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Dilthey, Wilhelm.

Studien zur Geschichte des deutschen Geistes : Leibniz und sein Zeitalter, Friedrich der Grosse und die deutsche Aufklärung, das achtzehnte Jahrhundert und
die geschichtliche Welt. 1927.

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4 Z. 2147(3)
Stuttgart
1927

Dilthey, Wilhelm
Gesammelte Schriften
Studien zur Geschichte des ~M~C~CM Geistes, Leibniz und
~ï Zeitaiter

Tome 3
Symboleapplicable
pourtout, ou partie
des documentsm<crof!!més

Original illisible
NF Z 43-120-10
Symboleapplicable
pour tout, ou partie
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NPZ43-120-H
WILHELM DILTHEYS
GESAMMELTE SCHRIFTEN
III. BAND

VERLAGVONB.G.TEUBNERSE LEIPZIGUNDBERLIN ~27


STUDIEN
ZUR GESCHICHTE DES
T\T~TYT~C~
/~YTir~T~T
~T~Tr~~x~T~r~
CE ISTES
~L)J~'LJ1 S CHEN
$.

LEIBNIZ UND SEIN ZEITALTER


FRIEDRICHDER GROSSE
UNDDIE DEUTSCHEAUFKLÂRUNG
DASACHTZEHNTEJAHRHUNDERT
UNDDIE GESCHICHTUCHEWEÏ.T

VERLAG VON B. G.TEUBNER E LEIPZIG UND BERUN 19~


r,
~CHCTXt'OBMKL t'CTR DIE VKRmStHTEK STAATBS Vox A)tKRU[t:
COPTtUGHT )M7 BY B. M.TEPHXEit tK t.EH'Xtft

AULB BbCHTE, BINSCHUESaUCM DES OBSMEMUttOx&ECMTN,VOMHHAMEN


..l
;\VORWORT DES HERAUSGEBERS

An d~n/Werkc. das hier veroffentlicht wird, hat Wilhelm Ditthcy


in deH Mzten elf Jahrcn seines Lebens gearbeitet, mit manchen und
schtieStich immcr lângeren Unterbrechungen. Den An!a6, sich von
der wieder aufgenommenenBeschaftigung mit dem Leben Schlcier-
machers der Geistesgeschichtedes achtzehnten Jahrhunderts zuzuwen.
den, gab ihmdas Erscheinender Geschichteder preuSischen Akademie
der Wissenschaftenvon Adolf Hamack zu dem Jubilâum der Korper-
schaft im Jahre 1900. Er vertiefte sich mit wachsendem Interesse in
diese vicr Bandeund den darin verarbeiteten Stoff. Was er so ,,in stil-
lem Zwiegesprâchmit dem Verfasser bewundernd, dissentierend oder
aus eigenen Beschâftigungenhinzufügend über den
Zusammenhang
der Geschichteder Akademie mit den groBen Verânderungen unserer
Kultur und unserer Wissenschaft" gedacht hatte, teilte er in vier Ar-
tikeln der DeutschenRundschau mit. Die beidcn ersten: ,Die Ber.
liner Akademie der Wissenschaften, ihre Vergangenheit und ihre
gegenw, iittigen Aufgabed" (Juni und JuH tt~oo) hatten ihre Mittet-
punkte in einer Skizzeder Personlichkeit und Gedankenweltvon Leibniz
und in einer Analysedes Vcrhâttnisses Friedrichs des GroBenzur fran-
zosischenLiteratur. Die beiden letzten: ,,Die deutsche Aufkiârung un
Staat und in der Akademie Friedrichs des GroÛen"
(April und Mai
!90t) legten Wesenund Wirkung dieser Aufk!ârung nach ihren vcr-
schiedenen Seiten auspinander und entwickehcn dann die Staats- und
Geschichtsauffassungdes groCen Kônigs und seiner Mitarbeiter. Von
hier wurde die Feder wie von selber zu zwei weiteren Aufsâtzen in
cierselbenZcitschrift gefuhrt: "Das achtzehnte Jahrhundert und die
gescnichttichc Weit" (August und September 190!). Der Anregung
des Verlegers,diese sechs Artikct zu cinem Buch
zusammenzustellen,
folgte Dilthey su auSertich nicht. Aber er fa6te nun den Plan, eine
Geschichtedes cleutsrhenGeistes zu schreiben, zunachst von Leibniz
bis xu der Wende, die durch das Abscheidcn Hegels, Goctlies,Wilhelm
VI i~'tfO~ des ~<M~W
v. Humboldts, ScMeiermachersbczeichnet wird. Dafur dachte er die
neuen Aufsatzezu verwenden, aber auch alles, was er früher xa diesem
Therna niedergeschrieben und xum grôSten Teit in seinen ubervo!!cn
Manuskriptenschrânkenverborgen batte. Ein eifriges Ordnen und Um'
formen dieser alten Schâtze begann, immer Hand in Hand mit neuen
Forschungen und Ausarbeitungen zur Ausfiillung der überall klaffen-
den Lücken. Eine zusammenhângendeErzahlung unserer Geistescnt-
wicklung in breitem, gteictunâBigeMPlusse meinte er freilich nicht zu
geben. sondern nur ,,Studien" zur Geschichte des deutschen Gestes.
At'~r die entscheidenden Krafte und Bewegungenwollte er obérât! dar-
legen, nach dem ihm eigeniumHchenanalytischen Verfahren bei der
Behandlung geschichtlicher Stoffe. Im Jahre t~oz schon schien der
erste Band im groBen und ganzen fertig zu sein. Der Vertrag mit dem
Verlegel wurde geschlossen. der Druck begann. Dann wurde alles noch
einmal überdacht, ein Bogen nach dem andern wurde kassiert, schiieB-
lich der Druck ganz eingestellt. Dazu kam die Erwagung, da6 Leibniz
und der Friderizianische Staat nur auf dem Boden Luthers verstând-
lich gemacht werden kônnten, und so wurden nun auch die alten Ar-
beiten über die Religiositât der Reformation, die zmn Teil schon im
Archiv für Geschichte der Philosophie verôffentlicht waren, wieder vor-
genommen und für den neuen Zusammcnhanghergerichtet. Und wei-
ter ging es zurück zur groiSenDichtung des Mittelalters und in die
Zeiten der Vô!kerwanderung: um das Wesendes deutschen Geistes ganz
zu erfassen. Dann wieder zur Jugcndgeschichte Hegels und zu seiner
weitercn Entwick~ng. Oder wieder zu Friedrich und seinem Staat:
noch in seinen letzten Jahren hat Ditthey an einer umfangreichen Dar-
stcUung des Allgemeinen Landrcc!tts geschricbcn.
Was ibn so lange bei dieser historischenArbeit festhielt und immer
tiefer darcin verstrickte, war nicht der Wunsch. ein Werk nur deshatb
zu voltenden. weil cr es einmal begonnen batte: solche Erwagungen
haben sein Schaffen nie bestimmt. Wir haben uns vielmehr daran zu
erinnern. wie cr nach den ..Beitragcn zum Studium der Individuali-
tat" (tS~ô~ aus innerem Entschlul3 seine systematischen Untersuchun-
gen für ein volles Jahrzehnt cinstellte, um zur Beschaftigung mit der
Geschichte zurückzukehren und in ihr die Ruhe und die Mittef für
cinf tiefcre Begrun<!ungseines philosnphischen Standpunktes xu fin-
den. Das Leben Schleiermachers bot sich ihm zunachst zu diesem
Xwe(k~ dar: mehrere Kapite1des xwcitcnBandes wurden geschrieben,
für andcrc die arrhhati'ichcn Vorarbeiten erganzt. Bis ftann !nit dcn
FMWO~<<M*
~MM~rf vu

Aufsâtzen für die Deutsche Rundschau die Geschichte des t8. Jahr-
hunderts sein ganzes Interesse in Anspruch nahm. Denn an diesem
Thema.kam ihm uberwâttigend die Bedeutung zum BewuBtsein,die
für das Leben des Geistes die wissenschaftlichen Verbande und An-
stalten und dann der Staat besitzen als Ideen tragende, bestimmende,
crzeugende Mâchte. Diese Einsicht diktierte schon die Rundschau-
artikel, sic leitete die weitere Arbeit, und sie soUte in den "Studien"
dem Leser eingepragt werden. Was Dilthey damals von der Geschicht-
schreibung des t 8. Jahrhundertssagte. daB sie den ,,Zusammen-
hang der Kultur" in sich aufzunchmen begonnen habe, und da8 das
nichts mit dem "falschen Ideal einer Kulturgeschichte" zu tun habe,
,,welchesdie Verbindung zerreiût, in der mit Zustânden groBe Men-
schen und mit regelmâl3igen Fortschritten der Zivilisation die Macht-
kampfe der Nationen verknüpft sind" dieser Satz war ihm aus dem
eigenen Schaffen heraus gesprochen. Damals griff er immer wiederzu
seinem neu erworbenen Exemplar der samtlichen Werke Rankes, be-
kanntc er sich in der Rede, mit der er an seinem siebzigsten Geburts-
tage die Gtuckwunsche der Freunde und Schüler erwiderte, dankbar
zu dem Meister, der ihm einst "die Erscheinung des historischen Ver-
môgens selber" gewesen sei. Und sb war es auch kaum ein Zufall, daB
er sich damals zum Hilfsarbeiter einen Historiker aus der Schule von
Max Lenz ausersah. Von 1898 bis zu seinem Tode hat mein inniges
Verhattms zu Wilhelm Dilthey bestanden. Insoweit es für diese Stu-
dien zur Geschichte des deutschen Geistes eine Bedeutung gehabt hat,
kann ich es mit Diltheys eigenen Worten aus der Vorrede des Werkcs
bezeichnen: .,Die Aufgabe, die ich mir gestellt habe, wàre nach dem
Ma6 der verfiigbaren Zeit und Kraft nicht !ôsbar gewesen ohne die
Mitarbeit meines lieben Freundes Paul Ritter, welche dem Werke von
seinen ersten Anfangen an zugute kam. Wenn ich es ihm heute wid-
men darf, so ist mir das eine besondere Freude: unsere langjahrigc
geistige Gemeinschaft und die Mitzugehorigkeit des Werkes zu ihm
kommen darin zum Ausdruck." Reides. Widmung und Vorrede,
von Diltheys eigener Hand. wâhrend er sonst zu diktieren pflegte,
habe ich erst bei der Ordnung seines Nachlasses gefunden.
Diese persônHcheErinnerung môge mir nun auch als Rechtferti-
gung dafür dienen, dat~ und wie ich das Werk jetzt herausgebe.Dilthey
batte mir fur den Fait. daB cr es selber n!cht mehr abschliel3enwùrdc,
wiederholt die Vollendung aufgetragen und dabci ein rücksichtsloses,
von aller falschen Pietat absehendes Schalten und Walten mit seiner
Vt!! M~w~ ~i'/MM~'A'~
eigencn Arbeit zur Pfticht gemacht. Aber als ich dann mit dem Testa-
mentsvollstrecker, meinem nun auch verewigten Freunde Heinrich
Yorck, und mit Georg Misch, Hermann Nohl und Bernhard Groethuy-
sen vor der Fülle der Manuskripte stand, wurde es uns siog~ich klar,
daB ein solcher Versuch, den gigantischen Plan der "Studien" dm-ch-
zuführen auch wenn sich ein Mut dazu gefunden hâtte–, mit der
Absicht einer Gesamtausgabe der Diltheyschen Schriften nicht zu ver-
einigen war. Alles, wasDiItheyschon selber auûerhatb deaRaimista der
,,Studien" veroffentHcht hattc, muBte jetzt diese seine ursprungliche
oder nachtragliche Selbstandigkeit bewàhren. Damit wurden wesent-
liche Stücke der ,Studien" von vornherein dem zweiten und demvierten
Bande der ,Gesarnmelten Schriften" ûberwiesen, und die ,Jugend-
geschichte Hegels" zog auch sogleich alle Manuskripte zur Ce-
schichte des objektiven Idealismusnach sich. Nof h weniger durfte na-
türlich an dieAufsatze gerührt werden, die als ,,ErtebnisundMchtung"
schon ihren eigenen Weg gegangen waren. und auch damit verloren
wieder vieJe altere und jüngere Manuskripte ihren Zusammenhang.
Was ich mit dem immer noch überreichen Reste beginnen habe
kh in den Jahren, die seitdemverstrichensind, oft erwogen undversucht.
Ich habe mich schlieBUchfur ein schr radikalesVerfahren entschiedftt,
Mn aber sicher, daB ich, wie dicDingc liegen, nur dieses vor dem An-
denken Diltheys verantworten kann. Ich habe vorab alle Manuskripte
beiseite gelassen, die schon vor tçoo entstanden und noch nicht fur die
..Studien" mit ihren besonderen Gesichtspunkten umgearbeitet waren.
Dann auch von den jüngeren Niederschriften alle, denen die prwahn-
ten Konzessionenan die anderen Bande der Gesamtausgabe den Boden
cntMgcn hatten. oder die, wie die DarsteUung der Dichtung des Mit-
telaltcrs. von dem Hauptteil des Werkes durch allzu weite, noch nicht
ausgefu!!te Raume getrennt waren. Endlich alle Beitrâge ~us meiner
Feder, die Dilthey noch nicht geprüft und gebilligt hatte. Ich habe
es also vorgezngcn.statt einer umfangreichen Sammlung vnn Fragtnen-
ten einen schmalen' Bandherauszugeben, der sich auf das Zeitalter der
Aufktarung beschrankt, dieses aber in einer Rcihc von zusammenhan-
genden Untersuchungen. in einer voUkommenenForm und mit dem
Geprâge eines hestimmten Abschnittc~ in Dittheys Entwickhmg zur
Darstellung bringt. Den Grundstockbilden die sechs Rundschauartikel.
Indessen sind nur die beiden tctzten: "Das achtzehnte Jahrhundert und
die geschichtliche Wett" und der ihnen jetzt angehangte Aufsatz über
die .Anfânge der historischen Weltanschauung Niebuhrs" (Deutsche
~MM~M~ IX

Rundschau, Mai tçn) vollstândig und unverândert bis auf einigc


kleine Umstellungen oder Weglassungen und vorsichtige Nachbesse-
rungen an der Form wieder abgedruckt worden. Die vier ersten Ar-
tikel haben grôBere Eingriffe erfahren. An ihren im Anfang dieses
VorwortesbezeichnetenKernstücken freilich habe ich wieder uur hier
und da eine stilistische Nachtassigkeit oder Undeutlichkeit leise besei-
tigt. Dagegen habe ich die cinleitenden, an das Jubilaum von !ooo an-
knupfenden Seiten des ersten Artikels weggelassen, ferner überall das
Detail, soweit es dem Werke Hamacks entnommen war, stark gesichtet
und überhaupt die Geschichte der Akademie in einige wenige Kapitel,
an den richtigen Stellen, zusammengedrângt, endlich den Abschnitten
des vierten Artikclseine andere, natürlichere Anordnunggegeben. Cber
die Notwendigkeitdieser Anderungen und auch schonüber ihre meisten
Einzelheitenhabe ich mich noch mit Dilthey selber verstandigen kôn-
nen. Dasselbe gilt für die meisten Kapitelûberschriftendes ganzenWer-
kes. ImûbrigenmochteichzudemviertenRundschauartikelbetonen, daB
alle gerade heute bedeutsamen Sâtze darin nicht etwa erst jetzt, sondern
genau so schon 190! geschrieben worden sind; nur die Oberschrift:
,,Die Rechtfertigung der Monarchie" und die darauf folgendcn uber-
leitenden Zeilen (S. 1761 habe ich ncu hinzugefügt. Mit diesen mehr
oder minder bekannten Teilen des Werkes habe ich dann andere ver-
bunden, die noch nicht veroffentlicht, sondern erst für den abge-
brochenen Druck von t~oa oder noch spater entstanden sind, so die
Kapitel: ,Die europaische Wissenschaft des i~.Jahrhunderts und ihre
Organe" (S. 3–2;; nur einiges wenige darin geht schon auf die Rund-
schau zurück), "Die neue weltlkhe Kultur" (S. ~o–74), "Die letzten
groBen Schôpfungcn der protestantischen Religiositât" (S. 74–8o),
ferner die Abschnitteüber Friedrichs Schrift über die deutscheLitera-
tur (S. to6–tn). den Siebenjahrigen Krieg (S. !28–t3ï), die philo-
sophische Arbeit der Friderizianischen Akademie (S. t~S–t~s). Die
Kapitel über die neue weltliche Kultur und die letzten groGen Schôp-
fungen der protestantischen Religiositat muBte ich dabei zum Teil um-
schreiben sie hatten in den hinterlassenen Manuskripten noch nicht
ihre letzte Form crha!tcn. Mit schwerem Herzen verzichtet habe ich
auf die groBe Abhandhtng liber da'; Aligemeine preuGischeLandrecht,
welche die Darstellung des Friderizianischen Staates kronen sollte.
Dieses Manuskript verlangte eine griindliche Umgestaltung, wenn es
verôffentlichtwerden soUte. und wie ich nun an seiner erstenAbfassung
keinen Anteil mehr gehabt hattc. erhob sich gerade hier die Gefahr,
x ~tW/ <t /t<M
daB aus meiner Umarbeitung cin Werk
hervorgingc, welches ich nicht
mehr unter Diltheys Namen veroffenttit;h<!ndurfte.
So steUt sich dieser Band der ..Gesammetten Schriften"
Diltheys in
groBen Teilen nicht als eine Ausgabe, sondern als eine
Bearbeitung dar.
GIcichwohIhabe ich bestimmt zu erkiaren, da8 er auch in
diesen Tei-
icn keinen wesentlichen Gedanken oder
Zusammenhang enthâlt, den
ich nicht aus den Manuskripten
Dittheys oder aus seincm Briefweehsc!
mit mir ais von ihm herruhrend oder von ihm
gebilligt belegen kSnnte.
Berlin-Friedenau, im August !Q26.

PAUL RITTER
INHALT
LEIBNIZ UND SEIN ZEITALTER

Dieeuropaische Wissenschaft des 17. Jahrhunderts und ihre Organe 3


t. DieWettanschauungenderattenVotker 3
a. Die gennanischcn und romanischen Nationen. Vom MitteMter mr t?e<Meit.
Die mathematische Katurwissenschatt. Das Naturrecht. Die philosophischen
Système 7
3. WhsenschaMiche Vereine. Die modemen Akademien 15
Der deutsche Humanismus.DieGeseHschaftenderdeutscheaNaturphiIosophen.
Galilei und Descartes in Deutschland. Skytte und Becher 19
LeibtmuttddieGr&ndùngderBerlitterA.kademic 25
t. Leibniz: :PersanUchke[tund Gedankenwelt. Die TragMie seines t-ebens 25
2. Leibniz: Der Organisator. Mainz, Paris, Hannowr. Die Ak~demievon Berlin.
Ausgang 32
DieneuewettticheKttttor 40
t. PoHtMcheundsMiateBedingttagen. 40
i. Der neue Mensch 44
3. Literatur und Dtchtung. Martin Opitz. Die Lyhk Ftetning. Gryphius 46
4. Der KuMtroman. Der Simpîiïissimus ~3
5. Das Drama: Gryphius. DieOper 56
6. Die neue Weltanschauung: Leibniz. MeTheodicec. Kcae~ndaKe Théologie 62
7. Me Leibnizische Phitosophie: Quellen, Methodenlehre, Konstruktion der Welt 68
Dietct2tengroBeaSchopfungenderprotestantischenRcligio9itat 74
t. Der Pietismus 74
2. Das Kirthentied 76
3. Die groSe KirchcnmMik 79

FRtEDRtCH DER GROSSE rXD DIE nEUTSCHE AUFKLARUNG


nerjungpKonig. 83
Friedrich und der franzOsischc Geist 86
t. Die Aufgabe 86
2. Der (ranzosisehe Geist, seine Sprache und seine Philosophie. Die Problèmeder
Person und der Moral. Voltaire und d'Atoubert. Die Pantheisten. Die Matcria-
listen und Friedrichs Kritik Sy
.1. Das franxôsische I~ebeasgefuh)und sein Ausdruck in der Literatur. Der unh'cr-
snto SchriftsteMer qy
4. Friedrich als Scithhstetter. Friedrich!. t!netc. Seine Poésie. t)er Phitoi-ophvon
Sanssouci !oo
5. Die Schrift über die deutsche Literatur to6
Die neue Akademie tt!
t. Das Ideal !ttt
2. Zic)eundWe);e <t3
3. Die ersten Einladungen, Die Société literaire. AkadetniederWissensctMftenuad
Académiedes sciences et Mtes-tettres. FinJahKehntMMtpertuis !t 7
4, i'riedrichundd'-Uembf'rt t ~4
XH 7M<t//
DasBandnisxwMchcn Friedrichund der deatitchenAuOdarung.
Selh
~s
t.DerSiebenjahTigeKneg.DerKonigderpMMschenVemunft t~S
2. FraazOsische.engtische.deatscheAuMamng
t
3. MedrichsBandnMtMtderdeutschenAatM&nmg. AkademHchePreisMhriften
Abhandtungen und Vorlesungen. Merlan. Hertzberg und WOUner
Die We)tanschaaung t3~
der deutschen Aufk!&fong
t. DieRetigiosit&tderdeutschenAnfhtârung. Die t~a
AuNCsungder Dogmen. Grenzen
und Schatten
142
it. Die philosophische Arbeit der Akademie.Lambert.
Neuephitosophischeînter-
essen. Zergliedernde Psychologie und Asthetik. Wider Kant
tt?
DerStsat&taErzieher ~s
Die pada~ogjsche Bewegung des ty. und 18. Jahrhundcrts. Rousseau und die
Padagogen dcr deutschen AuBdânmg. Das Untprrichttwesen des prcaBischen
Staates
.){
2. Die kultur- und staatspitd&gogischen Abhandtungen Friedrichs. ZedHtz und
seine Mitarbeiter
K,,
Deipoput&feSchrtitstettM t~
Wieland. Friedrich, Lessing, Kant. Die spaten-n Schriftsteller
derAuntiarune t?o
DieRechtteftigungderMonitrchie t~
Die Staatsauffassung des Naturrechtes. Die Ausbildung der
dynamischen Be~
trachtung. 116
2. Die politischen und historischen Schriften Friedrichs. Wesen und
Ursprung des
Staates, die Monarchie die beste Verfassung. Der crste Diener des Staatcs. Macht
und Vaiherrecht. ïnncre und âuSere Potttik. Schicksal und Micht tSo
3. Die akademischen Reden Hcrtzbergs. Die Verteidigung des Friderizianischen
Staates. Der Staat der Sicherheit nach auBen und innen. Der Staat der WoM-
fahrt und der Freiheit. Hertzberg und Maser
too
t. ZumGed&chtnMdesgroOenKOntgs. PreuBische Biographie und Friderizianische
Annaien. Die Sch&ndungder Manuskripte des KOnig~ aoo

DAS ACHTZEHNTE JAHRHUNDERT UND DIE GESCHKHTLICHE WELT


t. MehistorMcheKuMtderGnechen.
Potybios. 2ro
2. Die GcschichteabVerwirktiehung des Reiches Gottes:
Augustinus.. atd
3. Von der theologischen zur naturHchen AMMaMungdes geschichtlichen Lebens.
Die Ausbildung der historischen Kritik. Die R<otfMmm!ut)genund die
politiscite
GescMchtschreibungde~ty. Jahrhunderts ~jy
4. Die universalhistorischen Leitgedanken des m. Jahrhunderts. Die ïdM der
SolidMita.tund des Fortschrittes der Mensehheit. Der BegriMder groBep K.tur
VottaitesZeitatterLudwigsXtV. Uie neue Kutturgcschi<-hte.DerersteEntwurf:
Voltaires Versuch ûber die Sitten. Von Voltaire ïtt M:!
Montesquieu.
~Der Geist der GesetM". Tutgot
2).
6. Der Fortschritt der Wissenschaften, der KuMt und Liter&tur. Der Furtsehhtt
derKetigiositât. Dert'orts<-hrittderpoIitischenOrdnt)ngfH:Kmt 238
7. Die gToBepngtischcCcscttichtMhreibung.Hutnf-.Kobertson. Gibbon
8. Das VcMtàndnis des deutschcn Geistes <QrKeschichtliches teben. 2~
Justus Mtiscr .e~?
9. \VincMm.tnn
257
to. niehMtorMthen Studienin (.ôttingen. SchtôMr.))ic
V<-r~p)ttichungder Kirchen-
ftpschiehte: Spittler. Di.' pr.tK'u.'ti'ichc t:t-st.hi.h~chrcibnn~: î!<')in);brn~
MottteaqmeuL jr-t

ANFANGE DER mSTOR!SCHKX WELTAXSCHAH~C KtEBtJHRS


Historisclte Phantasie und politische Bildung. t;niv<-rs:)th)s<nrische
Tendenzen
und Kant. RcintwM und Jacobi
~n
LEIBNIZ
UND SEIN ZEITALTER

Dttthty. Gt~tmatttM
iiUthttot
ttt t
WISSENSCHAFT DES SÏEBZEHNTEN
(~lë EU~PÂlSCHE ÏHRE ORGANE
~AHRHUNDERTS UND
Eine gro6e geistige Bewegungerfüllt das siebzehnteJahrhundert.
ïn ihr erhob sich der menschliche Geist zu einer aUgemeingultigen
Wissenschaft, welche im Zusammenwirken der Kulturnationen stètig
und unauflialtsamvorwârts schreitet, diese Erde der Machtdes Men-
schen durch das Denken unterwirft und die Lebensfuhrungdes Em-
zdnen wie der Gesellschaftder Leitung der Erkenntnis unterzuordnen
strebt.
1.
Auf zwei Stufen hatte vorher der menschlicheGeist sichdem Ziele
seiner Miindigkeitdurch eine allgemeingûltige Wissenschaftgenâhert.
Auf jeder von diesen beiden Stufen wirktenNationen zusammen,welche
in einem râum!ichen Zusammenhang standen und trotz aller Unter-
schiede und Cegensatze durch die Gleichartigkeit ihrer Kultur ver-
bunden waren.
DieVôlker des Ostens im alten Asien und Agypten gelangtenzuerst
zu der idee einer einheitlichen geistigen Ursachc der Welt. Aber ihre
Weltanschauungverblieb im Zusammenhang mit dem religiôsen Le-
ben. Selbst die bewundernswürdigenSpekulationen der Inder habcn
diese Stufe doch nicht überschritten. AUe Moglichkeiten,das hôchste
Wesen aufzufassen,welche in den Schranken der Religiositâtgelegen
sind, wurdenhier durchlaufen. !n der babylonischen Spekulationent-
stand die retigiose Form der Evolutionslehreoder die Theogonie:aus
den Ordnungen dunkler Mâchte erhebt sich der hochste Gott, der die
Welt schafft, den Menschenbildet und ihm sein Gesetz gibt. Die wirk-
samste unter aUen Vorstellungen der Gottheit war die einer von der
Welt geschiedenengôttlichen Person: der Gott, der liebt, vorziehtund
auswahit, der straft, sich erbarmt und seine Feinde vemichtet. Diese
Vorstellungbildete sich in der israelitischen Reltgiositat und hat sich
spâter in der mohammedanischennoch einseitiger entwickelt. Sie ont'
hatt das lebendigste BewuBtseinder gôttlichen Person und ihrer Wech.
seiwirkung mit den Vôlkem und den einzelnen Individuen, und so
kommtsie mehr ats irgend ein anderer Gottesbegriff der Bedûrftigkeit
der menschlichen Natur entgegen. Die aktive, mânntiche persische
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4 Z~M <M</
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RetigiositSt !ebte in dem Gegensatzder beiden Reiche, des guten und
des bosen, und setzte dem Menschendas erhabene Ziei~in der Gefolg-
schaft des reinen und guten Gottes mitzuwirken zur Verwirklichung
der Herrschaft des Guten und dadurch sich ewige
SeHgkeit zu gewin-
nen. Auch dieser kraftvolle Glaube ist durch verschiedene Zwischen-
glieder bis in die neueren Zeiten ubertragen worden, er wirkte noch in
der Frommigkeit der SchwedenGustav Adolfs und der Reiter Crom-
wells. In Indien entstand die tiefsinnigste unter diesen Formen des
ôstlichen Glaubens, der religiose Pantheismus, und er entwickelte sich
hier bis in seine letzten weltverneinenden
Folgerungen. Versenktin das
wechsellos Eine, abgewandt von der WirkHchkeit der Welt und von
aH ibrer Schônheit, aïs dem Mannigfaltigen und Vetânderlichen, das
uns in schmerdichen Ha6 und in vergângliche Liebe verstrickt, setzt
diese Gemütsverfassung die Welt und das Leben herab zu wesentosem
Scheine. Wie sie die tiefsten Zuge der religiôsen Kontemplation, den
Schmerz über die Vergsnglichkeit und uber die Trennung des Jch
von jedem Dasein au8er ihm, in sich trug, lebtesiefortindemBuddhis-
mus und in der pantheistischen Mystikaller Zeiten, auch in der christ-
lichen.
Das gemeinsame Werk dieser religiôsen Stufe in den ôstlichen
Vo!kem war die Disziptinierung der menschlichen Triebe durch die
Macht des Gottesglaubens. In den Schranken religiôser Gebundenheit
entstand hier zugleich ein hoheres BewuBtsein des Weltzusammen-
hanges und auf ihm gegründet ein Ideal der Lebensführung, das die
Menschen und die Nationen erfüllte. Und in den priesterMchenGe-
nossenschaftendes Ostens bildete sich nun auch zuerst ein Zusammen-
wirken von Personen zu der gemeinsamen Arbeit wissenschaftlicher
Forschung. Eine Aristokratie von feiner organisierten Menschenwurde
hier in langen Zeitrâumen gezuchtet,welche das groBe Geheimnis des
menschlichenDaseins in der Seele trugen und unter ihm litten. Mathe-
matik und Astronomie wurden hier gepflegt. und in den Aufzeich-
nungen über die Schicksale der Kônige und Volker entstanden die
Anfânge der Geschichtschreibung.
An den Küsten des Mittelmeeresentfaltete sich die zweiteStufe der
europâischenKultur. Ihre vomehmstenTrager waren die Griechen und
die Italiker. Und wie die Kultur dieser beiden Nationen von der orien'
talischen bedingt war und zuletzt die religiôsen Vorstellungen selber,
auf denen diese beruhte, in sich aufnahm, so sind dann auch die o!ker
des Ostens durch die Einwirktmg der griechisch-romischen Bildung
teilweisezu einer hôheren Stufe emporgehoben worden.
!n Griechenland vollzog sich ein unermeBHchcr Fortschritt den
Zielen des mudernen t;eistcs entgegen. Freie Y'crfa&sungen. fine groGe
der albn J~~r
Die MM<M.~<HMM!g<M 5
Kunst von aHgemeinem,allen Zeiten verstandiichem Gehalt in einer
ewig gültigen Formensprache, eine unabhangige, mit logischer Ge-
nauigkeit beweisende Wissenschaft, und auf diesen Grundlagen, los.
gctost von Kultus und Priesterschaften, eine Philosophie, welcheinncr'
halb der Schranken der damaligen Wissenschaft nun wiederalle Mog'
lichkeitcnmenschlicherWeltanschauung durchmaB das vomehmUch
waren die groBen Werte, welche dieses Volk für die Menschheitge-
schaffen hat.
Die Griechen zuerst losten die Wissenschaft los von den Bedürf.
nissen der Ffômtnigkeit und des praktischen Lebens. Ihre Naturef.
kenntnis gelangte bis xu dem Punkt, an welchem wenn man von
wenigen Fortschritten der Araber absieht die Renaissancesic wie*
der aufnahm. Früh erfaBten sie die Erhaltung der Masse im physi'
schen Universum, die Gleichartigkeit aller Teile desselben, seinen ur'
sâchlichen Zusammenhang und seine mathematische GesetxmâBigkeit.
Wie sie eine einzigeBegabung für die Auffassung der Fonnen der Er-
scheinungenbesaBen,drangen sie mit dem Hilfsmittel ihrer Geometrie
bis zu der Entdeckung des heliozentrischenWettsystems vor. Mit dem-
selben genialen Formensinnschufen sie die Anatomie des animauschen
Korpers und das vergleichende Studium der Pflanzen und der Tiere.
Sie erfaBten die Struktur der Sprache und die innere Form des Epos
und des Dramas. Vomehmtichaber zergliederten sie mustetgûttig den
Staat und entwarfen die Typen der Verfassungen und das Gesetzihrer
Abwand!ung. Mochte nun aber ihre Begabung oder ihre Geschichte
ihnen diese Grenze ziehen: ihre Analysis der Natur stand still vor den
Formender Bewegung,und ihre Anschauung der geschichtlicbenWelt
drang nicht zu dem Begriff des Fortschrittes in der Wechselwirkung
der Nationen vor. Denn ihrer Naturerkenntnis fehlte die methodische
\'erwcrtung des Expérimentes und ihrer historischen Auffassung die
Analysisder Krafte, welchedie Formen des politischen Lebenshervor.
bringen. So erfa6te dieser griechische Geist auch in der Epoche, in
welcher er zu setbststândigen Erfahrungswissenschaften fortschritt,
nicht einen wirklichen Zusammenhang derselben, denn er erreichte
weder ihre Grundlage in der Dynamik noch ihren Zielpunkt in dem
Begriff der Solidaritât und des Fortschrittes der Menschheit. Er lebte
in der Grundvorstellungdes Kreislaufes aller Dinge vonden in ewi-
ger Monotonie wiederkehrenden Perioden des Universums bis zu
Wachatum, Blüte und Verfai! in Pflanzen und Tieren, Menschenund
o!kem.Und wie man in diesem bestândigen Wechsel dem Staat und
sciner Vcrfassung Daucr verschaffen konne, dies Problem suchen die
tiefsten Konzeptioncnder griechischen Staatslehrer aufzutôsen.
6 w~ sein &&r
J~
Auf der Grundlage der Wissenschaft erwuchsen in dieser griechi.
schen Kultur Weltanschauungen von philosophischem Charakter. In
den religiôsen Systemen des Ostens batte das affektive Verhâltnis des
Menschenm seiner Gottheit geherrscht. Diese neuen
philosophischen
Systeme sind bestimmt von dem natürlichen Verhâltnis des Menschen
zur Wirklichkeit, wie es in der Erkenntnis erfaSt wird. Aber der
grie-
chische Genius stand unter der Macht des anschauenden, âsthetischen
Verhaltens. Erkennen war ihm ein Abbilden und die Welt ein Kunst.
werk. Er erblickte überall Form und Verhaltnis, Typus und Stmktur.
Das gab auch dem philosophischenDenken dieses Volkesseine
schôpfe.
rische Kraft und setzte ihm doch zugleiçh bestimmte Schranken.
Eine andere Welt von Begriffen erhob sich, als das rômische Volk
sich die griechische Bildung aneignete. In ihm herrschte der
juristisch
und tnilitârisch geschulte Wille. Es lebte in dem
BewuGtsein, ,,in
seinen Waffen trage es sein Recht, und den tapferen Mânnem
gehôre
die Welt". Die originale wissenschaftlicheLeistung Roms war sonach
seine Jurisprudenz. Aus diesem willentlichen Verhalten des romischen
Geistesergaben sich die Lebensbegriffe,unter denen er das Universum
auffaÛte. Diese Kategorien sind Willensmacht,
Herrschaftsverhâltnis,
ein oberstes Gesetz, an welches auch die gotttiche Herrschermacht
ge.
bunden ist, und das sie dem Gewissendes Menschen
cingepf!anzt hat.
Die Gottheit übt ihr hochstes Imperium über freie und verantwortliche
Personen, die Natur ist herabgedrückt zu dem Inbegriff der Sachen,
die den Personen unterworfen sind, und von dem
verfassungsmaBigen
gôttlichen Herrscher abwârts erstrecken sich die Abgrenzungen der
WiUenssphârenin Rechten und Pflichten durch den Staat zur Familie
und bis zur Einzelperson. Eine unermcNiche
Wirkung ist von dieser
originalen Lebensansicht ausgegangen.
Und wieder eine andere Form empfing die antike
Weltanschauung,
als die benachbarten ôstlichen Vôlkerin den
Zusammenhang der helle-
nistischen Kultur und in den Verband des romischen Weltreiches ein-
traten. Nun entstand der Vcrsuch,die religiosen
Konzeptionen,in denen
diese ostlichen Vôlker lehten, in die Region einer wissenschaftlichen
Philosophiezu erheben. So emuchs ein seltsames ZwittergebHde: reli-
giôse Metaphysik,ausgerüstet und verteidigt mit den Waffen der grie-
chischen Wissenschaft. Chimâren, welche die Menschheit bis heute
gequâlt und genarrt haben: Schatten von Jcnseitigkeiten, Begriffe,
denen keine Erfahrungen entsprechcn. Die beiden
wichtigsten und um.
fassendsten unter ihnen so!!ten das re!:giose Problem
loscn, die unend-
liche Vottkommenheitder Gottheit zusammenzudenkenmit der Endlich.
keit, dem Cbel und der Schuld der Welt. Da wurde die Kindervor-
stellung der Schôpfung in eine pseudo-philosophischeFormel gebracht.
/V<~MM~M~
MM</MM<tMtf~M.VaA< 7
Die Welt entsteht aus der gôttlichen Person durch einen Willensakt,
der m seiner unbedingten Jenseitigkeit dem Kausalzusammenhangent-
nommen ist; daher die Herrenmacht Gottes nichts von ihrem Wesen
hineinzutunbraucht in das, was ihre Willkür setzt. Alte sinnlicheBilder
von Geburten und Geschlechterfolgen der Gottheiten wandelten sich
dann in den anderen halb-phiiosophischen Begriff der Emanation. Die
unendliche, reine und unfa6Uche Fülle der Gottheit entlaBt aus sich
abwârtsimmer neue Stufen der Endlichkeit, wie Lichtstrahlen,die sich
in der Dammerang verlieren. Und mit diesen beiden Truggebilden
kam ein ganzes Gefolge von Fiktionen, die sich nahrten an den Ein-
bildungen des Herzens, das denken mochte. Sie treiben noch heute~
in dem Zwielicht dieser religiôsen Metaphysik ihr gespenstigesWesen.

2.
Eine neue Generation von Vôlkem teste diese alternde Welt ab.
In ihrer Wechselwirkungentsprang nun die Kulturgemeinschaft,der
wir selber angehoren.
Die griechisch redenden Vôlker im ostromischenReich verfielen
nach Justinian und Johannes Damascenus einer voUigengeistigen Er-
einst so
starrung, und wie ein abgestorbenes G!ied loste sich diese
abend-
geistesmâchtigegriechische Welt vom lebendigen Kôrper der
!andischenKultur. Auf den Trummem des westromischenReichesaber
begannen die germanischen Heerkonige sich in neuen Staatsgebiîden
So bildete
einmrichten,und die Sieger mischten sich mit den Besiegten.
sich die abendtandische Christenheit, die Kulturwelt der germanischen
und romanischenNationen. Der Gegcnsatxgegendiemohammedanische
in ihnen
Welt, in welchem sic ihr Mitte!alter durchlebten, verstarkte
das Bewu&tseinihrer Zusammengehôrigkeit.
Ein Glaube. eine Kirche und eine religiôse Metaphysik wer-
banden diese jugendlichen Volker. !n dieser Metaphysikverknüpften
sich die groBen Lebensanschauungender Nationen, welche die Mittel-
meerkuhur gebildet hatten. Die griechische Anschauungdes Kosmos,
der romische Herrschaftsgedanke und die Jenseitigkeit der ôstlichen
Tonwerksind
Re!igiositâten:wie drei Motive in einem vielgegliederten
sie in dieser kunstvoll verschlungenen theologischen Philosophie der
mittelalterlichen Christenheit verwoben. Gott ist hier zugleich die voll-
kommeneVernunft, der machtvollste Imperator und in seinerHeiligkeit
und Jenseitigkeit der Gegenstand anterwurfiger Dévotion. Unter die-
ser Gottheit besteht die Welt als ein Reich der materiellen und ein
anderes Reich der geistigen Substanzen. Die Geschichte ist nun die
Verwirklichungder Herrschaft Gottes in der Gemeinschaftdiesergeisti-
Weltvernei-
gen Substanxen. Das Mchste Lebensideal ist die religiôse
8 Z«!~M'ft
MMf~At ~~<t/i~
nung; indcm sich die Person ihrer weltlicher, Gebundenheitentzieht, er-
wachst ihr die Kraft, jene Gottesherrschaft herbeizufuhren. Die neue
religiôse Metaphysik wird in logischen Beweisfuhrungen gegrundet,
dann wieder entrci6t sie sich ihnen, und wie sic aus den Tiefen der
re!igiosen Erfahrung hervorgetreten war, müssen zuletzt alle logischen
Begrûndungen derselben untergehen in dem Erlebnis der einsamen
Seele. Vor diesem verlierenalle Herrschaftsverhâltnisseder Kirche und
alle ScMusseder groûen philosophischen Lehrer als der Diesseitigkeit
angehôrig ihren Wert. Das ist das Ende der mittelalterlichen autori-
tativen Lehr-Religion und der Anfang einer "Freiheit des Christen-
~nenschen".
Das lange MitteMter der modemen Vôlker neigte sich vom t4.
Jahrhundert ab seinemEnde entgegen. !n der Arbeit des Denkens hatte
das Individuum seine Freiheit errungen. Zugleich aber vollzog sich
nun eine entscheidendc Veranderung in dcm wirtschaftlichen Leber.
und in den sozialen Ordnungen Europas, und diese hatte eine ganztiche
Vcrschiebung der geistigen Interessen zur Folge. Die Arbeit der
burgcrnchcn Klassenin Industrie und Handel trat als eine seibstandige
Kraft mitten in den feudalcn und !drchlichen Lebensordnungenhcrvor.
Sie gab dem Geiste die Richtung auf das Diesseits. Das Denken ver-
tk'fte sich in die Natur und in den Menschen. Die
Bedcutung der
Wirklichkeit und der setbstândige Wert von Familie, Arbeit und Staat
wurden gefühlt und anerkannt.
Das erste Werk des neuen Geistes war die Ausbildung des Stâdte-
wescnsund der groBen nationalen Staaten. tn Florenz,in Vencdig und
in dem Frankreich von Richelieu wurde die weltlicheStaatsraison zur
bcwegcnden Kraft aller politischen Handlungen. Diese Verânderung in
der Staatskunst war begleitet von einer moralischen und
potitischen
Literatur, welche den EinftuS der religiôsen Beweggriinde auf die
Handiungen der Individuenund der Staaten vermindertcund das Rccht
der neuen weltlichen
Lebensauffassung begründete. Machiavelli war
der grôStc Reprâscntant dieser neuen Richtung.
Eine andere Leistung dieser drittehaÏb Jahrhundprtc lag in der
gcgenstandtichcn Erfassung der diesseitigen Wirklichkeitin der groBcn
Kunst der Renaissance. Denn inderRegctentwickettsichderGcha!tcim'r
neuen Epoche zunachst in der bildlichen
Anschauung der Künstler.
So sprach sich das neue Verstandnisdes Lebens, des Menschenund der
Natur, die Bejahung der Werte des diesseitigen l.ebens damals mit
einer Gcwatt ohnegleichen in einer Welt von künstlerischen (.estattcn
aus. welche bis auf diesen Tag uns lehren, was die Wirklichkeit soi.
Eine letzte VerânderungvoUzogsich innerhalbder christlichenRe!i.
giositât und der Kirche. Sie machte sich zuerst in der kirchlichcn
~A~M~ 9

Aristokratie, untcr den hohen Geistlichcn und dcn Hâuptem der Uni-
versitâten geltend. Es entstand ein universaler Begriff der Gottheit
und der Offenbarung. In der Weitherzigkeit, welcheder Renaissance
entsprach, !ie6 dieser universale Thcismus alle geschichtlichenKrafte
und alle Gestalten Gottes. die philosophischen wie die religiôsen, gel-
ten. Es war die hôchste Fonn, zu der sich die religiôse Metaphysik
überhaupt erhoben hat. So trat man nun auch zu den kirchlichcn
Dogmen, welche aus engeren Vorstellungenentsprungen waren, in ein
kritisches VerhSitnis. Erasmus bezeichnet den gtanzvoHenHohepunkt
dieser theologischen Kritik. Und wie hâtte nicht zugleich diese kirch-
liche Aristokratie dem Papsttum gegenüber ihr seibstandiges Recht
und die Bedeutung der nationalen Kirchen geltend machensollen?Aber
ebenhierdurch entstand ein Widerstreit mit dem Papsttum, in welchem
die Wurdentrâgcr der Kirchc und die Hâupter der Wissenschaftunter-
lagen. So erhob sich nun von unten die volkstiimlicheBewegungder
Reformation. Luther und Zwingli, diese machtigsten germanischenPer-
snnHchkeitendes !6.Jahrhunderts. erkannten in der ganzen hierarchi-
schenDiszip!!neinen damonischen Mechanismus,we!cherder Seele den
îreien Zugang zu ihrem Gott versperrt. Sie zerbrachendiese Schranken
und gingen zurück auf das unzerstorbare Recht desMenschen.sich mit
dem unsichtbaren Zusammenhang der Dinge. in welchemer befa6t ist,
in cigener Kraft auseinanderzusetzen.Hierin nâherten sie sich wieder
dem ursprünglichen Christentum. Aber sie erfüllten es mit der neuen
Freude an den Ordnungen des Lebens in Familie, Beruf und Staat.
Jetzt fielen die Grenzen zwischen der christlichen Gemeinde.dem Volk
wie der Sprache des Volkes. und der fortschreitenden Wissenschaft.
Auf dem so entstehenden lebendigen Verhattnis dieser Krafte beruht
die ganze folgende Entwirkiung der germanischen Nationen.
Doch ebenin dem Kampîc. dcn die Rpformationentzundete. wurden
aus der katholischen Kirche jcne freieren Richtungen ausgestoBen;
die neuen Gemeinschaften selber mu6ten sich in festen dogmatischen
und kirchlichenFormrn xusammenschneOendie harten Einseitigkeiten
steigertensich auf bciden Seiten. Und so schienam Beginn des t~.Jahr-
hunderts, als die rc!igi6sen Gegensâtze überall in den groBen Kultur-
tandem sich im Kampte gegeneinander befanden. der ganze Erwerb
an neuen geistigen Werten scit der Renaissancein Fragp gestellt. Einp
SintHutvon G!aubcnshaC und ReHgionskricg.von blutiger Verfolgung
und Mindpm Dogmengtaubcn war liber Europa hereingebrochen.
Es war einer der grô&ten Wendepunkte in der Geschichte drr
neurren Vôlker. în den Wissens<haften und in dem philosophischen
Denken lag die Macht. dur<'h wctchp diese Krisis uberwanden und
der Fortschritt des pur"pâ!s(hcn Geistes ermogHcht wurde.
h
_n. "-0" _n_u. -M. Z<~ und M&)&M&r
Auch die Kultur der Mittelmcervolkerhatte einst von dem Zeit.
alter Alexandersab die Stufe erreicht, auf der die Erfahrungswissen-
schaften sich von der Spekulation toslostcn und zur Seibstandigkeit
gelangten. Sôldnerwesen,Kriegs- und Belagerungskunst, die Finanz-
und VerwaltungstechnikemporkommenderMonarchien, groBe Stâdte
und ihre Industrie,glânzendeHôfe und ihre wissenschaftlichenLuxas,
bedürfnisse alle diese Momente wirkten damals so gut als im
!7.
Jahrhundcrt auf die selbstàndige Entfaltung der Erfahrungswissen.
schaften und ihre Beziehung xum Leben. Auch entstanden in jener
bellenistischenKulturweltebenso wie in dem England, Frankrcich und
Deutschland des 17. Jahrhunderts aus den Mittcln machtiger Fursten
wissenschaftlicheVereinigungenund Anstalten in groBem Stil. Den.
noch wurde jetzt erst das Ziel erreicht, das den Alten nicht beschieden
war Herrschaft ùber die Natur und Leitung der Gesellschaft durch
die Wissenschaftenvon dem gesetzmâBigen Zusammenhang des Uni.
versums.
Es besteht eine Kontinuitâtin der geistigen Kultur, nach welcher
das Gewonnene neues Fortschreiten bedingt. So folgte
jetzt der Re.
naissanceder kunstlenschenFormensprache der Alten und ihrer
philo.
sophischen Ideen die WiedcrhcrsteHungihrer Erfahrungs~'issenschaf.
ten. Das Studium der Astronomieund Mechanik, der beschreibendcn
Naturwissenschaften,der Rechts.und Staatslehre wurde an den Punkten
wiederaufgenommenund weitergeführt,bis zu denen das Altertum vor.
geschritten war. Aber die Nationen, welchenun in das Erbe der alten
Wcit eintraten, erfaBtendie Natur mit einem krâftigeren WirMichkeits.
sinh. ïn den freien Industrie, und Handeisstâdten der neueren Volker
entstand eine innigere Verbindung zwischen der
kôrperlichen Arbeit
und dem Geisteder Erfindung. zwischendem Nutzenund dem wissen-
schaftlichenDenken. als sie unter der SHavenwirtschaft der Griechen
und Rômer moglich gcwesen~-ar. Und die Grenzedes in Formen den.
kenden griechischcn Geistes hielt diese neuen, ganz anders
gearteten
Nationen nicht zurück. Das Experiment erhielt jetzt endlich die ihm
zukommendeSteHnng. Eine wirHiche Analyse der Natur begann.
Unter allen Fortschritten des menschlichen Geistes ist derjenige,
welchenunter diesen neuen Bedingungendas Jahrhundert von
Kepler.
Ga1ilei,Descartes und Leibniz vollbracht hat, der schwerste und viel-
leicht der groBte gewesen. Der menschlicheGeist crfaGte seine Auto.
nomie. Der Fortschrittaus der Traumweltder Zauberer,
Propheten und
Priester durch das goldene Tor der kunst!erischen Phantasie in das
Land der Wahrheit immer neu batte er bci den Volkem der altcn
Welt angesetït: nun erst, auf dieser Stufe der neueren Volker, in ihrem
Xusammenwirken.ward in der Dynamik Galileis das Fundament einer
<M~WM<&<~
M<~Mf<!M<<M~<i'
wirklichenKausalerkenntnis der Natur gelegt, und sofort strahlten von
ihr nach allen Seiten Anwendungenund Folgerungen aus. Wie, wenn
die Bedingungcn erfüllt sind, in einer Flüssigkeit der Krystallisations-
proze6 sich verbreitet. Nun wurde auf allen Gebietendie wissenschaft-
liche Einbildungskraft des Menschendurch die strengen Methodenge-
regelt, welche in dem Verfahren Galileis enthalten waren. Diese Me-
thoden beruhten auf der Verbindungdes mathematischenDenkens mit
der Beobachtung und dem Experiment. Die Môglichkeiten,die in dem
mathematischen Denken lagen, wurden der Erprobung an den Tat-
sachen unterworfen. So prüfte Galilei an den Tatsachen und durch
das Experiment die MôgHchkeitenvon stetiger Zunahme in der Ge'
schwindigkeit der Bewegung. Durch ein âhnliches Verfahren leitetc
Kepler aus dem Material der BeobachtungenTychos seineGesetze ab.
Unterordnung der Erfahrungen unter quantitativ bestimmte Gesetz-
maBigkeit war von dieser Zeit ab die Methode, durch welche das
menschlicheDenken in der Physik und Astronomiesiegreich vorwârts
drang. Seitdem wurde ein einmutiges Zusammenarbeitender Forscher
auf dem Gebiete des Naturerkennensmnglich. Denn sie arbeiteten nun
alle auf derselben Grundiagc der mechanischen Einsichten und mit
denselben Methoden. Diese gemeinsame Arbeit der Forscher in ver-
schiedenenLândern hatte ein zusammenhangendesund regelmâBiges
Fortschreiten in der Naturerkenntnis zur Folge. Daher wirkte die
menschlicheVemunft innerhalb der verschiedenenKultumationen als
eine einheitliche Kraft. Sie unterwarf sich die Wirklichkeitdurch die
Erkenntnis. und wie sie nun, des Gelingens froh, von Erkenntnis zu
Erkenntnis stetig vorwarts schritt, schien sich der Zweckdes Menschen-
geschlechteserst zu enthgllen: Autonomie des Dcnkens.Herrschaftdcs
Menschenüber den PIaneten, den er bewohnt, vcrmitte!stdes Wissens,
Zusammengehôngkeit AHcr. die so am Ziel des Ganzen mitarbeiten,
<'in unaHâssiges, unaufhaltsames, stetiges Fortschreiten dem Welt-
besten entgegen.
Das Lebensgefühl der Menschheiterreichte hierdurch eine hôhere
Stufe. Das BewuBtsein erhob sich, daB die Vemunftdes Menschenge-
schlechtes eine Einheit bilde. welche durch das Zusammenwirkender
einzelnen Forscher ihr Werk vollbringt und in der fortschreitenden
Erkenntnis der GesetzmâBigkeitdes Wirklichendie Herrschafttiberdie
Erde erringen wird. So finden wir am Beginn des t8. Jahrhundertsdie
Menschenerfu!!t von dem Gedanken eines gesetxmaBigenFortschrittes
imMenschengescMecht.Das furchtbareGefuMderUnstetigkeitmensch-
lichen Tuns. das immer neu in den einzelnen Menschen, Zeitaltern
und Votkpm anzusetzen scheint, dies Gefühl eines bestandigen Kreis-
laufes von Geburt, Wachstum und Untergang in Individuen und in
!2 Z«~& und M< ~M~
Vdkem erfuHte alles Dichtcn und Denken der attcn Welt; auf der
Hohe der gricchischen Kultur. in diesen von
Tempeln, Statuen und
dem Klange der Chorlieder erfüllten Stâdten hat der Mensch das tra-
gische Gefühl von Unbestândigkeit und ZieUosigkeit seines Lebens
nie zu Sberwinden vermocht: nun erst, am
Beginn des t8. Jahrtnm-
derts, findet er in dem Fortschreiten der Menschheit,dem Weltbesten
cntgegen, ein Ziel, das nicht in Eingebungen von Propheten und in
Gottcsgesandtschaften oder in den Gesichten der Dichter, sondem in
erweisbarer Erkenntnis gegeben ist. Es- war ~'ie eine nette
Religion.
Die Naturwissenschaften und ihre Anwendungen auf das Leben
beherrschen das Jahrhundert. Der Gesichtskreis der Menschenhat sich
auSerordent'ich erweitert. Unser Sonnensystem ist nur eines unter den
unzâh!i~en Systemen, welchedie Welt ausmachen. Das physische Uni-
versum ist uberal! gleichartig, unveranderHchin seiner Masse und von
densdhen Gesetzen an jeder Stelle des Raumcs beherrscht. Die sinn.
lichen Quatitâten, welchean den Kôrpem auftreten, ats Licht und
Farbe,
Temperatur und Ton. sind nur Erscheinungen, die in unseren Sinnes-
organen entstehen; in Wirklichkeit gibt es in dieser physischen Welt
keine anderen Unterschiede als die von Gro&e, Gestalt und
Lage, von
Dichtigkeit, Ruhe und Bewegnng. Daher ersch!ie6t die Erkenntnis der
Bewegungsgesetze dem Jahrhundert die Aussicht, alle Art von Ver.
anderunp: in der Korper~'p!t !:u crk!aren. Die physischen Vorgange
bilden einen einmütigen Zusammenhang. welcher der
Rechnung und
der Messung. der Beobachtung und dem
Experiment aHmâMichzu'
gang!ich gemacht werden wird. So eroffnet sich von der Erkenntnis
der wahren Struktur des Sonnensystemsaus der
Weg zu einer erkiârcn.
den Theorie desselben. Die mechanischen
Grundvorstellungen werden
allmdhlich verwertet für das Verstandnisder Erscheinungen von SchaH
und Licht. sowie der Vorgange des Bjutumiaufes und der
Sinnesemp-
findungen im tierischen Kôrper. Aus diesen Fortschritten des Wissens
entspringt eine zunehmende ~hcht des Menschen uber die Natur.
Denn die Einsicht in die Gesetzlichkeit,nach welcherin der
physischrn
Welt die Bewegungen verknüpft sind. gestattet.
Wirkungen in ihr her-
vorzubringen. zu hindem oder doch vorauszusehen.
Die andere Aufgahe. die sich die Wissenschaft des Jahrhunderts
stellte, vermochte sic in diesem Stadium der Erfahrungserkenntnis noch
nicht endgiHtig aufzulôsen. Sie untemahm es. aus
Prinzipien der Ver-
nunft eine rationale Rerhts- und Staatsordnung abzttletten. Das Natur-
recht, welches sich diese Aufgabe setzte, war in seinem Ansatx ein
auBerordentHcher Fortschritt. Das Denken geht auch hier hinter die
Fonn und die Struktur zurück:es will die Kmftp erfassen. durch wc!che
die rerhtlkhen Ordnun~cn der GescHschaft
hervorgebracht werden.
~<M~)~y<M!~ '3
Diese Krâfte sind die Seelenbewegungender einzelnenMenschen,ihre
Triebe und ihre Leidenschaften. Denn alles Denkendientnach der gro-
Ben Erkenntnis dieser Epoche nur dem Willen, der im Zusammen-
stoO der Interessen sich zu behaupten strebt. Das Materialeiner Lchre
von den Gemutsbewegungen fand sich bei den Alten; aber nun erst
wurde daraus eine wissenschaftlicheTheorie geschaffen. Hobbes und
Spinoza haben zuerst die Gesetz!ichkeitin den Bewegungendes Seelen-
lebens aufzuzeigen untemommen. Sie haben mit einer rucksichtsiosen
Energie, die in nichts hinter Feuerbach oder Nietzschezurückblcibt,
die christliche Askese bekâmpft; Demut, Mit!eidund Reue verurtei-
]en sie als ~linderungen der Kraft: in der Behauptungdes eigenen Da-
seins, in dem Machtwillen der Person erfassen sie die hôchste VoU-
kommcnheit des Menschen. Und ihre Formeln sind nur der hârteste
Ausdruck für jene Verehrung von Kraft und Natur, welchedie grôBten
Kôpfe der Zeit durchdringt.
So entsprang in dem Naturrecht die Richtung auf den Schutz der
Interessen des Einzelwillens. Die Rechts- und Staatsordnung muSte
sonadt als das Mittel der Vemunft begriffen werden, den Frieden der
Gesellschaft und die souverane Macht des Staates zu sichem und zu-
gleich so vie) von der Freiheit der einzelnen Personen zu bewahren,
a!s hiennit vertraglich war. Es lag doch eine vorwarts drangendeKraft
von der groBten geschichtlichen Bedeutung in den naturrechtlichen
Lehren, die so entstanden sind. Aber geschichtsloswie sie waren, ohne
Kenntnis der wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhange,die sich
zwischen den Individuen und den Rechts- und Staatsordnungen er-
strecken, ohne Anerkennung der naturgcwachsenenVerschiedenheiten
der Nationen, haben diese ~ehren nur so lange nûtziich gewirkt, aïs es
galt, veraltete Institutionen aus dem Wege zu râumea. Sie haben die
Ausbildung der groûen Monarchien und die Durchführung der ein-
heituchen Staatsmacht in ihnen unterstützt, und sie haben zugleich den
Rechts. und Wohlfahrtsstaat des !8. Jahrhunderts vorbereitet. Ihre
Funktion war nur vohibergehend, wie ihre wissenschaftlicheBegrun*
dung ungenügend war. Doch schon bildeten sich neben ihnen in der
gro6en Philologie dieses Jahrhunderts die Hilfsmittelund Instrumente
der historischen Kritik aus, welche ein neues Stadium der Geistesr
wissenschaften ermoglichen sollten.
Und wenn nun nach der wissenschaftlichenVenuchtung der in-
ha!t!ich einmütigen theologischen Metaphysikaus dem Chaos von phi-
losophischen Môgtichkeiten und Ansâtzen von neuem mâchtige phi-
losophische Systeme sich erhoben, so erhielten doch auch diese in der
Erkenntnis des mechanischen Zusammenhangesim Unnersmn eiuc gc-
meinsatne wissenschaftHcht' Grundlage, und durch den letzten und
J4_ _L'~L~'j~
grôûtea Metaphysikerdes Jahrhunderts, Leibniz, empfingen sie in dem
Begriff der Solidarit&tund des Fortschrittes im Menschengeschlecht
durch die Aufkiârung ein neues, allgemeingültiges Zid.
Die uralten Ideen von Lebenskraften in der Natur und die bild-
lichen Vorstellungen, welche die antike Kultur von einem jenseitigen
Zusammenhang entwickeltbatte, traten nun aus dem Gesichtskreisder
wissenschaftlichenKôpfe und lebten nur in den niederen Regionen
einer ruckstândigen Bildung fort. Das Universum selber war der
Gegenstand dieser PhiLosophen.Der seibstândige Wert aller seiner
Telle, im Gegensatzzu der engen Beziehung aller Dinge auf den Men-
schen als ihren letzten Zweck,war die Grundstimmung der neuen Meta-
physik. So war auch unter den Problemen, welche dieselbe nun aufzu-
losen strebte, das vomehmste von der Erfahrungswissenschaft aufge-
geben, und es batte den Zusammenhang in der Wirklichkeit selberzum
Gegenstande. Wenn das physische Universum ein in sich geschlossener
Medtanismus ist, in welchem Masse und BewegungsgrôBe sich weder
vermindern noch vennehren, welches Verhaltnis haben dann zu diesem
die gcistigen Tatsachen?
Descartes behauptete den alten Idealismus der Freiheit, indem
er unabhangige geistige Substanzen festhielt, deren freies Handeln in
Wechselwirkung mit den Bewegungen des Stoffes steht. Ein Stand-
punkt, in welchemuniôsbare Schwierigkeiten enthalten waren. Hobbcss
gab dem Materialismus seine erste moderne Fassung: die geistigen
\'organgc sind ihm das Erzeugnis der physischen Prozesse. Auch in
dieser VorsteUunglagenSchwierigkeiten, die eineUmbildung forderten.
Spinoza erhob von dêmselben Problem aus den Pantheismus der
altcn Welt zu einer neuen Form: jeder geistige Vorgang ist einem phy'
~ischcnzugeordnet, und Ausdehnung und Denken sind nur die Grund-
eigeuschaftcn dcrsclbcn gottlichcn Substanz. Der letzte dieser groûen
Uenker des Jahrhunderts, neben Descartes der erfindungsgcwaltigste
unter ihnen, toate dasselbe Problem durch den ganz neuen Begriff von
der Phânumenalitat der gesamten physischen We!t. Das Universum
war für Descartes zusamniengesetztaus zwei Klassen von Substanzen,
für Spinoza war es eine SubstaM in zwei Erscheinungsweisen, Hobbes
faCte die geistigen Tatsachen als Erzeugnisse der physischenWett, und
nun crgriff Leibniz die letzte unter den groUcnMôgtichkcttcn. indem
cr diesen ganzen physischen Zusammenhang als ein Phânomen auf'
fa~tc, das in unraumiichen seelischen Lebenseinheiten gegrùndet ist.
Metaphysik, dieses delgestaltige Zwtschenwescn, das an den Konfi-
nien der vom Gemut bestimmten Einbildungskraft und der aHgcmem'
gültigen Wissenschaftwohnt, schien so zuerst doch an cincn bestimm-
ten Krcis von Mugtichkeitengebunden werden zu kônncn.
~<y<M~Mt<M ~~M. M~fJM~ t~AM _t5
3.
Soweit wir die Kultur des Menschengeschlechteszurück verfolgen
konnen, finden wir Gemeinschaften,in denen ein Zusammenwirkenfür
die Zwecke der Wissenschaften bestand. Die atteste der mit der Wirk-
lichkeit beschâftigten Wissenschaften, die Astronomie, forderte ein sol-
ches Zusammenwirken. In den Pricsterschaften des Ostens waren Ver-
einigungen gegeben, welche gemeinsame Arbeit ermoglichten. Hier
wurde die Mathematik gepflegt, und auf den Sternwarten von Agyp-
ten und Babylon waren diese Priesterschaften mit der Astronomie be-
schaftigt. In dem Bunde der Pythagoreer setzte sich die gemeinsame
Arbeit an den Aufgaben der &îathematik,Astronomie und Spekulation
fort. Die von Platon begründete Genossenschaft war vomehmtich auf
eben dieselben Wissenschaften gerichtet, und sie zuerst war von allen
rdigtôsen und praktischen Beziehungenlosgelost; von ihr stammt auch
der Name "Akademie". Die Renaissance rief dann zunachstin Italien
solchc Gelehrtenvereine zur Forderung der Wissenschaft in gro6er
Zahl hervor, unter denen die Platonische Akademie in Florenz die be-
rührntestewar. Und âhaliche Gründungen in anderen Lândern
folgten.
Sie sind alle untergegangen, diese âheren Gesellschaften. Demi
die Aufgaben, die sie sich stellten, waren entweder an
religiôse Ge-
mcinschaften gebundcn, oder sie waren mit der Vertretung einer be-
stimmten Metaphysik verknüpft, oder sie standen auch mit vorüber-
gehendenZwecken in Verbindung, die der Kultur einer Stadt oder eines
Landes dienten.
Erst das t7.Jahrhundert hat die Bedingungen geschaffen, unter
denen die modernen Akademien stehen. Denn erst dicses
Jahrhundert
brachte in der mechanischen Naturerkenntnis eine Wissenschaft her-
vor, welchedurch ihre Hegrûndung auf die Sâtze der Mathematikund
durch ihre Verwertbarkeit für die Zwecke der Technik den vollen Cha.
rakter der AiJgemeinguhigkeit bcsaû und den bestandigen Fortschritt
der Kultur. verbürgte.
Zwischen den wenigen Personen, welche dieser ncuen Wisiienschaft
ihr Leben widnieten, bestand ein Zusammenhang, der durch keine
Grenze von Sprache und Nation eingeschrankt war. Sic bildeten eine
neue Aristokratic und fühlten sich als solche. Wie vordem in den Zeiten
der Renaissance Humanisten und Künstler sich so gefühlt hatten. Die
latcinische und dann die franzôsische Sprache emiôgiichten die lcich-
teste gegenseitige erstândigung, und sie wurdcn das Instrument ciner
wissenschaftlichen Weltliteratur. Paris war schon um die Mitte des
t7. Jahrhunderts der Mittelpunkt des Zusammenwirkcnsder Denker
und Naturforscher. Dort tauschten Gassendi, Mersenne und Hobbes
ihre Ideen aus, selbst der stolze Einsicdler Descartes trat zcitweise in
t6 /~M ~'tt ~<&

diesenKreis, und eineAnwesenheitinParismachteEpocheindetnLebeo


von Hobbes und dannin dem von Leibniz denn beide sind dort von dem
Geiste der mathematischen Naturwissenschaftenergriffen worden.Dann
wurde London ein anderer Mittelpunkt. Me Universitâten standen seit-
ab. Sie lebten in der Tradition der aristotelisch-scholastischen
Bildung,
unter dem Zunftzwang ihrer Statuten und unter der Herrschaft der
Jesuiten oder der protestantischen Kirchenordnungen. Es war eine
Ausnalune, wenn Galilei als Professor an der Universitàt in Pisa unter
dem Schutze der mediceischen Fürsten und dann in Padua unter dem
der Republik von Venedig seinen groÛen
Entdeckungen leben durfte.
So tnu&te aus der umfassenden Bewegung des naturwissenschaft-
lichen Geistes das Bedürfnis entstehen, das Zusammenwirkenfür den
Fortschritt der Wissenschaften, wie es sich gebildet hatte, zu
regeln
und zu sichern. Das Zusammenwirkenvieler ï'ersonen zu einem Zweck-
zusammenhangist immer der Antrieb zur JBiidungeiner âuCerenOrga-
nisation, welche dieses Zusammenwirken dann in eine rechtUch ge-
regcttc Form bringt. So geschah es auch hier. Die Naturforscherhatten
das Bedurfnis, ihre Entdeckungen und ihre mechanischen
Erfindungen
cinander mitzuteilen. Man wollte sich durch solche
Mitteilung oft auch
die Prioritât für das Gefundene sichern; denn in
Zeiten, in denen
aus neu entdeckten Prinzipien und Methoden überall die
Fotge-
rungen gezogen werden, liegen dieselben Erfindungen und Ent-
deckungen in der Luft und Prioritâtsstreitigkeiten entstehen. Man
strebte ferner danach, sich zu Verôffenttichungen zusammenzutun,da
das Publikum für solche Fragen noch klein war. Vor allem
aber, man
atbeitcte ui dem BewuBtsein, daB nun alles, was der Einzelne hervor-
hrâchte, ein Stein sei zu dem einen grol3enGebâude einer Wissenschaft,
die tosge!ost von allen Traumen individueller oder scholastischerMeta-
physik die Erforschung und Beherrschung der Natur nach evidenten
Prinzipien und Methoden vollbringen werde.
Die Sozietaten, die so an verschiedenen Orten
entstanden, waren
zunachst private Vereinigungen. Aber es war doch in der Natur der
Dinge begründet, daB diese Gesellschaften in der Regel sehr bald zu
den gro&en Hofen und Staaten in Beziehung traten und sich in ôffent-
liche Anstatten verwandelten. Diejenigen von
ihnen, welche diese Ent'
wicklung nicht volizogen, haben sich nach einigen Jahren kümmer-
lichen Daseins wieder aufge!ôst. Die
spâteren Akademien sind dann
meist von vornherein als Staatsinstitute
geplant undeingerichtet worden.
Denn einsam und hilfios standen einstweilen die Manner,welche
die groBe geistige Revolution des t;.
Jahrhunderts heraufgeführt
)<ab<-n.m ciner Wdt, in der noch überall die Scholastik der Kirchen
die KuMrot~ ubf~rdie \iss<'ns<:haft
behauptete und die dusterp Reti.
~<!<&WM<t
Die<Mt&~MM '7
giositât der Massen oder die Schwâchedes Staates die Machtsprûche
dieser Gewalten bereitwillig vollstreckte. Giordano Bruno wurde ver-
brannt, Campanellaverbrachte die Blüte seines Lebensim Kerker der
Inquisition,Galilei hat als ihr Gefangener geendet. Kepler hat seine
aïs Hexe angeklagte Mutter verteidigen müssen und erlag der Not
und der Anstrengung in den Wirren des gro6en Krieges. Descartes,
vornehmund vorsichtig in seiner Lebensführung wieer war, Iie8 sich
durch das SchicksalGalileiswarnen und unterdrücktedie Schrift über
den ,,Kosmos",an der er arbeitete. In den Niederlandenfand er dann
die Ruhe und die Sicherheit, deren er bedurfte. Dort bat auch Spinoza,
aus der ReUgionsgemeinschaftseines Volkes ausgestoBen, unange-
fochtengelebt. Aber wieder doch nur in der tiefsten Zurückgezogen-
heit, in engen Beziehungenzu den gleich ihm verfolgten Mennoniten
und Anninianem und auf den Verkehr mit einigen wenigen Gonnem
und Schülembeschrânkt. Gegen seinen theologisch-politischenTraktat
richtetensich die verdammendenBeschlüsseder weltlichenund geist-
lichen Kôrperschahen der Republik, und als nun gar auf das libérale
Regimentder De Witt die neue Herrschaftder oranischcnPartei folgte,
sah er sich veranlaBt, den Druck seiner Ethik zurückzuhalten. Selbst
Leibniz,der so weit giug, die Lehre von der Transsubstantiationdurch
besonderetheologische Kunstmittel zu begründen, fand sich allerorten
von dem Argwohn der Gcistlichkeit umgeben. SeineStellung in Ber-
lin und mit ihr die Akademie, die er hier stiftete, habenoffenbar auch
unter diesemVerhâltnisgelitten. Und wenndie Windedie mâchtigsten
Stammebogen und brachcn, wie hâtten schwâchereWiderstand leistcn
kônnen? In den Lebensbeschreibungender Gelehrten,die es mchr oder
mindermit der neuen Naturwissenschafthielten, kehrt das Mârtyrer-
kapitelder Anklagen und Verurteilungen,der Verbannungenund Ver-
folgungenwegen Hâresie und Atheismusimmer wieder,bis zum Ende
des t~.Jahrhunderts und darùber hinaus.
Aber darin lag nun das Alomentder neuen Zeit, daB die moder-
ncn Staaten, voran die emporstrebenden Monarchien.sich tnit diesen
Mannetn innerlich verbunden fühlten und ihnen einen Rückhalt ge-
wahnen, dessen die philosophischen Ketzer des Mittetattcrsentbehrt
hatten.Und das hcfische BedürfnisliterarischenGlanzeswar doch nicht
das einzige Motiv, auf dem diese Unterstutzung beruhte. Indem jetzt
der Staat sein eigcnes Interesse erfa0te,stdhe cr sich ~bcrdieSchranken
der Konfessionenund auf den Buden der religiosenDuldung. Es kam
hinzu. daB die Spahung der universalen Kirche des Mittelalters und
dann die Erfahrung eines jahrhunderttangen Kampfes die Autoritat
aller dogmatisch g<'bun(tcnenReligion crschuttert und das Bewuf~t-
sein der Zusammengchorigkeitm der a)!ge!neinenIdee des Christcn-
t'tttbfy,Gt'm:mt)tf
Schnfht)
tll 9
'S_ Z<~M&und soin ~<~
tums geweckt hatten. Eine neue lange Folgc von Vcrsuchenzur Wie-
dervereinigung der getrenntcn Bekenntnisse setzte cin. Tendenzen, in
deren Zusammenhang nun auch die neue Wissenschaft anerkannt
werden muBte. Umsomehr'als die Idee der Toleranz auch ihre Vor-
aussetzung war, so daH nun gerade die Philosophen bei allen ireni-
schen Bestrebungen die Wortführer und Unterhândler machten. Das
Wichtigste aber war doch, daC die neuen Staaten in dem Machtstreben,
welchessie allenthalbenentfalteten, auf die kraftigste Fôrderung aller
wirtschaftlichen, moralischen.und intellektuellen InteressenihrerUnter-
tanen angewiesen waren. Und hierfür bot sich ihnen in der jungen
Naturwissenschaft das wirksamste Instrument. Sie gehorten xusam-
men, der moderne Staat und die moderne Wissenschaft,und die Aka-
demien wurden jetzt die Organe, durch welche dieser Bund zum Aus-
druck und zur Wirkung gelangte. Darin liegt die historische Be-
deutung dieser Anstalten für das Jahrhundert vom westfâlischen
Frieden bis zur Thronbesteigung Friedrichs des GroBen. Wie das
zucrst Voltaire in seinem Zeitalter Ludwigs XIV. erkannt und ent-
wickelt hat.
Auf diese Weiseist zuerst die Royal Society in London entstanden.
Sie entsprang aus einem solchen Privatverein von Naturforschem, der
sich !645 oder schonfrüher gebildet hatte und jetzt von dem restau*
riertcn Kônigtum der Stuarts zu einer Staatsanstalt erhoben wurde.
Derselbe Geist der neuen Naturwissenschaft und ihrer Verwertung für
die Kultur, welcherim Lande Bacons die erste moderne Akademic ge-
schaffen hatte, ist dann auch ein paar Jahre danach, !666, in Frank-
reich die bewegendeKraft bei der Grundung der ~-<M~M/<' des Scien-
ces durch Colbert gewesen. Aus Interessen ganz anderer Art war schon
früher die Académie /M~(-<!Mc entstanden. Auch sic hatte ihren Ur-
sprung in einer PrivatgescUschaft,die in literarischenBeschâftigungen
lebte; RicheHeu wandeltedièse t635 in ein Staatsinstitut um, in wel-
chem seitdem die vierzig Unsterblichen die Wache tiber Sprache und
Literatur hatten. Colbertwurde dann auch der Gronder âhntichor An-
stalten für die ktas~chen und historischen Uisxiptinenwie für die bi
denden Kunste. Alle diese Institute haben darauf nebcneinander bc-
standen, bis die alles regulierendc Revolution die getrennten Korper-
schaftcn in dem de ~<i'~<? zusammenfaOte.
So bestandenals Trager des neuen mathcmatisch-naturwissenschaft-
lichen Geistes zwciAkademienin Europa zu der Zeit, aïs Leibniz Pro-
jekte in derselben Richtung auszubilden begann. In dieselben sech-
ziger Jahre, in welchen Karl I!. die Society und Colbert die
Jr~</<<' ~t .Sf/~tM gestiftet haben, fallen auch seine ersten Ent-
würfe.
j~MMMtHMtM
1)er<~W<Mt< '9
4.
Langsam und mühsam war in Deutschland der Boden für solche
Plane und Untemehmungen vorbereitet worden.
Wie in Italien, so batte das Zeitalter der Renaissanceauch im Nor-
den der Alpen den Sinn für die Wirklichkeit, die Freude an der Natur
und an dem Menschen und seinem Schaffen erneuert. Denn der Zu-
sammenbruchder transzendemen Metaphysik des Mittelalters und die
gewaltige Ver&nderungder industriellen, sozialenund politischenVer-
hahnisse haben m beiden Lândern m derselben Richtung gewirkt. So
hatte man sich auch in Deutschland mit dem ganzen Eifer für ein
neues Lebensideal der Rezeption der antiken Philosophie und Erfah-
rungswissenschaftund ihrer Weiterbildung durch eigene Spekulation
und Forschung zugewandt, und die engen Beziehungen,welchezwischen
den Lândem diesseits und jenseits der Berge bestanden, sorgten dafür,
dafi diese Studien immer neue Anregungen erfuhren.
Die Ansicht, daB dieser deutsche Humanismus in den Stürmen
der Reformation untergegangen sei, ist lângst überwunden; sie gehôrt
nur noch zu dem Rüstzeug einer einseitig ultramontanen Geschicht-
schreibung. Die Zeiten seiner freien Entfaltung und kampffrôhlichen
Siegeszuversichtwaren freilich vorüber. Er flüchtete sich unter das
schûtzendeDach der neuen Landeskirchen und in die nahrenden
Stellen, welchedieselben zu vergeben hatten, indem er das Bekenntnis,
auf dem sie beruhten, unterschrieb. Aber wie er dem Werk der Refor-
mation in ihren ersten groBen Tagen den unvergangtichen Stempel
seiner Weltfrohuchkeit aufgeprâgt hatte, so bewahrte er nun auch in
seiner neuen verborgenen Stellung. mitten in dem Zeitalter der dog-
matischen Streitigkeiten und religiôsen Kriege, sein Wesen und sein
Ideal. Denn er âuHerte nur eine seiner Seiten, wenn er in diesem
Jahrhundert den Bctricb der klassischenStudien auf den Universitâten
und Gymnasien des protestantischen Deutschiands refoîmiert hat. Aus
Professoren, Geistlichen und freien Gelehrten aller Art, vomehmen
Herren und einfachen Bürgerlichen, setzte sich vielmehreine über ganz
Deutschland verbreitete Gemeinde zusammen, in welcher die Ge-
dankcn der Erforschung der Natur bis in ihre letzten geheimnisvollen
Zusammenhânge und der Verwertung dieser Erkenntnis für die prak-
tischen Aufgaben dieser Welt und für die Entfaltung einer neuen Tu-
gend und Religiositât fortlebten und fortwirkten.
Auf andere QueIIcn, die Tiefen der deutschen Aîystik,gingcn die
Religiositât und die Spekulation der reformatorischen Sekten zurück.
Die mâchtige Bewegung, die hier empordrângte, war in den Formen
und Dogmen der mittelalterlichen Kirche nicht zu ihrem vollen Recht
gekommen: sie fand es auch nicht, als die neuen Kirchen sich kon-
t*
20 Z~t& «~ soin~<
solidierten, und ging wieder ihren eigenen, durch bittere Anfcch*
tungen und blutigc Verfolgungen bezeichneten Pfad. Bis sic am Ende
den offenen Kampf aufgab und sich nun mit dem Humanismus
zustiller,
vorsichtiger und doch zaher und wirksamer Opposition gegen die herr*
schenden Gewalten verband.
ïn dieser Schicht geistigen Lebens, die so in dem Deutscliland
der Reformation und Gegenreformation unter der Oberftâche
lagert,
haben sich nun Vereinigungen und Genossenschaften
gebildet, welche
den Einzelnen in ihrer vielfachen Zerstreaung und
Gefâhrdung einM
Rückhalt gcwahren und durch gemeinsame Arbeit im Dienste der
Wissenschaft und Tugend die herrschenden Anschauungen und Ord*
nungen umgestalten wollten. Es waren mehr oder weniger Geht;im.
bünde, mit dem ganzen in solchen Fâllen überall wiederkehrendcn
Apparat von Zcichen und Symbolen, Formelkrarn und Stufenglicde.
rung. So hatten sie ihre nâchsten Vorbilder in den Gilden und Zünften
und noch mehr in den reUgiosenOrden und Sekten des
spateren Mittel-
alters, und oft mag zwischenihnen und sokhen âlteren Genosscnschaf-
ten ein unmittelbarer Zusammenhangbestanden haben. Sie waren über
ganz Deutschland verbreitet und standen in vielfachen Beziehungen zu
den zahlreichen Akademien, welche die Renaissance in Italien hervor.
gebracht batte. Auf der andem Scite reichten ihre Verbindungen nach
den Niederlanden und weiter bis nach England. Ihre
Mitglieder fanden
sich in den verschiedensten Lebenskreisen und hielten sich SuBerlich
zu den verschiedensten Bekenntnissen. Aber wie sie nun ihre letzten
Tendenzen vor den Spaheraugen der offiziellenGewalten
sorgfâMg ver.
bergen muGten, stellten sieallenthalben die Idee der religiosen Toteranz
in den Vordergrund ihrer Bestrebungen. Das führte ihnen
jetzt die
wachtende Masse aller derer zu, die für ihren Glauben leiden rnuBten.
Und it. dem schuldvoll traurigen Gange, den die
Kirchengeschichte
unseres Volkes gcnommen batte, lag es begründet, daB es sich hier
im wesentlichenum Bekenner der reforniierten Lehre handelte. So er-
Mart sich die Tatsache, daB in den ~!itglieder!isten dieser Vercine, so
weit wir dieselben wiederherstellen kônnen, das reformierte Elément
oft entschieden uberwiegt, vor allem auch in der Zahl der führenden
Personlichkeiten. Die erstcn Ereignisse des dreil3igjâhrigen Krieges
brachten es dann mit sich, daC die Exulanten aus Hohmen, Mâhren
und Schlesien ein anderer charaktergebendcr Bcstandtcil in diesen Gc-
sellschaften wurden. Die gfôBte von ihnen, der
,,Pa!mbaum", besaM
auBerdem gleich seit ihren ersten Tagen ein gewisscs Vcrhâttnis zu
dem rcformierten Hcmcherhausc der Hohenzo!ïern. Die Namen der
brandenburgischen Adeisgeschteehtcr sind in ihren Listen auffallend
stark vcrtretcn, wie dcnn noch !6~4 der gro~e Kurfürst selber ihr
Z~&~f~~M~MA~/M~M'
Geschlecht
Mitglied gewordenist. Dem entspricht, daBsic kein einziges
aus dem lutherischen Sachsen zugelassenhat.
Eine gemeinsame Grundstimmung beherrschte alle diese Vereine:
das tiefe Gefühl, daS die Schôpfung in allen ihren Teilen gottgewollt
und gottbelebt sci. und daB der Mensch durch die innige Versenkung
in ihren Zusammenhang und durch die energische Erfüllung seiner
diesseitigen Pflichten alles erreichen werde, Macht und Weisheit, Glück
undTugend, Gottescrkenntnis undGottesse:ligkeit.Naturphilosophische
und theosophischc Spekulationen verbanden sich in ihnen mit nihnger
ArbeitsfrôMichkeit, hochgespanntem NationalbewuBtseinund unend-
licher Menschenlicbe xu einer Lebensstimmung,in welcher sie sich
über die Engen und BrutaHtâtender sie umgebendenWelt weit erhaben
fühlten und den Glauben nâhrten, daB die Zukunftihnen gehore. Unter
den besonderen Aufgaben, die sic sich setzten, stand bei den einen die
Pflege der deutschen Sprache und Literatur an der Spitze; wie diese
Bestrebungen allerorten zu den Eigentumiichkeiten des Humanismus
gehôrt hatten. Andere beschâftigten sich intensiver mit Mathematik,
Physik und Technik. So die vielberufenen alchymistischenGesell-
schaften, welche namentlich in den groSeren Reichsstadtenblühten, in
engem Zusammenhange mit dem hier heimischen Kunsthandwerk.
Neben dem losen Kontingent der Betrüger und Betrogenen zaMten
sie doch auch sehr achtbare Mitglieder. Einer solchenalchymistischen
Genossenschaft,die in Nürnberg ihr Wesen trieb, hat der junge Leib-
niz als Sekretâr gedient, und zwei ihrer Mitglieder sind spâter in die
Akademievon Berlin eingctreten. Und wie nun alle diese Manner auf
die Zukunft hofften, wandten sic früh ihr Interesse dem Problem zu,
Ziel und Methode der Jugenderziehung nach ihren Idealen zu refor.
mieren. Johann Valentin Andreae hat in diesen Gesellschaften eine
groGe RoHe gespielt. Comenius hat auf ihrem Boden seine pâdagogi-
schen Gedanken entwickeltund deren Verwirklichungeinmalvon einer
allgemeinen Vereinigung dicser Sodetaten erwartet; seine zunachst nur
handschriftlich unter den gteichgesinnten Genossenverbreitete Schrift
,,Weg des Lichtes" entwickeltedas Bedürfnis einer solchenuniversalen
Organisation und die Mittel, wie sie herbeigeführt werden kônnte.
Diese Verbindungen sind seit der Mitte des Jahrhunderts a!l-
mahMchuntergegangen. vielfach ohne eine Spur ihres Daseins zu hin-
terlassen. Denn das cxakte Stadium, in welches die Erfahrungswissen-
schaften nun eintratcn, erzcugte anderc Organisationen, mit groBercn
Ansprüchen und groBeren Erfoi~cn. Einige wenige haben sich be.
hauptet, indem sie sich jetzt ganz auf ihre deutschtumeindenBestrebun-
gen zuriickzogen. Fur die intcllektuelle Entwicklung unseres Volkes
aber bleibt es der schone Ruhm dicser Gesellschaften, da6 sie den
:a Z~<MeM«~MM&«/Ar
Sinn für das Studium der Wirklichkeit und den Glauben an eine
hierauf gegründete, von aller Kirchenscholastik befreite Kultur wach
gehalten haben, bis sic ihr Amt an die modernen Akademien ab-
geben konnten. Und deutliche Bcziehungen fûhren von ihnen zu die-
sen hinûbef.
Die ersten Einwirkungen dcr neuen Wissenschaft des t~. Jahr-
hunderts auf das geistige Leben des dcutschen Volkesfallen noch in die
Zeiten des groBen Krieges. Joachim Jungius eignete sich die Lehren
Bacons an, und der scharfsinnigc ~tathematîkcr und Logiker suchte
schon die Einseitigkeit, an welcher das Werk des groBen Englanders
litt, auf den Wegen Keplers und Galileis zu korrigieren. Und er hat
nun auch als Professor in Rostock t6z2 eine leider nur zu kurzlebige
Sozietat gestiftet, aus deren Programm uns zum ersten Mal der frische
Luftzug der ncuen Zcit entgegenweht. ,,Der Zweck unserer Vereinigung
soll allein der sein, die Wahrheit aus der Vemunft und der Erfahrung
sowohlzu erforschenals sic, nachdem sie gefunden ist, zu erweisen,oder
alle Wissenschaften und Kùnste, welche sich auf die Vernunft und Er-
fahrung stützen, von der Sophistik zu befreien, zu einer demonstrativen
GewiBheit Mruckzufûhren, durch eine richtige Unterweisung fortzu-
If
pflanzen und endlich durch gluckliche Erfindungen zu vennehren,
Ein Zeitgenosse des Jungius, Matthias Bernegger, hat dann die
Schriften Galileis ubertragen und durch seine vietfâltigen Verbindungen
mit den deutschen NaturphHosophenund ihren Vereinen offenbar da-
hin gewirkt, da& der Geist der Wissenschaftlichkeit diese Kreise hun
immer tiefer durchsetzte.
Der Siegeszug des modemen Geistes auf deutschem Boden be-
ginnt doch erst mit der zweiten Hâifte des Jahrhunderts.
Zunâchst wurde der Cartesianismus aufgenommen. Holland, seine
Heimat, war in der Regel auch die Stelle, von der seine Verbreitung
ausging. Hier war ein reformierter Prediger in Amsterdam, Balthasar
Bekker, ciner seiner ersten Propheten und ~lârtyrcn Sein Buch
über die ,,bezauberte We!t", welchesnun den langen Kampf gegen den
Dâmonenglaubenerôffnete, hat in Deutschland tief gewirkt. Thotnasius
bekennt, daB ihm dasselbe den krâftigsten AnstoB gegeben hat, und
Semler hat noch t~ t eine Gbersetzungund Bearbeitung fur zeitgem&Ë
gehalten. Denn das Buch ist eine der wirksamsten Waffen des prote-
stantischen Rationalismus gewcsen. Die wissenschaftlichen Reisen, die
in diesem Zeitalter den rege!ma8igen AbscHuB der akademischen Stu-
dien bildeten, hattcn, wie sie sich vorzugsweisenach den Niederlanden
richteten. weitere Reruhrungcn zurFo!ge. Und su nistete sich die neue
,,geometrische" Methodenun auch auf den deutschen Hochschulenein:
wie es naturlich war. untcr <!cmheftigsten Widerstande der Fakuhâtcn~
und /?M<-<~<!MDfM&~AM~
<J<t/)&M 23

die an Aristoteles, Thomas und Melanchthon festhielten, tausendmal


widerlegt, verdammt und verfolgt und doch nie unterdrückt. Diekleine,
nun langst vergessene Universitât Herborn konnte in jenen Tagen den
Ruhm beanspruchen, daB sic seit ihrer Gründungdurch die reformierten
Grafen von Nassau-Dillenburg immer die Hochburg alles Neuen und
Radikalen gewesen sei. Hierhatte einst AlthusiusseinrevolutionaresNa-
turrecht entwickelt; hier wurde jetzt das neuefranzôsischeSystemzuerst
rezipiert, schon 16$!. Und von Herbom ging auch der sdbstândigste
deutsche Cartesianer aus, C1 a u b e r g, der nun diese Gedanken an die
în Jena be-
junge brandenburgische Universitât Duisburg verpflanzte.
handelte Erhard We i g e 1, zum bestandigen Entsetzen seiner Kollegen,
nicht nur die Naturwissenschaften, sondem auch Moïal, Recht und
Théologie nach der Methode des Descartes. Pufendorfund Leibniz sind
seine Schüler gewesen. Gegen das Ende des Jahrhunderts gewannen
die Hugenotten. voran ihre Prediger, als Pioniere des Cartesianismus
Bedeutung. In Berlin, wo sic sich unter dem Schutzedes gro6en Kur-
fürsten und seines Sohnes in dichten Massen niederIie8en, hat in dieser
Hinsicht Ch a u v i ngewirkt, Professor am franzosischenKollegium und
Verfasser eines philosophischen Worterbuches; auch sein Name findet
sich in der ersten MitgliederHsteder Berliner Akademie wieder.
Lehre
Spinoza kam, und in ihren ersten Tagen hat doch auch seine
in Deutschland ihre Jünger gefunden. Unter ihrem Panier durchzog
MatthiasKnuzen die deutschen Stâdte, ein streitsüchtigerZungenheld,
der aber gleichwohl in Jena eine eigene Spinozistische Sekte stiften
konnte. Emster und tiefer ergriff Johann Wilhelm Stosch die Gedan-
ken des jüdischen Philosophen, und es ist doch ein bemerkenswertes
Zeichen für die freisinnige Regierung des ersten preuBischen Komgs,
dan selbst dieser Mann in Berlin geduldet wurde.
Bald darauf, schon an der Schwelle des neuen Jahrhunderts, fand
das Worterbuch Bayles seinen Weg über den Rhein. Franzôsisch und
in einer Form geschrieben, welche die freie Reflexion zur Geltung
brachte, bemachtigte es sich auch hier schneti der ganzen literarisch
interessierten Welt. Das einzige groBe Werk, das Leibnizzu seinen Leb-
zeiten verôffentlichte, war eine Auseinandersetzungmit diesem skepti-
schen, pessimistischen, zerrissenen Geiste. Und ungefahr gleichzeitig
gelangten Locke und die englischen Freidenker nach Deutschland.
Da trieb denn auch in Deutschland die schopferische Kraft eines
Gedankenzusammenhanges,der seiner logischen GewiGheitund seines
Wertes für die Kultur sicher war, allerorten die Plane und Versuche zur
sie nur
Organisation der wissenschaftlichen Arbeit hervor. So lange
in der idealen Republik der Gelehrten die Mittel ihres Wirkens such-
ten, kamen sic doch nirgend über den ersten bescheidenen Anfang
24 ~~M/s und sein ~7a/
hinaus. Nur eine unter diesen deutschen Privatgesellschaftenaus der
zweiten Ha)fte des 17. Jahrhunderts hat sich behauptet, bis auf die
Gegénwart, das C~~w A~/f~ 6'~<y'M~ eines Arztes aus
Schweinfurt, die spatere ~M~M f.~jo'M 7.<c/o&Mc-C~c/M<7. Eine
besonderc Bedeutung für das geistige Leben der Nation hat diesierVer-
ein nie gewonnen. Aber wic nun in derselben Epoche, in der die
Wi&senschaftGalileis und Descartes' unser Vaterland croberte, das
deutsche Furstentum den Grund zu scinen ersten modemen Staaten
legte, wurde auch in Deutschland das innere \'crha!tn!s, welches zwi-
schen beidcn Mâchten bestand, sogleich erfa6t und benutzt.
An dieser Stelle mag jenes groBartigen Planes zu einem Universal-
institut gcdacht werden, für den !Ô67ein schwcdischerEmigrant, Bene-
dict Skytte, den Kurfursten Friedrich Wilhelm von Brandenburg ge*
wann. Das Programm dieser Anstalt umfaStc alle Wissenschaftenund
Kûnste, die reinen wie die technischen. Forschung und Unterricht so!I-
ten in ihr bestândtg Hand in Hand gehen: sie so!!tezugleich Akademie
und Universitat sein. Und indem ausdrücklich betont wird, daB die
Kôrperschaftunter dem Protektorat des Kurfürsten sich sclbst regieren
soHe,zeigt sich schon das Verstandnis für eine wesentliche Forderung
der neuen Wissenschaftund ihrer Anstatten. So wendet sich auch die
Einladung zur Beteiligungan diesem Institutan aile Nationen und Kon'
fessionen selbst Juden und Araber sollen zugelassen sein. Der bc-
grondetc Zweifel, ob Skytte, dcr einstwcilcnnur Geld und wiederGeld
nahm, die gccignete Persôniichkeit sei. um ein solches Unternehmen
ins Leben zu rnfcn, bewog jedoch den Kurfursten, das Projekt fallen zu
lassen. Leibnizhat spatcr erklârt, daG ihm der Plan durch Skytte selbst
bekannt geworden, aber bei der Stiftung seiner eigenen Sozietât nicht
mehr im GedSchtnisgewesen sei.
Und keiner unter den attpren Zcitgenossen von Leibniz trug das
neue Ideal einer universalen Kultur. in welchemnun dieses groBeJahr-
hundert lebte, so tief im Herzen wie Johacn Joachim Bêcher. Und
keiner forderte so konsequent wie er, da6 sichdie einzelnenStaaten in
den Dienst dieser Kultur stellten, schon in ihrem eigenen Maehttnter-
esse. Darum sollten sic die Wissenschaft organisieren und in dieser
Gestalt in ihren Behordenapparat aufnelunea. Politische und wissen-
schaftliche Einrichtungen fallen für ihn schlieBlich zusammen, wie
in den groBcn Utopien aller Zeitcn. Seine Gedanken und Entwurfe
gingen so weitwie nur je die von Leibniz. Undauch er hat an ihre Ver-
wirklichungein Leben gesetzt. Aber ein msttoser. stùnnischer Geist wie
er war, dazu ma6!os eitel und hoduntitig. hielt es ihn nir~end, wo er
nicht gtpich \'erstândnis und Hrfo)};fand. Eine Zeitlang bat er den
Wiener Hof für seine BestrebunKenzu intercssiercngcwuBt, bis er sich
B<'f~. Leibniz
<M<~
mit allen einftuSreichen Personen uberworfenhat und es für geraten
hâtt, nach HoUand zu flüchten. Zuletzt ist er nach England gegangen
und hier t68z gestorben. Ein GrôBererund Glücklicherertrat an seine
Stelle Leibniz.

LEIBNIZ UND DIE GRÛNDUNG


DER BERÏ~INER AKADEMIE
t.
Leibniz ist der universalste Geist, den die neueren Vôlker bis auf
Goethe hin hervorgebracht haben. Wenn es die hôchste Leistung der
Philosophiei-,t, die Kultur eines Zeitalterszum BewuStseinihrer selbst
und zu systematischer Klarheit zu erheben und so die Macht dieser
Kultur zu steigem, so hat das seit Platon und Aristoteleskein anderer
Kopf so umfassend und so schopferischvotibrachtals dieser deutsche
Philosoph. Die groBen Mâchte, die in der Kultur des ausgehenden
t~. Jahrhunderts nebeneinander bestanden, der griechische Idealismus
von Platon und Aristoteles, das gereinigte protestantischeChristentum
und die neue auf das NaturerkennengegründeteWissenschaftder Zeit,
verstândigten sich in diesem alles mitfühlenden und verstehenden
Gcr~e. Es schien, als habe ihn die Natur zu diesemtitanischen Werk
austiriicklich ausgerustet. Er tas alles, aber nicht wie ein Polyhistor,
sondern Lernen und Schaffen waren bei ihm immer eins.Es klingt
seltsam," sagt er einmal, "ich biUigc das meiste, was ich lese." Er
gab sich der Wahrhdt in jeder Schrift und in jeder Tatsache des Lc-
bens hin bis zur Schwache. Er umfaBte alle Wissenschaften und
bildete sie in der Richtung fort, in der ihre Zukunftlag. Neben Newton
seibstândig in der Erfindung der Differentialrechnung,einer der Vor-
nehmsten unter den Begründern der Einsicht in die Erhaltung der
Energie, der erste, der in dem Spiel der Vorstellungenunterhalb der
Region unserer bewuBtenOperationendas Prinzip der psychologischen
Erklârung erkannte, ein Pfadfinder auch als Geschichts-und Sprach-
forscher so lebte er in einem Zusammenhangaller wissenschaftlichen
Erkenntnisse, der in der neueren Zeit ohnegleichenist. Derselbe Mann
war dann von dem groBen Problem der Kultur erfüllt, das Einver-
nchmen der mechanischen Naturerkenntnismit der christlichen Reli-
giositat herbeizuführen. Von einem solchen Standort aus muBten ihm
die unterscheidendcn Dogmcn der Konfessionen unbedeutend und
g!eichgù!tig erscheinen, und so ergab sich ihm seine rastlose Tâtigkcit
für die Wieden'ereinigung der getrennten Konfessionen.Und dies aHes,
die Arbcit der Wissenschaften, die Vereinigungder Kirchen unterein-
ander und die Versôhnung bcider, ordnete sich in scinetn Gcistc dem
26 ~~f <MMf
~A<&<t~
groBen Zie! einer a!Ie Nationen umfasscndcn menschlichen Kultur
unter, deren Neti! sich für seinen crdumspannenden Geist schon bis
nach China und Agypten crstreckte. Diese Einhcit seines Geistes ver-
birgt sich oft in seinen Schriften. Sie sind meist Kinder des Augen-
blickes und der Gelegcnheit. So erscheint cr zuweilen mit einer unter
seinen Aufgaben ausschIieBUchbeschaftigt. Zuma! in seinen Unions.
bestrebungen verliert er sich ôfters in theotogische Kompromisse, fem-
ab vom Mittelpunktsciner Gedankcn. !n andem FâUenerscheinen seine
Ideen ganz bedingt von der Auscinandersetzung mit tt~endeiner Rich.
tung der Zeit oder einctu Gegner. în Wirklichkeit ist ihm der Zu-
sammenhang seiner Gedanken immer gegenwârtig gewesen.
Das System, in welchem er diesen Zusammenhang darzustellen
strebte, muBte eine ganz anderc Struktur haben als das von Hobbes
oder von Spinoza. Fur Leibniz zuerst war Metaphysik eine Hypothese;
denn sie entsprang für diesen positiven Geist aus einem kombinato-
rischen Verfahren, das glcichsam die Enden der einzelnen Wissen-
schaften durch einen Zusammenhang von Prinzipien zu verknüpfen
strebte. So ist er auch in der Metaphysik immer ein Suchender geblie-
ben. Aber in seinem Gemut war die Einheit gegeben, deren Begnin-
dung im System er immer neu erwogen hat. Diese Verfassung seines
Gemûtes, welche mit allem Zukunftsvollen in seinem Zeitalter in'~in-
klang stand, war der lebendige Quell aU seinesDenkens und Tuns~us
ihr entsprang auch seine Metaphysik. Sie lag in derselben Richtung,
in welcher Bruno, Galilei, Kepler und Descartes sie gcsucht hatten.
Ein Universum, gleichartig in seinen Teilen, diese Teile verbunden
durch eine a~umfassendeGcsetzUchkeit,innerlich aber zusammengehal-
ten durch einen Sinn, dcr sie zur Harmonie vereinigt. Im Gegensatzzu
aller bisherigen Theologie, welche den Menschen in judaisierender
Selbstsucht zum Mittelpunkt des Weltalls gemacht batte, und im Ein-
verstandnis mit den gro6en Denkem seit Giordano Bruno fand Leibniz
die Bedeutung des Universumsdarin, daB alle Stufen von Kraft, Leben,
VoHkommenheitund Glück in ihm venvirklicht seien. Hierdurch wird
für ihn das Universumder Ausdruck der Unendlichkeit des voHkomme-
nen gôttïichen Wesens. Die Freude des Erkennens, die universale Sym-
pathie. in welcher un<erGeist mit jedem Teile dieses hochst lebendigen
Universums verknüpft ist. und das so entstehende Streben, uns selbst
durch die reine Objektivitât des Verhaltens zum Ausdruck und Spiegel
der Gottheit in Klarheit de:s Gcdankens, in Freude an der Harmonie
der Welt und in Wirksamkeit für das Weltbeste za machen das ist
die innere Seele von allem Denken und Tun in Leibniz.
War es eine neue Religion, war es eine neue dichterischc Art. das
Universum zu erMicken,oder war es ein neues phHosophischcsSystem?
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-u.. 27
Es war das alles xugleich. Wenn er die Wissenschaften zurückver-
folgte bis zu dcn Punktcn. an denen die prâstabilierte Harmonie der
Monaden, dieser lebendigste Begriff, welchen je ein Mcnsch von dem
Wirkiichen gcfaBt bat, den Anfordcrungen einer jcden von ihnen zu
genugen schien, so cntstand da eine neue Metaphysik, die seelen-
vollsteunter allen. ln ihr war die Versôhnungjener groCen Weltkrafte
erreicht, welche die Kultur des Zeitalters ausmachten: der Mechanis-
mus envies sich als die Erscheinung einer immanentenTeleologie, das
System der Bewegungen ats Ausdruck der Relationenvon Krâften, und
jede dieser Krâfte als Vorstellen und Streben.
Das Recht des menschlichen Geistes, so von der erscheinenden
Welt zunickzugehen auf dies Universum unrâumHcherKrafteinheiten,
in welchem alle Stufen von Kraft, Lehen, Vollkommenheitund Glück
verwirklicht sind, ist von Leibniz tiefsinnig begründet worden. Die
notwendigen Wahrheiten, wie sie der Mathematikeroder der Logiker
entwickelt,enthalten nur die Bedingungen,an die jede Ordnung irgend-
einer tnogUchen Welt gebunden ist: die Welt, in welcher wir leben,
besteht aus TatsâcMichkeiten, die aus jenen Wahrheiten nicht ableit-
bar sind. So lange nun unser Geist die ursâcMichenBeziehungen der
Erscheinungen verfolgt, bleibt ihm das System harter Tatsachen fremd,
unv&rstanden,unableitbar. Wir {iberwindendie Fremdheit der Welt
unnTie tote TatsâcMichkeit dessen, was um uns ist, durch keine Kausal-
betrachtung und durch kein mathematischesRaisonnement: wir müssen
den Leitfaden der Ursachen verlassenund zu einer ganz andem Gattung
von ErHarungsgrunden {ibergehen,wenn wir diese Fremdheit besiegen
wollen: Sinn, Werte, Entwicklung, Leben, ein Stufenreich sich aus.
wirkenden Strebens. immanente ZweckmaBigkeit das sind die Be-
griffe, durch die der menschliche Geist das Universum sich zu eigen
macht, durch die er Bewcgung und BewuBtseinnicht âuBerlidi zur
sammenbindet,sondem in eins denkt.
Und wenn nun derselbe Mann, der hier als Metaphysikerredet, die
geheimnisvolle Tiefe des Christentums zu durchdringen strebt, dann
wird er den Gott, der unter den Bedingungen der notwendigen Wahr-
heiten gesetzmâ&ig'frei diese Welt als die vollkommensteVerwirk-
lichung aller Stufen von Kraft, Leben und Glück hervorgebracht hat,
an die Stelle der in dem Dogma von der Rechtfertigung und Versoh-
nung verkündeten, zûmenden und verzeihenden Gottheit setzen. Die
christliche Religiositât der Aufktârung wird entstehen, und das harte
Antlitz des alttestamentlich bedingten Gottes wird sich mildem und
sanMgen.
Und wenn die strcngen logischen Bande, in denen der konstruktive
Geist des t7. Jahrhunderts dicse Lebensanschauungzusammenhielt,
28 /& MM'~A<Z«)'<t/~f
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sich lôsen, dann wird deren Kern in Leasing, Herder und Goethefort-
leben ihre Innerlichkeit wird in srhriftstellerischer Frciheit und in
dichterischer Macht wciterwirken.
Kein modemer Menschhat vor Leibnizdie Befreundungjedes Din-
ges mit dem andern in cinem gemcinsamen Sinn der Welt so gefühlt
ats er. Niemand vor ihm hat es so als das Ergebnis dieses groBen
t7. Jahrhunderts bcgriffen, daB die Aufktarung des BewuBtseinsdurch
die Wisscnschaft das Menschengeschlecht besser und glücklicher
machen \nrd. Nie hat vordcm jemand so Har und doch so warm sein
ganzes Dasein der AufMarung und dem Streben nach dem Weltbesten
gewidmet. Dcnn erst s e i n Glaube, da6 in diesem Universum Alles
Leben und EntwicMung, die hôchste Stufe aber die AufHarung des
Gcistes und das glückliche Einvcr&tandnisdes Gemiites mit dem Uni-
versum ist, ertôstc die Einsichtigen von aH den dunklcn Dogmen,
welche die Seelen der Mcnschen zusammengeschnürtund beengt hat-
ten. Er erst zeigte ihnen in dem Fortschreiten der Menschheitim Inter-
esse der Kultur des Ganzen cin neues und hôheres Ziel des Menschen*
geschlechtes. So ist in diesem groBen Leben die tiefste Innerlichkeit
mit dem offensten Sinn fur die Weltinteressen und mit einer freudigen
Kraft des Handelns verbunden.
Er mischt sich heitcr in die Maskeraden und Aufzügc, die in Char-
lottenburg, Berlin und Hannovcr die lebensfrohen Furstinnen veranstal-
ten. Bel einem solchen Feste sollte er cinmal als Astrolog mit einem
Teleskop in der Hand auftreten und dem brandenburgischen Kurfursten
die groBe Zukunft seines Hauses voraussagen. In keinem
Augenblick
verIâBt ihn doch der Gedanke an seine groBen Pliine, in deren Dienst
er diese fùrstuchen Personen zu stellen gedenkt. Er verfolgt diesePlane
mit der Geduld eines Schachspieiers. der, so oft der Zug des Gegners
ihn kreutt, in kühler Bcdachtsamkeit neue Gegenzügc ersinnt. Und
immer ist der Zusammenhang jedes Planes mit dem tief-inner!ichenBc-
griff der Kultur, in welchem sic alle zusammengehalten sind, seinem
Geiste gegcnwartig.
Auf der Hôhe seines Lebens, unter dem EinHuB seiner Doppeîstel*
!ung in Hannover und Berlin finden wir den Zusammenhang der prak-
tischen Ideen abgeschlossen an deren VcrwirkHchung er fortan
gearbeitet hat. Von den Tagen ah, in denen Johann Christian von
Boineburg, der Staatsmann von Kur-Màinz, ihn gleichsam entdeckt
batte, haben diese praktischen Idecn mannigfache Wandlungen durch-
gemacht. Früh erfaSte cr den Begriff einer Kultur der Menschheit,ge-
tragen von den fuhrenden Natiunen Kuropas. sich crstreckend über die
ganze Erde, einer Verbindung von Herrschaft über die Natur durch
die Kraft der Wissenschaft.mit der .\ufk!ârung durch den vemünftigen
Z<~&. A~fû~o~~ «<MfG~w~ 20
Glauben an einen Zwcckzusammenhangder Welt in Gott und an ein
Fortschreiten des Menschcngeschiechtes,auch über diese Erde hinaus,
in unendlicher Entwicklung. Seitdem ihm nun aber die wahrc Tendenz
des Staates Ludwigs XIV., dieses ,,aHerchnstlichsten Kriegsgottes";
zum BewuBtsein gekommen war, erkannte er in der Vorherrschaft
Ftaukreichs und in der Macht des Katholizismusdie gro6e Gefahr für
eine ruhig fortschreitende Kultur. Mit dem wârmsten PAtriotismus~bat
cr von da ab die seibstândige Stellung Deutschlands, die Ausbildung
unserered!en Sprache, das Eintreten unseres Volkesin das Zusammen*
wirkender Wissenschaften vertretcn. An dem kleinen Hofe von Han-
nover fand er eine Heimat seines Wirkens; von da erstreckten sich
seine praktischen Ideen über die weite Welt. Er wollte die protestan-
tischen Fûrsten Deutschlands mit den Vormâchten des Protestantismus,
England und den Niederlanden, verbunden sehen. Deshalb erstrebte
er jctzt die Union der protestantischen Konfessionen, das Zusammen-
gehen von Hannover mit Brandenburg und die Begründung einer Aka-
demie in Berlin.
Indem er in diesem Zusammenhang von Ideen und Plânen lebte,
bildete sich einer der eigentümlichsten Züge dieser unbeschreiblich
gcnialen Natur aus. Ein Zug, in welchem Descartes' Streben nach
einer Universalmethode sich fortsetzte..Nicht auf einzcine Ergebnisse,
ja nicht einmal auf metaphysischc Konzcptionen als solche war er in
erster Linie gerichtet. Er suchte Instrumente, welche grenzenloseMog-
Hchkcitenvon Lcistungen in sich cnthielten. Ein solches sollte seine
philosophische Zeichensprache sein, dann seine Differentialrechnung,
\veiterseine Prinzipien der Welterkenntnis, unter denen die der Konti-
nuitât und der Erhaltung der Kraft die vornehmsten waren. Und auch
seinenBegriff der Akademie bestimmte dieser Gesichtspunkt. Die Aka-
demie war ihm ein sotches Instrument, das, einmal in Wirkung ge-
setzt, nach aUen Sciten hin die. Kultur zu fôrdem versprach. Daran
werden wir uns spâter erinnern müssen, um zu verstehen, wie sein
fruchtbarer Geist in wechselndenPlanen die Linien jeder Aufgabe gc*
zogen hat, welche in dem Begriff einer Akademie cingeschlossen ist.
Aber wie hatte auch die Kraft des genialsten Mannes zureichen
konnen, die Summe von Arbeit zu vollbringcn, die in diesem Zu-
sammenhang enthalten war? Je alter er wurde, desto mchr geizte er
mit seiner Zeit. Aus Sparsamkeit mit diesem kostbarsten der Gütcr
war er Hagestolz geblieben. Er wohnte in Hannover statttich, aber
in einem gemicteten Hause, als ob er jedcn Augenblick bereit sein
mu6tc, es zu verlassen, wcnn der Wechsel seiner Plane es erforderte.
Die Bib!iuthck, die er verwaltete, hat er betrachtet, als wâre sic zu
seinem pers<in!ichcnGehrauch; nur ungern HeBer einen i'rcmdtn sic
3C_ ~~t~M~ZMc~
betreten. Tagelang verlie6 er sein Haus nicht. Auf Reisen im Wagen
war er mit seinen mathematischenArbeiten beschâftigt. Er war immer
kôrpedichen Bewegungen abgeneigt gewesen. Und wie er nun cm
starker Esser war, fand er sich von der Gicht hdmgesucht; er aber
wolltenicht dulden,daBdie Schmerzenihn an der Arbeit hinderten, er lieS
sich hôlzerne Schraubstôcke anfertigen, um sie weniger fühlbar zu
machen. Diese Art von gewalttâtigem Regiment über seinen Korper
verkùrzte ihm das Leben.
Seine wissenschaftlichenArbeiten, der Drang, sein Wissen für das
Leben nutzbar zu machen, die Plane fur die Kultur, dencn er nachging,
standen sich gegenseitig im Wege. Auch Goethe hat in Weimar in
einer so vielseitigen, Existenz ge!ebt und unter den komplizierten
Lebensaufgaben gelitten, die er auf sich genommen batte. Aber sein
Weltsinn gab ihm zur rechten Zeit ein, sich dem zu entreiBen. Er
entfloh nach Italien. Zurûckgekehrt nahm er seine Beamtentatigkeit
nicht wieder in der alten Ausdehnung auf. Er lebte von da ab dcm
Zusammcnhange seiner Ideen und Dichtungcn. Leibniz empfand so
stark als Goethe die Oberlegenheit der groBen geistigen Leistungen
über alles, was er in den Staatsangelegenheiten zu tun vermochte.
Aïs er zum letzten Mal mit dem preu6ischen Kônig über seine Aka-
demie vcrhandelte, schrieb er stolz: bei der Nachwelt werde das, was
fur das Wachstum der Wissenschaftendurch diese Anstalt geschehe,
allezeit wertvoll sein, wenn alle politischen Interessen dermaleinst sich
geindert haben würden. Aber der Zusammenhang zwischen dem, was
er dachte, und was er âuûerlich wirken wollte, war doch in ihm vie!
starker und umfassender als in Goethe. Er vermochte nicht, sich los-
zurci~en und die Verfolgung seiner praktischen Ziele aufzugeben. So
ist die Verôffentuchung seiner meisten Entdeckungen zurùckgehaiten
worden. Auch was er selbst zu seinen Lebzeiten publizierte, verspâtete
sich, und das unbehagliche Gefühl, daB ihm andere zuvorkamen,
lastete auf ihm. Weitaus das Meiste hinterlieû er halb vollendet. Wie
hâtten seine neuen Versuche über den menschlichen Verstand" ge-
wirkt, wenn sie sogieich Locke entgegengetreten waren? Ats sic
lange nach seinem Tode erschienen, war Hume inzwischengekommen,
und sie hatten trotz ihrer Genia!itât etwas Vergangenes in ihren Be-
zügen. Nicht anders stand es mit seinen groBen historischen und m-
ristibchenArbeiten. Mit welchen GefuMenn~g der alternde Mann über
dem Schatze seiner Manuskripte gesessen haben? Das war die erste
und vielleicht die grôBte aller Tragôdien seines Lebens. Es war ihm
nicht vergonnt, positiv und gleichsam zeitlos das Werk seines Lebens
zusammcnzufassen.wie Spinoza oder Kant es durften.
tJnd dann standen wieder die wissenschaftlichenArbeiten seinen
Z<~t.' /Kf T~M&t~Mt/~M 3ï

Planen, seinem Eingreifen in das Leben der Zeit entgegen. Diese Plane
sind aile aus dem genialsten Verstândnis der Aufgaben menschlicher
Kultur entsprungen. Kaum einer war unter ihnen, der nicht wenigstens
in seinem Kerne spâtcr verwirklicht worden wâre: von der Akademie
und der Union der protestantischen Konfessionen bis zu den Missio-
nen und Handelsverbindungen nach China hin und den Aufgaben der
franzosischen Politik in Nordafrika. Aber derselbe Mann, dessen Di-
vination dem Jahrhundcrt vorauseilte, verkannte durchaus die be-
schrankten, harten und bôsen Wirkiichkeiten um ibn her. Er war
gleichsam weitsichtig. Dem vergeistigten Denker blieben diese fürst-
lichen Personen doch stets unverstandiich, welche bis an die Knochel
in sehr irdischen Materien wateten, in Sinnlichkeit und hartem Egois-
mus, zuweilen auch in Blut, aber Gôttem vergleichbar dahinschritten,
vorwârts getrieben von dem Gefühl, daB der Staat in ihnen gegen-
wârtig sei. Und dieser Mangel an Verstândnis war gegenseitig. In
Hannover hat er nach dem Tode des Fürsten, der ihn berief, kein Vcr-
trauen mehr genossen. Bessere Würdigung fand er bei den beiden
groBen Fürstinnen, denen er gedient bat. Frauen haben ein natur-
liches Gefühl für das GroBe, das kommt und lebendig ist, wenn es
ihnen personlich entgegentritt. So fand der stolze Einsiedler der Nie-
derlande, Descartes, in Elisabeth von der Pfalz und in Christine von
Schweden Schülerinnnen, und so fand auch Leibniz bei den beiden
fürstlichen Freundinnen in Hannover und in Berlin ein Verstândnis
dessen,was ihn erfüllte, wie bei keiner anderen Person an diesen Hôfen.
Ohne Sophie Charlotte würde damals die Akademie in Berlin nicht
zustande gekommen sein. Lebensfreudig bis zum ubermudgen Spiel
mit dem Schimmer der Dinge, durch die Mutter in politische Intri-
guen tief verwickelt, empfand sie doch, wie sie erzogen war, an diesem
halb-barbarischen Hofe Bedürfnissefeinerer Art, denen uur Leibniz ge-
nugtat. Und doch: auch mit diesen glücklichsten Beziehungen seines
Lebens hingen die ticfen Enttâuschungen zusammen,die das alles ilun
bringen sollte. Die beiden fürstlichen Frauen verwickelten ihn in das
fcine Gespinst ihrer politischen Intriguen. Aïs sie vor ihm hinweg-
starben, lieCen sie ihn einsamund von Verdacht umgeben zurück.
Das Schlimmste war: Plane verschiedenster Art hatten sich in ihm
solchergestalt verwickelt und verknotet, daB der Zuschauer schwer
unterscheiden konnte, was ihm Mittel und was ihm Zweck in einem
gegebenen Augenblick war. Zuweilen scheint er seine Akademie als
Mittel zu benutzen, um in Berlin einem politischen Zwecke nachzu-
gehen dann wieder benutzt er die politischen Personen und Ange-
Icgenheiten, um seine Akademie durchzusetxen. Er bedient sich seiner
Philosophie, um Dugmen plausibel zu machen und seine Uninnspulitik
32 J~~& und -f~
zu fordem: und dann scheint es wicder, als wolle er so den Theologcn
seine Phitosophemeannehmbar machen. Und auf diesem Theater der
Welt, auf dcm damals mehr aïs je ein jeder seine eigenen Zweckever-
folgte, fand cr die SteUc, die cr selbst einnahm, sein Wirken gleichsam
hinter der Bühne, nicht entsprechend dem, als was er sich fuhîte. So
wurde sein berechtigter Stolz in dieser Welt zur Eitelkeit. Er mischtc
die eigenen Intercssen mit den allgemeincn. Er suchte Geld, um es
dann wieder in einem vemachtâssigtcn Haushalt und fur groBe sach-
liche Zwecke auszugebcn. AuBere Ehren erstrebte er als eine Not-
wendigkeit, die seiner groBen wissenschaftlichen Position entspreche,
und blieben sie an irgendeiner Stelle aus, so vermiOte cr sic so
weit sein gtuckHcherOptimismus das zulieû. Es konntc nicht fehlen,
daB er den Menschen, mit denen er Icbtc, auf diese Art dunkol und
râtselhaft wurde. Ein unbestimmtcr Verdacht umgab in der letzten
Zcit seines Lebens den Mann, der hier in Berlin als Agent vo!~Han-
nover und dort in seiner Hcimat als von brandenburgischen Interessen
bestimmt erschien. Mit keinem, der einseitig bestimmten interessen
nachging, konnte er dauernd zusammengehen. So kam immer ein Mu.
ment, in welchemer MiBtrauen erweckte. Er hatte weder politische
noch wissenschaftlicheFreunde. Immer einsatner wurde es um ihn
her. So endete ein Leben, das zu dem Mchsten Glück angelegt war,
tief tragisch. Welch ein Gegensatz zwischen diesem Leben und dem
von Kant und Goethe, die fern von den We!thânde!n in ausgebreiteter
Arbcit und dabei tief beschaulich in die spateren Jahre traten und
xu immer allgeincinerer Ancrkennung aufstiegen.

2.
Es lag in Leibniz ein cinzigcs Tatcnt, die Ergcbnisse tMucr
Studien und Lcbcnsverhâttnisse für die Fortbildung sciner Ideen zu
bcnutzen und dcn Inbe~riff des Erworbenen von ihncn aus einer Re-
vision zu unterwcrfen.So entwickettesich ihm sein letzter Begriff der
~îonadc, so haben auch seine Gedanken über die Organisation dcr
wissenschaMichcnArbeit immer neue Erwciterungen und Umgestal-
tungen erfahrcn, bis sic Ut dem Plan der preu&ischeHAkadcn)ieihre
lctzte Zusammcnfassungfinden.
Auf der Univcrsitât.in Leipzig untor Jakob Thunias!usund in Jcna
UiUerErhardWeiKet.unpfangt derGeist desJùngHngs diebestimmende
Rirhtung auf Philosophie, Mathematik und Physik, und die moderne
Wissenschaftdes Descartes siegt auch in ihm sogleich über Aristoteles
und die Schotastik.Von Anfang an findet er sich fcmer auf die Be-
dcutung dc< Wisscns für das Leben hingewiesen. !.dpzig. seine Vatcr-
/W. Z)~ <?~MWM/~ J~
stadt, entwickelt sich eben in diesen Jahren zu dem ersten Emporium
für den Austausch der Manufakturendes Westens gegen die Rohstoffe
der sJawischen Lander. In Nümberg lemt er darauf das sicher und
setbstbewuût dahinstromende Leben einer deutschen Reichsstadt ken-
nen, die als Mittelpunkt eines weitverzweigtcnHandels und als Sitz
einer hochentwickeltenIndustrie noch immer ihren Rang m der Welt
behauptete und doch auch die Gefahren, welche dieser Blüte nun
von dem mâchtigen Aufschwungder fremdcn Nationen drohten. Und
wie er nun m die alchymistischeGesellschafteintritt, die hier bestand,
erfüllt er sich zugleich mit dem eigentumUchenGeist, der in diesen
ersten deutschen Sozietaten lebte, mit dieser Mischung von phantasti.
scher Spekulation und nùchterner Wissenschaft,von sittlichen und reli-
giosen und derb praktischen Motiven. Mânner aller Stânde und .Ce-
rufe bilden hier seinen Umgang, Pastoren von St. Lorenz und St. Ja-
kub, Lehrer von der lateinischen Schule, Patrizier, Kaufleute, Hand-
werker. Leibniz ist diesem Kreise doch sehr nahe getreten. Er hat die
Beziehungen zu demselben noch in seinen spâteren Jahren gem gc-
pflegt, und die Tendenzen, die hier herrschten, sind in seinen eigenen
Akadenuep)ânen deutlich zu erkennen. Und wieder eine andere Welt
ersch!ie6t sich ihm in Mainz. Johann Ptuupp von Schônborn und Jo-
hann Christian von Boineburg leben in der Ideensphâre ihrer groBen
orgânger, der Werner von Epstein, Diether von Isenburg und Bert-
hold von Henneberg. Die nationalen Forderungen des deutschen Vol-
kes, die nun immer lauter sich geltend machen, sollen erfuUt werden:
durch die Stiftung eines deutschen Furstenbundes und die Vereini-
gung der getrennten Bekenntnisse zu einer nationalen Kirchc. Der
Kurfürst von Mainz soll als Erzkanzler und Erzbischof das neue
Deutschland regieren. Leibniz, der seinen neuen Freunden als Sekre-
târ und Ilublizist dient, nimmt auch dieseGedanken in sich auf.
Hier in Mainz hat er nun auch seine ersten Plane xur Organisation
der wissenschaftlichenArbeit entworfenund latin den ganzen Schatz
seiner Studien und Erfahrungen zusammengefaBt.
Das alteste Projekt geht auf eine deutsche Sozietat der Wisscn-
schaftcn in Frankfurt, unter der Leitung des Kurfürsten von Mainz.
Die in England und Frankreich vorhandenenAkademien, welche nach
der Lage der Wissenschaften in der mathematischenNaturerkenntnis
ihren Mittetpunkt hatten, dienen ats Motivund Vorbild. Aber Leibniz
betont starker die praktische Beziehungder Wissenschaft zu Industrie
und Handel. Vor allem ist doch der jungc Polyhistor darauf gerichtet,
diese Sozietat gleichsam zu einem Archiv aller vorhandencn Kennt-
nissc zu machen. Hier soU eine universale Bibtiothek zusammcnge-
hrarht, cine Rcatcnzyktopadie attes Wisscns hergestctit, cinc Korrc*
Ditthc; CcmmtM'tte
Schhftm M! 3
34 ~H~ <«~?<)*~&t/~
spondenz mit den Gelehrten aller Lander unterhalten werden. Ja er
fordert bereits eine Kooperation dieser Sozietât mit den Akademien von
Frankreich, England und Italien. Mit dem gefâhriichen Finanzgenie,
das seitdem in immer neuen Projekten sich kund gab, hat er für die
Unterhaltung dieser Akademie eine Papiersteuer ins Auge gefaBt.
Ein anderer Plan ist der voUkommensteAusdruck des Begriffes von
Kultur, wie ihn das Jahrhundert gebildet hat und Leibniz ihn reprâ-
sentiert. Es handelt sich um eine Sozietât, welche die gesamte Kultur
des deutschenVolkesnach hôchsten wissenschaftlichen Prinzipien leiten
sou. Die wissenschaftlicheArbeit soUin dieser Sozietât den Fortschritt
der Naturerkenntnis erwirken, sie soU die natürliche Gottesverehrung
durch eine metaphysische Begrundung beleben und leiten, und sie soU
die Anwendung der Wissenschaftcn für die Kultur auf allen Gebieten
beeinflussen. Leibniz weist selber auf Platons Herrschaft des wissen-
schaftlichen Gedankens durch die Gemeinschaft der Forscher aIs seiner
Organe hin. Und er antizipiert in einem gewissen Sinne die von Comte
geforderte Leitung der Geselischaft durch den wissenschaftlichenGeist.
Gedankcn, welche, so wenig sic sich in die Wirklichkeitder Dinge
einfügen woUen, doch eine groBe Tendenz ausdrücken, die seit den
Tagen der Pythagoreer und dann stârker seit dem Zusammenwirkender
wissenschaftlichenGeister zur Herrschaft über die Natur in Wirksam-
keit ist. Auch tut Leibniz selbst der Atlantis von Bacon, des Sonnen-
staates von Campanella und der Utopie von Morus Erwâhnung; eine
solche erstandigungzum Zweck der Glückseligkeit der menschlichen
Gesellschaft,wie diese Schriften sie planen, würde moglich sein, ,wenn
nicht gemeinigtich der alIergroBten Herren consilia zu weit von ait'
gemeiner Wohlfahrt wâren." Der groBe Begriff der Kultur des Men-
schengeschlechtes, der sein ganzes Leben beherrschen soUte, sprach
sich in diesen Plânen mit dem unerfahrenen Enthusiasmus der Jugend
aus. Es war dafür gesorgt, daB er mit den tatsâchHchen Kraften, die
sein Zeitalter bcherrschten, rechnen lernte.
Zunâchst wird auch er hineingerissen in die patriotischeBewegung,
welche der erste Raubkrieg Ludwigs XtV. in Deutschland erregt hat.
und die nun in immer neuen AuSerungen die letxten drei Jahrzehnte
des 17. Jahrhunderts beherrscht. Es ist die grobe Wandlung in der
deutschen Publizistik, die fortan nicht mehr in der ôsterreichisch-spani-
schen Monarchie des t6. Jahrhunderts, s)ondem in dem neuen Frank-
reich Ricbelieus. Mazarins und Ludwigs XIV. das Ziel ihres An-
griffes findet. Leibniz hat an dieser Publizistik seinen unmittelbaren
Anteil: aber auch seine akademischen Plane empfangcn jetzt cinc natio-
nale Farbung. Ein dritter Entwurf aus diesen Tagen von Mainzunter-
nimmt den stolzen Beweis, daB die Deutschen die eigentlichen Erfinder
M~?.' A~M-, ~MMMW<W
auf dem ganzenFelde der reatenWissenschaften und Künstesind. Aber
sie haben ,geschlafen"; die andem Nationen konnten das Gut des
deutschen Geistes an sich reiBen und praktisch nutzen; die Deutschen
tragen selber die Schuld daran, daB die Franzosen und Englânder sie
jetzt weit überflügelt haben, wissenschaftlich,wirtschaftlich, politisch.
Also sollen sie sich aufraffen und ihr Talent gebrauchen, sich zu-
sammentun und organisieren zu Sozietâten und Akademien, wie das
in Frankreich und England geschehen ist.
Wie aber batte sich in dem Deutschland dieser Zeit, in diesem
Bündel souverâner Kleinstaaten mit ihrem furchtbaren Egoismus, der
Plan einer nationalen Akademie verwirklichenlassen? Nur in dem Rah-
men der neuen territorialen und dynastischenGewalten war es môglich,
irgend etwas Lebensfâhiges zu schaffen; diese bittere Erfahrung hat
seit jenen Tagen zwei Jahrhunderte lang jeder in der langen Reihe
der Enthusiasten machen müssen, die sich an Kaiser, Reich und Nation
wandten. Leibniz hat sich in diese Wahrheit nicht leicht und nie voll-
stândig finden kônnen; sein Optimismus hat ihn auch in der Folgezeit
immer wieder verleitet, organisatorische P!âne für das ganze Reich zu
entwerfen. Und nie hat er die nationalen Aufgaben, die er einer solchen
deutschcn Sozietât gesteckt batte, wiederaus den Augen verloren.
In der entscheidenden Epoche seines Lebens verknüpft sich nun
aber in ihm mit diesen patriotischen Tendenzen der unmittelbare Ein-
druck der neuen europâischenWissenschaft. Er war 26 Jahre alt, als er
nach Paris ging, um seinen durch den weitenBlick in die Zukunft und
die vollstândige Verkennungder politischen Lage der Gegenwart gleich
merkwurdigen Plan, der den drohenden franxôsischenAngriff von Hol-
land auf Agypten ablenken wollte, bei Ludwig XIV. und seinen Mini-
stem persünlich zu vertreten. Dieser Zweck der Reise scheiterte. Aber
hier in der franzosischen Weltstadt, und dann in London und in den
Niederlanden hat er die neue mathematische Naturwissenschaft im per-
sôn!ichen Vcrkehr mit ihrcn groûen Hâuptern kennen gelemt; er wurde
selber ein Mathematiker und Techniker ersten Ranges. Von nun an
muBte es ihm als die erste Aufgabe einer deutschen Sozietât erscheinen,
in Deutschland einen Mittc!punkt für die neuen Methoden der Natur-
erkenntnis zu schaffen und sein Vaterland in den internationalen Zu-
sammenhang einzuführen, in welchem sich der Fortschritt der wissen-
schaftlichen Arbeit und der auf sie gegründeten Kultur vollziehensollte.
Einstweilen schickt auch er sich in die Dinge. Er geht nach Han-
novcr, in den Dienst einer der starksten der neuen deutschen Ktein-
staatenbildungen. Aber wenn er daran die Hoffnung knüpft, daB er
hier einen Boden für seine Bestrebungen finden werde, so verkennt er
die geistige Verfassung dièses Hofes und doch auch seine eigene Ste!-
36 /M? <~ M~t Zf~r

lung er hat in Hannover nie wirkliche Anerkennung und Fôrderung


gefunden, für den Plan einer Soziet&tso wenig wie fur seine anderen
Gedanken. Und doch wird nun die Obersiediung nach Hannover un'
endlich wichtig für Leibniz: seine Stellung als Bibliothekar und der
besondere Auftrag seiner Fûrsten führen ihn dahin, die Geschichteund
die Wissenschaften, die ihr dienen, in den Kreis seiner Studien zu
ziehen. Die geschichdiche Welt in sein philosophisches System aufzu-
nehmen, hat Leibniz nicht mehr versucht. Aber in sein praktisches
Kulturideal fand sie ohne weiteres Eingang, und wenn er fortan den
Plan einer Akademie entwirft, sei es für Berlin oder Dresden oder Wien,
so wird historische Forschung, in weitestem Verstande, ihren gebühren-
den Platz darin finden. Zugieich tritt mit Peter dem GroBen RuSiand,
tritt mit seinen neuen romischen Freunden, den Jesuiten, das alte Wun-
derland im Osten, China, in den Kreis seiner Interessen. UnermeCliche
Aussichten schienen sich ihm hier für den Handel, die christlicheund
wissenschaftliche Mission,ja für die Vertiefung des Christentumsund
der Wissenschaft selbst zu erôtfnen, und auch diese Hoffnungen ver-
dichten sich ihni sogleich zu organisatorischen Gedanken.
Dieser universale Mensch suchte für sich und seine Akademie, wie
sie ihm jetzt, inimer sein eigenes Abbild, vorschwebte, eine neue Heimat
in Berlin.
Er hielt den Blick auf Brandenburg geheftet, seitdem sich der
Sohn des gro6en Kurfürsten mit der Prinzessin Sophie Charlotte von
Hannover vennahlt hatte. Aber als der Kurprinz zur Regierung ge-
langte, wurde Eberhard von Danckcimann sein leitender Minister,und
dieser sah nach den Lebensbedingungen Brandenburgs in Hannover
einen gefâhrHchenRivalen. Sophie Charlotte konnte sich auf dem neuen
Boden nur vorsichtig bewegen und nicht daran denken, einen Diener
des Welfenhauses nach Berlin zu ziehen. Da entstand in Berlin selbst
der Plan, ein astronomischesObservatorium zu errichten. Leibnizhatte
ihn kaum vernommen, aïs er ihm auch schon die entscheidende Wen-
dung gab: im AnscMuû an dieses Institut môge cine Sozietât der
Wissenschaften gegründet werden. Und daB nun diese Hoffnung nicht
wieder zuschandenwurde, dafür sorgte jetzt der politische Umschwung.
den dieses Jahr t6Q7 in Deutschland und, im Zusammenhang damit,
in Brandenburg heraufführte. Der Friede von Ryswick mit seiner be-
rüchtigten .,K!auscl",welcheauch für die an das Reich zuruckfaHenden
Reuniunen das gewahsam eingeführte katholische Bekenntnis lcgali-
sierte, brachte noch einmal die protestantische Welt in Bcwegung. Die
Gefahr erschien um so grôûer, als eben der Kurfürst von Sachsenzum
Kathntizismusuhcrgetreten war. DerGedanke einer Unionderprotcstan-
tischen Hckenntnissclebte wieder anf. Er nâherte die bfidt'n nontdcut-
Die ~~fM& von ~< 37
schen Gegner, Brandcnburg und Hannovcr; sic traten dariibcr in Unter-
handlungen. Und wie die politische Niederlage Brandenburgs in Rys-
wickauf Danckelmann zurückfiel, gelang der Kurfürstin jetzt der Sturz
des mâchtigen Mannes. Die Bahn war frei, auch für Leibniz und seine
Plane. Er beteiligte sich cifrig an den irenischen Verhandlungen. Unter
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ihrem Schutz begann ein reger Briefweehsel zwischenihm und Sophie
Charlotte und wagte er sich schon selber nach Berlin. Dabei erinnerte
cr an das Observatorium und die Sozietât immer wieder, bis sich auch
die letzte Frage, die der Geldmittel, glücklich lôste. Denn nachdem
die protestantischen Reichsstande die Reieption der Gregorianischen .c
'C
Zeitrechnung beschlossen hatten, ergab sich der Ausweg, Herstellung
und Vertrieb des neuen Kalenders zu einem Monopol zu machen und
auf dieses Monopol die geplanten Anstalten, Observatorium und Sozie.
tât. zu fundieren. Der Kurfürst willigte ein: Leibniz war am Zie!.
Er wurde nun fôrmUch nach Berlin beschieden und entwarf die
grundtegenden Urkunden, den Stiftungsbrief und die Generalinstruk*
tion der Sozietât vom !ï. und seine Bestallung zum Prâsidenten vom
t 2. Juli 1700. Sic konstituierteneine Akademie. die in ihrer Universa-
!itat alles ûhertreffen soUte,was die Wett an ahniichen Anstalten bisher
gesehen hatte. Diese Sozietât umspannte den ganzen Kreis der mathc-
matischen und physikaHschenWisscnschaftenund ihrer technischen An-
wendungen und stellte sich zugleich die Pflege der Geisteswissen-
schaften. besonders der deutsrhen Sprache und der deutschenGeschichtc,
der weltlichen und der kirchlichen, zur Aufgabe. Sie soll das alles mit
dem vollen Emst und dem ganzen kritischen Apparat echter Wissen-
schaftlichkeit treihen, und dennoch nicht um seiner selbst, sondem um
seinesKulturwertes wiUcn.Sic soUdas menschliche Dasein verbessem,
in allenseinen AuGerungenund Betatigungen, soll Ackerbau und Hand.
werk, Fabriken und Kommerzicn fi;rdern, politisches und nationales
BewuBtsein. 5chlieBlichMoral und Religion: denn auch im sittlichen
und religiôsen Leben besteht jeder Fortschritt in einem solchen der
vemünftigen Erkenntnis.Diese allgemeine Kulturarbeit war für f.eibniz
der Zweck des modernen Staates, wie er damais im Werden begriffen
war; es ist dasStaatsidea! der deutschen Aufk!ârung. In einer Akademie
soll sich nun dieser Staat ein hochstcs Organ schaffen, welches ihm
die wissenschafdichen Hilfsmittel für diese Arbeit liefert, ja mit prak-
tischen Vorschtagen selber daran teilnimmt. und die Akademie soU
scHieBlich diese ganze Arbeit rechtfertigen, indem sie deren Zusam-
menhang mit der gëtdichen Wehordnung begnindet.
Die Akademie war gestiftet und ihre Aufgabe bestimmt. Aber sie =
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hat elf Jahrc ein hôchst provisorische?Dasein gcfuhrt dann erst wurde
sie feierlich erôffnet. Und zu wirMichem Leben hat sie erst ihr zweiter 0
38 Z~~<y
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Grunder, ~<t~fvw~<~~~M~
KSnig, ~t~~A~~t
erweckt. T~M
der groBe ~~w Staat,
Denn der Ct~~ <4~~
den C'Sw~t
Kurfürst
Friedrich Wilhelm geschaffen hatte, war im Vergleich zu den Aufgaben,
die er ihm gestellt hatte, arm bei sparsamstem Haushalt. Unter seinem
Nachfolger verband sich nun die Eitelkeit eines schwachenFürsten mit
der Gewissenlosigkeiteines selbstsüchtigen Gùnstlings, um die Finan-
zen heillos zu zerrutten. Wie wâren da fur eine Sozietat der Wissen-
schaften besondere Mittel verfügbar gewesen? Sie muÛte sich selbst,
mit ihrem Kalender, ernahren, und dieser trug gerade genug cin, sie
vor dem Hungertode zu bewahren. Es ist eine peinlich-betustigende
Lektüre, wie Leibniz' unerschôpfliche Phantasie immer neue Privilegien
für seine Stiftung ersinnt, wieviel Steuererfindungen der Zukunft er
antizipiert, und wie dann diese Denkschriften ungelesen in das Archiv
wandem. oder, wie sein Lieblingsplan,dieEinrichtung des Seidenbaues,
gebilligt, aber nicht ausgeführt wird. Eine solche Sozietat konnte sich
weder grôBere Ausgaben für wissenschaftlicheZwecke gestatten noch
ihre Mitglieder besolden. Sie konnte a!so auch nicht namhafte aus.
wartige Gelehrte berufen. blieb vielmehr auf die Prediger, Lehrer und
Beamten einer Stadt angewiesen, die eine Universitât oder eine andere
gro6e wissenschaftlicheAnstalt noch nicht besaB. Da zogen denn,
neben manchem tuchtigen Arbeiter, oberftacMiche, trage und nicht
immer ehrenwerte Personen in sie ein. So lange Leibniz an der Spitze
stand, lag in seiner PersônHchkeitnoch eine gewisse Gewâhr, daB die
Anstalt nicht ganz in Untâtigkeit und Unwûrdigkeit versank. Von sei-
nem europâischen Ruhme fiel cin Abglanz auf diese Sozietât, die ihm
ihr Dasein verdankte. Und unermüdlich war der Eifer, mit dem er sich
seiner SchOpfungannahm. Er sorgte für sie wie cr konnte, durch seine
Reisen und Korrespondenzen,durch seine Vorstellungenbei dem Konig,
der Konigin, dem Kronprinzen, den groSen Personen überhaupt. Er
setzte es auch durch. daB die Sozietât den ersten und fur lange Zeit
einzi~enBandibref~.f~F~o/t'~M~ verôffentlichte. DerPrâ.
sident, der unter den sechzig Beitragen der Sammlung zwô!f selbst ge-
liefert hatte, durfte stolz sein auf dieses sein Wcrk: cr schrieb ihm
hoffnungsfroh das Geteitwort. Die Sozietât hat ihm das alles schlecht
gelohnt. Ihre Direktoren haben sch!ie6!ich hinter seinem Rücken ein
Statut vereinbart, welches ihm die Leitung der Korperschaft tatsâch-
!ich entzog, und sie haben auch nicht eher geruht, als bis ihm seine be-
scheidene Renumerationzunachst auf die Hâtfte herabgesetzt und dann
ganz kassiert wurde. zusammen mit allen nickstandigen Raten. Sie
haben des Lebenden nicht in den Festreden gedacht, die bei der Ein-
weihung der Sozietât gehaltcn wurden. und dem Toten hat wohl die
Akademie der Wissenschaften von Paris, doch nicht seine eigene Stif-
tung einen Nachruf gewidmet. Leibniz hat in seinem Leben sehr viele
MM' 39
~M~~
leicht <iber.
Fehlschlâge und Krânkungen erfahren. Er hat sie immer
wunden: die Undankbarkeit der preuBischen Sozietât hat sein Inneres
beriihrt. Auch hat er denn zunâchst um seine Stellutig in Berlin ge-
seine Person
kampft wie je um eine, offen, vomehm, die Sache, nicht
seiner ganz
verteidigend, hier einmal auch in solchen auSeren Dingen
zurück-
würdig. Erst als jede Hoffnung geschwundenwar, hat er sich
gezogen und die Sozietât ihrem Schieksat überlassen.
Er wandte sich jetzt anderen Aussichten zu. Auf den sâchsischen
Hof in Dresden rechnete er nicht mehr, seitdemihm der Krieg um die
hatte. Dagegen lieS der
polnische Krone seine Kreise dort gestôrt
die Europâi-
groBe Zar mitten in solchenWirren sein friedliches Ziel,
dieses
sierung seines Reiches, nicht aus den Augen. Leibniz betrachtete
Untemehmen mit besonderer Aufmerksamkeit,weil er hier, auf einem
MaBenverwirtdichen
jungen Boden, seine Kulturideein freien, weiten
M kônnen hoffte. Der Zar He6 sich in der Tat die Denkschriften eines
solchen Mannesgem gefallen,und man hat nicht ohne Grund behauptet,
daB bei den Reformen, die dann in RuBland durchgeführt. wurden,
auch diese Anregungen Frucht getragen haben; die Akademie,die 1725
in Petersburg gegrûndet wurde, war eine davon. Aber auch RuBland
trat für Leibniz in den Hintergrund, als sich ihm der Wunsch seines
Lebens erfüllte, als er in Wien festen Fu6 faBte. Wie er glaubte, für
immer. Die Freundschaft des Prinzen Eugen und die Gunst von zwei
Kaiserinnen, die aus dem Welfenhause stammten, fôrderten ihn; man
verliehihm Rang und Gehalteines Reichshofrates.übertrug ihm wich-
tige publizistischeund diplomatischeAufgaben. Was er immer begehrt
zuteil zu
hatte, einen Platz in der Welt, da man handelt, schien ihm
werden. Eine Akademieals Mitte!punktder gesamten Kulturpolitikdes
arbeitete
Staates, unter seiner Leitung, war auch hier sein Plan. Er
dafür mit dem ganzen rastlosen Eifer des Menschen.der seine Erdcn-
stockte
tage gezaMtweiB, und wiederwar das Werk fast voUendet.Da
auch hier wieder alles, als man an die Beschaffungder Geldmittel ging,
und dann, weil Leibniz die personliche Voraussetzungnicht erfüllte,
die man fordem konnte, seineKonversion; sie war so seibstverstândiich,
daS man sich in Hannoverund Berlin wunderte,als er solche Geruchte
dementierte. Aïs er nun gar auf die Kunde, daB der Tod der Konigin
Annadas Haus Hannoverauf den englischenThron berufen hatte, Wien
die Verhand-
plotztich verlieB, nahm man das hier zum Vorwand,um
Rück-
Iungen bis zu seiner Rûckkehrzu vertagen. Leibnizwar zu dieser
kehr entschlossen:er wolltenur sehen, waser jetzt in Londonerreichen
kônnte. Aber bei seiner Ankunft in Hannover batte der Hof die Reise
nach England schon angetreten und für ihn den strikten Befehl hinter-
zu
lassen, nicht zu folgen, sondem die aufgetragene Welfengeschichte
40 M<t& und J~ ~'</a/~
vollenden. Er war gehorsam und sturztc sich in die Arheit. Sie nahm
seine ganze Kraft in Anspruch. Sein Briefwechselbildete seine einzige
Erholung, oder er ubertieB sich einen Augenblick seinen Trâumen,
mit der Feder in der Hand, wie er das liebte. Unendlich viel wollteer
noch schaffen, organisicren. Die Erdc bedeckte sich ihm in solchen
Stunden mit eincm Netx von wissenschaftlichen Instituten, alle dem-
selben ewigenZiele zugcwandt. dieVotker versôhnend, das ReichGottes
verwirklichend. Zwei Jahre, und er hatte das historische Werk so weit
geführt, wie er sich vorgenommen. Er atmete auf. Aber diese beiden
Jahre hatten seine Gesundheit vernichtet. Am !4. November 17! er-
eilte ihn der Tod.
Seine Plane und Hoffnungen sanken mit ihm in das Grab; die eine
Sozietât in Berlin, deren Gründung ihm getungen war, siechte dahin:
alles gehôrte der Zukunft an. Eine tragische Notwendigkeit liegt in
diesem Scheitem der organisatorischen Lebensarbeit cines Leibniz,und
die bcsondercn Hindernisse, auf die cr bci seinen cinzelnen Versuchen
stie&, lassen sich, soweit sic nicht geschicht!icheZufa!Hgkeitenwaren,
auf ein allgemeinesVerhattnis zuruckfuhren. Die Akademien sind die
Trager der Idee einer freien Wissenschaft und einer wissenschaftlichen
Kuttur. Abcr diese Kultur ist an die Voraussetzunggebunden, daB die
Votker eine gewissc Stufc a!!geme!ner Bildung erreicht haben, daB
also die hohercn Unterrichtsanstalten, vor allem die Universitâten, sich
mit dem wissenschaftlichenGeist erfüllt haben. Denn diese Organisa-
tioncn bcsit~cnein unmittelbares Verhattnis zur Breite des Lebens und
deshalb zu den Zwcckendes m:ichtigsten seiner Verbande. des Staates.
Die Mission der Akadcmien ist also an die Entwicktung der Universi-
tâten zu wissenschaftlichenArbcitsstatten gebunden. Dieser ProzcB
setzt in dem Zc!ta!tcr von Leibniz allenthalben ein, am deutlichstcn
in Hattc. der neuen Gründung des preuBischen Staates. Aber es hat
cines Jahrhunderts gcbraucht, daB cr durchdrang und seine Wir-
kungcn für unscre wissensrhaftlichc Kultur âuBerte.

DIE NEUE WELTLICHE KULTUR


ï.
Das a!cm<'ine Moment, welches die geistige Kultur DeutscMands
in dem ïahrhundett vom drci~igjâhriKcn Kriege bis zu Friedrich dem
GroBen bestimmtt'.lag darin, daB dieses xuruckgcb!iebcneund zuruck-
geworfene \'o!k überall die ùbericgenc fremde Kultur in sich aufzu-
nehmen strehte. Vie! Unsegen. falsche Verehrung des Auslandes. Ein-
dringen fremder Sitten und Unsitten. war damit verbundcn. lnsbeson-
dere die durch Fonn und Schônheit ûberlegcnc franzôsische Bildung
imponierte den Deutschen auch in ihren schlimmen Seiten. FQrsten
neueW<< A~ 41

und Hofe fanden hier Vorbitder vornchmcr tmmoralitat. Aber wcnn


anders es eine gcmcinsame Kultur des christlichen Abendtandcs gibt,
so wird man die Entwicklung, die Deutschland damais durchgemacht
hat, nicht nur mit dem MaBstabcdes nationalen Eiferers messen. Denn
das war nun ihr groBer geschichtlicher Zug, daB auf der Grundlage der
reformatorischen Innerlichkcit eine organische Fortbildung unseres
Geisteslebensstattfand.
ôsterreich nahm an diescr Entwicktung nicht teil. Hier ging auch
nach dem westfalischcn Frieden die Gegenreformation mit ihren
Schrecken weiter. Das Ma6 von Glaubensfreiheit, das der Friede dem
ûbngen Deutschland sicherte. haben die Habsburger ihren Untertanen
nicht zugestanden. Die protcstantische Ketzerei wurde ausgerottet. Die
Glaubenseinheit unter dem katholischen Kaiserhause wirkte politisch
als zusammenhaltendesBand der verschiedenen VSIkerschaften: für
die geistige Bewegung war sie auf lange hinaus der Tod. Wie viel
hatte einst im Mittelaher die deutsche Dichtung aus der hellen Freudig.
keit des ostcrrcichischen Stammes cmpfangen: jetzt verband sich dort
mit Unterwürfigkeit unter die geistliche und weltliche Macht ein heite-
res Sinnenleben. Osterreich trennte sich von dem Geistesleben der Na-
tion es war der Anfang seinesAusscheidens aus dem deutschen Reichc.
Die geistlichen und ûbprhaupt die katholischen Territorien verfietcn
im wesentlichen demselben Schicksat. Demgegenüber entfaltete sich
nun im protcstantischen Deutschland das Leben der neuen Zeit. Denn
wic hier lutheraner und Reformicrte. aIs einander gleichbcrechtigt,
in fester Rechtsstellung sich entwickeln konnten, wie der Geist der
Duldsamkeit aus der Erfahrung so langer Leiden erwuchs. wie das
wirtschaftlirhe Leben sich wieder rcgte. ergaben sich die Voraussctzun*
gen für die eigentümliche Vcrbindung gemi!dcrter Religiositât mit
wissenschaftlichemDenken und cincm ncuen Stil des Lebens und der
Kunst, die dieses Jahrhundert zwischen dem Zeitalter der Reformation
und Gcgcnrcformation und dem der AufHârung kennzeichnet.
Der besondere Charakter diescr neuen Kultur war dann bedingt
durch den Zustand unserer Gescllschaft nach dem gro6en Kriege. Die
alte Gliederung Mieb: Fürst, Edelmann, Geisdichkeit, Bürger und
Bauer. Aber in dem Gewichtder Stande hatte der Krieg die Verschic'
bung beschieunigt und vcrstarkt. die seit dem Ausgang des Mittcbiters
auf der Bahn war. Nicmand hatte unter der Not des Krieges so schwer
gelitten wie der deutsche Baucr. Wcr kennt nicht die furchtbarcn Schil-
derungen des Simplizissimus? Vielc Dorfer verodeten ganz. Und als
nun der Friede dem Treiben der Soldaten cin Ende machte. kamen der
Gnmdhcrr mit der Ausbeutung durch Dienste und der Fürst mit der
'durch Stpupm. Die Knechtung des Rauemstandes wurde nun vollendet,
Z~Mtt~
4~
und nur in schwerer, langer Arbeit des Staateskonnte sich hier wieder
eine wenn auch noch so bescheidcne geistige Kultur entwickeln. Der
Niedergang unsercr Stâdte hatte ebenfalls schon lange vor dem Kriege
begonnen, seitdem der Welthandel andere Wege eingeschlagen batte
und rings um Deutschland die neuen nationalen Staaten erwachsen
waren. Dazu kamen nun auch hier die Folgen des groSen Krieges.
Handel und Gewerbe zerstôrt, die Bevôlkerung vermindert und ver-
armt, die alte Wehrhaftigkeit und Tatkraft gebrochen, und von Kaiser
und Reich kein Schutzmehr weder gegen das Ausland noch gegen die
eigenen Fürsten: so waren auch die Wurzeln abgeschnitten, aus denen
sich vordem das reiche Geisteslebenunscres Bürgertums genâhrt batte.
Die Stâdte waren nicht mehr Mittelpunkt einer eigenen Kultur. Der
Bürger batte sein Setbstgefuht verloren und blickte nach oben, wo
allein nun auch für ihn die Ideale des Lebens verwirklicht waren.
Eine eigentümliche vermittelnde Rolle hatte in den protestantischen
Territorien die GeistUchkeitgewonnen. Sie brachte in den regierenden
Kreisen die religiosen und moralischen Gesichtspunkte zur Geltung,
und die Erziehung der Massen zu jeder Art von geistiger Kultur, aber
auch zum Gehorsam gegen die Obrigkeit lag vomehmUch in ihren
Hânden. Sie behauptete sich in dieser Doppelstellung, wenn nun auch
nach oben hin mit wachsender Reverenz und Toleranz, und wie sie
dann von der pietistischen Bewegung ergriffen wurde, fiel ihr noch
einmal eine bedeutsame Aufgabe in unserer Kulturgeschichte zu. A!s
ein besonderer Stand waren aUmâMichdie Trâger des gelehrten Unter-
richts an den hoheren Lehranstalten herausgetreten, wenn sie sich auch
noch in der Regel aus der Schute der Theologen erg&nzten. Dazu dann
die Professoren an den Universitâten. Und auch für diese Stânde stei-
gerte sich jetzt die Abhângigkeit in dem MaBc,wie der Staat immer
entschiedener das Bildungswesenan sich zog und alle Korporationen
niedcrdnickte. Aber eben in diesen Kreisen bildete sich dann das reli-
giôse Ideal der Reformation um zu dem ciner Harmonie des Christen-
tums, der Antike und der neuen Wissenschaft. Eine Entwicklung, die
mit heftigen Kâmpfen der Orthodoxie gegen den geistigen Fortschritt
verbunden war und sich doch nirgend aufhalten !ie6.
So waren alle Umsetzungen in der deutschen Gesellschaft durch-
gehends mitbestimmt durch die Ausbildung der fürstlichen Macht. Es
war ein aUgemeiner europâischer Vorgang. Aber wahrend er den an-
dem Vô!kem zu nationaler Eicheit und Geltung verhalf, steigerte er in
Deutschland, wie in Italien, die Zersplitterung und Ohnmacht des Gan-
zen. Der westfâlischeFriede bestâtigte den Sieg des deutschen Fursten-
tums über Kaiser und Reich. Fortan war, wer sich in dem allgemeinen
Gegen- und Durcheinander behaupten wollte, auf sich selbst gestellt.
~~M~~M~~M~&&
So wurden die Territorien, zumal die gro&eren weltlichen,m Zentren
staatsbildender Kraft. Die Se!bstândigkeit des Adels und der Stâdte
mu6te gebrochen, der Anteil der Kirche an den Unterrichts- und Wohl-
fahrtsanstatten eingeschrânkt, der oft seltsam durch Erbgang, Heirat
und Eroberung zusammengebrachteBesitz des Fürstenhauseszu einem
einheitlichen Verwaltungs-und Wirtschaftskorper geformt, jeder tech-
nische und geistige Fortschritt benutzt werden, um aus dem Lande an
mititârischer und finanzieller Kraft herauszuholen, was es hergeben
konnte. Das MaB, in welchem das alles gelang oder der Erfolg unse-
rer wirtschaftlichenund geistigen Kultur zu gute kam, war in den ein-
zelnen Territorien sehr verschieden. Obéra!! sichtbar war der Anspruch
des Fürsten auf eine MachtvoUkommenheit, wie sie bis dahin in
Deutschland unerhôrt gewesen war, und indem der Adel den Wider.
stand aufgab und im Hof-, Staats- und Militârdienst seinen Beruf fand,
indem ein Beamtentum erwuchs, welches in den Anschauungen des
Naturrechtes lebte und sich den Absichten des Fûrsten ganz zur Ver-
mit
fügung stellte, erhielt der fürstliche Absolutismus die Werkzeuge,
denen er sich mehr oder minder durchgesetzt hat. !m besten Falle ent.
standen doch nur Zwergstaaten, und eine wirkliche Losung des po-
litischen Problems gelang erst der Energie, die den Staat der Hohen-
zollern geschaffenhat. Die grôBte Gefahr lag immer in dem verlocken-
den Beispiel des franzôsischenKônigtums. Dort war ein Finanzsystem
der Ausbeutung der Untertanen durch Verpachtung der Steuem an die
des
groBen Bankiers ersonnen worden, das bei stândiger Vermehrung
Defizits immer hôhere Ausgaben fur militârische und hôfische Zwecke
zusam-
ermoglichte. bis es sch!ie6!ich in der franzosischen Revolution
menbrach. Seitdem LudwigXIV. nach dem Tode Mazarins selbsttatig
die Regierung ubernommenhatte, war der Glanz dieser gro&enMonar-
chie und ihrer hôfischenKultur das Vorbild der regierendenHerren, von
dem ersten preuBischenKonig abwârts bis zu dem kleinsten Dynasten.
Das neue Ideal fürstlichen Daseins war auf die vomehme Form der
in ihren
Lebensgestaltung gerichtet. ïn der hôfischen Geselligkeit,
Festen und in ihrer weltlichenKunst gelangte es zum Ausdruck. Wenn
in den Prunksa!en ihrer ScMosser der Olymp in den Gemalden der
franzôsischen Malerauf sie herabMickte. durften diese Selbstherrscher
sich als die neuen homerischen Gôtter fühlen, die der Arbeit und Not
der niederen Sterblichen enthoben waren. Alles, was diese Distanz er-
weitem konnte. wurde herangezogen.
Das war die Atmosphâre,in der eine neue Art die Dinge zu sehen,
neue Ziele des Lebens sich bitdeten. und der gebundene, gednickte,
an stummen Gehorsam sich gewohnende Untertan die Kunst lernte,
von den dreihundert deutschen Hofhaltungen irgend etwaszu erhaschen,
44 /1<M~!und J<!<M
~«W~
Schutz, Einkommen, einen hofischcn Titel. Aber auch eine andere
Seite dieser Lage machte sich geltend. Neben den gro6en feUgiosen
Fragen, welche bis dahin die Geister beherrscht hatten, fesselten jetzt
das ôffentliche Interesse immer mehr die Persôn!iehkettcnder Fürsten,
ihre Machtkaïnpfe untereinander und mit ihren inneren Gegnem, die
Intriguen in ihren Familien und um sie her. Dies wurde cin wichtiges
Moment in der Entwicklung unserer Literatur. Den Gegenstand der
neuen Tragodie von Gryphius, des neuen Romans des Herzogs Anton
Ulrich von Bmunschwe~. Lohensteins und ihrer poetischen Genossen
hildeten nun Schicksale von Kônigen und Mâchtigen, heroisches
und hôfisches Leben. Ein neuer Kunststil wurde entwickelt. Diese
aristokratischc Dichtung gewann das Ohergewicht über die voikstHm-
liche Kunst, die auf die Macht des Bürgertums in den Stâdtcn und das
cinheitliche Verhattnis von Religiositât und GeistUchkettzu aUen Klas-
sen gegrundet gewesen war.
t.
Aus dem Zusammenwirkender verschiedenen Krâfte, welche die
deutsche Gesellschaft dieser hundcrt Jahre und ihr Geistesleben for-
mierten, entstand der neuc Mensch, der damais unsere geistige Kultur
auf eine hôhere Stufe gehoben hat. Das Verhattnis. in welchem sich
Altes und Neues in ihm verbindet. zei~t manchen L~nterschied, und
seine îndividuaHtâthangt davon ab. In den groBen Meistern der geist-
lichen Musik uberwip~t noch das kirchliche und rc!igi6se Moment, tn
Moscherosch und Grimmelshausen behauptet sich noch das Verhâttnis
zur Vo~sdichtun~:bci Schriftstcllern,welche doch schon von der welt-
Hch-~elehrten Bildung erfuHt sind. Opitz. Fleming, Gryphius offen-
baren das schonstc G!cichgewicht der reHgiosen Grundrichtung der
Nation mit dem neuen Welt- und Lebensgefühl, dem neuen Interesse
für Politit, und Gcschichte, für AufMâTung des Verstandes und Er-
ziehung der rersonlichkeit. Und von Leibniz ab macht sich die Ver.
bindung geltend, in welcher die mathematische Naturwissenschaft, das
nat~irtiche System der Gcisteswisscnschaftcn, die abgemilderte ire-
nischc, pietistische, mystische Thcnto~tp und die teleotogische Welt-
ansicht, kurz, Renaissance, fort~eschrittenes Christentum und die mo-
derne Wissenschaft sich zu einer einheitlirhen Weltanschauung von
der horhsten Bedeutung crhoben hahon. Die Universantât des deut-
schen Gpistcs gelangt nun in der Philosophie zum Ausdruck.
Aber wie verschit'den auch diese Mischungen sind, alle diese Cha-
rabtere haben doch cin gemeinsames. neues und eigpnttimiichcs Ge-
prage. Sie beruhcn auf dem Protestantismus. aber sie haben sich von
allem Engherzigen des<.p!henbefreit. Sie haben die neue weltliche Kul-
tur in sich aufgenomm<'n.aher nichts von der Sittenlosigkeit franzô-
/r <M<~
.~<Mt~ 45
sischer Bildung hat EinfluB auf sie erlangt. Sie leben zumeist in
Staatsamtern, in stândischen oder stadtischen Diensten, oder einge-
fügt in den Betrieb der Universitâten und Gymnasien, sic sind treue
und gehorsame Untertanen: aber sie behaupten ihre innere Seibstandig-
keit, welchetief gegründet ist in protestantischer Religiositât, in festem
FarniHensinn,in starkem PfUchtgefuht, in der Autonomie des wissen-
sdtaMichen Geistes, der seine freie Atmosphâre uberatthin verbreitet.
]~s sind starke Individualitâten, in denen das konventionelle Denken
seine Macht vertoren hàt: aber diese Individualitâten sind noch fest
geftigt, in sich geschlossen. Die Modulationen des Gefühls und der
Leidenschafthaben hier überall noch ihre Grenze an einer zusamnien-
hahcnden Macht, die in einer inneren Gebundenheit besteht. Ebcn darin
licgt die eigentümliche Stufe ihres BewuBtseins: sie lassen die au6ere
Autoritât der Kirche hinter sich, aber eine innere Bindung bestimmt
ihr ganzes Wesen. Und das ist das Neue: in dieser Bindung sind das
retigiose Moment und die Bindung durch das rationale Denken ~nit
cinander verknüpft. Diese beiden Krâfte sind in einem Gleichgewicht,
auf welchemdie einzigartige Stellung dieser Charaktere beruht. Solche
Manner werden patriarchalisch in der Familie regieren, ihr auBeres
Lebenmit Kiugheit lenken, in jedcm Augenblick sich zügeln. Sie sind
erfüllt von dem stârksten BewuStsein ihres Berufes im Leben hielin
verwirklichen sie das Ideal der Reformation: aber dieses Bewu~tsein
hat schon etwas von dem Setbstgefùht der Trâger der rnodernen Kul-
tur in den Niederlanden, in Frankreich und in England. Sie tun ihr
Werk, mit festen Schritten vorwarts schreitend, von den Sachen selbst
bestimmt, und doch zugleich weltkundig, ja Virtuosen der Menschen-
hchandiung. Und ihre Schôpiungen in der Musik, Literatur, PMIo-
sophie sprechen das ist das GroBte ein persôniich errungenes
HcwuGtscinvon der Bedeutung der Welt und des Lebens aus. Die
Mânner der Reformation waren Reprasentanten des GemeinbewuBt-
seins ihrer Zeit: die neuen Gestalten treten als Persônuchkeitcn heraus,
als solche ihre Stellung zur Wett gewonnen haben. Damit hângt
dann ein Letztes zusammen. In der Sphâre der Dichtung und Phito'
sophie geht nun das deutsche Bewuf3tseinhinter den Standpunkt der
Reformation zurück, auf welchem noch die Bindung an die Autoritât
der Schrift geherrscht hatte. Die neuen Dichter und Denker t'rfasspn
die Bedeutung des Lebens, indem sie weiter dringen, in eine Tiefe.
wo das rationale Denken, die freie Auffassung der Welt, die Besin-
nung der Person auf das, was dem Leben seinen Wert gibt, sich gel-
tend machen. So vollziehtsich in ihncn ein entscheidender Fortschritt.
Die Reformation war auf das einfache religiose Erlebnis zuruckge-
Han~en. Sic hattc das ganzc objckthc Gedankensystcm der kirch-
46 JMM?<~M
lichen Macht zertrümmert, und das Individuum stand nun fremd der
Welt gegenüber, ja durch die Schuld der Reformatoren im Gegensatz
zu den berechtigten Forderungen des wissenschaftlichenund
philoso.
phischen Denkens. Aber seit dieser Zeit b&ttedie Aufgabe nicht ge-
ruht, von der neuen religiosen Grundlage aus den Zusammenhang mit
dem Fortschritt der geistigen Kultur zurückzugewinnen.Eben diesen
Zusammenhangerringen sich die neuen Personlichkeiten.Der Idealis-
mus der Person, wie er sich gleichmâSig im Christentumund in Plato
oder Cicero ausspricht, ist die allgemeine Weltanschauung, die in den
Dichtem und Denkern der nâchsten hundert Jahre fortlebt. Die ver.
antwortliche, durch ein inneres Gesetz gebundene Person, wie sie durch
den Zusammenhangmit der unsichtbaren Welt herausgehoben ist aus
dem Verbandeder sinnlichenAntriebe und Leidenschaften das bleibt
auch ferner das Grundwesendes deutschen Menschen.Und die Wutdi-
gung der Bedeutung des Lebens bleibt hiervonabhângig. Aber immer
entschiedenerwird dieser Standpunkt auf das vemunftige Denken ge.
grùndet. Was dabei an unmittelbarer religiôser Kraft verloren geht,
wird ersetzt durch die andere, das Leben in seiner ganzen Fülle zu
erfassen und zu leiten, und durch die Uberzeugungvon der Notwendig-
keit und Allgemeingültigkeit der neuen EinsteHung des BewuStseins,
von der Obereinstimmungaller Zeiten, Vôiker und Religionen in ihr.
Die deutsche Aufklarung hebt an.

3.
Diese Personlichkeitenwaren zunachst in der Literatur und Dich-
tung auf ein festes Ziel gerichtet. Innerhalb der Renaissancepoesie
Europas wollten sic dem ruckstândigen deutschen Volke durch Werke
von dauerndem Kunstwerteinen Platz erringen. Hierbei stellten sich
ihnen auBcrordentnche Sch~'ierigkeitcn entgegcn. Der groBc Weg,
den Shakespeare gegangen ist, die Verbindung des Voiksma&igenund
Nationalen mit den Kunstmitteln und der Formenschonheit der Re-
naissance. war der deutschen Dichtung durch unsere politische und
soziate Entwicklung verschlossen. Kein gemeinsames gro&es Handeln
verband mehr die Teile unseres Volkes. Jeder ,,mainteniertc" seine
Standescxistenz.der stâdtische Bürger, der mtsfâhige Kaufherr, die
Geistlichenund die Gelehrten, und über alle weit hinausgehoben, Adcl
und Furstentum. Aber auch die aristokratische Kunstdichtung Frank-
reichs war bei uns nicht môgtich. Sie sctzt eine hohe
Entwicklung der
Gesellschaft voraus. Gewôhnung der herrschenden Stande an vor.
nehme Lebcnshaltung, Verzicht auf grôbere Genüsse und Gefühle zu
gunsten der feineren, geistigeren, und dazu Obung, sich diese Seelen-
zustande bcwujit zu machen und ausxudruckcn. Eine solche gesell-
~~a/ und ~<a~~
schaftlicheEntwicklung hatte in den gro6en italienischenStâdten und
an den Hôfen von Madrid, Paris und London stattgefunden:in Deutsch-
land gab es keine Stelle dafür. Der osterreichischeHof lebte im Schat-
ten der katholischen Kirche und der Jesuiten. In den deutschen Zwerg-
staaten mangelten Raum und Mittel. Der vorùbergehendenKunstNute
in Dresden unter August dem Starken fehlte die Bodenstândigkeit.
Und die Neigung des ersten Kônigs von PreuBen, im Glanz einer Ge-
sellschaftvon Künstlern, Philosophen, Geschichtschreibernsich zu son-
ncn,machte unter seinemSohne dringenderen praktischenBedurfnissen
und einem halb barbarischen, halb pietistischen Geiste Platz. Dies
warendie Ursachen, welchedamals keine dauemde poetischeSchôpfung
bei uns aufkommen lieBen. Feine Kôpfe wie Opitz, bedeutende Per-
sonlichkeiten wie Fleming und Gryphius, eine hervorragende dichte-
rische Kraft wie Grimmelshausen,erlangten Ruhm oder doch starkes
Interesse in ihrer Zeit: aber es gab eine verborgene Schranke, die
sic alle umgab, die kein Wille und kein Talent durchbrechen konnte.
Auchden starken Personlichkeitenunter ihnen mangelte die aus Leben
und Gesellschaft entspringende freie Beweglichkeitdes Gefühls, die
Weite der Ertebnisse, die Tiefe des Nachverstândnisscsvon groGem
Dasein in Geschichte und Gcgenwart. Ihre Phantasie ist wie einge-
schnûrt,schematisch und darum unfâhig, die ganze Rundung des Men.
schendaseinshinzustellen. Stuben-und Kirchenluft umgibtihre Gebilde.
Am augenscheinlichsten machte sich der unvollkommeneZustand
der deutschen Sprache geltend. Sie besaB eine unvergleichlicheAus-
drucksfahigkeit für die reHgiôse Innerlichkeit: aber wie weit stand sic
zurückin der philosophischen Prosa, in der freien, fHeBendenErorte-
rung und Betrachtung, in jedem Hilfsmittel für gesellschaftliche Le-
bensformen. Die Literaturen des modernen Europa beruhten auf der
vornehmenGesellschaft in den Hauptstadten und an den Hôfen Ita-
liens, Spaniens, Frankreichs und Englands. Eine starke Entwicklung
der Reflexion über Welt und Leben umgab sie. Eine nationale Prosa
war ihrc Grundlage. Eine feine Differenzierung der Gefühle und der
gegenstandtichenAuffassung in den herrschendenKlassenâuBerte sich
in ihrer Dichtersprache. In Deutschland hatte keine gebildete Gesell-
schaft den Wortschatz für die feinere Unterhaltung und Darstellung,
fur den Ausdruck der edlen Leidenschaft, für die Anmutdes poetischen
Stils, ausgesondert und emporgehoben über die Sprache des Volkes
und des AUtags. Um dem Bedürfnis von Vers und Reim zu genügen,
stumpfte man skrupeuos die Worte ab oder weitete sie aus und fügte
Ansâtzehinzu. So muB man selbst bei der Lektüre von Fleming und
Gryphius bestandig die Unvollkommenheiten des sprachlichen Aus-
drucks auszuschalten suchen, und darum sind sie für uns heute fast
Z~m? ~</ ~t 2'~y<t/&r
restlos untergegangen. tn der Prosa gingen aus der Nachahmung der
Alten die gedehnten Perioden, und aus der Einwirkung der Neueren
die Sprachmengerei hervor.
Die literarische Bewegung, die schon wâhrend des gro6en Krieges,
vorwiegend im Kreise der studierten Beamten, Gelehrten und Gcist-
lichen begann, tichtete sich daher zunachst auf die Reform der Sprache
und der mit ihr eng verbundenen Verskunst. Sie war angewiesen auf
die Nachahmung der ausgebildeten fremden Literaturen. Weckherlin,
der die neue Ktmsttyrik des Auslandes einführte, brachte uns zuerst
die starke, kraftstrotzendeSprache, denVers- undStrophenbau und den
mythologischen Apparat der Renaissancepoesie. In Heidelberg ent-
stand unter hofischem Einftuû cin Mittctpunkt der neuen Kunstrich-
tung, dem Scliede und Zinkgref angehôrten. Auch die ,.Frucht-
bringende Gesellschaft"arbeitete an aUgemeiner Regelung der Sprache,
Befreiung von der Fremd!ânderei, Fortbildung der Verskunst.
Inmitten dieser Bestrebungen ist Martin Opitz aufgetreten. Er
ging aus vom Studium der Alten und der damaligen Renaissancedich-
tung. Da setzte er sich nun in erster Linie die begrcnzte Aufgabe, eine
Regulierung der verwildertenVerskunst herbeizuführen, und er hat sic
für seine Zeit geiôst, durch einteuchtende Regeln und durch das Bei'
spiel des neuen Wohlklanges seiner Gedichte. Gegenüber der btoCen
Zahlung der Silben und der Vemachiâssigung des Tonwertes ging er
zunick auf das metrische Grundgesctz unscrer Dichtung, nach welchem
die Betonung der Silben in der Rede bestimmend bleiben muB fur den
Versakzent. Er führte die Gleichheit der Silbenzahl in den einzelnen
VersfuBen strenger und freilich auch cinfonniger durch. Und wenn
man im Interesse des Versbaues der Sprache auf Schritt und 'I'ritt
<.ew:th angetan hatte, so erhob er auch hiergegen Eitispruch und
wirkte überhaupt wohttâtig auf ein reineres Deutsch. Er regelte den
Reim und brachte die Begriffe der neuen Poetik seit Scaliger über
die Gattungen der Dichtung und deren Wert zur Geltung. Ais Dichter
hat er sich beinahe in allen Gattungen versucht. Das Beste gelang
ihm doch in seinen Liedern. Prutestantische Religiositât, Freundes-
treue. eine heitere, spielcnde Auffassung der Liebe. manger GenuB
und verstândige Frôhlichkeit bilden ihre Grundstimmung. Der I.ebens*
erfahrcne predigt überall reHgiosc Duldsamkeit. Von einer âuScrcn
Vt-rbindung des Christlichen und Wehiichen ist er doch noch nicht zu
dem neuen Inhah der kommendenPoésie fortgeschritten. Seine Stârke
tie~t in cinem Woh)!autder Verse, der auf ihrer Reinheit beruht. Eine
gieichma~igp tagesbcteuchtung ist über sie gebr<'itct. Es gibt in ihncn
kfinr damtnerndcn Hintergrundc.
Su entfaht'tc sich unscre lyrisc!~ Kunstdichtung. In ihr zuerst
.Va~ < 7''&w~ 49
sprachsich das LebensgefuMdieser neuen Menschenaus. Innerhalb der
dcutschen Religiositât vollzog sich eine Verschiebung der Werte. Die
Dogmentraten zurück, aber die reUgioseAuffassung von der Bedeutung
des Lebens gelangte um so freier zur Geltung. Diese emsten Menschen
lebtenin dem aus der Summe ihrer Erfahrung xusammengefaûtenBe-
wuBtseinvon der Unsicherheit und Vergângtichkeit des Lebens: da
trat in ihnen der Kern der .protestantischen Religiositât heraus,
das Vertrauen auf die Vorsehung und die Ruhe der gerechtfertigten
Secle. Hiermit verband sich nun aber ein anderes Moment das aus
der nieder!ândischen Stoa stammte. Es durchdrang die ganze nieder-
landische Literatur: der Geist fand in der Tiefe seiner selbst, in der
GewiSheitseiner rationalen Prinzipien seine Sicherheit. Fleming und
Gryphiussind die Trâger dieses neuen Gehaltes der Poesie. Die Ly-
rik des Angelus Silesius erfa&t in anderer Richtung den metaphysi-
schenGehalt des Lebens. Und auch weniger bedeutende Dichter errei.
cheneine neue, einheitliche, freie, freudige Stellung zu Weltund Leben.
F 1 e mi ng ist ein Genie der Lyrik. In dieser bedeutenden, kraft-
voUcnPersonHchkeitruft das Leben bestândig starke und mannigfache
Bewcgungen hervor, die einen Ausdruck in der Melodie der Verse
suchen.Er liebte die seiner Begabung verwandte Musik,und eine seiner
Oden feierte den grôBten Musiker seiner Zeit. Heinrich Schütz. Sein
Drang nach Erlebnis führte ihn in feme Lânder. Allen Seiten der Welt
war er offen. Er lebte rasch, beinahe ungestüm, und verzehrte sich
fruh. Die Stimmungen seiner Lieder sind nicht mehr nach Fachem ab-
~ctei!t, sondem eine einheMiche, gro6c Anschauung von der Bedeu-
tung des Lebens crfüllt und verbindet sic a!te. Er kündigt, wie Walther,
dcr Wett seinen Dienst:
\e!t, gute Nacht,mit allem(tcinemWeMn
Gehabdich'K'oh!'
Vonjetztan schwingich mich,
Fret,ledig,tf)!i,hochübermichunddich.
1)as Leben erscheint ihm flüchtiger als Wetterleuchten: a!tes ist
nichts, und der Mcnsch dcr Schcin dièses Kichts. Das allein Daucrnde
ist die E~uUung der Seele mit dem hochsten Gut: diese allein "macht
h"ch. macht reich". Dies t~cbcnsgefùht hat vielleicht in aller Poesie
keinentieferen Ausdruck gefunden als in seinem Gedicht auf den Tod
<mfs kurx nach der Geburt gestorbenen Kindcs:
!stsdcnnwicf!('r<)chcnver!or<'n?
War es doch kaum erst geboren.
Uas geliebteschone Kind.
Es war wiedas BtiimchenTausendschôn,das
Mit detn frühcn Ta}fentsteht,
Mit ihm wachet,
Di)t)tfy,Gf<.uBtMtt<')'c)thtt<'n!t!
50 J~tMt und soin 2'<'<&
Mit ihm schcinet,mit ihm tachet,
So auch mit ihm untergeht.
KleineTochter,sei nun selig,
Und ïeuch uns auch stets allmâhlich
Nach dir auf und himmelan.
DiesenKorb voll Anemonen,
Der der Frost stets soli verschonen,
Streuenwir auf deine Gruft.
Schlafcruhsamin dem Kiih!ea!
Um dich her soUewig spielen
Die gesundeMaienluft.
Sein stoisches LebensgefuMaber findet den hochsten Ausdruck in
dem Gedicht ,,An Sich", das so schon in der Aufschrift an das un.
sterbliche Werk M&rcAurels gemahnt. Mit einer gro6en dichterischen
Wendung wirft er hier alle Vergângtichkeitenhinter sich, und aus ihrem
Nebel erhebt sich der helle, kraftvolle Anfang:
Sei dcnaoch unvcrMgt,gib dennoch unverloren,
Weich keinemGtuekenicht, steh hoher als der Keid,
Vergnugcdich an dir, und acht es <arkein Leid,
Hat sich gleich widerdich Glück, Ort und Zeit verschworen.
Was dich betrübt und labt, ha!t alles für erkoren.
Kimm dein Verhângnisan, ta6 alles unbereut.
Tu, was getan muû sein, und eh man dits gebeut.
Was du noch hoSen kannst, das wird noch stets geboren.
Was ktagt, was tobt mandoch? Sein Unglückund sein Glücke
Ist ihm ein jeder selbst. Schau alle Sachen an,
Dies alles ist in dir. LaBdeinen eitlen Wahn,
Und eh du <3tdergehst,so geh in dich Miticke.
Wer sein selbst Mciiiterist und sich beherrschenkann.
Dem ist die weiteWelt und alles untertan.
Aus dieser Souverânitât der ihrer selbst sicheren Person stammt
sein groBer Stil. wie er am stârksten in der Grabschrift auf Gustav
Adolf und seiner eigenen auf dem Totenbett niedergeschriebenen
henortritt. Aus ihr stammt aber auch die Freiheit der Seele, mit der
er sich jedem starken Moment des weltlichen Daseins
freudig htngibt.
dem Vaterlande, der Natur, der Freundschaft, dem Ruhm und der
Liebe. Auch ihm, wie durchweg dem groCen Lyriker, ist Liebe der
Mitteipunkt der Dichtung. Und auch hier sind es reale Erlebnisse.
die er darstellt; gesunde sinnliche Kraft verbindet sich in ihnen mit
dem Adel und der Treue der Gesinnung. Das ist
überhaupt die Form
seiner Lyrik: sic bat mit der von Gryphius, von Paul Gerhardt und
auch geringeren Dichtem dieser Zeit
gemeinsam, da6 sie die Dinge
ganz wahrhaftig, reaHstischzum Ausdruck bringt. Sie hebt nicht, wie
unsere ktassische Dichtung von Hagedorn und Uz bis zu Goethe und
Schiller, nur Momente von getâutertem Gefuhtscharakter aus dem
J~ ~~A*I
Lebenheraus. Auch das, was uns prosaisch erscheint, Iâ6t sie zu. Darin
liegt etwas uns F rerndes. Und jedes Gedicht ist vorwarts drangende
Bewegung. Es schreitet voran in kurzen, gedrungenen, oft atemlosen
Sâtzen, und jedes ist von Mélodie der Sprache erfüllt. Fleming be-
herrschtaUe Formen vom Ton des Volksliedesbis zum lyrischen Kunst-
stil der Renaissance. Seine Sonette sind bis auf Bürger nicht wieder
erreichtworden.
Dieselbe Weltanschauung kommt in der Lyrik von Gryphius zum
Ausdruck. Aber noch tiefer fallen die Schatten des gro6en Kriegcs,
Verwùstungen,Volkskrankheiten, Mangel an nationalem Interesse fur
die Dichtung, auf sein Leben, und die Fârbung seiner Stimmung ist
noch düsterer. Noch umfassender, zusammengenommener,mâchtiger
ist seine Personlichkeit. Ihr lyrischer Ausdruck ist gedrungene, er*
habeneKraft, erhôht durch den Glanz der Bilder, dem Barockstil ver-
gleichbar. Seine neue Form bat eine eigene Gcschlossenheit,weshalb
das Sonett ihm am meisten gcmâ6 ist. Aber selten tritt ein natürlich
bewegter Ablauf des Gefühls in diesen Gedichten hervor: es scheint
stilizustehen. Auch den mannigfaltigen Eindrücken des Lebens gibt
er sich nicht nie Fleming hin, und seinen Versen fehlt der musika-
lischeFluR.
In einem Sonett ruft er die Sterne an: manche schône Nacht habe
er in ihrer Betrachtung gewacht:
HcroMendieser?.eit,wannwitdes dochgeschehen,
DaBich euch.
VonandemSorgenfrei. werduntermir besehen?
Die vier Gedichte, in denen er die Stimmung von Morgen, Mittag,
Abend, Mittemaeht darstellt, reichen an die hochsten Regionen der
Poesie. Morgent Die Sterne verdunkeln sich, die Morgenrôte entsteht
amgrauenHimmeî.DersanfteWinderwacht.DieVogetgruBcndenneupn
TaR: 0 dreimalhôchsteMncht!
Erteuchteden,der sich itzt heugtvnr deinenFtifien
Vertreibdie dickeNacht,die meineSeelumgibt.
Mittag Die Sonne steht in des Himmels Mitte, von ihren Flammen-
pfeilenwelken dieBlumen. und das Fetd verdorrt. Die\'oge! schweigen,
Lichtherrscht überall, wo wir immer weilen. Wie ist hier die Stunde
geschildert,in der die unerbittliche Macht des Lichtes die Welt sti!
stehen. jeden Klang verstummen, jede Bewegung enden ïâBt. Abend1
!)er scbnelle Ta~ ist hin; die Nacht schwingtihre Fahn
Und führt die Sternen auf. Der MenschenmüdeScharen
Verta~senFetd und Werk: wo Tier und V8ge!waren
Traurt itzt die Einsamkeit. Wie ist die Zeit vertan!
Gleichwie dies Licht verfiel,so wrd in wenigJahren
Ich, du, und was man hat und was man sieht, binfahren
4'
5~ M~ und.¥.n_
w'w ~o n..
Nacht! Einsamkcit. Schweigen: nur die rastlosen Leidenschaften
wachen: SterhUchet
Stethtiche!
lasseldies Dichten!
Morgen,achmorgen,ach muBmanhinziehn!
Achwirverschwinden gleichah dieGespenstc,
Dieum die Stunduns erscheinen undfiiehc.
Eine andere Wendung nahm die Lyrik, welche auf dem neuen
Gefühl von der Bedeutting des Lebens beruhtc, inAngetusSile.
s i us. Nicht in der Seibstândigkeit der Person findet er den festcn
Punkt im Leben, sondem eben in der Aufhebung des Selbst, dem
Schweigen des Verlangens,dem Ende desLeidens. der Ruhe in Gott, in
dem keine Zeit, kein Wollen, kein Wisscn ist, und der zugleich in
jedem Teil der Welt und in jedem Selbst gegenwârtig ist.
Leichtere Formen des neuen ï.ebensgcfuhts kommen in verschie-
denen poetischen Schulen Dcutschlands zum Ausdruck, vietfach mit
der verwandten, aber weit vorangeschrittenenMusikverbundcn. In dem
Kônigsberger Kreise ragt die lyrische Begabung Simon Dach's her-
vor. !n ihm verbindet sich die Kunstpoesie von Opitz mit einem scMich'
ten, volkstümlichen, innigen Element. Musik und Lyrik druchdringen
sich hier vollstandig. Auf dem Grunde aller Heiterkeit ruht doch auch
bei ihm wie bei Fleming, dem er am nâchsten steht, eine ticfc Schwer-
WieeinSchMmaufwilderHut,
DiedieWinderheben,
Wieder Rauchvoneiner<ttut.
So vergehtmeinLeben.
Die Xurnberger S<-hu!esch!ieût sich an die buko!is<-hePoesie
der Italiener an. In diesem uns so !âcher!ichenund unverstândlichen
deutschen Schâferwesen offenbart sich doch wieder nur die Sehnsucht
einer wilden Zeit nach einer entschwundenenVollkommenheitdes Da-
seins. Ein starkes NaturgctuMfindet hier neueFormen des
sprachlicben
Ausdru(ks, und eine wenn auch oft spielerische Mann!gfa!tigkcit im
strophischcn Aufbau und in der Verschtingung der Verse wird ent-
wickelt. Ha mb u r gblühte tnitten in dcn Sturmendes groBen Krieges,
infolge seiner neutralen Stellung, empor, und so erwuchs hier ein selb-
standiges geistiges Lcben. Neben Gelehrten wie Joachim Jungius,
Schriftslellern wie Balthasar Schupp, und einer Rcihe von tuchtigen
Musikem ersrheinen Philipp von Zesen und in der Nachbarschaft
Johann Ri s t. Der Wille zu lyrischer GrôGc ist mâchtigcr in ihnen a!s
die vorhandene Seelentiefc. So entsteht cin künstlich gesteigerter Af.
fekt, gt'hauftc Hilderund starke Worte. Das ÂuËcrstein dieser Hinsicht
erreichen dann die Dichter der xweiten sch!esisrhen Schute in I!of-
mannswatdau und I.ohcnstein. Sie bilden in Deutschland den
Hohepunkt jenes poetischen Stils, der dem Barock in den bi)denden
/? ~7' /?~ A~W<WM<!M 53
Kunsten verwandt ist, und der, von den Kritikern mit verschiedenen
Namen bezeichnet, in der ganzen europâischen Literatur sich geltend
macht. Dieser Stil prunkt in der schlesischen Schute 'n seltsamen
schweren Wortzusammensetzungen,gehâuften auffaHigen Adjektiven,
mit Purpur, Perlen und Gold, und er schwelgt in den starken Rcizen
der verführerischen Sinn!ichkeit und des Schreckens.
Von den sechziger Jahren des sicbzehnten Jahrhunderts ab ândert
sich der Charakter der deutschen Lyrik. Eine Reaktion gegcn den
Barockstil macht sich geltend. Der franxôsisrhc Stit. wie ihn dann
Boileauin seiner Poetik forrnulierte, gcwinnt EinftuG. Damais begann
ChristianWei se in dem gelehrtcn, grc&stadtischcnLeipzig seine ï~auf-
bahn. Seine Lyrik spricht cin heiteres LebensgcfuM,ein mâBigcs, ver-
stândiges Verhalten zum Leben wie zum Tode aus, in einem einfachcn
undklaren Stil. Cberall vollzieht sich nun diese Wendung vom Barock-
stil zum franzôsischen Klassizismus. !n dcm Berlin des ersten Kônigs
von PreuBen, diesem neuen Mittelpunkt von Wisscnschaft, Philosophie
und bildender Kunst, vcrtretcn in der I.yrik Canitz, Besser r und
Ncukirch die neue Mode: die Literaturgeschichte hat ihre Natnen
gerettet.
4.
Die beiden groBen Formen der Pocsie dieser hundert Jahre waren
der Roman und das Drama. Denn die Zeit des Epos war in Deutsch-
land vorüber, und keine Renaissancepoetik vermochte es wieder zu er-
wecken.
Von den prosaischen Umbildungen der ritterlichen Dichtung wie
den Amadisromanen, wandte sich das siebzehnte Jahrhundert zu
Sfhopfungen. in denen die Phantasie seibstandig wirkte. Neben ein-
ander erscheinen der hôfische Kunstroman und ein volkstümlicher
Sittenroman. ïn der aristokratischen Gesellschaft Frankreichs mischte
sic!)der Antcil an der groBcn Politik und Kricgführung mit dem an
den Festen und Kabalen des Hoflebens. Memoirenund GescHschafts-
und Sittenromane lagen auf dem Tische jedes hofischen Mannes und
jcder galanten Dame. Sie waren das Vorbild für den Kunstroman in
Deutschland. Dieser beherrschte unsere erxaMcnde Dichtung in der
zweitenHâ!ftedes siebzehntenJahrhunderts. Zesens ..Adriatische Rosa-
mund," ..Herkules und Valiska" von Buchhohx. die ..Aramena" und
die ,,Rômische Oktavia" des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig,
die Folianten des ,Arminius" von Lohenstein und Zieglers ,,Asiatische
Banise" waren die gefeierten Hauptwerke. Unter dem Gewande histo-
rischer ErzâMungen aus der germanischen Urzeit oder aus dem Hof-
lehen der romischcn Câsaren blicken überall die Ereignisse und Intri-
guen des Tages hervor, wie das ratsethafte Schicksal der Prinzessin
54 Zet~MS
u und sein &<W<~
von Celle. DieseVermischungvon Gcgcnwart und Vergangenheit, von
Historie und Dichtung, wc!chc die Geschichte ebenso verdirbt wie die
Poesie, entspricht nun einmal den Neigungen des Publikums, und die
historischen RomanMianten jener Tage im Barockstil haben gleich
begeisterte Leser gefunden wie die vielbândigen geschichtlichen Ro-
mane einer nochnicht lange Mnter uns liegenden Zeit. Ihrc Bedeutung
darf doch nicht unterschâtzt werden. Sie entwickelten die Phantasie
durch se!bstândige Erfindung. In ihncn bildete sich die erzâhlende
Dichtung aus. Sie lehrten in Verwicklungund Auftôsung die ErzaMung
mit Spannung erfüllen. Sie verknüpften getrennte Gruppen in einer
zusammenhângendenHandlung. So sind sic ein wichtiges Zwischen-
glied zwischen Fischart und Wieland geworden.
Dieser Kunstromanist rettungslos versunken. Bis auf unsere Tage
dagegen lebt der Simplizissimus von Grimmelshausen. Er ist
der erste deutsche Sittenroman. In ihm setzt sich die votkstumiiche
ErzâMungskunstfort, die in Hans Sachs und Fischart geblüht hatte. !n
demselben Erdreich wurzelten Lauremberg, Moscheroschund Schupp.
Alle diese SchriftsteUerhlicken wahrhaftig, mit realistischem Auge in
die Welt. Ein freies menschliches Behagen erfüllt sie. In nationaler
Gesinnung streben sie nach einer Wirkung auf das Leben ihres Volkes.
Lehrhaftigkeit ist so ihr Grundton. Ihr starkcr, oft greller Wirklich-
keitsstil ist durch Spott, Humor und unverwustlichen Glauben an ihr
Volk in Harmonie erhoben. Die Sprache wird reiner, das GefuMfûr
Kompositionempfindlicher.Aber erst der Simplizissimushat auf diesen
Grundlagen die neue Form des Sittenromans geschaffen, und bis auf
Wieland hat er keinen ebenburtigen Nachfolger gefunden. Auch hier
wirkteals Vorbilddie spanische ErzâMungskunst,welcheden Schelmen.
und Abenteurerromanhervorgebracht hatte. Wie dieser, so zerfâlltauch
seine deutsche Nachahniung in einzelne Abenteuet. So erscheint die
Welt als ein Tummc!p!atzdes Zufalls. Der Dichter blickt heiter, ja
voll innerer Schelmereiauf das Spitzbubenwesen um ihn her, unter
den hohen Personenwie unter den Vagabunden. Aber in diese Stim-
mung mischt sich tiefer. rengios-moratischer deutscher Ernst. Unser
Dichter hat wie andere Sohne des groCen Krieges teilgenommen an
den furchtbaren Erlebnissen, in denen alle Schicksale des Einzëhten
von denen der Nationbedingt waren. Und darin steht er nun einxigda
in der deutschen Literatur des siebzehnten Jahrhunderts, daB er selber
Soldat gewesen war.daB er al e s durchgenossen und durchgelitten hat,
was er schrieb. Sein ErzaMergenie hat das wahrste und stârkste Ge-
mâïde von diesemwilden Sôtdnerwesen gegeben, von seiner Rohheit
und Sittenlosigkeit, scinen heftigen Genüssen im tâgtichen Kampf um
das Dasein, seiner inneren Leere und Verzweiflung, von den unbe-
Z~ .SyM~MMMMM 55
schreiblichen Leiden der Bevôlkerung und von der Sehnsucht dieser
Menschennach Frieden und Wehfemc. Aus solchen Erlebnissen er-
wuchsihm eine eigene Anschauung von der Bedeutsamkeitdes Lebens,
und hierin uberragt er weit seine fremden Vorbilder. Vom Zufall j;e-
wiegt,ein Spielball des Giuckes, Schlimmes und Gutes tuend, das kaum
Erreichte immer wieder verlierend und vergeudend, und immer wieder
bereit zu neuem Handeln und Leiden, entwickelt sich sein Held doch
gerade auf diesem Wege aus der Jugenddumpfheit des reinen Toren,
wie das schon sein Name ausdTucttt,zu einer Weltanschauun~ die ihm
schlieBlicheine eigene StelIung zwischen WeltgenuB und Weltentsa-
gung gibt. Vielleicht ist diese Verbindung von derber Weltlust eines
unbândigenGeschlechts, und gramvoller Sehnsuchtnach Frieden, Stille
und Weltabgeschiedenheit in dem Romanhelden doch der wahrste Aus-
druck der Seelenverfassung dieser Zeit. Und der Dichter verhâlt sich
selbst wie sein Held. Er tâ6t uns den problematischen Charakter der
Welt miterleben. Aber auch ihm tost sich offenbar der Gegensatz
zwischender christlichen Religiositât und dem neuen weltlichen Be-
wuBtseinnicht so in eineEînheit auf wie einemGryphiusoder inanderer
Art einem Angelus Silesius. Sein Herz ist geteilt zwischen dem Welt-
kind und dem Einsiedler. Seine Erfindung schwankt zwischen tiefen
Einblickenin den Lebensgang eines deutschen Menschen,die zuweilen
an den Parzival gemahnen, zwischender deutschestenPoesie des Wald-
friedens, dent volksma6igcn l.iede des Einsiedlers: ,Komm Trost der
Nacht, o Nachtigall", und einem Chaos von wüster Sinnlichkeit und
Rohheit. Und in seiner Form zerstôrt er die feste Linie einer Entwick-
lung immer wieder durch den Leichtsinn. mit dem er sich jedem
Einfan seiner üppigen Phantasie uber!âBt, durch den Zug zum Selt-
samen, Bunten, Ungestalten, Barocken, den er mit seinem Zeitalter
teilt. So ist dieser Roman das dauemde dichterische Denkmal der
wilden, verworrenen Zeit, aus der unser Volk sich hat emporarbeiten
müssen.
ErzaMende Dichtung irn Stit des Simplizissimusging nun neben
dem hôfischen Roman weiter. Grimmelshausen hatte seinen Helden
sch!ie6!ichauf abenteuerHche Reisen geschickt. Er landet auf einer
paradiesischenInsel und richtet sich da ein ein erster deutscher Ro*
binson.Reiseromane und Robinsonaden waren fortan im Schwange. Sie
riefen dann die Parodie der ganzen Gattung hervor, die Reisen des
tapferen Sche!muffsky, der hinter dem Ofen ein Lûgengewebe
seiner Abenteuer in fremden Landen erfindet. ein Genie des Lügens,
nur dem Munchhausen zu vergleichen. Die satirischen Romane des
trefflichenSchulmannes Christian Weise lehren eine dunne Moral der
Lebensklugheit.Indessen findet man in seinen "drei ârgsten Erznarren"
und M/W~<0t/~
MAWM'
heitere Laune, gesunde Erfindung und naturtichc, flüssige Sprache.
Hier trcten schon die Etcmente einer Fonsetzung des Abenteuer- und
Reiseromanszu Tage, die auf LandstraËcn, m Postkutschenund Gast-
hofen settsame Menschenaller Klassen zusammenführt. Die Pickwic-
kier von Dickens sind ihrc hôchstc I.cistung.

5.
Das Dramaubcmahm in der europaischcn Literatur des sechzehnten
und siebzehnten Jahrhunderts die Erbschaft des Epos, indem es den
Zusammenhang von Charakter, Handtung und Schicksal, das groBe
Ràtse! des menschlichen Lebens, gedrangter, bewuGter und tiefer zur
Darstellung brachte. Es beglcitete die Zcit der nationalen GrôBc und
der darauf gegrundcten Hohe des gescHschafthchen Daseins :n En~-
land, in Spanien, dann in den Niederlanden und schtiedich in Frank-
reich. Es war in jedem dieser Lânder der hôchste Au!<druckder natio-
nalen Kultur. Wie bezeiclinendist es nun, daf3 die beidcn Nationen,
die kein einheitliclies, fortschreitendcs Staatswesen, kelnc das Lcbcn
der Nation zusammenfasscndeHauptstadt besa~cn, die Italiener und
die Deutschen. auch die Kunstform des groBen Dramas damais nicht
zu dauemd guttigen Schopfungen entwirke!t habcn. Die ganze Kraft
der in Zeit, Handlung, Klang und Wort wirkendcnKunst konzentrierte
sirh in beiden Lândern auf das musikaHscheDrama, die Oper.
Die glücklichen Anfangc eines vo!kstumtichenDramas bei uns im
sechszehnten Jahrhundert muBten verkûmmern. nachdem unsere na-
tionale Bewegung, die Reformation, sich zersplittert und verengt batte.
Jhr Rest, eine verwilderte Posse, mischte sich in der ersten Hâlfte des
siebzehnten Jahrhunderts mit den Anfângen dramatischer Kunstdich-
tung bei Johann Klai und Rist. Dichtungen zu Cctcgenheiten, Alle-
gorien. klassische und geistliche Spiele wurden an Hôfen, in Schulen
und Kir('hen dargestellt oder führten nur cin papiernes Dasein. Dazu
trat nun das historischcDrama. Es war getragen von dcm wachsenden
politischen und historischen BewuBtsein. Die Ereignisse und Zustândc
der Gegenwart, eine Ftut von Aktenpubiikationen, Manifcsten, Re!a-
tionen, Memoiren, Biographien und Chroniken, die Anfangc des Zei-
tungswescns, die Werke einer bedeutenden Gcschichtschreibung lie-
ferten Stoff in Hüllc und Fülle. Aber keine veredelte Sprache, kcin
ausgebildeter Stil stand zur Verfugung. Kein Theater gewahrte dem
dichterischenSrhaffen Spieiraum und Richtung auf die mimischeKraft
der sichtbaren Handlung gegenüber der Macht des Wortes. Keiner
eigenen lebendigen Tradition, sondern nur den fremden Litcraturen
konnten die N'orbildercntnotnmcn werden. Und kein Atem nationaler
GroBe beseelte diese Dramen und gab ihren Helden Bewegung. So
~<MT~tMM. Gj~M 57

unterlag unser Schauspiel im Wettstreit mit dcr Oper. Und so konnte


das dramatische Génie cinés Gryphius weder zu vouer Entwicklung
cin Meteor
gelangen noch eine daucrnde Wirkung hinterlassen. Wie
stieg es empor und entschwand.
Andreas Gryphius war in Shakespeares Todesjahr tôt 6 geboren.
Ais der Sohn cines protestantischen Predigcrs in Schlesienhat er immcr
in den Oberlieferungen dcr protcstantischen Religiositât gelebt. Aber
er bcmâchtigte sich zugleich in den Niederlanden der ganzen gelchrten
Kultur seiner Zeit. Er lemte Frankreich und Italien kennen, stand in
mannigfachen Vcrbindungen mit dem Adel und den Fürsten seiner
Heimat und war in schwierigen Geschâftcn als Sachverwaltertâtig. Und
auch s e i nm Leben drückte der groBe Krieg das Zeichen auf. Solche
~~omcntebewirkten, dat) er sich zu einem der festesten und stârksten
Charaktere dieser Zeit entwickelte. Der Ausdruck hiervon ist die ge-
schlossene Kunstform seincr Werke: eben auf derbewuBtcn Sparsam-
krit in Worten bcruht cine der stârksten Wirkungen seines Stils. Die
Natur hatte ihn mit einer Phantasie ausgestattet, welchein der Erhaben-
heit der Scenen und Gestalten sich niemals genugtun konnte. Die
Leiden des groBen Krieges, die in seinem Leben sich beispiellos hâuf-
ten, gabcn dicser Phantasie die Richtung auf das Schreckliche, auf un-
crhortc Wechsel des Schicksals, auf die Betâtigung des groBen Willens
im Lciden. Der Aberglaube, der ihn umgab, erfûUte seine Dramen
mit Zaubcrei und Gespenstern. Der stârkste Zug in diesem Geistc
war nun aber cin grûbeînder Tiefsinn. der durch seine philosophischen
Studien genâhrt worden war. Kcin Dramatiker vor SchiUer hat so wie
Gryphius das Schauspiel zur Darstellung einer personlichen Lebens.
und Geschichtsauffassung gemacht. Und schon er hat. wie dann Schiller
in der Braut von Messina, den Chor benutzt, um die tragische Hand-
lung zur Reflexion über das Leben selber zu erheben.
Diese seine Stellung zum Problem des Lebens beruhtc auf der
inneren Verbindung seiner ursprûnghchcn Erlebnisse mit der Einwir.
kung der nieder!andischen Literatur. Gryphius lemte früh in Leyden
das geistige Leben der stammverwandten Niederlande kennen. Es
stand dem deutschen Geist am nachsten. Aber wieviel glücklicher
hatte es sich seit dem Befreiungskampf in einem einheitlichen, blü-
hendcn, machtigen Staatswesen entwickelt. Starke und freie protestan-
tische Religiositât, schôpfensche Leistungen in den Naturwissenschaf-
ten, eine gelehrte Auffassung des Altertums von groBer OriginaUtât.
in ihr wurzelnd eine reiche poetische Literatur, in welcher das Drama
sich zu neuen Formen erhob alle diese Momente wirkten damais
dort zusammen. Gryphius nahm diese Kultur in sich auf, ja er hat in
Leyden. damals der ersten europâischen Universitat,philosophische Vor-
58 Z<~& M<~seinZf/<

iesungen gehalten, unter ihnen eine über das Verhattntsder neuen Phi-
losophie xur hergebrachten peripatetischen: diese neue Philosophie
war die niededândische Renaissance der rômischen Stoa. So erwirbt
er sich hier cine ncue Auffassung vom Sinn der Welt und des Le-
bens, we!chedie moralischeMacht der Person zum Mittelpunktmacht.
Er entdeckt eine neue Anthropologie, cine innere Geschichtedes Men-
schen, von der Macht der Affekte, durch das BewuBtseinder Vergâng-
lichkeit jeder Befriedigung der Leidenschaften, zum hochstenGut, zur
Unerschiitterlichkeitdes phi!osophisch fundamentierten Charakters,der
noch im Tode Herr ist über das Schicksal. Er grûndet hierauf eine
Tragodie, welche aus der Schuld, dem Verhangnis, dem Leiden die
gereinigte und gefestigte Seele siegreich hervorgehen lâ6t, und er be-
mâchtigt sich aller Mittel des neuen Kunststils, der solche Kraft durch
âuBerste Starke des Ausdrucks, durch die Gedrungenheit der Sprache
und den Reichtum metrischer Formen zum BewuBtseinbringt. Und et
teilt auch die Schwâchender Niederlânder, die aus der Herrschaftdes
gelehrten philosophischen und historischen Geistes entspringen: die
Beeintrâchtigung des schlanken Ganges der Handlung durch lyrische,
didaktischc und rhetorischc Elemeiite, das Obergewicht des Wortes
über die eigentlich dramatischen Mittel von Miene.Gebârdeund Hand-
lung.
Die Dichtung von Gryphius umfa6t alle groËen Formen, Lyrik,
Epigramm. Satire, geistliche Poesie, eine epische Darstellung des
Leidens Christi, Tragodien und Lustspie!e. Ihren Mitte!punktbildet
doch das Drama. Die Tragodie war das Gefâ6, in das er die ganze
Schwere seiner mâchtigen germanischen Persënlichkeit. den düstem
Ertrag seiner Lebenssch)cksa!e,die Metanchotie seines Wesensîegen
konnte. Er crfa6te das allgemeine retigiose Element, in welchemChri-
stentum und Stoa sich begegnetcn. Der unaufhattsame F!uB der Zeit,
der alles Leben mit sich fortreiBt. die VergângHchkeit unseresDaseins
ist das furchtbare Gesetz. unter dem wir stehen:
Wo jetzt Pa!aste stehn,
Wirdkünftignichtsals Grasund Wiesesein.
Aufder cin Sfhaferskind
wirdnachder Herdegehn.
Das Leben. das in der Zeit eilig dem Untergang entgegenrennt, ist
von Natur dem wechseindenSchicksal, der Leidenschaft und dem Lei-
den anheimgegeben. Hier ist der Ursprung des Tragischen in der Welt.
Und indem nun der Mensch diesen MSchten gegenüber sich in
der unerschutter!ichenKraft seines Wesens behauptet, fordert die Dar-
stellung davon eine cigenc Form der Tmgôdie. Sie war in der spani-
schen Mârtyrertragodie vorgcbi!dct. und die Niederlander und Gry-
phius stehen dieser Gattung zuweilen nahe. In Gryphius' Mârtyrertra-
59
Das P~MM C~/A/Mf
der Chor vom "Gottverlobten
godie ,,Katharina von Georgien" sagt
Geist": ,,Er hat sein Reich in sich", "sitzt auf unbewegtem Throne,
tt
wenn aller Prinzen Stuhl in grauen Stauh geschmissen."
Es wird durch dies, was Menschen schrecket,
Sein tmven'agter Mut entdecket.

Wie aber auch solchen Tragédien on neues Moment rein mensch-


licher GroËe beigemischt ist. so regicrt dieses in anderen Stûcken:
AberunserbestesTeit
WeiBnichtsvonVerwesen.
R-!bleibtin denSchmen:en heit.
StcrhenheiBt'sgenesen.

So entsteht ein Ideal des Dramas, welches als der Ausdruck einer
bcstimmten tragischen Weltanschauung durchaus berechtigt ist. Tra-
godien. in denen das Leiden den Menschenreinigt und vcrMâlt, gehen
durch die ganze dramatische Litcratur. Aber sie beruhen bei Gryphius,
wie schon in der nieder~ândîschenLiteratur. auf der romisch-stoischen
wer-
Auffassung des Menschen. Diese Tra~ïe darf nicht gemessen
den an der Shakespeares, in welcher die Beziehungcmer herrschenden
ï.etdenschaft M der Handlung und dieser Handlung zum Untergang
regiert. Ebensowenig an dcm ganz anders gearteten griechischen
Drama. Wir mûssen auch hier lernen, aus dem Ertebnîsgehalt die Not.
Auf*
wendigkeit und das Recht verschiedener Formen des tragischen
baus zn verstehen. Die Form des Dramas von Gryphius wird so in
ihren wesentlichen Zûgen verstandtich. Doch machen sich auch an-
dere historische Momente in ihr geltend. Sie geht auf Seneca zurück,
in welchem sich die Kaiscrzcit mit ihren damonischen ~Tenschenund
gehâuften Greueln, mit dem rhetorischen Charakter ihrer Literatur, am
dpattichsten abspiegelt. Sie steht wie die ganze Zeit unter der Herr-
schaft einer Menschenkunde und Poetik, welche die Darstellung des
Affektes in die Mitte des Dramas stellen. Sie hat in dem Niederlâtider
Joost van den Vondel ihr nachstes Vorbild. Die âu6erste Steigerung
des Ausdrucks von Kraft und affcktivem Verhalten, das CbermaB in
der Handlung und das Crber!aute im Wort, diese Kennzeichen des
poctischen Barockstils gelten auch für Gryphius. Wie er nun aber in-
haltlich über alles Vergangene hinausgeht. indem er jeden tragischen
Stoff mit seiner Lebensauffassung ganz durchdringt. erhaîten altère
Kunstmittel im Dienste dieser Absicht einen neuen Sinn. Der Chor.
die allegorischen Personen. die historischen. die wiedererscheinen und
wamen. trôsten, voraussagen, Furien. Gespenster: sie mischen sich wie
seibstverstândiichunter die wirMichenPersonen und erheben die Hand-
lung in einen hoheren ideellen Zusammenhang.
6d /~M und ~W ~7<

Gryphiuswar in der Fut!e seines Wesens ebenso begabt für Scherz,


Witz, Erfindung komischer Gestalten, derbe realistische Lebensauf-
fassung,nnd so mu6te er im Lustspiel eine Befreiung von der Gewalt
seiner Grundstimmung suchen. Es wird immer eine letzte Aufgabc
sein, bei Dramatikem wie Shakespeare, Lope, Calderon und vielen Mo-
dernen den seelischen Zusamtnenhang zwischen den Stimmungen und
Ideen zu erfassen, die in ihren Tragodicn und ihren Lustspielen zum
Ausdturk kommen. Der tragischen Auffassung des Wcittaufes cnt-
sprechenbei Gryphius im Lustspiel die bunte und totte Hprrschaft der
ZufâUc, die paradoxen Konflikte exzentrischer und abentcuerUchcr
Charaktere, die Blindheit des Menschcn seinem Schicksal gegenüber.
Das Renaissancetrauerspicl,,Cardenio und Celinde" hat schon im Kon-
trast zu den vornehmcn Hauptfiguren niedere, realistische und teil-
weise komischeCharaktere. Ihm steht unter den Lustspielendas ,,ver-
liebte Gespcnst" am nachsten. Ganz in der Manier des Renaissancc-
dramas werden hier die hcitcrcn und ahenteuerlichcn VcrwicHungen
einer vomehînenWelt durch cin âhnHcheslustiges Spiel in der Diener-
schaft parodiert, und zugleich wird den Irrungen der Liebe in den
oberen Regioncn ein Rauernstuck entgcgcngesetzt, das eine natur-
wüchsige Auffassung von Liebessachcn zu ihrem Recht kommen
tâBt oder auch auf sie herabsieht. In der ..gcHebten Dornrose",
die freilich nach eincm nipdertândischen Vorbild gearbeitet ist, tritt
cinc ganz neue Seite im Genie des Dichters hervor. Der niederîan-
dische Stil, die lebenswahren Charaktere, der Humor. besonders aber
eine das Ganze durchdringende heitere Anmut würden noch heute
diesemStück einen Erfolg auf dem Theater sichem. Ganz selbststandig
in der Erfindung ist der ,,HurribiHcribrifax", ein echtes Renaissance-
lustspict. Xwei sotdatische Renommisten nach romischem Muster, ein
pedantischer Schu!meister. eine alte Kupp!prin. dazwischen tummeln
sich Liebespaare von unbesdmmt idea!er Zeichnung: es ist dîesetbc
Zusammensetzung einer tollen Welt wie in Shakespeares LustspifL
Aher der SpaB ist doch meist frostig. eintônig und steif.
Das deutsche Drama sank nach Gryphius un&ufhattsam.Wohl ver-
folgte Lohenstein die Richtung des Gryphius auf das historischc
Drama ais ein Abbild des fürstlichen und hofischcn Daseinsder Gegen*
wart weiter: aher in diesen rômischen und turkischen Staatsaktionen
ging der hi-itorisch-dramatischcStil unter in der Hâufung von Blut
und Wollust. InWeise vollzog sich dann derCbergang unseresDramas
zum nanirlichen Stil. Weise ist in der Herrschaft der Handlung über
die Worte,in dernaturwahrent.ebendigkcit seines prosaischenDiabges.
in detn ungpsuchten lneinandergreifen von Rede und Antwort, in dem
leichten Hin. und Herwcrfen von Gedanken und Wortcn, in der kurz
6!
Les-
angcbundenen Dialektik ein Vortâufer der dramatischcn Sprachc
sings gcwesen. Aber der Lehrzweck des Schuldramasund die schul-
meisterliche Freude an der goldenen MitteImâBigkeitlassen es auch
hier zu keinem künstlerischen Genusse kommen.
Der Verfall unseres Schauspiels hângt eng mit dem Emporsteigen
des musikalischen Dramas zusammen. Es hat die Konkurrenz mit die-
sem nicht aushalten kônnen. Das Musikdramawar die originalste
Schopfung der Renaissance. Es entsprang aus der gro6en unerfuMten
Sehnsucht, das griechische Drama zu neuem Lcben zu erwecken. Es
erfüllte zugleich das StrebenderspâterenRenaissancekunst, die mensch-
lichen Affekte und Leidenschaften künstlerisch auszuschôpfen. Denn
es schuf die ktarsten, eindrucksvollsten Typen menschlicher Seelen-
zustânde. Die italienische Oper, welche dieser Anforderung genugtat,
kam zugleich dem eigensten Bedürfnis der neuen Hôfe entgegen. In
ihrwurde die Freude an glânzenden Festlichkeitenund Schaustellungen,
an Spiet und Tanz befriedigt. Der hofische Mensch fand hier sein
I.eben wieder: Galanterie, Konvenienz, Zartheit des Verkehrs. vor
allemaber die Pose, das Sichselbstdarstellenim Gefühl seiner Lebens.
macht und Bedeutung, die Geste der Konige und Feldherm und der
groBen Damen. Wie muûte nun diese italienische Oper in Deutsch-
land wirken, wo Sprache, Verskunst und Stil noch unfâhig waren, die
vprfpinerteGefühlswelt der herrschenden Stânde auszudrücken. En-
thusiasmus, ja Rausch rief die unerhortc Offenbarung der weltlichen
(~e)nutsweltin den neu entdeckten musikalischenFormen mit ihrer ab-
st))utcnKlangschonhcit hervor. In Wien, Munchen, Dresden, zutetzt
in Berlin unter dem groCen Kônig, aber auch in vielen kleineren Rcsi-
denzenentstanden Opemhauscr. UngewohnHcheSummen wurden für
Sân~er,Sangerinnen, Ballet, Dekorationenund Maschinenausgcgcben.
die weltliclieKammermusik cntMtctc sich an den Hofen. Damals
wurde die Musik das geistige Etement von Wien, ats Ersatz für die
~nterdruckung der intellektuellen Bewegungdurch den Kathotizismus.
!)as g!anzcndc Hamburger Theater gab nun auch den deutschen ~!u-
sikern Raum. Hier crrcichtc das dcutsche musikatische Drama in
Rcinhard Kaiser seim'n Hôhepnnkt. tn dpm unmittetbaren. wahrcn
Ausdruckdes Gefühls lag seine Kraft. Ein uncrschopflicherStrom von
~oidcnen Mdudicn ging aus von diesem tcichten, dem AugcnbHck
lebenden Genie. Neben ihm in Deutschland eine Fuite von musika!
schent 't'aient. Dièse Deutschen suchten sich gcgcnubcr der itaHcni-
schen Oper, die in der von Sinnlichkeit eriuHten Luft der Hofe cnt-
artete, geltend zu machcn. und cin Dcutsther wurde nun der Krbc
der attcren. strengercn Itatiencr: !!and<'t.
62 Mw~ <M~jfMZ~~
6.
Ein tiefsinniger Zusammenhang führt von der Lyrik der Fleming,
Gryphius und AngelusSilesius, von dem Drama des Gryphius, von der
Blute der Musik–zu der Philosophie von Leibniz. Das neue Gefühl
für die dem Leben selber einwohnende Bedeutsamkeit, der Rückgang t
von ihm in das mystischeGefühl vom Zusammenhangder Dingc, das
Erlebnis der musikalischenHarmonie als eines Ausdrucksfür die hoch-
sten Offenbarungen des Lebens: ail das erhebt Leibniz zu philosophi-
schem BewuBtsein,und er sieht es im Zusammenhangmit den grôûten
Momenten der religiôsen und philosophischen Vergangenheit. Eine
neue metaphysische Anschauung des Universums ging von ihm aus,
welche ihr Licht auf jeden Teil unseres geistigen Lebens warf. Und
so tiefsinnig und weittragend war diese Anschauung, daB es beinahe
eines Jahrhunderts bedurfte, bis sic ganz verstanden und angeeignet
wurde. WieDescartesdem franzôsischenGeiste seine Richtunggegeben,
wie Locke dcn englischen bestimmt hat, so ist Leibniz der fuhrer CJ
unserer geistigen Kultur geworden.
Die Annahme eines in der gottlichen Zwecksetzunggegrûndeten
Zusammenhanges,welcher alle Teile des physischen Universums zu
einem mechanischenSystemverknupft, ist den einfluBreichstenDenkem
der Zeit, Descartes wie Locke, Newton wie Leibniz gemeinsam. Die
Auffassung der Welt als einer Maschine stand bei diesen groGen, dem [
Weltbesten tâtig und mit glucklichem Optimismus zugewandten Gei-
stem in innerem Zusammenhang mit der Annahme eines hochsten
Wesens, welchesdiese Maschineso eingerichtet hat, daB sie das Welt- ]
beste ermoglicht. Diese neue telcologische Betrachtungsweiseunter- t
scheidet sich gânziich von den Zweckbegriffen, die seit dem Mittel-
alter !terrschendwaren. An die Stelle der einzelnen,kleinen und will-
kürlichen ZweckhandlungenGottes tritt cin einziger, teleologisch bc-
grundctcr, logisch gcordneter Zusammenhang des Universums nach
Gesetzen. So wird der Begriff eines mcnschenâhniichwirkendenGottes
ersetzt durch cine hohere Anschauung vom gottiichen Wirken, welche r
aus der neuettAuffassungdes Weltzusammenhangesabgelcitet ist. Eine s
voltstândige Umwalzung aller Religionsvorstellungen war darin ent-
halten. Die Fonnel, unter der jetzt das Vcrhattnis Gottes zur Welt
gefaGt wurde, batte schon Descartes gefunden, und Leibniz hat sie a
nur fortgebildet. Unter unzahHgen Môgti<hkeiten von Welten hat Gott }
eine und die beste ausgewâhlt. Weil diese Wah! aber durch die Idee L
des Weltbesten geleitet ist, kann sie nach Leibniznicht cine freie sein,
sondern sic ist durch eine Art von gotttichcr Mathcmatik bestimmt,
sonach zwar nicht physisch,aber moratisch notwendig. So sind die
gro~en Cesctzeder Natur, vor allem das der Erhaltung der Kraft und
M~<M~~«tMy.' Z.<f~M
/)& <M<M 63

das der Stetigkeit, in dem Zweckwillen des weisen und gütigen Gottcs
das
gegründet. In diesem Zusammenhang hat Leibniz auch schon
dann
Prinzip der kleinsten Wirkung gelegentlich entwickelt, welches
Maupertuismit so groûem Gerâusch verkündigt hat. Und welche Ver-
anderungen auch die Begriffe von Leibniz sonst in seiner Schule er-
fuhren der Gott, der in einzelnen Willenshandlungen in Welt und
Menschenleben eingreift, verschwand von jetzt ab aus dem Denken
aller wissenschaftlich geschulten Kôpfe. Er wurde ersetzt durch die
Wcisheit, die im Zusammenhang des Universums nach Gesetzenwirkt.
Diese neue Weltansehauung vollendet sich in cinem Gedanken, der
eine vôtiig verânderte Stellung des Menschen zum Universumund sei.
ner gôttlichen Ursache ausdrückt. Derselbe vemeint die furchtbare
Lehre, nach welcher der Mensch der Zweck der Schôpfung ist und
au5er ihm alles Mittel für ihn. Jeder Teil dieses unermel3lichen
Ganzen trâgt in sich selbst seinen Zweck. Dasein ist Kraft, es folgt
dem Gesetz der Entwicklung, das ihm innewohnt, und in dem Fort.
schreiten selber liegt das GMck jedes lebenden Wescns. Die Gegen-
wart ist nicht da für die Zukunft, ein Wesen lebt nicht um des andern
willen. In jedem Dasein ist eine Môglichkeit enthalten. zum Genusse
seines Eigenwertes zu gelangen. So besteht die VoHkommenheitder
Welt darin, daB alle Arten von Einzeldasein und allé Grade und Stu-
fen von Wert und Glück in ihr verwirklicht sind, welchein irgendeiner
Wett uberhaupt môgtich sind. Die Welt ist da, weil die denkbar grôBte
Fulle und Mannigfaltigkeit von Leben da sein soll.
Aus zwei geschichtlichen Momenten batte sich seit 'Jer Renais-
sance diese Weltanschauung entwickelt.
Kunst und Dichtung erhoben die Schônheit des Wirklichen zum
BewuBtsein. Wer fühlte nicht in den Bildern der Früh-Renaissance
die neuc Uebe für jedes einzelne Dasein, für Blumen und Baume,
Gârten und Landschaften, für das Leben des Lichtes. den 7.auber des
Frühlings und den Duft der Feme? Und inniger noch vertiefte sich
die deutsche Kunst in die âsthetischen Werte jeder Art von Einzel-
dasein. Diese Stimmung war nicht in dem âsthetischen Verhalten als
~o~chcmgegründet: das materischeGefûM weitete sich in neucSpharcn
des Darstellbaren.
In derselben Richtung wirkte die Veranderung des Weltbildes
durch die w issenschaftlicheErkenntnis. Schon Bruno hatte aus Koper-
nikus abgeleitet, daB au6er unserem Sonnensv~temunzâhtige Wettt'n
im unerme8lichen Ather verteilt seien. Das Teleskop hatte das Phâ-
nomcn der MitchstraGc in das vereinigte Lirht von zahHoscnStcrnen
aufge!ôst. Und im Zeitatter von Leibniz entdeckte das Mikroskop die
unermeCnchkleinen Lebewesen, die in eincm für unser Auge gcring-
64 ZM~ù'M~<t/~

fügigen und toten Teil der Matcrie unxahHgsich bewegcn. ïn dicsem


Universum gab es keinen Mittelpunkt mchr, es schicn da zu sein, um
cine unermeËHchcFülle von Empfindung des Daseins, von Leben aller
Grade und Arten mogMchzu machen.
Von Giordano Bruno ab lebten die grôSten Forscher in der Ver.
bindung dieser beiden geschichtlichen Momente, welche den groBcn
Tag der neuen Weltanschauung heraufführt. Kepler, Galilei und Des.
cartes, die Führer des modernen wissenschaftlichenGeistes, waren die
Zcitgenossen von Velasquez, Rembrandt und Murillo, von Calderon
und Corneille. Das Leben war erfüllt von dem feinen, durchdringenden
Duft, den die italienische Renaissance ausstromte. So herrscht auch
in der philosophischenGrundstimmung von Bruno, Kepler und Galilei
der Zusammenhang von Zahl und Ma6 mit einer unhôrbaren Harmonie
der Welt. Fur Bruno war das Universumdie Entfaltung des gotttichen
Grundes,unendlichwie dieser selbst. Die Aufhebungdes Sinnenscheines
in der Kopemikanischen Astronomie war ihm das Vorbild des sittlich-
reMgiôsenVorganges. durch den der Mitteipunktunseres Wa.hmchmens
und Zwecksetzensaus unserer eigenen Person hinubernickt in das Uni-
versum. Galilei sagt einmal, wenn der Menschdas Wirken Gottes in
der Natur auf sich selbst beziehe, das sei, als ob eine Ahre, die an
der Sonne reift, sich einbilde, die Sonnenstrahlen seien dazu da, dies
zu vollbringen. Und Spinozas Hauptwerk will den Menschen von dem
Standpunkt dcr Imagination, auf weîrhem Wahrnehmung und Leiden.
schaft ihn selbst zum Mittelpunkt der Welt machen, zu der Erkenntnis
und Liebe Gottes erheben, welche jeden Zustand des cigenen Selbst
untcr das Zeichen der Ewigkeit bringt.
Dieser Seelenverfassunggab nun Leibnizden umfassendsten und
zugleich den besonnenstenAusdruck. Denn sein germani.scher Tiefsinn
wahrte don Einxetdaseinzuerst gcgcnuber dcm Universum sein Recht,
und er wurdigte alles, was in den rdigiôscn (;efühlen der Vcrgangcn-
ht-it wcrtvott und haltbar war.
Su entstand seine ..Theodirec", das wichtigste Werk für die
Fortbildung der abend!ândischen ReHgiositat zwischen den reforma-
torischcn Schriftstettem und denen der Aufk!ârung. Das Problem
dieser Schrift hatte ihn sein Leben hindurrh beschâftigt. Schon als
Knabe las er begierig die Streitschriften über die menschliche Frei-
hcit. (las Hôse und das Ubct. Der beruhmtc Bestreiter jedes Vernunft-
glaubens, Pierre Bayle, bot ihm dann für sein Thema thé Ausgangs-
punktc dcr Discussion. Er erorterte die Haup!sâtze dieses Skeptikers
mit sciner Freundin, der Konigin Sophie Charlotte, in Briefen und
wâhrend seines Aufcnthaltes auf ihrem Schlosse in Liezenburg. Sn
entstanden die einzelnen Aufsâtxc, wehhe den Grundstock der Theo-
Die 7%~<~< 65
dicee bilden. Die Fürstin mahnte zur Vollendung. Ihr Tod und andere
Umstande verzogerten den AbschluG. Endlich, nachdem auch Bayle
gestorben war, hat Leibniz das Werk verôffentlicht. Er war 64 Jahre
a!t. Es war das reife Ergebnis der Forschungen seines Lebens, die
Rechtfertigung des Vernunftglaubens gegen dessen Leugner, insbe-
sonderc gegen Bayle, welcher "die Vernunft und die Religion als
Streiter gegeneinander auftretcn lâBt: er befiehlt der Vemunft erst
Schweigen,nachdem er sie zu laut hat sprechen lassen, und das nennt
er den Triumph des Glaubens."
Dièse Welt ist die beste, weil sie unter allen moglichen Welten
die groËte Summe von Vollkommenheit cnthâlt. Alle Argumente, in
dcnen Leibniz gegenüber dem zerrissenen BewuBtseindes Skeptikers
Bayle diesen Satz verteidigt, laufen in einige einfache Voraussctzungen
zurück. Es wâre Armut der gôttlichen Kraft, wenn sie in einer Art
von Wesen eintônig dieselbe Vollkommenheit wiederholte. Die nn-
endliche Vollkommenheit des hôchsten Wesens kann sich nur in der
Vereinigungaller Grade und Arten von Dasein, Wert und Vollendung
im Universum âu6em. Jedes Geschopf trâgt als Wirkung Gottes eine
\'o]!kommenheit in sich, die ihm seinen selbstândigen Wert gibt; es
ist da, sic zu verwirklichen. Sofern es aber eine einzelne und endliche
Wirkung der hôchsten Ursache ist, muB die ihm innewohnende Voll-
kommenheit beschrânkt sein; denn Mangel und Schranke sind die an-
dere Seite alles Endiichcn. Der Zusammenhang, in welchem die Arten
und Stufen von Dasein und Wert im Universum verteilt sind, bestimmt
jedem Einzeldasein seine Stelle. Er teilt ihm den Grad von Vollkom-
menheit zu, der an diesem Punkte realisiert werden kann. In diesem
zweckmâûig-notwendigenZusammenhang ist das Bose nur die Un-
vollkommenheit,die einem cndlichen Wesen an der ihm zugewiesenen
Stelle in der Abstufung der Werte anhaftet. Die physischen Cbel, an
dcnen wir leiden, sind die unvermeidliche Fotge der Verbindung der
Seciemit einem Korpcr, und diese ist doch die Bedingungdes Verkehrs
\on Seelen untereinander.
Dièse Wettanschauung von Leibniz trâgt einen âsthetischen Cha-
rakter. Denn Schünheit ist ihm anschauuch aufgefai3te Ordnung des
L'niversums, Einhcit in der Mannigfattigkeit, in dem Reichtum von
Kraft und Werten, welche Liebe und Freude hcrvorruft. Er verteidigt
das Unvol!kommene im Universum wie der Asthetiker das Hâ61iche
im Kunstwerk. Schônheit und Glanz werden durch ihren Gegensatz ge-
hoben, wic das Licht durch den Schatten. Die Dissonanzcn sind das
~tittc!, die Harmonie stârker genieSen zu lassen. Die Einheit in der
Mannigfattigkeit, die das Gesetz der Welt ist, ist zugleich auch die
Crundregcl der Schônheit. Diese Macht der âsthetischen Stimmung
(.M.mimptM
Uitthc)-, t!!
tictm<tM) 5
66 Z~~& <MMf
~M Ztft~t~

in LeibnizauBert sich, mit der abgemessenen Zuruckhaltung, die seine


Position in der europâischen Naturwissenschaft ihm auferlegt, doch
an unzâhligen Stellen. Er sagt einmah "Die Schonheit der Natur ist
so groS, und deren Betrachtung hat eine solche SûRigkeit, auch das
Licht und die gute Regung, so daraus entstehen, haben so herrlichen
Nutzen, daB, wer sie gekostet, alle andern Ergotzlichkeiten geringe
dagegen achtet." Und er wünscht, sein System moge in einem Lehr-
gedicht nach dem Vorbilde des Lukrez dargestellt werden.
Das Entscheidende aber ist für Leibniz doch d!c Betrachtung der
Dinge unter dem Zeichen des Universums. Die Vollkommenheit ist
in dem Ganzen der Welt verwirklicht. Wer Obel und Boses von
dem Standpunkt dieses Universums auffaBt, für den hat die Frage
keinen Sinn mehr, warum gerade ihm nicht ein besserer Platz in der
Ordnung der Wertc zugewiesen sei. Denn versetze ich mich in den Zu.
sammenhang des Ganzen, dann ist es ganz gleichgultig, ob Ich diese
Stelle einnehme oder cin Andcrer, ob das Wesen, das an ihr sich bc-
findet, dies mein Ich ist, das jetzt reflektiert und sich beklagt, qder
eine andere Person. Denn an diesem Punkte der Wertordnung tnusscn
bestimmtc Mange!, Unvottkommenheiten und Cbel getragen werden,
gteichviet wer sie trâgt. So leitet die Erkenntnis zur demütigen Er.
gebung in den gôttlichen Wiilen.
Auf diesem Standpunkt entspringt nun der hôchste Begriff von
Religion, zu welchem sich das Jahrhundert erhoben hat. Wie das In-
dividuum. von einem inneren Antriebe bestimmt, sich zu der ihm zu-
gewiesenen Vollkommenheit entwickelt, wie es im Fortschreiten zu ihr
das ihm eigene Glück genieBt, so freut es sich auch jeder Vo!!kommen-
heit um sirh her. Die I.iebc zu den Menschen ist nichts als diese Freude
an ihrer Vollkommenheitund ihrcm Glück. Mit der Aufklârung wâchst
in uns dieser Anteil an dem Wert und Glück der Andcren, und die Ge-
rechtigkeit selbst ist nichts als die Liebe des Weisen. Die Mchstc
Freude aber entspringt aus der Anschauung der unbeschrankten VoU-
kommenheit Gottes, wie sie an der Fu!le und Mannigfaltigkeit der
Werte im Universum offenbar wird. Die Liebe zu Gott ist cben diese
Freude an seiner V ollkommenheit. Sic fordcrt die Hingabe des Ge-
mütes an den Zusammenhang des Ganzen. Das ist der universale Affekt.
der aus der Aufk!ârung des Geistes erwachst und uns antreibt. dem
Weltbesten zu dienen und Wert und Glück in jedem Geschôpfe Gottes
zu fordem. tn diesem Zusammenhang empfing das BewuBtscin der
Solidaritât und des Fortschrittes der Menschheit für Leibniz einen reli-
giosen Sinn. Und eben aus ihm entsprang auch sein Streben. der christ-
lichen Kirche durch die Vcreinigung der Konfessionen und die Fôrde-
rung der Mission einen universalen Charakter zu geben. Die Glaubens.
A~~M~a~~M~
formeln werden ihm zu Schattenbildem der Wahrheit, und die Kult-
handlungen zu Symbolen des sittlichen Tuns.
Aber schon Leibniz zahlte dem theologischen Geiste der Zeit seinen
Tribut, indem er die einer gânzHchanderen Ordnung von Begriffen an-
gehôrigen christlichen Vorstellungen in diese neue religiose Weltan-
schauung aufzunehmen sich bemühte. Seine christliche Frômmigkeit
war aufrichtig und suchend wie des Thomasius und anderer Zeitgenos-
sen. Auch war sein Begriff einer gottlichen Person die ehrliche Konse-
quenz aus seinem philosophischen Satze, da6 nur dem Individuum Re-
alitât zukomme. Und die Personifikation der gott!ichen Ursache ist an
sich bei ihm ebenso wohl wie bei Shaftesbury oder Herder mit der
vollstândigen Durchführung der neuen retigiosen Weltanschauung ver-
trâgtich. Aber wie er für jede geistige Macht um ihn her und in der
Vergangenheit eine unendliche Empfanglichkeit besaû, fand er nun
doch in seiner Lehre von der gottiichen Person das Hilfsmittel, dem
Menschen in dem gôtdichen Weltplan eine ausgexeichnete Stellung
einzurâumen, und von hier ist er dann dazu fortgegangen, dem natür-
lichen Zusammenhang des Universums ein.Reich der Gnade mit seinen
Wundem einzuordnen. Deutschland war noch von diesen theologischen
Begriffen erfùllt. Der EinfluB der hohen Geistlichenwar auch am Hofe
Friedrichs I. ~groB,und pietistische Neigungen waren unter dem Adel
verbreitet; sie wurden von der letzten Gemahlindes Konigs begünstigt,
und unter dessen Nachfolger wurden sie zu einer Macht. Auch waren
die historischen Oberlieferungen der evangelischen Geschichte zu der
Zeit, in welche die Entwicklung von Leibniz faitt, noch keiner gründ-
lichen Untersuchung unterworfen worden. Aïs Toland in England seine
sehr unzureichende kritische Arbeit begann, hatte Leibniz schon die
Hôhe des Lebens überschritten. So verfiel dieser machtige Geist dem
Schicksal, ein Kompromi& zwischen seinen modernen Ideen und den
Begriffen der überlieferten christlichen Weltanschauung zu suchen.
Diese Neigung wurde unterstützt durch das starke Interesse praktischer
Art, welches Leibniz und andere Philosophen des J7.Jahrhunderts an
der Umbildung der kirchlichen Dogmatik nahmen. Es war kein Inter-
esse der Erkenntnis oder des retigiosen Gemutsiebens.und doch war
ihm die Beschâftigung mit der Transsubstantiation, der Trinitât und
den HoUenstrafen auch kein MoBes Spiel des Verstandes. Er suchte
eine Fassung der Dogmen. durch welche ein Ausgleich zwischendem
herrschenden kirchlichen Glauben und seinen Kulturidealen herbei-
geführt werden kônne. Und er glaubte, da6 die Vereinigung der
Kirchen. die er anstrebte, nur durch die Verstândigung ùber einen ge-
meinsamen Lchrbegriff mogHch sei. Eine so1che Vereinigung aber
suchte er schon im nationalen Interesse.
5'
68 Z~MM <M~MA<&~t~'

Dieses Kompromiû bildet einen wesentlichen Zug des Zeitalters,


das unter Leibniz' EinfluG stand. Es besteht fort in der ganxen fol-
genden Epoche, die er beherrscht hat, und bestimmt den Charaktcr
der âlteren deutschen Aufkiârung. Der EinfluB Lockes wirkte in der-
selben Richtung. Christian Wolff f hat über Leibniz hinaus den aus
dem alten Testament stammenden unerfreulichen Zugen der christ-
lichen Weltanschauung in seinem System die weitgehendsten Zu-
gestândnisse gemacht. In ihm siegt wieder die armselige auBerliche
Teleologie, welche den groBen Zusammenhang der Natur auf die Be*
dürfnissedes Menschengeschlechtesbezieht.Die Sonne beschreibtnach
der Absicht Gottes ihre Bahn,um dem Menschenzu leuchten. AlleEin-
richtungen der Natur haben zu ihrem zweitenZweck, dem Bedürfnisdes
Menschenzu dienen. So kann Christian Wolff nun freilich die Uber-
einstimmung seiner natürlichen Théologie mit der heiligen Schrift er'
weisen. Den letzten Zweck der Einrichtung der Welt für den Nutzen
des Menschenfindet er darin, da6 Gott vonden Menschenerkannt und
verehrt werde. tn diesem rationalen Kirchenglauben leben die groBen
Theologen der Zeit, wie Baumgarten in Halle. Erst unter dem EinfluB
des Deismus werden Semler, Reimarus und Lessing zur historischen
Kritik fortgefûhrt: nun hebt das zweitc Stadium in der Ausbildung der
deutschen Aufktârung an, das die zweite Hâlfte des t8. Jahrhunderts
erfüllt.
7.
Die ganze Philosophie dieser hundert Jahre in Deutschland ist be-
stimmt durch die Cbertragung der europâischen Bewegung auf den
deutschen Geist. Astronomie, Mechanik und Physik hatten in einer
neuen Wcise Beobaehtung und Experiment mit dem mathematischen
Denken verbunden. Die beiden groûten Bcispieledafür warcndie Eut'
deckung der Gesetzeder Planctenbcwegungdurch Kepler und die Be-
grundung der Dynamik durch Galilei. !n beiden i-'aHenwaren pro-
biercnd Mogtichkeiteneinfacher mathematischerVerhâhnissc durch Be-
obachtung und Experiment als im ~egebenenTatbestande realisiert er-
mittctt worden. So hatten sichals die Méthodeder neucn Naturerkennt-
nis die Verbindungallgcmein notwcndiger Wahrheiten mit der Erfah-
rung, und als ihr Ziel die mathematische Regehnâi~igkpit oder das
Naturgesetz herausgcstellt. Und indem nun die Philosophie dazu fort-
gerisscn wurde, in diesem Verfahren den Typus des wisscnschaftlichen
Denkens übcrhaupt anxuerkpnncn. trat sie in die Epochc. welche clic
der Renaissance und der re)igios<*nKâmpfe aMôste und die Kantische
vorbereitete. Sic formulierte und generalisierte das Verfahren der Na.
turforscher und wurde dadurch die erste allgemeine ~!ethod<'n!chrc.
Und sie konstruierte auf der Grundlage der aUgemein notwendigen
/? /~M'S/.M~' /%t7<M~ Quellen 69

Wahrheiten nach diesem Vcrfahrcn die ganze Wirklichkeitnach ihren


verschiedenenmctaphysischenSyst~men. So entstand dcr Panlogismus
von Descartes, Spinoza und Leibniz.
In diese Bewegung traten die Deutschen am spâtesten unter den
Nationen ein. Zunachst wirkte die Mathematik. Ehrhard Weigel,
Leibniz'Lchrcr, v ersetztedie Wissenschaftder Zahl in die erste Philo-
';ophieund wandte die rnathematischenMethodenselbstauf das Natur-
rcchtan. Tschirnhaus, Leibniz' Freund, warvon dem RationaJismus
des Descartes bestimmt aber er trennte sich vonihm darin, da& er das
rechnende Denken mit Recht auf die Problème der mathematischen
Physikbeschrankte, und daB mit demselben Rccht sein Rationalismus
die Stellung des Expérimentes ais der vom Denken geleiteten Er-
fahrung gründlicher zur Geltung brachte. So bereitete er die metho-
dische Auffassung der Physik in Newton. Lambert und der modernen
Naturwissenschaftvor. Wie er seine mit SpinozaverwandteLehre von
der alldurchdringenden gottlichen Kraft durchgeführt haben würde,
tconnenwir nicht sagen: ein albufruher Tod unterbrachseine Arbeiten.
Leibniz erst vollzog die schopferischc Verbindung der modernen
europâischen Be~'pgungmit dem deutschen Geiste.
ln Leibniz vollendetsich zunâchstdie Phitosophieder Renaissance,
und von ihr rnuB sein Verstandnisausgehen. Die Grundkategorie ihres
Auffasscns ist das Universum als eines Verhâltnissesdes Ganzen zu
seinen Teilen. Die nominalistischeErkenntnistheoriehatte die meta-
physischeBedeutung des \*crha!tnisscszwischenGott, den Gattungen
der Dinge (den Ideen). und dem Einzelnen aufgehoben. Nun stand
kcinc RcaHtât mehr zwischen dem giittlichcn Zusammenhangund den
EinxeMingen.die er umf.t6t. So ist der Zusammenhangder Einzeldinge
oder die Wett die Explikation Gottes. Sein cinheitliches Wcscn ist
dahcr allen Einzcidingen gempinsam, abcr in die grenzenlose Mannig-
faltigkeit(v arictas rcrum) auscinanderge!egt. So ist das Universumun-
rndiich. Und es ist in sciner MannigfaltigkcitEines Harmonie. Daher
rcprâsentiert jedes Einzelding an seiner Stelle das Ganzc. Die VoH-
kommenheitGottes stellt sich in ihm auf einer besnmmten Stufe dar.
Es spiegelt daher an seiner Stelle das Universum.und der voUkommcn'
ste Spiegel ist die menschliche Secle (der Mikrokosmos). In ihr cr-
offnctsich eine ganze Welt. Dieser Ideenzusammenhangerstreckt sich
von Nicolaus dem Cusancrdurch Giordano Brunozu Leibniz.
Dicse BcwuStseinsstcUungdcr Renaissance, hindurchscheinend
sclbst hinter dem starren, zcitlosen Monismusvon Spinoza,mischte sich
in Leibnizmit Momcntendes deutschen Denkens.die aus dcm gereinig-
ten Aristote!e' der ~tystik. der alten und neuen Schohstik wie der
Universltatsphi!osophicder Zcit herkamen. Leibniz verdankte ihnen
?o <M~ M~t &/<W~
Z~w&

wichtige logische und metaphysische Sâtze. Doch kamen von hier auch
die barocken theologischen Entstellungen und
Verkleidungen seiner
Ideen. Die so modifizierteRenaissancehat er nun durch die
Verbindung
mit der neuen europâischen Naturwissenschaftund
Philosophie zu einer
hôheren Stufe erhoben.
Zunachst ergreift auch er das methodische Problem und gibt ihm
eine bedeutsame Wendung. Er enveitcrt die
aristotelisch-syllogistische
Logik, indem er die weiterreichenden mathematischen Verfahrungs-
weisen, die zunachst auf GroSenbeziehungen eingeschrânkt sind, ver-
allgemeinert und nun in die Logik einbezieht. So entstehen Grundlinien
einer Logik, welche alle allgemeinen
Denkbeziehungen umfaBt und
ihnen die der Zahl und des Raumes unterordnet. Es war der
wichtigste
Schritt, den seit Aristoteles die Logik getan hat. Die Kategorie der
Beziehung erhielt jetzt erst ihre für die moderne Theorie bedeutsame
Stellung. Eine erste Grenze machte sich doch hier schon darin geltend,
daB Leibniz die Enge der aristotelischen
Syllogistik nicht ganz xu
ùbencinden vermochte. Auf dem Boden dieser allgemeinen
Logik steht
dann seine Kombinationslehre. Sie gibt das Verfahren an, die alte Auf.
gabe der Syllogistik votikommener aufzu!6sen. In der von Tartaglia,
Cardano, Pascal ausgebildeten Kombinationsrechnung findet er den ma~
thematischen Typus für ein Verfahren, nach allgemeinen
Regeln für die
Verbindung einfacher Begriffe die überhaupt môgtichpn Begriffsver-
knüpfungen vollstândig abzuleiten. So schien in dieser Kombinations-
kunst die Méthodeder Erfindung erreicht zu sein, die Raimundus Lui.
lus und Bruno vergebens gesucht hatten. Im
Zusammenhang hiermit
faBte er den Plan einer allgemeinen
Zeichensprache <<-A~ac~M//<
~<p~M~).Charakterc" nennt Leibniz "gewisse Dinge, durch welche
die gegenseitigen Beziehungenandcrer Dinge
ausgcdruckt werden. und
dercn Bphand!ung leichter ist als die der letztercn." Hier
Mcgtcinc
weitere logische Verallgemeinerung des in dcr Mathcmatik Geleisteten
vor: die ihres Zcichensystems. Sind die einfachen
Begriffe gefundcn
und in cigenen Charaktercnausgedruckt, so kann vermittels der Zeichen
für'die Verknüpfungsartender
Zusammenhang der Begriffe dargestellt
werden. In dieser Universalsprache entsprâche dann die
Verbindung
der Zeichen genau den gegenstândlichen
Beziehungen. Sic würde der
Unbestimmtheit und WU!kur in der philosophischen
Tenninologie ein
Ende machcn, und sie ware wie die
Zeichensprache der Mathematik
a!!cn Nationen genteinsam. Von keinem Denker dieser Zcit ist deren
Idéal, die Wissenschaftnach dem Typus der Mathematik fortzubilden,
so genial durchgeführt wic von Leibniz. Kombinatorik.
Charakteristik,
attgempine Wissenschaft,universale Mathematik, logischer Katku!
in ~en dicsen Ptânen sucht er
Verwertung der ]\tathematik für die al!.
? z~oMf~ /M~. ~<f/A< _0.. __y
gemeineLogik und aus dieser wieder rückwàrtsfruchtbare Folgerungen
für die Mathematik. Er gelangte nicht an sein Ziel. Schon die erste
Aufgabe einer solchen Methode ist undurchführbar, die Grundbegriffe
des wissenschaftlichen Denkens in einer begrenzten, âuberlich aufzaM-
baren Anzahl hinzustellen und allgemeingültig zu dcfinieren. Seine
Ideenwirken fort in dcr modernen mathematischenLogik und in den
Bemuhungen um eine Universaisprache: cr selbst fand hier nirgend
einen Abschlu6, und schon darum konnte er zu einer systematischen
Darstellung seiner Philosophie nicht gelangen.
Hier blicken wir zugleich in die Werkstatt seiner mathematischen
Leistungen. Immer ist er damit beschâftigt, die Arten von Beziehungen
innerhalb der verschiedenen Klassen der Gegenstânde, von der Gleich-
heitund Verschiedenhcit, dem Ganzen und dem Teil bis zur Funktion,
zu ordnen und zu bezeichnen. ,,In allen unfehlbaren Wissenschaften,
wennsic genau bewiescn werdcn, sind gleichsam hohere logische For-
men einverleibt, so teils aus den Aristotelischen ilieGen. teils noch
etwasanders zu Hu!f nehmen." Diese Vernunftkunst hoffte er unver-
gleichlich hoher zu bringen. Von dcr Kombinatorik aus verfolgte er
die Wahrscheinlichkeitsrechnung, und er iaBte den Plan, durch diese
in dem Gebiet der Wahrheiten, dcnen Notwendigkeit und Allgemein-
gititigkeit nicht zugesprochen werden kônnen, eine Abschâtzung des
Grades der Wahrscheinlichkeit zu erreichen. !n andem Teilen seiner
mathematischenArbeit erwies sich die Tendenz seiner allgemeinen Cha-
rakteristik wirksam. Das groBtc Reispiel dieses Zusammenhanges zwi-
schenseinem philosophischen und seincm mathematischenDenken war
sein Anteil an der Erfindung der Differential- und Integralrechnung.
DieGeschichte der Wissenschaften kennt keinen hâ61icherenPriontâts-
streit als den zwischen Newton und Leibniz über diese einituBreichste
Leistung der modernen Mathpmatik. Er ist von den beiden groScn
Mannernnicht so geführt worden, wie man wunschen mochte. Und er
hat tiefe Schatten auf Leibniz' Lebcnsabcnd geworfen. Heute sind die
besten Kenner diescr Frage und der in Hannover liegenden Leibniz-
Handschriften zu dem Ergebnis gelangt, daB Leibniz seine Erfindung
in allem Wesentlichen seibstandig neben Newton gemacht hat. Und
zwargninden sic diese Ansicht eben auf den eigenen Weg. der Leibniz
von seinen allgemeinen Ideen aus zu der ncuen Rechnung führte, und
auf die cigenc Form, in der sie bei ihm auftrat. Leibniz setbst hat den
Zusammenhang seiner Erfindung mit der Tendenz, seine Zeichen-
sprache auszubi!dcn. hervorgchoben, und Gerhardt und Cantor haben
nachgewiesen. welche Bedeutung nach der damaligen Lage der In-
finitesimalbetrachtungen die Ermittehmg einer zweckmaBigenBezeich-
nung hatte. Und ohne Zweifel lag, wieder im Gegensatz zu Newton,
72 7-t M~ rein ~<A)'0'
in Leibniz' Ringen mit den logischen und metaphysischcn ProMcmen
ein zweites wichtigesMoment, das ihm bei dicser mathematischenTat
zu Hitfc kam: man denke nur an seine Ausbildung des Funktionsbe*
griffes, an sein Prinzip der Kontinuitât, nach welchemsich in der Natur
alles in unmerklichen Obergângen vollzieht, so daB Ruhe nur ein Fall
der Bewegung ist, und an seine Auffassung des unendlich Kleinen. Die
Erfindung der ïnfinitesima!rcchnungbildet Leibniz' hochsten Ruhmes.
titel innerhalb der exakten Wissenschaftcn. Die Mathematik erlangte
dàdurch die Moglichkcit.die Bewegung der Rechnung zu unterwerfcn,
und Reduktion auf Bewegung ist für den Menschen das Mittel, das
Geschehen in der Natur zu hegreifen und zu bcherrschen.
Leibnizbestimmtnun den rationalen Charakter des Weltzusammen-
hanges naher. Er übernimmt die übliche Unterscheidung der Wahr.
heiten in solche von aUgemein notwendigem und solche von tatsâchH-
chem Charakter. Die Evidenz der cincn liegt in der UnmogMchkeit
ihres Gegentcils, und daher beruhen sie auf dem Satz des Widfr*
spruchs: so beschreibensie denUmfang dcsMôglichen. C'berWirHtch-
keit aber unterrichtet uns nur die andere Klasse von Wahrheiten. Wct-
ches ist nun das Prinzip,auf dem diese bcruhen? Hier entdeckt Leibniz
cine Luckc der Logik, und er stellt neben das Prinzip des Widerspruchs
das des zureichendenCrundes. Jedc tatsâcMicheWahrheit muB logisch
ihren zureichendenGrund und, was in diesem objektivistischenSystem
damit zitsammenfaUt.real ihre Ursache im Zusammenhang der Dinge
haben. Allesist rationa!und determiniert. Wie aber kann das Gegebenc,
Xufanigc, Einzelne rational begrundct sein? Leibniz antwortet: Die
erste Anordnung, in der es gegrundct ist, muB durch den Wettzweckin
Gott tational detenniniert sein. Dieser Zweck ist die VerwirMichung
einer bcsten Welt, und so münden wir hier cin in die Leibnizische
Teleologie und Theodicce. die wir schon kennen.
Es gilt dinn diespn Wettzusammcnhang xu konstruieren und zu
begninden. Leibniz wird auch hier die Ideen dcr Renaissancemit den
Mittetn der Naturwissenschaft weiter entwickeln zur Philosophie der
Aufkiârung. Seine Grundlage bildet nun die Mechanik. Die ganzc phy-
sisrhe Welt ist uns gcgeben als cin gesetziichcr Zusammenhang von
Bcwegungen dcr Kôrpcr im Raum. Die Eigenschaften diescs Zu.
sammenhanges sind nur erkiartich, wcnn ihm eine ~fannigfahigkeit
von Krafteinheiten zugrunde gelegt wird.AHes. was tâtig ist. ist
Einzetsubstanz.und jcdc Einzclsubstanzist ununterbrochcn tâtig." Und
zwar tragt jede Krafteinhcit in sich das Gesctz der Reihenfolge ihrer
Verânderungen. Die Summe dieser Krafteinheiten in dcr Ordnung der
Natur ist ein für aHema!bestimmt. Hier liegt wieder in den allgemeinen
Prinzipien von Leibniz der Ausgangspunkt für einen hervorragenden
Z)~ Zf~~&M~ ~<y<w~&. A'i~M~M~~ der Welt _no
Bcitrag zur Entwicklung der exakten Wissenschaften. Es handelt sich
um den Weg, der von Ga!i!ci und Huygens hinführt zu der Entdeckung
desGesetzcs der Erhaltung der Energie durch Robert Mayer und Hetm-
holtz. Descartes hatte cin Prinzip von der Erhaltung der GrôËe der
BewegungimWettall aufgestellt. Leibnizfand eine derWahrheit nâher
kommende Formulierung, nach welcher die Summe der vorhandenen
aktiven Kraft erhalten bleibt. Das allgemeine Prinzip aber, auf wel-
cheser hier zuruckging, war sein Satz vom zurcichendenGrunde: nach
diesem künnc unmoglich Kraft aus Nichts cntstehen oder in Nichts
ver~chwindcn. So gehe bei dem ZusammenstoBnichtetastischer Kor-
per keineswegs Kraft verloren, sic zerstreuesich vidmehr an die kleinen
Teile.
Leibniz tut den letzten Schritt in der Bestimmung der Kraftein-
heitcn, indem er die innerc Erfahrung in seine metaphysische Kombi-
nation einbezieht. Die individuellen Krafteinheiten kônnen nur nach
dem Typus (à l'exemple) des Ich vcrstândHchgemacht werden. Jeder
Korper Kt Aggregat. nur in unserm Ich ist uns eine einheitlich wir-
kcndcKraft gegeben. Dicscr venvegene Schlu hat seincnletzten Grund
in der Forderung der Denkbarkeit jedes Gegebenen. Die Natur der
Kraftcinheit wic die Entstehung der Empfindung und des BewuBt-
seinswerden nur durch diese Annahme verstândlich. Es war für Leib-
niz eine wertyoUe Bestatigung, daB eben damats das Mikroskop eine
Welt vcr~chwindcnd kleiner Wesen aufscMoB.
So besteht das Universum aus Monadcn. individuellen. seelenarti-
gen Krafteinheiten, deren jcdc in sich das Gesetz ihrer Entwicklung
trâgt, von auBen aber wedcr bceinHuBt noch zerstort werden kann.
Die Beziehung zwischen ihncn ist nicht die einer realen Wcchspiwir-
kung die ~ïonaden verhalten sich nur Im Ablauf ihrer Vorstellungcn
und Begehrungen, ats ob diese Wechsctwirkung hcstunde. Der ticfc
kritische Begriff von Bezichungen der WeUdcmente in pincm Ord-
nungssystcmanstatt kausaler Verbindungen wird hier von Leibniz dog-
matisiert zu dcm der prâstabilierten Harmonie. Jedc Monade spiegelt
das Univers~tm. ihrer Stelle entsprechend, wieder. Die Ordnung der
Monaden ist von Prinzipien bestimmt. In der FormuHerung dieser
Prinzipien. in den Gesetzen der individuellenVerschiedenheita.uer ein-
fachen Einheiten. der Kontinuitât, der Konstanz der Kraft, der Oko-
nomie findet die Tendenz von Leibniz zu letzten Genera1isation{'n
ihren hôchsten Ausdruck. Das wohlbegründete Phanomen dieser ~fo-
nadenordnung aber ist die Sinnenwelt und der Mechamstnus, den in
ihr die mathematische Natunnsscnschaft aufzeigt.
Und aus der Vertiefung in die menschliche Seele entsteht. nach
anem monchischen und mystischen Sinnen und anem Suchen der
74 Z<&' M!<~~w &<)!~
Renaissanceund der franzôsischen Schriftsteller, beiLeibnizdieGrund-
legung der erHarenden Psychologie. Er entdeckt die unmerklichen
Vorstellungenim HIntergrunde des Seelenlebens. Die Entwicklungder
Seele ist der Fortgang von diesem Zustande dunkler und verworrener
des
\'orstenungen xum rationalen Denken und zu der Bestimmung
Willeiisdurchdasselbe. Dieser Fortgang vollziehtsich durch die Apper.
Deut.
zeption, welchedas in der Seele Enthaltene in die Klarheit und
lichkeit des SeIbstbewuCtscins erhebt. Damit war die Sonderung von
Sinnlichkeitund Vernunft tiberwunden, und das Prinzip der Entwick.
lung konnte im Seelenleben durchgeführt werden. Es ergab sich weiter
für die dcutsche Erkenntnistheorie der grundlegende Satz: die Bezic-
der see.
hungsformen, durch welche wir das Gegebene denken, sind in
lischen Kraft selber gegründet und in der Welt der verworrenen Vor.
der
stellungen schon enthaltcn. Alles aber schlof; sich schlie0lich m
Stellung des Willens dem Leben gegenüber zusammen, die wir früher
dargelegt haben, und die darin gipfelt, daB Freude BewuBtseindes
Fortschreitensist.

DIE LETZTEN GROSSEN SCHÔPFUNGEN


DER PROTESTANTISCHEN RELIGIOSÏTÂT

In keinem Lande hat man doch auch in diesem Zeitalter von Leib-
niz an der christlichen Dogmatik so festgehalten wie in Deutschland.
Aber der neue Geist. dessen Walten in Literatur und Dichtung, Wissen
schaft und Philosophie wir uns vergegenwâïti~t haben, erstreckte sei-
nen EinfluB auch auf die Vertreter der Kirche in immer steigendcm
MaBe.und in diesen Kreisen selbst traten eigene mâchtige Impulseher-
vor. welche die Entfaitung unseres Geisteslebens befôfderten.

ln den protcstantischen Lândern entwickelte sich innerhalb dieses


Zeitraumes, eingcschlosscn noch in die Schrankcn des Dogma, ein reli-
pioses Verhaltenvon freierer Lebendigkeit. Das reti~tôse Erlebnis, die
innere Erfahrung. das war die neue Methode, den Glauben sich anzu.
eignen und zu begründcn. und sie wurde xur Kunst und Technik er-
hoben. în den Niederlanden zunachst und in England entfaltete sich
dicse lebendige Religiositât, im SchoBe von Sektcn; denn sie hat
immer Vercinegeliebt. in welchen dipchnst!irheBn.tder!iebeaufGrund
einer überschaubarenGemeinaamkeit des Lebens Wahrheit zu werden
prma~.Dieselbe Bewegun~ nahm dann in Deutschland die Form der
pietistischen Frommigkeit an. Die deutschen Fürsten hattcn die Sek'
ten mit blutiger Hand unterdrückt, und so setzten sich hier innerhalb
D~~MwwM 75
der Staatskirchen selber die pietistischen Zirkel den offizietten Metho.
den einer ruhigen und regutaren dogmatischen Frômmigkeit entgegen.
Unter den Folgen dieser Verânderung sind zwei besonders wichtig
gewesen. Die Frômmigkeit der Sekten und des Pietismus wirkte viel
energischer aIs die der kirchlichen Observanz auf die personliche
MoraHtatund die religiôse Zucht. Und wiedie starren, scharf geschnit-
tenen Begriffe des Dogma in die innerliche Lebendigkeit des frommen
Gemutes zuruckgenommen wurden, ist der Glaubensinhalt fahiger ge*
worden, freie, von der Phantasie bestimmte künstlerische Formen an-
zunehmen. Diese künstlerische Umbildung der überlieferten christ-
lichen Lehre wurde gefôrdert und erteichtert durch die rationalen An-
triebe zu einer freien Auffassung des Christentums, die sich gleich-
zcitig zu regen begannen. So sprach das Kirchenlied von Paul Ger-
hardt bis Zinzendorf das Gefühl der friedseligen Schônheit der Welt
aus, die der mit Gott vereinigten Seele aufging. Von Milton bis Klop-
stock reicht dann die groBe Dichtung, welchedas Epos des Falles und
der Edôsuag zum Gegenstande hatte. Und den Hohepunkt dieser kunst-
lerischen Darstellung der protestantischen Religiositât bildete die
kirchliche Musik von Bach und Hândel.
Die re!igiose Bewegung selber, von der diese Kunst getragen war,
ist dann freilich in dem lutherisch-deutschen Pietismus immer eng-
herziger und kulturfeindlicher geworden. Leibniz batte noch die Ver-
wandtschaft seines Strebens nach Vereinigung der protestantischen
Kirchen mit dem Pietismus des ihm befreundeten Spener cmpfundcn;
aber seine spâteren Erfahrungen führten ihn zur Verwerfung der pie-
tistischen Frômmigkeit: indem sie eine Gottesliebe fordere. die mit
dem Verzicht auf das wissenschaftlicheDenken verbunden sei, zerstôrc
sic die wahrhafte. auf die Erkenntnis Gottes gegründete Religiositât,
unter dem Vorwande sic zu steigern. Thomasius war gegen Ende des
t7. Jahrhunderts im Streit mit dem Leipziger Luthertum noch für die
Pictisten cingctreten, sagte sich aber dann offentîich von ihrer Kopf-
hangerei los. Und als die Zeit der frommen Intriguen gegen Christian
Wolff kam, welche die Landesverweisung des Philosophen bei Strafe
des Stranges durchgesetzt haben, offenbarte der Pietistnus in ha6-
licher Nacktheit den kulturfeindlichen Charakter, der in seinen Vor-
aussetzungen lag. Denn immcr wird die Entwertung des weltlichcn
Lebens und die Verwerfung harmloser Freuden in Kulturfeindschaft
ausarten. mag sic von Monchen oder Pietisten oder von einem Tolstoi
ausgehen. Und die Erforschung der Vorsehung in den kteinen per-
sonîlchen Lebensmomenten. in den ZufaUen des tâg!ichen Lebens,
wird nie zu vereinigen sein mit dem BcwuBtseinvon der Gesetzlich-
keit des Universums. So muBte der Pietismus die neue Wissenschaft
76 J~<Mf ??<'sein ~<<~

bckampfen, wenn er nicht von ihr widerlegt werden wollte. Und


ebenso erwies er sich unfâhig zu eincm frohmutigen Eingreifen in
den Kampf der geschichtlichen Kriftc, das sich von den Grund-
sâtzen einer engen privaten Moral nicht meistern lassen darf. Seine
schônste Seite ist die zarte sittliche Reizbarkeit, welche auch die
teiscstcn Regungen des eigenen Innem vor das richtende Gewissen
fordert und sich in die freie religiose GeseU~tceit mit Gleichgesinnten
zurückzieht. So hat er cine respektable Steigerung der burgcriichcn
Ehrbarkeit erwirkt und eine achtenswerte Opposition gegen die fran*
zosischenSitten des Adels betâtigt: aber ais nun unscre weltlicheKunst
und ihr neues l.ebensideal hervortraten, zeigte er auch hier sein Un-
vcrmogen,dem Rcichtum des mnderncn Lcbens genugzutun.
2.
Das Kirchenlied war die hochstc ~uGerung der protcstantischen
Rdigiositat innerhalb der Litcratur. Und darin lag die Kraft, die ihm
mit der ganzcn protestantischen AndachtsHtcratur einc stctige Ent-
wicklungermognchte, daB es die Sprache Luthers festhielt, mitten in
der Verwilderungunscrer Sprache und in der Trennung unsercr we!t-
lichen Dichtung vom VotkstnaSigct~. Indem nun die religiôsen Wertc
aus dem Dogma hinSberrùckten in das praktische Verhalten der Gtau-
dem Bc-
bigcn, ânderte auch das KirrhenHed scinen Charakter. Aus
kenntnisliede wurdc es zum Erbauungsiicd. In Paul Gerhardt und
Johann Heennann errcichtc es dcn Hôhepunkt sciner Entwicklung.
Es wat der Moment,in welchem das GentpindebewuBtseinund die Bc-
zichung des Liedes auf das kirchliche Leben. s'einen Gottesdienstund
seine Feste, noch im Gteichgcwicht waren mit der anbrcchcnden reli-
giôsen \'crtiefung der Pcrson in sich xdbst. Mit seinem überlieferten
vo~ksmaBigenCharakter. seiner Richtung auf den einfachcn Ausdruck
des allgemeinen rdigiosen BcwuBtscins vcirband das neuc Lied auch
cinc reinere Sprache und cinen poctisch?ren Ausdruck, wicWcckhcrHn,
Opitz und Fleming sie eingcteitct hatten. Von diescr Zeit ab machtc
sich dann die reugiôsc Subjektivitat imincr sttirker gcltend. Das Kir-
chenliedwurde immer mchr zum Ausdruck der i'tdividud!en religiôsen
Innerlichkeit.Es offnete sich immer mehr der Mystik. der Vereinigung
der Secle mit Gott, der Jesusiiebe.
Ein mystisches Moment war dem G!aubcn Luthers von Anfang
an cigen. Luther lehte doch ganz in dem Zusammcnhang seines G!au*
bensmit der allgemeinen christlichcn Kirche, und sein hcrzhches,trau-
liches ~'erhâ!tnis zu seinem Christus. der in scincm tnensch!ichenLei-
den ein Bruder der glâubigen Secle ist, war die Pfortc, durch die auch
die Mystikin die protestantische Religiositât einzog. ïn Luthers eige-
Das ~«~ ~7
nen machtvollen Kirchenliederntritt diesesMomentnoch zurück. Aber
schon Heermann hat aus derselben Katholizit&theraus die Mystik
Augustins, Bemhards und Taulers für seine Liederpoesie ausgenutzt.
Und nun machte sich in der zweitenHâ!fte des j;7. Jahrhundert jene
starkc mystische Bewcgung in der katholischenKirche geltend, die
im geistlichen T<iedebei Friedrich Spee und Angelus Silesius zum
Ausdruck kam. Eine Ftut von überschwenglicherLiebesmystik drang
von hier aus in die protestantische Dichtung ein.
Diese katholischen Liederdichter behaupten doch neben den pro-
testantischen eine hervorragende Stelle in unserer religiôsen Poesie.
Sie sind nicht gebunden durch die kirchliche Tradition und die Bc-
ziehung auf den Kultus. So bewegen sic sich freier in der Sphâre des
Poetischen. In dem religiosen Liede des Je~uiten Spee steigert sich
die Mystik der Jesuslieder bis zum Liebeslied.Diese Tândeleien zwi-
schen der glâubigen Seele und Jésus nach dem Vorbilde des mystisch
ausgelegten Hohenliedes würdigen das geheimnisvollGro&eherab. Das
I.ob des Schopfers wird aus der Vollkommenheitder Welt abgeleitet,
und diese wird an Sternen, Quellen, Blumcn,Bienen aufgezcigt~ ganz
\\Ie in der spâteren Poesie der Aulklârung nur zarter, inniger, aber
auch sùMicher. Der Dichter berechnetrecht mônchisch,was die Hienen
detn lieben Gott an Wachs Jahr aus, Jahr ein verehren:
Wachsiiehter
vicietausend
Siezündenan fur ihn,
DieTag undNachtin tausend
UndtauscndKirchenglühn.

Er erreicht das AuBerstevon geistlicher Spielereiin einem Liebesductt


iiwischen Gott-Vater und Gott-Sohn, und in christlichen Hirtenge-
sangen votn guten Hirten, scinen geliebten und vcrirrtcn Lammtcin.
Aber in dicsen Gedichten lebt doch eine ganz cigenc Verbindung von
Naivitât und Kunst, von Volkston und Renaissancetechnik. Alles, was
Spee berührt, lôst er auf in Mélodie des Gefühls. Angélus Silesius,
der in der nâchsten Génération hervortritt, ist von derselben schwar-
merischen Jesus!iebe erfüllt. Aber seine Mystik reicht viel tiefer, sic
versinkt im Meer des mystischen Pantheismus. Sic hat ihre Stelle in
dem Zusammenhang der groBen Bewegung,die von der heiligen Thé-
rèse zu Moîinos und von diesem zu ~ladameGuyon und Fenelon führt.
Sic flüchtet aus dem leidvollen Weltgetumme!in die zeitiose, ruhige
Fiefe Gottes, aus den Leidenschaftenin die interesselose Liebe:
Werleit nimmtohneZeitundSorgenohneSorgen,
Wcmgesternwarwieheutundheutegi!twiemorgen,
WerallesgtcichescMht,dertrittschonin der Zot
StandderliebenEwigkeit.
!n den j~ewunschten
78 Z~t/f <w~w« ~/<t~
'm.
Ich binso groBals Gott,er ist ais ichso klein,
Er kannnichtüber mir,ich unterihmnichtsein.
Ichauchbin GottesSohn.
tch selbstbin Ewigkeit,wennich die Zeitverlasse
Undmichin Gottund Gottin michi!usamn!en<asse.
Ein paar der dichterisch vollkommensten Kirchenlieder der Zeit sind
von ihm. Diese sind schon in dem Ton geha!ten, in dem dann spâter
Novalis schrieb.
ïn derselben Richtung der Verinncriichung wirkte der Pietismus.
Er machte die Seete und ihr Schicksal zum Mittelpunkt der religiôsen
Literatur. Die Darstellung dieses Schicksa!s in Scrivers~See!enschatï"
gewann durch die Stârke der retigiosen Imagination und die Kraft
der Sprache eine auBerordenttiche Wirkung auf das religiôse Lebcn
dieser Zeit. So werden auch Gehalt und Form des Kirchenliedes jetzt
dadurch bestimrnt, daB die glâubige Seele sich in dem BewuBtseinihrer
Bedeutung geltend macht. Ubcr die breite Masse der pietistischen
Liederdichtung, für die das Gesangbuch von Freylinghausen, dem
SchwiegersohnFranckes, ein Sammelpiatz war, heben sich drei Namen
empor. Joachim Neander ist der Dichter des persôniichen frommen
Verkehrsmit Gott, hinter welchem nun die Feier der kirchlichen Tage
zurucktritt. Die Jugendlieder eines anderen Schuters von Spener, des
genialen Gottfried Arnold, suchen eine mystische Region, die für
echte groBe Poesie Raum hat. Und in derselben mystischen Region
\-erwci)tin reiner. friedlicher Stille Gerhard Terstpgen:
Luft, die alles füUet,
t)rin wir immer schwehcn.
Aller ttin~e Grund und Leben,
~!eef ohn Grund und Ende,
Wunder aller Wundcr.
Ich senk mich in dich hinunter:
Ich in dir, du in mir.
!n diesen drei Dichtem tritt auch der Erwerb der weltlichen Poesie
in Sprache und Vers überall hervor. Es war eine letzte Nachblüte des
protestantischen KirchcnHedes. Sie SuBert sirh doch auch in dem
Hcrmhutischen Gemeindetied. Aller Spott über Zinzendorfs ge-
schwâtzige,im Hofton der Zeit mit Gott und in suGHcherGalanterie
tnit dem Heiland der Seele 'vcr!œhrende Liederdichtung ist berechtigt.
Aber das Bedeutendc der Herrnhutischen Religiositât liegt doch darin.
daB Poesie und Musik das ganze Leben der Getneinde Tag für
Tag
durchziehen. Die groSe Kunst des Hermhutcrtutns, durch mannig
fache Mittct den Blick der Seele auf übersinnliche Gegenstande zu
fixieren undfestzuhalten, verwendetauch das Kirchenlied, und dieses
F~~ A'~tww~ _79
-1 n_
erhatt hier eine in der Geschichte des Christentums einzige Bedeutung.
Von da ab ist nichts mehr zu vermelden von unsenn kirchlichen Liede.
Es verliert sich in reUgiose und poetische Flachheit.

3.
Wahrend der dichterische Ausdruck der protestantischen Religio-
sitat in DeutscMand sank, schritt die kirchliche Musik unaufhaltsam
vorwârts: diese groBte künstlerische Offenbarung des deutschen Geistes
zwischen Durer und unserer klassischen Dichtung.
Heinrich Schütz vollzog die innere Verschmelzung der deutschen
mit der italienischen Musik mitten in dem Wirrsal des dreiûigjâhngen
Krieges. Gegen dessen Schlu6 zeigen seine ,,Sieben Worte &m Kreuz"
den vollendeten musikalischen Ausdruck der protestantischen Rcligio'
sitat. Und nicht ganz zwei Dezennien nach dem Frieden hat der Greis
im hochsten menschlichen Lebcnsaïter, unter der Burde trostloser
wirtschaftlicher und hofischer Vernattnisse, die drei groBen Passions-
musiken verôffentlicht. in denen das Oratorium von Bach und Hândel
reine Grundlage hat.
Keine Einwirkung der modernen Kuhurvôlker auf einander im
Reiche der Kunst ist so fruchtbar geworden als diese Cbertragung
der Formcn und Ausdrucksmittel der italienischen Musik in die Ton-
welt des deutschen Protestantismus. CberaH ist aber auch der Zu-
sammenhang sichtbar zwischen diesem Aufstieg unserer Kirchenmusik
und der Entwicklung in den andem Bezirkenunserer geistigen Kultur.
Wohl stand Bach in den Kâmpfen zwischender Orthodoxie und dem
l'ictismus auf der Seite der Altkirchlichen, da diese der Entwicklung
des Cottesdienstes durch die kirchliche Musik Raum gaben: aber das
ândert nichts daran, daB Pietismus und Mystik stark auf ihn gewirkt
habcn. Seine Passionsmusik hat für die neue subjektive Religiositât
den ergreifendsten Ausdruck gefunden. Bis in die musikalische Be-
handlung der Chorale, in welchen das den Vorgang begleitende christ-
Hche C:emeindebewu6tsein zur Darstellung gelangt. wirken die rei-
< hère lfodulation des Gemutstebens und die milderen Tône in ihm.
Und wie hatte Hândel ohne Würdigung des weltlichen Daseins und
der weltHchen Kunst er hatte beide durchmessen sein Oratoriurn
auf die Formcn der neuen Oper aufbaucn und xum geistlichen musika-
))'-chcn Drama, das ursprünglich sogar für die Bühne bestimmt war,
ausbiiden konnen? Wie hâtte er ohne eine freiere Auffassung des
Christentums die hier vollzogene Konzentrationder religiôsen Seelen-
vcrfassung zu erreichen vcrmocht? în seinem Messias ist jeder gc-
<-( hichtUcheVorgang und jeder religiose Zustand des Gtâubigen unter-
geordnet dem SiegesbcwuBtsein der Gemeinde, dem BewuBtseinvon
80 Z~~&M~M~
der KônigsherrschaftGottes, der alles in seiner Hand hait, die Erlosung,
das Schicksal der Seligen, die hohe Zukunft der Glâubigen und der
Kirche. Und die wirksamsten Werke dieses Lutheraners sind getra-
gen von der heroischen Auffassung der biblischen Gestalten, die sich
in der rcformierten Religiositât und im Puritanismus entwickelt
hatte. Aber auch Bach ist nicht religiôser Musiker in fester Be-
schrankung. Auch ihn umgab der Glanz der italienischen Oper und
der weltlichen Instrumentalmusik. Auch ihm war nichts Mcnschïtches
fremd. Man muB sich seine breite menschliche Personlichkeit sicht-
bar machen, seine Weltfreude, seinen Huïnor, seine Mc)ancho)ie,diese
freie Lebendigkeit, mit der er sich seinen Stimmungen uber!a6t, dieses
Spiclen mit den Instrumenten und Formen des musikalischenAus-
drucks. Und su sind diese gro6en Musiker auch in ihrer imponierenden
Selbstsicherheitdie typischen Reprâsentanten des neuen Menschen,den
wir als den Trâger unserer Kuhur in diesem Jahrhundert kennen ge-
lemt haben. Bach und Hândel sind durchdrungen von dem stolzen
BewuBtseinihrer künstlerischen Mission. Ein Moment von der hôch-
sten Bedeutung: denn im Charakter wurzcit auch hier der ungesuchte,
naturhche, erhabenc Stil der Kunst.
Die unausmeSbare GrôSe der Musik von Bach und Mande! ist
doch schtieMch bestimmt durch das innere Verhâltnis dieser Musik
zu deni Geiste der Reformation, zu der protcstantischen Religiositât.
Wenn die katholische Kirche in dem Zusammcnwirkcnaller Künste
zu der bildlichen Wirkung des Kultus ihren hôchsten kunstlerischen
Ausdruck gefunden hatte: die unsichtbare protestantische Macht des
,,Wortes" fand in Poesie und Musik das ihr gemâGe Organ. Diese
beiden Kunste taten an der protestantischen Rcligiositât dasselbeWerk,
das einst die groûen Mater seit Giotto, auch sic gctragen von einer
lebcndigeren P'rômmigkeit, an dem katholischen Christentumvoll-
bracht hatten. Die Musik xunial loste die Darstellung der christlichen
Scelcnvcrfassungaus jcder Kmschrânkung durch die Bestimmtheitder
retigiosen Begriffe, und erhob sic so in eine uberzeitJichcRégion, in
welchernur die dynamischen \'ertialtnisse dieser Seelenverfassungmm
Ausdruckgelangen. In dieser Region leben die Sibyllen undPropheten
tcnMichctangcIosund dieMaricnRaffac!s undmitihncn dicHarmonien
der Oratorien Bachs und Handcis fort, befreit von der geschichtlichen
EndJi<hkeit und dcr Erdcnschwcre der bcgnrfHchpnSymbole,in denen
wir uni-ère Beziehung zum t.'nendiichen ausdnicken.
FRIEDRICH DER GROSSE
UND DIE DEUTSCHE AUFKLÂRUNG

nittb<<.ManKw[t<'&'hhtMtt![ 6
DER JUNGE KÔNIG

Am Abend des ~r. Mai t/~o, an welchem Friedrich Wilhdmï.


gcstorben war, verlieg dt:r neue Kônig Potsdam, die Seele erfüllt von
den letzten Gesprachen mit dem Vater und von dessen heroischem
Ende; durch die hereinbrechende Nacht eilte er der Hauptstadt zu.
AuGerordentlicheErwartungen kamen ihm in seinem Volk cntgegen.
Jubeinder Zuruf begleitete ihn bei der Einfahrt in die Residenz. Jeder
empfand, daB in der Seele dieses Jünglings ein Ideal von mensch-
licherenund glücklicheren Zustanden seines Volkeslebte, und daB die
llilderung des furchtbaren Druckes unter dem harten Soldatenkonig
bevorstand. Aber weit über sein Land hinaus richteten sich enthusia-
stischeHoftnungen auf ihn. Alles, was in Europa dem Kreise der neuen
Philosophieund AufHârung angehôfte, batte lange voll Spannung der
Zeit entgegengesehen, in welcher der Freund Voltaires Humanitât,
To)eranzund ein goldenes Zeitalter der Literatur in dem halb barbari-
schenPreuBen hcraufführen würde. Denn der Enkel der Sophie Char-
lotte, die einst im Park von Liezenburg mit Leibniz philosophiert
hatte,lebte in den Ideen der franzüsischenAufktârung. Es war bekannt,
daH er mit Voltaire freundschaftlich korrespondierte und sich als
Dichterund Philosoph versuchte: nun mochte für das Ideal des aufge-
ktârten Konigtums, welches Voltaire in seiner Henriade aufgestellt
hatte, der Tag der erwirkHchunggekommen sein. tn dem heiteren
Rokokosaal des Rheinsberger Schlosses ist ein Deckengemalde von
Pcsne, aus den Tagen, in denen dort der geniale Kronprinz mit sei-
nen ubermùtigen Freunden Musik und Konversation machte: es stellt
die aufgehende Sonne dar, welchedie Nacht vertreibt. Sonnenaufgang
schiennun gekommen. In seinem ersten Brief an den jungen Kônig
bt-grû~te ihn Voltaire als "seinen Heros und Herrn", als ,,Votre Ma-
jesté ou Votre Humanité", die "in Kopf und Herzen die Liebe zum
Menschengeschlechtctrâgt". "Die Franzosen sind alle preuBisch ge-
~orden."
!)n Jahre des Regierungsantrittes erschien der Anti-Mac hia-
ve 11 den der Kronprinz in Rhcinsbcrg niedetgcschrieben hatte. Hier
hat Friedrich das Ideal. das ihn durch seine ganzc Rcgentetiarhcit
6<*
84 ~M~ der <7~<' «<!</ ~M~~

begleite~.hat, mit dem Enthusiasmus der Jugend ausgesprochen, am


Morger. des Lebens, aïs er noch, von geliebten Frcunden umgeben, im
frôhlichen Wagemut des Genies alles Hochste nahe glaubte, als die
Schriften der Philosophen ûber den Staat noch nichts von ihrem Glanze
für ihn verloren hatten. In dieser Schrift erkannte ein Furst die philo-
sophischen Grundsatze des Naturrechts rückhaltlos an. Das Recht des
Kônigs beruht auf einem Vertrag, in welchem ein Volk sich einen
Richter, Beschutzer und Souveran gewaMt hat, damit er die Interessen
der Einzelnenin Obereinstimmung mit dem Gemeinwohlbringe. Hier-
aus entspringt die VerbindHchkeitdes Furstcn, ,das WoMdes Vo!cs"
und die Gerechtigkeit zu verwirklichen: ,weit entfernt, der absolute
Herr der Vo!ker zu sein, die unter seiner Herrschaft stehen, ist er nur
ihr erster Diener." At!e Menschen sind gleich. Nur durch ihre
Lage in der Gesellschaft sind die Kônige unterschieden, und diese
Lage verpflichtet sic in besonderem MaBezur Tugend; denn auf diese
allein kann die Vereinigung der Menschen gegründet werden. Daher
ist der wahrc Kônig das Seltenste, was der Natur ge!ingt, seltener aIs
der groBc Dichter oder Metaphysiker. Wenn er in setbsttâtiger Kraft
unabtassig handelt und arbeitet, wird er gleichsam die Seele des Staates;
in den Handcn dieses selbstherrlichen Fürsten sind seine hëchsten Be-
amten nur Werkzeu~e Sâtze, welche für den, der zu lesen verstand,
darauf hindeuteten, da(3 Friedrich die Leitung aller Arbeit, die in sei-
nem Staate getan wurde. auch der für die Bildung des Volkes, in
seiner Hand zu behalten gedachte. Es ist mit Recht hervorgehoben wor-
den, wic der Konig mit M&chiavcHi darin übercinstimmt,da~ der Staat
vor allem Macht sein muG. Wie er die Aufrcchterhahung desselben
durch die Waffen und die âuûere Politik als erste Aufgabe ansieht.
Wie er, ganz in Obereinstimmung mit seinem eigenen spâteren Ver
fahren, Angriffskriege a!s berechtigt anerkennt. Das Interesse des Zir-
kels der schônen und freicn Geister richtcte sich doch vor allemauf die-
jenigenStellen in seinerSchrift, an denen erWohtstand undGlück der
Untcrtanen, Bildung des Volkes, retigiose To)eranz und die B!utc der
Wissenschaftenund Kunstc als die hôchsten Ziete des wahren Kônigs
pries. "Das sicherste Kennzeichen,daB ein Land unter einer weisenund
g!uck!ichenRegierung steht, ist es, wenn die schoncn Wisscnschaften
in ihm Wurze! fassen: sic gleichen Blüten, die nur in einem gesegneten
Bodenund unter cinem glücklichen Himmel gedeihen." Die Zeiten des
Ilerikles, des Augustus und Ludwigs XtV. genieBen einen hôheren
Ruhm bei der Nachweh durch den Glanz der Kunst, der Literatur und
der Wissenschaftenals durch die Siege dieser Herrscher. Das Hochste
für den Furstcn ist es, mit der Erfüllung seiner Staatspflichtcn se!h''t
tâtigen Antei!an der Lin-ratur xu vcrhinden. wicdas Lorenzode'Medici
85
Der junge A~<y
und Marc Acre) getan haben. Voltaire durfte wohl sagen, daR seit den
hatte.
Tagen Marc Aurels dicse Schrift cines Fürsten nicht ihresgleichen
Der junge Konig wollte verwirklichen,was er in dem stillen Turm-
zimmerdort zwischenWald und See erwogen hatte. Sein Volk, welches
hinter den gro&en Kutturnationen zurûckgeblieben war, soUte den
Grad wirtschaftlichen Wohlstandes erreichen, der es von der Sorge
um die Notdurft des Tages befreite und vor MuBiggang und Verschwen-
dung bewahrte. Dieses Volk soUtenichtverlicren, was eranihmschâtzte,
den treuen FteiS, die redliche Gesinnung,die Ehrbarkeit des Familien-
tebens. die dankbare, opferwillige Zufriedenheit mit der gëgebencn
sich zu freieren Ansichten, mil-
politischen Ordnung. Aber es soUte
deren Sitten und schôneren Lebensformen, zu einer erleuchteten, natür-
lichen Religion und zu einer sozialen Auffassung der moralischen
rnichtcn erheben. Auf diese Ziele soUte sich die Arbeit des Staates
richten, souveran, allmâchtig, zusammengefa6t in dem Willen des Mo-
Der-
narchen, wie dieser Staat in der Vorstellung der Zeit bestand.
selbe Staat soUte dieses Werk nach auBen vertcidigen, ja den Macht-
zu
kampf suchen, um die Voraussetxungenjeder groBen Kulturpolitik
schaffcn, cine breite territoriale Basis,Achtung in der Welt und Staats-
bewu~tsein daheim.
Das alles wollte dieser Konig erreichen, und für dieses Programm
wollte er die herrschenden Stânde und Berufe seines Landes gewinnen.
neues Ge-
erziehen, seinen Adel, seine Offiziere und Beamten. Ein
schlecht, in welchem freie Bildung, Lebensfreude und Schônheitssinn
mit festcn Eht- und Pflichtbegriffen verbunden wâren, sollte ihn um-
und aufrich-
geben und mit ihm den Staat rcgieren: ganz diesseitige
bis in
tige Menschen, wic er, ihr Konig und ihr Genosse. Wahrhaft
den innersten Kern seiner Natur, wie Wenige es gewesen sind, verlangte
cr auch bci denen, mit denen er lebte und arbeitete, keine andere Bc-
sein eigencs
grundung ihrer Gewissenhafdgkeit als die, auf welcher
und des
konigtiches PflichtbewuBtseinberuhte. Die Zeit der Dogmen
in den furcht-
positivenRe!igionsg~aubcnswar für ihn vorûber. Er hatte
baren Krisen seiner Jüngtingsjahre die L~mgebungFriedrich Wilhelms
und deren gottesfurchtige Sch!eichwegc kennen gelernt: diese Erfah-
rungen hattcn ihn davon ubcrzeugc, da6 pictistische oder orthodoxe
Gcsinnungstuchtigkeit die Menschen weder ehrlicher noch gütiger
macht. Um so uncrschutterticher vertraute er darauf. dai3 in den
Kraften des Lcbens selber, in den Verha!tnissen des ~tcnschen zur
Gesellschaft, in dcn philosophisch gctâutertcn Begriffen der Gottheit
und der Prticht, und in der Erhebung des Gemütes durch die Dichtung
die einfachen, immer wirksamcn und ganz wahrhaftigen Beweggninde
sittlichen Lebens und cd!er Gesinnung für den Einzelnen und für das
86 /'Twi~<~ der ~0~ «~ ~M/M~ ~t)~/<t~«~

politische Ganze gelegen seien. Er tcbte in dem BewuBtseinder mora-


lischen Autonomie des Menschcn. Die groBen Alten, insbesondercdie
rcmische Stoa mit ihrer harten WiUenssteHung,hatten ihn mit diesem
stolzen Gefühl erfüllt. Aber wie weiteten ihm doch die Secle zugleich
die neuen Ideale der Aufklarung, Gemeinwohl, Humanitât und Fort'
schreiten der Menschheit an ihnen hat keine Erfahrung über die Vol.
taire oder irgendeine andere Art von Menschcn ihn irre machenkônnen.
Und er batte nun den in seiner Zeit beispiellosen Mut, sich und seinen
Staat ohne Einschrankung und ohne Reserve der Nhcht dessen, was
er als wahr erkannt, anzuvertrauen. Kein Zug in dieser groBen Seele
tritt starter hervor a~ das Bedürfnis, sich zu geben, wie er war, in
souverâner Freiheit zu leben, zu reden und zu schrcibcn. Nicmand in
seiner Zeit hat über Kônige und Priester mit so verwegener Zunge
gespottct wie er. W&hrcnd in Paris die "Philosophen" sich von der
Regierung bestândig gchemmt und bedroht sahen, erëfinetc er den
freiesten, ja den frechsten Geistern Frankreichs in seinem Lande eine
Freistatt. Auf die Freiheit des Denkens. wie es in den Wissenschaftcn,
in der Philosophie und in den neuen Schriftstellern wirksamwar, wollte
cr nun auch die Bildung und Erziehung für seinen Dienst grunden:
der gro8c Kônig der AufHârung, wie er in seiner Jugendschrift ver-
heiBen hatte.

FRIEDRICH UND DER FRANZÔSISCHEGEIST

AJs der neue Konig an das Werk ging, als er seine Mittcl und Gc-
hitfen wâhhe. schien doch ein fremdes Element in unsere Kultur ein-
zudringen und ihre nattirtiche Entwicklung zu gefahrden.
Friedrich hat sich, snbald er als Konig sich frei bewegen konnte,
mit Franzosen oder doch mit Personcn von franzôsischerBildung um
geben. Er selber sprach und schrieb auRerha!b desjenigen amtHchcn
Verkehrs, für welchen das Deutschc unvcrîncidHehwar,nurfranzosisch;
es war sein Ehrgeiz. cinen Platz in der franzosi':chcnLiteratur zu cr-
langen. Diese Literatur. dipscr Geist blieben ihm ein Hôchstes,dessen
er weder fur seinen persônHchen LebensgenuB, noch für seine Kuttur'
politik entraten wol1te. Er zog \"oltaire nach Sanssouciund ging in
demWunsche. ihn zu halten, bis hart an dieGrenze seiner kôniglichen
Wurde. Er verwande!te die erste wissenschaftHcheAnstaltseinesStaa'
tes, die Snzietat eines Leibniz, in eine ~M~w/e scienceset
~c~M, machtc Maupertuis zu ihrem Prasidenten und bot nach
dessen Abgang alles auf. um d'Alembert zum Nachfolgerzu gewinnen.
Er gewahrte sogar einem Lamettrie eine Stelle in dieser Korperschaft
87
y~/n'fA und ~J?~.
und fuUte ihre Reihen mit franzôsischen Literaten recht zweifelhafben
Akademie
Wertes, Duodezausgaben von Voltaire. Ja er schrieb seiner
die franzosische Sprache für aile ihre Publikationen vor.
ln dem Urteil der Folgezeit hat nichts die Bedeutung Friedrichs für
der
unsere geistige Kultur so sehr herabgesetzt wie diese Bevorzugung
den
franzôsischenSchriftsteller, seine Mhie Zurückhaltung gegenubcr
dcutschen. Sicher tritt hier eine Schranke seiner geistigen Bildung
hervor. Nur daû man erkennen muS, ~'ie diese nicht nur aus den Ge-
Geistes
wohnungenseiner Jugend, aus der Herrschaft des franzôsischen
über die Hofe, kurz aus einer au6eren Macht der franzôsischen Bildung
über ihn entsprungen ist. Tiefere Grûnde haben den Kônig in dieser
franzôsischenAtmosphâre festgehalten. So wird man auf dièse Lite-
mtur und Friedrichs Stellung zu ihr nâher eingehen musscn, um dem
Luther und
Kônig gerecht zu werden. Der grôBte Deutsche zwischen
Goethe gehôrt in seinen literarischen Neigungen und in wesentlichen
an. Unsere
Zugen seiner geistigen Verfassung überhaupt, Frankreich
Indem sie die Litera-
Analyse versucht, dieses Verhâltnis zu erklâren.
tur der franzôsischen Aufklarung zergliedert, mochte sie die Punktc
finden, in denen Friedrich mit dieser Entwicklung ûbereinstimmte,
abcr auch die anderen, in denen er dissentierte, und so mochte sic
schtie6!ich das Wesen seines Geistes ganz begreifen.
2.
Der letitte Glanz der groBen europâischen Kunst, in welcher die
Phantasie regierte, mischte sich in den ersten Dezennien des 17.J ahr-
hunderts mit dem Sonnenaufgang des wissenschaftlichen Geistes. In
demselben Jahre mit Shakespeare war Galitei geboren, und Descartes
war der Zeitgenosse von Calderon und Corneille. Von dieser Zeit des
Descartes ab ânderte sich atlmâMich der Charakter der europâischen
I.iteratur. Ein von der Leitttng der Kirche utiabhangiger Zusammen-
Ein neues Ideal entstand: ,,der
hang der Erkenntnis wurde geschaffen.
freie Mensch" (homo liber), der ausschtieBlich geleitet wird von der
-iouveranenVemunft. Und wie nun in den Niederlanden und in England
die Entwicklung des Handels und der Industrie die wirtschaftlichen
Zustânde umformte, bildete sich eine aus den leitenden Standen ge-
nuschte Gesellschaft;in ihr wurden die verschiedensten Elemente durch
die Gemeinsamkeitder Bildung zusammengehalten, und sie sonderte
sich scharf von den unteren Klassen ab. Die Formen des dichterischen
Ausdrucks waren in ihr nicht mehr durch die freie, impetuose Macht
der Phantasie bestimmt, sondern von der Herrschaft des Râsonne-
ments und des Wirklichkeitssinnes. Ihr Lebensideal druckte sich in
den Begriffen der Humanitât. des Fortschrittes der Menschheit und
88 Fn~K~ o~ ~<~ <~M</
< <&<' ~4~/<t~6'
der Befreiung derselben von den Schranken der kirchlichen und feu-
dalen Ordnungen aus. Der erste gro6e Schriftsteller, der dieses Le-
bensgefühl reprâsentierte, war Shaftesbury. Jedcs literarische Wcrk,
welches die neuen Gefühle der geistigen Souverânitât, der Toleranz,
der unabhângigen Sittlichkeit und der Humanitât aussprach, wurde in
dieser Gesellschaft verschlungen. Diese Ideale waren im Râsonnement
geboren; die Dichtung. die sic verkündete, war innigst verbunden mit
der Philosophie, mit dem Geiste der Geschichte, wie er jetzt begriffen
wurde, und mit dem Drange nach Freiheit, wie cr die Gesellschaft cr-
füllte.
Dieser neue Geist traf nun aber in Frankreich auf Bedingungen,
welche der franzôsischen Literatur trotz ihrer Abhângigkeit von Eng-
land einen eigentumhchen Charakter gaben. Von hier war in Descartes
die ausschlieSliche Herrschaft des logischen Verstandes ausgegangen,
welche in der Welt und in der menschlichen Seele nirgend einen dem
Denken unfaûlichen Rest zuruckIieG. Die hôfische Gesellschaftforderte
die Verbindung dieser logischen Genauigkeit mit der Anmut. Das Or-
gan dieses Geistes war die ~'<M~w/<'/~Nr~ Durch sie wurden
Exaktheit und Urbanitât die Norm für die Gestakun~ der Sprache und
des Stils. Aus der Fülle und Freiheit der ahcren Sprache wurde in der
unaMâssigen Arbeit der hoHschen Gesellschaft und ihrer Akademie
durch eine Art von bestândigem Destillieren das klassische Franzo-
sisch gewonnen, wie es zwischen Rabelais und Chateaubriand bcstand.
Das eindeutig bestimmtc Wort, die genau regulierte Wortsteîhng,
der logische, gradlinige Fortgang, der den Leser mühelos und un-
widerstehlich mit sich zieht, vor allem aber eine hüfische Ëinschran-
kung der lebendigen SprachfuHc auf die schicklichen und anmutigen
Worte das waren die Mittel dieser klassischen Sprache. Ihr ont-
cntsprach der neue Stil. Die sinnliche Kraft der Ansrhauung. das Un-
gestüm des leidenschaftlichen Ausdrucks und clie Macht der Phantasie
wurden nun der Genauigkeit, der Regel und dcrhofischenSchickHchkeit
gcopfert. Wie diese ganze franzosische Kultur vom rômischen Geiste
durchdrungen war, war auch ihr Stit dent der go!dcncn Zeit von Ci-
cero, Casar und Augustus verwandt. Eine solche Sprache und ein Stil
dieser Art waren fahig. unter den historischen Masken von Horatius,
Cinna. Augustus oder Phadra die Kâmpfe des gro6en Ade!s mit dem
Kônigtum, die Selhstherrschaft Ludwigs X!V. und die vomehme
Gro6c in der Lebenshaltung dieser Menschen zur DarstcUung zu
bringcn. Die gro6e Tragodie brachte von Corneille bis Voltaire zum
ersten Mal zum Ausdruck. wie Kônige auf der Bühne des Lebens
auftreten und sich bcnehmen. Diese Sprache crwies sich dann weiter
als das vollkommensteInstrument der mathematischen Physik und
G~, jM'w ~< WH~ 89
~f/htM~ jRMSM<~M
Philosophie cines d'Alembcrt und Lagrange. Sie nâhert
positivistischen
sich in der eindeutigcn Bestimmtheitdes Wortes und dcr logischenver-
die Schrift-
bindung der Sâtze der mathematischen Formel. Liest man
steller dieser Richtung von d'Alembert bis Comte, so ist es, als ob nur
in dieser Sprache diese formelhafte Philosophie entstehen konnte. Und
dieselbe Sprache bcsaB nun die farblose Allgcmeinheit und Schmieg-
Ge-
samkeit, welche Voltaire und Diderot gestattetc, sich über aile
zu ver-
genstânde a!s Dichtcr, Philosophen und Geschichtschreiber
breiten und die Herrschaft des râsonnierenden Verstandes in jeder
dieser LebensâuBerungen zu bchaupten.
Die Regelung, wie sic die franzôsischcSprache in der Akademie
erfahren hat, war für Friedrich das Vorbild für unsere eigene sprach-
HcheEntwicklung. In seiner Schriftüber die deutsche Literatur erkennt
er in einer solchen Ausbildung unserer Sprache die notwendige Vor-
Lcbens.
bedingung für einc kommende Blüte unseres geistigen
Derselbe franzosischc Geist, welcher der Literatur in der klassi-
schenSprache eine so wirksameAusdrucksformschuf, hat ihr nun auch
einen neuen Gênait gegeben: eine neue Stellung des Menschen gegen-
über der Welt und der Gesellschaftwurde im 18. Jahrhundcrt von ihm
ent~'ickelt.
Dies bcgann, als zwischen t726 und t/zç Voltaire und Montes-
die oppositionelle
quieu sich in England aufhielten und zurùckgckehrt
Literatur eroffneten. Descartes wurde nun abgelôst von Newton und
Locke. Die Metaphysik raumte der Erfahrungsphilosophie das Feld.
Aberdie groBen Analysen der Engtândcr. welche sich über den ganzen
Bereich unserer âsthctischen. sittlichen und crkennenden Tâtigkeit er-
streckten. erhielten nun durch die Bedingungen, die in dem franzosi-
schen Geistc lagen, cinen ganz veranderten Charakter. Der leitende
Gedanke der wissenschaftlichenBewegung Frankreichs von Voltaire ab
wie cr auf
lag in dcm cinheitlichen Zusammenhang des Universums.
dcm astronomischen Standpunkt Newtons crschien. Hieraus leitetc
Voltairezunachst unter dem EinfluH von Newton und Locke eine te!eo-
die Be-
logische We!tordnung und einen Gott ab, der als Geometer
der
wegungen der Gestirne geordnet und als Künstler die Einrichtung
bctcbten Kôrper ersonnen hat. Er hâ!t aber zugleich, mit seinen cng-
hschcn I.chrern, an dcr VerantwortHchkeitdes Menschen und an der
Freiheit desselben als deren Bedingung fest. Dièse Hauptsâtzc des
IdeaHsmusder Persontichkpit und der Freihcit stieHen so in seinem
C.eistemit jenem obersten Gedanken zusammen. welcher sich in ihm
und um ihn xu immcr radika!ercn Konsequenzenentwickelte. So ent-
stand das Problem, an wetchen)Voltaire und Friedrich sich vergebens
abarbciteten: ihrc Seelc wird zum Kampfp!atz von zwei Weltanschau-
go ~'hMAw~ <<T C<~ KW~ <~«~)' /f~~W~ 1
ungen. Die Frage, die seit Leibniz aile phitosophischenGeister be-
schattigte: wie konnen in einem mcchanischen Zusammenhangder
Welt der Wert der Person und der moralische Verband der Gesell-
schaft erhalten bleiben? wurde in dem MaSe schwerer und hârter,
in weïchem die Naturwissenschaften fortschritten. Gerade die fran-
xosischcWissenschaft ging eben damals von dem Studium der Dyna-
tnik, Astronomie und Physik vorwârts zu den biologischenProblemen.
Die Erforschung der Ordnung in der Lage der Schichtenunserer Erd-
oberf lâche und die zunehmende Kenntnis der Fossilien ermôglichten
Buffon seine verwegene Ëntwicklungshypothesc.Die Anwendung des
Mikroskops eroffnete die Einsicht in den Bau der niederen Tiere.
Die Beschreibung und Klassifikation der Lebewesen führte auf das
Problem ihrer natürlichen Verwandtschaft. Und die Physiologie des
Blutkreislaufes, der Reproduktionsprozesseund der Funktionen des
Gehims und der Sinnesnerven, die durch Willis, Boerhave und
Haller die Tatsachen immer mehr philosophisch auffassen lernte,
muBte die Einordnung der Leistungen des menschlichen Kôrpers in
den allgemeinen Naturzusammenhang erleichtern. An der Grenze, an
welcher diese Leistungen mit den geistigen Funktionen zusanunen-
hangen, traf dièse Physiologie mit der Assoziationspsychologievon
Hobbes. Condillac und Hartley zusammen. welche gestattete, die
Leistungen des Nervensystems und der Sinnesorgane mit einfachen
seelischen Vorgângen in Beziehung zu bringen und aus diesen das
hohere geistige Leben gleichsam zusarnmenzusetzen.So cntstand unter
jener obersten astronomischen Einstellung ein Zusammenhangnatur-
wissenschaftlicher Hypothesen. der sich den neuen Philosophen zur
Verfügung hielt: Anschauungen über die Entwicktungsgeschichtcder
Erde. die Bedingungen der Entstehung von Pflanzen und Tieren auf
ihr, die nahe Verwandtschaft des Typus der hochsten Tiere mit dem
des Menschen,end~ichüber die Abhângigkeit der geistigen Leistungen
von dem Nervcnsystem und den Sinnen.
Zugleich aber entsprang aus dem Geiste der vornehmenWelt, für
welche diese Philosophen schrieben, eine zunehmende Tendenz, aus
solchen Pramisiien materialistische Konsequenzenzu ziehen. An den
HëfenerwuchseineAnimaiitâtder Lebenshaltung,dicaUmaMichauchder
Literatur ihre furchtbaren Zuge aufprâgte. Schon in einer fruheren Zeit
hatte der Begründer des mndemen Materiatismus,Hobbes,an demHof-
lager des sitten)o<enStuart in Paris gelebt. Larochefoucauldbildete sich
seine Lehre von der nackten sinnlichen Selbstsuchtin der groBen ftan-
zosischenGesellschaft unter Richelieuund Mazarin.Und Swift,das stohe,
misanthropische Génie, das zuerst alle Schleier zerreiSt, welche über
diese Gese!!s<haft .~ebreitptsind, und nichts dahinter findet als die
nie /~M'w<-der ~~<~ ~</ der M~~L-
bc-
brut~en Leidenschaften, Swift, das Vhrbitd Voltaires, verwundetc,
des
schmutzteund zerstürte seinen mâchtigcn Gcist in den Miseren
macht
Regiments von Walpole. Die Macht dieser Lebensauffassung
sich dann in dem Zeitalter von Voltaire und Friedrich dem GroBen
se!bst in Humes Zurückführung der Erkenntnis auf die dunklen ani-
in
matischct;Krâfte der Assoziationund der Gewôtmunggcitcnd und
dcm seltsamen Gelüste des gro6en Humoristen Sterne am Nacktcn
und Zynischen.
Wie wird nun unter diesenUmstânden das Problem geiost werden,
diese We~tansichtder vorwârtsschreitendenNaturwissenschaft, wie sic
verstârkt wird durch den Geist der Hofe und der muËigen vornehmen
Gesellschaft, zu versôhncn mit dent BewuBtseinvon dem Werte der
Person und dem moralischen Zusammcnhangder Gesellschaft?
Voltaire erkennt die Abhângigkeit der Empfindung und des
Dcnkens von dem menschlichen Gehim voUstandig an. Er ruft seine
Gottheit zu Hilfe: ihre unerforschliche Kraft hat an den Mechanismus
des Korpers von den Empfindungen des niedrigsten Insektes bis zu
dem Gehim eines Newton geistige Fahigke!ten geknüpft; und er fin-
det in der Skepsis das Mittel xur Abwehr jeder Frage, wie die Mit-
sei. Hieraus fol-
teilung einer sotchen Eigenschaft an Korper môglich
von Unsterblichkeit.
gert er die gânziche Venverfungjeder Vorstellung
Undso durchsetzt das Leben ein bestândiger Widerspruch. das Lebens-
bestimmt im
gefuM selbst wird zerrissen. Das Bewu&tseinfindet sich
und
Zusammenhang des Uni\ er:~ms, und ps wei6 sich verantwortlich
findet sich frei. Der Mensch bemerkt. wie verschwindcnd klein seine
Stelleist. und er ist doch vomWerte seines Daseins in seinem Lebens-
Die Dar-
~efuh!ganz durchdrungen. Das ï-ehen ist eine Tragikomodie.
und Ge-
stellung dieses zweideutigenDinges in Philosophie, Dichtung
teilt alle
schichtschreibung ist die Lebcnsarbcit Voltaires. Friedrich
phi1o<=ophischen VoraussctxungenVoltaires,aber er wud auf die Fragc
vom Sinn unseres ï-eben-~in seiner heroischen Seele eine andere Ant-
wort finden.
Den wissenschaMich wirksamsten Standpunkt diesen Problemen
d'Alem-
gegenübernahmen dann die Begründer des Positivismusein,
bert und Lagrange. Turgot und Condorcet. Der Gegenstand der
und dessen
strengen Wissenschaft ist ihnen das ph~ische Universum
ncsetzÏichkeit. Indem d'Alembert und Lagrange die Mechanik von den
Resten der Metaphysik befreien, entsteht der Begriff der positiven
Wissenschaften.Undindem d'Alembertin seiner berühmten Einleitung
zur EnzyMopadie die innerc AbMge und den Zusammenhang dieser
einer positiven
positivenWissen~chaftenpnt\ncke!t, cntsteht der Begriff
BewuBt-
Philosophie. Sic ist das diesen Wis~enschaiteninnewohnende
92 /~<M<-A <?~<~ ~of <<w<M~~<~X<w~)t?

sein ihrer Rechtsgrundc und ihres Zusammenhanges;sic erkennt, daB


dieses Wissen nur Relationen zwischen Phanomenen zum Gegenstande
hat. Jede Behauptung über Wesen oder Ursache dieser Phanomenc,
sonach alle Metaphysik, erscheint ihr als eine verwerfliche Oberschrei-
tung der Grenzen unserer Erkenntnis, sie racht sich durch die Antino
mien, in die sic den menschlichen Gcist verwickelt. Die letzte Grenz<:
der Erkenntnis ist der Sch!u6 aus der Gesetzlichkeitder Welt auf eine
gottHchc Intelligenz. Von diesem kosmischen Standpunkt aus wird
der gesetzlichen Verknupfung der Erscheinungen jeder Teil der Welt,
auch das See!enlebender Ticre und Menschen, eingeordnet; die Ab-
hangigkeit des Geistigen vom Physischen finden diese Denker schon in
den einfachen Tatsachen des Wachstums und der Abnahme der geisti-
gen Krâfte als Erfahrung gegeben. Jenseits dieser Grenzen des Natur-
erkennens steht fur d'AIembert einsam für sich die Morat; sie kann aus
diesemnicht abgeleitet werden, und sie bedarf auch des Gottcsbegriffes
nicht zu ihrer Begründung; nach einem unerschuttertichcn Prinzip ist
das Glück auf die innere Verbindung unseres wahrenInteresses mit der
Erfüllung unserer PHichten gegründet.
Die Tage der Jugend und die leidenschaftliche Neigung für Vol-
taire waren vorüber, als Friedrich die freundschaftliche Verbindung
mit d'Alembert schtoS. Eine ruhige, heiterc, gleichsam affektlose
Freundschaft. Friedrich ist mit allen Hauptsâtzen d'Alemberts einver'
standen, sind sie doch nur das letzte Wort dieser groBen franzôsischen
Naturwissenschaft. Aber der Kônig wendet das Wertverhâttnis um,
das dieser Positivismus zwischen dem naturwissenschaftlichenErkcn-
nen und dem sittlichen BcwuGtscin setzte. ,,Unser Jahrhundcrt bc-
sitzt den Fanatismus der Kurven; alle diese génial ausgedachten Bc'
rechnungen wiegen nach meiner Ansicht Prinzipien der I.ebensfuh
rung nicht auf. welche die zucht!men Leidenschaften bandigen, und
durch we!che die Menschcn den schwachen Grad von Glück genie6en,
den ihre Natur zu!â8t." Und bei Cbersendung seines Versuches über
die Eigentiebe aIs Prinzip der Mora!schreibt er ihm: ,,ïch bin ein gro-
Ber Verehrer der ~!ora!, wci) ich die Mcnschcn sehr gut kcnne und das
Gute bemerke, das sie wirken kann; gute Sitten haben für die Gesell-
schaft einen hôheren Wert als alle Rechnungen Newtons." Und in der
heiteren Getasscnheit, mit welcher der groBc Kônig die Schwâchen
seiner literarischen Freundc auffai3te und übersah, hat er den ,,mo-
rahschen CatcuF' d'Atemberts. nach wetchcm zugunstcn eines Exi-
stenzmininmmsder Armen cinc VertcHung des uberftussigcn Besitzes
der Reichen stattfindcn soU. schweigend zur Seite gelegt.
Und nun macht sich etwas sehr Merkwurdigesgeltend. Indem der
franzosisehcGeist in der AutAenweIt,wie sie sich in der astronumischen
93
~< T~M~M&M
muBte der Begriff
Perspektive darstellt, seinen Ausgangspunkt nahm,
dieses unerme6!ichen Universums, dessen einzelne Weitkôrper entste-
hen und vergehen, dieser Erde, die nach langen Verânderungen sich
mit Pflanzen bedeckt, Tiere entstehen sieht, schlieBlichden Menschen,
eine pantheistische Anschauung von Evolution des Weltganzen zur
diesen dritten Stand-
Folge haben. Buffon, Robinet, Diderot vertreten
Und d'Alembert und
punkt innerhalb dieser franzôsischenPhilosophie.
Friedrich? Man hâtte denken sollen, sie hâtten beide diesen Pantheis-
mus abgewiesen, der eine als strenger Positivist, der andere als Deist.
Auch hat d'Alembert die ..Faseteien" von organischen Molekeln ver-
der peremptoriachen und enthu-
spottet. Und Friedrich fand sich von
siastischen Schriftstellerei Diderots abgestoBen. Kennen gelernt hâtte
er ihn gern dama!s, ais Diderot in Petersburg die Huldigungen der gro-
Ben Katharina für die Philosophie entgegennahm; aber "das groBe
enzykiopâdistischePhânomen streifte nur", wie Friedrich spottet, "eine
die Strahlen
Ellipsebeschreibend, die Grenzendes Berliner Horizontes;
seines Lichtes gelangten nicht bis zu Friedrich." So entschieden aber
die beiden Freunde die einzelnenEvolutionshypothesenabwiesen: auch
sie wurden vorûbergehend, wie versuchsweise,von der inneren Folge-
Denken dem
richtigkeit fortgezogen, welche das naturwissenschaftliche
Pantheismus entgegenführte. In der Korrespondenz Friedrichs mit
d'Alembert sind vielleicht die interessantesten Seiten die Briefe, welche
sic aus AnM der Beschâftigung Friedrichs mit Holbachs System der
Natur über diesen Punkt austauschen. Friedrich argumentiert: Wenn
eine hochste Intelligenz besteht, wenn eine Schôpfung aus Nichts Non-
sens ist, wenn die Welt sonach ewig ist, immer zusammen bestehend
mit Gott: ist es nicht das Naturlichste. Gott als Wettseete zu denken, die
sich zum materiellen Universum genau so verhâlt wie unsere Seelc zu
unserem Kôrper? Und wenn nun unser Denken an die Organisation
unseres Kôrpers gebunden ist: muB man da nicht die Gottheit in dem-
selben Verhattnis zur physischcn Welt denken? "Ich denke sie mir als
das Sensorium des Universums, mit der ewigen Organisation der exi-
stierenden Welten als deren Intelligenz verbunden." Doch will er die-
sen Begriff so gedacht wissen, daB das Grundgefühl, welches er mit
Vohaire tcilt, das BewuBtseinvon der GebrecMichkeitund Beschrânkt-
heit unseres Daseins, dabei in Geltung bleibt. Wir sind keine Emana-
tionenoder Teile dieses gôttlichen Wesens, wie die Stoiker und Spinoza
annehmcn. Denn Gott ist nicht teilbar, er macht nicht die Dummheiten,
in die wir verfaticn, und wenn wir unsere Schlachten liefern, so scMâgt
sich nicht ein Teil der Gottheit mit dem andern. D'Alembert SuBert
in seincr Antwort die gleiche Neigung für Vorstellungen sotcher Art.
Indcssen hcbt er hervor. wie wir gewisse Schwierigkeitfn in ihnen
9-t /'Mf~<~ <&~C~S<'rend dua~M/if~~4<~&<
nie werden auflosen kônnen. Wenn die gottliche Intelligenz in den
Objekten der anorganischen Natur gegenwârtig war, als sie dieselben
bildete, warum la6t sich in ihnen nichts von der fortdauemdenAnwesen
heit dieser Intelligenz bemerken? Denn sie sind doch augenscheiniich
ohne Denken und ohne Empfinden. Und man dürfte dieser Intelligenz
doch weder hôchste Güte noch Allmacht zuschreiben,da ,,so vie! daran
feMt, zum Unglück der armen Menschheit, da6 diese traurige Welt die
beste der moglichen wâre". Er cndigt auch hier in seinem: que .M~<'?
Wie ihn doch Gedanken dieser Art ofter beschâftigt haben, zeigt der
,,Traum d'Alemberts", dieses genialste philosophischeKunstwerk der
damaligen Literatur. Und der Kôoigi' Auch für ihn ist der Zweifel
diesen Spekulationen gegenüber das letzte Wort. Gott ist, so erktân
er 1782 dem Freunde, aber wir konnen den Widerspruch nicht lüsen,
wie ein unkorpcrliches Wesen auf die Alaterie wirkt, und warum ein
guter und vollkommener Gott sich darin, gefaUenhat, diese abscheu
liche Welt zu schaffen.
Aus derselben naturwissenschaftlichen Richtung des franzôsischen
Geistes gingen nun aber seit den vierziger Jahren die Materialisten
hervor. Voltaire, d'Alembert und Friedrich bemerkten sehr wohl, daM
dieses System eine rùckstândige Metaphysik war, die wissenschattlich
nicht mehr taugte als irgendeine scholastische. Da6 der physischc
Mechanismusdie gesetzliche Ordnung des Universums,die Empfindung
und das Denken als seinen Effekt hervorzubringen vermôge, erschicn
dicsen Mannern, die sich nuit solchen Problemen ein Leben hindurch
beschâftigt hatten, als die unverstândlichste und dreisteste aller Er-
findungen des menschlichen Geistes. Friedrichs Urteil wurde immcr
schârfer, je mehr dieser Materialismus sich ausbreitete. Lamettric c
wurde von Friedrich noch mit gutem Humor aufgenommen;der Konig
gewâhrte dem Verfasser des ~cwwf wc~~<' cineZufluchtvoracinen
\'erfo!gcrn, ja er t~achte ihn zu seinem Vorleser und crwirktc seine
Aufnahme in die Akademie. Er Hebte seine Gesellschaftund ergôtzte
sich an dem unverwüstlichen Lebensmut, der leichtsinnigenGutherzig-
keit, der nârrischen Leichtglâubigkeit und der unbewu6tenBouffoncrie
des wunderlichen Philosophen; besonders belustigte den Feind der
Medizin der lebcnslange Krieg des Arztes gegen seine Kollegen. A!s
dann ~vf La ~< so frühzeitig der viel erorterten Fasanen-
pastete er!egen war, hat der Konig ihm die Denkredcin der Akademic
~eha!ten. Sie verteidigte den Menschen und entschuldigte den Schrift-
steller so ist sie nicht im Widerspruch mit FriedrichsWorten an seine
Schwester: ,,Er war lustig, ein guter Teufe!, ein guter Arzt und ein aus-
iiehtnend nc!~e<-hteySchriftstc))er. Abcr wenn n~n seine Bûcher nicht
las, hattc man ja das ~fittet, tnit ihnen zufricdeaizu sein." Auch Het-
und ~r~n'~ 95
.w- M~~MM ¥"_0'
hervor-
vet i us, dessen Hauptschrift zehn Jahre nach der von Lamettrie
trat (t758), wurde durch d'AIemberts EinfluB, als zu ,,der kleinen
Herde" der EnzyUopâdisten gehôrig, wenigstens zum korrespondie-
renden Mitglied der Berliner Akademie gemacht (t764)~ das Jahr dar-
aufwar er einige Zeit Gast des Komgs in Potsdam. Er kam, dem Konig
ihm schuldig
,,die Huldigung" darzubringen, "die alle Philosophen
wohl
sind" nach seinem Buch zu schlie6en, meinte der Konig, würde
der erste Tag ihrer gegenseitigen Bekanntschaft der schonste sein;
doch fand er, als er ihn nun sah, das Herz und den Charakter des
Mannes schatzenswcrt. Seine Philosophie lehïtte er ab, und die hinter-
lassenen Schriften verstârkten diesen Eindruck. ,,Bayle würde ihn in
die Schule geschickt haben, damit er die Elemente der Logik cr-
lerne." Sein Wirklichkeitssinn konnte Sâtze wie den von der annàhern-
den Gleichheit der ursprünglichen Anlagen nur wunderlich finden. "Die
Menschentragen in sich von der Geburt an einen Charakter, den keine
Erziehung verândem kann."
Endlich erschien 1770 das S y s t e md e r Na t u r ,,grau, cinune-
Urteil. Es brachte in
risch, totenhaft, wie ein Gespenst", nach Goethes
der allgemeinen Auffassung des Materialismuseine Krisis hervor. Jetzt
nach dem Erscheinen
ging Friedrich zur Offensive über. Unmittelbar
des Bûches schrieb er eine Kritik desselben, voU von gesundem Ver-
Kant:
stand, Wirklichkcitssinn und Witz. Eine Stelle darin erinnert an
um dem
,,Das Auge einer Mücke, ein Grashalm sind ausreichend,
Autor des Systems die Intelligenz dessen, der sie gebildet hat, zu be-
weisen." Zu der Rechtfertigung des Glaubens an Gott, an die Freiheit
des Menschen und seine sittliche Verantwortlichkeit kommt in dieser
Kritik ein Thema, das Friedrich noch viel nâher anging: die Verteidi-
diese Philo-
gung der festen monarchischen Ordnung in Europa. Denn
sophie der Enzyklopadisten war nun von dem Kampfe gegen Mctaphy-
sikund Kirche fortgeschritten zu dem Angriff auf die politischen Insti-
tutionen. Hier tritt ihnen Friedrich mit dem ruhigen Selbstbewu&tsein
der Ubcriegenheit gegenüber. Holbach hat nur ,,aufs klarste bewiesen,
daB er weder weiB, wie die Menschensind, noch wie sie regiert werden
müssen". Weil er den Untertanen den Genu6 des Rechtes, ihre Sou-
verane zu entfernen, zuteil werden lassen mochte, lârmt er so gegen
die groBen Armeen, die freilich ein gewisses Hindemis dafür bildcn.
Mit vor-
,.Man glaubt die Fabel vom Wolf und vom Schâfer zu lesen."
ausschauendem politisdtem Blick sieht Friedrich diese Chimâren an
d(r UnvcUkommenheit der mcnschHchen Dinge scheitem. ,Unter-
weisc und
tanen, die man zu Ric!ttem ihrer Souverâne erhebt, mùBten
cin
gererht sein." Aïs er die Abhand!ung schricb, kam er sich vor ,,wle
Doktor der Sorbonne, eine Kirchenstützc, cin hciligcr Augustin". Et
96 G~<' und dit o~)~ ~<i~i~
gab sie im Manuskript an Voltaire und d'Alembert, lie6 sie aber nicht
drucken. Dagegen hat er in demselben Jahr [770 anonym die Prüfung
der Schrift Holbachs über die Vorurteite veroffentlicht, welche aus-
sch!ie6tich die kirchlichen und politischen Angelegenheitenbehandelt
und sich noch viel scharfer ausdrückt als die Kritik des Systems. Die
Deklamationen der tranzôsischen Philosophen gegen die Kriege, die
stehenden Heere und den Ehrgeiz der Fürsten hatten ihn schon immcr
verdrossen. "Lernen Sie, Feind der Kônige, modemer Brutus,daB nicht
allein die Kônige Krieg führen. Die Republiken haben das jederzeit
ebenso getan." ..Der Krieg ist etwas Furchtbares, aber er ist ein Cbe!
wie die anderen Geiûc!n des Himmels, die woht in der Ordnung des
Universums notwendig sein müssen, da sie periodisch eintreten. Wollen
Sie einen cwigen Fricden errichten, so begeben Sic sich doch hinüber
in die ideale Welt, wo das Mein und Dein unbekannt ist, wo Fürsten,
Xtinister und Untertanen ohne Leidenschaft sind und man ganz atlge-
mein der \'emunft folgt." lm übrigen seien die cintônigen Deklama.
tionen des ehemaligen Generaipachters nur den Verhâltnissendes aus'
gesogenen Frankreichs entnommen, und ohnc Kenntnisder lionarchie
in den anderen Staaten. ,,Ich bereue," so schUeBter, "die Zeit, die ich
damit verloren habe, diese Schrift zu lesen, und die, welche ich jetzt
damit verliere. sie zu rezensieren." Aber nicht einen Augenblickbilligte
sein freier Geist irgcndeinc Ma~regel der Repression: ,ch habe den
Autor des Systems widerlegt, weil seine Grûnde mich nicht überzeugt
haben wollte man ihn verbrennen. so brâchte ich Wasser, seinen Schei-
terhaufen zu !ôschen."
Die innere Opposition des Konigs gegen die Abstraktionen ,,der
Philosophen", gegen die bodenlose Unwirkiichkeitder im Salon eut'
standcnen Râsonnentents war langsam gewachsen in seinem cigcncn
Kampf mit Wirktichkeiten, und sie hatte jetzt die aligemeinsteFassung
gefunden. Er hat in dicscr spatcrpn Zeit es ofter ausgesprochen,
dab seit dem go!denen Zeitalter Ludwigs XI\ dessenletzten Glanzcr
noch erlebt hatte, der franzosische Geist und seine Literatur in unauf'
haitsamem Nicdergang begriffen seien. Damit stimmen das stolze
BewuBtsein von dem Aufstcigcn des prcuBischen Staates und die zu-
versichttichc Hoffnung auf die geistige Zukunft DeutschlandsAberein,
die seine Schrift über die deutsche Literatur erfüllen. Viele uefcr.
a!s man gewohnhch annimmt. durchschaute der groSe Konig in seiner
spâteren Zeit die Fehter des franzôsischen Geistes. Er hatte sich inner-
lich von ihm tnsge!ost. Ais er die Versorgung eines weiteren ..PhHoso*
phen", für welchen Voltaire und d'Alembert alles einsetzten, schroff
ab!chntc, schrieh Voltaire: ,Dieser Héros tiebt die Metaphysik nicht,
und vit'Hcirht hat er nicht so unrecht damit. aber glauben Sie mir. er
J~&M~ «~ ~M<< M*der Zt/M~97
~M~MM~f~
Mebtdie Geometrie ebensowenig:mir sagt er dieselben Dinge ungefâhr
wie Ihncn." Und d'Alembert antwortete ihm: "Sie glauben aiso, daB
der Heros weder die Metaphysiknoch die Geometrie liebt; ich fürchte
sehr und habe mehr als einen Grund, das zu fürchten, daB er seine
1.
Abneigungennoch sehr viel weiter treibt, und daB die Philosophie nicht
? eben viel hôher bei ihm zu Buche steht. Er hat ihr nicht das System
der Natur verziehen, dessen Verfasserin der Tat eine groBe Dummheit
in eine Klasse, jenseits der
gemacht hat, die Fürsten und die Priester
Erachtens
Philosophie, zusammenzuwerfen, indem er ihnen, rneines
sehr zu Unrecht, beweisen will, daB sie untcr einer Decke stecken."
a
3.
Mitten in so viel Streit der ,Philosophen", so viel unbeweisbaren
{
Theorien erhebt sich sieghaft in dieser franzosischcnLiteratur ein neuer
Standpunkt dem Leben gegenüber: allen diesen Denkem gemeinsam,
i; der Ausdruck des Lebensgefühls dieser franzôsischen Aufkiârung. Das
Gedankens
j t/.Jahrhundert batte die Autonomiedes wissenschaftlichen
will den souve-
erobert, die franzôsische Literatur des t8. Jahrhunderts
J rânen Verstand zum Richter (iber die bestehenden Einrichtungen der
und Sitten
1 Gesellschaft, über wirtschaftliches Leben, Kirche, Staat
machen. Sie fühlt sich dem Leben selbst gegenüber sou-
verân. Der zweifelnde Verstand hat in jedem dieser Systeme in
So
( irgendeiner Form alle metaphysischen Jenseitigkeiten aufgelôst.
bestimmt die gânzliche Diesseitigkeit des Daseins das Lebensgefühl
1 dieser Menschen. Um so rücksichtsloser und durchgreifender wenden
sie sich der Aufgabe zu, daB das Menschengeschlechtauf dieser Erde
sich kraft der Souverânitât seines Denkens einrichte, um die Rechts-
zu
¡ gleichheit, die Humanitât und das gemeinsame Glück verwirklichen.
Das aus dem Mitte!alter stammende Gebaudc der geseUschafttichen
und
l Ordnung ist baufa!lig geworden: systematisch, heiter, gesund
sich einrichten
i-weckma6igmuÛ der neue Bau sein, in welchem man
r will. Aber in dicse Zuversicht mischt sich das zweifelnde BewuBtsein
dessen, was ist und immer sein wird. Nach der Souverânitât seines
Verstandes siegreich und autonom, der Schôpfer eines neuen Begriffes
vom Zusammenhang des Universums,findet der Mensch sich zugleich
¡ mit allem, was er ersehnt und vcrmag, von einem vergânglicben Kôrper
schlechthin abhângig. Wie die Flamme, die erlischt, wenn das Ho!z
J in Asche zcrfâUt. Ein kurzer Moment ist ihm am Lichte der Sonne
leidenschaft-
vctRunnt, und dieser ist, crfuHt von den Torheiten eines
lich bcschrankten Sinnenwesens, dem Zufall preisgegeben. Gibt es
einen Urheber dieser Wehmaschine. so regicrt er in den Gesetzcn
dieses Universums, und das ïndividuum ist ihm nichts. Die einen
Ht)thty,G<'Mmmcttt&:Mftcttt) 7
¡
l ,7
~3 /'iwoM~ der ~</ die o~~<~ ~yw~

môgen, wie d'Alembert, Lagrange und Laplace, sich auf die theo.
retische Betrachtung dieser Gesetzlichkeit der Erscheinungen ein-
schranken, die anderen, wie Prevost, Gresset oder Watteau, mogen
die Schônheit des sinniichen Daseins in Versen oder Bildem aus-
sprechen wer das Ganze dieser Wirklichkeit in sein Lebensgefühl,
seine Philosophie und seine Dichtung aufnimmt, dem starrt 'uber-
aU entgegen der tiefe Widerspruch in der Situation des Menschen,
die Vieldeutigkeit des Lebens, das Fragmentarische unserer Existenz
und unseres Denkens. So entspringt die wundcrbare Stimmung, welche
die Mischung in dem Trank des Lebens mit Heiterkeit hinnimmt.
SiegesgewiB in dem Bewul3tsein, welches das Jahrhundert ge-
schaffen, da6 die Menschheit ein solidarisch verbundenes Ganze ist,
das vermittelst der Wissenschaftcn die Gesetze dieses Universums er-
kennen und sich die Wirklichkeitunterwerfen wird. SiegesgewiBin dem
neuen BewuBtsein der AufMarung des 18. Jahrhunderts, daB die Hert-
schaft des Gedankens den Menschen aufkiâren und durch die Auf-
klarung glücklich machen wird. Humanitât, Fortschritt, Solidaritât der
tnteressen diese groBen Ideen erfüllen die ganze Zeit. Sie sind die
Seele in dem Wirken von d'Alembert, Diderot und Turgot, und sie
werden von ihnen übergehen auf die Cabanis, Condorcet, Destutt de
Tracy, deren Idcen dann in der Revolution eine so mâchtige Wirkung
geübt haben. Aber mit den groBen Gefühlen, die in der Autonomie
des handelnden Willens beruhen, sind die Stimmungen in un!ôsbaren!
Widerspruch, welche aus der Souverânitat des genieBenden Subjekts
entspringen. Diese Stimmungen regieren in der muSigen, ubcr das Be-
dürfnis hinausgehobenen Existenz der oberen Gesellschaft, in welche
die Schriftsteller und Kunstler sich mischen. Unabhângig.rasonnierend.
hochst lebendig und beweglich, wie diese Menschensind, erfüllen sie
jeden Moment mit einem cigenen Ton und Leben. Unbcschaftigt, wie
sie durchs Dase!n gehen, wird ihnen das Leben zum Spiel, das sie an-
mutig und mit dem scheinbarcn Ernste wuhlrcgulierter Beschaftigungen
durchfuhren. Die hochstcn Regcln dieses Spiels sind unbeirrbare Heiter-
keit, Hôflichkeit und Venneidung dessen, was man als anstoBig anzu-
sehen übercingekommen ist. Man genieCt den bestândigen, leichtcn,
schimmernden Glanz des so prublcmatischen Daseins. Konversation,
Feste, Komodien, Verkleidungen das ist hier Lebensinhalt. So wird
das Drama die Kunstform dieser Zivilisation, und auch in dieser
Theaterleidenschaft ist Voltaire der Reprâsentant der Epoche.
Aus diesem von inneren Widerspruchcn zerrissencn LcbcnsgcfuM
entsteht als sein eigenster Ausdruck der Stil, der in Voltaire und Diderot
seine hochste VoHcndung erreicitt. Witz, Esprit, Gefühl, das bis zur
Sentimentalitât geht, Raisonnement, das fragmentarisch ist wie das
Der <M~W& ~~t/< 99

Leben selbst, Mischung von Enthusiasmus und skeptischem WirHich-


keitssinnin der Ironie: al! das ist zu einem funkelnden, schillemden,
verbunden: einem
sprûhendenGanzen in ihren hôchsten Produktionen
Abbilde der Beweglichkeitihres Geistes, der Vieldeutigkeit der Welt,
der widerspruchsvollenSituation des Menschen.Und diese Souverânitât
dem Leben gegenüber auBert sich in einem dichterischen Verfahren,
welchesjedes Lebensverhâltnis loslôst von den Notwendigkeiten der
Sache,wâgend in die Hand nimmt, was es an Gtuck enthalte, und in
kühler Ironie zu Boden fallen lâ6t, was die unbegrenzte Freiheit des
Daseinszu fesseln scheint. Der Mensch wei8 sich in der Souverânitât
seinesDenkens in jedemAugenblick Herr uber das Leben-das ist die
Summevon allem. So wird die Liebesleidenschaftder groBen Zeiten
der Dichtung zur Galanterie, die mit der Liebe spielt. Der Patriotismus
wird durch die vemunftige Reflexion des Weltbürgers gedâmpft. Die
Grad von
tragischesten Schicksale selber enthalten einen geringeren
Seelenschmerz,wenn die nüchterne Vernunft alles von ihnen abzieht,
wasvon Reue, von Scheu vor den Menschenoder von Steigerung des
sein mag.
eigenen Leidens durch die Imagination in ihnen gelegen
Und wie wird die Literatur sein,welcheauf diesem Boden erwâchst?
Ihre Grundstimmung wird die Heiterkeit des aufgekiârten und unab-
hangigen Menschen sein, der sich in der diesseitigen Welt einrichtet,
ohneIllusion, aber entschlossen,alle Quellen der Freude, der Kraft und
des Wirkens in ihr zu erschlieBen.Sie wird mit Virtuositât die ganze
Skala der Lebenslagen und GefuMszustândedurchlaufen, aber nirgend
.werden sich in ihr jene ursprünglichen Akzente der naiven und unge-
oder Lope so
regelten Leidenschaft finden, an denen ein Shakespeare
reich gcwesen waren. Sie wird die dichterische Form unter die Leitung
der Vernunft stellen und der Konventionunterwerfen. Die Formen der
wie sie das Altertum in ihrer
Dichtungsarten und der Redegattungen,
letztctiAusprâgung durch die Romcr hinterlassen batte, die Gesetzedes
an-
Aristotdes, Horaz und Quintilian regeln das Geschâft des Poeten,
statt der ungestümen Einbildungskraft, dercn Traumgewalt Lope und
benutzt dièse For-
Shakespearesich überlassenhatten. AberderDichter
zumAus-
men,um die ganzeMannigfaltigkeit der menschlichenExistenz
druck zu bringen, er ergreift jede an der Stelle, an welcher ein Lebens-
zustandsie fordert, er spricht in der Gesamtheit derselben die Totalitât
des Lebensaus. Bis dann Diderot kommtund für die neue Mischung des
Lebensneue Formen findet: ein sehr unheimlicherMann fur die Voltaire,
d'Alembertund Friedrich, und endlich der Gewaltige, der diese wohlge-
zirkelteWelt in Trümmer schiâgt Jean Jacques Rousseau. Mit ihm er-
hebtsichcineneueWelt.diejenseitsdesKreisesunsererBetrachtung-Hegt.
So entsteht als der hôchste Ausdruck dieser franzosiachen Literatur
7'
too ~yw~t~~C~~M~ die <<W<M4~
~at~'
etwas, das vorher bei den modernen Volkem nicht dagewesen war. Das
Erzeugnis einer Vollendung der Sprache, durch die sie mm Instrument
in der Hand des Virtuosen wird. Das Produkt ciner Verfassung des
Geistes, welche diesem gestattet, in dieser Sprache alles, was das Leben
umfaBt,Raisonnement, Historie,Dichtung, in demselbenleichten Flusse
auszudrucken. Es ist der universale Schriftsteller.Er ist das Organ der
groBen Ideen der Zeit. Jede Form sie auszusprechen,steht ihm zurVer.
fügung; er ist zugleich Dichter, Geschichtschreiberund Philosoph, und
diese Tâtigkeiten sind in ihm nicht getrennt; in jeder von ihnen spricht
sich die Einheit seines Wcsens, ja man mochte sagen, die Einheit des
Lebens und der Kultur selber aus, denen er dient. Unter diesen neuen
Il
Schriftstellern ist Volt air der erste und der ~rô6te. ,,Ës gibt,
sagt Friedrich ~39 in seinem Vorwort zur Henriade, "keine Wissen.
schaft, die nicht in die Sphare seines Denkens fâ!lt, und von der tiefsten
Geometrie bis zur erhabensten Dichtung hat die Kraft seines Geistes
sich alles unterworfen." Er war der grô6te Virtuose dieser Sprache,
die unter seinen Hânden gleichsam die ganze Modulation des Lebens
ausdrucken lernte. Alle Formen der Literatur, die unter Richelieu
und Ludwig XIV. geschaffen waren, machte er zum Organ und Mittel
der neuen Lebensauffassung, welche Frankreich gewonnen batte. Es
hatte vor ihm grôRere Tragiker und Lyriker, Philosophen und Ge-
schichtschreiber gegeben: aber daB dieselbe Person die Totalitât des
Lebens in der Mannigfaltigkeit seiner Formen aïs Dichter, Philosoph
und Geschichtschreiber aussprach, das war das Neue und Figene in
ihm, und das gab ihm seine Cberlegenheit. Eben indem die Philosophie
an systematischer Tiefe verlor, die Dichtung die Oberkraft der Phan-
tasie mâBigte, die Historie die kritische GnindUchkeitopferte, trat die
innerc Verwandtschaft dieser Betatigungcn des menschHchen Geistes
um so deutlicher hervor: ihr narhstcr faSticher Zweckfür die Bildung
der Zeit machte sich geltend. So wurde die Philosophie durch alle
Kana!e von Gesellschaft und Literatur. von Dichtung und Geschichte
an die gebildeten Klassen von ganz Europa herangebracht. Voltaire
und die En!:ykh)pâdiewaren ungeheure ~tâchte :m ôffenthchen Leben;
als solche wurden sie von den Hôfen und dem groBen Adel verehrt
und wie ihresgleichen behandelt, gefürchtet und verfolgt. Es gehôrte
zu der Position sowohl von Voltaire als von d'Alembert, daB sie jeder-
zeit, wenn ihnen der Bodcn von Paris zu hei8 wurde, einen Rückzug
an den Hof Friedrichs offen hatten.

4.
Das Zeitalter der Aufklarung hat vier groBe Schriftsteller hervor-
gebracht, welche so das Ganze des Lebens dichtend, philosopliierend
ÏOt
~~6 «~ ~<
Voltaire
und in agitatorischem Wirken umfaBt haben: in Frankreich
und Diderot, in Deutschland Friedrich den GroBen und Lessing.
Friedrichs Schriften stehen einzig da als die Begleitung eines
sic von diesem nicht trennen,
groCen handelnden Lebens; man kann Masse
wenn man sie würdigen will. Der Kônig hat eine erstaunliche
von geistigen Erzcugnissen hinterlassen, Briefc, musikalische Kompo-
in Vol-
sitionen,Gedichte, Dramen. sogar cin komisches Heldengedicht
doch
taires Stil, philosophische und historische Werke. Voltaire, der
selbstleichthcrdg genug produzierte,scherzte und schalt über die kritik-
flossen.
lose I.eichtigkeit, mit der Friedrich die Verse aus der Feder
Be-
Aber aU diese Schriftstellereientspringt aus einem und demselben
dürfnisseiner Natur. Seine einzigeLebendigkeit und BeweglichkeitmuB
erfüllen. Pathetisch, lachend,
jeden Moment seines Daseins' mit Leben
Komodienaufführend mit den Freunden er !â6t sogar Maupertuis,
den feierlichen Prâsidenten der Akademie, einmal kommandieren, und
der leichtfertige d'Argcns muB nach diesem Kommando exerzieren.
Mttten aus einem Gesprâch über Corneille oder Pascal zieht er sich
in schweren Stunden
zuruck, um kriegerische Dispositionen zu treffen;
vor Entscheidungen erhebt sich seine Seele über den Moment, indem
er VerseRacines dek!amiert. In a!)dem ist er von dem Bedürfnis erfûllt,
sich zu auGcm. zu erscheinen, das Leben in seinen hôchsten Beztigen
sich zum BewuBtsein zu bringen und sa über der Gegenwart zu stehen.
um neue Gedanken zu finden,
Philosophiert er, so geschieht es nicht,
sondern solche, die ihm innere Kraft geben. Er nimmt sie, wo er sic
Aurel.
findet. Er ist darin ganz einstimmigmit Cicero, Seneca und Marc
Er wâMt nicht für seine Verse, wie Klopstock, Goethe oder Schiller,
Momenteder hôchsten Steigerung des Gefühls: sie beg!<~enaile Situa-
Formen
tionen seines Lebens. Indem er dièse in die Region der reinen
Der
erhebt, wird ihm die Seele freier, sich und den Dingen gegenüber.
wenn
triviate Gedanke und der unpoetische Ausdruck sind ihm recht,
ist und so in sich
das, was er sagt, von gcsundem Verstande diktiert
die Kraft enthâlt, zu richtigem Handeln zu bestimmen. Denn aU diese
Verseund Raisonnementswerdenzusanunengehalten von einem groBen
um seinen
Ideal, das seine Seele ganz erful!t: innere Kraft zu erwerben.
den Wechseln des Schick-
kônigUchenZwecken gewachsenzu sein, in
die Souve-
sals, welche aus dem Leben für diese Zwecke entsprangen,
ranitât des Geistcs zu hewahrenund ein voltes, reiches Mcnschcndascin
zu
mitten in der harten, einseitigenArbeit seines kônigtichen Berufes
behaupten.
er im Zimmer
Frühmorgens, ehe seine Sekretâre erscheinen, geht
auf und nieder, sich seinen Phantasien auf der Flôte überlassend; er
kommen. RegelmâBig
findet, daB ihm seine besten Gedanken dabei
!0< _V/MMf~ <&f G~<- ~<{/!6&!W~
M~ <A<<&MA~
werden zwei Abcndstunden dem Konzert gewidmet, bei dem er selber
mitwirkt. Denn in der Musik fand er den unmittelbarstcn Ausdruck
für das Bedürfnis seiner beweglichen Natur nach einer Sprache für
ihre Lebendigkeit, nach Spiel und Schônheit.
Welche unvergângliche Heiterkeit schwebt über den Schlossem
von Rheinsberg und Sanssouci und über dem Rheinsberger Park mit
seinen geschnittenen Hecken, Statuen und Tempeln. Es ist, als ob die
freie Weite seiner Seele in jenen Tagen sich allem mitteilte, was von
ihm und seinen Genossen ausging. Die leuchtendcn Gewânder, das leise.
Knistem der seidenen Schleppen, das Spic!strahlender Lichter zwischen
dem WeiB und SUber der Wânde und den üppigen Gemâldender Pla-
fonds, der K!ang seiner FIote in diesen Sâlen sind verschwunden. Und
doch ist es noch heute, als ob sein Geist diese Râume mit seiner Heiter-
keit erfüllte. Hier in Rheinsberg empfing ér Voltaire, der junge Konig
im Morgenglanz der Jugend, mit Theaterspiel, Musik, Tanz und Ge-
plauder die Râume belebend.
Der voïlkommcnste Spiegel der unbeschreiblichen Lebendigkeit
und Beweglichkeit des jungen Kônigs sind seine Briefe. Sic sind in dem
Wechsel von ausgeiasscnstem Scherz, innigstem Gefühl, tiefstem Welt-
verstand und dann wicder hârtester Bchauptungseiner moralischen Wil-
îenssteHung vollendete Kunstwerke. Sie geben am deutlichsten diesen
Geist wieder, der wie Aprilwetter unbestândig zu wechseln scheint,
jedem Ding, jeder Person, jcdem Lebensmomentseinen besonderen
Gefühlsakzent mitteHcnd, vielartig wie das Leben selbst, und so fahig,
allem souveran seine SteUe zuzuwcisen.Und wie herbe und gefûhis-
starke Tone auch zuweilen angeschlagen werden: in diesem zwei-
deutigen Leben gilt es, gute Miene zum bôscsten Spiel zu machen;
siegreich dringt immer wieder souverâne Heiterkeit hindurch: es ist
die stillschweigende Ubereinkunft dieser Gesellschaft, daS man Leiden
am besten uberwindet. indem man sie ignoricrt. Wie ghindtich ver-
schieden sind doch diese Briefe oder die Voltaires von der gefûMs-
schweren Behandlung des Lebens in dem BriefwechselKlopstocks, Ha-
manns oder Herders.
Und so ist auch Friedrichs Poesie. Sie ist gleichsam die unent-
behrliche Sprache einer reichen. beweglichenNatur, welche sich selbst
zu fuh!en das Bedürfnis hat. Er bewegt sich in den Formen der romi
schen Dichtung. Jede dieser Formen enthâlt in sich die Regel der
Stimmung, die sie ausdrucken soll. Er bedient sich ihrer, um in ihrem
wechselndenGebrauch alles, was der Ablaufdes Lebens mit sich bringt,
alles, was sich in ihm selbst ereignet, seine ganze Existenz gleichsam
sichtbar zu machen. At!cs kunnnt xu Wort: Lachen und Esprit. Ga-
lanterie und die herzliche Neigung zu den Frcunden. Alles, was mit 1
!03
/nMh~ 'S~L
Leidenschaften
dcr Herrschaft des Willens ûber das Schicksal und die
findet er fiir den heroi-
vertrâglich ist. Den schônsten Ausdruck aber
das Ideal
schenWillen. der über Schicksal und Tod erhaben ist. Denn
der Phantasie
dieses Lebens sch!ie6t die Herrschaft der Passion und
aus. Es ist der Geist, der froh ist, der Macht der Imagi-
ganziich entronnen
nation, der religiôsen Affekte, der Liebesleidenschaft
der Mânner
zu sein. In Freude und Kraft zu leben. erscheint hier
die Kraft, es
allein wiirdig. Souverâner GenuB des Lebens und
zu verachten.
der
Die gegenstândliche Darstellung lag auBerhalb des Bcreiches
doch ohne Er-
Verse Friedrichs. Nur im Lustspiel versuchte er sich,
hatte er ein inneres
folg. Aber zu der groBen franzosischen Tragôdie von Riche-
Verhâltnis. In dieser spiegelte und genoB sich die Epoche
in alle
lieu und Ludwig XIV. mit ihren gro6en Akdoncn. Sic greift
der cigenen
Zeiten der Menschheit, nur um die Ideale und Schicksale
die
Zeit sehen zu lassen. Die Mânner Corneilles atmen den Hochsinn,
~~M/ welche das Ideal dieser Gesellschaft in den Tagen der
moralischen
Fronde war, und die so von Descartes zu seinem hochsten
und Worte sind die von Konigen,
Begrifferhoben wurde. Ihre Gebarden Wider-
Prinzen und Hof!cuten. Die Tmgodie Racines zeigt dann den
entsteht.
streit persônlicher Krafte, wie er um einen absoluten Fürsten
in
Hier ist die hochste Meisterschaft der Sprache erreicht. Gesprâche,
denenzwei Personen mit einziger Kunst und Anmut ihr Ziel verfolgen;i
sic fesselnd
sie verbergen es, sie studieren sich, sie horchen, wâhrend
und liebenswürdig sprcchen. Es ist die hochste Kraft aristokratischer
in
und fürstlicher Seelenlenkung. Und die Situationen und Konflikte
Zeit. Es
diesen Dramen sind die des Staats- und Hoflebens dieser
die
war ein Drama für Konige. So waren diese Dichter wohl geeignet,
des grôBten der Fürsten in diesem Jahrhundert zu sein. Wir
Begleiter seiner Ge-
haben von Friedrichs Sekretâr Henri de Catt ein Tagebuch
mit ihm. In der Erwartung einer bevorstehenden Schlacht oder
sprâche in-
nach groBen Katastrophen erhebt sich seine Seele über den Moment,
dem er denselben in den erhabenen Versen der Tragôdie ausgeprâgt
wiederfindet. Racine wurde von
und gleichsamin dieAeternitât erhoben
ihmam hochsten gestellt. Er sagte einmal im Gesprâch mit d'Alembert,
daB er lieber die Athalie gemacht hâtte als den ganzen siebenjahngcn
In Racines Versen findet er das Glück der Sorge für das Volks-
Krieg.
wissen: er
wohl wieder, die kônigliche Freude, sich ûbera!! geliebt zu
von
kann sie nie lesen ohne die lebhaftestc Rührung. Nach der Nacht
Hochkirch lâ&t der Kônig um die Mittagsstunde Catt rufen; in ruhiger
die Verse des Mithridates,
FassunK tritt er ihm entgegen und rezitiert
die dessen ganz âhnnche Niederlage schildern. Er betet mit Joab:
I~L
toq.` dcr Gro.~Be_
~'iedrlch unddie ~M~
<t-1- vu <<
i~~M~~
deulrcJfe,
,,VerMendein ihren RatscMâgcn eine grausamcKonigin, geruhe, o mein
Gott, Sber Kaunitzund sie den Geist der Venvirrungzu verbreiten." Oft
rührt ihn Racine zu Tirânen, er vermag nicht weiter zu lesen: ,,Racine
zerreiBt mir das Herz."
"Werke des Philosophen von Sanssoud": so bezeichnetder Konig
die DichtungenundProsaschriften, welcheer t7§o für einen engenKreis
von Freunden zu Sanssoud ,,tm Turmbau" in
wenigen Exemplaren
drucken lieB. Es lag in diesem Tite], daB er in
philosophischem
Raisonnement sich die Wehanschauung gebildet hatte, auf der dièse
Arbeiten beruhen. Er hatte nicht nur die Dogmen des
Christcntums,
sondem die ganze der Jcnseitigkeit zugewandte
Stimmung früh hinter
sich gelassen, er hatte der Metaphysik abgesagt, der Gedankeder Dies-
seitigkeit bestimmte ihn ganz, wie scinen Lucrez oder Voltaire. Mit
herber Festigkeit verwarf er die persônliche
Vorsehung und die Un-
sterblichkeit. Auf diesem Standpunkt entsteht dem ~fenschc~ dem die
Bindc des Wahnglaubens von dcn Augen genommen
ist, die Aufgabe,
die der Kônig am ScMuû der Epistel an den Feldmarschall Keith in
Verscn ausgedrückt hat, die des Lucrez
würdig sind:
Uns. die kein Hirngespinstvon HoHeMtrafen quatt,
Die, reinen Sinnes, nie auf achnadenLohngetâhlt,
Uns treibt der MenschheitWoht, die Tugend!SBtuns
gliihen,
Nur Liebe tu der PflichttipBuns das Mse fliehen,
GefaBtund ungerührt !aBt uns vom Lebenscheiden,
Von unserm ~oBen Tun crnint die !:iit)ftf;<'t)
Xeiten!
Er sagte einmal Catt, der Jugend sei
natürlich, mit Epikur im
GcnuB das Ziel des Lebens zu erblicken; aber die Krânzc
Epikurs
winkten nur dem CluckHchen: die Jahrc und die hâtten
ihn zum Stoiker gemacht. Stets erkanntc er doch Erfahrungen
an, daB der Mensch
zur Freude geboren sei, und da6 sie der Seele Kraft
mitteite.Hatt'
unsrc Seele doch wie Theben hundert Pf.trtcn. die Freuden HeB
ich
ein wie wogende Kohorten." Er verhôrte über den Sinn des
Lebens
alle Phtiosophen: ganz eins fühltc er sich mit den Rômem.
Sein prak-
tisches Genie war ihrer geistigen Struktur waMverwandt:dem
groBen
Zusamrnenhang zwischen der Herrschaft des selbstbewuBtenWillens
und der Macht des Raisonnements.Es ist nicht
notig, daB ich lebe,
wohl aber, daB ich handle." Hier fand er auch die
Autonomie des
Willens. die Erkenntnis der Regel des Lebens in der Pflicht, und
seines Zieles in der Arbeit für das Gemeinwohl.Sein Testament
beginnt:
vie est un passage ~f</p du M~< notre naissance «
celui de notre mort. Pendant ce court
espace l'hommeest
~< le ,/<, lait corps." Cicero, g~
und Marc Aurel, Virgi! und Horaz waren die
bestândigen Begleiter
/&w~ !W<
-S<"M~ jto:
seines Lebens. în den groCen Gegensatzen, wie sie Cicero als letzte
Zusammenfassungder Philosophieder atten Welt formulierte, zwischen
dem FreiheitsbewuBtseinund dem Kausalzusammenhang, dem Mate-
rialismusund dem Ordner der Wett, dem Glück und der Pflicht ver-
]auft auch ihm noch das Philosophieren.
Aber wie gewinnt er nun in der neuen ï~ge des philosophiischen
seine
Denkens,in dem Dunkel der Skepsis Bayles das BewuBtseinüber
von dem seiner
Bestimmung?An diesem Punktc trennt sich sein Weg
franzôsischenFreunde. Er ktart sich die Frage zunachst an dem rômi-
schcn Denken auf. Aber seinen letzten Begriff über die Bestimmung
des Menschen schôpft der Kônig dann doch aus seiner heroischen
Seclcund aus seinem Beruf, für das Ganze zu leben. Die Zufriedenheit
mit sich selbst, das Gefühl der personHchcn Würde und Autonomie
gcnügen seiner groBen Seele. Er findct dieses BewuBtseingebunden
an die Festigkeit und Konsequenz des Willens und an das pHicht-
suchte
mâBigeHandeln fur das Ganze. Zur ErfûHung dieser Aufgabe
er sich jede Quelle von Kraft zu erscMieBen. Wie Goethe war cr
in jedem Augenblick sciner Exi<.tenzvon dem Gefühl seines so bc-
stimmtengroBen Daseins erfu!!t. ln einziger Mischung hatte die Natur
cinen kôniglichen Willen in ihm verbunden mit dem Geiste eines
râsonnierenden Philosophen, zugleich aber mit einem warmen und
und sich zu
beweglichenHerzen, das es bedarf, sich ausxusprechcn
fühlen. Langsam kam dieser Wille, der in der heiteren Beweglichkeit
des jungen Prinzen versteckt tag, ihm in den Kampfen mit dem Vater
zum BewuBtsein, ptôtz!ich ward er dem erstaunten Europa sichtbar,
und im Rechnen
siegreichim Erfassen aller Arten von Wirklichkeit
mit ihnen. stâh)tc und festigte sich im Ringen um die Macht, um dann
scHieBnchzu erstarren. Aber mitten in der Verwendung aller dieser
Artenvon Wirklichkeit macht dieses Genie sic zum Gegenstandc seiner
Aktion
Betrachtung, und mitten in der poHtischen und mi!itârischen
bedarf er, im gehobenen BewuBtseinseiner Existenz zu leben. Hierin
auf jeden übten,
lag der einzige Zauber, den diese strahlenden Augen
auf den sie sich richteten, zugleich das ~âtse! in ihm, das selbst einen
Menschenkennerwie Voltaire anzog, bannte und erschreckte.
dem
Das Hôchste hat er in der Geschichtschreibung erreicht. Mit
Blickdes Philosophen,welcher die menschlichen Dinge in ihrem groSen
der Menschheit
Zusammenhang überschaut. erfa3t er den Fortgang
von der Barbarei zur Kultur, die GesetzmâBigkeit in diesem Verlauf,
die Obertragung der Kultur von einem Volke zum andern. wâhrend
er dann doch in den Nationen eine ursprüngliche, unzcrstôrbare Eigen-
ttimHchkeitanerkennt. Die historische I.iteratur kennt kaum eine gro-
Bere Darstellung der politischen Krafte eines Zeitalters und seiner
!o6 -u. /<~<<M)of<~<<!w~<M~ -u_
-n_
leitenden Personen als die Schilderung der Situationvor dem Ausbruch
des ersten schlesischen Krieges, mit welcher er die ,Geschichte meiner
Zeit" erôffnet. Der naturwissenschaftliche Zug des Jahrhunderts und
der Wirklichkeitssinndes Konigs treffen darin zusammen,wie der dyna.
mische Gesichtspunkt sein gcschichtiiches Denken bestimmt.

S.
Wic frcmd muËte ein Geist dicser Art unserer eigenen Dichtung
und Philosophie gegenüberstehen, wie sie in der zweiten Hâifte des
jahrhunderts zur Blüte gelangte Lcssmgwar Friedrich geistesverwandt:
er blieb ihm durch ein râtsclhaftes Schicksal fem. Was danach GroBes
kam, erwuchs aus Rousseau: unsere Literatur emanzipierte die Macht
der dunklen Passionen. Von Klopstock ab beruhte sie auf der Aus-
wahl der hôheren Lebensmomente zu einer idealischen Darstellung.
So oft Klopstock und Herder die Feder ansetzen, steigern sie sich
zu einer über die Wirklichkeit erhobenen Stimmung, und selbst Win'
ckelmanns Betrachtungen über die Kunst, Herders und Johannes
MûUersGeschichtschreibungatmen diese getragene Stimmung. Es war
eine Abstraktion, auf welcher die Idealitât dieser groBen deutschen
Schriftsteller beruhte. Wâhrend Voltaire, Diderot, Friedrich das ganze
Leben umfassen, wie es ist, alle Widersprüche in dicsem ,zweibeinigen
Geschôpf ohne Fedem", wie Friedrich uns bezeichnet;in ihten Versen
wie in ihrer Prosa wollen sie dies Wirkliche ganz aussprechen, ohne
Abzug und ohne Resen'e. Und zwar, wie es déni souvcranen Verstande
erscheint. Hierin lag der letzte Grund der Abneigungdes Kônigs gegen
die deutsche Literatur.
Und so ergibt sich nun auch der richtige Standpunkt für die Be-
urteilung der vielbesprochenen Schrift ,,Cberdie deutsche Lite' ·
ratur, ihre Mange! und die Mittel, durch welche sie verbessert wer
den kann*
Diese Abhandlung crschien 1780. Damais besaB unsere Literatur
schon die Oden Klopstocks, die Minna und die Emilia Lessings, den
Roman Wielands, den Gotz/den Werther, die Stella und die Lieder
Goethes. Der Kônig ging in seiner Schrift an diesen Leistungen stiH
schweigend voruber: den Gëtz tat er kurz ab als eine ,,abscheutichc
Nachahmung Shakespeares". So erregte die Schrift allgemeine Ent-
rüstung. Am hârtesten sprach sich Klopstock aus. dessen christ-
liche und poetische Ideale überhaupt im Widerspruch mit dcm ganzen
Wesen des Konigs standcn. Goethe schricb ein ,,Gesprâch über die
deutsche Literatur", welches unter seinen Freunden umlicf, dann aber
duch nicht veroffentlicht wurde; es ist verloren gegangen. Unter den
\)e!en GegenâuBerungen, die zum Druck gelangten, war die von Justus
/)M -&~ ~<~ <Af~C~ JMS~M~ '07

Moscrweitaus die bcdeutendste. Er widerlegte tatsâchlich den Konig;


sondern
wûrdigte aber auch "das edle deutsche Herz, das nicht spotten,
wirtdichnützen und besscm will". Es verging lange Zeit, bis das harte
Urteil des Konigs vergesscn wurde und das unermeGliche Verdienst
um unsere Literatur zur Anerkennung gelangte, welches in seinen konig-
lichen Taten lag.
Man kann die Stellung Friedrichs zunachst aus seiner Unkenntnis
des Zustandes unserer Literatur am Ende seiner Regierung erklâren
und diese Unkenntnis entschuldigen. Seine Sprache war das FranzS-
sische er beherrschte das Deutsche zu wenig, um in unserer Sprache
zu genieBen. Sein
philosophischeWerke zu verstehcn und Dichtungen
Kônigshandwerk lieu ihm immer weniger Zeit, solche Schwierig-
keiten zu ubenvinden. Da blieben denn für ihn die Eindrucke maB-
bei einer
gebend, die er in seinen Bildungsjahrcn und dann und wann,
sehr zufâHigen Bekanntschaft, von unserer Literatur empfangen hatte.
Vielesin seiner Schrift würde man billigen konnen, wenn sie die Zeit schil-
derte, da Gottsched noch regierte und Uz, Gôtz und Gellert auftraten.
Gleichwohl hâtte sich Friedrich über unsere Schriftsteller und ihre
Werke nicht viel milder geâu6crt, wenn er besser mit ihnen vertraut
früh in
gewesen ware. Denn sein Urteil entsprang aus seiner ganzen,
ihm angelegten Lebensauffassung und der darin gcgrundeten Ober-
Handeln
zeugung, daB es die Funktion der Literatur sein musse, unser
auf Mare, feste Prinzipien zu stellen, indem sie den Dingen souverân,
in Scherzund Ernst entgegentritt und alles, was um uns und in uns vor-
ent-
geht, dem Raisonnement unterwirft. Unsere deutsche Dichtung
sein Ideal ver-
sprach nicht diesem Begriff. Dagegen fand Friedrich
wirklicht in der franzôsischen Literatur, die er kannte, in der er sich
selberversuchte. Die Mittel, mit denen diese Literatur ihre Wirkungen
erreichte, wurden ihm daher zu allgemeingültigen MaBstâben, und der
geschichtliche ProzeB, in welchem sie dieselben ausgebildet hatte,
schien ihm die Regeln zu offenbaren, nach denen man jede andere
Literatur zu der gleichen Volikommenheit erheben kônnte.
Der Schüler von Montesquieu und Voltaire legt auch hier eine
die Ge-
vergleichende historische Betrachtung zugrunde. Er betrachtet
schichte der modemen Literatur in erster Linie als eine Obertragung
des im Altertum Erreichten auf die neueren Vôlker. Die Renaissance
ist der Ausgangspunkt der modemen Literatur. Aber der Moment, in
welchemeine Nation fahig wird, vermittelst einer solchen Obertragung
den guten Geschmack und die schonen Künste bei sich auszubitden,
ist zunachst bedingt durch ihre wirtschaftliche und politische Entwick-
lung und dann, auf dieser Basis, durch die Ausbildung einer Sprache.
welche der Literatur die Hilfsmittel des Ausdrucks gewahrt. Italien
to8 /~<<6<~< MMfdie Otw~f~ ~<&~M~
erreichte diesen Moment in der Epoche von Dante, Petrarca, Ariost,
Sannazaro und Bembo. ïn Frankreich gelangte von Richelieu ab das
wirtschaïtiicheund politische Leben zu der ruhigen,aufsteigenden Ent-
wicklung, auf welcher die au0erordent!iche Blute der klassischen Lite'
ratur dieses Volkes beruht. Corneille, Racine, Despreaux, Bossuet,
FIechier, Pascal, Fenelon, Vaugelas sind die wahren Vâter der fran-
zosischen Sprache. Sie gaben ihr Regel, Wohlklang und Kraft. Frie-
drich hebt hier mit Recht hervor, daB eine Sprache nur in der Wechsel-
wirkung des lebendigen (.ebmuchs in der Gesellschaftmit der Dich-
tung die FuJIe der Nuancen des Ausdrucks erreicht. Die englische
Literatur hat in Shakespeare nur ihren Anfang, die Geburt der Künste
faitt nie mit ihrer Reife zusammen. Erst der Wetteifer mit der franzo-
sischen Literatur hat die englische auf ihren Hôhepunkt geführt. Das
Resultat dieser Vergleichung ist: die Ausbildung der nationalen Sprache
ist die Bedingung einer nationalen Literatur; in dieser geht jedesmal
die Prosa, insbesondere Historie und Beredsamkeit, mit der hochsten
poetischen Kultur zusammen; die einzelnen Gattungen der Literatur
grenzen sich ab, und ihre Regeln stellen sich durch das Zusammenwir-
ken gro6er Schriftsteller fest; dieser ganze Vorgang ist aber abhângig
von der Cbertragung der antiken Literatur.
Diese allgemeinen Betrachtungen, welche die Schrift des Konigs
durchziehen und bestimmcn, sind das Ergebnis seiner Beschaftigung
mit Voltaire. Unter VoltairesEinfluB hat Friedrichden groSten Dichter
des Zeitalters der Einbildungskraft, Shakespeare, nur als den Eingang
in die groBe Periode der englischen t.iteratur anerkannt. Shake-
speare verletzt die Regeln der Einheit von Ort, Zcit und Handlung; er
hebt jede Wahrscheinlichkeit auf; er mischt die niedrigen Reden von
Lasttrâgem und Totengrâbern mit dem Pomp der Kônige. Ebenso
liegen die groteske Phantasie von Rabelais und die kraftvolle, bildliche
Prosa von Montaigne vor der groBen franzôsischenLiteratur.DerWohl-
laut der Sprache. die Grazie und Delikatesse des Ausdrucks,wie sie die
Gesellschaftin Italien und Frankreich zuerst entwickelthat, die Regel-
haftigkeit der Poesie, und in der Prosa der rationaleStil und die Gene-
ralisation, die Anwendung auf das Leben gestatten: das sind für Frie
drich wie für Voltaire die obersten Forderungen, an denen die Literatur
eines Volkes gcmessen werden mu&.
Die deutsche Literatur seiner Zeit enthielt tatsâchlich nichts, was
in dieser Hinsicht dem Konig genügt batte. Er fragt nach groBen
Prosaschriftstellern, besonders nach Redncm und Geschichtschreibern;
er sucht regetma&ige. nach dem Muster der Alten gearbeitcte Dramcn,
ï.ehrgcdichte und Oden: er verlangt vor allem klassischenStil: unsete
Literatur konnte ihm das nicht bieten, denn sie war aus einer ganz
D~ -&~
anderen Richtung der geistigen Krafte hervorgegangcn als der fran-
zosische Klassidsmus, und sie strebte ganz anderen Zielen entgegen.
Die deutschen Mystiker und Reformatoren hatten eine Sprache ent-
wickelt, welche die hcchste Ausdruckskraft für die einsamen, auf das
Unsichtbare bezogenen Gemütsbewegungen des moralischen und reli-
giosen Menschen besaS. Ober die Dichtung, die sich auf dieser Grund-
lage erhob, hat Justus M oser in seiner Antwort an den Kônig schon
vollkommen richtig geurteilt: ,,Der Weg, welchen die Italiener und
Franzosenerwâhit haben, ist dieser, daB sie zu sehr der Schônheit ge-
opfcrt, sich davon hohe Ideale gemacht, und nun alles verworfen haben,
was sich nicht sogleich dazu schicken wollte. Hieniber ist bei ihnen
die dichterische Natur verannt und die Mannigfaltigkeit verloren ge-
gangen. Der Deutsche hingegen hat, wie der Englânder, die Mannig-
=
faltigkeit der hochsten Schônheit vorgezogen, und lieber ein glattes
Gesicht mitunter als lauter Habichtsnasen malen wollen." Moser er-
lautert den Unterschied durch den zwischen englischen und franzôsi-
sehenGârten: ,,In jenen finden Sie, eben wie in Shakespeares Stucken,
t
Tempel, Grotten, Klausen, Dickichte, Riesensteine, Grabhugel, Ruinen,
Felsenhohten,Wâlder, Wiesen, Weiden, Dorfschaften und unendliche
Mannigfaltigkeiten,wie in Gottes Schôpfung, durcheinander vermischt r
in diesen hingegen schone, gerade Gange, geschorene Hecken. herr-
liche, schône Obstbâume, paarweise geordnet oder künstlich gebogen,
B~umenbeetewie Blumen gestaltet, Lusthâuser im feinsten Geschmack
und das alles so regelmaBig geordnet, daB man beim Auf- und
Xiedergchensogleich alle Einteilungen mit wenigcn Linien abzeichnen
kann, und mit jedem Schrittc auf die Einheit stoBt, welche diese weni-
gen Schônheiten zu eincm Ganxen vercinigt." Friedrich konnte die
ci);cntumliche, wilde, mannigfattige Schônheit der gro~en englischen
Phantasiedichtung, Klopstocks und des damaligen Goethe nicht ver-
stehen. In der weitschweifigen Gründlichkeit unserer Geschichtschrci-
ber, in ihrer Liebe zum Detail gewahrte er nicht eine Wurxf) künftiger
(ïrobe, in der muhsetigen Ëntwicktung von Begriffen nicht die not-
wendige Voraussctzung unserer kritischen Philosophie. Er suchte die
Zusammenfassungen, welche in den unermeBlichen Stoff der Dinge
<'rdnung und Licht birâchten, und die deutschen Bûcher, die cr auf-
scMut;,zeigten ihm nur ein Ringen mit der individuellen Mannigfaltig-
keit des Daseins. Er suchte Souverânitât des Geistes und Heiterkcit
in der Dichtung, und er fand in der Poesie seines Volkes nur die
dunktcSchwere des Gemuts!ebens. So legte er bald, wenn die Geschâfte
ihm Zeit für einen Blick in unsere Literatur gestatteten, ihre Produkte =
als ihm unertrâgHch zur Seitc. Hier offenbart sich am Endc seines
Lebcns die tragische Zwiespâltigkeit seiner Bildung. Die eigentum-
HO /M~ C~< <W</ <~ ~jy/f~ ~~&~W~
lichen Krafte unserer Nation, auf die sein kônigliches Wirken sich
überall stutxte, die in ihm seibst lebendig waren, hat er innerhalb unse-
rer Literatur nicht zu verstchen vermocht. Es war zunachst ein Gegen'
satz der Generationen er war ait geworden wic sein Voltaire, und ver-
wundert sah er, wie das junge Geschlecht sich neuen Stemen zuwandte.
Es war aber auch ein Gegensatz des franzosischenund des deutschen
Geistes, der nun deutlich zum Ausdruck kam.
Die besonderen Vorstellungen, die der Kritik des Konigs an unse-
rer Literatur zugrunde liegen, bestimmen nun auch seine Vorschiâge
zu ihrer Verbessefung.
Friedrich ist überzeugt von dem Vermôgen der deutschen Nation,
das Hôchste zu leisten. Wir sind nicht zurückgeblieben, weil wir an
Talent den anderen Nationen nachstünden. Eine Kette von Kriegcn
machte uns arm an Geld und Menschen. Es entsprach dann dem richtig
verstandenen Bedürfnis, daB unsere Vâter zunachst die wirtschaftlichen
und politischen Grundlagen unserer geistigen Bildung wiederherstell-
ten. Die Bebauung des Landes, die Hebung des Gewerbes, die Ent-
wicklung der Stâdte, die Befreiung des dritten Standes, die Entfer-
nung att der Hemmungen, welche die mânn!iche Energie des deutschen
Volkesin ihrer Entfaltung hinderten, mu6ten nach den Gcsetzen des
Fortschrittes der Kultur der Ausbildung unserer Literatur vorangehen.
Diese Bedingung ist erfüllt; ein frcicr Wetteifer der Krâfte ist entstan-
den wir steigen empor in demselben AugenMick, da die anderen Lite-
raturen zu sinken beginnen. Die schônen Tage unserer Literatur sind
noch nicht gekommen, aber sie nahen. Ich selbcr werde sie nicht mehr
erleben; ich schaue, wie Moses, nur von ferne das verheiSene Land.
Unsere nâchste Aufgabc besteht jetzt für Friedrich in der Regclung
unserer Schriftsprache. Es gilt, sic zu mildem, den Ausdruck concis,
die Verknupfung der Satze knapp und logisch, die Gleichnisse ange-
mcsscn zu gestalten. Der Konig will überall methodisch vorgehen und
reguhercn eben wie ein groBer Fürst des achtzchnten Jahrhundcrts
denken mu6te. Es gilt fcmer, den hoheren Unterricht zu reformieren.
Friedrich ist der übcrzeugteste Anhanger des klassischen Unterrichts,
und mit richtigem Blick bcvorzugt cr die Prosaiker; Logik und Retho-
rik suUcn mit der Lekture der Alten vcrbunden wcrden. Der Schüler
soUaber auch an Bayle, dessen logische Kraft Friedrich so sehr be-
wundcrte, Dialektik, an den franzosischen Kanzehrednem,die er selbst
gern vor!as, Stil und Beredsamk-cit,an den franzôsischen Historikern
geschichtiiches und potitisches Denken lemcn. Es muB der Bann ge-
brochen werden, der den tnodemen Geist von den Universitâten fern-
hâ!t: der t'hitosoph soU in die heute wirksamen Système einführen.
der Historiker Menschen,Entdeckungen und schriftstellerische Werke
/)~ <MM ~M~
aller Jahrhunderte sehen lassen. Obersetzungen des Besten, was andere
Zeiten hervorbrachten, sollen hergestellt werden. ïn diesem Zusammen-
hang ist für Friedrich das lebendige VerhaItMszur franzôsischenSprache
und Literatur eine notwendige M&Bregel,welche unsere eigene Ent-
wicklungvorbereitet. In der gutën Gesellschaft Frankreichs seit Franz I.
hat man mehr spanisch und italienisch als franzôsisch gesprochen, und
an der griechischen Sprache und Literatur haben sich die Romer ge-
bildet. So werden wir an dem franzôsischen Beispiel unseren cigenen
Ausdruck, unseren Stil, unser Denken und unseren Geschmack ent-
wickeln. Oberall bei uns ist Redlichkeit, Gelehrsamkeitund philosophi-
schcr Geist: es bedarf nur des Funkcns des Prometheus, um den Geist
der Nation zu entflammen.

DIE NEUE AKADEMIE

Wer sich in die Geschichte Friedrichs versenkt, empfindet immer


wieder ein Moment, welches die Erfassung und Darstellung dieses Le-
bens erschwert und zugleich doch das Reizvolle eines solchen Ver-
suches ausmacht: Dièses Leben !â6t sich am wenigsten auf eine ein-
fache Formel bringen; hinter seinen Handlungen und ÂuBerungen
steht immer die ganze komplexe und bewegliche Personlichkeit, die
sich uns erschlossen hat. Alles spielt immer zusammen oder lest sich
ab in raschem Wechsel: die Lust, das Dasein zu genieBen in heiterer
Gcscl1schaft, Konversation, Mus~k, in Lektüre und eigener schrift-
stellcrischer Tâtigkeit und das BewuBtsein, daB den Fürsten dcr
Staat zum Opicr verlangt; der Ehrgeiz des Feldhenrn, den der Kricgs-
ruhmlockt und der Konig-Phuosoph, der sein Volkglücklich machen
und den Fortschritt der Menschheit fordem wiH: Kultus der Freund-
schaft, Verkehr mit Literaten wie mit semesgleichen und herrisches
SdbstgcfuM in den einsamen Hôhen des Genies und der absoluten
Macht; Hingcbung an die Eindrücke des Augenblickes bis zur Auf-
!ôsung und ein Heldenmut, dem Schicksal die Stirn zu bieten, der
nur in der rômischen Antike seine Ausdrucksformen und Vorbilder
findet. Das war es, was jeden, der dieser PersônUchkeitnahe trat, zur
Bewunderung hinriB, anzog und doch auch wieder femhielt, abstieB:
es blieb in ihr etwas Râtselhaftes, Unheimiiches. Der siebenjâhrigc
Krieg gehorte dazu, diesen Reichtum zu zerstôren, oder es wurde nun
doch alles grau, hart, Raison, Pflicht, Entsagung.
Diese bestândige Vielseitigkeit in dem Verhalten Friedrichs gilt
es zu beachten, wenn man die MaBregeIn verfolgt, die er nun ergreift,
um seinen Hof und seine Hauptstadt zum Mittetpunkt der geistigen
~~< <~< ~</ <A~«~~ ~t~/Hw~ I
Kulturzumachen, derenBild ihn erfuitt. Die neue.~M~M/M-
ces et Belles-Lettres,die aus derverfaItenenStiftung von Leibnizhervor-
geht, steht im Vordergrund dieser Bemuhungen. Ihr gelten die Verhand.
lungen des Kônigs und sciner Beauftragten mit den Gelehrten und
Schriftstellem, die man für Berlin gewinnenwill, und jeder, der kommt,
erhalt seinen Platz in ihr angewiesen. Damit ist auch für unsere Dar.
stetlung ein Rahmen gegeben, dem sie sich nicht entziehen kann. Und
das ist gewiB, die Akademie bildet von Anfang an ein starkes, selb
stândiges Motiv in Friedrichs Kutturplânen. Er batte ihrer schon als
K'ronpriuz wiedcrholtin seinem Briefwechselmit Voltaire gedacht, und
es war eine seiner ersten Regierungshandlungen,da6 er sich über den
Zustand der alten Sozietât Bericht erstatten He6 und ihre Umbildung
cinleitete. Die Akademicwar nun einmal der neue organisatorisrhe Ge-
danke, den die wissenschaftlicheBewegungund die darauf gegrundetc
Hoffnung auf eine neue Kultur unseresGeschlcchteserzeugt hatten. Sie
gehürte auBerdem zu der glânzenden Reprasentationciner Monarchie
in) Stile Ludwigs XI\ die für Friedrich immer ein Vorbild blieb.
Dcnnoch erwartete der Kônig vonden Personen,die er berief, mehr ais
daS sie ihre Stelle in der Akademie nützlichund würdig ausfüllten,
Er rechnete mit ihnen auch für seine anderen organisatorischen Plane
und Aufgaben, für seine ~'<M' ~/<?.f ~~M.fur die sich l'ortwahrend
mehrcndcn Institute, die den technischenBedMnissen des Erwerbs-
lebens und der Staatsverwaltung dienten. Er hatte das deutliche Be-
wuStsein, da& er seinem Staat und seinemVolk nicht gcnug geistige
Krâfte zuführen konnte. Es kam ihm also zunachstnur darauf an, solche
Pprsonen zu gewinnen: wie sie sich verwenden!ie6en, mochte spâte-
rer Erfahrung und (;c!cgenheit anhrimgestellt Mciben. Die geistige
(troBc an sich zog ihn an. Er suchtc ihrer habhaft zu werden, wo und
wic er sic traf. Seine Arhtung vor ihr nunderte sich nicht, wenn sie
sich in Hereichen aubcrtc, die ihm sclbcr fem lagcn. Er spottete wuM
uber die Leutc, die nur in Xahten und Kmvcndenken kônnten. Aber
cr ne& auch sic gcwâhrcn und !cbte der Zuversicht, daB auch diese
Bach.*schlit'RHchcintnundcten in den groBenStrom des geistigen und
Mtttichen Fortschrittes der Menschheit. Er hat Euler und ï.amhert be-
rufen, obwohl ibnen alles fchjte, wasihm einen Maupertuisund d'AIem-
bert auch persôniich wert machte. Und werware uberhaupt vor seinem
Sputte sicher gewesen? Machte er doch mit sich selber keineAusnahme.
Das einzige, was er verlangte, war, daB jeder sein Métier verstehe und
den Mut habe. sic!)dazu zu bckcnnen. erhabenüber allem Schein und
Aberg!aubcn. Dicsc Freiheit der Seele blieb doch das Entscheidende,
was er bci den Mensrhen suchte, und wennsie sich in der ganzen Er-
scheinung âuSertc. in dem Talent, das Leben heiter zu nehmen, seine
neue ~<M!'M&D<MIdeal "3
Freuden und seine Schmerzen, wenn dann das andere hinzukam, fur
jeden Gedanken und jede Stimmung den adâquaten Ausdruck zu fin-
den, in Worten, Tonen oder Farben: dann war für ihn das Hochste er.
reicht, was Menschen einander bieten kônnen. Dann konnte auch er
mit ihnen leben. Dieses persôniiche Motiv, der Durst dcr eigenen
Seele nach einer freieren, schoneren, gluctdicheren Welt, verbindet
sich immer wiedcr mit jenen Absichten für Staat und Volk und Mensch-
heit niemand konnte trennen, was hier als urspningliche Einheit ge-
gcben ist. Und ob nun diese Voltaire, Maupertuis, Lamettrie, d'Alem-
bert kommen oder ablehnen, ob sie halten, was sie versprochcn, oder
nicht: wie leuchten und funkeln im Verkehr und im Briefwechsel mit
ihnen alle Seiten dieses einzigen Menschen1
Das also ware das Ergebnis: die Geschichte der neuen Akademie
ist zunâchst die Geschichte Friedrichs, seiner kulturpolitischen P!ane
und Versuche und seiner Persontichkeit wie sich einst in der alten
Soxietatdcr universale Denker darstellte, der sie be .9 ründete.Aber an
pmen.sotchen Beispiet zeigt sich auch die Bedeutung der groBen Gei-
ster, die zugleich Organisatorensind, für das Leben ihres Volkes.

2.
Gro6e Institutionen, welche sich die Tâtigkeit der Menschheit für
ihre Zweckzusammenhangegebildet hat, passen sich mit unverwüst-
licher Lebenskraft veranderten Verhàltnissen an. Wenn die Verfassung
einer solchen Institution sich unzureichend erwiesen hat, wenn so man-
chesin ihren Zielen nicht mehr der Zeit entspricht: ihre Wurze!n Icben
fort, die in den Zweckzusammenhangselber hinabreichen; ihre recht-
lichen Grundlagen, ihre Geldmittel, die mannigfachen Verhâltnisse, in
welchc sic eingreift, sichem ihren Fortbestand. Die Funktion, die sic
fur eine gcgcbene Lage der Kultur erfüllt hat, wird nun ersetzt durch
cine andere, welche den neu entstandenen Bedürfnissen entspricht.
So ist es auch mit der preuSischen Akademie der Wissenschaften
gegangen. Sic konnte nicht einmal geltend machen, da6 sie in den
vierzig Jahren, die sie nun bestand, etwas Bedeutsamcs geleistet habe:
aber im Besitze ihres Ka!endcrmonopo!shatte sie ihr Dasein gefristet.
Jetzt bcgann eine neue Periode in ihrer Entwicklung, indem ihr neue
Aufgaben gestellt wurden.
!n der ,Geschichte meiner Zeit" schreibt Friedrich: "Die Fort-
schritte der Phi)osoptue, der politischen Okonomie, der Kriegskunsr,
dps Geschmackes und der Sitten bilden ohne Zweifel einen intercssan-
teren Gegenstand für Betrachtungen als die Charaktere von geistes-
schwachenl'ersonen im Purpur, von Charlatanen mit der Tiara auf dem
Haupt und von den Kon!gcn zweiten Ranges, Minister genannt, von
Dilthey,t.taauNehf m
StMftcn 8
ït~ /<wA <& ~< «~ <&«~< ~<(/X~«~
denen nur wenige in der Geschichte einen Platz verdienen." !m
politischen I.eben wiederholen sich immer wieder dieselben Dinge, nur
die Namen der Akteure wechseln, wahrend die Entdeckung bisher un-
bekannter Wahrheiten und die Aufk!ârung des Geistes das Interesse
aller denkenden Menschen beschâftigen müssen. Es war die Summe
der Geschichtsphilosophie des Jahrhunderts. Die Menschheit schreitet
durch die Macht des Gedankens in gesetzmâËigemGange aus der Bar.
barei zu veredelten Sitten, zur Toleranz und zu seibstândiger Moïatitât
vorwârts. Hieraus folgen der unbedingte Wert des wissenschafttichen
Denkens und der internationale Charakterder wissenschaftlichenArbeit.
Das war mehr, als Leibniz gewollt hatte. Leibnizkonnte sich die Funk-
tion der wissenschaftlichenArbeit immer nur in einem unmittelbaren
Zusammenhang mit den anderen Werten der Kultur denken sic ver
lor sich ihm fast in einer Fülle praktischer Aufgaben, zumal wenn
er das Interesse des Staates an seinen organisatorischen Vorschtâgen
zu erweisen suchte. Seine Akademien waren immer zugleich technische
Anstalten, in weitestem und engstem Verstande. Fur Friedrich lag in
der Herrschaft der Vernunft und in ihrem Fortschreiten das hôchste
Interesse des Menschengeschlechtesselbst. Indemder Staat die Wissen-
schaften pf!egt, ist er der Trâger von Werten, welche weit aber seine
eigene vergainglicheExistenz hinausreichen; erdienteinemunbedingten
und hôchsten Zweck der menschlichen Gesellschaft. Und in diesem
selbstlosen Dienste wird er die hôchste Triebfeder, die Kraft des ver-
nünftigen Denkens, in freie Tâtigkeit setzen und so auch sein eigenes
Interesse rordem. ïn diesem Sinne erHârt sich Formey in der Vorrede
zum crsten Bande der Denkschriften der neuen Akademie (ï745): es
waren die Gedanken und tei!weise die Wortc des Kônigs selbst. Das
wird also die erste Verânderung sein, welche in der Funktion der
Akademie nach dem Wi)!en Friedrichs eintritt: sie wird die Bezichung
ihrer Leistungen auf dcn ôffcntHchen Nutzcn,auf die wirtschaftlichen
und technischen Fortschritte nicht mehr als MaBstabund Rechtsgrund
ihrer Existenz ansehen: jede Entdeckung trâgt ihren Wert in sich selbst,
in der Kraft, die sic enthalt, das Fortschrcitender Vemunft zu fôrdem.
Ein neucs tdeat der Akademie, in welchemdie Keime für künftige Hnt-
wickiungen enthalten waren.
Und deshalb nmssen die Arbeiten der Akademiea!tcnKuIturv<kern
zu~unglich sein. Dies wurde fruher durch die lateinische Sprarhe er-
rci' ht: jctzt war die franxcsische an ihrc Stc!]c gctrctpn. sie herrschtc
an den ï!ufcn und im diplomatischen Verkehr, sie war die Weltsprache
gcworden. Su sind es in erster Linie Grundc ganz sachlicher Art ge-
wesen. welrhe Fripdrich hcstimntten. sic zur offizie)!pn Sprache der
Akadtmic xu !n:u)K'n.t)ic Dcnkschriftt'n der HcrUncr Akademie wur-
neue ~M<!<&)WM.'
ZM< Z&&MM<~
M~ '!5
den in einer anderen Sprache zu jener Zeit ùber die Grenzen Deutsch-
lands hinaus nicht gelesen worden sein. Man hôre die BegrUndung von
Maupertuis:die Verwendungder lateinischen Sprache fur die Begriffe
der modernen Wissenschaft bringt einen sonderbaren und lâcherlichen
Jargon hervor in der franzosischenSprache allein kann man sichuber
jede Art von Gegenstânden mit Genauigkeit und Eleganz ausdrücken,
ihre logische Vollkommenheithat ihr diese allgemeine Geltung ver-
schafft. ,,So kommt es, daB einMonarch, dessenGeschmack der ent-
scheidendeRichterindiesenDingenist, sie mit solcher Eleganz spricht
undschrcibt und sie seiner Akadcmievorgeschrieben hat." Wieviel die
Herrschaft der franzosischen Spraehe in der Mitte des vorigen Jahr.
hunderts,welche Friedrich und die Akademie doch nur verstârkt haben,
aufdie Umformung der unsrigen, auf den Stil eines Lessing, Mendels-
sohnund Wieland gewirkt hat, das wird erst eme genauere Geschichtc
unscrcr deutschen Schriftsprache gerecht abwâgen kônnen.
Die dritte und wichtigste Verânderung in der Funktion der Aka-
demiekündigt sich in ihremneuenNamenan ~a~M!«? des .scienceset
~<<?~<'<6~. Auch dieseErweiterung war durch den Geist der fran-
z<'hischen Literatur des Jahrhunderts bedingt. Sie folgte aus dem neuen
Begriffdes Schriftstellers, wie ihn Voltaire, Diderot und Friedrich selbst
repras!cnticrtcn,und wie er dann in Lessing eine echt deutsche Ver.
w!rklichunggewann. Hier hat sich doch in der Tat ein entscheidender
Fortschritt in der Geschichte des deutschen Geistes unter dem Ein-
f)uRder franzosischenLiteratur vollzogen. Die urnfassende Einheit all-
scitigcn schriftstellerischen Wirkens, wie. Schiller und der spatcre
Goethe sie verkorpem, ist als ein Hochâtes die Fortsetzung dessen,
was Voltaire für Frankreich war. Die Akademie Friedrichs hat diesen
Zusammenhangzum ersten Mal in Deutschland ausgedruckt: sie fand
in der schriftstellerischen Form das Mitte!, welches von den abstrak.
testen wissenschaftlichen I.eistungcn bis zur literarischen Kritik und
zur Einwirkung philosophischer Ideen auf das groGe Publikum ihr
p)Mcs Wirken zusammenhielt.
Friedrich sah nun für diese ncuen Funktionen der Akademie das
~)r{;anin den franzôsischen Schriftstellem. Dies ergab sich aus seinen
(br~<'gten Ideen, und dann aus den Umstanden. Wenn er sich n)it
fmnxusischcn HoHeuten und Litcraten umgab, so entsprach das nur
dem. was auch an anderen Hôfen geschah. Dazu kam der geistige
!'jnf!u~ der franzüsischenKolonie.Sie bildete damais nf~chimmer einen
<'rhcb)ichenUruchtei)der Bevôlkerung der Hauptstadt. Und mchr noch
ats durch ihre Zaht waren diese Abkômm!ingc der Hugenotten durch
Kncrgip. togische Schulung und Beredsamkeit die Erbschaft (ter
fnnyusischcn Rpformipticn ein wichtiger Faktor im Lcben Ber!Ins.
8*
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<~ C~6<~o</ <<w<M~
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Wer gedenkt hier nicht der eigent5m!ichenAuspragung dieser Eigen.
schaften in Dubois-Reymond, dem stândigen Sekretir der Mturwissen.
schaftlichen Klasse unserer Akademie? Der Kônig stand dann zu den
Hâuptem der franzôsischen AufMârungin persônlichen Beziehungen;
er war gleichsam mit dngereiht in diese vorwartsdrangendeeuropâische
Verbindung; im Norden batte sich durch ihn ein neuer Mittetpunkt
derselben gebildet. Und wenn nunden modemen Schriftstellem in Paris
die Freiheit der Feder beengt und das Leben erschwert wurde: unter
den F lügeln seines Adlers sollten alle freien Geister Zuflucht und ge.
sichertes Dasein finden. Da bot sich denn die Akademie als natür.
licher Sammelpunkt dar. Sie sollte die Burg der Aufk!ârung sein; es
schien dem Kônig moglich~ die Akademien von Paris zu erreichen,
ja vielleicht zu überflügeln. ,,ïch fühle," schreibt er an d'Alembert,
,,wahrhaft eine gro6e Verpflichtung gegen Ludwig XIV. für die Wider.
rufung des Ediktes von Nantes; wennsein Enkeldiesem erhabenen Bei-
spic! nachfolgenwollte, sowâre ich voller Dankbarkeit;besonders wenn
er zugleich aus seinem Reich dies Philosophengezüchtaustriebe, würde
ich mildherzig die Verbannten aufnehmen."
Es war im Grunde doch der alte Gegensatz des katholischen Sy.
stems, welches von den Tagen des Descartes ab jedem wissenschaft-
lichen Denker Rcverenzen gegenüber dem Papst und den Jesuiten ab-
gefordert batte, und der Gedankenfreiheit, auf der die Reformation
beruhte, und kraft deren der groBe Kurfürst den Hugenotten in seinen
Landen einst eine Zuflucht gewâhrt hatte. Diese Gedankenfreiheit ge-
dachte Friedrich auf den ganzen Umfang wissenschaftlicherKetzereien
ohne irgendeine Einschrankung auszudehnen. Wenn er Lamettrie in
seine Nâhe zog, so geschah es, um der Welt zu zeigen, da6 in seinem
Staate die Toleranz unbegrenzt sei. Es war nicht seine Schuld, wenn
cr sich hierbei vomehmuch mit Freigeistern von geringerer Sorte bc-
gnugen muBte. Er führte einen stillen anhaltenden Krieg mit Frank-
reich um dessen groBe Schriftsteller. So sondcrbar uns Heutigcn cin
solches Unternehmen erscheint: es f!oC folgerichtig aus seinen hochstcn
geschichtsphilosophischen Prinzipien, in dcnen er mit Voltaire im Ein.
klang war. Nicht die abstrakte Wissenschaft aUein, auch die schône
Literatur ist cin Hôchstes, dessen Werte und Normen gleichsam über
den Votkem, in einer Region des rein MenscMichenund Universalcn
wohnen. Die goldenen Zeiten des Perikles und Augustus, des Lorenzo
de'Medici und t-udwigs XIV., durch so weite Zwischenrâume sie ge-
trennt sind, bilden eine Einheit. Sie entstehen in der Obertragung des.
selben guten und regehnâBigen Geschmackesvon einer Nation auf die
anderc, sie sind durch dieselben allgemeinen menscMichen Normen
der echten Kunst vcrbunden. Die Formender Dichtungsarten sind durrh
Die<M/<M
~<M~M%~ "7
feste Gesetze zcitlos bestimmt, sie bilden ein unvcranderliches natür.
liches System. Diescn Begriffen haben dann Hamann und Herder die
Eigenart nationaler Dichtung entgegengesteitt, wie sie aus der inneren
lebendigen Kraft eines Volkes entspringt.

3.
Im Juni t~~o ergingen die ersten Einladungen des jungen Konigs
an die Gelehrten und Schriftsteller, die ihm die Akademie reformieren
helfen sollten. Nicht alle erschienen, auf die man zâhite. Unter den
wissenschaftlichenZelebritaten versagten sich Vaucanson in Paris und
s'Gravesandein Leyden. Aber der grôBte Mathematiker der Zeit, Euler,
wurde gewonnen, und er war von dieser Zeit ab fünfundzwanzigJahre
hindurch gleichsam das Rückgrat der mathematisch-naturwissenschaft.
lichen Abteilung der Akademie. Aïs Schriftsteller gro6en Stiles stand
Voltaireim Hintergrund, wenn er auch zur Zeit von der ,,gôttlichen
Emilie" sich nicht trennen wollte. Ein schlechter zeitweiliger Ersatz
für ihn war der italienische Windbeutel Algarotti: er kam und ent-
tâuschte.Besonderen Wert legte der Kônig auf die Berufung Christian
Wolffs. Der brutale Ha6 seines Vaters gegen die neue Philosophie
batte den wirkungskrâftigsten unter den deutschen Denkem der Zeit
vor nun siebzehn Jahren aus Halle vertrieben. Friedrich dankte seinen
Schriftendie erste Einführung in die Philosophie des Jahrhunderts und
war entschlossen, ihm Genugtuung zu geben. Zugleich sollte seine
auSerordentliche, wenn auch etwas pedantische Lehrgabe für die Aka-
demie genutzt werden. "Denn unsere Akademie muB nicht zur Parade,
sondem zur Instruktion sein." Daher sollten in ihr ,,auswârtige ge-
schickteMânner alle Teile der Philosophie dozieren, damit Junge von
Adel und andere was Rechtschaffenes lemen kônnten." So wârc diese
Akademie zugleich eine Art modemer Univcrsitat fur die regierende
Klasse des Landes geworden, wenn man nicht schlieBlich von einer so
ungewohnlichen Erweiterung ihrer Aufgaben Abstand genommen
hâtte. Wolff wollte indessen lieber in Halle ,,professor generis hu-
mani", wie er sich seibstbewu~t nannte. als ein ~académicien" in
Berlin sein, zumal da er bald hôren muBte, daB ein Newtonianer, Mau-
pertuis, die Akademieleiten und das Franzosische ihre offizielleSprachc
werden sollte. Es war der erste rall, da6 die emporstrebenden Uni.
versitâten in Konkurrenz mit einer Akademie traten.
Im September 1740 war dann die berühmte Zusammenkunft, in
welcher Friedrich zum ersten Mâle Voltaire und Maupertuis ge-
sehen hat. ,,Mein Herz und meine Neigung," mit diesen Worten hatte
er Maupertuis eingeladen, "haben seit dem Moment meiner Thronbe.
steigung das Verlangen in mir entzündet, Sie hier zu haben, damit Sie
<<- ~<t~
Frledri<hderGm~6baart die_deutstkeArrfklürux,~
der Berliner Akademie die Form geben, die Sic allein ihr gebcn konnec.
Sic haben die Welt uber die Gestalt der Erde aufgeklârt; lehren Sie
nun auch einen Kônig, wie su6 es ist, einen Menschenwie Sie zu be
sitzen." Maupertuis hatte durch die Expedition nach Lappland, welche
der von Newton theoretisch crscHossenen Abp!attung der Erdc eine
cmpirischc Best&tigungbrachte, Wettruhm erworben. Indes schon da.
mats batte sein hochfahrender Geist in den wissenschaftlichen Kreisen
von Paris eine Opposition gegen ihn hervorgerufen. So folgtc cr gcm
der schmeichelhaftcn Einladung des nordischen Salomo. In dieser Zu'
sammenkunftwurde der junge Kônig sogleich und für das ganze Leben
von Maupertuis gewonnen. "Das gricsgrâmigstc Gesicht, das ich in
meinem Leben gesehen habe," aber cin vollstândig ehriirher Mannund
cin griindticher Gelehrter von groQer Kraft der Intuition, dessen Kon-
versationder Kônig auf die Dauer der von Voltairevorzicht. Aber wetdt
cin Rencontre zwischen Voltaire, der sich angcwisseunbestimmte,ctwas
nebelhafte Aussichten auf den Prâsidentenstuhlder Akademie erinnert
und ~taupertuis, diesem verkôrperten wissenschaftlichenHochmut, der
die Prasidentenste!!c in der Tasche hat. Der, wenn er auf seine Polar-
reise zu reden kam, in einen Ton verfiel, ,,ats hâtte er die Pole selbst
abgeplattet." Voltaire reiste unter solchen Umstânden zurück zu det
Marquise, Maupertuis folgte dem Kônig nach Berlin. ,,Als wir beidc,"
schreibtVoltaire, ,Cleve verUcBen,Sie rcchts und ich links, glaubtc ich
beim letztcn Gericht zu sein. wo Gott die Auserwâhhen von den Ver.
dammten sondert. Der gôtttiche Friedrich sagte Ihnen: Setze Dich zu
meiner Rechten ins Paradies von Berlin, und mir: Geh, Vcrdammter,
nach Holland."
Der erste schlesische Krieg kam, und Friedrich hatte cine ,,Mathc
matik" zu treiben, die ihm für anderc Dinge wenig Zeit Ue6. Er suchte
den in Berlin zurückgenliebencn Maupcrtuisdurch die liebenswürdig.
sten Billets bei guter Stimmung zu ertialten.Das gelang doch bci dem
Prâsidenten ohne Akademie nicht auf die Dauer. Maupertuis kehrte
noch im Jahre t74t nach Paris zurück. Dort wurde er im folgenden
Jahre Direktor der ~'a</<w/c des A/~t'~ und im nachsten auf den
Vorschlag von Montesquieu unter die vierzig Unsterbtichen aufge
nommen. So !ie6 Friedrich die Dinge, w!c sie waren, aber sie selber
drangten zur Entscheidung.
Denn der Kreis g!eichgesinnter Personen, die sich, in nâhercm
und weiterem Abstandc, um den Kônig schartcn. war bereits cine Macht.
Einige von ihnen hatten schon zu der Tafeirundc von Rheinsberg ge-
hôrt; die anderen hatten nur den Regierungswechseterwartet. um sich
zu dem neuen Herm zu bekenncn oder seinen Dienst und seine Gunst
zu suchen. Da waren die neuen franziisischenLiteraten. die sich einge-
!'<)
P~&f~af~
stellthatten, geladen und ungeladen, aber allé willkommen. Da waren
die zuverlâssigen Frcunde aus der franzosisehen Kolonie, die immer
ein pcrsôntiches Verhâltnis zu dem reformierten Herrscherhause ge-
habt hat, dcm sie ihre re!igiose Freiheit verdankte. Vor allem hatte
doch das Beispiel des Kronprinzen und nun des jungen Konigs eine
neue Art von Offizieren gebildet oder herbeigezogen, schr verschic-
den von den gottesfürchtigen und grobkômigeo Genossen Friedrich
Wilhelmsund seines Tabakkollegiums. Julius Casar war ihr Ideal, der
militârischesGenie mit den Gaben des Staatsmannes und des Schrift-
stellcrs vercinigt hatte, und in Friedrich erschien ihnen dieses Idcal
von neuem verwirklicht. Sie kommandierten heute unter seinen Augen
ihreBatailloneauf dem Paradeplatz oder in der Schlacht, eilten morgen
in diplotnatischerMissionnach Paris, London oder Wien, reorganisier.
ten inzwischeneine Behôrde oder regelten irgendein verwickettes Ge.
schaft der inneren Verwattung, und sammelten sich dann wieder um
ihrcn Helden, zu neuen Befehlen oder zu frôhlichem GcnuB, immer
hochgemut, empfâng!ichfür a!les, was Geist und Schônheit hieB, zum
Teil selber Schriftstellerund Künstler. Und sie, nicht jene Literaten,
und mochten diese das Hôchste leisten, waren die Vertrauten, die
Lebensgefâhrten,mit denen Friedrich sich ganz einig wuBte, die cr
Uehtc,die er in seinen Oden feierte, und um die er klagte, wcnn er
sic verlor.
Dièse Elemente strcbten nach einer Organisation ihrer gemein-
samcn geistigen Interessen. Der Generalfeldmarschall Samuel von
Schmettau übernahm die Führung. Einer der letzten Reprâsentanten
jenes heimatlosen Offizierstandes, der nun in der preuBischen Armée
selten wurde, aber auch ein Ao~wf d'esprit, vertraut mit der neuen
wissenschaftlichenund literarischen Bildung und geschickt, sie in die
schônenFormeneiner Konversation zu bringen, wie der Kônig sie liebtc.
Zugleich kamen Bundesgenosscn aus den eigenen Reihen der alten
Sozietât, Euler, der Neuberuiene an der Spitze. !m Sommer 1743
schritt man zur Tat und gründetc die .S'o<.w/<?
~~c. Wie rasch hatte
dochdie neue geistige Bewegung alle Kreise crgriffcn) 1 SechzehnEbren-
mitglicder und zwanzigordentliche waren in wenigen Wochen beisam.
men unter jenen die GroGen der Hofgesellschaft, Schmettau, der
Staatsminister Kaspar Wilhehn von Borcke, einer der ersten deut-
schen Shakespeare.tbersetzer, drei andere Minister, dann Gotter, PoU-
nitz, Kcyserlingk, Knobelsdorff, Finckcnstein, Stille, Duhandejandun;
unter diesen, den ordentlichen, zehn Mitglieder der alten Sozietât,
dazu die Franzosen der Kolonie und der jüngsten Einwanderung, die
beiden Achard, Formey, d'Argens, Jordan, FrancheviMc. Ats Beweg-
grund der Stiftung erscheint der..WunscheinigerEinwohner von Ber-
!~0_«iM~ C~< «?</«? <~«~r~ ~<<&w~ t
lin, welche fur die Wissenschaften und Literatur Geschmack haben,
ihre Kenntnisse zu erweitem und sich mehr und mehr dem Publikum
nützlich zu machen," als Zweck "die Pflege alles Interessanten und
Nützlichen in den verschiedenen Teilen der Philosophie, Mathematik,
Physik, Natur-, Staats- und Literaturgeschichte und Kritik." Ein Pro.
gramm, welches enger und weiter war als das der alten Sozietat. Die
Philosophie steht varan, und die GescMchteder Literatur und die lite.
rarische Kritik sind aufgenommen. Franchevitle legte hier seinen Ent.
wurf einer Geschichte der Künste vor, die er unter den Augen der
Soztetat zu schreibcn gedachte, und diese bezeugte ihm ausdruckhch
ihre Befriedigung über einen solchen Gegenstand. Es entsprach daim
dem neuen Begriff des durch das Wirken des Schriftstellers fur die
Aufklarung gegebenen Zusammenhanges aller geistigen Arbeit, daB
man von einer Einteilung in Klassenabsah: das Statut dieser
/<?<fe' kennt nur Gesamtsitzungen;diese sollen in freier Lebcndigkeit
Vorlesungen, Diskussionen und Korrespondenzen enthalten.
Der neue Verein tagte regeltnâl3igund beschâftigte sich mit emster
Wissenschaft. Die Sitzung vom 8. Oktober wurde durch die Anwesen-
heit von Voltaire verherrticht, der im Herbst t743 auf einige Wochen
nach Berlin gekommen war, und zwar diesmal als franzôsischer Agent:
eine neue Rolle des Vielgewandten,die der Konig weniger emsthaft
nahm als sein literarischer Freund. Aber auchdie a!teSozietat hielt sich
aufrccht, und sie war die vom Staat privilegierte und fundierte Ver-
tretung der Wissenschaft. Schmettau und Euler gingen denn auch von
Anfang an darauf aus, sie zu sprengen. Sie beantragten die Vereini.
gung der beiden Sozietâten. und clerKônig. der nun den rechten Augen-
b!ick fur gekommen hielt, willigteein. Einc Kommissionwurde nieder-
~esetzt; ein hartnâckiger Kampf zwischen den Alten und Ncuen bc.
gann, und wie es in solchen FSHenzu geschehen pflegt: das Resultat
war ein KompromiB. Die neue ,,KonigUche Akademie der Wissen
schaften" machte dem modernen Geiste manche Zugestandnisse. Sie
sch!oG positive Théologie, Jurisprudenz und Medizinausdrücklich von
ihrer Pflege aus. beseitigte die bcsonderedeutschc Klasse der alten So-
zietat, indem sie deren Aufgabcn der literarischen Klasse übcrwics,
und schrieb dieser nicht mehr vor, daB sie hauptsâchlich auf die orien-
talischeii Sprachen und die christliche Mission bedacht sein so~e. Sie
errichtete vor allem eine ganz neue Klasse, die philosophische, Aber
sie war weit davon entfernt, Philosophie und Literatur in die zentrale
Stellung zu rücken, die sie jetzt beanspruchten. Nach wie vor sollte
!-ich vielmehr alle Arbeit in den Klassen vollziehen. Die Klassen bc-
hielten überhaupt ihrc überlieferte Sclbstaindigkeit. Und so ânderte
sich auch nicht der oligarchische Charakter. den die Regierung der
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M~M </ A' t2t
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Akademiedamals, als man Leibniz verdrângte, angenommen hatte; ein
der
Kollegium,welches sich aus dem Vizeprâsidenten,den Direktoren
Klassenund vier Kuratoren zusammensetzte,ûbemahm die Herrschaft.
Wiemachtig noeh der Geist des Alten war. zeigte sich auch darin, da6
dieStatuten noch einmal deutsch abgefaBt wurden; in ihrer Unreinheit
und Unbiegsamkeit, ihrer Weitschweifigkeit, ihrem vâterlich-schul-
meisterlichen Ton war diese Sprache noch immer dieselbe wie vor
das Fran.
vierzig Jahren. Dem entsprach, daB für die Publikationen
ïûsische nur zugelassen wurde, neben dem Lateinischen und dem
Deutschen.
Das war denn nicht die Akademie, die Friedrich plante. Ats die
ncueAnstalt am 24. Januar 1744,scinem Geburtstage, erôffnet wurde,
blieber fem. Seine Hoffnungen knüpften sich an Maupertuis. End.
ttch schricb ihm dieser, daB er nach Berlin zurückkommen wolle. Die
Xachrichttraf den Kônig in der befreiten Stimmung nach dem Sieges-
in den Hebens-
morgen von Hohenfriedberg. Er antwortete freudig,
Personen
würdigstenAusdrücken, so wie nur er diese empfindlichen
zu behandeln wuBte: "Sie bringen mir ein groBes Opfer; was soll ich
tun, um Ihnen Vatcrland, Eltem und Freunde zu ersetzen?" Mauper-
tuis kam in der Tat, und wieder fiel dem Kônig die Aufgabe zu,
den DiftizHenbis zur Beendigung des Krieges bei*guter Laune zu er-
Mtcn. Die Licbe kam ihm zu Hilfe Maupertuisverlobte sich mit einer
Dame aus dem preuBIschen Adel. Friedrich gratalierte und vergaB
dabei nicht die durchaus notwendige Erinnenmg an die nordischc
Reise: ,,MochtenSie in der Liebe dasselbe Glück finden, welches Ihnen
beiIhren wissenschaftlichenEntdeckungen in Lappland beschieden ge-
wesenist; Urania und Newton singen Hymnen zu Ihrer Hochzeit."
Sobald der Konig aus dem Felde heimgekehrt war, ging man ans
Werk. Maupertuis bestand von vomherein darauf, dal3 für ihn das
Amteines Prâsidenten der Akademie in dem Umfang wiederhergesteUt
wurdc,wie es einst Leibniz bekicidet hatte, über allen Direktoren und
Kuratoren. Der Kônig bewitligte ohne weiteres diese Bedingung, sic
cntsprachdurchaus seinen eigenen Absichten. Dann entwarf Maupertuis
cin neues Règlement: ein Muster von Kürze und Prâzision. Diese
vom
Verfassung der Académie ~~o~ des j'<<<'$ et belles-lettres
to. Mai 1746legt die Regierung der Akademie in die Hand des Prâ-
sidenten, den der Konig selbstherrlich emennt. Friedrich hielt nicht
einmal fur ausreichend, was Maupertuis in dieser Hinsicht verlangte,
sondem bestimmte au~erdem, daB zu den besoldeten Stellen, dercn
Besetzungdem Kônig vorbehatten wurde. die Vorschtâge nicht vom
l'Ienum. sondern allein vom Prâsidenten ausgehen sollten. Dieser er-
hielt damit so gut wie ein Ernennungsrecht; die Akademie wurde zu
und die ~~<~r ~~A&w~
einem Instrument in der Hand des Kônigs und des mit seinen Intentio.
nen einstimmigcn Prâsidenten. Die Klassen werden jetzt tatsâchlich
aufgehoben. Dcnn sic entbehrcn fortan jeder selbstândigen Tâtigkeit;
sic halten keine besonderen Sitzungen, sic bilden keine erste In~aM
für BescMusseoder Wahlen, sic wâhlen nicht einmal ihre Direktorcn.
Es gibt nur Plenarverhandlungen; in ihnen allein wird gelesen, disku-
tiert, beschlossen und gewâMt. Auch dièse Ncuerung zog die Konse-
qucnzen des Charakters der Friderizianischen Akademic für deren
Verf&ssung:sic drückte die Einheit ihrer Aufgabe aus, in welcher alle
ihre einzelnen Tâtigkeiten verknupft sein sollten. Und wie von selbst
verstand es sich, dal3 jctzt aUe PuMikationender Akademie franzôsisch
crschcinen mu6ten.
Ein Jahrzchnt hindurch hat Maupertuis die Berliner Akadcnue ge.
leitet. Seine Reden in den Festsitzungen zeigen, wie voUstândig dies
in déni Sinne des Kônigs geschah. Der europâische Ruf des neuen Prâ.
sidenten ermôglichtc nun endlich, das gemeinsame Programm zu ver.
wirklichen. Sein feierliches Bewu6tscin von der Würde der Wissen-
schaft, sein franzôsisches, abstrakt wissenschaftliches Pathos, seine Pa-
riser Gewôhnungenan aH das, was dazu gehort, Wissenschaft in Szene
zu setzen, gaben jetzt auch âu&er!ichder Akademie den groBen Stil
und die vornehmen Formen, deren sic bedurfte, um neben den beiden
Pariser Akademienihre Stelle zu behaupten. Die Elite der europâischen
Wissenschaft bildetc nun den Korper ihrer auswartigen Mitglieder;
diescm anzugehoren, wurde als Auszeichnungangesehen, und so UeBen
sich hervorragende auswârtige Gelehrte gem zur Mitarbeit an den Denk.
schriften bewegen. Die Hauptsache war indessen, neue ordentliche Mit.
glieder von anerkanntem Rufe nach Berlin zu ziehen. Der Konig lieB
seinem Prasidenten darin vo!lig freie Hand. Freilich blieben die mate-
riellen Mittel bcschrânkt, und so kamen manche wünschenswerte Be
rufungen nicht zustande. Es war gerade für die Verstarkung des d eut.
schen Elementes in der Akademie ein Verlust, daS zwei Mânner ab-
lehnten, die, eine seltene Ausnahme unter ihren Landsteuten, jene Ver.
bindung strenger Wissenschaft und schoner Formen reprasentiertcn,
welche Friedrich und Maupertuis als Ideal vorschwebte: Haller in
Gëttingen und Kâstner in Leipzig. !n den Verhandlungen mit deutschen
Gelehrten machte sich nun schon ein neues Moment geltend, welches
ebensosehr wie die franzôsischen Neigungen des Kônigs der Entwick-
lung des Deutschtums in der Akademie hinderlich war. Die deutschen
Universitaten ôffneten sich immer freier der groGen europaischcn
Wissenschaft; hierin wurde insbe~ondere Gôttin~en ein leuchtendes
Vorbild.
Die Namen.an welche sich nun die wisscnschafttiche Stellung der
JFf/t~~J~t~J~
Akademieknüpfte, waren Euler und Maupertuis, Pott und Marggraf,
t.icbcrkuhn und Meckel. tn den mathematisch-naturwissenschaftlichen
diese Mânner die Ber-
Disziplincn,in Chemie und Anatomie war durch
lincr Akademie jeder anderen ebenbürtig. Die beiden anderen Klassen,
die philosophische und die literarische, welche dem Zweck der Aka.
demie, wie ihn der Konig gefaBt hattc, unmittelbar diencn solltcn,
standennicht auf derselben Hôhe. Von ihren Mitgliedern haben sichnur
der Deutsche SuBmikh in der Bevolkerungstehre und die Schweizcr
Beguelin, Sulzer und Mcrian in der Philosophie cin elirenvolles Ce-
dachtnis bewahrt. Aber gcschicht!ich angesehen kommt selbst dcn
Hatb-
Formey,Franchevilleund den zaMrcichenanderen Franzoscn und
franzoscn der Friderizianischen Akademie cinc Bcdcutung für unscrc
geistige Entwicklung zu. Durch die gefallige Elcganz ihrer Kcnversa-
tion und Schriftstellerei und durch die sdbstbcwuBte Univcrsalitât,mit
der sic auf alle Fragen der Wissenschaft und des Lcbcns die râsonnic-
rende Vernunft anwandten, wirkten sie auf die Verbreitung dcr aufgc-
k!ârten Ideen und der leichten schriftsteUehschen Form in unscrcr
Nation. Insbesonderegcht der eigcntümliche gcistigc Habitus dcr prcu-
BischenIIauptstadt zu cinem guten Teil auf jene Zcit zurück, da Frie-
drich und seine Franzosen den Ton der GeseUschaft bcstinuntcn.
Friedrich sah mit stolzcr Freude, wie seine Akademie cmporsm'g.
Er bczcichnete sich jetzt gem als ihren Protektor, ja, als ihr MitgHcd;
cr !ieB cigcne Abhandlungen und Dcnkrcden in ihr vorlescn. !)aB cr
nie personUchin ihren Sitzungen erschienen ist, entsprang aus semcm
Bcgriffc konigticherWûrdeundEinsamkeit. SeinemPrasidentcn gegcn-
über zcigte er immer dieselbe liebenswürdige Nachsicht: die Kata-
er nicht
strophe des ,,Papstes der Akademie" vermochte doch auch
aufzuhalten. Maupcrtuis' Streit mit Konig und dem furchtbarcn Vol.
tare, für den nun die Zeit der Rache gekommen war, machte seine
Positionunhaltbar. Friedrich batte unter Maupcrtuis' ..cxtremcn)t-~hr-
geiz, dcm sein Genie nicht cntspricht", und unter seiner bruskcn Art
viel geHtten; er empfand auch, wie derselbe sich "durch seine gigan-
tischen Mcinungentâcltertich machte". Jctzt stieg cr hinab in das Gc-
tütnmeldcr Mathematiker, ritterlich und verwegcn, \vic erin ScMachten
sich exponierte, um den Freund und Diencr auch mit seiner Feder zu
schùtzen. Umsonst!1 Die Geschichtc dieser Katastrophe ist oft er.
zaMtworden das Urteil der Nachweit in diesem groBen ProzeBübcr
Maupertuisiiegt jetzt in einer klassischen Abhandtung von Helmhoitz,
welcheIfarnack veroffcntiicht hat, dem Pubiikum vor. Genug, das An-
sehen des Prâsidenten war dahin. Auch litt seine angegriffene Gesund-
heit in der Tat unter dem norddeutschen K!ima. So ver!ieB er Berlin
zunâchst für ein Jahr. und dann, im Sommer 1756. für immer. Dem
"i. xriedrichder Cn?~ M<~<? <&«/ ~<~MfMMt~
unheilbar kranken, gebrochenenMannefolgten Friedrichs teilnehmende,
trostende, erheitemde Briefe, bis cr in der Fremde seinen Leiden erlag.

4.
In dem Jahre, in dem Maupertuisseinen letzten Urlaub antrat, be.
gann der Siebenjâhrige Krieg. Die Akademie blieb ohne Prâsidenten;
Euler besorgte die Gesehâfte. Aus der Dürftigkeit dieser Kriegszeit
taucht eine merkwurdige Notiz hervor: die Akademie scMag dem K8-
nig neun auswârtige Mitglieder vor; unter ihnen war neben zwei ande.
ren Deutschen der groBte deutsche Schriftsteller der Zeit, Lessing.
Friedrich bestâtigte, war aber so unzufrieden, daB er, als nun auch
Gellert und Lambert vorgeschlagen wurden, die Bestâtigung versagte
und selbstherrlich das Recht, neue Mitglieder zu emennen, sich vor-
behielt, bis der neue Prâsident emannt sein würde.
Er natte schon nach der Katastrophe von Maupertuis d'Alem-
bert in Aussicht genommen und diskret bei ihm sondiert. Der Sie-
benjâhrige Krieg war zu Ende, die Akademie war nun wieder eine der
vornehmsten Sorgen des Konigs. Den enthusiastischen Gluckwunsch
d'Alemberts beantwortete Friedrich mit einer emeuten Einladung.
Drei Monate hindurch verweilte nun d'Alembert zu Sanssouci in der
Gesellschaft des Konigs. Eine freundschaftliche Verbindung bildete
sich, deren ruhiges Licht über Friedrichs spâteren Jahren lag.
D'Alembert war einer der Führer jener tnachtigen Bewegung des
franzosischen Geistes, dercn Mitteipunkt die graCieEnzyktopadie ge.
wesen ist. Er war Mathetnatikcr nicht wie Euler, ,.dieser Teufels-
kerl", der in allen Revieren der Mathematikherumspürte, um an allen
môglichen Problemen sein geniales anatytisches Vermôgen zu er-
proben auch ihm war die ingéniée Anwendung desWerkzeugesder
Mathematik auf die physikalischenProbleme eigen, aber die eigentüm-
liche GroBe dieses grùndUch Maren Denkers lag in der ncuen posi-
tivistischen Grundïegung der Mechanik. D'Alembert war Philosoph
nicht im Sinne ,,der Philosophen", mit denen ihn sonst die Soli-
daritât der Aufklârung verband: er stand in eigener Position unter
ihnen, mit seinem überlegenen skeptischen Lâche!n; in der Einleitung
zur Enzykiopadie hattc cr die methodischeGrund!egung der Erfahrungs.
wissenschaften voHzo~en, welche das letzte Wort der gro6en Natur-
wissenschaft dieser Zeit ist. Wie sie die Augen ganz Europas auf ihn
lenkte. hat sie auch in Friedrich den Wunsch erweckt, diesen Mann
zum Prasidenten seiner Akademie zu gewinnen. Es ist menschlich
schôn, wie der Konig den Schicksalendieses bewegten SchriftsteUer-
lebens mit tatigem Anteil folgt. dem in seinem Vaterlande Vernach-
!âssigten durch eine Pension eine freiere Lebenshaltung ennôgïicht,
/!hM~ MMf~~W~ !25

ihmfreigebig die Mittel gewahrt, durch eine Reise seine zerruttete Ge-
sundheilwiederherzustellen,wie ein Vater für ihn sorgend daswarme
Wort drângt sich d'Alembert selbst auf die Lippen. In diese Sorge
mischt sieh eine liebenswürdige Politik, jede gunstig scheinende Si-
tuation zu nützen, um ihn zu gewinnen: bald diskret sondierend, leisc
andeutend, bald offen und herzlich fragend, dann wieder heftig in ihn
dringend, unwirsch über die stete Zurückhaltung des Philosophen, ja
schroffverletzend, bis ihm schlieMich nur ubrig bleibt, mit resigniertem
Humor über den Starrsinn des Geometers xu spotten. Wetch cin BiM
der Grazie des Kônigs im Verkehr mit dem Freunde geben d'Alemberts
Briefean die l'Espinasse Wie Friedrich einmal. nach dem Konzertmit
ihm im Garten von Sanssouci promenierend, eine Rose pflückt und sie
i)mimit den Worten reicht, "gern gâbe er ihm Besseres"; wie er ihn
in seineBibliothek hineinfûhrt und fragt, ob er nicht ,,Mit!eid habe mit
seinen armen Waisenkindern".
Was d'Alembert zu seiner konsequenten Weigerung bestimmt hat?
Er hat doch spâter das Amt eines stândigen Sekretârs in beiden Pari-
ser Akademien gem angenommen. Den glanzcnden Anerbietungen
Friedrichsgegenüber, die ihm eine gro6e Position und das Siebenfachc
seines Pariser Einkommens zusicherten, hat er vor allem geltend ge-
macht,da6 er die Verbindung mit seinem Pariser Freundeskreise nicht
aufzugebenvermôchte. Und gewi6 war damit ein gut Teit der Wahr-
heit gesagt. Ais spâter Laplace die Cbersiedelung nach Berlin erwog,
hat ihm lagrange abgeraten: nur für ein stilles Gelehrtenleben sei
hier eine Stelle, auf den Reiz der Pariser Gesellschaft und den GenuB
frcundschaMichenVcrkehrs müsse man verzichten. Und d'Alembert
hatte das feinste Verstândnis für den Zauber dieser Panser Gesellig-
keit, in deren Mitteipunkt er stand, seit ihn die Leitung der Enzyklo-
pâdie aus seiner stillen Dachstube herausgerissen hatte. Er sah sich
dann bald an diese Gesellschaft gefesselt durch ein Neues, das in sein
Leben einbrach und die Tragédie seines Daseins wurde: seine bestan-
dige und tiefe Neigung zu der MademoiseHede l'Espinasse. Abcr es
warendoch noch andere und tiefere Gründe, die der Philosoph dem Kô-
nig nicht âuSerte. Nie war Friedrich in Paris die Behandlung ver-
gessenworden, welche Voltaire zuletzt erfahren hatte. Und hatte auch
d'Alembert eine geheime Scheu vor dem Dâmon Voltaire: wenn dieser
ihm schrieb, geh nicht zu Luc, trau nicht dem bezaubemden Schein.
setbst d'Argens konnte sich nicht bei ihm halten; wenn Voltaire so
tâsterte und er tat das jedesmal, wenn von d'Alemberts Berufung
die Rede ging, dann schrak d'Alemberts Freiheitssinn zusammen.
,,Fùrchten Sie nicht," antwortete er, ,,daS ich solche Dummheit bc.
Schc; ich bin entschlosscn, mich nie in cines Menschen Dienst zu
t2& /Mt<~4 C~<- W/of~.<'</<'<~K~
~t~
begeben, sondcrn frei zu leben, wie ich geboren bin." Friedrich bleibt
für d'Alembert, so edel, menschlich und schon auch ihr Freundschafts.
verhâltnis ist, doch immer der Kônig, dem er sich in der Autonomie
seines Denkens eb'enburtig fuMt, von dem ihn aber ein Unübcrschreit.
bares trennt; vor dem ein freier Menschfrei dastehen und reden kann
aber nie ohne Reserve, immer auf der Hut, es kônne sein herrischcr t
KônigswiUeptôtzUchhervorbrechen. Und d'Alembert hat in seiner lei.
sen überlegenen Art etwas, das alle Menschen in einer gewissen Di-
stanz sehen n)6chte. Der Kônig ist ihm ein Objekt der Beobachtung,
er hat aus ihm ein Studium gemacht, er mochte ihn beeinflussen, ohne
doch selbst beeinfluat zu werden. ,îan darf d'Alembert," so schildert I
er sich selbst, "nur nicht merken lassen, daB man die Absicht hat, ihn r
zu leiten seineLiebe zurF reiheit geht bis zum Fanatismus, in so hohcm
Grade, da& er sich oft Dingen, welche ihm angenehm wâren, versagt,
&obalder vorhersieht, sie konnten für ihn die Quelle irgendwelchen
Zwanges sein." Der Kônig hat einmal, auf den Schein einer Indiskre. b
tion hin, einc Reihe seiner Briefe einfach ignoriert, ein ander Mal, als
er wieder seine schwacheGesundheit vorschutzte, ungnâdin entgegnct:
,.Ihr Geist ist so krank wie Ihr Kôrper; das wirkt ein doppeltes Leiden.
I''h mische mich nicht in die Kur."
:1
Doch batte d'Alembert in Sanssoucidem Kônig versprochen,
"dem d
WoM und dem Ruhm der Akademie sein Interesse zu widmen". Und
Friedrich seinerseits hat, trotz der klarsten Absage des Frcundes, ilun
die PrâsidentensteHe immer offen gehalten. So beginnt nun scit !763
ein cigentumticher Zustand in der Lcitung der Akademie. Der Kônig
selbst ist ihr Président; sie unterrichtct ihn nur von der Bedcutung eim's e
iu Aussicht genomntcnen Gc!ehr~enund harrt dann des Entschtusses e
des Konigs. Von Paris aus entfaltet der franzüsische RhUosopheine 1
umfassende lâtigkeit für sie. Es bilden sich, besonders seitdem La .<
grange in Berlin ist, gewisse Usancen des Verkehrs, welche auf der
Redtichkeit der entscheidenden Personen, ihren festen, ruhigen Rc.
lationen zu einander beruhen. Der EinfluB d'Alemberts ist abcr nur
wirksani gewesen, wpnn es sich um Berufungen iiandelte. In den inné-
ren Angetegcnheiten der Akademie hat der Kônig Kinmischungcn s
d'Aicmbcrts. wie fein methodisch sie auch angetegt waren. in der
Regel abgc!chnt.
D'Alembert hat mit intcrcsseioser Objektivitât untcr der Elite dt'r
Wisscnschaft Umschau gehatten, wenn es sich um Stellen in den strcn
gen Wissenschaften handelte. Er hat der Akademie I~grangc zugc
fuhrt, den grôbtcn ~tathematiker der folgenden («'ncration; er war bf
teHIgt ats I.apta(c spin~ C'b('r<sied'4ung nnch Rertin crwog, er hat dcn
bedetttenden ('hcmiker Sehcete zum Nachfolger von 'arggraf vorge- E
/-h~M <M</~M~ t~7
schlagen,und es lag nicht an ihm, wenn sein zweimaligerHinweisauf
Michaclisund seine Empfehlung von Johannes Muller ohne Folgen
blieben. Auf die philosophische Klasse erstreckte sich der EinfluB
d'Alembertsnicht; hier kam dertiefeGegensatz zwischendendeutschen
Afctaphysikemund diesen Positivisten zum Vorschein. ,,Es scheint
mir," schrieb Lagrange mit eincr ihm sonst fremden Malice, "jedes
Land beinah hat seine besondere Metaphysik, wie es seine Sprache
hat." So war d'Alembert auch an der Berufung des grôSten unter den
Philosophender Akademie, Lamberts, des Rivalen von Kant, nicht be-
teiligt, und dem Kônig batte man denselben "beinah aufgedrungen".
Es war dann aber edel und gerecht, wie d'Alembert auf Lagranges
Urteilhin für Lambert, dessen wenig einnehmendeLebensformenFrie-
drichabstieBen, eintrat.
Sehr kompliziert war d'Alemberts Verhâltnis in bezugauf das luf-
tige Geschlecht der Literaten im Gefolge der EnzykIopMie. In die-
semPunkte war d'Alembert schwach. A!s nach Maupertuis' Tode der
Konig in die engere Beziehung zu ihm trat, als er ihm die Epistel
gegendie Verfotgungder Enzykiopadie sandte, in dem liebenswürdigen
Gcp!anke!zwischen Poesie und Mathematik, wo Witz und Geist und
Grazieder beiden sich erprobten, da hatte d'Alembert an Voltaire ge-
schrieben ,Jch weiû nicht, was da werden wird mit ihmund mit mir;
aber wenn die Philosophie an ihm keinen Beschutxer hat, das warc
groBerSchade." Und als er dann in den Potsdamer Tagen seinerStel-
!un~bei Friedrich sicher geworden war, freute er sich der Môgtichkeit,
nunden Kampfgenossenxu nützen, und er triumphierte, als er Hetvetius
undJaucourt als auswârtige Mitglieder in die Akademiegebracht hatte;
erdankt dem Konig im Namen der Philosophiefür das Beispiel.das or
denHerrscherngebe. Doch entging dem klugen Auge Friedrichsnicht,
je langer das Verhâltnis andauerte, was da itn Hintergrunde sein Spiel
trieb. Wenner das nie direkt aussprach: aus dem leise spottischenTone,
mit welchem er manchmal die Anpreisung eines Martyrer-Literatcn
heantwortete,horte es d'Alembert heraus. Wenn man in dem Brief-
wechselzwischenVoltaire und d'Alembert einen Blick hintcr die K"u-
lissen tut. sicht man, wic notwendig Friedrichs Reserve war.
t28 ~hM~<M~a~<MMW~

DAS BÛNDNISZWISCHENFRIEDRICH
UND DER DEUTSCHENAUFKLÂRUNG

Der Wunsch, d'Alembert nach Berlin zu ziehen, entsprang noch


einmal dem Gedanken einer hochsten geistigen Kultur, dcr den Künig
vor dem Siebenjâhrigen Kriege bestimmte. Wie denn jetzt noch cin.
mal zwei Mânner von europaischem Ruf gewonnen wurden, Lambert
und Lagrange. Es waren die letzten Strahlen der sinkenden Sonne.
Das Ideal des Kônigs lieB sich auf die Dauer nicht verwirklichen in
einer Stadt, die keine Universitât besaB, sondem nur aus Offizieren,
Beamten und Kaufleuten bestand, und in einem zu den grôBtcn militâri.
schen Anstrengungen gezwungenen Staat, in welchem die Rûcksicht
auf den nâchsten Nutzenimmer wieder ihr Recht verlangtc. Diese Ver.
hahnisse muBten sich nach der Beendigung des furchtbaren Krieges
doppelt fühlbar machen. Aber das Entscheidendc war, daB Friedrich
selber aus dem Kampf der sieben Jahre als ein anderer zuruckkehrte.
Er hatte diesen Krieg nicht gewollt. Die politischen Voraussetzun
gen, unter denen er sich von einem neuen Waffengang mitOsterreich
einen wertvollen Gewinn für PreuSen versprach, fehlten votikonimen,
als er im Sommer t7s6 ins Feld zog; er handelte aus Notwehr, in
der Hoffnung, mit cinigen raschen Sch!agcn die ihn bcdrohende Koa-
lition zu sprengen und dann zurùckzukehren zu den Friedenswcrkcn.
clie er begonnen hatte. Das schtoB nicht aus, daB er nun, nachdem
er einmal das Schwert ergriffen, es nicht ohne eine Entschâdigung für
seine Kosten und Gefahren aus der Hand zu legen meinte. Aber wie
eif falscher Schachzug seiner Politik, der Y'ertrag von Westminster,
die Vereinigung der kontinentalen Mâchte wider ihn erst môglich ge-
macht hatte, so fügte sie jetzt geradc sein Angriff fest zusammen.Was
er mit seinem Prâvenire vermeiden wollte, rief er hervor, den Kampf
um die Existenz des Staates, den sein Vater und er geschaffen hatten.
Er lemte nun die Grenzen der Krâfte dieses Staates kcnnen und cnt
deckte, daB auch sein Genie nicht alles vennochte. Nachdem er dcn
Tag von Ko!in verloren hatte, trat immer wieder eine Lage ein. in der
er alles auf cine Kartc sctzen muBte, und bald genêt er dahin, daB ihm
auch ein gtanzender Sieg nur eine karge Frist zu gewahren schien bis
zur unabwendbaren Katastrophe. Das Hnglûck heftete sich an seine
Fersen. In den entscheidendenAugenbticken mi6!angen ihm seineFeld
züge, seine Schlachten, seine Verhandlungen zuletzt rettete ihn, wic cr
glauhte, ein Zufall, der Thronwechse!in Ruf~hmd.Der Tod entriB ihm
seine besten Generale, seine liebsten Freunde, entriS ihm die Mutter,
deren snrgpnvo~c Liehp der cinzigc warmendc Strahl seincr Jugenf!
~f~M~M~ ï~
bereit war,
gewesenwar, und die Schwester, die allein ihn verstand und
den Untergang mit ihm zu teilen. Andere tauschten die Hoffnungen,
dieer auf sie setzte, verloren den Mut, klagten ihn an, daB er den Staat
verderbe,verzeichneten, wie der eigene Bruder, mit grausamer Freude
die Erfüllung ihrer bosen Weissagungen: Phaeton ist gefallenl Was
er je im Vo!tgefuhl seiner Einzigkeit als Staatsmann und als Mensch
gcfehlthatte, schien er jetzt übermenschlich büBen zu mûssen, und mit
ihmdie Unschuldigen, die für ihn bluteten. Das alles verhârtete ihm die
Secte.Er verlor den letzten Glauben an eine Vorsehung,ja an die Môg-
lichkeit irgendeines vemunftigen Einwirkens auf den Lauf der Welt.
Das Leben eine Komôdie: nie hat Friedrich so oft, in immer neuen
Wendungen,dieses Bild gebraucht wie in diesen sieben Jahren und
sich mit dem BewuBtsein getrôstet, da6 es ihm jederzeit gegeben sei,
die Bùhne freiwillig zu verlassen. Die menschlichen Schwâchen hatten
immerseinen Spott herausgefordert: jetzt erstarrte dieser Zugzu bitterer
Menschenverachtung,oder der Zorn ubermannte ihn und entlud sich in
furchtbarenAusbrùchen, wenn er daran dachte, was dieser Krieg ihm
alles nahm, oder wenn er sah, daB niemand ihn verstand. Sein Wille
wurde jctzt despotisch und legte sidi seitdem wie ein Druck auf alle,
dieihm dienten. Sein Gefühl für den Einzelnenstumpfte ab in dem be-
stândigen Spiel um den Staat, im Anblick der ScMachtfelder, im Ver-
tmutwerdenmit dem Gedanken, dal3 der Tod ihn selbst oder er den
Tod riefe. Ail das Liebenswürdige, FroMiche,Bewegliche schwand da.
ma!s aus seinem Wesen: wie diese Feidzuge seinen Korper vor der
Zeit alterten, und in seiner âuBeren Erscheinung die vollen Linien den
spitzen. scharfen Zügen wichen, in denen ,,der alte Fritz" vor uns
steht. Aber wie in diesem Antlitz erst jetzt die strahlenden blauen
Augen ganz zur Gettung kamen, so offenbarte auch erst der Sieben-
jahtige Krieg für die Welt und für Friedrich selbst, was der letzte, be-
stiindige Kern dieses Charakters war: sein heroisches PflichtbewuBt.
sein. Wenn das Schicksal ihn am schwersten traf, wenn alle um ihn
verzweifelten,wenn die Seibstmordgedanken seinen Geist verdüsterten,
dann batte er immer wieder in dieser einsamen Tiefe seiner Seele den
Mutgefunden, zu leben und zu kâmpfen bis zu der Stunde, da der Staat
~umnenbrâche und e r dann, für seine Person uberflussig geworden,
}))itgutem (.cwissen den Weg schritte, den ihm seine antiken Vorbildcr
zeigten.
Nun war der Krieg mit Ehren bestanden, und der Konig ging an
die Arbeit, mit der er sich für den Rest seines Lcbens bescheiden wollte:
(las Rétablissement seines Staates. Er hielt jetzt Wacht, den ~rieden
m schützen, er sorgtp, die Finanzen des Staates und den Wohlstand
tler lieviilkerung wiederhcrzustellcn. cr arbeitete mit Canner an der
!)tH))<GfMmm-)t''StbfMttnt!t 9
Uo ~n~&~t a~ Cf~ und die <~MfA<~
~~A&'M~
Reform des Rechtes und mit Zedlitzan der Erziehung des Volkes.tn
seinem Geiste konzentrierte sich jetzt alles auf das Notwendige. So
ânderte sich nun auch seine Stellung zur Wissenschaft und Literatur.
Er wurde jetzt der mathematischen Naturwissenschaft gegenüber noch
ktiMer, als er es immer gewesen war. Das alte Problem, das ihn sein
Leben hindurch beschâftigt hatte, trat ganz in den Vordergrund seines
Interesses: die Beweggründe des Handelns für das Gemeinwohl sollen
aufgekiârt und wirksam gemacht werden. Zugleich leste er sich immer
entschiedencr von der franzôsischen Literatur, wie sie sich jetzt ent.
wickelt hatte. Immer radikaler traten hier die Konsequenzcn des ab.
strakt naturwissenschaftlichen Standpunktes für den Staat und die ein-
fachen sittlichen Grundüberzeugungen hervor. Im Widerspruch gegen
diese zersetzenden Tendenzen der franzosischen Bildun~ machte sich
jetzt in Friedrich das innerste Prinzip seiner Philosophie freier, ener.
gischer geltend: in der Tiefe des Se!bstbewu6tseinsdarf allein die Ant.
wort auf die Frage gesucht werden, wie der Mensch zu handein habe.
Nur daB er im Gegensatz zuKant, mit seinem groSenWirkHchkeitssinn
das Auge auf den Zusammenhang gerichtet hâ!t, welcher zwischender
FuHe der nach Befriedigung strebenden rriebkrâfte in uns und der
pHichtmâÛIgen Sorge für das Gemeinwohlbesteht.
Dieser Kônig, der ganz praktische Vemunft geworden war, hatte
nichts Verfuhrcnsches mehr für die intemationalen GroBen des Geistes.
Die glânzende Versanunlung von Mathematikern und Physikem, Lite.
raten und Lebenskünstlern, die ihn vor dem Kriege umgeben hatte,
lichtetc sich und wurde nicht ergânzt. Maupertuis war tot und ver.
gessen. Euler, sein Erbe, ging nach Petersburg. Er hatte es immer
schwer cmpfunden, daB der Kônig seine einseitigc Grô6e nicht ver-
stand daB Friedrich ihm jetzt d'Alembert wie einst Maupertuis vor-
zog, und daB er ihm sch!ie6!ich die ,,okonomische Komnussion" zur
Kontrolle seiner Geschaftsführungin der Akademie an die Seite stellte,
entschied seinen EntscMuû. Mit ihm verlieB sein Sohn die ungastliche
preuMsche Hauptstadt. Lieberkuhnwar schon im erstcn Kriegsjahr gc
sturben; nach dem Fricden folgten ihm Pott, Meckel und Marggraf
in den Tod. Lambert, der Neuberufene, schied auch schon nach zwotf
kurzcn Jahren dahin. Zuletzt thronte nur noch Lagrange in einsamer
ï !ohe. Die mathematische Naturwissenschaftempfing keinen Ersatz für
so schwerc er!ustc. Desgleichen verflog sich das Ieichte Volk der fran-
zosischen Schriftste!!er, das cinst die Râume der Akademie durch
schwirrt hatte. Der cine oder anderc wurde wohl noch berufen. Abcr cr
verdanktc das dann zumcist der Empfehlung d'AIcmberts oder seiner
Brauchbarkeit als Lehrer der franxosischcnPartierkunst an der Rittcr-
akadann'. ~L~nd so bôse t'rcigeistcr wie Lamettrie und d'Argens waren
/)~ A'c~ ~M~/M~" ~fr~~ !3'

nichtmehr unter diesem Zuzug; die âuûerste Linke der franzôsischen


AufkJârungfand bei dem kônig!ichen Philosophen kein Asyl mehr.
ManchehâMche Erfahrung, die er in der Not des letzten Krieges mit
seinenfranzosischen Freunden gemacht hat, kam hinzu, um Friedrichs
Wertschâtzungfür sie zuvenniadem. DieseVoltaire und d'Argens hatten
sichjeden Verstândnissesbar gezeigt für die Bekenntnisse seiner heroi-
schen Seele. Sie hatten ihm nur immer wieder den Rat gegeben, sich
den GenuB des Daseins m erhalten und darum den stôrenden Krieg
unijeden Preis zu enden. Und schlimmer als diese feigen Eindrückcldie
er mit einer spottischen oder unwilligea Replik leicht abgewehrt hatte,
warendie anderen der Untreue und des Undankes dieser Menschenge-
wesen.Er hatte seinen Vorleser, den Abbé de Prades, auf die Festung
schickenmüssen, weil er ihn als Spion ertappte, und er batte es erlebt,
daB Voltaire mit hâmischer Schadenfreude die Werke des Philosophen
vonSanssouci zu einer Stunde verëtfcntlichte~da sie für ihren Verfasser
cine politische Gefahr wurden.
Der Mensch Friedrich hat für alles, was er dergestalt an schonem
LebensgenuBund frohen Kulturidealen verlor, einen Ersatz nicht mehr
gefunden, und auch nicht mehr gesucht; dieser Friedrich batte resig.
niert.Der Kônig dagegen, der seinem Staat und Volk leben wollte, fand
erst jetzt einen Verbündeten, der sich ihm für die harten Aufgaben des
Werktages ganz zur Verfügung stellte, der ihm die Treue gehalten
hat und der Herold seines Ruhmes geworden ist: die deutsche Auf-
klârung.
2.
Die Grundzüge der Aufklàrung sind überall dieselben: die Auto-
nomie der Vemunft, die Solidaritat der inteUektuellen Kultur, die Zu-
vcrsicht ihres unaufhaltsamen Vorwârtsschrpitens und die Aristokratie
des Geistes. Die Renaissance und die Reformation hatten durch die
Zerstôrung der alten Autoritâten die Souveranitât der Vemunft vorbe.
reitet. Die Entwicklung der mathematischen Naturerkenntnis und ihre
Hcwâhrungin der Herrschaft über die Natur hatten sie verwirklicht.
Die neue Politik des siebzehnten Jahrhunderts hatte sich ebenfalls, in
den Maximender Regierungen wie in den Lehrsatzen der Schriftsteller,
auf keinen anderen Grund stellen konnen als auf die Râson. Indemnun
dic~eseibstherriiche Vemunft sich als Trâgerin einer neuen Kultur cr-
fabte, verliehsie derselben in der AUgemeingùltigkeit der Sâtzedes ver.
nunftigen Denkens das Vermôgen, alle Nationen zu umspannen. So ent*
sprang das BewuGtseinvon der 5o!idantât der Kulturnationen mitten in
ihren Machtkâmpfen. Und wie aus der logischen Notwendigkeit der
n<'m-ntdcrktpnGrundlagen ciner Kausalerkenntnis der Natur und ihrer
\rwcn(!harke)t für das Leben Satz auf Satz und Anwcndung auf
9'
t3~ .fM~Mw~ G~~ und die <<w&<~~<~XA&tt~
Anwendung sich ergaben, entwickaltesichderGiaubeandensiegreichen
Fortschritt der Wissenschaft und der auf sie gegründeten Zivilisation.
Dieser Fortschritt aber volixogsich in einer Aristokratie der denkenden
Kopfe unter den verschiedenen Vo!kem.Sie standen in einer inneren Ge.
meinschaft untereinander, getrennt von dem Volksleben. Mochte der
moderne Staat immer mehr die neue Bildung für die Steigerung seiner
Macht verwerten: sie war doch in ihrett GrundJagen ein vom Volksgeist
Umbhângiges, das in der Allgemeingiiltigkeitder Erkenntnis und des
Geschmackes die Nationen verband und gleichsam von oben her von
Volk auf Volk übertragen wurde. Und den Staat selbst loste seit den
Tagen von Hobbes die Theorie los von seiner Grundlage in dem eigen
tumUchen Leben der einzelnenVolker. Er entspringt nach dieser Lehre
nicht historisch und unwiMkûrtichaus den bildenden Krâften des Volks.
lebens, er ist das Erzeugnis des Verstandes und des Interesses: so ist
er der Allmacht der regulierenden Vemunft unterworfen. Er ist kein
Organismus, sondem ein System von Einzelkrâften: eine Maschine.
Aber wie verschieden muBte nun diese Aufkiârung des t7. und
18. Jahrhunderts in den einzelnen Lândern wirken Die romanischen
Vôtker verharrten unter der Fremdherrschaft des Papsttums. Dort blie-
ben die unteren Klassen durch den EinfluB der Priester in die starren
Begriffe des Tridentinums gebannt, und so wurden sie ausgeschlossen
von der ungeheuren geistigen Bewcgung. welche diese beiden groGen
Jahrhunderte erfüllte. ïn den Niederlanden. in England. in Deutsch-
land und schlieBlich in Nordamerikahatte die Reformation eine Brücke
geschlagen xwischen dem schlichten Bedürfnis des einfachen ]\tannes
und den hochsten Begriffen, deren der mcnschliche Gcist fâhigiist. Hier
war in dem setbstandigen Recht der Auslegung der heiligen Bücher
durch dieVernunft derWeg frei, den gemeinsamen Glauben, in welchem
zu Luthers, Zwinglis und Calvins Zeiten die Bekenner aus allen Stândcn
sich geeinigt hatten, fortzubilden entsprechend den verânderten Be-
griffen der universalen Kultur. Locke, Leibniz, Kant, ScMeicrmachcr,
Carlyle, Emerson sie aUe konnten an die erhabenen Bilder der Schrift
die letzten Gedanken anknüpfen, zu denen sie gelangten. Zum Organ
einer solchen Umbildung der retigiosen Begriffe wurde unter Friedrich
dem GroBen die Universitât Ha!!e. und es ist von da ab eine der hoch-
sten Funktionen der deutschen Universitaten gewesen, dieses Mittler.
amt ïu üben. So traf die Aufklarung überall, wo die Reformation den
Boden bereitet hatte, auf eine Gemeinschaftder Furstcn, Bcamten, Geist.
lichen und Lehrer, der Schriftstellerund des Volkes, die ihr einen viel
weiteren und tieferen EinfluB sicherte als dort, wo die alte Kirche ihrc
Herrschaft behauptete.
Nach der kurzcn Blüte der Nicderlandc f-rhiettîn dieser gcrmanisrh-
~MM~M~<M~<W~~M~M~ _'33
protcstantischenAufklârung England die Führung. Von dem Tage ab,
an dem der groBe Oranier dcn Boden des Inselreiches betrat, entfaltete
sichhier ein freies und machtvolles Staatswesen,welches zwischendem
Konigtum,der Aristokratie und den burgcriichen Klassen, zwischender
Staatskircheund den freien protestantischen Gemeinschaften den Frie-
den gefunden batte und nun sein Dasein nach allen Seiten ruhig, folge-
richtig entwickeln durfte. So entstand hier eine einheitliche geistige
Kultur,wie sie bis dahin unter den modemen Vôlkem ohne Beispielwar.
Erfahrungswissenschaft,burgerlicher Roman, wahrhaftigePortr&tkunst,
cineneue groBe Geschichtschreibungund die hochste Blüte der Bered-
samkeitseit den romischen Zeiten, alles begleitet von einer philosophi-
schen Analyse, welche alle seelischen und gesellschaftlichen Erschei-
nungenumfaBte, und diese ganze groËe geistigc Arbeit ein innerer Zu-
sammenhang,durch ihre schriftstellerischeForm der ganzen gebildeten
englischenWelt zuganglich: welches Volk hâtte seit den Rômem cine
nationale Kultur von gleicher Macht erzeugt!
Spât und in weitem Abstande folgten die Deutschen ihren Ver-
wandtenjenseits des Kanals. Doch nirgend war die innere Gemeinschaft
aller Stânde, wie der Protestantismus sie vermittelte, enger als in der
Heimatder Reformation, und so war auch die Wirkung der Aufklarung
nirgend gewaltiger. Die deutsche AufMârung Jôste die christliche Reli-
giositataus den rohen Begriffen der Orthodoxieund stellte sie auf den
festenGrund der Freiheit der moralischen Person. Sie gab der Erzie-
hung und dem Unterricht neue Ziele und Methoden. Sie reformierte
das Recht und vertiefte das Verstandnis der politischen Welt; sie stellte
sich überhaupt ganz in den Dienst der Gesellschaft und des Staates.
Sie entwickeltebei dieser Arbeit einen sittlichen Ernst und einen pâd-
agogischen Eifer wie eine neue Religion. Sie schuf sich zugleich in
diesem Zusammenhang eine Literatur, die ihre franzôsischen und eng-
lischen Vorbilder an Glanz und Genialitat nicht erreichte, an Einheit,
Klarheit und allgemeiner Wirkung aber weit übertraf. Und auf dem
fruchtbaren Boden dieser Literatur ist dann doch die Blute unserer
klassischenKunst erwachsen. AU das gab der deutschen Aufklarung
eine unendliche Oberlegenheit über die franzosische Bildung, die ihr
in den Kreisen der Hôfe und Regierungen ùberall entgegentrat. Die
groGenPrinzipien.die inFrankreich wissenschaftlicheLeistungenersten
Ranges, blendende Werke des srhriftstellerischenGenies und eine sou-
verâne Lebensfreudigkeit der Geselischaft hervorbrachten. empfingen
in Deutschland eine gemâBigte, ja eine beschrânkte Form. Aber in
dieser wurden sie praktisch brauchbar, so daB sie die Masse unseres
Volkes umgcbildet haben. !n Frankreich bmch unter den Erschütte.
rungen der franzôsischen Revolution die trügerische Decke der Salon-
'34 <&~Gf)!~<und die deut < ~f~AtM~
kultur jah xusammen,und hervorstiegenaus der unbcruhrtcn Tiefe die
finstercn Gewalten des Mittelalters, mit denen noch das Frankreiçh
unserer Tage in unentschiedenem Kampfe ringt. In dem Vaterlande
Luthers und Kants erwuchs aus der nüchternen Arbeit des t8. Jahr
hunderts die freie Begeisterung der Kâmpfer von !8ï3, und wenn das
deutsche Volk heute in der g!eichmâBigcnVcrtcilungvon Bildung und
Gesittung an der Spitze der Kultumationen steht, so soll es nicht ver.
gessen, daB es diesen Vorrang zum guten Teil der vielgeschmâhten Auf.
klarung verdankt.
3.
Die deutsche Auftctârun~ stand seit ihren ersten Tagen in dem
engsten Verhâltnis zu dem PreuBen Friedrich Wilhelms I. und Fricd.
richs des GroBen. Sie war zum guten Teil das Werk dieses Staates. Auf
dem Boden seines uberzeugungsstarkcnProtestantismus und unter der
Erziehung seines cnergischen Pflicht-und StaatsbcwuBtseinsentwickelte
sie ihre Eigenart. Und hier leistete sie ihre eifrigste und erfolgfeichste
Arbeit. Sie bemachtigte sichdes ganzenkunstvollenBehôrdenapparates,
wie ihn das preuBische Konigtum geschaffenhatte. Sie regierte Kirche
und Schu!e sie hecinï!u6te die anderen Zweigeder inneren Verwaltung;
sie drang in die Sâ!e der Gerichtshofc:so daû nun auch wieder der
preut3ischeStaat als das Werk der deutschen Aufklarung gelten konnte.
Er war in allen seinen Teilen von ihrem Geist erfüllt.
Eine Entwicklung, die xunachstin der Natur der beiden Mâchte,
die sich hier durchdrangen, gegründet war. Aber sie batte doch nie
einen solchen Umfang und eine solche Bedeutungfur den preu6ischen
Staat gewonnen, wenn nicht zwischenden Tendenzendieser gewaltigen
Kulturbcwegung und dem Lebensidealdes groBen Konigs eine inncrc
Verwandtschaftbestanden hâtte. Friedrich besaB zu viel Sinn für die
Wirklichkeit und zu viel Ehrlichkeitgcgen sich setbst. um den schaffens.
freudigenOptimismus der deutschenAutktarungund ihren eigenwitligen
Glauben an die metaphysische Begrùndung ihrer Weltanschauung zu
teilen. Er blieb zugleich immer zu sehr Geistesaristokrat,um über die
rauhen Formen. in denen ihm die junge nationale Kultur einstwc!!ea
entgegentrat, hinwegzusehen. Indem cr an dem MaBstab der franzosi*
schen Bildungfesthielt, fühlte er sich zurûckgestoBen von diesemnaiven
Mangea an Witz und Gcschmackim persontichen Verkehr wie in der
schriftstellerischen Produktion. Er ignorierte diese deutsche Aufkïa-
rung. soweit ihre Trager und ihre Literatur in Betracht kamen: so ent-
ging ihm der Fortschritt. der sich hier al!mah!ichvollzog. Lessing, der
einzige, der seine Meinung vie~eicht rektifiziert hâtte. ist aus seinem
Gesichtskreis verbannt geMiehen.Gegensatze.stark genug. um immer
wieder auf beiden Seiten zu MiBverstandnissenund Verstimmungen
fn~'fAf ~</<~ <&r<~f~~<M~<if~~ _'35
M führen. Aber alles, was Friedrich und die deutsche Aufklarung
trennte, verschwand schlief3lichvor ihrer tiefen Obereinstimmung in
der praktischen Lebensansicht: sic fanden sich zusammen in dem
BewuBtsein,daB die Würde des Menschen auf der Autonomie des
sittlichen Willen bcruhe, und da6 alle Moral zu gründen sei auf die
Forderung der Obereinstimmung dieses Willens mit der Pflicht, sich
im Dienste der sozialen und politischen Aufgaben zu betâtigen. So
schlossensie nun doch ihren Bund, und es ist ein Anblick ohnegleichen
in der Geschichte,wie jetzt in diesem preuBischen Staat alles begeisfert
xusammenarbeitet,Konig, Beamte, Prediger, Lehrer und Schriftsteller,
an dem einen gemeinsamenZiel das Volk zu erziehen, indem man es
aufklârt.
Das Zentratorgan aber gleichsam fur diescn Zusammenhang xwi-
schen dem FriderizianischenBeamtenstaat und der dcutschen Aufk!a-
rung wurde wieder die Akademie. Die deutsche Bildung hatte auch
vordem in dieser Korperschaft nicht gefehlt; sie war neben der fran.
zôsischencinhergegangen, wie zwei Flüsse, die, obwohl in einem Bett
die
vereinigt, sich doch niemats mischen. Aber solange Maupertuis
Zugel in der Hand hielt und die Verbindung der universaten mathe.
matischenNaturwissenschaftmit der franzôsischen Literatur den Cha-
mkter der Akademie bestimmte, trat dieses cigentumUch deutsche
Element in ihr zurück. Jetzt, nach dem Kriege, gelangte es zur Herr-
schaft. Die Verânderungen in déni Mitgliederbestande, die wir ver-
zeichnethaben, trugen dazu bei. Das Entscheidende aber war die neue
Tendenzzur Beschrânkungaller ôffentHchenTatigkcit auf das praktisch
.M&g!iche und Notwendige,in erster Linic auf das moralisch und poli-
tisch Wirksame. Dieser Zug ergriff nun auch die Akademie: er be-
stimmtefortan die Richtung und Einheitlichkeit ihrer Arbeit. Und der
KoniKfuh" fort, sich selberan dieser Arbeit zu bcteiligen, die Minister,
Zedlitz und Hertzberg, folgten, und diese Reden und Abhandlungen
der hochsten Personenwurden in den Schriften der Akademie verôffent-
licht. Eine Funktion entwickelte sich hier, die in der Geschichte der
~clehrten Gese!tschaftenkein Beispiel findet. !n einer Zeit, da keinc
andere Korperschaftdem Untertan das BcwuBtsein von den Zielen des
Stages vermittelte, wurde diese Akademie der Ort, wo der Kônig und
seine Beamten die Prinzipien aussprachen, nach denen sie die Regie-
rung fuhrten.
Die neue Stellung der Akademie zu der deutschen Auftdârung
kommt zunâchst in denPr e i s a u f g a b e nzum Ausdruck, welche sie
nunmchr. seit ihrer Réorganisation im Jahre t744. a!ïjâhr!ich stellte.
Sie folgte damit dem Beispiel der Schwestergesellschaften von Paris
und London. und wie sich nun in dem Stadium, in welchem sich die
3~_ _T/MMr~ <~f G~t~ M~ <?* o~M/ ~4~
Wissenschaft des t8. Jahrhunderts befand, der Fortschritt derselben
nicht zuletzt in diesen von den groBen Sozictâten veranJaBten Wctt-
kâmpfen vollzog, war auch auf die Preisaufgaben der neuen Fride*
rizianischen Akademie das Interesse der ganzen europâischen Gcichr-
tenrepublik gerichtet; wie Eulcr und Lagrange regelmâûig an der
Konkurrenz von Paris teilgenommen haben, so haben sich d'Alembert
und Condorcet, Kant und Herder um den Preis von Berlin beworben.
Waren es doch auch hier immer die gro8ten und tetxten Fragcn, welche
mit der ganzen Siegeszuversicht des !8. Jahrhunderts zur Erôrterung
gesteUt wurden.
Unter der R~egierungvon Maupertuis stellte die Akademie drci
philosophische Aufgaben. deren jede die Kritik eines wesentlichen Be-
standteiles der Phiiosophie ihres Bcgrunders fordcrtc. Zuerst handelte
es sich um die Monade, dann um den innerlich freien Wi!Ien, scMicB-
lich um die beste aller Welten. Und nur bci der zweiten Konkurrenz
wurde cin Anhanger von Leibniz und Wolff, Kâstner, gekrônt. ïn den
beiden anderen Fa!Ien wurde nach harten Kâmpfen der Preis cinem
Gegner zuerkannt, trotz alter OberftâcMichkcitder Abhandlungen. Und
so wurde auch noch t~ôï, als Euler die Akademie leitete, das Themâ
gestellt, ob die metaphysischen Wissenschaftenderselben Evidcnz fâhig
seien wie die mathematischen. Aber darin zeigt sich nun schon die Ver.
schiebung des alten Machtverhâttnisses,daB zwei Jahre spater, aIs die
Entscheidung über die eingetaufcncn Arbeitcn fiel, die Akademie Men.
delssohn krônte. Kant dagegen mit dcm Accessitabfand. Denn es cnt-
sprach jetzt ihrcr cigenen Position, wenn Mendelssohn die gestetitc
Frage im wesentlichen bejahte. Kant hatte die Anwendbarkeit der ma-
thematischen Methode auf den Gegenstand der Metaphysik ~cugnet.
Er beschrankte schon hier diese Wissenschaftauf das Gebiet (ter mog-
lichen Erfahrung. wie cr denn auch erk!arte, daB ..ciné Metaphysik bis-
her noch nicht geschrieben sei". Es war die Verurteilung des ganzen
theoretischen Unterbaucs der Wcitansrhauung der deutschen Aufkta-
rung. Wiedcr einige Jahre weiter wurde einc Lobschrift auf Leibnizais
l'hema verkündet. Und ~76, bei der Hchandtung der Aufgabc ubcr die
Grundkrafte der Secte. Erkennen un<t Empfinden, hat nicht Herder.
sondern Eberhard, der starrkopfigsten cincr untcr den Jungern Wotffs
und dann unter den Gegnern Kants, den Sicg gewonnen. Der ''poche-
machenden Abhandlung Ilerders liber dcn Ursprung der Sprache hat
man freilich den Preis nicht versagen kônnen.nbwohidicselbc die ahc
Vorstellung von der ..Erfindung" der Sprache und damit den Glauben
an die Moglichkeit ciner kunstHchen Univcrsatsprachc ein für a!!c-
mal zerstorte.
Noch nach ciner anderen Seite hin wcrdcn die Preisaufgaben der
~M-MÙf~ P~MM~ ~M~M~t~MMMOfVorlesungen '37
MaBstabfür die wachscnde Herrschaft der deutschen Aufklârung in
der Akademieund für die neuc Funktion dieser Anstalt in dem Staats-
wesendes groBen Kônigs. Die praktischen Probleme, auf welche sich
der einzelne Schriftsteller wie der Staat und seine Beamtenschaft bei
ihrer Arbeit an der Erziehung des Volkes bestândig hingewiesen fan-
den,wcrden jetzt immer hâufiger zur Erôrterung gestellt. Ob man na-
türlicheNeigungen zerstoren und neue erzeugen kônne, und wie man
die gutcn zu starkcn, die scMechten schwachen habe: so lautete
schondas Themafür 768. Der Ernst der Mânner, die es gesteUthatten,
verdientedoch nicht den woMfeilen Spott des heimatlosen Skeptikers
Grimm,daB man hier so ziemlich die Lôsung aller praktischen Fragen
verlange,welche die Menschheit interessierten. Für !775 wurde eine
Untersuchunguber die Ursachen des Verfalls des Geschmackesbei den
verschiedcnenVôlkerngefordert; Herder errang hier zum zweitenMal
den Preis. Und als dann die Akademie wieder einmal ein metaphysi-
schesThema ausschrieb und dazu so unglücklich formulierte, daB man
in Paris laut daruber spottete, wurde sie durch den Kônig selber sehr
bestimmtan ihre neue Pflicht erinnert. Sie so!lte "durchaus intéressante
undnützlicheFragen" stell.en,und gewissermaBen um ihr ein Beispiel
zu geben, wurde sie angewiesen, das letzte Thema durch das andere zu
ersetzen ob es nützlich sci, das Volk zu tâuschen. Es war eine Frage,
welcheFriedrich in seinem Briefwechsel mit d'Alembert eben lebhaft
diskutiertc,und daB cr sic jetzt zur offentUchen Prüfung stellte, war
das Au&erste,was seine Autrichtigkcit in der Erôrterung heikeler Pro.
blemeje geleistethat. Unter denen, die eine Beantwortung versuchten,
warauch d'Alemberts Freund Condorcet: unter seinen nachgetassenen
Schriftenfindet sich ein Entwurf. der dieselbe Frage behandelt. Die
Akademicaber hat sich die Zurechtweisung gemerkt. Gleich die Auf-
gabe für !78o lautete: Welchen EinfluB haben die Regierungen auf
die Künste und Wissenschaften geubt und umgekehrt diese auf die
Regierungen? Es war dasse~bcProblem, welches in der gleichzeitigen
Schrift Friedrichs uber die deutsche Literatur erôrtert wurde. Noch
dcut!ichcrtritt die Rûcksicht auf dicse Abhand~unghervor, wenn man
in den nachsten Jahren die Frage stellt, wetchen Umstanden und Vor-
za~en die franzo~sche Sprarhe ihre universa~eHerrschaft verdanke,
und ob zu vermuten stchc. daB sie diesetbe behaupten werde; oder die
andere. inwiefern sich der Geschmack eines Volkes durch die Nach-
ahmung der Erzeugnisse einer fremden Literatur entwickeln lasse.
Ebenso wird in augenscheinlichem Zusammenhang mit dem groBen
Werk des a!!gemeincn I.andrerhts das Thema übcr die naturlichen
Grundlagenund Grenzen der eher]i< hen Gewalt gestellt, wahrend wie-
der die Frage nach der hesten Art. ein Volk zur Vemunft zu erziehen,
'~L Friedrichder G~< MM~<)?dcutsche ~<{~/<&-M~
noch einmat den ganzen Begriff Fridcrizianischer Staatskunst zur Er.
orterung bringt.
Und wie die Preisaufgaben, so andern sich die Abhandlungen der
Akademic: unter den Verfassem treten die Anhângcr der deutschen
Aufklârung, unter den Gegenstanden Moral, Pâdagogik, Politik und,
als grundlegende Wissenschaften, Psychologie und Âsthetik immer
deutlicher in den Vordcrgrund. Und nicht minder entspricht es dem
Charakter dieser zweiten Friderizianischen Akademie, wenn dieselbe
jetzt eine Forderung erfüllt, die der KSnigschon an die erstc, indessen
ohne rechten Erfolg, gestellt hatte: ihre Mitglieder gehen, im Verein
mit ihren Freunden auBerhalb der Akademie, immer zahlreicher zu
ôffcnttichen Vorlesungen für weitere Kreise über. Diese Vnriesungcn
umfassen scHie&Ïich, die Theologie vielleicht ausgenommen, alle in
dem Lehrplan einer Universitât vertrctenen Fâcher, und man hat mit
Recht darauf hingewiesen, da6 Berlin in der Tat schon um das Jahr
<78o eine Hochschtile besa6. Wic ja dann auch spater die Uoiversitât
von tSto durch solche freien Vorlesungenvorbereitet worden ist.
So war, als die Regierung Friedrichs zu Ende ging, die Akademie
eine andere geworden. wie der Kônig selbst und sein Staat sich seit der
Krisis des Siebenjâhrigcn Krieges gpandcrt hatten. Sie hatte darüber
ihren universalen Glanz verloren, aber sie war tiefer in den Boden
hineingewachsen, der sic n&hite,in den Staat des groBen Konigs. Und
die deutsche Aufk~arung war zu starkerer Geltung in ihr gelangt, so
daR die erste wisscnschaftliche Anstalt des ersten deutschcn Staatcs
jetzt auch zu dem besonderen Geisteslebenunseres Volkes cin nâheres
Verhaîtnis gewonnen hatte.
Das aber war nun das Eigentùmliche. da& diese ganze Entwick-
!ung der Berliner Akademie cinstwcitenauf halbem Wegc stchen blich.
Die Manner, welche in ihr den Zusammenhang mit dem prcuBischcn
Staat und der dcutschen Kultur vermittelten.waren Fremde. Schweizer
und Hugenotten. Denn wie diese mit dem Vorzug ihrer sittlich festen
und praktisch wirksamen Weltanschauung den andercn der ffanïôsi-
schen Sprache und Form verbanden. waren sic am meisten nach dem
Sinn des alternden Konigs. Er !ieB sie wohl am spâten Nachmittag
zu sich bescheiden. um mit ihnen alte und neuc Problernc der Wisscn-
schaft zu diskutieren. Merian fuhrte sie ein. Er erfreute sich der bf
sonderen Gunst des Konigs. Seine Vcrbindung mit der Tochter Jor.
dans, des heiteren Genossen aus den Rheinsberger Tagcn, gab ihm
ein gewisses pprsonHches Verhâltnis zu Friedrich. Vomehmnch aber
gpwann er das Vertrauen des Kônigs durch die wohlwollende Objek-
tîvitat. die er im Urtei! über Menschenund Schriften immer bewahrte.
Er war ein geborencr \'prmittler und so recht der Reprâsentant der
:t/&w !39
eklektischenakademisrhcn Phitosophic dieser Epo<hc. Er betrachtete
mit unerschuttcr!icher Ge!asscnhcit das SchauspicI der Welt und ver-
mied es, unter den Acteurs mit auf der Szene zu erscheinen. Auch
Friedrich Wilhelm II. und III. hôrten auf seine Stimme. Er war nun
diese vielen Jahre hindurch ganz verwachsen mit den Interessen der
Akademie. Es gibt Personen, an denen die Mitglieder ciner Korpo-
ration sich allezeit zu orientieren vermôgen über deren vitale Inter-
essen auch den DrauBenstchenden vcrmitteln sie cin ~chcs Verstand.
nis. Merian hatte dièse Bedeutun~ für die Berliner Akadcmic von den
Tagen von Maupertuis bis zu denen der beiden Humboldt. Soweit da-
gegen die deutsche Aufktarung unserer cigenen Literatur angchortc,
blieb sic aus der Nâhe des K''oBcn Kônigs verbannt. Er baute mit aJI
dicsen patriotischen Beamten und Schriftstellern, Pastoren und Schul-
meisternseinen Staat: in die Sphare, in welcher er sich selber als sou-
veraner Mensch bewegte, 1icB er sie nicht gelangen. Denn die Virtuo-
sitât des Ausdrucks und \'crkehrs, die er an ihnen vermiBte. blieb ihm
immereine hôchste Leistnn~ und cin pcrsonlichstes Bedürfnis. Und wie
er nun dieAkadcmie als seine cigenste kônigliche Schôpfungbetrachtetc
und ihr in dem Zusammenhang seiner staatspâdagogischen Gedanken
die wichtigste Stelle zuwics, batte er seiner und ihrer Würdc zu ver.
~ehen geglaubt, wenn cr ihre Pforten der deut-~chenLiteratur geoffnet
hâtte. Er cmpfand es gleichsam als einen MiSbrauch der Wahlfreihcit
der Akademie, als sie I~essingund Gellert xu auswârtigen MitgHedem
vorschlug, und bestrafte sie mit der Entziehung dieses Rcchtcs. Die
eifrigen Bemühungen Sulzers und seiner Freundc. ~~ende~ss(.)hn oder
Rar Winrkcimann in die Akademie zu bringen, schciterten, und fur
Johannes MUUerverwandte sich scibst ein d'AIembert ver~ebcns. Die
Akademie des Konigs von PreuRen war cine franzosische GeseUschaft
und wonte als eine solche gelten. Mitten in eincr Zeit, da die dcutsche
I.iteratur der Aufklârung auf der Hohe ihrer Entwicklung stand und
uher sic hinweg schon die aufgehcnde Sonne unserer MassischcnDich-
tung und Philosophie ihre crsten Strahlen sandte.
Der Ministcr, der nach dem Re~ierungswrrhsel zum Kurator der
Akade'ni"crnannt wutde. H er t z he r hat das Unmo~iche dieserl.age
cmpfunden.Gleich die Liste der funfxfhn Mânner. deren Aufnahme er
in dem osten Jahre seinerVerwaltung durchsetzte. zeigte dieRichtung,
in der er die Korperschaft zu erneuern dachte. Ramier, Selle, Engel,
Te~erwarenunterdieserZaM. sie alle anerkannteFûhrer derdeutschen
Aufklârung. Der Pâdago~ Meierotto. der Reorganisator 'desjoachims-
tha!schenGymnas!ums.rcihte sich ihnen an. und auch die drei Fran-
zosen,die hier aufgenommen wurdcn. der jüngere Castillon, der âltere
Erman und der âltere Anrit!on. MitgHcdpr der BerlinerKolonie.,geh8r-
td0 T'~Mt~Mder G~< und die <<w<K~~4~/a~M~
ten in diesen Kreis. Nur einige von diesen funfzehn verdankten ihre
Wahl rein wissenschaftHchenLeistungen. Und dieselben Rücksichten
bestimmten die meisten Ernennungen der foigenden Jahre. Jetzt ge-
langten ZôHner und Gedike in die Akademie. Hertzberg drang auch
darauf, daB Nicolai und BIcstcr und dazu Svarez, der Mitschôpfer des
prcuBischenLandrechts, dieses grôBten Dcnkmals der Aufklârung des
achtzehnten Jahrhunderts, ernannt würden. Doch hier mûhte er sich
umsonst. WôHner bestimmtc den ncucn Konig in diesen FSHen znr
Verweigerung der Bestâtigung. Er veran!aSte auch die Aufnahme von
Moritz, der dem Winckelmann-GoetheschenIdeenkreise angehôrte: das
Gefühl des gemeinsamen Gegensatzes gegen die Aufklârung bewog
den Verfasser des Religionsediktes zu einer solchen Empfehlung.
Und mit der deutschen Bildung hielt nun auch die deutsche Sprache
ihren Einzug in die Akademie. Hertzberg hatte schon unter dem groBen
Konig den Stolz, mit dem cr auf die mâchtige Entwicklung der natio.
nalen Literatur blickte, gem hervorgekehrt. Mittcn in einer Beamten
schaft, die in ihrem Verkehr mit dem Konig und zumeistauch unter sich
nur franzôsisch schrieb, hat cr unsere Sprache geliebt und als deutscher
Stitist es früh zu einer Art von Autoritât im auswârtigen Amt gebracht.
Sein patriotischer Eifer für die deutsche Literatur hatte Friedrich zu
seiner Schrift über diese veranIaBt.Jctzt bestimmte er, daB die deutsch
gelesenen Abhandlungen der Akademie auch deutsch gedruckt werden
sollten. So erschienen diese "deutschen Abhandlungen" fortan als eine
zweiteoffizielle Publikation der Akademienebcn den franzosischcn,,Mc-
moires". Wie es denn auch die Idee Hertzbergs war, daB die neuen
Mitgtieder der Akademie eine eigene "deutsche Deputation" bilden und
die Aufgabe wieder aufnehmen sollten, welche einst der gelehrten Ge.
sellschaftbei ihrcr Gründung gestelltwordenwar: die deutsche Sprache
durch eine Grammatik und ein Lexikon gleichsam mit nationalem
Stempel zu kodifizieren. Im Januar t792 legte er dem Kônig einen
ausführlichen Plan zu diesem Werke \'or: das Vorbild der Pariser Aka
demie wurde dabei ausdnicknch geltend gemacht. In der Arbeit freilich
ist man über einige ,,Bcitragc zur deutschen Sprachkundc" nicht hinaus.
gckommen.
Hertzhcrg selbst hat sich seinesErfo)E:esnicht lange freuen konnen.
Es war nicht seine Schuld, daB die preuBischePolitik in der Epoche
von Rcichenbach mit einer demutigenden Niederlagc cndcte. Olcich
wohl traf dafür den Minister die Ungnade seines Herrn. so da6 er
die Leitung der auswârtigen Geschaftc nieder!egte. Dièses Ereignis er.
schütterte auch seine Stellung in der Akademie.Er hatte hier von An.
fang an mit Schwierigkeiten zu kâmpfen. Sein uberma&ig entwickehcs
SeÏbstbewuBtsein stie6 überall ab, am meisten in dieser gelehrten
&y MM~ t

Karperschaft;solche Vereinigungen bewahren sich doch auch in dem


hartestenBeamtenstaat ein sehr deutliches Gefühl ihrer Würde. Dazu
kam der Widerspruch, den seine Reform erregte. Die franzosischen
Mitgliedererschraken über die deutsche Invasion. Die Vertreter der
strengen Wissenschaft wollten die Akademie nicht zu einem Tummel.
platzder Literaten, die Denkschriften nicht zu einem KonkurrenzuMer-
nehmen der Biesterschen Monatsschrift oder der Bibliothek Nicolais
herahmindemlassen. Verlor doch die Akademie gerade jetzt den ein-
zigenGelehrten groBen Stiles, den sic noch besaB, Lagrange. Er hatte
die richtige Empfindung, daB seine Wissenschaft und seine Leistung
in dieser auf die deutschen Verhaltnisse eingerichteten und populari-
sierten Akademie nicht die Anerkennung finden k<mnten, die ihnen
~ebuhrte, und Mirabeau benutzte diese Stimmung, um ihn nach Paris
zuziehen.Andererseitswar WôH n er augenscheinlichauch in der Aka-
demieder Mittelpunkt eines kleinen Kreises, dem das kritische Werk
derdeutschenAufklârung bereits zu weit zu gehen schien. Und wâhrend
nun diese reaktionâren Tendenzen unter der Einwirkung der gro6cn
Weltbcgebenheitenbei Friedrich Wilheim 11. immer mehr Boden ge-
wannen, fuhr Hertzberg fort, in seinen akademischen Abhandlungen
und Festreden die Prinzipien des Friderizianischen Staates zu "erherr-
lichen.Es waren die Prinzipien der Aufklârung, und diese hatten jetzt
auf dem Boden des feudalen und katholischen Frankreich zum Um-
sturzaller Ordnungen geführt. So steigerte sich die Ungnade des Kônigs
zueinem tiefen Widerwillen gegen den ,Dernokraten", wie Hertzberg
in den Hofkreisen genannt wurde. WôUner und seine Freunde schritten
zumAngriff. Sie erwirkten eine Kabinettsordre an Merian, welche untcr
heftigem Ausfall gegen die von Hertzberg angerichtete ,,Verwirrung"
die ôkononnscheKommissionder Akademie zu Reformvorschlâgenauf.
fordcrte. Und nun hatte Hertzberg' seine Schützlinge wohl in die Aka.
demie,nichtaber in ihre lebenslânglichen Âmter bringen konnen, denen
gegenüber in jenen Tagen das Plénum so gut wie tnachtlos war. In
ihnen behaupteten die alteren Elemente die Herrschaft, vor allem unter
Meriansbewâhrter Strategie in der okonomischen Kommission. So be-
deutete der Befehl des Konigs im voraus die Auslieferung der neuea
Aufgaben der Akademie an die Gnade ihret Gegner. Die Folge war
das Reglement von 1795: im wesentlichen die Wiederherstellung des
Statutsvon !74ô. Das FraMôsische wurde vun neuem als die offizielle
Sprachcder Akademic cingescharft. Und um die Zahl der Akademiker
wicderauf die statutenmâBige von 24.herabzubringen, wurde der Aka-
demie verboten, wahrend der nâchstcn funf Jahre neue Mitgliedcr
vorxusrhiagen. Damit war sie zur Stagnation verurteilt.
t)!e druckcnde Herrschaft Hertzbergs war bescitigt. Er ist bald her-
t~ /'W<)MsA C~< <MM~
dit <!<f~< ~~&M~
nach gestorben. Aber für die Akademie, d'e an dem Sturze des lâstigen
Mannes ihren guten Anteil gehabt batte, begannen nun erst recht
die bôsenTage. WôDner wurdejetzt ihr tatsâchlicher Kurator. Wieseine
Zensurgesetzgebung Kant, das grôBte auswârtigeMitglied der Kôrper-
schaft, zum Schweigen verurteilte, so hemmte und unterdrückte sie in
der Akademie selbst das freie Wort. So konnte diese die Funktion, die
ihr Hertzberg zugedacht hatte, nur beschrankt und vorsichtig erfüllen.
Die Schriftstellerwelt von Berlin sah sich deshalb vielfach wieder anf
ihrc private Vereinigung, die ,.philosophischeGesellschaft", Mgewie-
sen. Man reichte hier regetmaSige Aufsâtze ein, die dann zirkulierten
und kritisiert wurden. Aber wenn nun auch die erste wissenschaftliche
Korperschaft Preul3ensso durch Woliner den Rückhalt der Regierung
verlor, wenn ihre Wirksamkeit einschrumpfte in Einem blieb sic
einig und stark: sie hat doch geschlossen,in zâher Passivitât den Ten-
denzen der Reaktion getrotzt. und ihre Publikationen zeigen, daB in
ihremInnerendie Arbeit, wennauch immerlangsamerund kummerlicher
im wesentlichenin der einmal eingeschlagenen Richtungfortging: dicsc
Akademie war und blieb das Organ der deutschen Aufkiarung.

DIE WELTANSCHAUUKG
DER DEUTSCHEN AUFKI.ÂRUKG
I.
Die dcutsche Aufklârung und ihr religiôser Wahrheitsgehalt sind
tangc und vielfach noch bis auf diesen Tag von dem Gesichtspunkte
der geniaUtâtsstuhen Kritik ihrer romantischen Gegner und eincr ge
hâssigen theologischen roiemik aufgefaBt wurden. Die Geschichtcwird
~crechter urteilen. Diese Aufklarung zuerst ging von den Dogmen des
Christentums zurück auf die unvergângtiche Weltanschauung, in der
seine Wurzein liegen. Die I~ersontichkeitder Gottheit, deren Idee sich
seit don l'ropheten Israels entwickelt und mit dem Fortgang der Ge-
'.ittun~ hntner mildere Züge angenommenhatte, bis sie in den Gleich.
nisscn Christi den erhabensten, sanftesten Ausdruck fand; die Verant-
wurfïichkeit des Menschen als gegründet auf das Gewissen und die
moralischc Freiheit, nach welcher er der sittlichen Anlage in seincr
Brust zu folgen verniag: die Würde der mcnschHchen Natur, die in
diesen sittlichen Ticfen wurzelt die UnsterMichkeit,deren der Mensch.
so er das Gute will, gewi6 sein darf; endlichdas Reich Gottes als Aus
druck der Sotidaritât des Guten, Heiligen,Seligen in der Welt und der
Sicherheit seines Sièges in fortschreitender Entwit'ktung: dit'sc Fbcr-
zeugungen umsrhreihen <'ineder groBen ~!o~!ichkt'iten d<-rWpttan-
s''hauun~. in denen der Mpns<h seinoSt<ung im t ~ni\'<*rsu!nzu prfa<:st'n
~/tF&M~ der <~M<t~H~<~&ih<~ ~43
vermag. Neben dem wissenschaftlichen Positivismus und dem objek-
tivenIdealismus, der sich in der pantheistischen Lebensauffassungvoll-
endet,steht sie als ein dritter, gleichwertiger Typus. Jeder dieser Typen
umfaBt eine der Seiten unseres LebensgefuMs, die in der Natur des
Menschenund seiner Stellung zum Wirkiichen gegrundet sind. Nie
wird der menscNiche Geist in einem allgemeinguMgen System diese
Wirklichkeitund seineStellung in ihr wissenschaftlichbegreifen kônnen.
Aberindem das geschichtiiche BewuBtseindas Recht einer jeden dieser
Weltansichtenerfat~tund zugleich erkennt, wie eine jede von ihnen nur
in einer Bildersprache eine Seite in dem Verhâltnis unserer inneren
Lebendigkeitzu der Welt ausdrückt, blicken wir durch die Symboleund
Begriffein die Tiefen des Zusammenhanges, zu welchem unser Dasein
mit der Natur verknüpft ist. So eignet jeder dieser Weltansichten ihre
besondere Macht und Wirkung. Unter ihnen ist der Idealismus der
moralischenFreiheit zweifellosdiejenige, welcheden glücklichsten Ein-
ftu&auf die sittliche Bildung des Einzelnen, auf die moralischen Krâfte
der Staaten und auf die Erziehung der Menschheit besitzt. Und auf
dieser Weltanschauung beruht das Christentum.Sie dnickt sich in der
Bergprcdigtund in den Gleichnissen Christi aus. Die Natur und die ein-
einfachenFonnen menschlichen Daseins, wie sie der Vater in seinem
Hause, der Sâemann, der ûber die Fluren hingeht, die Fischer am Sec
darbieten,wurden ihm zu Symbolen der friedlichen, unerschütterlichen
Verhâltnisse,in denen der Mensch zu dem Vater im Himmel und einem
gôttlichenZusammenhang der Dinge steht. Diese Weltanschauung er-
langtedann weltgeschichtlicheMacht, indemsiedie einfachsten, mcnsc!t-
]i(h wirksamsten Ergebnisse der alten Kultur in sich sammelte: die
t~ricchischenIdeen von einer gottHchen Vemunft, einem Logos, derr
in der religiosen Offenbarung wie in dem philosophischen Denken
wirksam ist, und die romischen Lebensbegriffe von den mit uns ge-
burencn Anlagen zu sittlichem und religiosem, weMichem und staat-
lichemDascinund von dem Zusammenhang der Pflichten, der aus ihncn
entspringt.
Loste man aus dem Christentum den Dogmenglauben und jede Art
von Plagie des Kultus und der Zeremonien, so schienen, wie aus einem
Schutt, die klaren, reinen und dauernden Liniendieser Weltanschauung
hervorxutreten.~!an kônnte die Geschichte des Rationalismus von den
Tagcn des Erasmus ab denn der Rationalismus ist ebenso ait wie
Lutheroder Calvin darsteUen ats den Verlaufder Arbeit, in welcher
die Schichten der Dogmatik, wie sic sich historisch gebildet hatten,
nacheinanderwieder abgetragen wurden. GewiR liegt zwischendieser
Weltanschauungund der Summe der christlichen Legenden und Dog-
mcn das eigcntümlichc und als GeschichtHchesunergründliche Edeb-
'44 /~<~fA der Cr~ und die <
nis des Urchristentums, das eben durch seine UnfaBlichkeit und die
Paradoxie in der Mischungseiner Züge das Gemüt an sich zieht. Dies
zu erfassen, war die lange Arbeit des nachkommenden geschichtlichen
BewuBtseins. Das Personliche,geschichtlich Bestimmte dieses Er!eb-
nisses mit der Forderung von einer universalen Geltung der reHgiësen
Wahrheit in Einvemehmen zu setzen: das ist das Problem, an dem seit
Schteiermacher und Hegel unser Denken sich abarbeitet. Das rührt an
die letzten Geheirnnisseder Geschichte sie lagen diesem t8. Jahr'
hundert fcm. Es hielt sich an die klaren Wahrheiten, die es ais aUge-
meingûltig begründen zu kônnen glaubte. Es verstand schlieBlich nur
sich selbst und was seiner gedankenmâBigen Art war. In ihren festen,
deutlichen Begriffen hat doch diese protestantische Aufklârung dcn un-
vergânglichen Gehalt des ChristentumserfaSt. Und als der "alles zcr-
malmende Kant" die metaphysischenDemonstrationen für den person-
lichen Gott, die moralische Freiheit und die Unsterblichkeit aufloste,
!tat er nur in dem moralischenBewuBtseinder Verantworttichkeit den
tiefsten Grund aufgedeckt, aus welchem diese Oberzeugungen xu aUcn
Zeiten im Gewissen der Menschensich al.s Postulate wieder aufbauen
werden. Und mit ihm waren im Einverstândnis die anderen Vertreter
dieser Weltansicht, Jacobi, Fichte, Wilhelm von Humboldt und (ler
Gewaltigste unter ihnen, Schiller. Das also war das groBe positive
Werk, das die deutsche Aufklârung verrichtet hat.
Aber diese Weltanschauunglag seit den Tagen der Vâter und Apo-
togeten in cinem ungeschlichtetenStreit mit der Lehre von einer parti
kularcn Offenbarung, von den gottUchen Pcrsonen, von Erbsünde und
Gnade. Und nun vollzog sich von dem /M/<7/<w derTheologen wie
Ernesti und Mosheim und der hohen (*eist)ichen wie Sack und Jerusa-
lem bis zu SchrittsteHern wie Reimarus und Paulus und Geistlichen
wie Tet)er und Zôllner die Lostôsung dieser Dogmen von der Wettan.
schauung, welche ihren Hintergrund bildete. Eben was dieser Welt-
anschauung jetzt ihre Kraft erhohte, daB nunmehr die Weisheit und die
Gûte der Gottheit in der unverbrûchUchenOrdnung, in der woMtâtigen
Notwcndigkeit einer von erkennbaren Gesetzen der Natur regierten
Welt begriffen wurden: das machte die nachtraglichenEinmischungen
dieser Rach GesetzenwirkendenGottheit in den Lauf der Welt unglaub.
haft. Eingriffe, die in einem Winkel dieses Universums stattgcfundcn
haben soHten. und derenwunderhafteNatur aus den Begriffen von cincr
affektiven, in sich bewegten, in Einzethandiungen wirksamen Gottheit
stammte. Die histonsche Kritik zerlegte in Semler, Michaetis, Reimarus,
Lessing, Spittler und Planck die Traditionen uber die Geschichte ts-
raels, die Einfuhrung des Christentumsund die Ausbi!dung der katho-
liscttt'n Kirche. nie mora!ischt'Kritik bcstritt aus dem HcwuBtseinder
jP~.<4<{/KtMM{~
/?<MM '45
sittlichenWürde und Autonomie die Uogmen von Erbsünde und Gnade
und den spezifischen Wert der Kultushandiungen.
Das Meiste,was damais vor der historischenKritik zusammenbrach,
istam Boden gebtieben. Und ebenso ist nichts von dem, was das mora-
lischeBewuBtseinin Lessing und Kant von dem christlichen Do~men-
kreis zerstort hat, einer dauemden Restauration fâhig gewesen. Die
Umwâtzungder Theologie, welche Schleiermacher, Hegel und die histo'
rische Schule herbeiführten, erwies sich nur haltbar in bezug auf das
tiefere Verstândnis der religiôsen Prozesse, in denen sich dic christ-
licheGlaubensweitgebildet hat, und auf den dauemden religiôsenWert,
welcher denselben zukommt. Und selbst die Einsicht, daB sich hier
aus den unergrûndiichen Kraften der moralischen ï'erson und ihres
schaffendenVermôgens geschichtliche Symbole ewiger Wahrheitenbil.
deten, ist in Kants Religionsschrift schon enthalten. So ist die theolo-
gische Kritik der Aufklarung schlechtierdingsdie Grundlage für die
historische Gedankenarbeit des to. Jahrhunderts. Wie l)âtte auch der
Gedanke der Entwicklung oder die Methodeder Vergleichung auf die
Schôpfungendes menschtichenGeistes angewandt werden konnen,wenn
man fortgefahren batte, in die Mitte der Geschichte die hôchste Stufe
des menschlichen Daseins zu verlegen und sie als ein Cbermensch-
licheszu denken? So darf die Hârte, mit welcher Niebuhr, die Grimm,
Hegelund Ranke sich von dem theologischenRationalismus abwandten,
nicht darüber tàuschen, daB sie in der historischen Kritik die Nach-
folger von Semler, Lessing und Spittler und in der Erfassung des Ewi-
gen in der Gestalt des Geschichtlichen die Schüler von Lessing und
Kant waren.
In dem Staate Friedrichs empfing diese reîiglose Aufklârung einen
regimentalen Charakter. Sie trat unter den groben Gedanken (ter
Erziehung des Volkes, mit welchem Friedrich sein PreuBen crfülltc.
Der Idealismus der moralischen Freiheit besaB in sich die Macht, eine
solche Erziehung des Volkes zu vollbringen. Sie wurde in den edelsten
\'ertretern dieserAufgabe zumSelbstzweck.Man begann in der geistig-
sittlichen Bildung der Einzelperson nun auch in Deutschland das Ziel
aller Anstalten der Kultur zu erblicken. Wie Lessing in der Religion das
gtoBe Werkzeug der Erziehung des Menschengeschlechtessah, so dach-
ten Friedrich und sein Zedlitz den Staat als Erzieher. Und mit ciner
rechtschaffenen Cberzeugung, deren inneres Feucr ihn bis in das
hôchste Alter durchglühte, hat Kant die Entwicklung des Menschen
xur Mundigkeit durch Aufklârung und Erziehung als Zweck alles prak-
tischen Handelns im Staate aufgefaBt. Nicolai hat in seiner Deukrede
auf Teller in der Akademie ein glânzendes Bild entworfen, wie an dieser
Arbeit die Minister Munchhauscn und Zedlitz mit den im Obcrkon-
ni)tht;,(,<'<.m)mc!t<'Sfhriftn)!n to
/~<~<-A C~ ~</ O~/A-~ ~«i~/<i~~
t~6
sistorium wirksamen Mannern, Sack, Diterich, Spalding, Irwing, Bu-
lamals die
sching und Lamprecht, zusammengearbeitethaben. ,,Es war
Zeit der scMnsten Blüte der schônen Regierungszeit Friedrichs des
GroHen. In allen Zweigen der Regierung herrschte cin allgemeiner
sehr lehrreich sein,
eifriger Trieb zur VervoHkommnung.Es würde
die verschiedenen Charaktereund Handlungsweisender edlen Mander
zu schildern, welche damais das Oberkonsistoriumausmachten und bei
aller Vprschiedenhptt mit so inniger Einigkeit zur Befôrderung des
Gutcn arbeiteten." Indem die Aufklârung dem Kultus und den Zere-
monien jcde übersinnlich magischeWirkung aberkannte, trat die Macht
der christlichen Religiositât gleichsam in die Unsichtbarkeit zurück.
i )(;rProtestautismus war dieserAufklarungdic Seele des Staates, die alle
seine Organe mit einer einnwtigeti idealen, moralisclicn Kraft durch-
Wirksamkeit.
dringen solite: überall gegenwârtig,in ciner rein geistigen
In dieser moralischen Auffassungdes Christentums, verbundcn vielfach
mit schlichtem alten Glaubenoder mit den neuen reUgiôsen Ideen von
Fichte. Jacobi, Schleiermacher,!ebten Friedrich Wilhelm III., Stein,
Humboldt und die groben Führer der Befreiungskricge. Sie durch-
drang alle Klassen der Bevôlkerung,und als die tuUitarisch-poUtische
Volk
Organisation unseres Staates zusammenbrach, hat sic unserem
die zâhe Kraft des Widerstandesund den einfachen, frommen Glauben
verhchen, mit dem es seineSôhne in den Tod schickte. Sie war nicht
blot~c Theologie, sondem eine neue und eigene Stufe der christlichen
Religiositât.
Nichts CroSes ist ohne Grenzen und ohne Schatten. Diese mora-
lische Religiositât der Aufklârung hatte in der letzten 'l'iefc des re)i-
giôsen Gemutcs eine Schranke,über welcheerst Kant hinausgt'schrittcn
ist. Das ideat der Kuttur, wie es im <7.Jahrhundert in Leibniz seine
\oHendete Reprasentation gcfunden hatte, war im Gcgcnsa.tx zu d~r
Weltabwendung des â!teren Christentums und im Einverstândnis mit
déni naturwissenschaMichenGeiste entstanden. Es stand zbgleich in
Xusammenhang mit den praktischenZielen der emporstrebendcn nafio-
nalen Staaten. Es war utilitarisch,d. h. auf Woh!fahrt und Nutzen ge-
richtet. Die groSen MoralistcnEnglands von Shaftesbury bis Adam
Smith finden in dem sittlichen BewufAtseinals dessen Icbenftige und
~-fuh~kraftige \'oraussetzung überall die Sympathie und das Intéresse
an der allgemeinen Wohlfahrt. Leibniz und die deutsche Aufklârung
erhtickcn einmutig in dem Streben nach Entwicklung, \'o!tkommen-
heit und Glucksetigkeitdie Bewcggrunde des sittlichcn Handetns. Dies
ist der Horizont, in welchemdie Theologie der Aufklârung bis auf
Kant eingeschlossen bleibt. So reicht sic nicht bis in die Ticfc des
Christentums, welches jenscit jeder Art von Verband und Zusammcn
und &A<t~M
Cr~Mrow '47
leben den Menschen in seiner Relation zu der gôttlichen Persônlichkeit
erfaBt: einsam, wie er dem gottHchen Gericht unterworfen ist, und wie
er sterben wird. Und in der Enge des deutschen Lebens cmpfing dieses
utilitarische Ideal einen Zusatz von gemeiner Nützlichkeit. Bis dann
Kant die sittliche Person wieder losloste aus jeder Beziehung zu dcn
endlichen Kulturwerten.
Aus demselben Kulturideal entsprang eine andere Grenzein diesem
rcHgiosenBewuStseniderAufklarung. Der Fortschritt und die Solida-
ritat der allgemeinen Wohliahrt~warcn in ihm auf die aUgemeinguItige
Wissenschaft gegründet. Sein Charakter war Intellektualismus: jeden
Wert des Lebens wollte es in Denkprozessen befestigen. Die aUge-
n~cineWohlfahrt ist das Ziel, und die Aufklàrung zu deutlichen Bcgrif-
feu überall das Mittel. So soll auch die Retigiositât zu diesen Hcgrrffen
erhobenund in ihnen begrundet werden. Der Idealismusder PcrsonHch-
keit und der moralischen Freiheit schien diesem Zeitalter fâhig, cinc
solche I3egründung durch reine Vemunft zu erfahren. Bis dann Alles,
was in der Tiefe der Person und in den groBten religiôsen Erschei-
nungen der Menschheit von Unergründlichem, Gemûtsgewaltigem ge-
k'~cn ist, als Gegeninsbmz sich geltend machte: als eine Wirklichkeit,
die stârker ist als jedes Rasonncmcnt. In der ruhigen Sicherheit, die
aus diesen festen Begriffen ftoB, lag die Kraft dieses Standpunktes;
sie wurdc verstarkt durch sein gesundes Verhâ!tms zum Leben, durch
seine Xâhe an die Bedurfnisse des Volkes. Aber er war unfâhig, das
Recht anderer Weltansichten anzuerkennen. Und in PrcuBen erhielt
dicse stcifnackige Oberzeugthcit von der eigencn Weltansicht und der
eigencn Person noch einen besunders unangenehmen Zusatz durch tien
Bcamtcncharakterder Geistlichen und der Gelehrten jcncr Tage. Die
Suatsautoritât der Kirche tritt in den Sack und Spalding, den *rc)!er
und XôUncrals Bindung des freien Geistes unter eincr rechtlich gcord-
ticten Autoritât hervor. Es war der k!ag!ichste Beweis hofischer Unter-
wurfigkeit, daH diese Beamten Gottes den Doppelehen Friedrich Wil-
hetms Il. ihren Segen gaben. So litt das Christentum Schaden an der
guttlichen Freiheit des Geistes, der hoch über den einzcinen Staatcn,
ihren Kuhurzwecken und ihren gesettschaMichen Abstufungen in unge-
hundencr Kraft wirken soll. Bis d:mn Sddeiermachers Rt'dcn ubcr
Religion in radikater Energie die Rechte des religiôsen Bcwut~tscins
wi cderherstellten.

Dic Berliner Akadcnmet~atfür die deutsche Aufklârung eine Arbeit


~etan, durch die sie in deren Geschichte eine wichtige Stelle einnimmt.
Ein zà!tc~,kontinuiujrlichcsWirken, das ein Jahrhundert umspannt, von
'h'n Tn~t't) ihres (.r!in<!prsLeibniz an, bis dann dicse Auiktarung in
t0*
t~8 /rM</n'f~<r die </<'«/~<'~f~Aïw~
Cf~f MMof
Altersschwachc dahinstarb. Diese Akademie war die feste Burg des
theologischen Rationalismus. Wenn in Halle dieser Rationalismus sich
in einer wissenschaftlichenTheologie entwickelte, wenn von dort her
wieaus dem Kônigsberg Kants all die aufrichtigen, sittlich festen Land.
geistlichen kamen, welche mit den klaren Gedanken von der gôttlichen
PersônUchkeit, der moralischen Freiheit und der Unsterblichkeit bis
in die letzte einsame Landpfarre die Bevôlkerung durchdrangen, so
sammelten sich in der Akademiedie leitenden kirchlichen Beamten, die
regierenden Pâdagogen und die Aufklârungsschriftsteller. An diesem
weithin sichtbaren Ort behauptete der Rationalismus seine Autoritât,
der hereinbrechenden Reaktion gegenüber, solange noch irgend Leben
in ihm war.
Die Theologie als solche war von der Akademie ausgeschlossen.So
nahm diese keinen Anteil an der historischen und moralischen Kritik
des Dogma. Nur in den Gedâchtnisredenauf hervorragende Geistliche
oder Theologen bot sich ein An!aB,diese Grenzezu überschreiten, und
besonders Nicolai hat diese Getegenheit, in den heiligen Raum der
Théologie eitMubrechen,grùndiichbenutzt. FurtheologischeForschung
selber war hier keine Stelle. Noch Schteiermacher hat die theologi-
schen Untersuchungen, die er nebenan in dem Universitâtsgebâudc den
Studierenden darlegte, niemals in den Raumen der Akademie berührt.
Bis dann t83p August Neander eintrat. Heute, wo die Kirchenge-
schichte ihren Platz unter den anderen historischen Wissenschaften ein-
genommen hat und die Entdeckung von Bruchstucken altchristlicher
Urkunden das allgemeine Interesse aller Historiker auf sich zieht, be-
steht kein Unterschied mehr in der Berliner Akademiezwischenkirchen-
geschichtlichen und irgendwelchcnanderen Forschungen historischer
Art. Môchte bald auch die allgemeine KeHgionsgeschichteeinen Ver-
trcter in ihr finden.
Anders stand es mit der positivenphilosophischenBegründung die.
ser Religiositât der Aufklârung. Sie bildete den bestândigen Gegen-
stand der Arbcit in der philosophischenund vielfach auch in der lite-
rarischen Klasse der Akademiedieses ganze Jahrhundert hindurch. Die
bedeutenden Leistungen kamcn ihr zu gut, die damais diese Kôrpcr
schaft in der philosophischen Einzelforschung aufwcisen konnte.
Die Einwirkungen der Berliner Akademie auf die philosophische
Wissenschaft beruhen bis in die zweite Ha)fte des !8. Jahrhttnderts
hinein auf der Verbindung der Philosophie mit der groben mathcmati-
schen Naturwissenschaft.Hier straMen die Nameneines Leibniz, Euler,
Maupenuis, d'Atembert, Lagrange und Lambert; von hier empfangt
in dieser Periode die Akademie für ihrc philosophischen Arbeiten die
entscheidendc Richtung. Sie crurtert die von Leibniz aufgfstct!tcn Prin-
~/Aw~Mtf~ der ~<!<~M& '49
der
apien der Natur. Sic führt die Untersuchung der Voraussetzungen
mathematischenNaturwissenschaft tnit den Mitteln Lockes weiter.Aus
ihremVerhâltnis zu Leibniz entsprang, daB sie die kritische Stellung
desselbenzur Au&enwettin ihren hervorragenden Kôpfen fortbildete
und so Kant an wichtigen Punkten vorbereitete: Maupertuis naherte
sich von Berkeley aus der Lehre Kants von der Phânomenalitat der
AuBenwelt,Euler wurde in der kritischen Auseinandersetzungmit Leib-
nizzu einer tiefen Untersuchung über den Raum geführt, und.Lambert
wirktedurch sein ,,neues Organon", das 1764 erschien, gerade in den
der
Jahren der mâchtigsten Gârung in dem Geiste des Begrunders
kritischen Philosophie erheblich auf diesen ein. Am deutlichsten er.
weistsich die Fruchtbarkeit der damais in der Akademie herrschenden
Verbindungder Philosophie mit der mathematischen Naturwissenschaft
inden bestândig fortgesetzten Bemühungen der mathematischenKlasse,
das Gebiet der Messung auszudehnen auf den Bereich der geistigen
und gesellschaftlichenTatsachen. Maupertuis versachte, die Rech.
Mngin die moralischePhilosophie einzuführenund auf die Problèmedes
hôchstenGutes und des menschlichen Glückes anzuwenden. Merian
nahm t766 in der Abhandlung über die Dauer und die Intensitât von
Freude und Schmerz diese Fragen wieder auf. Er gelangte zu dem
mdancholischen Ergebnis, da& der Schmerx an Dauer und ïntensitat
die Lust im Menschenlebenüberwiege, daher niemand seinen Lebens-
weg noch einmal durchmachen môchte: "wir lieben alle das Leben im
allgemeinen,für unseren persôntichcn Lebenslauf aber haben wir keine
besondereVorliebe." Er hat dann diese Betrachtungen fortgesetzt und
legte, was er niedergeschrieben, Beguelin vor. Indem dieser diejeni-
genLebensmomenteberü.cksichtigte.welche den einfachen Zustandvon
WoMsein enthalten. ohne ausgeprâgten Lust- oder Unlustcharakter,
gelangteer zu einem gunstigeren Ergebnis über das menschlicheGluck.
Dannhat Meriandies Problem noch einmal behandelt und die Momente
der Dauer unserer Gefühle, ihrer Intensitât und ihrer Anzahl zu einer
Bilanz ùber das menschliche Lebensglück zusammenzurechnenver-
sucht. So lebhaft ist damats schon das Problem behandelt worden, in
dessen Auflosung die Entscheidung über Pessimismusund Optimismus
gelegen sein wurde wenn sie moglich wâre. In derselben Richtung
lagen die Untersuchungen über die Sinneswahmehmung, welche der
AkademieMerian in seiner damais vielbesprochenenBehandtung des
Problemsvon Molvncuxund vor allem Lambert vorlegten. Und ebenso
enthalten die Memoiren der Akademie Versuche. welche von Leibniz
zur modernen mathematischen Logik hinüberführen. Auch hier treffen
wir auf Lambert als den klassischen Reprâsentanten der Verknüpfung
der Philosophie mit der mathematischen Naturwissenschaft.
T.~0 /~&<~7r/i <T~~ ~M/.f~f ~t~

Johann Heinrich Lambert war cin Kisâsser von Gcburt; von den
SchweizernSulzer und Euler war er nach Berlin gczogen wordcn. Wie
cr dem Kiinig aufgedrungenwar, ist er ihm immer fremd geb!iebcn. Er
wâre überall ein einsamer Mann gewesen. Cffen bis zur abweisenden
Rauheit, von hôchstem SeibstbewuCtsein,das sich doch in der Welt
nicht geltend zu machen wuBtc, stand er nicht nur den geringeren Mit
gliedern der Akademie fremd gegenüber, selbst Lagrange vermochte
nur schwercin nâheresVerha!tniszu ihm zu gewinnen. Er war von kind-
lich reinem Charakter und hatte kein anderes Bedürfnis als das nach
der Mu6e für die Tâtigkeit seines Kopfes, der unablassig wie cine Ma-
schine arbeitetc, die nur schwer zum Stchcn zu bringen ist. Keincn
andem Ehrgeiz inmitten so neler Streber in dieser Akadcmic ats den
groBer Lcistungen. Sein Geist verfuhr so methodisch, daB er jcdos Er-
cignis des hâuslichcn Lebensgenau so nach Regcln behandcîte wie die
Probleme seiner Wissenschaft.Er war der Logiker der Epoche. Er um-
faGtc Mathematik, Astronomie, Phy-ik und Philosophie, und wenn cr
auch in keiner dicser Wissenschaftenden Ersten gleichstand, so v.ar
cr doch chen durch den uni\'ersa!enGeist, der sie âne verband und for.
derte, und durch das methodische HewuBtsein. mit dem er sic alle
durchdrang. der echte Reprâsentantder Akademie von Leibniz, in dcn'n
\'erband sein ganzes spateres Leben verlaufen ist. Es ist etwas Tragi-
sches in der kurzen. einsamen, ungcstum vorwartsdrângenden Lauf-
t~hn des genialen Mannes. Aneseine Arbeiten Bruchstucke eines um.
fassenden Planes, zu umfassend.um durchfuhrbar zu sein. ~Jnter ihrcr
ï-ast ist er früh xusammen~ebrochen.Aber auf dem Wegc. den er durch-
rnessen hat, lagen dorh !)edeutende Entdeckungen. Er steht ncben
d'A!embert. wie Leibnizne!?cnIfobhes, als der Vertreter der deutschen
(~eistcsrichtung. Aus dem Schein, in dem wir leben, will er die raum-
xcidiche Gesetziichkcitdes Wirkiichen ableiten. Es sprüht und funkdt
in ihm von genialen Entwurfen, die aile auf dem Wege zur Auftosung
dièse:; ProMcms liegen. Das Studium der wissenschaftlichen Zcichen,
der !og)S(he Ka!kuL die Agathometrie, die Wahrscheinlichkeitslehre: r
überall h~ndett e" sich hier um Mitte!, xu quantitativ bestimmbaren Re- i
!ationcn zu gelangen. !n der VerMgung sotcher Fragen hatte er fast
roch ats Knabc das mecham'-rhe't'heorem gefunden. das seinen Namen
tragt. In derselben Richtung !iegen die von ihm geschaffene Photo-
metric, sein Aperçu ut)c' die Vcrfas'.un! des Fixstcrnh)mme~sund seine
erst in unseren Tagcn \o!t gewurdigte \'erhesserunK der Kartenpro- c
jcktion. IInd in diesem Zut-ammcnhangentstand auch seine Untersu-
chung des psycho~o~i'-chen Scheinesin unsercn Sinneswahrnehmungen. L
Wie er hier die Ândcrunpender Reize mit dt'nen der Empfindung ver-
gleicht, ist er den psychnin~i'-chenProbtemen Fechners auf der Spur.

1
ftt~A'r/ 151
AtJps ist in seinem Geiste heherrscht durch einen hochsten philo-
sophischenGesichtspunkt. Von dcm Schein, der von der physischen
Wettsich erstreckt in das Geistige, will er sich durch logischc Analyse,
Beobachtung,Messung und Experimcnt den Weg bahntn zu dem, was
ist. Und er findet nun hierzu erforderlich, das Erkenntnisvcrmôgen
selbstzu crkennen
In der Lôsung dieser hochstcn Aufgabe des menschlichen Geistes
geht Lambert einige wichtige Schritte mit Kant. Auch seine Methode
ist, wie die Kants, nicht psychologisch, sondem in stren~erem Sinne er-
kenntnistheoretisch. Er ïergtiedert die Wissenschaften, um ihrc ein-
fachen Voraussetzungenauszuliisenund dicGri!nde ihrerGuMgkeit auf-
msuchen. Und wenn er in der Kenntnis der mathematischen Natur-
wissenschafteneinem d'Alembert und Lagrange weitaus nicht gewach-
sen war, so lag doch hier seine Oberlegenheit über Kant. Mit diesem
war er dann auch in der crkenntni~theorettschcnVortussetzung einig.
Denn auch er betrachtete aïs die wichtigste Aufgabe der Erkenntnis
khrc die "Theorie von den Formatursachen". Die gegebcncn Erfah-
rungen und Erkenntnisse müssen zerlegt werden in ihren Inhalt und
ihre Form. ïhr lnhalt entspringt aus den Erfahrungen. Dagegen liegen
die Grunde der Fonn unscrcr Erfahrungen und Erkenntnisse in uns
selbst,und dièse sucht er in seinen zwei groGen philosophischenWerken
aufzufinden.So ist er sowohlin der I.ehre vom Schein, von den Ulusio.
nen und Widersprüchen des men<-cMichenGeistes a!s in der von den
apriorischen Elementen in uns der Vorgânger und der Rivale Kants.
Aber von hier ab trennen sich ihre Wege. Wenn die Funktionen
der Anschauung und des Verstandes in den Bedingungcn des BewuSt-
seins gegründet sind, so hesteht kein Grund, sie aïs Bestimmungendes
WirkHchenselbst gelten zu lassen: so schUcCt Kant, und so entspringt
ihm sein kritischer Grundgedanke, da& Anschauung und Denken des
Menschenihr Gcsetz den Erscheinungcn vorschreiben. Lambert folgt
diesemFluge Kants nicht. Er verbleibt in den Schranken von Locke und
Leibniz. Er hait an der Vorausset~ungder Metaphysik fest. da& die in
dem Denken gelegenen Bestimmungen mit denen des WirkHchen in
<hercinstimmungseien. Die SinnesquaHtâtensind subjektiv. Der Raum
ist rntweder der symboUschcAusdmck der erhaltnisse des Wirklichen,
nder er mag selbst WirMirhkeit sein: aber die Formen der Verknüpfung
im Denken. wie die Ontologie sie umfa6t. sind Grundbestimmungender
Wirklichkeit.
Auf dieser Grundlage wird nun für ihn die Aufgabe auftosbar, sich
durch philosophischeAnalyse den Weg vom Schein zum Sein xuhahnen
und diesen Weg srhHeRend, messend und rechnend zu durchlaufen.
Ï')cnnauch darin ist er Rationalist im Sinne des t7. Jahrhunderts und
/-fwoMrAder C~9< <&M<t<~
~~A!Mf~
zugleich doch, wic er Leibniz mit Locke zu vcrknüpfen strebt, Fort.
setzer der Linie, die von Hobbes zu d'Alembert und zum Positivismus
geht, daB er durch quantitative Bestimmungen die AMgemeingu!tigkeit
des Denkens zû sichern, daB er das Reich der Messung und Zâhlung
zu erweitern strebt. Seine eigenstenphilosophischen Erfindungen lagen
sonach in seiner Lehrc vom Schein und der Wahrscheinlichkeit, in
seinem Anteil an jenen Bemùhungen, die Messung in das Gebiet der
Werte einzufuhren. in seinen Einsichtenin die Relatitritat nnserer sinn-
lichen Auffassung und darin, wie er der Abhângigkeit der psychi-
schen Vorprange von den physioJogischennachgeht. Er ist der Vor.
kâmpfer in a!I der Arbeit gcwesen, welche darauf gerichtet ist, in die
Philosophie so viel Naturforschungund in das Studium des Gcistes so
viel Messung und Rechnung als moglich hineinzutragen. Seine Tatig.
keit ist hierdurch dem verwandt, was SuBmitch. der Begründer der
Statistik, in der Akademie geteistet hat.
Die Grcnze Lamberts,verglichen mit Kant, lag in seinem Dogmatis
mus. Die beiden trugen sich bis in ihre mânnnchen Jahre mit lebhaften
Hoffnungen dessen, was sie einander sein kônnten. Lambert fand an
dem, was ihm die Berliner Akademie an geistigem Austausch bot, kein
Genugc. Er dachte emstlich daran, zwischen den Philosophen, die zu.
gleich Mathematiker und Physiker seien, ein Bündnis herbeizuführen.
Eine Sozietât echter Philosophen sollte entstehen, und in einem ge-
meinsamen literarischen Organ so!Itesie sich zur Geltung bringen. Und
zwar wollte er sie sich aus ganz Deutschland zusammensuchen so
wenig ~ûh!tc sich sein unlenksamer, eigenwilliger und selbstbe%vubter
(~eist von den Mannern befriedigt. die ihn in die Akademie gezogen
hatten und nun in Berlin umgaben. Aber die Verbindung zwischen
ihm und Kant rnuBtesich !tisen,als nun t/~o die Inauguratschrift Kants
erschien. welche das Programm der kritischen Philosophie enthielt:
die Einwande I.amberts zeigten Kant, wie fem sie einander standen. Er
!a6t s!ch durch Herz entschutdigen. daB er Lambert auf dièse Ein-
wânde noch nicht geantwortet hahe kein Brief mehr ist da, der von
der Fortdauer ihrer Verbindung sprache. Nichts vem'irkHchtcsich von
dcn PIanpn Lamberts mit anderen Philosophen. und in der alten. ein
samenHast der Arbeit verliefendem .erro&tendeutschen Rcprascntantcn
der Philosophie in der Akademiedie noch übrigen siehen Jahre soncs
Lebens.
Dies war der Charakter der PhHosophiein der Akademie bis über
die Mittc des Jahrhunderts hinaus. Sic vcrknupftc I.cibni.:mit Newton.
und ihr Prasident Maupertuistat mehr als ein anderer für die Einfüh.
run~ Ne~nns in Deutschland. Sie verband Wo!ff mit Locke. Sic war
cktektisch. Aber der Gesichtspunkt. von dem aus sie diese Denker
.V~<y~/M~Mf~ /!W<MMM '53
zu vereinigen suchte, crgab sich aus dem Wesen der Akademieselbst.
aus der Verbindung der Philosophie mit der Naturwisscnschaft,die ihr
von ihrem Ursprung her eigen war, und dies gab ihrem Wirken sein
Geprage. Die Bedeutung, welche Maupertuis, Euler, Lambert fur Kants
Entwicklung hatten, wird sich vielleicht einmal bestimmter abschâtzen
lassen,wcnn die Fûlle der Handschriften in der Kant-Ausgabeder Aka-
demie geordnet vorliegt.
Und auch ein zwciter Strom von Wirkungen, der von der Akademie
ausging, hat das Lebenswerk Kants erheblich bedingt, und er ist zu-
gleich darüber hinaus von eingreifender Bedeutung für die Ausbildung
unserer gesamten Literatur gewesen.
ïn der zweitenH&lftcdes Jahrhunderts breitete sich in Deutschland
imrner starket der Geist der psychologischen Analyse aus. Diese war
in England von den Arbeiten Hutchesons bi~ zu denen von Hume und
Adam Smith zur grôBten Feinheit durchgebildet worden. Sie war hier
mit dem Studium des Menschen in der GeseUschaftund dem Staate
verknûpft. Zugleich lehrte Rousseau das Seelenlebena!s tâtig, schopfe-
npch,sonach einheitlich auffassen. Seine Beschaftigungmit demSeelen-
teben stand im engsten Zusammenhang mit dem Problem einer natur.
~emaBeren Kultur, das den Mittelpunkt seiner Lebensarbeit bildcte.
Aïs man sich nun auch in Deutschland der Beobachtung,Beschreibung
undZergliederungdesSeelenlebens zuwandte. fand sich diesesStudium
hier vom'iegend von dem Interesse an dem Innenleben der Person.
an den subjektiven ï.ebensauBerungen des Einzelnen bestimmt. Führte
doch diese deutsche Gesellschaft cin nach innen gerichtetes Dasein.
Dicses psychologische Studium bemâchtigte sich nun auch der Aka-
demie. Der Tod Maupertuis'. das Ausscheiden Eulers, endlich der
Vcriust Lamberts bezeichnen in ihr den attmâhlichen Ausgang jener
a!teren philosophischen Richtung. Immer mehr überwogen in ihren
philosophischenBestrebungen nunmehr die Psychologie und ihre An-
wendungen in der Asthetik und der Morat!ehre.
Mer!an bezeichnet ft~ôo) das neue Ziel aIs die natürliche Ge-
schichteder Seele, die Geschichte des inneren Mcnschen.In der Physik
t'crbergen sich die Springfedem des Geschehens.Diese Betrachtungen
müssenfruher oder spâter den Betrachter xurûckfuhrenauf sich seibst:
es wird cin Moment kommen, in dem er sich mit rberraschung sagen
wird: was bin ich denn. ich, der sich quâlt. zu wissen,was die anderen
Wesensind? welchesist dieser !cb<*ndige Spiegf!, in dem die Natur ihre
Wunder abzeichnet? Dann wird er hinabsteigen in die Tiefen seiner
setbst, er wird sich mit der Ana!yse seiner Tatigkeiten bpschaftigen,
über seine eigene Natur wird er nun nachdenken." ïn diesem Ge-
danken haben aHe Arbeiten des \{e!s<?ttigpnMannesihren Mittelpunkt,
'A4 /W<'A < Cf~ «M<~
<Ak<&<~f<~<'
~<(/X/<t~
mochte er über Humes Phanomenalismusoder uher das Motyncuxsche
Problem sprechcn, mochte er an dcr Tradition von don eincn Hnmcr
Kritik üben odcr an der Geschichte der Poesie die Unbrauchbarkeit
jeder direkten Obertragung von Philosophie in die Dichtung erweisen.
Und aus dem Studium der menschlichen Seele will er dann die Ideen
der Vernunft schôpfen, welche die wahrc Metaphysik ausmachcn. Selbst-
xufrieden hat seine Kritik jedc ncuc grotte Erscheinung behandeit,
die am plulosophischen Horizont auftauchte, Wo!ff, Hume und Kant
nachcinander. Dabei ist immer sein letztes Ziel, die natürlichen Reli-
gionswahrhcitcn zu begründen.
Ebenso wic Merian spricht sich uber die Richtung seiner Arbcitcn
Sulzer aus. Er nennt diese natürliche Gc~chichte der Seelc cine Ana-
lyse, die der des Chcmikers âhniich sei. Der Mensch ist nat h ihm der
gcmeinsame Gegenstand des Künstlers, des Schriftstellers und des
Philosophen, und aus seinem Studium allein kann sich jene Dtszipun
der Seele erheben, welche sie zur Herrschaft über aUe t.ei(lenschaften
erhebt, die dcm Plan des Lebens widersprechen.
Man kann von diesen beiden Akademikern Mendeissohn nicht
sondem, der nur durch das Machtgebot Friedrichs von der Akademie
fern gehalten wurdc. Auch in ihm ist das Neue die über die alten-
Philosophie hinausschrcitende psychologische Arbeltsmethode, mag er
den alten Deweisfür die Einheit dcr Seele psychologisch vertiefen, oder
nut Lessing von psychologischen Hctrachtungen aus die Asthetik und
die literarische Kritik behandein, odcr cndiich mit seinen Frcunden von
<!erAkademie das Problem von den Vermôgen der Seele erortcrn.
!n dicsem Kreise ist die Theorie von den drei Grundkrâften odcr
ermo~ender menschlichen Seelc entstanden, welche die Anordnung
des Kamschcn Systems bcstimnu hat. In dcn Jahren t~~t und t~
las Sulzer in mehreren Sitzungen über den Ursprung der angenehmcn
und unangenehmcn Empftndungen, dann 76~ über die Hauptvermôgcn
der Secle, sich etwas vorzustcUenund zu cmpfindcn, d. h. in unsercr
Ilet;riffssprache, zu fühlen. Er erfaBt die Sctbstândigkeit des Gefûhis:
es sondert sich om\'orstellen durch das ~lerkmat, das im Unterschied
des Angenchmcn und ~nangenehtnen gelegen ist. und dieser Untcr
schicd macht sich dann auch in dcm Gegcnsatx des Schônen und ï!aH
lichen, dcr BiUigunn und MiSbiHigung geltend. Eben um diese Zeit
haben auch die moralischen und âsthctischen Analysen der Englândcr
die Setbstândi~keit des Gefùh~sin diesen beinen verschiedcnen For.
men anerkannt. Dorh ist Sulzer vuti einem andcren Gcsichtspunkt
a!s sic zu seinem Hrgebnis gekommen. lm Sinne von Leibniz geht er
von der Spuntancitat unserer Seele aus, welche sich in der Hervor
bringung von tdcen âubert. IJas Gefühl ist ihm durch die dunkien und
Z~M~ Psychologieund ~y~A~ "M
verworrenenVorstellungen bedingt, und wir cmpfinden in diesem Zu-
stande,gleicbsam auf uns selbst zuntckgeworfen, die Hemomng unse-
rer Tatigkeit als unangenchm, ihre Forderung als lusterregend. So hat
Sulzerden Inteuektualismusnur halb uberwunden. Aus der Verbindung
dieserneuen Lehre vom Gefühl mit der alten Sonderung unseres theo-
rctischenund praktischen Verhaltensentstand die Théorie von den drci
Grund&uCerungender Scetc bei Sulzers Freunde Menddssohn und bei
Tetens, dem groBtcn deutschen Psyehologen seit Leibniz.
An die Stellung, welche Sulzerin dieser Grundfrage der Psychologie
einnahm, knüpft sich cin Vorgang von groBem Interesse. Ausder an-
gegebenen Unterscheidung entsprang die Preisaufgabe über Erkennen
und Empfinden als die Grundkrâfte der Seele. Zweimal, t77$ und
t~6, stellte die Akademic diese Aufgabe, und zweimal bewarb sich
Herder vergebens. Er muBte sehr viel Unbefangenheit von Sulzer
erwarten,mehr als dieser besa&,als er sie einsandte; denn sein Thema
ist der Zusammenhang alles rhysischen und Seelischen im Proze6 der
Entwicklung. So ist diese .\bhand)ung, wic er sie umgearbeitet t/~S
herausgab, cin wichtiges Glied in der Ausbildung seines Entwicklungs-
gedankens, der dann in den ,,Mecn" seine klassische Form erhicit.
Wie weit ab lag das von dem philosophischen Denken Sulzers und
der anderen Richter in der Akademic.
Und wie nun diese Psychologen der Akademie sich in den schônen
Wissenschaftenam meistcr. heimisch fuMtf'n,unternahtnen sie, die Ana'
lyse auf das âsthctisctte Gcbiet ani'uwcndcn. Die meisten von ihnen,
Formcyvoran. haben sich hicrvcrsucht. Su!zer in seiner .,allgemeinen
Theorie der schonen Kunstc" trug den Preis davon. Sehriftsteller und
Pubtikum dicspsZcita!tprs hatten seinWork immer zur Hand. Indem er
die Stettun~ des âsthctischen WoM~efat!cns zwischen der sinnlichen
ï.ust und der moralischen Billigung entwickelte, hat er der Kunst im
Sinne dieses moralischen Rationalismus ihre Stclle bestimmt, und bis
in SchiMerwirktc noch dieser Begriff eme:-Mittteramtcs der Kunst zwi-
schen unseren sinnlichen Affckten und unscrer sittlichen Vollkommen-
heit nach.
Diese psycho!ogischcnund âsthetiïchen Zergliederungen habencinc
bpmerkcnswerteWirkung :mf unsere Literatur geubt. Lessings Dich-
tung ruhte auf einer Psychologie, welche in harten. klaren Linien den
MenschencrfaSte als dcnkpndc Kraft, die sich im Handeln âuBert.Sein
t-ehensideatwar der Adc! des Charakters, der in der Autklarung des
erstandesgegtTindett~t. Eine heUc,scharfc Luft umgibt ihn. ïn Garve,
Engel, Kicolai, Mcndetsso!~n.Moritx umfaBt die psycho!ogischeZer-
gliederung die ganze Breite des empirischen Seclenlebens und versenkt
sich in sein verborgenes Spiel. Die s" entstchende l'ertiefung in die
t g6 der (~~
/~<'</M<'A und die <<W~~ ~M~
Fiillc der scelischen Regungen und ihre leisen Obergânge, in das In-
time, Zarte, Verborgene und dem Tagesleben des Denkens Entzogene
war eine der wichtigsten Vorbedingungen unserer groBen Dichtung.
Denn mehr als irgendein früheres Zeitalter der Poesie hat unsere klas.
sische Kunst in Goethe den stillen, unmerklich fortschreitenden Zu.
sammenhang des Lebens zu erfassen verstanden. Aus dem eigensten
Geiste dieser Epoche der See!enzergtiederungentsprang der deutsche
Mdungsroman. RousseausEmile und Wielands Agathon bereiteten ihn
vor, und dann kam, neben dem Anton Reiser von Moritz, der Wilhelm
Meister: das MassischeVorbild aller fotgenden Dichtungen dieser gro-
Ben Kunstform.
In alt diesen Forschungender Akademie lag eine siegreiche Macht,
die re!i~osc Aufklârung auszubreiten. Ihre Ergebnisse liefen alle in
einem Punkte zusammen.Es war gleichsam eine einzige Weltanschau.
ung, an welcher von Leibnizab die,Akademie arbeitete: die Vertei-
digung der gôtttichen Personalitâtund der moralischen VerantwortUch-
keit des Menschendurch Gründe der Vemunft. Ihr diente der ScMu&
aus der ZweckmâMgkeitder Weltordnungauf einen gütigen und weisen
Schopfer: diegroBenmathematischenPhysiker. voran einLcibniz.Mau-
pertuis und Euler, erhielten ihn aufrecht, und Geister geringeren Ran-
ges, wic Sulzer, verfo!gten ihn bis in die woMtâtige Einrichtung, daB
die Kirschen gerade reif werden, wenn sie zur Sommerszeit am besten
schmecken.Eben diese Weltansichterhielt ihre psychologische Begriin-
dung durch den Regriff einer cinheitlichen.spontanen seelischen Kraft,
wie er von Leibniz gefaBt und von Sutzer, Merianund Mendelssohnaus
gebildet worden war. In dem Kreise der Akademie fand nun der Be-
weis seine VoHendung.der aus den unteilbaren Akten der Wahmeh-
mung, des t~rtcits. des SeÏhstbewuBtscinsauf diese seetische Kraft
scMieBt,die ganz unterschiedenist von den Atomen, welche die Materie
hilden ihm hat noch Lotze unter gewissen kritischen Einschran
kungen einen hcrvorragenden Pbtz in seinem System gegeben.
Diesermoralisch genchtete Rationalismusbestimmte in dem ganzen
Jahrhundert die verschiedenen Philosophen der Akademie, gÏeichvMl
we]cheParteifragen sie sonst trennten. In ihm waren mit denDeutschen
die Schweizcr.wie Lambert, Merian und Sulzer, und die Mitglieder der
franzosischen Kolonie. wie Castillon.Ancillon, Erman und Formey, ver-
bunden. Denn lange ist den schweizerischenund franzosischen Refor-
mierten die \'crknupfung der Rationalitât der geistigen Haltung mit
ehrenfesten Sitten und unentwegtem Glauben an die moralische Wdt
ordnung eigen geMicben.Formey hat einmat über die Zensur gespro-
chen er xch~g damais schon eine vom Kônig eingesetzte Kommission
~on Schriftstc~ernzu ihrer Handhahung vor: er wollte aber. daB jeder
157
HM~- Kant
die Souverâne und die guten
Angriff auf die Autoritât der Gottheit,
der refor-
Sitten durch sie unterdnickt werde. Der Begriff der Zucht in
mierteh Kirchemacht sich hier geltend. Und auch die deutschenGeist-
lichen in der Akademie, bis zur âuBersten Linken inTeller und Xollner,
Kir.
waren moralischeRigoristen und nur allzu geneigt, die Mittel des
chenregimentesanzuwenden.
Die Herrschaft, welche die deutsche Aufklârung in der Akademie
Gebildeten in
hesa6, beruhte vor allem auf der Obereinstimmung der
diesen Oberzeugungen.Und die ruhige Sicherheit, mit der sie diese
Herrschaft übte, wurde gesteigert durch den friedsamen, traulichen und
Aïs dieselbe nun aber zu-
beglückenden Charakter dieser Weltansicht.
sammenstie&mit der neuen Zeit, entsprang eben aus dieser SelbstgewiB-
be-
heit ihr Unvermôgen,die neuen Menschen zu verstehen. Dies kam
sonders in der Polemik gegen Kant zur Erscheinung, welche viele Ab-
voran schritt
handlungen der philosophischen Klasse durchxieht. Allen
der vietgeschâftige, scharfsinnig bomierte Schwab in den Abhand-
die philosophischenJour-
lungen, mit denen er die Akademie ebenso wie
nale versorgte. Den Hauptschlag gedachte man mit der Preisaufgabe
über die ,,wirktichenFortschritte" der Metaphysik zu führen: wir ver-
danken ihr die hcrrUchen Fragmente einer Beantwortung von Kant.
ist ein uferloses Meer, in welchem der Fortschritt keine
..Metaphysik
sichtbares Ziel enthâlt, an
Spur hintedâSt, und dessen Horizont kein
werden
dem, um wie viei man sich ihm genâhert habe, wahrgcnommen
konnte." Kant behielt seine Antwort weislich unvollendet im Pult. Den
Preis erhielt schlieûlich sein Gegner Schwab, wahrend der hervor-
Reinhold. zurückstchen
ragendste unter den Bcwerbern, der Kantianer
mu6te. Das harte Urteil über diese philosophische Klasse, wie es sich
<nKant und denen um ihn her gebildct hatte, zeigt sich in einemBriefe
seines SchülersKiesewetteran ihn, der nun im Briefweehsel Kants ver-
in
ôffcntUchtworden ist: "Sie wundem sich über die Erscheinungen
unserer BerlinerAkademie. Was die auch tun mag, wundert mich nicht
mehr." Es folgt ein Register der Sünden dieser philosophischen Khssc.
die unter den Eingeweihten in Berlin damais in bitterem Spott bespro-
chen wurden. Und wie sie sich dann weiter der ganzen grof3en Bewe-
sich
gung. welchevon Kant hervorgerufen war. entgegensteHte. m~ahig.
die
zu reformierenund von dem, was um sie geschah. zu Jernen, ginRen
Zeit und der Fortschritt über sie hinweg.
/~<~7f~ < ~«~ ~'<M'm~~<~&ff«~

DER STAATALS KRZtKHER

Kein Werkder deutschen Aufklârungistwohitâtiger gewesen, keines


hat so ungeteilte Ancrkcnnung bei der Nachwelt gefunden als die Re.
form der Erzichung.
Auch diese Leistung entsprang aus dem neucn Kulturidcal des
!7. Jahrhunderts und den wirtschaftlichenAufgaben der gro&en Natio-
nalstaaten. Wenn Wissen Macht ist, dann wird die Arbeit des Hauern,
die Tâtigkeit des Handels und der Industrie durch die Vermehrung der
Kenntnissein diesen Klassen gesteigert werden kônncn. Die r<:gierendcn
Stânde werden mit der Kenntnis des wirtschaftlichen Lebens und der
Verwaltung die Fâhigkeit verbinden müssen, zu reden und zu schreibea,
in der vorherrschenden franzôsischenSprache sich auszudrückcn und in
den neuen gesellschaftlichen Formen sich mit Freiheit zu bewegen. Die
Erziehung der Lehrer und Geistlichen wird sich ebenfalls dcn neuen
Verhâltnissen anpassen durch Verbesserung der Methoden des klassi-
schen Unterrichts und durch Erweitcrung des Gesichtskreises über
Natur, Geschichte und Leben. Wie dieses 17.Juhrhundert in dem
groBen BcwuBtscinlebte, daB die neugeschaffcne Erkenntnis von dem
gesetzlichen Zusammenhang der Wirklichkeit die Welt umgestalten
musse, so fordertc es nun auch in Comeniusund Ratichius neue Metho-
den, durch welche der Unterricht der lebensfrische \'ermittlt'r dièses
Fortschrittes werden konne. Diese Bewegung wurde verstârkt durch dic
Hedûrfnisse des absotuten Staates, der von den Gesichtspunkten des
I~terkanti]Systemsbestinimt war. Er sah in dem Unterrichtswesen das
Werkzeug für die Hebung seiner materie)!en Wohlfahrt und die Stâr-
kung seiner Macht. Zumal das durch den groBen Religionskrieg aus-
~esogene Dt'utschhnf! stand von da ah bis in die !etztcn Jahrxehnte
des 18. Jahrhunderts unter dem Zcichender wirtschaftlichen Arbeit und
des materiellen Nutzens. Zugleich sah dieser absolute Staat und danut
setzte er die Arbeit der altprotestantischen Kirche fort in der Kr-
ziehung das Hilfsmittel, seine moralischeKraft xu steigern.
So gelangte im ty. Jahrhundert ein neues Erziehungsideal zur
Ilerrschaft. Noch das Wirken de",frommen Herzogs Ernst von Gotha.
der in den Wirren des gro8en Krieges zur Regierung katn, war vur
nehmHch auf die religiôs-moralischc Bildung seiner Untertanen gc-
richtct ahcr wie er nun die Zcntralisalion des Schutwcsens in sein'nt
Lândchen anstrehtc. die polizeiliche \!acht des Staates dafür einsctzle
und dem Widerstand orthodoxer Fanatiker gegenüber den Unterricht
in dcn Naturgegenstândpn fô~derte,steht er doch da ats ein Wegweiscr
auf das Erxiehungswpt'kd<-sFridt'riyinniM-hcnSta:)t<'s.Johann Jn.t( him
F<f!<~M~<t!rt/7. /& jM~Ma~ '59
~<~<yA~
Becher ist dann schon ganz von der Idee der Ausbildung der Bürger
iür den Berufund das wirtschaftliche Leben im Interesse der politischen
Wohlfahrtund Macht durchdrungen. Staatseniehung, eine oberste Schul-
behôrde,welche zugleich die Funktion einer Akademie hat, Rcalschulcn
für das burgerHche Leben, das alles schwebt seinem erfindetischen
Geistevor. Und in demselben Sinne arbeiten Schupp, Erhard Weigel
und Leibniz für das Unterrichtswesen. Sie alle werden vorwarts ge-
trieben von neuen Ideen und t'rojekten, das Unterrichtswesen dcm
Hader der Religionsparteien zu entretien, die VernacMâssIgung der
moralischenund geistigen Bildung in der lutherischen Lehrkirche aus-
zugleirhenund die Erziehung zu der Wohlfahrt de. Staates in VerMIt-
nis zu setzen.
Die padagogische Bewegung, wie sie aus diesen Bedürfnissen im
einen
i; Jahrhundert entstand und nun im t8. sich fortsetzte, bewirkte
ersten wichtigen Fortschritt: die weiterc Differenzierung der Schul-
Leben die
korper. \'on Becher und Morhof wird für das burgerUche
Realschule gefordert, ,,eit)c Srhu!e der ~aturerkenntnis, tcchnischcr
Tatigkeit und des praktischen Handcins". Diescr Forderung zu ge.
ntn;cn, cntwirft Franckc seinen Organisationsplan. Sein Schuter Heckcr
~.undet in Berlin eine Realschule, und viele âhntit-he Anstalten gehen
aus demselben Zuge der Zeit hervor. Für die regier<ndcn Stânde bilden
M<'h Ade!ssdm)en, Ritterakadcmien mit ihren neucn Idealen von Kcnnt
nis des Lebens, Kunst der Rede und Eleganz hôfi'-chen Betmgcns. So
ist das Bedürfnis selber am Werk, das Materiat für die Gliedcrung des
Unterriehtswesensin vier Klassen von Schufcn vorxubt-rcitcn.
In derselben Bewegung ist ein Anderes, GrôBeres ge!dAtetworden.
\ic der Umfang des Wissens sich bestândig ausdehnt. entspringt dar-
au, das rrobicm, durch cine vcrbesserte Technik des Unterrichts, durch
S(hu!bucherncucr Art und durch leichtere Methodcndie erwdtertc Aof
die in
~abc zu tosen. An diesem Punkte setzt die eigentliche Arbeit an,
den Schulstuben verrichtet wird. So war in Comenius und Ratke die
von dem
Attsbitdung der modemen Naturwissenschaftschon bcgkitet
FuUe von Krâften
aufopfcrungsvoHenWirken der Schulmanner; eine
edelster Art brauchte sich in ihm auf. Und diese methodischen Ver.
'-U(hcwaren schon gelcitet dun-h gro&e Grundbegriffe iiber den stufcn-
zum
uMbigen Fortgang des kindHchen Geistes von der Anschauung
abstraktenDenken sic schlossen cinc Revolution des aus dem Mittc!-
aller stammenden Betricbes in sich.
Rousseau kam. Mit den) Auge des Dichters las er in den Seelen
der Menschen, ihre innere Bi!dunK~e-=chichtetat sich ihm auf, in den
gro&en Gcsetzen der menscMichcn Natur erfa6te cr die GrundtaRc
einernaturgeniat~n Krxit-hung.I)as l'aris, das Rousseau untgab, konnte
t6o /C~~M~<<
schwârmen für seinen Emile, aber in dieser Misehung von katholischer
Autoritât, radikaler Aufklàrung, Salonwitz und GenuBsucht war me
mand fâlùg, Hand an das Werk ïu legen. In Deutschland fanden sich
die Bedingungen: Fürsten und Minister, welche nun nicht mehr aus.
schhebtich von den Cesichtspunktendes wirtschaftliciten Nutzens ge-
leitet waren, sondern das Recht der Personlichkeit auf Entwicklung
anerkannten, Familienvâter, die aus ihren Kindern Menschen budet)
wottten, Philosophen, welche, wie Kant, von dem Gefuht der mensch.
lichen Würde und dem Enthusiasmusfür menschliche Bildung erfüllt
warcn, ein Publikum, das mit Begeisterung den neuen Versuchen eut.
gegenkam. Vor allem aber: in diesem deutschen Volke erwuchsen pad-
agogische Genies, welche ihr Leben unter Kindern in einfachsten Ver-
hâltnissen verbrachten. Denn in den Schulzimmem ist zu allen Zeiten
die wirkliche und wertvolle Arbeit geleistet worden, welche den Fort-
gang des Erziehungswesensbestimmt.Eine muhsame. entsagungsvoUe.
harte Arbeit, unscheinbar und ohne den Glanz, der die Werke der
Künstler und die Entdeckungen der Wissenschaft umstrahlt. In dieser
Arbeit entsteht die Technik des Unterrichts, in welcher das von der
Kultur bestimmte Erziehungsidealumgesetzt wird in MaBregeln und
Methoden.
So war die Zeit der gro&enpâdagogischen Ideen, Erfindungen und
Methodenin unserem Vaterlandgekommen.Sie reicht von der Wirkung
des Emile bis zu der Umgestaltung aller Methoden durch Pestalozzi
und den neuen Humanismus: ihr AbscMuBliegt in der neuen Organi.
sation unseres Unterrichtswesensdurch Humboldt, Süvern, Herbart und
Schlciertnacher.
Diese Bewegung gehôrt bis zu dem Auftreten Pestalozzis der Auf
Marung an. Basedow, Sa!zmann. Campe bilden den letzten Ab-
scMu6 der pâdagogischen Arbeit, welcheim 17. Jahrhundert begonnen
worden war. Ihre Methodenwarenalle auf die leichteste, dem Kinde am
meisten gemâBe Art und Stufenfolge gerichtet, in welcher nutziiche
Anschauungen und Kentnisse erworbenwerden kônnen. Pestalozzi erst
ging mit seiner Technik auf die methodische Ausbildung der geistigen
Kraft selber zurück, in wet<her die Bedingungen der Anschauung und
des Erkennens liegen: der KantderEniehungsmethode. Aber so mange!'
ttaft auch das Werk von Basedowund seinen Genossen gewesen ist: sic
trugen die !dea!e des t8. Jahrhunderts in die Schuistuben. Die kioster-
lich geschlossenen Ràume offneten sich der Luft und dem Lichte, und
die Knaben tummelten sich wieder in freier Bewegung im Garten, im
F!uB und auf der winterlichen Eisbahn. An die Stelle des âuBcren
Zwangcs trat ein im natürlichen Fortschreiten der Auffassung geweck-
tes Interesse.Vor allem aber breitete sichnun das pâdagogischeExpcri*
MMf
~WMMM der <<t<~ .~M~-M~ t6:
/~<&jg)!~M
ment unter der enthusiastischen Teilnahme der Zeitgenossen so lange
and so weit aus, bis diese Begeisterung, diese Vertiefung in Kinder-
seelen, dies Versuchen und Probieren, ihr Inneres zu gestalten, auch
.Pestalozziergriff. Wenn es genügt, den Besten seiner Zeit ~enugzutun,
so spricht für diese vielgetadelten Mânner der Beifall und die Mit-
wirkung aller groBen Zeitgenossen. Wir lemen jetzt aus dem Brief-
wechselKants den Anteil nâher kennen, den er an Basedowund seinen
Genossen natun. Er erwartete von ihrer Schôpfung, dem Philanthropin
in Dessau, daB es "die Stammutter aller guten Schulen in der Wett"
werden würde; die chronische Geldnot der Anstatt suchte er zu lindern,
indem er die reichen Kreise Kônigsbergs fur sie interessierte, und auch
schriftstellerischist er für die "aus der Natur selbst gezogene Méthode"
der Philanthropen wirksam gewesen. Von demselben Enthusiasmus
wurden Iselin und Lavater ergriffen. Die Kinderschriften von Campe
erfullten die Knaben mit Interesse an der Wirklichkeit und an froher
Seibsttâtigkeit. Und ruhiger, reiner machten Trapps theoretische Be-
trachtungen, die feine Technik von Resewitz, die verstandesklaren
Methoden von Rochow sich geltend. Dies Sichherabmindern zu den
Kinderseelen, dies Sichvertiefen in das Elementare, dies Aufsuchendes
sittlich Allgemeingültigen in allem Positiven, des Logischen in dem
TatsâcMichen, wodurch der Wunsch erst zum Versuch, das pâdago-
gische Méat zur Technik wurde, war in den eigensten Zügen unserer
dcutschen Aufklârung gegründet und ist durch sie erst môglich ge-
worden. Denn es war an die nach innen gewandte psychologischeAna-
lyse gebunden, und es batte in der aufgek!ârten Theologie seineVoraus-
setzungen und auch seine Schranken.
Die Ergebnisse dieser pâdagogischen Versuche sind in dem preu-
Bischen Beamtenstaat zuerst für den Aufbau eines groBen modemen
Unterrichtswesens verwertet worden.
Zu der Zeit, als die neue pâdagogische Bewegung sich ausbreitete,
hatte dieser Staat vennôge seines Organisationstalcntes in der âu6ercn
Regelung der Unterrichtsordnung schon die entscheidenden Fortschritte
gemacht. AUgemeine Prinzipien waren festgelegt worden. Die Selb-
standigkeiten individueller Schulgebilde, welchedieGeschichte geformt
batte, waren der Staatsmacht, der Regel und dem allgemeinen Nutzen
unterworfen worden. Diese Entwicklung hatte in dem Zeitalter von
Leibniz deutlich eingesetzt; sie war jetzt für die Universitâten ziem-
lich zum Ahsch!u6 gelangt und machte sich auch auf den niederen
Stufen der Unterrichtsorganisation geltend. Und irgendeine Art von
Unterricht war hinabgetragen worden bis zu den Tage!6hnern der ôst-
lichen Provinzen. Langsam und schwer war das Werk vollbracht
worden. Die Verordnungen Friedrich WilheîmsI. hatten zuerst das
Di«)tey.GfMmmeU? !tt
Schtiftm I
t6ï _Mfo~Mt G~St <M~dit deutsufa~<<~
Prinzip des Schulzwangesausgesprochen. Ein Lehrerstand begann sich
unter Friedrich dem GroBen zu bilden, als das erste Lehrerseminar
errichtet und die Anstellung an eine Prüfung und ein Zeugnis über sie
gebunden wurde. Dann erhielt das Volksschulwesendurch den gro6en.
Konig in dem General-Landschul-Regtementvon 1763 eine gesetzliche
Regelung und g!eichmâ6ige Grundlage. Das allgemeine Landrecht er'
schien. Der beruhmte erste Satz des zwolftenTitels: ~Schuten sind Ver-
anstaltungen des Staates", der msammengefaËte Ausdruck Friderizia-
nischer Unterrichtspolitik, enthieit ein Prinzip von der grëBten Trag-
weite. WaM hatten Verwaltung und padagogische Technik noch einen
langen Weg zu durchmessen, um aus dem Postulat Wirklichkeit m
machen. Und wenn in diesem Prinzip zugleich die Forderung einer selb-
stândigen obersten Behôrde eingeschlossenlag, so saBen doch zunachst
in dem von Zedlitz gegründeten Oberschu!koHegium vorwiegend die
Mitglieder des Oberkonsistoriums.So stark war noch neben dem Be-
dürfnis der technischen Handhabung des Unterrichts das der Verb!n-
dung mit der Kirche. Aber mitten in Unzulanglichkeiten aller Art ge-
langte doch ein ôffentliches Unternchtswesen hier zuerst in einem
groBeu Staat zur Verwirklichung. Ein Fortschritt von der grûRten Be-
deutung für die europâische Kulturentwicklung. Was in Sparta, im
kaiserlichen Rom, im Reiche Karls des GroBen ansetzte ein Staats-
unterrichtswesen im Dienste der ôffentlichen Aufgaben: hier in PreuSen
ist es zuerst erreicht worden.Wie eng sind doch die inneren Einrichtun-
gen der Staaten mit ihrem Machtstrebenverbunden 1 Dieser preuBisehe
Staat war durch den Widerspruch, der zwischenseinen gewaltigen Auf-
gaben und seiner geringen natürlichen Macht bestand, tnehr als jeder
andere auf die Steigerung seiner inneren Kraft angewiesen: aus dieser
harten Notwendigkeit entsprang auch die Fürsorge, die cr früh dem
Erziehungswesenzuwandte.Und wieder ist es die tiefe Besonnenheitde&
groGen Kônigs über alles, was er vorfindet und was er tut, in welchcr
ihm nun auch dieser Zusammenhang zwischen dem Machtbedûrfni&
seines Staates und der Leitung und Steigerung des Schulweaens zu
vollem BewuBtsein gelangt. Alles was er von derErziehung derAlten
zur ethischen Kraft und zum Patriotismusliest Legende rhetorischer
Zeiten und histonsche Wahrheit untemimmt er in seinem PreuBen
zu verwirktichen.So entfaltet sein Staatsbegriff hier nach eincr anderen
Seite hin seine machtvollen Wirkungen.
In diesem StaatsunterrichtssystemFriedrichs des GroBen gelang~en
nun die pâdagogischen Ideen der Aufklârung zur Geltung; in seinen
Dienst traten von allen Seiten die neuen Ideen und Methoden der Er-
zieher. Ihre Einwirkung empfing aber hier Bestimmtheit und Begren-
zung durch den stândischen Staat. Dieser entschied die Gliederung der
~~Mo~M~aw~~ _3
Schulen und ihre innere Zweckbestimmung. Volksschulen, Burger-
schulen, Gelehrtenschulen, Adelsakademien standen in harter Abge-
schlossenheitnebeneinander, gleich den Standen selber. Und wie die
Lebensidealedieser Stânde noch scharf gesondert waren, so waren die
Schulennicht nur nach Art und Umfang der Kenntnisse, sondem auch
in der Lebenshaltung voneinander innerlich getrennt. Der Katechismus
blieb Mittelpunkt der Volksschule auch unter Friedrich und Zedlitz;
tarte Zucht, pietistischer Geist, enger Gesichtskreis kirchlicher Lebens-
begriffe regierten in ihr. In den neuen Realschulen regte sich schon
der Geist des Jahrhunderts; das Ideal menschlichcr Bildung und der
Entfesselung geistiger Kraft zu den Zwecken des Lebens machte sich
in ihnen geltend. Die Gelehrtenschulen standen noch mit dem kirch-
lichen Leben in enger Verbindung; gingen doch ihre Lehrer aus dem
Stande der Theologen hervor. Das Lebensideal Melanchthons, das in
der Einheit der christlichen und der antiken Lebensbegriffe bestanden
hatte, beherrschte sie noch, und erst als Friedrich August Wolf 1787
das philologische Seminar in Halle eroffnete, begann langsamdieVer-
anderung, durch welche die Gelehrtenschule ein Idéal des vollendeten
Menschentumsan der griechischen Welt ihren Zoglingen zur Anschau-
ung brachte. Endlich die Ritterakademien, an denen in den kleinen
Staaten der hofische Geist des Zeitalters Ludwigs XIV. sich recht
ausleben konnte in Obungen zu franzôsischem Parlieren, Anticham-
brieren, Tanz und Spiel Friedrich hat in dem Plan für die Berliner
Ritterakademie, den er schon wâhrend des Siebenjâhrigen Krieges bei
sich erwogen batte, die Erziehung des Adels für das militarische und
politische Leben seiner Staatsidee untergeordnet: militarische Zucht,
Entwicklung des Ehrgefühls, und als Bildungsmittel Logik, Studium
der Alten, moderne Geschichte und Literatur.

Die Grundgedanken des Friderizianischen Erziehungssystemssind


in einigen Abhandiungen entwickelt, die der Kônig und sein Minister,
Zedlitz, für die Akademie geschrieben haben.
In den akademischen Abhandlungen Friedrichs, welche die leiten.
den Prinzipien seines Handelns darlegen, waltet eine Kraft, die un-
scheinbar ist und sich nur allniaMich offenbart. Sie blenden nicht, sic
scheuen nicht das Seibstverstândiiche. Aber ein unfehlbarer Verstand,
ein Blick, welcher das Innere des Weltgetriebes durchschaut, zeichnet
sie aus. Solche reife Weisheit erfullt auch seine Begriffe über die Er-
ïichung und macht sie fiir alle Zeiten bcachtenswert.
Die Abhandlung ,,Uber die Sitten, Gebrauche, die Industrie und
die Fortschritte des menschlichen Geistes in den Künsten und Wissen-
n'
164 die o~<f<~ ~<~Mfh~
/'>-&<<~der C~< «<M~

schaften", die Friedrich seiner Geschichtedes Hauses Brandenburg bei.


gegeben hat, schlieBt mit einer Betrachtung uber die Lage der preuBi.
schen Monarchie. Alle Staaten durchlaufen gesetzmaSig die Perioden
des Wachstums, der Blüte und des Niederganges. Wâhrend andere Na-
tionen, wie die Franzosen, von ihrer Hôhe herabzusteigen beginnen,
ist der preuBische Staat, der so lange zurückgeblieben war, im Auf.
streben begriffen. ,,Unscre schônen Tage werden kommen. wic die der
andcren unsere Ansprüche sind um so gerechter, ats wir der Barbarei
einige Jahrhunderte langer als die südlichen Vôlker unseren Tribut ge-
zolit haben. Diese unschâtzbaren Jahrhunderte kündigen sich durch
die Zahl der gro&en Mânner jedcr Art an, welche gleichzeitig hervor.
treten glücklich die Fürsten, welche unter so günstigen Verhâltnissen
die Welt erblicken. Die Tugenden, das Talent, das Genie reiBen sie
mit sich fort in gemeinsamerBewegungzugroBenunderhabenenTatcn."
Diesen Hohepunkt ihres Daseins erreichen die Nationen durch die
Kultur der Wissenschaften und der Künste. Deren Nutxen für das Ge
meinwesen untersucht t;*72cine andere Abhandlung. "Das wahre Wohl
des Staatcs, sein VorteHund sein Glanz erfordem, daB das Volk, welches
er in sich schtic~t, so unterrichtet und so aufgekiârt wie môgHch sei,
damit es ihm in jeder Klasse eine Anzahl von Untertanen liefem kann,
die geschickt und fahig sind, sich mit Gewandtheit der verschiedenen
Verrichtungen zu entledigen, die er ihnen anvertrauen muB." Wieder
tritt uns hier das Verhâttnis zwischen dem Streben des Staates nach
"Macht und seiner inneren Kultur entgegen. In scharfem Gegensatz
zu Rousseau erweist der Kônig, daf) die Krâfte, welche den Staat
zusammensetzen,nur durch Erziehung, durch geistige Entwicklung ihre
hôchste Leistungsfahigkeit erreichen. ,,Dcr Mensch ist gar wenig an
sich selbst; er wird geboren mit Anlagen, die mehr oder weniger ge.
eignet sind, sich zu entwickeln. Aber er muB sie kultivieren. Der um-
fassendste Geist gleicht, wcnn er der Kenntnisse entbehrt, einem unge-
schliffenen Diamanten.WievielGeister sind so für dieGesellschaftver-
loren gegangen, wic viel groBe Anlagen jeder Art im Keime erstickt
Friedrich tritt hier entschiedenfür die Aufklârung aller Klassen der
Bevôlkerung ein. Sie verdirbt nicht die Sitten, wie Rousseau wâhnt,
sondem diese sinken durch die ansteckende Kraft des bôsen Bcispiels,
das wie eine epidemische Krankheit in den groBen Stâdten seine Wir-
kungen ausbreitet. Sie ist auch nicht die Ursache der Schwierigkeiten
der Regierungen. ,,Fa!sche Politiker haben geglaubt, es sei leichtcr,
ein unwissendes und stupides \'o!k zu regieren als cinc aufgeklirtc Na-
tion." Die Erfahrung beweist: je roher ein Volk, desto stôrrischer und
unsteter ist es, und es ist viel schwcrcr, die Hartnâckigkeit eines solchen
Voîkes zu tiberKtnden a!s eine kultivierte Nation in gerechter Sache
M~. MMf~<tM<t~p~<~M ~~M<f/Mt~MT~MM~'f~f ï6s
zu bestimmen, Vemunft anzunehmen. "Was für ein schônes Land, wo
aile Talente fur ewig erstickt blieben, und es nur einen Mann gâbe,
der weniger beschrankt wâre als die anderenl" Ein solcher Staat von
Ignoranten gliche dem verlorenen Paradies der Genesis, in dem nur
Tiere wohnen. Sonach ist das allgemeine Prinzip der Erziehung für aile
Klassender Bevôlkerung die Erweckung der Selbsttiitigkeit durch das
Denken.
Seine vomehmste Fursorge wandte der Kônig doch der Erziehung
seines Adcis, seiner Beamten und Militârs zu. Hier liegt das Eigen-
tùmlichste seines Erziehungswerkes. Wohl war ihm der Gedanke fern,
daB der Bauer am besten in trâger Unbeweglichkeit und unverringer-
tem Autoritâtsg!aubenbèlassen werde. Solche Vorurteile mancher kon-
servativenPolitiker lagen tief unter ihm. Doch keine unmittelbareVer-
stândnisnâhebestand zwischen ihm und dem Landvolk, das an seinem
Boden und seinem lutherischen Katechismus hing. Er lebte in konig-
lichemMachtgefühl,im Wirken für den Staat, in der Diesseitigkeitunse.
rer Bestimmung. Er suchte seine Freunde unter denen, welche dieses
Lebensgefühlteilten. Und mit ihm wollte er die leitenden Stânde seines
PreuBen erfüllen, insbesondere den Adel, den er für den Dienst der
Armeeund der Regierung zu bilden strebte. So sollte dessenErziehung
auf den nie versagenden Beweggrund der Freude an pHichtmâûigem
Wirken für das Ganze gegründet werden. Und die groBen Mittcl, ein
seiches Ziel zu erreichen, sind ihm die Philosophie, das Beispiel der
Alten und die Lehren der Geschichte. "Die Philosophen haben die Chi.
mârcn der heiligen und profanen Charlatane zerstort, ohne sie würden
wir heute noch wie unsere Vorfahren Passe für das Paradies und Indul-
genzen für die Verbrechen kaufen; Narren mit der Tonsur würden uns
im Namen Gottes zu den schrecklichsten Untaten antreiben." Denken,
Rasonnieren, Philosophieren das muB im Landadel die energische
geistige Tatigkeit entwickeln, deren der Staat bedarf. Die hteinische
an den
Sprache und Literatur war ihm der wichtigste Lehrgegenstand
hoheren Schulen. Auch der griechische Unterricht erschienihm unent-
behrlich. Denn er erblickte die Alten nicht in dem Abstand ciner fer.
nen geschichtlichen Vergangenheit, er lebte mit ihnen, sie sind seine
vertrauten Gefâhrten. Die logische Kraft ihrer Philosophen, der Stil
ihrer Dichter, die sittliche Energie der stoisch.rômischen Moralisten
blieben ihm immer ein Hôchstes von menschlichem Dasein. das nie
überboten werden kann. Vor allem aber ist es das groBe diesseitige
mit
Lebensgefühl der Alten, ihre Staatsgesinnung, was ihn innerlich
ihnen verbindet, was von ihnen ausstrômen soll auf die Jugend. Er
ist ganz erfüllt von dem personlichen Kultus der groBen Menschen,
und der MachtwiHeder heroischen Fürsten, die Schônheit eines voll-
t66 /~oM<~ der *7~< MMf<~<~<f< ~<M~
endeten geselligen Daseins, die Entdeckungen der Forscher und die
Werke der Künstler sie sind ihm alle nur die verschiedenen Charak.
tere der einen gro6en Kultur. Ihren krâftig strômenden Quellen nâ.
hern wir uns, indem wir die Alten studieren. In diesem Erziehungsideat
für den regierenden Stand atmet jene GroBeeiner in sich gehaltenensou-
verânen Geistesbildung, die Platos Staat und die rômischen Charaktere
der Scipionenzeit mit einem unvergânglichen Schimmer umgibt. Und
auch darin ist es mit dem heroischen griechischen Denker verwandt,
wie es das angeborene vornehme BewuBtseinder eigenen Personlich-
keit im Knaben ehren will. Keine Kôrperstrafen dürfen es verletzen. jj
Die stolzen Impulse der Ehre und des Nachruhms sollen in diesen 1
JûngHngen herangezüchtet werden. Eben in der Vereinigung der Ge.
wôhnung zum Gehorsam mit dem freudigen BewuBtsein des eigenen
Wertes liegt das Ziel dieser Erziehung. t
Die Nâhe an das Christentum, an den Bürger und den Bauer, welche
in den Ideen des Kônigs fehlte, war nun gerade in dem Idealismus der
moralischen Person enthalten, von dem die dcutsche Aufklârung et. r
füllt war. So lag in ihr die Kraft, die Ideen des Kônigs in die harte r~
und eingeschrankte \Virk!ichk<'it einzuführen und sie xu er.
ganzen.
Ze d 1 i t war ein schlesischer Edelmann. Er hatte das Gymnasium
in Braunschweig besucht, das unter der Leitung des Abtes jerusalem :1
in das Altertum und die Philosophie als in die Schule der Lebensideale
Shaftesburys einfuhrte. Aïs er dann in Ha)te studterte, zog er des Kônigs
Aufmerksamkeit auf sich; er wurde ihm vorgestellt und von ihm auf
das Studium Lockes hingewiesen. In der ersten Manneskraft, vicrzig
1
Jahre ait, wurde er nun der Lciter des preuBischen Unterrichtswesens.
Ein heller Geist, von unvergleichlicher Arbeitskraft, erfuUt von den t
Ideen der Aufklârung, aufmerksam auf alle wissenschaftlichen Fort-
schritte der Zeit. wie er denn orlesungenKants noch als Minister sich
anzueignen strebte so hat er anderthalb Jahrzehnte das Unterrichts-
wesen geleitet: die hcn'orragendste Persontichkeit unter den preuôi
schen Unterrichtsministem bis auf Witheimvon Humboldt. Seine Rich-
l,
i1
tung war ganz in Gbereinstnnmung mit dem Geiste der Akademie,
und sie hat ihn aus eigenem Antriebe zu ihrem Ehrcnmitglied gemacht.
Er dankte mit einer Antrittsrede über den Patriotismus als Erziehungs.
aufgabe in monarchischen Staaten. Diese Rede wurde auch deutsch r
verbreitet; Er!auterungen zu ihr, die offenbar der Feder des Ministers 1
entstammen, wurden von Dohm im Deutschen Muséum verôffentiichtt
und besprochen. Ïm Jahre darauf hat Zedlitz eine Abhandlung vorge. t
tragen, die eine volhtandige Darlegung und Rechtfertigung seiner Ma-
ximen cnthâ!t.Dies ist der Weg, den die Natur jedem, den \'orur-
t6?
der ich folgen
teile nicht verblenden, anzeigt, und dies ist die StraBe,
wiH,indem ich versuche, die Schulen zu vervollkommnen."
Zedlitz ist ganz aus der Schule des gro6en Kônigs. Dies zeigt
eines
sich schon in der Darstellungsweise, welche aus dem Reichtum
und langer Gedankenarbeit nur einen Extrakt zu-
groBen Gegenstandes
nickbehâlt. Seine Ideen stimmen in den wichtigsten Zügen mit denen
Friedrichs überein. Der Minister hat sich ganz in die Gedankenwelt
seines Kônigs eingelebt. Welche au6erofdent!iche Bedeutung hat doch
die schriftstellerische Tâtigkeit des Kônigs auch fur die Verwaltung
der Klarheit über die Prinzipien
gehabt! Sie erfüllte seine Minister mit
und mit einem Enthusiasmus, wie er nur aus dem Gefühl gemeinsamen
der
Wirkens für groBe Ideen entspringt. Sie verstârkte die Einheit
von der Idee der pâdagogi.
Regierung. So ist nun auch Zedlitz ganz
schen Aufgabe des Staates bestimmt. Ansdnickiich spricht er aus, wie
diese Aufgabe nicht mit der Schule endige. Mit Friedrich durchbricht
er alle Abstraktionen, durch die Montesquieu die Staatsformen und
die in ihnen regierenden Triebfedem zu unterscheiden untemommen
hatte. Er lebt in dem inhaltvollen BewuBtsein von der Cberlegenheit
die
der aufgeHarten, gesetzlichen preuBischen Monarchie. Indem sic
einer starken
Sdbsttâtigkeit der Bürger und ihre Sicherheit unter
den Extremen
Staatsgewalt verknüpft, ist sic die wahre Mitte zwischen
des Despotismus und der Anarchie. Sie darf daher ruhig die Selbst-
ohne Gefahr zu laufen, hier-
tâtigkcit durch das Denken entwickeln,
durch die Liebe zum Konig und die AnhangUchkeit an den Staat zu
vermindern. Ja eben indem fie alle Klassen unterrichtet uber den Staat
und die Pflichten der Bürger, wird sie den Patriotismus in ihnen stei-
Geiste verlangt cr die An-
gern. Und in demselben Friderizianischen
passung der geistigen Bildung an die kunftige Lebensaufgabe gegen-
über der aus den theologischen Schulen stammcnden Tradition wie der
Schablone der neuen methodischen Enthusiasten. Sein Utilitarismus
Den Knaben in
versteigt sich dabei zu derben Geschmacklosigkeiten.
der Burgerschu!e moge man es aussprechen, daB Beukelsz mit seiner
das Vaterland mehr
Erfindung der Einpokelung der Heringe sich um
verdient gemacht habe als der Dichter der ,,Henriade".
ein
Zugleich ist aber Zedlitz der Sohn der deutschen Aufkiârung,
Gcistesverwandter Lessings, im Unterschiede von der franzosischen Bil-
den Dienst der Ge.
dung des Kônigs. Derselbe Mensch, welcher für
sellschaft erzogen werden muû, ist nach ihm doch zugleich bestimmt,
cine uncndHcheBahn der Vervollkammnungzu durchlaufen. Sein irdi.
sches Leben bildet nur eine Epoche in ihr. "Die Merkmale dieser
in dem gesell-
Epoche sind Entwicklung der Krâfte und Fâhigkeiten
schaftlichen Leben und durch dasselbe." ~'nd hier erhalten die Fride-
t68 /~Mh~ der G~~ und di, Atf/M~ ~fW~
rizianischen Begriffe der Erziehung für den Staat, der Unterordnung
unter seine Zwecke eine metaphysischeFassung, durch die sie Lessing
verwandt werden. "Das ganze Lebender Menschenist eme Erziehung.
Theologie und Politik enthalten die Vorschriftendieser groBen Erzie.
hung. Sic arbeiten beide nach einem Plan." Diese irdische Erziehung
aber vollzieht sich eben durch die U nterordnungder Menschen unter die
Interessen der Gesellschaft und des Staates. Auf dieser Erde ist unsere
Bestimmung die Entwicklung unsrer Krâfte durch das geseUschaftUche
Leben. Aus ihr wie in einer Erziehungsanstalt gehen bestindig er.
wachsene Zôg!inge in die groBe geheimnisvolle,unbekannte Welt, und
jüngere treten an ihre Stelle.
So gelangt Zedlitz auf dem Wege der Metaphysik Kants und
Lessings zu dem Ziel der Staatsutilitât. Die Erziehung darf nur die
Fâhigkeiten, deren wir jetzt bedürfen, in Tâtigkeit setzen. Die ande.
ren muB sie m Reserve halten für die künftigen Beziehungen und deren
Bedürfnisse. Daher muB sie nach den drei Standen unseres Staates ge-
gliedert und auf deren Bedürfnisseeingeschrânkt sein. Die blinde Ver.
ehrung für den Stand der Gelehrten verkennt den Wert der erwerben.
den Klassen und den unenneûtichen Abstand, der die Schule vom Genie,
den Gelehrten von den groBen Kopfen trennt, welche die Jahrhunderte
erleuchten. Es entspricht den Zweckendes Lebens, daB der Unterricht
sich oft mit einer eingeschrânkten Kenntnis und mit der Oberlieferung
von Sâtzen ohne Begründung begnügen darf.
Eine andere Folge seiner Prinzipienist die Forderung eines politi
schen Unterrichts fur alle Klassender Bevôlkerung,wie er sie vor der
Akademie entwickelt hat. Er übertrâgt das, was Friedrich in seinen
Briefen über die Vaterlandsliebe gegenubef den EnzyHopâdisten gel.
tend gcmacht hat, in die Denkart der deutschen Aufklârung. Der po!i.
tische Unterricht ist in der anarchischen Republik zwecklos, weil sie
die uneingeschrânkteste Freiheit anstrebt; in der despotischen Monar-
chie ist er leer, weil er hier in der einzigenPflicht des unbedingten Ge-
horsams beschlossen ist. In der gesetzlichen Monarchie, wie sie in
PreuBen besteht, müssen die Gesetzedem geringsten Untertan bekannt
gemacht werden, er muS seine Rechte und Befugnisse so gut kennen
lernen als seine Pflichten. Auch dieser Plan sondert die drei Klassen
der Gcsellschaft, und wieder ist es bezeichnend, wie für die unteren
Klassen die Einfalt der Sitten, die hausliche Ruhe und die Zufrieden-
heit als Ziel erscheinen, fur den Adel die Ehre und der Nachruhm.
Zedlitz' Plan ist in PreuBen nicht zur Ausführung gelangt, aber anders-
wo ist âhniiches spâter versucht worden.
Und nun setzt sich der Ministermit der groBen Bewegung im Er-
ziehungswcsen, insbesondere mit den Philanthropinen,auseinander. Hat
~/<~«~A~
Basedowdas Problem der Erziehung für eine Gesellschaft aufgelëst,
in welcher die Summe des Lehrstoffes in demselben Verhâltnis zu'
nimmt, wie zugleich physisch und sozial die Fâhigkeit abnimmt, sich
denselbenanzueignen? Zedlitz erzâhit von seinen eigenen Erfahrungen
bei dem Besuch der Anstalt. Er schatzt und empfiehit das Elementar-
buch er billigt im besonderen die Richtung auf die kôrperliche Aus-
bildung er erkennt die Heiterkeit und die Lernbegierde der Zoglinge
an; der Enthusiasmus Basedows für seine Aufgabe ist verehrungswur-
dig das Wunder ist doch auch hier ausgeblieben. Denn auch hier
wird das Gedachtnis zum Nachteil der Urteilskraft in Anspruch ge-
nommen. Die Sucht der Genetalisation, welche das an einer bestimm-
ten Klasse von Kindern Erfahrene auf alle Lebensalter und Stânde
anwenden will, ist die erbliche Krankheit aller padagogischen Refor-
matoren. Wird das Lemen zum Spiel gemacht, so werden groBe Kinder
gebildet. In allem, was Friedrich uber den unbedingten Wert und die
Unersetzlichkeitder beiden alten Sprachen ausgesprochen hat, stimmt
Zedlitz mit ihm überein; hat er doch selber noch als Minister Grie-
chisch gelernt.
Die Führer der pâdagogischen Reformen, welche unter Zedlitz ar.
beiteten, Teller, ZoUner, Meierotto und Gedike, sammelten sich dann
allmâhlich auch in der Akademie. Sie lebten im innigsten Einverstand.
nis miteinander. Teller besaB die Gabe der Praktiker zweiten Ranges,
,,verschiedeneAnsichten auf einen Gesichtspunkt zu bringen, ohne der
Wahrheit etwas zu vergeben". Durch pâdagogische Begabung war der
hervorragendste unter ihnen Gedike. In ihm verkôrpert sich der Ge-
lehrtenstand der Friderizianischen Zeit. Wie Friedrich auf der grie-
chischen Sprache und Literatur bestand, so hat Gedike an seinem Gym-
Masiumden griechischen Unterricht erweitert, er selber lebte in dem
Studium des Sophokles und Platon. Und wenn Friedrich eine andere,
bessere Methode fur die alten Sprachen forderte, so hat Gedike den
Anfang des Griechischen mit dem Neuen Testament oder mit der Gram.
matik und.den Vokabeln verworfen und eine leichte, anmutende Lek-
türe an die Stelle gesetzt. Die Akzentzeichenhielt er für entbehrlich.
Die logische Schulung des Geistes erschien ihm mit der Zeit immer
mehr als der hochste Zweck des Sprachunterrichts. Der mühelose Ge.
nuB neuerer, einheimischer Literatur war ihm mit Recht padagogisch
von geringem Werte, da die Arbeit allein den Geist stâblt. Von dem,
was er in der Akademie las, ist wenig in ihren Mémoires verôffentlicht
worden: schon damais batte Merian über die Unsitte zu klagen, das
Gelcsenean anderen Orten zu veroffenttichen. In einer Reihe von Ab-
liandlungen, welche die deutsche Sprache zum Gegenstande hatten, ent-
warf er den bedeutenden Plan eines philosophischenWorterbuches. Der-
t?o ~MM der G~ ~<~ <& ~4<~A&w~
selbe Vorwurf hat dann Schleiennacher, Trendelenburg und Eucken
beschâftigt, seine Ausführung wird wohl einmal der Akademie zu-
fallen mussen. Gedikes letzter Vortrag handelte über die Reorganisation
des Unterrichts in den an PreuBenubergegangenen polnischen Landes.
schulen. Jung, auf der Hohe einer unerme6!ichen Arbeitskraft, in alle
PJâne uber Erziehungsreform, welchedie Regierung dansais verfolgte,
hineingezogen, ist er dahingegangen.
Das merkwürdigste Dokument dieser Verbindung der Aufklârung
mit dem Studium der alten SprachenistMeierottos s ,Vorschlageiner
neuen allgemeinen Sprache der Gelehrten". Das attische Griechisch
der Sokratischen Schule erschienihm als die Grundlage einer rationalen
Geistesbildung; Dichter und Historiker mochten den Schongeistem
überlassen bleiben. Dies Griechischselber aber sollte nach dem Prin.
zip der Analogie normiert werden; so konne es dann die Norm für eine
rationale R'egelung aller anderen Sprachen und das Hilfsmittel ihrer
Aneignung werden. Es war das ÂuBerste, was je in Gleichgültigkeit
gegen das Historische, Eigengewachsene in den Sprachen geleistet
worden ist.
Und auch um ihre Erziehungsideale hat die Aufkiârung in der
Akademie zâh und hartnâckig gekampft mit der hereinbrechenden
neuen Zeit. Noch im Jahre t8oo hat Teller in einer Abhandlung über
die Würde des Gelehrten die Nützlichkeitfür die Gesellschaft als aus-
schlie6!iches Prinzip der Wertbestimmung von Unterrichtsgegenstan-
den gegenüber Kant und Fichte verteidigt. Und die Zeit stand bevor,
wo Massow es unternahm, die gelehrte Kôrperschaft gegen die Ver.
ehrer Pestalozzis zu benutzen.

DER POPULARE SCHRIFTSTELLER


Die Aufklârung hat in Deutschlandnoch einen anderen Fortschritt
bewirkt, der dem Leser der Schriften jener Tage auffaUigentgegentritt:
die Ausbildung der deutschen Prosa. Sie vollzog sich unter der Ein-
wirkung der franzôsischen Schriftsteller, und auch hier offenbart sich
die Bedeutung Friedrichs, seinesKulturidealsund seines Vorbitdes, für
die Entwicklung unserer Literatur.
Unmittelbarer als auf irgendeinen anderen Deutschen wirkte die
franzosische Literatur auf Wieland, auf seine Sprache wie auf semen
ganzen schriftstellerischen Charakter. Er bemâchtigte sich der gesam-
ten Formensprache, welche die Franzosen geschaffen hatten. Sein be-
weglicher Geist durchliefalle Stimmungenund Ideen, welcheim Macht-
bereiche der franzôsischen AufMârung lagen; und alles, was in dem
England Shaftesburys und dem Athender SokratischenSchule und dem
~/< -M~M~M-.
II"F- M~XAM~ !?t
Rom des Cicero und Horaz dieser Aufklarung verwandt war, gab er
hinein. DieStoffeundFormen aller Zeiten waren für ihn wie für Vol-
taire nur Gewand und Maske, das Ideal einer vomAberglauben befrei-
ten, weltmannisch-sinnesfrohen,aufgeklârten Existenz auszusprechen.
Er schuf sich eine Sprache, so biegsam, sinnenwarm,beweglich,da& sie
sich jeder Art von Dichtungund Erôrterung anschmiegte und doch zu-
als m der spielenden
gleich, wie die Verse Voltaires,in keiner anderen
Seele selber
Dichtung an die Machtdes Lebens heranreichte. Und seine
verblieb wie die Voltaires souveran über den Dingen, sinnenfreudig,
der Freundschaft, kosmo-
spielend mit den Galanterien der Liebe und
als Friedrich am Beginn des
politisch über den Pflichten. Er hatte,
sich zog, ein
Siebenjâhrigen Krieges die Aufmerksamkeit Europas auf
nach derManier
Epos ,,Cyrus" begonnen, das den jungen Herrscher
von Voltaire und Montesquieuin dem Kostüm des Perserkonigs dar-
stellen sollte. Nach dem Tode von Maupertuis hatte er sich durch
Bodmer um einen Platz in der Akademie beworben. Auf Berlin über-
haupt war, als er sich den franzôsisch spielenden Grazien zugewandt
hatte, seine Aufmerksamkeitgerichtet. Es war vergeblich, Er hat dann
den aufgekiârten AbsolutismusJosephs II. in der beliebten persischen
\'crkleidung verherrlicht. Bis man endlich an dem franzôsisch gebilde-
ten Hofe der Herzogin Amalie auf ihn aufmerksam wurde: hier hat
er nun wie ein Voltaire im kleinen gewaltet, Dichter, Philosoph, Jour-
nalist. Mit der heiteren Sicherheit des Weisen HeBer alles, wasum ihn
er-
geschah, jeden Wechsel der Herrschaft am Hofe ruhig gelten und
hielt sich doch in dem behaglichen BewuBtsein der Oberlegenheit der
Weitkultnr Voltaires.der er immer angehôrig blieb.
Im Norden, in der Machtsphâre des Friderizianischen Staates,
nahmdie EinwirkungdesfranzôsischenGeisteseine andere Forman. Hier
hairtetedie Mischungcin Zusatz vom Geiste dieses preuBischenStaates
zu gediegenerem Meta)!. Von den Gedichten Lessings bis in das Leip.
Vol-
zi~er Liederbuch Goethes reicht die Macht der Lebensstimmung
taires und Friedrichs, das BewuBtseinder Souverânitât, das in der Ga-
lanterie mit der Liebe spielt, der mannnche Kultus der Freundschaft,
die Herrschaft des Verstandes über das Leben. Das Urteil Lessings
uher Goethes ,,Werther" ist der vôUig gerechtfertigte Ausdruck dieser
mânniichen Gcisteshaltung. Die drei groBen deutschen Schriftsteller,
welche dieser Lebensvcrfassung Ausdruck gegeben haben, waren
Friedrich, Lessing und der jugendliche Kant.
Der umfassendste und freieste Geist unter ihncn ist Friedrich
gewesen. Er lebte in dem souvcrânen BewuBtseinaller MogUchkeitcn
des Gedankens. Denn die grôBten Gegensâtze verstand er in ihrem
Rechte den Ausgang der Philosophie vom physischen Universum
1ZL- ~frMrM der Cr~< t~t~~ <<w&<~~<
wie ihre Vertiefung in das eigene Selbst, Egoitât und Pflicht, das Ideal
der Macht des Staates wie das der Kultur der Menschheit. Seinem
Verstande war das Recht der vetschiedenen Seiten der Dinge imm6r
bewuBt: abcr über die souverâne Skepsis, die so entsprang, schritt er
hinaus in der Kraft des heroischen Lebensgefühls, das in ihm waltete.
Neben dem groBen Kônig der AufMarung steht Lessing, ihr
Dichter. In der Darstellung des Lebensideals dieser Aufklarung der
groGte Poct des Jahrhunderts. Sein NatureU machte ihn zum Drama.
tiker. Er besitzt das Impetuose, vermoge dessen die Gestalten einer
Dichtung und ihre Handlung sich aus eigenen Krâften bewegen. Aber
diese Charaktere sind nicht gleich denen Shakespeares von einer Att
ungeheuren Traumes vorwans getrieben. Er verweilt nicht wie Goethe
in der Dâmmerung zusammengesetzter Stimmungen. Sein Lebens-
ideal ist der Charakter, der vom Verstandeerleuchtet und durch Grund*
sâtze geregelt ist, der das Gute tut um des Guten willen, der das Hangen
und Bangen um eine jenseitige Welt hinter sich gelassen hat. Und wie
er selber die Mundigkeit seines Geistes erkampft batte um den Preis
eines Daseins voll Unruhe, Geldnot, Kampf, Einsamkeit um sich her,
so ist auch in seinen Lieblingscharakterenetwas der Welt Trotzendes.
Diese bis zum Zynismus starke Mânniichkeit,welche nur die Instanzen
des Verstandes und der Sache anerkennt, ist der unaussprechliche Zau-
ber in Lessings Stil, der alle Bewegungseiner Seele durchscheinen !a6t,
sic macht die Schônheit seinerHelden aus, aus ihr entspringt die heitere
Sicherheit, mit welcher er auf dem Boden der Erde stand und sich
umsah. Und die Weltanschauung, die er auf Grund dieses Lebens.
ideals bildete wie nâhert sie sich immer mehr der des gro6en Kônigat
Seine letzten Schriften und seine Gesprache mit Jacobi zeigen uns das-
selbe souverane BcwuBtscinder Moglichkeitcndes metaphysischen Ge-
dankens und dieselbe Sicherheit in dem BewuBtseindes moralischen
Ideals. In diesem waren für ihn wie für Friedrich die groBen mono-
theistischen Religionen miteinander verbunden. Die erhabene Symbo-
lik im Ausgang des ,,Nathan", der die Vertreter dieser Religioncn zur
Erkenntnis ihrer Verwandtschaftgelangen !âBt, bezeichnet den Hohe.
punkt, zu dem die Kunst der Aufklarung sich erhoben hat. Unter allen
Charakteren der Auftdârungszeitzeigt keiner eine so vollendete Einhcit
des Kopfes und des Herzens als er.
Und wie verwandt ist ihm der mânnHche, lebensfreudige Kant
der mittleren Lebensjahrel Es gibt in seiner Entwicklung eine nur
zu kurze Zcit, in welcher er als ein groSer Schriftsteller neben Lessing
tritt: die Zeit der groBen Wcndung seines inneren Lebens, welche die
Schriften Rousseaus hervorriefen. Diese Erschütterung steigert sein
Darstellungsvermôgen zur hôchsten Energie. !n der Lektüre von Vo!-
f~r~A, /~M~, Kant 173

taire, Hume und Rousseau entsteht ihm der Wunsch einer aUgememsten
von
Wirkung. Auch er war von der universalen Naturwissenschaft,
Newton, Lambert und Maupertuis ausgegangen. Die Erweiterung der
menschlichen Erkenntnis war ihm damais als das hochste Ziel seiner
Lebensarbeit erschienen. Rousseau wandelte die Stellung seines Be-
wuStseins um. ,,Ich bin selbst aus Neigung ein Forscher. Ich fühle
den ganzen Durst nach Erkenntnis und die begierige Unruhe, darin
weiter xu tmmmen, oder auch die Zufriedenheit bei jedem Fortschritte.
Es war eine Zeit, da ich glaubte, dieses alles konnte die Ehre der
Menschheitmachen, und ich verachtete den Pôbel, der von nichts weiB.
Rousseau hat mich zurecht gebracht. Dieser verblendende Vorzug ver-
schwindet, ich lerne die Menschen ehren und würde mich viel unnutzer
finden als die gemeinen Arbeiter, wenn ich nicht glaubte, daB diese
Rechte der
Betrachtung allen übrigen einen Wert erteilen kônne, die
Menschhettwiederherzustellen." So entsteht in Kant die groBe Lehre
vonder Autonomie des moralischen BewuGtseins. Unabhângig von dem
Stands der Zivilisation,von der Reife der Erkenntnis, von den Einflüssen
Wille in sich
religiôser Hoffnungen ruht der autonome vemunftige
selbst. Es ist dieselbe sch!ie6!iche Vertiefung in die unmittelbare Ge-
wi6heit dieses sittlichen BewuBtseins wie in dem groBcn Kônig, die-
selbe Niihe an die moraUsche Stimmung der Stoa. "Für die Sinne
kann keine vollige Befriedigung ausgefunden werden; sie steigen
immerin den Forderungen und sind unxufrieden, ohne sagen zu kônnen,
was ihnen genugtue: nur was uns selbst angehort, was allen zuganglich
sich
ist, der Zeit und dem Tod entnommen, die Ûbereinstimmung mit
selbst, der Wert und die Wurde der Person, die hieraus itieBende
Selbstzufriedenheitmachen das hochste Gut des Menschen aus." Und
von diesem Standort aus erhebt er sich gegenüber jeder Art von Ver-
such, cinbrcchen zu wollen in das metaphysische Reich der Jenseittg-
keiten, zu einem Humor, der gerade in der Mischung der Neubegier,
deii Interesses an den môglichen Losungen und der Skepsis in bezug
auf jede von ihnen der Stimmung von Voltaire, Friedrich, Diderot und
Sterne verwandt ist. Dieser Humor mischt miteinander die Erfindungen
der Metaphysiker und die Eingebungen Swedenborgs wie der anderen
enthusiastischen Propheten.
So begegnen sich der Konig. der Dichter und der Philosoph schlieb-
lich in demselben groBen Gedanken der moralischen Autonomie und in
derselben seltsamen Mischung einer unvertHgbaren WiBbegier, welche
den MogMchkcitennachgeht und den Traumen der Metaphysiker nach-
sinnen mag, mit der Skepsis d''r wahrhaftigen Seele, welche bei keiner
dieser Môg!ichkeitensich beruhigen kann. Aber als Lessing nun starb
und bald nach ihm Friedrich dahinging, und nun Kant nach einer langen
'74 ~w~M <&~ G~< <«</ <~ <&~yf~ ~~Nh~
Periode des Schweigens als esoterischer Philosoph in schwerverstând-
licher Kunstsprache und Architektonikwieder in die ôffentlichkeit tmt,
war die groBe Zeit der Literatur der Aufklârung in Deutschland vor.
über. So entstand, als nach dem Tode des Kônigs Hertzberg die Leitung
der Akademie übernabm, ein unglückseliger Widerspruch zwischen
dem, was er für die Literatur der deutschen Aufkiârung zu tun ge.
dachte, und dem Zustande, in dem er sie vorfand. Das war das Tra.
gische in seiner Arbeit.
Wieland, Engel, Garve, Mendeissohnhaben die Formen mit gro-
ûem Talent gehandhabt, die Voltaire und Diderot schufen. Auch die
feinsten unter diesen Formen, die ErzâMung,welchemit dem Lebenhu.
moristisch oder satirisch spielt, und den Dialog, der aus einer lebens'
vollen Situation sich entwickelt.Doch die Essais jener Tage mit ihrer
"edlen Popu!aritât"j von den kleinen Aufsatzen Engels, Eberhards,
Garves und Monde!ssohns in dem "Philosophen für die Welt" bis zu
Abbts Schrift vom Verdienst und denen Spaldings vom Wert der Ge-
fühle im Christentum und über Religion, sind farblose, abstrakte Be-
gründungen der Weltansicht der Aufklarung. Unermüdlich bewegen
sie sich in demselben einfôrmigen Kreise; vergeblich suchen sie bald
durch die Wârme der sittlichen GefuMe, bald durch eine den Fran.
zosen, vornehmiich aber Lessing nachgeahmte Eleganz und Lebendig.
keit diese einfôrmigen und abstrakten Begriffe zu beleben. Kein Strahl
von Genialitat glânzt in ihnen auf; keine Ahnung anderer Môg!ich-
keiten, die Welt aufzufassen, regt sich in diesen Kôpfen: das ist ihre
Starke und ihre Sehwâche. Sie haben in jenen Tagen diese Welt-
ansicht bis in die beschrânktesten Kôpfe verbreitet: viel bewundert,
viel gelesen, oftmals aufgelegt, sind sie heute eine unermeËUche Maku-
latur, weite, seichte Gewâsser, durch die auch der Literaturhistoriker
sich nur widerwillig hindurcharbeitet. Was war hier aus der groBen
Form der Rhapsodien von Shaftesbury und der Essais von Voltaire
und Diderot geworden ïn der Souverânitât des Geistes, welche sich
aller Môglichkeiten des Lebens und des Denkens bewuBt ist, batte
deren Zauber beruht; es war vergebens, daB der systematisch einge-
schlossene, eingeschrânkte Geist dicser Epigonen das freie Leben
der wissenschaftlichen Einbildungskraft, welches dort durch die groBe
Naturwissenschaft genâhrt war, in ihren Essais und Briefen nachzu-
bilden strebte. Es blieben âuBerliche Kopien innerlich lebendiger
Formen.
Um noch popu!ârer, noch eindrucksvo!!erzu werden, greifen die-
selben SchriftsteUer zu der Form des Dialoges,wie Voltaireund Diderot
sie sich gebildet hatten. Doch unter ihren Hânden wird diese lebendigste
aller Arten der Gedankenmitteilung zu einer matten Scheinform, die
DieJ~~WM .~MM~&f der ~<(~~nM~ '75
Personen werden Masken fur Gründe und Gegengrunde: das Ziel liegt
im Beweis eines Satzes. Der echte Dialog ta6t alle andcren Formender
Darstellung tief unter sich zurück, wo der paradoxe und verwegene
Geistin ihm die Môglichkeitfindet, das schônste Leben des Gesprâches
selbst nachbildend, allé Grenzen von Mâ6igkeit zu überschreiten, un-
tosbaren Streit zu entzünden, Seelenstimmungen und Charaktere ein-
ander entgegenzusetzen, um schlie8lich in unendliche MôgUchkeiten
blicken zu lassen. Das war der Dialog, den Platon im Protagoras, im
mit
Gorgias, im Symposion und dann, wahrscheinlich spât, im Ringen
den letzten Konsequenzen seiner Dialektik, im Parmenides geschaffen
batte: die Form, welche Diderot, der groËte Künstler des lebendigen
und geschnebcsen Gesprâches nach Platon, im Traum d'Alemberts
handhabte. Und auch Lessing schuf sich eine Art des Dialoges, welche
die paradoxe Verwegenheit seines cigenen Gesprâches ausdrückte, wie
Steuns in der meisterhaften Nachbildung Jacobis erhalten ist. Aus der
die
Lebendigkeit dieser Form erwuchs der Nathan, der schon durch
Parabel, das orientalische Kostüm und die groBe Symbolik der Hand.
lung seinen Ursprung verrat. Die Verehrer Leasings, die Engel und
Mendeissohnund Eberhard, wollten ihn auch hierin fortsetzen. Aber für
ihre Figur war diese ungeheure Form zu groû. Diese zahmen Dialoge
zerlegenihre systematischeGedankenfolge nach Sâtzen, Gegeninstanzen
dieserSâtze und Widerlegungen der Gegeninstanzen in Reden und Per-
sonen.Der Phâdon Mendelssohns,das vielbewunderte Hauptstück dieser
Gattung, ist ein auseinandergelegtes System, eine Sünde gegen den hei-
ligen Geist des Dialoges.
Nicolai und Engel, die zwei einfluËreichsten Berliner Schrift-
steller, sprechen sich endlich auch in der Erzahlung unddemburger.
lichen Romanaus. Aber welch ein Abstandvom englischen Sittenroman
zu diesem deutschen, von dem ,,Landprediger von Wakefield" zu dem
,,SebaIdus Nothanker" Nicolais, von den Charakterfiguren der Richard-
son und F ielding zu denen des "Lorenz Stark"! Und dennoch gibt es
kein Buch, das diese Friderizianische Zeit, das SeIbstgefuM des Adels,
die Cberzeugungstreue der aufgekiârten Geistlichen, die den Bibdtext
als ,unschâdliches Hilfsmittel" benutzen, die hartkôpfige Intoleranz
ihrer orthodoxen Gegner, die pietistische Engbrüstigkeitund den ganzen
utiHtarischen Geist der Zeit so zur Darstellung brâchte als dieser form-
lose,unkünstlerische, nur von derbem Wirkiichkeitssinn erfuHte Roman
Kicotais. Und in seinem Lorenz Stark hat Engel doch ein echtes Pro-
blem erfaBt, den Gegensatz zweier Generationen, in Vater und Sohn
erscheinend, die Konflikte, die so entstehen, und die Versôhnung, die
aus der inneren Verwandtschaft der beiden edlen Naturen schôn ver-
stândlich gemacht wird. Er hat diesen Stoff mit der ihm eigenen künst-
'76 _~Mt~~t <&f G~9~ M~<~j~& ~4f{~&MM~
lichen Lebendigkeit und gemachtenEleganz behandelt. In sonderbarem
Wechsel verknüpft seine TechnikerzahlendeStucke von farbloser Dürf.
tigkeit und die lebendige dmmatische Darstellung von Szenen und Ge.
sprâchcn, welche bei Lessing in die Schule gegangen ist und in der
meisterlichen Behandiung der Sprachfarbe der verschiedenen Personen
den modernen dramatischen Dialog vorwegnimmt. Naturalismus ist
der Charakter der Erzâhlungskunst wie von Nicolai so von Engel. Aber
dieser NaturaMsmu!!trâgt den Stempel der deutschen Aufkiarung in
der Grundstimmung der Erzâhlung, dem optimistischen Vertrauen zu
der menschlichen Güte, der Auflosung jedes Wirrsals durch Vemunft.
grûnde, und dem guten Ausgang der Lebensprüfungcn. Seinen hôchsten
Ausdruck fand dann dieser frohmutige Wirklichkeitssinn in der Kunst
Chodowieckis; in ihr leben diese groBen Zeiten Friedrichs fort wie
.eine bestandige Gegenwart.

DIE RECHTFERTÎGUNG DER MONARCHIE

Kônig Friedrichs Leben und Wirken ist für seinen Staat und sein
Volk das Erbe geworden, aus welchem historisches und politisches Ver-
standnis und damit der Glaubean die von kôniglichem Pflichtbewuût
sein getragene Monarchie sich genâhrt haben bis auf diesen Tag. Und
keine Geschichtschreibung kann diese lebendige Tradition so eindring.
lich unterstützen und vor Umdeutungen bewahren wie die lange Reihe
der Schriften, in denen Friedrich selber der Nachwelt seine Taten er-
zâhit und seine Beweggründe und Grundsâtze enthuUt hat: mit der-
selben einzigartigen Ehrlichkeit, mit der er Zeit seines Lebens vor dem
eigenen Gewissen bestehen wollte.So suchen wir uns den Gehalt dieser
Schriften zu vergegenwârtigcn.

Die Erôrterung politischer Problème in der naturrechtlichen Lite-


ratur seit dem t6. Jahrhundert war vornehmlich aus der Opposition
des zum Seibstbewuûtsein gelangten Individuums gegen die Einrich-
tungen und Maximen seines Staates erwachsen. In diesem Ursprung
lag der Hauptgrund dafür, daB die Politik des Naturrechtes von dem
Individuum ausging. Sie stellte die Natur dieser Individuen fest, lie6
sie zum Staat zusammentreten und bestimmte das Ma& von Freiheit
und Glück, dessen der Einzelnehier fâhig wâre. Dergestalt erschien der
Staat als das Erzeugnis der natürlichen Krâfte, sonach in einer dyna*
mischen Auffassung. Selbst Recht und Moral werden in der konse-
quenten politischen D~'namik von Hobbes und Spinoza erst durch
das freie Spie! dieser Krâfte hervorgebracht. Die Prinzipien der neuen
~~N~~M~MM~~M~~WW~~ '77

mechanischenNaturerHârung, Kraft, Druck, Gleichgewicht, werdenhier


auf das politischeLeben übertragen. Aber diese Betrachtungsweisever-
suchte noch nicht, diese Prinzipien auf das Verhâltnis der Staaten unter-
einander auszudehnen. Sie war jedenfalls, wenn sie zuweilen einen
Anlauf zu einer solchen Erweiterung ihrer Methode unternahm, au6er.
stande, die beiden Seiten der Erorterung zu verbinden und zueinander
in Beziehung zu setzen. Der Staat aïs Trâger einer bestimmten Ver-
fassuag und Ven~hung blieb doch scMieBMchfür diese Betrachtungs-
weise ein Einzelwesen,das unabhângig von allen SuBeren Einflüssen
seinen inneren Zwecken lebt. Das VerhSItnisder Bürger zueinanderund
~ur Staatsgewdt~ und, seit Montesquieu, nun auch dasjenige der ver-
schiedenepFaktoren dieser Staatsgewalt, blieb der vorzüglichste Gegen-
stand, die Herstellung des Gleichgewichtes zwischen diesen mannig-
faltigen Kï&ftendas vomehmste Problem der naturrechtlichen Politik.
Diese Auffassungsweisehat in der politiechen Literatur ihre Herrschaft
dauemd behauptet. In der historischen Betrachtung ist sie durch die
geniale LebensarbeitRankes uberwuaden worden.
Nur in dem I t a1i e n der Renaissance erhoben sich f rühPolitik und
Geschichtschreibung zur Anwendung des dynamischen Prinzips auf
die Verhâltnisse der Staaten untereinander, ja zur Erfassung der Be-
ziehung einzelnerZweige der inneren Verwaltung zu den âuBeren Auf.
gaben des Staates. Dies geschah unter dem EinfluB der alten Schrift-
steller, vomehmiich aber im Zusammenhang mit den damaligen poli-
tischen Zustanden des Landes. Hier zuerst leste sich das Verhalten
des Staates zu seinen Rivalen volikommen los von allen Rücksichten,
die nicht aus seinem Machtstreben entsprangen. Und von beschrânktem
Umfang, eng aneinander gedrângt, in unaufhôrlicher Verânderungbe.
griffen, wie es die zaMreichen seibstândigen Gewalten waren, die sich
auf diesem Boden entwickelt hatten, gewohnten sie sich daran, daB
ihnen innere und au6ere Politik bestândig in eins zusammenflossen.In-
dem die scharfen Kôpfe unter den handelnden Personen sich diese Ver-
haltnisse zum BewuBtsein brachten, entstand eine neue, hôchst reali-
stische Theorie des Staates. Und indem sie zu historischen Darstellungen
übergingen und dafür Stoffe wâhlten, die ihnen durch ihren persôn-
lichen Anteil an den Ereignissen besonders vertraut waren, machten
sie die neuen Einsichten sogleich auch für die Geschichtschreibung
nutzbar. Machiavel!! schneb die Geschichteseiner Vaterstadt, Guic-
ciardini die der italienischen Staaten in der Epoche des Unterganges
ihrer Se!bstândigkcit,von der ersten Invasion der Franzosen im Jahre
t49~ bis zu der Schlacht von Pavia, welche die spanische Herrschaft
über die Halbinselentschied. Sie schilderten diese Dinge und Menschen
so, wie sie dieselben in lebensvoller Anschauung vor sich sahen. Die
Dnthty.Gtt.unmttttSdtfifMaïtt 12
'78 /~oM~ CM~ und <~ <<!W<K!~
~t~A!~f
Geschichte wird ihnen zu einem Wettspiel der Parteien und Personen
um den Besitz der politischen Macht. Die Interessen der verschiedenen
wie die.
Kâmpfer, die Aussichten, mit denen sie in die Arena treten,
selben in ihren Talenten und Charakteren, ihren militârischenund diplo.
matischen Hilfsquellen gegründet sind, und nun das aufregende Hin
und Her ihres Streites, in welchem jeden Augenblick allés gewonnen
und alles verloren werden kann, die groBen und kleinen Mittel, deren
sie sich bedienen, diese groteske Mischung von List und Gewalttat,
Krieg und Verhandlung, vor allem ihre Beratungen und Erwâgungen
vor jedem entscheidenden Schritt, bis in die innersten Regungen der
Seele hinein: dieses Schauspiel bildet den Gegenstand der Geschicht-
schreibung von ~chiavelli und Guicciardini, und in der kunstvollen
Entwicklung desselben liegt ihre eigenartige Kraft.
Diese Methode mu6te auf grôSere und gesundere Verhâltnisse als
sie in dem Italien jener Tage bestanden, angewendet werden, damit
sie ihre ganze Fruchtbarkeit entfaltete. Die Bedingungen dafür ent-
wickelten sich wieder in der geschichtlichen Wirklichkeit selbst. In der
zweiten Hâifte des t7. Jahrhunderts traten die Beziehungender groRen
europâischen Staaten unverhüllt unter das Gesetz des natürlichen Egois.
mus. Dieser Gesichtspunkt war gewiB zu jeder Zeit ein mâchdges M&tiv
gewesen. Aber Ideen allgemeiner Art, die nicht unmittelbar aus diesetn
Sonderinteresse stammten und sich ihm immer wieder entgegenstellten,
hatten diesem ursprünglichsten Motiv bestandig eine besondere Fâr-
bung gegeben, wenn sie es nicht gar unterdrückten. Wie das Mittel-
alter, so waren auch das t6. und die erste Hâifte des 17.Jahrhunderts
beherrscht von dem BewuBtsein der übergreifenden Einheit und Be.
deutung des religiosen Bekenntnisses. Aber wie nun doch schon im
Zeitalter der ReformationundGegenreformation eineM&cht, dasFrank-
reich Franz' 1. und Heinrichs I! HeinrichsIV. und der beiden Kardi-
nâte, sich ihre Stellung in der europâischen Politik von:ehmlich aus
ihren natürlichen Interessen, unabhângig von allen konfessioneUen
Schranken bestimmte. so wurde mit dem Widerstand, den die Erobe-
rungskriege Ludwigs XIV. allenthalben hervorriefen, der Selbsterhal-
tungstrieb nun auch für die anderen Staaten immer energischer das
Prinzip der auswârtigen Politik. Es kam hinzu, daB die retigiosen Ge-
danken überhaupt die erste Stelle unter den Motiven der Menschen
verloren andere Mâchte, zunâchst das wirtschaftliche Interesse, losten
sie ab. Sie sind deshalb nicht untergegangen, wie sie denn auch in der
Politik der Staaten immer wieder ihre Rolle gespielt haben, in dem
ganzen Zeitalter Ludwigs XIV. und selbst noch in der Epoche des.
Siebenjâhrigen Krieges. Aber die Zeit ihres uberiegenenEtnflusses ist
nun seit der zweiten Hâlfte des t7. Jahrhunderts vorüber. Das Macht-
? ~«tMMtMj~der <~<<M)M~M~
~<r~)~ '79
recht der Staaten hat sich zur Anerkennung durchgerungen, und keine
andere aJIgemeine Idee, die spâter die Menschen iiber die Grenzen der
Staatenund Volkerhinaus verbunden hat, hat diesesRecht wieder beein.
trâchtigen konnen. Und wie immer wenn gro6e Gedanken sich prak-
tisch durchsetzen, so strebt auch dieser neue Grundsatz der Politik so-
gleich nach seiner Formulierung und Rechtfertigung in der Theorie.
Die publizistische Literatur, welche die Kampfe der zweiten Hâlfte des
t?. Jahrhunderts begleitet, verkündet das Sondérinteresse als den zu-
reichenden Grund der auswârtigen Politik der europâischen Staaten
und betrachtet das Gleichgewichtals den natürlichen Zustand zwischen
ihnen gegenüber allen Tendenzenzu einer Universalmonarchie.Leibniz
hat auch an dieser Arbeit seinen guten Anteil gehabt. In seinen und
seiner Zeitgenossen Staatsschriften haben wir die Anfânge ciner allge.
meinen, von den Bedürfnissen des Augenblickes losgelosten, dynami-
schcn Auffassung der politischen Wirklichkeit zu suchen.
lndem nun aber die praktische PoUtik die europâische Staatenwelt
a!s on System rücksichtslos miteinander ringender Krâfte bctrachtet,
kommt sie auch zum vollen BewuBtseinder Wechselwirkung zwischen
innerer und auBerer Politik. Die ganze gewaltige Entwicklung im
Innem der europaischen Staaten im t~. und 18. Jahrhundert steht unter
dtfsetn Zeichen. Mittel für den Kampf nach auGen zu gcwinnen
durch die intensivste Fôrdcrung aller materiellen und geistigen Krâfte
des Staatcs: das ist vielleicht das mâchtigste Motiv für die groBen
inneren Reformen im Zeitalter des aufgek~ârten Absolutismus. Dièses
Motiv tritt jetzt gleichwertig, wenn nicht überlegen neben die beiden
anderen, die in derselben Richtung wirken, daspersonlicheKraftgefuhl
des Herrschers und das PflichtbewuBtsein,das ihm aus der religiôsen
Begriindung seines Berufes oder aus den Sâtzen der modernen Philo-
sophie crwâchst. Am frühesten hat dieses Prinzip wieder in Frank-
reich seine gewaltige Kraft entfaltet. Die inneren Revolutionen, die
sich hier im t7. Jahrhundert vollzogen, die Zâhmung des groBen Adels
und die Unterdrûckung der Genera!stânde, die Unterwerfung der Huge-
notten und die Feststellung der gallikanischen Kirche, die Errichtung
des stehenden Heeres und die Organisation des zentruhsiertenBeamten*
Staatcs: aHe'5das geschah unter dem fortwâhrenden Dmek der âuBeren
Lage. Und wie nun das Obergewicht. zu dem das Fmnkreich Lud-
wigs X! gelangte, gerade darauf beruhte, daB es zuerst seine innere
Kraft so straff zusammenfaBte,gingen die anderen Staaten notgedrun-
Kenxu den gleichen Rcformen {iber.Keiner so cnergisch und so erfolg-
reich wie der brandenburgisch-preuf3ischeStaat. Seitdem einmal das
Haus Brandenburg im Anfang des 17. Jahrhunderts zuerst einen Teil
derJutichschenErbschaft und dann das Herzogtum PreuBen erworben
t:*«
t8o ~<Mit <&f t~t <~ o!!e<t<M!t<
~tt~~w~
hatte, mu6te es immer wieder in den groBen Fragen, welche die Welt
bewegten, seine SteUung nehmen: am Niederrhein stieBen die Inter-
essen Frankreichs und Spaniens, HoHandsund Englands aufeinander,
wogte der Streit zwischen Katholizismusund Calvinismus am heftig.
sten; im Osten rangen seit Jahrhunderten Deutschtum und Slaventum
ihren harten Kampf, kreuzten sich die politischen und wirtschaftlichen
Interessen Schwede'ns, Polens und RuMands, Dânemarks, Hollands und
Englands. Dazu sah sich dieser Staat durch seine protestantische Natur
und durch seine Besitzungenim Innem des Reiches auf den lebhaftesten
Anteil an den deutschen Ereignissen hingewiesen. Ungeheure Auf.
gaben, würdig des grôBten Staates. Indem sie an das kleine Branden.
burg-PreuBen herantraten, wurde für diesen Staat die Erweiterung
seiner schmalen Basis, die Eroberung Norddeutschlands, gewisser-
maBen zu einer Pflicht der Selbsterhaltung. Bis aber dieses Ziel er-
reicht wurde, galt es die âuSerste Anstrengungund die kunstvollste Or-
ganisation aller im Innem vorhandenen Mittel unter der nicksichts-
losen Einstellung auf den Kampf nach auBenL.Die Erkenntnis dieser
Notwendigkeit hat die innere Tatigkeit des groBen Kurfürsten, des
zweiten Kônigs und dann, mit den wachsenden Aufgaben in gesteiger-
tem MaBe, diejenige Friedrichs bestimmt.Und was in diesem kleinen
preuBischen Staat an Kraftkonzentrationgeleistet wurde, tie6 das fran-
zôsische Vorbild weit hinter sich zurück.

2.
Friedrich der GroBe bat die so gegebenen Gnmdsatze dyna-
mischer Auffassung von Staaten und Staatenverhâitnissen, soweit ich
sehe, zuerst bewuBt und fotgerichtigin die allgemeine poUtischeTheorie
und in die historische Betrachtung der Vergangenheit eingeführt. Er
hat sie jedenfalls am eindringlichsten zur Anwendung und Darstel-
lung gebracht: weil sie bei ihm aus einer Er f a h r u n ggroBten Stiles
erwachsen waren. Die beiden Schriften der Jugendzeit, die ,Betrach.
tungen über den gcgenwârdgen Zustand des politischen Kôrpers von
Europa" und der ,Antimachiavell", die ,,Memoiren zur Geschichte des
Hauses Brandenburg", die groSen Werke zur Geschichte der eigenen
Regierung, die zahlreichen politischen Abhandlungen diese ganze
schriftstellerische Tâtigkeit richtet sich auf das eine Ziel: die Erôrte-
rung der politischen und historischen Erscheinungen auf den breiten
Boden der Wirklichkeit zu stellen, wie sie sich der unbefangenen
Betrachtung und der eigenen Erfahrung darbot. Die preuBische Monar.
chie steht ihm immer im ~~itte!pun~:t des Interessesund der Darstellung.
Aber sie steht nicht aUein in der Wett. Nicht einen Staat, sondern
Staatef und Staatensysteme zeigt die Wirklichkeit. In diesem allge-
~<~0~ !8t
Die~&WM*MMM~ ~~)!H< /~W~~
meinen Zusammenhang stellt sich jeder Staat als eine in der Person
seines Regenten reprSsentierte Einheit dar. Er ist ein Individuum im
GroBen, mit allen Eigenschaften eines solchen, mit dem GefiiM seiner
Seibststândigkeit und seiner Kraft und mit der Betadgung dieses Ge.
fühls in dem Streben, sich zu behaupten und durchzusetzen, sich zu
verstârken und zu vergro&ernauf Kosten der anderen Staaten. Druck
und Gegendruck, Aktion und Reaktion: unter diesem Gesetz stehen
die Erscheinungen der politischen Welt, unter ihm werden sie von dem
wirkenden Staatsmann b;ehandelt und von dem politischen und histo-
rischen Schriftsteller begriffen. Der Krieg ist das natürliche Verhâlt-
nis zwischen den Staaten. Der Friede selbst ist nur eine ,,Fortsetamg
des Krieges mit anderen Waffen". Das Streben, die Machtmittel ihrer
Staaten fur den rastlosen Kampf nach auGen zu verstarken, regiert
deshalb die ganze innere Tatigkeit der Fürsten und Minister. Allé Ein.
doch
richtungen und Verbesserungendienen diesem Zweck oder werden
mebr oder weniger auf ihn bezogen. Das Ma6 von Freiheit und GMck,
dessen sich die Untertanen erfreuen, hângt in erster Linie von dieser
Rücksicht ab. Die innere Geschichte ist ganz bedingt von der âuBeren.
Diesem Konig der Auik!arung, der alles, was er tut und was er
schaut, dem Raisonnement unterwirft, war es nun Bedürfnis, dieses
Kraftesystem, in welchem sich die Geschichte der Staaten und Volker
bewegt, immer wieder, bald in seinen gegenwârtigen, bald in seinen
seine
vergangenen Erscheinungen, zu beschreiben, zu untersuchen, in
letzten Faktoren zu zerlegen, bis er die einfachen Gesetze gefunden
hâtte, die dasselbe beherrschen, und die festen Normen, die sich daraus
für das praktische Handeln ableiten lieBen. Das war nur môglich, weil
er nicht nur Genie der Tat und politischer und historischer Schriftsteller,
sondem auch Philosoph war.
Die Individuen, welche die Gesellschaft bilden, sind alle, so lehrt
ihn seine Philosophie, von e i n er Triebfeder zu ihren Handlungen be-
stimmt ihrem Eigeninteresse. Dieses ist der ,,Hûter unserer Seibster.
ha!tung, der Bildnerunseres Glückes, die unversiegliche Quelle unserer
Laster und unserer Tugenden, das verborgene Prinzip aller Handlungen
der Menschen". Dies Prinzip der Selbsterhaltung war seit einem Jahr.
hundert von verschiedenenDenkem anerkannt worden. Es war die Be.
der christlichen Ver.
jahung des Lebens gegenüber allen Vemeinungen
gangenheit. Staatsmânner undWeltleute dieser hôfischen Epochekamen
in ihm ûberein. Und die abstrakte Philosophie fand ihre Rechnung in
einer so einfachen Triebfeder, welche die Deduktion der Entstehung
von Recht und Staat, der Regeln des wirtschaftlichen Lebens und der
Maximen der Politik gestattete. A!!es das wirkte in dem Geiste dieses
Konigs, der zugleich in der Fülle diesseitigen Daseins sich auszuleben
!82 /Mf<~4 <&rC~ M<~<~ ~Mt<t~ .<4<{/SM~~

bcgehrte, dcr inmitten der politischen Intrigen stand, die Europa um.
spannten, der Literaten, HôfJinge und ,,gekronte Bôsewichter und
Dummkôpfe aller Sorten" genugsam kennen gelernt batte, und der
endJich aJs Phi!osqph an der Erbsiinde dcr Abstraktionen und des
,,Prinzips" seinen gut gemessenenAnteil batte. Auch sein Begriff von
Seibsnnteresse schtieBt freilich, wie einst dieEudâmonie des Sokrates.
alles in sich, was Befriedigung und Erhôhung des Seelenlebens zu er.
wirken vermag, eine Abstufung der Werte von Freude, von Steigerung
des Dascins im Gefühl: der hôchste und der cinzig sichere Wert ist
,,die volikommene Stille der Seele, die sich auf die Zufriedenheit mit
uns selbst gründet, darauf, t)a8 unser Gewissen unsere Handlungen
billigen darf."
Wie aus einzeJnen Steinen ein Palast, so setzt sich der Staat zu-
sammenaus den Individuen, die in ihm vereinigt sind. Er ist ein crstes
System von Krâften, der Ausdruck eines dynamischen Verhâltnisses
einzelner Krâfte, die nach Natur und Geschichte enger zusammenge.
hôren. Friedrich hâ!t in bezug auf den Ursprung des Staates an den
Lehren des Naturrechtes fest. Ein erster Vertrag begründet die Rechts.
ordnung, dann wird das obrigkeitliche Verhâltnis, das den Staat aus-
macht, in einem zwciten konstituiert: ganz wie altère Naturrechtslehrer
das aufste!lten. Aber Friedrich denkt nicht juristisch, sondem poli.
tisch. Ihtn gilt es nicht Abgrenzungenvon Rechten, sondern lebendige
funktionelle \'erhâltnisse. Denn er ist tief davon durchdrungen, daB es
die lebendigen Krâfte des Interesses sind, die den Zusammenhang des
Staates erwirkcn. Die Rcchtsordnung ist in dem Prinzip der Gegen.
seitigkeit gegründet. Unsn \'erha!ten gegen andere steht unter der
Regel, dem entsprechen zu mus~en,was wir selbst von ihnen fordem.
Aus den Leistungen eines Rechtsstaates, in welchem das Streben der
Einzelnen nach Glück ihnen durch eine feste, gesetzliche Ordnung ga-
rantiert ist, entspringt der Patriotismusseiner Bürger. Und wenn nun
der Unterwerfungsvertrag hinzutritt und das Untertanenverhâltnis
schafft, so cmpfângt in ihm die Obrigkeit nur die Funktion, die Herr-
schaft des Gesetzesim Staat und die hôchste Steigerung des allgemeinen
WoMes zu erwirken. Ihr Existenzrcchtruht darin, wie sic die Gesetze
schützt, die Justiz übt, die guten Sitten erhâlt und den Staat nach auSen
verteidigt. Aber dieser Rcchtsstaat ist zugleich Wohlfahrtsstaat. Seine
Bedingung ist, da6 das Interesseder Obrigkeit zusammenfallemit dem
Wohl des Ganzen. Dies ist am vollkommenstenerfüllt in der erbUchen
Monarchie, in welcher eine für das Staatswohl erzogene Beamtenschaft
unter dem Konig ats oberstem Beamten nach Gesetzen im Sinne des
aUgemcincn Interesses regiert. Al!e Tatigkeiten der Verwaltung sind
hier in e i n er Hand zusammengefaBt. Die groBte Konzentration der
C~W<y des ~<M~.
~<!M<MMT ~<MM~<~ & t~Mt<~ J~
Macht in Politikund Krieg ist gesichert. Die Interessen aller Teile des
Staates wirken im Sinne der Erhaltung und Starkung des Ganzen, ohne
die Reibungen der Parteien, die in allen anderen Verfassungsformen
unvcrmeidiich sind.
So ist die gesetzlicheMonarchie unter einem echten Kônig die voll-
kommenste unter den Verfassungen. In ihr ist die Erziehung des Eigen-
interesses zur Vaterlandsliebe auf eine aristokratische Stufenfolge der
Motive des Handelns gegründet. Denn auf dem aristokratischen Be-
wu8tsein der tiefgreifenden Wertunterschiede unter den Menschen,wie
es PIato, die Stoiker, Goethe erfüllte, beruht die ganze Staatsauffassung
Friedrichs. Die Masse ist von Eigeninteressen niederer Art regiert.
Eben darin offenbart sich nun aber die Kraft des Rechts. und WoM-
fahrtsstaates indem er das ganze Dasein seiner Untertanen durch seine
wohitâtigc Fürsorge umfaBt und bestimmt, bindet er sie ganzUchan
seine segensreicheExistenz, wie cin Vater seine Kinder. Ehrgeiz, Ver.
langen nach Ruhm und die Freude an machtvollem Wirken sind die
Deweggrun<}edervomehmenSeeIen.tlus ihrer Zahltrcten die Menschen
hochster Ordnung hervor, welche von Geburt so glücklich angelegt
sind, daB ihr Herz sie treibt, wohl zu tun; sie üben die Tugend aus
Neigung. Geburt, Familie und Tradition, Erziehung, die Philosophie
und das Leben mit den Alten mussen zusammenwirken zur Zuchtung
dieser vomehmen Rasse: denn auf ihr beruht doch schlieûlich die Re.
gierung des Staates. Friedrich sagt einmal, daB eine Monarchie wie
die preuBischesich der Oligarchie nâhere: der von demselben Staats-
und StandesbewuBtseingetragene Inbegriff der Personen, die in der
Verwaltung, in der Diplomatie und in der Armee tâtig sind, nimmt
teil an der Souverânitât des Staates und beschrânkt die ~îacht des
~lonarchen. Und darin âuûert sich nun der Wirklichkeitssinn des
allen
Kônigs, seine Erfahrung geschichtlicher Gro&e im Gegensatz zu
verwaschenenTugendideatcn, daB er auf allen Stufen von Menschen-
dasein die bewegende Kraft zum Handeln in dem Gefühl und der Nei.
gung erkennt, die den Willen bestimmen. DaB er die Aufgabe erfaGt,
\aterIandsUebe als die zusammenhaltende Kraft im Staate aus dem
Eigeninteresse hervorzubringen. Wie der Platonische Sokrates im Ge-
fângnis den Gesetzen mahnende Rede verleiht, so !â6t Friedrich ein-
mal das Vaterlandsprechen ,,zu den Enzytdopâdisten des ganzen Univer.
sums" ,Entartete, undankbare Kinder, denen ich das Leben gab, wer-
det ihr immer unempfindlich gegen die Wohitaten bleiben, mit dencn
ich euch uberhâufe?" Er zaMt diese Wohltaten auf in einer prachtvollen
Rede, die aus dem tiefstcn Lebensgefühl des Kônigs stromt. "Vcrzeihen
Sie, mein Freund," so scMieBt er, ,,der Enthusiasmus reiBt mich fort;
ich habe Ihnenmeine Seele ganz nackt gezeigt."
t84 jPW~ <&fG~ MMf<? <&M&~~M&IMy
Aus diesem seinem Staatsbegriff ergibt sich für Friedrich die Ver.
urteilung der unhistorischen Konstruktionen von Montesquieu; er hat
diese Abneigung. den Beamten, die mit ihm arbeiteten, insbesondere
Zedlitz und Hertzberg, mitgeteilt. Wenn der franzôsische Theoretiker
in der Tugend die Haupttriebfeder der repuMikanischenVerfassungen,
in der MâSigung die der aristokratischen und in der Ehre die der mo.
narchischen erblickt, so sah Friedrich hierin nicht ohne MiGver*
stândnis eine doktrinare SchruUe:wie sollte nicht die Monarchie aaf
die tugendhafte Gesinnung ihrer Beamten rechnen müssenl Vor allem
ist die Teilung der Gewalten und das kûnsttiche Gleichgewicht, das
Montesquieu konstruiert, in Widerspruch mit dem Begriff einer starken
monarchischen Spitze, einer gesammelten Staatseinheit. Denn darauf
beruht doch vornehmlich jede andere nützlicheEigenschaft des Staates,
daS er unter den Rivalen sich sicher und michtig zu erweisen die
Kraft habe. Und aus soichen lebendigen Vorstellungen flieBen nun die
merkwürdigen Auûerungen des Konigs, die mit der seit Aristoteles
üblichen Einteilung der Verfassungen sehr rücksichtslos verfahren.
Diesen Formenbetrachtungen setzt er überall die Funktion und die un-
endliche Mannigfaltigkeit der geschichtlichenEntwicklung gegenüber.
Sein Ideal der Monarchie ruht ganz auf der Person des Fürsten.
Dieser ist zunâchst auch nur das Individuum,das sich selbst behauptet,
seine Grôl3e, sdnen ,,Ruhm" sucht. Denn das "erste Prinzip der heroi-
schen Handlungen ist der glückliche Instinkt, der dem Menschen den
Wunsch einflôBt, eine gute Reputation zu genie&en; er ist der Nerv
der Seele, welcher sie aus ihrer Letargie erweckt, um sie zu nützlichen,
notwendigen und ruhmuchen Taten zu treiben." Indem nun aber der
Furst den Staat darstellt, muB er seinen eigenen Ruhm in dem des
Staates suchen. "Das wahre Verdienst eines guten Fürsten ist die auf-
richtige Hingebung an das oHendicheWohl, die Liebe zum Vaterlande."
,,Der Fûrst ist der erste Diener des Staates." So wird der Charakter der
leitenden Personen, die Kraft, mit welcher sie das Interesse ihres
Staates zu erkennen und sich mit demselben zu identifizieren wissen,
zu einem weiteren Faktor für die Entwicklung und Erktârung der Ge-
schichte. Wo in den Fürsten und unter ihnen in ihren Beamten und
Offizieren dieser Zusammenklang stattfindet, da entspringen die gro-
Ben Entschlüsse und Taten, steigen die Staaten empor zu Macht und
Ruhm; sie sinken und gehen unter, wo die persôniichen Neigungen
die Forderungen des allgemeinen Interesses kreuzen, hemmen, unter-
drucken. Das PreuBen der Hohenzollernist für Friedrich das Beispiel
für die eine, das Frankreich Ludwigs XV. das für die andere Seite
dieses Satzes.
Die Politik bedarf keiner anderen Triebfedem a!s derjenigen, die
<~t J?~<M~<&<N&M~t '85
hieraus folgen: Eigeninteresse, Machtstreben, Ruhmbegierde, Vater-
landsliebe. Es sind die Krafte, aus denen auch die groBen alten Schrift-
steller, die Friedrich bestândig gegenwartig waren, alle heroischen
Handlungen der Geschichteableiten. Gerade das ist der Hauptsatz des
viel verkannten ,,Versuchs über die Eigenliebe", da& der Staat nur
xahten darf auf ein so starkes, immer und uberall reges Prinzip, wie
es das Eigeninteresse ist. Aus ihm ist er entsprungen, ihm verdankt
er seine Erhaltung und so nun auch sein Strebennach Expansion. Weder
irgendeine theclogische Moral noch irgendein historisches Recht sind
Krafte, mit denen der Staat emstlich rechnen darf. Das Interesse des
Staates ist der einzige MaËstab für die Handlungen des Fürsten. In-
dem Friedrich daran die eigenen Taten mi&t,findet er sie gerecht und
notwendig. Vorab die groBen, folgenschweren Entscheidungen, den
,,Schritt über den Rubicon" im Jahre (740, die Konventionvon Klein-
Schnellendorf und ihren Bruch, den Frieden von Breslau, die Schild-
erhebung von t744, den Frieden von Dresden, den gewaltigsten, ver-
hângnisvollsten EntschluB: das ,,Prâvenire" von t/sô, die polnische
Teilung, den bayerischen Erbfolgekrieg. Wie hart und bitter lautete
das Urteil der Zeitgenossen,der Freunde nicht weniger als der Feinde,
über alle dièse "Treulosigkeiten und Gewalttâtigkeiten" Die prakti-
schenRücksichten des Augenblickes mochten es notwendig erscheinen
lassen,die wahrenMotiveeiner solchenPolitik durch juristischeGrunde
im alten Stil zu verhuHen, und Hertzberg hat sich immer \'iel darauf
zugute getan, daË er das ,,Reeht" auch der rücksichtslosesten Hand-
lungen seines Monarchen ,,deduziert" habe. Vor dem Erben seiner
Krone, für den er seine Testamente, und vor der Nachwelt, für die er
seine historischen Werke schrieb, verschmâhte Friedrich diese Ver-
stellung. Frei und sto!z bekennt er sich zu dem Prinzip des Staats-
interesses als der wahren Triebfeder seiner Politik, und seine letzten
Wunsche gelten dem Fortleben dieses Grundsatzes in PreuBens Herr-
schem, in seinenOffizieren, seinen Beamten, in allen seinen Untertanen.
Die dynamische Auffassung der geschichtlichen Welt bringt
Schwierigkeiten mit sich, wie sie von jeder einseitigen Betrachtung
menschlicher Dinge untrennbar sind. Auf dem Gebiete des inneren
Staatslebens bildet das grô6te Problem, das sie zu losen hat, die Ver.
bindiichkeit des burgerlichen Gesetzes. Entsprechend erhebt sich fur
sie bei der ErHârung der Beziehungen der Staaten zueinanderdie Frage
nach der Gültigkeit des Votkerrechtes, wie ein seiches in bestimmten
VcTtrâgenund in allgemein beobachteten Gebrâuchen vorliegt. Frie-
drich scheut sich nicht, die hârteste Konsequenzzu ziehen. ,,Der Léser
wird," so führt das Vorwort der "Geschichte meiner Zeit" vom Jahre
'746aus, ,,in diesemWerke Vertrage geschlossenund gebrochen finden.
t86 /<<A der 6~ und <~ .~Mih~
ïch sage dazu: wenn sich unsere Interessen andem, müssen sich unsere
Allianzen mit ihnen ândern. Unser Amt ist, über dem Glücke unserer
Vôlker zu wachen; sobald wir für sie in einer Allianz cineGefahrsehen,
müssen wir dieselbe brechen. Hierin opfert sich der Fürst fur das Wohi
seiner Untertanen. Diejenigen, welche diese Handlungsweise so hart
verdammen, betrachten das gegebene Wort als etwas Heiliges. Sie
haben recht, und ich denke wie sie, soweit es sich um den Einzelnen
handelt. Der Ftirst dagegen setzt durch sein Wort das Glück aller auf
das Spiel; es ist also besser, daB er einen Vertrag brèche, als daB das
Volk zugrunde gehe." Und als der Kônig im Alter sein Werk noch ein.
mal redigierte, hat er wohl die Fâlle, in denen er den Bruch des ge.
gebenen Wortes als Pflicht angesehen wissen will, nâher za bezeichnen
utitemommea; aber das Prinzip wird dadurch nicht berührt: "Das iMcr'
esse des Staates dient dem Fürsten zum Gesetz, und dieses Gesetz ist
unverletzlich." So schlieÛt er auch in der Geschichtedes Siebenjâhrigen
Krieges die Beweisführung, daB der Angriff des Jahres t~gô ein Akt
der Notwehr gewesen sei, mit den bezeichnenden Worten: ,Kurz. es
handelte sich um das Wohl des Staatesund um die Erhaltung des Hauses
Brandenburg. Ware es in einem so schweren, sa wichtigen Falle nicht
ein unverzeihlicherpolitischer Fehler gewesen, wenn man sich an teere
Formalitâten gehalten hâtte? ïnt gewôhniichen Lauf der Dinge darf
man sich von diesen nicht entfemen in au6erordent!ichen Lagen mu8
man sich über sie hinwegsetzen."
Alle Mittel sind im Dienste des Staates erlaubt. Friedrich erzâhlt
es als etwas Selbstverstândliches, wie er ôsterreichische und sâchsische
Beamten bestochen habe, um in den Besitzder Schriftstücke zu kommen,
die ihm die Absichten der Gegner aufdeckten. Er macht nur eine
Einschrânkung: die Fürsten sollen, wie die Helden der franzosischen
Tragôdie, selbst im heiBesten Streit die âuBeren Formen wahren und
den Skandal vor der Welt vermeiden.Die wustenSzenen am Reichstag
von Regensburg im Frühling t757 und die rohen PreBfehden, die dar-
auf folgten, erregen seine Indignation. ,.Der Kônig !ie& der Kaiserin-
Konigin bemerken, daB es für die Herrscher genüge, ihre Streitigkeiten
mit den Waffen zum Austrag zu bringen, ohne sich vor der Welt durch
Schriften zu prostituieren. die für die Markthatten, nicht für die
Throne paBten."
Aber dieser aufrichtigste aller Geschichtsschreiber erkennt die Be-
rechtigung des Prinzips, aus dem er die eigenen Handlungen begründet,
auch für die seiner Gegner an. Kein Tadel, keine Entrüstung, wenn er
die ôsterreichische Politik schildert. Er betrachtet es als selbstver-
standtich, daB Osterreich nach der Wiedereroberung Schtesiens oder
nach dem Ersatze dieses Vedustes durch Barern strebt. DieBeharrIich-
<~ ~f~
AT<M~ 2Ê7
keit und Geschicklichkeit, mit welcher Kaunitz an der Herstellung der
Konstellationarbeitet, die far PreuBen die Leiden und Gefahren des
Siebenjâhrigen Krieges herauffuhrt, wird anerkannt und bewundert;
wenn eine bittere Stimmung hindurchklingt, so geschieht es angesichts
des grausamen Verhangnisses, welches aus jeder einmal vollzogenen
Stôrung des politischen Gleichgewichtes immer neue Erschütterungen
hcrvorgchen lâBt. Und das harte Urteil über Josef II. richtet sich nur
dagegen, da& er seine UïMetnehmungenhastig und ohne Verstândnis
fur die politische Lage beginnt, um sie dann in der Stunde der Gefahr
ebcnsoeilig und grundlos tvieder aufzugeben.So wird auchdemkleinsten
und gehâssigsten in der Schar der Gcgner sein Recht: Graf Brühl han-
delte richtig, als er sich zweimal mit ôsterreich gegen PreuBen vcr-
bündete denn er begriff, daû PreuBen ein seibstândiges Sachsen nicht
dulden konnte. Sein Fehler und seine Schuld lagcn nur darin, dat~
er es unterHeB, der sâchsischen Politik den notwendigen Rückhalt
in der sâchsischen Armée zu geben. Er erwartete alles von den
guten Diensten Osterreichs und RuBlands. ,Jeder Staat tâusch:
sich, der, anstatt sich auf die eigene Kraft zu stützen, auf diejenige
seiner Verbündeten zâhit." Denn noch e i n Mal: nicht Gefühle der
Freundschaft und ErkenntHchkeit regieren die Politik der Staaten,
sondem die Rücksicht auf den eigenen Vorteil. Immer wieder zeigt
Friedrich dicses mâchtige Agens auf, selbst bei Entschlüssen, die,
wie das franzosisch-ësterrcichische Bündnis von 1756, auf den ersten
Blick mehr eine Verletzung als eine Wirkung des natürlichen Inter.
Mseszuseinscheinen.Und wenn er nun am Vorabend groBer Erschutte-
rungen, wie vor dem ersten Angriff auf Sch!esien. vor der Erôffnung
des Siebenjâhrigen Krieges, oder in den Epochen der polnischen Tei-
lung und des bayerischenErbfolgekrieges, die politischeLage des Welt-
teils überblickt und die vielvcrschlungenen Fâden aller dieser egoisti-
schen Interessen entwirrt, dann verbindet sich der schâffste politische
B!ick mit der hôchsten Kunst der Geschichtschreibung zu Gemalden,
wie sie nach ihm nur Ranke geschaffen hat.
DaS der Staat Macht sei zu diesem Satz von MachiaveHiund
Hobbes hatte sich Friedrich schon in seinem Anti-Machiavellbekannt.
Es war die grôûte und zusammcnhângendste Erfahrung seines ganzen
Lebens. Eine Erfahrung. die Tag und Nacht in seiner Seele gegenwârtig
war und seine ganze lange Helden!aufbahn bestimmte. Der Staat, der
sich in dem allgemeinen Kampf behaupten und durchsetzen will, darf
keinen Augenblick ruhen, die in seinem Innern gelegenen Mittel zu
starken, zu organisieren. zu zentralisieren. So erfaSt Friedrich den Zu.
sammenhang. in welchem dieâuBerePolitik die innereVerwaltung des
Staates bestimmt. \'on diesem Gesichtspunkt aus beschreibt er seine
t88 ~!MM~ der Cn!~ kxd dit <<w<t<~~M<r
Friedensarbeit vor und nachdemSiebenjabrigenKriege.
Milit&rwesen,
Finanzverwaltung, Wirt<chaftspo!itik.Fôrderung der geistigen Inter.
essen: Alles dient demselben klar erfa6tenZweck. "Alle
Zweige der
Staatsleitung stehen untereinander in innigem Zusammenhang; Finan.
zen, Politik und Kriegswesen sind untrennbar; M genügt nicht, da&
eines der Glieder wohl besorgt wird; sie wollen es alle
gleichennaBea
sein. Sie müssen gelenkt werden in geradgestreckter
Flucht, Stirn bei
Stirn, ~te das Viergespann im olympischen Wagenkampf, das mit
gleicher Wucht und gleicher SchneUkraftdie vorgezeichnete Bahn
durchmaB, den Wagen zum Ziel und seinen Lenker zum Siege trug."
Friedrich Wilhelm I. ist das "erste Beispieleines groBen
Fursten, dena
er setzte aj: sein Tun zu dem Gesamtentwurfseiner
Politik in Beziehung".
PreuBen ist vor allen anderen Staaten auf diese
Notwendigkeit stârk-
ster Anspannung und Zusammenfassungseiner inneren Kraft
angewie.
sen. Denn dieses ZwitterwesenzwischenKônigreich und Kurfürstentum
ist plôtdich in die Reihe der groBen Mâchte
emporgestiegen, ohne
doch schon nach Umfang und Bevôlkerungdie Autarkie im Sinne des
antiken Staatsbegriffes zu besitzen. Hier setzt Friedrich die
Aufgabea
seiner Nachfolger: die Erwerbung Sachsens soll der erste Schritt auf
der Bahn zur HersteUung der natürlichen Schwere des
preu&ischen
Staates sein. Bis man diesesZiel erreicht hat, gilt es, in der inneren Ver-
fassung einen Ersatz zu suchen. "Die groBen Staaten gehen ihren Weg
von selber, trotz eingerissener MiBbrâuche; sie halten sich durch ihr
Gewicht und ihre innerliche Starke; die kleinen Staaten werden schnell
zermalmt, sobald nicht alles bei ihnen Kraft, Nerv und Lebensfrischeist.'
Eigeninteresse als das leitende Motivder Menschenund der Staaten,
allgemeine Wechselwirkung dieser Krafte in der Form von Druck und
Gegendruck, Abhângigkeit der inneren Zustânde der Staaten von ihrer
âuBeren Geschichte dieses Schema, welches seit den Tagen der
Hobbes und Spinoza vorbereitetwar und dem Zeitalter der d'Alembert
und Lagrange so nahe lag, t~t für Friedrich sein Leben
lang seine
GewiSheit behauptet. Die ~îaximenfür das praktische Verhalten, die
er daraus ableitete, haben sich unter dem EinfluS der
Erfahrung gc-
andert. A!s er die Geschichte seinerbeiden ersten
Kriege schrieb, stand
er noch unter dem Eindruck der glânzend
gelungenen Improvisation
des Jahres 1740. Der Gedanke der Expansion, in einem
günstigen
Augenblick der europâischen Lage gefa6t und energisch durchgefuhrt,
besitzt für ihn noch etwas Aussichtsreiches,Verlockendes. Aber wie
nun schon die sehr viel besser vorbereitete
Untemehmung des zweiten
schlesischen Krieges nach den gewaltigsten WechseIfâUen am Ende
zu keiner neuen Erweiterung der
preuBischen Grenzen geführt natte:
mit der wacbsenden eigenen und fremden
Erfahrung setzte sich ia
JiMMW<~<a~W~M~. ~M/<M~~«!~ 2~

seiner Seele immer starker die Oberzeugung fest, da&, wie zur Zeit
Macht und Interesse in der europâischen Staatenwelt geordnet seien,
ein Gleichgewichtbestehe, welches wohl durch einen verwegenen Ent.
schluB einmal erschüttert, nie aber dauemd geândert werden kônne.
Denn jeder Krieg teilt den Weltteil sogleich in zwei ungefâhr gleich
starke Lager, und die gewaltigsten Erschuttemngen fuhren immer wie.
der im wesentlichen zur Wiederherstellung des früheren Zustandes.
Einc Festang, wenige Quadratmeiten Landes, deren Ertrag nicht ein-
mal die Kosten des Krieges deckt: das ist im günstigsten Falle der
karge Lohn der grôBten Anstrengungen. So wird die Aufgabe det
praktischen Politik dahin beschrankt, diese nutzlosen Erschütterungen
rechtzeitig ïu verhüten oder doch gleich im Beginn zu unterdr&cken.
Ist sie auch nur dieser Aufgabe gewachsen? Wir würden nur einee
Seite der politischen und Mstorischen Schriftstellerei Friedrichs be-
rücksichtigen, wollten wir an seinen Betrachtungen über diese Frage
vorûbergehen. Das letzte Wort hat in dem Leben jedes handelnden
Menschenein Etwas-Machiavelli bat, wie die Renaissanceûberhaupt,
sich immer wieder damit beschâftigt: das Irrationale, das durch keine
Rechnung aufzulosen ist. Friedrich wei6 nicht, soll er es Vorsehung
oder Schicksalnennen. Er neigt doch immer wieder zu der letzten Auf*
fassung. Es ist eine "dunkle Gewalt, die voll Verachtung der Projekte
der Menschenspottet". Sie ist ,,starker als dieHelden, dicKônige und
Feldhcrm". Sie treibt die Menschen, immer wieder ihre stolzen Plane
zu schmieden, und macht sie immer wieder zuschanden. "Diese Narren
werdennicht müde, in diese Latema magica zu starren, die ohne Unter.
IaB ihre wesenlosen Bilder vor ihren Augen hervorbringt." Diese
grausame Macht gibt "jedem Alter sein Steckenpferd, dem Jungung
die Liebe, den Ehrgeiz dem Manne, den politischen Kalkül dem Greisc".
Und tauscht sie doch aile. Dieser skeptischen Stimmung in bezug auf
die Erfolge der gewaltigsten Anstrengungen entspricht es, wie der alte
Held immer mehr sich zuruckneht in das stoische Bewu6tsein der
Pflichterfüllung, unangesehen die âuBeren Wirkungen unseres Han.
delns. Eine Stille der Seele, in welcher sie aus dem Zusammenhang
der Welthândel, deren Ausgang immer unsicher ist, heraustritt. Die
Lebensverfassungder groBen rômischen Imperatoren, welche in der
grôbten ~chtfuUe, die jemals da war, es doch empfanden, daB wir
am Ende nur unser selbst sicher sind. Friedrich schIieSt in seinen
spâteren Jahren keines seiner Werke ohne diese Skepsis. Am 20. Juni
!779 unterzeichnete er in Potsdam die Memoiren zur Geschichte des
bayerischen Erbfolgekrieges. Es war der AbschluB seiner Geschicht-
schreibung überhaupt. "Das ist nun die Bestimmung der menschlichen
Dinge, daB darin a!lerorten die Unvollkommenheit herrscht. Das Los
Ï<)0 Friedrichder C~ und o~ o~A~ ~t~M&iMM
der Menschheit ist, sich mit dem Ungefâhr zu begnugen. Was ist das
Ergebnis dieses Krieges, der ganz Europa in Bewegung gesetzt hat?
DaB fur dieses Mal Deutschland vor dem impenalen
Despotismus ge.
rettet worden ist, daB der Kaiser eine harte Demütigung erfahren
hat,
indem er zurückgeben mu&te, was er sich angemaBt hatte. Aber welche
Wirkung wird dieser Krieg für die Zukunft haben? Wird der Kaiser
vorsichtiger werden? Wird jeder ruhig seinen Acker bauen kônnen?
Wird der Friede sicherer sein? Wir konnen auf diese
Fragen nur als
Pyrrbonianer antworten. In der Zukunft liegt jegliches Ereignis im
ReichedcsMSglichen. UnserBlickistzubeschrânkt, um die zukunftigett
Verkettungen der Dinge vorauszusehen. Es bleibt uns nur übrig, uns
der Vorsehung oder dem Fatum zu überlassen. Diese Mâchte werden
die Zukunft regieren, wie sie die Vergangenheit
regiert haben und
die Ewigkeiten, die vor dem Erscheinen der Menschen dahin.
gegangen sind."

3.
Das Meiste von dem, was Friedrich schrieb, wurde erst nach seinem
Tode verôffentlicht. Aber schon lange vorher stand die Nation unter
dem Eindruck seiner Person!ichkeit und seines Lebenwerkes. Die
groGen Grundsâtze seiner auswârtigen Politik und seiner Staatsverwal.
tung lagen offen zutage; sie gingen in das preuBische Beamtentum
über, in alle k!aren und scharfen Kôpfe diesseit und jenseit der preu-
Bischen Grenzen. Der Anblick dieses Kônigs und dieses Staatcs weckte
in unserem Volke das Verstandnis der politischen Wirklichkeit. Mitten
in einem Zeitalter, welches für se!bstandige, unverauBerhchc Rechte
der Person, für Aufk!arung und Humanitât, für Form und Schônheit
schwârmte, a~ die Einheit der Menschhcit in der neuen gro6en Kultur
und ihren unaufhaltsamen Fortschritt, dem cwigen Frieden
entgegen,
glaubte, setzte sich nun die Erkenntnis durch, daB die Handlungen
der Konige und Staatcn doch nicht unmittelbar aus ihrer idealert Kultur.
bestimmung abgeleitet werden kônnen: der Staat ist selbstândigen
Wesens; er ist Macht, und Machtstreben ist das erste Motiv & seines
Tuns; er ist in hestandigem Kampfemit den Nachbargewalten begriffen,
und dieses Verhâhnis bedingt seine Verfassung und
Verwaltung. Diese
Erkenntnis wirkte fort. Sie wurde zu einem daucmdcn
Prinzip aller
cchten politischen und historischen Betrachtung. In der universalhisto.
rischen Lebensarbeit Rankes ist die Méthode der
Geschichtschreibung
Friedrichs des GroBet) zu ihrer hochsten
oiïpndungdurchgebildet.
Aber schon in Hcrtzberg, Kant, Sch!ozer und anderen
Zeitgenossen ist
die Wirkung der neuen realistischen Auffassung der
politischen Dinge
sichtbar.
Z~M~~WA~ '9'

He r t z b e r gbatte sich schon als junger Legationsrat an den Ar-


beiten der Akademie beteiligt mit zwei sehr gelehrten Abhandiungen.
A!ser nun auf der Hôhe seines Lebens in die Akademie zurückkehrte,
bewegten sich seine Vorlesungen und Abhandlungen auf cinem ganz
anderen Gebiet; sie bildeten jetzt geradezu einen Teil seiner Minister-
wirksamkeit. Mit dem Jahre 1780 ùbemahm er es, die Festreden
in den offendichen Sitzungen zu halten, welche die Akademie an den
jahrcstagen der Gcburt und der Thronbesteigung ihrer konigMchen
Protektoren veranstaltete. Nie sind wohl die Festtage einer gelehrten
Gesellschaftmit gleichen Reden begangen worden. Denn die Berliner
Akademiewurde nun das Auditorium, vor welchemder leitende preu-
Ëische Minister Natur, Verfassung und Politik seines Staates vertei-
digte, um den Patriotismus seiner Untertanen auf den festesten Grund
zu stellen, den es gab, auf den der politischen Bildung. Diese Funktion
der Akademie entsprach der Staatspadagogie Friedrichs und der Art,
wieer in ihren Dienst das wissenschaftlicheDenken und dessen Organi-
sation in der Akademie gestellt wissen wollte. Sie entsprach auch dem
BewuStseinder Verantwortlichkeit,welches den gro&en Kônig erfüllte,
seiner nie verborgenen, nie aufgegebenen Anschauung, da6 die Sou-
verânitatursprünglich bei dem Volke ruhe. So reicht denn auch der An-
Friedrichs
fang dieses neuen Amtes der Akademie in die letzten Jahre
zurück.Und derjenige Minister, der sich in einer langen Reihe gemein-
sam durcharbeiteter Jahre am tiefsten mit dem Gciste des groBen
den
Konigs erfüllt hatte, Ewald von Hertzberg, stellte sich selber in
Dienst dieser Aufgabe. Und als dann in Friedrich Wilhelm II. eine
Pcrsonttchkettden Thron bestieg, deren Denken und Wollen in einer
so ganz anderen Richtung lag, hielt wieder Hertzbergauch in bezug auf
dicse neuc Stellung der Akademie die Friderizianischen Traditionen
aufrecht. Bis die entgegengesetzten Tendenzen allenthalben die Ober-
hand gewannen und mit dem EinfluB des Ministersdes Auswâftigen
auch den des Kurators der Akademie vemichteten.
Hertzberg geht immer, bald stiHschweigend,bald ausdrucMich,von
der Kritik aus, die den Friderizianischen Staat nun immer scharfer
traf. In der physiokratischen Schule waren Prinzipien der politischen
Okonomiezur Gcitung gelangt, welche die Einseitigkeit des merkanti-
listischen Systems, auf dem die Wirtschaftspolitik Friedrichs beruhte,
an den Tag brachten. Diese Prinzipien machte Mirabeau in seiner un-
barmherzigen Schrift über die preuGische Monarchie geltend. Neue
Anschauungenvon Staatsrecht und Staa<swirtschafthatten sich mit
Rousseau und Adam Smith durchgesetzt. Die groBen politischen Tat-
sadten selber, die VerwaltungTurgots. die Kâmpfe des englischenPar-
lamentes gegen die absolutistischen Tendenzen des Konigs, der ame-
19' /MMM9t ~X~f <MM~
<&<O~A~h~~<{/M~
rikanische Freiheitskrieg, ail das forderte zur Kritik des preuBischen
Systems heraus. Und nun schienen die Grundsâtze selber, auf denen
die alten Monarchien beruhten, durch die franzôsische Revolution a'*
schüttert zu werden.
Die Summealler Bedenken, aller Kritik diesem preuBischen Staats-
wesen gegenüber war: der Staat Friedrichs ist ein éphémères Gebilde,
die unnatürliche SchOpfungeines groûen Genies; sein kleiner Umfang
und seine spârliche Bevôlkerung widersprechen der groBen Rolle, die
er unter den europaischen Mâchten zu spielen wagt; nur indem er die
Krafte seiner Untertanen riicksichtstos anspannt, vermag er diese RoNe
einstweilen zu behaupten; so muB er mit Prinzipien und mit Mitteln
regieren, welche Freiheit, Wohlstand, Wûrde und Glück der Unter.
tanen zerstôren; er lebt in der bestândigen Gefahr des Unterganges.
Sagen wir es immer wieder: was uns heute wie Sonnenglanz über
diesem t8. Jahrhundert zu liegen scheint, ist die groBartige Selbst.
zuversicht, die seine handelnden Personen erfüllt, ihre feste Cberzeu
gung, daB sie die Zwecke des Lebens richtig bestimmt und in tdaren,
unwidersprechlichen Prinzipien ausgedrückt haben, so daB sie nun in
der harten Arbeit des Augenblickes immer von dem BewuBtsein erfuHt
sind, Bleibendes, Zukünftiges zu schaffen. Wir môgen noch so deutlich
zeigen, wie einseitig, wie optimistisch und in seinem Optimismus wie
kurzsichtig oft dieses Jahrhundert war im Gegensatz zu ihm ist ja
das neunzehnte des Rechtes seiner historischen Auffassung sicher ge
worden etwas wie stiller Neid bleibta!s Bodensatz jeder historischen
Analyse zunick: es war doch eine glückliche Zeit. Auf den Schtacht
feldem von Jena und Auerstâdt brach, was an diesemFriderizianischen
Staate überlebt war, in einer Katastrophe ohnegleichen zusammen. In
den Reden, die hier Hertzberg zwanzigJahre vorher in dem Festsaal
der Akademie hielt, k!ingt auch nicht der leiseste Ton an, den wir heute
ais eine Ahnung solcher Schicksale deuten kônnten. In stolzer Zuver.
sicht führt Hertzberg das Thema durch: diese Monarchieist unter den
môglichen Formen politischer Existenzdiejenige, in welcher mit Wohl-
fahrt und Macht des Ganzen, Sicherheit, Freiheit und Gluck der ein-
zelnen Bürger am besten verbunden sind. und so tragt dieser Bau, wie
er dasteht, in allen seinen Teilen den Stempel der Bestandigkeit.
Hertzberg hat die Gedanken Friedrichs über Politik und Geschichte
ganz zu den seinigen gemacht in ihnen findet er das stârkste Rüstzeug
für seine \'erteidigung der preuBischen Monarchie. Nur jenen bohren-
den Drang, die menschlichen Dinge bis in ihre letzten Beziehungen zu
durchdenken, ohne Rücksicht darauf, ob sie darüber den gieiBenden
Schimmer der OberHache verlieren, und jene stoische Rcsignation,
welche die Ohnmacht des menschlichen Wirkens in dieser der unbe-
M~f ~7<MM~<i~ ~M<!M J~93
rechenbaren Macht des Schicksals unterworfenen Welt erkennt und erst
in den Tiefen der eigenen Seele Freiheit und Wurde wiederfindet:
dièse Zûge wird man bei Hertzberg nicht suchen dürfen. Er ist Zeit
seines Lebens der groBe Optimist gewcsen, der nie den Glauben an die
AUmacht der menschlichen Vemunft verloren hat. Das dynamische
Prinzip, nach welchem Friedrich die Probleme des politischen Lebens
betrachtet, reicht fur Hertzberg zu einer vollstândigen Erkiârung der
menschlichen Geschehnisse aus, und so ist ihm auch der Erfolg des
darauf gegründeten Handelns gewiB. Er hait sich an die e i nee Seite der
Gedanken seines Meisters; ihm fehlt die tragische Zwiespâltigkeit der
universalen Naturen.
So erscheint auch in den akademischen Reden Hertzbergs der Staat
zunâchst als ein Ganzes, als ein Individuum, und sein heiBes Streben
nach Macht und Ruhm als das primâre Motiv seincr Handlungen. Und
zwar beruht auch für Hertzberg das Recht, diesem Motiv zu folgen,
zuletzt auf der bloBen Existenz desselben: es ist ein natürliches Recht.
Aber es ist der Friedrich nach dem Siebenjâhrigen Kriege, dessen An-
schauungen Hertzberg aufgenommen hat oder war es ein Zugestând-
nis an das humane Ideal der Aufklarung: der Minister erkennt zwar,
wenn er die Eroberungspolitik der beiden ersten schlesischen Kriege
verteidigt, dieses Recht in seinem vollen Umfang an, beschrânkt es
aber für die Gegenwart und Zukunft auf den EntschluB, die einmal
gewonnene Stellung zu behaupten oder den Frieden zu bcwahren.
Wollte man diesen preuBischen Ministernur nach diesen vor der groBen
We!t gehaltenen Reden beurteilen, man kônnte ihn kaum als den wahren
Xachfolger des gro6en Kônigs bezeichnen, so wie dieser ihn sich in
seinem politischen Testament gewünscht batte. Hat doch Hertzberg so.
gar einmal die seitdem immer wieder ausgenutzte Bemerkung gemacht,
Friedrich habe den Siebenjâhrigen Krieg eigentlich unnôtigerweise be-
gonnen er hâtte erkennen mussen, daB der allgemeine Angriff, von
dem er sich bedroht glaubte, nur fur den Fall geplant sei, da6 er dazu
selber den AnIaB geben würde. Und so gnindet er auch die Pflicht zu
dieser konservativen Politik am liebsten nun doch wieder auf die andere,
dem einzeinen Menschendie Môglichkeit zueinemglücklichen, der fried-
lichen Betatigung aller seiner Krâfte gewidmeten Leben zu gewâhren.
Sehen wir indessen von diesen Schranken ab, so hait Hertzberg das
groBe Prinzip fest, und es ist der eigentliche Zweck seiner Reden, die
Zuhorer, die im Festsaal der Akademie wie die anderen allé im ganzen
Lande, mit dem BewuBtsein der notwendigen Beziehung zu erfüllen,
in welcher alle inneren Einrichtungen und Anordnungen eines Staates
zu den Aufgaben stehen, die ihm aus seiner Stellung in dem System
der groBen Mâchte erwaehsen. Deshalb verteidigt Hertzberg mit Fried-
Citthey.CeMmmdtt 111
ScMftm 13
!94 ~M~t <&~6~~ <M~<? <&w<'f<~
~<M~&&wy
rich die Monarchie als die natürliche Verfassungdes modernen Staates.
Denn nur die Regierung, in der scMieMch ein Wille das Ganze be-
stimmt, kann hier leisten, was die ausw&rtigePolitik verlangt. Hertz.
berg erkiârt überhaupt einen groûen Staat mit einer republikanischen
Verfassung für eine Chimâre. Rom und Karthago sind eigentlich nie
Republiken gewesen; wenigstens knüpft sich in ihrer Geschichte jede
groûe Epoche an eine tatsachliche Monarchie.Die moderne en~Iische
Geschichte lehrt dieselbe gro6e Wahrheit, gegen Montesquieu und alle
diejenigen, die mit ihm für eine Teilung der Gewalten schwârmen, und
dem neuen republikanischen Frankreich prophezeit Hertzberg schon
im Jahre 1793, daB es sich nach den furchtbarsten Leiden glucklich
schâtzen werde, zur Monarchie zurückkehrenzu konnen. In derselben
Weise rechtfertigt er die groBen stehenden Heere seiner Zeit. Nicht
der Eiteikeit der Fürsten, sondem dem Druck von auBen vcrdanken sie
ihr Dasein, und wie dieser Druck nie aufhôrt, so wird auch der mi!itâ-
rische Charakter der modernen Staaten sich behaupten, allen humanen
Deklamationen zum Trotz. Und diese harte Notwendigkeit erHart mehr
ode" weniger auch alle anderen Institutionen, die diesen Staaten ihren
Charakter geben. Besonders auch ihre Tendenzzur Leitung des ganzen
wirtschaftlichen und geistigen Lebens des Volkes. Der Anspruch des
Einzeinen auf Selbstbestimmung kann nur so weit Benicksichtigung
finden, als es das Machtbedurfnis des Staates gestattet. Das kleine
PreuBen kann auf eine solche Konzentrationseiner Mittel am wenigstcn
verzichtcn; nur auf diese Weise kann es ersetzen, was ihm an natur
licher Schwere abgeht.
Hertzberg bleibt nun aber bei diesem einen Mittel, die Schôpfung
der Hohenzollern zu verteidigen, nicht stehen. Indem er seinen Gegnem
auf den Boden der Anschauungen und Bestrebungen des Jahrhunderts
folgt, unternimmt er den Nachweis. daB selbst wenn man die euro-
pâische Stellung des preuBischen Staates auûer acht !ieËe, die Menschen
in diesem Staate sicherer, glücklicherer und freier leben als irgendwo
sonst. Erst in seiner letzten, im Jahre t793 gehaltenen Rede, als er be.
reits in der Stimmung des entlassenen Ministers sprach, sieht er in
England den verhâltnismâSig vollkommenstenStaat.
Nirhts bot dem Kritiker des FriderizianischenStaates so viel AntaB
zu hcftigem Tadel als die schwere Last, die gerade hier die Armée für
den Bürger bedeutc. Mit dem ganzen SetbstbewuBtseinministerieller
Sachkenntnis setzt demgegenüber Hertzberg die Eigentümlichkeiten
der preuSischen Armeeverwaltung auseinander, dieses ganze künsttiche
System der Rekrutierung, Ausbildung, Unterhaltung und Vertcilung
der Truppen, durch welches man dahin gelangt sei, daB die Armee die
wirtschaftliche Kraft der Bevôtkerung nicht nur nicht schâdige, sondem
J~f .S)~ der ~ct<f~~ <M<<H~~ <Mh/f<nMH_95
vidmehr steigere. Und die bloBe Existenz dieser starken Armee ver-
hindert den Krieg. Die groBeneuropâischen Staaten besitzen alle unge-
fâhr dieselbe mititârische Kraft, so daB keiner von einem Angriff auf
den anderen lohnenden Gewinn erwarten dart, ein Gleichgewicht ist
zwischenihnen hergestellt, welches zum Frieden zwingt. Die Zeit der
groBen âuûeren Revolutionen, da ganze Staaten zerstort und ganze
Vôtkerunterjocht wurden, ist vorüber. Hertzberg überspannt diesen Ge-
danken so weit, daû er bis zu dem Augenblick, da auch ihm die fran-
zosischeRevolution die lieb gewordenen Ideenzirkel zu storen begann,
den Ktieg überhaupt nur noch als das ttaun~e Merkmal der Ver.
und
gangenheit behandelt. ,,Der ewigeFriede, der Traum Heinrichs IV.
St. Pierres", ist zur Wahrheit geworden, nicht durch besondere Ver-
trâge oder kirchliche Autoritâten,sondem durch die aligemeine Kriegs-
rüstung. ,Die Geschichte wird nicht mehr interessant sein durch
das glânzende, aber betrübende Bild der Revolutionen, Eroberungen,
ScMachtenund alles dessen, was man mit Unrecht die groSen Ereig-
nisse nennt. Die Kônige werden ihre Namen nur noch dadurch unsterb-
lich machen kônnen, daB sie Ackerbau, Handel und das ganze innere
Glück ihrer Staaten fôrdem." Die Aufgabe des wahren Staatsmannes
beschrânkt sich unter diesen Umstânden auch für Hertzberg darauf,
dieses Gleichgewicht so, wie es in diesem Augenblick besteht, vor Sto-
rungen zu bewahren.
Und wie nach auBen, so gewâhrt der preuBische Staat auch nach
innen seinen Untertanen die grôGte denkbare Sicherheit. Die Krimi-
nalstatistik zeigt, daB die Zahl der \'erbrechen in den preuBIschcn
Landen auBerordentlich gering ist. Das ist das Verdienst der schnellen
Polizei und gercchtcn Justiz dieses Staates. Seine monarchische Ver-
fassung besitzt allein die Einheit und die Stetigkeit, den WiUen und die
~~acht,die dazu gehoren, den inneren Frieden aufrecht zu halten. Und
sie besitzt auch allein die Fahigkeit, durch solchen âuBeren Zwang
die Menschen moralisch zu erziehen, so daB die Rechtsubung des
Staates ihren starken Rückhalt in dem Rechtssinn des Volkes findet.
Es ist nicht wahr, was Montesquieusagt, daB die Tugend das Privileg
der Republik sei; die wahre Tugend gedeiht nur in der Monarchie. Die
sic istjeden-
Republik weckt und nâhrt vielmehr die Leidenschaften;
falls auQcrstande, dieselben im Zaum zu halten. Der Bürgerkrieg ist
daher der bestândige Begleiter der republikanischen Verfassung. Die
Geschichtelehrt diese furchtbare Wahrheit auf jedem ihrer Blâtter, am
gewaltigsten an dem Beispieldes alten Rom. Die Idealisten der Gegen-
wartaber, die da glauben, der historischen Weisheit entraten zu konnen,
môgen auf das blutige Schauspielblicken, welches der Welt das junge
Frankrcich gewâhrt. Und wenn die \'olker nur zu oft unter der Ruhm-
t9& _Mf<<McA die <&M<f~~<<~t«~
der G~< <fw<~
sucht oder unter der WiUkur ihrer Fürsten geseufzt haben: die Wua-
den, die ihnen ihre inneren Kriege geschlagen haben, sind doch immet
die schwersten gewesen. Die Fehler der Monarchie liegen auBerdem
immer nur in der Person; die der Republik liegen in dem System.
Schutz gegen auBere und innere Gewa!tist die Voraussetzung alles
individuellen Schaffens und GenieËens. Jeder wei& indessen, daB sich
der preuSische Staat auf solche Leistung nicht beschrankt. Er stellt
sich selber in den Dienst der Wohïfahrt seiner BQrger. Seine bestândige
und erfolgreiche Sorge überwacht und leitet sie in aHem, was sie tun
und lassen, ihre Leiber und ihre Seelen. Denn die Fürsten dieses Staates
haben zuerst und vollkommen ihren hohen Beruf erfa6t: die Erziehung
des Volkes durch die Kultur für die Kultur. Der Staat Friedrichs des
GroBen, nicht derjenige Rousseaus und der neuen franzosischen Gesetz
geber, ist deshalb der moderne Staat, der wahre philosophische Staat.
Diese ,,Pseudophi!osophen" werfen die Menschheit zuruck in den Zu-
stand der Natur, d. h. in den der tierischen Roheit und Wildheit. Die
letzte Bûrgschaft dafür, daB der preuSische Staat seine groûe Mission
bewahre, findet Hertzberg doch wieder in seinem Verhâltnis zu den
anderen europâischenMâchten. DerXachteil, der für den Staat in seiner
geringen natürlichen Kraft liegt, wird für den Bürger zumVorteil. Denn
in einem groBen Staate fâllt in der Regel mit dem âuSeren Antrieb auch
der EntschluB zu solcher Kulturarbeit weg. ,~ïan kann," so formuliert
Hertzberg einmal diesen Gedanken, "auf diesen moralischen Gegen-
stand wie auf die Physik das berühmte Prinzip der kleinsten Aktion an.
wenden. Wie die Natur für ihre Operationen nur die kleinste Kraft an.
wendet, welche erforderlich ist, so machen die mittleren Staaten zu
ihrem Glück von allen Kraften Gebrauch, deren sie bedürfen und fahig
sind. wâhrend die groben kaum diejenigen geltend machen, die sie
unerlâGlich notig haben, und dem Schicksal die anderen überlassen,
die ihnen uberf!ùssig erscheinen."
Bleibt noch darzutun, ,.daB die preu&ischeRegierung nicht despo
tisch ist." Der Beweis beruht zunachst auf der Fridcrizianischen Unter-
scheidung der despotischen und der gesetzmâBigen Monarchie. Wenn
irgcndein Staat, so wird der preuSischc gesetzmâBigregiert. Der Konig
stellt fest, was Recht sein soll, und ubertâËt dann die Ausübung der
Justiz ganz den ordentlichen Tribunalen. Er unterzeichnet keineletires
de cachet; Spandau ist nicht, wie die tôrichte Ver!eumdung will, eine
preuBische BastiUe.Der Kônig mischt sich nicht in den Gang der Pro-
zesse, auch dann nicht, wenn er selber Partei ist, so wenig, daB er es
vielmehr den Gerichten zur Regel gemacht hat, in allen zweifelhaften
FâUen gegen den Fiskus zu entscheiden. Er hat nur das schône Recht,
die Todesurteile zu revidieren, seiner Gewalt vorbehalten. Und jetzt
Der .S~ <&~ ~)!ih'~ .'97
hat dieser preuBische Rechtsstaat in einem allgemeinen Gesetzbuch
seine Krônung empfangen; welcher andere Staat kann sich einer
die
gleichen Arbeit rühmen? Aber Hertzberg geht tiefer. Er stellt
preuBische Monarchieder franzosischen des alten Régime gegenüber,
und es macht seinem Scharfblick Ehre, wie er ihren Unterschied er-
faBt. Das alte Frankreichwar eigentlich keine Monarchie, sondem cine
Aristokratie. Adel und Klerus waren es, die wirklich regierten; das
Kônigtum übte seine Gewalt gewissenmaBennur im Auftrage ~iieser
beiden Stande. In den Grenzen aber, die so der Wirksamkeit der fran-
zôsischenKrone gestecktwaren, waltete sie mit allen Zeichen des Despo-
tismus. Das hatte seinentiefen Grund darin, daB hier die Leitung und
Führung der Geschâfte in der Hand alhnâchtiger Minister und Inten-
danten lag. Denn jeder Beamte, der sich selber überlassen bleibt, trâgt
in sich den Keim zum Despoten; er vergiBt über der Freude an der
eigenen Macht das Interesse des Staates. In PreuBen dagegen ist der
Konig der wahre Monarch,in der voUen,durch keinen Adel und keinen
Klerus beschrânktenFreiheit seines Entschlusses, in der Energie seiner
eigenen, alle Zweige der Verwaltung :usammenha!tenden und immer
wieder in das Detail hinabsteigenden Tâtigkeit, in seiner bestandigen
\'crbindung mit allen Stufen der Behôrdenorganisation und allen Schich-
ten der Bevôlkerung. Diese Selbstherrschaft des Fürsten bürgt dafür,
daB das gemeine Wohi das hôchste Prinzip der Regierung bleibt. Denn
darin stimmt Hertzberg ganz mit seinem groBen Kônig überein, daB
das eigene Interesse das letzte Mot~vaHes Handelns ist, und daB es
nur in der Person des Fursten wenn es wirtdich verstanden wird
mit dem Interesse des Staates zusammenfâllt. In dem Charakter des
preuBischen Beamtentumsist ein weiteres Bollwerk gegen die Gefahr
des Despotismus gegeben. Auf der einen Seite durch die Selbstregie-
rung des Monarchenund die kollegialische Verfassung der Behôrden,
auf der anderen durch seine mannigîattigen Beziehungen zu der ein-
gc?essenenBevô!kerungdes Landes fortwâhrend überwacht und gelei-
tet, hat dieses Beamtentumin einer tangen Tradition einen Geist ent-
wickelt, der es zum Organ des reinen Staatswillens macht. Wie jedes
andere pcrsônHche Interesse, so würde auch die Willkür des Fürsten
an diesem Wa!l ihr Ziel finden. Dazu besitzt nun das preuBische Volk
selber einen wesentlichen Anteil an der Regierung: in den Stânde-
yersamm!ungcn der Provinzen und Kreise und in dem spezifisch
den
preu&ischenInstitut des Landrates. Hertzberg entwickelt geschickt
ist
mannigfattigen Nutzen dieser stândischen Organe. Dieser Nutzen
um so grôBer, als in ihnen das Volk eine Vertretung findet, wie sie
«eincrnatürlichen Gliederung entspricht. Denn die Behauptung, daBaUe
Menschen gleich seien, ist ein Traum: sie führt, wenn man sie in die
'98. v /M'<~ C~ <~ <&w< <4<<w
Wirklichkeit ubertr&gt,wenn man wesentliche Funktionender Regierung
einer aus allgemeiner Wahl hervorgegangenenVersammiungûber!â6t,
zu dem ârgsten Despotismus, der denkbar ist, zu dem Despotismus
demokratischer Parteiführer. Hertzberg findet auch hier die Bestâti.
gung seiner Sâtze in der Geschichte. Freilich wieder nur durch einen
Kunstgriff: indem er das, was diese stândischenInstitutionen demjjreu.
Bischen Staat in der Not der sieben Jahre geleistet haben, in das hellste
Licht stellt, die harten Kâmpfe dagegen, in denen einst der groûe Kur-
fürst und Friedrich Wilhelm I. den rocher de bronze ihrer Monarchie
etablierten, nur andeutet, als die kleinen, zeitgemâben Verbesserungen
einer im wesentlichenseit den Tagen des Tacitusbewâhrten Verfassung.
Diese Einrichtungen müssen also geschont und entwickeltwerden. Der
Bauemstand muB den Anteil an ihnen erhalten, der seiner Bedeutung
entspricht. Auch ihr Wirkungskreis lâBt sich erweitem. Allerdings kann
dem stândischen Element bei der Gesetzgebungimmer nur eine be-
ratende Stimme zugestanden werden, und das Gebiet, auf dem es seine
Mitarbeit am besten entfalten kann, bleibt die Exekutive. Und so ware
auch eine allgemeine Standeversamm!ungfür die ganze Monarchie nur
ein zwecktoses,vielleichtsogar ein gefâhrHchesExperiment. Gleichviel,
die Anschauungen, die Hertzberg hier entwickelt und alles deutet dar-
auf hin, daB er auch hier nur diejenigen Friedrichs in der zweitenHalfte
seiner Regierung interpretiert bezeichnencinen bemerkenswerten
Fortschritt gegenüber dem Absolutismusder voraufgegangenen Zeiten.
Sie kündigen zugleich die Richtung an, in welchernun die preuGische
Monarchie ein halbes Jahrhundert lang das Verlangenihres Volkes nach
einer ,,Verfassung" zu befriedigen suchen wird.
Wer den preu6ischen Staat despotisch schalt, unterMeBnicht, als
Beweis dafur auch die sogenannte Leibeigenschaftder Bauem zu bc
nutzen. Wie ja denn in der Tat kein anderes Verhâltnis den Idealen
des Jahrhunderts so schroff widersprach ais diese neue ,,Sk!averei".
Hertzberg sucht zu zeigen, daB auch dieser Vorwurfauf der Unwissen-
heit oder auf der BoswiHigkeitder Tadler beruhe, daB auch hier das
ehrliche Studium der Wirkiichkcit ein ganz anderes Urteil ergebe. Eine
Leibeigenschaft gibt es zunâchst in Deutschland überhaupt nicht, und
was man so zu nennen liebt, Erbuntertânigkeit, ist weder so allgemein
verbreitet noch so aUgemein verha6t, wie man gem behauptet. Aber
ihre Eigenart und Bedeutung empfângt diese Auseinandersetzung doch
wieder erst durch die politische Würdigung, die der Minister dem an-
gegriffenen Institut widerfahren tâBt. Dieses Verhaltnis ist mit den
wichtigsten Einrichtungen und Vorzugendes preuBischen Staates so
eng verwachsen, daB seine Erhaltung schon deshalb einstweilen
eine Notwendigkeit ist. In denselben Tagen verteidigte Justus M oserr
"99
F~A~ "L.
die "Leibeigenschaft". Hertzberg gehorte denn auch zu dem kleinen
Kreise auserlesener Geister, die den Anschauungen und Bestrebungen
des Patriarchen von Osnabrückihren Beifall zoltten. Was der preuBische
Ministeran diesem Manne schâtzte, war eben der gleiche praktische
Blickfür das politisch Mogliche und Notwendige und dann die gleiche
ein-
Begeisterungfür das Deutschtum. Damals, als Môser in den Streit
hat
griff, den F riedrichs Schrift über die deutsche Literatur entfachte,
Hertzbergseinen MitMtrtpfefdurcheinen schônen Bnet und durch die
Cbersendung einiger Erzeugnisse seiner Feder wir bemerken dar-
unter auch seine ersten akademischen Reden ausgezeichnet.
So ruht denn der preuGische Staat auf Grundlagen, welche seinen
Bestand und seine Ruhe sichem, auch in dieser bangen Zeit, wo die
atteste der europaischen Monarchienin schteckenvoûen Ereignissen zu-
sammenbricht und die Anzeichen sich mehren, daB die Katastrophe
sich nicht auf Frankreich beschrânken werde. So notwendig und ge-
recht die Revolution auf dem Boden Frankreichs ist, wo Konigtum und
Stândc Jahrhunderte lang ungestraft an der Nation gesündigt haben:
so sorglos kann der preuBische Staat in die Zukunft blicken. Wenn er
nur seinen eigentümlichen Prinzipien trsu bleibt. Und daB diese Prin-
cr Minister
zipienin der Tat weiterleben, das sucht Hertzberg, solange
er
ist, immer wieder seinem Auditorium darzutun. Deshalb verbindet
mit seinen Reden rege!mâ6ig eine Cbersicht über die Politik der preu.
Bischen Regierung in dem verflossenen Jahr, über die auswartige so-
wohl wie über die innere. Ja er fügt als Anhang gewohntich eine Auf-
stellung über die Verwendung der Staatseinnahmen hinzu, wenigstens
soweit dieselben der Fôrderung der groBen inneren Kulturaufgaben
gedient haben. Schon die Zeitgenossenverglichen diese Nachwcisungen
mit den RechenschaftsberichtenNeckers.
Alles das ein unerhorter Vorgang, unerhôrt in diesem absoluten
Staatswesenund in einem Zeitalter, in welchem das Geheimnis als die
erste Regel aller Politik galt. Auch hebt denn Hertzberg immer wieder
dei Fortschritt hervor, der in diesem EntschluB der Regierung lag.
Der Vorwurf, daB auf diese Weise die Sicherheit des Staates preisge.
nur
geben werde, rûhrt ihn nicht: eine preuBische Regierung konne
Offent-
gcwinnen,wenn sie in das helle Licht des Tages hinaustrete; die
lichkeit sei nur für diejenigen Regierungen eine Gefahr, welche die
dunklen und unterirdischen Pfade liebten. Freilich, wer daran dachte,
in wc!chemMaBe in England seit einetn Jahrhundert cin groBer Staat
seine Handtungen der Kritik der Nation unterbreitete, oder wie sich
das gleiche
jetzt das franzôsischeVolk in den Schrecken der Revolution
Recht errang, dem konte, was PreuBen hier als ein neues Geschenk
seiner aufgekiârten Monarchie empfing, karg genug erscheinen. Und
200_<it der G~ «~ o~ <~<t~ ~<~Aww~
doch, es war ein Aniang, und wenn man dieseTat des Friderizianischet).
Staates würdigen wiU, so soll man nicht vergessen, wie schon nach
wenigen Jahren dieser schwache Lichtschimmer von Publizitât wieder
erlosch und nun lange Zeiten folgten, da sichdie preuBischeRegierung
scheuer denn je in ihre Sitzungszimmerzunickzog. Und selbst als dann
die Landtage und Reichstage Wirklichkeit wurden: Eines kam in
diesen aus den Massenbewegungen der modernen Zeit hervorgestiege-
nen GcbHden doch nicht zum Ausdruck: jene tiefe Cberzeugung, die
doch auch dieser politischen F unktion unserer Akademie zugrunde
gelegen hatte, daB wissenschaftliche Bildung die Bedingung aller poli-
tischen sei.

4.
Das Gedâchtnis des groBen Kônigs der Nachwelt m erhalten,
muBte seinen Dienern als eine der vomehmsten Aufgaben der Aka.
demie erscheinen. Wer fuhite nicht heute noch mit ihnea? Carlyle,
ein Fremder, doch mit dem hôchsten Sinn für historische GroBe be.
gnadet, hat sich in diese Aufgabe auhaltender und enthusiastischer
vertieft als in irgendeine andere. Luther, Friedrich, Goethe, Bismarck:
das sind die hôchsten geschichtlichen Besitztümerunserer Nation.
Die Festsitzung der Akademie vom 25. Januar 1787 stand unter
dem Eindruck des Verlustes, den PreuBen erlitten hatte. Hertzberg
hielt, wie immer, die Festrede. Sie wirkt nicht durch die Pracht der Dik-
tion oder durch das Pathos der Begeisterung. Sie ist nûchtem sachlich,
wie alles, was Hertzberg spricht und schreibt. Aber eben in dieserFonn
macht sie den tiefsten Eindruck. Denn ihr Thema ist zu groB für jede
Rhetorik. Hertzberg berichtet von der Tâtigkeit des Kônigs in dem
letzten Jahre seiner Regierung. Dasselbe rastlose und erfolgrciche Stre-
ben, wie es der Redner schon so oft hat schHdemkünnen. Der âuËere
Friede ist durch den Ausbau des Fürstenbundes gesichert, die innere
Kultur wieder ein gutes Stück weitergebracht worden, trotz schlechter
Ernten und vcrwùstender Cberschwemmungen, und neue umfasscnde
Plane für das Jahr 1787 haben den Kônig bis zu seinem letzten Augen-
blick beschâftigt. Und wie heilig still wird es an diesem Friedrichstage
in dem Saal der Akademie geworden sein, als nun Hertzbcrg als
Augenzeuge die letzten fünf Wochen des groBen Lebens xu schildem
begann. Die Krankheit ist schon so weit entwickelt,daB der Konig sich
nicht mehr bewegen kann; er bleibt Tag und Nacht in seinem harten
LehnstuM. Und doch verrat kein Laut des Schmerzes, nicht einmal ein
ungeduldiges Wort, wie schwer er leidet. Er zeigt immer dieselbe
heitere Ruhe. Er spricht nie von seiner Krankheit oder von seinem
Ende; er unterhalt seine Geselischafter in der interessantesten Weise
~~(~~M~&~M~t~f_20'
von Politik, Literatur, Geschichte, vor allem immer wieder von seinen
wirtschaftlichen Plânen. Die durch jahrelange Gewohnheit festge.
stellte Einteilung des Tages wird nicht geandert. Früh um 4 oder $
Uhr sind die Kabinetsrâte zur Stelle. Der Kônig diktiert ihnen seine
Entscheidungen auf die Masse von Berichten und Eingaben aller Art,
die ihm jeder Abend und jeder Morgen bringt. Es sind die wichtigsten
Geschâfte des Staates; der Kônig widmet ihrer Erledigung regdmaBig
sieben bis acht Stunden. Er empfângt darauf den Kommandanten von
Potsdam, um mit ihm den Dienst der Garnison festzustellen. Nun erst
ifindeter Zeit xu einer kurzen, auf das Notwendigste beschrànkten Kon*
sultation des Arztes. Die letzte Stunde des Vormittags vergeht im Ge-
sprâch mit Hertzberg und den andem vier standigen Gâsten von Sans-
souci in diesen denkwürdigen Tagen. Dann diniert der Kônig allein.
Am Nachmittag werden zunâchst die inzwischen ausgefertigten Be-
fehle durchgesehen, ergânzt und unterzeichnet. Die Stunden von 5 bis
8 Uhr sind wieder der Unterhaltung gewidmet. Der Kônig speist dann
wieder allein zur Nacht und schlieBt sein Tagewerk indem er pich
Cicero oder Plutarch vorlesen laBt, die groBen Alten, in deren stoischen
Maximen er auch jetzt, amZiele seines Lebens,dasGegengewicht findet
gegen den bitteren Skeptmsmus, mit dem er alles Wollen und Wirken
begleitet. So gehen die Tage hin, einer dem andem gleich, bis am
t6. August die Agonie und in der folgenden Nacht der Tod eintritt. Und
nun gibt Hertzberg, gleichsam an der Bahre des Toten, einen Uber.
blick über die sechsundvierzig Jahre dieser beispiellosen Regierung,
in groBen Zügen, mehr erinnemd als enâhlend: er will den Totalein-
druck hervorrufen. So kommt er auch in seinen spâteren Reden immer
wieder darauf zurück, was Friedrich für PreuBen bedeutet. Er hat
PreuBen in die Reihe der groSen M&chtegestellt. ,,Der PreuBe wird
fortan seinen cigenen Namenführen und bei dem Klange dieses Namens
aufflammen wie einst der Mazedonier und der Rômer." Er hat die Auf-
gaben, die dem preuBischenStaat aus dieser neuen Stellung erwachsen,
klar erkannt und rastlos zu erfüllen gesucht; cr hat indiesem Zusammen-
hang zugIeich das Hôchste geleistet, was ein Fürst für das Wohl seines
Volkes leisten kann. Und wie er sein eigenes Leben bis zu seinem letzten
Atemzuge in den Dienst des Staates gestellt hat, so hat er seine Offiziere
und Beamten, sein ganzes Volk zu dem gleichen Patriotismus erzogen.
Sein Geist ist es, der in dem preu&ischen Staate lebt, der Geist des
rastlosen, aber auch festen und sicheren Handelns, des aufgekiarten,
aber auch sittlich ernsten Denkens. Es ist zuletzt, wie Hertzberg klar
erkennt, der ,,kuhle und feste Geist der deutschen Philosophie", im
Gegcnsatz zu dem revolutionâren Leichtsinn der franzôsischen Bildung.
Friedrich hat so in dem preuBischen Staate das Vorbild geschaffen,
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dem die Fürsten des Jahrhunderts überall nacheifem, es doch nie er-
reichend, und die Nachwelt wird nur gerecht sein, wenn sie das tS.Jahr.
hundert als das Zeitalter Friedrichs des GroBenbezeichnenwird.
Ebenso groB wie der Kurator der Friderizianischen Akademie hat
der Philosoph der Friderizianischen Epoche über den Kônig gedacht.
Wenige Jahre vor dessen Tode verôffendichte Kant seine Abhand.
lung: "Was ist Aufkiârung?" ,,Aufklârung ist der Ausgang des Men.
schen aus seiner selbsverschuldeten Unmundigkeit..&<? audel"
Und in diesem Zusammenhang spricht er von seinem
Kônig. "Ein
Furst, der es seiner nicht unwürdig findet zu sagen, daB er es fürPflicht
halte, in Religionsdingen den Menschen nichts vorzttschreiben,sondem
ihnen darin voile Freiheit zu lassen, der also selbst den
hochmutigen
Namen der Toleranz von sich ablehnt, ist selbstaufgekiârt und verdient
von der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige
gepriesen zu wer.
den, der zuerst das menschliche Geschlecht der Unmündigkeit, wenig.
stens von seiten der Regierung, entschlug und jedem frei lieB, sich
in allem, was Gewissensangelegenheit ist, seiner eigenen Vernunft zu
bedienen." Er zuerst erwies allen Regierungen durch sein
Beispiel, dâû
von der Freiheit des Denkens nichts zu fürchten ist für die Ruhe und
Einheit des Staates. Von allen Seiten ertônt der Ruf:
,Râsonniert
nichtt" Nur ein einziger Herr in der Welt sagt: ,Râsonniert, soviel
ihr wollt, und worüber ihr wollt; aber gehorchtt"
Hertzberg ist, wie Friedrich, erfüllt von dem praktischen Wert der
Geschichte. Eben weil dicse Sôhne des t8. Jahrhunderts so gar nicht
unter dem Geheimnis des geschichtlichen Prozesseslitten, konnten sie
die Geschichte gleichsam als eine groBe
Beispielsammlungbetrachten,
deren Studium unmittelbar unterrichtend und erziehend wirke. Die Be-
schâftigung mit der Geschichte des eigenen Landes bringt auCerdcm
noch einen besonderen Nutzen: sie stâh!t den Patriotismus. Vor allem,
wenn es sich um einen Staat mit der Vergangenheitdes preuBischen han-
delt. Deshalb wird fürHertzberg noch mehr als fürFriedrich
diePflege
der vaterlandischen Geschichte ein wichtiger Faktor in
demallgemeinen
pâdagogischen System des Staates. Und dem Beruf, der ihr in diesem
Staate zukommt, entsprechend, soll die Akademie auch hier das Or
gan sein, durch das der Staat die Wissenschaft seinen Zweckendienstbar
macht. Die Akademie kann. so erkiârt Hertzberg, ihre Mémoires nicht
besser fuïlen und ihre Preise nicht nützlicher austcilen, als indem sie
die Biographien aller der Mânner veranstaltet, welchedem
preuBiachen
Staat im Heer, in der Verwaltung und in den Künsten und Wissen.
schaften gedient haben. Plutarch und Nepos sollen das Muster sein.
Denn jeder kennt den gewaltigen Eindruck, den diese Schriftsteller
machen, zurnal auf die heranwachsende Generation. Und er entwirft
~~Mit~ 203
AM~tM~JM'Ç!')~ «~ ~Mt&~M'<M&<
Gedâchtnis so die
auch sogleich die stolze Tafel der Namen, deren
Akademie der Zukunft zur Nacheiferung überliefern soll.
Da faute denn Hertzberg schon damais den Gedanken einer offi-
aiellen Biographie des gro6en Kônigs. Wie weit seine Absicht ging,
Mit-
ersieht man aus dem Plan, den unter seinem EinfluB das neue
der Akademie, Verdy du Vemois, der Kôrperschaft einmal aus-
glied
einandergesetzt hat. Das Werk soll den einfach.stolzen Titel "Annalen"
führen und seinen Gegeitstand in viev gro&en Abteilungen behandehi,
ais politische, militârische, zivile und literarische Annalpn. Aïs QueUen
soUenneben den Schriften Friedrichs die reichen Schâtze der Archive
dienen. Und zwar will man mit der eigentlichen Biographie überall
Schôn-
die Publikation der QueUen selbst verbinden. Denn nicht die
soll
heit des Kunstwerkes, sondem Zuverlâssigkeit und Vollstândigkeit
der hôchste Gesichtspunkt sein. Die Ausführung dieses monumentalen
Werkes aber gebuhn der Akademie. Wie sie durch ihre Personen und
am besten zu einer solchen Aufgabe geeignet ist, so
Einrichtungen
ihren
kann sie damit auch am schônsten ihre Dankesschuld gegen
zweiten Stifter und ihr gro&tes ~tglied einlosen. Sie soll die Arbeit
fâllt die
unter ihre fâhigsten Mitglieder verteilen, und dem Kurator
keiner seiner Fest-
Leitung des Ganzen zu. Hertzberg unterIâGt es in
der
reden, auf die Bedeutung einer solchen aktenmâûigen Geschichte
Friderizianischen Regierung hinzuweisen. Er legt dabei schon damals
besonderes Gewicht darauf, daB auch die innere Verwaltung in ihrem
er daB erst hier,
ganzen Umfange behandelt werde. Denn ist überzeugt.
vor allern in der gewaltigen Kulturarbeit nach dem Frieden von Hu-
werde. Und als
bertusburg, die ganze GrôBe Friedrichs zutage treten
er dann den Staatsdienst verlassen mu6te. im Grunde. weil er an den
Ideen seines Meisters zu eifrig festhielt da fand er in der liebevoUen
dessen er bedurfte.
Versenkung in die Geschichte Friedrichs den Trost,
Er verkündete jetzt der Akademie seinen EntschluB, selber die Bio.
Friedrich Wilhelm II. ver.
graphie des Kônigs zu schreiben. Aber
Wie hâtte auch unter
weigerte ihm die Benutzung der Archive.
dem Regiment WôUners eine wahre Geschichte Friedrichs erscheinen
konnen? Doch der Plan Hertzbergs lebte fort. Aïs die Regierung
Friedrich Wilhelms III. Schiller nach Berlin zu ziehen suchte, hoffte
sie in ihm namentlich auch den Biographen Friedrichs zu gewinnen.
in dieser Rich-
Johannes Mullcr hat dann einen besonderen Auftrag
der urspriingliche Ge-
tung empfangen. Und auch darin erhieit sich
der Akademie
danke, daB beide Mânner ihre Aufgabe im Verbande
lôsen sollten. Den einen hat der Tod, den anderen der Wechsel seiner
an der Leistung verhindert,
politischen Beziehungen und Gesinnungen
die man von ihm erwartete. Erst in unseren Tagen ist die Akademie
~t04 Friedrich der CM)~ und <? <~<Mt<
~~Ai~w
dahin gekommen, das Lebenswerk Friedrichs dem Verstandnis zu er-
schheBen, nun aber umfassender und eindringender, als Hertzberg und
seine Freunde je denken konnten.
Ein Drittes noch muBte fur das Andenken des
groBen Konigs ge.
tan werden. Von seinen Schriften war einiges in der Akademie vor.
getragen und in ihren Mémoires veroffentlicht worden; anderes ft'ar
sonst erschienen. Seine groBen WerkezurGeschichte der
eigenenRegie-
rung, seine ganze reiche Korrespondenz, wichtige politische, militânsche
und philosophische Abhandlungen, ein groBer Teil seiner Poesien: das
alles ruhtc noch ungedruckt in den kôniglichenSchlossem undArchiven
oder zerstreut in fremder Hand. Es war eine
denkwürdige Stunde M der
Geschichte der Akademie, als Hertzberg das
Manuskript der .w
de <?<??temps" herumreichte und das berühmte Vorwort
ver!as. Das
Kostbarste, was von Friedrich nun übrig war, xu sammeln, zu ordnen
und in einer würdigen Gestalt der Welt zu
uberliefem, das war die
Pflicht und gewissermaûen auch das Recht der Akademie. Sie
tmgt
nicht die Schuld daran, daB ihr diese Aufgabe entging. Gleich nachdem
die Existenz der Manuskripte und die Absicht der
Regicrung, dieselben
m verôffendichen, bekannt geworden waren, hat sie durch die Ver.
mittelung Hertzbergs Schritte getan, sich die Publikation zu sichem.
Es war zu spât. Woliner batte bereits auf seine Bitte den
ganzen
literarischen Nachiaf; des verstorbenen Konigs,~ls Geschenk" erhalten.
Ein Teil desselben, und soweit wir sehen, gerade der
gefâhrUchste,
befand sich in den Hinden ViJIaumcs,des letzten Vorlesers
Friedrichs;
der alte Kônig hatte ihm diese Schriften noch selbst
übergeben, eben.
falls ~s Geschenk". Wëtiner wurde
jetzt in den Stand gesetzt, gegen
eine ansehnncheGetdsumme auch
diese Sammlungin seine Gewaltzu
bringen. Er hat darauf an dem ganzen Raube jcne Revision vorge-
nommen, bei der alles Mi&tiebigezuruckgchalten wurde und vieles für
immer verschwunden ist. Der Rest wurde dann an die beiden Firmen
Decker und \'o6 verhandelt, und damit hielt man sich aller weiteren
Sorge um das Schicksal dieser Handschriften für überhoben. Es war
eine Mo8e Form. wenn nicht ein offenbarer Hohn, daB Wo!!ner den
franzôsischen Prediger ~!oulines er sa6 leider auch in der Aka.
demie zum Leiter der Publikation bestellte. So konnte es
geschehen,
daC die Werke des gekronten Schriftstellers in einer
Ausgabe er-
schienen. die durch ihre empôrenden NacMâssigkeiten vieltdcht
einzig
dasteht. Es war wie eine Schândung des groBen Toten. Die
Entrüstung
war allgemein, int Auslande vielleicht noch
groBer als in Deutschland.
,,Was würde England getan haben. wenn je ein britischer
Kônig seinem
Volke ein solches Erbe hinter)assen hâtte?" So
fragt Gibbon, und er
antwortet "Das Parlament würde jcde Summe
ausgesetzt haben, um
Die A~W</M~<<~~<Mtf~~& A%M~ _!05

eine mit allem literarischen Apparat versehene, durch die groBte Ge-
nauigkeit und die prâchtigste Ausstattung hervorragende Ausgabe zu
veranstalten. Gelehrte und Künstler h&tten gewetteifert, zu diesem
Zweckemitzuwirken.Diese Ausgabe ware an alle europaisehen Fürsten
und Regierungen als Geschenk der englischen Nation, zu ihrer Ehre,
geschickt worden. Eine andcre, billige Ausgabe hâtte dafur gesorgt,
daBSchriften dieser Art in allen Schichten des Volkes gelesen wûrden."
Dieses Schicksai seiner Handschriften ist wie cin Symbol des Verhâng-
nisses, das über da? Alter des groBen Kônigs einen so tiefen Schatten
wirft: was für schlaffen Hânden muBte er das Werk seines Lebens
überlassen Wie so viel anderes, was sonst das Glück unseres Ge.
schlechtesbegründet, so wurde diesemdâmonischen Menschennun auch
das segensreiche Gesetz der Erblichkeit der Monarchie zum tragischen
Verhângnis.
Es ist der Akademie F riedrichWilhelms IV. vorbehalten geblieben,
den Frevel dieser ersten Ausgabe der Werke Friedrichs des Gro6en
einigermaBen zu sutmen. Der Kônig hat gleich nach dem Antritt der
Regierung eine neue Ausgabe durch die Akademie angeordnet. Unter
den Mitgliedem der Kommission befanden sich Boeckh, Raumer und
Jacob Grimm. Die Arbeit selbst lag in den Hânden von PreuB. Der
ersuch,den die pietistische Umgebung des Kônigs machte, die Edition
der philosophischen Schriften zu verhindem, ist damais doch durch
Alexander von Humboldt vereiteit worden. Die Zeit wird kommen, in
welcher die Akademie dem Bedürfnis einer ganz vollstândigen und
unseren strengeren kritischen Grundsatzen entsprechenden Ausgabe
wird genügen müssen.
DAS ACHTZEHNTEJAHRHUNDERT
WELT
UND DIE GESCHICHTLICHE
DAS ACHTZEHNTE JAHRHUNDERT
UND DIE GESCHICHTLICHE WELT

Die Aufklârung des t8. Jahrhunderts, welche unhistorisch ge-


scholten wird, hat eine neue Auffassung der Geschichte hervorgebracht,
und in gtânzenden historischen Kunstwerken haben Voltaire, Friedrich
der GroBe, Hume, Robertson, Gibbon dieselbe durchgeführt. In diesen
Werken verbreitete die Anschauung von der Solidaritât und dem Fort-
<chrittdes MenschengescMechtesihr Licht über alle Volker und Zeiten.
Jetzt zum ersten Male erhielt die Universalgeschichteeinen Zusammen-
hang, der aus der empirischen Betrachtung selber geschôpft war. Er
war rational in der Verknüpfung aller Begebenheiten nach Grund und
Mge und kritisch überlegen in der Abweisung jeder Cberschreitung
der gegebenen Wirklichkeit durch jenseitige Vorstellungen. Seine
Grundlagen waren eine ganz votuTteilsfreie Attwendung der histonschen
Kritik, welche auch vor den hôchsten Heiligtümem der Vergangenheit
nicht Hatt machte, und eine Méthodeder Vergleichung, die aUe Stadien
der Menschheit umspannte. Diese neue, auf Erfahrung gegründete Auf-
fa;sung voni Zusammenhang im Leben der Menschheit ermoglichte
zum ersten Mate eine wissenschaftlicheVerbindung der Naturerkennt-
nis mit der Geschichte. Die Hypothesen von der Entstehung des Uni-
versums, der Ausbildung der Erde und dem Auftreten des Menschen
auf ihr inmitten der Tiergeschlechter konnten nun mit dem Verlauf
der Geschichte durch die Idee der Evolution verknüpft werden. Zu.
gieich war doch in dem Lebensgefühl dieses Jahrhunderts selber die
Schranke seiner gcschichtlichen AuMârung enthalten. Diese frohmûtig
und lebenssichcr vorwartsschreitenden Menschen der AufHârung er-
blicken in aller Vergangenheit nur die Stufen, die emporf&hrenzu ihrer
eigenen Hohe. Dabei sind sie erfüllt von einer gôttlichen Frechheit
gegenüber der methodischen Ge!ehrsamkeitder vorhergehenden Jahr-
hunderte und von einem hochst unbescheidenen BewuBtsein ihres
cigcncn Verdienstes von der ganzen glücklichen Souverânitat des
neuen Geistes, die der Nanie \*o!tairereprâ<:entie!t.
Dtm<y,GtMmmcttt Schriften!H 14
~0_<M <t<<!< ~<<f~ und <~M
~~H~ Welt 1
t.
Es hat groBe Geschichtschreiber gegeben, seitdem die Griechen
mit ihren hellen Künstleraugen in die Hândd der Welt blickten. Aber
das ist nun das innere Gesetz der historischen Wissenschaft:wie die ge.
schichtliche Welt sich in der Zeit aufbaut, wâchst zugleich mit ihr das
wissenscbaftliche Verstândnis der geschichdichen Natur des Menschen
heran. Denn der Mensch versteht sich selber durch 'keine Art von
Grübelei über sich; aus dieser entspringt nur das gro&e Nietzschesche
Elend der überspannten Subjektivitât: allein an dem Verstandnis der
geschichtlichen Wirklichkeit, die er hervorbringt, gelangt er zum Be.
wuBtsein seines Vermogens, im Guten und im SchUmmen.
Die Griechen sind die Schopfer der gro8en historischen Kunst.
Herodot und Thukydides sind ihre unvergângtich wirkenden Vorbilder.
In der Zeit eines unvergleichlichen Glanzes aller Künste erreichte diese
Geschichtschreibung die Vollendung. Die hochste Steigerung des künst.
lerischen Vermôgens, welche die Welt gesehen hat, war auch in ihr
schôpferisch wirksam. Aber der Horizont der Griechen war in dieser
groÛen Zeit der freien Stadtstaaten noch râumlich und zeitlich einge-
schrinkt. Die Nationen, mit denen sie durch Verkehr, Krieg und Reisen
im Verhâltnis standen, sind von ihnen seit Herodot in dem Typischen
ihrer Erscheinung mit dem klarsten Blick aufgefaBt worden; doch die
Unkenntnis der Sprachen hinderte sie, in die altère Geschichte, die Ver.
fassungen und die Literatur der Fremden einmdringen. So haben sie
wohl den typischen Gegensatz, in welchem sie sich jenen gegenüber
fanden, herrlich ausgesprochen; aber es entstand ihnen keine wissen-
schaftlich begründete Anschauung von der geschichtlichen Entwick-
lung der Kultur und der SteUung, welche sie selber darin einnehmen.
Daher blieb auch ihre poUtische Wissenschaft in der Zeit ihrer selb-
standigen Staatenentwicklung beschrânkt auf die Zergliederung ihrer
eigenen Staaten sowie derjenigen der Makedonier, Perser und Kar-
thager, die zu ihnen in nâchsten Beziehungen standen. Sie untersuchen
die Lebensbedingungen, welche das Dasein und die Form ihrer Stadt.
staaten bestimmen. Sie erforschen die wirtschaftlichen Grundlagen
dieser politischen Korper, ihre Struktur und das Gesetz der Abwand-
!ung ihrer Verfassungen. Sie entdecken die groBe Regel der Proportion
von politischen Leistungen und politischen Rechten, an deren Aufrecht-
erhaltung der Friede in einem Staat gebunden ist. Aus ihr cntwickeln
sie die wahren Ursachen, welche die Revolutionen erwirken. Und seit
Platon beschâftigt sie das Problem, dem Staate Dauer, womôg!ichUn.
sterblichkeitzu verleihen die Quadratur des Zirkels nach den Lebens.
bedingungen, unter denen diese Politiker standen. Ebenso haben sie
dann die Formen ihrer eigenen Poesie und Rcdekunst zergliedert. Und
Dit <M~~M~~fM/ der <?M~ 2tt I
-# «
in der Schrift des Dikâarch ûber das Leben von Hellas erheben sie sich
zum Begriff der griechischen Kultur als einer Einheit und zum Versuch
einer Wissenschaft derselben. Denn auf dem Hintergrunde der Natur-
bedingungen hat der groBe Schuler des Aristoteles die Seiten dieser
Kulturunterschieden und das griechische Leben in Verfassungen, Sitten,
LebensgenuS, Kulten und Festen dargesteHt.
So war die zergliedemde Erkenntnis dieser genialen Nation vor
allem auf ihre eïgene, hastig ablaufende Kultur gerichtet. Dies pflamen-
hafte Entstehen, Bluhenund Versinken,der rasche Wechsel in ihren Ver-
fassungen, der schnelle Verfall ihrer groûen Kunst, die vergebliche
Arbeit, ihren kleinen Stadtstaaten Dauer zu geben: das ist der dunkle
Schatten, der das herrliche, strahlende griechische Dasein begleitet.
Und wenn in diesem schonheitsseligen Volk immer wieder das pessi-
mistische Gefühl von der Vergeblichkeit des menschlichen Daseins
durchbricht, so ist das die notwendige Folge hiervon.Wohl war es durch
den Ansatz ihrer Welterkiârung bedingt, wenn die MehrzaM ihrer
Denker Perioden von Entstehung, Entfaltung und Rûckgang des Uni-
versmns in eintoniger Hoffnungslosigkeit einander folgen lieB, aber
dieser Kreislauf wurde ihnen doch zugleich zum erhabensten Symbol
der Vergânglichkeit unseres Geschlechtes. Sie haben ein BewuBtsein
davon, ~ie sie die Barbarei und die Unfreiheit hinter sich lassen, aber
kein Gedanke bestândigen Fortschreitens oder irgendeiner Arbeit, die
für das Menschengeschlechtgetan würde, richtet ihnen den Blick vor-
warts einer gro6eren Zukunft entgegen.
Von Alexander dem GroBen ab erweiterte sich bestândig der geo.
graphische und histonsehe Horizont der Griechen es entstand ein In-
begriff positiver Wissenschaften, der von der Astronomie durch die
Erdkunde bis zur Chronologie und zur Inventarisierung des gesamten
Bestandes griechischer Geistesarbeit reichte. In dem Zeitalter, in wel-
chem der rômische Staat, ein Stadtstaat ursprünglich wie die griechi-
schen, emporstieg zur Weltherrschaft, hat dann Po 1 y b i os sein groBes
Gescbichtswerk verfaBt. Er schrieb die Geschichte der Epoche, die
sich von dem Beginn des Kampfes zwischen Rom und Karthago bis
auf die Zerstôrung von Karthago und Korinth erstreckt. Das Fort-
rücken der Geschichte selber, die innere Verbindung der Vorgâmge
auf einem weiten Schauplatz wahrend dieses Kampfes um die Herr-
schaft über das Mittelmeer stellte der Geschichtschreibung und dem
politischen Denken eine neue Aufgabe. Nun konnten die universal-
historischen Gesichtspunkte erfaBt werden, welche durch eine solche
Erweiterung des geschichtlichen Blickes auf die Wechselwirkung der
Staaten und auf das Verhâltnis der beiden grôBten Kulturen des Mittel-
meeres bedingt waren.
'4*
212 Das achtsehntejahrkundert und dit ~<A/< MW/
Der Geschichtschreiber, der diese Aufgabe lôsen sollte, muBte gc.
schult sein durch die politische Wissenschaft der Griechen, und zugleich
muBte er im Mittetpunkt der damaligen WettpoUtik stehen, wo er die
Verhâltnisseder Staaten überblicken und das Verstândnisder ieitenden
Personen erwerben konnte. Die Geschichte selbst schien sich den Poty-
bios zu dieser Aufgabe gebildet zu haben.Erfullt von allen Ergebnissen
der griechischen Wissenschaft, ge-;chu!t in der bewegten Politik und
dcn mititânachen Aktionen seiner Hcimat, trat er in den Kreis der Sci.
pionen in Rom ein. Hier fand er sich auf den universalen Standpunkt
versetzt, welchem sich die Zukunft der gebildeten We!t in der Verbin.
dung der rômischcn Herrschaft mit der griechischen Bildung zeigte.
AemiUus Paulus, der groSsinnige Sieger von Pydna.,nahm ihn zur Ge.
seltschatt und zur wissenschaftlichen Ausbildung seiner Sôhne in sein
Haus auf. Der Geschichtschreiberhat selber etwas ruhmredig berichtet,
wie cr das Herz dca einen von ihnen, des jüngcren der beiden groGen
Scipionen, gewonnen hat. Die schùchteme Sehnsucht, mit welcher die
Sec!e dieser jugendiichen Herrschematur der Weisheit der Griechen
s-ichentue~enwatidtc.gemahtit djran. wie in ciner spâteren Zcit unsere
gcrnianischen \'orfahren der griechisch-rômischen Kultur sich ver.
langend-bescheiden hingeben sollten. Die Freundschaft, die nun zwi-
schen den beiden entstand, war den Zeitgenossen ein Symbol der an-
hcbendcn Verbindung romischen Herrscherwillens und griechischer
Geistcskraft. Die Aristokratie dieses Scipionenzeitaltcrs ist ciner der
Hohepunkte menschlicher Existenz. Rômische WHIensmachtvermah!te
sich hier mit dem asthetischen und betrachtenden Geiste der Griechen.
Das schonste Denkmal dieser Verbindung ist der Traum des Scipio von
Cicero. Dem jungeren Scipio er~cheint der groBe Held dieses Ge-
schlechtes er deutet ihm den ubersinn!ichen Zusanuncnhang, in wc!-
chem die Ordnung des unermedlichen Universums, wie die Griechen
sie erkannt haben. verbunden ist mit der Pflicht, für den Staat zu leben.
Die groBen romischen Persôniichkeiten fanden sich schon durch das
Bedûrfnis ihrer Hcrrschertâtigkcit dahin gefuhrt, die Summe desscn,
was das menschliche Denken erworben hatte, in sich zu versammeln.
Von den spitzfindigenGrubeleien, die den rhiJosophemen der Gtiechen
anhingen, mochten sie diese befreien. Sie bringen sie in Eink!ang mit
dem Genius ihres eigenen l'olkes. Wer kônnte sagen, ob die stoische
Philosophie, die nun durch Panatios in den Scipionenkreis cintrat und
bestimmt war, den romischen Geist zu durchdringen, mehr EinfluB auf
ihn ubtc oder von ihm erfuhrp Polybios lebte in dem BewuBtseindieser
Verbindung der beiden grôBten geschichtlichen Krafte, welche dieWeh
bisher hervorgebracht batte. So entsprang ihm aus scinem Verha.!tniszu
dem Kreis der Scipionen das universalhistohsche Verstândnis des Pro-
~M ~'3
zesses,in welchem die Lebensarbeit der beiden grôBten Nationen der
alten Welt sich zu der Kultur verband, die bis zu dem Eintreten des
Christentums und der Germanen in die Geschichte das geistige Leben
bestimmensolite. Und hienn war auch das Selbstgefühl gegründet, mit
welchemer und andere hervorragende Griechen,wie Panatios, sich unter
den Siegem bewegten. Woh) hat Polybios seinen wohlgemessenenAn-
teil an den Eitelkeiten der Griechen und ihrer Schmiegsamkcit gegen
die neuen Herrscher der Erde gehabt. Aberda& er in Rom, und gerade
in dem Kreise der Aristokraten, in dem er lebte, die geschichtlichen
WirkUchkeitenerkannte und sich ihnen untenvarf, war doch ein Selbst-
verst&ndtichesfür diesen geschulten politischen \~erstand. Auch nicht
der leiseste Schatten kann von da auf den Charakter des grof3enHisto-
rikersfallen. Die Pose des mit dem Schicksalgrollenden, unbelehrbaren
und unversôhniichen Staatsmannes war nicht für diesen hellen, nüch-
ternen Geist, der inmitten der rhetorischen griechischen Geschichts-
lûgen ganz ~ahrhaft und mit kritischem Sinn der Wirklichkeit hinge-
geben war.
Seine ausführliche ErzâMung begann mit dem Vordringen Hanni-
bals über die Alpen nach Italien und dem Bündnis Philipps III. von
Makcdonienmit den Karthagem; so ergab sich ihm die Aufgabe, die
Krâftc darzulegen, welche Rom in den Stand gesetzt hatten, diese
Krisiszu überwinden und zur Weltherrschaft fortzuschreiten. Seine Er-
klârungsweise war im Sinne der AristotelischenPolitik auf die wahren
und dauemden Ursachen der Grô6e des rotnischen Staates gerichtet.
Er fand diese Ursachen in den Sitten, dem Recht und den Institutionen
Roms. Wenn er auf die mannhafte Tugend der Rômer als den letzten
Erk!arungsgrund immer wieder zunickkommt, so erkennt man darin
wohl den Schuter der attischen Philosophen und den Zeitgenossen der
griechischen Rhetoren: aber zugleich ist es doch ein Dokumcnt des
objektiven historischen Eindruckes, den gerade auf einen damaligen
Griechen die Charaktere und Sitten dieser groËen aristokratischen
Epoche Roms gemacht haben. Und wenn er dann in der gemischten
VerfassungRoms eine Hauptursache der Dauer diesesStaates und seiner
~lacht erblickt, so liegt doch auch hierin ein erheblicher Kem von
Wahrheit, nur eingehu!lt in die doktnnâre Form der Aristotelischen
Staatsiehre. Die Hauptsache war: er untemahm, den ganzen Ertrag
der politischen Analyse auf die Geschichteanzuwenden,um sie zu einer
Wissenschaft zu erheben, welche die Voraussage der Zukunft ermog-
liche und zur Lchrmeisterin der Staatskunst werden konne. Vor dieser
Aufgabe xerging ihm die Kunstform des Herodot und des Thukydides.
Der originale universalhistorischeGrundzug seiner Geschichtschrei-
bung war nun aber darin gelegen, wie sie die Wechselwirkung der
iii- ~<M~&~&~M~<M~/ «<MT
die ~< ?-
Staaten, welchein einer gegebenen Zeit die Geschichte ausmachen, um.
faute und die einzelnen politischen Vorgânge aus ihr abzuleitenstrebte.
Mit stolzemSelbstbewuBtseinhat er dies als den Fortschritt bezeichnet,
den er im Verstândnis der Geschichte volizog. Er hebt hervor, wie sein
Gegenstand selber ihn zu dieser Betrachtungsweisehingeführt habe.
Denn er sah, daB die Ereignisse seiner Zeit in Italien, Asien, Griechen.
land und Afrika in der engsten Verbindung miteinander standen, und
daB sic gemeinsam die rômische We!tnMchtherbeigeführt haben. Und
er erkannte, daB dies sein Thema eine neue Art der Geschichtschrei.
bung erfordere, welche sich über die Geschichte der Einzelstaaten er.
hebe und auf den universalen Vorgang gerichtet sei, in dem die Ereig.
nisse von drei Erdteilen untereinander verknüpft waren.
Und doch lebt auch Polybios unter dem Banne der griechischen An.
schauung vom Kreislauf aller irdischen Dinge. Dieser lebenstrotzende
rômische Staat, der soeben die semitische Rasse bezwungen h&t, wird
untergehen. Mitten in dem Cberschwang rômischen Machtwillens um
ihn her bewahrt der griechische Betrachter die VerstandeskuMe,die er.
frischendund zugleich doch erkaltend aus seinem Werke uns entgegcn.
weht. Eben aus der unbestrittenen Herrschaft Roms, der Zunahme des
Reichtums und des Luxus muB der Verfall seiner aristokratischen
Staatsordnung hervorgehen. Demokratie und dann Massenherrschaft
werdenhereinbrechen. So hat auch Scipio im hôchsteti BewuËtseindes
errungenenSieges, angesichts des zerstôrten Karthago, die Ahnung des
kommenden Untcrganges von Rom ausgesprochen. Polybios war da.
mah mit ihm, an ihn wandte sich der Sieger mit seinem prophetischen
Worte: einst werde ein anderer so auf den Trûmmem Roms der Worte
des Homer gedenken konnea. Erst vom Zeitalter des Pompejus und
Cicero ab wird dann die ewige Dauer der Stadt und des romischen
Reiches zu einem Glaubensartikel, der das historische Denken erheb.
lich beeinfluBte.
2.
Die Geschichte schreitet vorwârts.Durch die Verwaltungdes rômi.
schen Imperiums werden die Nationen dreier Weltteile verbunden. ÏQ
den Zusammenhang der griechisch-rômischen Kultur, wie er sich ge-
bildet hatte, treten nunmehr auch die ôstlichen Offenbarungsreligionen
ein. Die christliche Kirche breitet sich aus. In ihr entsteht das Problem,
welches das innerc Verhâltnis des rômischen Weltstaates, der grie.
chischen Wissenschaft und der christlichen Offenbarungsreligion sei.
So groBe geschichtliche VOranderungenhaben einen neuen Begriff vom
Zusammenhangder menschlichen Geschichtehervorgebracht. Das Men-
schengeschlecht wird nun als cine Einheit gefaBt, welchein der Ab-
folge der Geschlechter einen in ihr angelegten Zweck verwirklicht. In
Dit Cf~f~ alt ~~M~M~ OJM ~j!M <J.' ~t~M~ _~5
dieser teleologischen Ordnung der Geschichte erfullen die einzelnen
Nationen durch die Entwicklung der Wissenschaft, die Ausbildung der
Staatsmacht und den Stufengang der Offenbarung die Funktionen, die
der Zusammenhang dièses Ganzen ihnen zuteilt. Der Blick des Poly-
bios erstreckte sich gleichsam ûber die Breite der Geschichte: jetzt bat
sich nun der Begriff der Universalgeschichtein der Richtung ih~esZu-
sammenhanges durch die Zeit erweitert und vollendet. Aber dieser Zu-
sammenhang wird nicht wissenschaftlichbegriffen, sondem er wird reli-
giôs und metaphysisch gedacht. Et wird als eine in der Gottheit ge*
gründete Zweckordnung erfaBt. Und das Band, welches Anfang und
Ende desselben verknüpft, ist die heilige Geschichte. Die Schrift des
Au g u s t i n u s,,0ber den Staat Gottes" hat diesen neuen Begriff zuerst
entwickelt. Augustinus schrieb, als die griechisch redenden Vôlker im
ostromischen Reiche sich lodosten von dem Kôrper der abendtandi*
schen Welt und in Erstarrung verfielen, als die Philosophenschulen der
Griechen untergingen und die germanischen Nationen in das rômische
Weltreich eindrangen. Die Kirche allein blieb aufrecht und siegreich
vorwârts schreitend in dieser Lage der Welt. Dieser "Gottesstaat" hat
sich fur Augustinus von den Ursprüngen des Menschengeschlechtes an
in aufsteigender Entwicklung gebildet, und auf seiner Ausbildung be-
ruht auch die weitere Geschichte der Menschheit. Cber dem Werke
lagert das Gefühl der Greisenhaftigkeit der antiken Kultur, des heran-
nahenden Unterganges der politischen Ordnungen, des Unwertes allen
weltlichen Daseins.
Der Ursprung dieser neuen universalhistorischen Anschauung lag
in dem Gedanken vom Reiche Gottes.Die schônen Illusionen der Sci.
pionenzeit waren untergegangen in dem brutalen Egoismus der Oligar-
chie, in der Ausbeutung der unterworfenen Provinzen und in dem Blut
der Bürgerkriege. Das Glück, das unter dem Imperium des Augustus
die aufatmende Welt genoB, war das des Friedens, der Zivilisation
und einer weisen Verwaltung: nichts von dem seibstândigen Lebenswert
der Nationen, von dem Fortschritt der Menschheit war in dem Lebens-
gefühl dieser altemden Welt enthalten. Aïs nun an den stillen Ufem
des galilâischen Sees Jesus die Natur und das schlichte Leben, das ihn
umgab, als Gleichnis der gôttlichen Ordnung, von der seine heiligen
Schriften redeten, verstand und so den Gedanken des Reiches Gottes
erfaBte, nicht nur dessen, das kommensoHte,sondem dessen, das immer
ist, als dann in der Entwicklung der christlichen Gemeinden mit dieser
Idee des Gottesreiches der stoische Begriff des Weltstaates und der uni.
versale rômische Begriff der Kirche verschmolzen: da bildete sich zum
ersten Male das BewuGtseineiner solidarischen Verbindung der Vôlker
und ihres Fortschreitens zur Vem'irkiichung des Reiches Gottes. Und
2t6 Das <Mt&< ~M~~< dit ~)Mf~&~
<MM~ Wilt
wie die Vorstellungen von der Wiederkunft Christi zurûcktraten, rückte
diese Verwirklichung immer weiter hinweg in die Fernender Geschichte.
Dieser Idee ordnet Augustinus alle Begriffe der kirchlichen Philo.
sophie unter: die Erziehung des Menschengeschlechtes, die Clemens
lehrt, den Fortgang desselben durch die Lebensalter, wie Tertullianan-
nimn)t, oder durch die sechs Schôpfungstage, wie Cyprian darlegt, die
Abfolge der vier Weltmonarchien, die Hieronymus aus dem BucheDa.
niel geschëptt hat. Über sie aile herrscht in ihm der Gegensatz des
Gottesreiches und des Staates der Welt, die Dualitât, welche die Ge.
schichte zerreiBt. Die weitere Entwicklung seines Standpunktes lag
dann vornehmlich in der zunehmenden Wertschâtzung der auSeren Ord-
nung des Lebens. Augustinus leitete Eigentum und Herrschaftsverhâlt-
nisse aus dem Sündenfalle ab. Der weltliche Staat war ihm eine Schop.
fung der Selbstsucht. Er zâhit Rom seine Gewalttaten nach, und wenn
auch er in der mannhaften Tugend Roms die Ursache seiner Machtan.
erkcnnt: dièse Tugend, die Ruhm und Macht sucht, erscheint dem aske-
tischen Bischof als gtânzendes Laster. Wertlos an sich, empfângt der
Staat der Welt seine religiose Bedeutung nur als Instrument in der Hand
der Kirche. Für Albertus und Thomas von Aquino ist die Fhedeosord.
nung des Staates in der sittlichen Natur des Menschen gegründet: aber
sie verwirklicht doch nur die Bedingungen, an welche die Erfüllung
des religiosen Zweckes der Menschheit gebunden ist. Dante erst erkennt
den seibstândigen Wert des Staates an: in ihm wird die zcitlicheGlück.
seligkeit verwirklicht; der Kirche kommt die Vorbereitung des Men-
schen zum ewigen Leben zu.
Dieser erste Begriff des solidarischen ZusammenhangesderMensch.
heit und ihrer fortschreitenden Entwicklung konnte nur so lange ge.
nugen, als die Bedingungen fortdauerten, aus denen er erwachsenwar.
Es war cine teleologische Deutung der Weltgeschichte. Man suchte in
ihr einen Sinn wie in dem Epos eines Dichters, und man fand ihn nur,
weil man in der Offenbarung den Schlüssel für das groBe Râtselin der
Hand hatte. Durch die heiligen Schriften waren Anfang, MitteundEnde
des Lebenslaufes der Menschheit bestimmt. Und von hier aus wurde
die Geschichte nach den realen Verhaitnissen konstruiert, welche von
Augustin bis zum Verfall der mittela!ter!ichen Ordnungcn bestandcn
haben. Der Gang der Dinge selbst erwies die Endlichkeit der theokrati-
schen Form, in welcher das Ideal Jesu seine erste Gestalt gefundenhatte.
Die Einheit des Gottesstaates lieB sich nicht realisieren. Der Christen-
heit trat die mohammedanische Welt gegenüber, und vergeblich strebte
sie diese geschichtliche Schranke ihres Gottesreiches zu überwinden.
Schon früher hatten sich die griechisch redenden Vôlker dem rapsttum
entzogen; nun traten ihm die protestantischen Kirchen entgegen, und es
Von< ~<r~ .W/' ~<s&M<w Z<~<MM :!7
war vollends um die Einheit der christlichen Theokratie geschehen.
Und auch die aktive Idee einer vo!kerverbindenden, fortschreitenden
Arbeit des Christentums an der Verwirkiichungdes Gottesreiches auf
der Erde schwand aus dem Leben der christlichen Kirchen. In dem
Katholizismusvon Trient war die groBe Intention der Kirche, die fort-
schreitenden Krâfte der Nationen in weiser MâSigung zu leiten, ver-
loren gegangcn. In den protestantischen Kirchen des ty. Jahrhunderts
war das lebendige Gefühl einer einheitlichen, fortschreitenden Macht
des Protcstantismus, in welchem Luther in seinen ersten groBen Jahren,
Calvin, Coligny, die Oranier gelebt hatten, verdorrt und zusammen-
geschrumpft. Und langsam trat nun auch der tiefste Widerspruch her-
aus, der in dem christlichen Gottesstaat gelegen ist. Jede Religion ist
von ihrem Ursprung ab durch die historische Bestimmtheit der reli-
giosen Gemütsverfassung eingeschrânkt, die ihre Dogmen und ihre
kirchliche Organisation erzeugt hat. Und solange sie sich an dicsen
Ursprung gebunden findet, steht ihr Anspruch auf die Herrschaft über
die ~îenschheit in Widerspruch mit dem universalen Geiste dersdben.

3.
Die Geschichte rückt abermals vorwârts, und es vollzieht sich nun in
den historischen Wissenschaften ein Fortschritt, durch welchen die Be-
dingungen geschaffen wurden, unter denen im t8. Jahrhundert der
erste Entwurf eines wissenschaftlichenZusammenhanges der Universal-
geschichte und dann im 19. unsere historische Weltanschauung ent-
stehen konnte.
Im t~. und !6. Jahrhundert erhob sich der Geist der modemen
ôlkerzu einer natürlichen Auffassung des geschichtlichen Lebens und
der Krâfte, die es regieren. Mit der inneren Zersetzung der mittelalter-
lichen Kirche und ihres metaphysischenSystems, mit den Fortschritten
der geistigen und wirtschaftlichenKultur und der Umbildung der sozia.
len und politischen VerhaJtnisse, die dadurch hervorgerufen wurde,
erwuchs ein BewuBtscinvon dem seibstândigen Wert alles diesseitigen
Lebens und Schaffens, welchesdie Schranken der transzendenten Welt-
anschauung der früheren Jahrhunderte überall siegreich durchbrach.
Individuum, Staat und Nation erfaûten ihre Souvet-amtât. Sie be-
gannen, ihre Handiungsweise nach ihren natürlichen Interessen zu be-
stimmen, und sie scheuten sich nirgend, sich offen zu ihren Motiven zu
bekennen. Und wie nun die Wiederbelebung der antiken Kultur m der
inneren Verwandtschaft begründet war, welche zwischen den neuen
I.ebensformen der modernen Volker und denjenigen der griechisch-
romischen Welt bestand, wurde jetzt auch alles rezipiert, was das Alter-
tum in der wissenschaftlichenBehandiung von Morat, Recht, Staat und
2t8 Das «~A ~M~ <w~die ~iMM~ W~

,Geschichtehervorgebracht batte. Und noch tiefer wurde die Unzuîâng.


lichkeit aller metaphysischen Weltkonstruktionen empfunden, noch
starker machte sich das Bedürfnis nach einer natürlichen Begründung
der diesseitigen Lebensordnungen geltend, aïs aus der machtigen reïi.
giôsen Bewegung des ï6. Jahrhunderts nicht die neue Kultureinheit der
christlichen Vôlker, sondem der blutige Hader der Konfessionen und
Sekten hervorging. Aus diesen Elementen erwuchsen die Anfânge einer
neuen Theorie des Menschen und der Gesellschaft, welche alle einem
Jenseits entnommenen Begriffe und Erkiârungen aufgab und diese Welt
menschlichen Wollens und Handelns aus ihren eigenen, der Beobach-
tung und Darstellung zugânglichen und so nun wieder praktisch an-
wendbaren Gesetzen zu erklâren suchte. Unter den Einwirkungen der
neuen Naturwissenschaft des 17. Jahrhunderts ist dann das natürliche
System der Geisteswissenschaften zum AbschluB gebracht und seine
Kraft, die Wissenschaften und das Leben umzugestalten, unendlich ge.
steigert worden.
Für das Verstândnis historischer Probleme ist diese neue Art, das
Reich des Menschen aufzufassen, zuerst in Italien nutzbar gemacht wor-
den, im engsten Zusammenhang mit der hier zuerst praktisch und theo-
retisch zu einem System durchgebildeten modernen Politik. Ma chia- ·
velli, der die Reihe der modernen Staatslehrer erôffnet, ist auch der
Vater der modemen Geschichtschreibung, und wie der groBe Floren.
tiner, so stand auch Guicciardini, sein jüngerer Zeitgenosse, als
vielgeschâftiger Diplomat mitten in dem wechselvollen Getriebe der
italienischen Parteipolitik seiner Zeit. Diese Geschichtschreibung ist
einseitig in hôchstem Grade. Sie ist rein politisch in dem, was sie um-
faBt. Sie betrachtet den Menschen nur in seinem Verhaltnis mm Staat;
allé anderen Seiten seines Lebens, Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft,
Sitte und Religion, interessieren sie nur so weit, als dicseJben den
Zwecken des Staates dienstbar gemacht werden kônnen. Und politisch
ist auch ihr Zweck. Sie will zeigen, wie politische Macht gewonnen und
behauptet werde, und wenn sie sich zu ihrem hôchsten Standpunkt er-
hebt, so beschâftigt sie das Problem, wie der patriotische Staatsmann
diese Fülle streitender Interessen im Gleichgewicht hahen und Wohl
und Bestand des Ganzen sichem kônne. Aber eben in dieser Einscitig.
keit liegen ihre Bedeutung und die Erkiârung ihrer Wirkung bis auf
Friedrich den GroBen und Ranke und seine Schule hinab. Ihr Ge-
sichtspunkt war dorh der Wirklichkeit selber entnommen, und er war
und blieb zugleich der wichtigste, von welchem Geschichte überhaupt
geschrieben werden kann. Und durch die Art, wie Machiavelli und
Guicciardiniihn durchfuhrten, wurden sie die Schôpfer der dynamischen
Geschichtschreibung.
~W~C~AM~ _~9
Sichere Geschichtschreibung beginnt erst mit einer QueUenkritik,
welcheaus den Oberresten der Handlung selber und den Berichten dar*
über den wirkiichen Tatbestand feststellt, und wahre GescMchtschrei-
bung erst mit einer Quelleninterpretation, welche diesen Tatbestand
ais ÂuCerung menschlichen Innenlebens zu verstehen vermag.
Die groÛe Philologie des t6. und 17. Jahrhunderts hat in dieser
Hinsicht der Geschichtschreibung den wertvollstenDienst geleistet. In-
dem sie es untefnahm, eiae untergegafigene Welt aus den verderbten
Resten ihrer Literatur zu rekonstruieren, entwickelten sich in ihr Kritik
und Interpretation zur Kunst und zur bewuBten Methode. Weitere
Fôrderung brachten die reUgiosenKampfeundGegensâtze, welchediese
beiden Jahrhunderte erfüllten. Indem die beiden groBen protestanti-
schen Bekenntnisse die Autoritât der katholischen Tradition verwarfen
und doch, zur Abwehr des zügellosen Individualismus der Sekten,.ge-
zwungenwaren, in dem Buchstaben der heiligen Schriften einen festen
Boden für ihre Dogmen und Institutionen zu suchen, gewann die Exe.
gese der Bibel für sie die hôchste Bedeutung. Und wie nun Flacius in
seinem Kampfe mit dem Katholizismusvon Trient sich zu den Grund-
satzen der Auslegung geführt sah, schuf er in seinem SeMusse!derHeili-
gen Schrift das erste Lehrgebâude der biblischen Interpretation seit
den Tagen des Streites der alexandrinischenund antiochenischenTheo.
logen. Spinoza, Richard Simon, die englischen Freidenker, die nieder-
lândischen Arminianer, Bayle unterwerfen die heiligen Schriften der
Kritik. Die Magdeburger Centuriatoren erôffnen auf lutherischer
Scite die kritische Kirchengeschichtschreibung, Basnage setzt sie auf
reformierter fort, in Arnold tritt auch der junge Pietismusauf den Plan,
Tillemont, der Jansenist von Port Royal, ûberragt sie aile.
An dem Beispiel dieser kritischen Tatigkeit der Philologcn und
Theologen hat sich die spezifischhistorische Kritik entwickelt. In den
Einleitungen zu den Darstellungenund Sammlungen und in besonderen
methodologischenWerken wird die Untersuchung der Quellen auf ihren
Wert nach der Personlichkeit der Verfasser,der ganzenLage, in welcher
diese geschrieben haben, und denGradender Abhângigkeit, die zwischen
ihnen bestehen, immer entschiedener aïs die erste Voraussetzung aller
historischenArbeit betont, und in dem ehrlichen Streben, dieser Forde.
rung gerecht zu werden, bildet sich die Technik der Qucllenkritik lang-
sam zu festen Grundsâtzen durch. In demselben MaBe wâchst die Er-
kennmis der hohen Bedeutung der Urkunden und Aktcn. Und auf dem
besonderen Gebiet der Urkundenlehre ist doch schon im Jahrhun-
dert die ganze Grundlage gelegt worden. Diese neue Wissenschaft er.
wuchs aus dem hochst praktischen Interesse, welches dieses Zeitalter
venvickeher Rechtsverhâltnisse an der Feststellung der Echtheit und
220 Das <M}& ~?0~~ MKOf
die ~M~< H~

Beweiskraftjahrhundertalter PergamentMâtter hatte. Der denkwürdigc


Urkundenkrieg, welchen die Stadt Lindau um ihre Reichsstandschaft
führen muBte, veranlaBte die schônen Untersuchungen Conrings, und
ein Jahrzehnt spâter rief in Frankreich der Angriff des Jesuiten Pape-
broch auf die âltesten Urkundcn der Bencdiktiner von St. Denys das
klassische Werk MabiUons hen'or.
Und in beispiellosem FIeiËe hat das Zeitalter der Humanistenund
Polyhistoren nun auch von allen Seiten den Stoff angehâuft, den dann
das 18,Jahrhundert seinen eigenen Darstellungen zugrunde legt.
Aus der Arbeit der Pliilologen aller Lânder stieg aUmâMichder
ganze Schatz der antiken Literatur, soweit er sich überhaupt durch die
Not, Feindschaft und Gleichgültigkeit der früheren Jahrhunderte hin-
durchgerettet hatte, an das Licht, und immer reiner, zuverlassiger
wurden die Texte gestaltet. Man studierte, interpretierte und kommen-
tierte zugleich dièse Schriften nach allen Richtungen, und in diesemZu.
sammenhang cntstanden die Anfânge der einzelnen Altertumswissen-
schaften. Indem die Hilfsmittet der neuen Philologie den praktischen
Bedürfnissen der Jurisprudenz und der Staatsverwaltungdienstbar ge-
macht warden, ist das imposante Gebâude des rômischen Rechts nach
jahrhunderdanger Entstellung und Verstümmelung in seiner ursprùng-
lichen Reinheit und Vollstândtgkeitwiederhergestellt worden.Der Streit
der Konfessionen vermehrte den kirchenlustorischen Stoff. Um Ge-
schichtedurch Geschichte zuwiderlegen,setzte der CardinalBaroniusdem
Werk der Centuriatoren seine eigenen Annalen entgegen. Unterstutzt
von einem Stabe von Gelehrten durchforschte er zu dem Zweck vierzig
Jahre lang das vatikanische Archivund die Bibliothekender wichtigstcn
europâischen Kirchen. Zum erstenrnal wurde nun ein Teil der Schâtze,
die hier lagerten, verôffentlicht und dem allgemeinen Studium zugâng-
lich gemacht. Aus denselben Tendenzen des restaurierten KathoHas-
mus ging die HeiHgenlebensammhmgBollandsund seiner Freunde her-
vor. In Paolo Sarpi wieder wirkte die immer fruchtbare Verbindung
politischer und wissenschaftlicher Interessen; er schrieb die akten-
ma0ige Geschichte des Tridentinums, und sein Werk war so gründlich,
so ehrlich, daB es unter fremdem Namen und in fremdem Lande ge-
druckt werden muBte. Rcichhattigef, massenhafter noch war vielleicht,
was an sammeinder und ordnender Vorarbeit für die Geschichtschrei-
bung der einzeinen Staaten und Lânder geleistet wurde. Die Quellen-
sammlungen von Duchesne und Baluze sind noch heute für den Histo-
riker Ftankreichs so wertvoU wie das Glossarium ihres Landsmannes
Ducange für jeden, der sich in das Gestrüpp der mittelalterlichenLati-
nitat wagen muB. Muratori trug die Quel1enschriftstellerund Antiqui-
tâten Italiens zusammen. Und in das Unabsehbare wuchs diese Art
~0/ GMt-~M/.f(-Ar<<~0~~22 t
Die ~~<tWM/H MW<~<~
historischerArbeit in Deutschland. Die Existenz zahlreicher politischer
Setbstândigkeiten, die doch alle ihre eigene Geschichte hatten und
dieselbe der Nachwelt zu uberiiefem wünschten, kam hier dem Eifer
der Gelehrten zu Hilfe. Ein anderer Antrieb lag in dem praktischen Be-
dürfnis, die Rechtsdenkmâler des Reiches oder der einzelnen Terri-
torien in brauchbaren Editionen beisammen zu haben. Weitaus die
mcistenAnnalen und Chroniken, auf denen sich heute unsere Kcnntnis
des deutschen Mittelalters gründet, sind in jenen Tagcn schon entdeckt
und gedruckt worden. Nebenher geht in ununterbrochenem, wachsen-
dem Strom die quellenmiil3ige Darstellung der Territorialgeschichte.
Die alten Formen dürrer Annalenoder geschwâtzigerChronikenweichen
uberall unter den neuen Forderungen moglichster Votlstândigkei.tund
Zuvertâssigkeit. Formlos, weitschweifig,mehr Stoffsammlung als Ge-
schichtschreibung,wurden doch diese Folianten der sichere Grund, auf
dem der deutsche Historiker der Folgezeit baute, und noch heute greift
er oft auf sic zuruck. Und da~ Zeitalter von Leibniz hat auch schon den
Plan gcfaBt, dieses ungeheure Materialmit vereinten Kraften zu einer
groSen, in allen Teilen auf die ursprünglichen Zeugnisse gestutzten
deutschenGeschichtezu verarbeiten. Hiob Ludolfbetricb zu dem Zweck
die Gründung eines historischen Reichsinstituts, und Leibniz hat ihn
mit Rat und Tat unterstûtzt.
Die Quelle für die Kenntnis des 16. und 17. Jahrhunderts selbst
wurdc dem 18. in der gro6cn zeitgenôssischen Geschichtschreibung
jener Tage gegeben. Von Machiavel!!und Guiccmrdini bis auf Strada
und Davila reicht die Reihe der klassischen Historiographie der Italie-
ner, die das, was sie in ihrer Heimat oder drauBen in Frankreich und
HoHanderlebten, mit dem scharfen Blickepraktischer Staatsmanner auf-
faBtenund in der Kunstfonn der groHenAlten zurDarstellung brachten.
Nebenihnen steht Thuanus, in dem Streben nach klassischemAusdruck,
lichtvol!er Anordnung und psychologischer Begründung sie nicht er-
reichend, an Mstorischem Verstandnis sie so weit überragend, als die
kleinen Verhâltnisseder italienischen Staatenwelthinter denen der neuen
~~onarchicHeinrichs IV. zurückbliebcn. Das heroische Zeitalter des
niederlandischen Calvinismus trieb die Geschichtschreibung von Gro.
tius und Hooft hervor. Deutschland konnte solchcn Werken kein
ebenburtiges an die Seite stellen. Die schicksalsschweren Entwick-
lungen, die sich hier vollzogen, fanden nicht ihren Widerschein in einer
nationalen GeschichtschreibunggroBen Stiles. Die Zeitgenossen faBten
nur einzeIneVorgângeund Momcnteauf, oder sie betrachteten dieDinge
unter dem Winkel der Interessenpolitik dieser oder jener Regierung.
Innerhatb dieser Grenzen sind doch auch hier Schôpfungen von eigen-
tumJichemWert entstandcn. A!sdie grôCte von allen das unsterbliche
:«_Z*<M ~&<M<&~ M~~M~M~ !<
Werk Pufendorfs. Am Ende ihrer Tage fanden sich die beiden Manner
zusammen, welche in ihrem ganzen Wesen und Wirken lângst zuein.
ander gehôrt hatten, Friedrich Wilhelm, der Kurfürst von Brandenburg,
und Samuel Pufendorf, der eine unter den deutschen Fürsten, der
andere unter den deutschen Publizisten der hârteste Realist. Wie Fried-
rich Wilhelm in den dramatischen Momenten seiner Geschichte, wo
deutsche und brandenburgische Interessen zusammensdeSen, skrupel.
los dem Antriebe seines natürlichen Egoismus fotgte unddieallgemeine
Sache preisgab, so gewahrte Pufendorf in den groBen weltlichen Tem'
torien das einzig zukunftreiche Element der deutschen Staatenwelt. Sie
lebten beide in dem Gcfuhl der Realitat der Macht gegenüber allen
überlebten Bildungen der Vergangenheit. !m Sommer !686 wurde
Pufendorf nach Berlin berufen, im Februar 1688 traf er hier ein, ein
Vierteljahr darauf starb Friedrich Wilhelm, und auch Pufendorf selber
hat nur noch das Manuskript seines Werkes unterzeichnenkônnen, daMt
folgte er seinem groBen Herm in das Grab, und erst ein Jahr nach
seinem Tode erschienen die ,,Neumehn .Bûcher uber die Taten Friedrich
Wilhelms, des groBen Kurfürsten von Brandenburg". Hôchst einseitig,
alles nur von dem Gesichtspunkt der brandenburgischen Politik be-
trachtend, immer nur auf die Aktion nach auBen gerichtet, wurde doch
das Werk eben dadurch der voUkommeneAusdruck der Natur beider,
des jungen brandenburgischen Staates und seines ersten groËen Ge.
schichtschreibers. Und wie rücksichtsloseste Offenheit auch ein Zug
dieser gemeinsamen Natur war, hatte der Kurfürst seinem Historio
graphen die unbeschrankte Benutzung der Archive gestattet und Pufem
dorf von dieser Erlaubnis so freimutigen Gebrauch gemacht, daBseinem
Werk sogleich nach seinem Erscheinen der Vorwurf gemacht wurde,
es schâdige den Ruf der brandenburgischen Politik. In dem allen wurde
Pufendorf Ausgang und Vorbild aller spâteren spezifischpreuBischen
Geschichtschreibung: Friedrich der GroBe, Droysen und Treitschke
sind sich ihrer inneren Verwandtschaft mit ihm bewu6t gewesen.

4.
Die Kunst der Geschichtschreibung bedarf einer geistigen Anschau
ung des Zusammenhanges, welcher die Vorgange verknüpft und ihnen
Leben und eine aus dem Gemüt stammende innere Kraft mitteilt. Das
t6. und ty. Jahrhundert hatten die wissenschaftlichenWerkzeuge für
die Bearbeitung des ungeheuren Stoffes der Geschichte geschaffen.
Aber die groBen leitenden Ideen, welche imstande warcn, diesen Stoff
zu beherrschen, sind erst von dem t8. Jahrhundert hervorgebracht wor.
den. Sie erwuchsen auch jetzt wieder aus dem historischen Leben selbst,
und zwar aus einer Verbindung der grôBten weltgeschichtlichen Vor-
Die MwAwM/JMit&M~Z~<!Kt<W t&A~i~MMb~~ 223

gânge. Denn nur Anschauungen von ganz universaler Art vennochten


das Spiel der Krâfte zu erfassen auf dem weiten Schauplatz der da-
maligen Zeitgeschiehte und in der langen Vergangenheit, die nun durch
die Forschung erschlossen war.
Aus der Region der allgemeingûltigen Wissenschaft vom gesetz-
mâSigen Zusammenhang des Universumskam der Begriff von der Soli-
dantât und dem Fortschritt des Menschengeschlechtes.Er brachte zu
wissenschaftlicherErkenntnis, was die retigiosea Konzeptionenint Bilde
gesehen hatten. Und wie auch die Folgezeit ihn einschrânkte und nâher
bestimmte: eine leitende, in bestimmten Grenzen beweisbare Idee war
doch nun f&r die historische Wissenschaft gewonnen. Sie war gleich
der
jeder früheren aus der Anschauung dessen abgeleitet, was sich in
Wirklichkeit selber ereignete. In demZusammenwirkender Philosophen
und der Naturforscher in allen Kutturiândem entstanden im Verlauf
des t7. Jahrhunderts die mathematische Naturwissenschaft,ihre philo-
des
sophische Begründung und ihre Anwendung auf alle Gebiete
Lebens. Auf allgemeingultigen Grundlagen erhob sich nun die Er.
kenntnis des gesetzlichen Zusammenhangesder Wirklichkeit. In diesem
Zusammenwirken der Forscher und in dem stetigen Fortschritt ihrer
Arbeiten lag die neue groBe Tatsache, welche eine Revolution aller
Gedanken erwirkte. Voltaire sagt von dem anhebenden t8. Jahrhundert
,,Zu keiner Zeit war eine Verbindung unter den philosophischen Gei.
stem allgemeiner, Leibniz wirkte, sie zu beleben. Man sah eine Ge-
und
tehrtenrepubtik aUrnSMichin Europa entstehen trotz der Kriege
religiôsen Gegensâtze. Die Akademien haben diese Republik gebildet.
Die modernen Forscher in jedem Wissenszweigehaben die Bande der
groBen Gesellschaft der Geister gekniipft, die überall verbreitet, über.
a!l unabhangig ist. Dièse Verbindung dauert fort, und sie ist eines der
Trostmittel gegen die Obel, welche Ehrgeiz und Politik über die Erde
verbreiten." So entstanden jetzt nebeneinander die leitenden Ideen
des neuen Weltalters: Autonomie der Vemunft, Herrschaft des mensch.
lichen Geistes über die Erde vermittelst der Erkenntnis, Solidaritât der
Nationen mitten in ihren Machtkâmpfen, und die Zuversicht stetigen
Fortschreitens, wie sie aus der Allgemeingültigkeit wissenschaftticher
Wahrheiten folgt, welche gestattet, eine auf dieandere zu gründen. Diese
Ideen haben die Menschheit mit einem neuen Lebensgefühl erfüllt. In
der Geschichte des menschlichen Geschlechtesfinde ich kein grôûeres
Ereignis aïs die Entstehung dieses Zusammenhanges, welcher von der
Erkenntnis der Naturgesetzehinüberreicht zur Beherrschung des Wirk-
lichen durch die Macht des Denkens und von ihr zu den hôchsten Ideen,
die uns alle bestimmen. Aus ihm erwachst die Oberlegenheit in dem
der groBten
Lebensgefühl eines jeden von uns, verglichen mit dem
~4 Das <M~M~ ~M~5M«~ <M</
dit H~/y
Denker und Helden, der erhabensten religiôsen Geister der alten Welt.
Denn nun erst steht das Mcnschengeschlecht auf festem Boden, ein in
der Wirklichkeit gelegenes Ziel vor sich und einen deutlichen Weg, es
zu erreichen.
Diese Sicherheit des Fortschreitens in der Gesittung wurde gestei-
gert durch die Entwicklung der groûen Monarchien Europas. Es
formten sich die robusten politischen Korper, welche die Trâger der
modernen Geschichte wurden. Frankrfdchkonsolidicrtesichzuerst.Dann
gelangte mit der Thronbesteigung Wilhelms von Oranien England zu
der festen Friedensordnung, welche die Grundlage seiner auBcrordcnt-
lichen Machtentfaltung wurde. In derselben Epoche ging aus dem
Doppelkampf gegen Frankrcich und die osmanische ~cht die oster-
reichisch-ungarische Monarchie hervor, die als eine Singularitât unter
diesen nationalen Staaten sich doch durch die Macht der Verhâltnisse
behauptete. Dann wurde im crsten Menschenalter des t8. Jahrhunderts
RuSIand ein europâischer Staat, der sich seitdem unaufhaltsam nach
Westen vorschob. Endlich entstand das PreuBen Friedrichs des Groûen,
die modemste und verwegenste Staatenbildung, und auch sie hielt sich
aufrecht. Diese ,groBen Mâchte" teitten unter sich die Herrschaft über
den Erdteil. Aber indem sie sich gegcnseitig in Schach hielten, ver-
minderten sich allmâhlich die Kriege, und in der letzten Hiilfte des
t8. Jahrhunderts sah Europa dauemdereFriedenszustande als zu irgend-
einer anderen Zeit seit der Blüte des rômischen Kaiserreiches.Die Lite-
ratur erfüllte sich mit dem Ideal eines ewigen Friedens und mit Pro-
jekten, ihn zu verwirklichen. Dieselben Staaten sicherten und forderten
in ihrem Innem die Arbeit des Einzelnen an den wirtschaftHchenGûtern
des Lebens. Sie schufcn jene Kontinuitât der materiellen Kultur, welche
uberal! dicGrundIage fur den Fortschritt der geistigenbildet. Siesteïïtcn
sich zugleich unmittelbar in den Dienst von Wissenschaftund Gesittung,
ais sicherc, leistungsfahige Trager der Entwicklung derselben. Sie be-
durften dieser geistigen Krâfte, um ihre politische Macht zu behaupten
und zu verstârken. Die groBen Fiirsten suchten den Glanz ihrer Regie-
rungen zu steigem und die Unsterblichkeit ihrer Namen zu sichem,
indem sic den Musen ihren Schutz gewâhrten. Ait das stârkte in den
politischen und historischen Denkem dieses t8. Jahrhunderts die frohe
Zuversicht des stetigen Fortschrittes der Kultur. Oberall ein Optimis-
mus, der die Geister beglückte und vonvârts tricb. Bis dann die Kata-
strophe der franzôsischen Revolution über diese ganze Ordnung der
Dinge hereinbrach.
Und in diesen modemen Staaten empfing nun die wissenschaft-
liche Arbeit cine neue, feste Organisation, und auch das verstârkte
den Glauben an den bestandigen, unaufhaltsamen Fortschritt der Er-
der So/<M'/ t<~ <~ ~<M&<T! ~~MM~M~ U5

kenntnis und ihrer Wirkungen auf das Leben. Die Akademien ent-
standen. Jetzt zuerst erhielten die Hauptstâdte Europas Mitteïpunkte
modemer géistiger Arbeit. Und diese Arbeit empfing nun gerade durch
ihre Organisation in dauemdenKôîperschaften,weîche mit Staatsmitteln
arbeiteten, eine bestimmte Richtung. Die Akademien fôrderten die Tei-
lung der Arbeit, die Einschrânkung des Einzelnen auf ein bestimmtes
Gebiet und den positiven, exakten und methodischen Geist der For-
schung. Laplace sagt einmal, ihr wesentlicher Vorteil liège in dem philo-
sophischen Geist, der sich in ihnen entwickele; eben aus dem Wunsch,
sichgegenseitig zu überzeugen, entspringe dieObereinkunft unter ihren
MitgHedem, Untersuchungen von sicherer und unmetaphysischer Art
zu bevorzugen. Sie standen da als dauernde Trâger des hochst zusaïn-
me.ngesetzten und ausgedehnten Betriebes der modemen Erfahrungs-
wissenschaften, welcher der Kontinuitât regelmaûiger Arbeit bedarf. Sie
breiteten sich uber alle Hauptstâdte aus. Fünfundzwanzig Jahre nach
der Gründung der Berliner Kôrperschaft entstand die Akademie in
Petersburg. Es folgte die in Stockholm, deren erster Prâsident der
groBe Linné war, weiter die in Kopenhagen, und auch die kleineren
deutschen Staaten errichteten solche Anstalten. Dann bemachtigte sich
der moderne wissenschaftliche Geist der Universitâten, und auch in
diesen schritt die wissenschaftlicheArbeitsteilung bestândig vorwarts.
Eben die Studien, die an den Akademien zurùcktraten und deren doch
diese modemen Staaten bedurften, die Staatswissenschaften, die Juris-
prudenz und die Medizin, wurden hier fortgebildet. Die Wissenschaft
wurde für die Erziehung der leitenden Stande, vornehmlich der kûnf-
tigen Staatsbeamten verwertet. Der erste Typus dieser neuen Universi-
tâten war Halle, der Sitz der vonder Philosophie des Jahrhunderts be-
stimmten Staatswissenschaften.Dann entstand Gottingen als der Mittel-
punkt der historischen Studien, die unter dem EinfluB Englands stan-
den. Man muS sich vorsteUen,wie die bestândige Ausbreitung eines
staatlich organisierten wissenschaftlichenBetriebes, die Beschleunigung
der geistigen Arbeit, die so entstand, die geistige Autoritât der hier wir-
kenden Personen und ihr von den Studentenzeiten her wirksamer Ein-
flu& auf die hohen StaatsbeamtendieMacht der Wissenschaft und ihren
EinfluB auf das Leben bestândig steigerten. Wie gerade diese Organi.
sation des ~-issenschaftHchenBetriebes die Zuversicht auf die zuneh-
mende Gesittung durch den Einf!u6 der Vemunft vermehrte. Wie diese
Grundidee der Auftdârung sich von den Gelehrten aus über die Be-
amten, die Juristen und die Schriftsteller verbreitete.
So entsprang der Begriff der g r o Be n Kultur, die ihre dauer-
haften Grundlagen in der Macht der gesetzlich geordneten Monarchie,
in der Entwicklung der Industrie, des Handels und des Reichtums be-
Dilthey,G<Mmmdte H!
Schriften t;
M6 Das OMt~~Mi'~M~hMM!~M~ die ~<S<«!<M~ ~Mf
sitzt, die auf diesen Grundlagen als festgegründete, fortschreitende, all.
gemeingültige Wissenschaft, als Aufktârung und Macht des Menschen
über die Natur sich erhebt, um dann ihre Blüten zu treiben in den durch
das Denken veredelten Kunsten, einem gelâuterten, regelhaften Ge-
schmack und einer feinen, alle oberen Stânde verbindenden Gesittung.
Diesen Begriff schopfte die Aufktârung aus sich selbst. Er ward ihr der
Maûstab der Beurteilung jeder früheren Zeit. Seine ubeneugende Kraft
lag in dem Gefühl der neuen Sicherheit, welche die Zivitisatioa in den
groBen Staaten mit der mathematisch begnindeten Wissenschaft ge.
wonnen batte. In dem Zusammenhang dieser Regierung des Lebens
durch das Denken wurden auch die Künstler und Dichter aufgefaût. Sie
waren eine Kraft für den Fortschritt dieser Gesittung. Der Maastab
ihres Wertes lag in ihrer Macht, das menschliche Ideal dieser Kultur
und die Freudigkeit des Daseins, welcheaus derSouvetânitât des Geistes
entspringt, ausdrücken zu kônnen. Dieser Idee von der Funktion der
Kunst vermag eine einseitig âsthetische Betrachtung nicht gerecht
zu werden.
England zuerst ent~'ickelte in der Monarchie des groGen Oraniers
und der Kônigin Anna eine einheitliche Zivilisation dieser Art. Shai-
tesbury war der Ausdruck dieses Zeitalters. Er lebte in dem BewuÛt-
sein vom Zusammenhang der Macht und Freiheit seines Vaterlandes
mit der Steigerung der menschlichen PersônHchkeit zur inneren Har-
monie. Alle Bedingungen sind erfüllt: die groBe Kultur, welche in der
Zeit der Macht des rômischen Staates durch den bestandigen Kriegs-
zustand gehemmt worden ist, wird nun in England Wirklichkeitwerden.
Sie fordert die Unterordnung der Phantasie unter ein Denken, das sich
der Wiridichkeiten bemâchtigt. Dann wird sie eine hohere Gestaltung
der Personlichkeit, eine reinere Form der Kunst und eine edlere Ge-
sittung hervorbringen.
Mit diesem Ideal einer machtvollen und doch freien Ordnung der
Gesellschafterfülite sich Voltaire, ats er nach England kam. Und wie
er nun Franzose war in jeder Faser, hielt er doch fest an dem Eigen-
wert der Bildung seines lebensfreudigen Vatertandes. Voltaire wandte
zuerst den neuen Begriff der Kultur auf die Geschichtean. In seinem
Zeitalter Ludwigs XIV. untemahm er, den Zusammenhangdarzustellen,
in welchem alle Erscheinungen des frantôsischen Lebens wâhrend der
Regierungszeit dieses Kônigs verknüpft sind. Ludwig XIV. war ihm
die Verkorperung des Machtwillens des franzôsischen Kônigtums. Sein
Kultus dieses Kônigs beruht auf dem Gedanken, daB die GroBe und
Festigkeit seines Staates allein die Steigerung des ganzen menschlichen
Daseins, die Blüte der Wissenschaften, den Adel und die FormgrôSe
der Kunst und die hofische Verfeinerung der Sitten ermoglicht habe.
Z~F<J?~~A~<~ ~7

Er verurteilt die Ausschreitungen dieses Machtwillens in den Verwu.


stungen deutscher Lander, in der Unersâttlichkeit des kriegerischen
der
Ehrgeizes, in der Austreibung der Protestanten und der Verfolgung
des Konigs,we!che
Jansenisten. Aber sein Herz ist doch bei jeder Aktion
die einheitliche Kraft und die Ausdehnung Frankreichs zum Ziele batte.
der
"Die gro6e Seele", der Antrieb ,,zu groBen Dingen jeder Art",
WiUe zur Macht in diesem Menschen haben es ihm angetan. Er sucht
ihn in seinen kriegerischen und politischen Aktionen zu erfassen. ïn
einer Sammlung von Anekdoten, welche das Innerste seines Privatlebens
beleuchten, môchte er ihn verstândlich machen. SchlieBlich handelt
es sich ihm doch nicht um diesen Kônig. Er will die Struktur dieses
franzôsischenZeitalters, wie es durch die Macht seiner Monarchie môg-
lich geworden ist, zum Verstandnis bringen.
Von der Entwicklung der politischen Macht Frankreichs in Krieg
und Politik geht er fort zum Aufschwung von Handel und Industrie,
Gesetzgebung,Kriegswesen, Finanzverwaltung, um dann zu schildem,
was für die Wissenschaften in diesem Zeitalter geschah. Er bemerkt
wohl, da& die ,,gesunde Philosophie" unter Ludwig nicht dieselben
Fortschritte machte als Bcredsamkeit oder Dichtung, und wie ihm
immer die Vergleichung mit der englischen Kultur gegenwârttg ist,
stellt er die Oberlegenheit ihrer wissenschaftiichen Leistungen unbe-
trüben
fangen fest. Uber die Grunde dieser Tatsache, die einen so
Schatten auf die Regierung des Kônigs werfen, geht er leichtcn FuBes
hinweg. Indem er sich dann der Literatur und den Künsten zuwendet,
tritt der cigentum!iche Gesichtspunkt seines Werkes volikommen her-
aus. Nicht in der Vollkommenheiteinzelner Dichter liegt ihm die uner-
me6!iche Bedeutung dieser Literatur, sondem in der Vollendung der
der
Sprache, die nun jeder Aufgabe gewachsen ist, in der Ausbreitung
Kunst über aile Gattungen von Poesie und Prosa und uber alle Gegen-
stânde der Wirktichkeit, und in der Macht, mit der sie die feine Gesell-
schaftallenthalben durchdringt, Prinzen, Staatsmânner und ~tititars mit
den Schriftstellem mischt und ntitwirkt an der Ausbitdung einer hohe'
ren Form menschlichen und gesellschaftlichen Daseins. Hier erfa3t
Voltairein Wahrheit den Fortschritt, welcher von der Dichtungder Ein-
bildungskraft Mnuberfûhrt zur Epoche der Racine, Diderot, Lessing,
Goethe und Schiller. Diese neuen Menschen sind mehr als Dichter: in.
dem sic von ihrer geistigen Hôhe aus die Zeit beherrschen, werden sie
in einem umfassenderen,wenn auch nicht hoheren Sinne zu Lehrem der
Menschheit, als die fruhercn, selbst Shakespeare, es warcn.
Und jetzt erhebt sich die Geschichtschreibung Voltaires auf den
hochsten Standort der Betrachtung. Er untemimmt es, in vergleichen-
der Anschauung die ganze geistige Kultur der Epoche zu überblicken,
'S*
az8 Das arA~H~ ~~tMM~< <M~dit ~Ae Welt

welche kurz vor der Regierung des Kônigs anhob und jetzt, wo or sein
Werk entwirft, abgescMossenvor ihm liegt. Die Philosophieaïs univer.
sale Wissenschaft gibt nach seiner Einsicht diesem Zeitalter eine uner-
meBliche Cberlegenheit über jedes frühere. Vergleicht man Platon mit
Locke, so erkennt man den Fortschritt, welchen die Bildung in dieser
groBten Zeit des menschlichen Geschlechtes vollzogen hat. Die Eng-
iânder sind von Milton bis Pope, Addison und Swift die Meister der
gedankenstarken Dichtung, sie sind in Locke und Newton die Lehr-
meister der Menschheit in der wahren Philosophie. Und mag er Leib-
niz auch anderwarts noch so boshaft verspotten wegen seines Optimis-
mus, hier wei6 er ihn aïs den universalsten Denker Europaszu würdigen.
In dem universalen Zusammenhang aller Wissenschaften in den ver-
schiedenen Kulturlândem, getragen von den Akademien, lag ihm die
Groûe dieser Zeit. Und da ihm nun Aufktârung, Toleranz und Huma-
nitat schlieBlich doch den wichtigsten Ertrag der groBen Kultur be-
deuten, mündet seine Darstellung in der Schilderung der religiosen und
kirchlichen Zustande. Er wirft sich in das Wirrsal der reHgiôsenStrei.
ttgkelten, er erkennt die Fehler der Kirchenpolitik Ludwigs. Die poli.
tischen Motive derselben bat er doch nicht durchschaut. Und wie ihm
die Intoleranz des Kônigs, die schwarmerische Hartnacktgkeit derHuge.
nottcn, das theologische Gcïânk der Jansenisten und ihrer Gegner glei.
cherweise verhaSt, ja unverstândîich sind, endet sein Werk in einer
Art von Desperation über die Macht von Beschranktheit und Wahn-
glauben im Menschen. Er verstand die Gemùtskrâfte nicht, welche
die Geschichte bewegen.
Den Anforderungen, die man an das vo!ie Verstândnisdieser Kultur
machen müBte, genügt Voltaire nicht. Er schildert, ef beurteilt, docb
er crk!art nicht. Aber er hatte ein besonderes Verstândnis fut die Art
von GrôBe, welche in dieser franzôsischen Monarchie lebte. Er besaS
die Kenntnis von drei gro&en Staaten, er verstand die groBen handem'
den Menschen durch eine Art von innerer Verwandtschaft,da er selber
von dem Interesse seiner literarischen Macht geleitet war, die sich über
ganz Europa verbreitete. Und er hatte nun zuletzt in Sanssouci den
groBten Vertreter des damaligen Kônigtums kennen gelernt. Von dem
Einflusse Voltaires auf Friedrich sind wir zureichend unterrichtet, der
Kônig machte kein Hehl daraus, wo und wie er lemte. Wie weit Frie.
drichs Einwirkung auf Voltaire reichte, ist schwer zu sagen. Alles)
was der Kônig geschrieben hatte und was er noch ungeschriebenin sich
bewegte, war Voltaire bekannt. Wenn man die Abhandlung Friedrichs
über die Sitten, Gebrauchc, Gewohnhciten, die Industrie und die Fort-
schritte des menschlichen Geistes in den Künsten und Wissenschaften
liest, die cinige Jahre vor dem Werkc Voltaires erschienen ist, so tritt
Pw~~A~/t~ ~9
die Obereinstimmung beider Mânner in dieser kulturgeschichtlichen
Betrachtungsweise deutlich hervor. Es war einer der leitenden Ge-
danken des groBen Kônigs, da6 der preuBische Staat, zuruckgebtie.
ben hinter den anderen gro&en Monarchien, zunâchst seine Macht be-
gründe und die Hilfsqueltendes Reichstumsin sich entfalte: auf dieser
GrundJage werde die Blüte der Wissenschaften und der Künste an-
brechen.
So entsteht eine Verandenmg in der Geschichtschreibung, welche
auffalliger als irgendeine andere die historischen Werke dieses Jahr-
hundetts von allen früheren unterscheidet. Die Historie beginnt den
Zusammenhang der Kultur in sich aufzunehmen. Das hat nichts mit
dem falschen Ideal einer Kulturgeschichte zu tun, welches die Ver-
bindung zerreiSt, in der mit Zustânden groBe Menschen und mit
regelmâûigen Fortschritten der ZiviUsMiondie Machtkâmpfe der Natio-
nen verknüpft sind. Eben diese Verbindung ist von den gro8en Ge-
schichtswerken eines Hume, Gibbon und Robertson zur Darstellung
gebracht worden. Denn die Aufklanmg lebt in dem BewuBtsein von
der Bedeutung der groBen Monarchie, in dem Interesse an den Macht-
verschiebungen zwischenihnen, und selbst ihre Ideale der Freiheit hat
sie diesem Zusammenhang eingeordnet. Auch sind die groCen Fort-
schritte in der Auffassung der geschichtlichen Welt wâhrend dieses
Jahrhunderts nicht von einer Philosophieder Geschichte als einer neu-
erstandenen Wissenschaft herbeigeführt worden. Es gibt keine abge-
sonderte Philosophie der Geschichte, die etwas wert wâre. Aber der
philosophische Geist war in allen Kopfen wirksam und steigerte die
Kraft, die geschichtliche Welt zu begreifen. Er suchte die ursâch-
lichen Beziehungen auf, welche die Gesetze der Natur mit dem
Leben des Geistes und die Ausbildung der Erde mit der Entwicklung
des Menschengeschlechtesauf ihr verknüpfen. Und das war nun seine
Hauptleistung, daB er den universalhistorischen Gesichtspunkt der
fortschrcitenden Kultur des Menschengeschlechtesin den Vordergrund
rückte. Die Machtkâmpfe der Staaten, Krieg und Politik behaupten
ihre Stellung in der Geschichte,selbstVoltaire widmet ihnen den groB-
ten Teil seiner beiden Werke.Wenn aber für ihn noch der Kriegwie ein
unfaBUches Naturereignis den ruhigen Gang der Zivilisation stôrt,
wenn er vor dem re!igiosen Affekt oder vor dem grenzenlosen Erobe-
nmgsdrange Ludwigs wie vor einer Naturgewalt steht, welche in das
ruhige Wa!ten der Vernunft einbricht:so lag nun hierin dicAufgabcder
Fortentwicklung wahrerGeschichtschreibung.dieGninde dieser Macht-
kâmpfe zu erforschen und die Verminderung ihrer Zahl und Stârke zu
erklâren, wie sie sich insbesondereaus der Ausbildung der gro&en
Monarchien und des G!cichgewichtsverhâ!tnissesunter ihnen ergab.
:30 Z)~t <MiMM~yi~MbM<&~und die ~f~<~
Hier greifen die politischen und historischen Ideen Friedrichs des
GroBen ein.
Für die Auffassung der Kultur selber MIdetc sich bei den besten
Historikem des Jahrhunderts eine Technik aus, sie nach ihren ver.
schiedene Seiten auseinanderzulegen. Querschnitte gleichsam wur-
den durch den Fortschritt der Kultur an bcsonders wichtigen Punkten
der Entwicklung gelegt. Hume zuerst bat seit ï763 dieses Verfahren
mit zureichender Genauigkeit angewandt. MontesquieusHauptschriften
waren erschienen, Voltaire batte eben sein Zeitalter Ludwigs hervor.
treten lassen, als sich Hume in Edinburg in die Quellen seiner vater.
lândischen Geschichte vertiefte. Und wâhrend er mitten in der Arbeit
war, erschien Voltaires Schrift über die Sitten. Neben die ErzaMung
der politischen Geschichte steHtHumceinegrundliche,umfassendeDar.
stellung der Verfassung, der Gesetze und Sitten wâhrend der angcl.
sâchsischen Heptarchie, dann eine solche der normannischen Feudal.
vcrfassung, und er endigt mit der berühmten Schilderung der Sitten
und des wissenschaftlichenGeistes, wie sie nach den langen Kâmpfen
zwischen dem Konigtum und den Gemeinen sich unter Wilhelm von
Oranien gebildet hatten. Dann hat Ro b e r t s o n 1769 in der schônen
Einleitung zu seiner Geschichte Karls V. die Zustande der europâischen
Gesellschaft in eine innere Abfolge gebracht. Und der grôl3teunter den
Historikem des Jahrhunderts, Gibbon, beginnt sein Werk mit einer
Darstellung der gesamten Kultur des romischen Reiches in dem Zeit-
alter der Antonine tener langen glücklichen Zeit, in welcher das
rômische Reich unter einer weisen Verwaltung edler Kaiser den hôch.
sten Zustand von Frieden und innerer Wohlfahrt genou bis dann mit
dem Tode Marc Aurels der \'erfatt begann. Diese Darstellung ist das
Hôchste, was die Geschichtschreibung des t8. Jahrhunderts in dieser
Art geleistet hat. Eine ahnKche Schilderung widmet er den Zustânden
der Deutschen zur Zeit ihres Einbruchs in das Weltreich unter Decius.
So zergliedert cr auch an andem Stellen den Geist der Nationen, wenn
sie mit der romischen Welt in Benihrung treten. Und cr zuerst hat in
genialer Analyse den Charakter des Christentums der ersten Jahrhun-
derte dargelegt und die Ursachen seines Wachstums entwickelt. War
es doch die Zeit der groBen Analysen der Eng!ânder. Das wirtschaft-
liche Leben, die moralischen Tatsachen, das künstlerische Schaffen, die
NvissenschaftlicheArbeit des menschlichen Geistes wurden zuerst von
ihnen methodisch zerlegt. Adam Ferguson und Henry Home haben
hierauf ihre Zergliederung der gesamten Gesellschaft und des gc-
schichtlichen Fortschrittes derselben gegrundet.
Aber aus den Begriffen der Einheit des menschlichenGeschlechtes,
des Zusammenhangesder Erscheinungen seiner Kultur in jeder Epoche,
~M~~tM~~M~M<&~Mw
der Entwicklung zur groBen Zivilisation der Gegenwart erwuchs nun
auch die Aufgabe, die Linie des Fortschrittes zu beschreiben, welche
von der Barbarei der primitiven Zustande emporführt zu der Errichtung
der groBen Monarchien, der Ausbildung einer allgemeingültigen
Wissenschaft, der Aufklârung und Gesittung. Es war das eigentliche
Problem für diese Geschichtschreibung des x8. Jahrhunderts. Alle
Geschichtschreiber der Aufkiârung sind in den Grundzugen einander
verwandt. Ihnen allen liegt das Ziel der geschichtlichen Bewegung
in der Unabbingigkeit der wissenschaftlichenForschung, der Toleranz,
der religiôsen Auttdânmg, der wohlstilisierten Kunst, und in der neuen
Freiheit des Menschen, seine Personlichkeit zu entfalten, die ihm in
diesen gesicherten groBen Staaten entsteht. Naturwissenschaft,Schilde-
rungen der Reisenden, Verbindung derselben mit den altesten Denk.
malern unseres Geschlechteshaben nunmehr den Anfang der Geschichte
in der primitiven Stufe der Menschheit festgestellt. Die Zeit der My.
then über den Ursprung der Menschen ist vorüber. Wie das mensch-
liche Geschlecht durch Wahn, Illusion und leidenschaftliche Wirrun-
gcn hindurch von Stufe zu Stufe zu dieser Zivilisation emporstieg, das
ist der Gesichtspunkt, von welchem jetzt jeder Teil der Geschichte
von den Historikem behandelt wird. Und die Stimmung des Geschicht-
schreibers schwebt zwischen dem Mitgefuhl und dem Lâcheh über
die groBen Tâuschungen der Vergangenheit, dem ehrlichen Ha& ge-
gen die Despoten und Hierarchen aller Zeiten, und der optimistischen
Lebenszuversicht, in welcher dies Zeitalter der Vemunft cinem gren-
zenlosen Fortschreiten der Menschheitunter der Leitung der Erkenntnis
selbstbew uBt entgegensieht. Voltaire hat die Abrechnung mit der
theologischen Geschichtschreibung von Bossuet vollzogen. Und er hat
auch zuerst in seinem Versuch über die Sitten und den Geist der Natio-
nen die neue Universalgeschichte der menschlichen Kultur darzu-
stellen untemommen.
Dies Werk hat ihn sein Lcben hindurch begleitet. Er hat schon um
'740 für die Marquise von Chateleteine Philosophieder Geschichteund
cinen Versuch uber die Geschichte des menschlichen Geistes von Karl
dem GroBen bis auf seine Zeit niedergeschrieben. Beides fûgte er dann
zusammen undlic6 es 1756 erscheinen. Noch zwanzig Jahre danach,
in seinern Todesjahre, hat er sich von neuemmit dem Werk beschâftigt.
So groB die Intention war, so unzureichend ist die Ausfûhrung. Die
Wirkung, welche in der Anwendungder neuen Ideen auf die Tatsachcn
der Geschichte lag, war doch auBerordentlich. Sie wurde verstârktdurch
zwei MompMte.Indem \'o!taire alle CberUeterungen der Vergangen.
heit dem MaSstabe des gesunden Menschenverstandesunterwarf, stei-
~erte er den Geist der Kritik. Desultorisch. fehtgrcifend oftmals.wcnner
Das <MMM~ /tM<M<&~ und die F'&< Welt

verwirft wie wenn er annimmt, weit unter der tiefsinnig kombinato.


rischen Kritik von Vico und der methodisch geschulten von Perizo.
nius, ist er doch wirksamer als alle seine Vorganger durch das aUge-
meine Prinzip des historischen Zweifels. Vor allem aber âuûert sich
in diesem Werke seine schriftstellerische Kraft so vollkommenaïs kaum
in einem andem. Es unterscheidet sich gânziich von allem, was je.
mals vorher über Geschichte geschrieben ist. Nach so langen Zeiten
mühsamer Arbeit der Gelehrten erscheint hier ein souverâner Mensch,
der überzeugt ist, das MaB für den Wert jeder geschichtlichen Er-
scheinung in seinem modemen BewuBtsein und der Kultur seines Jahr.
hunderts zu besitxen. Er aberscMttet mit seinem Spott die Priester
aller Religionen bis zu denjenigen, die unter Ludwig XIV. mit ihren
Streidgkeiten den ganzen Staat erfuUten. Jede Art von Intoleranz oder
Sktaverei trifft er mit seinem Ha6, bis zu dem groBen Adel, der noçh
am Hofe Ludwigs XÏV. vom Staate lebt. Und zugleich empfindet er
doch den Abstand der geistigen Freiheit, in der er lebt, von der vulgâren
Masse, die unbeweglich in der Tiefe verharrt, Untergrund der Ge.
schichte, zusammengesetzt aus Betrügem und Betrogenen. Er geht
jedem Fortschritt des Wissens und jedem Werk des guten Geschmackes
mit dem Enthusiasmus des Junglings nach. Das geschichtliche Leben
endockt ihm tausend Ausrufe über die Macht der Dummheit und des
Wahnglaubens und über die eiseme Herrschaft des ZufaUs. Die Ge-
schichte wird lebendig, indem dieser lebendigste aller Menschen jede
Erscheinung zu sich in Verhaltnis setzt. Die Macht der Subjektivitat
hait nun in das Reich der Tillemont und Muratori ihren Einzug. Und
in ihrem Gefolge die Kunst der Geschichtschreibung, die immer in
der inneren Lebendigkeit begründet ist. Es ist zunachst eine auBerst
werden
subjektive und regellose Form. Aber die wahren Kunstwerke
hervortreten, wenn die frei gewordene Subjektivitât sich ruhiger, an-
haltender, wissenschafdicher der groBen Gegenstandlichkeit der ge-
schichtlichen Welt hingibt.
Es war notwendig, zu einem methodischen Verfahren der Er-
selber
Hârung fortzuschreiten. Und in den geschichtlichen Tatsachen
der-
lag die Nôtigung, die Fragestellung Voltaires zu erweitern. Auf
selben Stufe der Entwicklung der Gesellschaft breitet sich eine ~~annig-
faltigkeit von Lebensformen aus. Der politische Denker dieser Zeit
sah vor sich den theokratischen Despotismus im türkischen Reich,
die gesetzliche Monarchie von Frankreich und PreuSen, die frcie
Staatsordnung Englands und die Republiken von Venedig, der Schweiz
und dann von Nordamerika. Er fand diese Unterschiedeverbunden mit
denen der Volkscharaktere, des bürgerlichen Rechts und des geistigen
Lebens. So entstand die Aufgabe,aus den gleichenZugenderMensehcTt-
~c~ /A'«MW 233
natur diese Verschiedenheiten abzuleiten und sie zu den groQen Stufen
der menschlichen Entwicklung in Verhâltnis zu setzen. Das verglei.
chende Verfahren, das die Alten geschaffen, und dessen Ergebnisse,
wiesie bei Platon, Aristoteles, Polybios,Cicero und in den umfassenden
Blicken der medizinischen Schulen über die Unterschiede des Klimas
und deren Wirkungen vorlagen, mu6tcn zur Erk~rung verwertet wer-
den. Vico, Grotius, Bodin muRten fortgeführt werden. Montesquieu
zunâchst erfaSte diese Aufgabe.

5'
Der ,Geist der Gesetze" von Montesquieu ist das politische
Hauptwerk des t8. Jahrhunderts. Der Verfasser gehôfte zu dem Adel
von der Robe, welcher die richterlichen Âmter des alten Frankreich im
erblichen Besitz hatte. Aber mit den humanistischen und juristischen
Studien, in denen einst Bodin gelebt batte, verband sich nun in ihm der
naturwissenschaMiche Geist des Zeitalters. Er hatte in Bordeaux als
Mitglied der Akademie naturwissenschaftliche Abhandlungen ver-
ôffentlicht. Und als er nun nach England kam, verstand er die freie
Verfassung dieses Landes aus dem mechanischen Gesichtspunkt einer
gegenseitigen Hemmung der politischenGewalten, der aus dieser natur.
wissenschaftlichen Denkweise entsprungen war. Um die Mitte des
Jahrhunderts, 1748, erschien, als das Ergebnis seines Lebens, der
,,Geist der Gesetze".
Drei groBe leitende Ideen bilden den Zusammenhang seines Werkes.
Er hat denselben verborgen. Denn in der Zerlegung des Ganzen in
einzelne Reflexionen liegt ein groûer Teil der schriftstellerischen
Kunst, die den unerhôrten Erfolg des Werkes ermoglichte.
Aus den natürlichen Gesetzen der einmùtigen Menschenvemunft
stammt die Gcmeinsamkeit in den rechtlichen und sittlichen Ordnungen
aller Nationen. Mit diesem Satze steht er auf dem Standpunkt desNatur-
rechts. Aber sein Problem ist nun die Erkiarung der Unterschiede und
die Begründung des Eigenwertes dieser Ordnungen. Er geht von den
politischen Denkem der Alten aus, und die vergleichende Méthode
derselben wird von ihm vertieft durch die Verfolgung der Abhângig-
keiten, welche von den gesellschaftlichenOrdnungnen rûckwârts führen
zu ihren Bedingungen in der Natur. Das Klima und die Bodengestaltung
bedingen die Unterschiede in dem wirtschaftlichen Leben und der Ver*
teUung des Reichtums; diese erwirken die Differenzierung der Sitten,
der Gesetzgebung und Verfassung; in gründlicher Untersuchung be-
mâchtigt er sich dieses Zusammenhanges. Zugleich würdigt er doch,
wie der Gesamtgeist der Nationen durch die Geschichte bedingt ist,
~4 j~itMM~~ und die ~<M'<~
Das <MKiMtM' Welt
und zuletzt vielleicht durch eine urspriingUche Anlage. Jedes Volk be.
hauptet einen bestimmten Charakter in seiner ganzen Geschichte, ihm
muB sich die Gesetzgebung anpassen, und seine Rechtsordnung und
Verfassung ist durch ihn bestimmt.
Mit diesen Kapiteln von Montesquieu beginnt eine neue Epoche
in dem politischen und historischen Denken. Sie sind voll von den
tiefsten Blicken: wie da&Klima die Funktionen des menschlichenKôr.
pers beeinfluGt und so in den einzelnen Gegenden dem Gcist cin bc.
stimmtes Geprâge miîteitt, wie die Bodenbeschaffenheit der weiten
Ebenen, wo die Macht des Stârksten durch kein physisches Hindenus
in ihrer Ausbreitung gehemmt wird, die groSen Flâchenstaaten hcrvor-
bringt wie die Wanderungen und Eroberungen der Volker von dem
unfruchtbaren Boden fortgehen zu dem besseren; wie in gebirgigen
Lândem oder auf Inseln kleinere Staatenbildungen Schutz finden und
die Freiheit sich entwickeln kann; wie der Mensch in der Geschichte
atttnâMich sich !os!ôst von der Gebundenheit an den Boden. Die ersten
Grundzüge einer historischen Geographie sind hier entworfen.
Einen zweiten groBen Fortschritt vollzog in Montesquieu das poli.
tische Denken. Er fragt nach den psychischen und moralischcn Krâften,
auf welchen die Erhaltung einer bestimmten Staatsform beruht, er er.
kennt ihre Verschiedenheit in den despotischen, aristokratischen, demo
kratischen und den monarchischen Staaten. Die Hauptformen der Ver-
fassung entstehen und erhalten sich durch die Kraft von entsprechenden
Typen des Gesamtgeistes. Vico war ihm hier vorangegangen, und die
politischen Schriftsteller neben und nach ihm, Friedrich der GroBe
und Hertzberg, haben sich mit dem von ihm aufgeworfenen Problem
lebhaft beschaftigt. Sie durchschauten die Schwâchen seiner Lôsung.
Sic haben doch seinen tiefen Grundgedanken nicht vôHig crfa8t, da6
die gesetzliche Monarchie unabhângiger ist von den religiôsen Cber.
zeugungen oder den moralischen Eigenschaften ihrer Bürger als jede
frühere Verfassung. Hieraus eben schopft Montesquieu die Hoffnung
ihrer grôGeren Dauer. Denn auch ihm gilt es, die Ûberlegenheit dieser
groBen gesetzlichen Monarchien zu erweisen. ,,In ihnen vermag die
Politik mit dem geringstmôglichen Aufwand von Tugend groBe Dinge
zu vernchten. gleichwie die Technik in den vollkommensten Maschinen
moghchst wenig Bcwcgungen, Krâfte und Rader verwendet."
Und so wird ihm nun auch die Fortbildung der gesetzlichen Monar
chic zu der politischen Freiheit, dcrcn England genou, zu einem mectia-
nischen Problem. Die Losung liegt in der gegenseitigen Hemmung der
politischen Gewalten. Nur dann wird die voitziehende Gewalt in ihrcn
Grenzen gehalten werden, wenn die gesetzgebendc und die richterliche
unabhang!~ von ihr in sich selbcr gegründet sind und die zureichende
,,Z~-G~ C~~e" J35
Starke haben, sich zu behaupten. In dieser Theorie lag doch auch ein
wertvoller wissenschaftlicherFortschritt. FaBt man sie als eine Inter-
pretation der englischen Verfassung, so verdient sie alle die Vorwürfe,
mit denen sie uberschuttet wordenist. Aber verstandenals eine Théorie,
welche gleichsam die Dynamik und Statik der politischen Krafte zum
Gegenstandehat, wird sie dieser Seite des Staatslebens zum ersten Male
gerecht, und hierin beruhte ihre mâchtige geschichtliche Wirkung.Mon'
tesquieu studiert an England, das vor allen anderen Staaten die poli-
tische Freiheit verwirklicht hat, die Bedingungen, an welche diese ge'
bunden ist, wenn man nur das Verhaltnis der Krâfte im politischen
Kôrper in Betracht zieht. So entsteht ihm seine Theorie von der
Trennung der Gewalten als der Bedingung der englischen Freiheit.
Vonhier aus leitet er ab die Notwendigkeitder Verteilung dieser Ge-
walten an verschiedene Subjekte, das Veto des Moaarehen, die Verant-
wortlichkeitder Minister.Alles ein System von Gewichten und Gegen-
gewichten, von Hemmungsapparaten, von SicherheitsmaBregelngegen
die Ubergriffe einer jeden der Gewalten.So gefaBt, erschien die poli-
tische Freiheit als tiberttagbar von einem Lande auf das andere durch
den Willen der Gesetzgeber. Die tiefen Beziehungen,durch welche die
politische Freiheit Englands mit dem Charakter der Nation und ihrer
Selbstverwa!tungzusammenhing,berücksichtigte er nicht.
Montesquieu hat die Aufgabe, die er sich stellte, nur sehr unvoll-
kommen gelüst. Er arbeitet mit einem ungeheuren Material, in tiefer
Besonnenheit, ganz unbefangen; er lâSt sich die Zeit, sein Werk reil
werden zu lassen. Aber seine Erkiârungen durchlaufen nur die ursâch-
lichen Beziehungen zwischenGegebenheiten,die wic feste, unverânder-
liche Tatsachen vor ihm stehen. Er erkiârt die einzelnen Rechtssatze
oder Verfassungsbestimmungenaus einzelnenUrsachen. Sein verglei-
chcndes Verfahren bezieht sich nie auf die ganze Struktur einer gcse!
schaftlichenOrdnung, auf die Entwicklung,die sie erfahrt, auf das Ver-
hâltnis, \nc sie als Ganzeszu der Religion und den Sitten eines Volkes
steht. Er denkt nicht genetisch. Er hat kein Auge für die besonderen
Eigenschaftcn eines sozialen Korpers, der in der Lebendigkeit der
Menschennatur gegründet ist. Den Stufen, welche Gesetz und Ver-
fassung entwicklungsgeschichtlich durchlaufen, ist er nicht nach-
gegangen.
Eben von diesem Begriff gesetzmâBigerStufen in dem Fortschritt
der Gesellschaft ist Turgot ausgegangen, welcher aus der Lektüre des
..Geistes der Gesetze" den stârksten Antrieb empfing, das Problem
Montesquieusvollstândiger auizu!6sen.
Am t!. Dezember 17 50trug Robert Jacques Turgot t in der Sor.
bonne die Abhandlung vor ûber die Stufen im Fortschritt des mensch.
~6 D~fa~M~Mif ~t4~<MM&~ <Mt<~
die ~)'<«'A< Wtlt
lichen Geistes. Er war 23 Jahre ait damais, ein frühreifes Genie, das
in einer unerme3lichen Ausdehnung der Studien, inmitten von Planen
neuer Wissenschaftenlebte. Sie waren alle auf die Begrundung einer
Wissenschaftder Geschichte gerichtet. Der Vergleich mit Herder drângt
sich auf, wieer in derselben Jugendzeit Ideen von grenzenloser Ausdeh.
nung über die ganze geschichtliche Welt in seiner Seele bewegt. Aber
wâhrend Herder sein Leben der Entwicklung dieser Ideen widmen
durfte, hat der gro6c franzosische Staatsmann erst nach seinem Aus-
tritt aus den politischen Geschaften die Plane seiner Jugend wieder
aufnehmenkônnen. Und weder von jener Rede und den Papieren seiner
ersten Zeit noch dann aus seinen letzten Jahren kam etwas zur Ver.
ôffentlichung. ïn seinem Freunde und Schüler Condorcet wurde seine
Anschauung vom Fortschritt in der Geschichte zuerst wirksam. Erst
!So9 sind dann seine Papiere verôffentlicht worden. Unmittelbar oder
durch die Vermittelung Condorcets sind sie die Grundlage für den Auf-
bau der Geschichtsphilosophievon Comte geworden.
Turgot stand inmitten der Bewegung des franzosischen Geistes,
aus welcher die Enzyklopâdie hervorgegangen ist. Die mathematische
Naturwissenschaftund der positive Geist seines Freundes d'Alembert,
der jede Art von Metaphysik hinter sich zurûckIieB, bestimmten auch
ihn .Und wie nun die physiokratische Schule, welcher er angehôrte, in
der politischenûkonomie von der Naturwissenschaftausgegangen war
und Naturgesetzedes wirtschaftlichen Lebens aufsuchte, erblickte er
den Zusammenhangder geographischen Gliederung der Erdoberftache
mit der Verteilungder wirtschaftlichen Lebensformen auf ihr, und von
diesen sah er das historische und politische Leben der Nationen be-
stimmt. Dieser Gedanke kann zugleich ats die denkbar allgemeinste
Fassung der Lehre Montesquieus von dem EinfluB des Klimas und
der Bodenbeschaffenheitauf das historische Leben aufgefa6t werden.
Turgot nannte die Wissenschaft, welche diese Beziehungen zum Gegen-
stande hat, politische Geographie und bezeichnete sie als Querschnitt
der Geschichte. Er môchte den EinfluB der Gestaltung der Boden-
oberf!âche auf die Produktion und die Zirkulation der Waren in den
verschicdenen Gegenden erforschen. Dann die Wirkung der Vertei-
lung von Erdboden, Mcer und Flüssen auf den Verkehr, die Vôlker-
beziehungen,die Eroberungen und den Handel. Endtich das Verhâlt-
nis dieser au&eren Ursachen zu den moralischen Kraften, das die ver-
schiedenen Charaktere der Nationen, ihr Genie und ihre Vcrfassungen
zur Folge hat. Seine genialen Ahnungen berühren einen groGenTei!der
Probleme, welche Kant und Herder behandelt haben, und deren Auf-
tôsung die historische Geographie scit Karl Ritter beschaftigt. In der
Art ihrer Behandhng âuSert sich die naturwissenschaftlicheSchulung
Turgot _~7

seines Geistes, die ihm fur Form, Gestalt, quantitative Bestimmung und
.Verhaltnis der Krâfte das Verstandnis erschlieSt.
Von dieser politischen Geographie leitet hinûber zu der Universal.
geschichte ein Gedanke, der wiederum eine Grundidee Comtes vorweg-
nimmt. In der gegenwartigen Lage der Erdoberflâche mit ihrer Mannig.
faltigkeit mehr oder minder kultivierter Volker kommt die ganze Stufen.
folge der menschlichen Entwicklung noch heute zur Erscheinung; ein
Blick auf die Erde la6t uns in einem Gemalde die ganze Geschichte
der Menschheit umfassen. Vergleicht man die Naturvolker des amen-
kanischen Westens mit dem Muselmann oder dem Bewohner cinés spa-
nischen Klosters und wieder die Scholastiker an der Sorbonne mit den
Philosophen der Salons, so zcigen sich hier nebeneinander dieselben
Stufen der Entwicklung unseres Geschlechtes, welche uns in der Ge.
schichte entgegentreten. ,,Ach, unsere âter und die Pelasger, die den
Griechen vorangingen, sie glichen den Wilden Amerikasl" So empfangt
der allgemeine Begriff vom Fortschritt des menschlichen Geschlechtes
in der Geschichte eine bestimmtere Gestalt. Die Betrachtung der gleich-
zeitig über die Erde verteilten Kulturen von verschiedener Hôhe führt
zu demselben Ergebnis als die des geschichtlichen Verlaufes. In der
ôden Gleichfôrmigkeit des Naturlaufes steht so der Mensch, ein Atom
in der UnermeSlichkeit der Welt und doch, wenn man ihn philo-
sophisch in dem Ganzen der Menschheitzu erfassen weib, sieghaft sich
entfaltend in der stetigen, wirkenden Verkettung der Generationen: in
dem Auf und Nieder des geschichtlichen Wechsels eine groRe Ein.
heit, gleich dem Wasser des Meeres in den Stürmen, und stets fort.
schreitend zu hoherer Vollendung. Auf die ganze Breite der Kultur ist
diese Anschauung gerichtet. Allenthalben wird das Vorwârtsschreiten
der Menschheit aus den Tatsachen gezog-en:,Die Sitten werden milder,
der Geist wird aufgekiart, die isolierten Nationen nâhem sich, Handel
und Politik vereinen endlich alle Teile des Erdenrundes, und die Tota.
litât des Menschengeschlechtes bewegt sich durch den Wechsel von
Ruhe und Erschütterung, von Gutem und OMem langsam, doch be.
stândig vorwârts zu grôBerer Vollkommenheit."
So groSen Intentionen entspricht freilich nicht ganz, was geleistet
wird. Denn alles MiebEntwurf. In der politischen und sittlichen Kultur
ist der Fortschritt mehr postuliert als erwiesen. Die Nationen gehen
vom Despotismus fort zu freien, gerechten Regierungssystemen, von
Sitten, in welchen kleine Stâmme den Kreis des Wohlwollens und der
Verpflichtungen nach auBen abgrenzen, zu immer milderer, humanerer
Gesittung, die scMieGUchdie Menschheit umfaBt. Vorubergehend tritt
dann die Auffassung der Entwicklung der Kunst hervor, welche Schiller
und sein Zeitalter durchgeführt haben. Ein naïves Stadium der Kunst,
~L Das<Mt<K~
/tAf!t<!M<&
<!MM~ j~~
~M~ot<&a!<
das in der Dichtung durch den metaphorischen Charakter der
Sprache
begünstigt wird,geleitet von Instinkt und Phantasie. Nach demUnter-
gange dieser ersten groBen Kunst muB die Menschheit, was sie einst
naiv und müheloshervorgebracht, durch Reflexion erreichen. So ersteht
eine neue Vollendung,von anderer Art, das Denken leitet die
Phantasie~
und dies ist die hôchste Leistung der Vemunft.
Auf eine m Gebiete der Geschichte hat Turgot ein dauemd Wert-
volles geleistet. Er zuerst hat das Gesetz von den drei Stufen der gei-
stigen Entwicklung des Menschengeschlechtesaufgestellt. Die mensch-
liche Intelligenz durchlâuft ein theologisches, ein metaphysisches und
ein erfahrungswissenschaftlichesStadium. Diese
Konzeption entsprang
aus der wissenschaftlichen Lage der Zeit, und sie konnte allein in
Frankreich gefa6t werden, weil jetzt hier in dem Kreise von d'Alem.
bert die positive Wissenschaft sich losloste von der Metaphysik der
Scholastiker, der Descartes und Leibniz. Turgot sah um sich her die
besten Kôpfe diesen Fortgang zu positiver Naturforschung vollziehen.
Zugleich umgab ihn noch die Herrschaft von religiosem Aberglauben
aller Art in der katholischen Kirche. So nimmt er ein Stadium des
metaphysischen Scheines an, in diesem schreibt der menschlicheGeist
den metaphysischenWesenheiten Realitât zu, das positive Denken !6st
diesen Schein auf, indem es die Subjektivitât der
Sinneswahrnehmungen
durchschaut und die Begriffe als Abstraktionen aus den Tatsachen auf-
fassen lernt. Und vor diesem metaphysischen Stadium erstreckt sich
lange, lange Zeit hindurch eine primitive Stufe unserer Intelligenz,das
Stadium der mythischen Auffassung. Diese gewahrt überall Willen und
Personen. Die Naturvôtker und das Kind zeigen uns heute noch die un.
eingeschranktc Herrschaft dieser imaginativen Stufe. Dieses Gesetzder
drei Stufen hat zuerst eine in der Sache gelegcne
Gesetzma6igkeit
des Fortschrittesin der Geschichte aufgczeigt. Sicher irrcn
Turgot wie
Comte darin, daB sie den Mythos als eine
primitive Art Wirklichkeit
aufzufassen nicht hinreichend von der Religion als einem
unvergâng-
lichen Lebensmomcntder Vôlker sondern. Und wennsie das
mctaphy-
sische Stadium ohne Rest in das positive übergehen lassen, so bleibt
auch hier eine Frage zurück, die eine andere Art von Ant~'ort erfordert.
Aber diese Mange!konnen durch eine exaktere. dcn Tatsachen
genauer
angepaBte Fassung des Gesetzes gehobcn werden; dessen Kern bleibt
bestehen.
6.
Es wird nie gctingen, den Fortschritt des
MenschengescMechtesin
seiner Totalitât an dem Gesamtvertaufder menschlichen Geschichteauf-
zuzeigen. Man muB ihn zergliedem und seinen einzelnen Seiten nach-
gehen. Wir folgen diesen Untersuchungen des t8. Jahrhunderts.
Z~ ~~<!tfJt~ der ~'fj«Mf&«/?M. Kunst uad ~A~A~ ~39
Der Fortschritt in den Wissenschaften liegt zutage. Erfahrungen
summieren sich in der Zeit. Aus ihnen werden durch Verallgemeinerung
Gesetze abgeleitet. Die Zahl derselben nimmt zu. Schon Hobbes batte
die Verhâltnisse von Abhângigkeit innerhalb der Wissenschaften er-
kannt, von denen das Nachemander ihrer Entwicklung bedingt ist.
Und das Gesetz Turgots ermoglichte dann, den Fortschritt der mensch.
lichen Erkenntnis unter eine allgemeinste Formel zu bringen.
Wieviel schwieriger war das Problem, den Zusammenhang in der
Geschichte der Kunst und Literatur aufzufassent Scaliger bemerkte,
wie die Poesie der Griechen gleichmâ6ig in Stufen emporgestiegen und
wieder gesunken ist. So muSte die Erhaltung des Erworbenen oder der
Fortschritt in der Cbertmgung von einem Volke auf das andere ge.
funden werden. Graf Caylus unternahm es nun, diese Obertragung an
der Geschichte der Künste in der alten Welt aufzuzeigen. Jedes Volk
beschreibt den Kreislauf seines Lebens; was es von Schonheit erwarb,
gibt es weiter an ein anderes, das dann durch sein eigenes Genie das
Empfangene steigert. So wuchs aus der Barbarei die bildende Kunst
der alten Welt empor, ein Stück der geistigen Geschichte dieser Welt;
von Âgypten wird sie nach Etrurien übertragen, von dort empfangen
sic die Griechen, die Zeit Alexanders bezeichnct den Hôhepunkt, an
welchem griechische Kunst das Musterhafte für alle Nationen hervor-
bringt, bis dann in dem unkünstlerischen Volk der Romer der Ver.
fall eintritt.
Die Ebenbürtigkeit des modemen Kunstschaffens mit der Antike,
wo nicht seine Oberlegenheit, konnte aus dem hochsten Begriff der Auf*
klârung abgeleitet werden. Shaftesbury, Voltaire und Kônig Friedrich
ordneten Kunst und Literatur dem Zweck der groBen Kultur unter. Die
Verfeinerung der Sitten, die Entwicklung von Geselligkeit, Lebens-
freude und festlichem GenuB des Daseins, die Anmut der t~ede und des
Sois, die Schopfungen der Kunst und der schônen Literatur, wie sie
auf diesem Boden erwachsen: dieses Ganze bewegt sich vorwârts. Vol.·
taire unterscheidet vier Hôhepunkte dieser Kultur, die Blute Grie.
chenlands, das Zeitalter des Câsar und des Augustus, die italienische
Renaissance und endlich das Zeitalter Ludwigs XIV. in seiner euro-
pâischen Ausbreitung, wie er es nun zur Darstellung brachte. Sein Ma8-
stab ist der Geschmack, der Stil, die Verbindung des Raisonnements mit
der Formvollendung, die hôchste Ausbildung der Sprache, die Verfeine-
rung der Sitten der Geist seiner Zeit. Und der Vollkommenheit einer
"okhen Kultur ist das Zeitalter Ludwigs am nâchsten gekommen. Ein
âhnlicher Begriff von Hôhepunkten des geistigen Lebens findet sich
bei Friedrich. Wie der GeschmackaHgemeingûltigen Normen unter-
liegt, ist er in einem Vorgang der Cbertragung von dem Zeitalter des
<40 Z~tM
~&MM~~)Mf <Af~~M/Af~ Welt
Perikles auf das des Augustus übergegangen. Nach einer langen, ôden
Zwischenïeit erhob sich das Zeitalter Lorenzos de' Medici zur selben
Hohe und dann das Ludwigs XIV. So gelangen die Nadonen nachein-
ander zu einer kurzen Blute hôchsten Geschmackes und vollendeter
Kunst. "Diese Blute kündigt sich an in der Zahl groBer Manner aller
Art, die gleichzeitigauftreten. Die Tugenden, die Talente und das Genie
derselben reiBen wie in einer allen gemeinsamen Bewegung dann die
Fürsten mit sich fort zu groBen und erhabenen Dingen." Dann sinken
die Nationen wieder. Andere steigen empor. In Frankreich hat
jetzt
der Niedergang begonnen. ,,Wir Deutsche sind spat gekommen, aber es
gilt nun anzufangen, vorwârts zu schreiten." In einer Abhandlung über
die Geschichteder Kultur seines Staates geht er ihrem Fortschritt
nach,
von Jahrhundert zu Jahrhundert; er erschlieût aus dem bestândigen
Aufsteigen von Macht, Industrie und geistiger Bildung prophetisch das
Hemnnahenunserer groBen Literatur. Dieselben Gedanken beherrschen
seine Schrift über die deutsche Literatur. Alles, was an ihr getadelt
worden ist, entspringt aus dem Begriff von Kontinuitât und Obertta-
gung geistiger Bildung, der die Zeit erfüllte. Deutschland muB die
groBe Kultur Frankreichs in sich aufnehmen, um sie zu uberf!uge!n.
GroBe Irrtümer auffâUiger Art mischen sich in diesen Ideen mit
Wahrheiten, die nicht mit jenen zugleich aufgegebcn werden dürfen.
Homer und Shakespeare kônnen niemals übertroffen werden. Aber der
Mensch, welchen sie darstellen, ist von Leidenschaften vorwârts ge-
trieben und der Einbildungskraft unterworfen. In der fortschreitenden
Zivilisation macht sich nun ein Ideal des Lebens geltend, das vom
Denken geregelt ist, und dieses rnôchte das t8. Jahrhundert zur Gel-
tung bringen. Auf die Dichter folgen die allumfassenden Schriftsteller,
welche ihrem Volke Lehrmeister der Behaudlung des Lebens geworden
sind und ihm den ganzen Ertrag der geistigen Kultur vermittein: die
Goethe und Schiller. Vicies ging verloren, als sie so auf dem Boden
von Wissen und geistigem Ringen aller Art eine hochste Poesie zu er.
obem strebten. Und doch gehen sie vorwârts zu einem umfassenderen
Ziele.
Die Aufkiârung fuhrt ihre Zergliederung der Geschichte weiter.
Auch die Religiositat schreitet in der Geschichte der Menschheit vor-
wârts. Denn durch ihre
Unterwerfung unter das Denken geht sie der
Vollendungentgegen. So weit die franzôsische Bildung reichte, die aus
dem Zwiespalt der katholischen Autoritât und der naturwissenschaft-
lichen Weltauffassung hervorgegangen war, bestand kein Glaube an
einen solchen Fortschritt. Der überlegene Schriftsteller über
Religion
aus dem Kreise dieser Bildung war David Hume. In seiner natürlichen
Geschichte der Religion wurdigt er mit tiefem Blicke den EinfluB der
/~v ~w~ ~At/ 24t
irrationalen Krâfte von Affekt und Einbildungskraft auf den Gang des
religiôsen Glaubens. Aber wie einseitig ist nun doch die Ableitung des
Monotheismus aus dem Machtkampf der Volker unter ihren Gottheiten
und aus der Devotion, welche die Eigenschaften der gôttlichen Maje.
stât bestandig steigert. Die dunkle Lebendigkeit unserer Natur, aus der
ihm die Gôtter aufsteigen, trâgt die Züge der Animaiitat: nichts dauemd
Wcrtvo!les kann aus ihr sich erheben. Und die nachkommcnde Macht
des Denkens, eingeschrânkt auf den gleichfôrmigen Ablauf von Er-
scheinungen, !âGt uns rattos gegenüber den Râtseln des Lebens. Nur
sofern die beiden gro&en protestantischen Volker, Englânder und
Deutsche, ein AJtgemcingùItiges behaupteten, das rcHgiôse Cberzeu-
gungcn zubegrundcn vermag, war in diesem tS.Jahrhundert ein Glaube
an die Zukunft der Re)igio-:itâtmoglich. Diesesmochte mit Locke oder
Leibniz in hôchstcn theoretischen Wahrheiten gefunden werden, aus
denen die Licbe zu Gott und den Mitmenschenentspringt: es mochte
mit Rousseau, der schottischcn Schule oder Kant in den moralischen
Krâften unseres Wesens aufgesucht werden: wurde nur ein solcher un-
crschutteriicher Zusammenhang geistiger Wahrheiten über die hochsten
Dinge angenommen, dann mu8ten von hier aus die bitdiichen Per-soni.
fikationcn und der Zeremoniendienst der âltcrcn Zeiten sich ats Vor-
stufen darstelien. Es gab dann einen Fortschritt der Religiositât ïu
einem wirksamen, die ~lenschheit verbindenden Glauben.
Es ist die Regel, daB eine solche Auffassung auf Leasings Schrift
über die Erziehung des Menschengeschtechteszuruckgcfuhrt wird. Doch
hat Lessing nur die absc!t)ic~ende 1-'ormulierunggefunden für das, was
vonehmlich Spinoza und Leibnizausgesprochen hatten.
S p i n o za geht von der Attgemeinheit der Offenbarung unter allen
Nationen aus. Im Judentum trat diese Offenbarung als Législation der
Gottheit auf. Sie knüpfte an die Erfüllung des Gesetzessinnlichen Lohn,
an seine \'er!etzung sinnliche Strafe. Und sic war auf das irdische Leben
des Volkes ausscMicMich gerichtet. ohne Bezug auf ein künftiges Da-
sein. în Christus erreichte diese Offenbarung eine hôhere Stufe. Und
zwar ist die Religion Christi unterschicdcnvon der legendarischen Fas.
sung der EvangeHen und den Dogmen über Christus und seine Gott-
menschhcit. Die Lehre Christi bcsteht aus wenigen und einfachcnWahr-
heiten von cinem hôchsten Wesen vo!t Liebc und Gerechtigkeit, von
dem Gchorsam des Menschenin Liebe und Gerechtigkeit gegcn seinen
Nâchsten. Eine Lebensgemeinschaft schlichter Gottes~-erehrung und
sittlichen Wirkens entspnngt aus ihr. Doch ihre hôchste Stufe erreicht
die Religiositât crst in der Erkenntnis durch das naturliche Licht. Die
imaginative Form des GottesbewuBtseinsist nun überwunden er.
hoben in die adaquate Erkenntnis. Und als Gegenwart der Gottheit
Ditthey.GtMtnmttte
Srhn«mtt! t6
:42 Dat a~&tfA~ ~tf~M&~ <MMf~tFft~<MM< H~
im menschlichen Geiste ist auch dies voUendete Wissen eine Pro.
phetie.
Le i bni bat dieselbendrei Stufen unterschieden.Nur daBer ihnen
die heidnische Rieligiositât voransteïlt, die in Zeremonien lebt, ohne
Glaubensartikelüber Gott und die Seele. Auch er betont, daB Moses
die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele noch nicht in sein Gesetz
aufnahm. Wenn dann Spinoza in der Lehre Christi die Verbindung der
menschlichenHandlungen mit einer jenseitigenVergeltung als Akkom.
modation auffaûte, so erkennt Leibniz in dan Unsterblichkeitsglauben
und der Vergeltungslehre des Christentums, wie spâter Gibbon und
Jakob Burkhardt, den wirksamen Mittelpunkt desselben. Und so vor-
sichtig er es auch ausdrûckt: er sieht in den christlichen Zeremonien
die ,,AbbildertugendhafterHandlungen" und in den dogînatischenFor.
meln nur die ,,Schatten der Wahrheit". Es sind Umzâunungen, welche
die voUkommeneFrômmigkeit umgeben und schützen, die in der Er-
kenntnis gegründet ist, denn in diesem Âther des Christentums und
seiner Gottesliebeatmen nur wenige. Er batte nicht nôtig, es auszu.
sprechen: diese Wenigen haben die hôchste Stufe erreicht.
lst nun nicht hierin die ganze Lehre Le ssings von dem Fortschritt
der Religiositât enthalten? Denn bei diesen Vorgângem fand er auch
schon den Fortgang in der Form der Religiositât von der BiMIich-
keit, von der Einkleidung ewiger Wahrheiten in Geschichte und von
der wortiichenGeltung der religiôsen Elementarbûcherhinüber zu dem
neuen ewigen Evangelium, das alles dessen nicht mehr bedarf. Aber
Lessing gab der Unterscheidung dieser Stufen die schârfste Fassung:
das Gute tun für irdischen Lohn, es tun um der Seligkeit willen, und
endlich darum weil es das Gute ist. Er begriff den so entstehenden
te!eolqgischenZusammenhang mit dem bildlichen Ausdruck der Kir-
chenvater als Erziehung unseres Geschlechtes. Er verwertet den Leib.
nizischenParallelismuszwischender unendlichen Entwick!ungdesïndi.
viduums und dem Fortschreiten der Menschheit. Er entreiBt den
Schwarmem den Begriff des neuen Evangeliums und findet die Er-
füllung ihrer enthusiastischenHoffnungen in der Herrschaft der schlich-
ten Regel: das Gute um seiner selbst willen zu tun. Und so erobert er
diesen Begriff für die Religionsgeschichte, die nun durch ihn ein Ziel
und einen MaBstab von unantastbarer Sicherheit erhâlt, denselben
Ma6stab. den dann Kant an sie anlegen wird.
Wenige Jahre vor dem Ausbruch der Revolution sprach Kant es
aus: das schwerste aller Probleme unseres Geschlechtes sei die Be-
griindung gesetzlicher,freier Staaten und ihrer Friedensgemeinschaft.
Er gab dem Worte, was ganz Europa dachte. Die groBen Monarchien
waren emporgekommen. Wenn ihre Verwaltungdem Machtstrebenge-
Der JRw~bt~ der ~&<&~«t Orf&wftpw.A'aM< ~43

nugen sollte, das sie erfüllte, so muBte sie im Sinne der Niederlandeund
Englands die Seibsttâdgkeit der bürgerlichen Klassenentwickeln.Diese
Monarchien muBten die Schranken der Industrieund des Handels auf'
heben und die stôrenden Privilegien vemichten, die aus dem Feudal.
System,der Zunftordnungund der Kirchenmachtdes Mittelalters stamm-
ten. Hierbei wurden sie von der Doktrin des Naturrechts unterstutzt,
welche in allen ihren Formen die Souveranitit des Staates den histori-
schen Cberlieferungen gegenüber geltend gemachthatte. Sie benutzten
die Maximen, die aus dem Staatsnutzen als oberstem Ziel seit 51achia-
velli abgeleitet waren. Sie verwerteten die wirtschaftlichenTheorien.
So wurden diese Monarchien selber zu einer Schule der Freiheit. Das
groBe Beispiel Konig Friedrichs forderte überall aufgckiârte Refor-
men. Von der Umgestaltung der Verwaltung gingen die Forderungen
vorwârts au dem Verlangen nach freien Verfassungen,nach dem Muster
von England und dann von Amerika. Inmittendieser groBenBewegung
lebend, erfaBten die politischenund historischenDenker den Fortschritt
aIs das Gesetz der politischen Entwicklung. Sie erwarteten, daB auch
das politische Problem nach radonaîen Prinzipienwurde aufgelost wer.
den kônnen. Sie hofften aus dem Gleichgewicht der groBen Staaten
immer langere Perioden des Friedens hervorgehen zu sehen. Ein gren-
xenïoser politischer Optimismus und ein verwegener politischer Bau-
trieb erfuUten sie von Montesquieuab, bestandig anwachsend.Und wie
sie nun ruckwarts blickten und den MaBstabder politischen Welt um
sie her an die früheren Zeiten legten, erschienenihnen auch die einst
so gepriesenen Republiken des Altertums als minderwertig gegenüber
den gesetzlichen und den zu freier Verfassungfortgebildeten Monar-
chien. Die Opposition gegen die humanistischeVerehrung der antiken
Repubtikcn kennzeichnet sie von Montesquieuund Konig Friedrich bis
auf Schtozer. Despotischc Staaten, die freien Stadt-Staaten,unter denen
die griechischen sich nicht zu behaupten vermochtenund der romische
in die monarchische Form übergehen muBte, dann der Fortgang aus
den aristokratischen Lebensordnungen des Mittelalterszu den groûen
Monarchien, welche freie Verfassungen annehmen werden: dies ist für
sie der Fortschritt, welcher das politische Leben beherrscht.
Das Problem der politischenGeschichteempfing vonKant die allge-
meinste Fassung. Die Universalgeschichteso!lden regelmâBigenGang
cntdecken, in welchem das MenschengescHecht zur volikommensten
Form seiner Lebensordnung fortschreitet. Die Natur erwirkt die Ent-
wicklung aller menschlichenAnlagen durch den Antagonismusder Indi-
t'iduen und der Staaten untereinander. Der Egoismus der Individuen
wird gebândigt durch den Staat ats den Herm. Aber das hochste Ober-
haupt kann nur aus sich selbst die Gerechtigkeit schopfen und ist
t6o
244 /?<M <T<i5/ ~M~/ ~M</die ~<fA/<

doch ein Mensch: "aus so krummem Holze kann nichts Gerades gezim-
mert werden." So nâhert sich unser Geschlechtnur allmâhlich der Auf-
losung dieser Aufgabe und erreicht sie nie. Ebenso ist in dem Antago-
nismus der Staaten selber nach Naturgesetzen der Weg vorgezeichnet
zur Annâherung an dauemde friedliche Zustânde. Alle Kriege sind
\'ersuche der Natur, den Frieden zwischen dauerhaften Staatskôrpcm
herbeizuführen. Die zunehmcndc Schuldenlast, die Fortpftanzung jcdcr
ErtcMtterun~ uhpr den Wetttp! die Aufktantng. die bis xu den Thro.
nen hinaufreicht, vor altem eine gewisse Tendenz in der Natur der
Dinge selbst, zu cinem Gleichgcwicht der Staaten zu gelangen: ail das
sind ~lomente, die einen wekbùrgertichen Zustand und cine gesct.:tiche
Lebensordnung der Menschhctt vorbcreiten. Endlich bcsteht zwischen
dem Streben der Staaten nach Macht und dem Fortschreiten ihrer inne-
ren Kultur ein automatisch wirkendes crhâttnis. Kein Staat kann nach-
lassen in der inne'cn Kultur, ohne seine ~lacht nach auBcn zu vermin-
dem. So hat die Natur selbst den Fortschritt des Mcnschengcsch!cchtes
durch Krâfte gesicliert, die mechanisch wirken.
Ats Kant die Abhandlung über diese Gegenstânde t~S~ veroffent-
Hchte, hatte Hertzberg m seinen ersten Aufsâtxen soeben die (;rundge-
danken der Friderizianischen Geschichtsbctrachtung 1)ubliz'iert.Sehr
mogtich, da6 Kant sie kannte. Sicher aber wirkte neben dem Xaturrecht
und der Schule von Adam Smith auf ihn mâchtig das Fridcrizianische
System, wie es sich in den Regierungshandlungen, den Edikten und in
dcn Schriften der leitcndcn Per:-oncnauBcrte. So pnthâtt die Lehre des
Philosophen cinc ~pfsinni~e phi)osophischc\'era!!gemeincrung aus den
Rcp.icrungsmaximendes p;robcn Kônigs.

7.
Die Idée der neuen Gcschichtschreibung, wie sic Voltaire, Montes-
quieu und Turgot gcfaBt hatten. wurde nun in England verwirklicht.
Es war die Zeit, in welcher England in rastlosem, bald offenem.
bald gchpimetn Kriege mit den bourbcnischcn Machten sein potitisches
und wirtschafttichcs Cber~ewicht begründete. Ein Anblick ohne-
gteichen in der neueren Geschichte, diese <'nergischp,xicibewuStc, von
Erfotg zu Erfo!~ sclireitende Politik, von jenem Augenblick an, ats
\Vi)he!m von Oranien den Boden der Insel betrat bis zum Ausbruch des
nordamenkanischpn Aufstandes. Sie war von dcm nationalen Willen
getragen. und darin lag das Geheimnis ihrer Kraft und ihrer Stetigkeit.
Die groSen politischen und religiôsen Gegensâtze. welche im !7.Jahr.
hundert den \'olkskorper zerrüttet hatten. warcn durch die Revolution
von !ô88 überwunden. Auf dem Boden der nun erstandenen Friedens.
ordnung entwickelten sirh Recht und Verfassung, geistiges und wirt-
ZMf~~&*~x~A'f~ 6'M<<<T4~ ~w~~ûA'~MM,Gibbon ~5
schaftliches Leben in bestandi~m natürlichem Wachstum. Freilich,
innen Parteikampf und Parteiwirtschaft, mit dem ganzen Gefolgc ihrer
Schwâchfn und Laster. Die Siéger von t688, Adel, Kapitalismus und
Hochkirche, im Besitz des Parlamentes. Sie behaupten ihre Herrschaft
dank einem verrotteten Wahtsystem und <ibensie mit der ganzen bru-
talen Engherzigkeit des Klasseninteresses. Die Krone nimmt, um sich
die Wohlgesinntheit dieser Kôrperschaft zu erhalten, zur Bestechung
ihre Zuftucht. Walpole bringt dieses Mittet in ein System, und keiner
seiner Nachfoiger, auch Pitt Chatham nicht, kann darauf verzichten.
Und die allgemeine Verwirrung und Erbitterung, die solches Treiben
erregt, wird noch gesteigert, als Georg III. die absolutistischen Be.
strebungen der Stuarts wieder aufzunehmen scheint. So wird der Ruf
nach einer wahrhaft konstitutionellen Regierung, nach einem nationalen
Konigtum und Parlament immer lauter; es kommen die Tage der Ju-
niusbriefe und der ersten Reden und Schriften des jungen Burke. Aber
aU das tritt doch zurück, sobald sich der Blick wieder auf das GroBe
und Dauemde der Entwicklung richtet, auf dieses sichere und stetige
Fortschreiten der âul3eren Macht und der inneren Kultur.
Das war der Boden, auf welchem die gro6e englische Geschicht-
schreibung des t8. Jahrhunderts envuchs. Ats Sohne eines \'olkes, das
mit seinem MachtwiUendcn ErdbaH umspannte und in jahrhundert-
langer Erzichung den hôchsten Grad politischer Bildung erreicht hatte,
den die Welt scit dcn Tagen der Romer gesehen, wâh!tenund behandel.
ten diese Hume, Robertson und Gibbon ihre Stoffe. Hume stellte die
Geschichte seines Vaterlandes von dem ersten Erscheincn der Romer
bis zum Sturz des Hauses Stuart dar. Sie dreht sich ihm ganz um das
ProMemder en-ohnungvon \'olksfreiheit und Staatsautoritât im Inter-
esse der ~!acht und der Kultur des Ganzen. Dieser politische Gcsichts-
punkt bc!tcrrscht sein Werk so sehr. da& er gegen die Whig~ das rela-
tive Recht der Stuarts und ihrer Partei verteidigt und für seine cigcnc
Zeit England an Freiheit für gc~ânigt erklârt. Fur die dunklen re!igio-
sen Motive, die er in der Geschichte des t/. Jahrhunderts wattcn s:eht,
machtigcr denn a~c potitischcn Interessen.hat er nur Ha&und Verach-
tung. kc:n Verstandnis. Wenn Robertson die Geschirhte Karls V.
schrieb, stand ihm im \'ordcrgrund die Frage, wie in dicser Epoche
aus deni Kampf der letzten ~ro~cn t'niversalmonarctue mit den jungen
nationalen Tendenzen das moderne europâischc Staatcnsystem hcrvor-
ging. Und Gibbon in Rom. droben auf dem Kapitol, als im tempel
des Jupiter Barfù~cnnnnche die \'csper '=angcn.am t). Oktober !76~,
da stieg vor scinem Geiste das !!i!ddes rômischcn Imperiumsauf, in der
ganzen FuHe seiner Macht, seines Glanzes und G!uckes wâhrend der
schônen Tage ÏTapns und Marc Aurel~. Er faUte den Entschtub.ein
:46 ~<M<M<M*M~
/MM~ «~ dis ~MMo~O~ Welt
Leben dem groûten Thema aller Geschichtschreibung zu widmen, dem
Untergang des mâchtigsten Staates, den die Welt erlebt batte, mitfüh.
lend, mittrauernd begleitet er den Kampf dieses Riesenkorpers gegen
die Feinde in seinem Innern und um ihn her: darin aber liegt doch
vomehmlich die einheitliche Wirkung seines Werkes, daB der politische
Gesichtspunkt darin herrscht und auch die meisterhaften SchUderungen
innerer Zustande von Volkem und Staaten immer :u ihm in
Beziehung
gesetzt werden..
Alles, was in dem England dieser Tage das zergliedernde Studium
der psychischen Tatsachen an feinerem Verstândnis des menschlichen
Wesens erarbeitet batte, war zur Verfügung dieser
Geschichtschreibung.
Indem Hume, Robertson und Gibbon diesen Schats verwerteten, wurde
ihre Geschichtschreibung das Urbitd aller pragnmtischen
Behandlung
historischer Stoffe. Die Philosophie des Jahrhunderts durchdringt sie
ganz. Hume und Gibbon hatten sie in den entscheidenden Jahren ihres
Lebens in sich aufgenommen, und Voltaire, Montesquieu und die
Enzy.
kiopâdisten blieben ihnen stets vertraut. So geht diese englische Ge-
schichtschreibung von den Individuen als Einzeikrâften und in diesen
vornehmlich doch vom Eigeninteresse aus. Alles politische Leben sucht
sie sich von hier aus verstândlich zu machen, auch das GroBe, Heroische
in den leitenden Persontichkeiten entspringt für sie aus diesem
Beweg
grund. Es war dieselbe Hypothèse, durch welche in dieser Zeit das
wirtschaftliche Leben der Erkiârung unterworfen wurde; waren doch
BewuBtheit, R<ationa!itât,Rechnung, die vom Interesse geleitet wird,
die richtigen Kategorien, um die Politik der
groBen Monarchen und
Minister dieser Epoche zu verstehen. Aber wie sie für andere Zeiten
und Menschen nicht mehr zureichten, führte ihre
Anwendung zu einer
hëchst einseitigen Geschichtsbetrachtung. Das !6. und 17.
Jahrhundert
und nun gar das Mittetalter oder die christlichen Gemeinden der ersten
Jahrhunderte blieben diesen Schriftstellern unzugâng!ich. So vie! sie
von allem GrôBten, was den Historiker ausmacht, besitzen: wiedie echte
historische Kritik, so fehlt ihnen das genetische Verstândnis. Denn
dieses wurxeltin dem Gefühl des Eigenwertes jeder
geschichtlichen Er.
scheinung. Nur sich selbst, nur ihre Gegenwart verstehen sie ganz. Nur
was in der Vergangenheit ihren eigenen Kulturidealen verwandt
ist,
schatzen sie als ein Stück Zivilisationin der Barbarei. Sie mindem die
menschliche Natur herab. Sie würdigen nicht ihre
Lebendigkeit und
ihren Reichtum. Und dem allen
entspricht der klare, verstandesmâBige
Stit dieser Geschichtschreibung, die elegante
Einfônnigkeit, die wie
ein grauer Ton über all diese Bilder
gebreitet ist. Die Erhcbung des
geschichtlichen Stoffes in die GegenstandHchkeit entspringt hier. so-
weit sic erreicht wird. nicht aus der
unbefangenen Hingebung der Seele
D<MM~f<&t~ des <&w<Mit<M
GMi~tj~r~at~ ~Aw :47
an das Objekt in lebendiger Anschauung; sie ist eine gewollte und re-
flektierte Kunst, welche sich in Gibbon bis zur Affektation steigert.
8.
In Deutschland wurde der EinfluB der neuen Historie verstârkt
durch die Persôniichkeit und das Wirken des groBen Kônigs, sein Ver-
hâlmis zur franzosischen Literatur und seine historischen Schriften. Die
Zeit der Urkunden- und Aktensammiungenund der publizistischen Ge-
schichtschreibung wurde nun bei uns durch eine andere abgelost, welche
die Masse des aufgehâuften historischenStoffes durch die neuen Ideen
zu vergeistigen strebte. Montesquieu wirkte auf alle historischen und
politischen Kôpfe. Aus der Tiefe des deutschen Geistes ist doch die
Richtung hervorgegangen, in welcher jetat die aufgenommenen Ideen
von uns fortgebildet wurden. In ihr lag ein ursprüngliches Vermôgen,
Reichtum und Lebendigkeit der Krâfte nachzufuhlen, welche die Ge'
schichte erwirken. Dieses Vermogea wurde au6efordentlich gesteigert
durch den Gang unserer geistigen Geschichte.Deutschland allein lebte
unter der bestândigen Einwirkung der groBen geistigen Krâfte, welche
in der Vergangenheit bestimmend gewesen waren. Melanchthon hatte
mit dem wiederhergestellten Glauben der âhesten christlichen Gemeinde
den Idealismus des Platon und Aristoteles verknüpft, und Leibniz batte
diese beiden geschichtlichen Kraite mit dem naturwissenschaftiichen
Denken des t7. Jahrhunderts zu versohnen untemommen. AU das war
bei uns Gegenwart. Es war fortwirkende Kraft. Hieraus entsprang das
innerliche Verstândnis der geistigen Geschichte. Mit diesem lebendigen
Verhalten hângt der Sinn für das Genetische, für die wahre Natur der
Entwicklung zusammen, wie er das Denken von Leibniz erfüllte. Und
nun war das Deutschland des 18. Jahrhunderts zersplittert in Besonder.
heiten mannigfacher Art: kein Paris und kein London; ganz verschie.
dene Mitteipunkte, Berlin, Dresden und Wien, die Seestadte, dann
Landstâdte mittlerer Grô6e, in denen allenthalben ein geistiges Leben
von provinzialer Eigenart pulsierte. So treten nun gegen die Mitte des
Jahrhunderts die naturgewachsenen Originalmenschen bei uns auf, die
aus der Enge deutscher Verhâltnissesich erheben und an denen davon
immer noch etwas haften bleibt: Semler, Môser,Winckelmann, Hamann,
Hippel, Herder. Eine ganz neue Auffassung der geschichtlichen Welt
bricht in ihnen durch, eine neue wahrhaft historische Weltanschauung
entsteht: aber kein groBer Geschichtschreiber, welcher das Werk
Friedrichs fortMsetxen die Macht besessenhatte. Die Enge unserer poli-
tischen Verhâltnisse hielt auch den bedeutenden politischen Verstand
von Schlôzer und Spittler umfangen, und erst als das Zeitalter der Revo-
lution die Nation in ihren Tiefen erschütterte und das Gefühl ihrer Ein-
heit weckte, erhielten wir eine gro6e nationale Geschichtschreibung.
~48 /t <M~ ~r?~ f/~ die ~M'MMM<' Welt
Justus Moscr ist im Jahre t/o~ gestorben, als ein Vierundsiebzi.
ger. Die Hôhe seines Lebens und Schaffens fâHt in die Zcit der sieges-
frohen Herrscliaft der Aufklarung, und wenn in seinen letzten
Jahren
der Geist unserer neuen Literatur und
Philosophie und die Erfahrung
der franzosischen Revolution schon an den Idealen des
Jahrhunderts
rüttelten, so bhcb diese Opposition doch noch auf einen kleinen Kreis
erlesener Gcister beschrânkt. Sic verwandelte noch nicht die
Cber-
zeugungen der Gebildeten. Die Aufkiârung vollendete hier vielmehr
cber. jetzt, in den beiden letzten Jahrzehnten des
Jahrhunderts, attent-
halben ihre Eroberungen.
Der Verfasser der Patriotischen Phantasien und der
Osnabrücki-
schen Geschichte erhebt sich inmitten seiner Zeit als eine
cinsame
GroBc. Dicser realistische und praktische Geist, der sich überall en
die farbenreiche Wirk!ichkeit hait, der immer wieder seinen
frischen
Humor, seinen scharfen Spott oder seinen mannhaften Zorn gegen die
Abstraktionen des Jahrhunderts richtet; dieser tiefe Blick, der in den
stândischen Gliederungen und patriarchalischen \erhahnissen seiner
niedersachsischen Heimat cin gesch:cht!ich Gewordenes und darum
Sinn\'ol!es und Notwendigcs erkennt; diese liebevolle
Bcschâftigung
mit dem ergangcncn,um die
EntwicMung des Bestehenden zu schen
und die Krâfte zu fassen, welche diese
Entwicklung bestimmt haben;
diese geniale Méthode, welche die
mannigfahigstcn Einsicht.m mit-
einander vcrknupft, die Erzahlungcn der Ge-.chichtscttreiberund die
Angaben der Urkunden mit den ScMussen.die sich aus der ethymo!o-
gischen Erforschung der Sprache, aus der Betrachtung der
Gcgcnwart,
aus der \'erg]eichung des Âhn!ichenund
erwandten, zuletzt aus der
Xatur der Sache ergeben: all das trat als ein
ganz Neues den Zeitgc-
nossen cntgegen. \ie wenig sic diesen ~ïann
verstanden, zcigen die
t rtci)c der Joumate über seine Schriften und nicht zuletzt die
Hio-
graphie de< Heimgcgan~encn von Xico!ai. Unfâhi~ das Wexen dieser
Pcrscnjichkcit zu fassen, hait sich der
Biograph an das Kinzeme und
Au~ettiche, und
a!)c.wasdcnherrschendenAnschauungen widcrspricht,
erkiart. ent~chuldigter aus den Rucksichten des Hea!nten auf das \'or'
urteil sciner Vorgesetztenund seiner Landslcute, Nur
einige Wenige,
Herder, Goethe, Schlozcr. Abbt. welche bei allem, was hie von dicscm
natur~pwachscnpnCharaktcr trennte, doch ihre ticfe Gemcinschaft mit
ihm crnpfandcn. Nirkten zu dcm Patriarchen von O~nabruck mit
Be-
wundoung und erchrungempor.
Sckcn ist woh) ein SchriftsteHertuntso unmittelbar und so deutlich
aus den auMeren Tatigkciten und \crha)tnissen des Auturs
henorge-
wachscn wic dus Justus Mosers. Sein Vater schon steht mitten in
den
Geschaftcn der Osnabruckischcn
Landesregicrung, Er sclbst tâ)~t sich
_/iM/<M~W 2 4'~
nach der Vollendung seincr Studien als Anwalt in seiner Vaterstadt nie-
der. Die Regierung ubertragt dann dem Siebenundzwanzigjâhrigen*mit
dem Amt des Advocattis ihre VertretungbcidcnStânden;aufder
andern Seite ubemimmt er aber auch als Sekretâr und darauf als Syndi-
kus der Ritterschaft die Wahrung der stândischen Interessen gegen
die Regierung. !n den Noten des Siebenjâhrigen Kriegcs scndet ihn
das aUgemcinc Vertrauen bald in das Lager der Franzosen, bald in das
der Verbündeten, und nach dem FriedensschIuSwird er zu einer schwie-
rigen Mission nach London auserschcn. Der Tod des regierenden Bi-
schofs erôffnet ihm inzwischen den ausgcdchntesten Wirkungskreis.
Unter dem Xachfo!ger lenkt Môser, als das geistige Haupt der Regie-
rung, die Geschicke des Landes drciBig Jahrc lang, bis an seinen Tod,
in rastloscr, erfolgreichcr und dankbar anerkannter Arbeit. Ein Lcbens-
lauf, aus welchem dem scharf beobachtenden Manne eine FûUe von
Kentiiissendes realen Menschcnzustromen muBtc, zumal in diesem klei-
nen Staatswesen, wo jcde Tâtigkeit für das Ganze sogteich in das De-
tail führte.
Und welch einen Reichtum lebensvoller Besonderheiten barg der
enge Kreis, in wctchemer wirkte. Ein kleines norddeutsches Fürsten-
tum, mit einer Bevôlkerung von 120 ooo Seelen auf cinem Territorium
von 45 Quadratmciten, fernab von dem Schauplatz der groSen Welt-
begebenhciten. Die Bedürfnisse der modernen Staatcn waren hier nicht
empfunden worden: so hatten sic auch nicht ihre umgestattende Macht
geübt. Die Ordnungen der Vater hatten sich auf diesem zâhen wcst-
fàtischen Boden a'tcnthutben in ihrer uppigen ~tannigfaitigkeit aufrecht
gehaiten. Die auf Freiheit und Gleichhcit der Landcigentütner ge.
gründete Verfassung der germanischen Urzeit, die ganze lange Entwick-
lung des Mttteta!ters mit ihren Abstufungen und Abhângigkeitcn aller
Art, mit ihren zahlrcichen, kunstvol! ausgcgHchenen (<egensâtzen von
Lehnswcscn und Untertanenverband, GroSgrundbesitz und Horigkcit,
Stadtherrschaft und 13ürgerfreiheit,furstticher Landeshohcit und stân-
dischcr ~ïitrcgierung, von Kirchc und Staat, Klerus und Laicntum. Bi-
schof und Domkapite!: all das ragte in machtigen, nature uchsigen
Reaiituten in die Cegenwart hinein. L'nd wcnn dann die Reformation
auch hier die Herzcn ergriffen batte: einc starkc ~!ind<rhc~~war doch
der alten Kirche trcu gebHcben. Der westfâ)ische Fricdc hatte dcshalb
das sc!tsa)nc KutnprotnIB gctroffen, daH das Land abwechsc!nd von
cinem kathn!ischen und cincm protestantischen Hischof regiert werdcn
sothe. Fur das Domkapitet wicdcr hattc derselbe Friede der katholi-
schen l'artci 24. der evangc)ischcn nur 3 Stimmenzugesprochen. Wo-
hin dct Blick fiel: Cberlicferung und Eigenart aller Orten.
Dem \'era!tgcmcinemdcn und konstruktivcn Gciste dcr Aufklarung
2j;0 Z)<M.M~iMh~~M<&~ MMfdit ~<!<&)M~ Welt

konnte das allés nur als eine einzige krause Anomalie erscheinen,als eine
bestândige Beleidigungder Vemunft. Das Auge Môsers gewahrte hier
einen groBen sinnvollen Zusammenhang, die Eigentümlichkeit eines
Organismus, der sich in einem Reichtum mannigfaltiger und doch
immer von demselbenBlut gen&hrter Formen auslebt. Alles, was ein
Volk besitzt. Religion, Sprache, Verfassung, Recht, Sitte, bis hinein in
die geheimsten Vorstellungenund Gewohnheiten,ist das natürliche Pro.
dukt der in ihm wirkendenBildungskraft. Und zwar bleiben die groBen
Typen dieser Lebensformenimmer dieselben: ihre besonderen Gestalten
ândem sich bestândig mit den âuBeren Bedingungen, unter denen sie
stehen. Wic der Kërper der organischen Natur in jedem Augenblick
derselbc und nicht derselbe ist, so ist auch im Volksleben alles An-
passung, Entwicklung, Wachstum, und wie dort, so ist auch hier stei-
gende Differenzierungdie notwendige Folge: kein Ding gleicht dem
andem. Der ursprungtichste und allzeit machtigste Faktor aber, der
die LebensâuBerungeneines Volkes beherrscht, liegt in den wirtschaft-
lichen Verhaltnissen.Môserweist ihre Einwirkung in allen Institutionen
und Anschauungennach. Was er in dieser Hinsicht an realistischer Auf-
fassung und scharfsinnigerErkiârung geleistet hat, stellt ihn ebenbür.
tig an die Seite der groBen Physiokraten. Er ist der Vater der histori-
schen Nadonatôkonomie.
Es warcine gaMneueAutfassung der geschichdichenErscheinungen.
Montesquieu batte zuerst wieder der politischen Theorie. das BewuBt
sein des besonderenCharakters jedes Volkesund der Abhangigkeit des-
selben von der geographischenLage, dem Klima und der Bodenbeschaf
fenheit zurückgewonnen. Das Jahrhundert stand unter dem Eindruck
seines Werkes. MSserhat seine Verwandtschaftmit dem groBen Fran-
zosen gefühlt. Er bat ihn immer hochgehalten; er benutzt ihn in seinem
eigenen Kampfe gegen die nivellierenden Tendenzen der Zeit gem als
Eideshelfer. Aber wennnun doch auch Montesquieudem Geiste der Auf-
k!ârung seinen Tribut !ah!te und die MannigfaMgkeitder Verfassungen
und Gesetze, wie er sie forderte, aus dem p!anmâBigen Machen der
einsichtsvollen Fürsten und Minister hervorgehen lieu: hier trat nun
dieser verstandesmaBigenAuffassung, aus der eigenriintlichenRichtung
des deutschen Geistesentspringend, eine andere entgegen, welche das
geschichtliche Werden aller politischen Einrichtungen, und zwar im
organischen Zusammenhangmit allen anderen Lebensformen, in den
Vordergrund stellte. Montesquieuwollte beweisen, da5 die Staaten nur
dann Kraft und Dauer empfangen kônnten, wenn ihre inneren Einrich-
tungen auf die Erkenntnis ihrer besonderen Lebensbedingungen ge-
gründet wurden. Moserlebt in der CbeMeugung, da& die Gesundheit
eines Volksganzenan die naturHche Entwicklung seiner ursprünglichen
~AM~MSw 2$t
Anlagen geknüpft sei. Die beiden groBen Môgtichkeiten,die Erschei.
nungen der Geschichte zu verstehen und zu beherrschen, kamen nun
erst zuihrem gleichmâBigen Recht.
Dasaber ist nun die Schranke in dem Denken diesesgroBen ManneSj,
daû er den wahren Kem des Volkes nur in dem festen Grundbesitz
sehen und als natûriiche Entwicklung nur diejenige gelten lassen
môchte, die auf die Erhaltung dieses Etementes gerichtet ist. Er hat zu
den ôkonomischenProblemen semer Zeit mit zahlreichenVorscMâgen
Stellung genommen: sie geben immer auf dieses eine Ziel, die Inter.
essen der Landwirtschaft gegen die Gefahren zu schützen, die ihnen
jetzt immernâher drohen, von den aufstrebenden Mâchtender Industrie,
des Handels und des Geldes, von der zentralisierenden Beamtenregie.
rung des modemen Staates, vonder Wissenschaftund Bildung, von dem
ganzen Geiste des t8. Jahrhunderts. Diese harte Cberzeugung erwuchs
ihm aus den primitiven Zustânden seiner westfalischen Heimat. Er
lebte in diesen engen Verhaltnissen, er fand in ihnen die Qudle all
der ruhigen Zufriedenheit, die ihn umgab und die ihn selber erfüllte.
So lehnte er starrsinnig alles ab, was der Fortschritt der Kultur hervor-
gebrachtbatte, das Gute wie das Bôse.
Niemand hat so nah wie er den Landmann belauscht in seinem
ganzen Tun und Lassen, in seiner ehrlichen Arbeit unter dem freien
Himmel Gottes, in seinetn einfachen Familienleben, in seiner derben
FrôMichkeit und Geselligkeit, seinen alten, treu gehuteten Brâuchen
und Vorstellungen,seinen festen Begriffen von Recht, Moral und Reli-
gion. Und niemand hat so tief empfunden und so schôn geschildert,
wievieltrauliche Poesie und wieviel stilles Glück in diesem Leben liegt,
das ruhig in sicheren Gleisen dahu)f!ieût, unbeachtet und unbenihrt
von der groBen Welt da drau&en mit aH ihrer trügerischen Kultur.
Rousseau) Aber der hei~blutige Sohn der romanischenSchweizmuBte
seine Ideale in den engen Raum seines Herzens verschtieûen; die Welt
trat sie überall mit FüBen, und er selber zerrte sie immer wieder in den
Schmutz. So wurdenBitterkeitundUngerechdgkeitdieGrundstimmung
seines Wesens und seines Schaffens. Er wurde zum Menchenha~ser,
zum Fanatiker der Revolution. Môser sah, was er pries, in greifbarer
Wirklichkeitum sich her. Er brauchte den Frieden nicht zu suchen, er
brauchte ihn nur zu schützen. Die Natur batte ihm das heiterste Tempe-
rament gegeben, das Schicksal ein arbeits- und segensreiches Leben,
in sicheren âuBeren Verhaltnissen, in den schonsten Beziehungen ge-
meinsamer Tâtigkeit und Gesinnung. Er konnte das Glück des Daseins
genieBen und seine Misère humorvollzurückweisen. All das strahlt aus
seinenWerken wieder.
So entspringt nun die siegreiche Kritik, welche Moser an dem
252 Das ~&~M~ ~r~M~/ ~M~f<~ M'

ganzen System der Aufktârung übt, lange bevor ihm die Erfahrungen
der franzosischenRevolutionvon allen Seiten MitstTeitcrherbeifuhrtcn.
Das 18. Jahrhundert lebte in dem Gedanken, die verwickelte Welt
des menschlichen Lebens auf klare und a!!g<:meingu!tigeBegriffe und
Sâtze zurückzuführenund aus diesen ebenso einfache und gesetzmaMgc
Maximen für das praktische Verhalten zu gewinnen. Das diskursive
Denken war das Mittet, alles zu begreifen und alles zu regeln. Môser
zeigt die Cretuch der Leistungsfahigkcit diescs Mittels und die Ge-
fahren seiner Anwendung auf das politische Leben.
Das regelrechte Denken !â6t den Menschen in allen praktischen
FâHen in Stich. Denn wie es cin ,,Rechnen" ist, bedarf es lauter ein.
zelner, bestimmter Begriffe, die nur durch Abstraktion, das heiÛt durch
kûnstiic~~c\'crktcinerung der wirklichen Dinge und Verhâttmssc ge-
wonnen werden konncn. Das Denken geht von Voraussetzungzu Voraus-
setzung, vom Teile zum Teile des Tcites: alles Wirkliche ist cin End-
liches. So muB die lcbendige Anschauung. der ..Totaleindruck",
schlie8lich ubcnt!! ersetzen, was das Denken nicht leisten kann. Es
ist das ,schweigende Denken", welches Carlyle a!s die Voraussctxung
aller wirklichen Arbeit dem Wcrtreichtum der Redner entgegensetztc,
dessen Macht Bismarck fühlte, wenn er die gtanzenden Dialektiker im
Par!ament und am ~tinistertisch nicht leiden mochte. Môser weist auf
seinen Bauer hin. Das Gottvertraucn dcssptben ist unerschuttcrtich.
.~Brenntihm sein Haus ab, oder raubt ihm ein Hagetschlag seine ganze
Iloffnung auf dem Fe!dc Gott hat es gegeben, Cott hat es genommen.
Stirbt ihm sein gutcs Weib oder sein licbstes Kind: im ewigen Leben
sicht er sie wicdcr. Untcrdnickt ihn der Mâchtige: nach dieser Xcit
kommt eine andere. Raubt ihm der Krieg alles: Gott wei6, was ihm
nutztich ist, und allezeit wird der Name des Hcrm mutig gclobt. Und
auf dem Sterbebette sicht er, des Lebens satt und nmde, seiner Ab-
spannung omJoch mit einer bewundernswertcn Ruhe entgegen, ohnc
aU der Trostungen zu hedurfcn. die sich der Gclehrte gesammch hat.
und b)o6 mit den Hausmittetn versorgt, die ihm der praktische Reli-
gionsunterricht Kewâhrt." Diese Macht der Religiositat beruht darauf,
d.t~ dcr Landmann seine GcttesvorsteHung aus dem unzergticdern'n
Tota!eindrurk der ihn umgebenden Sc!)ôpfung gewinnt. Neben dem
hoch~en Heispic! sogtpich das dcrbstc, \vic ~tuser das licbt. Hin Weib
hiilt uns in dem Zauherhann ihrer Anmut. \ieder ein chcn~o
machtiger
wie unauf)ôsbarer Totaicindruck. Der ..anatumisrhc MoraUst" wird das
Geheimni-. nie ergrundcn. er wird im Gc-gcntci)zu!ctzt nur dn Aggre
gat von Schwâchcn zu schen g'auhon. Dcr ,,pr;tktische ~îann" zcrstort
sich nicht durch die ZcrgHedcrung die Frcudc. L'nd so ist es uberaH.
I)cr Mdherr in der Schiacht. der Entdeckcr in dcr Gefahr: sie kënmn
ju.rltls .v&w ~53
nur nach Totaleindrücken handeln. Sie haben gar nicht einmaldie Zeit,
das langsame Werk der Reflexion zu vollziehen. Es ist gewiB, ,,da6 un-
endlich mehr Gutes in der Welt unterbleiben würde, aïs jetzt darin Bôses
geschieht, fails es in des MenxchcnVermogen wâre, sich an der Schnur
abgezogcner Regeln zu halten oder jedc seiner Handlungen so cinzu-
richten, wic er es sich in scinem Lchnstuhl bei kalter Uberlegung vor-
genommcn hâttc". Ein Ende nehmen muB dcmnach die moderne
rberscnâtzung der Verstandesbildung und der darauf gegründcten
Kultur, bei der Erziehung der Jugend, der AnsteHungund Befôrde.
rung der Bean)ten, bei der ganzen sozialcnund politischenWertung des
Menschen. Gelehrsamkeit ist im besten P~aIIenichts anderes als Faul-
heit, und Aufktârung dicnt nur dazu, solche Faulhcit zu bestârken. ,,Der
I.arm gegcn Barbarei ist nur die Losung der gelchrten Marktschrcier,
die gem ihrc Pillen verkaufen wollen."
Und nun trifft die Kritik dieses ~ewattigcn Autochthonen den inner-
sten Kem des modernen Staatcs, seine energische Tcndenz, durch das
Mittel gleichmaBiger Gesetzgebung und Ver~'altung diesen ganzen
wucherndcn Rcichtum des Mannigfaltigen, Bcsonderen, Eigcnartigen
und Eigensinnigen aus dem Wege zu râumen. ,.Seitdem Voltaire es
cinmal l&chcrtich gcfunden hat, daB jcmand seinen ProzcB nach den
Rechten eines Dorfes verlor, wâhrend er ihn nach denjenigen cinés dicht
dabei gelegenen gewonnen haben würde, werden überall allgemeine
Gesetzbücher gefordert und geschaffen." Und doch ist jedes Verhalt-
niit und jedcs Ereignis in den organischen Gebilden der mcnschlichen
GeseHschaftso eigenartig, daB es nur durch einen Gewaltaktnach einer
allgemeinen Regel behandett werdcn kann. "Voltaire hatte nicht notig
gehabt, die Verschiedenhcit der Rechte in zwei ~achbardorfem lâcher-
lich zu finden; cr batte dieselbe \crschicdcnhcit in zweiunter e ne m
Dache !ebendcn Familien finden kônncn, von dencn das Hauptder cinen
mit seiner Frau in Gutergcmeinschaft lebt, das andere aber nicht. Wn:-
vict tauscnd Rechtsfragen entstehen aus dieser einzigen Verschieden.
heit und mussen gegen den Einen so und gegen den Andcrn anders
entschieden wcrden." Und nach diesem Beispiel zieht nun Moser immer
wicdcr ganz bestimmte FâUe aus dem weiten Gebiet des bürgerlichen
Rcchts hcran, um daran die Unzu]ang!ichkeit und Ungerechtigkeit all-
~ememer Gesetzesvorschriftcn zu zeigen. Er tritt deshalb überall für
das Recht des frcicn \'crtrages ein. Dièses soll in materieller Beziehung
in keiner Weise beschrânkt werden: ,,Vcrtrâgc gelten gegen Gcsetze."
Oder er will die naturtiche Gerichtsbarkeit der alten wirtschaftlichen
Verbânde, der Markgenossenschaftcn und (jrundherrschaftcn. der Gil-
den und Zünftc gewahrt wissen. Dcsgkichcn verlangt er für das Straf-
recht die Emeuerung der alten gcrmanischen Gcschworenengerichte.
~4 ~Mt~t~AjW~ MW/
Diese allein bieten die Gewâhr für eine schneUe und gerechte Jusdz.
Und hier wie auch sonst kommt seiner Beweisfuhrung neben seinen
historischen Studien die lebendige Bekanntschaft mit den englischen
Zustanden zugut, in denen sich, wie er erkennt, die Verfassun,gder ger-
manischen Urzeit am natürlichsten entwickelt hat. ,n den meisten
Staaten wird der Verbrecher nach abstrakten Gesetzen verdamntt: in
England erkennen zwôlf Totaleindrücke über die konkrete Tat." Das
Einzige, was der Staat leisten kann und leisten muB, ist die FeststdÏung
und Wahrung des ,fôrmlichen Rechtes". Es muB feste Formen geben,
nach denen Recht gesucht und gesprochen werden soU,und eine Auto-
ritat, die diese Formen und das nach ihnen gefundene Recht schützt.
Wie denn auch überall in der Geschichte des Rechts die ProzeBord.
nungen das Fruhere, die Gesetzbücher das Spatere sind. Darüber kann
der Fall eintreten, daB das wirkliche Recht dem fonnuchen weichen
muB: ,,Es ist politisch besser, daB ein einzelner Mann trauere, als daB
man alles in Gefahr setze." Môser geht so weit, zu sagen, das wirkliche
Recht konne zur Not in derWelt entbehrt werden, das formUchenicht.
In diesem Zusammenhang betrachtet Môser, wie dann nach ihm, aus
der unmittelbaren Anschauung der englischen Geschichte heraus, Ed-
mund Burke, die Wahrung der Rechtskontinuitât aIs die unumgâng-
liche Bedingung jeder Anderung in der Verfassung oder in den anderen
Zustanden eines Volkes. Sie ist für ihn das allen erkennbare Merkmal
dafür, daB die Entwicklung sich naturlich vollzieht. Denn wie jeder
Vertrag der Ausdruck der Anpassung des politischen Organismus an
ein reales Bedürfnis ist, so werden andere Bedürfnisse andere Vertrâge
hervorrufen, ohne daB man zu dem gefâhriichen Mittel des Rechts-
bruches zu schreiten braucht.
Wenn nun gar der rationale Geist des t8. Jahrhunderts in seiner
Sucht nach einfachen, allgemeinen Prinzipien so weit geht, den Staat
auf die ewigen Rechte des Menschen zu gninden, so gelangt er für
Môser zum offenbaren Unsinn. Die Lehren Lockes und Rousseaus
stellen Natur und Geschichte auf den Kopf: das wies Môser schon in
den siebziger und achtziger Jahren an zahlreichen Problemen nach,
und als nun die franzôsische Revolution den Versuch machte, diese
I.chren in die Wirklichkeit zu übertragen, brauchte er nur zu wieder-
ho!en, was er in den beiden ersten Sammiungen der ,.Patriotischen
P!)&ntasien"auseinandergesctzt hatte. Sein Grundgedanke ist überall,
daB der Staat durchaus so betrachtet werden muB wie jede andere
menschliche Verbindung zur Erreichung eines bestimmten Zweckes,
da6 demnach in ihm Leistungen und Rechte durch seinen besonderen
Zweck beschrânkt sind, in diesem Umfang aber zueinander in einem
inneren Verhâltnis stehen, welches dann in der F ormvon Vertragen,
M~
/tM«M _~55
von ,,Sozialkontrakten" seinen auBeren Ausdruck findet. Und zwar ist
der einzige Zweck des Staates gemeinsamer Schutz nach auSen und
innen. Zu diesem Zwecke gründen uberall die ersten Eroberer des
Landes eine Genossenschaft; jeder, der eib Landlos erh&lt,tritt in die-
selbe ein, zu gleichen Pflichten und gleichen Rechten. Dies ist der erste
.,Sozia.1kontrakt".Derselbe kann natürlich nur von denjenigen fortge-
setzt werden, welche die Landlose erben. Wer kein Bodeneigentum be-
sitzt, kann die Pflichten der poïitischen Genoasenschaftnicht erfullen
und deshalb auch nicht an ihren Rechten teilnehmen. Er muS sich,
wenn er gleichwohl ihren Schutz genieBen will, jede Bedingung ge.
fallen lassen, und sei es auch die der Leibeigenschaft. In dieser Lage
sind von vomherein alle Sklaven und Horige, sind weiter alle jüngeren
Sohne und Nachkommen der ersten Landeigentümer, sind endlich alle
diejenigen, die nach der Aufteilung des Landes neu hinzuziehen, um
als Pachter und Knechte oder als H&ndler und Handwerker ihren
Unterhalt tu suchen. Der Staat ist und bleibt, wie Môser gem ausein-
andersetzt, eine "Aktiengesellschaft", in der nur diejenigen raten und
taten, die eine ,,Aktie" besitzen. Die weitere Entwicklung ist dann die,
daû einerseits mit der steigendenUngleichheitdes Besitzes ein gewisses,
je nach dem Bedürfnis wechselndes MaLidesselben als Bedingung fur
die Teilhabersch&ft an der politischen Genossenschaft festgestellt wird.
Wer weniger besitzt, scheidet aus. Und wie sich in jeder andem Aktien.
gesellschaft der EinfluB der Mitglieder nach der Anzahl ihrer Aktien
richtet, so haben auch im Staate diejenigen, welche mehî leisten kônnen
und mussen, einen grëBeren Anspruch auf seine Âmter und Würden.
Andererseits entwickelt sich in den Stâdten aus dem steigenden Ver-
kehr und Gewerbe ein neues Eigentum, das Geldeigentum,welches bald
ebenbürtig neben das bisher allein bekannte Landeigentum tritt. Zu-
gleich wachsen die Aufgaben des Staates und sinken die Krâfte seiner
ersten Kontrahenten. Die Folge ist, daB sich der Staat immer hâufiger
an die Reicheren und Machtigeren unter seinen Schutzverwandtenmit
,,Beeden" wendet und ihnen für die Erfüllung derselben immer gün.
stigere Sozialkontrakte gewâhren muB, bis er sie zu Sitz und Stimme
auf der LandesversMMntungzulaBt. Dies ist der Ursprung des ,,dritten
Standes". des "tiers état". Der Charakter des Staates wird indessen
dadurch nicht geândert, daB jetzt neben die Besitzervon ,,Landaktien"
sotche von ,Geldaktien" treten. Die neuen Mitglieder besitzen. selbst
wenn sie die Mehrheit bilden, nicht das Recht, einseitig das Eigentum
der alten zu schâdigen, wie das jetzt die franzôsische Nationalversamtn-
lung tut, wenn sie die Leibeigenschaft aufhebt oder die Gdter einzieht,
die man einst der Kirche ubertassen hat. Noch weniger aber kann die
groBe Masse derer, die auch jetzt noch au&erhatb des Staates bleiben,
256 /~M <t~<- y<tA~ und die ~'MA/r~ M~ J
sich zu ,,Menschen" erklâren und daraus irgendeinen politischen An-
spruch herleiten, so wenig als die englische Nation oder das englische
Parlament, und wâre e* auch daniber einig, die ostindische Kompagnie
aufio'ienodcr at)e cin~eborenen Englânder zu Aktionâren machcn kann.
Moser bctont itnmer wieder: auf den bloSen Begriff des ~fenschen !âÛt
sich ein StMt so wenig grunden als ein Dcichverband oder irgendeine
andere reale \'ereinigung. Eine bc~ondcreEigenschaft, einc Aktie, muB
HbcraHhinzukommcn, und wie nicht aUp Menschen gleich gut xum
Tanzen oder Musiziercntaugen, su besitzen sic auch nicht für den Staat
aile denselben Wen und dasselbe Recht. ,,Es muG den Thcologcn über-
lassen bieiben, ein Reich Gottcs ohne Aktien zu errichten und'die Men-
schcn unter der Rubrik von armcn Sündem miteinander auszugicichen."
Eine Auffassung des Staatcs, die zunâchst als unendlich cng und
starr erscheint, vor alicm. wenn man sic ohne das rca!e Det~Hihrcr Be-
gründung wiedcrgibt. Ihr fehlt das \'erstandnis für die Leistung der
naturrcchtlichen !dcen in den modernen ('ro&staatcnL.Aber überall
~erbergen sich untcr dieser Form die neuen groBartigen Gedanken
Mëscrs von dem organischcn Zusammenhang aller menschlichen Ver-
!uhnisse, von ihrer innercn ZweckmaSigkeit im Ganzen und im Ein-
xc!nen,die daraus folgt, und von ihrem setb~tandigenLebenstricb, nach
\ve!chem sic sich aïkn neuen Bedingungen anpassen, in be~tândiger,
natürlicher Entwicklung. Es war dcr Anfang der historischen Schute,
wic das Savigny anerkannt hat. L'nd die Schwachen und Einseitig-
keitcn Môscrs sind nur dicjenigen, die in der Natur dieser ganzen
Schule !icgen.
L'nd aus dieser historischen Betrachtung der Gegenwart erhob sich
nun dieser Geist zu einer Idée der dcutschen Geschichte, so groB und
tief, dab sie bis heute noch nicht ftusgefuhrt worden ist. Ihr Mittet-
punkt sotite dcr gcmeine Landeigcntûmer sein. Die \'crandcrung seines
Rechtes, seiner Sitten und Anschauungen unter den wechsdnden Be-
dingungcn seiner Existenz, der Einf!ub der Regierungen und der
gro~en politischen und kriegerischen Vorgânge auf diese Entwicklung,
der feine unsichtbare Zusammenhang, der von den harten AUtâglich-
keitcn des wittschaft!ichcn Lcben. bis zu den hochsten Leistungcn der
Kultur reicht: alles das solite zur DarsteHung kommen.
We!c!t ein Gcgensatzzwischender ganzenhistorischen Anschauung
die'-e': unvcrgtt'ichiichen ~'annex und derjenigen der franzusischenund
engHschen(~eschichtschreibungdes Jahrhunderts Die strukturlosc nar-
stellung der Kultur einer Xcit. wie sic diese Voltaire. Hume, Robertson
und Gibbon gegeben hatten, war hier ersetzt durch den Gedanken eines
inneren Zweckzusammcnhanges,welcher die verschiedenen Dascins-
âu6erungen in einer Epoche verknùpft. Dcr abstrakte Begriff des Fort-
M'~«'MM<MMt ~57
schrittes, in welchem das ganze t8. Jahrhundert lebte, war ûberwunden
durch den der Entwicklung, der, in Leibniz angelegt, nun xu frucht-
barer Anwendung gebracht wurde. Und wie niemand vor oder nach
Môser menschlicher, lebendiger, warmer den Zusammenhang zwischen
den natürlichen Lebensformen einer Zeit und dem Gluck der inneren
Befriediguag der Individuen, die unter diesen Formen stehen, darge-
stellt hat, so war nun auch jenes ungeschichtliche Verfahren der Auf-
klârung beseitigt, nach welchem die Kultur des t8. Jahrhunderts den
~Bstab für aUe fmheren Zeiten bildete. Jede Zeit trâgt f<ir Môser
ihren MàBstab in sich selbst. Das innere Ziel, das immer Glück, Zu-
friedenheit, Harmonie der Gesellschaft ist, bildet den einzigen ~û.
stab, der zunâchst an ein Zeitalter gelegt werden muB.

9.
Der gro&e Plan einer wirklichen Geschichte des deutschen Vol-
kes, wie ihn Moser gefaBt hatte, wurde von niemand durchgeführt.
M&serschrieb die Osnabrückische Geschichte, Spitder die Wurttemr
zwi-
bergs. Aus unserer politischen Lage, die uns tnitten hineinstellte
schen kosmopolitischeUniversalitât und Partikularismus, ergab sich das
Schicksal unserer politischen Geschichtschreibung: universalhistorische
Cbersichten und Partikulargeschichte. Kein groBes Werk politischer
Historie entstand in dem Deutschland dieses Jahrhunderts. Dagegen
rnanifestiertesich das tiefsinnige Verstândnis der Kiàfte geistiger Kultur
sofort in einem historischen Kunstwerk ersten Ranges, der Kunstge-
schichte Winckelmanns.
Seit den Schriften von Goethe und Justi steht Winckelmann in
seiner Entwicklung und seinem Werte so deutlich vor uns als kaum ein
anderer deutscher Schriftsteller. So genügt es, kurz die Stelle xu be-
seine
zeichnen, die in der Entwicklung der historischen Wissenschaft
Geschichte der griechischen Kunst einnimmt.
In seinen muhseUgenJugendjahren sammelte und vermehrte er be.
stândig die Kenntnis dessen, was Fmnzosen und Eng!ander über die
historische Wissenschaft gedacht hatten. Voltaire begleitete ihn nach
Rom. Montesquieu war ihm stets gegenwârtig und lehrte ihn den Ver.
schiedenheiten in den Schopfungen der Vôlker nachgehen bis in ihre
natürlichen Ursachen. Er war durchdrungen und gesâttigt von den Be.
griffen der AufHârung über den Zusammenhang der Kultur und die
neuen Aufgaben der Geschichte. Die so gewonnenenEinsichten wandte
er auf die griechische Welt an, in deren Studium er aufgewachsenwar.
Er lebte in ihren Dichtem, doch der stârkste innere Zug seiner Seele
war auf die SchOnheitgerichtet, die dem bildenden K&nstlerin der sinn-
lichen We!t, vomehmtich in den menschlichen Gestalten erscheint. Er
Dit~ty,G<Mmme)M S<hh<t<:a
tiï t?
~8 Das <M~< ~~tM~~ WM~
de ~iM<M~ M~

sagte einmal, Gott habe einen Maler aus ihm machen wollen. In dem
Enthusiasmus Platons für den Eros und die Gegenwart ubersinniicher
Ideale in der Schônheit der Gestalten fand er die Erkiârung fiir die
geheimnisvolle Beziehungzwischen dem Zug nach einer rein geistigen.
Vollkommenheitund der Sinrienfreude an der Schonheit der Korper,
wie er sie in sich selber empfand. Und als er nun in Elend und Kümmer-
nissen, ein Dreil3igjâhziger, nach Dresden zum Grafen Biinau sich
durchgcschlagen natte, wo er Osers Kunstweisheitin sich aufnahm, wo
ihn in den Bauten des prachtliebenden Kônigs und in den Gemâlden und
Statuen der entarteten italienischen Schule die hofische Kunst dieses
Jahrhunderts umgab, woaber auch die Sixtinische Madonna in der Ga-
lerie und antike Bildwerkewaren, da erkannte er sofort mit der Divi-
nation des Genies, welchesaus wenigen Erfahrungen das Wesen der
Sache erfaBt, die unermeBUcheCberiegenheit der groBen Kunst über
allés, was ihn an Werken der Zeit umgab. Er faute nun aber das
Wenige, was ihm von bildender Kunst zu Gesicht kam, von dem Ge-
sichtspunkt auf, den Homer, Sophokles, Platon und Raffael in ihm
entwickelt hatten. Diese ganze Welt atmete edle Einfalt und stitle
GrôBe, die Stille der Meerestiefebei bewegtester Oberflâche, eine ge-
haltene Stârke der Secle.Sie bestand aus typischen Gestalten. Es war
cine Anticipation des gro6en griechischen Stils, wie ihn dann die
Skulpturen des Parthenon vollkommen sichtbar machten. Der Gegen-
satz dieses VoUkommenstenmit den Kunstprodukten der Zeit steigerte
in ihm Sehnsucht und Begeisterung für etwas, was verloren war und
dessen Spuren aufzusuchenihm Lebensbedurfnis wurde. Das Vollkom-
mené der Kunst erhob sich vor ihm wie ein femes ungeheures Gebirge
in der FIacMandschaftseiner Zeit ein Hôchstes, das in der Ver.
gangenheit lag. Er gelangte endlich nach Rom, und in den wenigen
Jahren, die ihm noch vergonnt waren, bildete sich seine griechische
Kunstgeschichte aus.
Das Vermogender nachschaffenden kongenialen Anschauungwurde
durch ihn in seinem Werte für das historische Erkennen zur Aner-
kennung gebracht. Diese Anschauung erfa&t Werke des Geistes durch
cine innere Bewegung der Seele, sic geht vom Ganzen aus und macht
es aus der erzeugendenKraft verstandtich bis zu jedemZugedcrTcch*
nik, in welchemdas Innere sich ausdrückt, bis zu jeder Linie des BUd-
werkes odcr dem Rhythmusund Klange der Verse.Winckelmannbildete
dieses Verfahren aus, als er bald nach seiner Ankunft in Rom den
Plan faBte, die Bildwerkezu beschreiben, die damais in dem Statuen-
hof des Belvedere vereinigt warcn. !n dem ersten Glück dieser rômi-
schen Tage. im Verkehrmit den Kunstlem, gemeinsam mit dem Maler
und Kunstkritiker Raphaël Mengs, dem Freunde seines Herzens, be-
H~tK~MOXM 259

gann er die Beschreibungen. Indem er bestandig fortarbeitete, vereini~.


ten sich seine Beobachtungen zu konzentrierten Anschauungender Bild-
werke. ,,Mese Arbeit beschâftigt nuch dergestalt, da6 ich, wo ich stehe
und gehe, daran denke." Er erlebte, wie erst ein innerer Zustand, der
dem des schaffenden Künstlers selber verwandt ist, das Verstândnis
der Werke desselben hervorbnngt. Und aus langem Versuchenging ihm
auf, da6 nur ein ganz neuer Sdl und eine neue dichterische Sprache
diesen hôchsten Gegenstânden genugtun konnen; nur Buffon hatte voy
ihm ShnUch geschrieben. So entstanden die Beschreibungen des Apoll
von Belvedere, des Herkulestorso, des Laokoon, des sogenanntcn Anti-
nous, welche spâter fast unverândert in seine Kunstgeschichte aufge-
nommen wurden. In ihnen erfaBte er die unverwüstlich fortwirkende
GrôBe der aJten Kunst, weil deren Idealbild in ihm lebte. Ihm scheint
in diesen spâteren Skulpturen leichter die Schônheit zugangUch ge-
wesen zu sein als in dem Alteren und GrôBeren, das doch auch in Rom
und Pompeji von ihm gesehen und studiert wurde. Er versteht den Apoll
als eine Erscheinung aus dem ,,Reich€unkoTperlicherSchônheiten",die
sich dem Beschauer entgegenbewegt, ohne Anstrengung der Ktâfte: er
scheint der Zeitlichkeit entnommen, Jugend und reife Mânniichkeitsind
in dem überschlanken Bau verschmotzen. In dem Hefkutestorso ist die
un-
otympische Ruhe des vergôtt!ichten Heros vcrkôrpert, ein gleichsam
sterblicher Leib, welcher dennoch Stârke undTuchtigkeit zudengroben
Untemehmungen, die er volibracht, behalten hat; aus dieser einheit-
lichen Konzeption erMart er den Torso bis in das Einzelne der Musku-
latur. Und jeder Zug in dem nackten Korper des Laokoon entspringt
daraus, daB der Schmerz des Kôrpers und die GroBe der Seete durch
den ganzen Bau der Figur mit gleicher Stârke ausgeteilt und gleichsam
abgewogen sind; das Gegenspiel von Leiden und von Widerstand, von
Kôrperschmcrz und Geistcsstârke macht die anatomischen Einzelheiten
verstândlich. Dies ist ein Vcrfahren, das von dem nackten Kôrper durch
das sorgfâttigste Studium die einheitliche Intention abliest, aus dem er
im Genie des Künstlers entsprang. So lehrt der Geschichtschreiberder
Kunst sehen. Er wird zum Organ für das Verstândnisdes Kunstwerkes,
wie der Künstler das Organ ist, durch das wir die Wirklichkeit sehen
lemen. Von der bildenden Kunst wurde dies Verfahren auf Kunstwerke
jeder Art durch Herder und Schiller, die Schlegel und Goethe an.
gcwandt, und es bildet einen wesentlichen Bestandteil jeder kunst-
gesehichtlichenArbeit. Eine solche Méthode asthctischer Interprétation
ist die Grundoperation auf diesem Gebiete.
Und wie Winckelmann nun von diesen Beschreibungenfongeführt
wurde zum Stil der Kunstler und der Abfolge der Epochen des Sti!s,
wie seine Kunstgeschichte sich au*-bMete. entstand seine andere groBe
260 C<M<K&<~M& «~ du ~~tt~
~MM<MM&~ H~
Leistung für die Geschichtswissenschaft. Seine Anschauung von der
VoUkommenheitgriechischer Kunst durchbrach den Grundgedanken
von einem aUmablichenFortschritt durch gesetzmâBige Stufen zu der
groûen Kultur des !8. Jahrhunderts. Ein ungeheures Phanomen war
da, lange vor dieser Kultur liegend, in anderen Krâften aïs den ihrigen
gegrundet, und es koante in diesenFortschdtt nicht eingeordnet werden.
Mit diesem Gedanken begann die deutsche Renaissance des Griechen.
tums, welche ruckwârts gewandt war auf die GrôSe de KunetvennogeM
im griechischen Volke.Sie wurde bestimmt durch den âsthetischen Ge.
sichtspunkt, und von hier aus schuf sie aIImâhMcheine Anschauung
des ganzen Zusammenhanges griechischen Lebens. Schon Winckelmann
untentahm, die griechische Kunst wie ein organisches Gewâchsaus den
Bedingungen zu erk!âren, unter denen es entstanden war. Er setzte da.
mit die Arbeit von Montesquieu fort. Von diesem groBen Denker lernte
er die Abhângigkeit jeder geschichdichen Gestalt von dem Klima, der
Formation des Bodens, der Lebensweiseder Menschen auf ihm. Wie er
ein unermudiicher Leser war, f!o6 ihm von vielen Seiten der Stoff
zur Durchführung dieser Grundgedanken zu. Auf der Grundhge dieser
gleichsam geographischen Betrachtung nebeneinander sich erhebender
Kulturen erschien erMârbar, daB eine Nation in der Religion oder in
der Kunst in früher Zeit ein AuBerordentliches hervorbringt, das nie
wieder nachher erreicht wird. Alle Ursachen, welche die Volikommen-
heit der griechischen Kunst erktaren kônnen, wurden von ihm zu-
sammengefaBt; die feinere Organisation der südlichen Vôlker, das
Melodische ihrer Sprache und ihr bildlicher Ausdruck, die Schônheit
der griechischen Kôrper, die durch ihre Spiele, ihre Feste und ihren
Kultus der schônen Erscheinung gesteigert wurde, die poHtische Frei-
heit, welche die GrôBe der Seele entwickelte und das Urteil uber die
Künstler nicht sinnlichen Fürsten, sondem den Weisesten des Volkes
uber!ie&. Auf dieser Grundlage erhob sich in Griechenland die Kunst
des Ïdeal Schonen, welche die Natur steigert, indem sie ihre Ab-
sicht, den vollkommenen nackten Kôrper zu bilden, von den Hem.
mungen befreit, die der Zufall mit sich bringt.
Den Gipfel der Leistung Winckelmanns bildet die DarsteUung der
Abfolge der Stilformen.Wie der altère Stil, der sich in den Kultbildern
erMeIt, in den hohen Stil des Phidias und Polyklet ubergeht. Wie die
Dcrbheit desselben von einer himmlischen Grazie begleitet ist, die sich
nicht anbietet. sondem gesucht sein wi!h ,,zuerhaben, um sich sehr sinn-
lich zu machen". Wie dann mit Praxiteles der schône Stil anhebt und
seinen hochsten Glanz in Apelles und Lysipp erreicht. "Die Freude
schwebt hier wie eine sanfte Luft, die kaum die B!âtter rührt", auf dem
Antlitz der Gôtter. und mit der ersten und hôchsten Grazie verbindet
7% j)tM<M~« .S~Ht )'? <~«~M 26t
sich die smnKche,die sich hetablaBt zu der Bedürftigkeit der.Menschen.
Bis dann in der leMen Periode die lebendige Kontinuitât zur Nach-
ahmung wird und diese Kunst fast plotztich zusammenbricbt. So be-
schreibt dieses Werk die bildende Kunst der Griechenwie ein Gewâchs,
das unter einem andem Himmelsstrich, wo die Korper anders gebildet
sind, die Einbildungskraft anders geartet ist, entstand, emporwuchs und
abblühte: die einmatige hôchste Verwirklichung des kunstlenschen
îdeals. Fremdartig steht diese Anschauung in seiner Zeit wie Winckel-
manns ganze Erscheinung.
!n einem groûea Zusammenhang schreitet von ihm aus das Ver-
mogen, die geistige Welt zu erfassen, weiter. Mit derselben Ursprüng-
lichkeit, die aus der germanischen Personlichkeit entspringt, wird Her-
der die Dichtung im Volkslied und in Shakespeare zur Auffassung
bringen, als eine geistige Existenz, die weder aus unserem denkenden
Vennogen verstanden noch Regeln unterworfen werden kann. Schleier-
macher wird in derselben Unie weitergehen und die Religion verstehen
als eine unwillkûrHche GesamtâuBerung des menschlichen Wesens,
welche die Aufkiârung weder zu begreifen noch zu würdigen vermag.

tO.
Wâhrend der ganzen zweitenHâifte des t8. Jahrhunderts geht von
Gôttingen eine xusammenhangende und hôchst wirksame Arbeit für
die historischen Wissenschaften aus. Das Werk der englischen und
franzôsischen AufMarung wird hier weiter gefûhtt in der gelehrten,
zusammenhângenden und systematischen Art, die im deutschen Uni-
verdtâtsbetfieb enthalten ist. Von seiner Entstehung !734 an war
Gôttingen die modemste unter den deutschen Universitaten. Hier soll-
ten die wdtMchenWissenschaften sich frei von theologischen Gesichts.
punkten entwickeln. Die Verbindung mit England erweiterte den Hori.
zont der historischen und politischen Anschauung. Sie fôrderte den
EinfluB der englischen Wissenschaft. Zu dem Starnm der ersten Lehrer,
den Gesner, Michaelis, Mosheim, Pûtter und Achenwall, treten all-
mâhlich die jüngeren, Gatterer, Schlôzer, Meiners, Heyne, Spittler,
Heeren, Sartorius. So wurde Gôttingen mm Hauptsitz der historischen
Studien in Deutschland.
Gesner r schonsuchte nach einer Verbindung der einzeinen Alter-
tumswissenschaften, um den Zusammenhang und die Eigenart der an-
tiken Kultur zu erfassen. Sein Nachfolger Heyne stand dann bereits
unter der Einwirkung Winckelmanns, und freudigbegru&teerdasBuch
des Englânders Wood über das Originalgenie Homers; hier hatte ein
~nn, in den Heimatstâtten der Homerischen Gesânge wandernd, den
ganzen Eindruck dieser Natur in sich aufgenommen und war so zu
262 <~h!M~ yM~M~aM M~ die ~~MMi~
2?<M MW/

einem lebendigen VersUindnis der Dichtungen gelangt. Heyne um-


spannte aïs Lehrer und Schriftsteller das ganze Gebiet der tdassischen
und orientalischen A!tertumswissenschaften,verstandesmâBig,nuchtern,
~ielfach willkürlich und flùchtig, aber immer suchte er nach den Verbin.
dungen der Vôlker und dem Zusammenhang ihrer Kultur. Heeren
ging den Wechselwirkungen der kommeraeUen und politischen Inter.
essen und den intemationalen Bezichungen der alten Vôlker auf der
Grundiage der geographischen Bedingungen nach. Und auf der Grund.
lage erweiterter Sprachkenntnis, der Berichte der Reisenden und der
Landeskunde entstand das epochemachendeWerk von Mi c ha e 1 s s über
das mosaische Recht, das von den Ideen Montesquieus aus zuerst in den
Zusammenhang und die Eigentumtichkeit dieser Kultur und in ihre Be
dingtheit durch die Natur des Landes eindrang. Hier trat ein groBes
Problem der heiligen Urkunden in das freie Licht der Geschichte. Das
ganze gelehrte Deutschland blickte darauf, wie hier in Gôttingen durch
ein seltenes Zusammenwirken der Gelehrten der Zusammenhang der
alten Welt sich der ernsten Wissenschaft crscMoB.
Die zahlreichen deutschen Lehrbücher über allgemeine Geschichte
aus der zweiten Hâlfte des 17. und der ersten des !8. Jahrhunderts,
âu&erlich, durfdg, kritik. und geschmacklos wie sie waren, cntsprachen
!ângst nicht mehr dem Bedürfnis einer Zeit, die in den Gedanken der
Emheit und des Fortschrittes der Menschheit lebte. Die vielfachen Be.
muhungen um Cbcrsetzung, Bearbeitung und Nachahmung eines jüngst
erschienenen englischen Sammelwerkes miBlangen: man kam so nur
zu einer Reihe von Einzelgeschichten ungleichen Wertes. In Gôttingen
empfing diese universalhistorische Richtung nun ihrc festen Grund-
lagen in gelehrter Arbeit und systematischent Denken. Die physische
Geographie wurde hier durch Gattcrer in Montcsquieus Sinnc tür die
Begründung der Geschichte verwertet. Die Statistik wurde durch
Achenwall und ScMozer zur Wissenschaft erhoben und trat ebenfalls
in den Dienst der Geschichte. ScMozerdefinierte woM die Statistik a!
die ruhendc Geschichteund die Geschichte als die in Bewegung gesettte
Statistik. Hiermit wirkte zusammen, was unter Buffons Em~uû Blumen.
bach. Camper, Forster und namentlich Kant für die Erkenntnis des
groBen Zusammenhanges leistetcn, der von der Geschichte der Erde
zur Erkiârung der Gestalt ihrer Oberflâche führt, von da zu der Ver
teilung von Pflanzcn und Tieren, dann der menschlichen Rassen. Es
war eine auberordentlich lebhafte Diskussion über diese Fragen. Auf
diesen Grundlagen haben nun Gatterer und ScMozer in Vortrâgen und
Schriften die Universalgeschichtc dargestellt. Zahlreiche Grundrisse in
immer neuen Fassungen gingen von ihnen aus. Die ganze gebildete
Welt Deutschlands wurde durch sic erfüllt mit den leitenden Ideen des
.S~Mw

Jahrhunderts über die Weltgeschichte. Und Schlôzerging dann schlieB-


lich von der allgemeinen Geschichte zur Wissenschaftder Politik über,
~te wurde zum Mitte!punkt seiner Interessen, wie sie es spâter für den
Verfasser der deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert geworden ist.
Schlôzer r war der bedeutendste historische Kopf dieses Gottinger
Kreises. Ein Charakter durch und durch, eckig und knorrig, selbstbe.
wu6t und herrschsüchtig, immer wieder hinausdringend in das politische
Leben, in den mannhaften Kampf für die Gedanken der Aufkiârung,
gegen FurstenwiHkur, Klassenherrschaft und Pfaffentum, gegen Dumm-
heit und Lüge in jeder Gestalt. Ein unbândiger Trieb, Lânder und Vô!-
ker kennen zu lemen, die entfemtesten und sagenhaftesten am liebsten,
führte ihn früh in die weite Welt. Der Orient war seinZiel er sah nur
Schweden und Rut~Iand,und vierunddreiBigjâhrig schon kam er in den
stillen Râumen einer deutschen Universitât zur Ruhe. Hier sammelte
<r nun rastlos alles, was ihm aus seiner Lektüre oder der Korrespondenz
,,mit den Maikontenten in der ganzen Welt" an historischem und sta-
tistischem Màteria! zukam. Seine Interessen und Studien umspannten
alle Vôlker und Zeiten, so wurde er von selbst zum Universalhistoriker.
Die Vorlesung über allgemeine Geschichtebildete den Mittelpunkt seiner
Lehrtâtigkeit, bis er sie an Spittler und dann an Heeren abgab. Aus
ihr sind seine Schriften über allgemeine Geschichte hervorgegangen.
Ihr Ziel ist der Nachweis der ,aUgemeinen Verbindung aller Vôlker und
Zeiten." Dieser Zusammenhang kann auch da aufgewiesen werden,
wo ihn der au6er!ich verfahrende Historiker nicht bemerkt. Und wenn
uns die Quellen ganz im Stich lassen, muB er durch Analogie hergestellt
werden. Er umfa~t die gesamte Kultur. "Die Gange der Verbindung
unter den Vôlkem suchte sonst der Weltgeschichtsforscher blo6 auf
HeerstraBen, wo Konqueranten und Armeen unter Paukenschall mar-
schierten nun sucht er sie auch auf Nebenwegen, wo unbemerkt Kauf-
leute, Apostel und Reisende schleichen." ,,Ernnder sind die Lieb-
lingsgegenstânde der Weltgeschichte; Konige, faHs sie nicht Erfinder
sind, nutzt sie wie chronologische Krücken." Nichtnur die Revolutionen
des Menschengeschlechtes, auch die des Erdbodens môchte er in den
Zusammenhang der Weltgeschichte aufnehmen, ja selbst die Wande-
rungen der Pflanzen und der Tiere. Und in dieser ganzen Entwicklung
der menschlichen Kultur sieht auch er im wesentlicheneine aufsteigende
Linie bis zu der Hôhe, auf welchersic sich nunmehr befindet.
Aber von der Auffassung der altgemeinen Geschichte bei Voltaire
und seinen Nachfolgem trennt sich Schlôzer nicht nur durch die Gründ-
lichkeit seiner Forschung, sondem auch durch die Energie des poli-
tischen Gesichtspunktes in seinem Denken. Alles, was dem Franzosen
.als die hôchste Leistung der Kultur erschien, Literatur, Kunst, Ge-
:64 ~M~~&~M~MM~~M~~&~M~MMMbt~~
schmack und GesitMng,tritt für ScMôMr weit zurückhinter die groËen
realen Faktoren, wie sie sich ihm im Han<tel,in der Industrie und in der
Wissenschaft, die zaf Techaik wird, vor allem in der politischen Macht
darstellen. Dieser Mann der Tatsachen, der es fast als eine Beleidigung
nahm, als Johannes Müllereinmal seinen Stil lobte, schâttt nur, was er
zâhlen und messen kann. Er batte RuBland und das Régiment Katha-
rinas II. kennen gelemt. Es ist, als h&tteer hier, woalle Dimensionenin
das Ungeheure wuchsen, sich seinert historischea MaBstab gebitdet.
Mehr als irgendein anderer Historiker dieser Zeit ist Schlôzer erfÛUt
von der Bedeutung der groBen Staaten der modemen Geschichte mit
ihrer monarchischen Verfassung,ihrer zantraHstischenVerwaltung,ihrer
gleichmâSigen Fürsorge fur Wohlfahrt, Sicherheit und Freiheit, ihrer
groBaTtigenT&tigkeit für die Kultur. An diesem NhBstab vor allem
bestimmt er den allgemeinen Fortschritt und den Wert der einzeinen
Vôlker und Epochen. Wie schrumpfte ihm da alles zusammen,wasdie
groBen Griechen je geleistet, und wie brutal wies er die Schwârmerei
fur die repubNkanischc~Tugend" dieses Volkes Mruck, welche nun
zuletzt noch Winckehnann vertreten batte. ,Packvolk waten diese
Griechen,einige wenigeausgenonunen, wie weilandschwedischeReichs-
stânde." Ihre Zersplitterung in zahllose seibstandige Gemeinden und
die ochlokt-adschen Verfassungen dieser Republiken machten sie un.
fahig, einen langen Zeitraum hindurch die p!anmâûige Arbeit groBer
Staaten zu verrichten. ,Vorzüglichstiinnisch, r&ubenschund mordenscK
ging es bei den unsterblichen Athenem her." Und so ist auch Schlôzers
Gliederung der Geschichtebestimmt durch die groBen wirtschaftlichen
und politischen Revolutionen in dem Leben der Vôlker, die er mit
historischem Blick zu finden und zu analysieren weiS.
So viet griindliche Arbeit, so viei Scharfsinn und doch entstand
weder hier in Gôttingen noch irgendwo sonst in unserem Vaterlande
ein Werk der politischen Geschichtschreibung, das wie die Schopfungen
von Voltaire und Montesquieu, Hume, Robertson und Gibbon in die
nationale Literatur übergegangen ware. Zu test hiett die Enge des
deutschen Lebensdie Geister gebunden. Es feMtender tebendigeUnter-
grund eines machtigen nationalen Staates, die praktische Schulung in
groBen politischen Geschâften, der personliche Zusammenhang mit
den Fürsten und den regierenden Personen. Welch ein Abstand zwi-
schen Voltaire, der mit Konigen wie mit seinesgleichenverkehrte, und
Gatterer, dem stillen, bescheidenen Gelehrten, der nur seiner Wissen-
schaft und seinen Studenten lebtel Oder zwischender politischenTâttg-
keit Humes, der eine zeitlangals Geschaftstrâger in Paris und dann al&
Staatssekretâr des Auswartigen im Mitteipunkt der Politik der eng-
lischenWeltmaeht stand, und der Schlôzers, der als Pablizist die Sünden
Die t~~W<9h<A~<t< ~<M~ j65
der deutschen Miniatuttymnnen abstrafte, oder der Spittlers, der sich
in den Miseren des damaligen herzoglich württembergischen Staats-
ministenums aufrieb. So bleibt die Bcdeutung dieser GSttinger Histo-
riker auf ihre Stellung im wissenschaftlichenLeben emgeschtankt. Sie
haben durch ihte Lehrbücher und noch mehr durch ihre Vorlesungen
neue fruchtbare Gesichtspunkte und Methoden erschlossen. Durch
ihre Schule ging die nachste Generation der Historiker. Und sichtbar
tritt doch ihrc Einwirkung hervor in Johannes Müller und Friedrich
Christoph Schlosser, die in Gottingen zu den FüBen Schlôzers gesessen
haben.
Gôttingen vollzog nun auch durch Mosheimund Spittler die Ver-
weltlichung der Kirchengeschichte; auBerhalb dieser Universitâtschrie-
ben Planck und Schrôckh in derselben Richtung. Die kirchliche Ge.
schichtschreibung trat hier unter das Gesetz desselben pragma&schen
Zusammenhanges, der allé andere Historie beherrschte. Sie batte bia-
her den polemischen Bedürfnissen der Konfessionengedient. Sie batte
aile kirchlichen Erscheinungen auf ihre Cbereinstimmung oder ihren
Widerstreit mit dem Dogma der Gegenwart untersucht. Und auch
Arnold hatte das Recht der Ketzer auf ihre Obereinstimmung mit dem
Glauben der âïteren christlichen Gemeindengegriindet. Die Aufklarung
des t8. Jahrhunderts vollzog die Umbildung der harten Sâtze der Ortho-
doxie zu menschlicheren Begriffen. So gewann sie ein freieres Ver-
hâltois zu allen vorausgegangenen Epochen der Religiositât. Indem
sie ihre verstandesmaBigenBegriffe von Moralund Religositât auf die
Vergangenheit anwandte, erwies sie sich freilich gerade hier besonders
unfâhig, die grôûten Erscheinungen zu wurdigen. Spittler, der weit-
aus begabteste unter diesen Kirchenhistorikem, hat auch am entschie-
densten diese Auffassung durchgeführt. Er betrachtet die ganze Ent-
wicklung der Christenheit nach ihrem Verhâltniszur religiôsen Auf-
klarung. Er môchte das bestândige Fortschreiten derselben erweiseo
und kommt zu dem zukunftsfrohen Schlu6 es waren die Tage der
ersten Josefinischen Kirchengesteze daBnun die Zeitender Finsternis
fur immer vorûber seien. Ihm ist in dieser Entwicklung alles Plan, Ab-
sicht, Berechnung der einzelnen Menschen. Jesus hat die Kirche plan-
maBig gemacht. Sein Verhaltniszu seinen Jüngem ist ungefahr das des
Professors auf dem Katheder in Gôttingen zu seinen Studenten. Es war
doch begreiflich, daB Spittler zur politischenGeschichte überging.
Die pragmatische Geschichtschreibungdes 18. Jahrhunderts zeigte
an diesem Stoff besonders deutlich ihre Begrenzung.Vergegenwârtigen
wir uns noch einmal das Wesen dieser Methode.Ihre Merkmate sind
die Richtung auf die Kausalerkenntnis, die Anerkennungder Individuen
als der einzigen wahren, d. h. empirisch nachweisbarenUrsachen, und
266 Das <K~'A~ /~MbM<&~M~ ~<~M~<~
die Betrachtung dieser Individuen nicht aus dem Gesichtspunkt von un-
bewuGt in ihnen wirksamen Krâften, sondem von Absicht, Plan, kurz
von verstandesmaBiger Tadgkeit, welche vomehmiich im eigenen Inter-
esse gegründet ist. Sonach ist für sie bezeichnend die Abwesenheit
der Personen in der Gesell.
jedes Begriffes von innerer Verbindung
von
schaft, welche mit ihrem Einzeldasein zugleich gegeben wâre
Volk oder Staat als einer ursprunglichen geschichtlichen GrôÛe. Hier.
mit verbindet sich ein anderer Grundzug dieser pfagmatischen Ge.
schichtschreibung. Sie ist aufdcn Nutzen gerichtet, und sie sucht diesen
in der Belehrung des Lesers über die Beweggründe der handelnden
der Massen, die
Personen, der Parteien, der religiôsen Schulen oder
unter ihrer Einwirkung stehen. Sie will ihre Leser "nicht bloB gelehrt,
sondem auch weise" machen, indem sie zeigt, wie der menschlichc Geist
sich "durch die mâchtigsten Strebungen und unglaublichsten Verwir-
ma.
rungen durchgearbeitet bat." Sie will di~ Gegenwart begreiflich
chen. Spittler definiert die Geschichte als die Wissenschaft von der
Entstehung der Gegenwart.
Diese Art, den Menschen in der Geschichte anzusehen, entsprang,
indem das t8. Jahrhundert den Menschen, wie ihn die Gesellschaft die.
ses Jahrhunderts gebildet hatte, als die Norm menschlicher Existenz zu.
ealsden Schôpfer dieser
grunde legte. Es ist die Regel, Bolingbroke
die-
Geschichtschreibung zu betrachten. Dieser gewissen!osePolitiker,
ser kleine Mensch, der zwischen dem Ehrgeiz und den Enttâuschungen
hôtischer Politik und der gesuchten Haltung philosophischer Zurùck-
dab
gezogenheit aus den Geschâften schwankte, so geschichtsunkundig,
er den Guicciardini dem Thukydides gleichsetzenkonnte, so flach, da&er
das Studium der geschichtlichen Anfânge und des Altertums miBach-
tete und für Herodot kein Gefühl hatte, dieser Dilettant, der in seiner
Schrift nichts Wahres sagte, was nicht vor ihm gesagt worden wâre,
dessen Kenntnisse ihn nicht befâhigt hatten zu irgendeiner soliden ge.
schichtlîchen Arbeit kleiner, untergeordneter Art, geschweige denn zum
Rjchteramt über Geschichte überhaupt dieser Bolingbroke hatte doch
nur das Verdienst, mit Wahrheiten zu spielen, welche emste Denker,
wie Polybios, MachiaveUi,Guicciardini und Hobbes gefunden hatten.
und verwegen auszusprechen,was die Weltleute und Staatsmanner seiner
Zeit der Geschichte gegenüber empfanden. Die erstc Schrift, welche
die pragmatische Geschichtschreibung an einem gro6en Stoffe gründ.
lich durchführte, sind Montesquieu s Betrachtungen uber dieUr.
sachen der GrôBe und des Xiederganges der Rtimer 0734) gewesen.
Das groûc Thema des Polybios und Machta\c!!i empfângt hier einc
neue Beleuchtung durch die methodische Anwendung psychologischer
Begriffe auf die Auffassung cinés politischen Ganzenundder Art, wie es
ZMf~MjpeKÎ~KM~
f?M<~<«t<«hM~ 2?<~<!j~ ~<W~t~M< 267
funkdoniert. ,,Da die Menschen zuaRenZeitcndieseibenLeidenschaften
gehabt haben, so sind zwar die Aniâsse groSer Verândenmgen ver.
schieden, die Ursachen aber immer die gleichen." Er geht von den
rômischen Menschen aus, welche die Kriege der Konigszeit führten.
Sie sind von retigiëser Fesdgkeit, treu ihren Eiden, die Verteilung der
Beute nach siegreichem Kriege spornt sie zur âuBersten Tapferkeit an;
er denkt sich diese Bevôlkerung in Mauem eingescMossen,in bestândi-
ger Kriegsbereitschaft, immer sich schlagend mit anderen Stâmmen
und uberall ihrem Vorteil nachgehend; er erwâgt die psychologischen
Wirkungen einer solchen Lage, die Gewôhnungen, die aus ihr ent-
springen kurz, er sucht den Seelenzustand, der als die ,mânnliche
Tugend des Rômers" den alten Schriftstellem als Hauptursache ihrer
Erfolge gilt, aus den Bedingungen, unter denen sie leben, zu erkiaren.
Die Ursachen, die in dem Kampfe zwischen Rom und Karthago ent-
schieden, liegen ihm ebenfalls vomehmiich in den psychischenKrâften,
wie sie durch die Lebensbedingungen beider Staaten bedingt waren.
Und auch der Untergang der romischen Freiheit wird abgeleitet aus
dem Nachlassen der moralischen Krâfte, welche auf den Zusammen-
ha!t desGanzen gerichtet und dessen Verfassungzu erhalten erforderlich
waren, und die nun dem EinfluB der verândcrten Bedingungen, welchen
die Ausdehnung des Reiches mit sich brachte, unterliegen.
Und indem die pragmatische Geschichtschreibungsich zu dem uni-
versalhistorischen Standpunkt des !8. Jahrhunderts erhebt, wird sie
selber zu einer historischen Macht von der grôBten Bedeutung: denn
sie erst macht das BewuBtsein von der Solidaritât und dem Fortschritt
unseres Geschlechtes und von der Kultur als ihrem Ziel zu einer ubera!
hin wirkenden Kraft, welche die ganze gebildete Welt durchdringt: was
sie aus dem verânderten Lebensgefuhl des Menschcn empfangen hat,
gibt sie erhôht und an der Fuite der geschichtlichen Wirklichkeit be-
stâtigt der Zeit zuruck. Sie wird populâr, um das leisten zu konnen. Sie
wird zum Kunstwerk, weil sie von der inneren ~îachteiner neuen Lebens-
auffassung getragen ist.
Nun ergaben sich aber aus der Arbeit der Geschichtschreibung sel-
ber Gesichtspunkte, welche die Grundgedanken der Aufkl&rung ein-
schrânkten. Es entstand die Frage nach der Gesamtkraft, welche einem
Staate seine Macht verleiht und die Verfassungen erhâtt. Und von An-
fang an lag in dem deutschen Geiste eine Art, die Geschichtezu sehen,
welche die hervorragendsten historischen Kôpfe unseres Volkes über
die Schranken des Verstândnisses der geschichtlichen Welt in der Auf-
klarung hinausführte. Moser und Winckelmann stehen mitten in der
Epoche der Aufklârung mit ihrem originalen historischen Denken, ein-
sam, Anfânger eines Neuen. In Herder r vollzogsich die Krisis. Seine
268 D<M<MKM~ ~bM<dM e<~ ~~cMMt<
wissenschaMiche Gnmdhge lag in der Erkenntnisvonder Evolution
des physischenUniversums,der Bildungder Erde, dem Einau& der
geographischenBedingungenauf das Leben der Nationen;hierin ist
er der Sohndes !8.Jahrhundertsund derScMIervonBuffonundKant.
AberseineAuffassungvomSe!bstwertjeder geschichtlichenStufe und
jeder Formdes Daseinsin irgendeinemLandstrichder Erde, von der
Verwirklichungdes Glückesund der Vollkommenheit unter den ver.
schiedenstenBedingungen,von den unwiMkurUch MIdendenKraften
der menschlichenNatur führt ihn hinaus über die Schranken dieses
t8. Jahrhunderts. Mit ihm beginntdie Bewegung,die einheitlich,zu-
sammenhangend, unabl&ssigfortschreitenddurch die Romantikzu den
Humboldt,Niebuhr,ScMeiennacherund Hegel fortgeht,und so hin.
überreichtin das !9. Jahrhundert.
ANFANGE DER HISTORISCHEN
WELTANSCHAUUNG
NIEBUHRS
Es wâre ein Gegenstand vom hôchsten Interesse, Natur und Ent-
wicklung des historischen Genies aus dessen Zeugnissen iiber sich selbst
aufzuklâren, die verschiedenen Stellungen, die es zur geschichtlichen
Welt eingenommen hat, zu verfolgen. ïn diesem Zusammenhangmochte
ich einen Blick auf Niebuhrs Jugendgeschichte werfen. Wir sehen hier
aus dem Leben selbst und seiner philosophischen Auslegung die An-
fange einer bestimmten geschichtlichen Weltanschauung hervorgehen,
die dann Niebuhrs historische Werke erfOllt.
Barthold Georg Niebuhr, der Begründer der kritischen Geschichts-
wissenschaft, war am zy.August t/yô in Kopenhagen geboren. Sein
Vater, der bekannte Reisende Carsten Niebuhr, lebte dort, mit der Aus-
arbeitung seines Reisewerkes beschâftigt. Die Mutter stammteaus einer
thüringischen Familie, und wie Sôhne oft nach der Mutter arten, hatte
Barthold seine zarte Konstitution und "die ganze Hertigkeit und Reiz-
barkeit seines Naturells mit den Gesichtszügen von ihr geerbt". Schon
im zweitenLebensjahre des Kindes siedelte der Vaternach Meldorfüber.
Die alte Hauptstadt der Ditbmarsen, an der Grenze zwischenGeest und
Marsch in einer baumlosen, einfôrmigen Gegend gelegen, war nun zu
einem stillen Ackerbauflecken herabgesunken; mancher Winter ver.
ging, ohne daB ein Fremder hier erschien; nur die Anwesenheit des
Dichters Boie, der als Landvogt in das Stadtchen kam, ôffnete den Blick
in literarische Interessen: im Sommer pflegte diesen sein Schwager
Joh. Heinrich Vo& zu besuchen. Dann saB der Knabe zwischen den
Freunden und lauschte ihren Gesprâchen mit der ganzen Frûhreife ein-
samer Kinder. Der Vater, emst, von der festesten Wahrhaftigkeit und
Rechtschaffenheit, die dem ganzen Hause zum Lebensgrunde wurde,
nach der Weise jener alten Zeit die ZartUchkeit für den Knaben und
seine grenzenlosen Hoffnungen auf dessen Zukunft hinter strengen An-
forderungen verbergend. Die Mutter krânHich. Und er selber in frühen
Jahren durch Krankheitenin seiner kôrperlichenEntwicklung gehemmt,
ohne den Segen des abhârtenden Verkehrs mit g!eichaltrigenGenossen
und der Zucht und Rege!maBigkeit einer ôKenttichen Schule.
~?o ~N~A~T
Hierftir boten wenigeund mangdhafte Privatstunden und der Unter-
richt des Vaters keinen Ersatz. So wuchs er als Autodidakt auf.
Aber das war doch der Gewinn eines solchen Bildungsganges
für diese unvergieichlich begabte Natur: ungehemmt vom langsamen,
regelrechten Gang der Schule bildete er sich seine eigene innere Welt,
seltsam gemischt aus einem Wissen, das sich in seinem achtzehnten
Lebensjahre über viele Sprachen und die verschiedensten Volker der
alten Welt erstreckte, aus praktischen Kenntnissen, welche cr im Ver-
kehr mit dem Vater, in Arbeiten für ihn und in leidenschafttichem
Interesse für die Ereignisse der Zeit sammelte, und aus Traumen seiner
gewaltigen historischen Phantasie, welche die Szenen der alten Welt
mit ihren Gestalten bevôlkerte.
Denn in seiner krânktichen Einsamkeit hatte sich der Knabe ge-
wôhnt, den Stoff seines Phantasielebensnicht aus Leben und Natur, son-
dern aus Büchern, Kupfem und Gesprâchen zu nehmen; so haute sich
seine Einbildungskraft unter dem Zwang ihrer Lage eine geschichtliche
Welt auf, die von da ab ihre Heimat blieb. Gem âuûerte er sich in spâ-
teren Jahren über diese merkwürdigen Erscheinungen seiner Jugend,
und diese Berichte sind die wichtigsten, welche wir über die geschicht-
liche Einbildungskraft haben. Die Natur hatte ihn mit der unentbehr-
lichsten Gabe des groBen Historikers, einem Gedachtnis von auBeror'
dentlicher Stârke ausgestattet, wie es auch Ranke und ]Màcau!ayeigen
gewesen ist. Ein unbczwingbarerWissensdurst trieb ihn vorwârts, die
ganze geschichtliche Welt in ihrer TatsâchHchkeit zu umfassen. So er-
wuchs aus einem mâchtigen Anschauungs\'ermogen. das in einer ande-
ren Verbindung geistiger Anlagen ihn hâtte zum Dichter machen kôn-
nen, in ihm die historische Phantasie, deren Merkmal es ist,
mit den Kraften des eigenen Innern die Reste der Vergangenheit zu
beleben, die so sich formenden Bilder des Vergangenen bestândig zu
genieBen, und sie daher durch jedes Erlebnis und jede erworbene Ein-
sicht reicher, wahrer, wirklicher, gegenwartiger zu machen. Kein an-
derer Bildungsgang hatte dièse historische Phantasie so in ihm zur
herrschenden Macht erheben konncn aIs der, den er in seiner einsamen
autodidaktischen Jugend durchgcmacht hat. Und keiner hatte auch die
Eigenart und die Eigenwilligkeit, we!che dicse Phantasie in ihm zeigt,
so entwickeln kônnen: das Divinatorische, beinahe Nachtwandierische
derselben, das der methodischcnUntcrsuchung sprunghaft und in einem
durch keine bewuCten Schlui3kettenvermittetten Erblicken vorauseilt,
die subjektive Se!bs(gewi6heit der genialen Anschauung.
Das Zeitalter, in welchemer hcranwuchs, gab seiner historischen
Phantasie die Richtung auf die politischc Geschichte. Er war drei-
zehn Jahre alt, als die Revolution ausbrach; ganz Deutschland folgte
~~Mt< ~hMK~ «~ ~< B~Mt~ _27!
den Vorgângen in hôchster Spannung, die Ideen und Gesprâche seines
Vaters umspannten die groûe Politik aller Weltteile. Vater und Sohn
verehrten die politische Erbweisheit Englands und verurteilten die
Revolution.
So machte schon dem Knaben die groÛe Gârung der Zeit die Welt
der Alten lebendig. Es bildeten sich damais bereits in ihm umfassende
Hypothesenüber die Zusammenhânge der alten Geschichte; dennin den
ersten Tagen seiner Anwesenheit auf der Universitat erSffnct er dem
Professor Hensler in Kiel seine "Ideen über die Entstehung der grie-
chischen Vôlkerstâmme, über die alteste Vôlkerwanderungvon Westen
nach Osten".
Die Neigung des Knaben für das stille Aufbauen ciner inneren Welt
in gelehrter, historisch.phUologischer Arbeit wurde gekreuzt durch den
herrischen Willen seines Vaters. Dieser war in seiner erzwungenenRuhe
in Meldorfhôchst fruchtbar in Plânen, dern Sohn in der groBen Welt
eine bedeutende Rolle zu sichem. So entschied sich der Eintritt des
frühreifen historischen Genies in das tatige Leben. Das doppelte Ziel
seiner Lebensarbcit, wie es von da ab ihm gegeben war, hat immer wie-
derkehrendes Schwanken und tiefe seelische Leiden in das Leben des
Heranwachsenden gebracht; aber zugleich führte ihn so das Schicksal
den Weg, auf welchem er für seinen universalhistorischen Standpunkt
die Weite des Blickes und die reale Kenntnis der Lcbensverhâltnisse ge-
wann, und für seine kritische GeniaÏitât den festen Ausgangspunkt in
den Realitâten der Verwaltung, der Finanzen, des wirtschaftlichen
Lebens auf dem Lande und in den Stâdten, dessen sie nebcn der philo-
logischen Kritik der Quellen bedurfte.
Die Vorbildung für den Eintritt in die Geschâfte fand er, nach
einem nu&gluckten Aufenthalt in Hamburg, auf der Kieler Universitat.
Die Jahre in der damais noch stillen Gelehrtenstadt zwischen den
Buchenwâldem und der blauen Sec wurden entscheidend für seine
geistigc Entwicklung. Die Freunde des Vaters, vor allern Hensler und
Hegewisch, schufen ihm eine zweite Heimat; er fand freudige Jugend-
genossen, die seinen Geist aus seiner tiefen Einsamkeit er!ôsten, und
die zarteren Bcziehungen der Geselligkeit erôffnetea sich ihm in der
Freundschaftmit ciner überlegenen edlen Frau, der vfr~itwcten Schwie-
gertochter Henslers.
Und wie sich ihm so ganz neucundwichtigeLebensbezugeauftaten,
vollzog sich auch eine auBerordentliche Erweiterung seines wissen-
schaftJichenHorizontes. Er nahm nun in Kiel die hochste Gestalt der
Philosophie des t8. Jahrhunderts, den kritischen Idealismus Kants und
seiner Schulc, in sich auf. Er erfaBte den Zusammenhang, in welchem
dies Zeitalter, unter der Einwirkung des allumfassenden Kant, Natur-
a?: ~<i~<A~&~ ~ot<MH~A%&~

wissenschaften,Geographie,Anthropologie und Geschichteder Mensch.


heit zu verknûpfen strebte. Er wurde zum Universalhistoriker.
,,Mein Beruf ist zur Geschichte,und der will ich vielleicht meine einst
erworbenenphilosophischenKenntnisse dienstbar machen." ,,ïch wiH
die Grundsâtze der Philosophie :ur Bearbeitung der Geschichte ver-
wenden."
So erwies sich wieder einmal an diesem groûen Geiste die logisch-
organisierende Kraft der Philosophie.
Die grundlegende Schôpfung der europâischen Philosophie des
Jahrhunderts von den groBen Astronomen zu Buffon, Haller, und von
da zu Kant, Herder und der Gôttinger Schule war die universale Ver.
toluptung der Einsichten in die Evolution unseres Sonnensystems, in
die Geschichteder Erde und ihrer Organismen und in das Fortschreiten
des Menschen aus primitiven Zustânden zur Zivilisation. Alle fortge.
schrittenen geschichtlichenDenker dieser Zeit waren einig in diesen
universalhistorischen Standpunkt und in dem Streben, alle Wissen-
schaften in den Dienst der Geschichte und der Erkenntnis der Gesell.
schaft zu stellen. Zwischendem Studium der physischen und der geisti.
gen Welt entwickeltensichals BindegliederGeographie, Anthropologie,
Studium der Rassen und der Verteilung der Vôlker über die Erde, sta.
tistische Erforschung des durch die Zahl MeÛbaren in den geschicht-
lichen Erscheinungen. Auch das wissenschaftlicheLeben des damaligen
Kiel war ganz erfullt von diesen Tendenzen. In Niebuhrs Verkehr mit
Hensler und Hegewisch, in dem was ihm die Freunde von den Vor-
lesungen von Hensler über Anthropologie und denen von Hegewisch
über Universalgeschichtemitteilten, waren sie enthalten.
Auf solchem Hintergrunde empfingen seine ilteren Ideen über
Herkunft und \'erbreitung der griechischen Stâmme eine aUgememere
Fassung. Er arbeitete fortan bestândig an dem ethnologischen Unter.
bau der Geschichte der alten Volker. In diesen Studien unterstûtzten
ihn sein Sprachgenie, die Verbindung der Kenntnis ost!icherund abend-
lândischer Sprachen sowie sein umfassender geographischer Horizont,
und mit verwegenen Hypothesen eHte er der methodischen Forschung
voraus. Der Umfang seiner Studien über die alte Welt und ihre Volker,
wie er sich von dieser Zeit ab allmâhlich in ihm ausbildete, ist das
sprechendste Zeugnis für den weltgeschichtlichen Ausgangspunkt, in
welchem der gro6e Forscher auf dem Boden des ï8. Jahrhunderts
stand. Diesen Umfang überblickt man, wenn man Niebuhrs romische
Geschichte verbindet mit seiner Kritik des Werkes von Heeren (!8t3),
in der er viele seiner Ergebnisse niederlegtc, und mit verwandten Ab-
handlungen dieser Zeit, endlich mit seinen Vortrâgen über alte Lander-
und Vôlkerkundeund über atte Geschichte.
<y~ A«M/
MM/MM~M&fW~?<'M<&)M~ ~73
GroBeres gedachtc Niebuhr in diesen schwârmendenJugendtagcn
in dei Phitosophie zu finden: ,Kultur des Verstandes zum Selbst-
schaffen" und eine kritisch begründete Weltansicht.Seine gruMerische
Natur verlangte nach Harmonie mit der Welt, und sein politisches
Denken suchte in den harten Gegensâtzen dieses Revolutionszeitalters
eine begründete Oberzeugung. In jedem tiefen Menschen erhebt sich
cinma! in seinem Leben dies Verlangen, mit den Râtsetn um ihn und
uher ihm sich denkend auseinanderzusetzen.
Die Philosophie Kants fand nun den Obergang von dem natur.
wissenschaftlichenZusammenhang des Universums zu der Erfahrung
der letzten Tiefen der Menschenweitin der Lehre von der moralischen
Natur des Menschen und von den Ideen. Und ein günstiges Geschick
brachte Niebuhr eben in seiner damaligen Verfassung den kritischen
fdea!ismusvon Kant, Reinhold und Jacobi entgegen, welcher seinem
Wesen allein angemessen war. Von früh auf hatte ihn die moralischc
t~ationalitâtumgeben, welche in dem BewuStscinder Würde des Men-
schen und seiner sittlichen Verantwortlichkeitgegründet ist. Er nahm
sic in sich auf mit der Luft seines elterlichen Hauses. Seinem Vater
geistig venvandt, hat dessen Freund Joh. Heinrich VoB den Heran'
wachsenden in diesen Oberzeugungen bestârkt. !n Klopstock trat ihm
dann die hochstc Steig.erung des (~fuhtfi unserer moralischen Würde
entgegen. Sein Ideal unserer Dichtung war damals: die Futte des deut-
schen Gemütes nut seiner herben, nordischen Tiefe und seiner von
einem reinen FamiMeniebengetragenen Heiterkeit, aufgefaBt und dar-
gesteUtin der ktaren, heUen griechischen Form. Die Idyllen von \'o8,
inshcsnndcrc die ,,Luise". waren ihm das Hôchste in unserer Poesie.
Er Hebtedas burgerliche Dasein seiner Heimat, die einfachen Acker-
ddrfcr inmitten der weiten Ebene, auf der die Hatme schwankcn, die
Reste der atten Seibstverwahung und Gemeindefrciheitbei ihren t!e-
wohnem, deren moratisch gcnchtete Frommigkeit. Noch in spaten
Jahren erschien ihm die Zeit, als aus der Barbarci unser Famiiien-
leben sich zu feinerem Gefühl erhob und unsere Dichtung dem cinen
Ausdruck gab, ats ciner der schonsten 'Momenteunserer geistigen Gc-
schichte ein wahres Fruh)ings!eben und Morgenrot. "Die Luise von
Vo8", so sagtc er in diesen Kicler Zeiten.hat Trânen der Freude aus
meinen Augen gezogen." Dieser moraiische Rationalismus, der im
Famitienteben. in déni schlichten \erha!tnis zur Natur, in dem uner-
schutterHrhen und harten Unat)hangigkeitssinn dieses Bauernvolkcs
wurzehp. war die (~mndtagp seiner eigenartigen konservativen Ge-
sinnung, seines festen \'erhattnisscs zum C.hnstentumund seiner histo-
rischen Weltansicht. Wie mu&te er sich nun in die«en Cberzeugungen
hefpstigt finden, als ihm in den Vorlecungenvon Reinho!dKants!dca!is.
OUt&<y, (.cMmntttf IfI
jithnftfn
~1 ~<< der ~<~<'M ~Ai<M~<!w< AY<
mus der Freiheit entgegentrat Kant hatte zuerst diesen Typusder Welt-
anschauung kritisch begründet und getautcrt. Durch ihn erschien der
Widerspruch aufgetôst, in welchem derselbe mit der Naturwissenschaft
gestandcn hatte. Und Reinhold war der beredteste untcr den Verkün-
digem dieser neuen Philosophie. Eben ihr Begriff von der moralischen
Würde des Menschen hatte ihn zu ihr hingezogen, und etwas von dem
philosophischen Ton des Predigers war in seinen Vorlesungen. Niebuhr
scMuS sich mit Begeisto ung an Reinhotd an. So wcnig scinem Geiste
systematisches Denken gemâS war, vertiefte cr sich doch mit âuGcrster
Energie in die von ihm vertretene kritische Philosophie. AJs sein Freund
Moltke ihm gegenüber die Freiheit des Willens und das Sfttengcsetz
bestritt, g!anbte er sich von ihm trcnnen zu müssen. Von Reinhold ging
er auf Kant zurück. Unter allen Philosophen hatte der Entdccker des
kritischen Standpunktes in der Philosophie dem Begrundcr der kri-
tischen Geschichtsforschungatn meisten zu gebcn. Er lehrte ihn, die
historische Kritik in \'erbindung zu setzen mit der kritischen Stellung
des Geistes zu dem (;egebenen überhaupt. Er ôffnete ihm den Weg in
die Ticfen des schaffenden Vermôgens, das in der Menschennaturwirkt
und auch in Mythos, Sage und Sitte sich auBert. Ein deutlichcr Ab-
stand trennt die historischen Kôpfe, welche unter dem EinfluG der
von Kant ausgehendcn Bewcgung sich dies Verstândnis von der schôpfc-
rischen Kraft im ~ten~chcngeschterht crworbcn haben, von denen,
die vor diesem Mealismus gedacht haben. Endlich aber gab Kant der
rberzcugttng Niebuhrsvon der sittlichen Natur des MenschencinewoM-
begrundcte Fassung. Und wenn die tiefen Abstraktionen Kants, wcnn
insbcsondere seine formelhafte Fassung des sittlichen Gesetzes unserer
Xatur dem anschautichen Geiste des Historikers eine vo!!ige Befriedi-
gung nicht gcwahrcn konntcn. so bot ihm der ~dea!ismusder Freiheit,
wie ihn Friedrich Heinrich jacobi cntwickclt batte, die willkommenste
Erganzung. Er machte die Hekanntschaft Jacobis im Hause Hcnsiers
wahrend dieser schôncn Kieier Studentenzcit dann suchte cr ihn einige
Mate in Eutin auf. Jacobi bexauberte Nicbuhr durch die Reinheit seines
Upr/ens, die nienschïich gutige Hingchung. wo ihm verwandtc Ce
sinnung entgegenkam, die sittliche Grazie seines Wesens und den F!uû
seiner Hcredsamkeit.Unter allen Mânnern, die er gesehcn, schien err
ihm der VoHkommenheitam nâchsten gekommen zu sein so hat er
aut h spâter noch geurteilt. Es war ganz Jacobi. wcnn er in dieser Zeit
einmal schrieb: ,ch kann die Abstraktioncn der Tugend nicht an-
hetcn, sic kann nur durch< Herz. durch Liehc, aus der sie btuht, tt-
zucken." Und so intensiv seine Abncigung gegen Fichtes politischen
Kadika)i<!tnuswar. so hatte er doah auch dicsen\'n~endcr des kritischen
!()eaHstnus,dessen An.tivt.cdes srhopfen~-chcn!c!t in die !t'txtcnTicfen
~/HM</ und ~ftf~/ 275

vorzudringen schien, gern gehort. Noch in der Zeit seines Geschafts-


lebens in Kopenhagen rechnet er unter die ,,unnacMâRlichen Bc-
dingungen für jeden, der offenttich auftrete und sich einiges Gewicht
zu erwerben trachte", cine systematische Philosophie als die Grundlagc
aller Cberzeugungen.
So entwickelte sich in den ersten Jugendjahren Nicbuhrs sein ldealis-
mus der moralischen Persbn und ihrer Freittclt, durch dcn cr dann kon-
reniât den rômisrhen Geist verstand, wie er in der romischen Stoa, in
Cicero, in Marc Aurel seinen Ausdruck gefunden hat.

!8*
NAMENREGISTER1
Abbt 174, 248 Augustin 77'95. BanauasS :Cornettte'8yf.,
Achard. Antoine u. <2t5(. Bûrger~t tôt, toj, to8
François t9 AugMtusS~.SS. !t6, BO!K:M)igt<)6 Cromwell 4
Achenwall 26tf. ~t5. 239f. Buffon go, 93. 259. Cyprian !!6
Add!sona.:8 ~6; 268, 212 Cyrust7<
AcmiHusPautuftttz~ Bach. Joh. Seb~. Burke 245, 254
Dach, Simon 5~
Albertus Magnus ~t6 stian 7~. *79–80 Burhhardt. Jakob Danckelmanu 36f.
d'Atembert 86, 8<). Bacon t8, 2;, j~
E~h~~M DMtetoy.~tb
*9t–97, 98–too, DilVtta. t
103, ïtiî, tt6, B~rott!as a~o Cabanis qS
!)<'<'tt)s~3o
*!24–tZ?, 128, Basedow. !<)0f.. 169 Casar 88.tt9.239
r~cktr.Unehhimdier
t~o. t36< ï39. t~S. Basnage.Jacques 219 C!))deron60, 64, 8y
204
t}o–t5~. '75, t88, B&uîngittten, StRis- C~v)nt32,t~3,zt7 Deseartcs 10. t~. 15.
~6, 238 mand Jakob 68 Catnp..mcUat7,3~
ty, .t:–< 26, 29,
Alexander d. Gr. to, Bay!e~3.6t<9; Campe, Joach.
~tt t0~.tt0,2!9 Heinrich i6of. j 3t, 3~6~,64, 69.
Bêcher, Joh. Jo- 73. 87–89, 103,
Algarotti !i7 Camperas.!
achim ti6,Z38
AtthuMus~3 tso Canit~s~
AmaHe. Kinsprin 39 Bo~uetin 1:3. t~a !Tc<'p~Mxs. Botteau
Cxntnf.Moritt?! DfstNtt de Tntcy 98
Amalie von Weimar Bekker. BalthaMf ~2 Cardano 70
Bembo to8 i Pickpns 56
'7' Carlyle t32, 2CO,
.!S: iDiderot 89. *93f.,
AnctUon<âtt.(t.u< Berhetey 1~9
Carmer 129 9Sf., too. tof), 115,
wig Friedrich) t3<).Bernegger
Bemhard von Ctair- CastiNon d. iflng. '73-'75. ~7
'56 Dicthcf von !s<*n- Isen-
A ndreae, Joh. Vaten- vauxyy (Friedrich) tgg. 136
burg, Kurf. von
tia~t BerthoMvoaHenac- Catt. Henri de K~f.
Mn4M~3
AngetusSit<'Stus~9. befg, Kur<. von Cay)us2j<)
*5~. 55. ''2. *77 Main~ 33 Chateaubriand 88 j Dik&arch2ttt
Dttehch t~b
Anna von England Besserjj Chatetets.DuCh&te- tTohm166
j<).~26 Bouhetsz !67 let
Anton t.'trieh von Biester t~of. '))roys<'n22T
Chauvin 23
Wotfenbattet ~4, 53 Bismarck 200, 2}2 Chodowtcckt ty6 Dubois-Rcymond
!r6
Antoninas Pius 230 Btumenbitch ~62 Christine von Schwe-
Ducange22o
Apelles 260 i Bodin ~33 <ten3t t)u Châtelet, Mar-
d\fgcn<<tot, tt<). ï~odmcrt~t Cicfnt~ft.M. tôt,
Hneckh 20$ qa~se (ËmiHp)nyf.,
tï5.t3ot. tO~.tyt.jtOt.~t~, t
Anostt07 Boerhaveoo ~'4.~3.~7: ))uch<'sne.:2o
AnstotetM.!3.25,.32, Boie 269 CinMSS
UOrer79
'7'. 99. t84. BoHeaH-Desprfaux C)attt)erg~3 Duhan de Jandun
~3.~3.~47 53 'oS Clemens von Ale-
xanfthaztô n9
Armtnianert7.t9 Bometmrg, Joh.
Arnotd.Hottfncd78, Christian 28. 33 Colbert t8 Eberhard, Joh.
~t9.)5 BoHngbrotte 266 1 Colignyjt?7 August !3~. ly~f.
August der Starke BoHand 230 Com<*ntM.:t, r~Sf. H!!sabcth t'en <!<-<-
36.47 Borckenu Comte 34. 89, ~36– PM~M
Augustin, von BoMUft !o8. 23t ~8 H)i<tbcth Christine,
Poten (Sachsen) 258 Bruht )8y Condit)act)o Kaiscrin ~t
A))t!U9t Wilhelm, Bruno, Giordano ty, Condnrcet<.)t,<)S, Emerson t~
l'rm~ von PreoBen j!6.b3<6<)f. t3<<{..j!3& Engct. Joh. Jakoh
t.:9 Buehhottz Conhng ~~o '3<).'S5.'7-)–'7<'

Das Zetchcn ist den Hauptstetten bcigesetzt.


A~~n~M~- ~77
Ept<carM4 1451.. 150, 154. !Gu<itavAdo!f4.3o i73.209,*MQ,*23o.
tMf.)i63-t6ù. G)) von. Madame <te *24of.245f..256.
Etasm<)89,t43
Ëjrman d. &!t. (Joh. t<)7- t69, tyot.. t?t ) 77 2f'4
Peter) 139. ï:6 -.174, t?6, *t8o JHutchcsoni53
Emesti. Joh. AogtHt –!t)0, !QO–t99. H&ndet6t. 75. '79– Hnygheos73
144 *200"202, 20~– 80
Efnst
d. Ftommc M5,<0<),2!8,2: Hitge<!orn50 trwin);t4<'146
294, 2~8–~30, 234, Haller, Atbrecht go, Iselin, ïsaak fûtt
1:8
Ëucttcniyo *~39<. ~-t3< ~47. ta.272 IlrwiOg
Fugen, Prinz 39 Friedrich WUhctmn. Hamann tox, 117. 1 Jacobi. Fricdr. Hein-
139--141, 147,191, 247 rich t~, 146. ty~.
Eu!erït~7,!ï9f.~ f.
tS3,t24,o,t.;f),: M3,so5 Hannibat 2~ '7'
t~8-!so.!j3,i56! Friedrich Wit- Hamackïitg Jaucourt tïy
Euler d. )tng. (Joh. he!m 111. t39, t't6, Hartley 90 Jérusalem, Joh.
!:03 Heckerî59 Friejr. Wilhelm
Albert) t~o
Friedrich WM- Heeren 261-263, 272 ~4,t66
Fechncr <so 1 helmIV. 205. Heennann, Johann Jesus 143, 2I5f.,
F~neton 77, to8 ) ?<'<- 24tt.,265
Fet~ son, Adam 230 GaliM lof., i6t., tz, !Hegett44'f.,268 Joabto3
Feuerbach, Ludwig ~.26.6~,68,73.87 Hegewischzytf. Johann Friedrich
Andrcas 13 Garve 155, ty~ Heinrich Il. von von Hannover ~tt
Ftchtet<t4.i46,i7o, Gassendi t~ Frankreich t~S Johann Pliilipp von
Seh&nbont. Kurf.
~74 Gatterer ï6!(., ~64 Heinrich IV. von
Gedike, Friedrich Frankreich tyS, von Mainz 33
Fielding 175
Ftockenetein no 140, *T6<tt. t95.MI Johannes Dama-
Fischart 54 Gettert toy. '4. t3<) Helmholtz 73. t23 sccnus 7
Ftaeius!:t<) Georg I!I. von Eng- Helvetius 04f.. ~27 Jordanie, 138
FIMiier toS land 243 HeM!er27tf.74 JoscphH.t7t.i8?.
Fleming 44. 47. Gerhardt, Paul 50, Herbart t6o a65
'49–31. 3tf.. 62, 7~. 76 )Herdcr.!8. 67,102, Jangitts,Joathim
76 Gerhardt. Karl Ima- !o6. !t7, *t36f., 22, 52
Formcy 114, "a, nue! 71 '55.236.~7f.S9. Junius (Junius-
123, 155f. Gesacr. Joh. &tat- 261.~67,272 Briete) 245
Forster. Joh. Rein- thtas 261 'Hctodot 2to, 213, Justi, Kar! 257
ho!d!'5! Gibbon 204, 209, 266 Jt)stiniM7 7
FMnchevtHengf.. 229, *230, <42. *245 Hert~berg t35, '139
~3 "~47. s~. 264 –t42. t74.!84t., Kâstner. Abraham
Francke.Aug.Her-! Giotto 80 tqo.'t~t -200,200 Cotthetf t2. 136
tnaï)n78,'5o 1 Goethe 25, 28, 3o, –M4. 234. 244 Kaiser, Rcinhatd&t
Franz t. von Frantc- 3!. 50. S?. 95, tôt, tfcM.~tafeust~j' Kant3o,6ii,9j,
n'ich!n.<7!) tos.to6,t09,tt5, i Hcvne.Christ. Gott- «7, t30.t32.t34,
Ftcytinghausen 78 140. tg~. t7ïf., t83, lob 261f. j tgë.!42. t44–t47.
FriednchWithcttnd. 200,227,240.243, t Hteronymus n6 t48f.. t5!-t54.
Theod. Gott- t()o(.. t6f). 168,
groBe Kurfûtst 2o, 257. 259 < Hippet, 157,
2jf..3<38."6. Gëtz. Joh. Xikohus !iebd.&!t.247 170. t?'. *'72~.
t8o.t<)8, 107 Hobbes i.}f.. tjf..
Friedrich n!.(t)!3. Gottcr.Gra~Gust.tv .!f),no.t32, !5o, *24.244. 262,
28. 30. 3&-38, 43, Adolf 119 t52, t76. t87! 239, 268,271–74
47.53.67 Gottsched toy 266 KM!d.Gr.if):3t
Friedrich Wilhelm1.1 s' Gravesande tty Hofmannswaldau 3~ Kart V. 230, 245
38. 47. 67. 83. 85. Gresset 98 Holbach 93. 93–97 Kartil. von Eng-
tO:,tT7,M9.8, Gnmm. Melchior 137 t Home230 tandtS
t34.t6t.t8o.t88, Grimm, Jakob 145, Homer ~4. 240,258, KatharinaU.M.
t<)8 205 26t 264
Friedrich d. Cr. 18. Grimm.(?~5 ""11 1 145
Withehn r45 Hooft 22t iKaunitz'03,187
38.40.6t.*83-f!(t. Gritnmctsh&usen 4:, Horatiu-i!:)8 Kctth. James 104
*8()f.8f)–<)7.9<j< 44. 47.'54t- Horaz 1
99. !04, tyt ~K<'ptertof.,t7..<
*<oo–to&. *'<)(' Gf0t4ua2.!t,233 Humboldt. Wilhelm 26. ('4. 68
!tt. *!t!-tt3, (tfyphi')s, AnnrpM i39.t44.t4('.t~o. K<-y!!crti"(!;h't<)
*tt3–t!7. *7 44.47.4<)f.jt! th&.2h8 Kiesewettpr 157
–tj!4. *t~4–7.~ HtttnbnMt. Atexan. Ktai. Johann 5<'
.5.i7-"o.~
*nN–t3t, 132, ~Cuicetardint't~t., d<;ft3<).2o~ Ktopstock 75. toif.,
*'34<- '37-'4°. 2tS,22!.26(.) Htmte3o.'j!33f., 106, too. 273
;<MMH~
KnoMsdorff fit Luther <).7<),8y,t3~, Z~O,9;y. 2<M),2<)Z. Pitt d. Mt. (Lord
K.nuzen 23 t3.),t4.}.200,3ty 264. *t66(. Ch~thitm)~~
Lysipp 260 Planck, Gottlieb
Kûnig. Samnd 123 Morhofï~<)
Ko)be von W~rtcn- Moritz, Kart Philipp Jakob 144, 265
'40.'MT. Platon t;. 25, 34. 46,
bcr)!3S Mabittott~M
Kopfrnikus 6~f. Moras, Thomas g.t t66.)!)f<.t75.!83,
Macau)ay.t7o Moschcrosch 44. 54 2to. 228, 233, 247,
Machtavp)ti 8, 84.
Mûsestto.2~2 258
LaRranpc 8t), 9T. <)S, *t77f., !8y, )8<), Moshom i~, 26t, Ptutan h20!L
!2.t27.t2S.t30. 2)8,t2t,~43,2M ~(.S KiUnit.'n')
t;6,t~).)~.).of., MareAurctjo.X; MouHnM204 l'olybios *n 214.
!< tnt.to'o,?~ 2t5.~3.2(i6
} Miitter, ]Johimne~,
Müller, ()luumc:I,
Lambert 69, m, ~75 der G<'sctuch<- Polyklct j6o
t2~,t2y. tj0, Mar];f;raft23, nf), schreibc'rto6,tj!7, Pomp<'i"s 214
t~Sf.. *tso–t52. '30 f. Pope 2~8
Mafia Thcresia t0j, Xîftnehhausen,'39'~3. ~~4~
'33.'5<73 dcr
Pott 123, t30
Lamcttrip 86, *94, t86 Prades, Abbé de tgt
La);en<)tchto'55
95.tt3.tt6.t3o Massnwiyo MancNtauspn, preuH. Pra~itctM :6o
l~mprccht. Ober- Maupertt)i!ih3.86, Ministcrt~g PrenO, Juh. David
konsistori~rat 146 1 tôt, mf., tt3. Erdmann 203
Mt))'aton.:M~
Laptace 98. t.!5f.. *ttyf.t~t t~4, t't~vost d'KxHM <)8
MnriUoO~
225 t~.t.:7.i.;o.t~f., Promcthcustt! t
t~rochcfuuMuld <)0 I~q, t~8f.. !32f.. ) Hc.tnder,JoachimyS Pfttter ~6t
t~utremiK'rn 34 '5'7'73 Keander, August t~S Pafend'wt. S<miuet
t~vaterihT Maycr. Robert 73 23, *222
Xeckertqg
Lcibntz to 14, t6- MMarm34.43.9o, Nepos 202 Pythaftorecr 15. 34
tS.21.23- 178 ~eukireh 53
32,*3~-40,44. M<*cke).Joh. Fried- Newton 25. 6. 69, Qointt)mn9<)
*62– *f)0–74.! rich tj';),t_~o 7f. !!<),<)tf.,tt!
74f.. Kj. 86, 'X).. Mcdtci, t.orc'nzo do' t.!t,t~.t73,28 Rabelais S8, to8
mf..tt.t,ta!t.t3~. f!4,tt6,~4<) Xicolai, Friedrich
Xkolni, !K;K'tt)e 101, to3f.,
1 Ilf..114, 121.13.1'1
!t4t).t47–tj, ~tcicrotto '39. !6<)(.
f.
~of..t~.t~,tM,~ !OS,2J7
'54-M' 'fincrs26ï ttitHact So, 2~
*'7-.t.S
t7<),2.!t.223.ZJ!S, Mct<tnchthoti.~3,t63, Xico~usCusanus~ 6<)fx3Kamtcrt;),')
,4!242,247,~ ~7 Xicbuhr, Carsten Ranke t~s, 177. 187,
~57 Mcndetssohn, Moses î<)0.2tS,70
2'j<)--2/t
L'Espinasse, Made- n<i.!36.t39.4- Xichubr, BarthoM Ratichius (Ratkel
moixcticdetï~ t'i0. !74f.f. 268, ~8{.f.
~Ccorgt~,
Lc'ismg~f.6t.S. Mcngsz~ *26<)-275 Raumer, l-'hcdn< h
i Mcnnon'tpnty
t<)0,t0f).ttj,,t24. Xi<'ti!<K'hf <3, no 205
'34. '3' '44~. Mcn~n 123. *t3:!{.. Xovahsy!? Keifn.w)'
t~f.. T&7f. !7t. t4t, t4<),t';3f. 156, Rpmho)<!t5~3f. f.
*t7!. t7~-t76, t()q Ocscr, Adam Fried- Rembran<h h.t
2~7.~41. *24ï tj
j Mersenne rich~jS RMCW)tZt()t
î.ieberkahn 123. 130 Miehafti9,Joh.!)a- Rtc!)antsont7.'i
Opitz~.47.52,
Linn~~jts vidtj:7,!44,:t)t<. 7" Ricttc)ieo8,]t<.34.
Locke 23, 30, 6. ~S. MtehptanppioSo Oranicr~t; i 90, tuu.t03.toM,
~.t3.t49.t.'itf.. MHton ~j, 2tS '7~
t<~6,2~4!.2',4 ~tirahMt) t~f. t~t P.miitif)!.2)~( Rist~
t.<ihen<!ton 44, $2, ,Mithridatcst03 Pappbrort) ~~n Ritt<'r.K.tr).t'<
').). Musertob. to<). toSf., t'<)!icatyo. iot. toS Koh<'r<!<«n20<)2~(,
Lopo ~o. <)<; 247/ï;7.t57. Pautus. Hcinr.Eberh. *245f., 236, 264
Latzeijit) i ~67 t'otttttbt~ Robinet o3
!.u<:rfzMi.t04 M«tinos77 PcnMts~. Tu'. 240 ~Kohin-))'is
t.)](totf.Htob22t \<n)tht,t'fft)n()!<te- PtTixonius ~Ktxhfwt'tt
Ludwif!;XtV.tS.2q. huhts ~74 Pesn" 8.; !Ron~<)"
34f., 43.S4.S8.o6. ;)o)ynpuxt~<).tS4 Pestato~i <'t)t.. tyo '?.<. *'5'
t00,t0j.«2,tt6. jMontaigncto!! PctfrftCr.y' ïh~j<.t~t."?'

ï<)3, t7S< 22') )MontcsquieuS<),toy, Pctrnn'.tto~ ~('t


230. 232. 23<)f. tti'tC'7,t7t.t77. Phit<trah:<
Ludwtt! XV.tth.tM4 t84,!<).tf..23o.233. Phidias ~~o !s.:fhs.n.tî').

Latius. Raimandus '23;35. 23~. 'Sitck. An~. t'ric'tr.


jPMtippUt.wn
70 243.~44. ~7. i ~takfdontcn~t3 \\))h<-)mt44.t4"f. 1.
~79
A'www~~
Saint-Pierre, Abbé Simon, Richard 2t<) TeUer<M,t44f"'47. VoS, Joh. Heinrich
<tC!95 Skytte 24 rj7,i69f. 269~73
Smith, Adam t~, Terstcc~cn78 VoO. Buchh&ndtet
SiJomo ti88
Salzmann :6o 153.'9'. ~44 Tcrtt)H)Kn 204
Sannazaro to8 Soktates tSïf. Tetens tj~
Sarpi 220 Sophie \*on Hanno- Thercse.diehettigc Watpo!e 9t, 24:
Sartorms.Gcorgaf)! t ver!8,3t 77 W~tther v. d. Vogel-
Sophie Chadotte 28, Thomas von Aquino
Savtgny~jt' weide49
3',3'3S,64.f.,83 23. 216 Watteau<)8
Scaliger. JuhusC&sar
48.~39 Sophie Dorothea vnn Thomasius, Jakobg.! WeckberUN48,76
Celle 54 Thomasius, Christian
Schede 48 Weigpt. Erhard 23,
Scheetctïû Sophie PofOthMvon 22.67.7'; 3J:,<'0.'M
~euBen(M))ttcr Tht)iHHt'i<!i!T
Schelmuffsky 55 Weise.Christtatt53.
:ricdr.d.Gr.)t28 Thuky<)tdM2!o,ït3, 35.<'o
ScMncr50.57.to'.
~3, Sophie Luise von 266 Werner von Epstein,
"5.'44.'55. t~rcuOen (3. Ge- TiUcmont~23.! Kurf.vonM:nn:33
227, ~37. -4< ~J9 maMin t-'hcd- Totand 67
Schlegel. Aug. W)t- WMan(l;;4.!o6,tts.
rich<!l.)67 Tolstoi 75
hctm u. Friedrich t5û.*t7of.,t74
Sophokles, t69. 258 Trajan~ Wi)h<-)mIH.~n
.'59 Spatding. Joh. Jo- Trapp i6t
Schleiermacher x32, Oranien (England)
achimt~f)<74 Tteitschke 222, ~f'3
t~ -147. t~S,t6o. i'22b,~)0,44
Spec 77 TrcndeJcnbût~ '70 WithcimincvonBay-
!yo.ï6t,26!! Spener 75, 78 Tschirnhnuii ~'< reuth 94. t.)
Schlôzer t<)o.43,
SpinoMt3t.7,23, Turgot <jt. <)S,t<)'. WtUis<)o
!4yf.. ~6!–t<)3, 2<),3o.t.&<),93, *~35-~38.~39.244 Winckelmann to6,
*263f..264f. t76, 188, 2t<). Tycho Bfahe nt
Schlosser. Friedr. t3q(.,247. *~7–
*~4tf.4~ .!0t.~6t.26.t.2<)7
ChrLstoph265 Spittler ~4~ 247. Uz 50, toy deWitt.Janu.Cor-
Schmettau, Grat 257,a6t.<)3,265, ne)i!7
Samuel ttgi. Vaticansontty
*~5{. WSHner t4o–t42.
Sehr&chh265 Stein. der Freiherr \'auge!as !o8 f.
Mgf.
Schùtz, Heinrich 49. 146 Velasquez t'4 \otf,Fne<)r.Au~tst
'79 Sterne 91, t73 Verdy du bernois ~03
Schupp 52. 54. '5<) StiUpriq VtC0232f.,234 Christian M.
\c!ff,
Schwab, Jc-h. ViUaume 204
Stosch.Joh.Withettn 75.7.'3'
Christian t57 Virgitt04
~3 '54
&;ipiod.a]t.u.d. Strada~~t Vohatrc!): \o<xt.'f't
)Ong.tM, 212.214'. SaBmitch~3.t5~ i}t)f..8M.9t.
SchveryS Süvern t6o _()4,90,<)8f.too,
Selle 139 t00-t02, t0~0~ Ze<!)itx!)j,
Sulzer t23. t3<).t5°.
Scmtcr. Joh. Salomo -to8.no.u2f.. !~{.3.M'-
*'54~5''
M,<)8.t44f.47 tt~f.. n7< t2o, t6<).!S4
SvMcz.KartGoit-
Senera 50.t0t.t04 t~3,t~S,t27.!jt. Xcst'tt52. ~3
tieb!40 -~3' Zicf;tcr53
Sha(tMbury«7,8X. 17'74'
S\<.cd<:nt)or!;t73 *2.:f(-22<). Xinkgrcf48
!4<).t<)<),t70,!74, Swift 90f.. ~2S
*2i6,ï39 *j!3!f.. ~j9. Zinzcndnrf 75.
Shakespeare 46. 57. 244.j!4<3. XaUtn-ri-tO.t44.47.
!o6, Tacitu*! tf)S ~7. f. '57. IlIi)
157.
59<Sy.<)9,
ioSf..)t«.<7.ï2y. Tartaf;)i.' 70 Vondct. Joostvan Xwin~fi'). [j-'
Tan)cr 77 dcns') *t
.!40,2')t i. ~)
Witheim DUthey, Gesammelte Schriften

JF~M~ die G~S&'M~MetM~o~M. einerGnmd-


Versuch
2.Aun.
undderGeschichte.
tegnng<BrdasStadiamderGeseHachaft
Geh.RM ï2. geb. RMt5. m HaIMeder RM 22. BandI.
~«MMM~ und ~M<e des MMAC&e~ J~OtM-
S«M<e«M~ ~/û~~Ot~M. Abhandlungcn zur Geschichte
der
undReligion,
Philosophie Geh.KMt~ geb.RM16.
3.Auftage.
in HatMederRM.23. Band II.
~«d'~( )M~ Geschichte<~ ~Ht~MA~<?~ Geh. ca.
RM8. geb.ca.RM ï. Bandin.
Die T~ew~M~ M«<f«e~~ ~MaM~AtM~M
aMf~<to~~<~ des <feM~cAcM jM<?<sM<M. Geh.RMt4.
geb.RMt?. in HatMeder RM25. BandIV.
Die Welt. ~e P&~M<~&~ des
geistige E~
Z~~t~. t. HâMe: Abhandhngea îur Grund!egung der Geisteswissen-
schaften. Geh. RM 12. geb. RM t5. in Hatbteder RM 22.
2. HâUte: zur Poetik, EthH und Padagogik. Geh.
Abhaadtungea
RM 8. geb. RM tt. in HatMeder RM t?. Band V und VI.

Der M~ den C~~tP~


~~<t~ <~f~~<'A~</<c~M
Band VII.
~Ot/ï~. Geh. ca. RM ï0. geb. ca. RM 13.
In Vorb.: Bond VM: PhUo~ophte der PhUotophte. AbhMtdIongen
zur WettantchanungttthM.
..Ditthey* WtAa MMfte «Mh ihrem ee~aHicttee Gehidt tu dcm Ttthtm und Reihttt.
<Mth itter MntthntMM G«ttttatt); an dem GttaMatitM- w<K der deettcho Geitt ta'
ttM. itt Historiker md Phitetoph. ia bdd~mithcr Wtttttt
ta. JththmdeM )tttcht<hn tiSthey
tttne MMt!eriMhe Xatof. di<-mtt <c!n~tmttM<c!t«< e<Mtrt)iei<i:cn Atttticb'm vertmndee !<t.
Eine Getchichte der earopiiiMhta Kattut ist htM mtMttt, t~tnt);ct< Mn eiMr am&ttttdfe.
<!te Tiefen dafeh<)tint!< KmteHitftc~Mttr,Bber ~efea mc-e~area Stoff Di)tht)' in tiehertr
MeiMeneta<t «Metet. D)e Mt !hm Mer tn-eictta 'nefe der AtMhMUKt;.dX) ~Meade
AattyM dM SeeUteheo.4to Phttih in der Me<xchMdMtt<Huax er)(ehMantefj:)eteb))chtetxnt-
Mtie BiMef der Penaetich~it. die MXbty dMtteUt. Nr eitt* ettMchtttthe Letxe hat or
t4z MÏMac< Vt[m0e~a titfttet Em«th!M(;, emfa wmdtfbf Maco Bh<-)!fiit ')« uMndhftt
FtUteder LettmwhU[e))k<it. Bh KSnit tm Reich des GeiMet <tt e*. der )')fr «in Wtfh
get*a h*t.* (Zett!ehft<t <Uf DeuMchkunde.)

Der Weg in die Philosophie

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ZtdMtmaf! iretMadet tieh ttM die witMa<châhtieh<: EtkcnnMt der FMMOphie Mtbet. Die
AMWitMder LfMttiicka tM p<:ft&tlie!t<'r WiNMr <tttr!tt!tt ditdtirfh. 'ttB sie in dit <!<Mmt.
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A)te< in aNtm hMittM wir in der ,'iytttmttftchea Philosophie« Stn~tur und
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in dit mtMdtUc MU' der PhttMophie etMttfiihrm. abo als Etoleitung ta t'«-PMom')'m' die
ht. ni<!M habea die BfUr~c darum
MftiitHchttta DieatM N tttttea imstande t!<-f)e<ttaa){
weil sie die VoMiitre tmtf Mrt.Mtt<-heaGtit~ntat; und Anordouns dcn )m sich !iti<-rr<-ichM
SMtM mit der denkbar sauberstea H<-pt<htc<-h)t): uttd der tchïffttea G<M~d)Mtt.U~~ ver.
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twitchea EimtetMO und Gemeintdttft ihte Ht)tp<âa(){*bt ~eht und dettt Getchichtt- <md
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dfr Hand ta dM :tt~nd tchff. sondera <ne& Bber die !)~d<!it!'n A<t)tt*b< des T~M Mnm<-
Mir):<a <md Ktthurpotitit aof lange Stcht (feibex. Rr wird de<Mb ntcht nar ttm tnttre
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Problem a)t'T WitfK-"trh!t<t6th<'or!< taf cinm «MatnmM&tMndm Aatdmctt gebracht, des <it ia
Mïren Mcht.
(fetcMcMichttt. er)teMM!<theorttit<-hex atd atcthedotegttchmUttttMehaBgent"
Die der Gegenwart und ihr EinSuB auf das Bildungs-
Philosophie
ideaL In Batten RM 2.2o
,.M!f ttt noter dM TtetM Bitchen) ah~r dtf BMtehu))[<n x~itchta PMh«epM« ond PM.
tf;o~i)c ham ttM bfttxttt ~word'-a. dM mit gletcher Kt~h~ die Lage der MMago~k h
der GwnwMt hManmfMbnt~t Mttt. St<ttt finfr worirrendet Vielheit Mo B.ttttMtdMe.
ttttt einM !<thM<M9dtr Ton i!f)dMtTt!te"dm Theottttt gibt der VtrfnsMr <-tMe mit twt))!M).
dM Notwendittteit ~ch treebmdea BntitidttantrttfMg. der im hôchsten Shne df<t Wortes
He~hrhe.t Gei.t atmet." (Zenh-atMtM ntr d. tea. Onte~teht~ttwattung.)

und Grenzen der Padagogik. Mt gegen.


MOgtichteiten Abbtndtttpgen
wSrtigen Lage von ErMehungund Er~than~theo~t. {EMchetntOktober 19~6.]
An der Spitze der S~mtatm~ ttcht einc hit~fr ntdtt TeritffeMMehte om<Mett<<:he Arbelt.
die tttm Kern die Gedm)t''tt bat, die der V<'r<Mt<r am <. Oktober d. J dem in WrinMr
«tMmntfttea Ket!Kr<<)tTOffMnffn btt. Sie etttwicMt und b<~{fCadct die in
[~digOKt'chft!
der K*attn Reihe ~n Abh*ndht)){' c;td AtMtMtt wirksame GtMmtMM'eaantt): M am-
fMtfader RfdteMehtf~Mtfie. thM« a!)tn ~«nfiMM) ist die Abncht, die der Titel der
der
Sammlung tam Ausdruck bringt: der tt0)!~<'ocr ~ttM);<'rt<'a pM)m<')tM<-hea ErfCt;<ta!{
Pnmt t<t {Srdtm <md tn b*-
Mnfjtten Zcit dM)tti)tf t~Mn<*w!aM«. fM die enie~ritche
tthm vermalr. mttttich abfr auch die Ob<ftttif[tn)n)tta attd Gt<'MUb<rMhi<it<m;ea <m&H-
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Geschichte der franzOsischen Literatur. VonProf. Dr. v. Klemperer.
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