertrauen auf die Vorsehung und die Ruhe der gerechtfertigten
Secle. Hiermit verband sich nun aber ein anderes Moment das aus
der nieder!ândischen Stoa stammte. Es durchdrang die ganze nieder-
landische Literatur: der Geist fand in der Tiefe seiner selbst, in der
GewiSheitseiner rationalen Prinzipien seine Sicherheit. Fleming und
Gryphiussind die Trâger dieses neuen Gehaltes der Poesie. Die Ly-
rik des Angelus Silesius erfa&t in anderer Richtung den metaphysi-
schenGehalt des Lebens. Und auch weniger bedeutende Dichter errei.
cheneine neue, einheitliche, freie, freudige Stellung zu Weltund Leben.
F 1 e mi ng ist ein Genie der Lyrik. In dieser bedeutenden, kraft-
voUcnPersonHchkeitruft das Leben bestândig starke und mannigfache
Bewcgungen hervor, die einen Ausdruck in der Melodie der Verse
suchen.Er liebte die seiner Begabung verwandte Musik,und eine seiner
Oden feierte den grôBten Musiker seiner Zeit. Heinrich Schütz. Sein
Drang nach Erlebnis führte ihn in feme Lânder. Allen Seiten der Welt
war er offen. Er lebte rasch, beinahe ungestüm, und verzehrte sich
fruh. Die Stimmungen seiner Lieder sind nicht mehr nach Fachem ab-
~ctei!t, sondem eine einheMiche, gro6c Anschauung von der Bedeu-
tung des Lebens crfüllt und verbindet sic a!te. Er kündigt, wie Walther,
dcr Wett seinen Dienst:
\e!t, gute Nacht,mit allem(tcinemWeMn
Gehabdich'K'oh!'
Vonjetztan schwingich mich,
Fret,ledig,tf)!i,hochübermichunddich.
1)as Leben erscheint ihm flüchtiger als Wetterleuchten: a!tes ist
nichts, und der Mcnsch dcr Schcin dièses Kichts. Das allein Daucrnde
ist die E~uUung der Seele mit dem hochsten Gut: diese allein "macht
h"ch. macht reich". Dies t~cbcnsgefùht hat vielleicht in aller Poesie
keinentieferen Ausdruck gefunden als in seinem Gedicht auf den Tod
<mfs kurx nach der Geburt gestorbenen Kindcs:
!stsdcnnwicf!('r<)chcnver!or<'n?
War es doch kaum erst geboren.
Uas geliebteschone Kind.
Es war wiedas BtiimchenTausendschôn,das
Mit detn frühcn Ta}fentsteht,
Mit ihm wachet,
Di)t)tfy,Gf<.uBtMtt<')'c)thtt<'n!t!
50 J~tMt und soin 2'<'<&
Mit ihm schcinet,mit ihm tachet,
So auch mit ihm untergeht.
KleineTochter,sei nun selig,
Und ïeuch uns auch stets allmâhlich
Nach dir auf und himmelan.
DiesenKorb voll Anemonen,
Der der Frost stets soli verschonen,
Streuenwir auf deine Gruft.
Schlafcruhsamin dem Kiih!ea!
Um dich her soUewig spielen
Die gesundeMaienluft.
Sein stoisches LebensgefuMaber findet den hochsten Ausdruck in
dem Gedicht ,,An Sich", das so schon in der Aufschrift an das un.
sterbliche Werk M&rcAurels gemahnt. Mit einer gro6en dichterischen
Wendung wirft er hier alle Vergângtichkeitenhinter sich, und aus ihrem
Nebel erhebt sich der helle, kraftvolle Anfang:
Sei dcnaoch unvcrMgt,gib dennoch unverloren,
Weich keinemGtuekenicht, steh hoher als der Keid,
Vergnugcdich an dir, und acht es <arkein Leid,
Hat sich gleich widerdich Glück, Ort und Zeit verschworen.
Was dich betrübt und labt, ha!t alles für erkoren.
Kimm dein Verhângnisan, ta6 alles unbereut.
Tu, was getan muû sein, und eh man dits gebeut.
Was du noch hoSen kannst, das wird noch stets geboren.
Was ktagt, was tobt mandoch? Sein Unglückund sein Glücke
Ist ihm ein jeder selbst. Schau alle Sachen an,
Dies alles ist in dir. LaBdeinen eitlen Wahn,
Und eh du <3tdergehst,so geh in dich Miticke.
Wer sein selbst Mciiiterist und sich beherrschenkann.
Dem ist die weiteWelt und alles untertan.
Aus dieser Souverânitât der ihrer selbst sicheren Person stammt
sein groBer Stil. wie er am stârksten in der Grabschrift auf Gustav
Adolf und seiner eigenen auf dem Totenbett niedergeschriebenen
henortritt. Aus ihr stammt aber auch die Freiheit der Seele, mit der
er sich jedem starken Moment des weltlichen Daseins
freudig htngibt.
dem Vaterlande, der Natur, der Freundschaft, dem Ruhm und der
Liebe. Auch ihm, wie durchweg dem groCen Lyriker, ist Liebe der
Mitteipunkt der Dichtung. Und auch hier sind es reale Erlebnisse.
die er darstellt; gesunde sinnliche Kraft verbindet sich in ihnen mit
dem Adel und der Treue der Gesinnung. Das ist
überhaupt die Form
seiner Lyrik: sic bat mit der von Gryphius, von Paul Gerhardt und
auch geringeren Dichtem dieser Zeit
gemeinsam, da6 sie die Dinge
ganz wahrhaftig, reaHstischzum Ausdruck bringt. Sie hebt nicht, wie
unsere ktassische Dichtung von Hagedorn und Uz bis zu Goethe und
Schiller, nur Momente von getâutertem Gefuhtscharakter aus dem
J~ ~~A*I
Lebenheraus. Auch das, was uns prosaisch erscheint, Iâ6t sie zu. Darin
liegt etwas uns F rerndes. Und jedes Gedicht ist vorwarts drangende
Bewegung. Es schreitet voran in kurzen, gedrungenen, oft atemlosen
Sâtzen, und jedes ist von Mélodie der Sprache erfüllt. Fleming be-
herrschtaUe Formen vom Ton des Volksliedesbis zum lyrischen Kunst-
stil der Renaissance. Seine Sonette sind bis auf Bürger nicht wieder
erreichtworden.
Dieselbe Weltanschauung kommt in der Lyrik von Gryphius zum
Ausdruck. Aber noch tiefer fallen die Schatten des gro6en Kriegcs,
Verwùstungen,Volkskrankheiten, Mangel an nationalem Interesse fur
die Dichtung, auf sein Leben, und die Fârbung seiner Stimmung ist
noch düsterer. Noch umfassender, zusammengenommener,mâchtiger
ist seine Personlichkeit. Ihr lyrischer Ausdruck ist gedrungene, er*
habeneKraft, erhôht durch den Glanz der Bilder, dem Barockstil ver-
gleichbar. Seine neue Form bat eine eigene Gcschlossenheit,weshalb
das Sonett ihm am meisten gcmâ6 ist. Aber selten tritt ein natürlich
bewegter Ablauf des Gefühls in diesen Gedichten hervor: es scheint
stilizustehen. Auch den mannigfaltigen Eindrücken des Lebens gibt
er sich nicht nie Fleming hin, und seinen Versen fehlt der musika-
lischeFluR.
In einem Sonett ruft er die Sterne an: manche schône Nacht habe
er in ihrer Betrachtung gewacht:
HcroMendieser?.eit,wannwitdes dochgeschehen,
DaBich euch.
VonandemSorgenfrei. werduntermir besehen?
Die vier Gedichte, in denen er die Stimmung von Morgen, Mittag,
Abend, Mittemaeht darstellt, reichen an die hochsten Regionen der
Poesie. Morgent Die Sterne verdunkeln sich, die Morgenrôte entsteht
amgrauenHimmeî.DersanfteWinderwacht.DieVogetgruBcndenneupn
TaR: 0 dreimalhôchsteMncht!
Erteuchteden,der sich itzt heugtvnr deinenFtifien
Vertreibdie dickeNacht,die meineSeelumgibt.
Mittag Die Sonne steht in des Himmels Mitte, von ihren Flammen-
pfeilenwelken dieBlumen. und das Fetd verdorrt. Die\'oge! schweigen,
Lichtherrscht überall, wo wir immer weilen. Wie ist hier die Stunde
geschildert,in der die unerbittliche Macht des Lichtes die Welt sti!
stehen. jeden Klang verstummen, jede Bewegung enden ïâBt. Abend1
!)er scbnelle Ta~ ist hin; die Nacht schwingtihre Fahn
Und führt die Sternen auf. Der MenschenmüdeScharen
Verta~senFetd und Werk: wo Tier und V8ge!waren
Traurt itzt die Einsamkeit. Wie ist die Zeit vertan!
Gleichwie dies Licht verfiel,so wrd in wenigJahren
Ich, du, und was man hat und was man sieht, binfahren
4'
5~ M~ und.¥.n_
w'w ~o n..
Nacht! Einsamkcit. Schweigen: nur die rastlosen Leidenschaften
wachen: SterhUchet
Stethtiche!
lasseldies Dichten!
Morgen,achmorgen,ach muBmanhinziehn!
Achwirverschwinden gleichah dieGespenstc,
Dieum die Stunduns erscheinen undfiiehc.
Eine andere Wendung nahm die Lyrik, welche auf dem neuen
Gefühl von der Bedeutting des Lebens beruhtc, inAngetusSile.
s i us. Nicht in der Seibstândigkeit der Person findet er den festcn
Punkt im Leben, sondem eben in der Aufhebung des Selbst, dem
Schweigen des Verlangens,dem Ende desLeidens. der Ruhe in Gott, in
dem keine Zeit, kein Wollen, kein Wisscn ist, und der zugleich in
jedem Teil der Welt und in jedem Selbst gegenwârtig ist.
Leichtere Formen des neuen ï.ebensgcfuhts kommen in verschie-
denen poetischen Schulen Dcutschlands zum Ausdruck, vietfach mit
der verwandten, aber weit vorangeschrittenenMusikverbundcn. In dem
Kônigsberger Kreise ragt die lyrische Begabung Simon Dach's her-
vor. !n ihm verbindet sich die Kunstpoesie von Opitz mit einem scMich'
ten, volkstümlichen, innigen Element. Musik und Lyrik druchdringen
sich hier vollstandig. Auf dem Grunde aller Heiterkeit ruht doch auch
bei ihm wie bei Fleming, dem er am nâchsten steht, eine ticfc Schwer-
WieeinSchMmaufwilderHut,
DiedieWinderheben,
Wieder Rauchvoneiner<ttut.
So vergehtmeinLeben.
Die Xurnberger S<-hu!esch!ieût sich an die buko!is<-hePoesie
der Italiener an. In diesem uns so !âcher!ichenund unverstândlichen
deutschen Schâferwesen offenbart sich doch wieder nur die Sehnsucht
einer wilden Zeit nach einer entschwundenenVollkommenheitdes Da-
seins. Ein starkes NaturgctuMfindet hier neueFormen des
sprachlicben
Ausdru(ks, und eine wenn auch oft spielerische Mann!gfa!tigkcit im
strophischcn Aufbau und in der Verschtingung der Verse wird ent-
wickelt. Ha mb u r gblühte tnitten in dcn Sturmendes groBen Krieges,
infolge seiner neutralen Stellung, empor, und so erwuchs hier ein selb-
standiges geistiges Lcben. Neben Gelehrten wie Joachim Jungius,
Schriftslellern wie Balthasar Schupp, und einer Rcihe von tuchtigen
Musikem ersrheinen Philipp von Zesen und in der Nachbarschaft
Johann Ri s t. Der Wille zu lyrischer GrôGc ist mâchtigcr in ihnen a!s
die vorhandene Seelentiefc. So entsteht cin künstlich gesteigerter Af.
fekt, gt'hauftc Hilderund starke Worte. Das ÂuËcrstein dieser Hinsicht
erreichen dann die Dichter der xweiten sch!esisrhen Schute in I!of-
mannswatdau und I.ohcnstein. Sie bilden in Deutschland den
Hohepunkt jenes poetischen Stils, der dem Barock in den bi)denden
/? ~7' /?~ A~W<WM<!M 53
Kunsten verwandt ist, und der, von den Kritikern mit verschiedenen
Namen bezeichnet, in der ganzen europâischen Literatur sich geltend
macht. Dieser Stil prunkt in der schlesischen Schute 'n seltsamen
schweren Wortzusammensetzungen,gehâuften auffaHigen Adjektiven,
mit Purpur, Perlen und Gold, und er schwelgt in den starken Rcizen
der verführerischen Sinn!ichkeit und des Schreckens.
Von den sechziger Jahren des sicbzehnten Jahrhunderts ab ândert
sich der Charakter der deutschen Lyrik. Eine Reaktion gegcn den
Barockstil macht sich geltend. Der franxôsisrhc Stit. wie ihn dann
Boileauin seiner Poetik forrnulierte, gcwinnt EinftuG. Damais begann
ChristianWei se in dem gelehrtcn, grc&stadtischcnLeipzig seine ï~auf-
bahn. Seine Lyrik spricht cin heiteres LebensgcfuM,ein mâBigcs, ver-
stândiges Verhalten zum Leben wie zum Tode aus, in einem einfachcn
undklaren Stil. Cberall vollzieht sich nun diese Wendung vom Barock-
stil zum franzôsischen Klassizismus. !n dcm Berlin des ersten Kônigs
von PreuBen, diesem neuen Mittelpunkt von Wisscnschaft, Philosophie
und bildender Kunst, vcrtretcn in der I.yrik Canitz, Besser r und
Ncukirch die neue Mode: die Literaturgeschichte hat ihre Natnen
gerettet.
4.
Die beiden groBen Formen der Pocsie dieser hundert Jahre waren
der Roman und das Drama. Denn die Zeit des Epos war in Deutsch-
land vorüber, und keine Renaissancepoetik vermochte es wieder zu er-
wecken.
Von den prosaischen Umbildungen der ritterlichen Dichtung wie
den Amadisromanen, wandte sich das siebzehnte Jahrhundert zu
Sfhopfungen. in denen die Phantasie seibstandig wirkte. Neben ein-
ander erscheinen der hôfische Kunstroman und ein volkstümlicher
Sittenroman. ïn der aristokratischen Gesellschaft Frankreichs mischte
sic!)der Antcil an der groBcn Politik und Kricgführung mit dem an
den Festen und Kabalen des Hoflebens. Memoirenund GescHschafts-
und Sittenromane lagen auf dem Tische jedes hofischen Mannes und
jcder galanten Dame. Sie waren das Vorbild für den Kunstroman in
Deutschland. Dieser beherrschte unsere erxaMcnde Dichtung in der
zweitenHâ!ftedes siebzehntenJahrhunderts. Zesens ..Adriatische Rosa-
mund," ..Herkules und Valiska" von Buchhohx. die ..Aramena" und
die ,,Rômische Oktavia" des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig,
die Folianten des ,Arminius" von Lohenstein und Zieglers ,,Asiatische
Banise" waren die gefeierten Hauptwerke. Unter dem Gewande histo-
rischer ErzâMungen aus der germanischen Urzeit oder aus dem Hof-
lehen der romischcn Câsaren blicken überall die Ereignisse und Intri-
guen des Tages hervor, wie das ratsethafte Schicksal der Prinzessin
54 Zet~MS
u und sein &<W<~
von Celle. DieseVermischungvon Gcgcnwart und Vergangenheit, von
Historie und Dichtung, wc!chc die Geschichte ebenso verdirbt wie die
Poesie, entspricht nun einmal den Neigungen des Publikums, und die
historischen RomanMianten jener Tage im Barockstil haben gleich
begeisterte Leser gefunden wie die vielbândigen geschichtlichen Ro-
mane einer nochnicht lange Mnter uns liegenden Zeit. Ihrc Bedeutung
darf doch nicht unterschâtzt werden. Sie entwickelten die Phantasie
durch se!bstândige Erfindung. In ihncn bildete sich die erzâhlende
Dichtung aus. Sie lehrten in Verwicklungund Auftôsung die ErzaMung
mit Spannung erfüllen. Sie verknüpften getrennte Gruppen in einer
zusammenhângendenHandlung. So sind sic ein wichtiges Zwischen-
glied zwischen Fischart und Wieland geworden.
Dieser Kunstromanist rettungslos versunken. Bis auf unsere Tage
dagegen lebt der Simplizissimus von Grimmelshausen. Er ist
der erste deutsche Sittenroman. In ihm setzt sich die votkstumiiche
ErzâMungskunstfort, die in Hans Sachs und Fischart geblüht hatte. !n
demselben Erdreich wurzelten Lauremberg, Moscheroschund Schupp.
Alle diese SchriftsteUerhlicken wahrhaftig, mit realistischem Auge in
die Welt. Ein freies menschliches Behagen erfüllt sie. In nationaler
Gesinnung streben sie nach einer Wirkung auf das Leben ihres Volkes.
Lehrhaftigkeit ist so ihr Grundton. Ihr starkcr, oft greller Wirklich-
keitsstil ist durch Spott, Humor und unverwustlichen Glauben an ihr
Volk in Harmonie erhoben. Die Sprache wird reiner, das GefuMfûr
Kompositionempfindlicher.Aber erst der Simplizissimushat auf diesen
Grundlagen die neue Form des Sittenromans geschaffen, und bis auf
Wieland hat er keinen ebenburtigen Nachfolger gefunden. Auch hier
wirkteals Vorbilddie spanische ErzâMungskunst,welcheden Schelmen.
und Abenteurerromanhervorgebracht hatte. Wie dieser, so zerfâlltauch
seine deutsche Nachahniung in einzelne Abenteuet. So erscheint die
Welt als ein Tummc!p!atzdes Zufalls. Der Dichter blickt heiter, ja
voll innerer Schelmereiauf das Spitzbubenwesen um ihn her, unter
den hohen Personenwie unter den Vagabunden. Aber in diese Stim-
mung mischt sich tiefer. rengios-moratischer deutscher Ernst. Unser
Dichter hat wie andere Sohne des groCen Krieges teilgenommen an
den furchtbaren Erlebnissen, in denen alle Schicksale des Einzëhten
von denen der Nationbedingt waren. Und darin steht er nun einxigda
in der deutschen Literatur des siebzehnten Jahrhunderts, daB er selber
Soldat gewesen war.daB er al e s durchgenossen und durchgelitten hat,
was er schrieb. Sein ErzaMergenie hat das wahrste und stârkste Ge-
mâïde von diesemwilden Sôtdnerwesen gegeben, von seiner Rohheit
und Sittenlosigkeit, scinen heftigen Genüssen im tâgtichen Kampf um
das Dasein, seiner inneren Leere und Verzweiflung, von den unbe-
Z~ .SyM~MMMMM 55
schreiblichen Leiden der Bevôlkerung und von der Sehnsucht dieser
Menschennach Frieden und Wehfemc. Aus solchen Erlebnissen er-
wuchsihm eine eigene Anschauung von der Bedeutsamkeitdes Lebens,
und hierin uberragt er weit seine fremden Vorbilder. Vom Zufall j;e-
wiegt,ein Spielball des Giuckes, Schlimmes und Gutes tuend, das kaum
Erreichte immer wieder verlierend und vergeudend, und immer wieder
bereit zu neuem Handeln und Leiden, entwickelt sich sein Held doch
gerade auf diesem Wege aus der Jugenddumpfheit des reinen Toren,
wie das schon sein Name ausdTucttt,zu einer Weltanschauun~ die ihm
schlieBlicheine eigene StelIung zwischen WeltgenuB und Weltentsa-
gung gibt. Vielleicht ist diese Verbindung von derber Weltlust eines
unbândigenGeschlechts, und gramvoller Sehnsuchtnach Frieden, Stille
und Weltabgeschiedenheit in dem Romanhelden doch der wahrste Aus-
druck der Seelenverfassung dieser Zeit. Und der Dichter verhâlt sich
selbst wie sein Held. Er tâ6t uns den problematischen Charakter der
Welt miterleben. Aber auch ihm tost sich offenbar der Gegensatz
zwischender christlichen Religiositât und dem neuen weltlichen Be-
wuBtseinnicht so in eineEînheit auf wie einemGryphiusoder inanderer
Art einem Angelus Silesius. Sein Herz ist geteilt zwischen dem Welt-
kind und dem Einsiedler. Seine Erfindung schwankt zwischen tiefen
Einblickenin den Lebensgang eines deutschen Menschen,die zuweilen
an den Parzival gemahnen, zwischender deutschestenPoesie des Wald-
friedens, dent volksma6igcn l.iede des Einsiedlers: ,Komm Trost der
Nacht, o Nachtigall", und einem Chaos von wüster Sinnlichkeit und
Rohheit. Und in seiner Form zerstôrt er die feste Linie einer Entwick-
lung immer wieder durch den Leichtsinn. mit dem er sich jedem
Einfan seiner üppigen Phantasie uber!âBt, durch den Zug zum Selt-
samen, Bunten, Ungestalten, Barocken, den er mit seinem Zeitalter
teilt. So ist dieser Roman das dauemde dichterische Denkmal der
wilden, verworrenen Zeit, aus der unser Volk sich hat emporarbeiten
müssen.
ErzaMende Dichtung irn Stit des Simplizissimusging nun neben
dem hôfischen Roman weiter. Grimmelshausen hatte seinen Helden
sch!ie6!ichauf abenteuerHche Reisen geschickt. Er landet auf einer
paradiesischenInsel und richtet sich da ein ein erster deutscher Ro*
binson.Reiseromane und Robinsonaden waren fortan im Schwange. Sie
riefen dann die Parodie der ganzen Gattung hervor, die Reisen des
tapferen Sche!muffsky, der hinter dem Ofen ein Lûgengewebe
seiner Abenteuer in fremden Landen erfindet. ein Genie des Lügens,
nur dem Munchhausen zu vergleichen. Die satirischen Romane des
trefflichenSchulmannes Christian Weise lehren eine dunne Moral der
Lebensklugheit.Indessen findet man in seinen "drei ârgsten Erznarren"
und M/W~<0t/~
MAWM'
heitere Laune, gesunde Erfindung und naturtichc, flüssige Sprache.
Hier trcten schon die Etcmente einer Fonsetzung des Abenteuer- und
Reiseromanszu Tage, die auf LandstraËcn, m Postkutschenund Gast-
hofen settsame Menschenaller Klassen zusammenführt. Die Pickwic-
kier von Dickens sind ihrc hôchstc I.cistung.
5.
Das Dramaubcmahm in der europaischcn Literatur des sechzehnten
und siebzehnten Jahrhunderts die Erbschaft des Epos, indem es den
Zusammenhang von Charakter, Handtung und Schicksal, das groBe
Ràtse! des menschlichen Lebens, gedrangter, bewuGter und tiefer zur
Darstellung brachte. Es beglcitete die Zcit der nationalen GrôBc und
der darauf gegrundcten Hohe des gescHschafthchen Daseins :n En~-
land, in Spanien, dann in den Niederlanden und schtiedich in Frank-
reich. Es war in jedem dieser Lânder der hôchste Au!<druckder natio-
nalen Kultur. Wie bezeiclinendist es nun, daf3 die beidcn Nationen,
die kein einheitliclies, fortschreitendcs Staatswesen, kelnc das Lcbcn
der Nation zusammenfasscndeHauptstadt besa~cn, die Italiener und
die Deutschen. auch die Kunstform des groBen Dramas damais nicht
zu dauemd guttigen Schopfungen entwirke!t habcn. Die ganze Kraft
der in Zeit, Handlung, Klang und Wort wirkendcnKunst konzentrierte
sirh in beiden Lândern auf das musikaHscheDrama, die Oper.
Die glücklichen Anfangc eines vo!kstumtichenDramas bei uns im
sechszehnten Jahrhundert muBten verkûmmern. nachdem unsere na-
tionale Bewegung, die Reformation, sich zersplittert und verengt batte.
Jhr Rest, eine verwilderte Posse, mischte sich in der ersten Hâlfte des
siebzehnten Jahrhunderts mit den Anfângen dramatischer Kunstdich-
tung bei Johann Klai und Rist. Dichtungen zu Cctcgenheiten, Alle-
gorien. klassische und geistliche Spiele wurden an Hôfen, in Schulen
und Kir('hen dargestellt oder führten nur cin papiernes Dasein. Dazu
trat nun das historischcDrama. Es war getragen von dcm wachsenden
politischen und historischen BewuBtsein. Die Ereignisse und Zustândc
der Gegenwart, eine Ftut von Aktenpubiikationen, Manifcsten, Re!a-
tionen, Memoiren, Biographien und Chroniken, die Anfangc des Zei-
tungswescns, die Werke einer bedeutenden Gcschichtschreibung lie-
ferten Stoff in Hüllc und Fülle. Aber keine veredelte Sprache, kcin
ausgebildeter Stil stand zur Verfugung. Kein Theater gewahrte dem
dichterischenSrhaffen Spieiraum und Richtung auf die mimischeKraft
der sichtbaren Handlung gegenüber der Macht des Wortes. Keiner
eigenen lebendigen Tradition, sondern nur den fremden Litcraturen
konnten die N'orbildercntnotnmcn werden. Und kein Atem nationaler
GroBe beseelte diese Dramen und gab ihren Helden Bewegung. So
~<MT~tMM. Gj~M 57
iesungen gehalten, unter ihnen eine über das Verhattntsder neuen Phi-
losophie xur hergebrachten peripatetischen: diese neue Philosophie
war die niededândische Renaissance der rômischen Stoa. So erwirbt
er sich hier cine ncue Auffassung vom Sinn der Welt und des Le-
bens, we!chedie moralischeMacht der Person zum Mittelpunktmacht.
Er entdeckt eine neue Anthropologie, cine innere Geschichtedes Men-
schen, von der Macht der Affekte, durch das BewuBtseinder Vergâng-
lichkeit jeder Befriedigung der Leidenschaften, zum hochstenGut, zur
Unerschiitterlichkeitdes phi!osophisch fundamentierten Charakters,der
noch im Tode Herr ist über das Schicksal. Er grûndet hierauf eine
Tragodie, welche aus der Schuld, dem Verhangnis, dem Leiden die
gereinigte und gefestigte Seele siegreich hervorgehen lâ6t, und er be-
mâchtigt sich aller Mittel des neuen Kunststils, der solche Kraft durch
âuBerste Starke des Ausdrucks, durch die Gedrungenheit der Sprache
und den Reichtum metrischer Formen zum BewuBtseinbringt. Und et
teilt auch die Schwâchender Niederlânder, die aus der Herrschaftdes
gelehrten philosophischen und historischen Geistes entspringen: die
Beeintrâchtigung des schlanken Ganges der Handlung durch lyrische,
didaktischc und rhetorischc Elemeiite, das Obergewicht des Wortes
über die eigentlich dramatischen Mittel von Miene.Gebârdeund Hand-
lung.
Die Dichtung von Gryphius umfa6t alle groËen Formen, Lyrik,
Epigramm. Satire, geistliche Poesie, eine epische Darstellung des
Leidens Christi, Tragodien und Lustspie!e. Ihren Mitte!punktbildet
doch das Drama. Die Tragodie war das Gefâ6, in das er die ganze
Schwere seiner mâchtigen germanischen Persënlichkeit. den düstem
Ertrag seiner Lebenssch)cksa!e,die Metanchotie seines Wesensîegen
konnte. Er crfa6te das allgemeine retigiose Element, in welchemChri-
stentum und Stoa sich begegnetcn. Der unaufhattsame F!uB der Zeit,
der alles Leben mit sich fortreiBt. die VergângHchkeit unseresDaseins
ist das furchtbare Gesetz. unter dem wir stehen:
Wo jetzt Pa!aste stehn,
Wirdkünftignichtsals Grasund Wiesesein.
Aufder cin Sfhaferskind
wirdnachder Herdegehn.
Das Leben. das in der Zeit eilig dem Untergang entgegenrennt, ist
von Natur dem wechseindenSchicksal, der Leidenschaft und dem Lei-
den anheimgegeben. Hier ist der Ursprung des Tragischen in der Welt.
Und indem nun der Mensch diesen MSchten gegenüber sich in
der unerschutter!ichenKraft seines Wesens behauptet, fordert die Dar-
stellung davon eine cigenc Form der Tmgôdie. Sie war in der spani-
schen Mârtyrertragodie vorgcbi!dct. und die Niederlander und Gry-
phius stehen dieser Gattung zuweilen nahe. In Gryphius' Mârtyrertra-
59
Das P~MM C~/A/Mf
der Chor vom "Gottverlobten
godie ,,Katharina von Georgien" sagt
Geist": ,,Er hat sein Reich in sich", "sitzt auf unbewegtem Throne,
tt
wenn aller Prinzen Stuhl in grauen Stauh geschmissen."
Es wird durch dies, was Menschen schrecket,
Sein tmven'agter Mut entdecket.
So entsteht ein Ideal des Dramas, welches als der Ausdruck einer
bcstimmten tragischen Weltanschauung durchaus berechtigt ist. Tra-
godien. in denen das Leiden den Menschenreinigt und vcrMâlt, gehen
durch die ganze dramatische Litcratur. Aber sie beruhen bei Gryphius,
wie schon in der nieder~ândîschenLiteratur. auf der romisch-stoischen
wer-
Auffassung des Menschen. Diese Tra~ïe darf nicht gemessen
den an der Shakespeares, in welcher die Beziehungcmer herrschenden
ï.etdenschaft M der Handlung und dieser Handlung zum Untergang
regiert. Ebensowenig an dcm ganz anders gearteten griechischen
Drama. Wir mûssen auch hier lernen, aus dem Ertebnîsgehalt die Not.
Auf*
wendigkeit und das Recht verschiedener Formen des tragischen
baus zn verstehen. Die Form des Dramas von Gryphius wird so in
ihren wesentlichen Zûgen verstandtich. Doch machen sich auch an-
dere historische Momente in ihr geltend. Sie geht auf Seneca zurück,
in welchem sich die Kaiscrzcit mit ihren damonischen ~Tenschenund
gehâuften Greueln, mit dem rhetorischen Charakter ihrer Literatur, am
dpattichsten abspiegelt. Sie steht wie die ganze Zeit unter der Herr-
schaft einer Menschenkunde und Poetik, welche die Darstellung des
Affektes in die Mitte des Dramas stellen. Sie hat in dem Niederlâtider
Joost van den Vondel ihr nachstes Vorbild. Die âu6erste Steigerung
des Ausdrucks von Kraft und affcktivem Verhalten, das CbermaB in
der Handlung und das Crber!aute im Wort, diese Kennzeichen des
poctischen Barockstils gelten auch für Gryphius. Wie er nun aber in-
haltlich über alles Vergangene hinausgeht. indem er jeden tragischen
Stoff mit seiner Lebensauffassung ganz durchdringt. erhaîten altère
Kunstmittel im Dienste dieser Absicht einen neuen Sinn. Der Chor.
die allegorischen Personen. die historischen. die wiedererscheinen und
wamen. trôsten, voraussagen, Furien. Gespenster: sie mischen sich wie
seibstverstândiichunter die wirMichenPersonen und erheben die Hand-
lung in einen hoheren ideellen Zusammenhang.
6d /~M und ~W ~7<
das der Stetigkeit, in dem Zweckwillen des weisen und gütigen Gottcs
das
gegründet. In diesem Zusammenhang hat Leibniz auch schon
dann
Prinzip der kleinsten Wirkung gelegentlich entwickelt, welches
Maupertuismit so groûem Gerâusch verkündigt hat. Und welche Ver-
anderungen auch die Begriffe von Leibniz sonst in seiner Schule er-
fuhren der Gott, der in einzelnen Willenshandlungen in Welt und
Menschenleben eingreift, verschwand von jetzt ab aus dem Denken
aller wissenschaftlich geschulten Kôpfe. Er wurde ersetzt durch die
Wcisheit, die im Zusammenhang des Universums nach Gesetzenwirkt.
Diese neue Weltansehauung vollendet sich in cinem Gedanken, der
eine vôtiig verânderte Stellung des Menschen zum Universumund sei.
ner gôttlichen Ursache ausdrückt. Derselbe vemeint die furchtbare
Lehre, nach welcher der Mensch der Zweck der Schôpfung ist und
au5er ihm alles Mittel für ihn. Jeder Teil dieses unermel3lichen
Ganzen trâgt in sich selbst seinen Zweck. Dasein ist Kraft, es folgt
dem Gesetz der Entwicklung, das ihm innewohnt, und in dem Fort.
schreiten selber liegt das GMck jedes lebenden Wescns. Die Gegen-
wart ist nicht da für die Zukunft, ein Wesen lebt nicht um des andern
willen. In jedem Dasein ist eine Môglichkeit enthalten. zum Genusse
seines Eigenwertes zu gelangen. So besteht die VoHkommenheitder
Welt darin, daB alle Arten von Einzeldasein und allé Grade und Stu-
fen von Wert und Glück in ihr verwirklicht sind, welchein irgendeiner
Wett uberhaupt môgtich sind. Die Welt ist da, weil die denkbar grôBte
Fulle und Mannigfaltigkeit von Leben da sein soll.
Aus zwei geschichtlichen Momenten batte sich seit 'Jer Renais-
sance diese Weltanschauung entwickelt.
Kunst und Dichtung erhoben die Schônheit des Wirklichen zum
BewuBtsein. Wer fühlte nicht in den Bildern der Früh-Renaissance
die neuc Uebe für jedes einzelne Dasein, für Blumen und Baume,
Gârten und Landschaften, für das Leben des Lichtes. den 7.auber des
Frühlings und den Duft der Feme? Und inniger noch vertiefte sich
die deutsche Kunst in die âsthetischen Werte jeder Art von Einzel-
dasein. Diese Stimmung war nicht in dem âsthetischen Verhalten als
~o~chcmgegründet: das materischeGefûM weitete sich in neucSpharcn
des Darstellbaren.
In derselben Richtung wirkte die Veranderung des Weltbildes
durch die w issenschaftlicheErkenntnis. Schon Bruno hatte aus Koper-
nikus abgeleitet, daB au6er unserem Sonnensv~temunzâhtige Wettt'n
im unerme8lichen Ather verteilt seien. Das Teleskop hatte das Phâ-
nomcn der MitchstraGc in das vereinigte Lirht von zahHoscnStcrnen
aufge!ôst. Und im Zeitatter von Leibniz entdeckte das Mikroskop die
unermeCnchkleinen Lebewesen, die in eincm für unser Auge gcring-
64 ZM~ù'M~<t/~
wichtige logische und metaphysische Sâtze. Doch kamen von hier auch
die barocken theologischen Entstellungen und
Verkleidungen seiner
Ideen. Die so modifizierteRenaissancehat er nun durch die
Verbindung
mit der neuen europâischen Naturwissenschaftund
Philosophie zu einer
hôheren Stufe erhoben.
Zunachst ergreift auch er das methodische Problem und gibt ihm
eine bedeutsame Wendung. Er enveitcrt die
aristotelisch-syllogistische
Logik, indem er die weiterreichenden mathematischen Verfahrungs-
weisen, die zunachst auf GroSenbeziehungen eingeschrânkt sind, ver-
allgemeinert und nun in die Logik einbezieht. So entstehen Grundlinien
einer Logik, welche alle allgemeinen
Denkbeziehungen umfaBt und
ihnen die der Zahl und des Raumes unterordnet. Es war der
wichtigste
Schritt, den seit Aristoteles die Logik getan hat. Die Kategorie der
Beziehung erhielt jetzt erst ihre für die moderne Theorie bedeutsame
Stellung. Eine erste Grenze machte sich doch hier schon darin geltend,
daB Leibniz die Enge der aristotelischen
Syllogistik nicht ganz xu
ùbencinden vermochte. Auf dem Boden dieser allgemeinen
Logik steht
dann seine Kombinationslehre. Sie gibt das Verfahren an, die alte Auf.
gabe der Syllogistik votikommener aufzu!6sen. In der von Tartaglia,
Cardano, Pascal ausgebildeten Kombinationsrechnung findet er den ma~
thematischen Typus für ein Verfahren, nach allgemeinen
Regeln für die
Verbindung einfacher Begriffe die überhaupt môgtichpn Begriffsver-
knüpfungen vollstândig abzuleiten. So schien in dieser Kombinations-
kunst die Méthodeder Erfindung erreicht zu sein, die Raimundus Lui.
lus und Bruno vergebens gesucht hatten. Im
Zusammenhang hiermit
faBte er den Plan einer allgemeinen
Zeichensprache <<-A~ac~M//<
~<p~M~).Charakterc" nennt Leibniz "gewisse Dinge, durch welche
die gegenseitigen Beziehungenandcrer Dinge
ausgcdruckt werden. und
dercn Bphand!ung leichter ist als die der letztercn." Hier
Mcgtcinc
weitere logische Verallgemeinerung des in dcr Mathcmatik Geleisteten
vor: die ihres Zcichensystems. Sind die einfachen
Begriffe gefundcn
und in cigenen Charaktercnausgedruckt, so kann vermittels der Zeichen
für'die Verknüpfungsartender
Zusammenhang der Begriffe dargestellt
werden. In dieser Universalsprache entsprâche dann die
Verbindung
der Zeichen genau den gegenstândlichen
Beziehungen. Sic würde der
Unbestimmtheit und WU!kur in der philosophischen
Tenninologie ein
Ende machcn, und sie ware wie die
Zeichensprache der Mathematik
a!!cn Nationen genteinsam. Von keinem Denker dieser Zcit ist deren
Idéal, die Wissenschaftnach dem Typus der Mathematik fortzubilden,
so genial durchgeführt wic von Leibniz. Kombinatorik.
Charakteristik,
attgempine Wissenschaft,universale Mathematik, logischer Katku!
in ~en dicsen Ptânen sucht er
Verwertung der ]\tathematik für die al!.
? z~oMf~ /M~. ~<f/A< _0.. __y
gemeineLogik und aus dieser wieder rückwàrtsfruchtbare Folgerungen
für die Mathematik. Er gelangte nicht an sein Ziel. Schon die erste
Aufgabe einer solchen Methode ist undurchführbar, die Grundbegriffe
des wissenschaftlichen Denkens in einer begrenzten, âuberlich aufzaM-
baren Anzahl hinzustellen und allgemeingültig zu dcfinieren. Seine
Ideenwirken fort in dcr modernen mathematischenLogik und in den
Bemuhungen um eine Universaisprache: cr selbst fand hier nirgend
einen Abschlu6, und schon darum konnte er zu einer systematischen
Darstellung seiner Philosophie nicht gelangen.
Hier blicken wir zugleich in die Werkstatt seiner mathematischen
Leistungen. Immer ist er damit beschâftigt, die Arten von Beziehungen
innerhalb der verschiedenen Klassen der Gegenstânde, von der Gleich-
heitund Verschiedenhcit, dem Ganzen und dem Teil bis zur Funktion,
zu ordnen und zu bezeichnen. ,,In allen unfehlbaren Wissenschaften,
wennsic genau bewiescn werdcn, sind gleichsam hohere logische For-
men einverleibt, so teils aus den Aristotelischen ilieGen. teils noch
etwasanders zu Hu!f nehmen." Diese Vernunftkunst hoffte er unver-
gleichlich hoher zu bringen. Von dcr Kombinatorik aus verfolgte er
die Wahrscheinlichkeitsrechnung, und er iaBte den Plan, durch diese
in dem Gebiet der Wahrheiten, dcnen Notwendigkeit und Allgemein-
gititigkeit nicht zugesprochen werden kônnen, eine Abschâtzung des
Grades der Wahrscheinlichkeit zu erreichen. !n andem Teilen seiner
mathematischenArbeit erwies sich die Tendenz seiner allgemeinen Cha-
rakteristik wirksam. Das groBtc Reispiel dieses Zusammenhanges zwi-
schenseinem philosophischen und seincm mathematischenDenken war
sein Anteil an der Erfindung der Differential- und Integralrechnung.
DieGeschichte der Wissenschaften kennt keinen hâ61icherenPriontâts-
streit als den zwischen Newton und Leibniz über diese einituBreichste
Leistung der modernen Mathpmatik. Er ist von den beiden groScn
Mannernnicht so geführt worden, wie man wunschen mochte. Und er
hat tiefe Schatten auf Leibniz' Lebcnsabcnd geworfen. Heute sind die
besten Kenner diescr Frage und der in Hannover liegenden Leibniz-
Handschriften zu dem Ergebnis gelangt, daB Leibniz seine Erfindung
in allem Wesentlichen seibstandig neben Newton gemacht hat. Und
zwargninden sic diese Ansicht eben auf den eigenen Weg. der Leibniz
von seinen allgemeinen Ideen aus zu der ncuen Rechnung führte, und
auf die cigenc Form, in der sie bei ihm auftrat. Leibniz setbst hat den
Zusammenhang seiner Erfindung mit der Tendenz, seine Zeichen-
sprache auszubi!dcn. hervorgchoben, und Gerhardt und Cantor haben
nachgewiesen. welche Bedeutung nach der damaligen Lage der In-
finitesimalbetrachtungen die Ermittehmg einer zweckmaBigenBezeich-
nung hatte. Und ohne Zweifel lag, wieder im Gegensatz zu Newton,
72 7-t M~ rein ~<A)'0'
in Leibniz' Ringen mit den logischen und metaphysischcn ProMcmen
ein zweites wichtigesMoment, das ihm bei dicser mathematischenTat
zu Hitfc kam: man denke nur an seine Ausbildung des Funktionsbe*
griffes, an sein Prinzip der Kontinuitât, nach welchemsich in der Natur
alles in unmerklichen Obergângen vollzieht, so daB Ruhe nur ein Fall
der Bewegung ist, und an seine Auffassung des unendlich Kleinen. Die
Erfindung der ïnfinitesima!rcchnungbildet Leibniz' hochsten Ruhmes.
titel innerhalb der exakten Wissenschaftcn. Die Mathematik erlangte
dàdurch die Moglichkcit.die Bewegung der Rechnung zu unterwerfcn,
und Reduktion auf Bewegung ist für den Menschen das Mittel, das
Geschehen in der Natur zu hegreifen und zu bcherrschen.
Leibnizbestimmtnun den rationalen Charakter des Weltzusammen-
hanges naher. Er übernimmt die übliche Unterscheidung der Wahr.
heiten in solche von aUgemein notwendigem und solche von tatsâchH-
chem Charakter. Die Evidenz der cincn liegt in der UnmogMchkeit
ihres Gegentcils, und daher beruhen sie auf dem Satz des Widfr*
spruchs: so beschreibensie denUmfang dcsMôglichen. C'berWirHtch-
keit aber unterrichtet uns nur die andere Klasse von Wahrheiten. Wct-
ches ist nun das Prinzip,auf dem diese bcruhen? Hier entdeckt Leibniz
cine Luckc der Logik, und er stellt neben das Prinzip des Widerspruchs
das des zureichendenCrundes. Jedc tatsâcMicheWahrheit muB logisch
ihren zureichendenGrund und, was in diesem objektivistischenSystem
damit zitsammenfaUt.real ihre Ursache im Zusammenhang der Dinge
haben. Allesist rationa!und determiniert. Wie aber kann das Gegebenc,
Xufanigc, Einzelne rational begrundct sein? Leibniz antwortet: Die
erste Anordnung, in der es gegrundct ist, muB durch den Wettzweckin
Gott tational detenniniert sein. Dieser Zweck ist die VerwirMichung
einer bcsten Welt, und so münden wir hier cin in die Leibnizische
Teleologie und Theodicce. die wir schon kennen.
Es gilt dinn diespn Wettzusammcnhang xu konstruieren und zu
begninden. Leibniz wird auch hier die Ideen dcr Renaissancemit den
Mittetn der Naturwissenschaft weiter entwickeln zur Philosophie der
Aufkiârung. Seine Grundlage bildet nun die Mechanik. Die ganzc phy-
sisrhe Welt ist uns gcgeben als cin gesetziichcr Zusammenhang von
Bcwegungen dcr Kôrpcr im Raum. Die Eigenschaften diescs Zu.
sammenhanges sind nur erkiartich, wcnn ihm eine ~fannigfahigkeit
von Krafteinheiten zugrunde gelegt wird.AHes. was tâtig ist. ist
Einzetsubstanz.und jcdc Einzclsubstanzist ununterbrochcn tâtig." Und
zwar tragt jede Krafteinhcit in sich das Gesctz der Reihenfolge ihrer
Verânderungen. Die Summe dieser Krafteinheiten in dcr Ordnung der
Natur ist ein für aHema!bestimmt. Hier liegt wieder in den allgemeinen
Prinzipien von Leibniz der Ausgangspunkt für einen hervorragenden
Z)~ Zf~~&M~ ~<y<w~&. A'i~M~M~~ der Welt _no
Bcitrag zur Entwicklung der exakten Wissenschaften. Es handelt sich
um den Weg, der von Ga!i!ci und Huygens hinführt zu der Entdeckung
desGesetzcs der Erhaltung der Energie durch Robert Mayer und Hetm-
holtz. Descartes hatte cin Prinzip von der Erhaltung der GrôËe der
BewegungimWettall aufgestellt. Leibnizfand eine derWahrheit nâher
kommende Formulierung, nach welcher die Summe der vorhandenen
aktiven Kraft erhalten bleibt. Das allgemeine Prinzip aber, auf wel-
cheser hier zuruckging, war sein Satz vom zurcichendenGrunde: nach
diesem künnc unmoglich Kraft aus Nichts cntstehen oder in Nichts
ver~chwindcn. So gehe bei dem ZusammenstoBnichtetastischer Kor-
per keineswegs Kraft verloren, sic zerstreuesich vidmehr an die kleinen
Teile.
Leibniz tut den letzten Schritt in der Bestimmung der Kraftein-
heitcn, indem er die innerc Erfahrung in seine metaphysische Kombi-
nation einbezieht. Die individuellen Krafteinheiten kônnen nur nach
dem Typus (à l'exemple) des Ich vcrstândHchgemacht werden. Jeder
Korper Kt Aggregat. nur in unserm Ich ist uns eine einheitlich wir-
kcndcKraft gegeben. Dicscr venvegene Schlu hat seincnletzten Grund
in der Forderung der Denkbarkeit jedes Gegebenen. Die Natur der
Kraftcinheit wic die Entstehung der Empfindung und des BewuBt-
seinswerden nur durch diese Annahme verstândlich. Es war für Leib-
niz eine wertyoUe Bestatigung, daB eben damats das Mikroskop eine
Welt vcr~chwindcnd kleiner Wesen aufscMoB.
So besteht das Universum aus Monadcn. individuellen. seelenarti-
gen Krafteinheiten, deren jcdc in sich das Gesetz ihrer Entwicklung
trâgt, von auBen aber wedcr bceinHuBt noch zerstort werden kann.
Die Beziehung zwischen ihncn ist nicht die einer realen Wcchspiwir-
kung die ~ïonaden verhalten sich nur Im Ablauf ihrer Vorstellungcn
und Begehrungen, ats ob diese Wechsctwirkung hcstunde. Der ticfc
kritische Begriff von Bezichungen der WeUdcmente in pincm Ord-
nungssystcmanstatt kausaler Verbindungen wird hier von Leibniz dog-
matisiert zu dcm der prâstabilierten Harmonie. Jedc Monade spiegelt
das Univers~tm. ihrer Stelle entsprechend, wieder. Die Ordnung der
Monaden ist von Prinzipien bestimmt. In der FormuHerung dieser
Prinzipien. in den Gesetzen der individuellenVerschiedenheita.uer ein-
fachen Einheiten. der Kontinuitât, der Konstanz der Kraft, der Oko-
nomie findet die Tendenz von Leibniz zu letzten Genera1isation{'n
ihren hôchsten Ausdruck. Das wohlbegründete Phanomen dieser ~fo-
nadenordnung aber ist die Sinnenwelt und der Mechamstnus, den in
ihr die mathematische Natunnsscnschaft aufzeigt.
Und aus der Vertiefung in die menschliche Seele entsteht. nach
anem monchischen und mystischen Sinnen und anem Suchen der
74 Z<&' M!<~~w &<)!~
Renaissanceund der franzôsischen Schriftsteller, beiLeibnizdieGrund-
legung der erHarenden Psychologie. Er entdeckt die unmerklichen
Vorstellungenim HIntergrunde des Seelenlebens. Die Entwicklungder
Seele ist der Fortgang von diesem Zustande dunkler und verworrener
des
\'orstenungen xum rationalen Denken und zu der Bestimmung
Willeiisdurchdasselbe. Dieser Fortgang vollziehtsich durch die Apper.
Deut.
zeption, welchedas in der Seele Enthaltene in die Klarheit und
lichkeit des SeIbstbewuCtscins erhebt. Damit war die Sonderung von
Sinnlichkeitund Vernunft tiberwunden, und das Prinzip der Entwick.
lung konnte im Seelenleben durchgeführt werden. Es ergab sich weiter
für die dcutsche Erkenntnistheorie der grundlegende Satz: die Bezic-
der see.
hungsformen, durch welche wir das Gegebene denken, sind in
lischen Kraft selber gegründet und in der Welt der verworrenen Vor.
der
stellungen schon enthaltcn. Alles aber schlof; sich schlie0lich m
Stellung des Willens dem Leben gegenüber zusammen, die wir früher
dargelegt haben, und die darin gipfelt, daB Freude BewuBtseindes
Fortschreitensist.
In keinem Lande hat man doch auch in diesem Zeitalter von Leib-
niz an der christlichen Dogmatik so festgehalten wie in Deutschland.
Aber der neue Geist. dessen Walten in Literatur und Dichtung, Wissen
schaft und Philosophie wir uns vergegenwâïti~t haben, erstreckte sei-
nen EinfluB auch auf die Vertreter der Kirche in immer steigendcm
MaBe.und in diesen Kreisen selbst traten eigene mâchtige Impulseher-
vor. welche die Entfaitung unseres Geisteslebens befôfderten.
3.
Wahrend der dichterische Ausdruck der protestantischen Religio-
sitat in DeutscMand sank, schritt die kirchliche Musik unaufhaltsam
vorwârts: diese groBte künstlerische Offenbarung des deutschen Geistes
zwischen Durer und unserer klassischen Dichtung.
Heinrich Schütz vollzog die innere Verschmelzung der deutschen
mit der italienischen Musik mitten in dem Wirrsal des dreiûigjâhngen
Krieges. Gegen dessen Schlu6 zeigen seine ,,Sieben Worte &m Kreuz"
den vollendeten musikalischen Ausdruck der protestantischen Rcligio'
sitat. Und nicht ganz zwei Dezennien nach dem Frieden hat der Greis
im hochsten menschlichen Lebcnsaïter, unter der Burde trostloser
wirtschaftlicher und hofischer Vernattnisse, die drei groBen Passions-
musiken verôffentlicht. in denen das Oratorium von Bach und Hândel
reine Grundlage hat.
Keine Einwirkung der modernen Kuhurvôlker auf einander im
Reiche der Kunst ist so fruchtbar geworden als diese Cbertragung
der Formcn und Ausdrucksmittel der italienischen Musik in die Ton-
welt des deutschen Protestantismus. CberaH ist aber auch der Zu-
sammenhang sichtbar zwischen diesem Aufstieg unserer Kirchenmusik
und der Entwicklung in den andem Bezirkenunserer geistigen Kultur.
Wohl stand Bach in den Kâmpfen zwischender Orthodoxie und dem
l'ictismus auf der Seite der Altkirchlichen, da diese der Entwicklung
des Cottesdienstes durch die kirchliche Musik Raum gaben: aber das
ândert nichts daran, daB Pietismus und Mystik stark auf ihn gewirkt
habcn. Seine Passionsmusik hat für die neue subjektive Religiositât
den ergreifendsten Ausdruck gefunden. Bis in die musikalische Be-
handlung der Chorale, in welchen das den Vorgang begleitende christ-
Hche C:emeindebewu6tsein zur Darstellung gelangt. wirken die rei-
< hère lfodulation des Gemutstebens und die milderen Tône in ihm.
Und wie hatte Hândel ohne Würdigung des weltlichen Daseins und
der weltHchen Kunst er hatte beide durchmessen sein Oratoriurn
auf die Formcn der neuen Oper aufbaucn und xum geistlichen musika-
))'-chcn Drama, das ursprünglich sogar für die Bühne bestimmt war,
ausbiiden konnen? Wie hâtte er ohne eine freiere Auffassung des
Christentums die hier vollzogene Konzentrationder religiôsen Seelen-
vcrfassung zu erreichen vcrmocht? în seinem Messias ist jeder gc-
<-( hichtUcheVorgang und jeder religiose Zustand des Gtâubigen unter-
geordnet dem SiegesbcwuBtsein der Gemeinde, dem BewuBtseinvon
80 Z~~&M~M~
der KônigsherrschaftGottes, der alles in seiner Hand hait, die Erlosung,
das Schicksal der Seligen, die hohe Zukunft der Glâubigen und der
Kirche. Und die wirksamsten Werke dieses Lutheraners sind getra-
gen von der heroischen Auffassung der biblischen Gestalten, die sich
in der rcformierten Religiositât und im Puritanismus entwickelt
hatte. Aber auch Bach ist nicht religiôser Musiker in fester Be-
schrankung. Auch ihn umgab der Glanz der italienischen Oper und
der weltlichen Instrumentalmusik. Auch ihm war nichts Mcnschïtches
fremd. Man muB sich seine breite menschliche Personlichkeit sicht-
bar machen, seine Weltfreude, seinen Huïnor, seine Mc)ancho)ie,diese
freie Lebendigkeit, mit der er sich seinen Stimmungen uber!a6t, dieses
Spiclen mit den Instrumenten und Formen des musikalischenAus-
drucks. Und su sind diese gro6en Musiker auch in ihrer imponierenden
Selbstsicherheitdie typischen Reprâsentanten des neuen Menschen,den
wir als den Trâger unserer Kuhur in diesem Jahrhundert kennen ge-
lemt haben. Bach und Hândel sind durchdrungen von dem stolzen
BewuBtseinihrer künstlerischen Mission. Ein Moment von der hôch-
sten Bedeutung: denn im Charakter wurzcit auch hier der ungesuchte,
naturhche, erhabenc Stil der Kunst.
Die unausmeSbare GrôSe der Musik von Bach und Mande! ist
doch schtieMch bestimmt durch das innere Verhâltnis dieser Musik
zu deni Geiste der Reformation, zu der protcstantischen Religiositât.
Wenn die katholische Kirche in dem Zusammcnwirkcnaller Künste
zu der bildlichen Wirkung des Kultus ihren hôchsten kunstlerischen
Ausdruck gefunden hatte: die unsichtbare protestantische Macht des
,,Wortes" fand in Poesie und Musik das ihr gemâGe Organ. Diese
beiden Kunste taten an der protestantischen Rcligiositât dasselbeWerk,
das einst die groûen Mater seit Giotto, auch sic gctragen von einer
lebcndigeren P'rômmigkeit, an dem katholischen Christentumvoll-
bracht hatten. Die Musik xunial loste die Darstellung der christlichen
Scelcnvcrfassungaus jcder Kmschrânkung durch die Bestimmtheitder
retigiosen Begriffe, und erhob sic so in eine uberzeitJichcRégion, in
welchernur die dynamischen \'ertialtnisse dieser Seelenverfassungmm
Ausdruckgelangen. In dieser Region leben die Sibyllen undPropheten
tcnMichctangcIosund dieMaricnRaffac!s undmitihncn dicHarmonien
der Oratorien Bachs und Handcis fort, befreit von der geschichtlichen
EndJi<hkeit und dcr Erdcnschwcre der bcgnrfHchpnSymbole,in denen
wir uni-ère Beziehung zum t.'nendiichen ausdnicken.
FRIEDRICH DER GROSSE
UND DIE DEUTSCHE AUFKLÂRUNG
nittb<<.ManKw[t<'&'hhtMtt![ 6
DER JUNGE KÔNIG
AJs der neue Konig an das Werk ging, als er seine Mittcl und Gc-
hitfen wâhhe. schien doch ein fremdes Element in unsere Kultur ein-
zudringen und ihre nattirtiche Entwicklung zu gefahrden.
Friedrich hat sich, snbald er als Konig sich frei bewegen konnte,
mit Franzosen oder doch mit Personcn von franzôsischerBildung um
geben. Er selber sprach und schrieb auRerha!b desjenigen amtHchcn
Verkehrs, für welchen das Deutschc unvcrîncidHehwar,nurfranzosisch;
es war sein Ehrgeiz. cinen Platz in der franzosi':chcnLiteratur zu cr-
langen. Diese Literatur. dipscr Geist blieben ihm ein Hôchstes,dessen
er weder fur seinen persônHchen LebensgenuB, noch für seine Kuttur'
politik entraten wol1te. Er zog \"oltaire nach Sanssouciund ging in
demWunsche. ihn zu halten, bis hart an dieGrenze seiner kôniglichen
Wurde. Er verwande!te die erste wissenschaftHcheAnstaltseinesStaa'
tes, die Snzietat eines Leibniz, in eine ~M~w/e scienceset
~c~M, machtc Maupertuis zu ihrem Prasidenten und bot nach
dessen Abgang alles auf. um d'Alembert zum Nachfolgerzu gewinnen.
Er gewahrte sogar einem Lamettrie eine Stelle in dieser Korperschaft
87
y~/n'fA und ~J?~.
und fuUte ihre Reihen mit franzôsischen Literaten recht zweifelhafben
Akademie
Wertes, Duodezausgaben von Voltaire. Ja er schrieb seiner
die franzosische Sprache für aile ihre Publikationen vor.
ln dem Urteil der Folgezeit hat nichts die Bedeutung Friedrichs für
der
unsere geistige Kultur so sehr herabgesetzt wie diese Bevorzugung
den
franzôsischenSchriftsteller, seine Mhie Zurückhaltung gegenubcr
dcutschen. Sicher tritt hier eine Schranke seiner geistigen Bildung
hervor. Nur daû man erkennen muS, ~'ie diese nicht nur aus den Ge-
Geistes
wohnungenseiner Jugend, aus der Herrschaft des franzôsischen
über die Hofe, kurz aus einer au6eren Macht der franzôsischen Bildung
über ihn entsprungen ist. Tiefere Grûnde haben den Kônig in dieser
franzôsischenAtmosphâre festgehalten. So wird man auf dièse Lite-
mtur und Friedrichs Stellung zu ihr nâher eingehen musscn, um dem
Luther und
Kônig gerecht zu werden. Der grôBte Deutsche zwischen
Goethe gehôrt in seinen literarischen Neigungen und in wesentlichen
an. Unsere
Zugen seiner geistigen Verfassung überhaupt, Frankreich
Indem sie die Litera-
Analyse versucht, dieses Verhâltnis zu erklâren.
tur der franzôsischen Aufklarung zergliedert, mochte sie die Punktc
finden, in denen Friedrich mit dieser Entwicklung ûbereinstimmte,
abcr auch die anderen, in denen er dissentierte, und so mochte sic
schtie6!ich das Wesen seines Geistes ganz begreifen.
2.
Der letitte Glanz der groBen europâischen Kunst, in welcher die
Phantasie regierte, mischte sich in den ersten Dezennien des 17.J ahr-
hunderts mit dem Sonnenaufgang des wissenschaftlichen Geistes. In
demselben Jahre mit Shakespeare war Galitei geboren, und Descartes
war der Zeitgenosse von Calderon und Corneille. Von dieser Zeit des
Descartes ab ânderte sich atlmâMich der Charakter der europâischen
I.iteratur. Ein von der Leitttng der Kirche utiabhangiger Zusammen-
Ein neues Ideal entstand: ,,der
hang der Erkenntnis wurde geschaffen.
freie Mensch" (homo liber), der ausschtieBlich geleitet wird von der
-iouveranenVemunft. Und wie nun in den Niederlanden und in England
die Entwicklung des Handels und der Industrie die wirtschaftlichen
Zustânde umformte, bildete sich eine aus den leitenden Standen ge-
nuschte Gesellschaft;in ihr wurden die verschiedensten Elemente durch
die Gemeinsamkeitder Bildung zusammengehalten, und sie sonderte
sich scharf von den unteren Klassen ab. Die Formen des dichterischen
Ausdrucks waren in ihr nicht mehr durch die freie, impetuose Macht
der Phantasie bestimmt, sondern von der Herrschaft des Râsonne-
ments und des Wirklichkeitssinnes. Ihr Lebensideal druckte sich in
den Begriffen der Humanitât. des Fortschrittes der Menschheit und
88 Fn~K~ o~ ~<~ <~M</
< <&<' ~4~/<t~6'
der Befreiung derselben von den Schranken der kirchlichen und feu-
dalen Ordnungen aus. Der erste gro6e Schriftsteller, der dieses Le-
bensgefühl reprâsentierte, war Shaftesbury. Jedcs literarische Wcrk,
welches die neuen Gefühle der geistigen Souverânitât, der Toleranz,
der unabhângigen Sittlichkeit und der Humanitât aussprach, wurde in
dieser Gesellschaft verschlungen. Diese Ideale waren im Râsonnement
geboren; die Dichtung. die sic verkündete, war innigst verbunden mit
der Philosophie, mit dem Geiste der Geschichte, wie er jetzt begriffen
wurde, und mit dem Drange nach Freiheit, wie cr die Gesellschaft cr-
füllte.
Dieser neue Geist traf nun aber in Frankreich auf Bedingungen,
welche der franzôsischen Literatur trotz ihrer Abhângigkeit von Eng-
land einen eigentumhchen Charakter gaben. Von hier war in Descartes
die ausschlieSliche Herrschaft des logischen Verstandes ausgegangen,
welche in der Welt und in der menschlichen Seele nirgend einen dem
Denken unfaûlichen Rest zuruckIieG. Die hôfische Gesellschaftforderte
die Verbindung dieser logischen Genauigkeit mit der Anmut. Das Or-
gan dieses Geistes war die ~'<M~w/<'/~Nr~ Durch sie wurden
Exaktheit und Urbanitât die Norm für die Gestakun~ der Sprache und
des Stils. Aus der Fülle und Freiheit der ahcren Sprache wurde in der
unaMâssigen Arbeit der hoHschen Gesellschaft und ihrer Akademie
durch eine Art von bestândigem Destillieren das klassische Franzo-
sisch gewonnen, wie es zwischen Rabelais und Chateaubriand bcstand.
Das eindeutig bestimmtc Wort, die genau regulierte Wortsteîhng,
der logische, gradlinige Fortgang, der den Leser mühelos und un-
widerstehlich mit sich zieht, vor allem aber eine hüfische Ëinschran-
kung der lebendigen SprachfuHc auf die schicklichen und anmutigen
Worte das waren die Mittel dieser klassischen Sprache. Ihr ont-
cntsprach der neue Stil. Die sinnliche Kraft der Ansrhauung. das Un-
gestüm des leidenschaftlichen Ausdrucks und clie Macht der Phantasie
wurden nun der Genauigkeit, der Regel und dcrhofischenSchickHchkeit
gcopfert. Wie diese ganze franzosische Kultur vom rômischen Geiste
durchdrungen war, war auch ihr Stit dent der go!dcncn Zeit von Ci-
cero, Casar und Augustus verwandt. Eine solche Sprache und ein Stil
dieser Art waren fahig. unter den historischen Masken von Horatius,
Cinna. Augustus oder Phadra die Kâmpfe des gro6en Ade!s mit dem
Kônigtum, die Selhstherrschaft Ludwigs X!V. und die vomehme
Gro6c in der Lebenshaltung dieser Menschen zur DarstcUung zu
bringcn. Die gro6e Tragodie brachte von Corneille bis Voltaire zum
ersten Mal zum Ausdruck. wie Kônige auf der Bühne des Lebens
auftreten und sich bcnehmen. Diese Sprache crwies sich dann weiter
als das vollkommensteInstrument der mathematischen Physik und
G~, jM'w ~< WH~ 89
~f/htM~ jRMSM<~M
Philosophie cines d'Alembcrt und Lagrange. Sie nâhert
positivistischen
sich in der eindeutigcn Bestimmtheitdes Wortes und dcr logischenver-
die Schrift-
bindung der Sâtze der mathematischen Formel. Liest man
steller dieser Richtung von d'Alembert bis Comte, so ist es, als ob nur
in dieser Sprache diese formelhafte Philosophie entstehen konnte. Und
dieselbe Sprache bcsaB nun die farblose Allgcmeinheit und Schmieg-
Ge-
samkeit, welche Voltaire und Diderot gestattetc, sich über aile
zu ver-
genstânde a!s Dichtcr, Philosophen und Geschichtschreiber
breiten und die Herrschaft des râsonnierenden Verstandes in jeder
dieser LebensâuBerungen zu bchaupten.
Die Regelung, wie sic die franzôsischcSprache in der Akademie
erfahren hat, war für Friedrich das Vorbild für unsere eigene sprach-
HcheEntwicklung. In seiner Schriftüber die deutsche Literatur erkennt
er in einer solchen Ausbildung unserer Sprache die notwendige Vor-
Lcbens.
bedingung für einc kommende Blüte unseres geistigen
Derselbe franzosischc Geist, welcher der Literatur in der klassi-
schenSprache eine so wirksameAusdrucksformschuf, hat ihr nun auch
einen neuen Gênait gegeben: eine neue Stellung des Menschen gegen-
über der Welt und der Gesellschaftwurde im 18. Jahrhundcrt von ihm
ent~'ickelt.
Dies bcgann, als zwischen t726 und t/zç Voltaire und Montes-
die oppositionelle
quieu sich in England aufhielten und zurùckgckehrt
Literatur eroffneten. Descartes wurde nun abgelôst von Newton und
Locke. Die Metaphysik raumte der Erfahrungsphilosophie das Feld.
Aberdie groBen Analysen der Engtândcr. welche sich über den ganzen
Bereich unserer âsthctischen. sittlichen und crkennenden Tâtigkeit er-
streckten. erhielten nun durch die Bedingungen, die in dem franzosi-
schen Geistc lagen, cinen ganz veranderten Charakter. Der leitende
Gedanke der wissenschaftlichenBewegung Frankreichs von Voltaire ab
wie cr auf
lag in dcm cinheitlichen Zusammenhang des Universums.
dcm astronomischen Standpunkt Newtons crschien. Hieraus leitetc
Voltairezunachst unter dem EinfluH von Newton und Locke eine te!eo-
die Be-
logische We!tordnung und einen Gott ab, der als Geometer
der
wegungen der Gestirne geordnet und als Künstler die Einrichtung
bctcbten Kôrper ersonnen hat. Er hâ!t aber zugleich, mit seinen cng-
hschcn I.chrern, an dcr VerantwortHchkeitdes Menschen und an der
Freiheit desselben als deren Bedingung fest. Dièse Hauptsâtzc des
IdeaHsmusder Persontichkpit und der Freihcit stieHen so in seinem
C.eistemit jenem obersten Gedanken zusammen. welcher sich in ihm
und um ihn xu immcr radika!ercn Konsequenzenentwickelte. So ent-
stand das Problem, an wetchen)Voltaire und Friedrich sich vergebens
abarbciteten: ihrc Seelc wird zum Kampfp!atz von zwei Weltanschau-
go ~'hMAw~ <<T C<~ KW~ <~«~)' /f~~W~ 1
ungen. Die Frage, die seit Leibniz aile phitosophischenGeister be-
schattigte: wie konnen in einem mcchanischen Zusammenhangder
Welt der Wert der Person und der moralische Verband der Gesell-
schaft erhalten bleiben? wurde in dem MaSe schwerer und hârter,
in weïchem die Naturwissenschaften fortschritten. Gerade die fran-
xosischcWissenschaft ging eben damals von dem Studium der Dyna-
tnik, Astronomie und Physik vorwârts zu den biologischenProblemen.
Die Erforschung der Ordnung in der Lage der Schichtenunserer Erd-
oberf lâche und die zunehmende Kenntnis der Fossilien ermôglichten
Buffon seine verwegene Ëntwicklungshypothesc.Die Anwendung des
Mikroskops eroffnete die Einsicht in den Bau der niederen Tiere.
Die Beschreibung und Klassifikation der Lebewesen führte auf das
Problem ihrer natürlichen Verwandtschaft. Und die Physiologie des
Blutkreislaufes, der Reproduktionsprozesseund der Funktionen des
Gehims und der Sinnesnerven, die durch Willis, Boerhave und
Haller die Tatsachen immer mehr philosophisch auffassen lernte,
muBte die Einordnung der Leistungen des menschlichen Kôrpers in
den allgemeinen Naturzusammenhang erleichtern. An der Grenze, an
welcher diese Leistungen mit den geistigen Funktionen zusanunen-
hangen, traf dièse Physiologie mit der Assoziationspsychologievon
Hobbes. Condillac und Hartley zusammen. welche gestattete, die
Leistungen des Nervensystems und der Sinnesorgane mit einfachen
seelischen Vorgângen in Beziehung zu bringen und aus diesen das
hohere geistige Leben gleichsam zusarnmenzusetzen.So cntstand unter
jener obersten astronomischen Einstellung ein Zusammenhangnatur-
wissenschaftlicher Hypothesen. der sich den neuen Philosophen zur
Verfügung hielt: Anschauungen über die Entwicktungsgeschichtcder
Erde. die Bedingungen der Entstehung von Pflanzen und Tieren auf
ihr, die nahe Verwandtschaft des Typus der hochsten Tiere mit dem
des Menschen,end~ichüber die Abhângigkeit der geistigen Leistungen
von dem Nervcnsystem und den Sinnen.
Zugleich aber entsprang aus dem Geiste der vornehmenWelt, für
welche diese Philosophen schrieben, eine zunehmende Tendenz, aus
solchen Pramisiien materialistische Konsequenzenzu ziehen. An den
HëfenerwuchseineAnimaiitâtder Lebenshaltung,dicaUmaMichauchder
Literatur ihre furchtbaren Zuge aufprâgte. Schon in einer fruheren Zeit
hatte der Begründer des mndemen Materiatismus,Hobbes,an demHof-
lager des sitten)o<enStuart in Paris gelebt. Larochefoucauldbildete sich
seine Lehre von der nackten sinnlichen Selbstsuchtin der groBen ftan-
zosischenGesellschaft unter Richelieuund Mazarin.Und Swift,das stohe,
misanthropische Génie, das zuerst alle Schleier zerreiSt, welche über
diese Gese!!s<haft .~ebreitptsind, und nichts dahinter findet als die
nie /~M'w<-der ~~<~ ~</ der M~~L-
bc-
brut~en Leidenschaften, Swift, das Vhrbitd Voltaires, verwundetc,
des
schmutzteund zerstürte seinen mâchtigcn Gcist in den Miseren
macht
Regiments von Walpole. Die Macht dieser Lebensauffassung
sich dann in dem Zeitalter von Voltaire und Friedrich dem GroBen
se!bst in Humes Zurückführung der Erkenntnis auf die dunklen ani-
in
matischct;Krâfte der Assoziationund der Gewôtmunggcitcnd und
dcm seltsamen Gelüste des gro6en Humoristen Sterne am Nacktcn
und Zynischen.
Wie wird nun unter diesenUmstânden das Problem geiost werden,
diese We~tansichtder vorwârtsschreitendenNaturwissenschaft, wie sic
verstârkt wird durch den Geist der Hofe und der muËigen vornehmen
Gesellschaft, zu versôhncn mit dent BewuBtseinvon dem Werte der
Person und dem moralischen Zusammcnhangder Gesellschaft?
Voltaire erkennt die Abhângigkeit der Empfindung und des
Dcnkens von dem menschlichen Gehim voUstandig an. Er ruft seine
Gottheit zu Hilfe: ihre unerforschliche Kraft hat an den Mechanismus
des Korpers von den Empfindungen des niedrigsten Insektes bis zu
dem Gehim eines Newton geistige Fahigke!ten geknüpft; und er fin-
det in der Skepsis das Mittel xur Abwehr jeder Frage, wie die Mit-
sei. Hieraus fol-
teilung einer sotchen Eigenschaft an Korper môglich
von Unsterblichkeit.
gert er die gânziche Venverfungjeder Vorstellung
Undso durchsetzt das Leben ein bestândiger Widerspruch. das Lebens-
bestimmt im
gefuM selbst wird zerrissen. Das Bewu&tseinfindet sich
und
Zusammenhang des Uni\ er:~ms, und ps wei6 sich verantwortlich
findet sich frei. Der Mensch bemerkt. wie verschwindcnd klein seine
Stelleist. und er ist doch vomWerte seines Daseins in seinem Lebens-
Die Dar-
~efuh!ganz durchdrungen. Das ï-ehen ist eine Tragikomodie.
und Ge-
stellung dieses zweideutigenDinges in Philosophie, Dichtung
teilt alle
schichtschreibung ist die Lebcnsarbcit Voltaires. Friedrich
phi1o<=ophischen VoraussctxungenVoltaires,aber er wud auf die Fragc
vom Sinn unseres ï-eben-~in seiner heroischen Seele eine andere Ant-
wort finden.
Den wissenschaMich wirksamsten Standpunkt diesen Problemen
d'Alem-
gegenübernahmen dann die Begründer des Positivismusein,
bert und Lagrange. Turgot und Condorcet. Der Gegenstand der
und dessen
strengen Wissenschaft ist ihnen das ph~ische Universum
ncsetzÏichkeit. Indem d'Alembert und Lagrange die Mechanik von den
Resten der Metaphysik befreien, entsteht der Begriff der positiven
Wissenschaften.Undindem d'Alembertin seiner berühmten Einleitung
zur EnzyMopadie die innerc AbMge und den Zusammenhang dieser
einer positiven
positivenWissen~chaftenpnt\ncke!t, cntsteht der Begriff
BewuBt-
Philosophie. Sic ist das diesen Wis~enschaiteninnewohnende
92 /~<M<-A <?~<~ ~of <<w<M~~<~X<w~)t?
môgen, wie d'Alembert, Lagrange und Laplace, sich auf die theo.
retische Betrachtung dieser Gesetzlichkeit der Erscheinungen ein-
schranken, die anderen, wie Prevost, Gresset oder Watteau, mogen
die Schônheit des sinniichen Daseins in Versen oder Bildem aus-
sprechen wer das Ganze dieser Wirklichkeit in sein Lebensgefühl,
seine Philosophie und seine Dichtung aufnimmt, dem starrt 'uber-
aU entgegen der tiefe Widerspruch in der Situation des Menschen,
die Vieldeutigkeit des Lebens, das Fragmentarische unserer Existenz
und unseres Denkens. So entspringt die wundcrbare Stimmung, welche
die Mischung in dem Trank des Lebens mit Heiterkeit hinnimmt.
SiegesgewiB in dem Bewul3tsein, welches das Jahrhundert ge-
schaffen, da6 die Menschheit ein solidarisch verbundenes Ganze ist,
das vermittelst der Wissenschaftcn die Gesetze dieses Universums er-
kennen und sich die Wirklichkeitunterwerfen wird. SiegesgewiBin dem
neuen BewuBtsein der AufMarung des 18. Jahrhunderts, daB die Hert-
schaft des Gedankens den Menschen aufkiâren und durch die Auf-
klarung glücklich machen wird. Humanitât, Fortschritt, Solidaritât der
tnteressen diese groBen Ideen erfüllen die ganze Zeit. Sie sind die
Seele in dem Wirken von d'Alembert, Diderot und Turgot, und sie
werden von ihnen übergehen auf die Cabanis, Condorcet, Destutt de
Tracy, deren Idcen dann in der Revolution eine so mâchtige Wirkung
geübt haben. Aber mit den groBen Gefühlen, die in der Autonomie
des handelnden Willens beruhen, sind die Stimmungen in un!ôsbaren!
Widerspruch, welche aus der Souverânitat des genieBenden Subjekts
entspringen. Diese Stimmungen regieren in der muSigen, ubcr das Be-
dürfnis hinausgehobenen Existenz der oberen Gesellschaft, in welche
die Schriftsteller und Kunstler sich mischen. Unabhângig.rasonnierend.
hochst lebendig und beweglich, wie diese Menschensind, erfüllen sie
jeden Moment mit einem cigenen Ton und Leben. Unbcschaftigt, wie
sie durchs Dase!n gehen, wird ihnen das Leben zum Spiel, das sie an-
mutig und mit dem scheinbarcn Ernste wuhlrcgulierter Beschaftigungen
durchfuhren. Die hochstcn Regcln dieses Spiels sind unbeirrbare Heiter-
keit, Hôflichkeit und Venneidung dessen, was man als anstoBig anzu-
sehen übercingekommen ist. Man genieCt den bestândigen, leichtcn,
schimmernden Glanz des so prublcmatischen Daseins. Konversation,
Feste, Komodien, Verkleidungen das ist hier Lebensinhalt. So wird
das Drama die Kunstform dieser Zivilisation, und auch in dieser
Theaterleidenschaft ist Voltaire der Reprâsentant der Epoche.
Aus diesem von inneren Widerspruchcn zerrissencn LcbcnsgcfuM
entsteht als sein eigenster Ausdruck der Stil, der in Voltaire und Diderot
seine hochste VoHcndung erreicitt. Witz, Esprit, Gefühl, das bis zur
Sentimentalitât geht, Raisonnement, das fragmentarisch ist wie das
Der <M~W& ~~t/< 99
4.
Das Zeitalter der Aufklarung hat vier groBe Schriftsteller hervor-
gebracht, welche so das Ganze des Lebens dichtend, philosopliierend
ÏOt
~~6 «~ ~<
Voltaire
und in agitatorischem Wirken umfaBt haben: in Frankreich
und Diderot, in Deutschland Friedrich den GroBen und Lessing.
Friedrichs Schriften stehen einzig da als die Begleitung eines
sic von diesem nicht trennen,
groCen handelnden Lebens; man kann Masse
wenn man sie würdigen will. Der Kônig hat eine erstaunliche
von geistigen Erzcugnissen hinterlassen, Briefc, musikalische Kompo-
in Vol-
sitionen,Gedichte, Dramen. sogar cin komisches Heldengedicht
doch
taires Stil, philosophische und historische Werke. Voltaire, der
selbstleichthcrdg genug produzierte,scherzte und schalt über die kritik-
flossen.
lose I.eichtigkeit, mit der Friedrich die Verse aus der Feder
Be-
Aber aU diese Schriftstellereientspringt aus einem und demselben
dürfnisseiner Natur. Seine einzigeLebendigkeit und BeweglichkeitmuB
erfüllen. Pathetisch, lachend,
jeden Moment seines Daseins' mit Leben
Komodienaufführend mit den Freunden er !â6t sogar Maupertuis,
den feierlichen Prâsidenten der Akademie, einmal kommandieren, und
der leichtfertige d'Argcns muB nach diesem Kommando exerzieren.
Mttten aus einem Gesprâch über Corneille oder Pascal zieht er sich
in schweren Stunden
zuruck, um kriegerische Dispositionen zu treffen;
vor Entscheidungen erhebt sich seine Seele über den Moment, indem
er VerseRacines dek!amiert. In a!)dem ist er von dem Bedürfnis erfûllt,
sich zu auGcm. zu erscheinen, das Leben in seinen hôchsten Beztigen
sich zum BewuBtsein zu bringen und sa über der Gegenwart zu stehen.
um neue Gedanken zu finden,
Philosophiert er, so geschieht es nicht,
sondern solche, die ihm innere Kraft geben. Er nimmt sie, wo er sic
Aurel.
findet. Er ist darin ganz einstimmigmit Cicero, Seneca und Marc
Er wâMt nicht für seine Verse, wie Klopstock, Goethe oder Schiller,
Momenteder hôchsten Steigerung des Gefühls: sie beg!<~enaile Situa-
Formen
tionen seines Lebens. Indem er dièse in die Region der reinen
Der
erhebt, wird ihm die Seele freier, sich und den Dingen gegenüber.
wenn
triviate Gedanke und der unpoetische Ausdruck sind ihm recht,
ist und so in sich
das, was er sagt, von gcsundem Verstande diktiert
die Kraft enthâlt, zu richtigem Handeln zu bestimmen. Denn aU diese
Verseund Raisonnementswerdenzusanunengehalten von einem groBen
um seinen
Ideal, das seine Seele ganz erful!t: innere Kraft zu erwerben.
den Wechseln des Schick-
kônigUchenZwecken gewachsenzu sein, in
die Souve-
sals, welche aus dem Leben für diese Zwecke entsprangen,
ranitât des Geistcs zu hewahrenund ein voltes, reiches Mcnschcndascin
zu
mitten in der harten, einseitigenArbeit seines kônigtichen Berufes
behaupten.
er im Zimmer
Frühmorgens, ehe seine Sekretâre erscheinen, geht
auf und nieder, sich seinen Phantasien auf der Flôte überlassend; er
kommen. RegelmâBig
findet, daB ihm seine besten Gedanken dabei
!0< _V/MMf~ <&f G~<- ~<{/!6&!W~
M~ <A<<&MA~
werden zwei Abcndstunden dem Konzert gewidmet, bei dem er selber
mitwirkt. Denn in der Musik fand er den unmittelbarstcn Ausdruck
für das Bedürfnis seiner beweglichen Natur nach einer Sprache für
ihre Lebendigkeit, nach Spiel und Schônheit.
Welche unvergângliche Heiterkeit schwebt über den Schlossem
von Rheinsberg und Sanssouci und über dem Rheinsberger Park mit
seinen geschnittenen Hecken, Statuen und Tempeln. Es ist, als ob die
freie Weite seiner Seele in jenen Tagen sich allem mitteilte, was von
ihm und seinen Genossen ausging. Die leuchtendcn Gewânder, das leise.
Knistem der seidenen Schleppen, das Spic!strahlender Lichter zwischen
dem WeiB und SUber der Wânde und den üppigen Gemâldender Pla-
fonds, der K!ang seiner FIote in diesen Sâlen sind verschwunden. Und
doch ist es noch heute, als ob sein Geist diese Râume mit seiner Heiter-
keit erfüllte. Hier in Rheinsberg empfing ér Voltaire, der junge Konig
im Morgenglanz der Jugend, mit Theaterspiel, Musik, Tanz und Ge-
plauder die Râume belebend.
Der voïlkommcnste Spiegel der unbeschreiblichen Lebendigkeit
und Beweglichkeit des jungen Kônigs sind seine Briefe. Sic sind in dem
Wechsel von ausgeiasscnstem Scherz, innigstem Gefühl, tiefstem Welt-
verstand und dann wicder hârtester Bchauptungseiner moralischen Wil-
îenssteHung vollendete Kunstwerke. Sie geben am deutlichsten diesen
Geist wieder, der wie Aprilwetter unbestândig zu wechseln scheint,
jedem Ding, jeder Person, jcdem Lebensmomentseinen besonderen
Gefühlsakzent mitteHcnd, vielartig wie das Leben selbst, und so fahig,
allem souveran seine SteUe zuzuwcisen.Und wie herbe und gefûhis-
starke Tone auch zuweilen angeschlagen werden: in diesem zwei-
deutigen Leben gilt es, gute Miene zum bôscsten Spiel zu machen;
siegreich dringt immer wieder souverâne Heiterkeit hindurch: es ist
die stillschweigende Ubereinkunft dieser Gesellschaft, daS man Leiden
am besten uberwindet. indem man sie ignoricrt. Wie ghindtich ver-
schieden sind doch diese Briefe oder die Voltaires von der gefûMs-
schweren Behandlung des Lebens in dem BriefwechselKlopstocks, Ha-
manns oder Herders.
Und so ist auch Friedrichs Poesie. Sie ist gleichsam die unent-
behrliche Sprache einer reichen. beweglichenNatur, welche sich selbst
zu fuh!en das Bedürfnis hat. Er bewegt sich in den Formen der romi
schen Dichtung. Jede dieser Formen enthâlt in sich die Regel der
Stimmung, die sie ausdrucken soll. Er bedient sich ihrer, um in ihrem
wechselndenGebrauch alles, was der Ablaufdes Lebens mit sich bringt,
alles, was sich in ihm selbst ereignet, seine ganze Existenz gleichsam
sichtbar zu machen. At!cs kunnnt xu Wort: Lachen und Esprit. Ga-
lanterie und die herzliche Neigung zu den Frcunden. Alles, was mit 1
!03
/nMh~ 'S~L
Leidenschaften
dcr Herrschaft des Willens ûber das Schicksal und die
findet er fiir den heroi-
vertrâglich ist. Den schônsten Ausdruck aber
das Ideal
schenWillen. der über Schicksal und Tod erhaben ist. Denn
der Phantasie
dieses Lebens sch!ie6t die Herrschaft der Passion und
aus. Es ist der Geist, der froh ist, der Macht der Imagi-
ganziich entronnen
nation, der religiôsen Affekte, der Liebesleidenschaft
der Mânner
zu sein. In Freude und Kraft zu leben. erscheint hier
die Kraft, es
allein wiirdig. Souverâner GenuB des Lebens und
zu verachten.
der
Die gegenstândliche Darstellung lag auBerhalb des Bcreiches
doch ohne Er-
Verse Friedrichs. Nur im Lustspiel versuchte er sich,
hatte er ein inneres
folg. Aber zu der groBen franzosischen Tragôdie von Riche-
Verhâltnis. In dieser spiegelte und genoB sich die Epoche
in alle
lieu und Ludwig XIV. mit ihren gro6en Akdoncn. Sic greift
der cigenen
Zeiten der Menschheit, nur um die Ideale und Schicksale
die
Zeit sehen zu lassen. Die Mânner Corneilles atmen den Hochsinn,
~~M/ welche das Ideal dieser Gesellschaft in den Tagen der
moralischen
Fronde war, und die so von Descartes zu seinem hochsten
und Worte sind die von Konigen,
Begrifferhoben wurde. Ihre Gebarden Wider-
Prinzen und Hof!cuten. Die Tmgodie Racines zeigt dann den
entsteht.
streit persônlicher Krafte, wie er um einen absoluten Fürsten
in
Hier ist die hochste Meisterschaft der Sprache erreicht. Gesprâche,
denenzwei Personen mit einziger Kunst und Anmut ihr Ziel verfolgen;i
sic fesselnd
sie verbergen es, sie studieren sich, sie horchen, wâhrend
und liebenswürdig sprcchen. Es ist die hochste Kraft aristokratischer
in
und fürstlicher Seelenlenkung. Und die Situationen und Konflikte
Zeit. Es
diesen Dramen sind die des Staats- und Hoflebens dieser
die
war ein Drama für Konige. So waren diese Dichter wohl geeignet,
des grôBten der Fürsten in diesem Jahrhundert zu sein. Wir
Begleiter seiner Ge-
haben von Friedrichs Sekretâr Henri de Catt ein Tagebuch
mit ihm. In der Erwartung einer bevorstehenden Schlacht oder
sprâche in-
nach groBen Katastrophen erhebt sich seine Seele über den Moment,
dem er denselben in den erhabenen Versen der Tragôdie ausgeprâgt
wiederfindet. Racine wurde von
und gleichsamin dieAeternitât erhoben
ihmam hochsten gestellt. Er sagte einmal im Gesprâch mit d'Alembert,
daB er lieber die Athalie gemacht hâtte als den ganzen siebenjahngcn
In Racines Versen findet er das Glück der Sorge für das Volks-
Krieg.
wissen: er
wohl wieder, die kônigliche Freude, sich ûbera!! geliebt zu
von
kann sie nie lesen ohne die lebhaftestc Rührung. Nach der Nacht
Hochkirch lâ&t der Kônig um die Mittagsstunde Catt rufen; in ruhiger
die Verse des Mithridates,
FassunK tritt er ihm entgegen und rezitiert
die dessen ganz âhnnche Niederlage schildern. Er betet mit Joab:
I~L
toq.` dcr Gro.~Be_
~'iedrlch unddie ~M~
<t-1- vu <<
i~~M~~
deulrcJfe,
,,VerMendein ihren RatscMâgcn eine grausamcKonigin, geruhe, o mein
Gott, Sber Kaunitzund sie den Geist der Venvirrungzu verbreiten." Oft
rührt ihn Racine zu Tirânen, er vermag nicht weiter zu lesen: ,,Racine
zerreiBt mir das Herz."
"Werke des Philosophen von Sanssoud": so bezeichnetder Konig
die DichtungenundProsaschriften, welcheer t7§o für einen engenKreis
von Freunden zu Sanssoud ,,tm Turmbau" in
wenigen Exemplaren
drucken lieB. Es lag in diesem Tite], daB er in
philosophischem
Raisonnement sich die Wehanschauung gebildet hatte, auf der dièse
Arbeiten beruhen. Er hatte nicht nur die Dogmen des
Christcntums,
sondem die ganze der Jcnseitigkeit zugewandte
Stimmung früh hinter
sich gelassen, er hatte der Metaphysik abgesagt, der Gedankeder Dies-
seitigkeit bestimmte ihn ganz, wie scinen Lucrez oder Voltaire. Mit
herber Festigkeit verwarf er die persônliche
Vorsehung und die Un-
sterblichkeit. Auf diesem Standpunkt entsteht dem ~fenschc~ dem die
Bindc des Wahnglaubens von dcn Augen genommen
ist, die Aufgabe,
die der Kônig am ScMuû der Epistel an den Feldmarschall Keith in
Verscn ausgedrückt hat, die des Lucrez
würdig sind:
Uns. die kein Hirngespinstvon HoHeMtrafen quatt,
Die, reinen Sinnes, nie auf achnadenLohngetâhlt,
Uns treibt der MenschheitWoht, die Tugend!SBtuns
gliihen,
Nur Liebe tu der PflichttipBuns das Mse fliehen,
GefaBtund ungerührt !aBt uns vom Lebenscheiden,
Von unserm ~oBen Tun crnint die !:iit)ftf;<'t)
Xeiten!
Er sagte einmal Catt, der Jugend sei
natürlich, mit Epikur im
GcnuB das Ziel des Lebens zu erblicken; aber die Krânzc
Epikurs
winkten nur dem CluckHchen: die Jahrc und die hâtten
ihn zum Stoiker gemacht. Stets erkanntc er doch Erfahrungen
an, daB der Mensch
zur Freude geboren sei, und da6 sie der Seele Kraft
mitteite.Hatt'
unsrc Seele doch wie Theben hundert Pf.trtcn. die Freuden HeB
ich
ein wie wogende Kohorten." Er verhôrte über den Sinn des
Lebens
alle Phtiosophen: ganz eins fühltc er sich mit den Rômem.
Sein prak-
tisches Genie war ihrer geistigen Struktur waMverwandt:dem
groBen
Zusamrnenhang zwischen der Herrschaft des selbstbewuBtenWillens
und der Macht des Raisonnements.Es ist nicht
notig, daB ich lebe,
wohl aber, daB ich handle." Hier fand er auch die
Autonomie des
Willens. die Erkenntnis der Regel des Lebens in der Pflicht, und
seines Zieles in der Arbeit für das Gemeinwohl.Sein Testament
beginnt:
vie est un passage ~f</p du M~< notre naissance «
celui de notre mort. Pendant ce court
espace l'hommeest
~< le ,/<, lait corps." Cicero, g~
und Marc Aurel, Virgi! und Horaz waren die
bestândigen Begleiter
/&w~ !W<
-S<"M~ jto:
seines Lebens. în den groCen Gegensatzen, wie sie Cicero als letzte
Zusammenfassungder Philosophieder atten Welt formulierte, zwischen
dem FreiheitsbewuBtseinund dem Kausalzusammenhang, dem Mate-
rialismusund dem Ordner der Wett, dem Glück und der Pflicht ver-
]auft auch ihm noch das Philosophieren.
Aber wie gewinnt er nun in der neuen ï~ge des philosophiischen
seine
Denkens,in dem Dunkel der Skepsis Bayles das BewuBtseinüber
von dem seiner
Bestimmung?An diesem Punktc trennt sich sein Weg
franzôsischenFreunde. Er ktart sich die Frage zunachst an dem rômi-
schcn Denken auf. Aber seinen letzten Begriff über die Bestimmung
des Menschen schôpft der Kônig dann doch aus seiner heroischen
Seclcund aus seinem Beruf, für das Ganze zu leben. Die Zufriedenheit
mit sich selbst, das Gefühl der personHchcn Würde und Autonomie
gcnügen seiner groBen Seele. Er findct dieses BewuBtseingebunden
an die Festigkeit und Konsequenz des Willens und an das pHicht-
suchte
mâBigeHandeln fur das Ganze. Zur ErfûHung dieser Aufgabe
er sich jede Quelle von Kraft zu erscMieBen. Wie Goethe war cr
in jedem Augenblick sciner Exi<.tenzvon dem Gefühl seines so bc-
stimmtengroBen Daseins erfu!!t. ln einziger Mischung hatte die Natur
cinen kôniglichen Willen in ihm verbunden mit dem Geiste eines
râsonnierenden Philosophen, zugleich aber mit einem warmen und
und sich zu
beweglichenHerzen, das es bedarf, sich ausxusprechcn
fühlen. Langsam kam dieser Wille, der in der heiteren Beweglichkeit
des jungen Prinzen versteckt tag, ihm in den Kampfen mit dem Vater
zum BewuBtsein, ptôtz!ich ward er dem erstaunten Europa sichtbar,
und im Rechnen
siegreichim Erfassen aller Arten von Wirklichkeit
mit ihnen. stâh)tc und festigte sich im Ringen um die Macht, um dann
scHieBnchzu erstarren. Aber mitten in der Verwendung aller dieser
Artenvon Wirklichkeit macht dieses Genie sic zum Gegenstandc seiner
Aktion
Betrachtung, und mitten in der poHtischen und mi!itârischen
bedarf er, im gehobenen BewuBtseinseiner Existenz zu leben. Hierin
auf jeden übten,
lag der einzige Zauber, den diese strahlenden Augen
auf den sie sich richteten, zugleich das ~âtse! in ihm, das selbst einen
Menschenkennerwie Voltaire anzog, bannte und erschreckte.
dem
Das Hôchste hat er in der Geschichtschreibung erreicht. Mit
Blickdes Philosophen,welcher die menschlichen Dinge in ihrem groSen
der Menschheit
Zusammenhang überschaut. erfa3t er den Fortgang
von der Barbarei zur Kultur, die GesetzmâBigkeit in diesem Verlauf,
die Obertragung der Kultur von einem Volke zum andern. wâhrend
er dann doch in den Nationen eine ursprüngliche, unzcrstôrbare Eigen-
ttimHchkeitanerkennt. Die historische I.iteratur kennt kaum eine gro-
Bere Darstellung der politischen Krafte eines Zeitalters und seiner
!o6 -u. /<~<<M)of<~<<!w~<M~ -u_
-n_
leitenden Personen als die Schilderung der Situationvor dem Ausbruch
des ersten schlesischen Krieges, mit welcher er die ,Geschichte meiner
Zeit" erôffnet. Der naturwissenschaftliche Zug des Jahrhunderts und
der Wirklichkeitssinndes Konigs treffen darin zusammen,wie der dyna.
mische Gesichtspunkt sein gcschichtiiches Denken bestimmt.
S.
Wic frcmd muËte ein Geist dicser Art unserer eigenen Dichtung
und Philosophie gegenüberstehen, wie sie in der zweiten Hâifte des
jahrhunderts zur Blüte gelangte Lcssmgwar Friedrich geistesverwandt:
er blieb ihm durch ein râtsclhaftes Schicksal fem. Was danach GroBes
kam, erwuchs aus Rousseau: unsere Literatur emanzipierte die Macht
der dunklen Passionen. Von Klopstock ab beruhte sie auf der Aus-
wahl der hôheren Lebensmomente zu einer idealischen Darstellung.
So oft Klopstock und Herder die Feder ansetzen, steigern sie sich
zu einer über die Wirklichkeit erhobenen Stimmung, und selbst Win'
ckelmanns Betrachtungen über die Kunst, Herders und Johannes
MûUersGeschichtschreibungatmen diese getragene Stimmung. Es war
eine Abstraktion, auf welcher die Idealitât dieser groBen deutschen
Schriftsteller beruhte. Wâhrend Voltaire, Diderot, Friedrich das ganze
Leben umfassen, wie es ist, alle Widersprüche in dicsem ,zweibeinigen
Geschôpf ohne Fedem", wie Friedrich uns bezeichnet;in ihten Versen
wie in ihrer Prosa wollen sie dies Wirkliche ganz aussprechen, ohne
Abzug und ohne Resen'e. Und zwar, wie es déni souvcranen Verstande
erscheint. Hierin lag der letzte Grund der Abneigungdes Kônigs gegen
die deutsche Literatur.
Und so ergibt sich nun auch der richtige Standpunkt für die Be-
urteilung der vielbesprochenen Schrift ,,Cberdie deutsche Lite' ·
ratur, ihre Mange! und die Mittel, durch welche sie verbessert wer
den kann*
Diese Abhandlung crschien 1780. Damais besaB unsere Literatur
schon die Oden Klopstocks, die Minna und die Emilia Lessings, den
Roman Wielands, den Gotz/den Werther, die Stella und die Lieder
Goethes. Der Kônig ging in seiner Schrift an diesen Leistungen stiH
schweigend voruber: den Gëtz tat er kurz ab als eine ,,abscheutichc
Nachahmung Shakespeares". So erregte die Schrift allgemeine Ent-
rüstung. Am hârtesten sprach sich Klopstock aus. dessen christ-
liche und poetische Ideale überhaupt im Widerspruch mit dcm ganzen
Wesen des Konigs standcn. Goethe schricb ein ,,Gesprâch über die
deutsche Literatur", welches unter seinen Freunden umlicf, dann aber
duch nicht veroffentlicht wurde; es ist verloren gegangen. Unter den
\)e!en GegenâuBerungen, die zum Druck gelangten, war die von Justus
/)M -&~ ~<~ <Af~C~ JMS~M~ '07
2.
Gro6e Institutionen, welche sich die Tâtigkeit der Menschheit für
ihre Zweckzusammenhangegebildet hat, passen sich mit unverwüst-
licher Lebenskraft veranderten Verhàltnissen an. Wenn die Verfassung
einer solchen Institution sich unzureichend erwiesen hat, wenn so man-
chesin ihren Zielen nicht mehr der Zeit entspricht: ihre Wurze!n Icben
fort, die in den Zweckzusammenhangselber hinabreichen; ihre recht-
lichen Grundlagen, ihre Geldmittel, die mannigfachen Verhâltnisse, in
welchc sic eingreift, sichem ihren Fortbestand. Die Funktion, die sic
fur eine gcgcbene Lage der Kultur erfüllt hat, wird nun ersetzt durch
cine andere, welche den neu entstandenen Bedürfnissen entspricht.
So ist es auch mit der preuSischen Akademie der Wissenschaften
gegangen. Sic konnte nicht einmal geltend machen, da6 sie in den
vierzig Jahren, die sie nun bestand, etwas Bedeutsamcs geleistet habe:
aber im Besitze ihres Ka!endcrmonopo!shatte sie ihr Dasein gefristet.
Jetzt bcgann eine neue Periode in ihrer Entwicklung, indem ihr neue
Aufgaben gestellt wurden.
!n der ,Geschichte meiner Zeit" schreibt Friedrich: "Die Fort-
schritte der Phi)osoptue, der politischen Okonomie, der Kriegskunsr,
dps Geschmackes und der Sitten bilden ohne Zweifel einen intercssan-
teren Gegenstand für Betrachtungen als die Charaktere von geistes-
schwachenl'ersonen im Purpur, von Charlatanen mit der Tiara auf dem
Haupt und von den Kon!gcn zweiten Ranges, Minister genannt, von
Dilthey,t.taauNehf m
StMftcn 8
ït~ /<wA <& ~< «~ <&«~< ~<(/X~«~
denen nur wenige in der Geschichte einen Platz verdienen." !m
politischen I.eben wiederholen sich immer wieder dieselben Dinge, nur
die Namen der Akteure wechseln, wahrend die Entdeckung bisher un-
bekannter Wahrheiten und die Aufk!ârung des Geistes das Interesse
aller denkenden Menschen beschâftigen müssen. Es war die Summe
der Geschichtsphilosophie des Jahrhunderts. Die Menschheit schreitet
durch die Macht des Gedankens in gesetzmâËigemGange aus der Bar.
barei zu veredelten Sitten, zur Toleranz und zu seibstândiger Moïatitât
vorwârts. Hieraus folgen der unbedingte Wert des wissenschafttichen
Denkens und der internationale Charakterder wissenschaftlichenArbeit.
Das war mehr, als Leibniz gewollt hatte. Leibnizkonnte sich die Funk-
tion der wissenschaftlichenArbeit immer nur in einem unmittelbaren
Zusammenhang mit den anderen Werten der Kultur denken sic ver
lor sich ihm fast in einer Fülle praktischer Aufgaben, zumal wenn
er das Interesse des Staates an seinen organisatorischen Vorschtâgen
zu erweisen suchte. Seine Akademien waren immer zugleich technische
Anstalten, in weitestem und engstem Verstande. Fur Friedrich lag in
der Herrschaft der Vernunft und in ihrem Fortschreiten das hôchste
Interesse des Menschengeschlechtesselbst. Indemder Staat die Wissen-
schaften pf!egt, ist er der Trâger von Werten, welche weit aber seine
eigene vergainglicheExistenz hinausreichen; erdienteinemunbedingten
und hôchsten Zweck der menschlichen Gesellschaft. Und in diesem
selbstlosen Dienste wird er die hôchste Triebfeder, die Kraft des ver-
nünftigen Denkens, in freie Tâtigkeit setzen und so auch sein eigenes
Interesse rordem. ïn diesem Sinne erHârt sich Formey in der Vorrede
zum crsten Bande der Denkschriften der neuen Akademie (ï745): es
waren die Gedanken und tei!weise die Wortc des Kônigs selbst. Das
wird also die erste Verânderung sein, welche in der Funktion der
Akademie nach dem Wi)!en Friedrichs eintritt: sie wird die Bezichung
ihrer Leistungen auf dcn ôffcntHchen Nutzcn,auf die wirtschaftlichen
und technischen Fortschritte nicht mehr als MaBstabund Rechtsgrund
ihrer Existenz ansehen: jede Entdeckung trâgt ihren Wert in sich selbst,
in der Kraft, die sic enthalt, das Fortschrcitender Vemunft zu fôrdem.
Ein neucs tdeat der Akademie, in welchemdie Keime für künftige Hnt-
wickiungen enthalten waren.
Und deshalb nmssen die Arbeiten der Akademiea!tcnKuIturv<kern
zu~unglich sein. Dies wurde fruher durch die lateinische Sprarhe er-
rci' ht: jctzt war die franxcsische an ihrc Stc!]c gctrctpn. sie herrschtc
an den ï!ufcn und im diplomatischen Verkehr, sie war die Weltsprache
gcworden. Su sind es in erster Linie Grundc ganz sachlicher Art ge-
wesen. welrhe Fripdrich hcstimntten. sic zur offizie)!pn Sprache der
Akadtmic xu !n:u)K'n.t)ic Dcnkschriftt'n der HcrUncr Akademie wur-
neue ~M<!<&)WM.'
ZM< Z&&MM<~
M~ '!5
den in einer anderen Sprache zu jener Zeit ùber die Grenzen Deutsch-
lands hinaus nicht gelesen worden sein. Man hôre die BegrUndung von
Maupertuis:die Verwendungder lateinischen Sprache fur die Begriffe
der modernen Wissenschaft bringt einen sonderbaren und lâcherlichen
Jargon hervor in der franzosischenSprache allein kann man sichuber
jede Art von Gegenstânden mit Genauigkeit und Eleganz ausdrücken,
ihre logische Vollkommenheithat ihr diese allgemeine Geltung ver-
schafft. ,,So kommt es, daB einMonarch, dessenGeschmack der ent-
scheidendeRichterindiesenDingenist, sie mit solcher Eleganz spricht
undschrcibt und sie seiner Akadcmievorgeschrieben hat." Wieviel die
Herrschaft der franzosischen Spraehe in der Mitte des vorigen Jahr.
hunderts,welche Friedrich und die Akademie doch nur verstârkt haben,
aufdie Umformung der unsrigen, auf den Stil eines Lessing, Mendels-
sohnund Wieland gewirkt hat, das wird erst eme genauere Geschichtc
unscrcr deutschen Schriftsprache gerecht abwâgen kônnen.
Die dritte und wichtigste Verânderung in der Funktion der Aka-
demiekündigt sich in ihremneuenNamenan ~a~M!«? des .scienceset
~<<?~<'<6~. Auch dieseErweiterung war durch den Geist der fran-
z<'hischen Literatur des Jahrhunderts bedingt. Sie folgte aus dem neuen
Begriffdes Schriftstellers, wie ihn Voltaire, Diderot und Friedrich selbst
repras!cnticrtcn,und wie er dann in Lessing eine echt deutsche Ver.
w!rklichunggewann. Hier hat sich doch in der Tat ein entscheidender
Fortschritt in der Geschichte des deutschen Geistes unter dem Ein-
f)uRder franzosischenLiteratur vollzogen. Die urnfassende Einheit all-
scitigcn schriftstellerischen Wirkens, wie. Schiller und der spatcre
Goethe sie verkorpem, ist als ein Hochâtes die Fortsetzung dessen,
was Voltaire für Frankreich war. Die Akademie Friedrichs hat diesen
Zusammenhangzum ersten Mal in Deutschland ausgedruckt: sie fand
in der schriftstellerischen Form das Mitte!, welches von den abstrak.
testen wissenschaftlichen I.eistungcn bis zur literarischen Kritik und
zur Einwirkung philosophischer Ideen auf das groGe Publikum ihr
p)Mcs Wirken zusammenhielt.
Friedrich sah nun für diese ncuen Funktionen der Akademie das
~)r{;anin den franzôsischen Schriftstellem. Dies ergab sich aus seinen
(br~<'gten Ideen, und dann aus den Umstanden. Wenn er sich n)it
fmnxusischcn HoHeuten und Litcraten umgab, so entsprach das nur
dem. was auch an anderen Hôfen geschah. Dazu kam der geistige
!'jnf!u~ der franzüsischenKolonie.Sie bildete damais nf~chimmer einen
<'rhcb)ichenUruchtei)der Bevôlkerung der Hauptstadt. Und mchr noch
ats durch ihre Zaht waren diese Abkômm!ingc der Hugenotten durch
Kncrgip. togische Schulung und Beredsamkeit die Erbschaft (ter
fnnyusischcn Rpformipticn ein wichtiger Faktor im Lcben Ber!Ins.
8*
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Wer gedenkt hier nicht der eigent5m!ichenAuspragung dieser Eigen.
schaften in Dubois-Reymond, dem stândigen Sekretir der Mturwissen.
schaftlichen Klasse unserer Akademie? Der Kônig stand dann zu den
Hâuptem der franzôsischen AufMârungin persônlichen Beziehungen;
er war gleichsam mit dngereiht in diese vorwartsdrangendeeuropâische
Verbindung; im Norden batte sich durch ihn ein neuer Mittetpunkt
derselben gebildet. Und wenn nunden modemen Schriftstellem in Paris
die Freiheit der Feder beengt und das Leben erschwert wurde: unter
den F lügeln seines Adlers sollten alle freien Geister Zuflucht und ge.
sichertes Dasein finden. Da bot sich denn die Akademie als natür.
licher Sammelpunkt dar. Sie sollte die Burg der Aufk!ârung sein; es
schien dem Kônig moglich~ die Akademien von Paris zu erreichen,
ja vielleicht zu überflügeln. ,,ïch fühle," schreibt er an d'Alembert,
,,wahrhaft eine gro6e Verpflichtung gegen Ludwig XIV. für die Wider.
rufung des Ediktes von Nantes; wennsein Enkeldiesem erhabenen Bei-
spic! nachfolgenwollte, sowâre ich voller Dankbarkeit;besonders wenn
er zugleich aus seinem Reich dies Philosophengezüchtaustriebe, würde
ich mildherzig die Verbannten aufnehmen."
Es war im Grunde doch der alte Gegensatz des katholischen Sy.
stems, welches von den Tagen des Descartes ab jedem wissenschaft-
lichen Denker Rcverenzen gegenüber dem Papst und den Jesuiten ab-
gefordert batte, und der Gedankenfreiheit, auf der die Reformation
beruhte, und kraft deren der groBe Kurfürst den Hugenotten in seinen
Landen einst eine Zuflucht gewâhrt hatte. Diese Gedankenfreiheit ge-
dachte Friedrich auf den ganzen Umfang wissenschaftlicherKetzereien
ohne irgendeine Einschrankung auszudehnen. Wenn er Lamettrie in
seine Nâhe zog, so geschah es, um der Welt zu zeigen, da6 in seinem
Staate die Toleranz unbegrenzt sei. Es war nicht seine Schuld, wenn
cr sich hierbei vomehmuch mit Freigeistern von geringerer Sorte bc-
gnugen muBte. Er führte einen stillen anhaltenden Krieg mit Frank-
reich um dessen groBe Schriftsteller. So sondcrbar uns Heutigcn cin
solches Unternehmen erscheint: es f!oC folgerichtig aus seinen hochstcn
geschichtsphilosophischen Prinzipien, in dcnen er mit Voltaire im Ein.
klang war. Nicht die abstrakte Wissenschaft aUein, auch die schône
Literatur ist cin Hôchstes, dessen Werte und Normen gleichsam über
den Votkem, in einer Region des rein MenscMichenund Universalcn
wohnen. Die goldenen Zeiten des Perikles und Augustus, des Lorenzo
de'Medici und t-udwigs XIV., durch so weite Zwischenrâume sie ge-
trennt sind, bilden eine Einheit. Sie entstehen in der Obertragung des.
selben guten und regehnâBigen Geschmackesvon einer Nation auf die
anderc, sie sind durch dieselben allgemeinen menscMichen Normen
der echten Kunst vcrbunden. Die Formender Dichtungsarten sind durrh
Die<M/<M
~<M~M%~ "7
feste Gesetze zcitlos bestimmt, sie bilden ein unvcranderliches natür.
liches System. Diescn Begriffen haben dann Hamann und Herder die
Eigenart nationaler Dichtung entgegengesteitt, wie sie aus der inneren
lebendigen Kraft eines Volkes entspringt.
3.
Im Juni t~~o ergingen die ersten Einladungen des jungen Konigs
an die Gelehrten und Schriftsteller, die ihm die Akademie reformieren
helfen sollten. Nicht alle erschienen, auf die man zâhite. Unter den
wissenschaftlichenZelebritaten versagten sich Vaucanson in Paris und
s'Gravesandein Leyden. Aber der grôBte Mathematiker der Zeit, Euler,
wurde gewonnen, und er war von dieser Zeit ab fünfundzwanzigJahre
hindurch gleichsam das Rückgrat der mathematisch-naturwissenschaft.
lichen Abteilung der Akademie. Aïs Schriftsteller gro6en Stiles stand
Voltaireim Hintergrund, wenn er auch zur Zeit von der ,,gôttlichen
Emilie" sich nicht trennen wollte. Ein schlechter zeitweiliger Ersatz
für ihn war der italienische Windbeutel Algarotti: er kam und ent-
tâuschte.Besonderen Wert legte der Kônig auf die Berufung Christian
Wolffs. Der brutale Ha6 seines Vaters gegen die neue Philosophie
batte den wirkungskrâftigsten unter den deutschen Denkem der Zeit
vor nun siebzehn Jahren aus Halle vertrieben. Friedrich dankte seinen
Schriftendie erste Einführung in die Philosophie des Jahrhunderts und
war entschlossen, ihm Genugtuung zu geben. Zugleich sollte seine
auSerordentliche, wenn auch etwas pedantische Lehrgabe für die Aka-
demie genutzt werden. "Denn unsere Akademie muB nicht zur Parade,
sondem zur Instruktion sein." Daher sollten in ihr ,,auswârtige ge-
schickteMânner alle Teile der Philosophie dozieren, damit Junge von
Adel und andere was Rechtschaffenes lemen kônnten." So wârc diese
Akademie zugleich eine Art modemer Univcrsitat fur die regierende
Klasse des Landes geworden, wenn man nicht schlieBlich von einer so
ungewohnlichen Erweiterung ihrer Aufgaben Abstand genommen
hâtte. Wolff wollte indessen lieber in Halle ,,professor generis hu-
mani", wie er sich seibstbewu~t nannte. als ein ~académicien" in
Berlin sein, zumal da er bald hôren muBte, daB ein Newtonianer, Mau-
pertuis, die Akademieleiten und das Franzosische ihre offizielleSprachc
werden sollte. Es war der erste rall, da6 die emporstrebenden Uni.
versitâten in Konkurrenz mit einer Akademie traten.
Im September 1740 war dann die berühmte Zusammenkunft, in
welcher Friedrich zum ersten Mâle Voltaire und Maupertuis ge-
sehen hat. ,,Mein Herz und meine Neigung," mit diesen Worten hatte
er Maupertuis eingeladen, "haben seit dem Moment meiner Thronbe.
steigung das Verlangen in mir entzündet, Sie hier zu haben, damit Sie
<<- ~<t~
Frledri<hderGm~6baart die_deutstkeArrfklürux,~
der Berliner Akademie die Form geben, die Sic allein ihr gebcn konnec.
Sic haben die Welt uber die Gestalt der Erde aufgeklârt; lehren Sie
nun auch einen Kônig, wie su6 es ist, einen Menschenwie Sie zu be
sitzen." Maupertuis hatte durch die Expedition nach Lappland, welche
der von Newton theoretisch crscHossenen Abp!attung der Erdc eine
cmpirischc Best&tigungbrachte, Wettruhm erworben. Indes schon da.
mats batte sein hochfahrender Geist in den wissenschaftlichen Kreisen
von Paris eine Opposition gegen ihn hervorgerufen. So folgtc cr gcm
der schmeichelhaftcn Einladung des nordischen Salomo. In dieser Zu'
sammenkunftwurde der junge Kônig sogleich und für das ganze Leben
von Maupertuis gewonnen. "Das gricsgrâmigstc Gesicht, das ich in
meinem Leben gesehen habe," aber cin vollstândig ehriirher Mannund
cin griindticher Gelehrter von groQer Kraft der Intuition, dessen Kon-
versationder Kônig auf die Dauer der von Voltairevorzicht. Aber wetdt
cin Rencontre zwischen Voltaire, der sich angcwisseunbestimmte,ctwas
nebelhafte Aussichten auf den Prâsidentenstuhlder Akademie erinnert
und ~taupertuis, diesem verkôrperten wissenschaftlichenHochmut, der
die Prasidentenste!!c in der Tasche hat. Der, wenn er auf seine Polar-
reise zu reden kam, in einen Ton verfiel, ,,ats hâtte er die Pole selbst
abgeplattet." Voltaire reiste unter solchen Umstânden zurück zu det
Marquise, Maupertuis folgte dem Kônig nach Berlin. ,,Als wir beidc,"
schreibtVoltaire, ,Cleve verUcBen,Sie rcchts und ich links, glaubtc ich
beim letztcn Gericht zu sein. wo Gott die Auserwâhhen von den Ver.
dammten sondert. Der gôtttiche Friedrich sagte Ihnen: Setze Dich zu
meiner Rechten ins Paradies von Berlin, und mir: Geh, Vcrdammter,
nach Holland."
Der erste schlesische Krieg kam, und Friedrich hatte cine ,,Mathc
matik" zu treiben, die ihm für anderc Dinge wenig Zeit Ue6. Er suchte
den in Berlin zurückgenliebencn Maupcrtuisdurch die liebenswürdig.
sten Billets bei guter Stimmung zu ertialten.Das gelang doch bci dem
Prâsidenten ohne Akademie nicht auf die Dauer. Maupertuis kehrte
noch im Jahre t74t nach Paris zurück. Dort wurde er im folgenden
Jahre Direktor der ~'a</<w/c des A/~t'~ und im nachsten auf den
Vorschlag von Montesquieu unter die vierzig Unsterbtichen aufge
nommen. So !ie6 Friedrich die Dinge, w!c sie waren, aber sie selber
drangten zur Entscheidung.
Denn der Kreis g!eichgesinnter Personen, die sich, in nâhercm
und weiterem Abstandc, um den Kônig schartcn. war bereits cine Macht.
Einige von ihnen hatten schon zu der Tafeirundc von Rheinsberg ge-
hôrt; die anderen hatten nur den Regierungswechseterwartet. um sich
zu dem neuen Herm zu bekenncn oder seinen Dienst und seine Gunst
zu suchen. Da waren die neuen franziisischenLiteraten. die sich einge-
!'<)
P~&f~af~
stellthatten, geladen und ungeladen, aber allé willkommen. Da waren
die zuverlâssigen Frcunde aus der franzosisehen Kolonie, die immer
ein pcrsôntiches Verhâltnis zu dem reformierten Herrscherhause ge-
habt hat, dcm sie ihre re!igiose Freiheit verdankte. Vor allem hatte
doch das Beispiel des Kronprinzen und nun des jungen Konigs eine
neue Art von Offizieren gebildet oder herbeigezogen, schr verschic-
den von den gottesfürchtigen und grobkômigeo Genossen Friedrich
Wilhelmsund seines Tabakkollegiums. Julius Casar war ihr Ideal, der
militârischesGenie mit den Gaben des Staatsmannes und des Schrift-
stellcrs vercinigt hatte, und in Friedrich erschien ihnen dieses Idcal
von neuem verwirklicht. Sie kommandierten heute unter seinen Augen
ihreBatailloneauf dem Paradeplatz oder in der Schlacht, eilten morgen
in diplotnatischerMissionnach Paris, London oder Wien, reorganisier.
ten inzwischeneine Behôrde oder regelten irgendein verwickettes Ge.
schaft der inneren Verwattung, und sammelten sich dann wieder um
ihrcn Helden, zu neuen Befehlen oder zu frôhlichem GcnuB, immer
hochgemut, empfâng!ichfür a!les, was Geist und Schônheit hieB, zum
Teil selber Schriftstellerund Künstler. Und sie, nicht jene Literaten,
und mochten diese das Hôchste leisten, waren die Vertrauten, die
Lebensgefâhrten,mit denen Friedrich sich ganz einig wuBte, die cr
Uehtc,die er in seinen Oden feierte, und um die er klagte, wcnn er
sic verlor.
Dièse Elemente strcbten nach einer Organisation ihrer gemein-
samcn geistigen Interessen. Der Generalfeldmarschall Samuel von
Schmettau übernahm die Führung. Einer der letzten Reprâsentanten
jenes heimatlosen Offizierstandes, der nun in der preuBischen Armée
selten wurde, aber auch ein Ao~wf d'esprit, vertraut mit der neuen
wissenschaftlichenund literarischen Bildung und geschickt, sie in die
schônenFormeneiner Konversation zu bringen, wie der Kônig sie liebtc.
Zugleich kamen Bundesgenosscn aus den eigenen Reihen der alten
Sozietât, Euler, der Neuberuiene an der Spitze. !m Sommer 1743
schritt man zur Tat und gründetc die .S'o<.w/<?
~~c. Wie rasch hatte
dochdie neue geistige Bewegung alle Kreise crgriffcn) 1 SechzehnEbren-
mitglicder und zwanzigordentliche waren in wenigen Wochen beisam.
men unter jenen die GroGen der Hofgesellschaft, Schmettau, der
Staatsminister Kaspar Wilhehn von Borcke, einer der ersten deut-
schen Shakespeare.tbersetzer, drei andere Minister, dann Gotter, PoU-
nitz, Kcyserlingk, Knobelsdorff, Finckcnstein, Stille, Duhandejandun;
unter diesen, den ordentlichen, zehn Mitglieder der alten Sozietât,
dazu die Franzosen der Kolonie und der jüngsten Einwanderung, die
beiden Achard, Formey, d'Argens, Jordan, FrancheviMc. Ats Beweg-
grund der Stiftung erscheint der..WunscheinigerEinwohner von Ber-
!~0_«iM~ C~< «?</«? <~«~r~ ~<<&w~ t
lin, welche fur die Wissenschaften und Literatur Geschmack haben,
ihre Kenntnisse zu erweitem und sich mehr und mehr dem Publikum
nützlich zu machen," als Zweck "die Pflege alles Interessanten und
Nützlichen in den verschiedenen Teilen der Philosophie, Mathematik,
Physik, Natur-, Staats- und Literaturgeschichte und Kritik." Ein Pro.
gramm, welches enger und weiter war als das der alten Sozietat. Die
Philosophie steht varan, und die GescMchteder Literatur und die lite.
rarische Kritik sind aufgenommen. Franchevitle legte hier seinen Ent.
wurf einer Geschichte der Künste vor, die er unter den Augen der
Soztetat zu schreibcn gedachte, und diese bezeugte ihm ausdruckhch
ihre Befriedigung über einen solchen Gegenstand. Es entsprach daim
dem neuen Begriff des durch das Wirken des Schriftstellers fur die
Aufklarung gegebenen Zusammenhanges aller geistigen Arbeit, daB
man von einer Einteilung in Klassenabsah: das Statut dieser
/<?<fe' kennt nur Gesamtsitzungen;diese sollen in freier Lebcndigkeit
Vorlesungen, Diskussionen und Korrespondenzen enthalten.
Der neue Verein tagte regeltnâl3igund beschâftigte sich mit emster
Wissenschaft. Die Sitzung vom 8. Oktober wurde durch die Anwesen-
heit von Voltaire verherrticht, der im Herbst t743 auf einige Wochen
nach Berlin gekommen war, und zwar diesmal als franzôsischer Agent:
eine neue Rolle des Vielgewandten,die der Konig weniger emsthaft
nahm als sein literarischer Freund. Aber auchdie a!teSozietat hielt sich
aufrccht, und sie war die vom Staat privilegierte und fundierte Ver-
tretung der Wissenschaft. Schmettau und Euler gingen denn auch von
Anfang an darauf aus, sie zu sprengen. Sie beantragten die Vereini.
gung der beiden Sozietâten. und clerKônig. der nun den rechten Augen-
b!ick fur gekommen hielt, willigteein. Einc Kommissionwurde nieder-
~esetzt; ein hartnâckiger Kampf zwischen den Alten und Ncuen bc.
gann, und wie es in solchen FSHenzu geschehen pflegt: das Resultat
war ein KompromiB. Die neue ,,KonigUche Akademie der Wissen
schaften" machte dem modernen Geiste manche Zugestandnisse. Sie
sch!oG positive Théologie, Jurisprudenz und Medizinausdrücklich von
ihrer Pflege aus. beseitigte die bcsonderedeutschc Klasse der alten So-
zietat, indem sie deren Aufgabcn der literarischen Klasse übcrwics,
und schrieb dieser nicht mehr vor, daB sie hauptsâchlich auf die orien-
talischeii Sprachen und die christliche Mission bedacht sein so~e. Sie
errichtete vor allem eine ganz neue Klasse, die philosophische, Aber
sie war weit davon entfernt, Philosophie und Literatur in die zentrale
Stellung zu rücken, die sie jetzt beanspruchten. Nach wie vor sollte
!-ich vielmehr alle Arbeit in den Klassen vollziehen. Die Klassen bc-
hielten überhaupt ihrc überlieferte Sclbstaindigkeit. Und so ânderte
sich auch nicht der oligarchische Charakter. den die Regierung der
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Akademiedamals, als man Leibniz verdrângte, angenommen hatte; ein
der
Kollegium,welches sich aus dem Vizeprâsidenten,den Direktoren
Klassenund vier Kuratoren zusammensetzte,ûbemahm die Herrschaft.
Wiemachtig noeh der Geist des Alten war. zeigte sich auch darin, da6
dieStatuten noch einmal deutsch abgefaBt wurden; in ihrer Unreinheit
und Unbiegsamkeit, ihrer Weitschweifigkeit, ihrem vâterlich-schul-
meisterlichen Ton war diese Sprache noch immer dieselbe wie vor
das Fran.
vierzig Jahren. Dem entsprach, daB für die Publikationen
ïûsische nur zugelassen wurde, neben dem Lateinischen und dem
Deutschen.
Das war denn nicht die Akademie, die Friedrich plante. Ats die
ncueAnstalt am 24. Januar 1744,scinem Geburtstage, erôffnet wurde,
blieber fem. Seine Hoffnungen knüpften sich an Maupertuis. End.
ttch schricb ihm dieser, daB er nach Berlin zurückkommen wolle. Die
Xachrichttraf den Kônig in der befreiten Stimmung nach dem Sieges-
in den Hebens-
morgen von Hohenfriedberg. Er antwortete freudig,
Personen
würdigstenAusdrücken, so wie nur er diese empfindlichen
zu behandeln wuBte: "Sie bringen mir ein groBes Opfer; was soll ich
tun, um Ihnen Vatcrland, Eltem und Freunde zu ersetzen?" Mauper-
tuis kam in der Tat, und wieder fiel dem Kônig die Aufgabe zu,
den DiftizHenbis zur Beendigung des Krieges bei*guter Laune zu er-
Mtcn. Die Licbe kam ihm zu Hilfe Maupertuisverlobte sich mit einer
Dame aus dem preuBIschen Adel. Friedrich gratalierte und vergaB
dabei nicht die durchaus notwendige Erinnenmg an die nordischc
Reise: ,,MochtenSie in der Liebe dasselbe Glück finden, welches Ihnen
beiIhren wissenschaftlichenEntdeckungen in Lappland beschieden ge-
wesenist; Urania und Newton singen Hymnen zu Ihrer Hochzeit."
Sobald der Konig aus dem Felde heimgekehrt war, ging man ans
Werk. Maupertuis bestand von vomherein darauf, dal3 für ihn das
Amteines Prâsidenten der Akademie in dem Umfang wiederhergesteUt
wurdc,wie es einst Leibniz bekicidet hatte, über allen Direktoren und
Kuratoren. Der Kônig bewitligte ohne weiteres diese Bedingung, sic
cntsprachdurchaus seinen eigenen Absichten. Dann entwarf Maupertuis
cin neues Règlement: ein Muster von Kürze und Prâzision. Diese
vom
Verfassung der Académie ~~o~ des j'<<<'$ et belles-lettres
to. Mai 1746legt die Regierung der Akademie in die Hand des Prâ-
sidenten, den der Konig selbstherrlich emennt. Friedrich hielt nicht
einmal fur ausreichend, was Maupertuis in dieser Hinsicht verlangte,
sondem bestimmte au~erdem, daB zu den besoldeten Stellen, dercn
Besetzungdem Kônig vorbehatten wurde. die Vorschtâge nicht vom
l'Ienum. sondern allein vom Prâsidenten ausgehen sollten. Dieser er-
hielt damit so gut wie ein Ernennungsrecht; die Akademie wurde zu
und die ~~<~r ~~A&w~
einem Instrument in der Hand des Kônigs und des mit seinen Intentio.
nen einstimmigcn Prâsidenten. Die Klassen werden jetzt tatsâchlich
aufgehoben. Dcnn sic entbehrcn fortan jeder selbstândigen Tâtigkeit;
sic halten keine besonderen Sitzungen, sic bilden keine erste In~aM
für BescMusseoder Wahlen, sic wâhlen nicht einmal ihre Direktorcn.
Es gibt nur Plenarverhandlungen; in ihnen allein wird gelesen, disku-
tiert, beschlossen und gewâMt. Auch dièse Ncuerung zog die Konse-
qucnzen des Charakters der Friderizianischen Akademic für deren
Verf&ssung:sic drückte die Einheit ihrer Aufgabe aus, in welcher alle
ihre einzelnen Tâtigkeiten verknupft sein sollten. Und wie von selbst
verstand es sich, dal3 jctzt aUe PuMikationender Akademie franzôsisch
crschcinen mu6ten.
Ein Jahrzchnt hindurch hat Maupertuis die Berliner Akadcnue ge.
leitet. Seine Reden in den Festsitzungen zeigen, wie voUstândig dies
in déni Sinne des Kônigs geschah. Der europâische Ruf des neuen Prâ.
sidenten ermôglichtc nun endlich, das gemeinsame Programm zu ver.
wirklichen. Sein feierliches Bewu6tscin von der Würde der Wissen-
schaft, sein franzôsisches, abstrakt wissenschaftliches Pathos, seine Pa-
riser Gewôhnungenan aH das, was dazu gehort, Wissenschaft in Szene
zu setzen, gaben jetzt auch âu&er!ichder Akademie den groBen Stil
und die vornehmen Formen, deren sic bedurfte, um neben den beiden
Pariser Akademienihre Stelle zu behaupten. Die Elite der europâischen
Wissenschaft bildetc nun den Korper ihrer auswartigen Mitglieder;
diescm anzugehoren, wurde als Auszeichnungangesehen, und so UeBen
sich hervorragende auswârtige Gelehrte gem zur Mitarbeit an den Denk.
schriften bewegen. Die Hauptsache war indessen, neue ordentliche Mit.
glieder von anerkanntem Rufe nach Berlin zu ziehen. Der Konig lieB
seinem Prasidenten darin vo!lig freie Hand. Freilich blieben die mate-
riellen Mittel bcschrânkt, und so kamen manche wünschenswerte Be
rufungen nicht zustande. Es war gerade für die Verstarkung des d eut.
schen Elementes in der Akademie ein Verlust, daS zwei Mânner ab-
lehnten, die, eine seltene Ausnahme unter ihren Landsteuten, jene Ver.
bindung strenger Wissenschaft und schoner Formen reprasentiertcn,
welche Friedrich und Maupertuis als Ideal vorschwebte: Haller in
Gëttingen und Kâstner in Leipzig. !n den Verhandlungen mit deutschen
Gelehrten machte sich nun schon ein neues Moment geltend, welches
ebensosehr wie die franzôsischen Neigungen des Kônigs der Entwick-
lung des Deutschtums in der Akademie hinderlich war. Die deutschen
Universitaten ôffneten sich immer freier der groGen europaischcn
Wissenschaft; hierin wurde insbe~ondere Gôttin~en ein leuchtendes
Vorbild.
Die Namen.an welche sich nun die wisscnschafttiche Stellung der
JFf/t~~J~t~J~
Akademieknüpfte, waren Euler und Maupertuis, Pott und Marggraf,
t.icbcrkuhn und Meckel. tn den mathematisch-naturwissenschaftlichen
diese Mânner die Ber-
Disziplincn,in Chemie und Anatomie war durch
lincr Akademie jeder anderen ebenbürtig. Die beiden anderen Klassen,
die philosophische und die literarische, welche dem Zweck der Aka.
demie, wie ihn der Konig gefaBt hattc, unmittelbar diencn solltcn,
standennicht auf derselben Hôhe. Von ihren Mitgliedern haben sichnur
der Deutsche SuBmikh in der Bevolkerungstehre und die Schweizcr
Beguelin, Sulzer und Mcrian in der Philosophie cin elirenvolles Ce-
dachtnis bewahrt. Aber gcschicht!ich angesehen kommt selbst dcn
Hatb-
Formey,Franchevilleund den zaMrcichenanderen Franzoscn und
franzoscn der Friderizianischen Akademie cinc Bcdcutung für unscrc
geistige Entwicklung zu. Durch die gefallige Elcganz ihrer Kcnversa-
tion und Schriftstellerei und durch die sdbstbcwuBte Univcrsalitât,mit
der sic auf alle Fragen der Wissenschaft und des Lcbcns die râsonnic-
rende Vernunft anwandten, wirkten sie auf die Verbreitung dcr aufgc-
k!ârten Ideen und der leichten schriftsteUehschen Form in unscrcr
Nation. Insbesonderegcht der eigcntümliche gcistigc Habitus dcr prcu-
BischenIIauptstadt zu cinem guten Teil auf jene Zcit zurück, da Frie-
drich und seine Franzosen den Ton der GeseUschaft bcstinuntcn.
Friedrich sah mit stolzcr Freude, wie seine Akademie cmporsm'g.
Er bczcichnete sich jetzt gem als ihren Protektor, ja, als ihr MitgHcd;
cr !ieB cigcne Abhandlungen und Dcnkrcden in ihr vorlescn. !)aB cr
nie personUchin ihren Sitzungen erschienen ist, entsprang aus semcm
Bcgriffc konigticherWûrdeundEinsamkeit. SeinemPrasidentcn gegcn-
über zcigte er immer dieselbe liebenswürdige Nachsicht: die Kata-
er nicht
strophe des ,,Papstes der Akademie" vermochte doch auch
aufzuhalten. Maupcrtuis' Streit mit Konig und dem furchtbarcn Vol.
tare, für den nun die Zeit der Rache gekommen war, machte seine
Positionunhaltbar. Friedrich batte unter Maupcrtuis' ..cxtremcn)t-~hr-
geiz, dcm sein Genie nicht cntspricht", und unter seiner bruskcn Art
viel geHtten; er empfand auch, wie derselbe sich "durch seine gigan-
tischen Mcinungentâcltertich machte". Jctzt stieg cr hinab in das Gc-
tütnmeldcr Mathematiker, ritterlich und verwegcn, \vic erin ScMachten
sich exponierte, um den Freund und Diencr auch mit seiner Feder zu
schùtzen. Umsonst!1 Die Geschichtc dieser Katastrophe ist oft er.
zaMtworden das Urteil der Nachweit in diesem groBen ProzeBübcr
Maupertuisiiegt jetzt in einer klassischen Abhandtung von Helmhoitz,
welcheIfarnack veroffcntiicht hat, dem Pubiikum vor. Genug, das An-
sehen des Prâsidenten war dahin. Auch litt seine angegriffene Gesund-
heit in der Tat unter dem norddeutschen K!ima. So ver!ieB er Berlin
zunâchst für ein Jahr. und dann, im Sommer 1756. für immer. Dem
"i. xriedrichder Cn?~ M<~<? <&«/ ~<~MfMMt~
unheilbar kranken, gebrochenenMannefolgten Friedrichs teilnehmende,
trostende, erheitemde Briefe, bis cr in der Fremde seinen Leiden erlag.
4.
In dem Jahre, in dem Maupertuisseinen letzten Urlaub antrat, be.
gann der Siebenjâhrige Krieg. Die Akademie blieb ohne Prâsidenten;
Euler besorgte die Gesehâfte. Aus der Dürftigkeit dieser Kriegszeit
taucht eine merkwurdige Notiz hervor: die Akademie scMag dem K8-
nig neun auswârtige Mitglieder vor; unter ihnen war neben zwei ande.
ren Deutschen der groBte deutsche Schriftsteller der Zeit, Lessing.
Friedrich bestâtigte, war aber so unzufrieden, daB er, als nun auch
Gellert und Lambert vorgeschlagen wurden, die Bestâtigung versagte
und selbstherrlich das Recht, neue Mitglieder zu emennen, sich vor-
behielt, bis der neue Prâsident emannt sein würde.
Er natte schon nach der Katastrophe von Maupertuis d'Alem-
bert in Aussicht genommen und diskret bei ihm sondiert. Der Sie-
benjâhrige Krieg war zu Ende, die Akademie war nun wieder eine der
vornehmsten Sorgen des Konigs. Den enthusiastischen Gluckwunsch
d'Alemberts beantwortete Friedrich mit einer emeuten Einladung.
Drei Monate hindurch verweilte nun d'Alembert zu Sanssouci in der
Gesellschaft des Konigs. Eine freundschaftliche Verbindung bildete
sich, deren ruhiges Licht über Friedrichs spâteren Jahren lag.
D'Alembert war einer der Führer jener tnachtigen Bewegung des
franzosischen Geistes, dercn Mitteipunkt die graCieEnzyktopadie ge.
wesen ist. Er war Mathetnatikcr nicht wie Euler, ,.dieser Teufels-
kerl", der in allen Revieren der Mathematikherumspürte, um an allen
môglichen Problemen sein geniales anatytisches Vermôgen zu er-
proben auch ihm war die ingéniée Anwendung desWerkzeugesder
Mathematik auf die physikalischenProbleme eigen, aber die eigentüm-
liche GroBe dieses grùndUch Maren Denkers lag in der ncuen posi-
tivistischen Grundïegung der Mechanik. D'Alembert war Philosoph
nicht im Sinne ,,der Philosophen", mit denen ihn sonst die Soli-
daritât der Aufklârung verband: er stand in eigener Position unter
ihnen, mit seinem überlegenen skeptischen Lâche!n; in der Einleitung
zur Enzykiopadie hattc cr die methodischeGrund!egung der Erfahrungs.
wissenschaften voHzo~en, welche das letzte Wort der gro6en Natur-
wissenschaft dieser Zeit ist. Wie sie die Augen ganz Europas auf ihn
lenkte. hat sie auch in Friedrich den Wunsch erweckt, diesen Mann
zum Prasidenten seiner Akademie zu gewinnen. Es ist menschlich
schôn, wie der Konig den Schicksalendieses bewegten SchriftsteUer-
lebens mit tatigem Anteil folgt. dem in seinem Vaterlande Vernach-
!âssigten durch eine Pension eine freiere Lebenshaltung ennôgïicht,
/!hM~ MMf~~W~ !25
ihmfreigebig die Mittel gewahrt, durch eine Reise seine zerruttete Ge-
sundheilwiederherzustellen,wie ein Vater für ihn sorgend daswarme
Wort drângt sich d'Alembert selbst auf die Lippen. In diese Sorge
mischt sieh eine liebenswürdige Politik, jede gunstig scheinende Si-
tuation zu nützen, um ihn zu gewinnen: bald diskret sondierend, leisc
andeutend, bald offen und herzlich fragend, dann wieder heftig in ihn
dringend, unwirsch über die stete Zurückhaltung des Philosophen, ja
schroffverletzend, bis ihm schlieMich nur ubrig bleibt, mit resigniertem
Humor über den Starrsinn des Geometers xu spotten. Wetch cin BiM
der Grazie des Kônigs im Verkehr mit dem Freunde geben d'Alemberts
Briefean die l'Espinasse Wie Friedrich einmal. nach dem Konzertmit
ihm im Garten von Sanssouci promenierend, eine Rose pflückt und sie
i)mimit den Worten reicht, "gern gâbe er ihm Besseres"; wie er ihn
in seineBibliothek hineinfûhrt und fragt, ob er nicht ,,Mit!eid habe mit
seinen armen Waisenkindern".
Was d'Alembert zu seiner konsequenten Weigerung bestimmt hat?
Er hat doch spâter das Amt eines stândigen Sekretârs in beiden Pari-
ser Akademien gem angenommen. Den glanzcnden Anerbietungen
Friedrichsgegenüber, die ihm eine gro6e Position und das Siebenfachc
seines Pariser Einkommens zusicherten, hat er vor allem geltend ge-
macht,da6 er die Verbindung mit seinem Pariser Freundeskreise nicht
aufzugebenvermôchte. Und gewi6 war damit ein gut Teit der Wahr-
heit gesagt. Ais spâter Laplace die Cbersiedelung nach Berlin erwog,
hat ihm lagrange abgeraten: nur für ein stilles Gelehrtenleben sei
hier eine Stelle, auf den Reiz der Pariser Gesellschaft und den GenuB
frcundschaMichenVcrkehrs müsse man verzichten. Und d'Alembert
hatte das feinste Verstândnis für den Zauber dieser Panser Gesellig-
keit, in deren Mitteipunkt er stand, seit ihn die Leitung der Enzyklo-
pâdie aus seiner stillen Dachstube herausgerissen hatte. Er sah sich
dann bald an diese Gesellschaft gefesselt durch ein Neues, das in sein
Leben einbrach und die Tragédie seines Daseins wurde: seine bestan-
dige und tiefe Neigung zu der MademoiseHede l'Espinasse. Abcr es
warendoch noch andere und tiefere Gründe, die der Philosoph dem Kô-
nig nicht âuSerte. Nie war Friedrich in Paris die Behandlung ver-
gessenworden, welche Voltaire zuletzt erfahren hatte. Und hatte auch
d'Alembert eine geheime Scheu vor dem Dâmon Voltaire: wenn dieser
ihm schrieb, geh nicht zu Luc, trau nicht dem bezaubemden Schein.
setbst d'Argens konnte sich nicht bei ihm halten; wenn Voltaire so
tâsterte und er tat das jedesmal, wenn von d'Alemberts Berufung
die Rede ging, dann schrak d'Alemberts Freiheitssinn zusammen.
,,Fùrchten Sie nicht," antwortete er, ,,daS ich solche Dummheit bc.
Schc; ich bin entschlosscn, mich nie in cines Menschen Dienst zu
t2& /Mt<~4 C~<- W/of~.<'</<'<~K~
~t~
begeben, sondcrn frei zu leben, wie ich geboren bin." Friedrich bleibt
für d'Alembert, so edel, menschlich und schon auch ihr Freundschafts.
verhâltnis ist, doch immer der Kônig, dem er sich in der Autonomie
seines Denkens eb'enburtig fuMt, von dem ihn aber ein Unübcrschreit.
bares trennt; vor dem ein freier Menschfrei dastehen und reden kann
aber nie ohne Reserve, immer auf der Hut, es kônne sein herrischcr t
KônigswiUeptôtzUchhervorbrechen. Und d'Alembert hat in seiner lei.
sen überlegenen Art etwas, das alle Menschen in einer gewissen Di-
stanz sehen n)6chte. Der Kônig ist ihm ein Objekt der Beobachtung,
er hat aus ihm ein Studium gemacht, er mochte ihn beeinflussen, ohne
doch selbst beeinfluat zu werden. ,îan darf d'Alembert," so schildert I
er sich selbst, "nur nicht merken lassen, daB man die Absicht hat, ihn r
zu leiten seineLiebe zurF reiheit geht bis zum Fanatismus, in so hohcm
Grade, da& er sich oft Dingen, welche ihm angenehm wâren, versagt,
&obalder vorhersieht, sie konnten für ihn die Quelle irgendwelchen
Zwanges sein." Der Kônig hat einmal, auf den Schein einer Indiskre. b
tion hin, einc Reihe seiner Briefe einfach ignoriert, ein ander Mal, als
er wieder seine schwacheGesundheit vorschutzte, ungnâdin entgegnct:
,.Ihr Geist ist so krank wie Ihr Kôrper; das wirkt ein doppeltes Leiden.
I''h mische mich nicht in die Kur."
:1
Doch batte d'Alembert in Sanssoucidem Kônig versprochen,
"dem d
WoM und dem Ruhm der Akademie sein Interesse zu widmen". Und
Friedrich seinerseits hat, trotz der klarsten Absage des Frcundes, ilun
die PrâsidentensteHe immer offen gehalten. So beginnt nun scit !763
ein cigentumticher Zustand in der Lcitung der Akademie. Der Kônig
selbst ist ihr Président; sie unterrichtct ihn nur von der Bedcutung eim's e
iu Aussicht genomntcnen Gc!ehr~enund harrt dann des Entschtusses e
des Konigs. Von Paris aus entfaltet der franzüsische RhUosopheine 1
umfassende lâtigkeit für sie. Es bilden sich, besonders seitdem La .<
grange in Berlin ist, gewisse Usancen des Verkehrs, welche auf der
Redtichkeit der entscheidenden Personen, ihren festen, ruhigen Rc.
lationen zu einander beruhen. Der EinfluB d'Alemberts ist abcr nur
wirksani gewesen, wpnn es sich um Berufungen iiandelte. In den inné-
ren Angetegcnheiten der Akademie hat der Kônig Kinmischungcn s
d'Aicmbcrts. wie fein methodisch sie auch angetegt waren. in der
Regel abgc!chnt.
D'Alembert hat mit intcrcsseioser Objektivitât untcr der Elite dt'r
Wisscnschaft Umschau gehatten, wenn es sich um Stellen in den strcn
gen Wissenschaften handelte. Er hat der Akademie I~grangc zugc
fuhrt, den grôbtcn ~tathematiker der folgenden («'ncration; er war bf
teHIgt ats I.apta(c spin~ C'b('r<sied'4ung nnch Rertin crwog, er hat dcn
bedetttenden ('hcmiker Sehcete zum Nachfolger von 'arggraf vorge- E
/-h~M <M</~M~ t~7
schlagen,und es lag nicht an ihm, wenn sein zweimaligerHinweisauf
Michaclisund seine Empfehlung von Johannes Muller ohne Folgen
blieben. Auf die philosophische Klasse erstreckte sich der EinfluB
d'Alembertsnicht; hier kam dertiefeGegensatz zwischendendeutschen
Afctaphysikemund diesen Positivisten zum Vorschein. ,,Es scheint
mir," schrieb Lagrange mit eincr ihm sonst fremden Malice, "jedes
Land beinah hat seine besondere Metaphysik, wie es seine Sprache
hat." So war d'Alembert auch an der Berufung des grôSten unter den
Philosophender Akademie, Lamberts, des Rivalen von Kant, nicht be-
teiligt, und dem Kônig batte man denselben "beinah aufgedrungen".
Es war dann aber edel und gerecht, wie d'Alembert auf Lagranges
Urteilhin für Lambert, dessen wenig einnehmendeLebensformenFrie-
drichabstieBen, eintrat.
Sehr kompliziert war d'Alemberts Verhâltnis in bezugauf das luf-
tige Geschlecht der Literaten im Gefolge der EnzykIopMie. In die-
semPunkte war d'Alembert schwach. A!s nach Maupertuis' Tode der
Konig in die engere Beziehung zu ihm trat, als er ihm die Epistel
gegendie Verfotgungder Enzykiopadie sandte, in dem liebenswürdigen
Gcp!anke!zwischen Poesie und Mathematik, wo Witz und Geist und
Grazieder beiden sich erprobten, da hatte d'Alembert an Voltaire ge-
schrieben ,Jch weiû nicht, was da werden wird mit ihmund mit mir;
aber wenn die Philosophie an ihm keinen Beschutxer hat, das warc
groBerSchade." Und als er dann in den Potsdamer Tagen seinerStel-
!un~bei Friedrich sicher geworden war, freute er sich der Môgtichkeit,
nunden Kampfgenossenxu nützen, und er triumphierte, als er Hetvetius
undJaucourt als auswârtige Mitglieder in die Akademiegebracht hatte;
erdankt dem Konig im Namen der Philosophiefür das Beispiel.das or
denHerrscherngebe. Doch entging dem klugen Auge Friedrichsnicht,
je langer das Verhâltnis andauerte, was da itn Hintergrunde sein Spiel
trieb. Wenner das nie direkt aussprach: aus dem leise spottischenTone,
mit welchem er manchmal die Anpreisung eines Martyrer-Literatcn
heantwortete,horte es d'Alembert heraus. Wenn man in dem Brief-
wechselzwischenVoltaire und d'Alembert einen Blick hintcr die K"u-
lissen tut. sicht man, wic notwendig Friedrichs Reserve war.
t28 ~hM~<M~a~<MMW~
DAS BÛNDNISZWISCHENFRIEDRICH
UND DER DEUTSCHENAUFKLÂRUNG
DIE WELTANSCHAUUKG
DER DEUTSCHEN AUFKI.ÂRUKG
I.
Die dcutsche Aufklârung und ihr religiôser Wahrheitsgehalt sind
tangc und vielfach noch bis auf diesen Tag von dem Gesichtspunkte
der geniaUtâtsstuhen Kritik ihrer romantischen Gegner und eincr ge
hâssigen theologischen roiemik aufgefaBt wurden. Die Geschichtcwird
~crechter urteilen. Diese Aufklarung zuerst ging von den Dogmen des
Christentums zurück auf die unvergângtiche Weltanschauung, in der
seine Wurzein liegen. Die I~ersontichkeitder Gottheit, deren Idee sich
seit don l'ropheten Israels entwickelt und mit dem Fortgang der Ge-
'.ittun~ hntner mildere Züge angenommenhatte, bis sie in den Gleich.
nisscn Christi den erhabensten, sanftesten Ausdruck fand; die Verant-
wurfïichkeit des Menschen als gegründet auf das Gewissen und die
moralischc Freiheit, nach welcher er der sittlichen Anlage in seincr
Brust zu folgen verniag: die Würde der mcnschHchen Natur, die in
diesen sittlichen Ticfen wurzelt die UnsterMichkeit,deren der Mensch.
so er das Gute will, gewi6 sein darf; endlichdas Reich Gottes als Aus
druck der Sotidaritât des Guten, Heiligen,Seligen in der Welt und der
Sicherheit seines Sièges in fortschreitender Entwit'ktung: dit'sc Fbcr-
zeugungen umsrhreihen <'ineder groBen ~!o~!ichkt'iten d<-rWpttan-
s''hauun~. in denen der Mpns<h seinoSt<ung im t ~ni\'<*rsu!nzu prfa<:st'n
~/tF&M~ der <~M<t~H~<~&ih<~ ~43
vermag. Neben dem wissenschaftlichen Positivismus und dem objek-
tivenIdealismus, der sich in der pantheistischen Lebensauffassungvoll-
endet,steht sie als ein dritter, gleichwertiger Typus. Jeder dieser Typen
umfaBt eine der Seiten unseres LebensgefuMs, die in der Natur des
Menschenund seiner Stellung zum Wirkiichen gegrundet sind. Nie
wird der menscNiche Geist in einem allgemeinguMgen System diese
Wirklichkeitund seineStellung in ihr wissenschaftlichbegreifen kônnen.
Aberindem das geschichtiiche BewuBtseindas Recht einer jeden dieser
Weltansichtenerfat~tund zugleich erkennt, wie eine jede von ihnen nur
in einer Bildersprache eine Seite in dem Verhâltnis unserer inneren
Lebendigkeitzu der Welt ausdrückt, blicken wir durch die Symboleund
Begriffein die Tiefen des Zusammenhanges, zu welchem unser Dasein
mit der Natur verknüpft ist. So eignet jeder dieser Weltansichten ihre
besondere Macht und Wirkung. Unter ihnen ist der Idealismus der
moralischenFreiheit zweifellosdiejenige, welcheden glücklichsten Ein-
ftu&auf die sittliche Bildung des Einzelnen, auf die moralischen Krâfte
der Staaten und auf die Erziehung der Menschheit besitzt. Und auf
dieser Weltanschauung beruht das Christentum.Sie dnickt sich in der
Bergprcdigtund in den Gleichnissen Christi aus. Die Natur und die ein-
einfachenFonnen menschlichen Daseins, wie sie der Vater in seinem
Hause, der Sâemann, der ûber die Fluren hingeht, die Fischer am Sec
darbieten,wurden ihm zu Symbolen der friedlichen, unerschütterlichen
Verhâltnisse,in denen der Mensch zu dem Vater im Himmel und einem
gôttlichenZusammenhang der Dinge steht. Diese Weltanschauung er-
langtedann weltgeschichtlicheMacht, indemsiedie einfachsten, mcnsc!t-
]i(h wirksamsten Ergebnisse der alten Kultur in sich sammelte: die
t~ricchischenIdeen von einer gottHchen Vemunft, einem Logos, derr
in der religiosen Offenbarung wie in dem philosophischen Denken
wirksam ist, und die romischen Lebensbegriffe von den mit uns ge-
burencn Anlagen zu sittlichem und religiosem, weMichem und staat-
lichemDascinund von dem Zusammenhang der Pflichten, der aus ihncn
entspringt.
Loste man aus dem Christentum den Dogmenglauben und jede Art
von Plagie des Kultus und der Zeremonien, so schienen, wie aus einem
Schutt, die klaren, reinen und dauernden Liniendieser Weltanschauung
hervorxutreten.~!an kônnte die Geschichte des Rationalismus von den
Tagcn des Erasmus ab denn der Rationalismus ist ebenso ait wie
Lutheroder Calvin darsteUen ats den Verlaufder Arbeit, in welcher
die Schichten der Dogmatik, wie sic sich historisch gebildet hatten,
nacheinanderwieder abgetragen wurden. GewiR liegt zwischendieser
Weltanschauungund der Summe der christlichen Legenden und Dog-
mcn das eigcntümlichc und als GeschichtHchesunergründliche Edeb-
'44 /~<~fA der Cr~ und die <
nis des Urchristentums, das eben durch seine UnfaBlichkeit und die
Paradoxie in der Mischungseiner Züge das Gemüt an sich zieht. Dies
zu erfassen, war die lange Arbeit des nachkommenden geschichtlichen
BewuBtseins. Das Personliche,geschichtlich Bestimmte dieses Er!eb-
nisses mit der Forderung von einer universalen Geltung der reHgiësen
Wahrheit in Einvemehmen zu setzen: das ist das Problem, an dem seit
Schteiermacher und Hegel unser Denken sich abarbeitet. Das rührt an
die letzten Geheirnnisseder Geschichte sie lagen diesem t8. Jahr'
hundert fcm. Es hielt sich an die klaren Wahrheiten, die es ais aUge-
meingûltig begründen zu kônnen glaubte. Es verstand schlieBlich nur
sich selbst und was seiner gedankenmâBigen Art war. In ihren festen,
deutlichen Begriffen hat doch diese protestantische Aufklârung dcn un-
vergânglichen Gehalt des ChristentumserfaSt. Und als der "alles zcr-
malmende Kant" die metaphysischenDemonstrationen für den person-
lichen Gott, die moralische Freiheit und die Unsterblichkeit aufloste,
!tat er nur in dem moralischenBewuBtseinder Verantworttichkeit den
tiefsten Grund aufgedeckt, aus welchem diese Oberzeugungen xu aUcn
Zeiten im Gewissen der Menschensich al.s Postulate wieder aufbauen
werden. Und mit ihm waren im Einverstândnis die anderen Vertreter
dieser Weltansicht, Jacobi, Fichte, Wilhelm von Humboldt und (ler
Gewaltigste unter ihnen, Schiller. Das also war das groBe positive
Werk, das die deutsche Aufklârung verrichtet hat.
Aber diese Weltanschauunglag seit den Tagen der Vâter und Apo-
togeten in cinem ungeschlichtetenStreit mit der Lehre von einer parti
kularcn Offenbarung, von den gottUchen Pcrsonen, von Erbsünde und
Gnade. Und nun vollzog sich von dem /M/<7/<w derTheologen wie
Ernesti und Mosheim und der hohen (*eist)ichen wie Sack und Jerusa-
lem bis zu SchrittsteHern wie Reimarus und Paulus und Geistlichen
wie Tet)er und Zôllner die Lostôsung dieser Dogmen von der Wettan.
schauung, welche ihren Hintergrund bildete. Eben was dieser Welt-
anschauung jetzt ihre Kraft erhohte, daB nunmehr die Weisheit und die
Gûte der Gottheit in der unverbrûchUchenOrdnung, in der woMtâtigen
Notwcndigkeit einer von erkennbaren Gesetzen der Natur regierten
Welt begriffen wurden: das machte die nachtraglichenEinmischungen
dieser Rach GesetzenwirkendenGottheit in den Lauf der Welt unglaub.
haft. Eingriffe, die in einem Winkel dieses Universums stattgcfundcn
haben soHten. und derenwunderhafteNatur aus den Begriffen von cincr
affektiven, in sich bewegten, in Einzethandiungen wirksamen Gottheit
stammte. Die histonsche Kritik zerlegte in Semler, Michaetis, Reimarus,
Lessing, Spittler und Planck die Traditionen uber die Geschichte ts-
raels, die Einfuhrung des Christentumsund die Ausbi!dung der katho-
liscttt'n Kirche. nie mora!ischt'Kritik bcstritt aus dem HcwuBtseinder
jP~.<4<{/KtMM{~
/?<MM '45
sittlichenWürde und Autonomie die Uogmen von Erbsünde und Gnade
und den spezifischen Wert der Kultushandiungen.
Das Meiste,was damais vor der historischenKritik zusammenbrach,
istam Boden gebtieben. Und ebenso ist nichts von dem, was das mora-
lischeBewuBtseinin Lessing und Kant von dem christlichen Do~men-
kreis zerstort hat, einer dauemden Restauration fâhig gewesen. Die
Umwâtzungder Theologie, welche Schleiermacher, Hegel und die histo'
rische Schule herbeiführten, erwies sich nur haltbar in bezug auf das
tiefere Verstândnis der religiôsen Prozesse, in denen sich dic christ-
licheGlaubensweitgebildet hat, und auf den dauemden religiôsenWert,
welcher denselben zukommt. Und selbst die Einsicht, daB sich hier
aus den unergrûndiichen Kraften der moralischen ï'erson und ihres
schaffendenVermôgens geschichtliche Symbole ewiger Wahrheitenbil.
deten, ist in Kants Religionsschrift schon enthalten. So ist die theolo-
gische Kritik der Aufklarung schlechtierdingsdie Grundlage für die
historische Gedankenarbeit des to. Jahrhunderts. Wie l)âtte auch der
Gedanke der Entwicklung oder die Methodeder Vergleichung auf die
Schôpfungendes menschtichenGeistes angewandt werden konnen,wenn
man fortgefahren batte, in die Mitte der Geschichte die hôchste Stufe
des menschlichen Daseins zu verlegen und sie als ein Cbermensch-
licheszu denken? So darf die Hârte, mit welcher Niebuhr, die Grimm,
Hegelund Ranke sich von dem theologischenRationalismus abwandten,
nicht darüber tàuschen, daB sie in der historischen Kritik die Nach-
folger von Semler, Lessing und Spittler und in der Erfassung des Ewi-
gen in der Gestalt des Geschichtlichen die Schüler von Lessing und
Kant waren.
In dem Staate Friedrichs empfing diese reîiglose Aufklârung einen
regimentalen Charakter. Sie trat unter den groben Gedanken (ter
Erziehung des Volkes, mit welchem Friedrich sein PreuBen crfülltc.
Der Idealismus der moralischen Freiheit besaB in sich die Macht, eine
solche Erziehung des Volkes zu vollbringen. Sie wurde in den edelsten
\'ertretern dieserAufgabe zumSelbstzweck.Man begann in der geistig-
sittlichen Bildung der Einzelperson nun auch in Deutschland das Ziel
aller Anstalten der Kultur zu erblicken. Wie Lessing in der Religion das
gtoBe Werkzeug der Erziehung des Menschengeschlechtessah, so dach-
ten Friedrich und sein Zedlitz den Staat als Erzieher. Und mit ciner
rechtschaffenen Cberzeugung, deren inneres Feucr ihn bis in das
hôchste Alter durchglühte, hat Kant die Entwicklung des Menschen
xur Mundigkeit durch Aufklârung und Erziehung als Zweck alles prak-
tischen Handelns im Staate aufgefaBt. Nicolai hat in seiner Deukrede
auf Teller in der Akademie ein glânzendes Bild entworfen, wie an dieser
Arbeit die Minister Munchhauscn und Zedlitz mit den im Obcrkon-
ni)tht;,(,<'<.m)mc!t<'Sfhriftn)!n to
/~<~<-A C~ ~</ O~/A-~ ~«i~/<i~~
t~6
sistorium wirksamen Mannern, Sack, Diterich, Spalding, Irwing, Bu-
lamals die
sching und Lamprecht, zusammengearbeitethaben. ,,Es war
Zeit der scMnsten Blüte der schônen Regierungszeit Friedrichs des
GroHen. In allen Zweigen der Regierung herrschte cin allgemeiner
sehr lehrreich sein,
eifriger Trieb zur VervoHkommnung.Es würde
die verschiedenen Charaktereund Handlungsweisender edlen Mander
zu schildern, welche damais das Oberkonsistoriumausmachten und bei
aller Vprschiedenhptt mit so inniger Einigkeit zur Befôrderung des
Gutcn arbeiteten." Indem die Aufklârung dem Kultus und den Zere-
monien jcde übersinnlich magischeWirkung aberkannte, trat die Macht
der christlichen Religiositât gleichsam in die Unsichtbarkeit zurück.
i )(;rProtestautismus war dieserAufklarungdic Seele des Staates, die alle
seine Organe mit einer einnwtigeti idealen, moralisclicn Kraft durch-
Wirksamkeit.
dringen solite: überall gegenwârtig,in ciner rein geistigen
In dieser moralischen Auffassungdes Christentums, verbundcn vielfach
mit schlichtem alten Glaubenoder mit den neuen reUgiôsen Ideen von
Fichte. Jacobi, Schleiermacher,!ebten Friedrich Wilhelm III., Stein,
Humboldt und die groben Führer der Befreiungskricge. Sie durch-
drang alle Klassen der Bevôlkerung,und als die tuUitarisch-poUtische
Volk
Organisation unseres Staates zusammenbrach, hat sic unserem
die zâhe Kraft des Widerstandesund den einfachen, frommen Glauben
verhchen, mit dem es seineSôhne in den Tod schickte. Sie war nicht
blot~c Theologie, sondem eine neue und eigene Stufe der christlichen
Religiositât.
Nichts CroSes ist ohne Grenzen und ohne Schatten. Diese mora-
lische Religiositât der Aufklârung hatte in der letzten 'l'iefc des re)i-
giôsen Gemutcs eine Schranke,über welcheerst Kant hinausgt'schrittcn
ist. Das ideat der Kuttur, wie es im <7.Jahrhundert in Leibniz seine
\oHendete Reprasentation gcfunden hatte, war im Gcgcnsa.tx zu d~r
Weltabwendung des â!teren Christentums und im Einverstândnis mit
déni naturwissenschaMichenGeiste entstanden. Es stand zbgleich in
Xusammenhang mit den praktischenZielen der emporstrebendcn nafio-
nalen Staaten. Es war utilitarisch,d. h. auf Woh!fahrt und Nutzen ge-
richtet. Die groSen MoralistcnEnglands von Shaftesbury bis Adam
Smith finden in dem sittlichen BewufAtseinals dessen Icbenftige und
~-fuh~kraftige \'oraussetzung überall die Sympathie und das Intéresse
an der allgemeinen Wohlfahrt. Leibniz und die deutsche Aufklârung
erhtickcn einmutig in dem Streben nach Entwicklung, \'o!tkommen-
heit und Glucksetigkeitdie Bewcggrunde des sittlichcn Handetns. Dies
ist der Horizont, in welchemdie Theologie der Aufklârung bis auf
Kant eingeschlossen bleibt. So reicht sic nicht bis in die Ticfc des
Christentums, welches jenscit jeder Art von Verband und Zusammcn
und &A<t~M
Cr~Mrow '47
leben den Menschen in seiner Relation zu der gôttlichen Persônlichkeit
erfaBt: einsam, wie er dem gottHchen Gericht unterworfen ist, und wie
er sterben wird. Und in der Enge des deutschen Lebens cmpfing dieses
utilitarische Ideal einen Zusatz von gemeiner Nützlichkeit. Bis dann
Kant die sittliche Person wieder losloste aus jeder Beziehung zu dcn
endlichen Kulturwerten.
Aus demselben Kulturideal entsprang eine andere Grenzein diesem
rcHgiosenBewuStseniderAufklarung. Der Fortschritt und die Solida-
ritat der allgemeinen Wohliahrt~warcn in ihm auf die aUgemeinguItige
Wissenschaft gegründet. Sein Charakter war Intellektualismus: jeden
Wert des Lebens wollte es in Denkprozessen befestigen. Die aUge-
n~cineWohlfahrt ist das Ziel, und die Aufklàrung zu deutlichen Bcgrif-
feu überall das Mittel. So soll auch die Retigiositât zu diesen Hcgrrffen
erhobenund in ihnen begrundet werden. Der Idealismusder PcrsonHch-
keit und der moralischen Freiheit schien diesem Zeitalter fâhig, cinc
solche I3egründung durch reine Vemunft zu erfahren. Bis dann Alles,
was in der Tiefe der Person und in den groBten religiôsen Erschei-
nungen der Menschheit von Unergründlichem, Gemûtsgewaltigem ge-
k'~cn ist, als Gegeninsbmz sich geltend machte: als eine Wirklichkeit,
die stârker ist als jedes Rasonncmcnt. In der ruhigen Sicherheit, die
aus diesen festen Begriffen ftoB, lag die Kraft dieses Standpunktes;
sie wurdc verstarkt durch sein gesundes Verhâ!tms zum Leben, durch
seine Xâhe an die Bedurfnisse des Volkes. Aber er war unfâhig, das
Recht anderer Weltansichten anzuerkennen. Und in PrcuBen erhielt
dicse stcifnackige Oberzeugthcit von der eigencn Weltansicht und der
eigencn Person noch einen besunders unangenehmen Zusatz durch tien
Bcamtcncharakterder Geistlichen und der Gelehrten jcncr Tage. Die
Suatsautoritât der Kirche tritt in den Sack und Spalding, den *rc)!er
und XôUncrals Bindung des freien Geistes unter eincr rechtlich gcord-
ticten Autoritât hervor. Es war der k!ag!ichste Beweis hofischer Unter-
wurfigkeit, daH diese Beamten Gottes den Doppelehen Friedrich Wil-
hetms Il. ihren Segen gaben. So litt das Christentum Schaden an der
guttlichen Freiheit des Geistes, der hoch über den einzcinen Staatcn,
ihren Kuhurzwecken und ihren gesettschaMichen Abstufungen in unge-
hundencr Kraft wirken soll. Bis d:mn Sddeiermachers Rt'dcn ubcr
Religion in radikater Energie die Rechte des religiôsen Bcwut~tscins
wi cderherstellten.
Johann Heinrich Lambert war cin Kisâsser von Gcburt; von den
SchweizernSulzer und Euler war er nach Berlin gczogen wordcn. Wie
cr dem Kiinig aufgedrungenwar, ist er ihm immer fremd geb!iebcn. Er
wâre überall ein einsamer Mann gewesen. Cffen bis zur abweisenden
Rauheit, von hôchstem SeibstbewuCtsein,das sich doch in der Welt
nicht geltend zu machen wuBtc, stand er nicht nur den geringeren Mit
gliedern der Akademie fremd gegenüber, selbst Lagrange vermochte
nur schwercin nâheresVerha!tniszu ihm zu gewinnen. Er war von kind-
lich reinem Charakter und hatte kein anderes Bedürfnis als das nach
der Mu6e für die Tâtigkeit seines Kopfes, der unablassig wie cine Ma-
schine arbeitetc, die nur schwer zum Stchcn zu bringen ist. Keincn
andem Ehrgeiz inmitten so neler Streber in dieser Akadcmic ats den
groBer Lcistungen. Sein Geist verfuhr so methodisch, daB er jcdos Er-
cignis des hâuslichcn Lebensgenau so nach Regcln behandcîte wie die
Probleme seiner Wissenschaft.Er war der Logiker der Epoche. Er um-
faGtc Mathematik, Astronomie, Phy-ik und Philosophie, und wenn cr
auch in keiner dicser Wissenschaftenden Ersten gleichstand, so v.ar
cr doch chen durch den uni\'ersa!enGeist, der sie âne verband und for.
derte, und durch das methodische HewuBtsein. mit dem er sic alle
durchdrang. der echte Reprâsentantder Akademie von Leibniz, in dcn'n
\'erband sein ganzes spateres Leben verlaufen ist. Es ist etwas Tragi-
sches in der kurzen. einsamen, ungcstum vorwartsdrângenden Lauf-
t~hn des genialen Mannes. Aneseine Arbeiten Bruchstucke eines um.
fassenden Planes, zu umfassend.um durchfuhrbar zu sein. ~Jnter ihrcr
ï-ast ist er früh xusammen~ebrochen.Aber auf dem Wegc. den er durch-
rnessen hat, lagen dorh !)edeutende Entdeckungen. Er steht ncben
d'A!embert. wie Leibnizne!?cnIfobhes, als der Vertreter der deutschen
(~eistcsrichtung. Aus dem Schein, in dem wir leben, will er die raum-
xcidiche Gesetziichkcitdes Wirkiichen ableiten. Es sprüht und funkdt
in ihm von genialen Entwurfen, die aile auf dem Wege zur Auftosung
dièse:; ProMcms liegen. Das Studium der wissenschaftlichen Zcichen,
der !og)S(he Ka!kuL die Agathometrie, die Wahrscheinlichkeitslehre: r
überall h~ndett e" sich hier um Mitte!, xu quantitativ bestimmbaren Re- i
!ationcn zu gelangen. !n der VerMgung sotcher Fragen hatte er fast
roch ats Knabc das mecham'-rhe't'heorem gefunden. das seinen Namen
tragt. In derselben Richtung !iegen die von ihm geschaffene Photo-
metric, sein Aperçu ut)c' die Vcrfas'.un! des Fixstcrnh)mme~sund seine
erst in unseren Tagcn \o!t gewurdigte \'erhesserunK der Kartenpro- c
jcktion. IInd in diesem Zut-ammcnhangentstand auch seine Untersu-
chung des psycho~o~i'-chen Scheinesin unsercn Sinneswahrnehmungen. L
Wie er hier die Ândcrunpender Reize mit dt'nen der Empfindung ver-
gleicht, ist er den psychnin~i'-chenProbtemen Fechners auf der Spur.
1
ftt~A'r/ 151
AtJps ist in seinem Geiste heherrscht durch einen hochsten philo-
sophischenGesichtspunkt. Von dcm Schein, der von der physischen
Wettsich erstreckt in das Geistige, will er sich durch logischc Analyse,
Beobachtung,Messung und Experimcnt den Weg bahntn zu dem, was
ist. Und er findet nun hierzu erforderlich, das Erkenntnisvcrmôgen
selbstzu crkennen
In der Lôsung dieser hochstcn Aufgabe des menschlichen Geistes
geht Lambert einige wichtige Schritte mit Kant. Auch seine Methode
ist, wie die Kants, nicht psychologisch, sondem in stren~erem Sinne er-
kenntnistheoretisch. Er ïergtiedert die Wissenschaften, um ihrc ein-
fachen Voraussetzungenauszuliisenund dicGri!nde ihrerGuMgkeit auf-
msuchen. Und wenn er in der Kenntnis der mathematischen Natur-
wissenschafteneinem d'Alembert und Lagrange weitaus nicht gewach-
sen war, so lag doch hier seine Oberlegenheit über Kant. Mit diesem
war er dann auch in der crkenntni~theorettschcnVortussetzung einig.
Denn auch er betrachtete aïs die wichtigste Aufgabe der Erkenntnis
khrc die "Theorie von den Formatursachen". Die gegebcncn Erfah-
rungen und Erkenntnisse müssen zerlegt werden in ihren Inhalt und
ihre Form. ïhr lnhalt entspringt aus den Erfahrungen. Dagegen liegen
die Grunde der Fonn unscrcr Erfahrungen und Erkenntnisse in uns
selbst,und dièse sucht er in seinen zwei groGen philosophischenWerken
aufzufinden.So ist er sowohlin der I.ehre vom Schein, von den Ulusio.
nen und Widersprüchen des men<-cMichenGeistes a!s in der von den
apriorischen Elementen in uns der Vorgânger und der Rivale Kants.
Aber von hier ab trennen sich ihre Wege. Wenn die Funktionen
der Anschauung und des Verstandes in den Bedingungcn des BewuSt-
seins gegründet sind, so hesteht kein Grund, sie aïs Bestimmungendes
WirkHchenselbst gelten zu lassen: so schUcCt Kant, und so entspringt
ihm sein kritischer Grundgedanke, da& Anschauung und Denken des
Menschenihr Gcsetz den Erscheinungcn vorschreiben. Lambert folgt
diesemFluge Kants nicht. Er verbleibt in den Schranken von Locke und
Leibniz. Er hait an der Vorausset~ungder Metaphysik fest. da& die in
dem Denken gelegenen Bestimmungen mit denen des WirkHchen in
<hercinstimmungseien. Die SinnesquaHtâtensind subjektiv. Der Raum
ist rntweder der symboUschcAusdmck der erhaltnisse des Wirklichen,
nder er mag selbst WirMirhkeit sein: aber die Formen der Verknüpfung
im Denken. wie die Ontologie sie umfa6t. sind Grundbestimmungender
Wirklichkeit.
Auf dieser Grundlage wird nun für ihn die Aufgabe auftosbar, sich
durch philosophischeAnalyse den Weg vom Schein zum Sein xuhahnen
und diesen Weg srhHeRend, messend und rechnend zu durchlaufen.
Ï')cnnauch darin ist er Rationalist im Sinne des t7. Jahrhunderts und
/-fwoMrAder C~9< <&M<t<~
~~A!Mf~
zugleich doch, wic er Leibniz mit Locke zu vcrknüpfen strebt, Fort.
setzer der Linie, die von Hobbes zu d'Alembert und zum Positivismus
geht, daB er durch quantitative Bestimmungen die AMgemeingu!tigkeit
des Denkens zû sichern, daB er das Reich der Messung und Zâhlung
zu erweitern strebt. Seine eigenstenphilosophischen Erfindungen lagen
sonach in seiner Lehrc vom Schein und der Wahrscheinlichkeit, in
seinem Anteil an jenen Bemùhungen, die Messung in das Gebiet der
Werte einzufuhren. in seinen Einsichtenin die Relatitritat nnserer sinn-
lichen Auffassung und darin, wie er der Abhângigkeit der psychi-
schen Vorprange von den physioJogischennachgeht. Er ist der Vor.
kâmpfer in a!I der Arbeit gcwesen, welche darauf gerichtet ist, in die
Philosophie so viel Naturforschungund in das Studium des Gcistes so
viel Messung und Rechnung als moglich hineinzutragen. Seine Tatig.
keit ist hierdurch dem verwandt, was SuBmitch. der Begründer der
Statistik, in der Akademie geteistet hat.
Die Grcnze Lamberts,verglichen mit Kant, lag in seinem Dogmatis
mus. Die beiden trugen sich bis in ihre mânnnchen Jahre mit lebhaften
Hoffnungen dessen, was sie einander sein kônnten. Lambert fand an
dem, was ihm die Berliner Akademie an geistigem Austausch bot, kein
Genugc. Er dachte emstlich daran, zwischen den Philosophen, die zu.
gleich Mathematiker und Physiker seien, ein Bündnis herbeizuführen.
Eine Sozietât echter Philosophen sollte entstehen, und in einem ge-
meinsamen literarischen Organ so!Itesie sich zur Geltung bringen. Und
zwar wollte er sie sich aus ganz Deutschland zusammensuchen so
wenig ~ûh!tc sich sein unlenksamer, eigenwilliger und selbstbe%vubter
(~eist von den Mannern befriedigt. die ihn in die Akademie gezogen
hatten und nun in Berlin umgaben. Aber die Verbindung zwischen
ihm und Kant rnuBtesich !tisen,als nun t/~o die Inauguratschrift Kants
erschien. welche das Programm der kritischen Philosophie enthielt:
die Einwande I.amberts zeigten Kant, wie fem sie einander standen. Er
!a6t s!ch durch Herz entschutdigen. daB er Lambert auf dièse Ein-
wânde noch nicht geantwortet hahe kein Brief mehr ist da, der von
der Fortdauer ihrer Verbindung sprache. Nichts vem'irkHchtcsich von
dcn PIanpn Lamberts mit anderen Philosophen. und in der alten. ein
samenHast der Arbeit verliefendem .erro&tendeutschen Rcprascntantcn
der Philosophie in der Akademiedie noch übrigen siehen Jahre soncs
Lebens.
Dies war der Charakter der PhHosophiein der Akademie bis über
die Mittc des Jahrhunderts hinaus. Sic vcrknupftc I.cibni.:mit Newton.
und ihr Prasident Maupertuistat mehr als ein anderer für die Einfüh.
run~ Ne~nns in Deutschland. Sie verband Wo!ff mit Locke. Sic war
cktektisch. Aber der Gesichtspunkt. von dem aus sie diese Denker
.V~<y~/M~Mf~ /!W<MMM '53
zu vereinigen suchte, crgab sich aus dem Wesen der Akademieselbst.
aus der Verbindung der Philosophie mit der Naturwisscnschaft,die ihr
von ihrem Ursprung her eigen war, und dies gab ihrem Wirken sein
Geprage. Die Bedeutung, welche Maupertuis, Euler, Lambert fur Kants
Entwicklung hatten, wird sich vielleicht einmal bestimmter abschâtzen
lassen,wcnn die Fûlle der Handschriften in der Kant-Ausgabeder Aka-
demie geordnet vorliegt.
Und auch ein zwciter Strom von Wirkungen, der von der Akademie
ausging, hat das Lebenswerk Kants erheblich bedingt, und er ist zu-
gleich darüber hinaus von eingreifender Bedeutung für die Ausbildung
unserer gesamten Literatur gewesen.
ïn der zweitenH&lftcdes Jahrhunderts breitete sich in Deutschland
imrner starket der Geist der psychologischen Analyse aus. Diese war
in England von den Arbeiten Hutchesons bi~ zu denen von Hume und
Adam Smith zur grôBten Feinheit durchgebildet worden. Sie war hier
mit dem Studium des Menschen in der GeseUschaftund dem Staate
verknûpft. Zugleich lehrte Rousseau das Seelenlebena!s tâtig, schopfe-
npch,sonach einheitlich auffassen. Seine Beschaftigungmit demSeelen-
teben stand im engsten Zusammenhang mit dem Problem einer natur.
~emaBeren Kultur, das den Mittelpunkt seiner Lebensarbeit bildcte.
Aïs man sich nun auch in Deutschland der Beobachtung,Beschreibung
undZergliederungdesSeelenlebens zuwandte. fand sich diesesStudium
hier vom'iegend von dem Interesse an dem Innenleben der Person.
an den subjektiven ï.ebensauBerungen des Einzelnen bestimmt. Führte
doch diese deutsche Gesellschaft cin nach innen gerichtetes Dasein.
Dicses psychologische Studium bemâchtigte sich nun auch der Aka-
demie. Der Tod Maupertuis'. das Ausscheiden Eulers, endlich der
Vcriust Lamberts bezeichnen in ihr den attmâhlichen Ausgang jener
a!teren philosophischen Richtung. Immer mehr überwogen in ihren
philosophischenBestrebungen nunmehr die Psychologie und ihre An-
wendungen in der Asthetik und der Morat!ehre.
Mer!an bezeichnet ft~ôo) das neue Ziel aIs die natürliche Ge-
schichteder Seele, die Geschichte des inneren Mcnschen.In der Physik
t'crbergen sich die Springfedem des Geschehens.Diese Betrachtungen
müssenfruher oder spâter den Betrachter xurûckfuhrenauf sich seibst:
es wird cin Moment kommen, in dem er sich mit rberraschung sagen
wird: was bin ich denn. ich, der sich quâlt. zu wissen,was die anderen
Wesensind? welchesist dieser !cb<*ndige Spiegf!, in dem die Natur ihre
Wunder abzeichnet? Dann wird er hinabsteigen in die Tiefen seiner
setbst, er wird sich mit der Ana!yse seiner Tatigkeiten bpschaftigen,
über seine eigene Natur wird er nun nachdenken." ïn diesem Ge-
danken haben aHe Arbeiten des \{e!s<?ttigpnMannesihren Mittelpunkt,
'A4 /W<'A < Cf~ «M<~
<Ak<&<~f<~<'
~<(/X/<t~
mochte er über Humes Phanomenalismusoder uher das Motyncuxsche
Problem sprechcn, mochte er an dcr Tradition von don eincn Hnmcr
Kritik üben odcr an der Geschichte der Poesie die Unbrauchbarkeit
jeder direkten Obertragung von Philosophie in die Dichtung erweisen.
Und aus dem Studium der menschlichen Seele will er dann die Ideen
der Vernunft schôpfen, welche die wahrc Metaphysik ausmachcn. Selbst-
xufrieden hat seine Kritik jedc ncuc grotte Erscheinung behandeit,
die am plulosophischen Horizont auftauchte, Wo!ff, Hume und Kant
nachcinander. Dabei ist immer sein letztes Ziel, die natürlichen Reli-
gionswahrhcitcn zu begründen.
Ebenso wic Merian spricht sich uber die Richtung seiner Arbcitcn
Sulzer aus. Er nennt diese natürliche Gc~chichte der Seelc cine Ana-
lyse, die der des Chcmikers âhniich sei. Der Mensch ist nat h ihm der
gcmeinsame Gegenstand des Künstlers, des Schriftstellers und des
Philosophen, und aus seinem Studium allein kann sich jene Dtszipun
der Seele erheben, welche sie zur Herrschaft über aUe t.ei(lenschaften
erhebt, die dcm Plan des Lebens widersprechen.
Man kann von diesen beiden Akademikern Mendeissohn nicht
sondem, der nur durch das Machtgebot Friedrichs von der Akademie
fern gehalten wurdc. Auch in ihm ist das Neue die über die alten-
Philosophie hinausschrcitende psychologische Arbeltsmethode, mag er
den alten Deweisfür die Einheit dcr Seele psychologisch vertiefen, oder
nut Lessing von psychologischen Hctrachtungen aus die Asthetik und
die literarische Kritik behandein, odcr cndiich mit seinen Frcunden von
<!erAkademie das Problem von den Vermôgen der Seele erortcrn.
!n dicsem Kreise ist die Theorie von den drei Grundkrâften odcr
ermo~ender menschlichen Seelc entstanden, welche die Anordnung
des Kamschcn Systems bcstimnu hat. In dcn Jahren t~~t und t~
las Sulzer in mehreren Sitzungen über den Ursprung der angenehmcn
und unangenehmcn Empftndungen, dann 76~ über die Hauptvermôgcn
der Secle, sich etwas vorzustcUenund zu cmpfindcn, d. h. in unsercr
Ilet;riffssprache, zu fühlen. Er erfaBt die Sctbstândigkeit des Gefûhis:
es sondert sich om\'orstellen durch das ~lerkmat, das im Unterschied
des Angenchmcn und ~nangenehtnen gelegen ist. und dieser Untcr
schicd macht sich dann auch in dcm Gegcnsatx des Schônen und ï!aH
lichen, dcr BiUigunn und MiSbiHigung geltend. Eben um diese Zeit
haben auch die moralischen und âsthctischen Analysen der Englândcr
die Setbstândi~keit des Gefùh~sin diesen beinen verschiedcnen For.
men anerkannt. Dorh ist Sulzer vuti einem andcren Gcsichtspunkt
a!s sic zu seinem Hrgebnis gekommen. lm Sinne von Leibniz geht er
von der Spuntancitat unserer Seele aus, welche sich in der Hervor
bringung von tdcen âubert. IJas Gefühl ist ihm durch die dunkien und
Z~M~ Psychologieund ~y~A~ "M
verworrenenVorstellungen bedingt, und wir cmpfinden in diesem Zu-
stande,gleicbsam auf uns selbst zuntckgeworfen, die Hemomng unse-
rer Tatigkeit als unangenchm, ihre Forderung als lusterregend. So hat
Sulzerden Inteuektualismusnur halb uberwunden. Aus der Verbindung
dieserneuen Lehre vom Gefühl mit der alten Sonderung unseres theo-
rctischenund praktischen Verhaltensentstand die Théorie von den drci
Grund&uCerungender Scetc bei Sulzers Freunde Menddssohn und bei
Tetens, dem groBtcn deutschen Psyehologen seit Leibniz.
An die Stellung, welche Sulzerin dieser Grundfrage der Psychologie
einnahm, knüpft sich cin Vorgang von groBem Interesse. Ausder an-
gegebenen Unterscheidung entsprang die Preisaufgabe über Erkennen
und Empfinden als die Grundkrâfte der Seele. Zweimal, t77$ und
t~6, stellte die Akademic diese Aufgabe, und zweimal bewarb sich
Herder vergebens. Er muBte sehr viel Unbefangenheit von Sulzer
erwarten,mehr als dieser besa&,als er sie einsandte; denn sein Thema
ist der Zusammenhang alles rhysischen und Seelischen im Proze6 der
Entwicklung. So ist diese .\bhand)ung, wic er sie umgearbeitet t/~S
herausgab, cin wichtiges Glied in der Ausbildung seines Entwicklungs-
gedankens, der dann in den ,,Mecn" seine klassische Form erhicit.
Wie weit ab lag das von dem philosophischen Denken Sulzers und
der anderen Richter in der Akademic.
Und wie nun diese Psychologen der Akademie sich in den schônen
Wissenschaftenam meistcr. heimisch fuMtf'n,unternahtnen sie, die Ana'
lyse auf das âsthctisctte Gcbiet ani'uwcndcn. Die meisten von ihnen,
Formcyvoran. haben sich hicrvcrsucht. Su!zer in seiner .,allgemeinen
Theorie der schonen Kunstc" trug den Preis davon. Sehriftsteller und
Pubtikum dicspsZcita!tprs hatten seinWork immer zur Hand. Indem er
die Stettun~ des âsthctischen WoM~efat!cns zwischen der sinnlichen
ï.ust und der moralischen Billigung entwickelte, hat er der Kunst im
Sinne dieses moralischen Rationalismus ihre Stclle bestimmt, und bis
in SchiMerwirktc noch dieser Begriff eme:-Mittteramtcs der Kunst zwi-
schen unseren sinnlichen Affckten und unscrer sittlichen Vollkommen-
heit nach.
Diese psycho!ogischcnund âsthetiïchen Zergliederungen habencinc
bpmerkcnswerteWirkung :mf unsere Literatur geubt. Lessings Dich-
tung ruhte auf einer Psychologie, welche in harten. klaren Linien den
MenschencrfaSte als dcnkpndc Kraft, die sich im Handeln âuBert.Sein
t-ehensideatwar der Adc! des Charakters, der in der Autklarung des
erstandesgegtTindett~t. Eine heUc,scharfc Luft umgibt ihn. ïn Garve,
Engel, Kicolai, Mcndetsso!~n.Moritx umfaBt die psycho!ogischeZer-
gliederung die ganze Breite des empirischen Seclenlebens und versenkt
sich in sein verborgenes Spiel. Die s" entstchende l'ertiefung in die
t g6 der (~~
/~<'</M<'A und die <<W~~ ~M~
Fiillc der scelischen Regungen und ihre leisen Obergânge, in das In-
time, Zarte, Verborgene und dem Tagesleben des Denkens Entzogene
war eine der wichtigsten Vorbedingungen unserer groBen Dichtung.
Denn mehr als irgendein früheres Zeitalter der Poesie hat unsere klas.
sische Kunst in Goethe den stillen, unmerklich fortschreitenden Zu.
sammenhang des Lebens zu erfassen verstanden. Aus dem eigensten
Geiste dieser Epoche der See!enzergtiederungentsprang der deutsche
Mdungsroman. RousseausEmile und Wielands Agathon bereiteten ihn
vor, und dann kam, neben dem Anton Reiser von Moritz, der Wilhelm
Meister: das MassischeVorbild aller fotgenden Dichtungen dieser gro-
Ben Kunstform.
In alt diesen Forschungender Akademie lag eine siegreiche Macht,
die re!i~osc Aufklârung auszubreiten. Ihre Ergebnisse liefen alle in
einem Punkte zusammen.Es war gleichsam eine einzige Weltanschau.
ung, an welcher von Leibnizab die,Akademie arbeitete: die Vertei-
digung der gôtttichen Personalitâtund der moralischen VerantwortUch-
keit des Menschendurch Gründe der Vemunft. Ihr diente der ScMu&
aus der ZweckmâMgkeitder Weltordnungauf einen gütigen und weisen
Schopfer: diegroBenmathematischenPhysiker. voran einLcibniz.Mau-
pertuis und Euler, erhielten ihn aufrecht, und Geister geringeren Ran-
ges, wic Sulzer, verfo!gten ihn bis in die woMtâtige Einrichtung, daB
die Kirschen gerade reif werden, wenn sie zur Sommerszeit am besten
schmecken.Eben diese Weltansichterhielt ihre psychologische Begriin-
dung durch den Regriff einer cinheitlichen.spontanen seelischen Kraft,
wie er von Leibniz gefaBt und von Sutzer, Merianund Mendelssohnaus
gebildet worden war. In dem Kreise der Akademie fand nun der Be-
weis seine VoHendung.der aus den unteilbaren Akten der Wahmeh-
mung, des t~rtcits. des SeÏhstbewuBtscinsauf diese seetische Kraft
scMieBt,die ganz unterschiedenist von den Atomen, welche die Materie
hilden ihm hat noch Lotze unter gewissen kritischen Einschran
kungen einen hcrvorragenden Pbtz in seinem System gegeben.
Diesermoralisch genchtete Rationalismusbestimmte in dem ganzen
Jahrhundert die verschiedenen Philosophen der Akademie, gÏeichvMl
we]cheParteifragen sie sonst trennten. In ihm waren mit denDeutschen
die Schweizcr.wie Lambert, Merian und Sulzer, und die Mitglieder der
franzosischen Kolonie. wie Castillon.Ancillon, Erman und Formey, ver-
bunden. Denn lange ist den schweizerischenund franzosischen Refor-
mierten die \'crknupfung der Rationalitât der geistigen Haltung mit
ehrenfesten Sitten und unentwegtem Glauben an die moralische Wdt
ordnung eigen geMicben.Formey hat einmat über die Zensur gespro-
chen er xch~g damais schon eine vom Kônig eingesetzte Kommission
~on Schriftstc~ernzu ihrer Handhahung vor: er wollte aber. daB jeder
157
HM~- Kant
die Souverâne und die guten
Angriff auf die Autoritât der Gottheit,
der refor-
Sitten durch sie unterdnickt werde. Der Begriff der Zucht in
mierteh Kirchemacht sich hier geltend. Und auch die deutschenGeist-
lichen in der Akademie, bis zur âuBersten Linken inTeller und Xollner,
Kir.
waren moralischeRigoristen und nur allzu geneigt, die Mittel des
chenregimentesanzuwenden.
Die Herrschaft, welche die deutsche Aufklârung in der Akademie
Gebildeten in
hesa6, beruhte vor allem auf der Obereinstimmung der
diesen Oberzeugungen.Und die ruhige Sicherheit, mit der sie diese
Herrschaft übte, wurde gesteigert durch den friedsamen, traulichen und
Aïs dieselbe nun aber zu-
beglückenden Charakter dieser Weltansicht.
sammenstie&mit der neuen Zeit, entsprang eben aus dieser SelbstgewiB-
be-
heit ihr Unvermôgen,die neuen Menschen zu verstehen. Dies kam
sonders in der Polemik gegen Kant zur Erscheinung, welche viele Ab-
voran schritt
handlungen der philosophischen Klasse durchxieht. Allen
der vietgeschâftige, scharfsinnig bomierte Schwab in den Abhand-
die philosophischenJour-
lungen, mit denen er die Akademie ebenso wie
nale versorgte. Den Hauptschlag gedachte man mit der Preisaufgabe
über die ,,wirktichenFortschritte" der Metaphysik zu führen: wir ver-
danken ihr die hcrrUchen Fragmente einer Beantwortung von Kant.
ist ein uferloses Meer, in welchem der Fortschritt keine
..Metaphysik
sichtbares Ziel enthâlt, an
Spur hintedâSt, und dessen Horizont kein
werden
dem, um wie viei man sich ihm genâhert habe, wahrgcnommen
konnte." Kant behielt seine Antwort weislich unvollendet im Pult. Den
Preis erhielt schlieûlich sein Gegner Schwab, wahrend der hervor-
Reinhold. zurückstchen
ragendste unter den Bcwerbern, der Kantianer
mu6te. Das harte Urteil über diese philosophische Klasse, wie es sich
<nKant und denen um ihn her gebildct hatte, zeigt sich in einemBriefe
seines SchülersKiesewetteran ihn, der nun im Briefweehsel Kants ver-
in
ôffcntUchtworden ist: "Sie wundem sich über die Erscheinungen
unserer BerlinerAkademie. Was die auch tun mag, wundert mich nicht
mehr." Es folgt ein Register der Sünden dieser philosophischen Khssc.
die unter den Eingeweihten in Berlin damais in bitterem Spott bespro-
chen wurden. Und wie sie sich dann weiter der ganzen grof3en Bewe-
sich
gung. welchevon Kant hervorgerufen war. entgegensteHte. m~ahig.
die
zu reformierenund von dem, was um sie geschah. zu Jernen, ginRen
Zeit und der Fortschritt über sie hinweg.
/~<~7f~ < ~«~ ~'<M'm~~<~&ff«~
taire, Hume und Rousseau entsteht ihm der Wunsch einer aUgememsten
von
Wirkung. Auch er war von der universalen Naturwissenschaft,
Newton, Lambert und Maupertuis ausgegangen. Die Erweiterung der
menschlichen Erkenntnis war ihm damais als das hochste Ziel seiner
Lebensarbeit erschienen. Rousseau wandelte die Stellung seines Be-
wuStseins um. ,,Ich bin selbst aus Neigung ein Forscher. Ich fühle
den ganzen Durst nach Erkenntnis und die begierige Unruhe, darin
weiter xu tmmmen, oder auch die Zufriedenheit bei jedem Fortschritte.
Es war eine Zeit, da ich glaubte, dieses alles konnte die Ehre der
Menschheitmachen, und ich verachtete den Pôbel, der von nichts weiB.
Rousseau hat mich zurecht gebracht. Dieser verblendende Vorzug ver-
schwindet, ich lerne die Menschen ehren und würde mich viel unnutzer
finden als die gemeinen Arbeiter, wenn ich nicht glaubte, daB diese
Rechte der
Betrachtung allen übrigen einen Wert erteilen kônne, die
Menschhettwiederherzustellen." So entsteht in Kant die groBe Lehre
vonder Autonomie des moralischen BewuGtseins. Unabhângig von dem
Stands der Zivilisation,von der Reife der Erkenntnis, von den Einflüssen
Wille in sich
religiôser Hoffnungen ruht der autonome vemunftige
selbst. Es ist dieselbe sch!ie6!iche Vertiefung in die unmittelbare Ge-
wi6heit dieses sittlichen BewuBtseins wie in dem groBcn Kônig, die-
selbe Niihe an die moraUsche Stimmung der Stoa. "Für die Sinne
kann keine vollige Befriedigung ausgefunden werden; sie steigen
immerin den Forderungen und sind unxufrieden, ohne sagen zu kônnen,
was ihnen genugtue: nur was uns selbst angehort, was allen zuganglich
sich
ist, der Zeit und dem Tod entnommen, die Ûbereinstimmung mit
selbst, der Wert und die Wurde der Person, die hieraus itieBende
Selbstzufriedenheitmachen das hochste Gut des Menschen aus." Und
von diesem Standort aus erhebt er sich gegenüber jeder Art von Ver-
such, cinbrcchen zu wollen in das metaphysische Reich der Jenseittg-
keiten, zu einem Humor, der gerade in der Mischung der Neubegier,
deii Interesses an den môglichen Losungen und der Skepsis in bezug
auf jede von ihnen der Stimmung von Voltaire, Friedrich, Diderot und
Sterne verwandt ist. Dieser Humor mischt miteinander die Erfindungen
der Metaphysiker und die Eingebungen Swedenborgs wie der anderen
enthusiastischen Propheten.
So begegnen sich der Konig. der Dichter und der Philosoph schlieb-
lich in demselben groBen Gedanken der moralischen Autonomie und in
derselben seltsamen Mischung einer unvertHgbaren WiBbegier, welche
den MogMchkcitennachgeht und den Traumen der Metaphysiker nach-
sinnen mag, mit der Skepsis d''r wahrhaftigen Seele, welche bei keiner
dieser Môg!ichkeitensich beruhigen kann. Aber als Lessing nun starb
und bald nach ihm Friedrich dahinging, und nun Kant nach einer langen
'74 ~w~M <&~ G~< <«</ <~ <&~yf~ ~~Nh~
Periode des Schweigens als esoterischer Philosoph in schwerverstând-
licher Kunstsprache und Architektonikwieder in die ôffentlichkeit tmt,
war die groBe Zeit der Literatur der Aufklârung in Deutschland vor.
über. So entstand, als nach dem Tode des Kônigs Hertzberg die Leitung
der Akademie übernabm, ein unglückseliger Widerspruch zwischen
dem, was er für die Literatur der deutschen Aufkiârung zu tun ge.
dachte, und dem Zustande, in dem er sie vorfand. Das war das Tra.
gische in seiner Arbeit.
Wieland, Engel, Garve, Mendeissohnhaben die Formen mit gro-
ûem Talent gehandhabt, die Voltaire und Diderot schufen. Auch die
feinsten unter diesen Formen, die ErzâMung,welchemit dem Lebenhu.
moristisch oder satirisch spielt, und den Dialog, der aus einer lebens'
vollen Situation sich entwickelt.Doch die Essais jener Tage mit ihrer
"edlen Popu!aritât"j von den kleinen Aufsatzen Engels, Eberhards,
Garves und Monde!ssohns in dem "Philosophen für die Welt" bis zu
Abbts Schrift vom Verdienst und denen Spaldings vom Wert der Ge-
fühle im Christentum und über Religion, sind farblose, abstrakte Be-
gründungen der Weltansicht der Aufklarung. Unermüdlich bewegen
sie sich in demselben einfôrmigen Kreise; vergeblich suchen sie bald
durch die Wârme der sittlichen GefuMe, bald durch eine den Fran.
zosen, vornehmiich aber Lessing nachgeahmte Eleganz und Lebendig.
keit diese einfôrmigen und abstrakten Begriffe zu beleben. Kein Strahl
von Genialitat glânzt in ihnen auf; keine Ahnung anderer Môg!ich-
keiten, die Welt aufzufassen, regt sich in diesen Kôpfen: das ist ihre
Starke und ihre Sehwâche. Sie haben in jenen Tagen diese Welt-
ansicht bis in die beschrânktesten Kôpfe verbreitet: viel bewundert,
viel gelesen, oftmals aufgelegt, sind sie heute eine unermeËUche Maku-
latur, weite, seichte Gewâsser, durch die auch der Literaturhistoriker
sich nur widerwillig hindurcharbeitet. Was war hier aus der groBen
Form der Rhapsodien von Shaftesbury und der Essais von Voltaire
und Diderot geworden ïn der Souverânitât des Geistes, welche sich
aller Môglichkeiten des Lebens und des Denkens bewuBt ist, batte
deren Zauber beruht; es war vergebens, daB der systematisch einge-
schlossene, eingeschrânkte Geist dicser Epigonen das freie Leben
der wissenschaftlichen Einbildungskraft, welches dort durch die groBe
Naturwissenschaft genâhrt war, in ihren Essais und Briefen nachzu-
bilden strebte. Es blieben âuBerliche Kopien innerlich lebendiger
Formen.
Um noch popu!ârer, noch eindrucksvo!!erzu werden, greifen die-
selben SchriftsteUer zu der Form des Dialoges,wie Voltaireund Diderot
sie sich gebildet hatten. Doch unter ihren Hânden wird diese lebendigste
aller Arten der Gedankenmitteilung zu einer matten Scheinform, die
DieJ~~WM .~MM~&f der ~<(~~nM~ '75
Personen werden Masken fur Gründe und Gegengrunde: das Ziel liegt
im Beweis eines Satzes. Der echte Dialog ta6t alle andcren Formender
Darstellung tief unter sich zurück, wo der paradoxe und verwegene
Geistin ihm die Môglichkeitfindet, das schônste Leben des Gesprâches
selbst nachbildend, allé Grenzen von Mâ6igkeit zu überschreiten, un-
tosbaren Streit zu entzünden, Seelenstimmungen und Charaktere ein-
ander entgegenzusetzen, um schlie8lich in unendliche MôgUchkeiten
blicken zu lassen. Das war der Dialog, den Platon im Protagoras, im
mit
Gorgias, im Symposion und dann, wahrscheinlich spât, im Ringen
den letzten Konsequenzen seiner Dialektik, im Parmenides geschaffen
batte: die Form, welche Diderot, der groËte Künstler des lebendigen
und geschnebcsen Gesprâches nach Platon, im Traum d'Alemberts
handhabte. Und auch Lessing schuf sich eine Art des Dialoges, welche
die paradoxe Verwegenheit seines cigenen Gesprâches ausdrückte, wie
Steuns in der meisterhaften Nachbildung Jacobis erhalten ist. Aus der
die
Lebendigkeit dieser Form erwuchs der Nathan, der schon durch
Parabel, das orientalische Kostüm und die groBe Symbolik der Hand.
lung seinen Ursprung verrat. Die Verehrer Leasings, die Engel und
Mendeissohnund Eberhard, wollten ihn auch hierin fortsetzen. Aber für
ihre Figur war diese ungeheure Form zu groû. Diese zahmen Dialoge
zerlegenihre systematischeGedankenfolge nach Sâtzen, Gegeninstanzen
dieserSâtze und Widerlegungen der Gegeninstanzen in Reden und Per-
sonen.Der Phâdon Mendelssohns,das vielbewunderte Hauptstück dieser
Gattung, ist ein auseinandergelegtes System, eine Sünde gegen den hei-
ligen Geist des Dialoges.
Nicolai und Engel, die zwei einfluËreichsten Berliner Schrift-
steller, sprechen sich endlich auch in der Erzahlung unddemburger.
lichen Romanaus. Aber welch ein Abstandvom englischen Sittenroman
zu diesem deutschen, von dem ,,Landprediger von Wakefield" zu dem
,,SebaIdus Nothanker" Nicolais, von den Charakterfiguren der Richard-
son und F ielding zu denen des "Lorenz Stark"! Und dennoch gibt es
kein Buch, das diese Friderizianische Zeit, das SeIbstgefuM des Adels,
die Cberzeugungstreue der aufgekiârten Geistlichen, die den Bibdtext
als ,unschâdliches Hilfsmittel" benutzen, die hartkôpfige Intoleranz
ihrer orthodoxen Gegner, die pietistische Engbrüstigkeitund den ganzen
utiHtarischen Geist der Zeit so zur Darstellung brâchte als dieser form-
lose,unkünstlerische, nur von derbem Wirkiichkeitssinn erfuHte Roman
Kicotais. Und in seinem Lorenz Stark hat Engel doch ein echtes Pro-
blem erfaBt, den Gegensatz zweier Generationen, in Vater und Sohn
erscheinend, die Konflikte, die so entstehen, und die Versôhnung, die
aus der inneren Verwandtschaft der beiden edlen Naturen schôn ver-
stândlich gemacht wird. Er hat diesen Stoff mit der ihm eigenen künst-
'76 _~Mt~~t <&f G~9~ M~<~j~& ~4f{~&MM~
lichen Lebendigkeit und gemachtenEleganz behandelt. In sonderbarem
Wechsel verknüpft seine TechnikerzahlendeStucke von farbloser Dürf.
tigkeit und die lebendige dmmatische Darstellung von Szenen und Ge.
sprâchcn, welche bei Lessing in die Schule gegangen ist und in der
meisterlichen Behandiung der Sprachfarbe der verschiedenen Personen
den modernen dramatischen Dialog vorwegnimmt. Naturalismus ist
der Charakter der Erzâhlungskunst wie von Nicolai so von Engel. Aber
dieser NaturaMsmu!!trâgt den Stempel der deutschen Aufkiarung in
der Grundstimmung der Erzâhlung, dem optimistischen Vertrauen zu
der menschlichen Güte, der Auflosung jedes Wirrsals durch Vemunft.
grûnde, und dem guten Ausgang der Lebensprüfungcn. Seinen hôchsten
Ausdruck fand dann dieser frohmutige Wirklichkeitssinn in der Kunst
Chodowieckis; in ihr leben diese groBen Zeiten Friedrichs fort wie
.eine bestandige Gegenwart.
Kônig Friedrichs Leben und Wirken ist für seinen Staat und sein
Volk das Erbe geworden, aus welchem historisches und politisches Ver-
standnis und damit der Glaubean die von kôniglichem Pflichtbewuût
sein getragene Monarchie sich genâhrt haben bis auf diesen Tag. Und
keine Geschichtschreibung kann diese lebendige Tradition so eindring.
lich unterstützen und vor Umdeutungen bewahren wie die lange Reihe
der Schriften, in denen Friedrich selber der Nachwelt seine Taten er-
zâhit und seine Beweggründe und Grundsâtze enthuUt hat: mit der-
selben einzigartigen Ehrlichkeit, mit der er Zeit seines Lebens vor dem
eigenen Gewissen bestehen wollte.So suchen wir uns den Gehalt dieser
Schriften zu vergegenwârtigcn.
2.
Friedrich der GroBe bat die so gegebenen Gnmdsatze dyna-
mischer Auffassung von Staaten und Staatenverhâitnissen, soweit ich
sehe, zuerst bewuBt und fotgerichtigin die allgemeine poUtischeTheorie
und in die historische Betrachtung der Vergangenheit eingeführt. Er
hat sie jedenfalls am eindringlichsten zur Anwendung und Darstel-
lung gebracht: weil sie bei ihm aus einer Er f a h r u n ggroBten Stiles
erwachsen waren. Die beiden Schriften der Jugendzeit, die ,Betrach.
tungen über den gcgenwârdgen Zustand des politischen Kôrpers von
Europa" und der ,Antimachiavell", die ,,Memoiren zur Geschichte des
Hauses Brandenburg", die groSen Werke zur Geschichte der eigenen
Regierung, die zahlreichen politischen Abhandlungen diese ganze
schriftstellerische Tâtigkeit richtet sich auf das eine Ziel: die Erôrte-
rung der politischen und historischen Erscheinungen auf den breiten
Boden der Wirklichkeit zu stellen, wie sie sich der unbefangenen
Betrachtung und der eigenen Erfahrung darbot. Die preuBische Monar.
chie steht ihm immer im ~~itte!pun~:t des Interessesund der Darstellung.
Aber sie steht nicht aUein in der Wett. Nicht einen Staat, sondern
Staatef und Staatensysteme zeigt die Wirklichkeit. In diesem allge-
~<~0~ !8t
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meinen Zusammenhang stellt sich jeder Staat als eine in der Person
seines Regenten reprSsentierte Einheit dar. Er ist ein Individuum im
GroBen, mit allen Eigenschaften eines solchen, mit dem GefiiM seiner
Seibststândigkeit und seiner Kraft und mit der Betadgung dieses Ge.
fühls in dem Streben, sich zu behaupten und durchzusetzen, sich zu
verstârken und zu vergro&ernauf Kosten der anderen Staaten. Druck
und Gegendruck, Aktion und Reaktion: unter diesem Gesetz stehen
die Erscheinungen der politischen Welt, unter ihm werden sie von dem
wirkenden Staatsmann b;ehandelt und von dem politischen und histo-
rischen Schriftsteller begriffen. Der Krieg ist das natürliche Verhâlt-
nis zwischen den Staaten. Der Friede selbst ist nur eine ,,Fortsetamg
des Krieges mit anderen Waffen". Das Streben, die Machtmittel ihrer
Staaten fur den rastlosen Kampf nach auGen zu verstarken, regiert
deshalb die ganze innere Tatigkeit der Fürsten und Minister. Allé Ein.
doch
richtungen und Verbesserungendienen diesem Zweck oder werden
mebr oder weniger auf ihn bezogen. Das Ma6 von Freiheit und GMck,
dessen sich die Untertanen erfreuen, hângt in erster Linie von dieser
Rücksicht ab. Die innere Geschichte ist ganz bedingt von der âuBeren.
Diesem Konig der Auik!arung, der alles, was er tut und was er
schaut, dem Raisonnement unterwirft, war es nun Bedürfnis, dieses
Kraftesystem, in welchem sich die Geschichte der Staaten und Volker
bewegt, immer wieder, bald in seinen gegenwârtigen, bald in seinen
seine
vergangenen Erscheinungen, zu beschreiben, zu untersuchen, in
letzten Faktoren zu zerlegen, bis er die einfachen Gesetze gefunden
hâtte, die dasselbe beherrschen, und die festen Normen, die sich daraus
für das praktische Handeln ableiten lieBen. Das war nur môglich, weil
er nicht nur Genie der Tat und politischer und historischer Schriftsteller,
sondem auch Philosoph war.
Die Individuen, welche die Gesellschaft bilden, sind alle, so lehrt
ihn seine Philosophie, von e i n er Triebfeder zu ihren Handlungen be-
stimmt ihrem Eigeninteresse. Dieses ist der ,,Hûter unserer Seibster.
ha!tung, der Bildnerunseres Glückes, die unversiegliche Quelle unserer
Laster und unserer Tugenden, das verborgene Prinzip aller Handlungen
der Menschen". Dies Prinzip der Selbsterhaltung war seit einem Jahr.
hundert von verschiedenenDenkem anerkannt worden. Es war die Be.
der christlichen Ver.
jahung des Lebens gegenüber allen Vemeinungen
gangenheit. Staatsmânner undWeltleute dieser hôfischen Epochekamen
in ihm ûberein. Und die abstrakte Philosophie fand ihre Rechnung in
einer so einfachen Triebfeder, welche die Deduktion der Entstehung
von Recht und Staat, der Regeln des wirtschaftlichen Lebens und der
Maximen der Politik gestattete. A!!es das wirkte in dem Geiste dieses
Konigs, der zugleich in der Fülle diesseitigen Daseins sich auszuleben
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bcgehrte, dcr inmitten der politischen Intrigen stand, die Europa um.
spannten, der Literaten, HôfJinge und ,,gekronte Bôsewichter und
Dummkôpfe aller Sorten" genugsam kennen gelernt batte, und der
endJich aJs Phi!osqph an der Erbsiinde dcr Abstraktionen und des
,,Prinzips" seinen gut gemessenenAnteil batte. Auch sein Begriff von
Seibsnnteresse schtieBt freilich, wie einst dieEudâmonie des Sokrates.
alles in sich, was Befriedigung und Erhôhung des Seelenlebens zu er.
wirken vermag, eine Abstufung der Werte von Freude, von Steigerung
des Dascins im Gefühl: der hôchste und der cinzig sichere Wert ist
,,die volikommene Stille der Seele, die sich auf die Zufriedenheit mit
uns selbst gründet, darauf, t)a8 unser Gewissen unsere Handlungen
billigen darf."
Wie aus einzeJnen Steinen ein Palast, so setzt sich der Staat zu-
sammenaus den Individuen, die in ihm vereinigt sind. Er ist ein crstes
System von Krâften, der Ausdruck eines dynamischen Verhâltnisses
einzelner Krâfte, die nach Natur und Geschichte enger zusammenge.
hôren. Friedrich hâ!t in bezug auf den Ursprung des Staates an den
Lehren des Naturrechtes fest. Ein erster Vertrag begründet die Rechts.
ordnung, dann wird das obrigkeitliche Verhâltnis, das den Staat aus-
macht, in einem zwciten konstituiert: ganz wie altère Naturrechtslehrer
das aufste!lten. Aber Friedrich denkt nicht juristisch, sondem poli.
tisch. Ihtn gilt es nicht Abgrenzungenvon Rechten, sondern lebendige
funktionelle \'erhâltnisse. Denn er ist tief davon durchdrungen, daB es
die lebendigen Krâfte des Interesses sind, die den Zusammenhang des
Staates erwirkcn. Die Rcchtsordnung ist in dem Prinzip der Gegen.
seitigkeit gegründet. Unsn \'erha!ten gegen andere steht unter der
Regel, dem entsprechen zu mus~en,was wir selbst von ihnen fordem.
Aus den Leistungen eines Rechtsstaates, in welchem das Streben der
Einzelnen nach Glück ihnen durch eine feste, gesetzliche Ordnung ga-
rantiert ist, entspringt der Patriotismusseiner Bürger. Und wenn nun
der Unterwerfungsvertrag hinzutritt und das Untertanenverhâltnis
schafft, so cmpfângt in ihm die Obrigkeit nur die Funktion, die Herr-
schaft des Gesetzesim Staat und die hôchste Steigerung des allgemeinen
WoMes zu erwirken. Ihr Existenzrcchtruht darin, wie sic die Gesetze
schützt, die Justiz übt, die guten Sitten erhâlt und den Staat nach auSen
verteidigt. Aber dieser Rcchtsstaat ist zugleich Wohlfahrtsstaat. Seine
Bedingung ist, da6 das Interesseder Obrigkeit zusammenfallemit dem
Wohl des Ganzen. Dies ist am vollkommenstenerfüllt in der erbUchen
Monarchie, in welcher eine für das Staatswohl erzogene Beamtenschaft
unter dem Konig ats oberstem Beamten nach Gesetzen im Sinne des
aUgemcincn Interesses regiert. Al!e Tatigkeiten der Verwaltung sind
hier in e i n er Hand zusammengefaBt. Die groBte Konzentration der
C~W<y des ~<M~.
~<!M<MMT ~<MM~<~ & t~Mt<~ J~
Macht in Politikund Krieg ist gesichert. Die Interessen aller Teile des
Staates wirken im Sinne der Erhaltung und Starkung des Ganzen, ohne
die Reibungen der Parteien, die in allen anderen Verfassungsformen
unvcrmeidiich sind.
So ist die gesetzlicheMonarchie unter einem echten Kônig die voll-
kommenste unter den Verfassungen. In ihr ist die Erziehung des Eigen-
interesses zur Vaterlandsliebe auf eine aristokratische Stufenfolge der
Motive des Handelns gegründet. Denn auf dem aristokratischen Be-
wu8tsein der tiefgreifenden Wertunterschiede unter den Menschen,wie
es PIato, die Stoiker, Goethe erfüllte, beruht die ganze Staatsauffassung
Friedrichs. Die Masse ist von Eigeninteressen niederer Art regiert.
Eben darin offenbart sich nun aber die Kraft des Rechts. und WoM-
fahrtsstaates indem er das ganze Dasein seiner Untertanen durch seine
wohitâtigc Fürsorge umfaBt und bestimmt, bindet er sie ganzUchan
seine segensreicheExistenz, wie cin Vater seine Kinder. Ehrgeiz, Ver.
langen nach Ruhm und die Freude an machtvollem Wirken sind die
Deweggrun<}edervomehmenSeeIen.tlus ihrer Zahltrcten die Menschen
hochster Ordnung hervor, welche von Geburt so glücklich angelegt
sind, daB ihr Herz sie treibt, wohl zu tun; sie üben die Tugend aus
Neigung. Geburt, Familie und Tradition, Erziehung, die Philosophie
und das Leben mit den Alten mussen zusammenwirken zur Zuchtung
dieser vomehmen Rasse: denn auf ihr beruht doch schlieûlich die Re.
gierung des Staates. Friedrich sagt einmal, daB eine Monarchie wie
die preuBischesich der Oligarchie nâhere: der von demselben Staats-
und StandesbewuBtseingetragene Inbegriff der Personen, die in der
Verwaltung, in der Diplomatie und in der Armee tâtig sind, nimmt
teil an der Souverânitât des Staates und beschrânkt die ~îacht des
~lonarchen. Und darin âuûert sich nun der Wirklichkeitssinn des
allen
Kônigs, seine Erfahrung geschichtlicher Gro&e im Gegensatz zu
verwaschenenTugendideatcn, daB er auf allen Stufen von Menschen-
dasein die bewegende Kraft zum Handeln in dem Gefühl und der Nei.
gung erkennt, die den Willen bestimmen. DaB er die Aufgabe erfaGt,
\aterIandsUebe als die zusammenhaltende Kraft im Staate aus dem
Eigeninteresse hervorzubringen. Wie der Platonische Sokrates im Ge-
fângnis den Gesetzen mahnende Rede verleiht, so !â6t Friedrich ein-
mal das Vaterlandsprechen ,,zu den Enzytdopâdisten des ganzen Univer.
sums" ,Entartete, undankbare Kinder, denen ich das Leben gab, wer-
det ihr immer unempfindlich gegen die Wohitaten bleiben, mit dencn
ich euch uberhâufe?" Er zaMt diese Wohltaten auf in einer prachtvollen
Rede, die aus dem tiefstcn Lebensgefühl des Kônigs stromt. "Vcrzeihen
Sie, mein Freund," so scMieBt er, ,,der Enthusiasmus reiBt mich fort;
ich habe Ihnenmeine Seele ganz nackt gezeigt."
t84 jPW~ <&fG~ MMf<? <&M&~~M&IMy
Aus diesem seinem Staatsbegriff ergibt sich für Friedrich die Ver.
urteilung der unhistorischen Konstruktionen von Montesquieu; er hat
diese Abneigung. den Beamten, die mit ihm arbeiteten, insbesondere
Zedlitz und Hertzberg, mitgeteilt. Wenn der franzôsische Theoretiker
in der Tugend die Haupttriebfeder der repuMikanischenVerfassungen,
in der MâSigung die der aristokratischen und in der Ehre die der mo.
narchischen erblickt, so sah Friedrich hierin nicht ohne MiGver*
stândnis eine doktrinare SchruUe:wie sollte nicht die Monarchie aaf
die tugendhafte Gesinnung ihrer Beamten rechnen müssenl Vor allem
ist die Teilung der Gewalten und das kûnsttiche Gleichgewicht, das
Montesquieu konstruiert, in Widerspruch mit dem Begriff einer starken
monarchischen Spitze, einer gesammelten Staatseinheit. Denn darauf
beruht doch vornehmlich jede andere nützlicheEigenschaft des Staates,
daS er unter den Rivalen sich sicher und michtig zu erweisen die
Kraft habe. Und aus soichen lebendigen Vorstellungen flieBen nun die
merkwürdigen Auûerungen des Konigs, die mit der seit Aristoteles
üblichen Einteilung der Verfassungen sehr rücksichtslos verfahren.
Diesen Formenbetrachtungen setzt er überall die Funktion und die un-
endliche Mannigfaltigkeit der geschichtlichenEntwicklung gegenüber.
Sein Ideal der Monarchie ruht ganz auf der Person des Fürsten.
Dieser ist zunâchst auch nur das Individuum,das sich selbst behauptet,
seine Grôl3e, sdnen ,,Ruhm" sucht. Denn das "erste Prinzip der heroi-
schen Handlungen ist der glückliche Instinkt, der dem Menschen den
Wunsch einflôBt, eine gute Reputation zu genie&en; er ist der Nerv
der Seele, welcher sie aus ihrer Letargie erweckt, um sie zu nützlichen,
notwendigen und ruhmuchen Taten zu treiben." Indem nun aber der
Furst den Staat darstellt, muB er seinen eigenen Ruhm in dem des
Staates suchen. "Das wahre Verdienst eines guten Fürsten ist die auf-
richtige Hingebung an das oHendicheWohl, die Liebe zum Vaterlande."
,,Der Fûrst ist der erste Diener des Staates." So wird der Charakter der
leitenden Personen, die Kraft, mit welcher sie das Interesse ihres
Staates zu erkennen und sich mit demselben zu identifizieren wissen,
zu einem weiteren Faktor für die Entwicklung und Erktârung der Ge-
schichte. Wo in den Fürsten und unter ihnen in ihren Beamten und
Offizieren dieser Zusammenklang stattfindet, da entspringen die gro-
Ben Entschlüsse und Taten, steigen die Staaten empor zu Macht und
Ruhm; sie sinken und gehen unter, wo die persôniichen Neigungen
die Forderungen des allgemeinen Interesses kreuzen, hemmen, unter-
drucken. Das PreuBen der Hohenzollernist für Friedrich das Beispiel
für die eine, das Frankreich Ludwigs XV. das für die andere Seite
dieses Satzes.
Die Politik bedarf keiner anderen Triebfedem a!s derjenigen, die
<~t J?~<M~<&<N&M~t '85
hieraus folgen: Eigeninteresse, Machtstreben, Ruhmbegierde, Vater-
landsliebe. Es sind die Krafte, aus denen auch die groBen alten Schrift-
steller, die Friedrich bestândig gegenwartig waren, alle heroischen
Handlungen der Geschichteableiten. Gerade das ist der Hauptsatz des
viel verkannten ,,Versuchs über die Eigenliebe", da& der Staat nur
xahten darf auf ein so starkes, immer und uberall reges Prinzip, wie
es das Eigeninteresse ist. Aus ihm ist er entsprungen, ihm verdankt
er seine Erhaltung und so nun auch sein Strebennach Expansion. Weder
irgendeine theclogische Moral noch irgendein historisches Recht sind
Krafte, mit denen der Staat emstlich rechnen darf. Das Interesse des
Staates ist der einzige MaËstab für die Handlungen des Fürsten. In-
dem Friedrich daran die eigenen Taten mi&t,findet er sie gerecht und
notwendig. Vorab die groBen, folgenschweren Entscheidungen, den
,,Schritt über den Rubicon" im Jahre (740, die Konventionvon Klein-
Schnellendorf und ihren Bruch, den Frieden von Breslau, die Schild-
erhebung von t744, den Frieden von Dresden, den gewaltigsten, ver-
hângnisvollsten EntschluB: das ,,Prâvenire" von t/sô, die polnische
Teilung, den bayerischen Erbfolgekrieg. Wie hart und bitter lautete
das Urteil der Zeitgenossen,der Freunde nicht weniger als der Feinde,
über alle dièse "Treulosigkeiten und Gewalttâtigkeiten" Die prakti-
schenRücksichten des Augenblickes mochten es notwendig erscheinen
lassen,die wahrenMotiveeiner solchenPolitik durch juristischeGrunde
im alten Stil zu verhuHen, und Hertzberg hat sich immer \'iel darauf
zugute getan, daË er das ,,Reeht" auch der rücksichtslosesten Hand-
lungen seines Monarchen ,,deduziert" habe. Vor dem Erben seiner
Krone, für den er seine Testamente, und vor der Nachwelt, für die er
seine historischen Werke schrieb, verschmâhte Friedrich diese Ver-
stellung. Frei und sto!z bekennt er sich zu dem Prinzip des Staats-
interesses als der wahren Triebfeder seiner Politik, und seine letzten
Wunsche gelten dem Fortleben dieses Grundsatzes in PreuBens Herr-
schem, in seinenOffizieren, seinen Beamten, in allen seinen Untertanen.
Die dynamische Auffassung der geschichtlichen Welt bringt
Schwierigkeiten mit sich, wie sie von jeder einseitigen Betrachtung
menschlicher Dinge untrennbar sind. Auf dem Gebiete des inneren
Staatslebens bildet das grô6te Problem, das sie zu losen hat, die Ver.
bindiichkeit des burgerlichen Gesetzes. Entsprechend erhebt sich fur
sie bei der ErHârung der Beziehungen der Staaten zueinanderdie Frage
nach der Gültigkeit des Votkerrechtes, wie ein seiches in bestimmten
VcTtrâgenund in allgemein beobachteten Gebrâuchen vorliegt. Frie-
drich scheut sich nicht, die hârteste Konsequenzzu ziehen. ,,Der Léser
wird," so führt das Vorwort der "Geschichte meiner Zeit" vom Jahre
'746aus, ,,in diesemWerke Vertrage geschlossenund gebrochen finden.
t86 /<<A der 6~ und <~ .~Mih~
ïch sage dazu: wenn sich unsere Interessen andem, müssen sich unsere
Allianzen mit ihnen ândern. Unser Amt ist, über dem Glücke unserer
Vôlker zu wachen; sobald wir für sie in einer Allianz cineGefahrsehen,
müssen wir dieselbe brechen. Hierin opfert sich der Fürst fur das Wohi
seiner Untertanen. Diejenigen, welche diese Handlungsweise so hart
verdammen, betrachten das gegebene Wort als etwas Heiliges. Sie
haben recht, und ich denke wie sie, soweit es sich um den Einzelnen
handelt. Der Ftirst dagegen setzt durch sein Wort das Glück aller auf
das Spiel; es ist also besser, daB er einen Vertrag brèche, als daB das
Volk zugrunde gehe." Und als der Kônig im Alter sein Werk noch ein.
mal redigierte, hat er wohl die Fâlle, in denen er den Bruch des ge.
gebenen Wortes als Pflicht angesehen wissen will, nâher za bezeichnen
utitemommea; aber das Prinzip wird dadurch nicht berührt: "Das iMcr'
esse des Staates dient dem Fürsten zum Gesetz, und dieses Gesetz ist
unverletzlich." So schlieÛt er auch in der Geschichtedes Siebenjâhrigen
Krieges die Beweisführung, daB der Angriff des Jahres t~gô ein Akt
der Notwehr gewesen sei, mit den bezeichnenden Worten: ,Kurz. es
handelte sich um das Wohl des Staatesund um die Erhaltung des Hauses
Brandenburg. Ware es in einem so schweren, sa wichtigen Falle nicht
ein unverzeihlicherpolitischer Fehler gewesen, wenn man sich an teere
Formalitâten gehalten hâtte? ïnt gewôhniichen Lauf der Dinge darf
man sich von diesen nicht entfemen in au6erordent!ichen Lagen mu8
man sich über sie hinwegsetzen."
Alle Mittel sind im Dienste des Staates erlaubt. Friedrich erzâhlt
es als etwas Selbstverstândliches, wie er ôsterreichische und sâchsische
Beamten bestochen habe, um in den Besitzder Schriftstücke zu kommen,
die ihm die Absichten der Gegner aufdeckten. Er macht nur eine
Einschrânkung: die Fürsten sollen, wie die Helden der franzosischen
Tragôdie, selbst im heiBesten Streit die âuBeren Formen wahren und
den Skandal vor der Welt vermeiden.Die wustenSzenen am Reichstag
von Regensburg im Frühling t757 und die rohen PreBfehden, die dar-
auf folgten, erregen seine Indignation. ,.Der Kônig !ie& der Kaiserin-
Konigin bemerken, daB es für die Herrscher genüge, ihre Streitigkeiten
mit den Waffen zum Austrag zu bringen, ohne sich vor der Welt durch
Schriften zu prostituieren. die für die Markthatten, nicht für die
Throne paBten."
Aber dieser aufrichtigste aller Geschichtsschreiber erkennt die Be-
rechtigung des Prinzips, aus dem er die eigenen Handlungen begründet,
auch für die seiner Gegner an. Kein Tadel, keine Entrüstung, wenn er
die ôsterreichische Politik schildert. Er betrachtet es als selbstver-
standtich, daB Osterreich nach der Wiedereroberung Schtesiens oder
nach dem Ersatze dieses Vedustes durch Barern strebt. DieBeharrIich-
<~ ~f~
AT<M~ 2Ê7
keit und Geschicklichkeit, mit welcher Kaunitz an der Herstellung der
Konstellationarbeitet, die far PreuBen die Leiden und Gefahren des
Siebenjâhrigen Krieges herauffuhrt, wird anerkannt und bewundert;
wenn eine bittere Stimmung hindurchklingt, so geschieht es angesichts
des grausamen Verhangnisses, welches aus jeder einmal vollzogenen
Stôrung des politischen Gleichgewichtes immer neue Erschütterungen
hcrvorgchen lâBt. Und das harte Urteil über Josef II. richtet sich nur
dagegen, da& er seine UïMetnehmungenhastig und ohne Verstândnis
fur die politische Lage beginnt, um sie dann in der Stunde der Gefahr
ebcnsoeilig und grundlos tvieder aufzugeben.So wird auchdemkleinsten
und gehâssigsten in der Schar der Gcgner sein Recht: Graf Brühl han-
delte richtig, als er sich zweimal mit ôsterreich gegen PreuBen vcr-
bündete denn er begriff, daû PreuBen ein seibstândiges Sachsen nicht
dulden konnte. Sein Fehler und seine Schuld lagcn nur darin, dat~
er es unterHeB, der sâchsischen Politik den notwendigen Rückhalt
in der sâchsischen Armée zu geben. Er erwartete alles von den
guten Diensten Osterreichs und RuBlands. ,Jeder Staat tâusch:
sich, der, anstatt sich auf die eigene Kraft zu stützen, auf diejenige
seiner Verbündeten zâhit." Denn noch e i n Mal: nicht Gefühle der
Freundschaft und ErkenntHchkeit regieren die Politik der Staaten,
sondem die Rücksicht auf den eigenen Vorteil. Immer wieder zeigt
Friedrich dicses mâchtige Agens auf, selbst bei Entschlüssen, die,
wie das franzosisch-ësterrcichische Bündnis von 1756, auf den ersten
Blick mehr eine Verletzung als eine Wirkung des natürlichen Inter.
Mseszuseinscheinen.Und wenn er nun am Vorabend groBer Erschutte-
rungen, wie vor dem ersten Angriff auf Sch!esien. vor der Erôffnung
des Siebenjâhrigen Krieges, oder in den Epochen der polnischen Tei-
lung und des bayerischenErbfolgekrieges, die politischeLage des Welt-
teils überblickt und die vielvcrschlungenen Fâden aller dieser egoisti-
schen Interessen entwirrt, dann verbindet sich der schâffste politische
B!ick mit der hôchsten Kunst der Geschichtschreibung zu Gemalden,
wie sie nach ihm nur Ranke geschaffen hat.
DaS der Staat Macht sei zu diesem Satz von MachiaveHiund
Hobbes hatte sich Friedrich schon in seinem Anti-Machiavellbekannt.
Es war die grôûte und zusammcnhângendste Erfahrung seines ganzen
Lebens. Eine Erfahrung. die Tag und Nacht in seiner Seele gegenwârtig
war und seine ganze lange Helden!aufbahn bestimmte. Der Staat, der
sich in dem allgemeinen Kampf behaupten und durchsetzen will, darf
keinen Augenblick ruhen, die in seinem Innern gelegenen Mittel zu
starken, zu organisieren. zu zentralisieren. So erfaSt Friedrich den Zu.
sammenhang. in welchem dieâuBerePolitik die innereVerwaltung des
Staates bestimmt. \'on diesem Gesichtspunkt aus beschreibt er seine
t88 ~!MM~ der Cn!~ kxd dit <<w<t<~~M<r
Friedensarbeit vor und nachdemSiebenjabrigenKriege.
Milit&rwesen,
Finanzverwaltung, Wirt<chaftspo!itik.Fôrderung der geistigen Inter.
essen: Alles dient demselben klar erfa6tenZweck. "Alle
Zweige der
Staatsleitung stehen untereinander in innigem Zusammenhang; Finan.
zen, Politik und Kriegswesen sind untrennbar; M genügt nicht, da&
eines der Glieder wohl besorgt wird; sie wollen es alle
gleichennaBea
sein. Sie müssen gelenkt werden in geradgestreckter
Flucht, Stirn bei
Stirn, ~te das Viergespann im olympischen Wagenkampf, das mit
gleicher Wucht und gleicher SchneUkraftdie vorgezeichnete Bahn
durchmaB, den Wagen zum Ziel und seinen Lenker zum Siege trug."
Friedrich Wilhelm I. ist das "erste Beispieleines groBen
Fursten, dena
er setzte aj: sein Tun zu dem Gesamtentwurfseiner
Politik in Beziehung".
PreuBen ist vor allen anderen Staaten auf diese
Notwendigkeit stârk-
ster Anspannung und Zusammenfassungseiner inneren Kraft
angewie.
sen. Denn dieses ZwitterwesenzwischenKônigreich und Kurfürstentum
ist plôtdich in die Reihe der groBen Mâchte
emporgestiegen, ohne
doch schon nach Umfang und Bevôlkerungdie Autarkie im Sinne des
antiken Staatsbegriffes zu besitzen. Hier setzt Friedrich die
Aufgabea
seiner Nachfolger: die Erwerbung Sachsens soll der erste Schritt auf
der Bahn zur HersteUung der natürlichen Schwere des
preu&ischen
Staates sein. Bis man diesesZiel erreicht hat, gilt es, in der inneren Ver-
fassung einen Ersatz zu suchen. "Die groBen Staaten gehen ihren Weg
von selber, trotz eingerissener MiBbrâuche; sie halten sich durch ihr
Gewicht und ihre innerliche Starke; die kleinen Staaten werden schnell
zermalmt, sobald nicht alles bei ihnen Kraft, Nerv und Lebensfrischeist.'
Eigeninteresse als das leitende Motivder Menschenund der Staaten,
allgemeine Wechselwirkung dieser Krafte in der Form von Druck und
Gegendruck, Abhângigkeit der inneren Zustânde der Staaten von ihrer
âuBeren Geschichte dieses Schema, welches seit den Tagen der
Hobbes und Spinoza vorbereitetwar und dem Zeitalter der d'Alembert
und Lagrange so nahe lag, t~t für Friedrich sein Leben
lang seine
GewiSheit behauptet. Die ~îaximenfür das praktische Verhalten, die
er daraus ableitete, haben sich unter dem EinfluS der
Erfahrung gc-
andert. A!s er die Geschichte seinerbeiden ersten
Kriege schrieb, stand
er noch unter dem Eindruck der glânzend
gelungenen Improvisation
des Jahres 1740. Der Gedanke der Expansion, in einem
günstigen
Augenblick der europâischen Lage gefa6t und energisch durchgefuhrt,
besitzt für ihn noch etwas Aussichtsreiches,Verlockendes. Aber wie
nun schon die sehr viel besser vorbereitete
Untemehmung des zweiten
schlesischen Krieges nach den gewaltigsten WechseIfâUen am Ende
zu keiner neuen Erweiterung der
preuBischen Grenzen geführt natte:
mit der wacbsenden eigenen und fremden
Erfahrung setzte sich ia
JiMMW<~<a~W~M~. ~M/<M~~«!~ 2~
seiner Seele immer starker die Oberzeugung fest, da&, wie zur Zeit
Macht und Interesse in der europâischen Staatenwelt geordnet seien,
ein Gleichgewichtbestehe, welches wohl durch einen verwegenen Ent.
schluB einmal erschüttert, nie aber dauemd geândert werden kônne.
Denn jeder Krieg teilt den Weltteil sogleich in zwei ungefâhr gleich
starke Lager, und die gewaltigsten Erschuttemngen fuhren immer wie.
der im wesentlichen zur Wiederherstellung des früheren Zustandes.
Einc Festang, wenige Quadratmeiten Landes, deren Ertrag nicht ein-
mal die Kosten des Krieges deckt: das ist im günstigsten Falle der
karge Lohn der grôBten Anstrengungen. So wird die Aufgabe det
praktischen Politik dahin beschrankt, diese nutzlosen Erschütterungen
rechtzeitig ïu verhüten oder doch gleich im Beginn zu unterdr&cken.
Ist sie auch nur dieser Aufgabe gewachsen? Wir würden nur einee
Seite der politischen und Mstorischen Schriftstellerei Friedrichs be-
rücksichtigen, wollten wir an seinen Betrachtungen über diese Frage
vorûbergehen. Das letzte Wort hat in dem Leben jedes handelnden
Menschenein Etwas-Machiavelli bat, wie die Renaissanceûberhaupt,
sich immer wieder damit beschâftigt: das Irrationale, das durch keine
Rechnung aufzulosen ist. Friedrich wei6 nicht, soll er es Vorsehung
oder Schicksalnennen. Er neigt doch immer wieder zu der letzten Auf*
fassung. Es ist eine "dunkle Gewalt, die voll Verachtung der Projekte
der Menschenspottet". Sie ist ,,starker als dieHelden, dicKônige und
Feldhcrm". Sie treibt die Menschen, immer wieder ihre stolzen Plane
zu schmieden, und macht sie immer wieder zuschanden. "Diese Narren
werdennicht müde, in diese Latema magica zu starren, die ohne Unter.
IaB ihre wesenlosen Bilder vor ihren Augen hervorbringt." Diese
grausame Macht gibt "jedem Alter sein Steckenpferd, dem Jungung
die Liebe, den Ehrgeiz dem Manne, den politischen Kalkül dem Greisc".
Und tauscht sie doch aile. Dieser skeptischen Stimmung in bezug auf
die Erfolge der gewaltigsten Anstrengungen entspricht es, wie der alte
Held immer mehr sich zuruckneht in das stoische Bewu6tsein der
Pflichterfüllung, unangesehen die âuBeren Wirkungen unseres Han.
delns. Eine Stille der Seele, in welcher sie aus dem Zusammenhang
der Welthândel, deren Ausgang immer unsicher ist, heraustritt. Die
Lebensverfassungder groBen rômischen Imperatoren, welche in der
grôbten ~chtfuUe, die jemals da war, es doch empfanden, daB wir
am Ende nur unser selbst sicher sind. Friedrich schIieSt in seinen
spâteren Jahren keines seiner Werke ohne diese Skepsis. Am 20. Juni
!779 unterzeichnete er in Potsdam die Memoiren zur Geschichte des
bayerischen Erbfolgekrieges. Es war der AbschluB seiner Geschicht-
schreibung überhaupt. "Das ist nun die Bestimmung der menschlichen
Dinge, daB darin a!lerorten die Unvollkommenheit herrscht. Das Los
Ï<)0 Friedrichder C~ und o~ o~A~ ~t~M&iMM
der Menschheit ist, sich mit dem Ungefâhr zu begnugen. Was ist das
Ergebnis dieses Krieges, der ganz Europa in Bewegung gesetzt hat?
DaB fur dieses Mal Deutschland vor dem impenalen
Despotismus ge.
rettet worden ist, daB der Kaiser eine harte Demütigung erfahren
hat,
indem er zurückgeben mu&te, was er sich angemaBt hatte. Aber welche
Wirkung wird dieser Krieg für die Zukunft haben? Wird der Kaiser
vorsichtiger werden? Wird jeder ruhig seinen Acker bauen kônnen?
Wird der Friede sicherer sein? Wir konnen auf diese
Fragen nur als
Pyrrbonianer antworten. In der Zukunft liegt jegliches Ereignis im
ReichedcsMSglichen. UnserBlickistzubeschrânkt, um die zukunftigett
Verkettungen der Dinge vorauszusehen. Es bleibt uns nur übrig, uns
der Vorsehung oder dem Fatum zu überlassen. Diese Mâchte werden
die Zukunft regieren, wie sie die Vergangenheit
regiert haben und
die Ewigkeiten, die vor dem Erscheinen der Menschen dahin.
gegangen sind."
3.
Das Meiste von dem, was Friedrich schrieb, wurde erst nach seinem
Tode verôffentlicht. Aber schon lange vorher stand die Nation unter
dem Eindruck seiner Person!ichkeit und seines Lebenwerkes. Die
groGen Grundsâtze seiner auswârtigen Politik und seiner Staatsverwal.
tung lagen offen zutage; sie gingen in das preuBische Beamtentum
über, in alle k!aren und scharfen Kôpfe diesseit und jenseit der preu-
Bischen Grenzen. Der Anblick dieses Kônigs und dieses Staatcs weckte
in unserem Volke das Verstandnis der politischen Wirklichkeit. Mitten
in einem Zeitalter, welches für se!bstandige, unverauBerhchc Rechte
der Person, für Aufk!arung und Humanitât, für Form und Schônheit
schwârmte, a~ die Einheit der Menschhcit in der neuen gro6en Kultur
und ihren unaufhaltsamen Fortschritt, dem cwigen Frieden
entgegen,
glaubte, setzte sich nun die Erkenntnis durch, daB die Handlungen
der Konige und Staatcn doch nicht unmittelbar aus ihrer idealert Kultur.
bestimmung abgeleitet werden kônnen: der Staat ist selbstândigen
Wesens; er ist Macht, und Machtstreben ist das erste Motiv & seines
Tuns; er ist in hestandigem Kampfemit den Nachbargewalten begriffen,
und dieses Verhâhnis bedingt seine Verfassung und
Verwaltung. Diese
Erkenntnis wirkte fort. Sie wurde zu einem daucmdcn
Prinzip aller
cchten politischen und historischen Betrachtung. In der universalhisto.
rischen Lebensarbeit Rankes ist die Méthode der
Geschichtschreibung
Friedrichs des GroBet) zu ihrer hochsten
oiïpndungdurchgebildet.
Aber schon in Hcrtzberg, Kant, Sch!ozer und anderen
Zeitgenossen ist
die Wirkung der neuen realistischen Auffassung der
politischen Dinge
sichtbar.
Z~M~~WA~ '9'
4.
Das Gedâchtnis des groBen Kônigs der Nachwelt m erhalten,
muBte seinen Dienern als eine der vomehmsten Aufgaben der Aka.
demie erscheinen. Wer fuhite nicht heute noch mit ihnea? Carlyle,
ein Fremder, doch mit dem hôchsten Sinn für historische GroBe be.
gnadet, hat sich in diese Aufgabe auhaltender und enthusiastischer
vertieft als in irgendeine andere. Luther, Friedrich, Goethe, Bismarck:
das sind die hôchsten geschichtlichen Besitztümerunserer Nation.
Die Festsitzung der Akademie vom 25. Januar 1787 stand unter
dem Eindruck des Verlustes, den PreuBen erlitten hatte. Hertzberg
hielt, wie immer, die Festrede. Sie wirkt nicht durch die Pracht der Dik-
tion oder durch das Pathos der Begeisterung. Sie ist nûchtem sachlich,
wie alles, was Hertzberg spricht und schreibt. Aber eben in dieserFonn
macht sie den tiefsten Eindruck. Denn ihr Thema ist zu groB für jede
Rhetorik. Hertzberg berichtet von der Tâtigkeit des Kônigs in dem
letzten Jahre seiner Regierung. Dasselbe rastlose und erfolgrciche Stre-
ben, wie es der Redner schon so oft hat schHdemkünnen. Der âuËere
Friede ist durch den Ausbau des Fürstenbundes gesichert, die innere
Kultur wieder ein gutes Stück weitergebracht worden, trotz schlechter
Ernten und vcrwùstender Cberschwemmungen, und neue umfasscnde
Plane für das Jahr 1787 haben den Kônig bis zu seinem letzten Augen-
blick beschâftigt. Und wie heilig still wird es an diesem Friedrichstage
in dem Saal der Akademie geworden sein, als nun Hertzbcrg als
Augenzeuge die letzten fünf Wochen des groBen Lebens xu schildem
begann. Die Krankheit ist schon so weit entwickelt,daB der Konig sich
nicht mehr bewegen kann; er bleibt Tag und Nacht in seinem harten
LehnstuM. Und doch verrat kein Laut des Schmerzes, nicht einmal ein
ungeduldiges Wort, wie schwer er leidet. Er zeigt immer dieselbe
heitere Ruhe. Er spricht nie von seiner Krankheit oder von seinem
Ende; er unterhalt seine Geselischafter in der interessantesten Weise
~~(~~M~&~M~t~f_20'
von Politik, Literatur, Geschichte, vor allem immer wieder von seinen
wirtschaftlichen Plânen. Die durch jahrelange Gewohnheit festge.
stellte Einteilung des Tages wird nicht geandert. Früh um 4 oder $
Uhr sind die Kabinetsrâte zur Stelle. Der Kônig diktiert ihnen seine
Entscheidungen auf die Masse von Berichten und Eingaben aller Art,
die ihm jeder Abend und jeder Morgen bringt. Es sind die wichtigsten
Geschâfte des Staates; der Kônig widmet ihrer Erledigung regdmaBig
sieben bis acht Stunden. Er empfângt darauf den Kommandanten von
Potsdam, um mit ihm den Dienst der Garnison festzustellen. Nun erst
ifindeter Zeit xu einer kurzen, auf das Notwendigste beschrànkten Kon*
sultation des Arztes. Die letzte Stunde des Vormittags vergeht im Ge-
sprâch mit Hertzberg und den andem vier standigen Gâsten von Sans-
souci in diesen denkwürdigen Tagen. Dann diniert der Kônig allein.
Am Nachmittag werden zunâchst die inzwischen ausgefertigten Be-
fehle durchgesehen, ergânzt und unterzeichnet. Die Stunden von 5 bis
8 Uhr sind wieder der Unterhaltung gewidmet. Der Kônig speist dann
wieder allein zur Nacht und schlieBt sein Tagewerk indem er pich
Cicero oder Plutarch vorlesen laBt, die groBen Alten, in deren stoischen
Maximen er auch jetzt, amZiele seines Lebens,dasGegengewicht findet
gegen den bitteren Skeptmsmus, mit dem er alles Wollen und Wirken
begleitet. So gehen die Tage hin, einer dem andem gleich, bis am
t6. August die Agonie und in der folgenden Nacht der Tod eintritt. Und
nun gibt Hertzberg, gleichsam an der Bahre des Toten, einen Uber.
blick über die sechsundvierzig Jahre dieser beispiellosen Regierung,
in groBen Zügen, mehr erinnemd als enâhlend: er will den Totalein-
druck hervorrufen. So kommt er auch in seinen spâteren Reden immer
wieder darauf zurück, was Friedrich für PreuBen bedeutet. Er hat
PreuBen in die Reihe der groSen M&chtegestellt. ,,Der PreuBe wird
fortan seinen cigenen Namenführen und bei dem Klange dieses Namens
aufflammen wie einst der Mazedonier und der Rômer." Er hat die Auf-
gaben, die dem preuBischenStaat aus dieser neuen Stellung erwachsen,
klar erkannt und rastlos zu erfüllen gesucht; cr hat indiesem Zusammen-
hang zugIeich das Hôchste geleistet, was ein Fürst für das Wohl seines
Volkes leisten kann. Und wie er sein eigenes Leben bis zu seinem letzten
Atemzuge in den Dienst des Staates gestellt hat, so hat er seine Offiziere
und Beamten, sein ganzes Volk zu dem gleichen Patriotismus erzogen.
Sein Geist ist es, der in dem preu&ischen Staate lebt, der Geist des
rastlosen, aber auch festen und sicheren Handelns, des aufgekiarten,
aber auch sittlich ernsten Denkens. Es ist zuletzt, wie Hertzberg klar
erkennt, der ,,kuhle und feste Geist der deutschen Philosophie", im
Gegcnsatz zu dem revolutionâren Leichtsinn der franzôsischen Bildung.
Friedrich hat so in dem preuBischen Staate das Vorbild geschaffen,
202 /~<M~ 6~t <M</
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dem die Fürsten des Jahrhunderts überall nacheifem, es doch nie er-
reichend, und die Nachwelt wird nur gerecht sein, wenn sie das tS.Jahr.
hundert als das Zeitalter Friedrichs des GroBenbezeichnenwird.
Ebenso groB wie der Kurator der Friderizianischen Akademie hat
der Philosoph der Friderizianischen Epoche über den Kônig gedacht.
Wenige Jahre vor dessen Tode verôffendichte Kant seine Abhand.
lung: "Was ist Aufkiârung?" ,,Aufklârung ist der Ausgang des Men.
schen aus seiner selbsverschuldeten Unmundigkeit..&<? audel"
Und in diesem Zusammenhang spricht er von seinem
Kônig. "Ein
Furst, der es seiner nicht unwürdig findet zu sagen, daB er es fürPflicht
halte, in Religionsdingen den Menschen nichts vorzttschreiben,sondem
ihnen darin voile Freiheit zu lassen, der also selbst den
hochmutigen
Namen der Toleranz von sich ablehnt, ist selbstaufgekiârt und verdient
von der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige
gepriesen zu wer.
den, der zuerst das menschliche Geschlecht der Unmündigkeit, wenig.
stens von seiten der Regierung, entschlug und jedem frei lieB, sich
in allem, was Gewissensangelegenheit ist, seiner eigenen Vernunft zu
bedienen." Er zuerst erwies allen Regierungen durch sein
Beispiel, dâû
von der Freiheit des Denkens nichts zu fürchten ist für die Ruhe und
Einheit des Staates. Von allen Seiten ertônt der Ruf:
,Râsonniert
nichtt" Nur ein einziger Herr in der Welt sagt: ,Râsonniert, soviel
ihr wollt, und worüber ihr wollt; aber gehorchtt"
Hertzberg ist, wie Friedrich, erfüllt von dem praktischen Wert der
Geschichte. Eben weil dicse Sôhne des t8. Jahrhunderts so gar nicht
unter dem Geheimnis des geschichtlichen Prozesseslitten, konnten sie
die Geschichte gleichsam als eine groBe
Beispielsammlungbetrachten,
deren Studium unmittelbar unterrichtend und erziehend wirke. Die Be-
schâftigung mit der Geschichte des eigenen Landes bringt auCerdcm
noch einen besonderen Nutzen: sie stâh!t den Patriotismus. Vor allem,
wenn es sich um einen Staat mit der Vergangenheitdes preuBischen han-
delt. Deshalb wird fürHertzberg noch mehr als fürFriedrich
diePflege
der vaterlandischen Geschichte ein wichtiger Faktor in
demallgemeinen
pâdagogischen System des Staates. Und dem Beruf, der ihr in diesem
Staate zukommt, entsprechend, soll die Akademie auch hier das Or
gan sein, durch das der Staat die Wissenschaft seinen Zweckendienstbar
macht. Die Akademie kann. so erkiârt Hertzberg, ihre Mémoires nicht
besser fuïlen und ihre Preise nicht nützlicher austcilen, als indem sie
die Biographien aller der Mânner veranstaltet, welchedem
preuBiachen
Staat im Heer, in der Verwaltung und in den Künsten und Wissen.
schaften gedient haben. Plutarch und Nepos sollen das Muster sein.
Denn jeder kennt den gewaltigen Eindruck, den diese Schriftsteller
machen, zurnal auf die heranwachsende Generation. Und er entwirft
~~Mit~ 203
AM~tM~JM'Ç!')~ «~ ~Mt&~M'<M&<
Gedâchtnis so die
auch sogleich die stolze Tafel der Namen, deren
Akademie der Zukunft zur Nacheiferung überliefern soll.
Da faute denn Hertzberg schon damais den Gedanken einer offi-
aiellen Biographie des gro6en Kônigs. Wie weit seine Absicht ging,
Mit-
ersieht man aus dem Plan, den unter seinem EinfluB das neue
der Akademie, Verdy du Vemois, der Kôrperschaft einmal aus-
glied
einandergesetzt hat. Das Werk soll den einfach.stolzen Titel "Annalen"
führen und seinen Gegeitstand in viev gro&en Abteilungen behandehi,
ais politische, militârische, zivile und literarische Annalpn. Aïs QueUen
soUenneben den Schriften Friedrichs die reichen Schâtze der Archive
dienen. Und zwar will man mit der eigentlichen Biographie überall
Schôn-
die Publikation der QueUen selbst verbinden. Denn nicht die
soll
heit des Kunstwerkes, sondem Zuverlâssigkeit und Vollstândigkeit
der hôchste Gesichtspunkt sein. Die Ausführung dieses monumentalen
Werkes aber gebuhn der Akademie. Wie sie durch ihre Personen und
am besten zu einer solchen Aufgabe geeignet ist, so
Einrichtungen
ihren
kann sie damit auch am schônsten ihre Dankesschuld gegen
zweiten Stifter und ihr gro&tes ~tglied einlosen. Sie soll die Arbeit
fâllt die
unter ihre fâhigsten Mitglieder verteilen, und dem Kurator
keiner seiner Fest-
Leitung des Ganzen zu. Hertzberg unterIâGt es in
der
reden, auf die Bedeutung einer solchen aktenmâûigen Geschichte
Friderizianischen Regierung hinzuweisen. Er legt dabei schon damals
besonderes Gewicht darauf, daB auch die innere Verwaltung in ihrem
er daB erst hier,
ganzen Umfange behandelt werde. Denn ist überzeugt.
vor allern in der gewaltigen Kulturarbeit nach dem Frieden von Hu-
werde. Und als
bertusburg, die ganze GrôBe Friedrichs zutage treten
er dann den Staatsdienst verlassen mu6te. im Grunde. weil er an den
Ideen seines Meisters zu eifrig festhielt da fand er in der liebevoUen
dessen er bedurfte.
Versenkung in die Geschichte Friedrichs den Trost,
Er verkündete jetzt der Akademie seinen EntschluB, selber die Bio.
Friedrich Wilhelm II. ver.
graphie des Kônigs zu schreiben. Aber
Wie hâtte auch unter
weigerte ihm die Benutzung der Archive.
dem Regiment WôUners eine wahre Geschichte Friedrichs erscheinen
konnen? Doch der Plan Hertzbergs lebte fort. Aïs die Regierung
Friedrich Wilhelms III. Schiller nach Berlin zu ziehen suchte, hoffte
sie in ihm namentlich auch den Biographen Friedrichs zu gewinnen.
in dieser Rich-
Johannes Mullcr hat dann einen besonderen Auftrag
der urspriingliche Ge-
tung empfangen. Und auch darin erhieit sich
der Akademie
danke, daB beide Mânner ihre Aufgabe im Verbande
lôsen sollten. Den einen hat der Tod, den anderen der Wechsel seiner
an der Leistung verhindert,
politischen Beziehungen und Gesinnungen
die man von ihm erwartete. Erst in unseren Tagen ist die Akademie
~t04 Friedrich der CM)~ und <? <~<Mt<
~~Ai~w
dahin gekommen, das Lebenswerk Friedrichs dem Verstandnis zu er-
schheBen, nun aber umfassender und eindringender, als Hertzberg und
seine Freunde je denken konnten.
Ein Drittes noch muBte fur das Andenken des
groBen Konigs ge.
tan werden. Von seinen Schriften war einiges in der Akademie vor.
getragen und in ihren Mémoires veroffentlicht worden; anderes ft'ar
sonst erschienen. Seine groBen WerkezurGeschichte der
eigenenRegie-
rung, seine ganze reiche Korrespondenz, wichtige politische, militânsche
und philosophische Abhandlungen, ein groBer Teil seiner Poesien: das
alles ruhtc noch ungedruckt in den kôniglichenSchlossem undArchiven
oder zerstreut in fremder Hand. Es war eine
denkwürdige Stunde M der
Geschichte der Akademie, als Hertzberg das
Manuskript der .w
de <?<??temps" herumreichte und das berühmte Vorwort
ver!as. Das
Kostbarste, was von Friedrich nun übrig war, xu sammeln, zu ordnen
und in einer würdigen Gestalt der Welt zu
uberliefem, das war die
Pflicht und gewissermaûen auch das Recht der Akademie. Sie
tmgt
nicht die Schuld daran, daB ihr diese Aufgabe entging. Gleich nachdem
die Existenz der Manuskripte und die Absicht der
Regicrung, dieselben
m verôffendichen, bekannt geworden waren, hat sie durch die Ver.
mittelung Hertzbergs Schritte getan, sich die Publikation zu sichem.
Es war zu spât. Woliner batte bereits auf seine Bitte den
ganzen
literarischen Nachiaf; des verstorbenen Konigs,~ls Geschenk" erhalten.
Ein Teil desselben, und soweit wir sehen, gerade der
gefâhrUchste,
befand sich in den Hinden ViJIaumcs,des letzten Vorlesers
Friedrichs;
der alte Kônig hatte ihm diese Schriften noch selbst
übergeben, eben.
falls ~s Geschenk". Wëtiner wurde
jetzt in den Stand gesetzt, gegen
eine ansehnncheGetdsumme auch
diese Sammlungin seine Gewaltzu
bringen. Er hat darauf an dem ganzen Raube jcne Revision vorge-
nommen, bei der alles Mi&tiebigezuruckgchalten wurde und vieles für
immer verschwunden ist. Der Rest wurde dann an die beiden Firmen
Decker und \'o6 verhandelt, und damit hielt man sich aller weiteren
Sorge um das Schicksal dieser Handschriften für überhoben. Es war
eine Mo8e Form. wenn nicht ein offenbarer Hohn, daB Wo!!ner den
franzôsischen Prediger ~!oulines er sa6 leider auch in der Aka.
demie zum Leiter der Publikation bestellte. So konnte es
geschehen,
daC die Werke des gekronten Schriftstellers in einer
Ausgabe er-
schienen. die durch ihre empôrenden NacMâssigkeiten vieltdcht
einzig
dasteht. Es war wie eine Schândung des groBen Toten. Die
Entrüstung
war allgemein, int Auslande vielleicht noch
groBer als in Deutschland.
,,Was würde England getan haben. wenn je ein britischer
Kônig seinem
Volke ein solches Erbe hinter)assen hâtte?" So
fragt Gibbon, und er
antwortet "Das Parlament würde jcde Summe
ausgesetzt haben, um
Die A~W</M~<<~~<Mtf~~& A%M~ _!05
eine mit allem literarischen Apparat versehene, durch die groBte Ge-
nauigkeit und die prâchtigste Ausstattung hervorragende Ausgabe zu
veranstalten. Gelehrte und Künstler h&tten gewetteifert, zu diesem
Zweckemitzuwirken.Diese Ausgabe ware an alle europaisehen Fürsten
und Regierungen als Geschenk der englischen Nation, zu ihrer Ehre,
geschickt worden. Eine andcre, billige Ausgabe hâtte dafur gesorgt,
daBSchriften dieser Art in allen Schichten des Volkes gelesen wûrden."
Dieses Schicksai seiner Handschriften ist wie cin Symbol des Verhâng-
nisses, das über da? Alter des groBen Kônigs einen so tiefen Schatten
wirft: was für schlaffen Hânden muBte er das Werk seines Lebens
überlassen Wie so viel anderes, was sonst das Glück unseres Ge.
schlechtesbegründet, so wurde diesemdâmonischen Menschennun auch
das segensreiche Gesetz der Erblichkeit der Monarchie zum tragischen
Verhângnis.
Es ist der Akademie F riedrichWilhelms IV. vorbehalten geblieben,
den Frevel dieser ersten Ausgabe der Werke Friedrichs des Gro6en
einigermaBen zu sutmen. Der Kônig hat gleich nach dem Antritt der
Regierung eine neue Ausgabe durch die Akademie angeordnet. Unter
den Mitgliedem der Kommission befanden sich Boeckh, Raumer und
Jacob Grimm. Die Arbeit selbst lag in den Hânden von PreuB. Der
ersuch,den die pietistische Umgebung des Kônigs machte, die Edition
der philosophischen Schriften zu verhindem, ist damais doch durch
Alexander von Humboldt vereiteit worden. Die Zeit wird kommen, in
welcher die Akademie dem Bedürfnis einer ganz vollstândigen und
unseren strengeren kritischen Grundsatzen entsprechenden Ausgabe
wird genügen müssen.
DAS ACHTZEHNTEJAHRHUNDERT
WELT
UND DIE GESCHICHTLICHE
DAS ACHTZEHNTE JAHRHUNDERT
UND DIE GESCHICHTLICHE WELT
3.
Die Geschichte rückt abermals vorwârts, und es vollzieht sich nun in
den historischen Wissenschaften ein Fortschritt, durch welchen die Be-
dingungen geschaffen wurden, unter denen im t8. Jahrhundert der
erste Entwurf eines wissenschaftlichenZusammenhanges der Universal-
geschichte und dann im 19. unsere historische Weltanschauung ent-
stehen konnte.
Im t~. und !6. Jahrhundert erhob sich der Geist der modemen
ôlkerzu einer natürlichen Auffassung des geschichtlichen Lebens und
der Krâfte, die es regieren. Mit der inneren Zersetzung der mittelalter-
lichen Kirche und ihres metaphysischenSystems, mit den Fortschritten
der geistigen und wirtschaftlichenKultur und der Umbildung der sozia.
len und politischen VerhaJtnisse, die dadurch hervorgerufen wurde,
erwuchs ein BewuBtscinvon dem seibstândigen Wert alles diesseitigen
Lebens und Schaffens, welchesdie Schranken der transzendenten Welt-
anschauung der früheren Jahrhunderte überall siegreich durchbrach.
Individuum, Staat und Nation erfaûten ihre Souvet-amtât. Sie be-
gannen, ihre Handiungsweise nach ihren natürlichen Interessen zu be-
stimmen, und sie scheuten sich nirgend, sich offen zu ihren Motiven zu
bekennen. Und wie nun die Wiederbelebung der antiken Kultur m der
inneren Verwandtschaft begründet war, welche zwischen den neuen
I.ebensformen der modernen Volker und denjenigen der griechisch-
romischen Welt bestand, wurde jetzt auch alles rezipiert, was das Alter-
tum in der wissenschaftlichenBehandiung von Morat, Recht, Staat und
2t8 Das «~A ~M~ <w~die ~iMM~ W~
4.
Die Kunst der Geschichtschreibung bedarf einer geistigen Anschau
ung des Zusammenhanges, welcher die Vorgange verknüpft und ihnen
Leben und eine aus dem Gemüt stammende innere Kraft mitteilt. Das
t6. und ty. Jahrhundert hatten die wissenschaftlichenWerkzeuge für
die Bearbeitung des ungeheuren Stoffes der Geschichte geschaffen.
Aber die groBen leitenden Ideen, welche imstande warcn, diesen Stoff
zu beherrschen, sind erst von dem t8. Jahrhundert hervorgebracht wor.
den. Sie erwuchsen auch jetzt wieder aus dem historischen Leben selbst,
und zwar aus einer Verbindung der grôBten weltgeschichtlichen Vor-
Die MwAwM/JMit&M~Z~<!Kt<W t&A~i~MMb~~ 223
kenntnis und ihrer Wirkungen auf das Leben. Die Akademien ent-
standen. Jetzt zuerst erhielten die Hauptstâdte Europas Mitteïpunkte
modemer géistiger Arbeit. Und diese Arbeit empfing nun gerade durch
ihre Organisation in dauemdenKôîperschaften,weîche mit Staatsmitteln
arbeiteten, eine bestimmte Richtung. Die Akademien fôrderten die Tei-
lung der Arbeit, die Einschrânkung des Einzelnen auf ein bestimmtes
Gebiet und den positiven, exakten und methodischen Geist der For-
schung. Laplace sagt einmal, ihr wesentlicher Vorteil liège in dem philo-
sophischen Geist, der sich in ihnen entwickele; eben aus dem Wunsch,
sichgegenseitig zu überzeugen, entspringe dieObereinkunft unter ihren
MitgHedem, Untersuchungen von sicherer und unmetaphysischer Art
zu bevorzugen. Sie standen da als dauernde Trâger des hochst zusaïn-
me.ngesetzten und ausgedehnten Betriebes der modemen Erfahrungs-
wissenschaften, welcher der Kontinuitât regelmaûiger Arbeit bedarf. Sie
breiteten sich uber alle Hauptstâdte aus. Fünfundzwanzig Jahre nach
der Gründung der Berliner Kôrperschaft entstand die Akademie in
Petersburg. Es folgte die in Stockholm, deren erster Prâsident der
groBe Linné war, weiter die in Kopenhagen, und auch die kleineren
deutschen Staaten errichteten solche Anstalten. Dann bemachtigte sich
der moderne wissenschaftliche Geist der Universitâten, und auch in
diesen schritt die wissenschaftlicheArbeitsteilung bestândig vorwarts.
Eben die Studien, die an den Akademien zurùcktraten und deren doch
diese modemen Staaten bedurften, die Staatswissenschaften, die Juris-
prudenz und die Medizin, wurden hier fortgebildet. Die Wissenschaft
wurde für die Erziehung der leitenden Stande, vornehmlich der kûnf-
tigen Staatsbeamten verwertet. Der erste Typus dieser neuen Universi-
tâten war Halle, der Sitz der vonder Philosophie des Jahrhunderts be-
stimmten Staatswissenschaften.Dann entstand Gottingen als der Mittel-
punkt der historischen Studien, die unter dem EinfluB Englands stan-
den. Man muS sich vorsteUen,wie die bestândige Ausbreitung eines
staatlich organisierten wissenschaftlichenBetriebes, die Beschleunigung
der geistigen Arbeit, die so entstand, die geistige Autoritât der hier wir-
kenden Personen und ihr von den Studentenzeiten her wirksamer Ein-
flu& auf die hohen StaatsbeamtendieMacht der Wissenschaft und ihren
EinfluB auf das Leben bestândig steigerten. Wie gerade diese Organi.
sation des ~-issenschaftHchenBetriebes die Zuversicht auf die zuneh-
mende Gesittung durch den Einf!u6 der Vemunft vermehrte. Wie diese
Grundidee der Auftdârung sich von den Gelehrten aus über die Be-
amten, die Juristen und die Schriftsteller verbreitete.
So entsprang der Begriff der g r o Be n Kultur, die ihre dauer-
haften Grundlagen in der Macht der gesetzlich geordneten Monarchie,
in der Entwicklung der Industrie, des Handels und des Reichtums be-
Dilthey,G<Mmmdte H!
Schriften t;
M6 Das OMt~~Mi'~M~hMM!~M~ die ~<S<«!<M~ ~Mf
sitzt, die auf diesen Grundlagen als festgegründete, fortschreitende, all.
gemeingültige Wissenschaft, als Aufktârung und Macht des Menschen
über die Natur sich erhebt, um dann ihre Blüten zu treiben in den durch
das Denken veredelten Kunsten, einem gelâuterten, regelhaften Ge-
schmack und einer feinen, alle oberen Stânde verbindenden Gesittung.
Diesen Begriff schopfte die Aufktârung aus sich selbst. Er ward ihr der
Maûstab der Beurteilung jeder früheren Zeit. Seine ubeneugende Kraft
lag in dem Gefühl der neuen Sicherheit, welche die Zivitisatioa in den
groBen Staaten mit der mathematisch begnindeten Wissenschaft ge.
wonnen batte. In dem Zusammenhang dieser Regierung des Lebens
durch das Denken wurden auch die Künstler und Dichter aufgefaût. Sie
waren eine Kraft für den Fortschritt dieser Gesittung. Der Maastab
ihres Wertes lag in ihrer Macht, das menschliche Ideal dieser Kultur
und die Freudigkeit des Daseins, welcheaus derSouvetânitât des Geistes
entspringt, ausdrücken zu kônnen. Dieser Idee von der Funktion der
Kunst vermag eine einseitig âsthetische Betrachtung nicht gerecht
zu werden.
England zuerst ent~'ickelte in der Monarchie des groGen Oraniers
und der Kônigin Anna eine einheitliche Zivilisation dieser Art. Shai-
tesbury war der Ausdruck dieses Zeitalters. Er lebte in dem BewuÛt-
sein vom Zusammenhang der Macht und Freiheit seines Vaterlandes
mit der Steigerung der menschlichen PersônHchkeit zur inneren Har-
monie. Alle Bedingungen sind erfüllt: die groBe Kultur, welche in der
Zeit der Macht des rômischen Staates durch den bestandigen Kriegs-
zustand gehemmt worden ist, wird nun in England Wirklichkeitwerden.
Sie fordert die Unterordnung der Phantasie unter ein Denken, das sich
der Wiridichkeiten bemâchtigt. Dann wird sie eine hohere Gestaltung
der Personlichkeit, eine reinere Form der Kunst und eine edlere Ge-
sittung hervorbringen.
Mit diesem Ideal einer machtvollen und doch freien Ordnung der
Gesellschafterfülite sich Voltaire, ats er nach England kam. Und wie
er nun Franzose war in jeder Faser, hielt er doch fest an dem Eigen-
wert der Bildung seines lebensfreudigen Vatertandes. Voltaire wandte
zuerst den neuen Begriff der Kultur auf die Geschichtean. In seinem
Zeitalter Ludwigs XIV. untemahm er, den Zusammenhangdarzustellen,
in welchem alle Erscheinungen des frantôsischen Lebens wâhrend der
Regierungszeit dieses Kônigs verknüpft sind. Ludwig XIV. war ihm
die Verkorperung des Machtwillens des franzôsischen Kônigtums. Sein
Kultus dieses Kônigs beruht auf dem Gedanken, daB die GroBe und
Festigkeit seines Staates allein die Steigerung des ganzen menschlichen
Daseins, die Blüte der Wissenschaften, den Adel und die FormgrôSe
der Kunst und die hofische Verfeinerung der Sitten ermoglicht habe.
Z~F<J?~~A~<~ ~7
welche kurz vor der Regierung des Kônigs anhob und jetzt, wo or sein
Werk entwirft, abgescMossenvor ihm liegt. Die Philosophieaïs univer.
sale Wissenschaft gibt nach seiner Einsicht diesem Zeitalter eine uner-
meBliche Cberlegenheit über jedes frühere. Vergleicht man Platon mit
Locke, so erkennt man den Fortschritt, welchen die Bildung in dieser
groBten Zeit des menschlichen Geschlechtes vollzogen hat. Die Eng-
iânder sind von Milton bis Pope, Addison und Swift die Meister der
gedankenstarken Dichtung, sie sind in Locke und Newton die Lehr-
meister der Menschheit in der wahren Philosophie. Und mag er Leib-
niz auch anderwarts noch so boshaft verspotten wegen seines Optimis-
mus, hier wei6 er ihn aïs den universalsten Denker Europaszu würdigen.
In dem universalen Zusammenhang aller Wissenschaften in den ver-
schiedenen Kulturlândem, getragen von den Akademien, lag ihm die
Groûe dieser Zeit. Und da ihm nun Aufktârung, Toleranz und Huma-
nitat schlieBlich doch den wichtigsten Ertrag der groBen Kultur be-
deuten, mündet seine Darstellung in der Schilderung der religiosen und
kirchlichen Zustande. Er wirft sich in das Wirrsal der reHgiôsenStrei.
ttgkelten, er erkennt die Fehler der Kirchenpolitik Ludwigs. Die poli.
tischen Motive derselben bat er doch nicht durchschaut. Und wie ihm
die Intoleranz des Kônigs, die schwarmerische Hartnacktgkeit derHuge.
nottcn, das theologische Gcïânk der Jansenisten und ihrer Gegner glei.
cherweise verhaSt, ja unverstândîich sind, endet sein Werk in einer
Art von Desperation über die Macht von Beschranktheit und Wahn-
glauben im Menschen. Er verstand die Gemùtskrâfte nicht, welche
die Geschichte bewegen.
Den Anforderungen, die man an das vo!ie Verstândnisdieser Kultur
machen müBte, genügt Voltaire nicht. Er schildert, ef beurteilt, docb
er crk!art nicht. Aber er hatte ein besonderes Verstândnis fut die Art
von GrôBe, welche in dieser franzôsischen Monarchie lebte. Er besaS
die Kenntnis von drei gro&en Staaten, er verstand die groBen handem'
den Menschen durch eine Art von innerer Verwandtschaft,da er selber
von dem Interesse seiner literarischen Macht geleitet war, die sich über
ganz Europa verbreitete. Und er hatte nun zuletzt in Sanssouci den
groBten Vertreter des damaligen Kônigtums kennen gelernt. Von dem
Einflusse Voltaires auf Friedrich sind wir zureichend unterrichtet, der
Kônig machte kein Hehl daraus, wo und wie er lemte. Wie weit Frie.
drichs Einwirkung auf Voltaire reichte, ist schwer zu sagen. Alles)
was der Kônig geschrieben hatte und was er noch ungeschriebenin sich
bewegte, war Voltaire bekannt. Wenn man die Abhandlung Friedrichs
über die Sitten, Gebrauchc, Gewohnhciten, die Industrie und die Fort-
schritte des menschlichen Geistes in den Künsten und Wissenschaften
liest, die cinige Jahre vor dem Werkc Voltaires erschienen ist, so tritt
Pw~~A~/t~ ~9
die Obereinstimmung beider Mânner in dieser kulturgeschichtlichen
Betrachtungsweise deutlich hervor. Es war einer der leitenden Ge-
danken des groBen Kônigs, da6 der preuBische Staat, zuruckgebtie.
ben hinter den anderen gro&en Monarchien, zunâchst seine Macht be-
gründe und die Hilfsqueltendes Reichstumsin sich entfalte: auf dieser
GrundJage werde die Blüte der Wissenschaften und der Künste an-
brechen.
So entsteht eine Verandenmg in der Geschichtschreibung, welche
auffalliger als irgendeine andere die historischen Werke dieses Jahr-
hundetts von allen früheren unterscheidet. Die Historie beginnt den
Zusammenhang der Kultur in sich aufzunehmen. Das hat nichts mit
dem falschen Ideal einer Kulturgeschichte zu tun, welches die Ver-
bindung zerreiSt, in der mit Zustânden groBe Menschen und mit
regelmâûigen Fortschritten der ZiviUsMiondie Machtkâmpfe der Natio-
nen verknüpft sind. Eben diese Verbindung ist von den gro8en Ge-
schichtswerken eines Hume, Gibbon und Robertson zur Darstellung
gebracht worden. Denn die Aufklanmg lebt in dem BewuBtsein von
der Bedeutung der groBen Monarchie, in dem Interesse an den Macht-
verschiebungen zwischenihnen, und selbst ihre Ideale der Freiheit hat
sie diesem Zusammenhang eingeordnet. Auch sind die groCen Fort-
schritte in der Auffassung der geschichtlichen Welt wâhrend dieses
Jahrhunderts nicht von einer Philosophieder Geschichte als einer neu-
erstandenen Wissenschaft herbeigeführt worden. Es gibt keine abge-
sonderte Philosophie der Geschichte, die etwas wert wâre. Aber der
philosophische Geist war in allen Kopfen wirksam und steigerte die
Kraft, die geschichtliche Welt zu begreifen. Er suchte die ursâch-
lichen Beziehungen auf, welche die Gesetze der Natur mit dem
Leben des Geistes und die Ausbildung der Erde mit der Entwicklung
des Menschengeschlechtesauf ihr verknüpfen. Und das war nun seine
Hauptleistung, daB er den universalhistorischen Gesichtspunkt der
fortschrcitenden Kultur des Menschengeschlechtesin den Vordergrund
rückte. Die Machtkâmpfe der Staaten, Krieg und Politik behaupten
ihre Stellung in der Geschichte,selbstVoltaire widmet ihnen den groB-
ten Teil seiner beiden Werke.Wenn aber für ihn noch der Kriegwie ein
unfaBUches Naturereignis den ruhigen Gang der Zivilisation stôrt,
wenn er vor dem re!igiosen Affekt oder vor dem grenzenlosen Erobe-
nmgsdrange Ludwigs wie vor einer Naturgewalt steht, welche in das
ruhige Wa!ten der Vernunft einbricht:so lag nun hierin dicAufgabcder
Fortentwicklung wahrerGeschichtschreibung.dieGninde dieser Macht-
kâmpfe zu erforschen und die Verminderung ihrer Zahl und Stârke zu
erklâren, wie sie sich insbesondereaus der Ausbildung der gro&en
Monarchien und des G!cichgewichtsverhâ!tnissesunter ihnen ergab.
:30 Z)~t <MiMM~yi~MbM<&~und die ~f~<~
Hier greifen die politischen und historischen Ideen Friedrichs des
GroBen ein.
Für die Auffassung der Kultur selber MIdetc sich bei den besten
Historikem des Jahrhunderts eine Technik aus, sie nach ihren ver.
schiedene Seiten auseinanderzulegen. Querschnitte gleichsam wur-
den durch den Fortschritt der Kultur an bcsonders wichtigen Punkten
der Entwicklung gelegt. Hume zuerst bat seit ï763 dieses Verfahren
mit zureichender Genauigkeit angewandt. MontesquieusHauptschriften
waren erschienen, Voltaire batte eben sein Zeitalter Ludwigs hervor.
treten lassen, als sich Hume in Edinburg in die Quellen seiner vater.
lândischen Geschichte vertiefte. Und wâhrend er mitten in der Arbeit
war, erschien Voltaires Schrift über die Sitten. Neben die ErzaMung
der politischen Geschichte steHtHumceinegrundliche,umfassendeDar.
stellung der Verfassung, der Gesetze und Sitten wâhrend der angcl.
sâchsischen Heptarchie, dann eine solche der normannischen Feudal.
vcrfassung, und er endigt mit der berühmten Schilderung der Sitten
und des wissenschaftlichenGeistes, wie sie nach den langen Kâmpfen
zwischen dem Konigtum und den Gemeinen sich unter Wilhelm von
Oranien gebildet hatten. Dann hat Ro b e r t s o n 1769 in der schônen
Einleitung zu seiner Geschichte Karls V. die Zustande der europâischen
Gesellschaft in eine innere Abfolge gebracht. Und der grôl3teunter den
Historikem des Jahrhunderts, Gibbon, beginnt sein Werk mit einer
Darstellung der gesamten Kultur des romischen Reiches in dem Zeit-
alter der Antonine tener langen glücklichen Zeit, in welcher das
rômische Reich unter einer weisen Verwaltung edler Kaiser den hôch.
sten Zustand von Frieden und innerer Wohlfahrt genou bis dann mit
dem Tode Marc Aurels der \'erfatt begann. Diese Darstellung ist das
Hôchste, was die Geschichtschreibung des t8. Jahrhunderts in dieser
Art geleistet hat. Eine ahnKche Schilderung widmet er den Zustânden
der Deutschen zur Zeit ihres Einbruchs in das Weltreich unter Decius.
So zergliedert cr auch an andem Stellen den Geist der Nationen, wenn
sie mit der romischen Welt in Benihrung treten. Und cr zuerst hat in
genialer Analyse den Charakter des Christentums der ersten Jahrhun-
derte dargelegt und die Ursachen seines Wachstums entwickelt. War
es doch die Zeit der groBen Analysen der Eng!ânder. Das wirtschaft-
liche Leben, die moralischen Tatsachen, das künstlerische Schaffen, die
NvissenschaftlicheArbeit des menschlichen Geistes wurden zuerst von
ihnen methodisch zerlegt. Adam Ferguson und Henry Home haben
hierauf ihre Zergliederung der gesamten Gesellschaft und des gc-
schichtlichen Fortschrittes derselben gegrundet.
Aber aus den Begriffen der Einheit des menschlichenGeschlechtes,
des Zusammenhangesder Erscheinungen seiner Kultur in jeder Epoche,
~M~~tM~~M~M<&~Mw
der Entwicklung zur groBen Zivilisation der Gegenwart erwuchs nun
auch die Aufgabe, die Linie des Fortschrittes zu beschreiben, welche
von der Barbarei der primitiven Zustande emporführt zu der Errichtung
der groBen Monarchien, der Ausbildung einer allgemeingültigen
Wissenschaft, der Aufklârung und Gesittung. Es war das eigentliche
Problem für diese Geschichtschreibung des x8. Jahrhunderts. Alle
Geschichtschreiber der Aufkiârung sind in den Grundzugen einander
verwandt. Ihnen allen liegt das Ziel der geschichtlichen Bewegung
in der Unabbingigkeit der wissenschaftlichenForschung, der Toleranz,
der religiôsen Auttdânmg, der wohlstilisierten Kunst, und in der neuen
Freiheit des Menschen, seine Personlichkeit zu entfalten, die ihm in
diesen gesicherten groBen Staaten entsteht. Naturwissenschaft,Schilde-
rungen der Reisenden, Verbindung derselben mit den altesten Denk.
malern unseres Geschlechteshaben nunmehr den Anfang der Geschichte
in der primitiven Stufe der Menschheit festgestellt. Die Zeit der My.
then über den Ursprung der Menschen ist vorüber. Wie das mensch-
liche Geschlecht durch Wahn, Illusion und leidenschaftliche Wirrun-
gcn hindurch von Stufe zu Stufe zu dieser Zivilisation emporstieg, das
ist der Gesichtspunkt, von welchem jetzt jeder Teil der Geschichte
von den Historikem behandelt wird. Und die Stimmung des Geschicht-
schreibers schwebt zwischen dem Mitgefuhl und dem Lâcheh über
die groBen Tâuschungen der Vergangenheit, dem ehrlichen Ha& ge-
gen die Despoten und Hierarchen aller Zeiten, und der optimistischen
Lebenszuversicht, in welcher dies Zeitalter der Vemunft cinem gren-
zenlosen Fortschreiten der Menschheitunter der Leitung der Erkenntnis
selbstbew uBt entgegensieht. Voltaire hat die Abrechnung mit der
theologischen Geschichtschreibung von Bossuet vollzogen. Und er hat
auch zuerst in seinem Versuch über die Sitten und den Geist der Natio-
nen die neue Universalgeschichte der menschlichen Kultur darzu-
stellen untemommen.
Dies Werk hat ihn sein Lcben hindurch begleitet. Er hat schon um
'740 für die Marquise von Chateleteine Philosophieder Geschichteund
cinen Versuch uber die Geschichte des menschlichen Geistes von Karl
dem GroBen bis auf seine Zeit niedergeschrieben. Beides fûgte er dann
zusammen undlic6 es 1756 erscheinen. Noch zwanzig Jahre danach,
in seinern Todesjahre, hat er sich von neuemmit dem Werk beschâftigt.
So groB die Intention war, so unzureichend ist die Ausfûhrung. Die
Wirkung, welche in der Anwendungder neuen Ideen auf die Tatsachcn
der Geschichte lag, war doch auBerordentlich. Sie wurde verstârktdurch
zwei MompMte.Indem \'o!taire alle CberUeterungen der Vergangen.
heit dem MaSstabe des gesunden Menschenverstandesunterwarf, stei-
~erte er den Geist der Kritik. Desultorisch. fehtgrcifend oftmals.wcnner
Das <MMM~ /tM<M<&~ und die F'&< Welt
5'
Der ,Geist der Gesetze" von Montesquieu ist das politische
Hauptwerk des t8. Jahrhunderts. Der Verfasser gehôfte zu dem Adel
von der Robe, welcher die richterlichen Âmter des alten Frankreich im
erblichen Besitz hatte. Aber mit den humanistischen und juristischen
Studien, in denen einst Bodin gelebt batte, verband sich nun in ihm der
naturwissenschaMiche Geist des Zeitalters. Er hatte in Bordeaux als
Mitglied der Akademie naturwissenschaftliche Abhandlungen ver-
ôffentlicht. Und als er nun nach England kam, verstand er die freie
Verfassung dieses Landes aus dem mechanischen Gesichtspunkt einer
gegenseitigen Hemmung der politischenGewalten, der aus dieser natur.
wissenschaftlichen Denkweise entsprungen war. Um die Mitte des
Jahrhunderts, 1748, erschien, als das Ergebnis seines Lebens, der
,,Geist der Gesetze".
Drei groBe leitende Ideen bilden den Zusammenhang seines Werkes.
Er hat denselben verborgen. Denn in der Zerlegung des Ganzen in
einzelne Reflexionen liegt ein groûer Teil der schriftstellerischen
Kunst, die den unerhôrten Erfolg des Werkes ermoglichte.
Aus den natürlichen Gesetzen der einmùtigen Menschenvemunft
stammt die Gcmeinsamkeit in den rechtlichen und sittlichen Ordnungen
aller Nationen. Mit diesem Satze steht er auf dem Standpunkt desNatur-
rechts. Aber sein Problem ist nun die Erkiarung der Unterschiede und
die Begründung des Eigenwertes dieser Ordnungen. Er geht von den
politischen Denkem der Alten aus, und die vergleichende Méthode
derselben wird von ihm vertieft durch die Verfolgung der Abhângig-
keiten, welche von den gesellschaftlichenOrdnungnen rûckwârts führen
zu ihren Bedingungen in der Natur. Das Klima und die Bodengestaltung
bedingen die Unterschiede in dem wirtschaftlichen Leben und der Ver*
teUung des Reichtums; diese erwirken die Differenzierung der Sitten,
der Gesetzgebung und Verfassung; in gründlicher Untersuchung be-
mâchtigt er sich dieses Zusammenhanges. Zugleich würdigt er doch,
wie der Gesamtgeist der Nationen durch die Geschichte bedingt ist,
~4 j~itMM~~ und die ~<M'<~
Das <MKiMtM' Welt
und zuletzt vielleicht durch eine urspriingUche Anlage. Jedes Volk be.
hauptet einen bestimmten Charakter in seiner ganzen Geschichte, ihm
muB sich die Gesetzgebung anpassen, und seine Rechtsordnung und
Verfassung ist durch ihn bestimmt.
Mit diesen Kapiteln von Montesquieu beginnt eine neue Epoche
in dem politischen und historischen Denken. Sie sind voll von den
tiefsten Blicken: wie da&Klima die Funktionen des menschlichenKôr.
pers beeinfluGt und so in den einzelnen Gegenden dem Gcist cin bc.
stimmtes Geprâge miîteitt, wie die Bodenbeschaffenheit der weiten
Ebenen, wo die Macht des Stârksten durch kein physisches Hindenus
in ihrer Ausbreitung gehemmt wird, die groSen Flâchenstaaten hcrvor-
bringt wie die Wanderungen und Eroberungen der Volker von dem
unfruchtbaren Boden fortgehen zu dem besseren; wie in gebirgigen
Lândem oder auf Inseln kleinere Staatenbildungen Schutz finden und
die Freiheit sich entwickeln kann; wie der Mensch in der Geschichte
atttnâMich sich !os!ôst von der Gebundenheit an den Boden. Die ersten
Grundzüge einer historischen Geographie sind hier entworfen.
Einen zweiten groBen Fortschritt vollzog in Montesquieu das poli.
tische Denken. Er fragt nach den psychischen und moralischcn Krâften,
auf welchen die Erhaltung einer bestimmten Staatsform beruht, er er.
kennt ihre Verschiedenheit in den despotischen, aristokratischen, demo
kratischen und den monarchischen Staaten. Die Hauptformen der Ver-
fassung entstehen und erhalten sich durch die Kraft von entsprechenden
Typen des Gesamtgeistes. Vico war ihm hier vorangegangen, und die
politischen Schriftsteller neben und nach ihm, Friedrich der GroBe
und Hertzberg, haben sich mit dem von ihm aufgeworfenen Problem
lebhaft beschaftigt. Sie durchschauten die Schwâchen seiner Lôsung.
Sic haben doch seinen tiefen Grundgedanken nicht vôHig crfa8t, da6
die gesetzliche Monarchie unabhângiger ist von den religiôsen Cber.
zeugungen oder den moralischen Eigenschaften ihrer Bürger als jede
frühere Verfassung. Hieraus eben schopft Montesquieu die Hoffnung
ihrer grôGeren Dauer. Denn auch ihm gilt es, die Ûberlegenheit dieser
groBen gesetzlichen Monarchien zu erweisen. ,,In ihnen vermag die
Politik mit dem geringstmôglichen Aufwand von Tugend groBe Dinge
zu vernchten. gleichwie die Technik in den vollkommensten Maschinen
moghchst wenig Bcwcgungen, Krâfte und Rader verwendet."
Und so wird ihm nun auch die Fortbildung der gesetzlichen Monar
chic zu der politischen Freiheit, dcrcn England genou, zu einem mectia-
nischen Problem. Die Losung liegt in der gegenseitigen Hemmung der
politischen Gewalten. Nur dann wird die voitziehende Gewalt in ihrcn
Grenzen gehalten werden, wenn die gesetzgebendc und die richterliche
unabhang!~ von ihr in sich selbcr gegründet sind und die zureichende
,,Z~-G~ C~~e" J35
Starke haben, sich zu behaupten. In dieser Theorie lag doch auch ein
wertvoller wissenschaftlicherFortschritt. FaBt man sie als eine Inter-
pretation der englischen Verfassung, so verdient sie alle die Vorwürfe,
mit denen sie uberschuttet wordenist. Aber verstandenals eine Théorie,
welche gleichsam die Dynamik und Statik der politischen Krafte zum
Gegenstandehat, wird sie dieser Seite des Staatslebens zum ersten Male
gerecht, und hierin beruhte ihre mâchtige geschichtliche Wirkung.Mon'
tesquieu studiert an England, das vor allen anderen Staaten die poli-
tische Freiheit verwirklicht hat, die Bedingungen, an welche diese ge'
bunden ist, wenn man nur das Verhaltnis der Krâfte im politischen
Kôrper in Betracht zieht. So entsteht ihm seine Theorie von der
Trennung der Gewalten als der Bedingung der englischen Freiheit.
Vonhier aus leitet er ab die Notwendigkeitder Verteilung dieser Ge-
walten an verschiedene Subjekte, das Veto des Moaarehen, die Verant-
wortlichkeitder Minister.Alles ein System von Gewichten und Gegen-
gewichten, von Hemmungsapparaten, von SicherheitsmaBregelngegen
die Ubergriffe einer jeden der Gewalten.So gefaBt, erschien die poli-
tische Freiheit als tiberttagbar von einem Lande auf das andere durch
den Willen der Gesetzgeber. Die tiefen Beziehungen,durch welche die
politische Freiheit Englands mit dem Charakter der Nation und ihrer
Selbstverwa!tungzusammenhing,berücksichtigte er nicht.
Montesquieu hat die Aufgabe, die er sich stellte, nur sehr unvoll-
kommen gelüst. Er arbeitet mit einem ungeheuren Material, in tiefer
Besonnenheit, ganz unbefangen; er lâSt sich die Zeit, sein Werk reil
werden zu lassen. Aber seine Erkiârungen durchlaufen nur die ursâch-
lichen Beziehungen zwischenGegebenheiten,die wic feste, unverânder-
liche Tatsachen vor ihm stehen. Er erkiârt die einzelnen Rechtssatze
oder Verfassungsbestimmungenaus einzelnenUrsachen. Sein verglei-
chcndes Verfahren bezieht sich nie auf die ganze Struktur einer gcse!
schaftlichenOrdnung, auf die Entwicklung,die sie erfahrt, auf das Ver-
hâltnis, \nc sie als Ganzeszu der Religion und den Sitten eines Volkes
steht. Er denkt nicht genetisch. Er hat kein Auge für die besonderen
Eigenschaftcn eines sozialen Korpers, der in der Lebendigkeit der
Menschennatur gegründet ist. Den Stufen, welche Gesetz und Ver-
fassung entwicklungsgeschichtlich durchlaufen, ist er nicht nach-
gegangen.
Eben von diesem Begriff gesetzmâBigerStufen in dem Fortschritt
der Gesellschaft ist Turgot ausgegangen, welcher aus der Lektüre des
..Geistes der Gesetze" den stârksten Antrieb empfing, das Problem
Montesquieusvollstândiger auizu!6sen.
Am t!. Dezember 17 50trug Robert Jacques Turgot t in der Sor.
bonne die Abhandlung vor ûber die Stufen im Fortschritt des mensch.
~6 D~fa~M~Mif ~t4~<MM&~ <Mt<~
die ~)'<«'A< Wtlt
lichen Geistes. Er war 23 Jahre ait damais, ein frühreifes Genie, das
in einer unerme3lichen Ausdehnung der Studien, inmitten von Planen
neuer Wissenschaftenlebte. Sie waren alle auf die Begrundung einer
Wissenschaftder Geschichte gerichtet. Der Vergleich mit Herder drângt
sich auf, wieer in derselben Jugendzeit Ideen von grenzenloser Ausdeh.
nung über die ganze geschichtliche Welt in seiner Seele bewegt. Aber
wâhrend Herder sein Leben der Entwicklung dieser Ideen widmen
durfte, hat der gro6c franzosische Staatsmann erst nach seinem Aus-
tritt aus den politischen Geschaften die Plane seiner Jugend wieder
aufnehmenkônnen. Und weder von jener Rede und den Papieren seiner
ersten Zeit noch dann aus seinen letzten Jahren kam etwas zur Ver.
ôffentlichung. ïn seinem Freunde und Schüler Condorcet wurde seine
Anschauung vom Fortschritt in der Geschichte zuerst wirksam. Erst
!So9 sind dann seine Papiere verôffentlicht worden. Unmittelbar oder
durch die Vermittelung Condorcets sind sie die Grundlage für den Auf-
bau der Geschichtsphilosophievon Comte geworden.
Turgot stand inmitten der Bewegung des franzosischen Geistes,
aus welcher die Enzyklopâdie hervorgegangen ist. Die mathematische
Naturwissenschaftund der positive Geist seines Freundes d'Alembert,
der jede Art von Metaphysik hinter sich zurûckIieB, bestimmten auch
ihn .Und wie nun die physiokratische Schule, welcher er angehôrte, in
der politischenûkonomie von der Naturwissenschaftausgegangen war
und Naturgesetzedes wirtschaftlichen Lebens aufsuchte, erblickte er
den Zusammenhangder geographischen Gliederung der Erdoberftache
mit der Verteilungder wirtschaftlichen Lebensformen auf ihr, und von
diesen sah er das historische und politische Leben der Nationen be-
stimmt. Dieser Gedanke kann zugleich ats die denkbar allgemeinste
Fassung der Lehre Montesquieus von dem EinfluB des Klimas und
der Bodenbeschaffenheitauf das historische Leben aufgefa6t werden.
Turgot nannte die Wissenschaft, welche diese Beziehungen zum Gegen-
stande hat, politische Geographie und bezeichnete sie als Querschnitt
der Geschichte. Er môchte den EinfluB der Gestaltung der Boden-
oberf!âche auf die Produktion und die Zirkulation der Waren in den
verschicdenen Gegenden erforschen. Dann die Wirkung der Vertei-
lung von Erdboden, Mcer und Flüssen auf den Verkehr, die Vôlker-
beziehungen,die Eroberungen und den Handel. Endtich das Verhâlt-
nis dieser au&eren Ursachen zu den moralischen Kraften, das die ver-
schiedenen Charaktere der Nationen, ihr Genie und ihre Vcrfassungen
zur Folge hat. Seine genialen Ahnungen berühren einen groGenTei!der
Probleme, welche Kant und Herder behandelt haben, und deren Auf-
tôsung die historische Geographie scit Karl Ritter beschaftigt. In der
Art ihrer Behandhng âuSert sich die naturwissenschaftlicheSchulung
Turgot _~7
seines Geistes, die ihm fur Form, Gestalt, quantitative Bestimmung und
.Verhaltnis der Krâfte das Verstandnis erschlieSt.
Von dieser politischen Geographie leitet hinûber zu der Universal.
geschichte ein Gedanke, der wiederum eine Grundidee Comtes vorweg-
nimmt. In der gegenwartigen Lage der Erdoberflâche mit ihrer Mannig.
faltigkeit mehr oder minder kultivierter Volker kommt die ganze Stufen.
folge der menschlichen Entwicklung noch heute zur Erscheinung; ein
Blick auf die Erde la6t uns in einem Gemalde die ganze Geschichte
der Menschheit umfassen. Vergleicht man die Naturvolker des amen-
kanischen Westens mit dem Muselmann oder dem Bewohner cinés spa-
nischen Klosters und wieder die Scholastiker an der Sorbonne mit den
Philosophen der Salons, so zcigen sich hier nebeneinander dieselben
Stufen der Entwicklung unseres Geschlechtes, welche uns in der Ge.
schichte entgegentreten. ,,Ach, unsere âter und die Pelasger, die den
Griechen vorangingen, sie glichen den Wilden Amerikasl" So empfangt
der allgemeine Begriff vom Fortschritt des menschlichen Geschlechtes
in der Geschichte eine bestimmtere Gestalt. Die Betrachtung der gleich-
zeitig über die Erde verteilten Kulturen von verschiedener Hôhe führt
zu demselben Ergebnis als die des geschichtlichen Verlaufes. In der
ôden Gleichfôrmigkeit des Naturlaufes steht so der Mensch, ein Atom
in der UnermeSlichkeit der Welt und doch, wenn man ihn philo-
sophisch in dem Ganzen der Menschheitzu erfassen weib, sieghaft sich
entfaltend in der stetigen, wirkenden Verkettung der Generationen: in
dem Auf und Nieder des geschichtlichen Wechsels eine groRe Ein.
heit, gleich dem Wasser des Meeres in den Stürmen, und stets fort.
schreitend zu hoherer Vollendung. Auf die ganze Breite der Kultur ist
diese Anschauung gerichtet. Allenthalben wird das Vorwârtsschreiten
der Menschheit aus den Tatsachen gezog-en:,Die Sitten werden milder,
der Geist wird aufgekiart, die isolierten Nationen nâhem sich, Handel
und Politik vereinen endlich alle Teile des Erdenrundes, und die Tota.
litât des Menschengeschlechtes bewegt sich durch den Wechsel von
Ruhe und Erschütterung, von Gutem und OMem langsam, doch be.
stândig vorwârts zu grôBerer Vollkommenheit."
So groSen Intentionen entspricht freilich nicht ganz, was geleistet
wird. Denn alles MiebEntwurf. In der politischen und sittlichen Kultur
ist der Fortschritt mehr postuliert als erwiesen. Die Nationen gehen
vom Despotismus fort zu freien, gerechten Regierungssystemen, von
Sitten, in welchen kleine Stâmme den Kreis des Wohlwollens und der
Verpflichtungen nach auBen abgrenzen, zu immer milderer, humanerer
Gesittung, die scMieGUchdie Menschheit umfaBt. Vorubergehend tritt
dann die Auffassung der Entwicklung der Kunst hervor, welche Schiller
und sein Zeitalter durchgeführt haben. Ein naïves Stadium der Kunst,
~L Das<Mt<K~
/tAf!t<!M<&
<!MM~ j~~
~M~ot<&a!<
das in der Dichtung durch den metaphorischen Charakter der
Sprache
begünstigt wird,geleitet von Instinkt und Phantasie. Nach demUnter-
gange dieser ersten groBen Kunst muB die Menschheit, was sie einst
naiv und müheloshervorgebracht, durch Reflexion erreichen. So ersteht
eine neue Vollendung,von anderer Art, das Denken leitet die
Phantasie~
und dies ist die hôchste Leistung der Vemunft.
Auf eine m Gebiete der Geschichte hat Turgot ein dauemd Wert-
volles geleistet. Er zuerst hat das Gesetz von den drei Stufen der gei-
stigen Entwicklung des Menschengeschlechtesaufgestellt. Die mensch-
liche Intelligenz durchlâuft ein theologisches, ein metaphysisches und
ein erfahrungswissenschaftlichesStadium. Diese
Konzeption entsprang
aus der wissenschaftlichen Lage der Zeit, und sie konnte allein in
Frankreich gefa6t werden, weil jetzt hier in dem Kreise von d'Alem.
bert die positive Wissenschaft sich losloste von der Metaphysik der
Scholastiker, der Descartes und Leibniz. Turgot sah um sich her die
besten Kôpfe diesen Fortgang zu positiver Naturforschung vollziehen.
Zugleich umgab ihn noch die Herrschaft von religiosem Aberglauben
aller Art in der katholischen Kirche. So nimmt er ein Stadium des
metaphysischen Scheines an, in diesem schreibt der menschlicheGeist
den metaphysischenWesenheiten Realitât zu, das positive Denken !6st
diesen Schein auf, indem es die Subjektivitât der
Sinneswahrnehmungen
durchschaut und die Begriffe als Abstraktionen aus den Tatsachen auf-
fassen lernt. Und vor diesem metaphysischen Stadium erstreckt sich
lange, lange Zeit hindurch eine primitive Stufe unserer Intelligenz,das
Stadium der mythischen Auffassung. Diese gewahrt überall Willen und
Personen. Die Naturvôtker und das Kind zeigen uns heute noch die un.
eingeschranktc Herrschaft dieser imaginativen Stufe. Dieses Gesetzder
drei Stufen hat zuerst eine in der Sache gelegcne
Gesetzma6igkeit
des Fortschrittesin der Geschichte aufgczeigt. Sicher irrcn
Turgot wie
Comte darin, daB sie den Mythos als eine
primitive Art Wirklichkeit
aufzufassen nicht hinreichend von der Religion als einem
unvergâng-
lichen Lebensmomcntder Vôlker sondern. Und wennsie das
mctaphy-
sische Stadium ohne Rest in das positive übergehen lassen, so bleibt
auch hier eine Frage zurück, die eine andere Art von Ant~'ort erfordert.
Aber diese Mange!konnen durch eine exaktere. dcn Tatsachen
genauer
angepaBte Fassung des Gesetzes gehobcn werden; dessen Kern bleibt
bestehen.
6.
Es wird nie gctingen, den Fortschritt des
MenschengescMechtesin
seiner Totalitât an dem Gesamtvertaufder menschlichen Geschichteauf-
zuzeigen. Man muB ihn zergliedem und seinen einzelnen Seiten nach-
gehen. Wir folgen diesen Untersuchungen des t8. Jahrhunderts.
Z~ ~~<!tfJt~ der ~'fj«Mf&«/?M. Kunst uad ~A~A~ ~39
Der Fortschritt in den Wissenschaften liegt zutage. Erfahrungen
summieren sich in der Zeit. Aus ihnen werden durch Verallgemeinerung
Gesetze abgeleitet. Die Zahl derselben nimmt zu. Schon Hobbes batte
die Verhâltnisse von Abhângigkeit innerhalb der Wissenschaften er-
kannt, von denen das Nachemander ihrer Entwicklung bedingt ist.
Und das Gesetz Turgots ermoglichte dann, den Fortschritt der mensch.
lichen Erkenntnis unter eine allgemeinste Formel zu bringen.
Wieviel schwieriger war das Problem, den Zusammenhang in der
Geschichte der Kunst und Literatur aufzufassent Scaliger bemerkte,
wie die Poesie der Griechen gleichmâ6ig in Stufen emporgestiegen und
wieder gesunken ist. So muSte die Erhaltung des Erworbenen oder der
Fortschritt in der Cbertmgung von einem Volke auf das andere ge.
funden werden. Graf Caylus unternahm es nun, diese Obertragung an
der Geschichte der Künste in der alten Welt aufzuzeigen. Jedes Volk
beschreibt den Kreislauf seines Lebens; was es von Schonheit erwarb,
gibt es weiter an ein anderes, das dann durch sein eigenes Genie das
Empfangene steigert. So wuchs aus der Barbarei die bildende Kunst
der alten Welt empor, ein Stück der geistigen Geschichte dieser Welt;
von Âgypten wird sie nach Etrurien übertragen, von dort empfangen
sic die Griechen, die Zeit Alexanders bezeichnct den Hôhepunkt, an
welchem griechische Kunst das Musterhafte für alle Nationen hervor-
bringt, bis dann in dem unkünstlerischen Volk der Romer der Ver.
fall eintritt.
Die Ebenbürtigkeit des modemen Kunstschaffens mit der Antike,
wo nicht seine Oberlegenheit, konnte aus dem hochsten Begriff der Auf*
klârung abgeleitet werden. Shaftesbury, Voltaire und Kônig Friedrich
ordneten Kunst und Literatur dem Zweck der groBen Kultur unter. Die
Verfeinerung der Sitten, die Entwicklung von Geselligkeit, Lebens-
freude und festlichem GenuB des Daseins, die Anmut der t~ede und des
Sois, die Schopfungen der Kunst und der schônen Literatur, wie sie
auf diesem Boden erwachsen: dieses Ganze bewegt sich vorwârts. Vol.·
taire unterscheidet vier Hôhepunkte dieser Kultur, die Blute Grie.
chenlands, das Zeitalter des Câsar und des Augustus, die italienische
Renaissance und endlich das Zeitalter Ludwigs XIV. in seiner euro-
pâischen Ausbreitung, wie er es nun zur Darstellung brachte. Sein Ma8-
stab ist der Geschmack, der Stil, die Verbindung des Raisonnements mit
der Formvollendung, die hôchste Ausbildung der Sprache, die Verfeine-
rung der Sitten der Geist seiner Zeit. Und der Vollkommenheit einer
"okhen Kultur ist das Zeitalter Ludwigs am nâchsten gekommen. Ein
âhnlicher Begriff von Hôhepunkten des geistigen Lebens findet sich
bei Friedrich. Wie der GeschmackaHgemeingûltigen Normen unter-
liegt, ist er in einem Vorgang der Cbertragung von dem Zeitalter des
<40 Z~tM
~&MM~~)Mf <Af~~M/Af~ Welt
Perikles auf das des Augustus übergegangen. Nach einer langen, ôden
Zwischenïeit erhob sich das Zeitalter Lorenzos de' Medici zur selben
Hohe und dann das Ludwigs XIV. So gelangen die Nadonen nachein-
ander zu einer kurzen Blute hôchsten Geschmackes und vollendeter
Kunst. "Diese Blute kündigt sich an in der Zahl groBer Manner aller
Art, die gleichzeitigauftreten. Die Tugenden, die Talente und das Genie
derselben reiBen wie in einer allen gemeinsamen Bewegung dann die
Fürsten mit sich fort zu groBen und erhabenen Dingen." Dann sinken
die Nationen wieder. Andere steigen empor. In Frankreich hat
jetzt
der Niedergang begonnen. ,,Wir Deutsche sind spat gekommen, aber es
gilt nun anzufangen, vorwârts zu schreiten." In einer Abhandlung über
die Geschichteder Kultur seines Staates geht er ihrem Fortschritt
nach,
von Jahrhundert zu Jahrhundert; er erschlieût aus dem bestândigen
Aufsteigen von Macht, Industrie und geistiger Bildung prophetisch das
Hemnnahenunserer groBen Literatur. Dieselben Gedanken beherrschen
seine Schrift über die deutsche Literatur. Alles, was an ihr getadelt
worden ist, entspringt aus dem Begriff von Kontinuitât und Obertta-
gung geistiger Bildung, der die Zeit erfüllte. Deutschland muB die
groBe Kultur Frankreichs in sich aufnehmen, um sie zu uberf!uge!n.
GroBe Irrtümer auffâUiger Art mischen sich in diesen Ideen mit
Wahrheiten, die nicht mit jenen zugleich aufgegebcn werden dürfen.
Homer und Shakespeare kônnen niemals übertroffen werden. Aber der
Mensch, welchen sie darstellen, ist von Leidenschaften vorwârts ge-
trieben und der Einbildungskraft unterworfen. In der fortschreitenden
Zivilisation macht sich nun ein Ideal des Lebens geltend, das vom
Denken geregelt ist, und dieses rnôchte das t8. Jahrhundert zur Gel-
tung bringen. Auf die Dichter folgen die allumfassenden Schriftsteller,
welche ihrem Volke Lehrmeister der Behaudlung des Lebens geworden
sind und ihm den ganzen Ertrag der geistigen Kultur vermittein: die
Goethe und Schiller. Vicies ging verloren, als sie so auf dem Boden
von Wissen und geistigem Ringen aller Art eine hochste Poesie zu er.
obem strebten. Und doch gehen sie vorwârts zu einem umfassenderen
Ziele.
Die Aufkiârung fuhrt ihre Zergliederung der Geschichte weiter.
Auch die Religiositat schreitet in der Geschichte der Menschheit vor-
wârts. Denn durch ihre
Unterwerfung unter das Denken geht sie der
Vollendungentgegen. So weit die franzôsische Bildung reichte, die aus
dem Zwiespalt der katholischen Autoritât und der naturwissenschaft-
lichen Weltauffassung hervorgegangen war, bestand kein Glaube an
einen solchen Fortschritt. Der überlegene Schriftsteller über
Religion
aus dem Kreise dieser Bildung war David Hume. In seiner natürlichen
Geschichte der Religion wurdigt er mit tiefem Blicke den EinfluB der
/~v ~w~ ~At/ 24t
irrationalen Krâfte von Affekt und Einbildungskraft auf den Gang des
religiôsen Glaubens. Aber wie einseitig ist nun doch die Ableitung des
Monotheismus aus dem Machtkampf der Volker unter ihren Gottheiten
und aus der Devotion, welche die Eigenschaften der gôttlichen Maje.
stât bestandig steigert. Die dunkle Lebendigkeit unserer Natur, aus der
ihm die Gôtter aufsteigen, trâgt die Züge der Animaiitat: nichts dauemd
Wcrtvo!les kann aus ihr sich erheben. Und die nachkommcnde Macht
des Denkens, eingeschrânkt auf den gleichfôrmigen Ablauf von Er-
scheinungen, !âGt uns rattos gegenüber den Râtseln des Lebens. Nur
sofern die beiden gro&en protestantischen Volker, Englânder und
Deutsche, ein AJtgemcingùItiges behaupteten, das rcHgiôse Cberzeu-
gungcn zubegrundcn vermag, war in diesem tS.Jahrhundert ein Glaube
an die Zukunft der Re)igio-:itâtmoglich. Diesesmochte mit Locke oder
Leibniz in hôchstcn theoretischen Wahrheiten gefunden werden, aus
denen die Licbe zu Gott und den Mitmenschenentspringt: es mochte
mit Rousseau, der schottischcn Schule oder Kant in den moralischen
Krâften unseres Wesens aufgesucht werden: wurde nur ein solcher un-
crschutteriicher Zusammenhang geistiger Wahrheiten über die hochsten
Dinge angenommen, dann mu8ten von hier aus die bitdiichen Per-soni.
fikationcn und der Zeremoniendienst der âltcrcn Zeiten sich ats Vor-
stufen darstelien. Es gab dann einen Fortschritt der Religiositât ïu
einem wirksamen, die ~lenschheit verbindenden Glauben.
Es ist die Regel, daB eine solche Auffassung auf Leasings Schrift
über die Erziehung des Menschengeschtechteszuruckgcfuhrt wird. Doch
hat Lessing nur die absc!t)ic~ende 1-'ormulierunggefunden für das, was
vonehmlich Spinoza und Leibnizausgesprochen hatten.
S p i n o za geht von der Attgemeinheit der Offenbarung unter allen
Nationen aus. Im Judentum trat diese Offenbarung als Législation der
Gottheit auf. Sie knüpfte an die Erfüllung des Gesetzessinnlichen Lohn,
an seine \'er!etzung sinnliche Strafe. Und sic war auf das irdische Leben
des Volkes ausscMicMich gerichtet. ohne Bezug auf ein künftiges Da-
sein. în Christus erreichte diese Offenbarung eine hôhere Stufe. Und
zwar ist die Religion Christi unterschicdcnvon der legendarischen Fas.
sung der EvangeHen und den Dogmen über Christus und seine Gott-
menschhcit. Die Lehre Christi bcsteht aus wenigen und einfachcnWahr-
heiten von cinem hôchsten Wesen vo!t Liebc und Gerechtigkeit, von
dem Gchorsam des Menschenin Liebe und Gerechtigkeit gegcn seinen
Nâchsten. Eine Lebensgemeinschaft schlichter Gottes~-erehrung und
sittlichen Wirkens entspnngt aus ihr. Doch ihre hôchste Stufe erreicht
die Religiositât crst in der Erkenntnis durch das naturliche Licht. Die
imaginative Form des GottesbewuBtseinsist nun überwunden er.
hoben in die adaquate Erkenntnis. Und als Gegenwart der Gottheit
Ditthey.GtMtnmttte
Srhn«mtt! t6
:42 Dat a~&tfA~ ~tf~M&~ <MMf~tFft~<MM< H~
im menschlichen Geiste ist auch dies voUendete Wissen eine Pro.
phetie.
Le i bni bat dieselbendrei Stufen unterschieden.Nur daBer ihnen
die heidnische Rieligiositât voransteïlt, die in Zeremonien lebt, ohne
Glaubensartikelüber Gott und die Seele. Auch er betont, daB Moses
die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele noch nicht in sein Gesetz
aufnahm. Wenn dann Spinoza in der Lehre Christi die Verbindung der
menschlichenHandlungen mit einer jenseitigenVergeltung als Akkom.
modation auffaûte, so erkennt Leibniz in dan Unsterblichkeitsglauben
und der Vergeltungslehre des Christentums, wie spâter Gibbon und
Jakob Burkhardt, den wirksamen Mittelpunkt desselben. Und so vor-
sichtig er es auch ausdrûckt: er sieht in den christlichen Zeremonien
die ,,AbbildertugendhafterHandlungen" und in den dogînatischenFor.
meln nur die ,,Schatten der Wahrheit". Es sind Umzâunungen, welche
die voUkommeneFrômmigkeit umgeben und schützen, die in der Er-
kenntnis gegründet ist, denn in diesem Âther des Christentums und
seiner Gottesliebeatmen nur wenige. Er batte nicht nôtig, es auszu.
sprechen: diese Wenigen haben die hôchste Stufe erreicht.
lst nun nicht hierin die ganze Lehre Le ssings von dem Fortschritt
der Religiositât enthalten? Denn bei diesen Vorgângem fand er auch
schon den Fortgang in der Form der Religiositât von der BiMIich-
keit, von der Einkleidung ewiger Wahrheiten in Geschichte und von
der wortiichenGeltung der religiôsen Elementarbûcherhinüber zu dem
neuen ewigen Evangelium, das alles dessen nicht mehr bedarf. Aber
Lessing gab der Unterscheidung dieser Stufen die schârfste Fassung:
das Gute tun für irdischen Lohn, es tun um der Seligkeit willen, und
endlich darum weil es das Gute ist. Er begriff den so entstehenden
te!eolqgischenZusammenhang mit dem bildlichen Ausdruck der Kir-
chenvater als Erziehung unseres Geschlechtes. Er verwertet den Leib.
nizischenParallelismuszwischender unendlichen Entwick!ungdesïndi.
viduums und dem Fortschreiten der Menschheit. Er entreiBt den
Schwarmem den Begriff des neuen Evangeliums und findet die Er-
füllung ihrer enthusiastischenHoffnungen in der Herrschaft der schlich-
ten Regel: das Gute um seiner selbst willen zu tun. Und so erobert er
diesen Begriff für die Religionsgeschichte, die nun durch ihn ein Ziel
und einen MaBstab von unantastbarer Sicherheit erhâlt, denselben
Ma6stab. den dann Kant an sie anlegen wird.
Wenige Jahre vor dem Ausbruch der Revolution sprach Kant es
aus: das schwerste aller Probleme unseres Geschlechtes sei die Be-
griindung gesetzlicher,freier Staaten und ihrer Friedensgemeinschaft.
Er gab dem Worte, was ganz Europa dachte. Die groBen Monarchien
waren emporgekommen. Wenn ihre Verwaltungdem Machtstrebenge-
Der JRw~bt~ der ~&<&~«t Orf&wftpw.A'aM< ~43
nugen sollte, das sie erfüllte, so muBte sie im Sinne der Niederlandeund
Englands die Seibsttâdgkeit der bürgerlichen Klassenentwickeln.Diese
Monarchien muBten die Schranken der Industrieund des Handels auf'
heben und die stôrenden Privilegien vemichten, die aus dem Feudal.
System,der Zunftordnungund der Kirchenmachtdes Mittelalters stamm-
ten. Hierbei wurden sie von der Doktrin des Naturrechts unterstutzt,
welche in allen ihren Formen die Souveranitit des Staates den histori-
schen Cberlieferungen gegenüber geltend gemachthatte. Sie benutzten
die Maximen, die aus dem Staatsnutzen als oberstem Ziel seit 51achia-
velli abgeleitet waren. Sie verwerteten die wirtschaftlichenTheorien.
So wurden diese Monarchien selber zu einer Schule der Freiheit. Das
groBe Beispiel Konig Friedrichs forderte überall aufgckiârte Refor-
men. Von der Umgestaltung der Verwaltung gingen die Forderungen
vorwârts au dem Verlangen nach freien Verfassungen,nach dem Muster
von England und dann von Amerika. Inmittendieser groBenBewegung
lebend, erfaBten die politischenund historischenDenker den Fortschritt
aIs das Gesetz der politischen Entwicklung. Sie erwarteten, daB auch
das politische Problem nach radonaîen Prinzipienwurde aufgelost wer.
den kônnen. Sie hofften aus dem Gleichgewicht der groBen Staaten
immer langere Perioden des Friedens hervorgehen zu sehen. Ein gren-
xenïoser politischer Optimismus und ein verwegener politischer Bau-
trieb erfuUten sie von Montesquieuab, bestandig anwachsend.Und wie
sie nun ruckwarts blickten und den MaBstabder politischen Welt um
sie her an die früheren Zeiten legten, erschienenihnen auch die einst
so gepriesenen Republiken des Altertums als minderwertig gegenüber
den gesetzlichen und den zu freier Verfassungfortgebildeten Monar-
chien. Die Opposition gegen die humanistischeVerehrung der antiken
Repubtikcn kennzeichnet sie von Montesquieuund Konig Friedrich bis
auf Schtozer. Despotischc Staaten, die freien Stadt-Staaten,unter denen
die griechischen sich nicht zu behaupten vermochtenund der romische
in die monarchische Form übergehen muBte, dann der Fortgang aus
den aristokratischen Lebensordnungen des Mittelalterszu den groûen
Monarchien, welche freie Verfassungen annehmen werden: dies ist für
sie der Fortschritt, welcher das politische Leben beherrscht.
Das Problem der politischenGeschichteempfing vonKant die allge-
meinste Fassung. Die Universalgeschichteso!lden regelmâBigenGang
cntdecken, in welchem das MenschengescHecht zur volikommensten
Form seiner Lebensordnung fortschreitet. Die Natur erwirkt die Ent-
wicklung aller menschlichenAnlagen durch den Antagonismusder Indi-
t'iduen und der Staaten untereinander. Der Egoismus der Individuen
wird gebândigt durch den Staat ats den Herm. Aber das hochste Ober-
haupt kann nur aus sich selbst die Gerechtigkeit schopfen und ist
t6o
244 /?<M <T<i5/ ~M~/ ~M</die ~<fA/<
doch ein Mensch: "aus so krummem Holze kann nichts Gerades gezim-
mert werden." So nâhert sich unser Geschlechtnur allmâhlich der Auf-
losung dieser Aufgabe und erreicht sie nie. Ebenso ist in dem Antago-
nismus der Staaten selber nach Naturgesetzen der Weg vorgezeichnet
zur Annâherung an dauemde friedliche Zustânde. Alle Kriege sind
\'ersuche der Natur, den Frieden zwischen dauerhaften Staatskôrpcm
herbeizuführen. Die zunehmcndc Schuldenlast, die Fortpftanzung jcdcr
ErtcMtterun~ uhpr den Wetttp! die Aufktantng. die bis xu den Thro.
nen hinaufreicht, vor altem eine gewisse Tendenz in der Natur der
Dinge selbst, zu cinem Gleichgcwicht der Staaten zu gelangen: ail das
sind ~lomente, die einen wekbùrgertichen Zustand und cine gesct.:tiche
Lebensordnung der Menschhctt vorbcreiten. Endlich bcsteht zwischen
dem Streben der Staaten nach Macht und dem Fortschreiten ihrer inne-
ren Kultur ein automatisch wirkendes crhâttnis. Kein Staat kann nach-
lassen in der inne'cn Kultur, ohne seine ~lacht nach auBcn zu vermin-
dem. So hat die Natur selbst den Fortschritt des Mcnschengcsch!cchtes
durch Krâfte gesicliert, die mechanisch wirken.
Ats Kant die Abhandlung über diese Gegenstânde t~S~ veroffent-
Hchte, hatte Hertzberg m seinen ersten Aufsâtxen soeben die (;rundge-
danken der Friderizianischen Geschichtsbctrachtung 1)ubliz'iert.Sehr
mogtich, da6 Kant sie kannte. Sicher aber wirkte neben dem Xaturrecht
und der Schule von Adam Smith auf ihn mâchtig das Fridcrizianische
System, wie es sich in den Regierungshandlungen, den Edikten und in
dcn Schriften der leitcndcn Per:-oncnauBcrte. So pnthâtt die Lehre des
Philosophen cinc ~pfsinni~e phi)osophischc\'era!!gemeincrung aus den
Rcp.icrungsmaximendes p;robcn Kônigs.
7.
Die Idée der neuen Gcschichtschreibung, wie sic Voltaire, Montes-
quieu und Turgot gcfaBt hatten. wurde nun in England verwirklicht.
Es war die Zeit, in welcher England in rastlosem, bald offenem.
bald gchpimetn Kriege mit den bourbcnischcn Machten sein potitisches
und wirtschafttichcs Cber~ewicht begründete. Ein Anblick ohne-
gteichen in der neueren Geschichte, diese <'nergischp,xicibewuStc, von
Erfotg zu Erfo!~ sclireitende Politik, von jenem Augenblick an, ats
\Vi)he!m von Oranien den Boden der Insel betrat bis zum Ausbruch des
nordamenkanischpn Aufstandes. Sie war von dcm nationalen Willen
getragen. und darin lag das Geheimnis ihrer Kraft und ihrer Stetigkeit.
Die groSen politischen und religiôsen Gegensâtze. welche im !7.Jahr.
hundert den \'olkskorper zerrüttet hatten. warcn durch die Revolution
von !ô88 überwunden. Auf dem Boden der nun erstandenen Friedens.
ordnung entwickelten sirh Recht und Verfassung, geistiges und wirt-
ZMf~~&*~x~A'f~ 6'M<<<T4~ ~w~~ûA'~MM,Gibbon ~5
schaftliches Leben in bestandi~m natürlichem Wachstum. Freilich,
innen Parteikampf und Parteiwirtschaft, mit dem ganzen Gefolgc ihrer
Schwâchfn und Laster. Die Siéger von t688, Adel, Kapitalismus und
Hochkirche, im Besitz des Parlamentes. Sie behaupten ihre Herrschaft
dank einem verrotteten Wahtsystem und <ibensie mit der ganzen bru-
talen Engherzigkeit des Klasseninteresses. Die Krone nimmt, um sich
die Wohlgesinntheit dieser Kôrperschaft zu erhalten, zur Bestechung
ihre Zuftucht. Walpole bringt dieses Mittet in ein System, und keiner
seiner Nachfoiger, auch Pitt Chatham nicht, kann darauf verzichten.
Und die allgemeine Verwirrung und Erbitterung, die solches Treiben
erregt, wird noch gesteigert, als Georg III. die absolutistischen Be.
strebungen der Stuarts wieder aufzunehmen scheint. So wird der Ruf
nach einer wahrhaft konstitutionellen Regierung, nach einem nationalen
Konigtum und Parlament immer lauter; es kommen die Tage der Ju-
niusbriefe und der ersten Reden und Schriften des jungen Burke. Aber
aU das tritt doch zurück, sobald sich der Blick wieder auf das GroBe
und Dauemde der Entwicklung richtet, auf dieses sichere und stetige
Fortschreiten der âul3eren Macht und der inneren Kultur.
Das war der Boden, auf welchem die gro6e englische Geschicht-
schreibung des t8. Jahrhunderts envuchs. Ats Sohne eines \'olkes, das
mit seinem MachtwiUendcn ErdbaH umspannte und in jahrhundert-
langer Erzichung den hôchsten Grad politischer Bildung erreicht hatte,
den die Welt scit dcn Tagen der Romer gesehen, wâh!tenund behandel.
ten diese Hume, Robertson und Gibbon ihre Stoffe. Hume stellte die
Geschichte seines Vaterlandes von dem ersten Erscheincn der Romer
bis zum Sturz des Hauses Stuart dar. Sie dreht sich ihm ganz um das
ProMemder en-ohnungvon \'olksfreiheit und Staatsautoritât im Inter-
esse der ~!acht und der Kultur des Ganzen. Dieser politische Gcsichts-
punkt bc!tcrrscht sein Werk so sehr. da& er gegen die Whig~ das rela-
tive Recht der Stuarts und ihrer Partei verteidigt und für seine cigcnc
Zeit England an Freiheit für gc~ânigt erklârt. Fur die dunklen re!igio-
sen Motive, die er in der Geschichte des t/. Jahrhunderts wattcn s:eht,
machtigcr denn a~c potitischcn Interessen.hat er nur Ha&und Verach-
tung. kc:n Verstandnis. Wenn Robertson die Geschirhte Karls V.
schrieb, stand ihm im \'ordcrgrund die Frage, wie in dicser Epoche
aus deni Kampf der letzten ~ro~cn t'niversalmonarctue mit den jungen
nationalen Tendenzen das moderne europâischc Staatcnsystem hcrvor-
ging. Und Gibbon in Rom. droben auf dem Kapitol, als im tempel
des Jupiter Barfù~cnnnnche die \'csper '=angcn.am t). Oktober !76~,
da stieg vor scinem Geiste das !!i!ddes rômischcn Imperiumsauf, in der
ganzen FuHe seiner Macht, seines Glanzes und G!uckes wâhrend der
schônen Tage ÏTapns und Marc Aurel~. Er faUte den Entschtub.ein
:46 ~<M<M<M*M~
/MM~ «~ dis ~MMo~O~ Welt
Leben dem groûten Thema aller Geschichtschreibung zu widmen, dem
Untergang des mâchtigsten Staates, den die Welt erlebt batte, mitfüh.
lend, mittrauernd begleitet er den Kampf dieses Riesenkorpers gegen
die Feinde in seinem Innern und um ihn her: darin aber liegt doch
vomehmlich die einheitliche Wirkung seines Werkes, daB der politische
Gesichtspunkt darin herrscht und auch die meisterhaften SchUderungen
innerer Zustande von Volkem und Staaten immer :u ihm in
Beziehung
gesetzt werden..
Alles, was in dem England dieser Tage das zergliedernde Studium
der psychischen Tatsachen an feinerem Verstândnis des menschlichen
Wesens erarbeitet batte, war zur Verfügung dieser
Geschichtschreibung.
Indem Hume, Robertson und Gibbon diesen Schats verwerteten, wurde
ihre Geschichtschreibung das Urbitd aller pragnmtischen
Behandlung
historischer Stoffe. Die Philosophie des Jahrhunderts durchdringt sie
ganz. Hume und Gibbon hatten sie in den entscheidenden Jahren ihres
Lebens in sich aufgenommen, und Voltaire, Montesquieu und die
Enzy.
kiopâdisten blieben ihnen stets vertraut. So geht diese englische Ge-
schichtschreibung von den Individuen als Einzeikrâften und in diesen
vornehmlich doch vom Eigeninteresse aus. Alles politische Leben sucht
sie sich von hier aus verstândlich zu machen, auch das GroBe, Heroische
in den leitenden Persontichkeiten entspringt für sie aus diesem
Beweg
grund. Es war dieselbe Hypothèse, durch welche in dieser Zeit das
wirtschaftliche Leben der Erkiârung unterworfen wurde; waren doch
BewuBtheit, R<ationa!itât,Rechnung, die vom Interesse geleitet wird,
die richtigen Kategorien, um die Politik der
groBen Monarchen und
Minister dieser Epoche zu verstehen. Aber wie sie für andere Zeiten
und Menschen nicht mehr zureichten, führte ihre
Anwendung zu einer
hëchst einseitigen Geschichtsbetrachtung. Das !6. und 17.
Jahrhundert
und nun gar das Mittetalter oder die christlichen Gemeinden der ersten
Jahrhunderte blieben diesen Schriftstellern unzugâng!ich. So vie! sie
von allem GrôBten, was den Historiker ausmacht, besitzen: wiedie echte
historische Kritik, so fehlt ihnen das genetische Verstândnis. Denn
dieses wurxeltin dem Gefühl des Eigenwertes jeder
geschichtlichen Er.
scheinung. Nur sich selbst, nur ihre Gegenwart verstehen sie ganz. Nur
was in der Vergangenheit ihren eigenen Kulturidealen verwandt
ist,
schatzen sie als ein Stück Zivilisationin der Barbarei. Sie mindem die
menschliche Natur herab. Sie würdigen nicht ihre
Lebendigkeit und
ihren Reichtum. Und dem allen
entspricht der klare, verstandesmâBige
Stit dieser Geschichtschreibung, die elegante
Einfônnigkeit, die wie
ein grauer Ton über all diese Bilder
gebreitet ist. Die Erhcbung des
geschichtlichen Stoffes in die GegenstandHchkeit entspringt hier. so-
weit sic erreicht wird. nicht aus der
unbefangenen Hingebung der Seele
D<MM~f<&t~ des <&w<Mit<M
GMi~tj~r~at~ ~Aw :47
an das Objekt in lebendiger Anschauung; sie ist eine gewollte und re-
flektierte Kunst, welche sich in Gibbon bis zur Affektation steigert.
8.
In Deutschland wurde der EinfluB der neuen Historie verstârkt
durch die Persôniichkeit und das Wirken des groBen Kônigs, sein Ver-
hâlmis zur franzosischen Literatur und seine historischen Schriften. Die
Zeit der Urkunden- und Aktensammiungenund der publizistischen Ge-
schichtschreibung wurde nun bei uns durch eine andere abgelost, welche
die Masse des aufgehâuften historischenStoffes durch die neuen Ideen
zu vergeistigen strebte. Montesquieu wirkte auf alle historischen und
politischen Kôpfe. Aus der Tiefe des deutschen Geistes ist doch die
Richtung hervorgegangen, in welcher jetat die aufgenommenen Ideen
von uns fortgebildet wurden. In ihr lag ein ursprüngliches Vermôgen,
Reichtum und Lebendigkeit der Krâfte nachzufuhlen, welche die Ge'
schichte erwirken. Dieses Vermogea wurde au6efordentlich gesteigert
durch den Gang unserer geistigen Geschichte.Deutschland allein lebte
unter der bestândigen Einwirkung der groBen geistigen Krâfte, welche
in der Vergangenheit bestimmend gewesen waren. Melanchthon hatte
mit dem wiederhergestellten Glauben der âhesten christlichen Gemeinde
den Idealismus des Platon und Aristoteles verknüpft, und Leibniz batte
diese beiden geschichtlichen Kraite mit dem naturwissenschaftiichen
Denken des t7. Jahrhunderts zu versohnen untemommen. AU das war
bei uns Gegenwart. Es war fortwirkende Kraft. Hieraus entsprang das
innerliche Verstândnis der geistigen Geschichte. Mit diesem lebendigen
Verhalten hângt der Sinn für das Genetische, für die wahre Natur der
Entwicklung zusammen, wie er das Denken von Leibniz erfüllte. Und
nun war das Deutschland des 18. Jahrhunderts zersplittert in Besonder.
heiten mannigfacher Art: kein Paris und kein London; ganz verschie.
dene Mitteipunkte, Berlin, Dresden und Wien, die Seestadte, dann
Landstâdte mittlerer Grô6e, in denen allenthalben ein geistiges Leben
von provinzialer Eigenart pulsierte. So treten nun gegen die Mitte des
Jahrhunderts die naturgewachsenen Originalmenschen bei uns auf, die
aus der Enge deutscher Verhâltnissesich erheben und an denen davon
immer noch etwas haften bleibt: Semler, Môser,Winckelmann, Hamann,
Hippel, Herder. Eine ganz neue Auffassung der geschichtlichen Welt
bricht in ihnen durch, eine neue wahrhaft historische Weltanschauung
entsteht: aber kein groBer Geschichtschreiber, welcher das Werk
Friedrichs fortMsetxen die Macht besessenhatte. Die Enge unserer poli-
tischen Verhâltnisse hielt auch den bedeutenden politischen Verstand
von Schlôzer und Spittler umfangen, und erst als das Zeitalter der Revo-
lution die Nation in ihren Tiefen erschütterte und das Gefühl ihrer Ein-
heit weckte, erhielten wir eine gro6e nationale Geschichtschreibung.
~48 /t <M~ ~r?~ f/~ die ~M'MMM<' Welt
Justus Moscr ist im Jahre t/o~ gestorben, als ein Vierundsiebzi.
ger. Die Hôhe seines Lebens und Schaffens fâHt in die Zcit der sieges-
frohen Herrscliaft der Aufklarung, und wenn in seinen letzten
Jahren
der Geist unserer neuen Literatur und
Philosophie und die Erfahrung
der franzosischen Revolution schon an den Idealen des
Jahrhunderts
rüttelten, so bhcb diese Opposition doch noch auf einen kleinen Kreis
erlesener Gcister beschrânkt. Sic verwandelte noch nicht die
Cber-
zeugungen der Gebildeten. Die Aufkiârung vollendete hier vielmehr
cber. jetzt, in den beiden letzten Jahrzehnten des
Jahrhunderts, attent-
halben ihre Eroberungen.
Der Verfasser der Patriotischen Phantasien und der
Osnabrücki-
schen Geschichte erhebt sich inmitten seiner Zeit als eine
cinsame
GroBc. Dicser realistische und praktische Geist, der sich überall en
die farbenreiche Wirk!ichkeit hait, der immer wieder seinen
frischen
Humor, seinen scharfen Spott oder seinen mannhaften Zorn gegen die
Abstraktionen des Jahrhunderts richtet; dieser tiefe Blick, der in den
stândischen Gliederungen und patriarchalischen \erhahnissen seiner
niedersachsischen Heimat cin gesch:cht!ich Gewordenes und darum
Sinn\'ol!es und Notwendigcs erkennt; diese liebevolle
Bcschâftigung
mit dem ergangcncn,um die
EntwicMung des Bestehenden zu schen
und die Krâfte zu fassen, welche diese
Entwicklung bestimmt haben;
diese geniale Méthode, welche die
mannigfahigstcn Einsicht.m mit-
einander vcrknupft, die Erzahlungcn der Ge-.chichtscttreiberund die
Angaben der Urkunden mit den ScMussen.die sich aus der ethymo!o-
gischen Erforschung der Sprache, aus der Betrachtung der
Gcgcnwart,
aus der \'erg]eichung des Âhn!ichenund
erwandten, zuletzt aus der
Xatur der Sache ergeben: all das trat als ein
ganz Neues den Zeitgc-
nossen cntgegen. \ie wenig sic diesen ~ïann
verstanden, zcigen die
t rtci)c der Joumate über seine Schriften und nicht zuletzt die
Hio-
graphie de< Heimgcgan~encn von Xico!ai. Unfâhi~ das Wexen dieser
Pcrscnjichkcit zu fassen, hait sich der
Biograph an das Kinzeme und
Au~ettiche, und
a!)c.wasdcnherrschendenAnschauungen widcrspricht,
erkiart. ent~chuldigter aus den Rucksichten des Hea!nten auf das \'or'
urteil sciner Vorgesetztenund seiner Landslcute, Nur
einige Wenige,
Herder, Goethe, Schlozcr. Abbt. welche bei allem, was hie von dicscm
natur~pwachscnpnCharaktcr trennte, doch ihre ticfe Gemcinschaft mit
ihm crnpfandcn. Nirkten zu dcm Patriarchen von O~nabruck mit
Be-
wundoung und erchrungempor.
Sckcn ist woh) ein SchriftsteHertuntso unmittelbar und so deutlich
aus den auMeren Tatigkciten und \crha)tnissen des Auturs
henorge-
wachscn wic dus Justus Mosers. Sein Vater schon steht mitten in
den
Geschaftcn der Osnabruckischcn
Landesregicrung, Er sclbst tâ)~t sich
_/iM/<M~W 2 4'~
nach der Vollendung seincr Studien als Anwalt in seiner Vaterstadt nie-
der. Die Regierung ubertragt dann dem Siebenundzwanzigjâhrigen*mit
dem Amt des Advocattis ihre VertretungbcidcnStânden;aufder
andern Seite ubemimmt er aber auch als Sekretâr und darauf als Syndi-
kus der Ritterschaft die Wahrung der stândischen Interessen gegen
die Regierung. !n den Noten des Siebenjâhrigen Kriegcs scndet ihn
das aUgemcinc Vertrauen bald in das Lager der Franzosen, bald in das
der Verbündeten, und nach dem FriedensschIuSwird er zu einer schwie-
rigen Mission nach London auserschcn. Der Tod des regierenden Bi-
schofs erôffnet ihm inzwischen den ausgcdchntesten Wirkungskreis.
Unter dem Xachfo!ger lenkt Môser, als das geistige Haupt der Regie-
rung, die Geschicke des Landes drciBig Jahrc lang, bis an seinen Tod,
in rastloscr, erfolgreichcr und dankbar anerkannter Arbeit. Ein Lcbens-
lauf, aus welchem dem scharf beobachtenden Manne eine FûUe von
Kentiiissendes realen Menschcnzustromen muBtc, zumal in diesem klei-
nen Staatswesen, wo jcde Tâtigkeit für das Ganze sogteich in das De-
tail führte.
Und welch einen Reichtum lebensvoller Besonderheiten barg der
enge Kreis, in wctchemer wirkte. Ein kleines norddeutsches Fürsten-
tum, mit einer Bevôlkerung von 120 ooo Seelen auf cinem Territorium
von 45 Quadratmciten, fernab von dem Schauplatz der groSen Welt-
begebenhciten. Die Bedürfnisse der modernen Staatcn waren hier nicht
empfunden worden: so hatten sic auch nicht ihre umgestattende Macht
geübt. Die Ordnungen der Vater hatten sich auf diesem zâhen wcst-
fàtischen Boden a'tcnthutben in ihrer uppigen ~tannigfaitigkeit aufrecht
gehaiten. Die auf Freiheit und Gleichhcit der Landcigentütner ge.
gründete Verfassung der germanischen Urzeit, die ganze lange Entwick-
lung des Mttteta!ters mit ihren Abstufungen und Abhângigkeitcn aller
Art, mit ihren zahlrcichen, kunstvol! ausgcgHchenen (<egensâtzen von
Lehnswcscn und Untertanenverband, GroSgrundbesitz und Horigkcit,
Stadtherrschaft und 13ürgerfreiheit,furstticher Landeshohcit und stân-
dischcr ~ïitrcgierung, von Kirchc und Staat, Klerus und Laicntum. Bi-
schof und Domkapite!: all das ragte in machtigen, nature uchsigen
Reaiituten in die Cegenwart hinein. L'nd wcnn dann die Reformation
auch hier die Herzcn ergriffen batte: einc starkc ~!ind<rhc~~war doch
der alten Kirche trcu gebHcben. Der westfâ)ische Fricdc hatte dcshalb
das sc!tsa)nc KutnprotnIB gctroffen, daH das Land abwechsc!nd von
cinem kathn!ischen und cincm protestantischen Hischof regiert werdcn
sothe. Fur das Domkapitet wicdcr hattc derselbe Friede der katholi-
schen l'artci 24. der evangc)ischcn nur 3 Stimmenzugesprochen. Wo-
hin dct Blick fiel: Cberlicferung und Eigenart aller Orten.
Dem \'era!tgcmcinemdcn und konstruktivcn Gciste dcr Aufklarung
2j;0 Z)<M.M~iMh~~M<&~ MMfdit ~<!<&)M~ Welt
konnte das allés nur als eine einzige krause Anomalie erscheinen,als eine
bestândige Beleidigungder Vemunft. Das Auge Môsers gewahrte hier
einen groBen sinnvollen Zusammenhang, die Eigentümlichkeit eines
Organismus, der sich in einem Reichtum mannigfaltiger und doch
immer von demselbenBlut gen&hrter Formen auslebt. Alles, was ein
Volk besitzt. Religion, Sprache, Verfassung, Recht, Sitte, bis hinein in
die geheimsten Vorstellungenund Gewohnheiten,ist das natürliche Pro.
dukt der in ihm wirkendenBildungskraft. Und zwar bleiben die groBen
Typen dieser Lebensformenimmer dieselben: ihre besonderen Gestalten
ândem sich bestândig mit den âuBeren Bedingungen, unter denen sie
stehen. Wic der Kërper der organischen Natur in jedem Augenblick
derselbc und nicht derselbe ist, so ist auch im Volksleben alles An-
passung, Entwicklung, Wachstum, und wie dort, so ist auch hier stei-
gende Differenzierungdie notwendige Folge: kein Ding gleicht dem
andem. Der ursprungtichste und allzeit machtigste Faktor aber, der
die LebensâuBerungeneines Volkes beherrscht, liegt in den wirtschaft-
lichen Verhaltnissen.Môserweist ihre Einwirkung in allen Institutionen
und Anschauungennach. Was er in dieser Hinsicht an realistischer Auf-
fassung und scharfsinnigerErkiârung geleistet hat, stellt ihn ebenbür.
tig an die Seite der groBen Physiokraten. Er ist der Vater der histori-
schen Nadonatôkonomie.
Es warcine gaMneueAutfassung der geschichdichenErscheinungen.
Montesquieu batte zuerst wieder der politischen Theorie. das BewuBt
sein des besonderenCharakters jedes Volkesund der Abhangigkeit des-
selben von der geographischenLage, dem Klima und der Bodenbeschaf
fenheit zurückgewonnen. Das Jahrhundert stand unter dem Eindruck
seines Werkes. MSserhat seine Verwandtschaftmit dem groBen Fran-
zosen gefühlt. Er bat ihn immer hochgehalten; er benutzt ihn in seinem
eigenen Kampfe gegen die nivellierenden Tendenzen der Zeit gem als
Eideshelfer. Aber wennnun doch auch Montesquieudem Geiste der Auf-
k!ârung seinen Tribut !ah!te und die MannigfaMgkeitder Verfassungen
und Gesetze, wie er sie forderte, aus dem p!anmâBigen Machen der
einsichtsvollen Fürsten und Minister hervorgehen lieu: hier trat nun
dieser verstandesmaBigenAuffassung, aus der eigenriintlichenRichtung
des deutschen Geistesentspringend, eine andere entgegen, welche das
geschichtliche Werden aller politischen Einrichtungen, und zwar im
organischen Zusammenhangmit allen anderen Lebensformen, in den
Vordergrund stellte. Montesquieuwollte beweisen, da5 die Staaten nur
dann Kraft und Dauer empfangen kônnten, wenn ihre inneren Einrich-
tungen auf die Erkenntnis ihrer besonderen Lebensbedingungen ge-
gründet wurden. Moserlebt in der CbeMeugung, da& die Gesundheit
eines Volksganzenan die naturHche Entwicklung seiner ursprünglichen
~AM~MSw 2$t
Anlagen geknüpft sei. Die beiden groBen Môgtichkeiten,die Erschei.
nungen der Geschichte zu verstehen und zu beherrschen, kamen nun
erst zuihrem gleichmâBigen Recht.
Dasaber ist nun die Schranke in dem Denken diesesgroBen ManneSj,
daû er den wahren Kem des Volkes nur in dem festen Grundbesitz
sehen und als natûriiche Entwicklung nur diejenige gelten lassen
môchte, die auf die Erhaltung dieses Etementes gerichtet ist. Er hat zu
den ôkonomischenProblemen semer Zeit mit zahlreichenVorscMâgen
Stellung genommen: sie geben immer auf dieses eine Ziel, die Inter.
essen der Landwirtschaft gegen die Gefahren zu schützen, die ihnen
jetzt immernâher drohen, von den aufstrebenden Mâchtender Industrie,
des Handels und des Geldes, von der zentralisierenden Beamtenregie.
rung des modemen Staates, vonder Wissenschaftund Bildung, von dem
ganzen Geiste des t8. Jahrhunderts. Diese harte Cberzeugung erwuchs
ihm aus den primitiven Zustânden seiner westfalischen Heimat. Er
lebte in diesen engen Verhaltnissen, er fand in ihnen die Qudle all
der ruhigen Zufriedenheit, die ihn umgab und die ihn selber erfüllte.
So lehnte er starrsinnig alles ab, was der Fortschritt der Kultur hervor-
gebrachtbatte, das Gute wie das Bôse.
Niemand hat so nah wie er den Landmann belauscht in seinem
ganzen Tun und Lassen, in seiner ehrlichen Arbeit unter dem freien
Himmel Gottes, in seinetn einfachen Familienleben, in seiner derben
FrôMichkeit und Geselligkeit, seinen alten, treu gehuteten Brâuchen
und Vorstellungen,seinen festen Begriffen von Recht, Moral und Reli-
gion. Und niemand hat so tief empfunden und so schôn geschildert,
wievieltrauliche Poesie und wieviel stilles Glück in diesem Leben liegt,
das ruhig in sicheren Gleisen dahu)f!ieût, unbeachtet und unbenihrt
von der groBen Welt da drau&en mit aH ihrer trügerischen Kultur.
Rousseau) Aber der hei~blutige Sohn der romanischenSchweizmuBte
seine Ideale in den engen Raum seines Herzens verschtieûen; die Welt
trat sie überall mit FüBen, und er selber zerrte sie immer wieder in den
Schmutz. So wurdenBitterkeitundUngerechdgkeitdieGrundstimmung
seines Wesens und seines Schaffens. Er wurde zum Menchenha~ser,
zum Fanatiker der Revolution. Môser sah, was er pries, in greifbarer
Wirklichkeitum sich her. Er brauchte den Frieden nicht zu suchen, er
brauchte ihn nur zu schützen. Die Natur batte ihm das heiterste Tempe-
rament gegeben, das Schicksal ein arbeits- und segensreiches Leben,
in sicheren âuBeren Verhaltnissen, in den schonsten Beziehungen ge-
meinsamer Tâtigkeit und Gesinnung. Er konnte das Glück des Daseins
genieBen und seine Misère humorvollzurückweisen. All das strahlt aus
seinenWerken wieder.
So entspringt nun die siegreiche Kritik, welche Moser an dem
252 Das ~&~M~ ~r~M~/ ~M~f<~ M'
ganzen System der Aufktârung übt, lange bevor ihm die Erfahrungen
der franzosischenRevolutionvon allen Seiten MitstTeitcrherbeifuhrtcn.
Das 18. Jahrhundert lebte in dem Gedanken, die verwickelte Welt
des menschlichen Lebens auf klare und a!!g<:meingu!tigeBegriffe und
Sâtze zurückzuführenund aus diesen ebenso einfache und gesetzmaMgc
Maximen für das praktische Verhalten zu gewinnen. Das diskursive
Denken war das Mittet, alles zu begreifen und alles zu regeln. Môser
zeigt die Cretuch der Leistungsfahigkcit diescs Mittels und die Ge-
fahren seiner Anwendung auf das politische Leben.
Das regelrechte Denken !â6t den Menschen in allen praktischen
FâHen in Stich. Denn wie es cin ,,Rechnen" ist, bedarf es lauter ein.
zelner, bestimmter Begriffe, die nur durch Abstraktion, das heiÛt durch
kûnstiic~~c\'crktcinerung der wirklichen Dinge und Verhâttmssc ge-
wonnen werden konncn. Das Denken geht von Voraussetzungzu Voraus-
setzung, vom Teile zum Teile des Tcites: alles Wirkliche ist cin End-
liches. So muB die lcbendige Anschauung. der ..Totaleindruck",
schlie8lich ubcnt!! ersetzen, was das Denken nicht leisten kann. Es
ist das ,schweigende Denken", welches Carlyle a!s die Voraussctxung
aller wirklichen Arbeit dem Wcrtreichtum der Redner entgegensetztc,
dessen Macht Bismarck fühlte, wenn er die gtanzenden Dialektiker im
Par!ament und am ~tinistertisch nicht leiden mochte. Môser weist auf
seinen Bauer hin. Das Gottvertraucn dcssptben ist unerschuttcrtich.
.~Brenntihm sein Haus ab, oder raubt ihm ein Hagetschlag seine ganze
Iloffnung auf dem Fe!dc Gott hat es gegeben, Cott hat es genommen.
Stirbt ihm sein gutcs Weib oder sein licbstes Kind: im ewigen Leben
sicht er sie wicdcr. Untcrdnickt ihn der Mâchtige: nach dieser Xcit
kommt eine andere. Raubt ihm der Krieg alles: Gott wei6, was ihm
nutztich ist, und allezeit wird der Name des Hcrm mutig gclobt. Und
auf dem Sterbebette sicht er, des Lebens satt und nmde, seiner Ab-
spannung omJoch mit einer bewundernswertcn Ruhe entgegen, ohnc
aU der Trostungen zu hedurfcn. die sich der Gclehrte gesammch hat.
und b)o6 mit den Hausmittetn versorgt, die ihm der praktische Reli-
gionsunterricht Kewâhrt." Diese Macht der Religiositat beruht darauf,
d.t~ dcr Landmann seine GcttesvorsteHung aus dem unzergticdern'n
Tota!eindrurk der ihn umgebenden Sc!)ôpfung gewinnt. Neben dem
hoch~en Heispic! sogtpich das dcrbstc, \vic ~tuser das licbt. Hin Weib
hiilt uns in dem Zauherhann ihrer Anmut. \ieder ein chcn~o
machtiger
wie unauf)ôsbarer Totaicindruck. Der ..anatumisrhc MoraUst" wird das
Geheimni-. nie ergrundcn. er wird im Gc-gcntci)zu!ctzt nur dn Aggre
gat von Schwâchcn zu schen g'auhon. Dcr ,,pr;tktische ~îann" zcrstort
sich nicht durch die ZcrgHedcrung die Frcudc. L'nd so ist es uberaH.
I)cr Mdherr in der Schiacht. der Entdeckcr in dcr Gefahr: sie kënmn
ju.rltls .v&w ~53
nur nach Totaleindrücken handeln. Sie haben gar nicht einmaldie Zeit,
das langsame Werk der Reflexion zu vollziehen. Es ist gewiB, ,,da6 un-
endlich mehr Gutes in der Welt unterbleiben würde, aïs jetzt darin Bôses
geschieht, fails es in des MenxchcnVermogen wâre, sich an der Schnur
abgezogcner Regeln zu halten oder jedc seiner Handlungen so cinzu-
richten, wic er es sich in scinem Lchnstuhl bei kalter Uberlegung vor-
genommcn hâttc". Ein Ende nehmen muB dcmnach die moderne
rberscnâtzung der Verstandesbildung und der darauf gegründcten
Kultur, bei der Erziehung der Jugend, der AnsteHungund Befôrde.
rung der Bean)ten, bei der ganzen sozialcnund politischenWertung des
Menschen. Gelehrsamkeit ist im besten P~aIIenichts anderes als Faul-
heit, und Aufktârung dicnt nur dazu, solche Faulhcit zu bestârken. ,,Der
I.arm gegcn Barbarei ist nur die Losung der gelchrten Marktschrcier,
die gem ihrc Pillen verkaufen wollen."
Und nun trifft die Kritik dieses ~ewattigcn Autochthonen den inner-
sten Kem des modernen Staatcs, seine energische Tcndenz, durch das
Mittel gleichmaBiger Gesetzgebung und Ver~'altung diesen ganzen
wucherndcn Rcichtum des Mannigfaltigen, Bcsonderen, Eigcnartigen
und Eigensinnigen aus dem Wege zu râumen. ,.Seitdem Voltaire es
cinmal l&chcrtich gcfunden hat, daB jcmand seinen ProzcB nach den
Rechten eines Dorfes verlor, wâhrend er ihn nach denjenigen cinés dicht
dabei gelegenen gewonnen haben würde, werden überall allgemeine
Gesetzbücher gefordert und geschaffen." Und doch ist jedes Verhalt-
niit und jedcs Ereignis in den organischen Gebilden der mcnschlichen
GeseHschaftso eigenartig, daB es nur durch einen Gewaltaktnach einer
allgemeinen Regel behandett werdcn kann. "Voltaire hatte nicht notig
gehabt, die Verschiedenhcit der Rechte in zwei ~achbardorfem lâcher-
lich zu finden; cr batte dieselbe \crschicdcnhcit in zweiunter e ne m
Dache !ebendcn Familien finden kônncn, von dencn das Hauptder cinen
mit seiner Frau in Gutergcmeinschaft lebt, das andere aber nicht. Wn:-
vict tauscnd Rechtsfragen entstehen aus dieser einzigen Verschieden.
heit und mussen gegen den Einen so und gegen den Andcrn anders
entschieden wcrden." Und nach diesem Beispiel zieht nun Moser immer
wicdcr ganz bestimmte FâUe aus dem weiten Gebiet des bürgerlichen
Rcchts hcran, um daran die Unzu]ang!ichkeit und Ungerechtigkeit all-
~ememer Gesetzesvorschriftcn zu zeigen. Er tritt deshalb überall für
das Recht des frcicn \'crtrages ein. Dièses soll in materieller Beziehung
in keiner Weise beschrânkt werden: ,,Vcrtrâgc gelten gegen Gcsetze."
Oder er will die naturtiche Gerichtsbarkeit der alten wirtschaftlichen
Verbânde, der Markgenossenschaftcn und (jrundherrschaftcn. der Gil-
den und Zünftc gewahrt wissen. Dcsgkichcn verlangt er für das Straf-
recht die Emeuerung der alten gcrmanischen Gcschworenengerichte.
~4 ~Mt~t~AjW~ MW/
Diese allein bieten die Gewâhr für eine schneUe und gerechte Jusdz.
Und hier wie auch sonst kommt seiner Beweisfuhrung neben seinen
historischen Studien die lebendige Bekanntschaft mit den englischen
Zustanden zugut, in denen sich, wie er erkennt, die Verfassun,gder ger-
manischen Urzeit am natürlichsten entwickelt hat. ,n den meisten
Staaten wird der Verbrecher nach abstrakten Gesetzen verdamntt: in
England erkennen zwôlf Totaleindrücke über die konkrete Tat." Das
Einzige, was der Staat leisten kann und leisten muB, ist die FeststdÏung
und Wahrung des ,fôrmlichen Rechtes". Es muB feste Formen geben,
nach denen Recht gesucht und gesprochen werden soU,und eine Auto-
ritat, die diese Formen und das nach ihnen gefundene Recht schützt.
Wie denn auch überall in der Geschichte des Rechts die ProzeBord.
nungen das Fruhere, die Gesetzbücher das Spatere sind. Darüber kann
der Fall eintreten, daB das wirkliche Recht dem fonnuchen weichen
muB: ,,Es ist politisch besser, daB ein einzelner Mann trauere, als daB
man alles in Gefahr setze." Môser geht so weit, zu sagen, das wirkliche
Recht konne zur Not in derWelt entbehrt werden, das formUchenicht.
In diesem Zusammenhang betrachtet Môser, wie dann nach ihm, aus
der unmittelbaren Anschauung der englischen Geschichte heraus, Ed-
mund Burke, die Wahrung der Rechtskontinuitât aIs die unumgâng-
liche Bedingung jeder Anderung in der Verfassung oder in den anderen
Zustanden eines Volkes. Sie ist für ihn das allen erkennbare Merkmal
dafür, daB die Entwicklung sich naturlich vollzieht. Denn wie jeder
Vertrag der Ausdruck der Anpassung des politischen Organismus an
ein reales Bedürfnis ist, so werden andere Bedürfnisse andere Vertrâge
hervorrufen, ohne daB man zu dem gefâhriichen Mittel des Rechts-
bruches zu schreiten braucht.
Wenn nun gar der rationale Geist des t8. Jahrhunderts in seiner
Sucht nach einfachen, allgemeinen Prinzipien so weit geht, den Staat
auf die ewigen Rechte des Menschen zu gninden, so gelangt er für
Môser zum offenbaren Unsinn. Die Lehren Lockes und Rousseaus
stellen Natur und Geschichte auf den Kopf: das wies Môser schon in
den siebziger und achtziger Jahren an zahlreichen Problemen nach,
und als nun die franzôsische Revolution den Versuch machte, diese
I.chren in die Wirklichkeit zu übertragen, brauchte er nur zu wieder-
ho!en, was er in den beiden ersten Sammiungen der ,.Patriotischen
P!)&ntasien"auseinandergesctzt hatte. Sein Grundgedanke ist überall,
daB der Staat durchaus so betrachtet werden muB wie jede andere
menschliche Verbindung zur Erreichung eines bestimmten Zweckes,
da6 demnach in ihm Leistungen und Rechte durch seinen besonderen
Zweck beschrânkt sind, in diesem Umfang aber zueinander in einem
inneren Verhâltnis stehen, welches dann in der F ormvon Vertragen,
M~
/tM«M _~55
von ,,Sozialkontrakten" seinen auBeren Ausdruck findet. Und zwar ist
der einzige Zweck des Staates gemeinsamer Schutz nach auSen und
innen. Zu diesem Zwecke gründen uberall die ersten Eroberer des
Landes eine Genossenschaft; jeder, der eib Landlos erh<,tritt in die-
selbe ein, zu gleichen Pflichten und gleichen Rechten. Dies ist der erste
.,Sozia.1kontrakt".Derselbe kann natürlich nur von denjenigen fortge-
setzt werden, welche die Landlose erben. Wer kein Bodeneigentum be-
sitzt, kann die Pflichten der poïitischen Genoasenschaftnicht erfullen
und deshalb auch nicht an ihren Rechten teilnehmen. Er muS sich,
wenn er gleichwohl ihren Schutz genieBen will, jede Bedingung ge.
fallen lassen, und sei es auch die der Leibeigenschaft. In dieser Lage
sind von vomherein alle Sklaven und Horige, sind weiter alle jüngeren
Sohne und Nachkommen der ersten Landeigentümer, sind endlich alle
diejenigen, die nach der Aufteilung des Landes neu hinzuziehen, um
als Pachter und Knechte oder als H&ndler und Handwerker ihren
Unterhalt tu suchen. Der Staat ist und bleibt, wie Môser gem ausein-
andersetzt, eine "Aktiengesellschaft", in der nur diejenigen raten und
taten, die eine ,,Aktie" besitzen. Die weitere Entwicklung ist dann die,
daû einerseits mit der steigendenUngleichheitdes Besitzes ein gewisses,
je nach dem Bedürfnis wechselndes MaLidesselben als Bedingung fur
die Teilhabersch&ft an der politischen Genossenschaft festgestellt wird.
Wer weniger besitzt, scheidet aus. Und wie sich in jeder andem Aktien.
gesellschaft der EinfluB der Mitglieder nach der Anzahl ihrer Aktien
richtet, so haben auch im Staate diejenigen, welche mehî leisten kônnen
und mussen, einen grëBeren Anspruch auf seine Âmter und Würden.
Andererseits entwickelt sich in den Stâdten aus dem steigenden Ver-
kehr und Gewerbe ein neues Eigentum, das Geldeigentum,welches bald
ebenbürtig neben das bisher allein bekannte Landeigentum tritt. Zu-
gleich wachsen die Aufgaben des Staates und sinken die Krâfte seiner
ersten Kontrahenten. Die Folge ist, daB sich der Staat immer hâufiger
an die Reicheren und Machtigeren unter seinen Schutzverwandtenmit
,,Beeden" wendet und ihnen für die Erfüllung derselben immer gün.
stigere Sozialkontrakte gewâhren muB, bis er sie zu Sitz und Stimme
auf der LandesversMMntungzulaBt. Dies ist der Ursprung des ,,dritten
Standes". des "tiers état". Der Charakter des Staates wird indessen
dadurch nicht geândert, daB jetzt neben die Besitzervon ,,Landaktien"
sotche von ,Geldaktien" treten. Die neuen Mitglieder besitzen. selbst
wenn sie die Mehrheit bilden, nicht das Recht, einseitig das Eigentum
der alten zu schâdigen, wie das jetzt die franzôsische Nationalversamtn-
lung tut, wenn sie die Leibeigenschaft aufhebt oder die Gdter einzieht,
die man einst der Kirche ubertassen hat. Noch weniger aber kann die
groBe Masse derer, die auch jetzt noch au&erhatb des Staates bleiben,
256 /~M <t~<- y<tA~ und die ~'MA/r~ M~ J
sich zu ,,Menschen" erklâren und daraus irgendeinen politischen An-
spruch herleiten, so wenig als die englische Nation oder das englische
Parlament, und wâre e* auch daniber einig, die ostindische Kompagnie
aufio'ienodcr at)e cin~eborenen Englânder zu Aktionâren machcn kann.
Moser bctont itnmer wieder: auf den bloSen Begriff des ~fenschen !âÛt
sich ein StMt so wenig grunden als ein Dcichverband oder irgendeine
andere reale \'ereinigung. Eine bc~ondcreEigenschaft, einc Aktie, muB
HbcraHhinzukommcn, und wie nicht aUp Menschen gleich gut xum
Tanzen oder Musiziercntaugen, su besitzen sic auch nicht für den Staat
aile denselben Wen und dasselbe Recht. ,,Es muG den Thcologcn über-
lassen bieiben, ein Reich Gottcs ohne Aktien zu errichten und'die Men-
schcn unter der Rubrik von armcn Sündem miteinander auszugicichen."
Eine Auffassung des Staatcs, die zunâchst als unendlich cng und
starr erscheint, vor alicm. wenn man sic ohne das rca!e Det~Hihrcr Be-
gründung wiedcrgibt. Ihr fehlt das \'erstandnis für die Leistung der
naturrcchtlichen !dcen in den modernen ('ro&staatcnL.Aber überall
~erbergen sich untcr dieser Form die neuen groBartigen Gedanken
Mëscrs von dem organischcn Zusammenhang aller menschlichen Ver-
!uhnisse, von ihrer innercn ZweckmaSigkeit im Ganzen und im Ein-
xc!nen,die daraus folgt, und von ihrem setb~tandigenLebenstricb, nach
\ve!chem sic sich aïkn neuen Bedingungen anpassen, in be~tândiger,
natürlicher Entwicklung. Es war dcr Anfang der historischen Schute,
wic das Savigny anerkannt hat. L'nd die Schwachen und Einseitig-
keitcn Môscrs sind nur dicjenigen, die in der Natur dieser ganzen
Schule !icgen.
L'nd aus dieser historischen Betrachtung der Gegenwart erhob sich
nun dieser Geist zu einer Idée der dcutschen Geschichte, so groB und
tief, dab sie bis heute noch nicht ftusgefuhrt worden ist. Ihr Mittet-
punkt sotite dcr gcmeine Landeigcntûmer sein. Die \'crandcrung seines
Rechtes, seiner Sitten und Anschauungen unter den wechsdnden Be-
dingungcn seiner Existenz, der Einf!ub der Regierungen und der
gro~en politischen und kriegerischen Vorgânge auf diese Entwicklung,
der feine unsichtbare Zusammenhang, der von den harten AUtâglich-
keitcn des wittschaft!ichcn Lcben. bis zu den hochsten Leistungcn der
Kultur reicht: alles das solite zur DarsteHung kommen.
We!c!t ein Gcgensatzzwischender ganzenhistorischen Anschauung
die'-e': unvcrgtt'ichiichen ~'annex und derjenigen der franzusischenund
engHschen(~eschichtschreibungdes Jahrhunderts Die strukturlosc nar-
stellung der Kultur einer Xcit. wie sic diese Voltaire. Hume, Robertson
und Gibbon gegeben hatten, war hier ersetzt durch den Gedanken eines
inneren Zweckzusammcnhanges,welcher die verschiedenen Dascins-
âu6erungen in einer Epoche verknùpft. Dcr abstrakte Begriff des Fort-
M'~«'MM<MMt ~57
schrittes, in welchem das ganze t8. Jahrhundert lebte, war ûberwunden
durch den der Entwicklung, der, in Leibniz angelegt, nun xu frucht-
barer Anwendung gebracht wurde. Und wie niemand vor oder nach
Môser menschlicher, lebendiger, warmer den Zusammenhang zwischen
den natürlichen Lebensformen einer Zeit und dem Gluck der inneren
Befriediguag der Individuen, die unter diesen Formen stehen, darge-
stellt hat, so war nun auch jenes ungeschichtliche Verfahren der Auf-
klârung beseitigt, nach welchem die Kultur des t8. Jahrhunderts den
~Bstab für aUe fmheren Zeiten bildete. Jede Zeit trâgt f<ir Môser
ihren MàBstab in sich selbst. Das innere Ziel, das immer Glück, Zu-
friedenheit, Harmonie der Gesellschaft ist, bildet den einzigen ~û.
stab, der zunâchst an ein Zeitalter gelegt werden muB.
9.
Der gro&e Plan einer wirklichen Geschichte des deutschen Vol-
kes, wie ihn Moser gefaBt hatte, wurde von niemand durchgeführt.
M&serschrieb die Osnabrückische Geschichte, Spitder die Wurttemr
zwi-
bergs. Aus unserer politischen Lage, die uns tnitten hineinstellte
schen kosmopolitischeUniversalitât und Partikularismus, ergab sich das
Schicksal unserer politischen Geschichtschreibung: universalhistorische
Cbersichten und Partikulargeschichte. Kein groBes Werk politischer
Historie entstand in dem Deutschland dieses Jahrhunderts. Dagegen
rnanifestiertesich das tiefsinnige Verstândnis der Kiàfte geistiger Kultur
sofort in einem historischen Kunstwerk ersten Ranges, der Kunstge-
schichte Winckelmanns.
Seit den Schriften von Goethe und Justi steht Winckelmann in
seiner Entwicklung und seinem Werte so deutlich vor uns als kaum ein
anderer deutscher Schriftsteller. So genügt es, kurz die Stelle xu be-
seine
zeichnen, die in der Entwicklung der historischen Wissenschaft
Geschichte der griechischen Kunst einnimmt.
In seinen muhseUgenJugendjahren sammelte und vermehrte er be.
stândig die Kenntnis dessen, was Fmnzosen und Eng!ander über die
historische Wissenschaft gedacht hatten. Voltaire begleitete ihn nach
Rom. Montesquieu war ihm stets gegenwârtig und lehrte ihn den Ver.
schiedenheiten in den Schopfungen der Vôlker nachgehen bis in ihre
natürlichen Ursachen. Er war durchdrungen und gesâttigt von den Be.
griffen der AufHârung über den Zusammenhang der Kultur und die
neuen Aufgaben der Geschichte. Die so gewonnenenEinsichten wandte
er auf die griechische Welt an, in deren Studium er aufgewachsenwar.
Er lebte in ihren Dichtem, doch der stârkste innere Zug seiner Seele
war auf die SchOnheitgerichtet, die dem bildenden K&nstlerin der sinn-
lichen We!t, vomehmtich in den menschlichen Gestalten erscheint. Er
Dit~ty,G<Mmme)M S<hh<t<:a
tiï t?
~8 Das <M~< ~~tM~~ WM~
de ~iM<M~ M~
sagte einmal, Gott habe einen Maler aus ihm machen wollen. In dem
Enthusiasmus Platons für den Eros und die Gegenwart ubersinniicher
Ideale in der Schônheit der Gestalten fand er die Erkiârung fiir die
geheimnisvolle Beziehungzwischen dem Zug nach einer rein geistigen.
Vollkommenheitund der Sinrienfreude an der Schonheit der Korper,
wie er sie in sich selber empfand. Und als er nun in Elend und Kümmer-
nissen, ein Dreil3igjâhziger, nach Dresden zum Grafen Biinau sich
durchgcschlagen natte, wo er Osers Kunstweisheitin sich aufnahm, wo
ihn in den Bauten des prachtliebenden Kônigs und in den Gemâlden und
Statuen der entarteten italienischen Schule die hofische Kunst dieses
Jahrhunderts umgab, woaber auch die Sixtinische Madonna in der Ga-
lerie und antike Bildwerkewaren, da erkannte er sofort mit der Divi-
nation des Genies, welchesaus wenigen Erfahrungen das Wesen der
Sache erfaBt, die unermeBUcheCberiegenheit der groBen Kunst über
allés, was ihn an Werken der Zeit umgab. Er faute nun aber das
Wenige, was ihm von bildender Kunst zu Gesicht kam, von dem Ge-
sichtspunkt auf, den Homer, Sophokles, Platon und Raffael in ihm
entwickelt hatten. Diese ganze Welt atmete edle Einfalt und stitle
GrôBe, die Stille der Meerestiefebei bewegtester Oberflâche, eine ge-
haltene Stârke der Secle.Sie bestand aus typischen Gestalten. Es war
cine Anticipation des gro6en griechischen Stils, wie ihn dann die
Skulpturen des Parthenon vollkommen sichtbar machten. Der Gegen-
satz dieses VoUkommenstenmit den Kunstprodukten der Zeit steigerte
in ihm Sehnsucht und Begeisterung für etwas, was verloren war und
dessen Spuren aufzusuchenihm Lebensbedurfnis wurde. Das Vollkom-
mené der Kunst erhob sich vor ihm wie ein femes ungeheures Gebirge
in der FIacMandschaftseiner Zeit ein Hôchstes, das in der Ver.
gangenheit lag. Er gelangte endlich nach Rom, und in den wenigen
Jahren, die ihm noch vergonnt waren, bildete sich seine griechische
Kunstgeschichte aus.
Das Vermogender nachschaffenden kongenialen Anschauungwurde
durch ihn in seinem Werte für das historische Erkennen zur Aner-
kennung gebracht. Diese Anschauung erfa&t Werke des Geistes durch
cine innere Bewegung der Seele, sic geht vom Ganzen aus und macht
es aus der erzeugendenKraft verstandtich bis zu jedemZugedcrTcch*
nik, in welchemdas Innere sich ausdrückt, bis zu jeder Linie des BUd-
werkes odcr dem Rhythmusund Klange der Verse.Winckelmannbildete
dieses Verfahren aus, als er bald nach seiner Ankunft in Rom den
Plan faBte, die Bildwerkezu beschreiben, die damais in dem Statuen-
hof des Belvedere vereinigt warcn. !n dem ersten Glück dieser rômi-
schen Tage. im Verkehrmit den Kunstlem, gemeinsam mit dem Maler
und Kunstkritiker Raphaël Mengs, dem Freunde seines Herzens, be-
H~tK~MOXM 259
tO.
Wâhrend der ganzen zweitenHâifte des t8. Jahrhunderts geht von
Gôttingen eine xusammenhangende und hôchst wirksame Arbeit für
die historischen Wissenschaften aus. Das Werk der englischen und
franzôsischen AufMarung wird hier weiter gefûhtt in der gelehrten,
zusammenhângenden und systematischen Art, die im deutschen Uni-
verdtâtsbetfieb enthalten ist. Von seiner Entstehung !734 an war
Gôttingen die modemste unter den deutschen Universitaten. Hier soll-
ten die wdtMchenWissenschaften sich frei von theologischen Gesichts.
punkten entwickeln. Die Verbindung mit England erweiterte den Hori.
zont der historischen und politischen Anschauung. Sie fôrderte den
EinfluB der englischen Wissenschaft. Zu dem Starnm der ersten Lehrer,
den Gesner, Michaelis, Mosheim, Pûtter und Achenwall, treten all-
mâhlich die jüngeren, Gatterer, Schlôzer, Meiners, Heyne, Spittler,
Heeren, Sartorius. So wurde Gôttingen mm Hauptsitz der historischen
Studien in Deutschland.
Gesner r schonsuchte nach einer Verbindung der einzeinen Alter-
tumswissenschaften, um den Zusammenhang und die Eigenart der an-
tiken Kultur zu erfassen. Sein Nachfolger Heyne stand dann bereits
unter der Einwirkung Winckelmanns, und freudigbegru&teerdasBuch
des Englânders Wood über das Originalgenie Homers; hier hatte ein
~nn, in den Heimatstâtten der Homerischen Gesânge wandernd, den
ganzen Eindruck dieser Natur in sich aufgenommen und war so zu
262 <~h!M~ yM~M~aM M~ die ~~MMi~
2?<M MW/
!8*
NAMENREGISTER1
Abbt 174, 248 Augustin 77'95. BanauasS :Cornettte'8yf.,
Achard. Antoine u. <2t5(. Bûrger~t tôt, toj, to8
François t9 AugMtusS~.SS. !t6, BO!K:M)igt<)6 Cromwell 4
Achenwall 26tf. ~t5. 239f. Buffon go, 93. 259. Cyprian !!6
Add!sona.:8 ~6; 268, 212 Cyrust7<
AcmiHusPautuftttz~ Bach. Joh. Seb~. Burke 245, 254
Dach, Simon 5~
Albertus Magnus ~t6 stian 7~. *79–80 Burhhardt. Jakob Danckelmanu 36f.
d'Atembert 86, 8<). Bacon t8, 2;, j~
E~h~~M DMtetoy.~tb
*9t–97, 98–too, DilVtta. t
103, ïtiî, tt6, B~rott!as a~o Cabanis qS
!)<'<'tt)s~3o
*!24–tZ?, 128, Basedow. !<)0f.. 169 Casar 88.tt9.239
r~cktr.Unehhimdier
t~o. t36< ï39. t~S. Basnage.Jacques 219 C!))deron60, 64, 8y
204
t}o–t5~. '75, t88, B&uîngittten, StRis- C~v)nt32,t~3,zt7 Deseartcs 10. t~. 15.
~6, 238 mand Jakob 68 Catnp..mcUat7,3~
ty, .t:–< 26, 29,
Alexander d. Gr. to, Bay!e~3.6t<9; Campe, Joach.
~tt t0~.tt0,2!9 Heinrich i6of. j 3t, 3~6~,64, 69.
Bêcher, Joh. Jo- 73. 87–89, 103,
Algarotti !i7 Camperas.!
achim ti6,Z38
AtthuMus~3 tso Canit~s~
AmaHe. Kinsprin 39 Bo~uetin 1:3. t~a !Tc<'p~Mxs. Botteau
Cxntnf.Moritt?! DfstNtt de Tntcy 98
Amalie von Weimar Bekker. BalthaMf ~2 Cardano 70
Bembo to8 i Pickpns 56
'7' Carlyle t32, 2CO,
.!S: iDiderot 89. *93f.,
AnctUon<âtt.(t.u< Berhetey 1~9
Carmer 129 9Sf., too. tof), 115,
wig Friedrich) t3<).Bernegger
Bemhard von Ctair- CastiNon d. iflng. '73-'75. ~7
'56 Dicthcf von !s<*n- Isen-
A ndreae, Joh. Vaten- vauxyy (Friedrich) tgg. 136
burg, Kurf. von
tia~t BerthoMvoaHenac- Catt. Henri de K~f.
Mn4M~3
AngetusSit<'Stus~9. befg, Kur<. von Cay)us2j<)
*5~. 55. ''2. *77 Main~ 33 Chateaubriand 88 j Dik&arch2ttt
Dttehch t~b
Anna von England Besserjj Chatetets.DuCh&te- tTohm166
j<).~26 Bouhetsz !67 let
Anton t.'trieh von Biester t~of. '))roys<'n22T
Chauvin 23
Wotfenbattet ~4, 53 Bismarck 200, 2}2 Chodowtcckt ty6 Dubois-Rcymond
!r6
Antoninas Pius 230 Btumenbitch ~62 Christine von Schwe-
Ducange22o
Apelles 260 i Bodin ~33 <ten3t t)u Châtelet, Mar-
d\fgcn<<tot, tt<). ï~odmcrt~t Cicfnt~ft.M. tôt,
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~3.~3.~47 53 'oS Clemens von Ale-
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Arnotd.Hottfncd78, Christian 28. 33 Colbert t8 Eberhard, Joh.
~t9.)5 BoHngbrotte 266 1 Colignyjt?7 August !3~. ly~f.
August der Starke BoHand 230 Com<*ntM.:t, r~Sf. H!!sabcth t'en <!<-<-
36.47 Borckenu Comte 34. 89, ~36– PM~M
Augustin, von BoMUft !o8. 23t ~8 H)i<tbcth Christine,
Poten (Sachsen) 258 Bruht )8y Condit)act)o Kaiscrin ~t
A))t!U9t Wilhelm, Bruno, Giordano ty, Condnrcet<.)t,<)S, Emerson t~
l'rm~ von PreoBen j!6.b3<6<)f. t3<<{..j!3& Engct. Joh. Jakoh
t.:9 Buehhottz Conhng ~~o '3<).'S5.'7-)–'7<'
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VOUM~-WWand~ A. Die ef)..tJiMhe (<~M)Mheb<)PM'oMphie. L Die itditchePhHe.
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Geschichte der Philosophie in 7 Bd. (ANu&.Bd. 74'/47) Geb.jeRMt.–
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detAun~runs. (Vom .c~t.eh.n Em.M.mM. bis KM<.) V~
S. !rhatSeX Det deuMche Meatttnxx..Nach~ti~ht PhMoMphi<
~Dr sSttck. <Bd.7t<.t 6. ZeitaKe)- de<
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~My~t~ti.hePhi)..o.bi.. ',4' Bd. Ht. thtt.MpM.de,
und der Renaissance. (743.) M. IV Philosophie von Descaets bis Letbatz. (74~.)
SystematischePhitosophie.(DitK.Ntt.d.Gt~nw.,hMg.v.Prof.Dr.F.H!nme.
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E.tMntnt~MHt: A. RiehL Il. "P'y<h"
Mb.~ tLoShnnd H<.Mph}~:W.W..dt.
K.backea. V.Ethit: B. Htoch.
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Th. Litt VIL ASMtUt: M.Gttetf. VUt. D« phiteMp).itchMStrOmM~
VÏ.PM~nt!
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A)te< in aNtm hMittM wir in der ,'iytttmttftchea Philosophie« Stn~tur und
sehr hohc)!)W<-rt. d**ie h~orr~Mdem tMc <«if;net ist, in die vttwic)te)tc
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MftiitHchttta DieatM N tttttea imstande t!<-f)e<ttaa){
weil sie die VoMiitre tmtf Mrt.Mtt<-heaGtit~ntat; und Anordouns dcn )m sich !iti<-rr<-ichM
SMtM mit der denkbar sauberstea H<-pt<htc<-h)t): uttd der tchïffttea G<M~d)Mtt.U~~ ver.
bMM.di<M).tMmW~ und keine M)b.t~H))fe<a Umtthweife d.tdot." (!:M<t<t<dtea.)
WISSENSCHAFTLICHE GRUNDFRAGEN
PMtosophisehe Abhandlungen in Gemeinschaft mit FachgenoMen
f~MProf. 73~ ~~M~~K' Breslau
Ac~M~M
Xt"S<'htt!i<~[enTT!
t. He(t: Bas Naturgeseta. Ein BcttMi: ïnt Pt)!to<!ophie der emkttn Witsea-
schaften. Von Ptof. nr. B. Hauch. fith. KM 3.10
2. Heft: Ober die Entwicklung d. BeghSt d. Kaums und d. Zeit und ihre Be.
ziehungenx.RetMMt&tsphMip. Von :f. Dr.A.Schoutcn. Geh.RM~.40
Kinf proMemgtMMe!)<Mche
3. Heft: Vom Begriff der re!igiCsen Gemeinscha~.
ub':t die GratKHitgtn des Urchnsttntum' Von Prof. D. Dr.
Unt-rfuchang
E. Lohmeyef. Geh. RM 4.–
Ein Bdtrag Mf Philo.
4. Htftt Kuttufbegtifr und Ërzichungawissenschatt.
Dr. Il. Johanmen. Cth. RM 3.-
sophie der FSdagogik. Von rriïatdoKat
des Rhytbmus. K!ne analytiscbe Bettachtung aber
5. Heft: Vom Problem
den BegrifT der Psychologie. Von Prof. Dr. R. H8at{::watd. G<h. RM 4.80
6. H<a: Atomismus und K<mthMit&tMheo<r)e ta der neuzeMichen Phyai):.
Von Prof. Dr. E. Lohr. Geh. RM 4.–
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Vom !!eg<M der <<tcMct.tKehM A~f~bt. t'ettett.DM Problem ~,P"?-
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Der Einzelne und sein Staat. Von Privatdozent D)-. jm'. et pbil. W.